129 80 4MB
German Pages 495 [498] Year 2010
Wer lässt sich von einem Homöopathen behandeln?
Medizin, Gesellschaft und Geschichte Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung herausgegeben von Robert Jütte Beiheft 37
Wer lässt sich von einem Homöopathen behandeln? Die Patienten des Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864) von Marion Baschin
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2010
Umschlagabbildung: Bildarchiv Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung GmbH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09772-7 D 93
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2010 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Printed in Germany
Inhalt Abkürzungsverzeichnis .................................................................................... Tabellen- und Schaubildverzeichnis ............................................................... Vorwort.............................................................................................................. Zusammenfassung ............................................................................................ Abstract .............................................................................................................
7 8 13 15 17
1
Einleitung .................................................................................................. 1.1 Forschungsstand .................................................................................. 1.2 Quellenlage .........................................................................................
19 24 36
2
Methode und Vorgehen ........................................................................
45
3
Rahmenbedingungen ............................................................................. 3.1 Clemens Maria Franz von Bönninghausen – Der Homöopath ..... 3.2 Homöopathie – Die therapeutische Grundlage der Praxis............. 3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung ................... 3.3.1 Wirtschaftliche und soziale Lage ............................................. 3.3.2 „Im Allgemeinen befriedigend“ – Die medizinische Situation .....................................................................................
58 58 63 67 68
4
Auf dem Weg zu Bönninghausen ........................................................ 4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“........................................... 4.2 „Quacksalber“ und „Pfuscher“ – Laienbehandler ........................... 4.3 Andere Homöopathen ....................................................................... 4.4 Approbierte Heiler und Institutionen ............................................... 4.4.1 Hebammen................................................................................ 4.4.2 Wundärzte und Chirurgie ........................................................ 4.4.3 Promovierte Ärzte .................................................................... 4.4.4 Kurbäder ................................................................................... 4.4.5 Krankenhäuser .......................................................................... 4.5 Der Patient im medizinischen Markt ................................................
83 87 101 107 114 115 117 123 133 137 141
5
Die Klientel Bönninghausens .............................................................. 5.1 Sozialstruktur der Patienten ............................................................... 5.1.1 Geschlecht und Familienstand ................................................ 5.1.2 Alter ........................................................................................... 5.1.3 Schicht und Berufsfeld.............................................................. 5.1.4 Herkunft: Orte und Entfernung .............................................. 5.2 Familien ............................................................................................... 5.3 Kinder .................................................................................................. 5.4 Der Tod von Patienten........................................................................ 5.5 Der „typische“ Patient?.......................................................................
146 146 148 156 162 170 177 186 195 203
73
6
Inhalt
6
Beschwerden und Krankheiten ........................................................... 6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden ..................... 6.2 Krankheitsspektrum............................................................................ 6.2.1 Quantifiziertes Leiden .............................................................. 6.2.2 Von Kopf bis Fuß ...................................................................... 6.3 Krankheitsnamen ................................................................................ 6.4 „Traumatische Beschwerden“............................................................. 6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren .......... 6.5.1 Männliche und weibliche Krankheiten? ................................ 6.5.2 Von Regelblutungen, werdenden Müttern und Geburtsfolgen ............................................................................ 6.5.3 Krankheiten der Kinder ........................................................... 6.5.4 Soziale Schicht und Krankheit ................................................ 6.6 Clemens von Bönninghausen – Ein Allgemeinarzt? .......................
282 297 301 310
7
Die Praxis Bönninghausens .................................................................. 7.1 Entwicklung der Praxis....................................................................... 7.2 Die Behandlungssituation .................................................................. 7.3 Der Behandlungsverlauf ..................................................................... 7.4 Kontakt von Patienten und Therapeut ............................................. 7.5 Patientenverhalten .............................................................................. 7.6 Honorarforderungen und Bezahlung ................................................ 7.7 Patienten als „Fälle“ – Publikationen aus der Praxis ....................... 7.8 Ohne Patienten keine Praxis..............................................................
314 316 324 334 349 354 368 382 391
8
Schluss: Patienten damals – so anders als heute?........................... 396
207 210 221 224 234 249 264 271 272
Anhang ............................................................................................................. 1 Tabellen zu Kapitel 3 .......................................................................... 2 Tabellen zu Kapitel 5 .......................................................................... 3 Tabellen zu Kapitel 6 .......................................................................... 4 Tabellen zu Kapitel 7 ..........................................................................
403 403 406 413 432
Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................ Quellenverzeichnis .................................................................................... Nicht gedruckte Quellen .................................................................... Gedruckte Quellen ............................................................................. Literaturverzeichnis ................................................................................... Internetadressen.........................................................................................
443 443 443 448 457 495
Abkürzungsverzeichnis ACS ADB AHZ Allop. gebr. BAM Bull. Hist. Med. Can. Bull. Med. Hist. Fol. GG GWU IGM Med. Hist. MedGG Med.hist. Journ. MMW ÖZG PHZ Reg.bez. StAM StdAM Soc. Hist. Med. WZ Wbg. med.hist. Mitt. ZKH
Archiv für die Homöopathische Heilkunst (Stapf) Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeine Homöopathische Zeitung Allopathisch gebraucht. Bönninghausen verwendete die Abkürzung in seinen Journalen. Bistumsarchiv Münster Bulletin of the History of Medicine Canadian Bulletin of Medical History Folium, die Seite eines Krankenjournals Geschichte und Gesellschaft Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart Medical History Medizin, Gesellschaft und Geschichte Medizinhistorisches Journal Münchener Medizinische Wochenschrift Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Populäre Homöopathische Zeitung Regierungsbezirk Staatsarchiv Münster, jetzt Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen Stadtarchiv Münster Social History of Medicine Westfälische Zeitschrift Würzburger medizinhistorische Mitteilungen Zeitschrift für Klassische Homöopathie
Tabellen- und Schaubildverzeichnis 1 Tabellen zu Kapitel 3 Karte 1:
Die Provinz Westfalen ............................................................ 68
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:
Arztdichte der Stadt Münster ................................................ 403 Arztdichte im Regierungsbezirk Münster ............................ 404 Arztdichte in der Provinz Westfalen ..................................... 405
2 Tabellen und Schaubilder zu Kapitel 5 Schaubild 1: Schaubild 2: Schaubild 3: Schaubild 4: Schaubild 5: Schaubild 6: Schaubild 7: Schaubild 8: Schaubild 9: Schaubild 10: Schaubild 11: Schaubild 12: Schaubild 13: Schaubild 14: Schaubild 15: Schaubild 16: Schaubild 17: Schaubild 18:
Geschlecht der Patienten ....................................................... 148 Entwicklung des prozentualen Anteils männlicher und weiblicher Patienten ............................................................... 149 Entwicklung des prozentualen Anteils männlicher und weiblicher Patienten. Zusammenfassung der Patienten männlichen und der Personen unbekannten Geschlechts .... 150 Prozentualer Anteil der Angaben zum Familienstand ........ 154 Familienstand weiblicher und männlicher Patienten .......... 155 Prozentualer Anteil der Patienten der einzelnen Altersklassen ........................................................................... 157 Prozentualer Anteil der Patienten einzelner Altersklassen in Dekaden .............................................................................. 158 Geschlechtsspezifische Altersverteilung im Vergleich......... 159 Alter der männlichen Patienten in prozentualen Angaben .. 160 Alter der Patientinnen in prozentualen Angaben ............... 161 Prozentuale Angaben zur Schichtzugehörigkeit der Patienten .................................................................................. 164 Prozentuale Verteilung und Entwicklung der Angaben zu den Branchen .......................................................................... 167 Prozentuale Angaben zu den angegebenen Wohnorten..... 171 Entwicklung des prozentualen Anteils der Patienten außerhalb des Regierungsbezirks Münster .......................... 175 Entwicklung des prozentualen Anteils der Patienten aus den einzelnen Kreisen des Regierungsbezirks Münster ............. 177 Prozentualer Anteil der Altersklassen der bis 18-Jährigen in der Praxiszeit ...................................................................... 188 Entwicklung der Altersklassen bis 18 Jahre nach Geschlecht ............................................................................... 189 Vergleich der prozentualen Anteile der Schichtzugehörigkeit von Kindern und Patienten insgesamt ................................. 190
Tabellen- und Schaubildverzeichnis
9
Karte 2:
Verwaltungsgliederung des Regierungsbezirks Münster in den Grenzen von 1857 ........................................................... 173
Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16:
Geschlecht der Patienten ....................................................... Familienstand der Patienten .................................................. Familienstand der männlichen Patienten ............................. Familienstand der Patientinnen............................................. Familienstand der Patienten unbekannten Geschlechts ..... Alter der Patienten ................................................................. Alter der männlichen Patienten ............................................ Alter der Patientinnen ............................................................ Alter der Patienten unbekannten Geschlechts ..................... Schichtzugehörigkeit aller Patienten ..................................... Schichtzugehörigkeit der männlichen Patienten ................. Schichtzugehörigkeit der Patientinnen ................................. Schichtzugehörigkeit der Patienten unbekannten Geschlechts .............................................................................. Berufsfelder der Patienten...................................................... Berufsfelder nach Geschlecht differenziert........................... Herkunftsorte der Patienten nach Land, Provinz und Kreisen ..................................................................................... Herkunft von männlichen und weiblichen Patienten ......... Orte mit mehr als 110 Nennungen in der Entfernung von Münster.................................................................................... Schichtzugehörigkeit der Kinder...........................................
Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22:
406 406 406 406 407 407 408 408 409 409 409 409 410 410 410 411 412 412 413
3 Tabellen und Schaubilder zu Kapitel 6 Schaubild 19: „Top Sechs“ der am häufigsten genannten Beschwerdebereiche im Verlauf der Praxis .............................................. 230 Schaubild 20: Einzelne Gruppen des Krankheitsspektrums im Zeitverlauf 1 ............................................................................ 232 Schaubild 21: Einzelne Gruppen des Krankheitsspektrums im Zeitverlauf 2 ............................................................................ 233 Schaubild 22: Geschlechtsspezifisches Krankheitsspektrum aller Patienten 1 ............................................................................... 276 Schaubild 23: Geschlechtsspezifisches Krankheitsspektrum aller Patienten 2 ............................................................................... 277 Schaubild 24: Beschwerdekategorien einzelner Schichten im Vergleich .... 307 Schaubild 25: Beschwerden im schichtspezifischen Vergleich 1 ................ 309 Schaubild 26: Beschwerden im schichtspezifischen Vergleich 2 ................ 309 Tabelle 23: Tabelle 24:
Krankheitsspektrum ............................................................... 414 Die häufigsten Beschwerdegruppen ..................................... 229
10 Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38:
Tabellen- und Schaubildverzeichnis
Verwendete Krankheitsnamen .............................................. Beschwerden der Männer ...................................................... Am häufigsten genannte Gruppen bei den Männern ......... Beschwerden der Frauen ....................................................... Am häufigsten genannte Gruppen bei den Frauen ............. Beschwerden der Kinder ....................................................... Die häufigsten Symptomgruppen bei Kindern .................... Beschwerden der Oberschicht............................................... Beschwerden der Mittelschicht ............................................. Beschwerden der Unterschicht.............................................. Häufigste schichtspezifische Beschwerdegruppen ............... Die größten Beschwerdegruppen der Unterschicht ............ Die größten Beschwerdegruppen der Mittelschicht ............ Die größten Beschwerdegruppen der Oberschicht .............
423 425 274 426 274 427 300 429 430 432 303 304 305 305
4 Tabellen und Schaubilder zu Kapitel 7 Schaubild 27: Mittlere Werte der Erstkonsultationen, Konsultationen und Arbeitstage je Jahr im Vergleich ................................... 320 Schaubild 28: Mittlere Anzahl der Konsultationen und Erstkonsultationen je Tag im Praxisverlauf .......................................................... 322 Schaubild 29: Neukonsultationen im Jahresverlauf..................................... 327 Schaubild 30: Konsultationen im Jahresverlauf ........................................... 328 Schaubild 31: Neukonsultationen und Konsultationen im Jahresverlauf im Vergleich ............................................................................ 329 Schaubild 32: Arbeitstage im Jahresverlauf ................................................. 330 Schaubild 33: Neukonsultationen an Wochentagen .................................... 331 Schaubild 34: Konsultationen an Wochentagen .......................................... 332 Schaubild 35: Prozentualer Anteil der Anzahl der Konsultationen ........... 337 Schaubild 36: Anzahl der Konsultationen im Zeitverlauf ........................... 338 Schaubild 37: Anzahl der Konsultationen je Geschlecht ............................ 339 Schaubild 38: Anzahl der Konsultationen der Kinder im Vergleich mit der Gesamtpatientenschaft .................................................... 340 Schaubild 39: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Anzahl der Konsultationen bei den Kindern ........................................... 340 Schaubild 40: Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Konsultationsanzahlen bei Kindern und in der Gesamtpatientenschaft im Vergleich ............................................................................ 341 Schaubild 41: Anzahl der Konsultationen nach Schichtzugehörigkeit ...... 343 Schaubild 42: Dauer der Behandlungen im Zeitverlauf.............................. 344 Schaubild 43: Vergleich der prozentualen Anteile der Kinder, die bis zu sechs Jahren in Behandlung waren, differenziert nach Geschlecht und Schicht .......................................................... 346
Tabellen- und Schaubildverzeichnis
Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51: Tabelle 52: Tabelle 53: Tabelle 54:
11
Praxisumfang und Tätigkeit ................................................... 432 Neukonsultationen im saisonalen Verlauf ............................ 433 Konsultationen im saisonalen Verlauf .................................. 434 Arbeitstage im saisonalen Verlauf ......................................... 434 Mittelwerte der Neukonsultationen je Wochentag .............. 435 Mittelwerte der Konsultationen je Wochentag .................... 435 Anzahl der Konsultationen einzelner Patienten .................. 436 Anzahl der Konsultationen .................................................... 436 Anzahl der Konsultationen je Geschlecht ............................ 437 Anzahl der Konsultationen bei den Kindern....................... 437 Anzahl der Konsultationen nach Schichtzugehörigkeit ...... 437 Dauer der Behandlungen in Jahren ...................................... 438 Dauer der Behandlung nach Geschlecht und Schichtzugehörigkeit der Patienten ....................................... 438 Dauer der Behandlung bei Kindern unter Berücksichtigung von Schicht und Geschlecht .................................................. 439 Konsultationsfrequenzen der Patienten ................................ 441 Frequenzen einzelner Patientengruppen im Vergleich ....... 442
Vorwort Dies ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2009/10 von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Stuttgart angenommen wurde. Bei ihrer Entstehung durfte ich die Hilfe und Unterstützung vieler Menschen erfahren. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Robert Jütte, der das Thema angeregt hat und mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Dies schließt Herrn Prof. Dr. Martin Dinges und alle anderen Mitarbeiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart ein, die immer ein offenes Ohr für meine Fragen und Anliegen hatten. Herrn Prof. Dr. Franz Quarthal danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Das Leben eines Doktoranden wird von mancherlei Sorgen überschattet. Zumindest von denjenigen finanzieller Art befreite mich das Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes, wofür ich sehr dankbar bin. Ohne diese Absicherung hätte die Arbeit niemals in etwa drei Jahren fertig gestellt werden können. Außerdem habe ich durch die ideelle Förderung im Rahmen der Doktorandenforen zahlreiche Rückmeldungen erfahren. Ich bedanke mich außerdem herzlich für den großzügigen Druckkostenzuschuss der Robert Bosch Stiftung Stuttgart, der die schnelle Publikation erlaubte. Während meiner Forschungen durfte ich Münster als eine ausgesprochen schöne Stadt kennenlernen. Zahlreiche Mitarbeiter der von mir genutzten Archive haben mich dort bei meiner Recherche unterstützt, wofür ich mich sehr bei ihnen bedanke. Dieses Buch versteht sich als Beitrag zur Patientengeschichte. Die Perspektive eines „kranken“ Menschen im Medizinalsystem ist mir nur allzu bekannt. Daher danke ich allen, die sich für meine gesundheitlichen Belange eingesetzt haben. Zahlreiche Freunde haben durch Zuhören, Nachfragen, Mitdenken und Ablenkung zum gegebenen Zeitpunkt ebenso zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Gleiches gilt für meine Geschwister und alle Familienmitglieder. Einen besonderen Dank möchte ich all denjenigen aussprechen, die meine Arbeit ganz oder teilweise Korrektur gelesen haben. Zuletzt bleiben drei Personen, die mehr für diese Arbeit getan haben, als ich hier in Worte fassen kann. Meine Eltern und mein Mann haben nicht nur die Grundlage für die Dissertation gelegt und mich darin bestärkt, diesen Weg einzuschlagen, sondern sie haben mich in allen Höhen und Tiefen begleitet, wofür ich zutiefst dankbar bin. Widmen möchte ich die Arbeit meiner Familie.
Zusammenfassung Nicht der Arzt sucht sich seine Patienten. Kranke Menschen entscheiden selbst, wann sie zu einem Arzt gehen und welchen Therapeuten sie aufsuchen. Im Mittelpunkt dieser sozialgeschichtlich ausgerichteten Dissertation stehen die Personen, das Handeln und die Entscheidungen derjenigen Kranken, die sich im 19. Jahrhundert von dem Laienhomöopathen Clemens Maria Franz von Bönninghausen behandeln ließen. Drei Forschungsfragen bilden das Zentrum der Arbeit. Zum Ersten diejenige nach der Klientel des Homöopathen. Hierbei werden die sozialstrukturellen Merkmale der Patienten, wie Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit und Wohnort, erfasst und sowohl statistisch als auch personengeschichtlich bearbeitet. Zweitens werden die Angaben der Erstanamnesen ausgewertet, um zu beurteilen, mit welchen Beschwerden die Kranken den Therapeuten aufsuchten. Dies zielt auf das Morbiditätsspektrum und die Frage nach der individuellen Krankheitserfahrung. Drittens werden Umfang und Entwicklung der Praxis insgesamt berücksichtigt. Dabei geht es nicht um den Homöopathen, sondern es wird danach gefragt, was es bedeutete, bei Bönninghausen Patient zu sein und wie eine Behandlung durch ihn für die Kranken verlief. Die Hauptquelle für die Beantwortung dieser Fragen ist eine Auswahl der mehr als 116 Krankenjournale, die Bönninghausen im Lauf seiner Praxiszeit geführt hat. Sie sind im Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart überliefert. Die ausgewählten 57 Journale decken, in Zeitfenstern von je fünf Jahren, die gesamte medizinische Tätigkeit des Freiherrn von 1829 bis 1864 ab. Für die Transkription und Auswertung der Journale wurde eine Datenbank mit Hilfe des Programms FileMaker Pro angelegt. Sie umfasst 14.266 Patienten, deren Krankheitsbilder und weitere Angaben zu ihrer Behandlung. Die Auswertung ergab, dass die Kranken, welche Bönninghausen aufsuchten, in den meisten Fällen bereits ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hatten und daher den Homöopathen oft erst nach einer fehlgeschlagenen anderen Therapie konsultierten. Die Spannbreite der zuvor verwendeten Maßnahmen erstreckte sich von Selbstmedikation mit Hausmitteln, über Ratschläge von Laienheilern und anderen Homöopathen bis zu Kuren durch zugelassene Medizinalpersonen. Einige Patienten waren vorher auch in Krankenhäusern oder Kurbädern gewesen. Männer und Frauen jeden Alters und aus allen sozialen Schichten fragten den Freiherrn um Rat. Der „typische“ Patient war jedoch weiblich, zwischen 21 und 25 Jahren alt, ledig und stammte aus der Münsteraner Unterschicht. Über die Jahre hinweg behandelte Bönninghausen viele Kranke aus dem Ausland, auch wenn sich das Haupteinzugsgebiet seiner Praxis auf die Stadt Münster und ihre nähere Umgebung konzentrierte. Zahlreiche Kinder wurden dem Homöopathen ebenfalls vorgestellt. Einige Familien nutzten seine Dienste als „Hausarzt“.
16
Zusammenfassung
Patienten kamen mit jeder Art von Leiden zu Bönninghausen. Sie wollten sowohl akute als auch chronische, leichte, wie lebensgefährliche Krankheiten behandeln lassen. Das Krankheitsspektrum in der Praxis unterschied sich kaum von demjenigen vergleichbarer zeitgenössischer Arztpraxen von homöopathischen oder „allopathischen“ Kollegen. Am häufigsten wurden Fiebererscheinungen, „Stuhlausleerungen“, Husten und Beschwerden der Unterglieder beschrieben sowie Angaben zu Appetit und Essverhalten gemacht. Eine differenzierte Untersuchung belegte graduelle Unterschiede der Krankheitsspektren je nach Geschlecht, Alter und Schichtzugehörigkeit. Die Worte, mit denen die Betroffenen ihre Leiden schilderten, verweisen auf ein breites Vokabular von Fach- und Laiensprache und verdeutlichen, dass Krankheiten sowohl biologisch konstante als auch sozial konstruierte Aspekte enthalten. Die meisten Kranken konsultierten den Homöopathen nur ein einziges oder zwei Mal, so dass es sich in der Mehrheit der Fälle um eine Kurzzeitbehandlung handelte. Doch es gab auch treue Anhänger, die über Jahre hinweg die Dienste Bönninghausens nutzten. Gemeinsam sorgten alle Betroffenen dafür, dass der Freiherr eine verhältnismäßig große Praxis führen konnte, die sich, gemessen an der Anzahl der durchgeführten Konsultationen und Neupatienten, mit denjenigen anderer Therapeuten vergleichen lassen konnte. Besonders in den Frühlings- und Sommermonaten war der Andrang größer. Die Vorgaben Bönninghausens, dass die Kranken ihn selbst aufsuchen sollten oder Boten zu senden hatten, wurden, ebenso wie die geltenden Sprechzeiten, weitgehend eingehalten. Gleiches galt für die empfohlene Diät. Hier wurde allerdings, wie auch an anderen Beispielen, deutlich, dass sich die Kranken nicht auf Dauer bedingungslos den Regeln des Homöopathen unterwarfen, sondern weiterhin die einzelnen Maßnahmen selbst beurteilten und gegebenenfalls nicht befolgten. Außerdem waren alle Patienten bereit, die von Bönninghausen gestellten Honorarforderungen zu erfüllen. Mit diesen Ergebnissen trägt die vorliegende Arbeit dazu bei, das Bild von kranken Menschen und ihrem Verhalten in der Vergangenheit genauer zu zeichnen. Die Auswertung der Krankenjournale mit Fokus auf die Patienten ermöglichte eine Geschichte von und über die Betroffenen, welche deren eigenständiges, selbstbewusstes Handeln deutlich hervorhebt. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass die Welt der Patienten im 19. Jahrhundert uns sowohl fremd als auch vertraut erscheint.
Abstract Doctors do not look for patients. Ill people decide themselves when they are going to a doctor and which therapist to choose. This social history thesis concentrates on the person, the actions and the decisions of those ill people, who, in the 19th Century, were treated by the lay homoeopath Clemens Maria Franz von Bönninghausen. Three research questions form the core of the work. Firstly, the question about the clientele of the homoeopath. This section deals with the socio-statistical description of the patients, such as age, sex, social class and residence. This information is described according to statistical as well as individual aspects. Secondly, the information about the first anamnesis is evaluated, in order to determine with which complaints the patients came to the therapist. This is an investigation of the spectrum of morbidity and the search for individual experience of illnesses. Thirdly, the scope and development of the practice as a whole is taken into account. This section does not deal with the homoeopath himself, but rather seeks to discover what it meant to be Bönninghausen’s patient and how a course of treatment by him impacted on the patient. The main source for answering these questions is a selection of the more than 116 patient journals that Bönninghausen kept during his time in practice. These are kept at the Institute for the History of Medicine of the Robert Bosch Foundation in Stuttgart. The chosen 57 journals cover, in samples of five years each, the whole medical work of Bönninghausen, from 1829 to 1864. For the transcription and the research of the journals, a database was created using the program FileMaker Pro. 14,266 patients, their illnesses and further information concerning their treatment are collected in this database. The evaluation showed that those ill people seeking help from Bönninghausen had, in most cases, already received medical help and thus consulted the homoeopath often after previous unsuccessful therapies. The range of treatment covered self-medication with home remedies, advice from lay healers and other homoeopaths as well as cures from governmentally-administered medical practitioners. Some patients had already been to hospitals or spas. Men and women of all ages and from all social classes asked Bönninghausen for advice. The “typical” patient was female, between 21 and 25 years old, unmarried and was a member of the lower class in Münster. As the years progressed, Bönninghausen treated more patients from abroad, even though the majority of people came from the city of Münster and its surroundings. A lot of children were also brought to the homoeopath. Some families used his services as a “family doctor”. Patients came to see Bönninghausen with all sorts of illnesses. They wanted him to treat acute as well as chronic ailments, minor as well as life-threatening diseases. The spectrum of morbidity was scarcely different to that of comparable other practices of homoeopathic or “allopathic” colleagues. The most common ailments were fever symptoms, bowel movement problems, coughs
18
Abstract
and pains in the lower limbs as well as information on appetite and eating behaviour. A differentiated investigation showed gradual changes in the spectra of morbidity according to gender, age and social status. The words used by those affected to describe their pains indicate a broad vocabulary of specialist and lay language and show that illnesses contain both biologically constant and also social aspects. Most ill people consulted the homoeopath only once or twice. In the majority of cases, the treatment therefore was only short-term. But there were reliable adherents as well who took the advice of Bönninghausen for several years. Together, they ensured that he was able to have a practice that was, measured with the numbers of consultations given and new patients, comparable to that of other therapists. In the spring and summer, it is noticeable that more people came. The requirement by Bönninghausen that ill people should come themselves or send a message was accepted, as were the consulting times or the ordered diet. Nevertheless, it has been shown with some examples that ill people did not want to obey all the rules of the homoeopath. They kept thinking about the therapy and did not themselves follow the rules in one case or another. But they all accepted that they had to pay for their received treatment. With these results, this thesis is able to help show the situation of ill people and their behaviour in the past more accurately. The evaluation of the patient journals, with the focus on the patients, made it possible to write a history of and about those involved and revealed clearly their independent, self-confident actions. At the same time it becomes clear that the world of the patients in the 19th Century was both familiar to us and yet still alien.
1 Einleitung „Gesunde Menschen brauchen keinen Arzt, aber die Kranken!“ Die Worte aus dem Lukas-Evangelium scheinen eindeutig und klar verständlich.1 Doch stellt sich die Frage, wer „krank“ und wer „gesund“ ist. Und wenn sich jemand „krank“ fühlt, was tut er? Wie verhält er sich? Zu welchem „Arzt“ geht er und wie lässt er sich behandeln? In jeder Zeit und in jeder Gesellschaft variiert das Verständnis davon, was als „krank“ einzustufen ist, wie man eine „Krankheit“ am besten behandelt und wer für die Wiederherstellung der Gesundheit zuständig ist. Der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, begann sein Hauptwerk, das Organon der Heilkunst, mit der Feststellung, dass „so lange es Menschen gab, sie auch einzeln, oder in Menge Erkrankungen ausgesetzt“ waren.2 Aber mit der zu seinen Lebzeiten hauptsächlich praktizierten Behandlungsweise war er ganz und gar nicht einverstanden. Stattdessen entwickelte Hahnemann ein eigenes Therapiesystem. Dieses wollte nicht mit Gegensätzen, sondern mit Ähnlichem heilen, nicht mit entkräftigenden und entleerenden Mitteln, sondern mit kleinen Gaben, die die Lebenskraft wiederherstellen sollten. Er nannte es Homöopathie. Mit diesem Gedankengebäude rief Hahnemann bereits bei Zeitgenossen heftigen Widerspruch hervor. Bis in die Gegenwart gibt es keine Einigkeit darüber, wie Krankheiten am besten zu behandeln sind. Allerdings litten damals und leiden heute Menschen an verschiedenen Beschwerden, die sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vertreiben wollen. In unserer Zeit ist es jedoch leicht, mit Hilfe von sozialwissenschaftlichen Umfragen und Studien herauszufinden, was Menschen als „krank“ empfinden, mit welchen Mitteln sie sich zu helfen versuchen oder wer bei einem Arzt beziehungsweise Homöopathen in die Behandlung geht. So ergab eine Untersuchung 1993/1994, dass Patienten, die sich homöopathisch behandeln ließen, eher jünger und durchschnittlich höher gebildet waren als solche, die sich „schulmedizinischen“ Rat holten.3 Diese relativ einfache Möglichkeit, per 1
2
3
Lukas 5, 31. An dieser Stelle die Übersetzung der Bibel nach: Hoffnung für Alle. Die Bibel, Basel 3. Auflage 2003. Dieselben Worte werden auch in den Evangelien nach Markus und Matthäus überliefert. Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. „Aude sapere“. Standardausgabe der 6. Auflage. Hrsg. von Josef Schmidt, Stuttgart 1999, S. 23. Sämtliche Titel werden im Folgenden bei der Erstnennung mit allen bibliographischen Angaben geführt. Bei weiteren Verweisen wird ein Kurztitel verwendet, der sich am Titel des entsprechenden Werkes orientiert. Günther, Martina: Der homöopathische Patient in der niedergelassenen Arztpraxis. Ergebnisse einer vergleichenden Patientenbefragung in konventionellen Arztpraxen und homöopathischen Privat- und Kassenpraxen. In: MedGG 18 (1999), S. 134. Zu den anderen angesprochenen Themengebieten die Untersuchungen von Grunow, Dieter; Breitkopf, Helmut; Dahme, Heinz-Jürgen; Engler, Renate; Grunow-Lutter, Vera; Paulus, Wolfgang (Hrsg.): Gesundheitsselbsthilfe im Alltag. Ergebnisse einer repräsentativen Haushaltsbefragung über gesundheitsbezogene Selbsthilfeerfahrungen und –potentiale,
20
1 Einleitung
Umfrage herauszufinden, was die Betroffenen in der Vergangenheit als „krank“ einstuften, was sie dagegen taten und welche Therapieangebote sie nutzten, gibt es heute nicht mehr. Über die Kranken aus vergangenen Tagen ist daher, trotz bereits geleisteten einschlägigen Forschungen, immer noch nicht genug bekannt. Diejenigen, die des Schreibens mächtig waren und sich in Briefen Bekannten und Familienangehörigen mitteilten oder die Tagebücher und Memoiren verfassten, verliehen ihren Leiden Worte, die bis in die Gegenwart überdauert haben. Doch für die Vielzahl der von Krankheit Geplagten sind solche direkten Zeugnisse nicht überliefert. Allerdings lassen Notizen oder Aufzeichnungen von Heilern, Ärzten oder Krankenhäusern und Behörden einen Blick auf die Gebrechen der Betroffenen und ihr Verhalten zu. Derartige Überlieferungen, beispielsweise aus Arztpraxen, können zu einer Vielzahl von Fragen rund um die Tätigkeit von Therapeuten, aber auch über das Handeln und Befinden von kranken Menschen Auskunft geben. Nicht nur Samuel Hahnemann hat einen reichen Fundus von Krankenjournalen und an ihn gerichteten Patientenbriefen hinterlassen. Von der Tätigkeit anderer Heiler, so in Kanada, Belgien oder Tirol, zeugt deren schriftlicher Nachlass. Entsprechende Untersuchungen der Aufzeichnungen hinsichtlich der ärztlichen Praxis sowie der dort behandelten Patienten haben bereits zu Ergebnissen geführt.4 Aber noch immer sind viele Fragen offen oder es fehlt an Vergleichsmaterial, um die schon zur Verfügung stehenden Informationen besser beurteilen zu können. Außerdem stehen nicht immer die betroffenen Empfänger der heilenden Dienste im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Auch Clemens Maria Franz Freiherr von Bönninghausen hinterließ aus seiner 35-jährigen Praxistätigkeit mehr als 116 „sorgfältig geführte Krankenjournale“, die nicht nur „für seine Nachfolger reiches Material für spätere Mittheilungen enthalten“, sondern dazu beitragen können, Antworten auf die zuvor genannten Fragen zu geben.5 Seine erste und wohl bekannteste Patientin Annette von Droste-Hülshoff schrieb 1830, er sei „ein Docktor für die vornehmen Leute und sonderlich für Damen“.6 Clemens von Bönninghausen hat ab 1829 Kranke entsprechend der homöopathischen Lehre an seinem Wohnort in Darup und in Münster
4
5 6
Stuttgart 1983, Abele, Andrea; Becker, Peter (Hrsg.): Wohlbefinden. Theorie, Empirie, Diagnostik, Weinheim 1991, Flick, Uwe (Hrsg.): Alltagswissen über Gesundheit und Krankheit. Subjektive Theorien und soziale Repräsentationen, Heidelberg 1991, Flick, Uwe (Hrsg.): Wann fühlen wir uns gesund. Subjektive Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit, Weinheim/München 1998 oder Ferber, Liselotte von (Hrsg.): Die ambulante ärztliche Versorgung im Spiegel der Verwaltungsdaten einer Ortskrankenkasse, Stuttgart 1988. Einen zentralen Überblick bietet: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26). Meyer, V.[eit]: Den Manen unseres Bönninghausen. In: AHZ 68 (1864), S. 92. Zitiert nach einem Brief an Sophie von Haxthausen vom 7. Juli 1830. Droste-Hülshoff, Annette von: Historisch-kritische Ausgabe. Briefe 1805–1838 Text. Bearbeitet von Walter
1 Einleitung
21
behandelt. Der 1785 geborene Freiherr nahm an, dass er durch homöopathische Medikamente von einer lebensbedrohlichen Krankheit geheilt wurde, nachdem ihn „allopathische“ Ärzte bereits aufgegeben hatten. Dieses Schlüsselerlebnis machte ihn auf die Homöopathie aufmerksam. So entwickelte er sich, obwohl er Laie war, zum „treuesten Schüler“ Hahnemanns und praktizierte bis zu seinem Tod im Jahr 1864. Die vorliegende Arbeit nimmt aber nicht den Freiherrn selbst in den Blick, obwohl seine Tätigkeit und die von ihm geführten Krankenjournale die Hauptquelle sind. Vielmehr hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen: Wer lässt sich von einem Homöopathen behandeln? Die Antwort darauf erschöpft sich nicht nur in statistisch aggregierten Zahlen. Durch die Auswertung der Journale sollen die Personen, das Handeln, Verhalten und Empfinden der Patienten sichtbar gemacht werden. Die Untersuchung zielt daher hauptsächlich auf drei Fragen. In einem ersten Schritt soll die Klientel Bönninghausens beschrieben werden. Wie setzte diese sich zusammen und wer suchte den homöopathischen Rat? Es gilt, die Sozialstruktur der Gesamtgruppe der Kranken zu ermitteln. Diese ist in erster Linie durch die Variablen Geschlecht, Familienstand, Alter, Beruf, Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht und Wohnort gekennzeichnet. Doch sollen auch Einzelschicksale deutlich gemacht werden.7 Zum Zweiten ist von Interesse, warum sich die Menschen zu dem Homöopathen begaben. Mit welchen Beschwerden suchten sie ihn auf? Was empfanden sie als „krank“? Waren es akute, meist lebensbedrohliche Leiden, leichtere oder chronische Beschwerden? Die Notizen des Freiherrn ermöglichen durch die besonderen Anforderungen, die eine homöopathische Anamnese stellt, einen eingehenderen Blick auf die Symptome, die die Kranken plagten. Insofern geht es in diesem Abschnitt, neben dem Morbiditätsspektrum, um eine „individuelle Krankheitserfahrung“, soweit sie sich in den Aufzeichnungen des Freiherrn erkennen lässt.8 In einem dritten Schritt bleibt zu untersuchen, wie sich eine Behandlung durch Bönninghausen gestaltete. Wie verhielten sich die Kranken? Wie oft kamen die Patienten zu dem Freiherrn? Wie lange hielten sie der homöopathischen Therapie die Treue? Dabei spielt die „Ausgestaltung der Praxis“ eine wesentliche Rolle. Doch soll nicht die Tätigkeit des Freiherrn, sondern das Wirken und Verhalten der Kranken im Vordergrund stehen, so dass die „Biographie der Praxis“ durch die Patienten geschrieben wird.9
7
8
9
Gödden, Tübingen 1987 (Historisch-kritische Ausgabe. Werke, Briefwechsel hrsg. von Winfried Woesler Band 8,1), S. 106. Nach dem ähnlichen Vorgehen von: Baal, Anne van: In Search of a Cure. The Patients of the Ghent Homoeopathic Physician Gustave A. van den Berghe (1837–1902), Amsterdam 2004 (Phil. Diss.). Der Begriff und ein ähnliches Forschungsinteresse: Stolberg, Michael: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003 sowie Jütte, Robert: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München/Zürich 1991. Der Begriff: Duffin, Jacalyn: Langstaff. A Nineteenth-Century Medical Life, Toronto/ Buffalo/London 1999.
22
1 Einleitung
Auf diese Weise entsteht eine Beschreibung von kranken Menschen und ihrem Handeln in der Vergangenheit und zugleich ihren um Rat gefragten Therapeuten. Ihr jeweiliges Verhalten konstituiert sich wechselseitig. Ohne „Krankheit“ wäre kein Handlungsbedarf geschaffen, sich selbst zu helfen oder einen Spezialisten aufzusuchen, dem man mehr Kompetenz zuschreibt.10 Ohne Spezialisten wiederum gäbe es zwar kranke Menschen, aber im strengen Sinn des Wortes keine „Patienten“.11 In der Arbeit werden die Begriffe „Kranker“ und „Patient“ weitgehend synonym und geschlechtsneutral verwendet. Alle Menschen, um die es geht, waren in gewisser Weise mit ihrem gegenwärtigen gesundheitlichen Zustand unzufrieden und insofern „krank“. Sie hatten meist schon mehrere Heiler und Ärzte aufgesucht, bevor sie zu Bönninghausen kamen. In diesem Sinn waren sie „Patienten“ geworden. Allerdings, und das wird sich zeigen, bedeutete „Patient“ in keinem Fall ein passives, schicksalsergebenes Leiden, wie es das ursprüngliche lateinische Wort andeutet.12 Bevor die drei genannten Fragen beantwortet werden, werden in den folgenden Teilkapiteln zunächst der Forschungsstand und die Quellenlage erörtert. Die Hauptquelle der Arbeit stellt eine Auswahl der mehr als 116 Krankenjournale dar, die von Clemens von Bönninghausen während seiner Praxiszeit angelegt wurden. Die dort vermerkten Angaben wurden transkribiert und in einer Datenbank den weiteren Auswertungen zugänglich gemacht. Um die 10 Es bleibt natürlich zu fragen, was eigentlich „Krankheit“ ist. Parsons, Talcott: The Social System, London 1952, S. 429–433, Sigerist, Henry: Anfänge der Medizin. Von der primitiven und archaischen Medizin bis zum Goldenen Zeitalter in Griechenland, Zürich 1963, S. 7, Rothschuh, Karl (Hrsg.): Was ist Krankheit? Erscheinung, Erklärung, Sinngebung, Darmstadt 1975, Riley, James: Sickness, Recovery and Death. A History and Forecast of Ill Health, Hampshire 1989. 11 Zur Diskussion der Begriffe „Patient“ und „Kranker“: Porter, Roy (Hrsg.): Patients and Practitioners. Lay Perceptions of Medicine in Pre-industrial Society, Cambridge 1985, S. 3, derselbe: The Patient’s View. Doing Medical History from Below. In: Theory and Society 14 (1985), S. 181–183, Wolff, Eberhard: Perspektiven der Patientengeschichtsschreibung. In: Paul, Norbert; Schlich, Thomas (Hrsg.): Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt am Main/New York 1998, S. 313, Eckart, Wolfgang; Jütte, Robert: Medizingeschichte. Eine Einführung, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 182. Das Wort „Spezialist“ umfasst nicht nur gebildete Ärzte, sondern auch Laienheiler. So Ruisinger, Marion: Auf Messers Schneide. Patientenperspektiven aus der chirurgischen Praxis Lorenz Heisters (1683–1758). In: Med.hist. Journ. 36 (2001), S. 315. Dagegen: Wormer, Eberhard: Die bayerischen Physikatsberichte aus medizingeschichtlicher Sicht. Landgerichtärzte, medizinische Praxis und die Perspektive des Kranken. In: Fassl, Peter; Kießling, Rudolf (Hrsg.): Volksleben im 19. Jahrhundert. Studien zu den bayerischen Physikatsberichten und verwandten Quellen, Augsburg 2003 (Quellen zur Historischen Volksund Landeskunde 2), S. 126. Er versteht unter „Patienten“ nur diejenigen Kranken, „die der Weisung ihres Arztes gehorchten“. Ähnlich: Loetz, Francisca: Vom Kranken zum Patienten. „Medikalisierung“ und medizinische Vergesellschaftung am Beispiel Badens 1750–1850, Stuttgart 1993 (MedGG Beiheft 2), S. 56. 12 Stolberg: Homo patiens, S. 9. „patiens“ als Adjektiv des Deponens „pati“ im Sinn von (er)-leiden, (er)dulden, ertragen, aushalten, hinnehmen. Pons. Globalwörterbuch Lateinisch-Deutsch, Stuttgart/Dresden 2. Auflage 1995.
1 Einleitung
23
später vorgestellten Ergebnisse nachvollziehen und überprüfen zu können, wird in dem Abschnitt über Methode und Vorgehen erläutert, wie die Datenbank entstand und welche Ergänzungen zusätzlich zu dem ursprünglichen Material vorgenommen wurden. Die Datengrundlage der Arbeit wird hier vorgestellt und definiert. Um die späteren Aussagen in den zeitgenössischen Kontext einordnen zu können, werden in Kapitel 3 die Rahmenbedingungen von Bönninghausens Praxis beschrieben. Neben einem kurzen biographischen Abriss zu dem Freiherrn, werden die Grundprinzipien der Homöopathie erläutert und die soziale, wirtschaftliche und besonders medizinische Lage der Stadt Münster und ihrer Umgebung dargestellt. Für die meisten Betroffenen war der Freiherr nicht die erste Anlaufstelle in ihrer „Patientenkarriere“. Die Frage, von wem sie sich zuvor behandeln ließen und welchen „Weg“ sie schon zurückgelegt hatten, wird im vierten Teil behandelt. Da den Betroffenen verschiedene Möglichkeiten offenstanden, Hilfe gegen ihre Beschwerden zu suchen, spielt nicht nur das damals anerkannte und zugelassene medizinische Heilpersonal eine Rolle. Vielmehr wird das ganze Spektrum der möglichen Heiler und Therapieangebote, soweit es aus den Krankengeschichten hervorgeht, beleuchtet. Auf diese Weise werden das Handeln und das Umfeld der Leidenden deutlich, die letztendlich bei Clemens Maria Franz von Bönninghausen vorstellig wurden, um sich kurieren zu lassen. In Kapitel 5 wird thematisiert, wer diese Kranken waren, und so die erste eingangs gestellte Hauptfrage beantwortet. Die zuvor genannten sozialstrukturellen Merkmale Geschlecht, Familienstand, Alter, Schichtzugehörigkeit und Wohnort geben den Rahmen vor. Ein besonderer Blick gilt Kindern und Familien als Patienten. Auch der Tod von zuvor Behandelten soll berücksichtigt werden. Im sechsten Teil geht es um die Beschwerden und Leiden, wie sie durch den Homöopathen in den Erstanamnesen festgehalten wurden. Es wird zunächst darauf eingegangen, wie sich die Kranken ihre Leiden erklärten. Im Mittelpunkt des Kapitels steht die zuvor genannte Frage nach dem Krankheitsempfinden und den Symptomen, die die Betroffenen plagten. An dieser Stelle werden ebenso Aspekte des geschlechts-, alters- und schichtspezifischen Krankheitsspektrums behandelt. Die dritte Forschungsfrage wird in Kapitel 7 beantwortet. Die Kranken bestimmten durch ihr Handeln und ihre Entscheidungen Umfang und Rahmen der medizinischen Tätigkeit, auch wenn diesen von Seiten des Freiherrn ebenfalls Grenzen auferlegt wurden. Die Anzahl der zu betreuenden Patienten am Tag und in den einzelnen Jahren sowie die Nachzeichnung des Behandlungsverlaufs sind Aspekte der Praxis. Ebenso geht es um das Verhalten der Patienten, den Kontakt von Therapeut und Kranken und die Frage der Bezahlung. Auch Publikationen Bönninghausens aus seiner Praxis werden thematisiert. Abschließend werden die im Lauf der Untersuchung gewonnenen Ergebnisse zusammengefasst und im Hinblick auf die Möglichkeiten, die Krankenjournale als Quellen bieten kritisch beleuchtet. Die Ergebnisse werden ausblickend in Zusammenhang mit dem heutigen Verhalten von Leidenden gestellt.
24
1 Einleitung
1.1 Forschungsstand Die vorliegende Arbeit ist thematisch im weiten Feld einer Sozialgeschichte der Medizin angesiedelt.13 Lange Zeit blickte man in der Forschung jedoch nur von dem Standpunkt der Ärzte auf die Patienten.14 Daher stellte Mitte der 1980er Jahre Roy Porter die Forderung, eine Medizingeschichte „von unten“ zu schreiben, die am Patienten orientiert sein beziehungsweise den Kranken in das Blickfeld nehmen sollte.15 Damit eröffnete sich der Bereich der Patientengeschichte als eigenständiges Forschungsgebiet.16 Seit dieser Forderung hat man entweder verstärkt Material so ausgewertet, dass die Sicht des Patienten deutlicher herausgearbeitet wurde oder sich Quellen zugewandt, die
13
Einführung bei Imhof, Arthur; Larsen, Øivind (Hrsg.): Sozialgeschichte und Medizin. Probleme der quantifizierenden Quellenbearbeitung in der Sozial- und Medizingeschichte, Oslo/Stuttgart 1976 (Medizin in Geschichte und Kultur 12), Labisch, Alfons: Zur Sozialgeschichte der Medizin. Methodologische Überlegungen und Forschungsbericht. In: Archiv für Sozialgeschichte 20 (1980), S. 431–469, Jütte, Robert: Sozialgeschichte der Medizin. Inhalte, Methoden, Ziele. In: MedGG 9 (1990), S. 149–164. Ein neuerer Überblick bei: Dinges, Martin: Social History of Medicine in Germany and France in the Late Twentieth Century. From History of Medicine toward a History of Health. In: Huisman, Frank; Warner, John (Hrsg.): Locating Medical History. The Stories and Their Meanings, Baltimore/London 2004, S. 209–236, Eckart, Wolfgang; Jütte, Robert: Medizingeschichte. Aspekte, Aufgaben, Arbeitsweisen. In: GWU (2008) Heft 2, S. 76–84. 14 Porter: Patients and Practitioners, S. 2. 15 Porter: Patient’s View. Porter kam seinem Aufruf durch zahlreiche Publikationen nach. Zu den Vorläufern Porters, die jedoch nicht so viel Gehör fanden: Ernst, Katharina: Patientengeschichte. Die kulturhistorische Wende in der Medizinhistoriographie. In: Bröer, Ralf (Hrsg.): Eine Wissenschaft emanzipiert sich. Medizinhistoriographie von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Pfaffenweiler 1999 (Neuere Medizin- und Wirtschaftsgeschichte 9), S. 97–108. 16 Zusammenfassend: Loetz, Francisca: Histoire des mentalités und Medizingeschichte. Wege zu einer Sozialgeschichte der Medizin. In: Med.hist. Journ. 27 (1992), S. 272–291, Ernst: Patientengeschichte, Wolff: Perspektiven, derselbe: Perspectives on Patients’ History. Methodological Considerations on the Example of Recent German-Speaking Literature. In: Can. Bull. Med. Hist. 15 (1998), S. 207–228.
1.1 Forschungsstand
25
den Kranken selbst zu Wort kommen lassen.17 Mittlerweile ist die Patientengeschichte ein etablierter Bereich der Medizingeschichte.18 Quellen, die von den Kranken selbst stammen, sind nicht im Übermaß vorhanden, was eine Untersuchung erschwert.19 Aber immer wieder haben sich Forscher die Mühe gemacht, handschriftliche Journale, Praxistagebücher oder ähnliche Quellen entsprechend auszuwerten.20 Nicht bei jeder Arbeit steht jedoch der Patient selbst im Mittelpunkt, wie es in der Patientengeschichte gefordert wird.21 Oft dienen die kranken Menschen beziehungsweise 17
18
19
20
21
Hierzu Stolberg, Michael: Patientenschaft und Krankheitsspektrum in ländlichen Arztpraxen des 19. Jahrhunderts. In: Med.hist. Journ. 28 (1993), S. 25. Eine der ersten deutschen Arbeiten, die versuchte, die Sicht der Patienten herauszuarbeiten, war: Duden, Barbara: Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987. Es wurde aber in Frage gestellt, inwieweit Duden durch die Arztbeschreibungen, die ihr als Quelle dienten, tatsächlich die individuelle Körpererfahrung der Patientinnen darstellen konnte. Loetz: Vom Kranken, S. 38, Stolberg: Homo patiens, S. 10–11. Weitere Arbeiten, die sich auf Selbstzeugnisse der Patienten stützen: Lachmund, Jens; Stollberg, Gunnar: Patientenwelten. Krankheit und Medizin vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert im Spiegel von Autobiographien, Opladen 1995, Stolberg: Homo patiens, Schweig, Nicole: Gesundheitsverhalten von Männern. Gesundheit und Krankheit in Briefen 1800–1950, Stuttgart 2009 (MedGG Beiheft 33) sowie Hoffmann, Susanne: Gesunder Alltag im 20. Jahrhundert? Geschlechterspezifische Diskurse und gesundheitsrelevante Verhaltensstile in deutschsprachigen Ländern, Stuttgart 2010 (MedGG Beiheft 36). Früher international zum Beispiel: Porter, Roy; Porter, Dorothy: In Sickness and in Health. The British Experience 1650–1850, London 1988 und dieselben: Patient’s Progress. Doctors and Doctoring in 18th Century England, Cambridge 1989. Eckart; Jütte: Einführung. Zu Patientengeschichte, S. 181–190 mit weiterer Literatur. Auf weitere mögliche Quellen für diesen Forschungsbereich verweisen: Wormer: Physikatsberichte, Lindemann, Mary: Wie ist es eigentlich gewesen? Krankheit und Gesundheit um 1800. In: Wahrig, Bettina; Sohn, Werner (Hrsg.): Zwischen Aufklärung, Policey und Verwaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750–1850, Wiesbaden 2003 (Wolfenbütteler Forschungen 102), S. 191–207. Wegweisend waren die genannten Werke von Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, Stolberg: Homo patiens und Lachmund; Stolberg: Patientenwelten. Allerdings weisen autobiographische Zeugnisse auch eine soziale Verzerrung auf, da sie überwiegend von Angehörigen der Mittel- und Oberschicht verfasst wurden. Hierzu die kritischen Bemerkungen bei Stolberg: Homo patiens, S. 26, Digby, Anne: The Patient’s View. In: Loudon, Irvine (Hrsg.): Western Medicine, Oxford 1997, S. 291. Zu Patientenbriefen als Quelle: Stolberg, Michael: Krankheitserfahrung und Arzt-Patienten-Beziehung in Samuel Hahnemanns Patientenkorrespondenz. In: MedGG 18 (1999), S. 169–188. Einen Überblick zu den nutzbaren Quellen mit Nennung der Literatur bietet: Dinges, Martin: Arztpraxen 1500–1900. Zum Stand der Forschung. In: Dietrich-Daum; Dinges; Jütte; Roilo: Arztpraxen, S. 23–62. Auf den Quellenwert von Patientenakten verweisen: Radkau, Joachim: Zum historischen Quellenwert von Patientenakten. Erfahrungen zur Geschichte der Nervosität. In: Meyer, Dietrich; Hey, Bernd (Hrsg.): Akten betreuter Personen als archivische Aufgabe. Beratungs- und Patientenakten im Spannungsfeld von Persönlichkeitsschutz und historischer Forschung, Neustadt an der Aisch 1997 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 25), S. 73–101 und Warner, John: The Use of Patient Records by Historians. Patterns, Possibilities and Perplexities. In: Health and History 1 (1999), S. 101–111. Wolff: Perspektiven, S. 315–318.
26
1 Einleitung
die Aufzeichnungen in den Journalen vielmehr als Rohmaterial, um andere Fragestellungen zu beleuchten, so bei der Biographie über den Arzt Kortum22 oder bei der Analyse des Patientenjournals des Dr. Heinrich Grotjahn23. Selten wird darüber hinausgehend nach dem sozialen Umfeld des Arztes oder seiner Praxis gefragt.24 Im deutschen Sprachraum hat nur Andrea Thümmler versucht, durch ein Praxistagebuch von unbekannter Hand den Alltag eines thüringischen akademischen Arztes nachzuzeichnen, wobei sie sowohl die behandelten Patienten und die angewandten Behandlungsmethoden als auch das institutionelle Umfeld berücksichtigt.25 In der internationalen Forschung, gerade im angloamerikanischen Raum, hat man sich bereits von der Fixierung auf den Arzt als Person gelöst. Dort standen schon andere Fragestellungen, wie nach dem Umfeld der ärztlichen Praxis, den dort verwendeten Methoden und dem sozialstrukturellen Kontext des ärztlichen Handels im Vordergrund. Zu nennen ist besonders die Arbeit von Jacalyn Duffin, die sie nicht als die Biographie einer Person, sondern als die „Biographie einer Praxis“ verstanden wissen will.26 Sie untersucht mit Hilfe eines Praxistagebuchs die Fragen nach der behandelten Klientel, der Art und Weise, wie der Landarzt Langstaff seine tagtägliche Praxis ausübte, wie er behandelte und wie er die großen Umwälzungen im medizinischen Bereich im 19. Jahrhundert adaptierte. In einer ähnlichen Untersuchung von Anne van Baal stehen hingegen die Patienten im Mittelpunkt des Forschungsinteresses.27 Anhand von Fallbüchern des homöopathischen Arztes Gustave A. van den Berghe (1837–1902) beschreibt sie die Betroffenen sowohl als Gesamtheit 22 Balster, Wolfgang: Medizinische Wissenschaft und ärztliche Praxis im Leben des Bochumer Arztes Karl Arnold Kortum (1745–1824). Medizinhistorische Analyse seines Patiententagebuches, Bochum 1990 (Med. Diss.). Hier steht der Arzt im Mittelpunkt, seine Praxis und deren Umfeld dienen nur dessen näherer Beschreibung. 23 Engel, Regina: Das Patientengut eines praktischen Arztes um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Gezeigt am Beispiel des Patientenjournals von Dr. Heinrich Grotjahn in Schladen am Harz, Berlin 1978 (Med. Diss.). Unverkennbar geht es um die Diskussion um die Rolle des Allgemeinarztes in der DDR. 24 Ein Gegenbeispiel: Dumont, Franz: Nicht nur Hölderlin. Das ärztliche Besuchsbuch Soemmerrings als Quelle für sein soziales Umfeld in Frankfurt am Main. In: Med.hist. Journ. 28 (1993), S. 123–153. 25 Thümmler, Andrea: Rekonstruktion des Alltags eines thüringischen Arztes im 18. Jahrhundert anhand seines Praxistagebuches 1750–1763, Berlin 2004 (Med. Diss.). Für die Praxis eines Wundarztes im 16. Jahrhundert: Jütte, Robert: A Seventeenth-Century German Barber-Surgeon and his Patients. In: Med. Hist. 33 (1989), S. 184–198. Aktuell zu Forschungen im Bereich der ärztlichen Praxis: http://www.medizingeschichte.uni-wuerzburg.de/aerztliche_praxis/index.html, Zugriff vom 26. April 2010. 26 Duffin: Langstaff, S. 6. Die Patienten stehen mit dieser Absicht ebenfalls nicht im Mittelpunkt des Interesses. Überhaupt wurde in der kanadischen Forschung bereits Ende der 1980er Jahre auf Arztjournale als wertvolle Quellen für den Alltag eines praktischen Arztes hingewiesen: Roland, Charles; Rubashewsky, Bohodar: The Economic Status of the Practice of Dr. Harmaunus Smith in Wentworth County Ontario 1826–1827. In: Can. Bull. Med. Hist. 5 (1988), S. 29–49. 27 Baal: In Search.
1.1 Forschungsstand
27
als auch als Individualpersonen, indem sie die statistische Auswertung der Journale mit Fallbeispielen verbindet. Auf diese Weise entstand eine Geschichte über und zugleich von Patienten, in der die kranken Menschen, ihre individuellen Erfahrungen und ihr soziales Umfeld betrachtet werden. Ein vergleichbarer Versuch, Krankenjournale mit Fokus auf die Patienten zu untersuchen oder die „Biographie einer Praxis“ durch eine soziologische28 Erfassung ihrer Klientel zu charakterisieren, ist bisher im deutschen Sprachraum nicht unternommen worden. Die Arbeit von van Baal deutet zugleich darauf hin, dass im Bereich der Homöopathiegeschichte der Blick auf die Praxis und den Patienten aufgrund der besonderen Quellenüberlieferung von vielen Briefen und Praxisjournalen in einer „längeren“ Tradition steht.29 Allerdings wurden seither, sofern sich Forscher überhaupt mit diesem Thema beschäftigten30, verstärkt Arbeiten zu deren Begründer Samuel Hahnemann und seiner Praxis verfasst. Sein „treuester“ Schüler, wie auch andere bedeutende homöopathische Ärzte oder Praktiker, wurden nur selten berücksichtigt.31 Über deren Praxen und Patienten ist kaum etwas bekannt. Eine der Ausnahmen, jedoch ebenfalls eng mit 28 „Soziologisch“ versteht sich hier im Sinn einer „Speziellen Soziologie”, die über Forschungsergebnisse in einem Feld der sozialen Wirklichkeit informiert. Gukenbiehl, Hermann: Soziologie als Wissenschaft. Warum Begriffe lernen? In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. erweiterte und aktualisierte Auflage 2000, S. 14. In diesem Fall handelt es sich um den Bereich der Patienten Clemens von Bönninghausens, deren Handeln und Erfahrungen. 29 Zur Rolle von Patienten in der Homöopathiegeschichte: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5). Dies hängt mit der Rolle zusammen, die die Patienten für die Ausbreitung der Homöopathie spielten. Hierzu derselbe: Einleitung. Für eine neue Geschichte der Homöopathie. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen, Von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996, S. 13. 30 Gijswijt-Hofstra, Marijke: Homeopathy’s Early Dutch Conquests. The Rotterdam Clientele of Clemens von Bönninghausen in the 1840s and 1850s. In: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 51 (1996), S. 157. Hierzu die Werbung für eine Beschäftigung mit der Homöopathiegeschichte: Dinges, Martin; Schüppel, Reinhart: Vom Nutzen der Homöopathiegeschichte insbesondere für den „ärztlichen Stand“. In: AHZ 241 (1996), S. 11–26. 31 Aktuell: Jütte, Robert: Samuel Hahnemann. Begründer der Homöopathie, München 3. Auflage 2007. Vom Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart (IGM) werden jedoch einige Dissertationen betreut, die sich dem Leben und Werk verschiedener deutscher Homöopathen widmen. Jüngeren Datums ist auch Faltin, Thomas: Heil und Heilung. Geschichte der Laienheilkundigen und Struktur antimodernistischer Weltanschauung in Kaiserreich und Weimarer Republik am Beispiel Eugen Wenz (1856–1945), Stuttgart 2000 (MedGG Beiheft 15). Der Band Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen. Von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996 enthält außerdem mehrere Artikel zu Heilkundigen. International: Baal: In Search oder Faure, Olivier: La Clientèle d’un homéopathe Parisien au XXe siècle. Recherche sur les patients de L. Vannier 1928–1948. In: Faure, Olivier (Hrsg.): Praticiens, patients et militants de l’homéopathie (1800–1940), Lyon 1992, S. 175–196.
28
1 Einleitung
der Person Hahnemanns verknüpft, ist die Edition und Untersuchung des Briefwechsels zwischen ihm und seinem Schüler Clemens von Bönninghausen, der Einblicke in die Freundschaft der beiden Männer gibt.32 Aus der Praxiszeit von Samuel Hahnemann sind 55 Journale und mehr als 5.000 Patientenbriefe an ihn erhalten.33 Für zahlreiche dieser Dokumente sind bereits Editionen erschienen oder noch in der Entstehungsphase begriffen.34 Daher wurden in gewissem Umfang bereits Studien zu der Therapie und der Praxis Hahnemanns durchgeführt.35 Auch seine Patienten wurden unter verschiedenen Gesichtspunkten fokussiert, wobei Handeln und Erfahrungen der kranken Menschen sowie diese selbst in unterschiedlich starkem Maß thematisiert wurden.36 Solches ist für die Krankenjournale von Clemens Maria Franz 32 Stahl, Martin: Der Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen, Heidelberg 1997 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 3) sowie derselbe: Von Kunstjüngern und Afterwissenschaftlern. Zum Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen. In: Heinze, Sigrid (Hrsg.): Homöopathie 1796–1996. Eine Heilkunde und ihre Geschichte. Katalog zur Ausstellung Deutsches Hygiene-Museum, 17. Mai bis 20. Oktober 1996, Berlin 1996, S. 47–55. 33 Eine solche Überlieferungsdichte für eine einzelne Praxis ist historisch fast einzigartig. Dinges: Patients, S. 4, Dinges: Arztpraxen, S. 44, Jütte, Robert: Samuel Hahnemanns Patientenschaft. In: Dinges: Homöopathie, S. 23. 34 Seither sind elf Bände veröffentlicht und vier in Vorbereitung. Siehe http://www.igmbosch.de/content/language1/html/10404.asp, Zugriff vom 19. April 2010 unter dem Stichwort Krankenjournaledition. 35 Zur Praxis allgemein: Handley, Rima: Auf den Spuren des späten Hahnemanns. Hahnemanns Pariser Praxis im Spiegel der Krankenjournale, Stuttgart 2001, Schreiber, Kathrin: Samuel Hahnemann in Leipzig. Die Entwicklung der Homöopathie zwischen 1811 und 1821. Förderer, Gegner und Patienten, Stuttgart 2002 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 8). Bei der Geschichte der „Volkmannin“ steht weniger die Patientin als vielmehr die Entwicklung von Hahnemanns Therapiekonzept im Vordergrund: Hickmann, Reinhard: Das psorische Leiden der Antonie Volkmann. Edition und Kommentar einer Krankengeschichte aus Hahnemanns Krankenjournalen von 1819–1831, Würzburg 1993 (Med. Diss.) und derselbe: Die Volkmannin (1796–1863). Neun Jahre in Behandlung beim Begründer der Homöopathie. In: Dinges: Homöopathie, S. 45–67. Berühmte Patienten: Jütte, Robert: Paganinis Besuch bei Hahnemann. In: AHZ 237 (1992), S. 191– 200, Nachtmann, Walter: „…Ach! wie viel verliere ich auch an Ihm!!!“. Die Behandlung des Fürsten Karl von Schwarzenberg durch Samuel Hahnemann und die Folgen. In: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 6 (1987), S. 93–110. Fragen der Therapie: Adler, Ubiratan: Identifizierung von 681 Q-Potenz-Verordnungen und ihr Nachweis in den Krankenjournalen. In: MedGG 13 (1995), S. 135–166, Brehme, Sabine: Krankheit und Geschlecht. Syphilis und Menstruation in den frühen Krankenjournalen (1801–1809) Samuel Hahnemanns, Marburg 2006, Kunkle, Luise: Samuel Hahnemanns “mysteriöse“ Q-Potenzen. In: MedGG 20 (2002), S. 213–220, Michalowski, Arnold; Sander, Sabine; Sauerbeck, Karl-Otto: Therapiegeschichtliche Materialien zu Samuel Hahnemanns Pariser Praxis. In: MedGG 8 (1989), S. 171–196, Sauerbeck, Karl-Otto: Wie gelangte Hahnemann zu den Hochpotenzen? Ein Kapitel aus der Geschichte der Homöopathie. In: AHZ 235 (1990), S. 223–232, Seiler, Hanspeter: Die Entwicklung von Samuel Hahnemanns ärztlicher Praxis anhand ausgewählter Krankengeschichten, Heidelberg 1988. 36 Vogl, Michael: „Nahe und entfernte Landpraxis“. Untersuchungen zu Samuel Hahnemanns Eilenburger Patientenschaft 1801–1803. In: MedGG 9 (1990), S. 165–180, Jütte:
1.1 Forschungsstand
29
von Bönninghausen noch nicht geschehen.37 Nur die Falldokumentation seiner ersten Patientin Annette von Droste-Hülshoff und die niederländische Patientenschaft des Homöopathen waren schon Untersuchungsschwerpunkte.38 Ferner wurde das Buch, das der Freiherr über seine Tierheilungen führte, im Rahmen einer Promotion bearbeitet.39 Immerhin sind Bönninghausens gedruckte Werke durch ein kleines Generalregister erschlossen und seine bedeutenden Arbeiten liegen in kommen-
Patientenschaft, Jütte, Robert: Die Arzt-Patient-Beziehung im Spiegel der Krankenjournale Samuel Hahnemanns. In: Dietrich-Daum; Dinges; Jütte; Roilo: Arztpraxen, S. 109– 145, Papsch, Monika: Sozialstatistische Auswertung von Samuel Hahnemanns (1755– 1843) homöopathischer Praxis von Dezember 1833 bis Mai 1835 anhand seines Krankentagebuches „D38“. In: Dietrich-Daum; Dinges; Jütte; Roilo: Arztpraxen, S. 129–145. Ferner gibt es Studien zu Patientengeflechten sowie der Analyse von Körperwahrnehmungen in Briefen an Hahnemann: Brockmeyer, Bettina: Schreibweisen des Selbst. Zur Geschichte der Wahrnehmungen und Darstellungen von Körper und Gemüt um 1830, Kassel 2007 (Phil. Diss.), Gehrke, Christian: Die Patientenbriefe der Mathilde von Berenhorst (1808–1874). Edition und Kommentar einer Krankengeschichte von 1832–1833, Göttingen 2000 (Med. Diss.), Genneper, Thomas: Als Patient bei Samuel Hahnemann. Die Behandlung Friedrich Wiecks in den Jahren 1815/1816, Heidelberg 1991 (Med. Diss.), Meyer, Jörg: „… als wollte mein alter Zufall mich jetzt wieder unter kriegen.“. Die Patientenbriefe an Samuel Hahnemann im Homöopathie-Archiv des Instituts für Geschichte der Medizin in Stuttgart. In: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 3 (1986), S. 63–79. Außerdem enthalten die Kommentarbände zu den Transkriptionen der Krankenjournale in verschiedenem Ausmaß Informationen zu den behandelten Patienten und deren Verhalten. Doch sind diese nicht das Hauptinteresse der Arbeiten. Die bibliographischen Angaben folgen an den entsprechenden Stellen. 37 Nach Informationen des IGM ist die Edition des ersten Patientenbuches von Bönninghausen von 1829/30 geplant. Die Bearbeiterin Luise Kunkle führt auch eine Homepage, auf der sie einzelne Krankengeschichten aus den späteren Journalen präsentiert: http:// www.bar-do.net, Zugriff vom 10. Oktober 2008. Das Projekt stellte sie vor: Projekt von Bönninghausen. Zur Beweisführung der Wirksamkeit der Homöopathie. In: Homöopathie Zeitschrift 2006 Heft 2, S. 9–11. Auf den Bestand und die dringende Notwendigkeit diesen eingehend zu untersuchen verwies: Jütte, Robert: „10 bis 20 Kranke füllen täglich das Vorzimmer…“. Quellenkundliche Skizzen zu Samuel Hahnemanns Patientenschaft. In: Hahnemann-Lutze-Verein e.V. Köthen/Anhalt (Hrsg.): Homöopathie in Köthen. 2. Köthener Homöopathietage Ratke-Institut Köthen 4.7. bis 6.7.1997, Köthen 1997, S. 20. 38 Dinges, Martin; Holzapfel, Klaus: Von Fall zu Fall. Falldokumentation und Fallredaktion Clemens von Bönninghausen und Annette von Droste-Hülshoff. In: ZKH 48 (2004), S. 149–167, Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests. Zur Therapie mit Verwendung einzelner Krankengeschichten: Klunker, Will: Zu Bönninghausens Methodik der Mittelwahl. In: ZKH 39 (1995), S. 91–104, Frei, Heiner: Die Rangordnung der Symptome von Hahnemann, Bönninghausen, Hering und Kent evaluiert anhand von 175 Kasuistiken. In: ZKH 43 (1999), S. 143–155, Kunkle, Luise: Von Bönninghausens Verschreibungspraxis. In: ZKH 52 (2008), S. 172–178. 39 Backert-Isert, Jutta: Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864) und seine tierhomöopathische Praxis in ihrem therapiegeschichtlichen Kontext. Die Arbeit ist online publiziert unter: http://www.igm-bosch.de/download/documents/backert_isert.pdf und http://elib.tiho-hannover.de/dissertations/backert-isertj_ws06.pdf, Zugriff vom 13. Juni 2008. Es handelt sich um IGM P 157 Thierheilungen. 1849–1878.
30
1 Einleitung
tierten Neuauflagen vor.40 Die verstreuten Aufsätze des Freiherrn hat KlausHenning Gypser inzwischen zusammengetragen und publiziert.41 Darauf aufbauend wurde bereits der eine oder andere Aspekt von Bönninghausens Leistung für die Homöopathie, die Grundlage seiner Arbeiten und Fragen nach seiner Therapie und Arzneimittelfindung durch Homöopathen diskutiert.42 Verhältnismäßig spät erschien eine Biographie über das vielseitige Leben des Freiherrn.43 Schon lange vor und nach der Veröffentlichung dieser einzigen fundierten Arbeit gab es in diversen Lexika und Zeitschriften kurze biographische Artikel zu dem wichtigen Hahnemann-Schüler, die entweder auf dem im Institut der Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung aufbewahrten handschriftlichen Lebenslauf beruhen44 oder aus diversen anderen Quellen zusammengestellt wurden45. Ausgehend von der Rolle Bönninghau40 Gypser, Klaus-Henning: Generalregister zu den Werken Bönninghausens, Heppenheim 1992 und Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Therapeutisches Taschenbuch. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Stuttgart 2000 sowie derselbe: Bönninghausens Repertorium der homöopathischen Arzneimittel und Genius-Hinweise. Hrsg. von Raimund Kastner, Heidelberg 1998. Zum Therapeutischen Taschenbuch ferner der Online-Auftritt: http://www.boenninghausen.de/BonninghausenD/bonninghausend.html, Zugriff vom 11. Juni 2008. Auch Reis, Stefan; Terlinden, Michael (Hrsg.): Drei Werke v. Bönninghausens für den homöopathischen Praktiker, Oberhausen 1994. 41 Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984. Hierzu Künzli vom Fimmelsberg, Jost: Bönninghausens Zeitschriftenveröffentlichungen. In: ZKH 33 (1989), S. 121–123 und Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Supplementband. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser und Martin Stahl, Heidelberg 1994. Darauf aufbauend: Genneper, Thomas: Die Behandlung einer epidemischen Krankheit durch C. v. Bönninghausen. In: ZKH 34 (1990), S. 37–42 oder Jansen, Andreas: Bönninghausens therapeutische Hinweise. In: ZKH 39 (1995), S. 179–185. 42 Zum Beispiel die Beiträge von Klaus Holzapfel, George Dimitriadis und Hella Heinrich in der ZKH in den Jahren 2000 und 2001 sowie von Andreas Wegener, der sich bereits 1994/96 mit der Quellenlage des Taschenbuches beschäftigt hatte, die ausführlichen Angaben im Literaturverzeichnis. Es gibt zu Bönninghausens Methodik und dem Gebrauch des Therapeutischen Taschenbuchs eine unüberschaubare Vielzahl an Aufsätzen in einschlägigen Zeitschriften, am neusten Steiner, Urs: Die homöopathische Datenermittlung nach Bönninghausen. In: ZKH 51 (2007), S. 73–78, eine Übersicht bietet: Gosmann, Hans-Ulrich: Kommentiertes Literaturverzeichnis zur Bönninghausen-Methodik. In: AHZ 248 (2003), S. 257–260. International: Dimitriadis, George: Homoeopathic Diagnosis. Hahnemann through Bönninghausen an Introductional Manual with over Fifty Cases Illustrating the Application of the Bönninghausen Repertory Therapeutic Pocketbook Method, Sydney 2004. Zur Würdigung seines Repertoriums: Plate, Ulrich: Clemens von Bönninghausens „Systematisch-alphabetisches Repertorium“, 2 Teile. In: Neues Archiv für Homöopathik 2 (2007), S. 29–40 und S. 73–84. 43 Kottwitz, Friedrich: Bönninghausens Leben. Hahnemanns Lieblingsschüler, Berg 1985. 44 Der handschriftliche Lebenslauf in IGM mit der Signatur P 201/1. 45 Beginnend mit den zeitgenössischen Nachrufen wie Meyer: Manen, Stens, [Wilhelm]: Nachruf an C. v. Bönninghausen. In: AHZ 68 (1864), S. 64, anonym: Nekrolog. In: Westfälischer Merkur 30. Januar 1864, C. v. Bönninghausen. In: AHZ 68 (1864), S. 56, Trauerbotschaft. C. von Bönninghausen. In: Populäre Homöopathische Zeitung 10 (1864), S. 47, Nachruf in Verbindung mit einer Buchbesprechung: [Hirschel, Bernhard]: Literatur-
1.1 Forschungsstand
31
sens für die Entwicklung der Homöopathie in Westfalen wurden hierzu Aufsätze veröffentlicht.46 Insgesamt aber sind der studierte Jurist, preußische Beamte sowie bedeutende Homöopath und vor allem seine Patienten in der Forschung kaum berücksichtigt worden. Clemens von Bönninghausen wohnte anfangs auf seinem Gut in Darup, wo er zu Beginn seiner homöopathischen Tätigkeit auch Patienten behandelte. Später bezog er jedoch ein Haus in der Stadt Münster, womit sich der Ort seibesprechung. C. v. Boenninghausen. Die Aphorismen des Hippokrates nebst den Glossen eines Homöopathen. In: Neue Zeitschrift für homöopathische Klinik 9 (1864), S. 69–70 und S. 84–86. Ferner Artikel in Lexika wie Raßmann, Ernst: Bönninghausen, Clemens Maria Franz von. In: Raßmann, Ernst: Nachrichten von dem Leben und den Schriften Münsterländischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, Münster 1866, S. 29–32, Pagel, Julius: Bönninghausen, Clemens Franz Maria von. In: Hirsch, August (Hrsg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Band 1, München/Berlin 3. Auflage 1962, S. 595, Friedländer, E.: Bönninghausen, Clemens Maria Franz v. B. In: ADB, Band 3, Leipzig 1876, S. 131–132, Killy, Walther (Hrsg.): Bönninghausen, Klemens Maria Franz Frh. von. In: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Band 1, München/New Providence/London/Paris 1995, S. 631, Schroers, Fritz: Bönninghausen, Clemens Maria Franz von. In: Schroers, Fritz: Lexikon deutschsprachiger Homöopathen, Stuttgart 2006, S. 16. Und diverse kurze Lebensläufe, die zum Teil verschiedene Unklarheiten und Fehler enthalten: Bradford, Thomas: The Pioneers of Homoeopathy, Philadelphia 1897, S. 166–191, Nebel, A.: Dr. C. von Bönninghausen. In: Leipziger Populäre Zeitschrift für Homöopathie 40 (1909), S. 109–110, Bönninghausen, Clemens: Die Stammväter von Bönninghausen. Ihr Leben, ihre Taten und ihre Zeit. Biographien von der älteren Genealogie und von der Stammlinie I, Coesfeld 1958, S. 89–98, Gypser, Klaus-Henning: Clemens Maria Franz von Bönninghausen. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 13–28, Germann, Peter: Freiherr Clemens von Bönninghausen. Der treueste Schüler Hahnemanns. In: HP-Journal Fachzeitschrift für Naturheilkunde 23 (1993), S. 10–15, Hofmann, Robert: Clemens Maria Franz v. Bönninghausen (1785–1864). Homöopath und Universalgelehrter. In: Patientenforum. Zeitschrift für Homöopathie 2006 Heft 4, S. 6–7. Mit Schwerpunkt auf die Tätigkeit Bönninghausens als Landrat: Schmitz, Willy: Dr. Clemens von Bönninghausen (1816–1822). In: Schmitz, Willy: Die preußischen Landräte des Kreises Coesfeld 1816– 1945, Coesfeld 1974 (Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Kreises Coesfeld 15), S. 26–39, Conrad, Horst: Ein unbekannter Briefwechsel des ersten Coesfelder Landrates Clemens von Bönninghausen (1785–1864). In: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld 3 (1978) Heft 2, S. 5–28, Schulze Pellengahr, Christian: Das adelige Haus Darup zu Darup. Ein Überblick über seine heutige Anlage sowie seine jüngere Geschichte. In: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld 25 (2000), S. 183–273. Anonym: Meldung. In: Westfälische Nachrichten 1. November 1956, Werland, Walter: v. Bönninghausens „Stammsitz“ lag am ehemaligen Servatiitor. In: Westfälische Nachrichten vom 6./7. Februar 1982 sowie anonym: Lebensbeschreibung. In: Volksheilkunde 32 (1980) Heft 9, S. 500–502 . Weitere Detailfragen: Gypser, Klaus-Henning: Wie lautet v. Bönninghausens Vorname richtig? In: ZKH 26 (1982), S. 198, Holling, Andreas: Ein Denkmal für Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864). In: ZKH 49 (2005), S. 177–179. 46 Schnütgen, Robert: Die Anfänge der Homöopathie in Westfalen. In: Deutsche Homöopathische Monatsschrift 6 (1955), S. 336–337, Sanders, Bernhard: Beitrag zur Geschichte der Homöopathie im Land Westfalen. In: AHZ 209 (1964), S. 334–341, Stahl, Martin: Zur Geschichte der „Vereinigung homöopathischer Aerzte Rheinlands und Westphalens“. In: MedGG 14 (1995), S. 195–218.
32
1 Einleitung
ner Praxis ebenfalls dorthin verlagerte. Für die Stadt Münster bietet sich eine paradoxe Forschungslage. Einerseits gibt es zahlreiche Studien zur deren Geschichte, zu der wirtschaftlichen Entwicklung und Einwohnerstruktur. Andererseits beschäftigen sich diese Arbeiten nahezu alle entweder mit der Zeit vor 1815 oder nach 1870.47 Auch in den meisten Überblickswerken wird die Geschichte Münsters in der Zeit zwischen diesen Zäsuren oft in wenigen Seiten abgehandelt.48 Problematisch ist zudem, dass viele der älteren Studien zur Bevölkerungsgeschichte aus der Zeit vor 1945 auf einer falschen Datengrundlage beruhen und insofern heute kein brauchbares Material darstellen.49 Grundlegend für jede historische Forschung über die westfälische Metropole ist die dreibändige Geschichte Münsters, die sowohl chronologisch voranschreitende Aufsätze enthält als auch wichtige Entwicklungen thematisch abhandelt.50 Die dort enthaltenen Abschnitte über Münster zwischen 1815 und 1870 sind die einzige ausführlichere Darstellung der Geschichte der Stadt für diese Zeit.51 Wichtig ist besonders das Kapitel zur Bevölkerungsentwicklung, das auch einzelne Informationen zu der medizinischen Versorgung und Todes47 So gibt es Monographien zu der Zeit vom 30-jährigen Krieg bis zu der Eingliederung des ehemaligen Fürstbistums in das preußische Königreich: Lahrkamp, Helmut: Unter dem Krummstab. Münster und das Münsterland nach dem Westfälischen Frieden bis zum Sturz Napoleons, Münster 1999, Lahrkamp, Monika: Münster in napoleonischer Zeit 1800–1815. Administration, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeichen von Säkularisation und französischer Herrschaft, Münster 1976 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 7/8), Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Münster wird preußisch, Münster 1992. Für die Bevölkerungsstruktur wichtig: Lahrkamp, Helmut (Hrsg.): Bevölkerung und Topographie Münsters um 1770, Münster 1980 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 10), Siekmann, Mechthild: Die Stadt Münster um 1770. Eine räumlich-statistische Darstellung der Bevölkerung, Sozialgruppen und Gebäude, Münster 1989 (Siedlung und Landschaft in Westfalen 18). 48 So Plaßmann, Joseph: Geschichte der Stadt Münster in Westfalen. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Münster 1925, Albsmeier, Werner: Münster. Westfalens Hauptstadt. Eine kleine Heimatkunde, Münster 1954, Kirchhoff, Karl-Heinz: Die Stadt Münster. Geschichte und heutige Struktur, Münster 5. Auflage 1979, Haunfelder, Bernd: Münster. Geschichte in Bildern, Münster 2. Auflage 1994, Stadtmuseum Münster (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Münster 2005, Römling, Michael: Münster. Geschichte einer Stadt, Soest 2006. 49 So die Vorbemerkungen bei Teuteberg, Hans-Jürgen: Materialien zur Bevölkerungsgeschichte Münsters 1816–1945, Münster 1993 (Beiträge zur Statistik Münsters 59), S. 10. Diese Arbeiten liegen nur noch in Mikrofiche von sehr schlechter Qualität vor: Lechtape, Wilhelm: Die Bevölkerung der Stadt Münster in den hundert Jahren vor dem Weltkriege. Eine statistische Studie, Münster o. J. [1915], Röttger, Lotte: Erhebungen über die Geburten und Sterbefälle in der Stadt Münster in Westfalen während des 19. Jahrhunderts, Aachen 1940 (Med. Diss.). 50 Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, 3 Bände, Münster 1993. Das 19. Jahrhundert wird im zweiten Band behandelt. 51 Walter, Bernd: Von der fürstbischöflichen Haupt- und Residenzstadt zur preußischen Provinzialhauptstadt (1815–1835). In: Jakobi: Geschichte Münster 2, S. 47–78, Behr, Hans-Joachim: Zwischen Vormärz und Reichsgründung. In: Jakobi: Geschichte Münster 2, S. 79–129. Letzterer bemerkt S. 128: „Eine Gesamtdarstellung über die Zeit von 1835– 1871 in Münster gibt es bisher nicht.“ Einzig eine kleine Materialmappe umfasst die
1.1 Forschungsstand
33
ursachenstruktur bietet.52 Diesem Aufsatz ist außerdem die ausgesprochen wichtige Zusammenstellung der Bevölkerungsentwicklung Münsters seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zu verdanken.53 Hilfreich im Hinblick auf die Bevölkerungsstruktur des Umlandes wie der Provinz Westfalen sind weitere Aufsätze, die jedoch ebenfalls ihren Datenschwerpunkt in der Zeit ab 1870 haben.54 Für die allgemeine Geschichte der Provinz Westfalen ist das mehrbändige Überblickswerk von Wilhelm Kohl von Bedeutung.55 Im Bereich der Sozialgeschichte fand in Münster besonders das Armenund Fürsorgewesen Beachtung.56 Ferner existieren umfangreiche Monographien, die sich mit einzelnen sozialen Gruppierungen und deren Wandel im Lauf des 19. Jahrhunderts befassen.57 In den Bereich der Sozialgeschichte ge-
52
53 54
55
56
57
ganze Zeit: Haunfelder, Bernd: Die Preußen in Münster 1815–1870, Münster 1998 (Geschichte original am Beispiel der Stadt Münster 22). Teuteberg, Hans-Jürgen: Bevölkerungsentwicklung und Eingemeindungen (1816–1945). In: Jakobi: Geschichte Münster 2, S. 331–386. Allerdings beziehen sich auch diese Daten schwerpunktmäßig auf die Zeit nach 1870. Teuteberg: Materialien. Die hierin S. 9 angekündigten Veröffentlichungen zur Entwicklung von Münsters Bevölkerung und Wirtschaft folgten aber nie. Krabbe, Wolfgang: Wirtschafts- und Sozialstruktur einer Verwaltungsstadt des 19. Jahrhunderts. Das Beispiel der Provinzialhauptstadt Münster. In: Düwell, Kurt; Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Band 1. Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung, Wuppertal 1983, S. 197–206. Köllmann, Wolfgang: Die Bevölkerung des Regierungsbezirks Münster im 19. Jahrhundert. In: Westfälische Forschungen 40 (1990), S. 195–222. Allgemein zur Bevölkerungs- und Gebietsentwicklung: Reekers, Stephanie: Westfalens Bevölkerung 1818–1955. Die Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden und Kreise im Zahlenbild, Münster 1956 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde Reihe I Heft 9) und dieselbe: Die Gebietsentwicklung der Kreise und Gemeinden Westfalens 1817–1967, Münster 1977 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe Reihe I Heft 18). Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, 3 Bände, Düsseldorf 1983/84 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 43), genaue Angaben im Literaturverzeichnis. Nähere Informationen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte: Düwell, Kurt; Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Band 1. Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung, Wuppertal 1983, Briesen, Detlef; Brunn, Gerhard; Elkar, Rainer; Reulecke, Jürgen: Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, Köln 1995 (Schriften zur politischen Landeskunde Nordrhein-Westfalens 9). Zum Beispiel: Gründer, Horst: Arme, Armut und Armenwesen in der Stadt Münster im 19. Jahrhundert. In: WZ 139 (1989), S. 161–178, Küster, Thomas: Alte Armut und neues Bürgertum. Öffentliche und private Fürsorge in Münster von der Ära Fürstenberg bis zum Ersten Weltkrieg (1756–1914), Münster 1995 (Studien zur Geschichte der Armenfürsorge und der Sozialpolitik in Münster 2), Jakobi, Franz-Josef; Lambacher, Hannes; Metzdorf, Jens; Winzer, Ulrich (Hrsg.): Stiftungen und Armenfürsorge in Münster vor 1800, Münster 1996 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 17/1), Klötzer, Ralf: Kleiden, Speisen, Beherbergen. Armenfürsorge und soziale Stiftungen in Münster im 16. Jahrhundert (1535–1588), Münster 1997 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 17/3). Reif, Heinz: Westfälischer Adel 1770–1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 35), Walter, Bernd: Die
34
1 Einleitung
hört auch die aufschlussreiche, bisher unveröffentlichte Staatsexamensarbeit über die Wohnsituation in Münster im 19. Jahrhundert.58 Auch die Medizingeschichte wurde berücksichtigt. Allerdings finden sich hier zum einen Ärztebiographien vornehmlich aus der Zeit vor 1800.59 Außerdem handelt es sich zum anderen bei einer Vielzahl der Arbeiten um medizinische Dissertationen älteren Datums, die sich meist auf die Beschreibung einzelner Institutionen oder Aufzählung der vorhandenen Ärzte oder Apotheken beschränken und oft nur bis 1815 reichen.60 Ebenfalls in der Tradition einer reinen Institutionengeschichte steht eine Publikation, die sich mit den konfessionellen Krankenhäusern in Münster beschäftigt.61 Doch wurden in weiteren Arbeiten Forschungen zur sozialstrukturellen Zusammensetzung der Patientenschaft des damals größten Krankenhauses in Münster, dem Clemenshospital, durchge-
58
59
60
61
Beamtenschaft in Münster zwischen ständischer und bürgerlicher Gesellschaft. Eine personengeschichtliche Studie zur staatlichen und kommunalen Beamtenschaft in Westfalen (1800–1850), Münster 1987 (Geschichtliche Arbeiten zur Westfälischen Landesforschung Wirtschafts- und Sozialgeschichtliche Gruppe 3), Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Stadtgesellschaft im Wandel. Untersuchungen zur Sozialgeschichte Münsters im 19. und 20. Jahrhundert, Münster 1995, Keinemann, Friedrich: Vom Krummstab zur Republik. Westfälischer Adel unter preußischer Herrschaft 1802–1945, Bochum 1997 (Dortmunder Historische Studien 18), Kill, Susanne: Das Bürgertum in Münster 1770–1870. Bürgerliche Selbstbestimmung im Spannungsfeld von Kirche und Staat, München 2001. Wichmann, Michael: Wohnen in Münster in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur quantitativen Historischen Sozialforschung, Münster 1991 (Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II). Schaten, Mathilde: Veröffentlichungen aus des Münsterischen Medizinaldirektors Christoph Ludwig Hoffmann schriftlichem Nachlaß, Münster 1939 (Med. Diss.), Risse, Adolf: Beiträge zu einer Biographie des münsterischen Arztes Dr. med. Bernhard Rottendorff (1594–1671). In: Bierbaum, Max (Hrsg.): Studia Westfalica. Beiträge zur Kirchengeschichte und religiösen Volkskunde Westfalens. Festschrift für Alois Schröer, Münster 1972, S. 285–340, Hugenroth, Hermann (Hrsg.): Zum dichterischen Werk des münsterschen Arztes und Humanisten Bernhard Rottendorff (1594–1671), Münster 1991 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 15). Gördes, Elisabeth: Heilkundige in Münster i. W. im 16. und 17. Jahrhundert, Münster 1917 (Med. Diss.), Schopohl, Friedrich: Die Chirurgen-Schule (medizinisch-chirurgische Lehranstalt) zu Münster in Westfalen, Gütersloh 1936 (Med. Diss.), Almodt, Agnes: Ergänzungen zur Geschichte der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt zu Münster i. W. 1821–1848, Münster 1942 (Med. Diss.), Dieterich, Otto-Erich: Das Medizinalwesen der Stadt Münster i. W. von den Anfängen bis zur Gegenwart, Münster 1946 (Med. Diss., Mikrofiche, sehr schlechte Qualität, sie enthält Lücken in den Quellenangaben und geht nur bis zum Ende des fürstbischöflichen Zeit), Vierkotten, Ursula: Zur Geschichte des Apothekenwesens von Stadt und Fürstbistum Münster i. W. Mit dem münsterschen Apothekereid und der Arzneitaxe von 1584, Marburg 1969 (Dr. rer. nat.). Auf das 20. Jahrhundert ist Schmitz, Britta: Hebammen in Münster. Historische Entwicklung, Lebensund Arbeitsumfeld, Berufliches Selbstverständnis, Münster/New York 1994 (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 85) ausgelegt. Jungnitz, Bernhard: Die konfessionellen Krankenhäuser der Stadt Münster im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, Herzogenrath 1981 (Studien zur Geschichte des Krankenhauswesens 18).
1.1 Forschungsstand
35
führt.62 Eine weitere Untersuchung beschäftigt sich mit dem Medizinalwesen der Stadt und der gesundheitlichen Situation in der Frühen Neuzeit.63 Einschlägig für die in der Dissertation untersuchte Zeit ist die Publikation von Hedwig Schwanitz.64 Diese Arbeit trägt bezeichnenderweise den Titel Krankheit, Armut, Alter, was in der Schwerpunktlegung deutlich wird. Denn der Hauptteil beschäftigt sich mit den Krankenhäusern Münsters und deren Beschreibung. Zudem wird versucht aus zeitlich sehr unterschiedlichen Quellen ein Ganzes zu machen, was bisweilen seltsame Zusammenhänge suggeriert.65 Dennoch bleibt es Schwanitz Verdienst, die bisher einzige umfassendere Arbeit zur medizinischen Situation des 19. Jahrhunderts in Münster vorgelegt zu haben. Eine genauere Untersuchung der Todesursachen dieses Zeitraums bleibt aber ein Forschungsdesiderat für die Stadt. Dies bedeutet, dass die vorliegende Arbeit auch im Bereich der Stadt- und Regionalgeschichte beziehungsweise der „Medizingeschichte“ Münsters und seiner Umgebung dabei hilft, Wissenslücken zu beheben. Denn zum ersten Mal können die medizinische Situation in der Stadt und die gesundheitliche Lage der Einwohner näher beleuchtet werden. Die zusätzlichen Angaben, die Clemens von Bönninghausen in seinen Krankengeschichten zu „allopathisch gebraucht“ machte, ermöglichen einen indirekten Blick auf das Handeln und die Praxis der in Münster und Umgebung angesiedelten Ärzteschaft. Ferner erlauben sie es, die medizinische Versorgung der damaligen Bevölkerung, das Verhalten und die Möglichkeiten erkrankter Personen, eine Behandlung zu suchen, darzulegen. Die von Bönninghausen behandelten Krankheiten geben weiter Auskunft über das damals vorherrschende Morbiditätsspektrum, so dass der „Gesundheitszustand“ der Menschen besser beurteilt werden kann. Mit Blick auf den so umrissenen Forschungsstand lässt sich daher sagen, dass die vorliegende Arbeit in mehreren Bereichen dazu beiträgt, Forschungslücken zu schließen. Im Feld der Homöopathiegeschichte wird erstmals eine 62 Kathstede, Gerhard: Die soziale Struktur der Patientenschaft des Clemenshospitals in Münster von 1754 bis 1765, Münster 1973 (Schriftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an der Grundschule und Hauptschule), Langefeld, Willi; Spree, Reinhard: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung des Clemens-Hospitals in Münster von 1820 bis 1914. In: Jakobi, Franz-Josef; Klötzer, Ralf; Lambacher, Hannes (Hrsg.): Strukturwandel der Armenfürsorge und der Stiftungswirklichkeiten in Münster im Laufe der Jahrhunderte, Münster 2002 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 17/4), S. 323–347. 63 Grütters, Ruth: Kranksein in der frühen Neuzeit. Medizinalwesen und Krankheitswahrnehmung in der Bischofsstadt Münster (16. – 17. Jahrhundert), Bonn 1994 (MA Arbeit). Trotz des viel versprechenden Titels handelt es sich auch hier um eine Beschreibung des Fürsorgewesens und der Institutionen. 64 Schwanitz, Hedwig: Krankheit, Armut, Alter. Gesundheitsfürsorge und Medizinalwesen in Münster während des 19. Jahrhunderts, Münster 1990 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 14). 65 Es handelt sich zumeist um Quellen von Beginn und Ende des 19. Jahrhunderts. Außerdem sind bei einigen Berechnungen die Datengrundlagen unklar und durch die Angaben absoluter Zahlen, ohne eine weitere Bezugsgröße häufig wenig aussagekräftig. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 46–47 oder S. 117.
36
1 Einleitung
umfassende Praxisbeschreibung eines Hahnemannschülers vorgelegt. Die auf diese Weise angestrebte Darstellung einer alltäglichen medizinischen Tätigkeit über einen längeren Zeitraum des 19. Jahrhunderts hinweg stellt darüber hinaus einen Beitrag zur Geschichte der ärztlichen Praxis allgemein dar. Im Bereich der Stadt und des Regierungsbezirks Münster kann die Situation der medizinischen Versorgung näher beleuchtet werden. Bei der Auswertung der Krankenjournale steht jedoch in allen angesprochenen Feldern der Blick auf die Patienten und ihr Handeln konsequent im Vordergrund, wodurch der Hauptforschungsbeitrag im Bereich der Patientengeschichte liegt. 1.2 Quellenlage Wie die Krankenjournale Samuel Hahnemanns stellen die Aufzeichnungen seines Schülers Clemens Maria Franz von Bönninghausen einen reichen Fundus dar.66 Der schriftliche Nachlass beider Heiler gibt aber zu weit mehr Fragestellungen als nur in homöopathisch-medizinischer Hinsicht Auskunft.67 So zählen überlieferte Fallsammlungen und Krankenbücher zu den wichtigsten indirekten Quellen der Patientengeschichte. Da viele Kranke in der Vergangenheit keine eigenen Zeugnisse hinterlassen haben, sind die ärztlichen Aufzeichnungen eine der wenigen Möglichkeiten, Informationen über sie zu gewinnen.68 Natürlich müssen die vorhandenen Notizen kritisch gelesen werden 66 Für Hahnemann: Haehl, Richard: Samuel Hahnemann. Sein Leben und Schaffen, Band 1, Leipzig 1922, S. 408. Für Bönninghausen: Gypser, Klaus-Henning: Editorial. In: ZKH 33 (1989), S. 1. 67 Allgemein zu Patienten- oder Krankenjournalen als Quelle, sehr früh und daher kritisch: Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 198, mit Schwerpunkt auf derartige Überlieferungen aus Krankenhäusern: Warner: Uses, Risse, Guenter; Warner, John: Reconstructing Clinical Activities. Patient Records in Medical History. In: Soc. Hist. Med. 5 (1992), S. 183–205, Larsen, Øivind: Case Histories in Nineteenth-Century Hospitals. What Do They Tell the Historians? Some Methodological Considerations with Special Reference to McKeown’s Criticism of Medicine. In: MedGG 10 (1991), S. 127–148, Hoffmann-Richter, Ulrike; Finzen, Asmus: Die Krankengeschichte als Quelle. Zur Nutzung der Krankengeschichte als Quelle für Wissenschaft und psychiatrischen Alltag. In: Bios 11 (1998), S. 280–297, speziell für Arztpraxen: Dinges: Arztpraxen, S. 38–46. 68 In diesem Sinn: Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests, S. 157, Baal: In Search, S. 8, Roilo, Christine: „Historiae Morborum“ des Franz v. Ottenthal. Ein Zwischenbericht. In: MedGG 18 (1999), S. 64, Jütte, Robert: Vom medizinischen Kasus zur Krankengeschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Juni 1992, S. N4, Brügelmann, Jan: Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779–1850. Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Gesundheitswesens, Berlin 1982 (Phil. Diss.), S. 221, Ernst: Patientengeschichte, S. 102. Dass es den Ärzten früher weniger auf die einzelnen Kranken ankam, sondern auf die Krankheitsgeschichten: Labisch, Alfons: Homo hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt am Main/New York 1992, S. 109, Hartmann, Fritz: Krankheitsgeschichte und Krankengeschichte. Naturhistorische und personale Krankheitsauffassung. In: Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg (Hrsg.): Marburger Sitzungsberichte 87 (1966) Heft 2, S. 17–32. Das Problem der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes stellt sich im
1.2 Quellenlage
37
und es bedarf der Annäherung durch sie an den Patienten als Individuum.69 Überlieferte Journale haben gegenüber Fallsammlungen den Vorteil, dass sie alle Behandlungen enthalten und nicht nur für die Öffentlichkeit interessante oder lehrreiche Kasuistiken mit zumeist positivem Ausgang präsentieren.70 Daher eignen sich Krankenjournale außerdem für die Erforschung der gesamten ärztlichen Praxis.71 Im Hinblick auf die Morbiditätsforschung sind sie von großer Bedeutung, da der praktizierende Arzt „der primären Morbidität“ am nächsten steht.72 Das bedeutet, dass der Kontakt mit einer Medizinalperson meist der erste „institutionell“ registrierbare Schritt einer Person ist, die sich „krank fühlt“.73 Die diffusen individuellen Gefühle des Unwohlseins, die die erste Stufe des „Krankseins“ darstellen, lassen sich hingegen kaum oder nur sehr schwer fassen.74 Während sich die Journale Hahnemanns bereits einer
69
70
71
72
73
74
vorliegenden Falle nicht, da das Ende von Bönninghausens Praxiszeit mittlerweile mehr als 140 Jahre zurück liegt. Hierzu der Sammelband von Meyer, Dietrich; Hey, Bernd (Hrsg.): Akten betreuter Personen als archivische Aufgabe. Beratungs- und Patientenakten im Spannungsfeld von Persönlichkeitsschutz und historischer Forschung, Neustadt an der Aisch 1997 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 25), vor allem den darin enthaltenen Aufsatz: Fichtner, Gerhard: Das Problem der Schweigepflicht und der Historiker, S. 111–122. Hierzu Eckart; Jütte: Einführung, S. 183 sowie eindrücklich Ernst: Patientengeschichte, S. 102, Jütte, Robert: Patient und Heiler in der vorindustriellen Gesellschaft. Krankheitsund Gesundheitsverhalten im frühneuzeitlichen Köln, Bielefeld 1989 (Habilitationsschrift), S. 4. Hierzu Dinges: Arztpraxen, S. 30–31, Loetz: Vom Kranken, S. 59–60, Kass, Amalie: The Obstetrical Casebook of Walter Channing 1811–1822. In: Bull. Hist. Med. 67 (1993), S. 496, Ruisinger: Messers Schneide, S. 317–319. Zu den verschiedenen Motivationen, ein Journal zu führen auch Thümmler: Rekonstruktion, S. 19–20. Für diese Fragestellung sind sie am besten geeignet: Dinges: Arztpraxen, S. 38–46, Shephard, David: The Casebook, the Daybook, and the Diary as Sources in Medical Historiography. In: Can. Bull. Med. Hist. 17 (2000), S. 245–255. Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 195. Außerdem bieten Krankenjournale über den reinen Nachweis einer „Krankheit“ hinaus die Möglichkeiten, diese in ihrem „sozialen“ Kontext zu fassen. Hierzu Patterson, James: How Do We Write the History of Disease? In: Health and History 1 (1998), S. 5–29. Hierzu Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 182. Prinzipiell steckt die Erforschung der Morbidität wegen der schwierigen Quellenlage noch immer in den Anfängen: Dinges: Social History, S. 216, Eckart; Jütte: Einführung, S. 236 mit Literatur. International: Riley: Sickness, für Deutschland stark von geschlechtsspezifischen Fragen geprägt: Ellerkamp, Marlene: Industriearbeit, Krankheit und Geschlecht, Göttingen 1991 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 95), Stumm, Ingrid von: Gesundheit, Arbeit und Geschlecht im Kaiserreich am Beispiel der Krankenstatistik der Leipziger Ortskrankenkasse 1887–1905, Frankfurt am Main 1995 (Münchener Studien zur neueren und neusten Geschichte 12). Auskunft hierüber würden nur Selbstzeugnisse, wie Tagebücher, Memoiren oder Briefe geben. Solche Quellen sind durchaus vorhanden und wurden bereits gewinnbringend ausgewertet, allerdings stammen die Verfasser solcher Texte im 19. Jahrhundert meist aus der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht. Hierzu Stolberg: Homo patiens, Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, Hoffmann: Alltag, Schweig: Gesundheitsverhalten und international Porter; Porter: In Sickness.
38
1 Einleitung
großen Zuwendung seitens der Forschung erfreuen, wurde der Bestand seines Schülers seither weniger berücksichtigt. In dieser Arbeit sind deswegen die Patientenjournale von Bönninghausens die Hauptquelle. Im Lauf seiner 35-jährigen Praxis notierte der Freiherr die Behandlung seiner Patienten hauptsächlich in 116 Journale.75 Da eine komplette Auswertung aller Bücher zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte, zugleich aber die „Biographie einer Praxis“ auf einen längeren Untersuchungszeitraum abzielt76, wurden 57 ausgewählte Journale die Erhebungsgrundlage für die vorgestellten Ergebnisse.77 So wird zum einen ein Überblick über die gesamte Praxiszeit ermöglicht und zum anderen können zwischen den einzelnen Gruppen Vergleiche gezogen werden, ob sich beispielsweise im Hinblick auf die Zusammensetzung der Klientel oder der behandelten Krankheiten mit der Zeit Veränderungen ergeben haben. Clemens von Bönninghausen selbst betrachtete das Führen eines Krankenjournals als unentbehrlich „für jeden wahren homöopathischen Arzt“. Denn „aus dem nothwendigen Individualisiren aller charakteristischen Zeichen jedes einzelnen Krankheitsfalles“ ergebe sich eine ungeheure Informationsfülle, „welche in ihrem Gesammtbilde auch das treueste Gedächtnis in den wesentlichen Zügen aufzubewahren ausser Stande“ sei. Neben dieser Funktion als Gedächtnisstütze, hob Bönninghausen hervor, dass „eine genaue Buchführung“ ebenso „zur eigenen Belehrung“, wie auch zur „Beruhigung des ärztlichen Gewissens“ im Sinn einer Verantwortlichkeit gegenüber dem Patienten dienen könne.78 Denn sind einmal die Symptome schriftlich fixiert, können sie nachgeschlagen werden, was besonders bei wiederholten Behandlungen ein und derselben Person wichtige Informationen liefert.79 Zudem kann der Arzt selbst nachvollziehen, wann er welches Medikament in welcher Dosis verschrieben hat und insofern überprüfen, ob seine Mittelwahl angemessen war oder nicht. Bönninghausen verfasste seine Journale daher nicht
75 Diese Journale sind im Homöopathiearchiv des IGM Bestand P Nachlass Bönninghausen P 1 bis P 116 überliefert. In der Nummerierung wurde die Nummer P 105 übersprungen, P 104 und P 106 schließen aber direkt aneinander an. Dafür wurde Nummer P 101 zwei Mal vergeben. Daher sind es tatsächlich 116 Journale, nicht 117, wie von Gypser: Editorial, S. 1 angegeben. Aus der Anfangszeit der Praxis von 1829 bis 1835 gibt es drei weitere Aufzeichnungsbände P 151, P 154 und P 155. P 1 bis P 116 ähneln sich in ihrem Aussehen, indem sie alle einen braun-orange-grün marmorierten Pappeinband haben, rund 17 Zentimeter breit und knapp 20 Zentimeter hoch sind. Einzig der Umfang der Bände variiert von 135 bis 480 Folioblätter. Bönninghausen selbst machte in den Buchdeckeln diverse Notizen. Dabei handelt es sich um Zitate verschiedener Autoren, Bemerkungen zu seinen Behandlungen und Veröffentlichungen sowie private Angaben. 76 Dinges: Arztpraxen, S. 25. 77 Die nähere Bestimmung der Sample und die Auswahlkriterien werden in Kapitel 2 erläutert. 78 Bönninghausen, Clemens von: Das Krankenjournal. In: AHZ 67 (1863), S. 114. Ähnlich: Vieler, Ingrid: Die deutsche Arztpraxis im 19. Jahrhundert, Mainz 1958 (Med. Diss.), S. 21. 79 Bönninghausen: Krankenjournal, S. 164.
1.2 Quellenlage
39
mit der Absicht, diese zu veröffentlichen, sondern führte sie für seine privaten Zwecke und die Verwaltung seiner Praxis.80 Die Journale sind so aufgebaut, dass Bönninghausen für jeden Patienten eine eigene Seite zur Verfügung hatte.81 Die Bücher selbst umfassen zwischen 135 und 480 Blätter, auf denen Journalband und Seite vermerkt sind. Zunächst werden in der oberen Seitenhälfte, wie in dem Bild einer Seite deutlich wird, Name und Beruf, außerdem Wohnort und Alter genannt.82 Mit Hilfe dieser Daten können die sozialstrukturellen Merkmale der Patienten festgestellt werden. Es folgt die Beschreibung des Krankheitsbildes, das bei der Erstanamnese erhoben wurde. Diese enthält keine Diagnose im heutigen Sinn, denn das Gebot der Homöopathie ist, jeden Patienten als Individuum zu sehen. Sie versteht sich als eine „ganzheitliche“ Therapie, die die Kenntnis der genauen Symptome voraussetzt, um das richtige Heilmittel zu finden.83 Daher ist der Patient in der Konsultation dazu aufgefordert, seine Beschwerden genau wiederzugeben und für den behandelnden Homöopathen gilt, diese möglichst wortgetreu zu notieren.84 Durch diese Vorgaben für die Journalführung und die so gemachten Aufzeichnungen ist es deswegen möglich, einen Einblick in die „individuelle“ Krankheitserfahrung und die Beschreibung der jeweiligen
80 Jütte, Robert: Case Taking in Homoeopathy in the 19th and 20th Centuries. In: British Homoeopathic Journal 87 (1998), S. 43. Gleiches gilt für Hahnemann: Hahnemann, Samuel: Krankenjournal DF2 (1836–1842). Transkription und Übersetzung von Arnold Michalowski, Heidelberg 2003 oder Bußmann, Johanna: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D6 (1806–1807). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg, 2002, S. 1. 81 Das Grundschema bleibt in den Journalen seit 1835 gleich. Ab P 33 verwendete Bönninghausen jedoch detailliertere Vordrucke, in denen die Informationen zu Wohnort, Alter, Mittel und Dosierung sowie zur Vorbehandlung als gesonderte Stichworte genannt wurden, obwohl er schon zuvor diese Informationen aufnahm. Die Vordrucke entsprechen ab diesem Band dem von Bönninghausen in der AHZ veröffentlichten Schema: Bönninghausen: Krankenjournal, S. 165. Das erste Journal P 151 ist zwar ähnlich aufgebaut, hat aber keine vorgedruckten Seiten, während die folgenden überlieferten Bücher P 154 und P 155 von Juni 1830 bis April 1835 in Kalenderform notiert wurden. 82 Zur Fallaufnahme in der Homöopathie: Jütte: Case Taking. Allgemeiner: Gillis, Jonathan: The History of the Patient History since 1850. In: Bull. Hist. Med. 80 (2006), S. 490–511. 83 Zur Entwicklung des Begriffes „ganzheitlich“: Jütte, Robert: Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute, München 1996, S. 55–65. Hier ist „ganzheitlich“ in dem Sinn gemeint, dass die Homöopathie sich bei ihren Behandlungen nicht auf einzelne lokale Symptome beschränkt, sondern den Organismus als unteilbare Gesamtheit versteht, der bei der Behandlung als Einheit reagiert. Siehe Schmidt, Josef: Taschenatlas Homöopathie. Grundlagen, Methodik und Geschichte, Heidelberg 2001, S. 120. 84 Die Anforderungen Hahnemanns an die Anamnese, wie er sie in seinem Organon formulierte: Hahnemann: Organon 6 § 83 – § 104, S. 171–184. In diesem Sinn: Bönninghausen, Clemens von: Die homöopathische Diät und die Entwerfung eines vollständigen Krankheitsbildes behufs homöopathischer Heilung für das nichtärztliche Publikum, Münster 1833, S. 22, Gutman, William: Die Fallaufnahme in der Homöopathie. In: ZKH 5 (1961), S. 1–19, Jütte: Case Taking. Allgemeine Einführung in die Homöopathie: Schmidt: Taschenatlas.
40
1 Einleitung
patienteneigenen Symptome zu bekommen.85 Bönninghausen notierte ferner, ob er den Patienten persönlich gesehen hatte oder nicht und berücksichtigte, ob dieser sich vorher einer „allopathischen Behandlung“ unterzogen hatte.86
Quelle: Bönninghausen: Krankenjournal, S. 165. 85 Die Begriffe Patientenwelt und Krankheitserfahrung wurden von Jens Lachmund, Gunnar Stollberg und Michael Stolberg für die medizinhistorische Forschung eingeführt. Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, S. 9, Stolberg: Homo patiens, S. 9, derselbe: Krankheitserfahrung. Dass ärztliche Krankheitsgeschichten zu den Geschichten der einzelnen Patienten werden können, zeigen: Baal: In Search, S. 7, Labisch: Homo hygienicus, S. 109. 86 Im Fall einer Konsultation, bei der der Patient nicht anwesend war, notierte Bönninghausen n. v. für non vidi. Bönninghausen: Krankenjournal, S. 165. Die Bemerkungen zu einer vorangegangenen „allopathischen“ Kur sind nach dem Stichwort: „Allop. gebr.“ zu finden.
1.2 Quellenlage
41
Die untere Seitenhälfte ist, wie man in der Abbildung erkennen kann, in drei Spalten gegliedert. Bönninghausen notierte hier die Konsultationsdaten und die Ordination differenziert in Mittel und Dosis. Unter Dosis verstand er die Potenz und vermerkte dabei die Anzahl der verordneten Streukügelchen.87 Unter der Überschrift „Erfolg und neue Zeichen“ beschrieb der Freiherr zuletzt, welchen Verlauf die angewandte Therapie nahm und welche Veränderungen sich durch die eingenommenen Medikamente ergaben. Bei „langwierigen Curen“ setzte er die Angaben auf der Rückseite fort und wenn diese nicht ausreichte „auf einer der benachbarten leeren Rückseiten“.88 Um die derart beschriebene Hauptquelle im Hinblick auf die zuvor genannten Forschungsfragen auswerten zu können, wurde eine Datenbank mit Hilfe des Programms FileMaker Pro erstellt.89 Für die Beantwortung der zugrunde liegenden Fragen sind in erster Linie die Informationen aus der oberen Seitenhälfte wichtig. Aus der unteren Hälfte spielten lediglich die Konsultationsdaten eine Rolle. Nicht von Bedeutung waren hingegen alle Fragen, die sich mit den verschriebenen Mitteln und deren Potenz befassen. Auch der weitere Behandlungsverlauf konnte nicht im Detail betrachtet werden. Neben dieser Hauptquelle gibt es aus Bönninghausens Praxiszeit weitere Aufzeichnungen, die im Zuge der Forschungen ausgewertet wurden. Dazu zählen die zu den Journalen gehörigen „Namens-Verzeichnisse“, die die behandelten Patienten alphabetisch auflisten, sowie ein „Conto-Buch“, das allerdings sehr wenige Angaben für die Spätzeit der Praxis enthält, und ein „Journal für Correspondenz“.90 Zum anderen sind im Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart zahlreiche Manuskripte und Vorarbeiten Bönninghausens überliefert.91 Von großer Bedeutung waren au87 Bönninghausen: Krankenjournal, S. 165. Er schreibt, dass er meistens „zwei Streukügelchen von der 200. Centesimaldynamisation“ verwendet habe. Allerdings hat auch Bönninghausen im Laufe der Zeit mit den verschiedenen Potenzen experimentiert: Bönninghausen, Clemens von: Hahnemanns Arzneigaben. In: ACS 21 (1844) Heft 2, S. 36. Dies belegt sein Eintrag in IGM P 56: „Versuche mit der 200. Potenz angefangen am 17. Debr. 1844 p. 140.“ Außerdem machte er in IGM P 152 Notizen zu seinen „Heilungen mit Hochpotenzen“. 88 Bönninghausen: Krankenjournal, S. 165. 89 Eine Anleitung dazu beziehungsweise Anlehnung an die bereits erfolgten Auswertungen der Journale Hahnemanns bei Vogl: Landpraxis, S. 174 und Hörsten, Iris von: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D2-D4 (1801–1803). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 2004, S. 28. Zu den methodischen Überlegungen und dem Vorgehen beim Erstellen der Datenbank sowie in Bezug auf die Verarbeitung der Angaben aus den Originaljournalen Kapitel 2. Ich danke an dieser Stelle Herrn Arnold Michalowski, Stuttgart, für die Einführung in das Programm und seine Hilfe bei der Erstellung der Datenbank. 90 Die Namensverzeichnisse im IGM tragen die Signaturen P 150 (es umfasst alle Patienten der Praxen von Clemens und Friedrich von Bönninghausen), P 152 (umfasst die Patienten seit Ende Februar des Jahres 1830) und P 153 (in diesem sind nur Namen von Patienten, die ab dem 1. Juli 1830 zu Bönninghausen kamen und in P 154 notiert sind). Signatur des „Conto-Buchs“ ist P 156, das „Journal für Correspondenz“ findet sich unter P 188. 91 Es handelt sich um Schriftstücke im IGM mit den Signaturen P 158 bis P 187. Soweit diese herangezogen wurden, ist deren Signatur an den entsprechenden Stellen erwähnt.
42
1 Einleitung
ßerdem die vorhandenen Patientenbriefe und Krankenblätter. Sie gaben wertvolle zusätzliche Informationen zu einzelnen Kranken.92 Ferner veröffentlichte Bönninghausen selbst zahlreiche Aufsätze in homöopathischen Zeitschriften, in denen er nicht nur über einzelne Krankengeschichten und besondere Fälle berichtete, sondern auch viele Angaben zu seiner eigenen Praxis machte.93 Diese Texte waren weitere gedruckte Quellen für die Arbeit. Clemens von Bönninghausen führte seine Praxis hauptsächlich in Münster. Die Stadt und ihr Umland gehörten seit 1815 als Teil der Provinz Westfalen zum Königreich Preußen. Für die Quellenlage bedeutet dies, dass zum einen die juristischen Regelungen Preußens94 galten und zum anderen zeitgenössische Beschreibungen des preußischen Medizinalsystems95 sowie diverse gedruckte statistische Veröffentlichungen bezüglich des gesamten Königreiches und der einzelnen Provinzen verwendet werden konnten.96 Wichtige Informationen enthielten auch topographisch-statistische Werke zu Stadt oder Regierungsbezirk Münster.97 In den Archiven Münsters wurden außerdem die vorliegenden Quellen untersucht, die zu dem medizinischen und gesundheitlichen Zustand der Stadt, des Regierungsbezirks und der Provinz Auskunft geben konnten. Es wurden sämtliche Schriftstücke berücksichtigt, die dazu behilflich waren, das Umfeld von Bönninghausens Praxis näher zu charakterisieren. Dazu zählen die staatlichen und kommunalen Aufzeichnungen über das Medizinalwesen, die Tätigkeit des Medizinalkollegiums, Statistiken zu den beschäftigten Medizinalper-
92 Hierbei handelt es sich um die Signaturen P 201/1 bis P 222 im IGM. Die entsprechenden Stücke sind an den in der Dissertation verwendeten Stellen vermerkt. 93 Ein Teil dieser Aufsätze wurde zusammengetragen und veröffentlicht. Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften. Die Aufsätze werden an den entsprechenden Stellen zitiert und sind im Quellenverzeichnis aufgeführt. 94 Zur preußischen Gesetzgebung und den geltenden Regelungen: Gesetzessammlung für die preußischen Staaten ab 1815. 95 Verwendung fanden besonders Rönne, Ludwig von; Simon, Heinrich: Das Medicinal=Wesen des preußischen Staates, Zwei Bände, Breslau 1844, Horn, Wilhelm: Das preussiche Medicinalwesen aus amtlichen Quellen dargestellt, Teil 1, Berlin 2. Auflage 1863, Pappenheim, Louis: Handbuch der Sanitäts-Polizei, Band 2 H-Z, Berlin 1859, Eulenberg, Hermann: Das Medicinalwesen in Preussen. Nach amtlichen Quellen, Berlin 1874, Räuber, Hugo: Bestimmungen, Erlasse und Verfügungen für das Medizinalwesen in Preussen, Köslin 1907. 96 Hierzu zählen Sponholz, Carl: Allgemeine und spezielle Statistik der Medizinal-Personen der Preußischen Monarchie. Jahrgang 1845, Stralsund 1845 sowie Statistisches Bureau zu Berlin (Hrsg.): Tabellen und amtliche Nachrichten über den Preussischen Staat für das Jahr 1849 Bände 1 bis 6b, Berlin 1851 bis 1855 und für das Jahr 1852, Berlin 1855 sowie für das Jahr 1855, Berlin 1858. Interessant waren ferner die Medicinal-Kalender, auch wenn diese keine statistischen Materialien enthalten: Medicinal-Kalender für den Preussischen Staat auf das Jahr 1850, Berlin 1850 sowie für die Jahre 1857 und 1861. 97 Guillaume, Friedrich: Topographisch=historisch=statistische Beschreibung der Stadt Münster. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde, Münster 1836 und Diening, Anton: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Münster aus amtlichen Quellen zusammengestellt, Münster 1846.
1.2 Quellenlage
43
sonen sowie Prüfungsakten und Approbationsprotokolle.98 Allerdings war die Quellenlage für den interessierenden Zeitraum eher ernüchternd. Eine dichte Überlieferung gibt es vor allem für die Zeit vor 1815 und zum Teil ab 1865/70. Statistische Übersichten fanden sich in den einzelnen Akten sehr selten und die Aussagekraft von ministeriellem und administrativem Schriftverkehr für die zu untersuchenden Forschungsfragen war gering. Etwas, den handschriftlichen württembergischen Medizinalvisitationsberichten oder Oberamtsarztberichten Vergleichbares, gab es in den preußischen Provinzen des 19. Jahrhunderts nicht.99 Doch es gab gedruckte Sanitätsberichte, die aber nicht für jedes Jahr überliefert sind. Hedwig Schwanitz erwähnte zwei dieser Berichte für die Jahre 1843 und 1844 in ihrer Arbeit. Im Zuge der eigenen Forschungen konnten noch weitere derartige Publikationen gefunden werden, die immerhin bis in das Jahr 1831 zurückreichen.100 Wichtige Hinweise lieferten auch die Zeitungen, „Amts-Blätter“ der Regierungen und Adressbücher.101 Ein weiteres Ziel war es, in der Stadt Münster nähere Informationen zu möglichst vielen einzelnen Patienten zu erhalten. In diesem Zusammenhang wurden die Quellen berücksichtigt, die für die Personengeschichte von Bedeutung sind. Adressbücher, Steuerlisten oder Gewerbesteuerlisten waren keine
98 Die eingesehenen und verwendeten Bestände sind im Quellenverzeichnis genannt. Besucht wurden das Staatsarchiv Münster (StAM), das Stadtarchiv Münster (StdAM) und das LWL-Archivamt für Westfalen (Archivamt). 99 Hierzu die Überlieferung im Staatsarchiv Ludwigsburg im Bestand E 162 I und die Besprechung des Materials bei: Kohler, Walter: Quellen zur Statistik des Gesundheitswesens in Deutschland 1815–1938. In: Fischer, Wolfram; Kunz, Andreas (Hrsg.): Grundlagen der Historischen Statistik von Deutschland. Quellen, Methoden, Forschungsziele, Opladen 1991 (Schriften des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin 65), S. 290–291. 100 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 38 Entgegen ihren Angaben sind die Berichte der Jahre 1843 und 1844 nicht die ältestem und einzigen erhaltenen ihrer Art. Im Zuge der Recherchen wurden Sanitätsberichte aus neun Jahren gefunden. Es handelt sich um die Jahre 1831, 1832 und 1838–1844. 101 Für die entsprechende Zeit war dies vor allem der Westfälische Merkur. Die Amtsblätter wurden von allen drei Regierungsbezirken für die ausgewählten Jahre der Samples durchgesehen. Adressbücher gibt es nicht allzu viele, eingesehen wurden: Bruns, Alfred (Hrsg.): Westfalenlexikon 1832–1835, Münster 1978 (Nachdrucke zur westfälischen Archivpflege 3), Cazin, Friedrich: Adreß-Buch der Stadt Münster nach den amtlichen Registern, herausgegeben mit Bewilligung des hochlöblichen Magistrats, Münster 1853 sowie vom selben Autor für die Jahre 1856 und 1860, Klier (Hrsg.): Adreßbuch der Provinz Westfalen auf das Jahr 1840, Münster 1840, derselbe Autor hat auch 1846, 1852 und 1858 Adressbücher herausgegeben, Seemann, von (Hrsg.): Adreßbuch der Provinz Westfalen auf das Jahr 1836, Minden 1836, derselbe Autor hat auch 1846 ein Adressbuch herausgegeben, Wendt, von; Jochmus (Hrsg.): Adreßbuch für die Provinz Westfalen, Münster 1829, Wendt hat auch 1832 ein Adressbuch herausgegeben. Zu Adressbüchern als Quellen allgemein: Eyll, Klara van: Stadtadressbücher als Quelle für die wirtschafts- und sozialhistorische Forschung. Das Beispiel Köln. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 24 (1979) Heft 3, S. 12–26.
44
1 Einleitung
große Hilfe.102 Auch das Einwohnermeldewesen Münsters wies große Lücken auf und war insofern nicht besonders aussagekräftig.103 Jedoch konnte auf einschlägige Personenkarteien und Sammlungen zurückgegriffen werden, die trotz methodischer Bedenken die einzige Möglichkeit boten, effizient zu einer Vielzahl von Personen Informationen zu erhalten.104 Eine bedeutende Rolle spielten in diesem Zusammenhang Kirchenbücher.105 Diese wurden für die Stadt Münster, die im 19. Jahrhundert über mehr als acht Pfarren verfügte, sowie für die heute eingemeindeten Orte herangezogen.106 Es handelt sich somit um eine Vielzahl von Quellen, die zusätzlich zu der Hauptquelle der Krankenjournale für die Untersuchung wichtig waren, diese in vielerlei Hinsicht ergänzten und sie in ihr Umfeld einordneten. Doch ist die Verwendung mehrerer Quellenarten unerlässlich, um Aussagen in einem so komplexen Forschungsbereich zu machen beziehungsweise die angestrebten Auswertungen durchzuführen.
102 Diese sind in den Beständen des StAM Regierung Münster Steuer-, Finanz- und Rechnungswesen, Gewerbesteuer überliefert. 103 Die Leischaftsbücher und deren Zugangsmöglichkeiten im StdAM. Allgemein zu den Problemen, die mit deren Nutzung verbunden sind, Kapitel 2. 104 Zu den Bedenken und Problemen Kapitel 2. Es handelt sich um die „Personenkartei Ferdinand Theissing“ im StdAM und die Sammlung Spiessen, die im StAM überliefert ist, von der es auch eine Kopie im Archivamt gibt. Dort werden die Vereinigten Westfälischen Adelsarchive verwaltet. Deren Bestände in: Bockhorst, Wolfgang: Adelsarchive in Westfalen. Die Bestände der Mitgliedsarchive der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e. V. Kurzübersicht, Münster 1998 (Vereinigte Westfälische Adelsarchive e. V. 9). Des Weiteren zählt hierzu die so genannte „Klerikerkartei“ des BAM, in der alphabetisch alle Geistlichen des Bistums Münster enthalten sind. 105 Die Bevölkerung der Stadt Münster war damals überwiegend katholisch. Zu Kirchenbüchern als Quelle: Ohler, Norbert: Pfarrbücher als Quelle für den Historiker. Methoden und Möglichkeiten ihrer Erschließung dargestellt am Beispiel der Pfarrbücher von Hochdorf/Breisgau. In: Hampp, Irmgard; Assion, Peter (Hrsg.): Forschungen und Berichte zur Volkskunde in Baden-Württemberg 1974–1977, Band 3, Stuttgart 1977, S. 115–148, Bekker, Peter: Leben, Lieben, Sterben. Die Analyse von Kirchenbücher, St. Katharinen 1989, Drese, Volkmar: Kirchenbücher. Historischer Abriß und Benutzungshinweise. In: Ribbe, Wolfgang; Henning, Eckart (Hrsg.): Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt an der Aisch 11. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage 1995, S. 113–141, Oepen, Joachim: Personenstandsüberlieferung in katholischen Archiven, 2005, http://www.archive.nrw.de/dok/vortraege_bruehl/oepen_katharchive.pdf, Zugriff vom 27. Mai 2006. Zu dem Bearbeitungsvorgang ausführlicher Kapitel 2. 106 Siehe die Auflistung im Quellenverzeichnis unter Bistumsarchiv Münster (BAM). Zur Bearbeitung Kapitel 2.
2 Methode und Vorgehen Wissenschaftliches Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, dass die Methode des Projekts offen gelegt und das Vorgehen zum einen überprüft und zum anderen nachvollzogen werden kann.1 Besonders bei einer großen Datengrundlage ist es wichtig, eindeutig darzustellen, wie man von den ursprünglichen Angaben zu den endgültigen Resultaten gelangt ist. Daher soll im Folgenden erläutert werden, wie das vorliegende Material zusammengetragen, ausgewertet und mit welchen Methoden die vorgestellten Ergebnisse gewonnen wurden. Die Patientenjournale, die die Basis dieser Dissertation bilden, sind eine serielle Quelle.2 Für ihre Bearbeitung empfiehlt sich deswegen ein quantifizierendes Vorgehen mit Hilfe von statistischen Verfahren anhand einer Datenbank. Das bedeutet eine serielle Auswertung.3 Dieser statistische Zugang allein bliebe jedoch sehr „zahlenlastig“ und großteils abstrakt. Die Patientenperspektive, der Blick des Einzelnen, würde in den Datenmengen untergehen oder kaum zum Ausdruck kommen. Darum werden im Verlauf der Darstellung immer wieder qualitative Beispiele eingeflochten, wo dies anhand näherer Informationen zu den Patienten möglich ist.4 Diese Einzelschicksale verdeutlichen, dass hinter den quantitativen Angaben jeweils Individuen mit ihren eigenen, gleichsam einmaligen Erfahrungen und Leiden stehen. Auf diese Weise werden die generalisierenden Aussagen „belebt“ und die „individuelle“ Erfahrungswelt in gewissem Maß zugänglich gemacht. Die Ergebnisse dieser
1
2
3
4
Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit sind zwei Kriterien, die jede wissenschaftliche Arbeit ausmachen. Dies gilt genauso für die Geschichtswissenschaft. Druwe, Ulrich: Studienführer Politikwissenschaft, Neuried 2. Auflage 1994, S. 56–58. So Risse; Warner: Clinical Activities, S. 192. Zum Umgang mit Serien von Daten: Opgenoorth, Ernst; Schulz, Günther: Einführung in das Studium der Neueren Geschichte, Paderborn/München/Wien/Zürich 6. Auflage 2001, S. 130–145. Dies ist bei einer solchen erheblichen Datenmenge unumgänglich. Balster: Kortum, S. 85–86, Digby: Patient’s View, S. 291, Duffin: Langstaff, S. 5, Eckart; Jütte: Einführung, S. 183–184, Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 99–105, Michalowski, Arnold: EDV-unterstützte Edition homöopathiegeschichtlicher Quellen. In: MedGG 11 (1992), S. 219–227, Roilo: „Historiae Morborum“, S. 64, Vogl: Landpraxis, S. 166–167, Wulff, Henrik; Jungersen, Kirsten: A Danish Provincial Physician and His Patients. The Patient Records from the Practice of Christopher Detlev Hahn in Aarhus around 1800. In: Med. hist. Journ. 40 (2005), S. 321–345. Eine Einführung in die Statistik für Historiker bietet: Ohler, Norbert: Quantitative Methoden für Historiker. Eine Einführung, München 1980. Dass die zunehmende technische Entwicklung und die Erhöhung der Speicherkapazitäten sowie der Verarbeitungsgeschwindigkeit derartige historische Forschungen begünstigen oder überhaupt erst ermöglichen, versteht sich von selbst. Zu ähnlichen Vorgehen: Thümmler: Rekonstruktion, Baal: In Search. Ein Plädoyer für eine derartige „Multiperspektivität“: Medick, Hans: Mikro-Historie. In: Schulze, Winfried (Hrsg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1569), S. 40–53.
46
2 Methode und Vorgehen
Arbeit beruhen damit in erster Linie auf quantitativen Methoden der empirischen Sozialforschung, die auf die Vergangenheit angewendet wurden.5 Wie im Zusammenhang mit der Quellenlage erläutert, bildet nur eine Auswahl der mehr als 116 erhaltenen Patientenjournale die Datengrundlage des Forschungsprojekts. Diese Samples orientieren sich zum einen daran, dass die komplette Behandlungszeit Bönninghausens abgedeckt wird. Sie sind zum anderen so angelegt, dass verschiedene Phasen der Praxis erfasst werden. Sample 1 (S 1) reicht von 1829 bis 1833, umschließt also die Anfangszeit der homöopathischen Tätigkeit. Bönninghausen beschrieb diese in den Titeln seiner hierfür verwendeten Aufzeichnungen als „homöopathische Heilversuche“.6 Sample 2 (S 2), mit den Jahren von 1839 bis 1843, fällt in eine Zeit, in der Bönninghausen nicht offiziell praktizieren durfte, nachdem ihm dies 1836 untersagt worden war. Wie allein durch das Vorhandensein der Journale erkennbar ist, kam der Freiherr diesem Verbot nicht nach.7 Sample 3 (S 3) beginnt 1849, rund sechs Jahre nachdem Bönninghausen „per Kabinettsordre“ die Erlaubnis zur Ausübung der homöopathischen Praxis bekommen hatte. Es ist davon auszugehen, dass er in diesen Jahren eine fest etablierte und florierende Praxis hatte, der er sich hauptberuflich widmen konnte.8 Das vierte Sample (S 4) umfasst die Spätzeit der Praxis ab 1859. Da Bönninghausen im Januar 1864 gestorben ist, wurden auch die Patienten berücksichtigt, die bis zu seinem Todestag in die Praxis kamen.9 Bei letzteren ist aber sehr wahrscheinlich, dass schon der Sohn Friedrich, der später die Praxis übernahm, die Erstkonsultation durchführte.10
5
Schnell, Rainer; Hill, Paul; Esser, Elke: Methoden der empirischen Sozialforschung, München/Wien 6. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage 1999, explizit für die historische Forschung: Best, Heinrich; Schröder, Wilhelm: Quantitative historische Sozialforschung. In: Meier, Christian; Rüsen, Jörn (Hrsg.): Historische Methode, München 1988 (Theorie der Geschichte Beiträge zur Historik 5), S. 235–266 mit Anwendungsmöglichkeiten: Porter, Roy; Wear, Andrew (Hrsg.): Problems and Methods in the History of Medicine, London/New York/Sydney 1987. 6 Die Datengrundlage dieser Gruppe sind die Angaben aus den Journalen P 151, P 154 und P 155 im IGM. 7 Die Journale aus dieser Zeit tragen die Signaturen IGM P 34 bis P 56. Bönninghausen veröffentlichte während seines Praktizierungsverbotes sogar Aufsätze, in denen er seine Behandlungen schilderte. Beispielsweise Bönninghausen, Clemens von: Triduum homoeopathicum. In: ACS 19 (1842) Heft 3, S. 34–68. Hierzu Kapitel 7.7. 8 Die Krankenbücher mit den Signaturen IGM P 71 bis P 87 bilden hier die Erhebungsgrundlage. 9 Die entsprechenden Journale sind IGM P 102 bis P 116, letzteres wurde von Bönninghausen noch am 13. Januar 1864 begonnen. Sein Sohn Friedrich führte die Notizen nahtlos weiter. Es handelt sich um 52 Patienten im Jahr 1864. In den Tabellen im Anhang werden unter S 4 f die Angaben für diese Kranken extra aufgelistet. 10 Bönninghausen soll laut Aussage des Sohns noch am 23. Januar 1864 seiner Arbeit nachgegangen sein: Bradford: Pioneers, S. 177. Allerdings handelt es sich hier wohl um einen Übertragungsfehler, da Meyer: Manen, S. 94–95 vom 22. Januar spricht. Bönninghausen starb am 26. Januar 1864.
2 Methode und Vorgehen
47
Die vorliegenden Patientendaten aus den Journalen wurden in eine hierfür erstellte Datenbank aufgenommen, die sich an dem Gebot orientierte, so nahe an der Quelle wie möglich zu sein.11 Entsprechend den von Bönninghausen selbst entwickelten und später propagierten Vordrucken bildeten daher Journalnummer und Seite, Name, Vorname, Alter, Familienstand, Wohnort und Beruf, Angaben zur Erstanamnese und die Konsultationsdaten, Hinweise auf vorangegangene „allopathische“ Behandlungen und die Bemerkung, ob der Kranke persönlich erschienen war oder nicht, einzelne Kategorien. Bei diesen Feldern erfolgte die buchstaben- und zeichengetreue Transkription der Angaben aus den ursprünglichen Patientenbüchern.12 Im Hinblick auf die interessierenden Forschungsfragen wurden Felder ergänzt, die für die Strukturierung und die Auswertung der komplexen Daten nötig waren. Bei der Einführung dieser Rubriken wurde auf eine spätere Vergleichbarkeit der Daten mit Ergebnissen anderer Untersuchungen geachtet, weswegen sie sich in den Ausführungen häufig an den bereits ausgewerteten Krankenjournalen Samuel Hahnemanns orientierten.13 Bei diesen zusätzlichen Feldern handelte es sich um die Feststellung des Geschlechts und die Frage, ob ein Eigenberuf vorlag oder der Patient Kind14 war. Dazu kam eine Angabe zur sozialen Schichtzuordnung sowie zur Branche, in der die Person oder ihre männliche Bezugsperson15 beschäftigt war. Ferner gibt es ein weiteres Feld mit dem Namen „Bezeichnung“, in dem weitere Notizen Bönninghausens bezüglich des Patienten festgehalten werden konnten. Diese Felder stellten die Daten zur Verfügung, die für die erste Forschungsfrage, der Erstellung der „Sozialstruktur der Patienten“, relevant waren. Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage nach den Beschwerden, mit denen die Patienten zu Bönninghausen in die Behandlung kamen, war eine Strukturierung der Erstanamnesen notwendig. In diesem Zusam11 Becker: Leben, Lieben, Sterben, S. 47, Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 101. Eine Datenbank ist bei solchen Datenmengen unerlässlich. Im vorliegenden Fall wurde sie mit Hilfe des Programms FileMaker Pro erstellt. Entsprechend der Quellenvorlage ist sie daher patientenorientiert. Hierzu Vogl: Landpraxis, S. 167, Thümmler: Rekonstruktion, S. 14. 12 Zum Teil wurden weitere Angaben gemacht, um die Informationen zu strukturieren. Im Fall des Wohnortes die Notiz in Klammern, zu welcher Verwaltungseinheit der Ort heute gehört, bei der vorhergehenden „allopathischen“ Behandlung ein „ja“ oder „nein“ beziehungsweise „unbekannt“ durch Komma abgetrennt. Ebenso erfolgte eine Ergänzung bei der Information, ob der Patient persönlich erschienen war. 13 Die hier erstellten Datenbanken wären nicht einfach zu übernehmen gewesen, weil Bönninghausen seine Angaben in anderer Form führte und zum Teil mehr Informationen in eine Patientengeschichte aufnahm. Anleitung und Hinweise zur Transkription von Hahnemanns Werken bei: Michalowski, Arnold: Richtlinien zur Edition von HahnemannHandschriften (Stand 1997). In: MedGG 9 (1990), S. 195–204. Wichtige Hinweise aus: Vogl: Landpraxis, S. 174 und Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 28. 14 Als Kind wurden alle Patienten bezeichnet, deren Alter bis einschließlich 18 Jahren angegeben wurde. 15 Es handelt sich um Vater oder Ehemann. Hierzu Becker: Leben, Lieben, Sterben, S. 33.
48
2 Methode und Vorgehen
menhang erfolgte die Zuordnung der Angaben aus den Erstanamnesen zu einzelnen erwähnten Symptomgruppen. Die Nennung eines Krankheitsnamens wurde ebenso berücksichtigt. Die Klassifizierung der Krankheitssymptome orientierte sich an dem Leitfaden, den Bönninghausen für die Erstellung eines Krankheitsbildes empfohlen und publiziert hatte.16 Im Vorfeld wurde die Vergleichbarkeit zu bereits bestehenden Symptomklassen, wie sie im Zusammenhang mit der Auswertung von Hahnemanns Journalen Verwendung fanden, überprüft.17 Ausschlaggebend für die letztendlich große Anzahl von 50 Kategorien, war die Überlegung, dass eine nachträgliche Zusammenfassung der Klassen leichter sein würde, während eine spätere Differenzierung immer den größeren Arbeitsaufwand bedeutet hätte.18 Zudem erfolgte die Auswertung der Konsultationsdaten im Hinblick auf deren Anzahl, die Dauer der Behandlung und die Frequenz.19 Dies stellte die notwendigen Informationen zur Verfügung, die für die Beantwortung der dritten Forschungsfrage im Zusammenhang mit dem Verlauf einer Behandlung durch Bönninghausen bedeutend waren. Für die Entwicklung der gesamten Praxis war außerdem wichtig, dass in einem weiteren Feld die Zugehörigkeit eines Datensatzes zu den Gruppen und den einzelnen Jahren erkennbar war.20 16 Bönninghausen publizierte zwei solcher Anleitungen. Die spätere ist ausführlicher und differenzierter, weswegen sie als Grundlage herangezogen wurde. Bönninghausen, Clemens von: Kurze Anleitung zur Entwerfung eines vollständigen Krankheitsbildes behufs Homöopathischer Heilung, ohne Ort [nach 1829?] und derselbe: Diät und Entwerfung. Selbst Hahnemann verwendete diese Leitfäden: Jütte: Hahnemann, S. 160 und lobte sie außerordentlich: Stahl: Briefwechsel, S. 47. 17 Hier vor allem Varady, Helene: Die Pharmakotherapie Samuel Hahnemanns in der Frühzeit der Homöopathie. Edition und Kommentar des Krankenjournals Nr. 5 (1803– 1806), Band 2, München 1987 (Med. Diss.), S. 333 und Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 34. 18 Eine solche Strukturierung stellt eine gewisse Interpretation dar. Bei der Bildung möglichst einfacher und differenzierter Gruppierungen hält sich das Problem aber in Grenzen. Dazu: Bleker, Johanna: Die Krankenjournale des Juliusspitals als Quellen der Morbiditäts- und Mortalitätsverhältnisse. Theoretische, historische und bearbeitungstechnische Aspekte. In: Bleker, Johanna; Brinkschulte, Eva; Grosse, Pascal (Hrsg.): Kranke und Krankheiten im Juliusspital zu Würzburg 1819–1829. Zur frühen Geschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland, Husum 1995 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 72), S. 87. Ähnliche Überlegungen: Baschin, Marion: Sozial- und medizingeschichtliche Untersuchung einer württembergischen Oberamtsstadt im 19. Jahrhundert. Esslingen am Neckar, Stuttgart 2006 (MA Arbeit), S. 111. 19 Die Frequenz ergab sich als Quotient aus der Anzahl der Konsultationen und der Dauer der Behandlung multipliziert mit 12. 20 Die Sample wurden nummeriert in S 1, S 2, S 3 und S 4. Die Jahre wurden durch Buchstaben kenntlich gemacht. Beispielsweise ist 1829 das erste Jahr des Samples S 1, weswegen es mit S 1 a bezeichnet wurde. Die übrigen Jahre folgen in alphabetischer Reihenfolge. Eine monatliche Auswertung ist in der Datenbank selbst nicht mehr möglich. Abgefragt werden können aber die Daten einzelner Tage. Die Summierung der Konsultationsanzahlen wurde parallel zur Transkription durchgeführt. Die Ergebnisse sind den Tabellen 40 und 41 im Anhang zu entnehmen. Zu ähnlichen Problemen: Baal, Anne van:
2 Methode und Vorgehen
49
Da der weitere Verlauf der Behandlung nach der Erstanamnese nicht näher berücksichtigt wurde, bildete eine in gewissem Maß subjektive Bemerkung über den „Erfolg“ der Therapie den Abschluss der Eintragungen. Sofern Bönninghausen nicht bei späteren Konsultationen notierte, ob eine Besserung eingetreten sei, eine Verschlimmerung oder ob der Patient verstorben war, wurde ein „unbekannt“ eingefügt und bemerkt, ob der Patient den Freiherrn eventuell wegen verschiedener Beschwerden erneut aufsuchte. Die Frage der Medikation und Dosierung wurde hingegen völlig ausgeklammert. Als nützlich erwies sich zuletzt das allgemeine Feld „weitere Bemerkungen“, in dem zum einen Schlagworte21 eingefügt wurden, um besondere Vorkommnisse bei der Behandlung zu erfassen, und zum anderen Quellenangaben notiert wurden, sofern in den weiteren Recherchen zusätzliche Angaben zu den entsprechenden Patienten erschlossen werden konnten. Die Art der Quelle führte jedoch dazu, dass mit den Originaldaten Veränderungen vorgenommen werden mussten, um sie zu einer auswertbaren „künstlichen Quelle“22 zu machen. Dies liegt auch an Bönninghausens Art der Journalführung, die sich im Verlauf seiner Praxistätigkeit änderte. Clemens Maria Franz von Bönninghausen begann spätestens 1829 mit Behandlungen. Deren Verlauf und die ausführlichen Anamnesen notierte er in einem Folioband, dem er den Titel „Homöopathische Heilungs-Versuche“ gab.23 Dieses Journal beginnt mit der Behandlung der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff im September 1829. Das Buch umfasst 95 Patienten. Diese Aufzeichnungen sind in ähnlicher Weise geführt wie die späteren Journale. Zunächst erfolgen die Angaben zur Person, dann ein ausführliches Krankheitsbild und der weitere Verlauf der Behandlung. Da es sich allerdings um den Anfang der Praxis handelt, hatte Bönninghausen sich noch keine Vordrucke anfertigen lassen.
Homoeopathy in Nineteenth-Century Flanders. The Patients of Ghent Homoeopath Gustave A. van den Berghe (1869–1902). In: Dinges: Patients, S. 243. 21 Bei den Schlagworten handelt es sich um Abstraktionen, die sich im Zusammenhang mit einem zu bearbeitenden Themenkomplex aufdrängten. Dies waren: Gynäkologie, Ursachen, Patientenverhalten, Allopathie, Vorerkrankungen, Familie und Kurioses. Für weitere Auswertungen dieser Informationen mussten die entsprechenden Datensätze in Exceltabellen übertragen und hier die Differenzierungen vorgenommen werden. 22 Der Begriff bei: Bleker, Johanna: Patientenorientierte Krankenhausgeschichtsschreibung. Fragestellung, Quellenbeschreibung, Bearbeitungsmethode. In: Bleker, Johanna; Brinkschulte, Eva; Grosse, Pascal (Hrsg.): Kranke und Krankheiten im Juliusspital zu Würzburg 1819–1829. Zur frühen Geschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland, Husum 1995 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 72), S. 22. Bisweilen wird auch von einer „Metaquelle“ gesprochen: Wichmann: Wohnen, S. 9. 23 Dies ist P 151 im IGM. Das Journal ist 21 Zentimeter breit und 31,5 Zentimeter hoch. „Spätestens“ deswegen, weil Bönninghausen in seinem Werk: Die Aphorismen des Hippokrates nebst den Glossen eines Homöopathen, Leipzig 1863, S. 477–478 in der Fußnote angab, er habe die Droste bereits im Winter 1828/29 behandelt.
50
2 Methode und Vorgehen
Dann ist ein kleineres Buch verloren gegangen, das die Patienten von Februar bis Juli 1830 umfasste.24 Dieses Journal war vermutlich bereits in Kalenderform geführt worden. Denn die beiden nachfolgenden Bücher sind ebenfalls, im Gegensatz zu den ersten Aufzeichnungen, in Kalenderform.25 Anstatt also der Behandlung eines Patienten eine ganze Seite zu widmen, wurden für einen Tag die durchgeführten Konsultationen notiert. Die Angaben zu den einzelnen Patienten sind daher entsprechend kurz. Warum Bönninghausen nach dem ersten Buch seine Aufzeichnungsart änderte, ist nicht bekannt. Eventuell wollte er verschiedene Möglichkeiten testen, Hahnemann führte seine Journale schließlich auch in einer solchen Form.26 Es könnte aber auch sein, dass es für ihn im Zusammenhang mit seiner eigentlich nebenberuflich ausgeübten Praxis einfacher war, diese knappere Aufzeichnungsform zu übernehmen. Zumal er auf diese Weise immer nur ein Buch mit sich führen musste und nicht darauf angewiesen war, eine stetig anwachsende Menge von Journalen zu transportieren. Für die weiteren Auswertungen bedeutete dies, dass zunächst die Journale transkribiert und nachher mit Hilfe des Registers die einzelnen Behandlungsverläufe zusammengefasst werden mussten.27 In diesem Zusammenhang er24 Bönninghausen nennt dieses Buch in der Übersicht über seine Journale in IGM P 152, nicht paginiert. Hier ist angegeben: „In 8vo von 1830 27. Feb. bis 1830 30. Juni“. Diese Notiz spricht ebenfalls für die Gliederung des Journals in Kalenderform. Dieser Oktavband ist verloren gegangen, zumindest ist er nicht im IGM erhalten. Laut Aussage von Herrn Prof. Dr. Martin Dinges, Stuttgart, vom 2. August 2007. 25 Es handelt sich um IGM P 154: Tagebuch für die homöopathische Praxis. Angefangen am 1. Julius 1830, beendigt den 31. December 1833 [richtig: 1832] und P 155: Homöopathische Heilversuche angefangen den 1. Januar 1833. Dieses verwendete er bis zur Umstellung auf das erste vorgedruckte Journale P 1 ab 21. April 1835. 26 Siehe die bereits erschienen Transkriptionen einiger Journale Hahnemanns. Erst in der Pariser Zeit waren die Behandlungsnotizen Hahnemanns nach Patienten gegliedert. Jütte: Patientenschaft, S. 29. Zu den französischen Journalen die beiden bereits durch Michalowski transkribierten Werke DF2 und DF5. Auch der Bochumer Arzt Kortum führte sein Buch 1805 in Tagebuchform: Balster: Kortum, S. 84. Der Arzt Ottenthal hatte hingegen ein „gemischtes“ System, in dem er jahresweise jeweils die Angaben zu einzelnen Patienten sammelte: Roilo: Historiae Morborum, S. 59–60. Auch das Manuskript aus der frühen Praxiszeit des Arztes Hallers enthält sowohl chronologische als auch patientenbezogene Aufzeichnungsformen. Boschung, Urs: Albrecht Haller’s Patient Records (Berne 1731–1736). In: Gesnerus 53 (1996), S. 7. Zu Haller Steinke, Hubert: Der junge Arzt und seine Patienten. Albert von Hallers Praxis in Bern 1731–1736. In: Dietrich-Daum; Dinges; Jütte; Roilo: Arztpraxen, S. 79–86. 27 Der Registerband für P 154 ist das Namens-Verzeichnis der homöopathisch behandelten Kranken vom 1. Julius 1830 anfangend mit der Signatur P 153. Für die Patienten des Jahres 1833, die aus P 155 übernommen wurden, gab es kein gesondertes Register. Deswegen mussten nach erfolgter Transkription die einzelnen Behandlungsverläufe ohne Hilfe zusammengefügt werden, da anhand der Register nicht ersichtlich war, welche Patienten nur in diesem Jahr verzeichnet wurden. Aber Bönninghausen unterliefen auch Fehler in dem Register und er notierte Seitenzahlen falsch oder vergaß Patienten. Weitere Registerbände sind P 152 und der später angelegte Band für die gesamten Praxen von Vater und Sohn P 150, alle in IGM. Vor diesem Problem stehen alle Arbeiten, die sich mit einem in
2 Methode und Vorgehen
51
gaben sich erste Überschneidungen und Doppelnennungen von Patienten, die in dem ersten Buch P 151 erwähnt wurden und die auch im Jahr 1830 und später in Bönninghausens Behandlung waren. Diese Überschneidungen wurden bereits nach der kompletten Aufnahme des ersten Samples zusammengefügt, da es sich um eine offensichtliche und sehr überschaubare Menge handelte. Bönninghausen vermerkte zudem bei der Fortsetzung der Konsultationen ab Juli 1830, wenn ein Patient aus dem ersten Journal erneut zu ihm kam, was die Zusammenführung der Behandlungsverläufe vereinfachte.28 Allerdings bedeutet die Aufzeichnungssituation, dass von den meisten Patienten des ersten Samples die Konsultationsdaten nur bis 1833 aufgenommen werden konnten. Denn das Jahr 1834 und der Anfang des Jahres 1835 liegen noch in der Kalenderform geführten Weise vor und wurden daher nicht transkribiert. Es wäre auch ein zu großer Aufwand gewesen, die weiteren Aufzeichnungen aus P 155, das diesen Zeitraum umfasst, abzuschreiben, um nachher nur die Behandlungsverläufe der Patienten herauszufiltern, die bereits vor 1834 Bönninghausen konsultiert hatten. Ab April 1835 führte der Freiherr seine Aufzeichnungen in der später bekannten Weise der Krankenjournale mit Hilfe von Vordrucken, wobei sich dieser im Lauf seiner Praxis geringfügig änderte.29 So war der gesamte Behandlungsverlauf eines Patienten in einem Buch auf einer Seite, beziehungsweise im Fall einer längeren Behandlung auf den anschließenden Seiten, zu finden.30 Dieser Wechsel in der Notizführung dürfte mit dem Vorhaben zusammenhängen, für die bis dahin unentgeltlich geführte Praxis Honorar zu verlangen.31 Für die Auswertung der Journale ergaben sich daraus weitere Probleme. Patienten, deren Behandlungen Bönninghausen in den früheren Büchern notiert hatte, bekamen nun eine eigene Seite in den neuen Journalen, wenn sie ihn nach 1835 konsultierten. Doch waren sie dann keine „Erstpatienten“ mehr, was der Homöopath aber nicht ausdrücklich vermerkte. So kam es, zunächst unbewusst, in den folgenden Gruppen zu Doppelnennungen von Kranken, die bereits im ersten Sample aufgeführt worden waren. Nach der Transkription aller Daten aus den Journalen wurden daher die auffindbaren Überschneidungen aussortiert, indem die zwei Patientenkarten ein- und desselben Kranken zu einem Datensatz zusammengefügt wurden. Hierfür wurden alle Patienten des ersten Samples mit Hilfe des allgemeinen
28
29 30 31
Tagebuchform verfassten Patientenjournal beschäftigen. Dies gilt für die Journale Hahnemanns, deutlich weist Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 29 darauf hin, oder für die Praxis Ottenthals: Roilo: Historiae Morborum und Kortums: Balster: Kortum. Solche Verweise finden sich interessanter Weise aber nicht auf das verloren gegangene Buch. Eventuell wurden die Konsultationen der Patienten aus dem ersten Buch während der Zeit bis Juli 1830 weiterhin dort notiert und nur neue Patienten in das heute fehlende Buch eingetragen. Die Vordrucke sind ab IGM P 33 differenzierter. Hierzu die Beschreibung der Quelle in Kapitel 1.2. So führte auch der belgische Homöopath van den Berghe seine Journale: Baal: Homoeopathy, S. 243. Die Meldung in Westfälischer Merkur vom 6. Februar 1835.
52
2 Methode und Vorgehen
„Alphabetischen Patientenregisters“ zu den Krankenjournalen nachgeschlagen.32 Nach einer solchen Überprüfung stellte sich entweder heraus, dass der Patient nach 1835 nicht mehr erschienen war, oder es wurde deutlich, dass der Patient eine eigene Seite in einem der neueren Journale erhalten hatte. Dabei gab es wiederum die Möglichkeiten, dass die folgende Behandlung entweder im Rahmen der bereits erfassten Bücher lag. In einem solchen Falle wurden die zwei vorhandenen Karten der Datenbank zu einer zusammengefügt. Oder zum Zweiten, dass das erneute Erscheinen in einem Jahr erfolgte, das nicht zu dem ausgewählten Untersuchungszeitraum gehörte. Dann wurde die Folgebehandlung in die bereits vorhandene Karte ergänzt. Dieser Aufwand war deswegen aufschlussreich, weil Bönninghausen in den späteren Journalen konsequenter Wohnort, Alter und Beruf festhielt, was im Fall der Kalenderaufzeichnungen nur selten geschah. Dies bedeutet trotzdem, dass in den solchermaßen ergänzten oder zusammengefügten Behandlungsverläufen die Konsultationen zwischen 1834 und den ersten Monaten des Jahres 1835 fehlen, sofern der Kranke in dieser Zeit Bönninghausen konsultiert hatte.33 Es kam nicht nur im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Journalführungen zu Überschneidungen. Denn die Form der Aufzeichnungsart je Patient hatte, trotz Verwendung des Registers und des sehr guten Gedächtnisses des Freiherrn, ihre Tücken. Ab und zu notierte Bönninghausen selbst, dass ein Patient bereits bei ihm gewesen sei.34 Im Fall einer solchen Bemerkung wurde in der Datenbank überprüft, ob der entsprechende Patient schon notiert worden war. Traf dies zu, wurden die Datensätze zusammengelegt. Gelegentlich konnte auch Bönninghausen seine Notizen nicht mehr auffinden35 oder er bemerkte später eine Doppelnennung36. Auch dies führte zur Verbindung der beiden Karten. Ursprünglich umfasste die Datenbank 14.328 Datensätze.
32 Dies ist IGM P 150: Alphabetisches Patientenregister zu Bönninghausens Krankenjournalen, Clemens und Friedrich von Bönninghausen. Falls nur ein Name enthalten ist, erschien der Patient nur in der Zeit vor 1835. Kam der Kranke erneut in Behandlung, notierte Bönninghausen Journalnummer und Seite nach dem Namen. 33 Bei der Angabe der Konsultationszahlen und der Berechnung der Frequenz wurde dies durch eine Klammer beziehungsweise einen Stern deutlich gemacht. 34 Dies sind 33 Fälle. In acht Fällen steht in diesen Angaben jedoch ein von Bönninghausen notiertes „angeblich“ dabei, womit er selbst Zweifel zum Ausdruck brachte, dass der Patient schon einmal da gewesen sei. Wenn Bönninghausen Angaben machte, wann diese frühere Konsultation stattgefunden haben sollte, wurde dies überprüft. Jedoch konnte nur selten eine frühere Konsultation auf diese Weise bestätigt werden, zumal es sich häufig um Behandlungen in der frühen Kindheit oder Jugend handelte. Beispielsweise „von“ oder „bei mir“ in IGM P 85 Fol. 131, P 87 Fol. 146, P 103 Fol. 301 oder P 114 Fol. 324. 35 Beispielsweise der Patient van Es in IGM P 86 Fol. 267, der P 87 Fol. 88 erneut notiert wurde mit den Worten: „Will mich mündlich gesprochen und von mir Pulver erhalten haben; doch finde ihn nicht und kann auch keinen anderen Namen daraus lesen!“, auch IGM P 73 Fol. 43. 36 So IGM P 49 Fol. 166.
2 Methode und Vorgehen
53
Nach Zusammenlegung aller Doppelnennungen bildeten 14.266 Patienten und ihre Angaben die Grundlage der weiteren Auswertungen.37 Bereits zu Beginn der Transkriptionsarbeit war ersichtlich, dass Clemens Maria Franz von Bönninghausen nicht so konsequent alle sozialen Angaben seiner Patienten notierte, wie er dies in seinem Vordruck suggerierte. Vor allem bei den frühen Aufzeichnungen erfährt man in den allermeisten Fällen nur den Namen des Kranken. Sogar eine ausführliche Diagnose fehlt hier sehr oft.38 Da die Angaben nicht für alle Patienten vollständig waren und zudem kaum auf eine Familienzusammengehörigkeit einzelner Kranken geschlossen werden konnte, wurde in weiteren Forschungsarbeiten versucht, diese Daten zu ergänzen.39 Dies war bei einer Gesamtmenge von mehr als 14.000 Personen nicht für alle möglich. Daher wurde die Einschränkung getroffen, nur für die Patienten, deren Wohnort mit Münster oder den heute eingemeindeten umliegenden Orten angegeben worden war, nähere personenbezogene Angaben zu recherchieren. Der damit eingegrenzte Kreis war mit rund 3.560 Kranken aber die größte Gruppe, die einem Wohnort zugeordnet werden konnte.40 Die Recherche vor Ort konzentrierte sich im Wesentlichen auf gängige historische Quellen für die Personengeschichte. Dies waren die Kirchenbücher im Bistumsarchiv Münster, da die überwiegende Mehrheit der Münsteraner im 19. Jahrhundert katholisch war, und die Personenkartei Ferdinand Theissing sowie die Einwohnermeldekartei im Stadtarchiv Münster.41 Diese Quellen überschnitten sich zum Teil, ergänzten sich jedoch auch, da Informa37 Die 61 Doppelnennungen verteilten sich wie folgt: S 1: vier, S 2: 36, S 3: elf, S 4: zehn. Eine weitere Karte wurde ausgeschlossen, da sie versehentlich aufgenommen worden war, obwohl der Patient erst nach Bönninghausens Tod zum Sohn in die Behandlung kam. Weitere Doppelnennungen können zweifelsohne enthalten sein, sind jedoch nicht mit der nötigen Sicherheit nachzuweisen, weswegen auf eine Vereinigung der Karten verzichtet, aber ein entsprechender Vermerk in die Datensätze einfügt wurde. De facto hat Bönninghausen in der untersuchten Zeit aber mehr Kranke behandelt, denn in manchen Fällen wurde die Ausgabe weiterer Medikamente an andere Kranke einfach notiert, ohne dass der Betroffene eine eigene Seite erhielt. Außerdem notierte der Freiherr die Behandlung von Geschwisterkindern häufig auf einer Karte. Soweit die Patienten sicher zu unterscheiden waren, wurden diese Fälle in verschiedene Datenbankeinträge getrennt. Das Problem Patienten nicht sicher identifizieren zu können ergibt sich auch in den Krankenjournalen Hahnemanns: Papsch, Monika: Krankenjournal D38 (1833–1835). Kommentarband zur Transkription, Stuttgart 2007, S. 25. 38 Bei 138 Kranken fehlte eine Diagnose. 39 Ein vergleichbares Vorgehen auch bei Balster: Kortum, S. 88, Baal: In Search, S. 112. 40 Bei 3.559 Patienten (24,9 %) konnte im Vorfeld die Zuordnung Münster getroffen werden. 41 Im Jahr 1813 waren 95,8 % der Münsteraner Bevölkerung katholisch. Dieser Anteil ging bis 1913 auf 80,6 % zurück. Um 1863 waren aber noch immer 90,03 % der Bevölkerung katholisch, 8,62 % evangelisch und 1,35 % jüdischer Konfession: Wichmann: Wohnen, S. 17, Teuteberg: Materialien. Die Kirchenbücher der einzelnen Pfarreien in Münster sind im Bistumsarchiv einsehbar, die Nennungen im Quellenverzeichnis. Die „Personenkartei Ferdinand Theissing“ bildet einen eigenen, mittlerweile digitalisierten Bestand im StdAM.
54
2 Methode und Vorgehen
tionen zu verschiedenen Patientengruppen in unterschiedlich gutem Maß in den einzelnen Beständen recherchiert werden konnten. In Kirchenbüchern werden Angaben zu den zentralen Lebensstationen der Menschen, Geburt beziehungsweise Taufe, Heirat und Tod, festgehalten.42 Häufig enthalten sie die einzigen greifbaren Informationen über den „kleinen Mann“ der Vergangenheit.43 Um den Arbeitsaufwand für die vorliegende Untersuchung in durchführbaren Grenzen zu halten und die zur Verfügung stehende Zeit effektiv zu nutzen, wurde der Kreis der Münsteraner Patienten weiter eingegrenzt auf diejenigen Personen, für die eine Nennung in den Kirchenbüchern am wahrscheinlichsten war. Denn Münster war eine Stadt mit einer hohen Zuwanderungsquote, so dass viele erwachsene Patienten, die zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns in Münster wohnten, nicht auch dort geboren sein mussten.44 Ferner ist für die Schichtzuordnung eines Erwachsenen deren eigener Beruf aussagekräftiger als der der Eltern und nur diesen hätte man in den Taufeintragungen eventuell finden können. Zudem lag die Vermutung nahe, dass erwachsene Personen eher in der Einwohnermeldekartei erfasst sein würden, während Kinder hier häufig nicht zuverlässig eingetragen worden waren. Bei Kindern war die Wahrscheinlichkeit, einen Taufeintrag in den Münsteraner Kirchenbüchern zu finden, wiederum größer. Daher wurden aus der Menge der Patienten aus der Stadt und deren Umgebung zum einen die Namen der Kinder in der alphabetisch sortierten „Sippenkartei“ recherchiert.45 Diese umfasst die Namen aller in den Kirchenbüchern der Stadt Münster genannten Personen, sortiert nach der Art der sakralen Handlung. Bei den Kindern wurde durch Rückrechnung der Zeitraum der Taufe ermittelt und diese dann in den entsprechenden Kirchenbüchern nachgeschlagen. Für die Kinder aus den heute eingemeindeten Orten wurden die Taufen direkt in den entsprechenden Kirchenbüchern gesucht, weil kein Register oder ein ähnliches Zugangsinstrument zur Verfügung stand.46 Zum anderen wurden mit 42 Für die katholische Kirche setzt diese Überlieferung zum Teil schon im 16. Jahrhundert ein: Becker: Leben, Lieben, Sterben, S. 15. 43 Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 11 und S. 18–20. Inwieweit es mit diesen spärlichen Informationen dennoch möglich sein kann, dem Leben eines unbekannten Menschen auf die Spur zu kommen, belegt eindrücklich: Corbin, Alain: Auf den Spuren eines Unbekannten. Ein Historiker rekonstruiert ein ganz gewöhnliches Leben, Frankfurt am Main/New York 1999. 44 Teuteberg: Materialien, S. 16 und derselbe: Bevölkerungsentwicklung, S. 366. Bei einigen Patienten vermerkte Bönninghausen auch, dass sie nun zwar in Münster wohnten, aber aus einem anderen Ort stammten. 45 Diese „Sippenkartei“ wurde in den 1930er Jahren angelegt. Sie bildet bis heute die einzige alphabetische Zugangsmöglichkeit zu den Kirchenbüchern der Pfarreien in Münster und ist daher das alleinige Rechercheinstrument, um eine einzelne Personen in diesen Kirchenbüchern aufzuspüren. Bei den dort erfassten Pfarren handelt es sich um: St. Aegidii, St. Pauls Dom, St. Lambertii, Liebfrauen, St. Ludgerii, St. Martini, St. Servatii und St. Mauritz. Es wurden die Namen von knapp 1.270 Kindern nachgeschlagen. 46 Dies betraf die Pfarreien der Orte Albachten, Amelsbüren, Angelmodde, Handorf, Nienberge, Roxel und Wolbeck. Das Kirchenbuch der Gemeinde Hiltrup wurde noch nicht an das BAM abgegeben. Taufen aus den Gemeinden Gievenbeck, Kinderhaus und Meck-
2 Methode und Vorgehen
55
Hilfe der „Sippenkartei“ und in den entsprechenden Büchern der Teilorte, alle Namen der Kranken nachgeschlagen, bei denen Bönninghausen ein Todesdatum angegeben hatte.47 Hier war ebenfalls das Auffinden einer Kirchenbuchnotiz relativ sicher. Im Stadtarchiv Münster stellte sich heraus, dass die Unterlagen des Einwohnermeldewesens wenig ergiebige Quellen waren. Es ist nicht ersichtlich, nach welchen Erfassungskriterien die Bevölkerung aufgenommen wurde. Auch eine Kontinuität der Register besteht nicht.48 Die Stadt war bis in das 19. Jahrhundert in „Leischaften“ als Verwaltungseinheiten gegliedert und innerhalb dieser in Leischaftsnummern. Problematisch ist ferner, dass die alphabetischen Listen, welche die Recherche nach einzelnen Personen in den Leischaftsbüchern erleichtern sollen, nicht vollständig sind und durch Brandspuren weitere Informationsverluste vor allem in den hinteren Buchstaben aufweisen. Ebenso sind viele der Leischaftsbücher in einem Brand verloren gegangen.49 Von größerem Nutzen war dagegen die so genannte „Personenkartei Ferdinand Theissing“. Im Lauf seines Lebens hat Theissing eine „Riesenkartei über Münsters Einwohner von der Zeit des Dreißigjährigen Krieges bis zum Jahre 1874“ zusammengetragen.50 Sie umfasst etwa 30.000 Familienkarten und zusätzliche Einzelkarten. Als Quellen verwendete er laut eigenen Angaben offizielle Dokumente, wie Kirchenbücher, Bürgerlisten, Einquartierungslisten, alte Musterungsrollen, Hof- und Adresskalender, Familienanzeigen aus der Zeitung, Militäreinziehungslisten, Verzeichnisse über Stiftungen, Armenhäuser und Wohltätigkeitseinrichtungen und Bevölkerungsregister.51 Problematisch ist, dass er auf den einzelnen Karten nicht angab, woher genau die entsprechenden Informationen stammen. Deswegen ist die Kartei mittlerweile selbst zu einer Quelle geworden, da die Angaben nicht mehr nachgeprüft werden können. Die einzelnen Informationen müssen kritisch betrachtet werden, da Theissing Fehler und Unklarheiten unterliefen. Und obwohl er sicherlich einen großen Teil der Münsteraner Bevölkerung in seinen Karteikarten erfasste, enthält die Sammlung bei weitem nicht Angaben zu jedem einzelnen Bürger. Auffällig war, dass bei manchen Familien einzelne Kinder nicht eingetragen waren. Auch sind nicht für jede erwähnte Person gleichermaßen alle sozialen Daten vermerkt. Häufig fehlen beispielsweise Geburts- oder Sterbejahr und Berufsangaben.
47 48 49
50 51
lenbeck wurden zum Teil in einer der städtischen Pfarren durchgeführt und sind daher in der „Sippenkartei“ erfasst. Dies waren 97 Patienten aus Münster. Ausführlicher: Wichmann: Wohnen, S. 12–13. Nach Auskunft des Stadtarchivs im Zuge der Recherchen ab Januar 2008. Der Bestand StdAM Statistische Sachen Fach 16, Nr. 8a: Einwohner-Register-Verzeichnisse 1800– 1900. Artikel in der Westfälischen Tageszeitung vom 10. November 1940. Er liegt der Kartei im StdAM bei. Diese Angaben machte Ferdinand Theissing in einem Interview, das die Grundlage des Artikels in der Westfälischen Tageszeitung am 10. November 1940 bildete.
56
2 Methode und Vorgehen
Aus diesen beiden personenbezogenen Quellen des Stadtarchivs wurde hauptsächlich versucht, die fehlenden sozialen Angaben zu den Patienten aus Münster zu ergänzen. Hierbei wurde sorgfältig darauf geachtet, dass eine Übereinstimmung von Name und Alter bestand. Bei letzterem musste jedoch eine gewisse Varianz eingeräumt werden. Zum einen könnten die Informationen von Theissing bezüglich des Geburtsjahres falsch sein. Zum anderen können die Altersangaben in den Journalen Bönninghausens fehlerhaft sein. Besonders im Fall von Kindern, aber auch bei anderen Patienten, können die Angaben ungenau oder aufgerundet wiedergegeben worden sein. Dies ist gerade dann zu vermuten, wenn der Patient gar nicht selbst beim Arzt erschien, sondern mittels eines Boten Kontakt aufnahm. In beiden Fällen ist nicht mehr überprüfbar, wessen Angabe richtig ist. Das Verfahren der Ergänzung birgt zwar gewisse Unsicherheiten, ist jedoch der einzige mögliche Weg, um die sozialstrukturellen Daten zu recherchieren. Die jeweiligen zusätzlichen Informationen wurden als solche kenntlich gemacht und in dem Feld „Zusätzliche Bemerkungen“ die jeweilige Quellenangabe eingefügt. Die näheren personenbezogenen Details wurden nur übernommen, wenn eine Identität in höchstem Maß wahrscheinlich war.52 Weitere aufschlussreiche Informationen enthielten in anderen Zusammenhängen entstandene Arbeiten, die biographische Angaben zu bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie preußischen Verwaltungsbeamten, leitenden Angestellten oder Angehörigen des Klerus nannten.53 Zu erwähnen ist auch die 52 Dies bezieht sich auf die Identität des Namens von Patient und Person in den Quellen und im Zusammenhang mit dem Alter auf eine Kulanz von plus/minus einem Jahr. Ein ähnliches Vorgehen bei: Balster: Kortum, S. 88. 53 Bramkamp, Heinrich: Die Domvikare. In: Schröer, Alois (Hrsg.): Das Domkapitel zu Münster 1823–1973. Aus Anlaß seines 150jährigen Bestehens seit der Neuordnung durch die Bulle „De salute animarum“ im Auftrag des Domkapitels, Münster 1976, S. 441–455, Helmert, Friedrich: Die residierenden Domkapitulare. In: Schröer, Alois (Hrsg.): Das Domkapitel zu Münster 1823–1973. Aus Anlaß seines 150jährigen Bestehens seit der Neuordnung durch die Bulle „De salute animarum“ im Auftrag des Domkapitels, Münster 1976, S. 352–409, Richtering, Helmut: Die Nachlässe der Gebrüder Droste zu Vischering. Erbdroste Adolf Heidenreich (1769–1826), Bischof Caspar Max (1770–1846), Domherr Franz Otto (1771–1826), Erzbischof Clemens August (1773–1845), Münster 1986 (Westfälische Quellen und Archivverzeichnisse 12), Walter: Beamtenschaft, Wegmann, Dietrich: Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen 1815–1918, Münster 1969 (Geschichtliche Arbeiten zur Westfälischen Landesforschung Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Gruppe 1), Westphalen, Ruth von; Wollheim, Ulrich (Hrsg.): Werner von Haxthausen. Westfälischer Freiherr und bayrischer Graf im Briefwechsel mit seinen Geschwistern. Familienbriefe aus den Jahren 1825 bis 1850, Münster 1998 (Kleine Rüschhaus-Edition VI). Hingegen waren die beiden bereits existierenden Häuserbücher für die Stadt Münster keine große Hilfe, weil dort nur Hausbesitzer, aber nicht deren Familienangehörige erwähnt wurden und die Adressen der Patienten nicht bekannt waren. Die Bücher sind: Kirchhoff, Karl-Heinz: Der Prinzipalmarkt mit Michaelisplatz, Gruetgasse, Syndikatgasse und Syndikatplatz. Häuserbuch der Stadt Münster, Band 1, Münster 2001 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 20/1) und Jarnot, Sabine: Die Salzstraße mit Lambertikirchplatz, Hölzernes Wams, Bolandsgasse, Winkelstraße, Arztkarrengasse, Servatiikirchplatz, Klei-
2 Methode und Vorgehen
57
Sammlung Spiessen, ein genealogisches Überblickswerk zum westfälischen Adel.54 Aus diesen Werken wurden weitere wichtige Angaben zu einzelnen Personen ergänzt. Ferner wurden die Personalverzeichnisse der Universität eingesehen.55 Im Zuge der hier beschriebenen Arbeitsschritte entwickelte sich so von der anfänglichen Transkription der Aufzeichnungen aus den Patientenjournalen die Arbeitsdatenbank als „künstliche Quelle“, die die Grundlage für die nachfolgend präsentierten Ergebnisse bildet.56 Sie umfasst die Geschichten von 14.266 Patienten, deren Beschwerden und Behandlungsdaten. Inwieweit Angaben zu den einzelnen sozialen Merkmalen vorliegen und welche Datensätze im Zusammenhang mit der Beantwortung der einzelnen Forschungsfragen zusammengestellt wurden, wird jeweils in den entsprechenden Teilkapiteln erläutert.
boltengasse und Loergasse. Häuserbuch der Stadt Münster, Band 2, Münster 2001 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 20/2). 54 Hier sind die Bedenken ähnlich wie im Zusammenhang mit der Personenkartei Theissing. Es wurden daher dieselben Standards verwendet: Sammlung Spiessen, 46 Bände, in StAM und Archivamt. Mit wenig Erfolg wurde auch das Genealogische Handbuch des Adels herangezogen. Der Index hierzu Hueck, Silve-Maria von: Genealogisches Handbuch des Adels. Gesamtverzeichnis der Bände 1–127, Limburg an der Lahn 2002. 55 Es gab einige Professoren und Studenten unter den Patienten Bönninghausens. Allerdings konnten nur wenige Informationen durch diese Verzeichnisse recherchiert werden. Die Verzeichnisse der Behörden, Lehrer, Beamten, Institute und sämmtlicher Studirenden auf der Königl. Theologischen und philosophischen Akademie zu Münster sind ab 1844 bis 1870/71 im Universitätsarchiv Münster überliefert. 56 Zu dem Begriff: Bleker: Krankenhausgeschichtsschreibung, S. 22. Die Datenbank ist im IGM als elektronische Ressource hinterlegt und für wissenschaftliche Nachforschungen einzusehen.
3 Rahmenbedingungen In dieser Arbeit stehen kranke Menschen im Mittelpunkt. Um sie und die Praxis, in die sie eingebunden waren, besser verstehen und einordnen zu können, muss geklärt werden, in welchem Rahmen sich die Behandlung abspielte. Hierzu gehört zum einen der aufgesuchte „Arzt“, im vorliegenden Fall der Laienhomöopath Clemens Maria Franz von Bönninghausen. Zum anderen muss die Art der Heilmethode charakterisiert werden. Im Zusammenhang mit der Homöopathie ist dies auch deswegen sinnvoll, weil ihr Krankheitsverständnis und die Art und Weise der Behandlung und des Umgangs mit den Erkrankten Auswirkungen auf die Aufzeichnungsart haben. Dadurch wurden die Quellengrundlage und die auszuwertenden Informationen wesentlich beeinflusst. Ferner gehört zu den Rahmenbedingungen die räumliche Umgebung der Praxis, aus der natürlicherweise ein Großteil der Patientenschaft stammte. Dies ist im weitesten Sinn die Provinz Westfalen und aus dieser die kleinere Verwaltungseinheit des Regierungsbezirks Münster. In letzter Ebene ist es die Stadt Münster selbst, als der Ort, an dem Bönninghausen hauptsächlich seine Praxis führte. In den folgenden Teilkapiteln werden daher der Freiherr, die Homöopathie sowie die Stadt Münster und die von ihr aus verwaltete Provinz Westfalen vorgestellt. Hierbei gliedert sich die Beschreibung der Umgebung in einen kurzen allgemeinen Überblick mit Schwerpunkt auf der sozialen und wirtschaftlichen Lage und in die Darstellung der medizinischen Situation und des Gesundheitszustandes. 3.1 Clemens Maria Franz von Bönninghausen – Der Homöopath Im Folgenden gilt es, den Mann zu charakterisieren, dessen Patienten im Zentrum dieser Arbeit stehen.1 Denn dass Clemens von Bönninghausen ab 1829 lindernd und heilend tätig sein würde, war in seinem beruflichen Werdegang nicht vorgesehen. Gleichwohl prägen die Art und Weise, wie er zur Homöopathie fand und wie es ihm, zunächst neben seiner eigentlichen Tätigkeit, möglich war, die Praxis zu führen, deren Umfang und den Umgang mit den Hilfesuchenden. Geboren wurde Clemens Maria Franz von Bönninghausen im März 1785 auf Gut Herinckhaven, dem Haus seiner Eltern bei Tubbergen in den Niederlanden. Sein genaues Geburtsdatum ist umstritten, die Taufe wurde durch die katholische Kirche in Tubbergen dokumentiert.2 Über seine Jugend ist we-
1
2
Grundlegend sowohl für Kottwitz: Leben, wie auch für alle zuvor erschienen Kurzbiographien und Lexikaartikel, ist der handschriftliche Lebenslauf, der sich im IGM mit der Signatur P 202/1 befindet. Kottwitz: Leben, S. 11. Der Taufeintrag gibt den 12. März 1785 an. In einem handschriftlichen Dokument nennt Bönninghausen selbst aber den 25. März 1785 als Geburtsdatum.
3.1 Clemens Maria Franz von Bönninghausen – Der Homöopath
59
nig bekannt.3 Nachdem er das Gymnasium besucht hatte, begann er ein Studium an der niederländischen Universität in Groningen. Wohl hatte er sich hier für Rechtswissenschaften eingeschrieben, allerdings besuchte er auch naturwissenschaftliche und medizinische Vorlesungen. Im April 1806 legte er das Examen ab und promovierte kurze Zeit später über das „Jagdrecht“ zum Doktor des deutschen und altniederländischen Rechts.4 Nachdem Bönninghausen kurze Zeit eine Stellung als Advokat in Deventer am Oberlandesgericht innegehabt hatte, ergab sich aus einem Besuch am niederländischen Königshof, bei dem er seinen Vater begleitet hatte, seine weitere berufliche Laufbahn im Dienste seiner Majestät Louis Napoléon. Innerhalb von drei Jahren durchlief er eine Karriere vom Auditeur beim Staatsrat bis zum Secrétaire et Trésorier des Pensions de Secours. In dieser einflussreichen Position verwaltete Bönninghausen Gelder, die der König für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt hatte. Ferner wurde er zum Privatbibliothekar ernannt. Nachdem König Louis Napoléon im Juli 1810 abdanken musste, lehnte der Freiherr eine weitere Beschäftigung in niederländischen Staatsdiensten ab und kehrte auf sein elterliches Gut zurück. In der folgenden Zeit widmete er sich der Bewirtschaftung des Gutes und erweiterte seine Kenntnisse im Bereich der Botanik. Im Jahr 1813 heiratete Clemens von Bönninghausen seine Verwandte Franziska Maria Freiin Schade zu Ahausen und bezog mit ihr im Frühjahr 1814 das Landgut Darup. Seine Tätigkeit im Bereich der Landwirtschaft manifestierte sich in der Stiftung des ersten landwirtschaftlichen Vereins in Westfalen im Jahr 1819 und in zahlreichen einschlägigen Publikationen.5 Nach einer vorübergehenden Militärregierung entstand 1815 aus den endgültig von Preußen erworbenen Gebieten des ehemaligen Fürstbistums Münster die Provinz Westfalen. Sie umfasste drei Regierungsbezirke.6 Diese gliederten sich in Kreise, deren Verwaltung einem Landrat unterstand. Bönninghausens Gut Darup lag im neu gebildeten Kreis Coesfeld. Ab 1816 erhielt der Freiherr die Stelle des Landrats kommissarisch, nachdem er zuvor als Kommissar für die märkische Grundsteuerreform zuständig gewesen war. Diese Tätigkeit als landrätlicher Verwalter übte er bis 1822 aus.7 Dann folgte seine Ernennung zum Generalkommissar des Katasters. Er war als solcher in den beiden westlichen preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen unterwegs. Im folgenden Jahr wurde Bönninghausen zum Regierungsrat befördert.
3 4 5 6 7
StAM Regierung Münster Nr. 4516: Acta Conduiten-Listen der Mitglieder und Referendarien der königlichen Regierung zu Münster, 1818–1830, Faszikel 2. Alle weiteren Angaben, soweit nicht anders vermerkt, beziehen sich auf: Kottwitz: Leben. IGM P 201/1. Den Angaben von Schmitz: Bönninghausen, S. 26 zufolge handelt es sich hierbei um das altniederländische und das römische Recht. Dazu ausführlich Kottwitz: Leben, S. 47–52 (Der Agronom). Ausführlicher dazu: Lahrkamp, Monika: Die französische Zeit. In: Kohl: Westfälische Geschichte 2, S. 1–43. Ausführliche Beschreibung der Tätigkeit als landrätlicher Verwalter bei Schmitz: Bönninghausen.
60
3 Rahmenbedingungen
Im Zuge seiner Dienstreisen sammelte er Informationen, die er später in einem Buch über die Flora Westfalens verarbeitete.8 Infolge dieses Werkes ernannte ihn die Stadt Münster zum Leiter des Botanischen Gartens. Er hielt Vorträge über die Pflanzenkunde an der Theologisch-Philosophischen Lehranstalt in Münster. Allgemein erwarb er sich in diesen Jahren im Bereich der Botanik und der Landwirtschaft große Verdienste.9 Die Tätigkeit als Katasterbeamter übte Bönninghausen bis zur Auflösung der Kommission 1835 aus. Zehn Jahre später wurde er auch von der Leitung des Botanischen Gartens entbunden.10 Im Jahr 1820 verlor Clemens von Bönninghausen seine erste Frau, die an Brustkrebs erkrankt war. Aus dieser Ehe stammte sein Sohn Clemens. Zwei Jahre später heiratete er erneut. Mit Maria Amalia von Hamm hatte er neun Kinder.11 Zwei davon studierten später Medizin. Beide wandten sich auch der Homöopathie zu, wobei Carl zunächst in Frankreich praktizierte, während Friedrich nach dem Tod des Vaters dessen Praxis in Münster übernahm.12 „Eine ernstliche Zerrüttung“13 seiner Gesundheit wies Clemens von Bönninghausens den Weg zur Homöopathie. Ab 1827 war er so krank, dass er selbst und alle konsultierten Ärzte nur wenig Hoffnung auf seine Wiederherstellung hatten. Ein befreundeter Botaniker namens August Weihe, der ohne Bönninghausens Wissen praktizierender Arzt war, empfahl ihm den Gebrauch einiger homöopathischer Mittel. Der Freiherr genas daraufhin und beschäftigte sich nach dieser, für ihn wundersamen, Heilung fortan mit der Lehre Hahnemanns. Zunächst studierte er die Schriften und führte selbst einige Arzneiversuche durch. Später leistete er bedeutende Beiträge für die junge Heilmethode, indem er Lehrbücher und Abhandlungen verfasste. Hierzu gehören das „Therapeutische Taschenbuch“, das 1846 erschien, und das „SystematischAlphabetische Repertorium der Antipsorischen Arzneien“. Nicht weniger bedeutend sind seine zahlreichen kleineren Publikationen und Aufsätze, die von einer immensen publizistischen Tätigkeit zeugen.14 8
Hierzu der Schriftverkehr Bönninghausens: StAM Haus Darup (Akten) Nr. 6, Faszikel 3–4. 9 Ausführlich die Kapitel bei Kottwitz: Leben, S. 35–52 (Der Botaniker und der Agronom). 10 Dies notierte sich Bönninghausen auch in sein Journal IGM P 62 im vorderen Deckel. 11 Der beständige Familienzuwachs war wohl weder geplant noch immer willkommen. Bönninghausen in einem Brief an Brenken vom 14. Januar 1836 bei Conrad: Schriftwechsel, S. 14–17. Zu den Kindern Kottwitz: Leben, S. 154–156, Bönninghausen: Stammväter, S. 96–98. 12 Kurzbiographien zu den Söhnen: Kottwitz: Leben, S. 154–156, Schroers: Lexikon, S. 15–16. Im Lexikonartikel des Vaters von Pagel in Hirsch, August (Hrsg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Band 1, München/Berlin 3. Auflage 1962, S. 595 werden beide ebenfalls erwähnt. 13 Lebenslauf IGM P 202/1, S. 10. Bönninghausen äußerte sich dazu ausführlicher in: Aphorismen, S. 477. 14 Eine Auflistung seiner Schriften bei Rassmann: Bönninghausen, S. 31–32 und Kottwitz: Leben, S. 178–206. Ein Teil der Aufsätze liegt gesammelt und gedruckt vor bei Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften und derselbe: Kleine medizinische Schriften Supplementband.
3.1 Clemens Maria Franz von Bönninghausen – Der Homöopath
61
Spätestens seit 1829 war Clemens Maria Franz von Bönninghausen als Laienpraktiker tätig. Die erste Patientin, zu der er ausführliche schriftliche Aufzeichnungen machte, war die berühmte Dichterin Annette von DrosteHülshoff.15 Zunächst behandelte er vor allem seine Familie, die Hausangestellten und Freunde, unter denen aufgrund der gesellschaftlichen Stellung Bönninghausens zahlreiche Angehörige des westfälischen Adels waren.16 Bald vergrößerte sich die Kundschaft jedoch. Bereits 1832 berichtete er in einem Brief an Hahnemann von dem großen Zulauf und der damit verbundenen Beanspruchung seiner Person.17 Als seine Tätigkeit als Katasterbeamter auslief, plagten Bönninghausen Geldsorgen, weswegen er ab 1835 für seine bis dahin unentgeltlich geleistete Praxis Honorar verlangte.18 Dieser Versuch, für die homöopathischen Dienste entlohnt zu werden, führte zu einer Anzeige wegen unerlaubter ärztlicher Praxis. Denn der Freiherr hatte weder Medizin studiert noch war er als Arzt zugelassen. Infolge dieser Anzeige untersagten ihm die Behörden 1836 die Ausübung der Homöopathie. Zahlreiche Eingaben und Schreiben an den preußischen König bewegten Friedrich Wilhelm III. nicht, dieses Verbot rückgängig zu machen. Vergeblich bemühte sich Bönninghausen in dieser Zeit, einen medizinischen Doktorgrad zu erlangen, um die ärztliche Tätigkeit regulär ausüben zu können. Aber er führte, entgegen aller Verbote und Regelungen, seine Tätigkeit als Homöopath fort und täglich suchten neue Patienten seine Hilfe.19 Eine erneute Intervention für Bönninghausen bei Friedrich Wilhelm IV., der seit 1840 regierte, brachte schließlich den gewünschten Erfolg. Per „Kabinets-Ordre“ wurde ihm im Juli 1843 die offizielle Ausübung der Praxis gestattet, obwohl er nicht als Arzt approbiert war.20 Bis zu seinem Tod war er als Laienheiler sowohl auf seinem Gut in Darup als auch in Münster tätig. Über den Umfang der Praxis, von dem die überlieferten Krankenjournale Auskunft geben, und seine Patienten wird in den folgenden Kapiteln zu sprechen sein. 15 16
17 18
19
20
Die Niederschrift in IGM P 151, bearbeitet und transkribiert in Kottwitz: Leben S. 109– 144 und S. 172–177 sowie Dinges; Holzapfel: Von Fall zu Fall. Kottwitz: Leben, S. 62. Auch Briefe, wie die an den Freiherrn von und zu Brenken, zeugen hiervon: Archivamt Archiv Erpernburg. Nachlaß Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867), F 52 Bönninghausen und Westphalen; Wollheim: Werner von Haxthausen. Bönninghausen an Hahnemann im Juli 1832. Der Brief bei Stahl: Briefwechsel, S. 67–70. Eine Anzeige in Westfälischer Merkur vom 6. Februar 1835. Die Absicht, Honorar zu verlangen, äußerte Bönninghausen im Januar in einem Brief an den Freiherrn von und zu Brenken: Conrad: Briefwechsel, S. 16. Dies geht eindeutig aus den Patientenjournalen der Zeit hervor. Von 1836 bis 1843 füllte Bönninghausen etwa 46 Journale. Zu dieser Phase die knappen Bemerkungen bei Kottwitz: Leben, S. 79–80. Zu den Bemühungen, einen Doktortitel zu erlangen: Stahl: Briefwechsel, S. 133. Die Abschrift der „Ordre“ in StAM Regierung Münster 893 V-236: Die Homöopathie und die homöopathischen Ärzte, 1854–1895, Faszikel 4. Der gedruckte Wortlaut: Bönninghausen: Hahnemanns Arzneigaben, S. 39–40. Abbildung bei Kottwitz: Leben, S. 293–294, Bild 37.
62
3 Rahmenbedingungen
Im Jahr 1848 gründete Bönninghausen die „Versammlung der homöopathischen Aerzte Rheinlands und Westphalens“. Auch bei der Einführung der Homöopathie in den Niederlanden spielte er eine wichtige Rolle.21 Zahlreiche Ehrungen wurden dem Freiherrn in den folgenden Jahren aufgrund seiner Tätigkeiten im Bereich der Homöopathie zuteil. Unter anderem verlieh ihm das Collegium medicinale zu Cleveland in den Vereinigten Staaten 1854 die Ehrendoktorwürde und der französische Kaiser Napoléon III. ernannte ihn 1861 zum Ritter der Ehrenlegion.22 Die beiden Hauptwerke Bönninghausens, das „Systematisch-Alphabetische Repertorium der Antipsorischen Arzneien“ aus dem Jahr 1832 und das „Therapeutische Taschenbuch für homöopathische Ärzte“ sind bis heute zentrale und viel genutzte Werke in der Homöopathie. Am 26. Januar 1864 starb Bönninghausen in Münster, wo er beerdigt wurde.23 Sein Grab wurde allerdings bei den Luftangriffen auf die Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört. Das Lebenswerk und Wirken Clemens Maria Franz von Bönninghausens standen lange Zeit im Schatten Hahnemanns und zeitgenössischer bedeutender Homöopathen. Ab den 1980er Jahren fanden der Freiherr und seine Arbeit jedoch stärker Beachtung in der fachlichen Diskussion. Seine Schriften und seine Methode wurden „wiederentdeckt“24 und mit großer Resonanz in den einschlägigen Zeitschriften rezipiert und diskutiert.25
21 Hierzu Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquets, S. 158–166. 22 Das Ansehen Bönninghausens, sein Ruf sowie die Hinzuziehung des Freiherrn in gesundheitlichen Fragen durch die Kaiserin Eugenie von Frankreich werden in zwei Zeitungsartikeln deutlich, die der Freiherr in IGM P 92 im hinteren Deckel eingeklebt hatte. 23 Über den Tod gibt die Nachricht des Sohns Auskunft, die publiziert ist in: Meyer: Manen, S. 94–95. 24 In diesem Sinn: Klunker, Will: Editorial. In: ZKH 29 (1985), S. 45–46. Dies geht soweit, dass es nun auch Computerprogramme für die Anwendung des Therapeutischen Taschenbuches gibt: Fischer, Ulrich: Fallanalyse und Repertorisation mit der Computerversion des Therapeutischen Taschenbuchs C. v. Bönninghausens. In: AHZ 248 (2003), S. 244–248, Möller, Bernhard: Die Methodik Clemens von Bönninghausens. Dargestellt anhand seines Therapeutischen Taschenbuchs. In: Die Bönninghausen- und Bognermethodik. Homöopathie-Zeitschrift Sonderheft 2002, S. 6–23 sowie im gleichen Heft Winkler, Matthias: Softwarevergleich, S. 60–66. 25 Beispielsweise hat Jansen einige Arzneimittelbilder Bönninghausens zwischen 1998 und 2000 in der ZKH publiziert. Neben den im Forschungsstand bereits genannten Publikationen von Wegener und Holzapfel rezipierten vor allem Klunker, Will: Clemens von Bönninghausen und die Zukunft von Hahnemanns Miasmenlehre für die Behandlung chronischer Krankheiten. In: ZKH 34 (1990), S. 229–236, derselbe: Propädeutische und therapeutische Hinweise in C. v. Bönninghausens Glossen zu Hippokrates. In: ZKH 33 (1989), S. 139–146 und Störmann, Peter: Repertorialer Auszug aus Bönninghausens letztem literarischen Werk „Die Aphorismen des Hippokrates…“. Sechs Teile. In: ZKH 40 (1996), S. 77–82, S. 160–163, S. 206–207, S. 256–261 und 41 (1997), S. 123–126, S. 163– 167 das Spätwerk des Freiherrn.
3.2 Homöopathie – Die therapeutische Grundlage der Praxis
63
3.2 Homöopathie – Die therapeutische Grundlage der Praxis Seit seiner unerwarteten Genesung, die Clemens von Bönninghausen den homöopathischen Mitteln zuschrieb, beschäftigte er sich mit der damals noch jungen Heilmethode. Die Tatsache, dass die Homöopathie zur Grundlage seiner lindernden und heilenden Tätigkeit wurde, beeinflusste Bönninghausens Praxis und den Umgang mit den Patienten und deren Beschwerden. Daher soll im Folgenden die Lehre der Homöopathie, ihr Verständnis von Gesundheit und Krankheit und der daraus resultierende Blick auf den Patienten dargestellt werden. Die Homöopathie wurde von Samuel Hahnemann begründet.26 Hahnemann war 1755 in Meißen geboren worden, hatte Medizin studiert und war dann mehrere Jahre an verschiedenen Orten als Arzt tätig. Er konzentrierte sich aber aus finanziellen Gründen seit den 1790er Jahren auf die Tätigkeit als Verfasser und Übersetzer medizinischer Schriften.27 Sein Konzept entwickelte er in Kritik zu der vorherrschenden Kurmethode, die stark von der Humoralpathologie beeinflusst war.28 Dabei ging man davon aus, dass im menschlichen Körper ein Mischverhältnis aus den vier Lebenssäften, Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, bestand. Diesen Säften waren zugleich die Qualitäten warm, kalt, feucht und trocken zugeordnet. Die Mischung aus Säften und Qualitäten bestimmte die individuellen Eigenschaften eines Menschen.29 Geriet das Verhältnis durcheinander, bildeten sich im Inneren des Körpers Krankheitsstoffe oder wurden diese von außen mit der Nahrung aufgenommen, musste es durch entsprechende Diät und Aussonderung des zu viel vorhandenen Saftes und der Schadstoffe wieder hergestellt werden. Die medizinische Therapie bediente sich im 19. Jahrhundert daher der Anwendung von Klistieren, schweißtreibenden, Brech- und Abführmitteln, häufig in stark wirkenden Formen. Man versuchte, durch das Setzen von Blutegeln und Schröpfköpfen sowie mit Aderlässen eine Heilung der Patienten zu erreichen. Hahnemann gab dieser Kurform den Namen „Allopathie“, weil sie auf der Erzeugung von den Patientensymptomen andersartigen Erscheinungen beruhte.30 26 Neuste Biographie: Jütte: Hahnemann. Soweit nicht anders angegeben sind die folgenden biographischen Angaben ebenda entnommen Als Standardwerk gilt immer noch Haehl: Hahnemann. 27 Ausführlich zu den einzelnen Stationen von Hahnemanns rastloser Reise: Jütte: Hahnemann, S. 36–79. 28 So Hahnemann selbst in der Vorrede, Hahnemann: Organon 6, S. 137. 29 Stolberg, Michael: Medizin und Krankheit in der Frühen Neuzeit. In: GWU (2008) Heft 2, S. 89, derselbe: Homo patiens, derselbe: „Mein äskulapisches Orakel!“. Patientenbriefe als Quelle einer Kulturgeschichte der Krankheitserfahrung im 18. Jahrhundert. In: ÖZG 7 (1996), S. 393–397. 30 Schmidt: Taschenatlas, S. 35. Allgemein: Eckart, Wolfgang: Geschichte der Medizin, Berlin/Heidelberg/New York 1990, derselbe: Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755–1843) und die medizinischen Konzepte seiner Zeit. In: AHZ 237 (1992), S. 3–8 und S. 62–74, Jütte: Hahnemann, Wiesemann, Claudia: Reform, Revolution, Homöopathie. Samuel Hahnemann und die Medizin seiner Zeit im Widerstreit von Praxis und Wissen-
64
3 Rahmenbedingungen
Den zentralen Grundgedanken seiner Lehre, dass Ähnliches mit Ähnlichem geheilt werden solle, die „Simile-Regel“, formulierte Hahnemann 1796. Seit 1807 nannte er sein Konzept selbst homöopathisch, womit er ausdrücken wollte, dass Krankheiten durch ähnlich krankmachende Stoffe geheilt werden könnten.31 Im Jahr 1810 erschien erstmals das grundlegende Werk, das Organon der rationellen Heilkunde, in dem er die Methodik seiner Lehre darlegte. Zu Hahnemanns Lebzeiten erfuhr es vier weitere Auflagen, die jeweils erweitert und verbessert wurden. Die sechste Auflage kam erst 1921, lange nach seinem Tod, heraus. Wie dem Organon zu entnehmen ist, bilden verschiedene Grundannahmen, die die Homöopathie gänzlich von der „alten medizinischen Schule“ unterscheiden, die Basis ihrer Lehre.32 Neben der bereits erwähnten Prämisse der „Simile-Regel“, die festlegt, dass die Heilung einer Krankheit mit einem Mittel erfolgt, das bei einem Gesunden ähnliche Krankheitserscheinungen hervorruft, ist dies die hierfür benötigte Arzneimittelprüfung am Gesunden. Das bedeutet, dass sämtliche Substanzen pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Ursprungs, die in der homöopathischen Materia Medica verwendet werden, vorher auf ihre Wirkungen und Erscheinungen, die sie bei einem gesunden Menschen hervorbringen und die beobachtet werden können, untersucht werden. Für jedes geprüfte Mittel ergibt sich hieraus ein „Arzneibild“. Diese werden in Arzneimittellehren zusammengestellt. Die Kenntnis dieser Symptome, der so genannten Arzneikrankheit, ist gemeinsam mit der Anamnese die Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Anwendung des Ähnlichkeitsprinzips. Im Fall einer Erkrankung verwendet die „klassische“ Homöopathie nur Einzelmittel und niemals Gemische mehrerer Arzneien, da deren gemeinsame Wirkung auf den Organismus nicht bekannt ist. Diese Arzneien werden fast nie in der Reinform und ursprünglichen Stärke, sondern in möglichst kleinen Dosen verabreicht. Dies geschieht mittels Verdünnung, dem „Potenzieren“.33 Die Medikamente werden dann in Form von Tropfen, Kügelchen, Tabletten schaft. In: Heinze, Sigrid (Hrsg.): Homöopathie 1796–1996. Eine Heilkunde und ihre Geschichte. Katalog zur Ausstellung Deutsches Hygiene-Museum, 17. Mai bis 20. Oktober 1996, Dresden 1996, S. 27–40, Huerkamp, Claudia: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten. Das Beispiel Preußens, Göttingen 1985 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 68), S. 22–34. Auch die Vorrede Hahnemanns zur 6. Auflage des Organons Hahnemann: Organon 6, S. 1–5. 31 Jütte: Hahnemann, S. 86. Zu dem Begriff allgemein: Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 23–27. 32 Grundlage für alle Annahmen ist das Organon. Zusammenfassende Beschreibungen der Eigenschaften der Homöopathie bei Schmidt: Taschenatlas, Jütte, Robert: Homöopathie. Eine Heilkunde und ihre Geschichte. Ausstellung des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart, Stuttgart 2006, Buchmann, Werner: Grundlinien der Homöopathie in Hahnemanns Werk. Eine Einführung in Organon, Reine Arzneimittellehre und Chronische Krankheiten, Heidelberg 2000. Dort S. 40–51 findet sich ein Index zum Organon. 33 Schmidt: Taschenatlas, S. 65–67 zur Herstellung der Medikamente.
3.2 Homöopathie – Die therapeutische Grundlage der Praxis
65
oder Verreibungen dargereicht. In manchen Fällen riecht der Patient auch nur an einem Gefäß, das die Arznei in der entsprechend aufbereiteten Verdünnung enthält.34 Bis heute unterscheidet man verschiedene Potenzen, das sind Verdünnungsgrade, die das ursprüngliche Mittel in einem Verhältnis von 1:10 bis zu 1:50.000 enthalten.35 Die Ähnlichkeitsregel setzt für die Therapie voraus, dass die Behandlung mit demjenigen Mittel erfolgt, das bei der Arzneiprüfung die ähnlichsten Symptome hervorgerufen hat, über die der Patient im entsprechenden Krankheitsfall klagt. Um dies herauszufinden, bedarf es der Erhebung eines individuellen Krankheitsbildes mittels einer ausführlichen Anamnese. „Krankheit“ ist im Sinn der Homöopathie eine Störung, die den ganzen Menschen erfasst.36 Gemäß einer Aussage Bönninghausens ist „unter Krankheit überhaupt durchaus jede Abweichung von dem Normalzustande der Natur [zu] verstehen, und es ist keineswegs dabei erforderlich, dass dieselbe ein Organ in seinen Verrichtungen störe“.37 Einzig die Krankheitszeichen und Symptome sind nach außen hin erkennbar. Deswegen steht nicht die Krankheit im Mittelpunkt des Interesses, sondern der gesamte Mensch mit seinem Krankheitserleben. Daher muss sich der behandelnde Homöopath zu Beginn der Therapie ein Gesamtbild vom Befinden des Patienten machen. Dieses umfasst zum einen eine genaue Beschreibung der Symptome mit der entsprechenden Lokalisierung in einer Art Kopf-Fuß-Schema, zum anderen detaillierte Auskünfte zu den Funktionen der inneren Organe und der Körperabsonderungen und im Fall von Schmerzen eine genaue Beschreibung der Schmerzart.38 Auch hierzu gab Hahnemann in seinem Organon genaue Anweisung.39 Vom Therapeuten erwartet Hahnemann bei der „individualisirenden Untersuchung eines Krankheits-Falles“ „Unbefangenheit und gesunde Sinne, Aufmerksamkeit in Beobachten und Treue im Aufzeichnen des Bildes der
34 Waldecker, Achim: Die Arzneiapplikation durch Riechenlassen bei Hahnemann und Bönninghausen. In: ZKH 33 (1989), S. 77–81. Anhand der Originalquellen beispielsweise Papsch: D38 Kommentar, S. 96–100 sowie Bönninghausen: Hahnemanns Arzneigaben, S. 38. 35 Jütte: Homöopathie, S. 5. Die Potenzen sind wie folgt benannt: 1:10 = D-Potenz, 1:100 = C-Potenz, 1: 50.000 Q- oder LM-Potenz. Tiefpotenzen sind die Verdünnungen von D1/ C1 bis D12/C6, von Hochpotenzen spricht man ab D30/C15. Über die Herstellung der Verdünnungen gibt Grimm, Andreas: Von manuellem zu maschinellem Potenzieren. Geschichte und Entwicklung von Potenziermaschinen. In: ZKH 5 (1994), S. 192–200 Auskunft. 36 Jütte: Homöopathie, S. 3. 37 Bönninghausen, Clemens von: Die Homöopathie. Ein Lesebuch für das gebildete, nicht ärztliche Publikum, Münster 1834, S. 17. 38 Hierzu die Hinweise, die Bönninghausen: Diät und Entwerfung sowie derselbe: Anleitung gibt. 39 Folgendes soweit nicht anders vermerkt Hahnemann: Organon 6 § 83 – § 104, S. 170– 184. Hahnemann hat die Grundzüge für den „Entwurf des Bildes der Krankheit“ bereits beschrieben in: Hahnemann, Samuel: Heilkunde der Erfahrung. In: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst 22 (1805) Heft 3, S. 25–33.
66
3 Rahmenbedingungen
Krankheit“.40 Demnach soll der Homöopath zunächst der Klage des Kranken, wie seiner Angehörigen, über die Beschwerden zuhören, um „alles genau mit den nämlichen Ausdrücken“ zu notieren, „deren der Kranke und die Angehörige sich bedienen“.41 Bei dieser Erklärung soll der Arzt nicht unterbrechen, allerdings soll er vorher den Patienten zu einer langsamen Schilderung anhalten, damit er besser seine Notizen machen kann. Hahnemann empfiehlt die einzelnen Symptome untereinander zu schreiben, um nach dem Vortrag weitere Angaben machen zu können, die der Heiler durch Nachfragen zu einzelnen Symptomen erfährt.42 Hier warnt er eindrücklich vor Suggestivfragen oder Fragen, auf die der Patient nur mit ja oder nein antworten muss.43 Erst wenn der Patient von sich aus Nichts weiter berichtet, kann und soll der Arzt nach den Dingen fragen, die der Kranke noch nicht angesprochen hat, die aber für die Arzneimittelwahl wichtig sein können.44 Vor allem muss, wenn der Patient bereits Medikamente gebraucht hat, erfragt werden, wie die Symptome vor dieser Einnahme waren. Denn die gebrauchten Mittel können die ursprünglichen Krankheitsmerkmale verfälscht haben.45 Ebenso ist die Ursache der Erkrankung in Erfahrung zu bringen.46 Im Fall chronischer Krankheiten erfordert eine Anamnese genauere Informationen zu den Lebensumständen. Der Therapeut wird dann besonders gefordert, ein vollständiges Bild des eigentlichen Leidens zu erhalten, während bei akuten Krankheiten die Veränderungen meist besser vom Kranken und den Angehörigen beschrieben und erinnert werden können.47 Sobald man die Aufzeichnung des Krankheitsbildes abgeschlossen hat, ist nach Hahnemann „auch die schwerste Arbeit geschehen“.48 Man kann nun das treffende homöopathische Arzneimittel wählen. Im weiteren Verlauf der Behandlung werden dann das geänderte Befinden und gegebenenfalls neue Krankheitsbefunde aufgezeichnet. Bei diesen Anforderungen ist es verständlich, dass homöopathisch praktizierende Heiler im Gegensatz zu den Ärzten „alter Schule“ schnell damit begannen, die Behandlung ihrer Patienten schriftlich festzuhalten.49 Denn auch 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Hahnemann: Organon 6 § 83, S. 170. Hahnemann: Organon 6 § 84, S. 170–171. Hahnemann: Organon 6 § 85 und § 86, S. 171. Hahnemann: Organon 6 § 87, S. 172. Hahnemann: Organon 6 § 89, S. 173–174. Hahnemann: Organon 6 § 91, S. 175. Hahnemann: Organon 6 § 93, S. 176–177. Hahnemann: Organon 6 § 94 – § 99, S. 177–180. Hahnemann: Organon 6 § 104, S. 183–184. Zu den Eigenschaften der „allopathischen“ Anamnese die Anmerkung Hahnemanns zu § 104 in Hahnemann: Organon 6, S. 183. Hahnemann selbst führte seit spätestens 1800 Journale. Siehe die Edition derselben. Allgemein zu verschiedenen Formen der Fallaufnahme: Jütte: Case Taking, Winter, Norbert: Handbuch der homöopathischen Fallanalyse, Karlsruhe 4. Auflage 2000. Zur Aktualität der Anamnesefrage in der Homöopathie: Gypser, Klaus-Henning: Gedanken zur Anamnese in der Homöopathie. In: ZKH 31 (1987), S. 91–95, Keller, Georg von: Über die Aufzeichnung des Krankheitsbildes. In: ZKH 33 (1989), S. 27–36, Kaplan, Brian: Fallaufnahme. Methodologie und Flexibilität. In: Von der Anamnese zur Arzneimittelverordnung. Beiträge vom 60. Kongress der Liga
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
67
mit einem ausgesprochen guten Gedächtnis wäre es unmöglich, alle Details zu den unterschiedlichen Patienten genau in Erinnerung zu behalten.50 Hahnemann führte seine Notizen in einer Kalenderform, was bedeutet, dass im Lauf eines Tages notiert wurde, welche Patienten kamen, was ihre aktuellen Beschwerden waren und was Hahnemann ihnen verschrieb. Dies hat zur Folge, dass die individuellen Krankheitsverläufe nur schwer zu isolieren sind und im Rahmen von Auswertungen einzeln rekonstruiert werden müssen. Demgegenüber entwickelte Bönninghausen, nach anfänglicher Verwendung desselben Schemas, ein sehr effizientes System, für das er kurz vor seinem Tode in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung warb. Dieses unterscheidet sich von den Aufzeichnungen Hahnemanns dadurch, dass in einem vorgedruckten Buch jedem Patienten, wie zuvor beschrieben, eine Seite zugewiesen wurde, wodurch man den Behandlungsverlauf einer Person auf einen Blick übersehen kann.51 Durch die Besonderheit der Homöopathie, im Rahmen ihrer Therapie den ganzen Menschen in den Blick zu nehmen und genaue, zum Teil wörtlich festgehaltene, Symptombeschreibungen anzufertigen, wird es möglich, das „individuelle“ Krankheitsempfinden und den Kranken selbst besser zu fassen, als dies bei einer „allopathischen“ Diagnose, die zumeist nur in einem Krankheitsnamen besteht, möglich wäre.52 Darüber hinaus legt die Maßgabe, die Patientengeschichten zu notieren, überhaupt die Grundlage für diese Arbeit. 3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung Die gesamte lange Geschichte der Stadt Münster und ihrer Umgebung an dieser Stelle zu behandeln, ist nicht zweckmäßig.53 Das Gebiet des ehemaligen Fürstbistums Münster und seine Residenzstadt wurden im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 aufgelöst und kamen großteils unter preußische Verwaltung. Nach den Siegen Napoleons bei Jena und Auerstedt 1806 begann für die Region die „französische Zeit“, die bis zur Niederlage Napoleons anhielt.54 Nach einer vorübergehenden Militärregierung durch Preußen entstand
50 51 52
53 54
Medicorum Homoeopathica Internationalis, Berlin 2005, ZKH 49 (2005), S. S5–S16. Prinzipiell bedeutet dies jedoch nicht, dass „allopathische“ Ärzte nicht ebenfalls zahlreiche Fragen an ihre Patienten richteten: Lindemann, Mary: Health and Healing in Eighteenth-Century Germany, Baltimore 1996, S. 300–301. Heutzutage sind Ärzte zur Dokumentation der erhobenen Befunde verpflichtet: Anschütz, Felix (Hrsg.): Anamneseerhebung und allgemeine Krankenuntersuchung, Berlin/Heidelberg/New York 5. Auflage 1992. Bönninghausen: Krankenjournal, S. 114. Die genaue Gliederung der Journale wurde bereits in Kapitel 1.2 beschrieben. So auch Baal: In Search, S. 7. Durch die bei Bönninghausen überlieferten ausführlichen Notizen ist es möglich, aus den „Krankheitsgeschichten“ wieder „Krankengeschichten“ zu machen: Jütte: Kasus. Siehe Jakobi: Geschichte Münster und Kohl: Westfälische Geschichte. Zu der Übergangszeit: Lahrkamp: Die französische Zeit, dieselbe: Münster.
68
3 Rahmenbedingungen
1815 aus den nun endgültig erworbenen Territorien mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ die Provinz Westfalen. Diese bestand aus drei Regierungsbezirken um die Städte Münster, Minden und Hamm.55 Die endgültige Umsetzung der Verordnung wurde erst im Jahr 1816 vollzogen, wobei der Oberpräsident der Provinz Ludwig von Vincke die Verlegung der dritten Bezirksregierung von Hamm nach Arnsberg erreichte.56 Die Grenzen der Provinz und der kurz darauf eingerichteten Kreise blieben im Wesentlichen bis zum Ersten Weltkrieg unverändert.57
Karte 1: Die Provinz Westfalen. Quelle: Albsmeier, Werner: Münster. Metropole Westfalens, Münster 1977, S. 95.
3.3.1 Wirtschaftliche und soziale Lage In der Provinz Westfalen lebten 1816 etwa eine Millionen Einwohner. Bis 1850 stieg diese Zahl auf rund 1,5 Millionen Menschen. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein blieb die vorindustrielle Bevölkerungsweise, geprägt durch eine 55 Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden. Vom 30. April 1815, Gesetz-Sammlung für die königlichen Preußischen Staaten No 9, Berlin 1815, S. 85–86. 56 Behr, Hans-Joachim: Die Provinz Westfalen und das Land Lippe 1813–1933. In: Kohl: Westfälische Geschichte 2, S. 55. 57 Behr: Provinz Westfalen, S. 57, Karte S. 58. Allgemein zu dem Gebiet: Reekers: Gebietsentwicklung.
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
69
hohe Geburtenquote und eine hohe Sterblichkeit, vorherrschend. Das natürliche Bevölkerungswachstum hielt sich in engen Grenzen.58 Daher bestimmte die agrarische Erwerbsstruktur sowohl die Wirtschaft als auch das Bevölkerungsgeschehen. Hungerkrisen suchten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Provinz heim.59 Ab Mitte der 1840er Jahre machte sich die zunehmende Verarmung der ländlichen Unterschichten und ihre Existenzbedrohung in großen Auswanderungswellen bemerkbar, wobei „Westfalen weder zu den ersten, noch den stärksten Auswanderungsgebieten in Deutschland gehörte“.60 Die Zeit bis 1850 gilt als eine Phase der beginnenden Industrialisierung. Aber es zeigten sich innerhalb der Provinz starke regionale Unterschiede, so dass „Westfalen um 1850 noch weit davon entfernt war, gesamtwirtschaftlich eine Industrieregion zu sein“.61 Die Landwirtschaft hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch immer eine überragende Bedeutung.62 Vor allem das Münsterland, das Gebiet um Paderborn und das Vest Recklinghausen waren durch weniger Industrieansiedlung gekennzeichnet.63 Das Handwerk war die in den Städten ausgeübte Form des Gewerbes. Es handelte sich zumeist um kleinere Betriebe, die für den lokalen Absatzmarkt produzierten.64 Tradition hatte in der Provinz, besonders in Ostwestfalen, das Handleinwandgewerbe, in dem ab 1830 fabrikmäßig produziert wurde.65 Die politischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts hinterließen auch in der Provinz ihre Spuren. Wirtschaftliche Notlagen und Missstände lösten Unruhen aus.66 Entsprechend waren die gestellten Forderungen eher wirtschaftlich denn politisch-revolutionär motiviert. Doch rief das revolutionäre Geschehen in Frankreich 1830 kaum größere Ereignisse hervor.67 Kritischer war hingegen der anhaltende konfessionelle Konflikt. Bei ungefähr zwölf Millionen Einwohnern zählte das überwiegend evangelische Preußen fünf Millionen Katholiken, von denen mehr als die Hälfte in den ab 1815
58 Wischermann, Clemens: An der Schwelle der Industrialisierung (1800–1850). In: Kohl: Westfälische Geschichte 3, S. 45. 59 Zu Hungerkrisen in Westfalen: Wischermann, Clemens: Hungerkrisen im vormärzlichen Westfalen. In: Düwell; Köllmann: Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter 1, S. 126– 147. Auf Europa bezogen: Abel, Wilhelm: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg/Berlin 1974. 60 Wischermann: Schwelle, S. 57. 61 Wischermann: Schwelle, S. 109. 62 Wischermann: Schwelle, S. 109 und S. 113. 63 Wischermann: Schwelle, S. 71. 64 Wischermann: Schwelle, S. 72–75. 65 Wischermann: Schwelle, S. 79. 66 Kohl, Wilhelm: Kleine Westfälische Geschichte, Düsseldorf 1994, S. 197–199. Allgemein zu der Zeit bis 1830 auch Keinemann, Friedrich: Von den Freiheitskriegen zur Julirevolution. Westfalen im frühen 19. Jahrhundert, Norden 2006 und derselbe: Westfalen, die Julirevolution und der dritte westfälische Landtag. Ein Vorspiel der Revolution von 1848, Norden 2005. 67 Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 91.
70
3 Rahmenbedingungen
„neuen“ Westprovinzen Rheinland und Westfalen lebte.68 „Ein Heer von zumeist protestantischen Beamten aus den alten Provinzen strömte ins Land“ und ließ bei seiner Arbeit Takt und Geschick mangeln, weswegen es zu erheblichen Missverständnissen kam.69 Besonders beim Aufbau des Verwaltungsapparates wurden Einheimische und Katholiken benachteiligt. Gerade der westfälische Adel stand daher der neuen Verwaltung befremdet gegenüber.70 Der konfessionelle Konflikt eskalierte in den 1830er Jahren an der Frage der „Mischehen“. Seit 1825 waren in konfessionellen „Mischehen“ die Kinder in der Religion des Vaters zu erziehen. Die katholische Kirche duldete diese preußische Regelung, wobei die Eheschließung abgelehnt werden konnte, wenn die katholische Braut nicht von sich aus eine entsprechende Erziehung ihrer Kinder versicherte. Seit 1830 konnte eine Eheschließung ohne eine solche Zusage durchgeführt werden, allerdings ohne einen Segen oder Gebet. In den westlichen Provinzen nahm die Zahl der „Mischehen“ stark zu. In der Mehrheit war der Ehemann protestantischer Beamter oder Offizier, so dass die Kinder aus diesen Ehen per Gesetz evangelisch waren. Gegen diese Regelung entstand nicht nur in der katholischen Geistlichkeit, sondern in der gesamten westfälischen Bevölkerung eine breite Opposition.71 Die Angelegenheit gipfelte in der Amtsenthebung und Internierung des aus Münster stammenden Kölner Erzbischofs Clemens August von Droste zu Vischering, der heftig gegen die Regelung über die „Mischehen“ protestiert hatte. Dies rief in Münster Straßenunruhen und Zwischenfälle hervor.72 Auch in der Provinz Westfalen entluden sich in den Jahren 1848/49 die Spannungen, wobei weniger verfassungsrechtliche und politische Anliegen relevant waren, als ernste soziale Schwierigkeiten. So wurden Forderungen nach der Aufhebung der als ungerecht empfundenen Mahl- und Schlachtsteuer laut, unter der die unteren Bevölkerungsschichten zu leiden hatten. Kleinere Aufstände richteten sich gegen adelige Grundbesitzer. Insgesamt fanden je68 Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 54: Die Provinz glich einem „Flickenteppich konfessionell relativ homogener Gebiete“. In der Gesamtprovinz waren 43,1 % evangelisch, dies in den ehemals preußischen Gebieten Westfalens, und 55,8 % katholisch. Die Bevölkerung des Regierungsbezirks Münster war zu 95 % katholisch. 69 Behr: Provinz Westfalen, S. 65. 70 Zur Haltung des westfälischen Adels und seine besondere Position innerhalb des Adelskonservatismus: Reif, Heinz: Der katholische Adel Westfalens und die Spaltung des Adelskonservatismus in Preußen während des 19. Jahrhunderts. In: Teppe, Karl; Epkenhans, Michael (Hrsg.): Westfalen und Preussen. Integration und Regionalismus, Paderborn 1991 (Forschungen zur Regionalgeschichte 3), S. 107–124. 71 Auch Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 83. 72 Behr: Provinz Westfalen, S. 69. Detaillierter Behr: Vormärz und Reichsgründung. Ausführlich zu den Geschehnissen: Keinemann, Friedrich: Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, Zwei Bände, Münster 1974 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung 14) und derselbe: Das Kölner Ereignis und die Kölner Wirren (1837–41). Weichenstellungen, Entscheidungen und Reaktionen mit besonderer Berücksichtigung Westfalens. Ein Nachtrag zu Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, Hamm 1986 (gedrucktes Manuskript).
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
71
doch keine größeren revolutionären Umtriebe oder Umsturzversuche statt.73 Im Rahmen der Ereignisse hofften viele politisch Interessierte, dass sich die so genannte „großdeutsche“ Lösung, also die Bildung eines deutschen Kaiserreiches unter habsburgischer und somit katholischer Krone, durchsetzen würde. Entsprechend empfand man die Ablehnung der Krone durch den preußischen König im April 1849 eher als Genugtuung.74 In der Folgezeit war das Interesse an politischen Angelegenheiten sehr gering und das katholischkonservative Lager blieb die stärkste Kraft.75 Der Regierungsbezirk Münster war mit rund 7.250 Quadratkilometern und 353.356 Einwohnern der zweit größte der Provinz.76 Er wurde zusammengefasst aus den ehemaligen Herrschaften Anholt und Gemen, den Grafschaften Steinfurt und Tecklenburg, der Obergrafschaft Lingen und dem vormals kurkölnischen Vest Recklinghausen, sowie einem Teil des ehemaligen Fürstbistums Münster.77 Nur Ober-Lingen und Tecklenburg waren bereits seit dem 18. Jahrhundert unter preußischer Hoheit gewesen und die Bevölkerung dort war der überwiegenden Mehrheit nach evangelisch. Ansonsten waren rund 90 % der Bevölkerung des Regierungsbezirks katholisch.78 Im Zuge der neuen Verwaltungseinteilung war der Regierungsbezirk in zehn landrätliche Kreise gegliedert.79 Im Hinblick auf die Sozial- und Wirtschaftsstruktur unterschied sich dieser Bezirk deutlich von den beiden anderen. Das Münsterland war überwiegend agrarisch geprägt und auf seinen mittleren bis größeren Bauernhöfen herrschte das Anerbenrecht vor, was eine eigene Familiengründung nicht begünstigte. Erbberechtigt war nur der älteste Sohn, jüngere Geschwister mussten sich als Mägde oder Knechte verdingen. Entsprechend wurde durch diese Rechtsgewohnheit die Kinderzahl gering gehalten.80 Daher galt der Regierungsbezirk Münster noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts als „eine Musterregion traditionell später Heiraten und niedriger Geburtenraten“.81 Dagegen prosperierte im Regierungsbezirk Minden das Leinengewerbe, das häufig von Kleinbauern und Heuerlingen betrieben wurde und diesen eine frühe Familiengründung 73 74 75 76 77 78
Behr: Provinz Westfalen, S. 81–89, Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 95. Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 111, Haunfelder: Preußen in Münster, S. 8. Behr: Vormärz und Reichsgründung, Haunfelder: Preußen in Münster, S. 9. Die Bevölkerungszahl ist aus dem Jahr 1818. Nach Köllmann: Bevölkerung, S. 195. Diening: Uebersicht, S. 3. Diening: Uebersicht, S. 10. Im Jahr 1843 lebten 415.506 Personen im Regierungsbezirk Münster. Davon waren 38.487 evangelisch, 3.215 jüdischen Glaubens und 373.795 katholisch. Im Kreis Tecklenburg lebten 44.034 Menschen, von denen 24.410 evangelisch und 19.284 katholisch waren. 79 Diening: Uebersicht S. 4. Dies waren die Kreise Ahaus, Beckum, Borken, Coesfeld, Lüdinghausen, Münster, Recklinghausen, Steinfurt, Tecklenburg und Warendorf. Die „Immediat-Stadt“ Münster war ein Stadtkreis. 80 Die Geburtenrate im Regierungsbezirk Münster lag bei rund 30 Geburten auf 1.000 Einwohner, für den Regierungsbezirk Minden lang sie im Zeitraum von 1820 bis 1850 bei 40 auf 1.000 Einwohner: Wischermann: Schwelle, S. 45, Köllmann: Bevölkerung, S. 218. 81 Wischermann: Schwelle, S. 152.
72
3 Rahmenbedingungen
ermöglichte. Eine höhere Geborenenziffer war die Folge. Allerdings führte der Niedergang des Leinengewerbes zu einer Stagnation des Bevölkerungswachstums.82 Der Regierungsbezirk Arnsberg war demgegenüber vom Metallgewerbe geprägt. Da die Anfänge der Ruhrindustrie ebenfalls in diesen Raum fielen, waren Geburtenrate und Bevölkerungswachstum in diesem Bezirk am höchsten.83 Bedeutend ist, dass das Zentrum des vormaligen Fürstbistums Münster auch nach 1815 seine Funktion als Verwaltungs- und Kulturmittelpunkt behielt und die Hauptstadt der neu geformten Provinz Westfalen mit dem Sitz der Verwaltungsbehörden wurde. Hierzu zählten die Regierung und das Oberlandesgericht, sowie zahlreiche weitere Kollegien, wie die Provinzialsteuerdirektion oder die Westfälische Provinzial-Hilfskasse.84 Ferner wurde die Stadt Sitz des siebten Armeekorpses.85 Münster war um 1818 mit 15.158 Einwohnern die größte Stadt Westfalens.86 Allerdings behielt das Stadtbild seinen spätmittelalterlichen-frühneuzeitlichen Charakter bei, so dass auf relativ kleinen Grundstücken sämtliche Bevölkerungsschichten ohne große räumliche Trennung beieinander wohnten.87 Bis 1834 wuchs die Bevölkerung um etwa 20 % auf 18.605 Zivil- und 2.473 Militärpersonen an. Dies war die Folge einer Zuwanderungsbilanz. Der Ausbau der Verwaltung und die gewerbliche Verdichtung bedingten die Attraktivität der Stadt für die Bewohner des Umlandes, weswegen Münster Anfang der 1840er Jahre zu der „am dichtesten besiedelten Stadt der Provinz wurde“.88 Charakterisiert wird Münster in der damaligen Zeit durch die Schlagworte einer Verwaltungs- und Garnisonsstadt.89 Die Bevölkerungs- und Erwerbsstruktur der Stadt wurde von den besonderen Aufgaben geprägt. Entsprechend hoch war der Anteil von Beamten und Angehörigen kirchlicher Einrichtungen, ebenso bevorzugten viele Adelige, Akademiker und Künstler Münster als Wohnort.90 Im Jahr 1849 gehörten 51 % der Stadtbevölkerung der Unterschicht, bestehend aus Taglöhnern, Gesinde und Arbeitern, an. Weitere 33,2 % waren Handwerker. Kleinhändler und Kaufleute stellten 5,9 %, während sich der Anteil der Beamten und Geistlichen auf 3 % beziehungsweise 0,5 % belief. Die Militärbevölkerung nahm 1843 11,3 % ein.91 Bis 1860 82 Wischermann: Schwelle, S. 151–152, Köllmann: Bevölkerung, S. 217–218. 83 Wischermann: Schwelle, S. 151. 84 Die Aufzählung aller bis 1836 in Münster angesiedelten Behörden bei Guilleaume: Beschreibung, S. 187–188. Zum gesamten Vorgang: Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 56. 85 Die Aufstellung und Stationierung der Truppenteile in: Guilleaume: Beschreibung, S. 186–187. 86 Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 51–52. 87 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 331. 88 Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 79. 89 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, Krabbe: Wirtschafts- und Sozialstruktur. 90 Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 62. 91 Nach Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 79. Detailliertere Angaben: Kaufleute 3 %, Kleinhändler 2,9 %, Rentiers 1,9 %. Auch im Original ergeben die Zahlen nur 95,5 %,
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
73
nahm dieser Anteil weiter zu, so dass Münster zu den größten Garnisonsstädten in Preußen gehörte.92 Innerhalb der Berufsstruktur dominierten Kaufleute, Beamte und Handwerker. Insgesamt bestand in Münster ein geringer Grad der Industrialisierung. Handwerk und Einzelhandel waren auf die gehobenen Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung und des nahen Umlandes eingestellt.93 Der hohe Anteil an Soldaten, Studenten, Ordensmitglieder und so genannter „Nicht-Selbständiger“ innerhalb der Bevölkerung bedeutete eine verhältnismäßig geringe Zahl von Eheschließungen und infolgedessen eine niedrige Geburtenrate.94 Entsprechend war der Anteil der älteren Menschen höher als derjenige der Kinder.95 Wesentliche Veränderungen der Sozial- und Wirtschaftsstruktur und ein beschleunigtes Bevölkerungswachstum lassen sich für die Provinz Westfalen und deren Hauptstadt Münster erst ab 1870 feststellen. Daher stellt die zuvor charakterisierte Situation die Umgebung dar, in der Clemens von Bönninghausen ab 1829 bis 1864 seine Praxis führte.96 3.3.2 „Im Allgemeinen befriedigend“ – Die medizinische Situation Das Oberpräsidium war entsprechend seiner Aufgabenstellung auch für den Bereich des Medizinalwesens zuständig.97 Hierfür stand dem Oberpräsidenten das Provinzialmedizinalkollegium zur Seite. Dieses war eine „rein wissenschaftliche und technisch-ratgebende“ Behörde. Zu seinen Aufgaben zählten die Entscheidungen über Maßnahmen zur Hebung der medizinischen Wissenschaft und im Bereich der Ausbildung und Prüfung von Medizinalpersonen ohne dass dies näher kommentiert wird. Ausführlicher: Kill: Bürgertum, S. 114–133. 92 Haunfelder: Preußen in Münster, S. 5. Allgemein zur Geschichte Münsters als Garnisonsstadt: Sicken, Bernhard: Münster als Garnisonstadt. Allgemeine Wehrpflicht und Kasernierung. In: Jakobi: Geschichte Münster 2, S. 727–766 und Rülander, Ulrike: Münster. Garnisonstadt und Armeestandort 1871–1945, Münster 1997. 93 Krabbe: Wirtschafts- und Sozialstruktur, S. 205. 94 Im ganzen 19. Jahrhundert waren nur zwischen 24 % und 29 % der Münsteraner Gesamtbevölkerung verheiratet. Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 334, Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 18–19. 95 Krabbe: Wirtschafts- und Sozialstruktur, S. 204–205, Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 334, Wichmann: Wohnen, S. 21. 96 Teuteberg, Hans-Jürgen: Vom Agrar- zum Industriestaat (1850–1914). In: Kohl: Westfälische Geschichte 3, S. 165, Krabbe: Wirtschafts- und Sozialstruktur, Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 332. Eine zeitgenössische Schilderung der Provinz und ihrer Bewohner, die jedoch nicht frei von Idealisierungen ist, bietet: Droste-Hülshoff, Annette von: Westfälische Schilderungen und ihr Echo in Westfalen. Mit einem Nachwort herausgegeben von Winfried Freund, Paderborn 1991. 97 Zum Aufbau des preußischen Medizinalwesens und den Aufgaben der „Medicinal-Collegia“: Horn: Medicinalwesen, S. 35–41. Zum Medizinalkollegium in Münster die Überlieferung in StAM 3.1.1.2. Besondere Kommissionen und Dienststellen Findbuch B 187. Über dessen Zusammensetzung ebenda 5 I: Generalia, Einrichtung, Geschäftsbetrieb, Ernennungen, Garnison, Rechnungswesen, Apotheken u. a., vol. I, 1815–1878.
74
3 Rahmenbedingungen
sowie in Fragen der Errichtung von öffentlichen Anstalten und im Feld der Seuchenbekämpfung.98 An das Medizinalkollegium hatte jeder Kreisphysikus einen vierteljährlichen „Kreis-Sanitäts-Bericht“ über den Gesundheitszustand in seinem Bezirk zu senden.99 Die Kreisphysiki sollten hierzu wiederum auf Berichte der Ärzte aus ihrem Kreis zurückgreifen. Hieraus entstanden vom Medizinalkollegium herausgegebene Sanitätsberichte, die die gesamte Provinz umfassten.100 Diese Berichte enthielten Informationen zur Witterung, dem Medizinal-Polizei-Wesen, den gerichtlich medizinischen Vorfällen, eine Statistik über das Medizinal-Personal, kurze Artikel zu wissenschaftlichen Medizinal-Angelegenheiten und Berichte aus dem Bereich der „Veterinair-Medizin“. Einen Großteil dieser Darstellungen nahm die Beschreibung des allgemeinen Krankheits-Zustandes ein, in dem über epidemische, endemische und kontagiöse Krankheiten, wie Pocken, Syphilis und Krätze, Auskunft gegeben wurde. Ferner wurden in einer Art Panoptikum merkwürdige sporadische Krankheiten sowie chirurgische und „geburtshülfliche“ Fälle behandelt. Auch wenn die Sanitätsberichte heute nur noch für einzelne Jahre zur Verfügung stehen, ist die Feststellung, es habe „über die im 19. Jahrhundert in Münster herrschenden Krankheiten keine umfassenden und regelmäßigen Angaben“101 gegeben, nicht richtig. Die Bezirksregierung Münster veröffentlichte im „Amts-Blatt“ unter der Rubrik „Vermischte Nachrichten“ fast monatlich einen mehr oder weniger ausführlichen Überblick über den „Allgemeinen Gesundheitszustand“.102 Diese Artikel sind für das Morbiditätsspektrum aussagekräftiger als die vorhandenen ersten statistischen Aussagen über die vorherrschenden Todesursachen.103 Denn die preußische Todesursachenstatistik 98 Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 55. Zu den allgemeinen rechtlichen Grundlagen und gesetzlichen Regelungen auch Eulenberg: Medicinalwesen. 99 Amts-Blatt Regierung Münster 1829, S. 427–428. Dieser Verpflichtung wurden nicht staatsdienstlich angestellte Medizinalpersonen 1848 entbunden: Amts-Blatt Regierung Minden 1848, S. 215–216. 100 Die Berichte waren jährlich geplant. Allerdings gibt es einen solchen Bericht der Provinz Münster für die Jahre 1835 bis 1837 nicht, wie aus dem Vorwort des Berichts für das Jahr 1838 hervor geht. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1838. Herausgegeben von dem Königlichen Medizinal-Collegium zu Münster, Münster 1840, das Vorwort nicht paginiert. Außerdem sind in den Archiven und Bibliotheken in Münster nicht alle Berichte erhalten. 101 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 34. 102 Die monatlichen Berichte im Amts-Blatt der Regierung sind seit 1829 nur für den Regierungsbezirk Münster durchgängig überliefert. Im Regierungsbezirk Arnsberg fehlen solche Meldungen ganz, während sie für den Bereich Minden erst ab 1852 erschienen. 103 Hierzu Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung. Differenzierte statistische Daten liegen erst ab 1875 vor: Teuteberg: Materialien, S. 164–176. Die übrigen statistischen Angaben bezüglich der Todesursachen beruhen auf der Auswertung der Sterbefälle der Dompfarre von 1820–1899 bei Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 29–31. Diese Tabelle umfasst nur 501 Todesfälle und die Dompfarrei war in ihrer Bevölkerungsstruktur und daher auch in ihren Todesursachen nicht repräsentativ für die gesamte Stadt. Dazu die kritischen Bemerkungen von Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 27. Eine genaue Untersuchung zu den Todesursachen in Münster bleibt ein For-
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
75
unterschied bis in die 1870er Jahre hinein nur sehr große Klassen, die kaum zwischen den einzelnen vor allem inneren Krankheiten differenzierten. Bei allen in den Amtsblättern veröffentlichten Übersichten zu den Todesursachen war daher stets die Gruppe der an „langwierigen inneren Krankheiten“ Gestorbenen am größten.104 Nähere Aufschlüsselungen ergaben, dass bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts „Nervenfieber“ als häufigste Todesursache genannt wurde.105 Ein Blick in ein Krankheitsnamenbuch gibt die Auskunft, dass die Bezeichnung „Nervenfieber“ für Typhus verwendet wurde, „weil dieser solche cerebralen Erscheinungen am häufigsten zeigt“.106 Auch die Tuberkulose scheint in Münster sehr viele Todesopfer gefordert zu haben.107 Ferner verursachten „Wassersucht, Altersschwäche und Schlagfluß“ einige Todesfälle. Bei Kindern waren oft „Krämpfe“ für den frühen Tod verantwortlich.108 Doch sind die häufigsten Todesursachen nicht zwingend zugleich die am weitesten verbreiteten Krankheiten. Denn zahlreiche zumeist wenig gefährliche Erkrankungen führten damals, wie heute, nicht zum Tode der Betroffenen.109 Auch für die Provinz Westfalen gilt in der Vergangenheit, was Hahnemann in der Einleitung des Organons schrieb, „so lange es Menschen gab, waren sie auch einzeln, oder in Menge Erkrankungen ausgesetzt“.110 Allerdings scheinen die Stadt Münster und ihre Umgebung von größeren verheerenden Seuchen, wie der Cholera, in der Zeit zwischen 1829 und 1864 verschont worden
104
105 106 107 108 109
110
schungsdesiderat. Allgemein zu diesem Problem: Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 184, Larsen: Case Histories, S. 141. Für die ganze Provinz Westfalen belegt dies bis 1849 Archivamt LWL Archiv Bestand 101 Provinzialständischer Landtag 1826–1886: 356: Statistik und Topographie, S. 15: Innere langwierige Krankheiten: 1825: 12.315 (44,72 %, Preußen: 37,79 %), 1834: 16.608 (47,47 %, Preußen 27,93 %), 1843: 16.927 (45,84 %, Preußen 39,32 %), 1849: 16.621 (46,78 %, Preußen 32,94 %). Für den Regierungsbezirk Münster Amts-Blatt Regierung Münster von 1840, S. 57, 1841, S. 137, 1842, S. 102, 1843, S. 75, 1850, S. 222, 1851, S. 116, 1852, S. 129, 1853, S. 117, 1860, S. 116, 1861, S. 109, 1862, S. 103, 1863, S. 93. für das jeweils vorhergegangene Jahr. In Bezug auf die Stadt Münster trifft dies ebenfalls zu: Teuteberg: Materialien, S. 164–165. Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 356. Höfler, Max: Deutsches Krankheitsnamen-Buch, München 1899 (Neudruck Hildesheim/ New York 1970), S. 142, unter Nervenfieber. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 29 für die Jahre 1820–1889 und Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 357, wobei dessen Daten ab 1875 sind. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 29 und S. 38. Dies ist kein ungewöhnlicher Befund für das Todesursachenpanorama des 19. Jahrhunderts: Baschin: Untersuchung. In diesem Sinn: Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 33, Haushofer, Max: Lehr- und Handbuch der Statistik in ihrer neusten wissenschaftlichen Entwicklung, Wien 1872, S. 165, Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S.184 sowie Kinzelbach, Annemarie: Gesundbleiben, Krankwerden, Armsein in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Gesunde und Kranke in den Reichsstädten Überlingen und Ulm 1500–1700, Stuttgart 1995 (MedGG Beiheft 8), S. 274, Riley: Sickness, S. 2. Dieser weist ebenda, S. 153 auch darauf hin, dass Mortalitätsraten keine Orientierungsbasis für die Krankheitsraten geben. Hahnemann: Organon 6, S. 23.
76
3 Rahmenbedingungen
zu sein.111 Wohl wurde über Cholera-Fälle berichtet, diese traten aber im Wesentlichen vereinzelt auf. Die Krankheit zeigte sich jedoch im September 1853 im Kreise Höxter bei immerhin 321 Personen.112 Besonders häufig wurde in den Berichten das Auftreten von verschiedenen Fiebererkrankungen, vor allem „Wechsel- oder Nervenfieber“, erwähnt. Gemeinhin unterschied man den Charakter der Fieber nach gutartig und bösartig, wobei letztere verstärkt Todesopfer forderten. Wahlweise hatten sie einen gallichten, rheumatischen, katarrhalischen oder nervösen Charakter. Unter den „gewöhnlichen“ Krankheiten listete der Sanitäts-Bericht beispielsweise „Katarrhfieber, Husten, Rheumatismus und Lungenentzündungen“ auf.113 Besonders aber Nervenfieber konnte in kleineren meist lokal begrenzten Epidemien auftreten.114 In solchen Fällen wurden die üblichen Maßregeln getroffen, die in der Isolierung der Kranken und Absperrungsmaßnahmen bestanden.115 Das Wechselfieber war zumindest in den Jahren zwischen 1829 und 1833 en111 In diesem Sinn: Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 356. Es gab wohl Fälle, aber es wurde keine Cholera-Epidemie aktenkundig. Gleiches geht aus: Krehnke, Walter: Der Gang der Cholera in Deutschland seit ihrem ersten Auftreten bis heute. In: Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Volksgesundheitsdienstes 49 (1937), S. 331–446 hervor. Aber auch in Münster waren die entsprechenden Schutzkommissionen und Aufsichtsbehörden gebildet worden und hatten ihre Tätigkeit verrichtet. StAM Medizinalkollegium 43 a-b: Maßregeln gegen die Cholera, vol. I., 1831–1832, vol. II, 1832–1873, StAM Regierung Münster 194 II-34: Die periodischen Berichte über die im Reg.bez. Münster zur Abwehr der Cholera getroffenen Schutzmaßnahmen, 1831–1832, 195 II-34: Die für den Fall des Ausbruchs der Cholera gebildeten Schutzkommissionen im Reg.bez. Münster, 1831–1841. Weitere Maßnahmen auch in StdAM Kreis-A-Archiv: 997 Die Cholera-morbus, 1831–1893 und Medizinalangelegenheiten Fach 204 Nr. 2: Maßnahmen gegen die Cholera, Band 1, 1831–1865 sowie Nr. 16 bis 18. Ebenso hatte Bönninghausen eine Schrift hierzu verfasst. Bönninghausen, Clemens von: Kurze Belehrung für Nicht-Ärzte über die Verhütung und Behandlung der asiatischen Cholera, Münster 1849. 112 Zu den vereinzelten Fällen beispielsweise Amts-Blatt Regierung Münster 1849, S. 229 im August und September 1849 und S. 288 aus Holland eingeschleppt, 1851 im Januar S. 36. Zu dem Ausbruch der Cholera im Kreis Höxter: Amts-Blatt Regierung Minden 1853, S. 387–388. Bönninghausen selbst behandelte zwei Patienten wegen „Cholera“ (P 73 Fol. 197 und P 111 Fol. 80). Ob die Betroffenen tatsächlich an der gefährlichen Krankheit litten, ist nicht mehr zu entscheiden. Bönninghausen veröffentlichte auch in der belgischen Zeitschrift L’Homoéopathe Belge 1859 und 1860 zwei Artikel zu der Krankheit. Deren Übersetzungen in: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband, S. 74–83. Die ausführlichen Angaben im Literaturverzeichnis. Auch in den Einbänden seiner Journale notierte Bönninghausen regelmäßig Statistiken zu Choleraepidemien und deren Verläufen IGM P 70 im hinteren Deckel, P 73 im hinteren Deckel, P 74 im hinteren Deckel, P 76 im hinteren Deckel, P 83 im vorderen Deckel, P 84 im hinteren Deckel sowie P 87 im vorderen Deckel. 113 Sanitaets-Bericht des koeniglichen Medicinal-Collegii zu Münster vom Jahre 1831, Münster 1833, S. 12. Nerven- und Katharralfieber, Lungenentzündung und Diarrhöen waren auch in Baden Hauptkrankheiten: Loetz: Vom Kranken, S. 205. 114 Amts-Blatt Regierung Münster 1832, S. 246. 115 Allgemein zu den Maßregeln bei ansteckenden Krankheiten: Medicinal-Polizei in verschiedenen Beschreibungen des Medizinalsystems wie Eulenberg: Medicinalwesen oder Horn: Medicinalwesen.
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
77
demisch und wurde in jedem Jahr verschieden häufig in den einzelnen Berichten erwähnt.116 Entzündungs-, Brust- und Gallenfieber plagten die Menschen ebenfalls in unterschiedlichem Ausmaß. Ebenso war der „Landschnupfen“ weit verbreitet. Diese Krankheit war wohl heftig, aber „sehr vorübergehend und nicht tödtlich“.117 In den Sommermonaten wurde von Diarrhöen und Brechruhr berichtet. Vor allem Kinder hatten unter Masern118, Scharlach und „Stickhusten“ zu leiden. Gelegentlich traten vereinzelt „echte Blattern“ auf, die im Normalfall strenge Quarantänemaßnahmen und Revakzinationen zur Folge hatten. Ab und an, wie in den Jahren 1831 und 1833, verbreiteten sich aufgrund falscher Einschätzungen die Pocken in größerem Umfang, ohne jedoch eine bedeutende Epidemie auszulösen.119 Das Entstehen der Krankheiten, deren Verlauf und Vorkommen wurden darüber hinaus in einer direkten Verbindung mit der Witterung gesehen. So führten schnelle Temperaturwechsel zu Gichtbeschwerden, während sich bei trockenem und kühlem Wetter das Wechselfieber mehr ausbreitete.120 Im Clemenshospital wurden außerdem weitere Krankheiten, wie verschiedenerlei Arten Entzündungen, Hauterkrankungen, Geschwüre, orthopädische Beschwerden, Augenkrankheiten und Unfallfolgen sowie Verletzungen behandelt.121 In den Berichten von 1839 bis 1843 äußerten die zuständigen Verfasser stets eine beständige Zufriedenheit mit dem Gesundheitszustand der Menschen in der gesamten Provinz Westfalen.122 Dennoch grassierten in diesen 116 Besonders 1831 scheint das Wechselfieber in allen Regierungsbezirken der Provinz heftig gewütet zu haben. Sanitaets-Bericht 1831, S. 10–39. Auch 1832 wird es viel erwähnt: Sanitäts-Bericht des Königlichen Medicinal-Collegii zu Münster vom Jahre 1832, Münster 1834, S. 10, S. 21, S. 23, S. 30 und S. 41. 117 Sanitaets-Bericht 1831, S. 17, S. 24 und S. 27. 118 Die Masern wüteten in den Jahren 1833, 1842 und 1863: Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 355. 119 Für das Jahr 1831 die Meldungen in Amts-Blatt Regierung Münster1831, S. 102, S. 156 und S. 188. Für 1833 Amts-Blatt Regierung Münster 1833, S. 189 und S. 216. Es gab immer wieder Fälle von Pocken, wobei auch in größerem Umfang Personen erkrankten, die Sterberate war aber gering. Auch StAM Münster Regierung Münster Medizinalwesen 886 V: Epidemische Krankheiten unter den Menschen, 1859–1871. 120 Allgemein dazu der einleitende Teil der Sanitätsberichte über die Witterung und deren Einfluss auf den Gesundheitszustand. Einzelbeispiel: Sanitaets-Bericht 1831, S. 28: „ (…) bei Nordostwind Keuchhusten, Brustfieber und der Landschnupfen vorgekommen.“, Amts-Blatt Regierung Münster 1833, S. 143 oder 1832, S. 246. 121 Eine summarische Übersicht gibt Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 36–37. Diese Daten stammen alle aus der Zeit bis 1833. Ob die in den Krankenhäusern der Zeit behandelten Krankheiten häufige und allgemeine Erkrankungen widerspiegeln sei dahin gestellt. Auch hier dürfte es sich bereits um schwerere Erkrankungen handeln. Außerdem: Jungnitz: Krankenhäuser, S. 183–195. 122 Die entsprechenden Sanitätsberichte umfassen alle Regierungsbezirke. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1839. Herausgegeben von dem Königlichen Medizinal-Collegium zu Münster, Münster 1841, derselbe: General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1840. Herausgegeben von dem Königlichen Medizinal-Collegium zu Münster, Münster 1842, Königliches Medizinal-Collegium zu Münster (Hrsg.): General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1841, Münster 1844, Tourtual, [Cas-
78
3 Rahmenbedingungen
fünf Jahren Krankheiten mit vornehmlich „katarrhalischem und rheumatischem Charakter“.123 Von „katarrhalischen Affectionen“ wurden 1839 besonders häufig die „Respirations- und Unterleibs-Organe“ befallen.124 Allerdings betrafen solche „Affectionen“ auch Augen, Nase, Schlund, Luftröhre und Lungen.125 Rheumatische Schmerzen konnten nicht nur in den Gelenken, sondern ebenso in Zähnen, Ohren und Kopf auftreten.126 In Behandlung kamen ferner entzündliche Bräune, Pleuresien und Pneumonien, im Sommer viele Koliken und Durchfall, mitunter Brechdurchfall.127 Nervenfieber war eine Krankheit, die die verschiedenen Kreise der Regierungsbezirke der Provinz immer wieder in unterschiedlichem Ausmaß heimsuchte.128 Keuchhusten war ebenfalls weit verbreitet und führte 1842 zu „intercurrenten Epidemien“ im Regierungsbezirk Münster.129 Scharlach trat dagegen in der Provinz Westfalen nur vereinzelt auf.130 Demgegenüber überzog „eine sehr ausgedehnte Masernepidemie“ die einzelnen Regierungsbezirke in den Jahren 1842 und 1843. Deren Charakter wurde als weitgehend gutartig beurteilt, so dass sie „nur selten“ durch hinzugetretene Erscheinungen tödlich wurde.131 Im Jahr 1841 wütete die Grippe in der Stadt Münster und dem gesamten Bezirk.132 Darüber hinaus wurde das gehäufte Auftreten der Krätze im Kreis Ahaus erwähnt, wobei diese „in den meisten Gegenden nur in einzelnen Fällen, oder
123
124 125 126 127
128 129 130 131 132
par] (Hrsg.): Provinzial-Sanitätsbericht des Königlichen Medizinal-Collegiums von Westfalen für das Jahr 1842, Münster 1844 und Provinzial-Sanitäts-Bericht des Königlichen Medcinal-Collegiums von Westfalen für das Jahr 1843, Münster 1845. So auch die einleitenden Sätze von Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht aus den Jahren 1839, S. 13, 1840, S. 14, Königliches Medizinal-Collegium zu Münster: General-SanitätsBericht 1841, S. 23, Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 19, Provinzial-SanitätsBericht 1843, S. 23 und Provinzial-Sanitäts-Bericht des Königlichen Medicinal-Collegiums von Westfalen für das Jahr 1844, Münster 1846, S. 23. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1839, S. 13. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1840, S. 14 und Königliches Medizinal-Collegium zu Münster: General-Sanitäts-Bericht 1841, S. 23. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1839, S. 13 sowie Königliches Medizinal-Collegium zu Münster: General-Sanitäts-Bericht 1841, S. 23. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1840, S. 15. Bräune ist laut Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 65–66, eine Bezeichnung für Diphtherie, Angina oder auch Croup, Pleuresie ist eine „Art von innwendigen Brust-Geschwären“, Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 474 und Pneumonie ist eine Lungenentzündung, Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch, Berlin/New York 260. Auflage 2004, S. 1447. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1839, S. 22, Königliches Medizinal-Collegium zu Münster: General-Sanitäts-Bericht 1841, S. 26, Provinzial-Sanitäts-Bericht 1843, S. 24. Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 20. Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 23, Provinzial-Sanitäts-Bericht 1843, S. 41 und S. 51. Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 21–22, Provinzial-Sanitäts-Bericht 1843, S. 26–27, S. 41–44 und S. 51. Amts-Blatt Regierung Münster 1841, S. 112 und S. 151, Königliches Medizinal-Collegium zu Münster: General-Sanitäts-Bericht 1841, S. 23.
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
79
gar nicht vorgekommen“ war.133 Ebenso war das Erscheinen rheumatischer Augenentzündungen im Kreis Tecklenburg und anderen Kreisen eine Meldung wert.134 Aus den kürzer werdenden Meldungen zu dem „Gesundheitszustand der Menschen“ lässt sich das weitere Vorherrschen der katarrhalisch-rheumatischen Erkrankungen seit 1849 ablesen. „Gastrische Fieber“, häufig in Verbindung mit Durchfall und Erbrechen, wurden in den Sommermonaten bemerkt. Scharlach, Keuchhusten und Masern wüteten zeitweise heftig unter den Kindern. Genauso wurde das Auftreten von „Halsbräune“ öfter erwähnt.135 Neben der Bezeichnung „Nervenfieber“ ist in den Berichten eher vom Typhus die Rede. „Brust-Affectionen“ und Lungenentzündungen zählten ebenfalls zu den verbreiteten Krankheiten. Für die Kreise des Regierungsbezirks Minden zeichnen die Meldungen dasselbe Bild.136 Dies war auch der Zustand der Jahre zwischen 1859 und 1863/64 in den Regierungsbezirken, zu denen die Meldungen Auskunft geben. Die Masern grassierten in jedem der einzelnen Jahre heftig und führten in mehreren Orten zu längeren Schließungen der Schulen.137 Der Grundtenor, den man aus diesen Berichten in den „Amts-Blättern“ über die Jahre hinweg gewinnt, lautet, dass die Sterblichkeit die meiste Zeit die üblichen Grenzen nicht überschritt. Auch war der Gesundheitszustand der Menschen im Allgemeinen „befriedigend“ bis „gut“ oder „erwünscht“. In jedem Fall trägt die Auswertung der Patientenjournale Bönninghausens weitere Mosaiksteine zur Beschreibung des „Krankheitszustandes“ im 19. Jahrhundert in Münster und dessen Umgebung bei. Für die Behandlung der herrschenden mannigfaltigen Krankheiten standen den Bürgern in Münster und der Provinz Westfalen verschiedene Möglichkeiten offen. Nach versuchter Selbstbehandlung, fragten sie häufig nicht zugelassene Laienheiler, so genannte „Quacksalber“ um Rat. Von Rechts wegen waren jedoch die approbierten Ärzte und Wundärzte für die Behandlung von Krankheiten zuständig.138 Seit 1825 unterschied das preußische Prüfungswerk drei Gruppen.139 Zunächst die promovierten Ärzte, die in erster Linie 133 Königliches Medizinal-Collegium zu Münster: General-Sanitäts-Bericht 1841, S. 30. Für den Kreis Ahaus: Amts-Blatt Regierung Münster 1841, S. 151. 134 Amts-Blatt Regierung Münster 1841, S. 273 und S. 308. 135 Beispielsweise Amts-Blatt Regierung Münster 1853, S. 292. 136 Amts-Blatt Regierung Minden 1852–1854. 137 So im Kreis Tecklenburg, August/September 1863. Amts-Blatt Regierung Münster 1863, S. 173, Amts-Blatt Regierung Münster 1861, S. 201. 138 Zu verunglückten Selbstmedikationen zum Beispiel Amts-Blatt Regierung Münster 1842, S. 27: „Ein Schullehrer starb plötzlich in Folge des Genusses von Zwiebeln der Blumenpflanze, Eisenhütchen genannt, welche er als Mittel gegen Blutgeschwüre auf Milch aufgesetzt hatte.“ Über weitere Hausmittel, welche die Leute bei Wechselfieber verwendeten, Sanitaets-Bericht 1831, S. 24. 139 Zum Preußischen Medizinalwesen Eulenberg: Medicinalwesen oder Horn: Medicinalwesen. Erläuternd zu der Situation nach 1825 unter dem Gesichtspunkt der Professionalisierung Huerkamp: Aufstieg, S. 45–50.
80
3 Rahmenbedingungen
für die innere Medizin zuständig waren. Doch konnten sie nach einer Zusatzausbildung auch die Chirurgie ausüben und sich dann als „praktischer Arzt und Wundarzt“ bezeichnen. Wundärzte I. Klasse hatten eine klinisch-chirurgische Ausbildung zu absolvieren und waren als nicht promovierte praktische Ärzte in den Bereichen der inneren und chirurgischen Praxis tätig. In der Stadt Münster befand sich bis 1848/49 eine solche medizinisch-chirurgische Lehranstalt.140 Wundärzte II. Klasse hingegen durften nach einer Lehrzeit bei einem Wundarzt nur chirurgisch behandeln.141 Jede dieser drei Gruppen konnte sich durch eine weitere Zusatzausbildung zum Geburtshelfer qualifizieren. Jede chirurgische Ausbildung berechtigte zur Ausübung der Augenheilkunde.142 Die Arztdichte war in Münster das gesamte 19. Jahrhundert hindurch sehr hoch und lag weit über dem preußischen Landesdurchschnitt.143 Das Verhältnis der Ärzte und Wundärzte im Vergleich zur Bevölkerung schwankte jedoch über die einzelnen Jahre hinweg und war in den 1840er Jahren am besten.144 Viele Ärzte bekleideten zusätzlich zu ihren privaten Praxen eine amtliche Stelle als Physikus, Polizei-, Gefängnis-, Krankenhaus- oder Armenarzt.145 Im Vergleich zu den übrigen Provinzen, wies Westfalen eine sehr gute Versorgung mit promovierten Ärzten auf. Ebenso ließen sich dort überdurchschnittlich viele Wundärzte nieder, so dass in Bezug auf die Arztdichte die medizinische Situation der Provinz Westfalen als sehr gut beurteilt werden kann.146 Betrachtet man die Entwicklung der Arztdichte, so verschlechterte sich das Verhältnis innerhalb der Provinz, wobei eine ähnliche Tendenz für 140 141 142 143
Kurzer Abriss bei Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 86–91. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 115. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 115. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 117. Schwanitz bietet eine Tabelle, aus der jedoch nicht klar hervorgeht, wie die Arztdichte berechnet wurde. Tabelle 1 im Anhang beruht auf eigenen Berechnungen unter Verwendung der neuen Bevölkerungsangaben nach Teuteberg: Materialien und einer Quelle aus dem StdAM, die den Nachweis über das Medizinalpersonal der Stadt führt. StdAM Stadtregistratur Fach 202 Nr. 2: Statistische Tabelle der Sanitäts-Anstalten nebst Nachweis der Medizinal Personen in der Stadt Münster, 1813–1867. 144 Hierzu Tabelle 1 im Anhang. 145 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 118. Über die privaten Praxen der Ärzte ist nichts weiter bekannt und offensichtlich sind sämtliche eventuell vorhandenen schriftlichen Hinterlassenschaften darüber verloren gegangen. Im Zuge der Recherchen ergab sich im Privatarchiv des Hauses Welbergen im Nachlass des Dr. Franz von Druffel der Hinweis auf dessen Ordinations- und Krankenbücher, die jedoch nicht weiter berücksichtigt werden konnten, da sie außerhalb des interessierenden Zeitraums liegen. Siehe: Herberhold, Franz: Archivverzeichnis Haus Welbergen. Akten, Münster 1980 (Westfälische Quellen und Archivverzeichnisse 4). Diese Stücke harren noch ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung. 146 Huerkamp: Aufstieg, S. 51. Auch im internationalen Vergleich schnitt die Provinz mit der Versorgung durch Ärzte gut ab. Lediglich in Großbritannien war das Verhältnis mit einem Arzt je 1.113 Einwohner (1841) besser. Hierzu Loetz, Francisca: „Medikalisierung“ in Frankreich, Großbritannien und Deutschland 1750–1850. Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung. In: Eckart, Wolfgang; Jütte, Robert (Hrsg.): Das europäische
3.3 Münster und die Provinz Westfalen – Die Umgebung
81
Preußen insgesamt erkennbar ist.147 Dennoch blieben die westlichen Provinzen Preußens besser medizinisch versorgt als die stark agrarisch geprägten Ostprovinzen.148 Innerhalb der Provinz war jedoch der Regierungsbezirk Münster etwas besser mit Ärzten ausgestattet als die Bezirke Minden und Arnsberg.149 Die Stadt Münster verfügte bis 1864 über vier Krankenhäuser und Einrichtungen in denen Kranke versorgt wurden.150 Das Clemenshospital war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts das einzige allgemeine Krankenhaus.151 Es war im 18. Jahrhundert gegründet worden und nahm jährlich bis zu 500 Patienten auf. Dabei handelte es sich vor allem um ärmere Kranke, die häufig von auswärts kamen und nicht in Münster von Familienangehörigen verpflegt werden konnten.152 Zwar wurde 1821 eine Chirurgenschule in Münster eingerichtet. Diese betrieb aber erst ab 1825 eine gemischte ambulante Praxis, in der äußerlich, wie innerlich Kranke behandelt wurden.153 Ab 1829 gab es dort nur drei Krankenzimmer. Die Poliklinik sollte die fundierte praktische Ausbildung von künftigen Chirurgen und Geburtshelfern sicherstellen und war insofern Lehranstalt. Dort fanden arme Kranke unentgeltliche und gute ärztliche Hilfe.154 Die medizinisch-chirurgische Lehranstalt wurde 1849 im Zuge der Reform der preußischen Medizinalverfassung geschlossen.155 Zudem gab es zwei von Ordensgemeinschaften geführte Krankenanstalten, die jedoch sehr klein waren. Dies war das dem Kloster der Schwestern Zum guten Hirten an-
147
148 149
150 151
152 153 154 155
Gesundheitssystem. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in historischer Perspektive, Stuttgart 1994 (MedGG Beiheft 3), S. 143. Wohl nahm der Anteil der promovierten Ärzte je Person zu, gleichzeitig nahm aber der Anteil der Wundärzte stark ab, so dass sich die ärztliche Versorgung in Preußen von der Jahrhundertmitte an zunächst verschlechterte: Huerkamp: Aufstieg, Tabelle 11, S. 149 und S. 150. Die selbst berechneten Zahlen für die Provinz Westfalen in Tabelle 3 im Anhang. Zu dem Ost-West-Gefälle in der medizinischen Versorgung Preußens: Huerkamp: Aufstieg, S. 148. Sponholz: Statistik, S. 44–45: „Das Verhältniß sämmtlicher Medizinal-Personen zur Einwohnerzahl wie 1: für Münster 1: 2.187, Minden 1: 2.584, Arnsberg 1: 2.559.“ Für das Jahr 1824 sowie ebenda S. 69. Für 1828 ebenso, S. 75. 1840 nahm der Regierungsbezirk Münster die dritte Position in der Rangliste der Arztdichte mit einem Verhältnis von 1: 2.778 ein. Berlin führte diese Liste mit einem Arzt für 1.072 Einwohner, gefolgt von Cöln mit 2.761 Personen je Arzt. Die Regierungsbezirke Arnsberg (1:3.462) und Minden (1:4.649) folgten auf den Rängen sieben beziehungsweise 15. Ebenda, S. 80. Zu den selbst berechneten Zahlen bezüglich der Arztdichte im Regierungsbezirk Münster Tabelle 2 im Anhang. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 66–81. Zum Clemenshospital: Jungnitz: Krankenhäuser, Langefeld; Spree: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung, S. 323– 347 und Kathstede: Patientenschaft. Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 362, Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 34 mit der Auflistung der dort behandelten Krankheiten. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 86–91. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 90. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 91.
82
3 Rahmenbedingungen
gegliederte Krankenhaus mit 20 Betten, das zudem nur erkrankten Zöglingen und Pflegerinnen zur Verfügung stand.156 Ab 1857 nahm außerdem das Franziskushospital, das zu dem Mutterhaus der Schwestern des heiligen Franziskus gehörte, „männliche und weibliche Kranke jeder Art, heilbare und unheilbare, Altersschwache, Sieche und chronisch Kranke“ auf.157 Im Jahr 1863 öffnete das evangelische Johannisstift seine Pforten für 20 Patienten.158 Clemens Maria Franz von Bönninghausen war eigentlich kein approbierter Arzt und sein Doktorgrad bezog sich nur auf sein abgeschlossenes Jurastudium.159 Als Laie hatte er vielmehr die außerordentliche Erlaubnis für die Ausübung seiner heilenden Tätigkeit erhalten. Es wird daher in den folgenden Kapiteln zu sehen sein, wie sich einerseits seine homöopathische Praxis in das medizinische Umfeld der Stadt Münster, die doch eine Vielzahl an zugelassenen Ärzten beherbergte, einfügte. Das bedeutet inwieweit Patienten seinen Rat suchten und seine Therapie als Teil des medizinischen Angebots nutzten. Andererseits wird zu fragen sein, mit welchen Beschwerden die Patienten zu Bönninghausen kamen und ob sich hierbei Schwerpunkte ablesen lassen.
156 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 85–86. 157 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 81–83. 158 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 83–85, Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 363. 159 Spätere verliehene Ehrendoktorwürden im Bereich der Medizin stehen hier nicht zur Diskussion. Bönninghausen wird in keinem der Adressbücher als Arzt genannt und eine offizielle Vereidung dürfte nie stattgefunden haben. Dazu gibt es keinen Niederschlag in den entsprechenden Akten, während die Approbationen seiner Söhne dort nachgewiesen sind. StAM Regierung Münster 893 V-236: Die Homöopathie und die homöopathischen Ärzte, 1854–1895, S. 6–10 zu Carl und S. 63 zu Friedrich, StAM Regierung Münster 207 XV II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 15, 1861–1868, S. 19–20 zu Friedrich.
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen Am Anfang jeder „Krankheit“ steht ein diffuses, sehr subjektives Gefühl des Unwohlseins.1 Diese ersten individuellen „Krankheitsgefühle“ sind in den vorliegenden Quellen nicht direkt zu fassen. Sie können aber bei jedem Patienten vorausgesetzt werden, da diese sonst kaum die Entscheidung getroffen hätten, externe medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.2 Hier stellt sich die Frage, welche Symptome als derart einschränkend empfunden wurden, dass die Betroffenen den Weg der „Patientenkarriere“3 einschlugen. „Die Schwelle, an der die individuelle Gesundheitseinbuße als nicht mehr akzeptabel und adaptionsfähig angesehen“ wird, ist bei jeder Person verschieden und wird von unterschiedlichen ethnisch-kulturellen und sozioökonomischen Vorstellungen beeinflusst.4 Offensichtlich lag diese Schwelle in der Vergangen1
2
3
4
Dies ist eine ausgesprochen weite Definition von „Krankheit“. Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 180–184, Larsen: Case Histories, S. 14, Dörner, Klaus: Diagnosen der Psychiatrie, Frankfurt am Main/New York 2. Auflage 1981, S. 152–156, Bischoff, Claus; Zenz, Helmuth (Hrsg.): Patientenkonzepte von Körper und Krankheit, Bern/Stuttgart/Toronto 1989, S. 11. Zum Problem einer Definition von Krankheit: Labisch: Homo hygienicus, S. 12–14. Am ehesten noch sind solche Gefühle für Historiker in Egodokumenten zu fassen, die nicht primär in einem medizinischen Kontext entstanden sind, das sind Autobiographien, Tagebücher und Briefe, soweit es sich nicht um Patientenbriefe an Ärzte handelt. Dazu: Stolberg: Homo patiens, Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 182, Hoffmann: Alltag, Schweig: Gesundheitsverhalten, international Porter; Porter: In Sickness. Zum Begriff der Patientenkarriere, stark zentriert auf dessen Verwendung im Zusammenhang mit chronisch Kranken: Gerhardt, Uta: Krankheits- und Patientenkarrieren. In: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Keupp, Heiner; Rosenstiel, Lutz von; Wolff, Stephan (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendung, München 1991, S. 312–316. Jütte spitzt den Begriff der Patientenkarriere auf „aktives Handeln im medizinischen System“ zu: Jütte: Patient und Heiler, S. 10. Die schematische Darstellung eines „Patientenweges“ auf den Spezialfall einer Konsiliarkorrespondenz zulaufend bietet: Ruisinger, Marion: Patientenwege. Die Konsiliarkorrespondenz Lorenz Heisters (1683–1758) in der Trew-Sammlung Erlangen, Stuttgart 2008 (MedGG Beiheft 28), S. 110. Brügelmann: Blick, S. 226–227, Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 172– 175, Riley: Sickness, S. 3–6. Zu Krankheit als sozial konstruiertes Phänomen: Herzlich, Claudine; Pierret, Janine: Kranke gestern, Kranke heute. Die Gesellschaft und das Leiden, München 1991, Dinges: Social History. Zu Faktoren des Krankenverhaltens: Coe, Rodney: Sociology of Medicine, New York/St. Louis/San Francisco/London 1970, S. 105, Hendel-Kramer, Anneliese; Siegrist, Johannes: Soziale und psychische Determinanten des Krankheitsverhaltens. In: Siegrist, Johannes; Hendel-Kramer, Anneliese (Hrsg.): Wege zum Arzt. Ergebnisse medizinsoziologischer Untersuchungen zur Arzt-Patientenbeziehung, München/Wien/Baltimore 1979 (Medizin und Sozialwissenschaften 4), S. 24–55, Schroeder-Kurth, Traute: Die Kulturabhängigkeit von Erkrankung, Krankheit, Kranksein, Gesundheit (Sickness, Disease, Illness, Health). Probleme global gültiger Definitionen und Konsequenzen für Erwartungen und Behandlung. In: Wbg. med.hist. Mitt. 22 (2003), S. 306–322, Flick: Wann fühlen wir uns gesund. Von Problemen der Forschung zu „Wohlbefinden“ und der Komplexität dieses Bereichs: Abele; Becker: Wohlbe-
84
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
heit jedoch „höher“. „Krank sein“ wurde häufig mit „Bettlägerigkeit“ gleichgesetzt, so dass man im Fall eines Kranken von einer schwerwiegenderen Befindungsstörung und nicht nur von gelegentlichem Unwohlsein ausgehen könnte. Dennoch waren auch in der Vergangenheit vorbeugende und gesundheitserhaltende Maßnahmen bekannt und wurden von den Betroffenen genutzt und durchgeführt.5 Die erste Stufe einer „Patientenkarriere“ ist zunächst die Selbstmedikation. Häufig holt der Kranke Rat von Familienangehörigen oder nahen Freunden.6 Tritt daraufhin keine Besserung der Symptome ein, wird üblicherweise die Entscheidung getroffen, „externe“ Hilfe zu holen. Daher war in Bezug auf das „Kranksein“ der Menschen, um die es im Folgenden geht, bereits eine wichtige Entscheidung gefallen. Alle Personen, die andere Heiler oder den Homöopathen von Bönninghausen aufsuchten, hatten sich zumindest so „krank“ oder auch in ihrem Alltagshandeln durch verschiedene Beschwerden so eingeschränkt oder bedroht gefühlt, dass sie dagegen den medizinischen Rat suchten.7 Was diese „externe“ Hilfe angeht, wandten sich die Betroffenen im 19. Jahrhundert noch nicht notwendiger Weise sofort an einen „Arzt“ in unserem heutigen Sinn.8 Wie bereits bei der Beschreibung der medizinischen Situation angedeutet, konnten kranke Personen in Münster und der Umgebung zwischen vielen verschiedenen Behandlungsangeboten wählen. Denn der „medizinische Markt“ damals unterschied sich in manchen Punkten von der heutigen Situation.9 Mit der Vorherrschaft der „gelehrten“ Ärzte war es noch
5 6
7
8
9
finden. In diesem Band geht Dann, Hanns-Dietrich: Subjektive Theorien zum Wohlbefinden, S. 106–111 der Frage nach, wie ein solches zu definieren ist. Loetz: Vom Kranken, S. 125 und S. 218, Riley: Sickness, S. 63, Jütte: Patient und Heiler, S. 240–241, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 55 und S. 163. Zur allgemeinen Frage wie man Patient wird: Dörner: Diagnosen, S. 150–175. Skizzierung der Stationen einer „Patientenkarriere“ in der Vergangenheit bei Probst, Christian: Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin von Marktplatz und Landstraße, Rosenheim 1992, S. 45, Ritzmann, Iris: Der Faktor Nachfrage bei der Ausformung des modernen Medizinalwesens. Überlegungen am Beispiel der Kinderheilkunde. In: Wahrig, Bettina; Sohn, Werner (Hrsg.): Zwischen Aufklärung, Policey und Verwaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750–1850, Wiesbaden 2003 (Wolfenbütteler Forschungen 102), S. 169–173. Zu den Entscheidungen, die im Laufe eines solchen Prozesses gefällt werden können: Coe: Sociology, S. 108–111, Dörner: Diagnosen, S. 164. Schematischer und in Bezug auf den Kranken der Vergangenheit auch Döhner, Otto: Krankheitsbegriff, Gesundheitsverhalten und Einstellungen zum Tod im 16. bis 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main/Bern/ New York 1986 (Marburger Schriften zur Medizingeschichte 17), S. 49–51, Ruisinger: Patientenwege, S. 124, Loetz: Vom Kranken, S. 125–127. Allerdings wenden sich auch Personen, die sich heutzutage krank fühlen, nicht sofort an einen Arzt. Pflanz, Manfred: Der Entschluß, zum Arzt zu gehen. In: Hippokrates 35 (1964), S. 896, Bischoff; Zenz: Patientenkonzepte, S. 11, Grunow; Breitkopf; Dahme; Engler; Grunow-Lutter; Paulus: Gesundheitsselbsthilfe. Zur Beschreibung der damaligen Situation: Huerkamp: Aufstieg, S. 40–45, Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 289–295, Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, S. 67–130, Stolberg: Homo patiens, S. 83–91, derselbe: Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
85
nicht weit her, auch wenn sie im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bereits wichtige Schritte im Hinblick auf ihre heutige „Monopolstellung“ gemacht hatten.10 Die therapeutischen Erfolge eines Arztes, der an der Universität studiert hatte, waren ebenso großteils ungewiss und zufällig, das medizinische Wissen weitgehend symptomorientiert und spekulativ. Neben solchen „gelehrten“ Ärzten, gab es als große Gruppe die handwerklich und an speziellen Lehranstalten ausgebildeten Chirurgen und Wundärzte, die ebenfalls zugelassene Medizinalpersonen waren.11 Zu den „offiziellen“ Heilpersonen zählten auch die Hebammen. Neben diesen „approbierten“ Therapeuten gab es nicht zugelassene Personen, die den Leiden der Menschen Abhilfe zu schaffen versuchten. Häufig wurden diese Anbieter von den „gelehrten“ und zugelassenen Heilpersonen als „Quacksalber“, oder später „(Kur-) Pfuscher“, bezeichnet.12 Sie waren in ihren zum Teil sehr ähnlichen Behandlungen bisweilen genauso erfolgreich oder erfolgreicher, so dass sie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen konnten.13 Zudem ließen sich viele Ärzte und Wundärzte in den Städten nieder, so dass die medizinische Versorgung auf dem Land nicht zum Besten bestellt war und die Menschen dort auf solche Heiler angewiesen waren.14 Nach fehlgeschlagener Selbstmedikation dürfte dann eine Vielzahl der Kranken zunächst den Rat aus der so genannten „Volksmedizin“ gesucht und sich an den örtlichen Laienheiler oder die „weise Frau“ aus der Nachbarschaft gewandt haben. Fahrende Arzneikrämer und Operateure standen ebenfalls mit Wissen zur Seite.15 Mit dem Auftreten weiterer medizinischer Ströund Annahme medizinischer Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert, München 1986 (Med. Diss.), S. 126–243. International: McCray Baier, Lucinda: Sufferers and Healers. The Experience of Illness in Seventeenth-Century England, London/ New York 1987, Porter, Roy: Disease, Medicine and Society in England 1550–1860, Hampshire/London 1987, Porter; Porter: In Sickness. 10 Allgemein zur Professionalisierung der Ärzte: Huerkamp: Aufstieg. In diesem Sinn auch Loetz: Vom Kranken, S. 115, Stolberg, Michael: Ärzte und ländliche Patienten. Soziologisch-historische Aspekte einer schwierigen Beziehung. In: Die medizinische Welt 43 (1992), S. 530. 11 Huerkamp, Claudia: Ärzte und Professionalisierung in Deutschland. Überlegungen zum Wandel des Arztberufs im 19. Jahrhundert. In: GG 6 (1980), S. 350 sowie Sander, Sabine: Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe, Göttingen 1989 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 83). 12 Zu den Begriffen Quacksalber und Kurpfuscher: Spree, Reinhard: Kurpfuscherei. Bekämpfung und ihre sozialen Funktionen während des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Labisch, Alfons; Spree, Reinhard (Hrsg.): Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, Bonn 1989, S. 103–121. 13 Loetz, Francisca: Andere Grenzen. Faktoren ärztlicher Inanspruchnahme in Deutschland 1780–1830. Empirische Ergebnisse und methodologische Überlegungen. In: Schnalke, Thomas; Wiesemann, Claudia (Hrsg.): Die Grenzen des Anderen. Medizingeschichte aus postmoderner Perspektive, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 38, Probst: Fahrende Heiler, S. 45. 14 Huerkamp: Ärzte und Professionalisierung, S. 351, dieselbe: Aufstieg, S. 51. 15 Probst: Fahrende Heiler, Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 289, Loetz: Vom Kranken, S. 135–136.
86
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
mungen wie der Homöopathie, des Elektrizismus und Magnetismus oder der Wasser- und Bäderkuren, folgten andere Behandlungsmöglichkeiten, die nicht notwendigerweise, aber auch von approbierten Ärzten durchgeführt wurden und daher eine Art Mischfeld darstellen.16 Irgendwann im Lauf einer solchen skizzierten „Patientenkarriere“, eventuell als deren letzte Instanz, stand der Besuch bei einem „gelehrten“ Arzt.17 Ausschlaggebend für die Konsultation eines bestimmten Therapeuten waren mehrere Faktoren. Dabei spielte die heute vermeintlich so offenkundige Unterscheidung der Heilpersonen in offiziell zugelassene und im Sinn der so genannten „Schulmedizin“ stehende Ärzte und populäre Laienheiler keine große Rolle.18 Vielmehr wurde nach der „Effizienz“ der jeweiligen Kur und besonders nach den Aussichten auf eine rasche Heilung gefragt.19 Darüber hinaus waren finanzielle und verkehrstechnische Faktoren relevant20, so dass „die Wege zum Arzt zu verschlungen sind, als daß hier monokausal argumentiert werden könnte“.21 Clemens von Bönninghausen war an der Vorgeschichte seiner Patienten interessiert. Dies lag daran, dass bereits eingenommene Medikamente das ursprüngliche Krankheitsbild und die Symptome entsprechend beeinflussen konnten. Daher war es für ihn nicht nur wichtig zu wissen, ob die Patienten zuvor überhaupt schon eine Kur für ihre Beschwerden angestrebt hatten, sondern wo beziehungsweise bei wem und mit welchen Mitteln.22 Insofern ge16 Allgemein zu solchen Konzepten, die heute gerne mit dem Begriff der „alternativen oder unkonventionellen Therapie“ belegt werden: Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Speziell zum Magnetismus, dort S. 103–114. Wasserkuren sind seit der Antike bekannt, erlebten aber in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aus dem Kreis der Laien eine grundlegende Erneuerung. Zu Wasserkuren und den nur schwer davon zu trennenden Bäderkuren ebenda, S. 115–135, Hähner-Rombach, Sylvelyn (Hrsg.): „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser, Stuttgart 2005 (MedGG Beiheft 25), Spree: Kurpfuscherei, S. 109. Für die Homöopathie der Sammelband Dinges: Homöopathie. Zu den medizinischen Konzepten um 1800 ferner: Eckart: Hahnemann und die medizinischen Konzepte. 17 Ähnlich: Huerkamp: Aufstieg, S. 41. 18 Loetz: Grenzen, S. 36–39, Döhner: Krankheitsbegriff, S. 50, Jütte: Barber-Surgeon, S. 188, Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 317–318 und ein Beispiel S. 295–297. 19 Allgemein zu dieser Überlegung: Loetz: Grenzen, S. 40. Nach ebenda S. 48 in Fußnote 49 ist Effizienz als eine subjektive Kategorie zu verstehen, die nicht retrospektiv zu messen ist, sondern ein „Werturteil der Kranken über die von ihnen erwartete beziehungsweise als solche empfundene therapeutische Hilfe durch Ärzte“ darstellt. So auch Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 283. 20 Loetz: Grenzen, S. 32–34, dieselbe: Vom Kranken, S. 135–136 und S. 227–252. 21 Brügelmann: Blick, S. 227, Hendel-Kramer; Siegrist: Determinanten, S. 46, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 90. 22 Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 21. Samuel Hahnemann legte selbst Wert auf derartige Informationen: Hahnemann: Organon 6 § 86, S. 171. Allerdings scheint Bönninghausen diese konsequenter notiert zu haben. Schuricht, Ulrich: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D16 (1817–1818). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 2004, S. 26, Meyer: Patientenbriefe, S. 66. Varady: D5 Kommentar, S. 338–341 hat die zuvor verwendeten Mittel, die Hahneman notierte tabellarisch aufgelistet. Auch „allopathische“
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
87
ben die Patientenjournale wichtige Hinweise auf die einzelnen „Patientenkarrieren“ und die Erfahrungen, die Kranke im medizinischen Umfeld gemacht hatten. Durch diese Informationen werden Einblicke in das Verhalten der Patienten im „medizinischen Markt“ und im Umgang mit der Behandlung von Krankheiten möglich.23 In den folgenden Teilkapiteln geht es darum, herauszufinden, welchen Weg Patienten gegangen waren, bevor sie zu Bönninghausen kamen. Was hatten sie getan, um wieder gesund zu werden? Wen hatten sie konsultiert? Was hatten sie dabei erlebt? Von 69 % der Kranken, die später den Freiherrn um Rat fragten, wurden Angaben zu vorangegangenen Therapien gemacht. Die Aussagen des folgenden Kapitels beruhen auf den Notizen, die Bönninghausen unter dem Stichwort „Allop. gebr.“ und zum Teil in den Erstanamnesen gemacht hat.24 Besprochen werden die einzelnen Stationen der „Patientenkarrieren“ in der Reihenfolge, die man im Prinzip heute noch bei Kranken erkennen kann.25 Die aufeinander abfolgende Darstellung ist nicht als strikte Linie zu verstehen. Zwar bestand eine hierarchische Struktur zwischen den einzelnen Heilern, auf die insbesondere die approbierten Medizinalpersonen Wert legten. Aber diese Rangfolge sagt nicht zwangsweise etwas über die Reihenfolge aus, in der einzelne Betroffene den Rat der jeweiligen Therapeuten in Anspruch nahmen.26 Es drängt sich vielmehr die Erkenntnis auf, dass eine solche Laufbahn eher als Kreis oder Pendelkurs zwischen den einzelnen Angeboten der Behandlungsmöglichkeiten zu sehen ist. 4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“ In der überwiegenden Mehrheit hatten die Kranken irgendwann einmal in ihrem Leben die „allopathischen“ Dienste genutzt. Viele von Bönninghausens Patienten betonten jedoch, dass sie seit einem gewissen Zeitraum nichts mehr
23 24
25 26
Ärzte waren an der Vorbehandlung ihrer Patienten interessiert Hartmann: Krankheitsgeschichte, S. 27. Dies belegt auch der Bochumer Arzt Kortum, der in seinen Notizen die Namen von anderen Ärzten erwähnte: Balster: Kortum, S. 202–208. Dasselbe Vorgehen bei Baal: In Search, S. 98–110. Um besondere Erfahrungen und solche Notizen zu erfassen, wurde in das Feld „Zusätzliche Bemerkung“ das Schlagwort „Allopathie“ notiert. Dies findet man bei 2.139 Behandlungen. Bei 9.851 Patienten (69,1 %) wurde eine „allopathische“ Behandlung bei „Allop. gebr.“ vermerkt. Bei 3.377 Personen waren hierzu keine Angaben gemacht worden und für 1.038 Fälle war ein mehr oder weniger deutliches nein erkennbar. Vermutlich ist der Anteil der Patienten, die vorher tatsächlich eine andere Behandlung hatten, höher, denn bei 20 Patienten vermerkte Bönninghausen auch bei einer verneinenden Antwort nach einer vorangegangenen Behandlung: „Angeblich nichts“ oder „Angeblich, 0“, beispielsweise IGM P 114 Fol. 305 oder P 79 Fol. 181. Zum Problem des Verschweigens einer vorangegangenen Behandlung: Ruisinger: Patientenwege, S. 126–127. Pflanz: Entschluß, S. 894–897, Labisch: Homo hygienicus, S. 8. Zu dem problematischen Begriff der Hierarchie in diesem Zusammenhang auch Ritzmann: Faktor, S. 169–170, Lindemann: Health, S. 365.
88
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
oder gegen die aktuell vorliegenden Beschwerden noch nichts eingenommen hätten.27 In den meisten Fällen gaben die Patienten zu, vorher eine „allopathische“ Behandlung durchlaufen zu haben. Etwa 20 % aller Kranken wollten oder konnten dem Freiherrn gegenüber nicht angeben, welcher Medikation sie sich genau unterzogen hatten. Bönninghausen notierte daher meist „was?“ oder mit dem Zusatz „was, nicht zu erfahren“ oder drückte einen häufigen Medikamentengebrauch mit „vielerlei“ und „allerlei Schmiralien“, „was gerathen war“ oder „Mag Gott wissen“ aus.28 Ab und zu wurden die Rezepte von Ärzten oder Apothekern zurückgehalten, waren verloren gegangen, unleserlich oder zerrissen worden.29 Gelegentlich dispensierten die Ärzte selbst, so dass die Patienten Mittel ohne ein Rezept erhalten hatten, ohne genau zu wissen, welchen Namen die Arzneien, geschweige denn die einzelnen Inhaltsstoffe trugen.30 Häufig gaben Patienten an, wogegen sie Mittel gebraucht hatten. Dabei erfolgte eine Therapie sehr oft wegen einer vorangegangenen Krätzeerkrankung oder dem Wechselfieber. Aber auch gegen „Kurzathmigkeit“, Verstopfung oder Würmer und für den Magen waren Mittel eingenommen worden. Ebenso muss bei der pauschalen Angabe, die Patienten hätten Brech-, Abführoder Gurgelmittel31 verwendet, unklar bleiben, was jeweils genommen worden war und ob die Kranken sich selbst behandelt oder den Rat eines Arztes befolgt hatten. Oft geschah dies mit dem Vermerk, dass die Arzneien seither noch gar keinen Erfolg oder eine Verschlimmerung der Beschwerden verursacht hätten. Die Beurteilungen reichten von „seither vergeblich“, „offenbar
27 Die Notizen lauten dann: „diesmal (noch) nichts“ oder „Die letzte Zeit/die letzten Jahre nichts.“ Gelegentlich folgen auch genauere Angaben, wie „Seit 2 (oder auch 7) Jahren nichts mehr.“ Solche „ja, aber“-Fälle treten bei 202 Patienten auf, beispielsweise IGM P 111 Fol. 97 mit der Angabe von sieben Jahren, P 79 Fol. 258 dagegen mit unbestimmter Dauer oder P 55 Fol. 187 gegen eine frühere Erkrankung. 28 Bei 2.876 Patienten (20,2 % aller 14.266 Fälle) wurde eine vorangegangene „allopathische“ Behandlung deutlich, ohne dass nähere Angaben über die Art der Behandlung und/oder die Medikation gemacht wurden. Die Aussage aus der Überschrift „Weiß Gott was!“ in diesem Zusammenhang bei 27 Patienten, zum Beispiel bei IGM P 34 Fol. 48, P 44 Fol. 60, P 77 Fol. 63 oder P 109 Fol. 165. 29 Ein unleserliches Rezept in P 47 Fol. 154. Verloren gegangene Rezepte werden erwähnt in P 75 Fol. 65 und P 111 Fol. 96. Ein zerrissenes Rezept: P 110 Fol. 307. Weigerungen von Ärzten oder Apothekern, die Rezepte herauszugeben: P 109 Fol. 157, P 108 Fol. 131, P 80 Fol. 179, P 103 Fol. 136, P 112 Fol. 106. Alle IGM. 30 Zum Beispiel IGM P 84 Fol. 281, P 86 Fol. 98, P 110 Fol. 85, P 112 Fol. 22, P 114 Fol. 81, P 114 Fol. 112 und Fol. 131, P 115 Fol. 174. Zu den Ärzten, die selbst dispensierten: StAM Regierung Münster 894 I A: Die Apotheken der praktischen Ärzte, 1818–1852. 31 Bei Eingabe des Stichwortes „Brechmittel“ unter „Allop. gebr.“ ergeben sich 28 Treffer. Bei zwei Fällen wird deutlich, dass ein Arzt diese Mittel verabreichte: P 85 Fol. 275 (hier bei der Erstanamnese angegeben), P 108 Fol. 110. Für „Abführ“ als Eingabe erhält man aus der Datenbank 38 Treffer. Brech- und Abführmittel hatten auch die meisten Patienten Hahnemanns vor einer Kur durch ihn eingenommen: Varady: D5 Kommentar, S. 338.
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
89
erfolglos“, „ohne Besserung“ oder „ohne Nutzen“32 bis hin zu „mit steter Verschlimmerung“ oder der Bemerkung, dass man die Krankheit als unheilbar eingestuft hatte.33 Wenn Personen sich unwohl fühlen, versuchen sie häufig zuerst selbst, die Beschwerden zu lindern.34 Dabei wird in der Regel der Rat von Familienangehörigen oder Freunden berücksichtigt.35 Zunächst greift man – auch heute noch36 – zu allerlei bewährten „Hausmitteln“ und anderen Methoden. Patienten des Homöopathen gaben häufiger an, sich solcher Hausmittel bedient zu haben.37 Was diese im Detail waren, ist in den meisten Fällen nicht überliefert. Auch die Verwendung von Geheimmitteln oder so genannten Zeitungsmitteln nannten einzelne Kranke auf die Frage Bönninghausens nach einer bereits durchgeführten Therapie.38 Bei den Zeitungsmitteln handelte es sich 32 Allein die Abkürzung „o. E.“ für „ohne Erfolg“ lässt sich in der Datenbank unter „Allop. gebr.“ 1.177 Mal finden. Dies schließt auch die erfolglosen Kurversuche anderer Ärzte ein und umfasst nicht nur die fehlgeschlagenen Medikationsanwendungen. 33 Letzteres beispielsweise bei IGM P 79 Fol. 119. Näheres zu solchen Abweisungen auch Kapitel 4.4.3 und 7.5. 34 Es werden nur die Mittel näher besprochen, die in der zeitgenössischen Literatur im Rahmen der Hausmittel geführt wurden. Ferner finden die Arzneien Erwähnung, die häufiger genannt wurden. Auf jedes einzelne Mittel einzugehen, das einer der 14.266 Patienten versucht hatte, ist nicht möglich. Die Angaben stehen jedoch jeder weiteren Untersuchung zur Verfügung. Von 5.568 Kranken wurden Medikamente genannt. Ein einführender knapper Überblick zur Vielfalt der möglichen Arzneien bei: Stille, Günther: Krankheit und Arznei. Die Geschichte der Medikamente, Berlin/Heidelberg/New York 1994. Für ein Journal bei Hahnemann wurde eine Liste mit Angaben über Behandlungen anderer Ärzte angefertigt, die ebenfalls einen gewissen Überblick über die Vielfalt der damals üblichen Anwendungen bietet: Varady: D5 Kommentar, S. 338–341. International: Cowen, David; King, Louis; Lordi, Nicholas: Drug Use in the 19th Century. A Computer Analysis. In: Hickel, Erika; Schröder, Gerald (Hrsg.): Neue Beiträge zur Arzneimittelgeschichte. Festschrift für Wolfang Schneider zum 70. Geburtstag, Stuttgart 1982, S. 59–67, Porter; Porter: Patient’s Progress, S. 33–51. 35 Dazu notierte Bönninghausen: „was gerathen war“. Zum Beispiel IGM P 114 Fol. 184 und P 81 Fol. 236. Zu der vorher üblichen Selbstmedikation auch Oberhofer, Andreas: Eine Landarztpraxis im 19. Jahrhundert am Beispiel der Ordination des Dr. Franz von Ottenthal (1818–1899). In: Dietrich-Daum; Dinges, Jütte, Roilo: Arztpraxen, S. 172, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 76–87 sowie international: Porter: Disease, S. 29. 36 Breitkopf, Helmut: Analyse von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Formen gesundheitsbezogener Figurationen als soziale Alltäglichkeit. In: Grunow; Breitkopf; Dahme; Engler; Grunow-Lutter; Paulus: Gesundheitsselbsthilfe, S. 68–75, Pflanz, Manfred: Selbstmedikation. In: MMW 111 (1969), S. 282–287. 37 Das Stichwort „Hausmittel“ findet man in der Datenbank unter der Rubrik „Allop. gebr.“ 281 Mal. Dies entspricht knapp 2,0 % aller Patienten. Berücksichtigt man nur diejenigen Kranken, bei denen weitere Angaben zu zusätzlichen Kuren gemacht wurden sind es 2,9 %. Zu derartigen Hausmitteln und deren Anwendungsgebieten gibt auch StAM Regierung Münster Medizinalwesen 187 2–19: Die Anwendung von Hausmitteln bei Brandschäden und andern Übeln, 1834–1854 Auskunft. 38 Geheimmittel wurden in drei Fällen genannt, wobei hierzu keine näheren Ausführungen gemacht wurden. Es sind dies P 74 Fol. 229, P 76 Fol. 81 und P 111 Fol. 156. Im letzteren Fall handelte es sich um einen Theologiestudenten. Der Begriff „arcana“ für Geheimmit-
90
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
um verschiedene Haus- und Universalmittel, die in der lokalen Presse beworben wurden.39 Hierzu gehörte das Harlemer Öl, dessen Verwendung 24 Patienten angaben.40 Ein weiteres Medikament, dessen Vorratshaltung ebenfalls empfohlen wurde, waren „Hoffmannstropfen“ beziehungsweise der „Hoffmanns Geist“.41 Diese im 19. Jahrhundert weinölhaltige Äther-Alkohol-Mischung wurde, und wird bis heute, gegen Magenbeschwerden, Völlegefühl und allgemeines Unwohlsein, eingesetzt. 46 Kranke hatten versucht mit diesem Präparat, dessen genaue Herstellung der Erfinder Friedrich Hoffmann geheim hielt, ihre Beschwerden zu lindern.42 Ferner wurde bei Zahnschmerzen mit Zahntinktur, Zahnbalsam oder Zahnkitt operiert.43
39
40
41
42
43
tel wird in IGM P 115 Fol. 116 und P 111 Fol. 7 genannt. Zeitungsmittel fanden in IGM P 103 Fol. 207 und P 111 Fol. 88 Erwähnung. Beides sind männliche Patienten. Ein Schneider und ein Weinhändler. Bönninghausen notierte in IGM P 35 auf der letzten Seite ein Geheimmittel gegen Krebs, in P 71 gegen Fallsucht, in P 76 gegen Cholera, in P 111 gegen Wasserscheu. Zeitgenössische kritische Übersichten zu den Zusammensetzungen der Geheimmittel und ihrer bevorzugten Anwendungsgebiete sowie zum Teil mit deren Preise: Wittstein, Georg: Taschenbuch der Geheimmittellehre. Eine kritische Uebersicht aller bis jetzt untersuchten Geheimmittel, Nördlingen 2. vermehrte Auflage 1868, Schnetzler, Karl; Neumann, Franz: Die Geheimmittel und die Heilschwindler, Karlsruhe 4. Auflage 1891. Einen Überblick über gängige Geheimmittel bis um 1900 bietet: Schneider, Wolfgang: Geheimmittel und Spezialitäten. Sachwörterbuch zu ihrer Geschichte bis um 1900, Frankfurt am Main 1969 (Lexikon zur Arzneimittelgeschichte 4). Zu der industriellen Fertigung der Mittel und der Auseinandersetzung mit der Werbung für derartige Arzneien: Ernst, Elmar: Das „industrielle“ Geheimmittel und seine Werbung. Arzneifertigwaren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Würzburg 1975 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 12), Wimmer, Wolfgang: Die Pharmazeutische Industrie als „ernsthafte“ Industrie. Die Auseinandersetzung um die Laienwerbung im Kaiserreich. In: MedGG 11 (1992), S. 75–88. Im Hinblick auf derartige Werbung in den Zeitungen international: Porter, Roy: Health for Sale. Quackery in England 1660–1850, Manchester 1989, S. 115–122. Zu der Praxis, Werbezettel zu verteilen: Probst: Fahrende Heiler, S. 154–156. In Münster konnten im Westfälischen Merkur vor allem Werbeanzeigen für medizinische Ratgeber in Form von Büchern gefunden werden, beispielsweise Westfälischer Merkur vom 10. oder 25. November 1842. Es wurde aber auch für Gichtpapier (6. Dezember 1842), Zahnperlen (10. Januar 1843) oder Gehör-Öl (28. Juli 1843) geworben. Bönninghausen nennt in IGM P 106 vorn eine Auswahl solcher Mittel. Eingabe von „Harl“ (4) oder „Haarl“ (20) bei „Allop. gebr.“ in der Datenbank. Harlemer Öl oder Balsam ist Oleum Terebinthinae sulfuratum (geschwefeltes Terpentinöl): Arends, Johannes: Volkstümliche Namen der Arzneimittel, Drogen, Heilkräuter und Chemikalien, Berlin/Heidelberg/New York 16. Auflage 1971, S. 162. Zu dieser Empfehlung Lutheritz, Karl: Hausapotheke oder medicinisches Noth- und Hülfsbüchlein für Nichtärzte zur Kenntniß, Wahl und Anwendungsart der wichtigsten, und durch sichere Erfahrung bei innerlichen und äußerlichen Krankheiten bewährt gefundenen Hausmittel, Meißen 1825, S. 166. Eingabe von „Hof“ bei „Allop. gebr.“ ergibt 52 Treffer, von denen 46 im Zusammenhang mit den besagten Tropfen stehen. Zur allgemeinen Geschichte und Herstellung der „Hoffmannstropfen“: Kleij, Thomas: Zur Entwicklungs- und Herstellungsgeschichte der Hoffmannstropfen, Dresden 2001 (Med. Diss.). IGM P 114 Fol. 127, P 113 Fol. 289, P 42 Fol. 106.
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
91
Wenn Bönninghausen nur die Verwendung von Medikamenten und Maßnahmen angab, ohne darauf einzugehen, woher die entsprechenden Kranken diese Mittel hatten, kann man nicht zwangsläufig von einer Selbstmedikation oder der Verwendung von Hausmitteln ausgehen. Es muss unklar bleiben, ob die Kranken die Arzneien von einem Arzt verordnet bekommen hatten oder ob sie selbst zu den genannten Mitteln griffen.44 Auch bei Bemerkungen wie „die ganze Apotheke durch“ ist nicht sicher zu beurteilen, ob das Ausprobieren der verschiedenen Mittel – die in diesem Fall gar nicht genannt wurden – auf Anraten des Arztes erfolgte oder nach eigenem Gutdünken selbst in der Apotheke besorgt wurden.45 Dabei konnte es vorkommen, dass Kranke Rezepte von Ärzten sammelten und diese dann ohne erneute Konsultation anwendeten.46 Die Kranken ließen sich auch nicht durch mögliche Gefahren von der Selbstmedikation abbringen. Bei Misserfolg wurden dann mehrere Mittel ausprobiert, bevor man sich schließlich doch dem Rat eines „medizinisch“ Erfahreneren anvertraute.47 Das Spektrum der Selbstmedikation reichte in der Vergangenheit nicht nur bis zu den traditionellen, bewährten Heilmitteln und Bädern oder der Einnahme einfacher Tabletten und Mixturen.48 Sogar das Herstellen von Salben, das Auflegen von Pflastern oder das Verabreichen von „Klystieren“ gehörte in den Bereich der medizinischen Selbstversorgung, und in diverser Ratgeberliteratur wurden hierfür Gebrauchsanweisungen und Rezepturen gegeben.49 44 Von 5.564 Patienten wurden auf die Frage Bönninghausens nach den vorangegangenen Kuren Medikamente genannt. In den allermeisten Fällen gibt es aber keine näheren Angaben, woher die Arzneien stammten oder ob sie verschrieben worden waren. Dies sind 39 % aller Kranken und von denjenigen Patienten, die vorher „allopathisch“ behandelt wurden, ist dies ein Anteil von 56,5 %. Die Mittel der Selbstmedikation unterschieden sich jedoch oft nicht von denen, der „Schulmedizin“: Lindemann: Health, S. 311, Döhner: Krankheitsbegriff, S. 52. Zu dem Spektrum der von einem „allopathischen“ Arzt verschriebenen und verwendeten Medikamente: Balster: Kortum, S. 185–200. Immerhin 36,9 % der im Jahr 1980 Befragten nannte, die „Einnahme nicht verschriebener Medikamente“ als eine durchgeführte gesundheitsbezogene Selbsthilfe-Aktivität: Breitkopf: Analyse, S. 65. Eine solche Maßnahme wird vor allem bei Krankheitssymptomen wie Halsschmerzen, Erkältung, Kopfschmerzen oder Kreislaufbeschwerden vorgenommen, ebenda S. 71. 45 Ein Beispiel für das Besorgen von Medikamenten aus der Apotheke ohne deren Nennung IGM P 106 Fol. 66. Mit der expliziten Begründung, dass die Medikamente nicht bekannt seien, weil diese „bloß vom Apotheker“ stammten P 112 Fol. 21. Das Wort „Apotheke“ erscheint 79 Mal in der Datenbank bei „Allop. gebr.“. 46 Zu dieser Möglichkeit: Loetz: Vom Kranken, S. 128. 47 Ein Beispiel für den tödlichen Ausgang von Selbstmedikation aus dem Amts-Blatt Regierung Münster 1842, S. 27. Auch aus Baden: Loetz: Vom Kranken, S. 220 oder England: Porter; Porter: Patient’s Progress, S. 51–52. 48 Loetz: Vom Kranken, S.220. 49 Beispielsweise für Pflaster: Müller, Ferdinand: Das grosse illustrirte Kräuterbuch. Ausführliche Beschreibung aller Pflanzen, ihres Gebrauchs, Nutzens, ihrer Anwendung und Wirkung in der Arzneikunde, ihres Anbaus, ihrer Einsammlung, Bewerthung und Verwendung im Handel und Gewerbe. Nebst deutlicher Anweisung zur Bereitung aller möglichen medicinischen Präparate, Kräutersäfte, Arzneien, vieler Geheim= und Hausmittel,
92
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
Auch das Setzen von Blutegeln konnte in den Bereich der Selbstbehandlung fallen. Zumindest wurde in manchen Hausarztbüchern eine Vorratshaltung von Blutegeln empfohlen.50 Insgesamt 62 Patienten hatten sich entweder einen Blutegel setzen lassen oder sich diesen selbst angesetzt.51 Der Entzug von Blut wurde dann nötig, wenn die Körpersäfte ins Stocken geraten waren oder ein Übermaß an Blut zu Entzündungen geführt hatte.52 Bei Augen- und Brustentzündungen wurden die Egel jeweils an die betroffene Stelle gesetzt. Allgemein ersetzten die Tiere den Aderlass, besonders bei Kindern und Kranken, die hierfür zu schwach waren.53 Unter den Patienten Bönninghausens, die Blutegel während ihrer Therapie verwendet hatten, waren 14 Kinder, die zehn Jahre und jünger gewesen waren. Das Jüngste war gerade einmal zwei Jahre alt.54 Soweit eine Schichtzuordnung der einzelnen Patienten möglich ist, zeigt sich, dass die Mehrheit der Kranken, die eine Blutegel-Kur unternommen hatte, der Unterschicht zugehörig war. Es handelt sich meist um Vertreter aus dem Bereich des Handwerks und der Landwirtschaft. Aber auch Lehrer machten von den blutentziehenden Tieren Gebrauch.55
50 51
52 53 54
55
Parfümerien, Pomaden, Insektenpulver, Ulm 5. Auflage 1877, S. XV–XVII, für „Klystiere“: Lutheritz: Hausapotheke, S. 96–102, zu Pflastern ebenda, S. 164–167, Mellin, Christoph: Die Hausmittel. Eine Sammlung der besten, gemeinützigsten und sichersten Mittel, die Gesundheit des Menschen zu erhalten, und den Krankheiten gehörig vorzubeugen, Grätz 1794, S. 35–38 bezeichnet „Klystiere“ als „ein unentbehrliches Hausmittel, und jede Hausmutter sollte sich ihre Zubereitung und jede Art sie beyzubringen, bekannt machen“, Anonym: Das Hausmittel-Buch. Eine Auswahl alter und neuer Hausmittel zum Gebrauche unserer deutschen Hausfrau zusammengestellt von einem Arzte, Wien 1892, S. 37, Jütte: Ärzte, Patienten, Heiler, S. 235. Zumindest im 18. Jahrhundert konnte es auch vorkommen, dass der Arzt das Instrument bei den Patienten ließ. Martin-Kies, Verena: Der Alltag eines Engadiner Arztes um 1700 aufgrund des Tagebuches von Jachiam E. Frizzun, Chur 1977, S. 47. Lutheritz: Hausapotheke, S. 156–157, Mellin: Hausmittel, S. 22–25, wobei er betont, dass Wundärzte für das Setzen derselben zuständig seien. „Blutegel“ beziehungsweise „Blutigel“ werden in 37 und 13 Fällen bei „Allop. gebr.“ in der Datenbank genannt. Bei den Angaben zur Erstanamnese findet man sie in neun beziehungsweise drei Fällen. Bei Hahnemann hatten sich in der Pariser Zeit 31 von 130 Patienten Blutegel setzten lassen: Sauerbeck, Karl-Otto: Der späte Hahnemann und sein ärztliches Umfeld. Maschinenschriftliches Vortragsmanuskript, gehalten 1989 (IGM Signatur: H/k/Saue/1989,2), S. 4. Müller: Kräuterbuch, S. XVIII. Mellin: Hausmittel, S. 24, Koch, August: Die bewährtesten Hausmittel der Deutschen. Aus den Papieren eines Militärarztes, Leipzig 3. Auflage 1861, S. 76 und S. 91. Die Altersverteilung „0–10“: 14 Fälle, „11–20“: zehn Fälle, „21–30“: 17 Fälle, „31–40“: 14 Fälle, sieben andere waren 41 Jahre und älter. Der älteste Patient, der die Verwendung von Blutegeln angab, war 74 Jahre alt (IGM P 115 Fol. 10). Von den 62 Patienten können 27 einer Schicht zugeordnet werden. Acht Kranke sind Angehörige der Mittelschicht, die übrigen werden der Unterschicht zugeteilt. Dabei Handwerk und Industrie neun Fälle und Landwirtschaft acht Fälle. Unter den Patienten befinden sich ein Lehrer und eine Lehrerin, IGM P 104 Fol. 108 und P 115 Fol. 154. Diese Berufe wurden den „Sozialen Diensten“ und der Mittelschicht zugerechnet.
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
93
Was die Verwendung von „Klystieren“ anbelangt, so wurden diese bei immerhin 14 Patienten erwähnt, wobei in sechs dieser Fälle keine näheren Angaben erfolgten.56 Eine Patientin hatte ein „Klystir von Haberschleim“ erhalten, worauf sich eine „Blähungskolik“ einstellte.57 Bei drei Kranken wurden „Kamillen-Klystiere“ verwendet, um eine bestehende Verstopfung zu beheben.58 Bei vier weiteren kamen „kalte“ beziehungsweise „Kaltwasser-Klystiere“ zum Einsatz.59 Zwei schon ältere männliche Patienten hatten seit vielen Jahren an hartnäckiger Verstopfung zu leiden, die jeweils mit Medikamenten behoben werden musste. In solchen Fällen galt ein „Klystier“ von einfachem kaltem Wasser als „wohlthätig“.60 Sogar Samuel Hahnemann griff darauf zurück, wenn sich bei einer homöopathischen Kur weiterhin Verdauungsprobleme zeigten.61 Die Vorratshaltung von Pflastern war ebenfalls üblich. Man konnte die notwendigen Abkochungen und Mischungen selbst herstellen oder in der Apotheke erwerben.62 Auch fahrende Arzneimittelhändler verkauften sie. Die jeweilige Qualität schwankte aber stark.63 Pflaster galten als Universalmittel gegen allerlei Krankheiten und wurden bei kleineren Wunden, Verhärtungen und Entzündungen aufgelegt. Auch waren sie Reizmittel, um bei der Ausscheidung von Krankheitsstoffen zu helfen.64 Bei 118 Kranken war vor oder noch während der Behandlung bei Bönninghausen ein Pflaster verwendet worden.65 Die auf Leinwand oder Leder aufgetragene Masse wurde di56 Dies sind IGM P 46 Fol. 29, P 80 Fol. 28, P 86 Fol. 194, P 103 Fol. 194, P 109 Fol. 58, P 113 Fol. 12, Fol. 124 und Fol. 208 sowie P 114 Fol. 251 bei Eingabe „Kly“ bei „Allop. gebr.“ und weitere fünf Fälle, mit Erwähnung in der Erstanamnese: P 151 S. 29–31, P 50 Fol. 19, P 80 Fol. 232, P 112 Fol. 159 und P 115 Fol. 402. 57 IGM P 151 S. 29–31. Es handelt sich um Bönninghausens eigene Frau Amalia. 58 Dies sind IGM P 46 Fol. 29 und P 113 Fol. 12. 59 So IGM P 86 Fol. 194 und P 113 Fol. 208. Solche „Klystire“ duldete auch Hahnemann: Hickmann: Leiden, S. 415. 60 Lutheritz: Hausapotheke, S. 101. 61 Ehinger, Gabriele: Das homöopathische Praxistagebuch von Samuel Hahnemann (1755– 1843) aus den Jahren 1831/32. Transkription und Kommentar zum Krankenjournal D36 (9. Juni 1831 – 7. September 1832), Berlin 2003 (Med. Diss.), S. 144 und Fischbach-Sabel, Ute: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D34 (1830). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 1998, S. 117. 62 Zur Herstellung von Pflastern einfacher Art auch Müller: Kräuterbuch, S. XVI. Zur Entwicklung von Pflastern: Zeber, Ulrike: Die Geschichte des Pflasters. Von der traditionellen Arzneiform Pflaster zum Heftpflaster, Stuttgart 2001 (Heidelberger Schriften zur Pharmazie- und Naturwissenschaftsgeschichte 18). 63 Lutheritz: Hausapotheke, S. 165 warnt ausdrücklich vor dem Kauf von Pflastern bei fahrenden Händlern und legt dringend deren Erwerb in der Apotheke ans Herz. 64 Müller: Kräuterbuch, S. XVI, Lutheritz: Hausapotheke, S. 164–166. 65 Eingabe „Pflaster“ bei „Allop. gebr.“ mit 96 Treffern, „Fliegenpflaster“ ein Treffer und „Pechpflaster“ sechs Treffer. Bei den Angaben zur Erstanamnese 15 weitere Treffer. Bönninghausen erwähnt die Verwendung von Pflaster während seiner Behandlung ausdrücklich beispielsweise bei IGM P 34 Fol. 28 oder P 46 Fol. 167. Auch Hahnemann verschrieb Pflaster oder duldete diese, Hickmann: Leiden, S. 412–415. Bönninghausen nennt in P 84 im hinteren Deckel das Rezept eines solchen „Hahnemanns-Pflaster“.
94
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
rekt an den betroffenen Körperteil gelegt, beispielsweise hinter die Ohren, an die Schläfe, auf die Brust oder die Kehle.66 Besonders häufig handelt es sich bei den verwendeten Mixturen um „Spanische Fliegenpflaster“. Diese Arznei besteht entgegen dem Namen aus getrockneten zerstoßenen Käfern mit dem latinisierten Namen Kantharide.67 Dieser Wirkstoff ist auch harntreibend und seine Verwendung war im 19. Jahrhundert weit verbreitet.68 Ferner wurden Pech- und Bleipflaster gebraucht. Wasser galt als Getränk und in verschiedenartigen äußerlichen Anwendungen ebenfalls als Heilmittel.69 Als Flüssigkeit half es bei der Verdauung, linderte den Durst der Fiebernden und versprach Abhilfe bei Kolikschmerzen und Ruhr. Äußerlich konnte es bei Nasenbluten aufgeschnupft werden, in Umschlägen und Waschungen Entzündungen lindern und als Bad Verwendung finden.70 Den Gebrauch von kaltem Wasser gaben 28 Patienten an, als sie Bönninghausen nach den vorangegangenen „allopathischen Kuren“ befragte.71 Ein kaltes Bad hatte eine Temperatur von weniger als 15 Grad.72 Unter einem warmen Bad verstand man hingegen eine Wassertemperatur zwischen 28 und 32 Grad.73 Mit einem solchen hatten drei Patienten eine Linderung herbeiführen wollen. Diesen Bädern wurden wahlweise verschiedene Zusätze beigefügt. Gelegentlich hatten Patienten ein Heilbad aufgesucht. Ein solcher Kuraufenthalt war jedoch nicht für jeden erschwinglich und es handelte sich hierbei meist um eine verordnete oder empfohlene ärztliche Maßnahme, auch wenn derartige Bäderbesuche bei der besser gestellten Mittel- und Oberschicht zum guten Ton gehörten.74 Was dagegen in den Bereich der medizinischen Selbst66 Eine genaue Lokalisierung ist angegeben zum Beispiel IGM P 72 Fol. 176, P 73 Fol. 37 oder P 83 Fol. 214. 67 Auch Deutsches Arzneibuch 6. Ausgabe 1926, Berlin 1926, S. 129–131. Zu den möglichen Zusammensetzungen der Pflaster im 19. Jahrhundert auch Zeber: Pflaster, S. 110– 184. 68 Lutheritz: Hausapotheke, S. 165 zu dem Mittel: Cockayne, Edward; Stow, N. (Hrsg.): Stutter’s Casebook. A Junior Hospital Doctor 1839–1841, Woodbridge 2005, S. 134 sowie Stille: Krankheit und Arznei, S. 120. 69 Mellin: Hausmittel, S. 112–114. Zeitgenössisch zu Wasser als Heilmittel und seinen Anwendungen: Munde, Carl: Die Gräfenberger Wasserheilanstalt und die Prießnitzische Curmethode, Leipzig 1841. 70 Das „Aufschnupfen“ wird bei zwei Patienten (IGM P 83 Fol. 149 und P 106 Fol. 219) erwähnt. Die Verwendung von Wasser wurde in verschiedenen Anwendungen bei mindestens 97 Patienten angegeben. Datenbank bei „Allop. gebr.“ mit dem Suchbefehl „Wasser“. 71 Eingabe von „kalt“ bei „Allop. gebr.“. Meist war dabei nur von kaltem Wasser die Rede, es werden aber auch Klistiere, Bäder und Umschläge als Anwendungsformen genannt. 72 Medicinal-Kalender 1857, S. 109. 73 Medicinal-Kalender 1857, S. 109. 74 Da ein solcher Besuch zwar auf eigenen Entschluss erfolgen konnte, ein Kurbad jedoch in gewissem Sinn eine „medizinische“ institutionalisierte Einrichtung ist, werden diese in Kapitel 4.4.4 besprochen. Diesbezügliche Verordnungen finden sich vor allem, wenn Beamte eine Bäderkur nehmen wollten, zum Beispiel die Personalakten im StAM Nr. 313
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
95
versorgung fällt, sind einfache Bäder, deren Zubereitung und Indikationen in diverser Ratgeberliteratur beschrieben wurde.75 Derlei Anwendungen waren indiziert, wenn Gelenkschmerzen oder Unbeweglichkeit die Patienten plagten. Auch Ausschläge, Krätze und andere Hauterkrankungen wurden mit Bädern behandelt. Ferner sollte ein Bad bei Krämpfen und Schmerzen im Unterleib helfen.76 Oft mischten die Kranken Schwefel oder Salz in das Wasser.77 Gleiches galt für Senf, Roggenmehl, Kamille, Mutterlauge, Eisen, Stahl oder Malz.78 Bei den Angaben, die Bönninghausen zu den „allopathischen“ Verwendungen notierte, sind einige Mittel mit großer Sicherheit auf eine Selbstmedikation zurückzuführen. Gelegentlich wird dies deutlich.79 Beispielsweise wenn ein 42-jähriger Patient aus Vorhelm bei Ahlen aus der Apotheke eine Salbe besorgte, die den Namen „Aller Teufel Meister“ trug.80 Hier kann man mit großer Sicherheit von der Verwendung eines Universalmittels ausgehen. Ähnliches gilt für eine weiße „Schnüffelsalbe“, die sich eine 23 Jahre alte Frau aus der Apotheke geholt hatte, um damit ihre vereiterten Brustwarzen zu behandeln.81 Ganz anders stellt sich die Situation einer 15 Jahre alten Patientin aus Lienen dar. Sie oder jemand aus der Familie hatte vom Apotheker Mittel besorgt, nachdem der Doktor aus der Stadt gezogen war und somit kein anderer approbierter (Wund-)Arzt dort aufgesucht werden konnte.82
75 76 77 78
79
80 81 82
Regierung Münster: Acta die Anstellung des Bau-Inspctors von Briesen als Regierungsund Bau Rath in Münster und dessen Personalien betreffend 1843, Nr. 63–66 Oberlandesgericht zu Münster: Auscultator Borges oder Nr. 519 Regierung Münster: Oberlandesgerichtsassessor v. Hartmann 1836 und den Uebertritt des nunmehrigen RegierungsRaths von Hartmann von der General-Commission zum hiesigen Regierungs-Collegium als Justitiarius 1841. Mellin: Hausmittel, S. 10–13. Mellin: Hausmittel, S. 11. Bei Hautausschlägen Bäder mit Salz oder Schwefel: Koch: Hausmittel, S. 41. 46 Patienten hatten Salz- und 23 Schwefelbäder genutzt. Zu den gebräuchlichsten medizinischen Bädern: Medicinal-Kalender 1857, S. 109–112. Neben den bereits angeführten Zusätzen wurden erwähnt: Roggenmehl, Hep 5 N. mur., Fauchbad, Inglans, Eisen, Seife und Loh je ein Mal, Asche und Senf je zwei Nennungen, Calamus/Kalmus und Fußbäder drei Mal, Chamille und Mutterlauge (das ist eingedampfte Sole, es handelt sich somit um eine Art Salzbad) fünf Mal, Malz sechs Mal, Kalium sieben Nennungen und Stahl neun Mal. In acht Fällen gab es keine nähere Bestimmung eines Zusatzes. Beispielsweise, wenn es heißt: „Aus der Apotheke, ohne Rezepte“, P 79 Fol. 159 und P 106 Fol. 105 oder „viel so aus den Herolds Apotheken geholt“: P 80. Fol. 181. In weiteren Fällen ist sogar von Apothekenmitteln die Rede: P 104 Fol. 146 und P 107 Fol. 199 oder es wird deutlich „selbst aus der Apotheke geholt“ P 107 Fol. 48 und mit besonderer Betonung: „aus der Apotheke, nicht vom Arzt“ P 113 Fol. 20. Alle IGM. Dieser Fall IGM P 34 Fol. 131. Dieser Fall IGM P 73 Fol. 241. IGM P 102 Fol. 264. Klier: Adreßbuch 1858, S. 335 nennt den verzogenen Arzt Dr. Heitmann als Wundarzt erster Klasse zu Lienen. Für das Jahr 1818 war dort ein Arzt gemeldet. StAM Regierung Münster 218 II: Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1817–1818, S. 24.
96
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
In den Bereich der medizinischen Selbstversorgung fallen außerdem die Anwendung von Branntwein oder das Trinken verschiedener Tees. Branntwein oder Schnaps galten als verdauungsförderlich.83 Doch wurde stets vor den Gefahren der alkoholischen Getränke gewarnt.84 Diese wurden äußerlich in Einreibungen und Waschungen aufgetragen.85 Das Aufbrühen von verschiedenen pflanzlichen Zusätzen in Wasser, galt als Hausmittel, um Krämpfe zu beseitigen, Schweiß zu erregen und die Nerven zu stärken.86 Rund 70 Patienten hatten Tee getrunken, ohne genauer anzugeben, woraus er bestand. Beliebt waren Tees bei Brust- und Lungenleiden.87 Hier sollte durch das Einnehmen der Flüssigkeit der Schleim gelöst oder bei einer schmerzenden und spannenden Brust eine Entspannung herbeigeführt werden. In solchen Fällen enthielten die „Brustthees“ vor allem Fenchel und Anis.88 Besonders verbreitet war „Chamillenthee“.89 Aber auch Flieder-, Wachholderund Pfefferminztee wurden getrunken.90 Interessant scheint aus heutiger Sicht das Einnehmen von Holztee, was neun Patienten getan hatten. Darunter wurde ein Aufguss aus der südamerikanischen Wurzel Sarsaparilla verstanden, welcher blutreinigend wirken sollte.91 Auch Nahrungsmittel konnten zu Medikamenten umfunktioniert werden und deuten insofern auf eine Selbsthilfe hin.92 Brot an sich galt als stärkend und sollte verloren gegangene Kräfte wiederherstellen. Es wurde in verschie-
83
84 85
86
87 88 89 90 91
92
Im Jahr 1843 ist aber nur noch von vier Hebammen als zugelassene Medizinalpersonen die Rede: StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824– 1860, S. 56. Es konnte also passieren, dass eine solche Stadt gelegentlich ohne approbierten (Wund-) Arzt auskommen musste. Dies belegt auch Esser, Ottilie: Der praktische Arzt im Rheinland um 1750–1850, Bonn 1963 (Med. Diss.), S. 50–52. Branntwein wurde von 50 Patienten bei „Allop. gebr.“ angegeben. Schnaps dagegen von 43 Kranken erwähnt. Tee gehört auch heute noch zu den beliebten Selbsthilfemedikamenten. Breitkopf: Analyse, S. 66. Lutheritz: Hausapotheke, S. 39– 42, Mellin: Hausmittel, S. 25–27. In diesem Zusammenhang wohl vor allem bei Schmerzen in verschiedenen Körperteilen. Die Verwendung von Franzbranntwein bei 16 Patienten. Und die ausdrückliche Nennung von Branntwein-Einreibungen beispielsweise in IGM P 78 Fol. 279, P 85 Fol. 164 oder P 114 Fol. 142. Lutheritz: Hausapotheke, S. 28–37. Die schweißfördernde Wirkung betont auch Koch: Hausmittel, S. 16. Andererseits warnte man aber auch vor zu starkem Tee: Mellin: Hausmittel, S. 110. Lutheritz: Hausapotheke, S. 23–28. 26 Patienten hatten Bönninghausen die Verwendung von „Brustthee“ angezeigt. Zu dem Fenchel- und Aniszusatz Lutheritz: Hausapotheke, S. 26. Die Verarbeitung von Kamille in Tee wird bei 23 Patienten ausdrücklich angegeben. Es hatten 771 Patienten Kamille in irgendeiner Form eingenommen oder verwendet. Beispielsweise IGM P 78 Fol. 255 Flieder, P 111 Fol. 174 Pfefferminz und P 102 Fol. 274 Wachholder. Zur Bedeutung Holztee sei Radix Sarsaparillae species lignorum Arends: Volkstümliche Namen, S. 180. Zur Verwendung der Sarsaparilla: Richter, Hans; Böhm, Manfred (Hrsg.): Pharmazeutisch-medizinisches Lexikon, Berlin 1989, Band 2 L – Z, S. 841, unter SmilaxArten. Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, S. 61.
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
97
denen Umschlägen gegen Kopfschmerzen verwendet und wirkte bei Geschwülsten und Entzündungen eiterfördernd.93 Ähnlich wurde Butter als Vermischungsmaterial gebraucht und bei Entzündungen aufgetragen.94 So hatte ein 29-Jähriger aus der Nähe von Horstmar seinen entzündeten Mittelfinger mit „Zwiebeln, Safran, Butter und Brod“ behandelt, bevor er Bönninghausen deswegen konsultierte.95 Bier ist zwar ein Getränk „welches den Durst löschet und auch nähret“, es wurde zudem als schweißtreibend angewendet.96 Essig wurde als Schutz vor Ansteckung gebraucht und als heilendes Getränk bei Fiebererkrankungen eingesetzt.97 Kartoffeln wurden dagegen hauptsächlich auf verbrannte Körperstellen gelegt. Eier und Milch fanden ebenso als Hausmittel Verwendung.98 Auch mit Hafer, Roggen und Speck wurden diverse Geschwülste, Geschwüre und Entzündungen behandelt.99 Ebenso konnten heute als unappetitlich empfundene Dinge wie Kuhdreck oder Urin als Medikamente eingesetzt werden. Ein mittlerweile 39 Jahre alter Patient berichtete Bönninghausen sogar, er habe selbst ein Wechselfieber „mit Schlangenhaut, die er in Schnaps eingenommen“, vertrieben.100 Von den Patienten, die Hahnemann in Paris betreute, ist ebenfalls bekannt, dass sie mit allerhand Mitteln eine Selbstbehandlung versuchten. Neben Brechmitteln, Einläufen und Abführpillen, legten sie Tabak aufs Auge, rieben Ausschlag mit Weingeist ein und tranken Kamillentee als schweißtreibend.101 Kaum ein Patient aber ging so weit, wie ein Arzt, der Bönninghausen gegenüber in einem Brief angab, er habe sich selbst die Zähne gezogen.102 93 Mellin: Hausmittel, S. 27–28. 94 Mellin: Hausmittel, S. 29. 95 IGM P 113 Fol. 230. „Brod“ wird zwölf Mal genannt, Butter auch als Buttermilch in 29 Fällen. 96 Mellin: Hausmittel, S. 17. Bier ist in neun Fällen erwähnt. 97 Mellin: Hausmittel, S. 47 und Lutheritz: Hausapotheke, S. 4–6. Essig wurde von 28 Patienten genannt. 98 Mellin: Hausmittel, S. 31 zu Kartoffeln, zu Eiern ebenda S. 48–49. Dazu auch Lachmund; Stolberg: Patientenwelten, S. 61–62. Kartoffeln wurden von zwölf Patienten verwendet, Milch 19 Mal. 99 Mellin: Hausmittel, S. 59. Hafer, besonders Hafergrütze, wird 120 Mal erwähnt, Roggen wurde vor allem als Mehl in 57 Fällen verwendet. Mehl an sich gaben drei Patienten an. Speck erscheint oft in der Kombination mit einem Mehlumschlag. Er wurde in 24 Fällen verwendet. 100 Kuhdreck/-fladen wurden auf Wunden gelegt und Entzündungen damit behandelt. Siehe die acht Fälle, in denen dies angegeben ist. Beispielsweise IGM P 115 Fol. 399 oder P 76 Fol. 32. Urin wurde in zwei Fällen als äußerliche Anwendung erwähnt. „Piße“ in fünf Fällen und in einem Fall war von „Pißtüchern“ die Rede (IGM P 114 Fol. 442). Zur Verwendung von Urin: Buck, Michael: Medicinischer Volksglaube und Volksaberglaube aus Schwaben, Ravensburg 1865, S. 46. Das Beispiel mit der Schlangehaut IGM P 107 Fol. 99. 101 Sauerbeck: Hahnemann, S. 4, Brockmeyer: Schreibweisen, S. 53–59. Pflaster wurden auch von Hahnemann noch gewisse Zeit geduldet, siehe Hickmann: Leiden, Varady: D5 Kommentar, S. 338–341, Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 116. 102 Siehe den Anhang zum Brief vom 30. Januar 1830, S. 1 in P 202/12: „Die Zähne selbst wurden kariös und ich habe sie fast alle mit dem Schlüßel ausgerissen, da mir Zahn-
98
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
Auch die Maßnahme gegen das heftige Nasenbluten eines 14-jährigen Knaben scheint ausgesprochen radikal. Man hatte ihn kurzerhand „bis zur Brust ins Wasser gestellt“. Seither litt er an Kopfschmerzen und hatte ein „blaurothes Gesicht“.103 Bei weiteren Medikamenten muss unklar bleiben, ob sie vom Arzt stammten oder nicht.104 Eine Verordnung ist hier ebenso gut möglich, wie die Tatsache, dass die Betroffenen sich selbst das entsprechende Mittel in der Apotheke besorgt hatten. Dazu gehört die Behandlung von Wechselfieber mit Chinarinde oder Chinin.105 Da Wechselfieber in der Gegend um Münster zu den ständig vorherrschenden Krankheiten zählte, ist es nicht verwunderlich, dass 547 Patienten die Einnahme dieses Mittels bestätigten.106 Ähnliches gilt für die Verwendung von „Cremor tartari-Trank“.107 Einerseits wurde dieses Gebräu, das als „herrlich erquickendes Getränk in hitzigen Fiebern“ galt und außerdem stark abführend wirkte, für jede Hausapotheke dringend empfohlen und war leicht in den Apotheken zu erhalten. Andererseits wurde es häufig von Ärzten verschrieben.108 Als abführendes Mittel kamen ebenso gerne SennesBlätter zum Einsatz.109 Bei 369 Kranken waren diese zuvor eingesetzt worden.110 Sowohl zum Abführen als auch als Brechmittel konnten außerdem Bittersalz oder Baumöl angewendet werden.111 Krätzeerkrankungen und andere Hautausschläge wurden äußerlich mit Schwefel, vor allem in Bädern oder Salben therapiert. Allerdings sollte der Schwefel auch zerstoßen eingenommen
103 104 105
106
107 108
109 110 111
schmerz unausstehlich ist.“ Ein Patient Hahnemanns hatte sich sogar Hühneraugen selbst ausgeschnitten. Ehinger: D36 Kommentar, S. 149. IGM P 111 Fol. 126. Dazu, dass sich die Medikationen von Ärzten nicht von denjenigen unterscheiden mussten, die Kranke sich selbst kaufen konnten auch Loetz: Vom Kranken, S. 115–119. Koch: Hausmittel, S. 117. Chinin wurde seit den 1820er Jahren fabrikmäßig hergestellt. Seit 1834 gab es synthetischen Chininersatz. Müller-Jahncke, Wolf-Dieter; Friedrich, Christoph; Meyer, Ulrich: Arzneimittelgeschichte, Stuttgart 2. Auflage 2005, S. 64. Die Entwicklung der Chininbranche am Beispiel der Familie Jobst: Ziegler, Volker: Die Familie Jobst und das Chinin. Materialwarenhandel und Alkaloidproduktion in Stuttgart 1806–1927, Berlin 2003. Zur gesundheitlichen Situation Kapitel 3.3.2 „Chin“ bei „Allop. gebr.“ wird 547 Mal (3,8 % aller Patienten) genannt, häufig mit der direkten Angabe „gegen Wechselfieber“. Chinin wurden auch von dem kanadischen Arzt Langstaff am häufigsten verschrieben: Duffin, Jacalyn: A Rural Practice in Nineteenth-Century Ontario. The Continuing Medical Education of James Miles Langstaff. In: Can. Bull. Med. Hist. 5 (1988), S. 16. Mindestens 71 Patienten hatten dieses Abführmittel genutzt. „Crem tar“ bei „Allop. gebr.“. Cremor tartari-Trank bei Lutheritz: Hausapotheke, S. 8–9 und S. 79, Weinsteinrahm, präparierter Weinstein: Mellin: Hausmittel, S. 116–118. In Amerika wurde dieses Mittel selten verschrieben: Cowen; King; Lordi: Drug Use, S. 63. Mellin: Hausmittel, S. 104, Lutheritz: Hausapotheke, S. 80. Dies sind 2,6 % aller Patienten. Eingabe von „Senn“ bei „Allop. gebr.“. Lutheritz: Hausapotheke, S. 79 und S. 81, Mellin: Hausmittel, S. 14–16. Baumöl wird bei 15 Patienten erwähnt, Bittersalz bei weiteren 36 Kranken, Glaubersalz wurde in neun Fällen genannt.
4.1 (Selbst-) Medikation – „Weiß Gott was!“
99
werden.112 Gegen die lästige Erkrankung und gegen Läuse wurde mit Quecksilberpräparaten vorgegangen, wovor die Ratgeberliteratur wegen der starken Nebenwirkungen aber warnte.113 Schwefel und Quecksilber gehörten überhaupt zu den Mitteln, die von den Patienten am häufigsten eingenommen oder verwendet worden waren.114 So hatten mindestens 998 Patienten Schwefel gebraucht.115 Die Verwendung von Quecksilber hatten wenigstens 906 Kranken angegeben.116 Insgesamt 461 Patienten hatten diverse Salben unterschiedlicher Färbungen und unbekannter Zusammensetzungen genutzt.117 Auch Augenwasser oder spezielle Augensalbe konnte verschrieben worden oder selbst aus der Apotheke geholt sein.118 Ähnliches galt für das „Decoctum Zittmanni“. Diese Abkochung bestand hauptsächlich aus der Sarsaparillawurzel und wurde insbesondere gegen venerische Erkrankungen eingesetzt.119 Gleiches traf auf den Copaivabalsam zu. Beide Mittel wurden von 30 Patienten erwähnt, die Bönninghausen unter anderen wegen Tripper, Feigwarzen oder unangenehmen 112 Koch: Hausmittel, S. 41–43, Mellin: Hausmittel, S. 100–101. 113 Mellin: Hausmittel, S. 92. 114 Bei dem Arzt Kortum ist die Behandlung mit Schwefel und Quecksilber belegt. Balster: Kortum, S. 96. 115 Die unterschiedlichen Bezeichnungen machen eine genaue Zahlenangabe nicht möglich. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 64 Nennungen von Schwefel und dem Symbol für dieses Element, das in der Datenbank umschrieben wurde mit „Dreieck Kreuz“, was 934 Mal genannt wurde. Allerdings war Schwefel häufig Teil einer Reihe von Medikamenten. Dies entspricht knapp 7 % aller Patienten. Zu den Abkürzungen und Symbolen IGM P 152, nicht paginiert, Liste zu „Medicinische und chemische Zeichen“ und Hahnemann, Samuel: Apothekerlexikon, Erster Theil A bis E, Leipzig 1793, S. 56. 116 Auch hier gilt das Problem der unterschiedlichen Bezeichnungen. Quecksilber an sich wurde vier Mal genannt, „Merc.“ für Mercurius 512 Mal und das Symbol für das Element, welches mit „Acht Kreuz“ beschrieben wurde 390 Mal. Dies sind 6,4 % aller Patienten. Zu den Abkürzungen und Symbolen: IGM P 152, nicht paginiert, Liste zu „Medicinische und chemische Zeichen“ und Hahnemann: Apothekerlexikon 1, S. 57. 117 Berichtet wird von roten, gelben, grauen und weißen Salben, „Salbe“ bei „Allop. gebr.“. Zu deren Bestandteilen: Arends: Volkstümliche Namen, S. 320. Graue Salbe enthielt Quecksilber und wurde sowohl vom Arzt benutzt als auch ohne Rezept verkauft und gegen Läuse verwendet. Pappenheim: Handbuch, S. 383. 118 Augenwasser wurde von 91 Patienten erwähnt, eine Augensalbe hatten acht Personen verwendet. 119 Der „Erfinder“ dieses Medikaments Johann Friedrich Zittmann (1671–1757) war königlich polnischer und kurfürstlich sächsischer Generalstabsarzt. Pagel, Julius: Zittmann, Johann Friedrich. In: ADB, Band 45, Leipzig 1900, S. 372. Zu dem Mittel an sich: Deutsches Arzneibuch 6. Ausgabe, S. 195. Zu der umstrittenen Wirkung des Mittels Montgomery, Douglass: Zittmann’s Decoction. In: California State Journal of Medicine 6 (1908), S. 100–103. Zu der Rolle des Mittels im Rahmen der Syphilisbehandlung: Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 61–62. Zeitgenössisch: Gauwerky, Friedrich: Zur Behandlung der Syphilis, Halle 1872 (Med. Diss.), S. 24–27 oder Geigel, A.[lois]: Geschichte, Pathologie und Therapie der Syphilis, Würzburg 1867, S. 306–332. Auch Bönninghausen hatte ein Rezept dieser Mixtur in den Deckel des Journals IGM P 154 notiert. Heute wird es nicht mehr verwendet: Ammon, Hermann (Hrsg.): Hunnius. Pharmazeutisches Wörterbuch, Berlin/New York 9. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2004, S. 424.
100
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
Ausflüssen um Rat fragten.120 Ebenso wurde „Leberthran“ zur Stärkung sowohl von Ärzten empfohlen als auch in Eigenregie eingenommen.121 Aber es sind nicht nur „allopathische“ Selbstbehandlungen überliefert. Bei knapp 1 % der Patienten wurde von Bönninghausen in der Rubrik der vorangegangenen Therapien explizit eine vorherige homöopathische Kur notiert.122 Auch hierbei muss, wenn nur die Medikamente genannt werden, unklar bleiben, ob tatsächlich eine Selbstbehandlung durchgeführt oder eine ärztliche Anweisung befolgt worden war.123 Ein Lehrer aus Eggerode hatte sich selbst mit „Belladonna und Sulphur“ behandelt, in der Hoffnung, seine Sehkraft zu retten.124 Auch ein katholischer Priester aus Ungarn behandelte sich selbst, bevor er sich an Bönninghausen wandte, und später, nachdem ihm die Medikamente, die Bönninghausen geschickt hatte, ausgegangen waren.125 Ein französischer Vater, der sehr um das Wohlergehen seines Sohns besorgt war, hatte diesen selbst mit homöopathischen Globuli behandelt, nachdem er deren wohltuende Wirkung am eigenen Leib erfahren hatte. Dafür las er einige homöopathische Schriften. Letztendlich konnte er durch die Selbsttherapie den anhaltenden Husten und die Übelkeit seines Sohns aber nicht bessern. Auch verabreichte er zur Vorsorge gegen eine befürchtete Cholera-Erkrankung Medikamente.126 Ein Lehrer aus Pommern hatte seine Geschwister homöopathisch behandelt. Dem jüngeren Bruder hatte er als Prävention gegen die Röteln Globuli gegeben. Als diese den Ausbruch der Krankheit nicht verhinderten, therapierte er sie homöopathisch.127 Ebenso versuchte er sein Glück bei
120 „Copai“ wurde von 18 Männern und Frauen genannt. Das „Dec. Zittmannn“ wurde bei mindestens zwölf Patienten verwendet: „Allop. gebr.“ in der Datenbank. 121 Richter; Böhm: Pharmazeutisch-medizinisches Lexikon 2, S. 535. Ammon: Hunnius, S. 889–893. 122 Das Stichwort „hom.“ im Sinn von homöopathisch erscheint 132 Mal im Bereich „Allop. gebr.“ in der Datenbank. Dies sind 0,9 % aller Patienten. Allerdings wurde bei einer Vielzahl von namentlich genannten Ärzten deren homöopathische Therapie nicht explizit genannt, so dass der Anteil der bereits homöopathisch betreuten Kranken höher ist. Dazu auch Kapitel 4.3. 123 Bei 61 Patienten wurden nur Medikamente oder die Bemerkung „hom.“ für homöopathisch gemacht. Eine homöopathische Selbsttherapie war um die Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus verbreitet und in Ermangelung eines entsprechend ausgebildeten Arztes nötig. Dinges: Neue Geschichte, S. 11. Zahlreiche Ratgeberliteratur brachte die Homöopathie den Laien näher und gab entsprechende Ratschläge. Bönninghausen publizierte bereits 1834 ein solches Werk. Bönninghausen: Homöopathie und derselbe: Der homöopathische Hausarzt in kurzen therapeutischen Diagnosen. Ein Versuch, Münster 1853. Von zahlreichen anderen Autoren sind derartige Werke bekannt. Einen Überblick bietet: Willfahrt, Joachim: Homöopathische Hausarztliteratur des 19. Jahrhunderts als Anleitung zur Selbstmedikation. In: ZKH 35 (1991), S. 114–121, S. 153–159, S. 194–202 sowie der zweite Teil in: ZKH 36 (1992), S. 62–72. 124 IGM P 115 Fol. 282. 125 IGM P 216/1 und P 216/2, S. 2. 126 Eingeklebter Brief zu IGM P 107 Fol. 229, S. 3–5. 127 IGM P 217 der Brief des Lehrers S. 3. Der Patient P 80 Fol. 175.
4.2 „Quacksalber“ und „Pfuscher“ – Laienbehandler
101
den Beschwerden der Schwester, erreichte jedoch keine wesentliche Besserung.128 Das Repertoire der Selbsttherapie umfasste nicht nur die Anwendung diverser Arzneimittel. Auch magisch-religiöse Praktiken waren üblich, wurden in den Journalen aber nur sehr selten erwähnt.129 Ein 19 Jahre alter Bauer aus Limbergen hatte Bönninghausen gegenüber angegeben, seit zwei Jahren keine Medikamente mehr gegen seine Leiden eingenommen zu haben. Sein letzter Versuch für die Linderung seiner Inkontinenz war, dass er Öl auf eine Lampe in der Dülmener Kapelle gegossen hatte. Eine 30-Jährige, deren Brüste nach der Geburt des ersten Kindes entzündet waren, hatte Weihwassertücher aufgelegt. Ein Tischler aus Lüdinghausen hatte hingegen versucht, seine „Ringflechte“ durch besprechen loszuwerden.130 Durch diese Ausführungen wird deutlich, dass die Mehrheit der Patienten, die später zu Bönninghausen kamen und eine homöopathische Kur in Anspruch nehmen wollten, vorher bereits medikamentös behandelt worden war. Die Mehrheit der Kranken griff bei diversen gesundheitlichen Beschwerden zunächst auf bewährte Hausmittel zurück und versuchte, durch eigene Behandlung eine Besserung oder Heilung herbeizuführen. Hierbei waren sicherlich Überlegungen zur Einsparung von Kosten relevant, andererseits waren Hausmittel und selbst besorgte Medikamente nicht zwangsweise billig.131 Wenn man sich aber von der selbst gewählten Kur eine Heilung versprach, dann war man durchaus bereit, die Kosten dafür zu tragen. Die gegenüber Bönninghausen angegebenen Mittel belegen deutlich die große Spannbreite der verwendeten Arzneien und Anwendungen. Sie schöpfen das komplette Spektrum der im 19. Jahrhundert üblichen Hausmittel und Medikamente aus. Gerade bei der Verwendung von Klistieren, Blutegeln oder Pflastern sowie aufwendigeren Mischungen gibt es jedoch eine Grauzone. Hier ist nicht klar, inwieweit Einnahme und Anwendung auf eigene Veranlassung geschahen oder der Empfehlung eines Arztes folgten. 4.2 „Quacksalber“ und „Pfuscher“ – Laienbehandler „Quacksalber“ oder „(Kur-)Pfuscher“ sind schillernde Begriffe. Die Obrigkeit oder Ärzte verwendeten sie zu verschiedenen Zeiten, um eine „andere“ Form der Therapie gegen die eigene ausgeübte und anerkannte Methode abzugrenzen. Für die ausgegrenzte Heilweise war damit eine Diskriminierung, Abwehr
128 IGM P 217 das Blatt zur Beschreibung des Krankheitszustandes der B. Grützmacher. Diese P 80 Fol. 174. 129 Allgemein zu magisch-religiösen Praktiken: Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 66–103 oder die Nennung von Heiligen und deren Kräutern bei: Buck: Medicinischer Volksglaube, S. 26–31. 130 Die Beispiele der Reihe nach IGM P 114 Fol. 150, P 78 Fol. 178 und P 81 Fol. 49. 131 Hierzu Loetz: Vom Kranken, S. 128 und S. 221. Zur Bezahlung auch Kapitel 7.6.
102
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
und offensive Bekämpfung verbunden.132 Im Folgenden wird zum einen die Gruppe von Personen behandelt, die nach dem preußischen Strafgesetz von 1851 „Kurpfuscherei“ betrieb. Eines solchen Vergehens machte sich schuldig, „wer, ohne vorschriftsmäßig approbirt zu sein, gegen Belohnung, oder einem besonderen, an ihn erlassenen polizeilichen Verbote zuwider, die Heilung einer äußeren oder inneren Krankheit oder eine geburtshülfliche Handlung“ unternahm.133 Darauf stand eine Strafe von einer Geldbuße zwischen fünf und fünfzig Talern oder eine Haftstrafe von bis zu sechs Monaten. Es geht damit im folgenden Teilkapitel um Vertreter der so genannten Volksmedizin oder Laienbehandler.134 Ebenso wurden mit „Kurpfuschern“ approbierte Heilkundige bezeichnet, die diagnostische und therapeutische Verfahren durchführten, die im Widerspruch zur geltenden Lehrmeinung standen. Daher geht es zum anderen um medizinische Außenseiter.135 Die Konsultation von nicht ordnungsgemäß ausgebildeten und nicht zugelassenen Therapeuten war nicht nur eine Station des Instanzenweges von ärmeren Teilen der Bevölkerung und Bewohnern ländlicher Gegenden.136 Bisweilen konnte ein Rat oder ein Mittel von diesem Personenkreis sogar ähnlich teuer sein, wie der eines zugelassenen Heilers.137 Doch ist in diesem Bereich die Grenze zwischen medizinischer Selbstbehandlung im Sinn der Nachbarschaftshilfe und gewerbsmäßig tätigen Laienheilern nicht klar zu ziehen.138 So hatten einige Patienten Bönninghausens Hausmittel und verschiedene Kräuter, aber auch Salbe, Tropfen oder Pflaster von einer Frau oder „alten Weibern“ verwendet, ohne dass diese näher bezeichnet wurden.139 Auch in anderen Fällen lautete die lapidare Antwort auf die Frage nach einer vorangegangenen Behandlung „von einer Frau“ beziehungsweise „von einem alten Weibe“.140 Die einzige Ausnahme bildete die ausdrückliche Benennung der 132 Zu den folgenden Ausführungen: Spree: Kurpfuscherei, S. 103–121. 133 Es handelt sich um § 199 Kurpfuscherei des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851, http://www.koeblergerhard.de/Fontes/StrafgesetzbuchPreussen1851.pdf, Zugriff vom 23. April 2008. Sowie die sinngemäß gleiche Regelung: Amts-Blatt Regierung Münster 1816, S. 219–220. 134 Gegenüber der umfassenderen Definition, die Spree: Kurpfuscherei vorlegt, wird hier der Kreis enger gefasst. Insbesondere werden Kompetenzüberschreitungen zugelassener Medizinalpersonen nicht berücksichtigt. Zusammenfassend: Probst: Fahrende Heiler, S. 44–45 und S. 49. Zur Entwicklung der Begriffe Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 21. 135 Probst: Fahrende Heiler, S. 49, Spree: Kurpfuscherei, S. 103. 136 Loetz: Vom Kranken, S. 119. Für den englischen Raum: Porter: Health for Sale, S. 107– 108. 137 Loetz: Vom Kranken, S. 121, Probst: Fahrende Heiler, S. 20, S. 146–147, S. 202–203 und S. 232. 138 Hierauf verweisen auch Stolberg: Heilkunde, S. 138, Döhner: Krankheitsbegriff, S. 55. 139 IGM P 109 Fol. 114 (Kräuter), P 115 Fol. 431 (Hausmittel), P 86 Fol. 157 und P 115 Fol. 3 (Salbe), P 102 Fol. 295 (Tropfen), P 112 Fol. 185 (Pflaster), ohne Mittelangabe P 75 Fol. 69. 140 Ein Mal wird angegeben „von der Frau des Pastors“, ohne dass klar wäre, um welchen Pastor es sich handelt, P 86 Fol. 25. Die anderen Fälle: P 43 Fol. 184, P 54 Fol. 94, P 103 Fol. 178, P 106 Fol. 133, P 109 Fol. 119, P 112 Fol. 292, P 115 Fol. 201. Alle IGM.
4.2 „Quacksalber“ und „Pfuscher“ – Laienbehandler
103
Ratgeberin als „Zigeunerin“, wobei deren nicht weiter bestimmtes Mittel ohne Erfolg angewendet wurde.141 Ein Kranker aus Emsdetten hatte von einem Blechschläger ein Pflaster erhalten.142 Bei einigen Krankengeschichten wurde deutlich, dass der Rat von solcher Seite aber zu jeder Zeit der Erkrankung eingeholt wurde. In einem Atemzug erwähnten die Kranken beispielsweise die Konsultation von „Ärzten und alten Weibern“.143 Andere Patienten hatten noch nach der ersten Konsultation des Freiherrn „von einem alten Weibe gebraucht“. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, die Behandlung durch Bönninghausen fortsetzen zu lassen oder den Freiherrn später erneut aufzusuchen.144 Auch in den Journalen Bönninghausens taucht der Begriff des „Quacksalbers“ oder der „Quacksalbereien“ auf.145 In letzterem Fall ging es um die vorangegangene Anwendung von Mitteln, welche ohne Erfolg geblieben waren oder eine Verschlimmerung herbeigeführt hatten.146 Mit Ausnahme eines Falles gaben die knappen Notizen keine nähere Bestimmung zu den konsultierten Personen. Ein 36 Jahre alter Patient aus Havixbeck hatte Tropfen eines Quacksalbers namens Schneider aus demselben Ort gebraucht, was zu einer Verschlimmerung seiner Beschwerden geführt hatte.147 Außerdem wurde deutlich, dass die Konsultation von „Quacksalbern“, ähnlich denen von „Frauen“ oder „Weibern“, dem Besuch bei anderen Medizinalpersonen voran gestellt oder parallel genutzt wurde.148 Auch Vertreter der Kirche wurden im Krankheitsfalle um Rat gefragt. Kleriker waren trotz der eigentlichen Trennung von Arzt- und Priestertum wichtige Ansprechpartner und Ratgeber in Gesundheitsfragen vor allem auf dem Lande.149 Dabei reichten die von dieser Gruppe gegebenen Ratschläge von einfachen Hausmitteln bis hin zu homöopathischen Kuren.150 Diese Spann141 142 143 144
145 146 147 148 149
150
IGM P 52 Fol. 142. IGM P 104 Fol. 274, P 83 Fol. 5 erwähnt einen Scharfrichter. IGM P 112 Fol. 292 oder auch P 81 Fol. 203. IGM P 43 Fol. 184. Die Patientin erschien im August des Jahres 1840 zum ersten Mal und kam im September weitere zwei Male. IGM P 54 Fol. 94. Diese Patientin konsultierte Bönninghausen in sechs Jahren zwölf Mal. Es gibt zu der Eingabe „Quack“ im Feld „Allop. gebr.“ sieben Treffer, außerdem in den Erstanamnesen zwei weitere Fälle IGM P 79 Fol. 263 und P 81 Fol. 265. Der Begriff „Quacksalberei“ bei IGM P 71 Fol. 194, P 103 Fol. 76, P 110 Fol. 243. IGM P 87 Fol. 47. IGM P 71 Fol. 147, P 74 Fol. 24, P 108 Fol. 24. Zur Entwicklung der Pastoralmedizin: Pompey, Heinrich: Die Bedeutung der Medizin für die kirchliche Seelsorge im Selbstverständnis der sogenannten Pastoralmedizin. Eine bibliographisch-historische Untersuchung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Freiburg/ Basel/Wien 1968 (Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge 23), knapp auch Labisch: Homo hygienicus, S. 92–93. Allgemein: Valenti, Ernst Joseph Gustav de: Medicina clerica. Handbuch der PastoralMedizin für Seelsorger, Pädagogen und Aerzte, 2 Bände, Leipzig 1831/32. Besonders der Pastor von Selm tat sich durch homöopathische Kuren hervor. Dazu Kapitel 4.3 mit weiterführender Literatur zu Homöopathie und Klerus. Bei zwei weiter unten erwähnten Anwendungen ist die homöopathische Therapie dagegen nicht gesichert.
104
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
breite zeigte sich auch in einzelnen Geschichten von Bönninghausens Patienten. In einem Fall hatte sich eine Patientin nur den Segen des Pastors geben lassen. Sie war die einzige Kranke, bei der eine solche religiöse Heilmethode durch einen Geistlichen angegeben und versucht wurde.151 Demgegenüber riet der Pastor von Haltern einer 15-jährigen Kranken, Birkenlaub zu verwenden. In einem anderen Fall gab der Kaplan Cholera-Kräuter.152 Ein elfjähriges Mädchen bekam vom Pastor in Vorhelm sogar Augenwasser.153 Eine andere Patientin hatte von einem Geistlichen Salbe erhalten. Unsicher ist, ob der Pastor bei einer verheirateten Militärangehörigen aus Münster die Arzneimittel „Sep. Calc. Sulph. Phosph. Sil.“ homöopathisch angewendet hat oder nicht.154 Auch in einem weiteren Fall kann eine homöopathische Therapie durch einen Pastor nur vermutet werden.155 Zu den Methoden, die von Seiten der „gelehrten“ Ärzte kritisch betrachtet wurden, gehörten im 19. Jahrhundert die Anwendung der Elektrizität und des Magnetismus.156 Hahnemann stand beiden Therapieformen nicht prinzipiell ablehnend gegenüber. Zumindest sind aus seinen Journalen einige Fälle bekannt, in denen er Patienten eine solche Kur empfahl.157 Als Begründer des so genannten „tierischen Magnetismus“ gilt der 1734 bei Radolfszell am Bodensee geborene Franz Anton Mesmer, weswegen diese Methode als Mesmerismus bezeichnet wird. Mesmer hatte ein mit dem Doktortitel abgeschlossenes Medizinstudium und praktizierte zunächst in Wien.158 Die von ihm entwi151 IGM P 115 Fol. 438. Zu Gesundbeten und Segen Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 66–103. 152 Beide Fälle IGM P 47 Fol. 117 und P 86 Fol. 171. 153 IGM P 48 Fol. 147. Es dürfte sich dabei laut Kiskemper: Priesterverzeichnis, S. 283 um Johann Möllmann gehandelt haben. Gemäß der Klerikerkartei des BAM war er von 1834 bis 1836 Vikar in Vorhelm und ab 1836 bis zu seinem Tod 1872 dort Pastor. 154 Beide Fälle IGM P 86 Fol. 27 und P 103 Fol. 150. 155 IGM P 104 Fol. 322. Es handelt sich hierbei um die Medikamente „N. v. und Phosph.“. Weiterführend zu Homöopathie und Klerus Kapitel 4.3. 156 Porter, Roy: Die Kunst des Heilens. Eine medizinische Geschichte der Menschheit von der Antike bis heute, Heidelberg/Berlin 2003, S. 287–289. 157 Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 19–20 sowie S. 120–121, Ehinger: D36 Kommentar, S. 155, Hickmann: Leiden, S. 406–409, Genneper: Patient, S. 92–95, Sauerbeck: Hahnemann, S. 3. In späteren Auflagen seiner Werke drückte er jedoch eine gewisse Ablehnung dieser Therapieformen aus, da sie in zu hohen Dosen angewendet würden. Zum Beispiel: Hahnemann, Samuel: Die chronischen Krankheiten. Theoretische Grundlagen. Mit allen Änderungen von der 1. Auflage (1828) zur 2. Auflage (1835) auf einen Blick, bearbeitet von Matthias Wischner, Stuttgart 3. Auflage 2006, S. 91 (im Original S. 176) und Hahnemann: Organon 6 § 286, S. 303. Hierzu zusammenfassend: Wittern, Renate: Zum Verhältnis von Homöopathie und Mesmerismus. In: Schott, Heinz (Hrsg.): Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, Stuttgart 1985, S. 108–115. 158 Zum Mesmerismus Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 103–114, Schott, Heinz (Hrsg.): Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, Stuttgart 1985, Bauer, Eberhard; Schott, Heinz (Hrsg.): F. A. Mesmer (1734–1815) und die Geschichte des „tierischen Magnetismus“. Ausstellung des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Freiburg, Freiburg 1985, John, Alfred: Tierischer Magnetismus und Schulmedizin in Bremen während der Aufklärung, Frankfurt am Main 1997 (Marburger Schriften
4.2 „Quacksalber“ und „Pfuscher“ – Laienbehandler
105
ckelte Heilmethode ging davon aus, dass jede Krankheit von einer ungleichen Verteilung eines „Fluidums“ herrühre. Dieses „Fluidum“ sei, laut Mesmer, ein Verbindungsglied zwischen Lebewesen, Erde und Himmelskörper. Deswegen unterliege der Mensch selbst direkt kosmischen Einflüssen. Die magnetische Therapie führte dazu, dass „Krisen“ hervorgerufen werden, die in dem in Unordnung geratenen Organismus den Heilungsprozess in Gang setzten.159 Die Behandlung bestand im „Bestreichen“ des Körpers mit der Hand oder einem Stab. Gemäß der Theorie Mesmers konnten Kuren ohne eine Präsenz des Arztes mit Hilfe von zuvor „magnetisierten Materialien“ durchgeführt werden.160 Außerdem schrieb man Magneten allgemein eine Wirkung auf den menschlichen Organismus zu. Die drei männlichen Patienten, die mit dem Magnetismus Erfahrung gemacht hatten, litten alle unter sehr langwierigen schweren Krankheiten.161 Alle hatten nicht nur diese Therapie ausprobiert, bevor sie sich an Bönninghausen wandten. Sondern sie hatten sich durch den ganzen Instanzenweg bewegt, ohne wirklich Heilung zu finden. Für einen 45-jährigen Anstreicher und Glaser war seine dauernd wiederkehrende Augenentzündung nicht nur mit Schmerzen und Kosten verbunden.162 Die Frage einer endgültigen Heilung war für seine berufliche Tätigkeit höchst entscheidend, da eine erhebliche Verschlechterung der Sehkraft schnell zu einem beruflichen Aus geführt hätte. Auch ein 45 Jahre alter Arzt hatte weder sich selbst helfen können noch war sein langer Weg bis zu Bönninghausen mit irgendwelchen Verbesserungen seiner Situation einhergegangen. Er konsultierte den Freiherrn im Oktober 1859, nachdem die Therapie durch den berühmten Magnetiseur Regazzoni zwischen August und September des Jahres vollkommen erfolglos gewesen war.163
159 160 161 162 163
zur Medizingeschichte 35), Teichler, Jens-Uwe: „Der Charlatan strebt nicht nach Wahrheit, er verlangt nur nach Geld“. Zur Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaftlicher Medizin und Laienmedizin im deutschen Kaiserreich am Beispiel von Hypnotismus und Heilmagnetismus, Stuttgart 2002 (MedGG Beiheft 18). Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 104. Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 105. Dies sind IGM P 80 Fol. 227, P 104 Fol. 193 in dem dazugehörigen Brief P 221/2 und P 102 Fol. 323. IGM P 80 Fol. 227. IGM P 221/2: Patientenbrief von Docteur D[e] J[ong] ohne Briefdatum, 1 Blatt. Es heißt dort: „Outre ce traitement j’ai essayé, depuis le 18 Aout jusqu’au 18 septembre passé, le magnétique, par le célèbre magnetiseur Regazzoni, quoique Sans aucun résultat.“ (Hervorhebung im Original) Ein öffentliches Auftreten dieses Magnetiseurs, der Schopenhauer beeindruckte und in Frankreich hoch angesehen war, beschreibt Gwinner, Wilhelm: Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgang dargestellt. Ein Blick auf sein Leben, seinen Charakter und seine Lehre, Leipzig 1862, S. 96–97. Dieser Auftritt rief zwiespältige Schilderungen hervor wie Kutzer, Michael: „Das Intelligenzblatt, Herr Regazzoni und der Frosch“. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung der Schulmedizin mit dem „tierischen Magnetismus“ zu Justinus Kerners Zeiten. In: Schott, Heinz (Hrsg.): Medizin und Romantik. Justinus Kerner als Arzt und Seelenforscher. Beiträge zum internationalen wissenschaftlichen Symposion aus Anlaß des 200. Geburtstages von Justinus Kerner (1786–1862) vom 11. – 13. September 1986 in Weinsberg 1990, Weinsberg 1991, S. 431–
106
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
Ähnlich existentiell bedroht sah sich ein 51-jähriger Advokat aus Rotterdam.164 Dieser litt seit 1846 an „wahrer Tabes dorsualis“165, was bedeutete, dass er „ohne Stützen zu beiden Seiten nicht gehen“ konnte. Seine Haut war gefühllos, er konnte im Dunkeln seine Füße weder sehen noch fühlen. Ferner plagten ihn Zuckungen, eine schwierige Sprache und Schwere, Müdigkeit und Nagen im Rücken.166 Er hatte neben dem Magnetismus eine Therapie mit Elektrizität versucht.167 Wie genau diese elektrische Anwendung vonstatten ging, wurde in der Anamnese nicht näher ausgeführt. Eventuell wurde dem Patienten Strom durch den ganzen Körper oder nur die Beine geleitet.168 Diese Kuren waren ebenso erfolglos, wie alle anderen Maßnahmen mit Kaltwasser, Salben oder dem Brennen und dem Besuch in Seebädern. Auch bei einem kleinen Jungen von acht Jahren aus Dortmund war versucht worden, die Lähmung des Beines durch Elektrizität zu vertreiben. Ein Kaufmann aus Dortmund hatte mit verschiedenen Mitteln wie Einreibungen und der Elektrizität probiert, seine „Atrophie der Muskeln“ zu heilen. Bei einem Kleidermacher von 61 Jahren hatte die elektrische Therapie lediglich bewirkt, dass die Beschwerden von dem linken in den rechten Arm übergegangen waren. Im rechten Arm hatte er nun Schmerzen „wie zerschlagen“, die den ganzen Arm „herauf und herab“ zogen.169 Alle diese Krankheitsbilder entsprechen aber Beschwerden, für die im 19. Jahrhundert eine elektrische Therapie empfohlen wurde.170
164 165
166 167 168
169 170
442 feststellte. Dort heißt es auch, dass zur Biographie des Magnetiseurs kaum etwas bekannt sei. Regazzoni stammte aus Oberitalien oder der Südschweiz und war in den 1850er Jahren in Europa unterwegs. Ich danke Herrn Dipl. Psych. Eberhard Bauer, Freiburg im Breisgau, für den Hinweis auf diesen Aufsatz. IGM P 102 Fol. 323. Laut Pschyrembel, S. 1781 bedeutet „Tabes dorsalis“ Rückenmarksschwindsucht und kann im Spätstadium der Syphilis auftreten. Dabei degenerieren die Hinterstränge des Rückenmarks und der Hirnnerven. Bönninghausen beschäftigte sich mit dieser Krankheit ausgiebig, da die „Allopathie“ kein Heilmittel gegen sie kannte: Bönninghausen, Clemens von: Tabes dorsualis und Aluminium metallicum. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 543–555 und ebenda: Le tabes dorsualis et le diabetes mellitus, S. 557–562 sowie Quelques mots sur le choix des médicaments, S. 571–575. Der Freiherr hatte im untersuchten Zeitraum zehn Patienten mit einer derartigen Erkrankung. IGM P 102 Fol. 323. Es gibt sechs Kranke, bei denen eine Therapie mit Elektrizität versucht wurde IGM P 87 Fol. 86, P 102 Fol. 323, P 106 Fol. 107, P 107 Fol. 235, P 108 Fol. 247 und P 111 Fol. 62. Zu den verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Elektrizität: Sundelin, Karl: Anleitung zur medizinischen Anwendung der Elektrizität und des Galvanismus, Berlin 1822. Mit ausführlicher Beschreibung eines hierfür benötigten Induktionsapparates: Erdmann, Bernhard: Die örtliche Anwendung der Elektricität in Bezug auf Physiologie, Pathologie und Therapie, Leipzig 1856. Ein solcher Apparat wird ohne nähere Ausführung bei einem Patienten genannt: IGM P 104 Fol. 181. Zur Geschichte der Elektrizität in der Medizin: Schott, Heinz: Heilkräfte aus der Maschine. Elektrische und magnetische Kuren im 18. Jahrhundert. In: Gesnerus 44 (1987), S. 55–66, Hochadel, Oliver: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen 2003. Die drei Beispiele der Reihe nach IGM P 107 Fol. 235, P 111 Fol. 62 und P 106 Fol. 107. Sundelin: Anleitung, S. 58–68 und Erdmann: Anwendung, S. 163–231.
4.3 Andere Homöopathen
107
Es ist bei keinem der erwähnten Patienten klar, ob Laien oder doch zugelassene Heilpersonen die Magnetismustherapie und die Anwendung der Elektrizität angewendet haben. Mit Ausnahme des Namens von Regazzoni ist nichts weiter über die Durchführenden oder den Ablauf dieser „alternativen“ Methoden bekannt. Sicher ist nur, dass alle Patienten, die in diesem Abschnitt erwähnt wurden und die Hilfe von „Quacksalbern“ oder „(Kur-)Pfuschern“ in Anspruch genommen hatten, nicht dauerhaft mit deren Leistungen zufrieden waren oder gegen ihre erneuten Beschwerden später den Rat Bönninghausens suchten. 4.3 Andere Homöopathen Auch homöopathisch praktizierende, jedoch zugelassene Ärzte, waren in den Augen mancher Standeskollegen des 19. Jahrhunderts medizinische Außenseiter und betrieben „Quacksalberei“.171 Da allerdings alle Patienten, um die es geht, letztendlich irgendwann im Verlauf ihrer „Patientenkarriere“ eine homöopathische Therapie bei Bönninghausen versuchten, sollen die Kollegen des Freiherrn in einem eigenen Teilkapitel berücksichtigt werden. Bis Clemens von Bönninghausen selbst den Weg zur Homöopathie gefunden hatte, waren bereits zahlreiche andere Ärzte Anhänger diese Heilmethode geworden. Hierzu gehörte derjenige Arzt, der dem Freiherrn während seiner schweren Erkrankung zu dem Gebrauch der homöopathischen Mittel geraten hatte. August Weihe gilt als der erste Arzt Westfalens, der nach den Geboten Hahnemanns praktizierte.172 Ferner gelang es Bönninghausen, im Lauf seiner Tätigkeit durch beeindruckende Heilerfolge einige, bis dahin „allopathisch“ praktizierende Ärzte in das Lager der Homöopathie zu führen.173 Manche Patienten hatten, bevor sie sich an Bönninghausen wandten, bereits ihr Vertrauen in die Hahnemannsche Kur gesetzt.174 Dies war jedoch nicht immer von Erfolg gekrönt. Bisweilen gerieten die Kranken an einen „homöopathischen Pfuscher“. Dergleichen geschah einem Lehrer aus der Nähe von Meschede. Ein Herr aus Brüssel begab sich zu Beginn seiner Kur zu einem, wie er später feststellen musste, „Pseudo-Homöopathen“, der ihn Unmengen von Globuli einnehmen ließ.175 Bereits in den frühen Jahren der Pra171 Probst: Fahrende Heiler, S. 49. 172 Mit knappen Angaben zu dessen Leben Sanders: Beitrag, S. 339–340 und Stahl: Geschichte, S. 196–198. 173 Kottwitz: Leben, S. 73, Stahl: Geschichte, S. 195–218. Dies thematisierte Hahnemann in seinen Briefen an den Freiherrn. Stahl: Briefwechsel, S. 39–43. 174 Das Stichwort „hom.“ erscheint bei 132 Patienten in der Bedeutung homöopathisch bei „Allop. gebr.“. Allerdings ist die Anzahl der Patienten, die eine homöopathische Kur hatten, höher, weil in einigen Fällen nur die Ärzte genannt werden, ohne deren homöopathische Therapie deutlich zu nennen. Es handelt sich um 261 sichere Fälle. Zur homöopathischen Selbstmedikation Kapitel 4.1. 175 IGM P 115 Fol. 420 und P 221/2, Patientenbrief von Docteur D[e] J[ong] ohne Briefdatum, 1 Blatt.
108
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
xis hatte Bönninghausens Ruf dazu geführt, dass ein Betrüger unter „Mißbrauch [s]eines Namens und Rufs in Lienen“ Rezepte mit angeblich homöopathischen Mitteln ausstellen konnte.176 Andere Kranke wiederum wandten sich an Personen, die als Laien, ganz ähnlich wie Bönninghausen, mit Erfolg homöopathische Arzneimittel verteilten und über den Kreis der Nachbarschaftshilfe hinaus eine fast ärztliche Praxis betrieben.177 Hierbei taucht der Name des Pastors von Selm hin und wieder auf.178 Dieser hatte in seiner Pfarrei, etwa 40 Kilometer von Münster entfernt, Menschen homöopathisch behandelt. Laut der Klerikerkartei handelt es sich um Anton Evers, der seit 1836 bis zu seinem Tod im Jahr 1869 Pfarrer in Selm war.179 Allerdings scheint er nicht von Beginn an homöopathisch therapiert zu haben. Zumindest nennen die sechs Patienten, die von ihm Pulver erhalten hatten, seine Tätigkeit erst ab 1859. Prinzipiell waren Geistliche in Gesundheitsfragen Ansprechpartner in den ländlichen Gemeinden. Die Homöopathie fand dabei durchaus Anklang in der Pastoralmedizin.180 Auch zu den Patienten Hahnemanns zählte ein Pastor, der sich von dem Begründer der Homöopathie behandeln ließ und selbst Hilfesuchende therapierte.181 Einige der Patienten, die vorher homöopathisch behandelt worden waren, korrespondierten brieflich entweder selbst oder durch den behandelnden Arzt 176 Bönninghausen selbst hat ein solches Rezept in das Journal IGM P 12 eingeklebt. Es beginnt am 6. Februar 1836. Der Betrüger muss also spätestens seit Beginn dieses Jahres aktiv gewesen sein. 177 Beispielsweise IGM P 103 Fol. 288, die sich in Rom von einem Frl. Haminer behandeln ließ. Ferner betätigte sich auch ein Lehrer in dieser Weise IGM P 114 Fol. 402. 178 Zehn Patienten erwähnten dessen Tätigkeit auf die Frage nach „Allop. gebr.“ und in den Anamnesen IGM P 103 Fol. 14, P 104 Fol. 117, P 107 Fol. 37 und Fol. 128, P 113 Fol. 75, P 114 Fol. 234 und Fol. 369, P 115 Fol. 305, Fol. 446 und Fol. 460. Weitere Patienten waren bei unbekannten Pastoren gewesen: P 80 Fol. 269, P 103 Fol. 150 und P 104 Fol. 322. 179 Die Klerikerkartei in BAM unter dem Namen Evers, Anton, Kiskemper: Priesterverzeichnis, S. 260 bei Selm. 180 Valenti: Medicina Clerica, S. 105–110, Stolberg, Michael: Homöopathie und Klerus. Zur Geschichte einer besonderen Beziehung. In: MedGG 17 (1998), S. 131–148. Oft richtete sich die homöopathische Hausarztliteratur speziell an Geistliche: Willfahrt: Hausarztliteratur, S. 155. Im Jahr 1838 gab es auch ein Verfahren gegen einen Pfarrer, der bei einer herrschenden Typhus-Epidemie Erkrankte mit homöopathischen Mitteln behandelt hatte. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1838, S. 225. International: Kotok, Alexander: Homeopathy and the Russian Orthodox Clergy. Russian Homeopathy in Search of Allies in the Second Part of the 19th and Beginning of the 20th Centuries. In: MedGG 16 (1997), S. 171–193. Für die Verbreitung der Homöopathie in Frankreich spielte der Klerus ebenfalls eine wichtige Rolle: Faure, Olivier: Eine zweite Heimat für die Homöopathie. Frankreich. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. Länder, Schulen, Heilkundige, München 1996, S. 48–54. 181 Brockmeyer: Schreibweisen, S. 31 und S. 274, auch Papsch: D38 Kommentar, S. 28–33, Meyer: Patientenbriefe, S. 70–71. Für Bayern ist dies ebenfalls belegt: Stolberg, Michael: Die Homöopathie im Königreich Bayern. In: MedGG 14 (1996), S. 177–178, auch aus der Praxis van den Berghes gibt es hierfür Beispiele Baal, Anne: Being Ill in the City. Nineteenth-Century Patients in Ghent and their Experience with Homoeopathy. In: MedGG 22 (2003), S. 165.
4.3 Andere Homöopathen
109
mit Bönninghausen. Ähnlich wie bei entsprechenden Anfragen an Samuel Hahnemann handelte es sich um Ärzte, die mit der eigenen Arzneimittelwahl nicht den gewünschten Erfolg erzielt hatten und nun den Rat eines weiteren Homöopathen einholten.182 Spätestens nach dem Tod Hahnemanns 1843 kam Clemens von Bönninghausen als seinem „Lieblingsschüler“ beziehungsweise einem Laientherapeuten, der immerhin von Hahnemann besonders geschätzt und ausgezeichnet worden war, eine besondere Bedeutung zu.183 So wandte sich der homöopathische Arzt Dr. Wilson aus England an Bönninghausen und teilte ihm das Krankheitsbild einer 22-jährigen Patientin mit, die an Krampfanfällen vor der Monatsblutung litt. Diese Patientin hatte vor Wilson noch einen weiteren homöopathischen Arzt konsultiert, so dass Bönninghausen der dritte Ansprechpartner war.184 Wilson selbst fragte den Freiherrn auch um Rat für seine Frau und den einzigen Sohn.185 In ähnlicher Weise wurden Bönninghausen Briefe aus Frankreich oder Belgien weitergeleitet.186 Ein Patient war aus Spanien nach Frankreich gereist, wo der dort konsultierte Therapeut letztendlich Bönninghausen brieflich die Beschwerden schilderte. Nachdem ein spanischer Homöopath die Leiden des jungen Manns nicht hatte bessern können, war dieser kurzerhand nach Paris aufgebrochen, 182 Parallelbehandlungen oder auch das Einholen von Ratschlägen bei Papsch: D38 Kommentar, S. 63–64, Sauerbeck: Hahnemann, S. 1. Auch Bönninghausen fragte in der ersten Praxiszeit häufig Hahnemann um Rat und besprach mit ihm Arzneimittelwahlen. Stahl: Briefwechsel, die Briefe aus den Jahren 1831–1833, S. 38–93. 183 Zu dem besonders guten Verhältnis von beiden gibt der intensive Briefwechsel Auskunft Stahl: Briefwechsel. Ferner sprechen dafür das Zeugnis, das Hahnemann Bönninghausen über sein therapeutisches Können ausstellte. Dessen Abbildung bei Kottwitz: Leben, Bild 38 im Anhang. Der begleitende Brief und die Transkription bei Stahl: Briefwechsel, S. 87–88. Bönninghausen schreibt selbst von den vielen Briefen, die er erhielt: Conrad: Briefwechsel, S. 23–25. Außerdem erhielt Bönninghausen im Laufe seiner Praxiszeit auch Besuch von verschiedenen ausländischen Ärzten, die ihn ebenso um Rat gefragt haben dürften. Hierzu P 71 im vorderen Deckel Besuch aus Riga im Dezember 1848, P 74 vorderer Deckel aus der Steiermark, P 77 im hinteren Buchdeckel aus England und Frankreich, P 78 vorderer Deckel aus Amerika, P 81 aus Carlsbad, P 92 im hinteren Dekkel von zwei Ärzten aus Paris beziehungsweise Lyon, alle IGM. Bönninghausen betonte dies auch in einem Brief an die Regierung in Münster: An Eine Hochlöbliche Regierung hier. In: AHZ 41 (1851), Sp. 15. Briefe anderer Ärzte an Bönninghausen sind jedoch kaum erhalten. Ausnahme sind gedruckte Auszüge, wie: Nunez, Jos.: Aus einem Schreiben des Dr. Nunez, an R. R. Dr. v. Bönninghausen. In: Neues ACS 3 (1846) Heft 3, S. 95–100. 184 IGM P 79 Fol. 49 und den dazugehörigen Patientenbrief, der in das Journal eingeklebt ist. 185 Die Patientendaten IGM P 80 Fol. 122 und P 104 Fol. 212. 186 Den an einen Gondois adressierten Brief, in dem es um die Therapie eines Kindes geht: P 107 Fol. 229 (eingeklebt) sowie im selben Journal Fol. 227 mit eingeklebtem Brief, P 106 Fol. 110 und dazu P 221/3 oder P 77 Fol. 147 sowie P 106 Fol. 117 mit eingeklebten Briefen. Alle in IGM überliefert. Dass Bönninghausen mit zunehmender Bekanntheit immer mehr Briefe aus dem Ausland erhielt, deren Beantwortung ihm nicht nur Vergnügen bereitete, kann man auch seinen Zeilen an den Freiherrn von und zu Brenken vom Februar 1857 entnehmen. Conrad: Briefwechsel, S. 24–25.
110
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
um dort Samuel Hahnemann persönlich zu konsultieren. Doch erreichte er die Stadt erst im August 1843, als der Meister bereits gestorben war. Der Arzt in Paris empfahl ihm daraufhin die Weiterreise nach Münster, wo er im September des Jahres eintraf und sich von Bönninghausen behandeln ließ.187 Die Mutter eines jungen Adeligen aus Polen suchte den Freiherrn persönlich auf, um ihn wegen der Wahnsinnsanfälle ihres Sohns um Rat zu fragen. Dieser reiste in Begleitung eines Homöopathen aus München, nachdem in Wien befragte Ärzte eine Therapie unter der Leitung von Bönninghausen vorgeschlagen hatten.188 Bei manchen Patienten aus dem Ausland wurde nach der Konsultation Bönninghausens die Therapie von einem für die Kranken leichter erreichbaren Homöopathen fortgesetzt.189 Im Jahr 1850 schrieb Doktor Hermann Groß an Clemens von Bönninghausen. Er war selbst Arzt in Wittenberg und hatte erfolglos versucht, seine Schwester zu therapieren. Zuvor waren Kurversuche seines Vaters, der 1847 gestorben war, ebenso fehlgeschlagen wie die eines Onkels, der als Arzt in Jüterbog praktizierte, und des Hofrats Aegidi aus Berlin.190 Aegidi hatte den Ausschlag, an dem die Schwester am meisten zu leiden hatte, bis gegen Ostern des Jahres behandelt, worauf „die Sache ins Stocken kam“, so dass Groß selbst die Kur übernehmen wollte. Ihm kam aber in seiner Praxis in Wittenberg zu Ohren, „daß meine Mutter und Schwester ganz muthlos geworden und im Begriffe waren, ihre Zuflucht zu einem der tausend angepriesenen und mit Attesten belegten Mittel zu nehmen, die man in allen Winkelblättern findet.“ Dagegen konnte er aus der Ferne erfolgreich Widerspruch einlegen. Er war sich nicht sicher, wie lange Mutter und Schwester darauf hören würden. Daher erhoffte er nun den Rat Bönninghausens, um möglichst schnell und erfolgreich die Beschwerden seiner Schwester lindern zu können.191 Auch die Namen anderer bedeutender Homöopathen wurden genannt, wenn es um die Frage ging, welche Therapien gegen die Beschwerden bereits
187 IGM P 55 Fol. 47 und der eingeklebte Brief P 55 Fol. 48 b hierzu. 188 IGM P 85 Fol. 213. 189 Beispielsweise IGM P 81 Fol. 120 oder P 86 Fol. 24 und Fol. 135. Bei letzteren beiden handelt es sich um niederländische Kranke aus Rotterdam, die an einen Herrn Kallenbach verwiesen wurden. Zumindest 1861 praktizierte dieser „honorable ami“ in Utrecht. Hierzu Bönninghausen, Clemens von: Invasion d’une angine diphtheritique. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 689. Einem Patienten gab Bönninghausen auch die Adresse eines am Wohnort Paris praktizierenden Homöopathen IGM P 86 Fol. 206. Dies ist auch für Patienten Hahnemanns belegt: Sauerbeck: Hahnemann, S. 2. 190 IGM P 76 Fol. 107 und die dazugehörigen Briefe in P 216/5 und P 216/6. Zu Rudolf Hermann Groß die Angaben bei Schroers: Lexikon, S. 46. Bei dem Onkel handelt es sich um Gustav Wilhelm Groß, Schroers: Lexikon, S. 45. Der Vater wird in diesem Lexikon nicht erwähnt. Auch der Onkel ist im September 1847 gestorben. 191 Brief vom 24. Juli 1850 zu IGM P 76 Fol. 107 mit der Signatur P 216/5. Zu Karl Julius Aegidi: Schroers: Lexikon, S. 1 sowie Vigoureux, Ralf: Karl Julius Aegidi. Leben und Werk des homöopathischen Arztes, Heidelberg 2001 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 6).
4.3 Andere Homöopathen
111
versucht worden waren.192 Von den Herren Weihe und Lutze hatte Bönninghausen selbst Anweisungen, die diese an ihre Patienten gegeben hatten, in seine Journale geklebt. Er nutzte sie vermutlich als Beispiel oder Gedankenstütze, ähnliche Informationen an seine Klientel mitzugeben.193 Der Name Weihe in Herford wurde von 14 Patienten erwähnt. Nur in einem Fall dürfte es sich aber um denselben Arzt handeln, der Bönninghausen das Leben gerettet hatte.194 Nach dessen Tod übernahm sein ältester Sohn Justus Weihe die Praxis in Herford und führte sie bis 1892.195 Seine Therapie haben die übrigen Patienten in Anspruch genommen, bevor sie Clemens von Bönninghausen aufsuchten. Auch der Name des schillernden Homöopathen Arthur Lutze wurde 18 Mal genannt. Lutze war wie Bönninghausen Laie.196 Bis 1843 hatte er als Postsekretär gearbeitet, ehe er sich ganz der homöopathischen Tätigkeit widmete. Allerdings geriet Lutze weit stärker mit den preußischen Behörden in Konflikt und wurde mehrere Male inhaftiert. Im Gegensatz zu Bönninghausen erwarb er 1850 einen medizinischen Doktortitel. Ab 1851 wurde ihm durch eine Ministerialverfügung die Praxis erneut gestattet, nachdem ihm eine frühere Erlaubnis entzogen worden war. Lutze gründete in Köthen eine Heilanstalt, die einen enormen Zuspruch erfuhr. Ein Bergmann aus Ibbenbüren hatte Lutze fünf Mal konsultiert, bevor er sich an Bönninghausen wandte. Eine ledige 26-Jährige hatte gegen ihre Gelenkschmerzen zwei Jahre lang die Kur durch Lutze genutzt, bevor sie Patientin bei Bönninghausen wurde. Und ein Bauer von 51 Jahren ließ sich trotz der Verschlimmerung, die Lutzes Medikation bei seinem Geschwür herbeigeführt hatte, nicht von einer weiteren homöopa-
192 Von den genannten Homöopathen wird im Folgenden auf diejenigen eingegangen, die häufiger erwähnt wurden. Bei 261 Patienten wurde eine vorangegangene homöopathische Kur festgestellt. Hahnemann scheint die Namen von früheren Therapeuten sogar nur dann erwähnt zu haben, wenn es sich um Homöopathen handelte. Sauerbeck: Hahnemann, S. 1. 193 P 95 hinten von Lutze aus Köthen von 1856 betreffs der Behandlung per Post und mit Anweisungen zur Einnahme von Medikamenten, P 96 vorn von Lutze aus Köthen von 1856 betreffs Anweisungen zur Einnahme von Medikamenten, P 96 hinten Anweisungen zur Diät und Anweisungen zur Einnahme von Medikamenten von Lutze aus Köthen ohne Jahr, P 53 vorn Anweisung zur Einnahme der Medikamente und zur Diät von Dr. Weihe in Herford ohne Jahr, P 106 hinten Anweisungen zur Diät und Gebrauch der Medikamente und ein Journalzettel von „Friedr. Gauwerky in Soest“ ohne Jahr, jetzt P 221/4. Alle in IGM überliefert. 194 Carl Ernst August Weihe lebte von 1779 bis 1834: Stahl: Geschichte, S. 196. Der Kranke, bei dem Weihe Nierensteine vermutete, gehörte zu den ersten Patienten Bönninghausens. Auch IGM P 151 S. 51–54. 195 Schroers: Lexikon, S. 161 zu Justus Weihe. 196 Zu Lutze Schroers: Lexikon, S. 90, Streuber, Ingeborg: Ein Macher. Arthur Lutze (1813– 1870). „Der Mensch kann, was er will, doch muß er glauben und vertrauen.“ In: Dinges: Homöopathie, S. 160–184 sowie Bettin, Hartmut; Meyer, Ulrich; Friedrich, Christoph: „Diese Bitte war ich der Menschheit schuldig.“ Das Wirken des homöopathischen Laienheilers Arthur Lutze (1813–1870) in Preußen. In: MedGG 19 (2001), S. 199–227.
112
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
thischen Behandlung durch den Freiherrn abbringen.197 Zwei weitere Kranke waren von Schülern Arthur Lutzes behandelt worden.198 Ebenso hatten 35 Patienten zuvor in Soest bei Friedrich Gauwerky Hilfe gesucht. Der Arzt war, wie Bönninghausen, Mitglied der „Versammlung der homöopathischen Aerzte Rheinlands und Westphalens“ und hatte sich 1850 für die Errichtung eines Lehrstuhls für Homöopathie eingesetzt. Seine Praxis wurde später von dem gleichnamigen Sohn übernommen.199 Bei vier der Kranken ist ausdrücklich vermerkt, dass sie die Dienste des jüngeren Arztes in Anspruch genommen hatten. Der in Paderborn praktizierende Arzt Bolle, der als homöopathischer Therapeut in den Thermen zu Lippspringe fungierte, wurde gleichfalls von elf Kranken konsultiert.200 Es konnte auch vorkommen, dass Patienten von einem Homöopathen „allopathisch“ therapiert wurden. So erschien die Gattin eines Steuersekretärs nebst ihrer Tochter bei Bönninghausen, um das Kind wegen „Hüsteln mit Schleimauswurf“ behandeln zu lassen. Beide hatten zuvor in Karlsruhe den Arzt Griesselich besucht, ohne zu wissen, dass dieser auch homöopathisch praktizierte.201 Bönninghausen gelang es, durch seine Heilerfolge und Überzeugungskraft bis dahin „allopathische“ Ärzte zur Homöopathie zu führen. Zu diesen gehörte der Arzt Theodor Lutterbeck. Auch dessen Name wurde von 13 Patienten Bönninghausens erwähnt. Aber es wird nicht immer deutlich, ob Lutterbeck die Kranken homöopathisch oder schon früher „allopathisch“ kuriert hatte. Ferner kürzte Bönninghausen gelegentlich den Namen ab, so dass man nur erkennt, dass weitere 15 Patienten zuvor homöopathisch bei „L.“ in Behandlung waren. Dies könnten Lutze oder Lutterbeck sein. Ähnliches gilt für die Behandlung durch „F.“, die bei 17 Kranken erfolgte. Allerdings wird in vollständiger Schreibweise nur ein homöopathischer Arzt dessen Namen mit „F“ beginnt in fünf weiteren Fällen von Bönninghausen genannt. Es handelt sich um Doktor Fuisting. Dieser wurde 1773 in Nordkirchen geboren und praktizierte in Münster, war aber nur als Wundarzt zugelassen, da er keinen Doktortitel vorweisen konnte.202 Carl von Bönninghausen, der dritte Sohn, ließ sich nach seinem Medizinstudium und nachdem er offenbar einige Zeit in der Praxis des Vaters Erfah-
197 Die drei Betroffenen IGM P 103 Fol. 97, P 111 Fol. 305 und P 113 Fol. 58. 198 Die Bemerkungen bei IGM P 115 Fol. 419 und P 111 Fol. 294. 199 Zu beiden die kurzen Artikel bei Schroers: Lexikon, S. 36. Aus seiner Praxis berichtet Gauwerky in: Gauwerky, Friedrich: Mittheilungen aus der Praxis. In: AHZ 43 (1852), S. 241–248. 200 Zu Peter Bolle in Schroers: Lexikon, S. 15. Seine Bemerkungen zu den Thermen in Lippspringe: Bolle, Peter: Ueber die Therme zu Lippspringe. In: AHZ 43 (1852), S. 225–229. 201 IGM P 52 Fol. 121b. Zu Philipp Griesselich: Schroers: Lexikon, S. 44. 202 Die Angaben zu Fuisting in StAM Regierung Münster 218 II: Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1817–1818, S. 08b. Außerdem zu Lutterbeck und Fuisting Angaben in: Stahl: Geschichte, S. 200–201.
4.3 Andere Homöopathen
113
rung gesammelt hatte, 1856 in Köln nieder.203 Er praktizierte dort als homöopathischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer, bevor er nach Paris übersiedelte.204 Fünf Patienten waren zuvor beim Sohn in Behandlung gewesen, bevor sie den Rat des Vaters eingeholt hatten. Außerdem wurden weitere Namen von mehr oder weniger bekannten Ärzten genannt, die ebenfalls Kranke homöopathisch kuriert hatten. Dazu zählte der westfälische Arzt Bredenoll, der 1833 Hahnemann in Köthen aufgesucht hatte, um von ihm selbst in seine Lehre eingeweiht zu werden.205 Gleiches galt für den Leibarzt des Fürsten zu Salm-Horstmar Jacob Glasor, der seit 1824 homöopathisch tätig war. Ebenso kamen von dem in Hildesheim praktizierenden Franz Metz einige Patienten später zu Bönninghausen in die Praxis. Auch der heute wegen der nach ihm benannten Salze so bekannte Wilhelm Heinrich Schüßler war zuvor von einem Kranken konsultiert worden.206 An dieser Stelle wird deutlich, dass nur wenige der Patienten konsequent eine homöopathische Behandlung verfolgten. Ausnahmen bilden der Briefschreiber, der ausdrücklich Wert darauf legte, dass nur eine homöopathische Kur für ihn in Frage komme, oder diejenigen Patienten die zuvor länger bei Lutze in der Behandlung gewesen waren.207 Vielmehr gaben die meisten Kranken bei der Frage nach ihrer seitherigen „Laufbahn“ häufig die Auskunft, allerlei Medikamente ausprobiert zu haben, unter ihnen auch homöopathische, bevor sie sich wieder der „Allopathie“ zuwandten. Diese Abkehr schloss aber nicht aus, dass sie später erneut einen homöopathischen Heiler oder Bönninghausen selbst aufsuchten. Beispielsweise notierte der Freiherr bei einer 50 Jahre alten Bauersfrau aus Werne, sie habe zuerst homöopathische Mittel genommen, bevor sie zu „Schmiralien und Kräuterthee“ griff, um letztendlich ihn wegen ihrer Flechte zu konsultieren.208 Immerhin hatten 261 Patienten Erfahrungen mit der Kurmethode Hahnemanns gemacht, bevor sie
203 Zu Carl: Schroers: Lexikon, S. 15, Kottwitz: Leben, S. 155. Zu dem Nachweis, dass Carl in der Praxis seines Vaters arbeitete: IGM P 101b und Dunham, Caroll: Letter from C. Dunham, M. D. In: Philadelphia Journal of Homoeopathy 4 (1855), S. 457. Ich danke Herrn Norbert Winter, Karlsruhe, für den Hinweis auf den Brief. 204 Hierzu hatte er eine Anzeige in einer Zeitung aufgegeben, die der Vater sich in sein Journal IGM P 96 einklebte, ohne den Erscheinungsort zu nennen. 205 Jütte: Hahnemann, S. 149. Bredenoll: P 108 Fol. 51, weitere Patienten, die bei Homöopathen waren: P 37 Fol. 4, P 39 Fol. 3, P 48 Fol. 39, P 49 Fol. 164, P 74 Fol. 184 und Fol. 199, P 79 Fol. 85, P 81 Fol. 120, P 83 Fol. 10, P 104 Fol. 158 und Fol. 304, P 106 Fol. 92, P 107 Fol. 136 und Fol. 226, P 109 Fol. 44, P 110 Fol. 17 und Fol. 108, P 111 Fol. 148, P 112 Fol. 268, P 113 Fol. 25, P 114 Fol. 402. 206 Der Patient IGM P 113 Fol. 21. Zu Schüßler Schroers: Lexikon, S. 131. Glasor: P 35 Fol. 53, Metz: P 76 Fol. 130, Fol. 188 und Fol. 214, alle IGM. Für Glasor und Metz: Schroers: Lexikon, S. 40–41 sowie S. 96. 207 Siehe den Patientenbrief zu IGM P 77 Fol. 147: „Je tiens d’autant plus à vos bons avis, qué nescout moi-même le homoeopathie depuis 17 ans, je n’ai confiance que dans cette médecine.“ Für Lutze: P 111 Fol. 305. 208 IGM P 113 Fol. 25.
114
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
sich, oft nach Umwegen über eine erneute „allopathische“ Therapie, an den Freiherrn von Bönninghausen wandten.209 4.4 Approbierte Heiler und Institutionen Wie bereits deutlich wurde, war das Feld der damals zugelassenen medizinischen Heiler sehr differenziert.210 Die einzelnen Gruppen unterschieden sich durch ihre Ausbildung und die ihnen zugeschriebenen Aufgabenbereiche. Ein „gelehrter Arzt“ hatte an einer Universität einen Abschluss mit Doktorgrad erworben. Er stand an der Spitze der approbierten Heilpersonen.211 Solche „gelehrten“ Ärzte konnten durch weitere Zusatzausbildungen als Wundarzt und Geburtshelfer tätig werden.212 Die Durchführung chirurgischer und äußerer Eingriffe gehörte traditionell in den Bereich der hierfür meist handwerklich oder an medizinisch-chirurgischen Lehranstalten ausgebildeten und geprüften Wundärzte.213 Hiervon gab es zwei Klassen, wobei diese Unterscheidung im Verlauf der Zeit zunehmend an Bedeutung verlor. Hierarchisch gesehen am unteren Ende standen die Hebammen, die zwar an speziellen Lehranstalten ausgebildet und geprüft waren, denen aber nur das Betreuen von Schwangeren und „normalen“ Geburten und die Versorgung im Wochenbett zugestanden wurde. Im Fall von schwierigen Geburten mussten sie einen approbierten ärztlichen Geburtshelfer hinzuziehen.214 In einigen Fällen gaben die Patienten gegenüber Bönninghausen nur an, sie hätten bereits die Dienste mehrerer Ärzte in Anspruch genommen.215 Die zahlreichen ungenauen Bemerkungen umfassen Angaben wie „mehrere“, „viele“ oder „von allen Ärzten“ eines Ortes.216 Dabei reichte die Anzahl der zuvor konsultierten Ärzte meist von zwei bis zu zehn. Ein niederländischer 209 Dies entspricht immerhin 1,8 % aller Patienten. 210 Ausführlicher zu dieser Differenzierung in Kapitel 3.3.2 und 4. 211 Zur hierarchischen Abstufung im Bereich der approbierten Heiler: Huerkamp: Aufstieg, S. 34–35, Spree: Kurpfuscherei, S. 105, Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 19, Probst: Fahrende Heiler, S. 44, Loetz: Grenzen, S. 27 und S. 37. 212 Diese Mehrfachqualifikation wurde aber immer mehr zur Regel. Hierzu Huerkamp: Aufstieg, S. 50. 213 Zur Geschichte der Chirurgie: Drees, Annette: Blutiges Handwerk – klinische Chirurgie. Zur Entwicklung der Chirurgie 1750–1920, Münster 1989. Ein knapper Überblick auch Porter: Kunst, S. 597–626. Allerdings gelang es den Ärzten immer mehr, die Wundärzte zu verdrängen und sich das Feld der Chirurgie anzueignen: Sander: Handwerkschirurgen. 214 Diese Gliederung nach Horn: Medicinalwesen, S. 45–47. Seit 1852 wurde nur noch „die Prüfung Einer Klasse von Medicinal-Personen, der promovirten Aerzte“ durchgeführt. 215 Von mindestens 1.210 Patienten wurde auf die Frage nach den vorangegangenen Behandlungen angegeben, sie hätten einen „allopathischen“ Arzt konsultiert. Dies entspricht 8,5 % aller Patienten. Auch bei Hahnemann sind gelegentlich Namen anderer Ärzte erwähnt, zum Beispiel: Papsch: D38 Kommentar, S. 63. 216 IGM P 43 Fol. 12. Bei 146 der 1.210 Patienten wurde nur die Anzahl der zuvor konsultierten Ärzte ohne Nennung des Namens angegeben. Ferner wurde bei den meisten chir-
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
115
Patient hatte 26 Ärzte konsultiert, bevor er sich an Bönninghausen wandte und ein 69-Jähriger aus Osnabrück gab sogar an, er habe „allerlei von hundert Ärzten“ probiert.217 Bei diesen summarischen Angaben ist nicht zu unterscheiden, ob es sich um Wundärzte oder Promovierte gehandelt hat. Aufgrund der unterschiedlichen Qualifikationen und Zuständigkeitsbereiche werden daher im Folgenden die einzelnen Gruppen der approbierten Heiler in den Teilkapiteln behandelt. Doch standen nur für einige der namentlich bekannten Ärzte zusätzliche Informationen über deren Werdegang und Qualifikationen zur Verfügung. In weiteren Abschnitten werden die von den Patienten erwähnten Bäderkuren in anerkannten Anstalten und die Aufenthalte in genannten Krankenhäusern berücksichtigt. In beiden Fällen handelt es sich um Institutionen des Medizinalsystems, in denen man die Betreuung der Kranken durch medizinisch zugelassenes Personal voraussetzen kann. 4.4.1 Hebammen Das Hebammenwesen wurde durch die preußische Medizinalgesetzgebung geregelt. Die Aufgabe der Hebamme war auf die „Hülfleistung bei normalen Geburten“ beschränkt. Ferner durften sie den Geburtshelfern assistieren und man gestand ihnen „kleinere chirurgische Operationen bei Frauen“ zu.218 Zwar wurden Hebammen speziell für ihre Aufgaben ausgebildet, dennoch war der Beruf wenig angesehen.219 In vielen kleineren Orten des Regierungsbezirks Münster war die Hebamme oft die einzige zugelassene und geprüfte Medizinalperson.220 Die Zahl der Hebammen in Münster stieg im Lauf von Bönninghausens Praxiszeit an. Allerdings bedeutete dies bei einem nur mäßigen Bevölkerungswachstum, dass die Anzahl der Einwohner je Hebamme geringer wurde. Daher gab es bis 1865 eher zu viele Hebammen in der Stadt. Dies führte dazu, dass viele der Frauen am Existenzminimum lebten und große finanzielle Probleme hatten.221 Aber in den umliegenden kleineren Orten war die Hebamme meist die erste Person, die bei Erkrankungen der Kinder konsultiert wurde. Das Setzen von Blutegeln und Klistieren durfte sie ei-
217 218
219 220 221
urgischen Eingriffen der Name des durchführenden Operateurs nicht genannt. Dies war nicht unüblich: Döhner: Krankheitsbegriff, S. 59–61. IGM P 86 Fol. 135 und P 78 Fol. 196. Horn: Medicinalwesen, S. 46. Zum Einstellungsverfahren der Hebammen in Münster: StdAM Stadtregistratur Medizinalangelegenheiten Fach 201 Nr. 4: Bestallung und Vereidigung der Hebammen, Band 1, 1772–1838. Schmitz: Hebammen, S. 46. Die Übersicht zu den Medizinalpersonen im StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860. Dazu auch Huerkamp: Aufstieg, S. 38. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 128, Schmitz: Hebammen, S. 48–49. Davon zeugen auch die Unterstützungsgesuche von verarmten Hebammen: StdAM Stadtregistratur Medizinalangelegenheiten Fach 201 Nr. 6: Unterstützung der Hebammen, Band 1, 1817– 1838 und Nr. 7: Band 2, 1839–1868. Dass dies häufig der Fall war belegt Huerkamp: Aufstieg, S. 38.
116
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
gentlich nur auf ärztliche Anordnung durchführen, dennoch hatten sich die meisten Frauen durch Erfahrungen gute Kenntnisse im Bereich der Gesundheitsfürsorge und Gynäkologie erworben.222 Auch Hebammen wurden von den Patienten Bönninghausens auf die Frage nach vorangegangenen „allopathischen“ Behandlungen genannt. Doch geschah dies ausgesprochen selten.223 Wie kaum anders zu erwarten, wurde die Hebamme nur von weiblichen erwachsenen Kranken als medizinischer Beistand erwähnt. Bei zwei Kindern, einem Knaben und einem neunjährigen Mädchen, war die Hebamme ebenfalls um Rat gefragt worden. Der 15-Jährige aus Amelsbüren hatte zunächst über Leibschmerzen geklagt, weswegen ihm ein Klistier von der Hebamme verabreicht worden war. Diese Maßnahme hatte lediglich verstärkte Leberschmerzen zur Folge. Das kleine Mädchen aus demselben Ort litt „von Jugend auf“ an „Schmerzen in der linken Hüfte mit Verkürzung des Beines“. Gegen diese Schmerzen hatte die Hebamme Einreibungen vorgenommen.224 Fast alle erwachsenen Frauen hatten Beschwerden, die im Zusammenhang mit Geburt und dem Wochenbett standen. Eine 40 Jahre alte Frau hatte wegen ihrer entzündeten Brust rund einen Monat nach dem Wochenbett bei der Hebamme um Mittel gebeten, gleichzeitig aber Hausmittel und Blutegel verwendet. In einem ähnlichen Fall hatte eine 32-Jährige aus Seppenrade sowohl ihre Hebamme als auch einen Arzt konsultiert, bevor sie sich an Bönninghausen wandte.225 Zwei Schwangere hatten zu schwache Wehen, so dass der Geburtsvorgang ins Stocken geriet. Der einen werdenden Mutter versuchte die Hebamme mit Tropfen und Dampfbädern zu helfen. Während der 32-Jährigen aus der Nähe von Havixbeck von ihrer Hebamme geraten wurde, Bönninghausen sogleich zu konsultieren, ohne dass andere Mittel zum Einsatz kamen.226 Die beiden anderen Frauen waren nach einem überstandenen Wochenbett zu Bönninghausen gekommen. Beide führten ihre Beschwerden auf die Niederkunft zurück und hatten in deren Folge an starken Wochenflüssen zu leiden gehabt, die von den Hebammen gestoppt werden konnten.227 Auch Hebammen selbst begaben sich in eine homöopathische Therapie. Bei sechs Frauen war von Bönninghausen als Beruf Hebamme eingetragen worden. Diese konsultierten den Freiherrn aber ausnahmslos wegen anderer 222 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 128, Huerkamp: Aufstieg, S. 39. 223 Es sind acht Fälle. Vier ergeben sich, wenn man „Hebamme“ bei „Allop. gebr.“ eingibt. Dies sind IGM P 82 Fol. 89, P 108 Fol. 220, P 115 Fol. 135, P 115 Fol. 154. Vier weitere, wenn man die Suchanfrage im Bereich des Krankheitsbildes startet IGM P 151 S. 95–96, P 41 Fol. 29, P 78 Fol. 197, P 115 Fol. 402. 224 Die Beispiele der Reihe nach IGM P 115 Fol. 402 und P 108 Fol. 220. 225 Diese Beispiele IGM P 115 Fol. 145 und P 82 Fol. 89. 226 IGM P 115 Fol. 135 und P 78 Fol. 197. Hier lautet der vollständige Eintrag bei Krankheitsbild: „Wehen zu schwach und kann deshalb nicht gebähren. – Sonst gesund. – (die Hebamme hierzu gerathen).“ 227 IGM P 41 Fol. 29 und P 151 S. 95–96. Wochenfluss/Lochien: „der schleimig blutige Erguss in den 6 Wochen post partum“, also nach der Geburt. Höfler: KrankheitsnamenBuch, S. 164.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
117
Beschwerden, wie Übelkeit und Erbrechen, einem flechtenartigen Ausschlag, starkem Husten, einem Geschwür im Nacken oder der Geschwulst eines Fingers.228 Die geringe Anzahl von Kranken, die eine Hebamme im Verlauf einer früheren Behandlung um Rat gefragt hatten, erlaubt keine verallgemeinerbaren Aussagen. Der Anteil der Patienten, die im Lauf der Zeit die Hilfe und den Rat einer Hebamme in Anspruch genommen hatte, dürfte, vor allem bei den Frauen, viel höher liegen, als durch die Journale belegbar ist.229 Allerdings entsprechen die Beschwerden, bei denen Hebammen um Hilfe gebeten und die gegenüber Clemens von Bönninghausen geschildert wurden, ihrem Zuständigkeitsbereich. Zumindest zeigt sich, dass eine Betreuung durch eine Hebamme eine homöopathische Therapie nicht ausschloss beziehungsweise, dass Hebammen aufgrund ihrer Erfahrung und meist „schulmedizinischen“ Ausbildung der Lehre Hahnemanns nicht zwangsweise abgeneigt gegenüber standen. 4.4.2 Wundärzte und Chirurgie In der Stadt und dem Regierungsbezirk Münster konnte die Mehrheit der approbierten Ärzte die Qualifikationen als Arzt und Wundarzt vorweisen.230 Die Namen von Heilkundigen, die nur als Wundärzte approbiert waren, wurden von den Kranken, die später bei Bönninghausen in Behandlung gingen, selten erwähnt. Ausnahme ist Kreischirurg Holtkamp, der sich in Herbern niedergelassen hatte und dort praktizierte.231 Karl Albert Heinrich Holtkamp wurde 1808 geboren und noch zum „Medico-Chirurgen“ ausgebildet.232 Ab 1837 war er im Kreis Lüdinghausen tätig und legte 1845 die Prüfung zum Wundarzt erster Klasse ab.233 Aus den Krankengeschichten, die die Patienten schilderten, gehen jedoch keine chirurgischen Eingriffe hervor.234 Vielmehr legte Holt228 IGM P 47 Fol. 155, P 84 Fol. 9, P 109 Fol. 135, P 114 Fol. 24, P 115 Fol. 201 und Fol. 351. 229 Zum Faktor des Verschweigens: Ruisinger: Patientenwege, S. 126–127. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit die Assistenz einer Hebamme bei Geburten durch die weiblichen Patienten als „allopathische“ Behandlung für erwähnenswert gehalten wurde. 230 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 117 und Tabellen 1 und 2 im Anhang. Zu dieser Entwicklung: Drees: Blutiges Handwerk, S. 10. 231 Er dispensierte dort auch selbst, wie aus den Journalen Bönninghausens hervorgeht: IGM P 114 Fol. 131. Dies führte zu Problemen, StdAM Landratsamt Münster Kreis-AArchiv 1475: Unerlaubter Verkauf von Medikamenten und Giften, Kurpfuscher, S. 59. 232 Er hatte also an einer medizinisch-chirurgischen Lehranstalt die Ausbildung durchlaufen. Hierzu Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 115. 233 Das Gesuch auf die Niederlassung in Herbern: StAM Regierung Münster 207 VII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 8, 1837–1838, S. 15. Zu seiner Ausbildung StAM Medizinalkollegium 41: Prüfung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, vol. IV, 1844–1867, Band 2, 1844, nicht paginiert. 234 Der Name Holtkamp wird bei „Allop. gebr.“ 15 Mal und bei der Erstanamnese weitere fünf Mal erwähnt.
118
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
kamp Pflaster auf, verabreichte „Leberthran“ und andere flüssige Arzneimittel, verschrieb Salben und Pulver. Auch der Wundarzt erster Klasse Theile, der in Everswinkel wohnte, hatte einige Patienten zuvor behandelt.235 Die Prüfung zum Geburtshelfer hatte er nicht bestanden und 1854 wurde ihm „die Befugniß zur ärztlichen und wundärztlichen Praxis entzogen“.236 Doch Theile scheint sich darum wenig gekümmert zu haben, denn einerseits hat er ein Jahr später einen gebrochenen Arm behandelt und andererseits gaben Patienten bis in die 1860er Jahre hinein an, Theile konsultiert zu haben.237 Aber auch hier wurden in den Schilderungen der Patienten keine chirurgischen Maßnahmen deutlich, obwohl er solche zweifelsohne durchgeführt hatte.238 Auch der in Albersloh niedergelassene Wundarzt erster Klasse Bohle wurde von vier Patienten konsultiert, bevor sie zu Bönninghausen gekommen waren.239 Weitere drei Patienten erwähnten eine Behandlung durch den Wundarzt Sulzer, der in Lippborg praktizierte.240 In den Bereich der wundärztlichen Tätigkeit gehörte im Rahmen der „kleinen Chirurgie“ das Setzen von Blutegeln, Schröpfen, Zähneausziehen und Aderlässe.241 Solche Therapien wurden ebenfalls von den späteren Patienten Bönninghausens genannt. Aber sie verschwiegen in den meisten Fällen, durch welchen (Wund-)Arzt die Maßnahme erfolgte. Es ist bemerkenswert, dass sich der Brauch, jemanden zur Ader zu lassen, bis weit in das 19. Jahrhundert hi-
235 Theile war 1806 geboren worden und hatte an der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt in Münster seine Ausbildung gemacht, bevor er 1835 als Wundarzt approbiert wurde: StAM Medizinalkollegium 41: Prüfung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, vol. IV, 1844–1867, Band 2, 1844, nicht paginiert. Nachgewiesen ist er für Everswinkel in: StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 48. Die Vereidung in: StAM Regierung Münster 207 VI II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 7, 1834–1836, S. 299. 236 Das Nichtbestehen der Prüfung zum Geburtshelfer: StAM Regierung Münster 207 XII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 12, 1847–1850, S. 81. Die Meldung über den Entzug der Approbation: Amts-Blatt Regierung Münster 1854, S. 104. 237 Zu dem gebrochenen Arm: StdAM Landratsamt Münster Kreis-A-Archiv 1474: Unerlaubte Ausübung der Medizinalpraxis, Band 2, 1843–1882, nicht paginiert. Ein Patient, der 1863 zu Bönninghausen kam, litt seit einem halben Jahr an Brustschmerzen und gab an, Theile erfolglos konsultiert zu haben. IGM P 115 Fol. 100. 238 Der Name Theile wird von 35 Patienten bei „Allop. gebr.“ erwähnt. 239 IGM P 108 Fol. 169, P 112 Fol. 124, P 112 Fol. 218 a und b. Zu Bohle selbst: StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 39. Vereidet wurde er 1836, zwei Jahre später bestand er die Geburtshelferprüfung nicht: StAM Regierung Münster 207 VII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 8, 1837–1838, S. 146. 240 IGM P 81 Fol. 277, P 106 Fol. 195, P 113 Fol. 255. Sulzer stellte später ebenfalls einen Antrag, selbst dispensieren zu dürfen: StAM Regierung Münster 893 V-236: Die Homöopathie und die homöopathischen Ärzte, 1854–1895, S. 11 241 Drees, Annette: Vom handwerklichen Wundarzt zum studierten Spezialisten. Der Aufstieg der Chirurgen. In: Drees: Blutiges Handwerk, S. 15. Zu Blutegeln Kapitel 4.1.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
119
nein hielt.242 Von den Patienten, die später die homöopathische Therapie versuchten, hatten mindestens 149 einen „Aderlaß“ durchgeführt.243 Eine Kranke, die seit 19 Wochen „in höchster Erschöpfung und mit den heftigsten Seitenstichen zu Bette lag“, hatte während dieser Dauer zwölf Aderlässe ertragen, ehe sie Bönninghausen um Rat fragte. Insgesamt, so fuhr der Freiherr in seinen Notizen fort, „sagte sie, sei ihr schon 242 mal zur Ader gelassen“ worden.244 Ein 33 Jahre alter Steinhauer hatte sich im Verlauf seiner Erkrankung 32 Aderlässen unterzogen, bevor er wegen seines Blutspeiens eine homöopathische Therapie wagte.245 Die Patienten sahen keinen Widerspruch zwischen der Methode der „Venaesectio“ und der homöopathischen Therapie. Denn Bönninghausen berichtete noch über die Durchführung von Aderlässen, nachdem ihn die Patienten konsultiert hatten. Beispielsweise litt seine eigene Frau während der Schwangerschaft an so heftigen Krampfadern, „daß sie deshalb ein Aderlaß nahm“.246 Schröpfen beziehungsweise die Verwendung von Schröpfköpfen hatten 35 Patienten durchgeführt.247 Durch Schröpfen wurde nicht nur Blut ausgelassen, sondern man schrieb der Anwendung auch hautreizende Wirkung zu.248 Fontanellen, also künstliche Wunden, um Krank-
242 Zeitgenössisch kritisch zur Praxis des Aderlasses: Mellin: Hausmittel, S. 1–7. Es kam trotz der vorherrschenden Kritik ab Anfang des 19. Jahrhunderts wieder zu einem Aufschwung der Anwendung. Als knappen Überblick: Maibaum, Elke: Der therapeutische Aderlaß von der Entdeckung des Kreislaufs bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Herzogenrath 1983 (Studien zur Medizin-, Kunst- und Literaturgeschichte 2), Stolberg: Homo patiens, S. 86 und S. 202–205. Zu der empfundenen Wirksamkeit einer solchen Maßnahme aus Patientensicht: Stolberg, Michael: Die wundersame Heilkraft von Abführmitteln. Erfolg und Scheitern vormoderner Krankheitsbehandlung aus der Patientensicht. In: Wbg. med.hist. Mitt. 22 (2003), S. 167–177, Döhner: Krankheitsbegriff, S. 64–66. In der Praxis des kanadischen Arztes Langstaff konnte die Abnahme der Durchführung eines Aderlasses belegt werden. Duffin: Rural Practice, S. 17. 243 Der Suchbefehl „Ader“ führt bei „Allop. gebr.“ zu 80 Treffern im Sinn von „Aderlaß“. Weitere 69 Patienten erwähnen einen „Aderlaß“ in der Erstanamnese. Der Suchbefehl erfasst solche Ausdrücke wie „zur Ader gelassen“ (zum Beispiel in P 54 Fol. 177, P 72 Fol. 202 oder P 111 Fol. 75) nicht und bei der Suche nach „Ader“ ergeben sich zu viele Treffer, um diese einzeln zu überprüfen. Daher ist der Anteil der Patienten, die einen „Aderlaß“ hatten höher. Dies traf auch auf Patienten Hahnemanns zu: von 130 hatten sich 29 Aderlässen unterzogen. Sauerbeck: Hahnemann, S. 4, ebenso die Patienten von van den Berghe. Baal: Being Ill, S. 164. 244 IGM P 151 S. 125–128. 245 IGM P 106 Fol. 84. 246 Beispielsweise IGM P 34 Fol. 164, P 35 Fol. 157 und seine eigene Frau P 151 S. 29–31. 247 „Schröpf“ als Suchwort ergibt 32 Treffer bei „Allop. gebr.“ und drei bei „Krankheitsbild“. Zur Methode des Schröpfens, Maibaum: Aderlaß, S. 37. 248 Müller: Kräuterbuch, S. XVIII. Ausführlicher: Jütte: Patient und Heiler, S. 233–235.
120
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
heitsstoffe aus dem Körper zu führen, wurden 13 Patienten gesetzt.249 Außerdem wurden in vier Fällen Wunden oder Geschwülste kauterisiert.250 Auch eine zahnärztliche Behandlung wurde von einigen Patienten durchlitten. Denn bis zur Durchsetzung der Narkose erfolgte das „Ausreißen“ der Zähne bei Bewusstsein der Kranken.251 Die verschiedenen Adressbücher der Stadt Münster führten zwar speziell ausgebildete Zahnärzte auf.252 Deren Namen erschienen jedoch nicht in den Journalen Bönninghausens. Zumindest bei 22 Kranken wurde eine vorangegangene Zahnbehandlung, besonders das Ausziehen von einem oder mehreren Zähnen, extra erwähnt.253 Bei vielen Betroffenen wurde durch das Entfernen eines Zahnes keine Besserung ihrer Beschwerden herbeigeführt und sie begaben sich wegen anhaltender Schmerzen zu Bönninghausen in die Behandlung.254 Auch wurde von erfolglosen Versuchen berichtet, bei denen die zu ziehenden Zähne abbrachen und die verbliebenen Wurzeln weitere Übel verursachten.255 Bei einigen Patienten kommt man als heutiger Leser nicht umhin, sich zu fragen, wie viele Zähne die leidgeprüften Kranken überhaupt noch hatten, als sie sich zu der homöopathischen Kur entschlossen. So heißt es bei einer Patientin von erst 22 Jahren lapidar „viele Zähne ausgezogen“. Eine weitere junge Kranke hatte „schon 9 Zähne“ auf diese Weise verloren, litt aber als sie Bönninghausen 1861 konsultierte schon wieder seit drei Monaten an „verschlimmertem Zahnweh rechts unten“. Ganz ähnlich traf es die Gattin des Zeichenschuldirektors, der bereits die Hälfte aller bleibenden Zähne entfernt worden war und die trotzdem in allen noch vorhandenen Zähnen „Reißen, Jucken und Brennen“ verspürte.256 Bei vielen anderen Patienten wurde ebenfalls deutlich, dass sie sich zuvor chirurgisch hatten behandeln lassen oder sich Therapien unterzogen, die tra249 IGM P 51 Fol. 179, P 80 Fol. 280, P 81 Fol. 246, P 84 Fol. 257, P 85 Fol. 23, P 86 Fol. 100, P 103 Fol. 100, P 107 Fol. 35, P 109 Fol. 196, P 110 Fol. 144, P 114 Fol. 335 und Fol. 379 sowie P 115 Fol. 439. Zu Fontanelle: „das künstlich erzeugte Geschwür oder der Geschwürsfluss, der zur Entfernung einer angenommenen Materia peccans am linken Arme oder in der Nackengrube offen, beständig fliessend erhalten wurde.” Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 164. 250 So IGM P 74 Fol. 10, P 84 Fol. 54, P 85 Fol. 91, P 115 Fol. 166. Kauterisiert bedeutet ausgebrannt. 251 Einschlägige Literatur zur Entwicklung der Zahnmedizin bei: Eckart; Jütte: Einführung, S. 303–311. Eine Übersicht bietet Hoffmann-Axthelm, Walter: Die Geschichte der Zahnheilkunde, Freiburg 2. Auflage 1985. 252 Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829: Lindlau, Zech und Gereke, S. 283, Klier: Adressbuch 1852: Gereke, S. 327, derselbe: Adressbuch 1858: Gereke und Boner, S. 332. 253 Diese Fälle waren in der Datenbank mit Hilfe der Eingabe „Zahn“ und „Zähne“ bei „Allop. gebr.“ sowie „Zahnaus“ im Rahmen der Erstanamnese zu finden. Auf weitere zahnmedizinische Fälle und Erkrankungen wird bei den von Bönninghausen behandelten Krankheitsbildern in Kapitel 6.2.2 eingegangen. 254 Beispielsweise IGM P 74 Fol. 51, P 79 Fol. 59, P 104 Fol. 233 oder P 112 Fol. 239. 255 IGM P 43 Fol. 63 und P 40 Fol. 151. 256 IGM P 107 Fol. 90, P 110 Fol. 179 und P 81 Fol. 220, auch P 83 Fol. 245. Ein gesundes Erwachsenengebiss verfügt über 32 Zähne. Lippert, Herbert: Handbuch Anatomie. Textatlas, Hamburg 6. Auflage 2006, S. 210.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
121
ditionell zu dem Tätigkeitsfeld der Wundärzte gehörten.257 Ferner verfügte das Clemens-Hospital über eine chirurgische Abteilung für die verschiedene Ärzte zuständig waren, die von der Klientel Bönninghausens konsultiert worden waren.258 Die Stelle als Chirurg am Hospital hatte beispielsweise der zugleich als Arzt approbierte Busch inne, der 1832 von Pellengahr abgelöst wurde. Pellengahr selbst trat von seiner Stelle 1845 zurück, woraufhin Medizinalassessor Riefenstahl die chirurgischen Aufgaben übernahm. Pellengahr wurde erneut zum Chirurg in dem Krankenhaus berufen, wobei ihm ein Assistent in der Person des Arztes Sarrazin zur Seite gestellt wurde.259 Besonders die Namen Sarrazins und Riefenstahls wurden von Patienten genannt, wenn es um chirurgische Eingriffe ging. Im Jahr 1861 wandte sich ein 55-jähriger Briefträger aus Münster an den Freiherrn. Er litt seit acht Tagen an einer „Geschwulst in der Mitte der rechten Hand, mit brennendem Schmerzen“. Zu den vorangegangenen Therapien gehörte nach seinen Angaben sowohl „Hafergrütze“ als auch die Tatsache, dass „von Dr. Sarrasin herumgeschnitten“ worden war.260 Riefenstahl hatte hingegen bei verschiedenen Patienten Geschwülste operiert.261 Bei einem 14 Jahre alten Knaben aus Ascheberg hielt er eine Amputation des Beines für nötig, da dieser an einer „scrofulösen Geschwulst und Entzündung des rechten Fußgelenkes“ litt.262 Der Fall eines Webers aus Ascheberg mutet außerdem sehr bizarr an und zeigt, dass es auch im 19. Jahrhundert schon zu „ärztlichen Kunstfehlern“ kommen konnte. „Wegen eines Knochenfraßes in der rechten Backe“ war der 49-Jährige im Clemenshospital operiert worden. Als die Wunde erneut zu eitern begann, wurde er vom Arzt wiederum an das Krankenhaus verwiesen. Die Schmerzen ließen nicht nach, weswegen er im März 1863 zu Bönninghausen kam. Dieser konnte ihm kaum helfen. Nachdem ein eingewachsener „Pfropfen von Charpie aus der Backe gefallen“ war, stellten sich weitere Schmerzen ein und der Patient starb im Juli desselben Jahres.263 Dass sich Patienten in Anbetracht der zu erwartenden Schmerzen und Komplikationen erst mühsam zu einer Operation durchrangen oder diese zu vermeiden suchten, wird an weiteren Fällen deutlich.264 Eine 19 Jahre alte Patientin, die „seit 6 Wochen ein Knöthchen in der rechten Achselgrube, ohne Schmerz“ verspürte, „hat von Dr. Werlitz geschnitten werden sollen“. Sie erschien aber vor dem geplanten Eingriff in der Hoffnung auf Hilfe bei Bön257 Bei mindestens 73 Patienten konnte ein solcher Eingriff festgestellt werden. 258 Die Trennung von Medizin und Chirurgie wurde seit der Gründung des Clemens-Hospitals eingehalten. Siehe Jungnitz: Krankenhäuser, S. 84. 259 Zu diesen Ausführungen: Jungnitz: Krankenhäuser, S. 119–122. 260 IGM P 110 Fol. 223. Die Schreibweisen der Familiennamen variieren. „Sarrazin“ wurde bisweilen nur mit einem „r“ oder „s“ anstelle von „z“ geschrieben. 261 IGM P 106 Fol. 96, P 109 Fol. 43 oder P 43 Fol. 151. 262 IGM P 107 Fol. 35. 263 IGM P 114 Fol. 323. Charpie ist Verbandsmaterial. 264 Zu Entscheidungsprozessen in diesem Zusammenhang mit eindrücklichen Beispielen: Ruisinger: Messers Schneide, S. 321–333. Die Entwicklung der chirurgischen Praxis zeichnet Duffin: Langstaff, S. 145–177 nach.
122
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
ninghausen.265 Eine 26-Jährige aus Ostbevern konsultierte den Freiherrn, nachdem die chirurgische Behandlung ihres Panaritiums am rechten Zeigefinger nur dazu geführt hatte, dass derselbe nun „gestern abgenommen werden sollte“.266 Die Eltern eines 14-jährigen Mädchens erprobten die homöopathische Therapie gegen die „Drüsengeschwulst am Unterkiefer“ ihrer Tochter. Nachdem diese schon mit Salbe erfolglos behandelt worden war, sollte sie von einem Arzt geschnitten werden.267 In diesem Fall konnte der operative Eingriff abgewendet werden, weil Clemens von Bönninghausen von einer Verbesserung des Zustandes im Verlauf der Behandlung berichten konnte. Deutlich wird das Einholen verschiedener ärztlicher Meinungen und der verzweifelten Versuche eine helfende Therapie zu erfahren, am Beispiel einer 37 Jahre alten Frau aus Telgte. Ihr rechter Daumen war geschwollen und hatte sich entzündet, wogegen sie zunächst einen Arzt aufsuchte. Dann wurde durch Riefenstahl behandelt und geschnitten, der Daumen dennoch „von diesem zum Abnehmen verurtheilt“. Diesem Rat widersprach Werlitz, weswegen die Patientin im Mai 1863 schließlich zu Bönninghausen kam, der den Daumen „schmerzlos, aber nun auch oben geschwollen“ vorfand.268 Es wurden Geschwülste, Geschwüre und Entzündungen an verschiedenen Körperteilen operiert. Auch Behandlungen von Star-Erkrankungen wurden erwähnt.269 Ferner gehört in den Bereich der Chirurgie die Operation von Leisten- oder Hodenbrüchen. Diese wurden ebenso von herumreisenden spezialisierten Bruchärzten durchgeführt.270 Bevor man in solchen Fällen zur unangenehmen Operation schritt, versuchte man, das Übel mit einem Bruchband zu beheben. Dass sie ein solches tragen würden oder getragen hätten, gaben 22 Patienten bei Bönninghausens Frage nach den „allopathischen“ Kuren an. Kaum verwunderlich ist, dass 15 dieser Patienten jünger als zehn Jahre waren.271 Zum einen waren die Kinder zu jung für den schmerzhaften Eingriff. Zum anderen mochte man hoffen, dass sich durch die Stütze des Bandes
265 IGM P 84 Fol. 71. Bönninghausen konnte laut den Angaben im Journal wenigstens eine Besserung herbeiführen. Über einen Eingriff ist in den Aufzeichnungen nichts weiter vermerkt. Auch der Arzt Werlitz hat häufig chirurgische Eingriffe durchgeführt. 266 IGM P 77 Fol. 95. Allerdings war die Patientin nur ein einziges Mal bei Bönninghausen. Über ihr Schicksal ist daher nichts bekannt. Ein Panaritium ist nach Pschyrembel, S. 1351 eine „eitrige Entzündung der Finger mit Gewebeeinschmelzungen“. 267 IGM P 44 Fol. 46. 268 IGM P 114 Fol. 438. Auch diese Patientin erschien nur ein einziges Mal bei Bönninghausen. Ihr Schicksal ist unbekannt. Ein anderer Patient verweigerte ebenfalls die Abnahme seines Beines IGM P 106 Fol. 134. 269 Beispielsweise IGM P 107 Fol. 33 oder P 112 Fol. 323. Zu den Krankheitsbildern der Augen, die Bönninghausen behandelte auch Kapitel 6.2.2. 270 Dazu ausführlicher Probst: Fahrende Heiler, S. 26–35. 271 Die anderen waren elf, 16 (zwei Personen), 25 und 28 beziehungsweise 40 und 42 Jahre alt.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
123
der Bruch von selbst wieder schloss.272 Doch wurde bei einer Patientin tatsächlich ein Leistenbruch durch Riefenstahl operiert.273 Wie deutlich wurde, hatten die Patienten Bönninghausens auch im Bereich der chirurgischen und wundärztlichen Eingriffe Erfahrungen gemacht. In einigen Fällen kann der Gang zu dem Homöopathen als letzter Versuch aufgefasst werden, um der schmerzvollen Erfahrung einer Operation zu entgehen und gegebenenfalls die Amputation eines Körperteils zu vermeiden. Insbesondere bei „kleineren“ Eingriffen, wie dem Aderlass oder im Bereich der Zahn- und Augenheilkunde, zeigte sich, dass diese zum Teil während der homöopathischen Behandlung erfolgten. Eine solche Behandlung widerspricht, zumindest im Fall des Zahnziehens oder der Einrenkung von Brüchen, nicht dem homöopathischen Gedanken. Hahnemann betonte, dass vor einer Kur alle äußerlichen störenden Faktoren zunächst beseitigt werden müssten.274 Andererseits steht das Aderlassen in krassem Gegensatz zur homöopathischen Lehre und wurde von Hahnemann auf das stärkste abgelehnt.275 4.4.3 Promovierte Ärzte Die Patienten Bönninghausens erwähnten in vielen Fällen den Namen des Arztes oder der Ärzte, bei denen sie zuvor in Behandlung waren. Es ist bekannt, dass viele Münsteraner Ärzte neben ihrer Privatpraxis noch ein weiteres Zubrot durch eine amtliche Stelle verdienten.276 Über ihre praktische Tätigkeit an sich ist jedoch nichts überliefert. Außerdem waren die Ärzte Münsters wenig wissenschaftlich engagiert, sondern interessierten sich eher für Fragen der Praxis, der Gesundheitspolitik und der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses.277 Die Krankenjournale Bönninghausens und die Berichte über die seitherigen Behandlungen seiner Patienten bieten eine Möglichkeit, einen Einblick in die ärztliche Tätigkeit einzelner Ärzte in und um Münster zu erhalten.278 272 Die Abbildung solcher Bruchbänder und deren Anwendung bei Probst: Fahrende Heiler, S. 27–28. Dennoch wurden auch bei Kindern derartige Bruchoperationen durchgeführt, wenn die bevorzugte Behandlung durch ein Bruchband nicht erfolgreich war. Hierzu Ritzmann, Iris: Sorgenkinder. Kranke und behinderte Mädchen und Jungen im 18. Jahrhundert, Köln 2008, S. 171–172. 273 IGM P 108 Fol. 218. 274 Hahnemann: Organon 6 § 7, S. 92–93. 275 Hahnemann: Die Chronischen Krankheiten, S. 90 (im Original S. 174). 276 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 118. 277 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 118. 278 Es ist an dieser Stelle unmöglich, auf jeden einzelnen der erwähnten Ärzte einzugehen. Daher werden im Folgenden die Namen derjenigen Ärzte genannt, die häufig von Patienten erwähnt wurden oder aus besonderen Gründen hervorstachen. Die Zahlenangaben, wie viele Patienten den entsprechenden Arzt vorher konsultiert haben, sind als Minimalangaben aufzufassen, da Bönninghausen gerne Namen abkürzte oder die Schreib-
124
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
Bei manchen namentlich genannten Heilkundigen wurde aufgrund der Herkunft der Kranken deutlich, dass es sich um einen Arzt gehandelt haben muss, der außerhalb der Provinz Westfalen praktizierte.279 Auch notierte Bönninghausen selbst, dass der Arzt in einer anderen Stadt, beispielsweise in Berlin, arbeitete.280 Bei solchen Patienten handelte es sich meist um wohlhabende Patienten aus dem Ausland, die mit dem entsprechenden Arzt in brieflichem Kontakt standen.281 Oder es waren Handwerker und Militärangehörige, die die Wanderschaft oder die entsprechende Stationierung an verschiedene Aufenthaltsorte führte.282 Einzelne Ärzte praktizierten nicht direkt in Münster. Einer der Namen, die am häufigsten von Patienten Bönninghausens bei der Frage nach vorangegangenen Behandlungen genannt wurde, war der des Arztes Wiesmann. Johann Heinrich Franz Wiesmann war 1825 als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer vereidigt worden und hatte 1833 die Stelle des Kreisarztes für den Kreis Coesfeld erhalten.283 Er wohnte in Dülmen und 1851 wurde er zum Sanitätsrat ernannt.284 Er hatte die meisten der 69 Kranken innerlich behandelt. Aber bei einer Patientin hatte er eine Geschwulst am rechten Handgelenk geschnitten.285 Da nichts weiter über seine Tätigkeit bekannt ist, ist kaum zu sagen, ob Wiesmann ein guter Arzt war oder nicht. Die Patienten, die später Bönninghausen um Rat fragten, waren jedenfalls kaum mit ihm zufrieden. Oft notierte der Freiherr, dass die „allopathische“ Kur Wiesmanns keinen Erfolg gehabt oder zu einer Verschlimmerung geführt habe.286 In manchen Fällen kann man gut nachvollziehen, weshalb ein Arztwechsel für die Patienten angezeigt war.
279
280
281 282 283
284 285 286
weise sehr unterschiedlich war. Daher konnten eventuell nicht alle Nennungen eindeutig erfasst werden. Die Ärztenamen wurden sowohl in „Allop. gebr.“ als auch bei den Angaben zur Erstanamnese abgerufen. Beispielsweise bei den Herren Lamby, die von 16 Patienten genannt wurde, die aus dem heutigen Niedersachsen stammten. Es handelte sich um zwei Ärzte, da die Kranken zwischen „sen“. (IGM P 104 Fol. 245) und „jun.“ (IGM P 114 Fol. 238) differenzierten. Ebenfalls in Glandorf praktizierte der Arzt Pötter oder Potter (die Schreibweise Bönninghausens ist nicht eindeutig), der von weiteren 19 Patienten konsultiert worden war. Die Namen Lamby und Potter/Pötter wurden auch gemeinsam genannt IGM P 103 Fol. 59 und P 114 Fol. 144. Dies war in sieben Fällen so, zum Beispiel IGM P 78 Fol. 114. Dieser Patient hatte sich außerdem auch von einem Arzt in Bonn behandeln lassen oder IGM P 81 Fol. 108 nennt zwei Ärzte aus Berlin. IGM P 87 Fol. 144. Der französische Patient, hatte laut Angabe Ärzte in Berlin, Paris und London konsultiert. IGM P 114 Fol. 277 war Leutnant, IGM P 81 Fol. 108 Schuster. Zur Vereidung: StAM Regierung Münster 207 III II-13: Examination, Approbation und Niederlassung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 4, 1820– 1826, S. 225. Zur Übertragung der Kreisarztstelle: Amts-Blatt Regierung Münster 1833, S. 470. Diese Ernennung in: Amts-Blatt Regierung Münster 1851, S. 323. IGM P 107 Fol. 197. IGM P 45 Fol. 164 mit Verschlimmerung oder IGM P 50 Fol. 32 ohne Erfolg, wobei dieser Zusammenhang bei zehn Patienten deutlich wird.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
125
So wurde Bönninghausen Anfang Mai 1860 von den Eltern eines zweijährigen Mädchens konsultiert. Das Kind hatte in der Nacht einen „Anfall von Bräune“ erlitten und verspürte am morgen Halsweh. Die Eltern hatten bereits mehrere Kinder verloren, unter anderem erst vor wenigen Tagen einen fünfjährigen Jungen, der „unter der Behandlung von Dr. Wiesmann an der Bräune gestorben“ war.287 Ebenfalls in Dülmen hatte sich der „practische Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer Dr. Wesener“ niedergelassen.288 Er hatte 22 Patienten behandelt, bevor diese zu Bönninghausen gegangen waren. Es zeigte sich, dass vor allem bei Kranken, die seit längerem an ihren Beschwerden litten, die Namen beider Ärzte aus Dülmen genannt wurden. Beispielsweise hatte die Gattin eines Schreiners seit drei Jahren in regelmäßigen Abständen Anfälle von Kopfschmerzen. Diese hielten drei bis vier Tage an und wurden von bitterem Erbrechen begleitet. Die Herren Wesener und Wiesmann hatten sie „für unheilbar erklärt“, weswegen sie im Juni 1860 Bönninghausen konsultierte.289 In Coesfeld selbst praktizierte der Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer Arens.290 Er wurde später zum Medizinalassessor ernannt und erhielt 1860 die Physikatsstelle der Stadt und des Kreises Münster.291 Wie bei einem 14-jährigen Jungen, der ihn wegen „Hüftgicht“ um Rat gefragt hatte, hatte bei weiteren 39 Patienten seine Therapie keinen Erfolg, so dass sie sich an Bönninghausen wandten.292 Auch aus der etwa 25 Kilometer von Münster entfernten Stadt Warendorf suchten zahlreiche Patienten den Rat des Freiherrn. Die dort praktizierenden Ärzte Johannknecht, Merschoff und Nicolai waren zuvor konsultiert worden.293 Franz Joseph Johannknecht war der dienstälteste der drei Ärzte und praktizierte seit 1808 in der Stadt. Er war als Arzt, Chirurg und Geburtshelfer approbiert und erhielt seit 1817 Unterstützung durch den damals 24 Jahre al-
287 IGM P 106 Fol. 250. Zum Schicksal des Mädchens ist nichts weiter bekannt, da es nur ein Mal bei Bönninghausen war. 288 Die Meldung in Amts-Blatt Regierung Münster 1841, S. 174. Ob die Im StAM überlieferte Doktorarbeit von ihm stammt ist nicht sicher zu belegen, da in keinem Zusammenhang der Vorname des Arztes erscheint. StAM Regierung Münster 218 I Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1816–1817 Doktorarbeit für Medizin und Chirurgie von Franz Wilhelm Wesener aus Würzburg 1804, Faszikel 310. 289 IGM P 107 Fol. 110. Die Patientin erschien nur ein einziges Mal bei Bönninghausen. 290 Amts-Blatt Regierung Münster 1852, S. 189. 291 Das Adressbuch von 1856 nennt diesen Titel, Cazin: Adress-Buch 1856, S. 50. Zu der Übertragung der Physikatstelle Amts-Blatt Regierung Münster 1860, S. 322. 292 Der Name wurde 40 Mal genannt, vier Mal bei der Erstanamnese. Bönninghausen variierte in der Schreibweise des Namens zwischen Arens und Arenz. 293 Die Herren Merschoff und Nicolay werden in Klier: Adressbuch 1852, S. 331 genannt. Der Arzt Johannknecht erscheint nur in Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829, S. 284. Merschoff und Johannknecht waren Mitglieder der Cholerakommission in Warendorf, StAM Regierung Münster 195 II-34: Die für den Fall des Ausbruchs der Cholera gebildeten Schutzkommissionen im Reg.bez. Münster, 1831–1841, S. 05.
126
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
ten Hermann Anton Mershoff, der über dieselbe Qualifikation verfügte.294 Im Jahr 1843 wurde in der Übersicht zu den Medizinalpersonen neben einem Friedrich Johannknecht nur noch der Arzt Nicolai erwähnt.295 Mindestens zwölf Patienten hatten einen der drei gesehen, bevor sie zu Bönninghausen kamen.296 Die Städte Lengerich und Bervergern lagen im Kreis Tecklenburg. Dort praktizierten die Ärzte Borggreve und Krummacher. Letzterer war in den 1850er Jahren bereits zum Sanitätsrat ernannt worden und bekleidete die Stelle des Kreisphysikus.297 Er wurde von vier Patienten vorher konsultiert. Borggreve war im Juli 1830 vereidigt worden und hatte einen Monat später auch die Zulassung als Geburtshelfer erhalten.298 Vier Patienten waren bei ihm gewesen. Heinrich Gustav Ohm, der direkt in Tecklenburg wohnte und seit 1855 vereidigt war, hatte zwölf Patienten zuvor behandelt.299 Im Kreis Steinfurt war ein weiterer Arzt tätig, der nicht alle Leiden seiner Patienten kurieren konnte. Doktor Mieling praktizierte in Emsdetten und hatte acht Kranke zuvor gesehen.300 Einem 29-Jährigen, der seit einem halben Jahr an Husten mit eitrigem Auswurf litt, hatte er laut Aussage des Patienten, mit „17 Pillen 24 Pulvers und 2 Gläschen mit Tropfen“ zu helfen versucht.301 Kreisphysikus Wilkinghof, der sich in Nordkirchen niedergelassen hatte, hatte einen 48 Jahre alten Kaufmann für „verloren erklärt“. Dieser wandte sich daraufhin wegen seines anhaltenden Hustens und der Magenschmerzen an Bönninghausen.302 Im Kreis Lüdinghausen praktizierten außerdem der Arzt Hövener in Werne sowie die Herren Brevis in Drensteinfurt und Stegehaus in Senden.303 Hövener war erst 1853 als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer approbiert und vereidigt worden und hatte zwei Patienten behandelt.304 Joseph Brevis hatte in Berlin studiert und seinen Doktorgrad erworben.305 Er 294 Die Schreibweisen des Namens unterscheiden sich in den einzelnen Quellen. StAM Regierung Münster 218 II: Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1817–1818, S. 12. 295 StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 78. 296 Merschhoff und Nicolai werden je drei Mal erwähnt, Johannknecht sechs Mal. 297 Klier: Adressbuch 1852, S. 330. 298 StAM Regierung Münster 207 IV II-13: Examination, Approbation und Niederlassung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 4, 1826–1830, S. 260. Zur Approbation als Geburtshelfer Amts-Blatt Regierung Münster 1830, S. 414. 299 Er war Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer. StAM Regierung Münster 207 XIV II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 14, 1854–1861, S. 78. 300 Klier: Adressbuch 1852, S. 330. Und die Eingabe von „Miel“ bei „Allop. gebr.“. 301 IGM P 80 Fol. 265. 302 IGM P 115 Fol. 206. Der Patient blieb auch beim Sohn in Behandlung. 303 Für Wilkinghof, Brevis und Stegehaus Klier: Adressbuch 1852, S. 329. Klier: Adressbuch 1858 nennt neben diesen drei Ärzten auch Hövener in Werne, S. 334. 304 Zur Vereidung: Amts-Blatt Regierung Münster 1853, S. 177. 305 StAM Regierung Münster 207 IV II-13: Examination, Approbation und Niederlassung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 4, 1826–1830, S. 195. Der
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
127
ließ sich nieder und wurde 1832 durch eine weitere Prüfung als Geburtshelfer approbiert. Neun Kranke waren zuvor in seiner Obhut gewesen.306 August Stegehaus war seit 1838 approbiert und hatte 39 Patienten behandelt.307 Seine Kundschaft setzte sich überwiegend aus Bewohnern aus und um Senden zusammen. Allerdings hatten auch einige Patienten aus Amelsbüren den Arzt konsultiert. Die Stadt Münster war von dem umliegenden Landkreis gleichen Namens eingeschlossen. Zu diesem Kreis gehörte auch das Städtchen Nottuln, das rund 19 Kilometer von Münster entfernt liegt. Dort hatte sich der Arzt Matthias Cruse niedergelassen. Er war seit 1837 als Wundarzt und Geburtshelfer approbiert.308 Er hatte 36 Patienten behandelt, bevor sie zu Bönninghausen gegangen waren. Sieben Kranke hatten zuvor Hilfe bei Doktor Notarp in Wolbeck gesucht, der dort als praktischer Arzt tätig war.309 In Greven war Doktor Pröbsting niedergelassen, der weitere sieben Kranke beraten hatte.310 Die etwa elf Kilometer von Münster entfernte Stadt Telgte verfügte über zwei Ärzte, die Herren Fove und Achtermann.311 Beide hatten alle drei Qualifikationen abgelegt. Ferdinand Fove war allerdings der Dienstältere und hatte in Münster und Berlin seine Ausbildung gemacht.312 Bernhard Achtermann war in Greifswald ausgebildet worden und hatte sich nach seiner Zeit als Militärarzt 1846 in Telgte niedergelassen.313 Achtermann hatte 14 Patienten behandelt, wobei er
306
307
308
309 310 311
312 313
Nachweis über seine Niederlassung auch in: StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 46. Die Approbation zum Geburtshelfer in Amts-Blatt der Regierung zu Münster, S. 283. Die Schreibweisen variieren bei Bönninghausen zwischen Brevis und Brewis, beziehungsweise Breves und Brewes. Die Patienten sind IGM P 112 Fol. 188, P 77 Fol. 130 und Fol. 67 sowie P 72 Fol. 200, P 73 Fol. 166, P 104 Fol. 110, P 108 Fol. 174, P 111 Fol. 58, P 112 Fol. 9, P 115 Fol. 220. StAM Regierung Münster 207 VIII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 9, 1838– 1839, S. 31. Aufgrund von Bönninghausens undeutlicher Schrift sind „u“ und „n“ nur schwer unterscheidbar. In der Transkription wurde daher der Name auch als „Stegehans“ wiedergegeben. StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 66 und StAM Regierung Münster 207 VII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 8, 1837–1838, S. 46. StdAM Landratsamt Münster Kreis-A-Archiv 971: Anstellung und Vereidung von Medizinalpersonen, 1817–1909, S. 39. StdAM Landratsamt Münster Kreis-A-Archiv 971: Anstellung und Vereidung von Medizinalpersonen, 1817–1909, S. 59–61. Klier: Adressbuch 1852, S. 327 und StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 238 sowie StdAM Landratsamt Münster Kreis-A-Archiv 974 Medizinalpersonen und Sanitätsanstalten, Band 3, 1857–1885, bei Stadt Telgte, nicht paginiert. StAM Regierung Münster 218 II: Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1817–1818, S. 10. StAM Medizinalkollegium 41: Prüfung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, vol. IV 1844–1867, Band 2, nicht paginiert und StdAM Landratsamt Münster
128
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
in seiner Eigenschaft als Geburtshelfer gefordert wurde und sich durch die Verabreichung zahlreicher Medikamente hervortat. Der Arzt stand der Homöopathie nicht ganz abgeneigt gegenüber, denn im Jahr 1860 verwies er eine seit zwei Jahren an Halsschmerzen leidende Frau an Bönninghausen.314 Fove hatte hingegen 16 Kranke zuvor zu kurieren versucht.315 Diese Ausführungen zeigen, dass die meisten Patienten, die sich von außerhalb Münsters an Bönninghausen wandten, zunächst die Heilkundigen vor Ort konsultierten. Häufig erst nach einer nicht angeschlagenen Kur oder einer Verschlimmerung der Beschwerden orientierten sie sich neu. Gelegentlich wurde eine zweite Meinung eingeholt, wie es an den Beispielen von Wiesmann und Wesener klar wurde.316 Erst dann nahm man den weiteren Weg nach Münster in Kauf und schien bereit zu sein, die Homöopathie zu versuchen. Wie deutlich wurde, hatten die meisten „gelehrten“ Ärzte auch eine Ausbildung zum Wundarzt und Geburtshelfer. Die Namen der in Münster praktizierenden Ärzte Riefenstahl, Sarrazin und Werlitz wurden schon im Zusammenhang mit wundärztlichen und chirurgischen Eingriffen genannt. Theodor Riefenstahl wurde in den Adressbüchern als Arzt geführt und hatte seit 1839 den Titel eines „Medicinal-Assessors“ inne.317 Anfangs war er 1830 „nur“ als Wundarzt und Geburtshelfer approbiert worden. Er muss seinen akademischen Titel später noch erworben haben. Sein Sohn, ebenfalls Theodor mit Namen, wurde 1858 in Münster als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer zugelassen.318 Mindestens 75 Patienten hatten sich zuvor von Riefenstahl behandeln lassen.319 Doch stand Riefenstahl dem „chronischen Wasserkopf“ eines knapp zweijährigen Jungen machtlos gegenüber. In ihrer Verzweiflung suchten
314 315 316 317
318 319
Kreis-A-Archiv 971: Anstellung und Vereidung von Medizinalpersonen, 1817–1909, S. 92. IGM P 107 Fol. 241. Bönninghausen schreibt den Namen auch einmal mit „w“, neben den elf Treffern in „Allop. gebr.“ weitere vier bei der Erstanamnese. Die Namen beider Ärzte wurden von fünf Patienten erwähnt. Klier: Adressbücher 1852 und 1858 führen ihn bei Ärzten mit dem Titel eines MedizinalRathes. Siehe 1852, S. 327 und 1858, S. 323. Zur ursprünglichen Approbation StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 63 und StAM Regierung Münster 207 V II-13: Examination, Approbation und Niederlassung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 6, 1830–1833, S. 30–31 und S. 44. In den Nachweisungen für das Sanitätspersonal im Bezirk Münster 1850 in StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 225 wird er als Dr. Riefenstahl geführt. Ebenso enthält die Personalakte StAM Personalakten Nr. 498 Regierung Münster: Acta die Ernennung des MedizinalRath Dr. Theodor Riefenstahl nun RegierungsMedizinal Rath betreffend, S. 10 die Bemerkung über einen „Dr. medicinae“. Amts-Blatt Regierung Münster 1858, S. 177. Bönninghausen kürzte den Namen in seinen Journalen auch gerne ab. Man muss daher nach „Rief“ bei „Allop. gebr.“ und in der Erstanamnese sehen. Bei drei Patienten wird deutlich, dass sie beim Sohn waren, denn hier ist Riefenstahl jun. angegeben worden IGM P 110 Fol. 21 und Fol. 98 sowie P 114 Fol. 98.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
129
die Eltern daraufhin den Rat Bönninghausens, der dem Kind aber auch nicht zu helfen vermochte.320 Sarrazin hatte in Göttingen und Berlin studiert und war seit 1853 promovierter Arzt. Neben seiner Tätigkeit im Clemenshospital, hatte er eine eigene Praxis, wie die 29 Patienten bestätigen, die ihn konsultiert hatten, bevor sie sich der Homöopathie zuwandten.321 Der Arzt und Operateur Gustav Werlitz war seit 1833 in Münster tätig.322 Laut eigenen Angaben waren 85 Patienten zuvor bei ihm gewesen. Bei seinen Behandlungen muss es bisweilen lebhaft zugegangen zu sein. So berichtete die Mutter oder eine andere begleitende Person, Werlitz habe ein fünfjähriges Mädchen „an den Hintern geschlagen“, damit das Kind ihn angesehen habe. Seit zweieinhalb Jahren war vergeblich versucht worden, die Augenentzündung der Kleinen zu beheben, bevor eine homöopathische Therapie bei Bönninghausen begonnen wurde. Auch ein 60 Jahre alter Patient dürfte mit der Behandlung durch Werlitz weniger zufrieden gewesen sein, gab er doch gegenüber dem Freiherrn an, dieser habe ihm im vorigen Jahr „ein Auge blind kurirt“.323 Andererseits verwies Werlitz eine Patientin, die seit vielen Jahren an Magenschmerzen litt und der er nicht zu helfen vermochte, „mit vielen Grüßen“ an Clemens von Bönninghausen, der sich der Patientin annahm und sie besser behandeln konnte.324 Werlitz hatte auch gemeinsam mit einem Kollegen eine Patientin behandelt. Auf Rat der Ärzte hatte die 20-Jährige sogar geheiratet. Allerdings suchte sie im Juli 1850 Bönninghausen auf und klagte weiterhin über „Kopfweh“ und „Husten ohne Auswurf“.325 Bei dem Kollegen von Werlitz handelt es sich um den Arzt und Wundarzt Franz Bahlmann.326 Dieser war seit 1837 in Münster tätig und hatte zuvor 27 Patienten behandelt.327 Ein zehnjähriges Mädchen, 320 IGM P 35 Fol. 73. 321 Jungnitz: Krankenhäuser, S. 121–122, Sarrazin war aber bereits seit 1861 als Assessor im Medizinal-Collegium, Amts-Blatt Regierung Münster 1861, S. 71. Erstmals als Arzt genannt ist Sarrazin in Klier: Adressbuch 1858, S. 323. Die Schreibweisen für den Namen „Sarrazin“ variieren stark, es wird nur ein „r“ verwendet oder statt des „z“ ein „s“. Angaben bei „Allop. gebr.“ (26) und „Erstanamnese“ (drei). 322 StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 60 und S. 225, hier wird er auch als Geburtshelfer genannt. 323 Die Beispiele IGM P 52 Fol. 34 und P 83 Fol. 197. 324 IGM P 106 Fol. 189. Die Patientin blieb fünf Jahre lang bei dem Freiherrn und konsultierte ihn 20 Mal. Die Empfehlung, zu Bönninghausen zu gehen von anderen Ärzten IGM P 77 Fol. 184, P 82 Fol. 261 P 107 Fol. 241. 325 IGM P 76 Fol. 88. Auch von Hahnemann sind solche Ratschläge an seine Patienten bekannt, beispielsweise Brockmeyer: Schreibweisen, S. 247, Dinges, Martin: Männlichkeitskonstruktion im medizinischen Diskurs um 1830. Der Körper eines Patienten von Samuel Hahnemann. In: Martschukat, Jürgen (Hrsg.): Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt am Main/New York 2002, S. 99–125. 326 Zu seiner Vereidung: StAM Regierung Münster 207 VII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 8, 1837–1838, S. 135. 327 Bönninghausen schrieb den Arzt wahlweise mit „h“ (20 Fälle) oder mit „aa“ (sieben Fälle).
130
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
das ein „seit 1 ½ Jahren bemerktes Herzklopfen im oberen Theile der Brust“ behandelt wissen wollte, wurde „von Dr. Baalmann unheilbar erklärt“. Ein Rezept verschrieb er ihr trotzdem. Das verordnete Medikament hatte die Kranke drei Mal eingenommen, bevor sie zu Bönninghausen kam.328 Auch der Name Tourtual wurde von 27 Patienten genannt.329 Es handelt sich um den Vater Florenz und den Sohn Caspar Theobald.330 Letzterer war seit 1824 als Arzt und Operateur tätig, bevor er, wie zuvor sein Vater, Mitglied des Medizinalkollegiums wurde.331 Aber auch die Aufnahme in staatliche Gremien verlieh keine Allwissenheit. So führte bei einem fünfjährigen Kind die von Tourtual verschriebene Medizin zu „Irrreden und delirien“, weswegen die Eltern sich an Bönninghausen wandten. Eine 58-Jährige hatte der Arzt „als unheilbar aufgegeben“, weil „seit einem Jahre Zittern der Glieder, mit großer Schwäche“ auftrat, so dass die Kranke „die Glieder gar nicht mehr in ihrer Gewalt hatte“.332 In Münster praktizierte ferner ein Arzt jüdischen Glaubens. In seinem Eid hatte er sich folgerichtig nicht auf Gott berufen, sondern die entsprechenden hebräischen Buchstaben einfügen lassen.333 Isaak Koppel war als Arzt und Geburtshelfer approbiert und hatte zuvor 42 Patienten behandelt. Da die jüdische Gemeinde in Münster aber nicht groß war, hatte Koppel nicht nur jüdische Patienten, sondern wurde von allen Münsteraner Bürgern konsultiert.334 Bönninghausen selbst gab übrigens die Konfession seiner Patienten selten an.
328 IGM P 113 Fol. 73. 329 Der Name „Tourtual“ ist ausgesprochen ungewöhnlich und im Zuge der Transkription wurde er daher gelegentlich falsch gelesen, weil auch die Schrift Bönninghausens zwischen „u“ und „n“ nur schwer zu unterscheiden ist. Für die Abfrage genügt ein „Tou“ um die Fälle bei „Allop. gebr.“ und der Erstanamnese zu erfassen. 330 Beide gemeinsam werden genannt in Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829, S. 283. Der Vater war Medizinalrath, der Sohn wurde später sogar zum Regierungs- und Medizinalrath: Klier: Adressbuch 1852, S. 327. Bei den Patienten ist nicht immer klar, wer von beiden gemeint ist, nur in vier Fällen ist ausdrücklich von „jun.“ die Rede. Auch StAM Münster Personalakten Nr. 315 Regierung Münster: Die Wiederbesetzung der durch den Tod des Dr. Busch bei der Regierung zu Münster erledigten MedizinalRathsStelle und Wahrnehmung dieser Stelle durch den MedizinalRath Dr. Tourtual 1849–1866. 331 StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 60 (Tourtual, Caspar 1824 Arzt und Operateur) und S. 61 (Tourtual Florenz Arzt), ebenso S. 224 und S. 226 für beide. 332 Die Beispiele IGM P 79 Fol. 38 und P 86 Fol. 221. 333 StAM Regierung Münster 207 V II-13: Examination, Approbation und Niederlassung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 6, 1830–1833, S. 34–35. 334 Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Münster Aschoff, Diethard: Von der Emanzipation zum Holocaust. Die jüdische Gemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. In: Jakobi: Geschichte Münster 2, S. 461–487. Im Jahr 1863 waren nur 1,4 % der Bevölkerung jüdischer Konfession, eigene Rechnung nach Teuteberg: Materialien, S. 24. Von den Patienten Koppels konnten bei mindestens sieben Betroffenen Einträge in den Kirchenbüchern einer katholischen Pfarrei in Münster nachgewiesen werden.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
131
Unter den zahlreichen Namen von Ärzten, die die Patienten bei der Frage nach einer vorangegangenen „allopathischen Kur“ erwähnten, sind weiterhin besonders oft die der Herren Vagedes mit 40 zuvor behandelten Kranken.335 Auch Franz Falger, der sich in Münster als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer niedergelassen hatte, wurde von 21 Kranken konsultiert. Beispielsweise hatte er die Bräuneerkrankung eines kleinen Jungen erfolgreich behandelt, wonach dieser aber weiterhin an Durchfall litt.336 Ähnlich viele, nämlich 28, Kranke hatten zuvor bei dem gleichermaßen qualifizierten Doktor Anton Karsch Hilfe gesucht.337 Weitere 34 Patienten waren bei Anton Nübel, einem Arzt und Wundarzt, gewesen.338 Darunter war ein 16 Jahre altes adeliges Fräulein. Sie hatte sich von Nübel behandeln lassen und war wegen ihres seit acht Wochen anhaltenden Keuchhustens bei Bönninghausen vorstellig geworden. Nach der ersten Konsultation notierte der Freiherr, dass sie „seitdem allopathisch von Nübel und Werlitz“ gebraucht habe und dies „mit steter Verschlimmerung“. Als sie vier Monate später erneut eine homöopathische Therapie wegen der gleichen Beschwerden begann, konnte Bönninghausen ihr nicht mehr helfen und sie starb im Oktober 1862.339 Die Liste der genannten Ärzte, die in Münster und der Provinz Westfalen praktizierten, wäre um einige Namen fortzuführen.340 Diese recht ausführliche Darstellung ist der Tatsache geschuldet, dass über die Privatpraxen der einzelnen Ärzte kaum etwas bekannt ist.341 Wie sich zeigte, wurden die Ärzte Mün335 Beide sind erwähnt in StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 225 als Arzt und Geburtshelfer und S. 226 Ignatz Vagedes als Arzt. Außerdem Klier: Adressbuch 1852, S. 327. Ferner bestand der erstere 1851 auch die Prüfung zum Geburtshelfer. Sein Name ist Anton Heinrich Vagedes. StAM Regierung Münster 207 XIII II-13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 13, 1851–1853, S. 26. 336 IGM P 115 Fol. 227. 337 StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S.224. Er war 1847 vereidet worden StAM Regierung Münster 207 XI 13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg. bez. Münster, Band 11, 1843–1847, S. 306. 338 StAM Regierung Münster 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860, S. 224. und StAM Regierung Münster 207 XI 13: Examination, Approbation, Niederlassung und Vereidigung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, Band 11, 1843–1847. S. 261 sowie StdAM Stadtregistratur Medizinalangelegenheiten Fach 201 Nr. 3: Approbation und Vereidigung von Medizinalpersonen, Band 2, 1839–1929, S. 53. Er wurde 1851 auch als Geburtshelfer vereidet: Amts-Blatt Regierung Münster 1852, S. 6. 339 IGM P 113 Fol. 6. 340 Die Angaben über die praktizierenden Ärzte der Stadt und der ganzen Provinz sind in einem ersten Schritt den Adressbüchern zu entnehmen. Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829, S. 283–296, Klier: Adressbuch 1852, S. 327–39, derselbe: Adressbuch 1858, S. 323–343. Erwähnt wurden auch die Ärzte Siebenbergen (zwei), Rump (zehn), Klövekorn (13), Jütting (drei), Hessing (13), Busch (drei), Böckenhof (eine) und Prenger (fünf) sowie zahlreiche andere. Die Angaben in Klammern beziehen sich auf die Anzahl der Nennungen in „Allop. gebr.“. 341 Die Darstellung der ärztlichen Praxen von Bönninghausens „Konkurrenz“ kann nicht Gegenstand der Arbeit sein. Hier werden nur erste Ansatzpunkte geliefert. Eine Untersu-
132
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
sters von zahlreichen Kranken konsultiert. Aber es können aus den Angaben, die durch die Notizen Bönninghausens gewonnen wurden, keinerlei Rückschlüsse auf den tatsächlichen Umfang der einzelnen Praxen gezogen werden. Die Behandlung der „gelehrten“ Ärzte bestand in den zur Verfügung stehenden therapeutischen Mitteln und erfolgte überwiegend medikamentös. Da direkt in Münster sehr viele Ärzte praktizierten, war es für die einzelnen Patienten nicht schwer, bei Bedarf eine weitere Meinung einzuholen oder die Behandlung durch einen anderen Arzt fortsetzen oder ergänzen zu lassen.342 Zum Beispiel war ein Sattler wegen seiner „Schleimbeschwerden“ von Bahlmann und Karsch für unheilbar befunden worden, so dass er als drittes Theile konsultierte, bevor er Bönninghausen um Rat fragte.343 An den Fällen zeigte sich, dass die Mehrheit der Kranken erst dann zu einer homöopathischen Kur kam, nachdem die „allopathische“ Therapie keinen Erfolg erzielen konnte oder die Beschwerden sogar verschlimmert hatte. Dann erfolgte die Wendung zur Homöopathie häufig als letzte Möglichkeit. Die Ärzte waren daran gewöhnt, dass Kranke weiteren Rat einholten, zeigten sich aber der Homöopathie gegenüber bisweilen skeptisch. So berichtete eine 42 Jahre alte Frau aus Ahlen, die an grauem Star litt, dass Dr. Werlitz ihr Geld geboten habe, wenn Bönninghausen eine Kur gelänge.344 Schlug Bönninghausens Methode ebenfalls nicht wie gewünscht an, kehrten die Kranken auch ihm wieder den Rücken, wie am Beispiel der jungen Adligen deutlich wurde.345 Wenn Patienten besonders üble Erfahrungen während der Behandlung durch einen Arzt machen mussten, erstaunt es keineswegs, wenn sie sich nach einem anderen Angebot umsahen. Hierunter zählen zum einen betrunkene Ärzte oder die fehlgeschlagenen Kuren, die mit dem Verlust eines Angehörigen endeten.346 Die Mehrheit der Kranken teilte eine ähnliche Vorgeschichte, wie die junge Dame deren bekümmerter Vater sich an den Freiherrn wandte. Bönninghausen musste feststellen, dass „stets mit heftigen äußeren und inneren Arzneimitteln auf die bedauernswerthe Patientin losgestürmt wurde“ und forderte daher, „daß zuförderst sämtliche Pflaster und Mixturen bei Seite ge-
342 343 344 345 346
chung der ärztlichen Tätigkeit in Münster unter Berücksichtigung der einzelnen dort praktizierenden Ärzte bleibt ein Forschungsdesiderat. Alle Angaben wurden in einem ersten Schritt aufbereitet und im Überblick zur Verfügung gestellt. Für weitere Forschungen, die das Material hinsichtlich einer Tätigkeit der einzelnen Ärzte nutzen wollen, steht es auf Anfrage zur Verfügung. Bei mehr als 150 Kranken werden mindestens zwei Ärzte namentlich erwähnt. IGM P 111 Fol. 229. IGM P 80 Fol. 206: „Dr. Werlitz hat der Frau gesagt, wenn ich sie kurirte, wollte er 1000 Taler geben.“ Zu diesem Punkt auch Kapitel 7.5. IGM P 114 Fol. 156 erwähnt einen Arzt, „welcher stets betrunken sein soll“. IGM P 80 Fol. 97, P 104 Fol. 119 und P 106 Fol. 250 beispielsweise berichten von Kindern, die in „allopathischer“ Behandlung verstorben sind. In diesem Sinn auch Loetz: Vom Kranken, S. 239. Dass betrunkene Ärzte Dienst versahen, wurde auch für die Frühen Neuzeit belegt: Jütte: Barber-Surgeon, S. 194.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
133
schafft werden müsten, und eine naturgemäße Diät zu halten sei“.347 Erst dann mochte er mit seiner eigenen Kur beginnen. 4.4.4 Kurbäder Wasser ist schon seit der Antike ein bekanntes Heilmittel und wird im Rahmen der „schulmedizinischen“ Therapie angewendet.348 Seine leichte Verfügbarkeit und die einfache Anwendung sorgten dafür, dass das Trinken von Wasser in das Repertoire der Selbstmedikation und der Hausmittel aufgenommen wurde.349 Auch Bäder und verschiedene Waschungen oder Aufgüsse sind Teil der einfachen medizinischen Versorgung.350 Im Folgenden geht es aber um die „Anwendung ortsgebundener Kurmittel“, das bedeutet um durchgeführte „Trink- oder Badekuren in Heilbädern“.351 Bei einem Aufenthalt oder Besuch solcher Einrichtungen bewegte sich der Kranke in einer medizinischen Institution, die unter der Aufsicht einer Medizinalperson stand.352 Trotz begleitender Kritik hatten sich Wasserkuren im Lauf des 19. Jahrhunderts einen Weg in die „Schulmedizin“ gebahnt. Ursprünglich hatte ein Laienheiler namens Vincenz Prießnitz die Anwendung von Wasser als Heilmittel zu einem „abgestuften therapeutischen System“ ausgebaut. Dieses umfasste „mehr als fünfzig verschiedene Anwendungen des kalten Wassers, die von Ganz- und Teilwaschungen mit Schwamm und Lappen bis zum Wassertrinken und Frottieren mit nassem Handtuch reichten.“353 Um 1845 gab es in Deutschland zwischen 70 und 80 Wasserheilanstalten, die von Ärzten geleitet wurden, die bei Prießnitz in die Lehre gegangen waren.354 347 IGM P 151 S. 209–212. 348 Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 115. Eine gewisse Übersicht zur Geschichte der Verwendung von Wasser und Bädern bietet: Porter, Roy (Hrsg.): The Medical History of Waters and Spas, London 1990, für die Entwicklung in Großbritannien: Hembry, Phyllis: The English Spa 1560–1815. A Social History, London 1990, in Frankreich: Mackaman, Douglas: Leisure Settings. Bourgeois Culture, Medicine, and the Spa in Modern France, Chicago/London 1998, in Deutschland: Martin, Alfred: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Nebst einem Beitrage zur Geschichte der deutschen Wasserheilkunde, Jena 1906. 349 Siehe die Abschnitte über Wasser in Mellin: Hausmittel, S. 112–114, Müller: Kräuterbuch, S. XVII–XVIII. 350 Die Auflistung der verschiedenen Bäderarten in Medicinal-Kalender 1857, S. 109–112 und Mellin: Hausmittel, S. 10–13. Auf die Anwendung von Wasser oder die Zubereitung von Bädern im Rahmen der medizinischen Selbsthilfe wurde in Kapitel 4.1 eingegangen. 351 Dies wird mit dem Fachbegriff Balneologie beschrieben, während die Anwendung von Wasser im Sinn der Wasserheilkunde oder Hydrotherapie an jedem Ort durchgeführt werden kann. Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 115. 352 Die Auflistung der „vorzüglichsten Brunnen- und Badeorte mit Angabe ihrer geographischen Lage, ihrer Bestandtheile und der an Ort und Stelle fungirenden Aerzte“ in: Medicinal-Kalender 1857. Derartige Listen finden sich aber in jedem Medicinal-Kalender. 353 Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 117. 354 Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 121 und S. 133.
134
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
Auch zahlreiche Patienten Bönninghausens erwähnten unter den vorangegangenen Behandlungen einen Aufenthalt in einem Kurbad oder zumindest die Verwendung spezieller Kurwasser. Die homöopathische Kur und der Besuch eines Bades schlossen sich nicht aus.355 Allerdings ist bei keinem dieser Patienten näheres über die durchgeführte Behandlung zu erfahren. Der Aufenthalt in einem Kurbad war üblicherweise durch einen streng gegliederten Tagesablauf bestimmt. In diesem Rahmen folgten verschiedene Anwendungen, wie Packungen, Vollbäder, Duschen und Wassertrinken, stets begleitet von Spaziergängen und Diät.356 Von 93 Patienten wurde angegeben, sie hätten im Verlauf ihrer vorherigen Behandlungsversuche ein oder mehrere Kur- und Seebäder besucht.357 Von den Seebädern wird nur in drei Fällen der Name erwähnt. Zwei Patienten hatten sich auf die ostfriesische Insel Norderney begeben. Und eine 21 Jahre alte Patientin hatte gegen ihre Beschwerden eine gewisse Zeit in dem Seebad Wangerooge verbracht.358 Im Lauf ihrer Behandlung hatten 81 Personen 107 Mal einen oder mehrere Kurorte aufgesucht.359 Ein sicherlich recht wohlhabender Baron aus Brüssel konnte es sich beispielsweise leisten, wegen seiner Lähmungserscheinungen die Bäder von Gastein in Österreich und die berühmten Schwefeltherme in Barèges in den Pyrenäen zu besuchen.360 Oft erfolgten mehrere Aufenthalte in ein- und demselben Kurort. So hatte ein Oberregierungsrat seine kleine Tochter sechs Mal in drei verschiedene Bäder geschickt. Das Mädchen versuchte drei Mal, in den nahe bei Minden gelegenen Thermen in 355 Die Mitteilung von Bolle: Lippspringe und Gauwerky: Mittheilungen, S. 245. 356 Die Beschreibung eines Tagesablaufes in dem Bad Gräfenberg bei Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 117–118. Sowie sehr viel ausführlicher in einem Egodokument: Klatte, Elisabeth: Wasser schafft der Heilkraft Bahn. Ein Tagebuch aus der Prießnitzschen Wasserkuranstalt. In: Hähner-Rombach: „Ohne Wasser ist kein Heil“, S. 137–161. Eine ausführliche Beschreibung dieses Bades sowie der dortigen Anwendungen auch bei: Munde: Wasserheilanstalt, S. 60–357. 357 76 Personen hatten ein oder verschiedene Kurbäder besucht, zwölf Personen ein oder mehrere, allerdings nicht namentlich genannte Seebäder. Bei fünf dieser Personen waren beide Nennungen angegeben. 358 Wangerooge: P 84 Fol. 126, Norderney: P 111 Fol. 62 und P 78 Fol. 160. Der Patient P 78 Fol. 160 (alle IGM) hatte nur das Seebad als Kurort angegeben, bei den anderen beiden Patienten erfolgten mehrere Kuren in verschiedenen Orten. Zu den Kurorten knappe Beschreibungen in: Medicinal-Kalender 1857, S. 123 und S. 126. 359 Die hierbei genannten Kurorte waren, in Klammern ist die Anzahl der Nennungen angegeben: Aachen (16), Baden-Baden, Barèges, Bentheim (je ein Mal), Carlsbad (vier), Driburg (fünf), Emden (eine), Ems (sechs), Flinsberg, Gastein (je ein Mal), Homburg (neun), Kissingen (drei), Kreuznach (fünf), Lippspringe, Marienbad (je sieben Mal), Marienberg (eins), Meinberg (drei), Oeynhausen (eins), Pyrmont (vier), Rehmen (17), Schwalbach (eins), Soden (drei), Teplitz (zwei), unbekannt (drei), Vichy (eins), Wiesbaden (drei), Wildungen (eins). Für die in Westfalen gelegenen Kurorte eine Übersicht in: Kaspar, Fred: Brunnenkur und Sommerlust. Gesundbrunnen und Kleinbäder in Westfalen, Bielefeld 1993. 360 IGM P 108 Fol. 53. Zu den Bädern die Notizen in: Medicinal-Kalender 1857, S. 116 und S. 119.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
135
Oeynhausen eine nach einem rheumatischen Fieber zurückgebliebene Lähmung zu vertreiben. Ein weiteres Mal suchte es in dem böhmischen Bad Teplitz Hilfe. Außerdem erfolgten zwei Aufenthalte in den nicht weit von Hameln entfernt liegenden Quellen von Pyrmont.361 Es gibt verschiedene Angaben, seit wann die Patienten Bäder aufsuchten. Üblicherweise erfolgte ein solcher Aufenthalt einmal im Jahr meist für einen längeren Zeitraum innerhalb der Kursaison.362 Verschiedene Kranke teilten Bönninghausen daher mit, sie seien ein oder bis zu drei Male in Bädern gewesen.363 Andere gaben an seit mehreren Jahren Aufenthalte in diversen Kurorten durchgeführt zu haben.364 Besonders beliebt bei den Patienten waren die stark kohlesäurehaltigen Kochsalzthermen von Oeynhausen, nahe dem Dorf Rehme. Das Luftlinie etwa 90 Kilometer von Münster entfernte Bad war durch die daran vorbeiführende „Cöln-Mindener Eisenbahn“ gut zu erreichen.365 Sechzehn Kranke hatten die Schwefeltherme in Aachen besucht und dort Badekuren durchgeführt.366 Ebenso war das Bad in Homburg, die Residenz der Landgrafschaft Hessen-Homburg, aufgesucht worden, um dort das „eisenhaltige Kochsalzwasser mit starkem Kohlensäuregehalt“ zu nutzen.367 Weitere sieben Patienten hatten die in Westfalen liegenden Bäder von Lippspringe besucht und dort eine Kur mit „alkalisch-salinischem Mineralwasser“ durchgeführt.368 Ebenfalls 361 IGM P 83 Fol. 196. Zu den Bädern: Medicinal-Kalender 1857, S. 123 und S. 125. In Pyrmont waren außerdem drei weitere Patienten gewesen 362 Beispielsweise begann 1852 für das Bad Lippspringe die Kurzeit im Juni. Bolle: Lippspringe, S. 229. Für das Seebad Norderney, in dem die Kursaison im Juli begann und bis September dauerte, wurde im Münsterischen Intelligenzblatt Werbung gemacht. Münsterisches Intelligenzblatt 1830, S. 441 oder die Werbung im Westfälischen Merkur vom 1 April 1843 für das Bad in Driburg (Saison 1. Juni bis September). So wurden auch die Seebäder Helgoland und Norderney im Westfälischen Merkur vom 16. Mai 1851 beworben. Bau- und Regierungsrat Briesen, dessen Gattin und zwei seiner Kinder sich von Bönninghausen behandeln ließen, beantragte seit 1843 jährlich einen Urlaub für eine vierwöchige Kur in den Sommermonaten in diversen Einrichtungen. Siehe StAM Personalakten: Nr. 313 Regierung Münster: Acta die Anstellung des Bau-Inspctors von Briesen als Regierungs- und Bau Rath in Münster und dessen Personalien betreffend 1843. Ähnliches belegt auch die Kurzbiographie von Bönninghausens Nachfolger als Landrat im Kreis Coesfeld Clemens Mersmann. Schmitz: Landräte, S. 39–59. Mersmann war ein einziges Mal bei Bönninghausen IGM P 154, S. 24. Seine Krankheit wurde erst ab 1846 schwerwiegender. Er erschien jedoch nicht mehr bei dem Homöopathen. 363 Beispielsweise „Schwefelbad in Achen einmal.” P 86 Fol. 139 oder „vor. Sommer Lipspringe“ P 103 Fol. 150 oder auch „Homburg, 2mal Kissingen“ P 77 Fol. 175, alle IGM. 364 „4 Jahre in Rhemen und 1 Jahr in Achen“ P 103 Fol. 195 oder „Zuletzt 3 Jahre nach einander Pyrmont“ P 108 Fol. 1, beide IGM. 365 Einen Aufenthalt in Rehmen nannten 17 Patienten, bei einem wurde Oeynhausen angegeben. Zu den Informationen Medicinal-Kalender 1857, S. 123. 366 Zu Aachen Medicinal-Kalender 1857, S. 115. 367 Neun Patienten waren in Homburg gewesen. Zu Homburg v. d. Höhe Medicinal-Kalender 1857, S. 120. 368 Medicinal-Kalender 1857, S. 122. Über die Wirkung des Wassers beziehungsweise die homöopathischen Indikationen, wann der Besuch dieser Therme empfohlen werden sollte: Bolle: Lippspringe.
136
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
in Westfalen lag der Kurort Driburg, dessen „erdig-salinische“ Eisenwässer in Bad- und Trinkbehandlungen Anwendung fanden. Außerdem konnte man dort Schwefelschlammbäder nehmen.369 Für die Gesundheit, deren Erhalt oder Wiederherstellung nahmen die einzelnen Kranken lange Wege auf sich. Allein elf von ihnen hatten Bäder in Böhmen besucht. In Marienbad und Carlsbad wurde in den alkalischen Glaubersalzquellen mit Kohlensäuregehalt gekurt, während man in Teplitz neben den Thermen auch Schlamm-, Dunstoder Duschbäder in Anspruch nehmen konnte.370 Weiter entfernt lagen außerdem Vichy in Frankreich, Baden-Baden, die bereits erwähnten Orte Gastein und Barèges sowie Flinsberg in Schlesien und Kissingen im Königreich Bayern.371 Ferner wurden die im Herzogtum Nassau gelegenen Orte Ems, Soden, Langenschwalbach und Wiesbaden besucht. Von den 93 Patienten, die ein Kur- oder Seebad besucht hatten, waren 25 der Mittel- und 23 der Oberschicht zuzuordnen. Drei weitere gehörten der Unterschicht an.372 Ein solches Ergebnis ist nicht verwunderlich, waren Bäderkuren doch wegen der damit verbundenen Kosten meist nur der begüterten Mittel- oder Oberschicht möglich.373 Allerdings verfügte beispielsweise die Einrichtung in Ems über ein Armenbad und ein junger Bauer aus Burgsteinfurt hatte angegeben, er sei in Ems gewesen. Die dortige Kur hatte aber zu einer Verschlimmerung seiner Beschwerden geführt.374 Manch ein Patient führte nach seiner Heimkehr eigenmächtig die Wasserkur fort oder verwendete Wasser aus den entsprechenden Heilquellen.375 Für diese Arten von Heilwasser wurde auch in den Zeitungen Werbung gemacht.376 369 In Driburg waren fünf Patienten. IGM P 54 Fol. 123 nennt ausdrücklich diese Schlammbäder. Zu Driburg: Medicinal-Kalender 1857, S. 118. 370 In Marienbad waren sieben Patienten gewesen, in Carlsbad vier, in Teplitz zwei. Zu den Bädern: Medicinal-Kalender 1857, S. 117, S. 122 und S. 125. 371 In Kissingen waren drei Patienten gewesen. Alle anderen Orte werden je ein Mal erwähnt. Zu den einzelnen Kurorten Medicinal-Kalender 1857, S. 115–126. 372 Bei 39 Personen konnte keine Schicht festgestellt werden. 373 Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin, S. 128, Döhner: Krankheitsbegriff, S. 67–70. 374 IGM P 111 Fol. 225. Hier zeigen sich die methodischen Probleme allein aufgrund der Berufsangabe eine Schichtzuordnung treffen zu müssen. Gerade bei Handwerkern und im Bereich der Landwirtschaft tätigen Personen konnten die Einnahmen extrem unterschiedlich sein: Schraut, Sylvia: Sozialer Wandel im Industrialisierungsprozeß. Esslingen 1800–1870, Esslingen am Neckar 1989 (Esslinger Studien Schriftenreihe 9), S. 345–361. Von den Unterschichtangehörigen, die eine Badekur erwähnten waren zwei Handwerker und einer der genannte Bauer. Teilweise wurden die verschiedenen Bäder auch von den Angehörigen der sozialen Schichten unterschiedlich stark in Anspruch genommen. Hierzu Eßer, Raingar; Fuchs, Thomas (Hrsg.): Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003 (Aufklärung und Europa 11). 375 Beispielsweise führte Dr. de Jong nach seiner Rückkehr die Kaltwasserbäder weiter: IGM P 221/2 Patientenbrief von Docteur D[e] J[ong] ohne Briefdatum 1 Blatt. 376 Zum Beispiel Westfälischer Merkur vom 13. Mai 1843 für Wasser aus Bad Ems, im Münsterischen Intelligenzblatt 1843, S. 783 für „Selterser=, Emser=, Fachinger=, Wildunger=, Kissinger=, Ragozi=, Eger=, Franzens=, Pyrmonter= und Driburger=Brunnen“ oder für „Selters, Emser und Fachinger Brunnen Wasser“ im Westfälischen Anzeiger vom 20. Mai 1862. Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 85–86 mit weiterführender Literatur.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
137
Verschiedene Patienten nannten die von ihnen verwendeten Wasserarten. Es ist unbekannt, ob sie diese selbst aus der Kur mitgebracht, dort eingenommen oder sich selbst in ihrem Heimatort gekauft hatten. Beliebt war das Wasser aus Ems oder das aus dem nassauischen Bad Selters.377 4.4.5 Krankenhäuser Nur ein Bruchteil der Krankheiten ist auch heute so schwerwiegend, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen.378 Aber die Überlieferungslage was Krankenhauspatienten angeht ist besser, weil sich aus den dortigen Registraturen eher Patientenakten erhalten haben. Die hier vorliegenden Daten spiegeln jedoch die Verhältnisse wider, die Larsen anhand der Morbiditätszwiebel verdeutlichte. Eine ernste beziehungsweise pflegebedürftige Erkrankung führt in die Institution Krankenhaus, dennoch ist die Anzahl der Betroffenen wesentlich geringer als jener der Personen, die überhaupt erkranken.379 Von der Gesamtanzahl der erfassten 14.266 Patienten hatten 79 Personen einen Krankenhausaufenthalt im Verlauf ihrer früheren Behandlung erlebt.380 Eine Magd war sogar drei Mal im Krankenhaus gewesen.381 Leider ist durch die knappen Angaben nicht ersichtlich, ob die Therapie im Hospital mit den aktuell vorliegenden Beschwerden in Zusammenhang stand oder nicht. Wenn es sich um schon lange anhaltende Beschwerden handelte, darf der Zusammenhang zumindest vermutet werden. So litt ein junges Mädchen, das „auch schon im Krankenhaus auf St. Mauritz“ gewesen war, bereits seit zwei Jahren an einem „Brustleiden“, welches mit „Milzklopfen“, „Husten mit Auswurf“, „viel Frost und kalten Füßen“ verbunden war. Der Unterschenkel eines älteren Manns war seit drei Jahren mit „einer großen mistfarbigen, stark eiternden Geschwür behaftet“, weswegen er den Rat des Homöopathen in Anspruch nahm, nachdem ein einjähriger Aufenthalt in einem Hospital zu keiner Linderung geführt hatte.382 In ähnlicher Weise hatten zwei weitere Patienten im Lauf ihrer je elfjährigen Leidensgeschichte gegen eine Entzündung beider Augen, die mittlerweile zum fast vollständigen Verlust der Sehkraft geführt 377 Emser Wasser wurde von zehn Patienten genannt. Das aus Selters von sieben. Drei gaben an Driburger Wasser verwendet zu haben und zwei weitere Wasser aus Carlsbad. Von den Quellen in Kreuznach, Homburg, Pyrmont, Kitzingen, Fachingen und Rehmen wurde je ein Mal Wasser gebraucht, bei einem Patienten war die Herkunft des Wassers unbekannt. Zu den einzelnen Bädern die Angaben in: Medicinal-Kalender 1857, S. 115– 126. 378 Zur Entwicklung des Krankenhauses mit der weiterführender Literatur: Labisch, Alfons; Spree, Reinhard (Hrsg.): „Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett. Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 1996. 379 Larsen: Case Histories, S. 142. 380 Dies entspricht gerade einmal 0,6 % aller von Bönninghausen behandelten Patienten. 381 IGM P 113 Fol. 232. 382 Die Beispiele IGM P 112 Fol. 176 und P 78 Fol. 68.
138
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
hatte, und „Schweißfieber“ eine unbekannte Zeit im Krankenhaus verbracht, bevor sie Bönninghausen konsultierten.383 Eine andere Patientin litt „schon seit 4 Jahren an einer eigenthümlichen Schwäche des ganzen Körpers, die bis jetzt immer zugenommen hat“. Sie hatte deswegen „die besten Ärzte der Stadt ohne Erfolg besucht“ und war im „Clemens-Hospital“ gewesen, wo der Zustand jedoch nicht besser wurde. Bei einer 35 Jahre alten Witwe hatte der Spitalaufenthalt eine Verschlimmerung ihres Zustandes zur Folge gehabt, so dass sie gegen die Lähmungserscheinungen in den unteren Extremitäten eine homöopathische Kur versuchte.384 Einige dieser Personen waren in Krankenhäusern außerhalb Münsters gewesen, zum Beispiel in Osnabrück, Warendorf, Hamm, Bervergern, Dülmen oder in dem heute eingemeindeten Ort St. Mauritz.385 Ein Kranker, der ursprünglich aus Leipzig stammte, hatte sogar acht Wochen in der Charité verbracht.386 Viele Patienten nannten lediglich den Aufenthalt in einem Hospital oder Lazarett, ohne anzugeben, wo sich dieses befand.387 Militärangehörige waren zum Teil in den entsprechend für sie vorgesehenen Einrichtungen versorgt worden. Nur die Hospitäler in Wesel und Luxemburg erfahren aber eine genauere Lokalisierung.388 14 Patienten gaben an, sie seien im Clemenshospital in Münster behandelt worden. Dieses war auf Anregung des Fürstbischofs Clemens August gebaut und 1754 eröffnet worden.389 Nach einer wechselvollen Geschichte und verschiedenen Umstrukturierungen übernahm 1820 die Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern dessen Leitung.390 Die Betreuung und Pflege durch 383 Beide Patienten waren „in der Barmherzigen“ gewesen und stammten aus Münster: P 80 Fol. 203 (Schweißfieber) und P 106 Fol. 254 (Augenentzündung), beide IGM. Unter „Schweißfieber“ ist nach Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 143–144 entweder die mit Schweiß verbundene Temperaturerhöhung bei hektisch Fiebernden gemeint, möglicherweise aber auch eine Art des Wechselfiebers oder ein Frieselfieber. 384 Die Fälle IGM P 151 S. 89–94 und P 77 Fol. 93. 385 IGM P 86 Fol. 91 (Bevergern), P 113 Fol. 188 (Dülmen), P 77 Fol. 93 (Hamm), P 78 Fol. 34 (Osnabrück), P 78 Fol. 68, P 113 Fol. 142 (Warendorf), P 108 Fol. 38, P 112 Fol. 176, P 115 Fol. 99 (St. Mauritz). Bei letzterem dürfte es sich um das St. Franziskus Hospital handeln. Dazu die Ausführungen bei Jungnitz: Krankenhäuser, S. 131, während Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 81–83 nicht auf die Änderungen in den lokalen Grenzen eingeht. Auch die Häuser in Dülmen und Warendorf wurden von den Barmherzigen Schwestern betrieben: Jungnitz: Krankenhäuser, S. 100–101. 386 IGM P 112 Fol. 140. Der eingeklebte Brief gibt anschaulich Auskunft über die damals übliche Behandlung von Geschlechtskrankheiten. Ähnlich auch IGM P 202/12. 387 Es handelt sich um zwölf Aufenthalte in einem Lazarett, drei in einem Hospital und vier in einem Krankenhaus, ohne dass der Ort genannt wurde. 388 Das sind 15 Fälle. Dabei wurde auch ein Kind eines Unteroffiziers behandelt IGM P 104 Fol. 8. Die übrigen P 45 Fol. 131, P 78 Fol. 154, P 82 Fol. 215, P 83 Fol. 115, P 87 Fol. 53 (Luxemburg), P 114 Fol. 64, Fol. 194 und Fol. 409, P 85 Fol. 132, P 52 Fol. 20, P 76 Fol. 120, P 82 Fol. 5 und Fol. 56, P 87 Fol. 140 (Wesel). 389 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 67. 390 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 74, genauer zu den Vorgängen: Jungnitz: Krankenhäuser, S. 88–95. Bönninghausen behandelte auch einige der Schwestern: IGM P 202/21 bis P 202/23.
4.4 Approbierte Heiler und Institutionen
139
Angehörige dieser karitativen Gemeinschaft, die 1808 von Clemens August Freiherr Droste zu Vischering in Münster ins Leben gerufen worden war391, führte dazu, dass die Einrichtung auch als „Barmherzige“ bezeichnet wurde.392 Dieser Name erscheint in den Angaben von 24 weiteren Patienten, die hinterher bei Bönninghausen Rat suchten. Das Clemenshospital war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das einzige allgemeine Krankenhaus in Münster.393 Es war ein recht kleines Krankenhaus, wenn man es mit anderen Städten wie Stuttgart oder München vergleicht. Gleichwohl war es im Regierungsbezirk Münster die größte Einrichtung seiner Art und versorgte vor allem mittellose Kranke.394 Bis 1832 wurden dort durchschnittlich 450 Patienten im Jahr gepflegt, wobei sich diese Zahl in den folgenden Jahrzehnten auf 1.000 Kranke jährlich erhöhte.395 Für 36 der 79 Personen, die im Lauf ihrer Behandlung eine Zeit in einem Krankenhaus verbracht hatten, ist eine Zuordnung zu einer sozialen Schicht möglich.396 Mit der Ausnahme eines Kaufmanns handelt es sich durchweg um Angehörige der Unterschicht. Der Kaufmann allerdings war ledig, so dass der Aufenthalt im „Lazareth“ auf die nicht zur Verfügung stehende Pflege im privaten Bereich zurückzuführen ist.397 Er konsultierte Bönninghausen im Januar 1850 wegen einer „trockenen, weißschuppigen juckenden und nach Kratzen brennenden Flechte“, welche er auf Beinen, Armen, aber auch im Backenbart und den Augenbrauen hatte. Diesen Ausschlag hatte er von einem Aufenthalt in einem nicht näher bestimmten „Lazareth“ davon getragen, der „im Sommer wegen Brustbeschwerden“ erfolgt war.398 Von „Brustbeschwerden“ war bei der homöopathischen Anamnese aber nicht mehr die Rede. Von den ehemaligen Krankenhauspatienten waren 45 männlich und 28 weiblich. Männer überwiegen damit in dieser Gruppe.399 Interessant ist, dass von den Patienten, die im Clemenshospital gelegen hatten, 22 weiblichen Geschlechts waren, während 14 männliche Patienten dies angaben. Bei zwei wei391 Jungnitz: Krankenhäuser, S. 90. 392 Sowohl die Bezeichnung „Clemenshospital“ als auch „Barmherzige“ werden in den Krankenjournalen Bönninghausens parallel verwendet. Das Clemenshospital war das einzige Krankenhaus bis in die 1850er Jahre in Münster und aus einem Eintrag wird deutlich, dass mit beiden Namen ein und dieselbe Institution gemeint sein muss: IGM P 111 Fol. 149: „Hier in der Barmherzigen (Sarrazin)“. Mit „hier“ ist Münster gemeint und Dr. Sarrazin war ab 1857 als Assistent des Chirurgen im Clemenshospital beschäftigt und übernahm nach dessen Tod die chirurgische Abteilung: Jungnitz: Krankenhäuser, S. 121. 393 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 66–81. Allgemein zum Clemenshospital: Jungnitz: Krankenhäuser. 394 Langefeld; Spree: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung, S. 332 und S. 346. Für die Patientenschaft im 18. Jahrhundert: Kathstede: Patientenschaft. 395 Langefeld; Spree: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung, S. 346. 396 Dies entspricht 45,6 %. 397 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 75. 398 IGM P 74 Fol. 217. 399 Dies war im 19. Jahrhundert auch in anderen Krankenhäusern der Fall: Spree, Reinhard: Quantitative Aspekte der Entwicklung des Krankenhauswesens. In: Labisch; Spree: Krankenhaus, S. 67. Er nennt jedoch keine Erklärung hierfür.
140
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
teren war das Geschlecht nicht sicher zu ermitteln. Dieser Befund widerspricht zwar der Angabe, dass im Clemenshospital eigentlich immer deutlich mehr Männer als Frauen versorgt wurden.400 Allerdings darf man an dieser Stelle nicht vergessen, dass die Daten aufgrund der Eintragungen in den Journalen Bönninghausens zusammengestellt wurden. Frauen waren insofern, nach einer fehlgeschlagenen Kur im Krankenhaus, eventuell eher bereit, nun den Dienst eines Homöopathen auszuprobieren. Wie die Behandlung im Krankenhaus im Einzelnen ablief, ist den kurzen Angaben kaum zu entnehmen. Die Aufenthalte konnten, wie in dem bereits genannten Beispiel, bis zu einem Jahr dauern. Eine Patientin gab an, sie sei nur drei Tage im Clemenshospital gewesen.401 Zwei weitere Kranke hatten jedoch fünf Wochen im Krankenhaus zugebracht.402 Derart lange Verweildauern waren im 19. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches. So betrug die durchschnittliche Länge einer Behandlung im Clemenshospital 1819 31 Tage. Bis Ende des 19. Jahrhunderts stieg diese Dauer und lag 1861 bei etwa 38 Tagen.403 Allgemein ist wenig über die im Clemenshospital durchgeführten Therapien bekannt. Natürlich gab es in der dortigen chirurgischen Abteilung Operationen.404 Nur bei einer Patientin wurde eine solche im Hospital aber ausdrücklich erwähnt. Der 40 Jahre alten Frau hatte man in der Barmherzigen „angeblich einen Krebs aus dem Rücken geschnitten“. Im Vordergrund stand die Behandlung mit pharmazeutischen Mitteln. Eine 29-jährige Patientin aus Münster hatte, zwei Jahre bevor sie den Freiherrn 1860 konsultierte, „in der Barmherzigen eine Schwefel-Kur durchgemacht“, die zu einer starken Verschlimmerung ihrer Beschwerden geführt hatte. Eine weitere Patientin war dort mit Chlorwasser und nicht näher bestimmten Pulver und Tee therapiert worden.405 Auch wenn der Anteil der Patienten, die vor ihrer homöopathischen Behandlung gezwungen waren, einen mehr oder weniger langen Aufenthalt in einem Krankenhaus in Kauf zu nehmen, relativ gering ist, wird deutlich, dass solche Institutionen durchaus im Instanzenweg der Kranken enthalten waren. Bei aller Vorsicht aufgrund der geringen Fallzahl, zeigte sich, dass eine derar400 Das durchschnittliche Verhältnis lag bei 60:40. Langefeld; Spree: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung, S. 333. Spree ermittelt für das Deutsche Reich 1877 eine durchschnittliche Verweildauer von 32 Tagen, Spree: Quantitative Aspekte, S. 65. 401 IGM P 78 Fol. 68 und P 87 Fol. 145. 402 IGM P 104 Fol. 104 und P 112 Fol. 298. 403 Langefeld; Spree: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung, S. 332, Tabelle 2, die Angabe für 1861 wurde mit den dort genannten Zahlen selbst berechnet. Die Verlängerung der Verweildauer ist für das 19. Jahrhundert aber eher ein ungewöhnlicher Vorgang, ebenda, S. 333. Jungnitz nennt außerdem 1836 577 Kranke mit 20.024 Verweiltagen, 1839 691 Kranke mit 20.531 Tagen und 1842 785 Patienten mit 24.340 Verpflegungstage, 1848 mit 898 Kranken an 26.970 Tagen, 1849 1.087 Patienten mit 32.923 Verpflegungstagen und 1853 934 Kranke mit 32.339 Aufenthaltstagen. Jungnitz: Krankenhäuser, S. 98 und S. 100. 404 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 80. 405 Die Beispiele der Reihe nach IGM P 53 Fol. 125, P 108 Fol. 106 und P 112 Fol. 298.
4.5 Der Patient im medizinischen Markt
141
tige Einrichtung vor allem von Angehörigen der Unterschicht in Anspruch genommen wurde. Dies mag zum einen durch die zumindest in Münster erfolgte kostenlose Kur armer Kranker im Clemenshospital zu erklären sein. Allerdings weist besonders der Fall des ledigen Kaufmanns darauf hin, dass es sich um Kranke handelte, die in Münster keine Möglichkeit hatten, sich durch Familienangehörige pflegen zu lassen.406 4.5 Der Patient im medizinischen Markt Wie heute wurden auch im 19. Jahrhundert die Menschen im Lauf ihres Lebens irgendwann einmal krank. Einige von ihnen suchten bei den Beschwerden den Rat des Homöopathen Clemens von Bönninghausen. Bei Betrachtung der verschiedenen „Patientenwege“ wird deutlich, dass die Mehrheit der von ihm später untersuchten Kranken zuvor anderweitig Hilfe gesucht hatte. Die meisten nannten auf seine Frage nach einer vorangegangenen Therapie die Anwendung von Medikamenten. Im Nachhinein ist nicht mehr zu unterscheiden, ob es sich um eine Selbstbehandlung oder eine Verordnung durch einen Arzt handelte. Dennoch wird deutlich, dass die medikamentöse Selbstbetreuung mit Hausmitteln oder medizinischen Arzneien oft der erste Schritt in der „Krankenkarriere“ war. Ebenso nutzten die Menschen die verschiedenen Instanzen des medizinischen Marktes. Sie wandten sich an Laienheiler, andere Homöopathen und approbierte Medizinalpersonen. Eine Minderheit der Patienten hatte Krankenhäuser oder Kurbäder aufgesucht.407 In Bezug auf die Klientel eines Heilkundigen wurden in der Forschung Typisierungsversuche durchgeführt, mit deren Hilfe die Art und Weise beschrieben werden soll, wie sich die Kranken im medizinischen Markt bewegen und nach welchen Mustern sie die Hilfe einzelner Heilpersonen in Anspruch nehmen.408 Dabei unterscheidet man die überzeugten Anhänger, die entweder in den Gebrauch einer Heilmethode „hineingewachsen“ sind oder aufgrund einer eigenen positiven Kurerfahrung zu Verfechtern einer Methode werden. Bei jeder Erkrankung wird diese Behandlung dann in Anspruch ge406 In diesem Sinn charakterisieren auch Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 75 und Langefeld; Spree: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung, S. 346 die Patientenschaft des Clemenshospitals. 407 Ein ähnliches Nutzungsspektrum hatten auch die Patienten von Hahnemann aufzuweisen, bevor sie sich der Homöopathie zuwandten. Varady: D5 Kommentar, S. 338–341, Ehinger: D36 Kommentar, S. 141–159. 408 Im Hinblick auf den „homöopathischen“ Patienten hat dies ausgeführt: Dinges: Introduction. Patients in the History of Homoeopathy. In: Dinges: Patients, S. 18–20. Diese Überlegungen zu einer Typologisierung der Patienten können mit gewissen Abstraktionen auf den „allgemeinen“ Patienten angewendet werden. Auch Stollberg, Gunnar: Patients and Homoeopathy. An Overview of Sociological Literature. In: Dinges: Patients, S. 317–329. Für Patienten, die allgemein eine „alternative Heilmethode” ausprobiert hatten auch Sharma, Ursula: Complementary Medicine Today. Practitioners and Patients, London/ New York 2. Auflage 1995, S. 47–53.
142
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
nommen und die Kranken bleiben ihr beziehungsweise dem Heiler treu.409 Ferner gibt es den so genannten „Shopper“, den sorgfältig auswählenden Patienten.410 Er wählt mehr oder weniger bewusst unter den verschiedenen medizinischen Angeboten, nutzt gegebenenfalls Kuren parallel oder entsprechend der Erkrankung nach dem Gesichtspunkt entscheidend, welche der Anwendungen am ehesten die Heilung verspricht. Hierbei ist der Schritt zu denjenigen Kranken gering, die alles einfach ausprobieren, in der Hoffnung, eine der vielen Kuren möge die erhoffte Linderung herbeiführen.411 Häufig ergibt sich die Konsultation einer Heilperson einfach aus dem „Angebot“ vor Ort. Gibt es dort keinen Arzt, begibt man sich schlicht zum nächsten greifbaren Therapieangebot, sei es das einer approbierten Medizinalperson oder eines Laien. Vor dem erläuterten Kontext wird daher deutlich, dass sich ein Kranker im 19. Jahrhundert von einer Vielzahl Heilkundiger behandeln lassen konnte. Berücksichtigt man, dass die hier beschriebenen Patientenwege nur dargestellt werden konnten, weil Clemens von Bönninghausen sie von seiner Klientel mitgeteilt bekam, wird ersichtlich, dass es sich bei den wenigsten Patienten – zumindest bei ihrer ersten Konsultation – um eingefleischte Anhänger der Hahnemannschen Lehre gehandelt hat.412 Die allermeisten Kranken waren zuvor „allopathisch“ behandelt worden und versuchten dann die Dienste des Freiherrn. Mit einem gewissen Anteil an Spekulation darf man aber vermuten, dass die seither in Anspruch genommenen Dienste nicht die erhoffte dauerhafte Heilung oder zumindest nicht den gewünschten Erfolg in Form einer weitgehenden Linderung erzielt hatten. Gelegentlich wurden in den einzelnen Krankengeschichten eindeutige Verschlimmerungen der Beschwerden und negative Erfahrungen in vorangegangenen Behandlungen deutlich, so dass die Motivation, nach einer weiteren Therapiemöglichkeit zu suchen, auf der Hand liegt. Ob die Entscheidung für die Dienste des Freiherrn dann in „sorgfältiger Abwägung“ erfolgte oder als „letzter Notnagel“ als eines der Angebote, das man noch ausprobieren konnte, ist im einzelnen nicht mehr zu beurteilen. 409 Dinges unterscheidet im Hinblick auf den „homöopathischen“ Patienten den „habitual patient“, denjenigen, der mit der homöopathischen Therapie aufgewachsen ist und dem „convert“, eben jenem Patienten dessen „Bekehrung“ zur Lehre Hahnemanns durch einen Heilerfolg bewirkt wurde. Im Hinblick darauf, dass beide als „Überzeugte“ der Therapieform treu bleiben, unterscheiden sie sich nicht. Als weiteren Untertyp nennt Dinges den „Aktivisten“, einen Patient, der sich aufgrund seiner Überzeugung für die Heilmethode engagiert. Dieser Typ bedeutet aber für die grundlegende Treue zu einem Heiler oder einer Methode keinen Unterschied im Vergleich zu dem bereits erwähnten „convert“ oder „habitual patient“. Dinges. Introduction, S. 10–20. Zu der Frage der Treue beziehungsweise wie lange eine Therapie durch Bönninghausen durchgeführt wurde auch Kapitel 7.3. 410 Dinges: Introduction, S. 19. 411 Dinges bezeichnet dies als „ random patient“. Dinges: Introduction, S. 18. 412 Dies galt gleichermaßen für die Patienten Hahnemanns. Sauerbeck: Hahnemann, S. 8–9, Brockmeyer: Schreibweisen, S. 53–59. Oder für diejenigen van den Berghes. Baal: Homoeopathy, S. 252–253, Baal: Being Ill, S. 162–166.
4.5 Der Patient im medizinischen Markt
143
Häufig wird letzteres der Fall gewesen sein, worüber sich Bönninghausen kaum Illusionen machte. Beispielsweise beschrieb er in einem seiner veröffentlichten Aufsätze den Fall eines Kaufmanns, der sich erkältet und versucht hatte, die steigenden Beschwerden „allopathisch“ zu kurieren, ehe er zu ihm kam: „Eine allopathische Behandlung war ohne Erfolg geblieben, vielmehr hatte sich während dieser dreimonatlichen Cur fast Alles erheblich verschlimmert, so dass nun, wie dies gewöhnlich geschieht, beschlossen wurde, bei der Homöopathie Hilfe zu suchen.“413 Einer anderen Kranken, die seit 16 Jahren „gichtkrank“ war, teilte der behandelnde Arzt letztendlich mit, „daß alles durchgebraucht sei“, weshalb sie sich an Bönninghausen wandte. Ganz deutlich wird der „Notnagel-Charakter“ in dem Schreiben eines Arztes, der beteuerte: „Mir fehlt es nicht an Muth, jede Behandlungsart zu versuchen: wenn sie mir nur Hoffnung giebt, mein Leben noch wenige Jahre zu fristen.“414 Doch zweifelsohne gab es unter den Patienten Bönninghausens ebenso diejenigen, die von der Lehre Hahnemanns überzeugt waren und gegebenenfalls verschiedene Homöopathen um Rat fragten. Zu diesen gehörte sicherlich der junge Spanier, der extra nach Paris aufgebrochen war, um von dort an Bönninghausen verwiesen zu werden.415 Oder jener Kranke, der in seinem Brief deutlich zu erkennen gab, dass er bereits seit 17 Jahren treuer Anhänger der Homöopathie sei und keine andere Behandlungsmethode für ihn in Frage käme.416 Allerdings stellten solche Kranke den kleineren Teil der Klientel. Durch die Menschen, die Bönninghausen gegenüber zu verstehen gaben, sie hätten schon einmal eine homöopathische Kur versucht, zeigte sich jedoch deutlich, dass der Weg zur Homöopathie und später zu dem Freiherrn keine Einbahnstraße war. Je nach Verlauf der Therapie konnte ein Patient wieder auf den allgemeinen Heilermarkt zurückkehren. Öfter notierte Bönninghausen während seiner Behandlung, dass weiterhin „allopathische“ Methoden, wie Aderlässe, durchgeführt worden waren.417 Ein Weber von 25 Jahren wandte sich wegen „Magenschmerzen und Soodbrennen“ an den Freiherrn und, nachdem sich nicht bald nach Beginn der homöopathischen Kur eine Besserung gezeigt hatte, schrieb Bönninghausen in der Krankengeschichte: „Seitdem allop.(athisch) gebr.(aucht) und nun wieder ganz wie oben“. Womit ersichtlich ist, dass der Kranke wieder zu dem Freiherrn zurückkehrte, da auch 413 Bönninghausen, Clemens von: Die Wahl des Heilmittels. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 594. Eine ähnliche Feststellung ist auch von Hahnemann bekannt: Schreiber: Leipzig, S. 135 sowie in einem Brief vom 24. April 1831 an Bönninghausen; Stahl: Briefwechsel, S. 47. Zu den möglichen Motiven eines Patienten heute für eine entsprechende Therapie: Günther, Martina; Römermann, Hans: The Homoeopathic Patient in General Practice. Findings of a Comparative Poll of Patients in Conventional Medical Practices and Homoeopathic Private and Health Insurance Scheme Practices. In: Dinges: Patients, S. 292–296. 414 IGM P 40 Fol. 174 und P 202/12 Dr. Schlosshauer, Brief Brakel, den 8. Januar 1830. 415 IGM P 55 Fol. 47. 416 Hierzu der Brief zu IGM P 77 Fol. 147. 417 Beispielsweise IGM P 34 Fol. 164, P 35 Fol. 17, P 53 Fol. 240 oder P 72 Fol. 78. Auch Kapitel 7.5.
144
4 Auf dem Weg zu Bönninghausen
die andere Therapie keinen Erfolg gezeigt hatte.418 Auch von Hahnemanns Patienten ist ein solches Verhalten bekannt, und dem belgischen Homöopathen van den Berghe erging es nicht anders.419 Allgemein waren jedoch nicht nur Homöopathen von derart pendelnden oder auswählenden Patienten betroffen. Gleiches galt für ihre „allopathischen“ Kollegen.420 Ähnlich wie aus anderen Studien bekannt, wurde in den verschiedenen „Patientenwegen“ deutlich, dass die einzelnen Kranken individuelle Entscheidungen trafen. Als Charakteristika, die aus den ganz unterschiedlich verlaufenden „Karrieren“, herauskristallisiert werden können, zeigten sich „die Selbstbestimmtheit der Patienten, die Polyphonie des Heilermarktes und die Polypraxie der Behandlungen“.421 Dabei wurde durch die erwähnte Nutzung von „allerlei Ärzten und Nichtärzten“ oder „vielen Ärzten, Nichtärzten, Arcana und Hausmittel“422 ersichtlich, dass tatsächlich die Behandlung durch akademische und zugelassene Heiler einerseits und durch Laien aus der Volksheilkunde andererseits nicht alternativ, sondern ergänzend und nebeneinander genutzt wurde.423 Der Wechsel zwischen den einzelnen medizinischen Angeboten, zwischen Arzt, Chirurg oder wie im vorliegenden Fall dem Homöopathen bereitete den Kranken des 19. Jahrhunderts keinerlei Schwierigkeiten.424 Je nach Erfolgsaussicht einzelner Therapiearten, wurde die Entscheidung für die eine oder die andere Methode gefällt.425 Die Motive und Logiken, denen jene Entscheidung folgte, dürften für den heutigen Forscher kaum endgültig und eindeutig rekonstruierbar sein.426 418 IGM P 35 Fol. 78. Extrem ist sicherlich auch das Beispiel eines Knaben, der im Alter von zehn Jahren Bönninghausen zum ersten Mal sah und dann erst nach 27 Jahren wieder zu dem Freiherrn kam, nachdem ihm ein Arzt nicht weiter helfen konnte, siehe IGM P 21 Fol. 127. 419 Schuricht: D16 Kommentar, S. 27, Sauerbeck: Hahnemann, Baal: In Search, S. 110. 420 Gleiches galt für „allopathische“ Ärzte, die die Namen anderer Ärzte und Parallelbehandlungen nennen. Balster: Kortum, S. 202–208, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 97–99, Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, S. 106–112, Lindemann: Health, S. 365, Loetz: Vom Kranken, S. 244, Martin-Kies: Alltag, S. 44, McCray Baier: Sufferers, S. 57, Oberhofer: Landarztpraxis, S. 171, Stolberg: Patientenschaft, S. 27. 421 Ruisinger: Patientenwege, S. 139. Ihre Feststellung für das 18. Jahrhundert gilt also ungebrochen weiter. Bereits für die Frühe Neuzeit: Jütte: Barber-Surgeon, S. 193–195. 422 So in IGM P 110 Fol. 230 und P 111 Fol. 7. Arcana sind Geheimmittel. 423 Loetz: Vom Kranken, S. 123, Schreiber: Leipzig, S. 135, Duden: Haut, S. 94–96, Baal: In Search, S. 98–110, Dinges: Männlichkeitskonstruktion, S. 118. 424 So IGM P 103 Fol. 14. In diesem Sinn ohne den Verweis auf die Homöopathie: Loetz: Grenzen, S. 37. Für das 18. Jahrhundert: Lindemann: Health. Als Überblick: Burnham, John: What is Medical History?, Cambridge 2005, S. 50–54. 425 Loetz: Vom Kranken, S. 134, Stolberg: Ärzte. 426 Treffend: Kinzelbach: Gesundwerden, S. 288, Duden: Haut, S. 96. Zu einer Systematisierung ausschlaggebender Kriterien bei einer solchen Entscheidung auch Loetz: Faktoren, Dinges, Martin: Immer schon 60 % Frauen in den Arztpraxen? Zur geschlechtsspezifischen Inanspruchnahme des medizinischen Angebotes (1600–2000). In: Dinges, Martin (Hrsg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel 1850–2000, Stuttgart 2007, S. 307–308, Stolberg: Heilkunde, S. 245–248. Übrigens sind auch heute individuellen Entscheidungen für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar.
4.5 Der Patient im medizinischen Markt
145
Wie gezeigt werden konnte, bewegten sich die Patienten, die früher oder später im Verlauf ihrer „Leidensgeschichte“ den Homöopathen Clemens von Bönninghausen besuchten und um Rat fragten, als „selbstsichere und selbstbewusste Konsumenten medizinischer Dienstleistungen durch die Vielfalt der Heilergruppen und die Fülle der therapeutischen Angebote“.427 Und genau damit unterscheiden sich die Kranken aus dem 19. Jahrhundert eigentlich gar nicht so sehr von den modernen Patienten, die sich heutzutage ebenso in einer Pluralität medizinischer Angebote bewegen müssen oder dürfen.428 Die Kranken sehen sich gleichfalls vor das Problem gestellt, sich für die eine oder andere Therapie zu entscheiden. Dies tun sie nach individuellen Gesichtspunkten, aber nicht zuletzt im Hinblick auf die Erfolgschancen. Zwar hat sich im Verhältnis zum 19. Jahrhundert der Unterschied zwischen „Alternativ-“ und „Schulmedizin“ aufgrund der Entwicklungen in der modernen Medizin verdeutlicht. Dennoch lässt sich auch heute die Mehrheit der Patienten, welche sich für eine Naturheiltherapie entscheidet, ergänzend mit klassisch-schulmedizinischen Methoden behandeln.429 Insofern zeigen die Wege, die die Kranken zurücklegten, bis sie Clemens von Bönninghausen konsultierten, typische Verhaltensweisen der Patienten in der Vergangenheit, die gleichsam sehr aktuell erscheinen.
427 Ruisinger: Patientenwege, S. 139. 428 Stollberg: Overview, S. 318–321. Zum medizinischen Angebot heute die entsprechenden Kapitel in: Porter: Kunst, Cant, Sarah; Sharma, Ursula: A New Medical Pluralism? Alternative Medicine, Doctors, Patients and the State, London 1999. 429 Dieser Befund gilt vom Standpunkt der Schulmedizin in die entgegengesetzte Richtung. Schultheiß, Ulrich; Schriever, Thomas: Warum gehen Patienten zum Arzt mit der Zusatzbezeichnung Homöopathie oder Naturheilverfahren, Ulm 1991 (Med. Diss.), S. 134, Sharma: Complementary Medicine, S. 53–59. Solche Patienten hatten zuvor auch schon mehrere Ärzte konsultiert und nutzten zum Teil noch parallel Behandlungsangebote.
5 Die Klientel Bönninghausens Bisher ist dargestellt worden, welche Wege die einzelnen Patienten zurückgelegt haben, bevor sie Clemens von Bönninghausen um Rat fragten und sich in eine homöopathische Kur begaben. Der Freiherr war, wie deutlich wurde, einer unter vielen, der seine Dienste auf dem Heilermarkt der Stadt Münster anbot. Er war sogar Laie, und dennoch setzten zahlreiche Patienten ihr Vertrauen in seine Behandlung. Wer waren die Personen, die Clemens von Bönninghausen aufsuchten? Die Homöopathie versucht, jeden Menschen als Individuum zu verstehen und seinem jeweiligen Krankheitsbild gerecht zu werden. Eine genaue Anamnese wird für die Wahl des richtigen Heilmittels benötigt.1 Der Freiherr hielt deswegen nicht nur die jeweiligen Leiden fest, sondern machte nähere soziale Angaben zu den Menschen, die zu ihm kamen. Die Notizen spiegeln daher mehr als die eigentlichen Beschwerden wider. Bisweilen wird man als heutiger Leser mit bewegenden Einzelschicksalen konfrontiert. Jeder der mehr als 14.200 Kranken, die im berücksichtigten Zeitraum zu dem Freiherrn kamen, hatte eine eigene Geschichte. Allerdings ist es unmöglich, jeder Einzelnen nachzugehen und so jedem Patienten ein Gesicht zu geben. In den folgenden Teilkapiteln soll die erste Forschungsfrage dieser Arbeit beantwortet werden. Es geht darum, wer die Klientel Bönninghausens war. Zunächst wird die „Patientenschaft“ als Gesamtgruppe vorgestellt. Hier soll die Sozialstruktur der Kranken beschrieben werden. Suchten eher Frauen eine homöopathische Behandlung? Wie alt waren die Betroffenen durchschnittlich? Waren sie Angehörige der Oberschicht oder „arme Schlucker“? Woher kamen die Betroffenen? Einzelschicksale werden auf diese Weise eingeebnet und auf die statistische Verteilung einiger „sozial relevanter Merkmale“ reduziert. In einem weiteren Schritt werden deswegen zumindest einige der individuellen Krankengeschichten unter bestimmten Gesichtspunkten wieder deutlich gemacht. Dabei kommt Familien, die sich gemeinsam in die Behandlung begaben, und Kindern als Patienten eine besondere Bedeutung zu. Auch der Tod von Kranken spielt eine Rolle. Manchmal konnte Bönninghausen bei schweren Erkrankungen keine Heilung mehr bewirken. Doch zeigen sich ganz unterschiedliche Schicksale. Zusammenfassend wird die Klientel Bönninghausens unter der Frage nach dem „typischen Patienten“ dargestellt. 5.1 Sozialstruktur der Patienten Um eine Person zu beschreiben, bedient man sich verschiedener offensichtlicher Eigenschaften. In der Soziologie spricht man von „sozial relevanten Merkmalen“, zu denen beispielsweise Beruf oder Geschlecht gehören. Durch diese Faktoren lässt sich ein Individuum in eine Menschenmenge einordnen 1
Ausführlich dazu Kapitel 3.2.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
147
und lassen sich soziale Gruppen beschreiben.2 Unter Sozialstruktur der Patienten soll daher im Folgenden die Verteilung ausgewählter sozialstatistischer Merkmale innerhalb der Patientenschaft Bönninghausens verstanden werden.3 Dank Umfragen zu der Klientel heutiger homöopathischer Praxen weiß man, dass der Großteil der Patienten weiblichen Geschlechts ist und häufiger in pädagogisch-sozialen Berufen arbeitet. So ergab eine Untersuchung 1993/1994, dass Patienten, die sich homöopathisch behandeln ließen, eher jünger und durchschnittlich höher gebildet waren als solche, die sich „schulmedizinischen“ Rat holten. Dabei sind heutige Patienten, die eine homöopathische Therapie nutzen, kritisch gegenüber der „Schulmedizin“ und haben häufig schlechte Erfahrungen in früheren Behandlungen gemacht.4 Diesen letzten Punkt teilt, wie im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, auch ein Teil von Bönninghausens Klientel mit ihnen. Ob weitere Merkmale, die die homöopathischen Patienten von heute auszeichnen, ebenfalls auf die Kranken zutreffen, die den Freiherrn um Rat fragten, wird in den nächsten Abschnitten zu sehen sein. Es wird zunächst auf Geschlecht und Familienstand sowie auf das Alter eingegangen. Bildungsabschlüsse waren in den Journalen nicht angegeben. Stattdessen wurden anhand der angegebenen Berufsbezeichnungen Zuordnungen in Schichten und Branchen, in denen die Patienten beschäftigt waren, vorgenommen, um so den „sozialen Status“ in gewissem Maß zu erfassen.5 Abschließend wird die Herkunft der Kranken besprochen, wobei sowohl auf die Heimatorte als auch die Entfernung derselben zu Münster eingegangen wird.6 2
3
4 5
6
Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Zwischenbilanz zur Vereinigung, Opladen 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage 1996, S. 21. Zur Vielschichtigkeit des Begriffs Sozialstruktur: Geißler: Sozialstruktur, S. 19–21. Zur Verbindung von soziologischen Kategorien mit der medizinhistorischen Forschung: Labisch, Alfons: Sozialgeschichte und Historische Soziologie der Medizin. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 10 (1987), S. 206–208. Problematisierend dazu: Ellermeyer, Jürgen: „Schichtung“ und „Sozialstruktur“ in spätmittelalterlichen Städten. Zur Verwendbarkeit sozialwissenschaftlicher Kategorien in historischer Forschung. In: GG 6 (1980), S. 125–149. Günther: Patient, S. 134. Ähnliche Ergebnisse bei Schultheiß; Schriever: Warum, S. 133. Der Statusbegriff setzt sich neben der Berufs- und Bildungsposition auch aus Variablen wie Einkommen und Prestige zusammen. Insofern handelt es sich hier um eine stark vereinfachte Feststellung des Status. Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit, soziale Schichtung und Mobilität. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. Auflage 2000, S. 198. Bönninghausen war bei der Angabe der sozialstatistischen Merkmale relativ zuverlässig. Nach der Transkription der Daten war das Geschlecht bei 16,4 % aller Kranken unbekannt, der Familienstand fehlte bei 60,7 %, eine Altersangabe lediglich bei 6,7 %. Der Wohnort war bei 5,0 % der Patienten nicht genannt. Eine Schichtzuordnung konnte zunächst für 19,6 % aller Kranken vorgenommen werden. Besonders in den ersten Praxisjahren waren die Angaben aufgrund der Kalenderführung seltener. Durch die weiteren Recherchen in den Archiven der Stadt Münster konnten diese Angaben vervollständigt
148
5 Die Klientel Bönninghausens
5.1.1 Geschlecht und Familienstand Von den 14.266 Patienten waren 7.312 Frauen. Bei 2.113 Kranken konnte das Geschlecht nicht sicher ermittelt werden. Dies liegt daran, dass Bönninghausen die Angewohnheit hatte, Namen abzukürzen.7 Allerdings drängt sich in vielen dieser Fälle der Verdacht auf, dass es sich dabei um männliche Patienten gehandelt hat. Sicher zu belegen ist es jedoch nicht. Bei 4.841 Kranken war das Geschlecht zweifelsohne männlich. Insofern überwiegt über den gesamten Praxiszeitraum das weibliche Geschlecht.
Schaubild 1: Geschlecht der Patienten (prozentualer Anteil bezüglich der Patienten insgesamt).
Der Anteil der weiblichen Patienten war im ersten Sample am höchsten und betrug 53,2 %. In der Zeit zwischen 1839 und 1843 ging er auf 50,3 % zurück, um sich dann um 51,4 % einzupendeln.8 Männer waren in der Praxis mit 33,9 % vertreten. Ihr Anteil an den Patientenzahlen ging zunächst auf 29 % zurück und stieg bis 1859/64 auf 38,8 %. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass der Anteil der Patienten, deren Geschlecht nicht mit Sicherheit zu bestimmen war, eine entsprechend gegenläufige Kurve beschrieb und in dem Maß sank,
7 8
werden (Kapitel 2). Hierzu die einzelnen Tabellen im Anhang, auf die im Laufe des Kapitels verwiesen wird. Damit waren die Angaben, besonders im Bereich Alter und Wohnort, häufiger als bei Hahnemann. Hierzu Schreiber: Leipzig, S. 137. Auch in den Journalen Hahnemanns ist die Ermittlung des Geschlechts einzelner Kranker mitunter schwierig. Papsch: D38 Kommentar, S. 50–51. Dazu Schaubilder 1 und 2 sowie die absoluten Angaben in Tabelle 4 im Anhang.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
149
wie der Anteil der männlichen Behandelten zunahm.9 Daher ist die Zunahme des Anteils männlicher Kranker in der Praxis eher auf eine genauere Bestimmung des Geschlechts zurückzuführen.
Schaubild 2: Entwicklung des prozentualen Anteils männlicher und weiblicher Patienten (bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten).
In der Zusammenschau der Entwicklung des geschlechtsspezifischen Anteils in der Praxis wurde deswegen der Versuch gemacht, pauschal alle Patienten unbekannten Geschlechts als Männer zu zählen. Dies zeigt, dass zwar der Anteil der Frauen in der Praxis immer größer war. Doch war das Geschlechterverhältnis in der Zeit zwischen 1839 und 1843 nahezu ausgeglichen, indem hier Frauen „nur“ 50,3 % der Klientel ausmachten.10 In den folgenden Praxisabschnitten war der Frauenanteil wieder etwas höher, so dass man erneut von einer gewissen Dominanz der weiblichen Klientel sprechen kann, die aber nicht so stark ist wie in den Anfangsjahren der Praxis. Somit kann der Ausspruch Annettes von Droste-Hülshoff zur Praxis Bönninghausens bestätigt werden. Sie stellte fest, er sei ein Doktor vornehmlich für Damen.11 Bemerkenswert ist, dass die Patienten Bönninghausens, die in Rotterdam wohnten, eher männlich waren.12 Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass Männer in 9
Das gleiche Phänomen beschreibt auch Hörsten bei der sozialstatistischen Auswertung der Journale D2-D4 aus Hahnemanns Praxis. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 38. 10 Siehe Schaubild 3. Auch für die Praxis Hahnemanns wurde zwischen 1831 und 1832 kein starkes Überwiegen des weiblichen Geschlechts festgestellt. Ehinger: D36 Kommentar, S. 20. Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis nennt auch Thümmler: Rekonstruktion, S. 77. 11 Droste-Hülshoff: Briefe, S. 106. 12 Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests. Sie untersucht 181 Patienten, die aus Rotterdam stammten, von diesen waren 106 männlich und 75 weiblich. In den eigenen Samples
150
5 Die Klientel Bönninghausens
der niederländischen Stadt wegen ihres höheren Bildungsgrades und ihrer Geschäftskontakte eher mit der Homöopathie in Berührung kamen. Andererseits haben Frauen den weiten Weg nach Münster gescheut, da die Reise mit zu vielen Unannehmlichkeiten und Gefahren verbunden war.
Schaubild 3: Entwicklung des prozentualen Anteils männlicher und weiblicher Patienten. Zusammenfassung der Patienten männlichen und der Personen unbekannten Geschlechts.
Dass der Frauenanteil innerhalb der Patientenschaft höher war als der der Männer, ist auch aus anderen Praxen belegt. So bestand die Klientel des Bochumer Arztes Kortum aus 47 % Frauen und in der Zeit seiner Praxis in Eilenburg behandelte Hahnemann ebenfalls mehr Frauen als Männer.13 Jedoch war der Anteil der männlichen Patienten in der Praxis in Leipzig und in Köthen 1830 höher. Ebenso suchten in Paris mehr Männer den Rat des Homöopathiebegründers.14 Eine Studie, die erstmals dem geschlechtsspezifischen
13
14
konnte der Ort Rotterdam für 119 Patienten nachgewiesen werden, hiervon sind 51 männlich, bei 15 weiteren konnte das Geschlecht nicht ermittelt werden. Trifft jedoch die Vermutung zu, dass es sich hier um Männer handelt, wäre der Anteil der männlichen Kranken aus Rotterdam ebenfalls höher. Für Kortum: Balster: Kortum, S. 101. Männer waren in seiner Praxis nur 36 % der Patienten. Doch warnt Balster ebenfalls vor einer Verzerrung zu ungunsten der Männer. Für Hahnemann: Jütte: Patientenschaft, S. 31, Vogl: Landpraxis, S. 169. Auch in der Zeit von 1833 bis 1835 waren etwas mehr Frauen bei Hahnemann in Behandlung: Papsch: Kommentar D38, S. 25, gleiches gilt für die Frühzeit der Praxis: Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 37. Und ebenso für den Anfang Hahnemanns in Köthen: Mortsch, Markus: Edition und Kommentar des Krankenjournals D22 (1821) von Samuel Hahnemann, Essen 2005 (Med. Diss.), S. 38. Jütte: Patientenschaft, S. 31. In D16 (1817–1818) ist der Anteil männlicher Behandelter ebenfalls höher: Schuricht: D16 Kommentar, S. 17. Für Leizig: Schreiber: Leipzig, S. 151.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
151
Konsultationsverhalten über einen Zeitraum von 1600 bis 2000 nachgeht, konstatierte ein Überwiegen der weiblichen Klientel bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In den folgenden Jahrzehnten wurde eine eher männlich geprägte Patientenschaft festgestellt, bevor ab etwa 1870 wiederum Frauen durchgehend die Mehrheit der Behandelten stellten.15 Den wechselnden Tendenzen entspricht die geschlechtsspezifische Zusammensetzung der Klientel Bönninghausens damit nicht, indem hier durchweg Frauen den größeren Anteil für sich verbuchten. Für die Praxen des kanadischen Arztes Langstaff und des belgischen Homöopathen van den Berghe ist gleichfalls ein Dominieren der weiblichen Patienten nachgewiesen worden.16 Gleiches gilt für die Klientel des Tiroler Arztes Ottenthal sowie eines Pariser Therapeuten, der zwischen 1926 und 1948 praktizierte.17 Heutzutage ist der Anteil der Frauen in „allopathischen“ und in homöopathischen oder naturheilkundlichen Praxen noch höher und liegt bei etwa 63 %.18 Spannend ist nicht nur die Frage nach dem Anteil beider Geschlechter an der Gesamtpatientenschaft, sondern auch nach dem Vergleich mit dem jeweiligen Anteil der Männer und Frauen an der Bevölkerung eines bestimmten Gebietes. Erst so kann deutlich werden, ob Frauen überdurchschnittlich häufig einen Arzt konsultierten oder ob das Überwiegen der weiblichen Patienten durch die demographische Grundgesamtheit erklärt werden kann. Im vorliegenden Fall kann für einen Teil der Patienten dieser Frage nachgegangen werden. Berücksichtigt man nur die Klientel Bönninghausens aus Münster, kann man ein Überwiegen der weiblichen Patientenschaft feststellen. Münster war aber in den untersuchten Jahren immer eine Stadt mit einem höheren Frauen-
Für Köthen: Mortsch: D22 Kommentar, S. 34, im Jahr 1830 Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 28. In den Jahren 1831/1832 war das Geschlechterverhältnis hingegen fast ausgewogen mit 48,9 % weiblicher und 48,1 % männlicher Kranker. Bei 3,0 % war das Geschlecht nicht festzustellen: Ehinger: D36 Kommentar, S. 20. Gleiches wird für die Praxis eines Stuttgarter Homöopathen in den Jahren 1884 bis 1886 berichtet: Held, Christa: Medizinisches Außenseitertum in der Frühzeit der naturwissenschaftlichen Medizin dargestellt an Leben und Werk von Prof. Dr. Georg Rapp (1818–1886), Frankfurt am Main 1999 (Med. Diss.), S. 82–83. Traditionell war der Männeranteil in den Praxen von Wundärzten höher: Jütte: Barber-Surgeon, S. 188. 15 Dinges: Immer schon, S. 304. Dies wird auch in einer aktuellen Studie belegt: Grobe, Thomas; Dörning, Hans; Schwartz, Friedrich: GEK-Report ambulant-ärztliche Versorgung 2008. Auswertung der GEK-Gesundheitsberichterstattung, St. Augustin 2008, S. 41. 16 Es handelt sich um die Zeiträume von 1849 bis 1889 und 1869 bis 1902, Duffin: Langstaff, S. 124 und Baal: In Search, S. 55 und S. 116. 17 Oberhofer: Landarztpraxis, S. 182, Roilo: Historiae Morborum, S. 67 verweist aber darauf, dass Ottenthal ein Spezialist im Bereich der Frauenheilkunde war. Auch Faure: Clientèle, S. 194. 18 Schultheiß; Schriever: Warum, S. 35. Bei der Studie von Günther war der Anteil der weiblichen Patienten zwar geringer. Dennoch waren mehr Frauen in Behandlung. Günther: Patient, S. 121.
152
5 Die Klientel Bönninghausens
anteil innerhalb der Bevölkerung.19 Dies hängt mit der großen Anzahl weiblicher Dienstboten in den Haushalten zusammen.20 Trotz dieses Frauenüberschusses war der Anteil der Damen in Bönninghausens Praxis im Verhältnis noch immer höher. Daher lässt sich das Überwiegen der weiblichen Klientel nicht durch den höheren Anteil der weiblichen Münsteraner erklären. Frauen suchten Bönninghausen in der untersuchten Zeit tatsächlich häufiger auf. Ausnahme sind die Jahre zwischen 1829 und 1833, in denen die weiblichen Patienten in Bönninghausens Praxis 51,2 % ausmachten. Der Anteil der weiblichen Bevölkerung Münsters war in der Zeit leicht höher. Er betrug 51,8 %.21 Der Familienstand eines Patienten war nur in wenigen Fällen explizit angegeben. Ausnahmen sind Frauen, bei denen Bönninghausen gelegentlich ein „nupta“ notierte, um damit deutlich zu machen, dass sie verheiratet seien, oder ein „innupta“, um den ledigen Status zu beschreiben.22 Natürlich war auch bei einer Bezeichnung der Patientin als „Witwe“ der Zivilstand ersichtlich. In der überwiegenden Mehrheit der 45 % der Kranken, für die dennoch eine Zuordnung getroffen werden konnte, wurde der Familienstand erschlossen.23 Dies bezieht sich zum einen auf Kinder, bei denen bis zu einem Alter von 18 Jahren angenommen wurde, dass sie noch nicht verheiratet waren.24 Zum anderen waren bisweilen Ehepaare gemeinsam in Behandlung oder aus manchen Konsultationsverläufen ergab sich ein Hinweis darauf, ob der Patient allein stehend oder verheiratet war. In dieser Hinsicht waren aber die Recherchen in den Archiven der Stadt Münster ergiebig.25
19 Teuteberg: Materialien, S. 34–35. Nach eigenen Berechnungen betrug der durchschnittliche Anteil der weiblichen Bevölkerung Münsters an der Bevölkerung insgesamt: 1829/33 51,8 %, 1839/43 52,8 %, 1849/53 52,2 % und 1859/63 52,0 %, Walter: Beamtenschaft, S. 41 und S. 255. Es wohnten 2.480 Kranke direkt in der Stadt Münster, davon waren 1.055 Männer, 1.366 Frauen und bei 59 war das Geschlecht unbekannt. Der Anteil der weiblichen Patienten aus Münster war in den Jahren 1829/33 51,2 %, 1839/43 57,4 %, 1849/53 53,1 %, und 1859/63 56,5 %. 20 Krabbe: Wirtschafts- und Sozialstruktur, S. 202. 21 Teuteberg: Materialien und die Fußnote 19 angestellten Berechnungen. 22 „Nupta“ findet sich in dem Feld „Bezeichnung“ bei 499 Patienten. Allerdings bezieht diese Angabe sich in einigen Fällen auch auf eine Heirat nach der ersten Konsultation. Hier wurde für die Auswertung aber der Status zum Zeitpunkt der Erstkonsultation verwendet. „Innupta“ erscheint bei 347 Kranken. Es wurde von pauschalen Gleichsetzungen, wie „Frau“ mit „Ehefrau“, abgesehen. Ein solches Vorgehen bei Balster: Kortum, S. 91. Auch auf die Gefahr hin, dass so nicht alle Interpretationsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden, wurde hier ein „unbekannt“ bei Familienstand vorgezogen. 23 Für die Gesamtheit aller Patienten konnte in 45,3 % der Fälle der Familienstand festgestellt werden. In Sample 1, lag der Anteil bei 32,6 %. In Sample 2 und 3 dagegen bei 39,8 % beziehungsweise 47,8 % und in Sample 4 sogar bei 53,2 %. Diese Steigerung ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass für die Münsteraner Bevölkerung nähere Informationen recherchiert werden konnten. Zu den Angaben Tabelle 5 im Anhang. 24 Mit der Bezeichnung „Kind“ bei Eigenberuf sind 4.077 Patienten erfasst. Das Heiratsalter der Münsteraner lag im 19. Jahrhundert bei etwa 29 Jahren, so dass diese Grenze noch höher hätte gesetzt werden können. Walter: Beamtenschaft, S. 40. 25 Vor diesen Recherchen war für nur 39 % der Patienten der Familienstand zu ermitteln.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
153
Etwa 34 % der Patienten Bönninghausens waren ledig, 10 % verheiratet und knapp 1 % verwitwet.26 Interessant ist zudem, dass unter den Kranken zwei geschiedene Frauen waren.27 Die näheren Umstände dieser Scheidungen sind zwar nicht bekannt, allerdings wird bei der einen Patientin deutlich, dass sie nach dem Ereignis unter großen psychischen Problemen litt. Die 43-Jährige hatte „seit 14 Tagen Geistesverwirrung mit Angst und Furcht, nach Ärger“, außerdem plagten sie „Gewissensangst und Vorwürfe“. Bönninghausen konnte nach seinen eigenen Angaben die Beschwerden zumindest ein wenig bessern.28 Soweit bei den Auswertungen von Hahnemanns Patientenschaft überhaupt auf den Familienstand eingegangen werden konnte, zeigte sich in der Anfangszeit seiner Praxis, dass der Anteil der Verheirateten deutlich höher war als derjenige der Ledigen.29 Ähnlich war die Zusammensetzung der Patientenschaft des Bochumer Arztes Kortum, der ebenfalls mehr verheiratete Kranke behandelte.30 Bei Bönninghausen war hingegen der Anteil der Ledigen in der Praxis über die ganze Zeit hinweg am höchsten.31 Dies könnte zum einen mit der Erschließung des Familienstandes zusammenhängen, da in Bönninghausens Praxis relativ viele Kinder waren und diese als ledig eingestuft wurden, während bei Erwachsenen eine Ehe nicht festgestellt werden konnte. Aber es ist bekannt, dass Münster eine Stadt mit einer sehr hohen Ledigenquote war.32 Gleiches galt für den Bereich des Regierungsbezirks Münster, wo bis in die 1870er Jahre hinein die Heiratsziffer niedriger lag als im preußischen Staat insgesamt.33 Dies ist durch die gesellschaftliche Struktur der Stadt zu erklären, in der viele Personen relativ spät oder nie heirateten. Hierzu zählen Soldaten, Studenten und Dienstboten. Ordens- und Weltklerus hatten
26 Die absoluten Angaben sind Tabelle 5 im Anhang zu entnehmen. Von 7.797 Patienten war kein Familienstand zu ermitteln, dies entspricht 54,7 %. 27 Bei dem Arzt Kortum wurde kein geschiedener Patient behandelt. Balster: Kortum, S. 91. Bei van den Berghe sind drei getrennt lebende Patienten bekannt. Baal: In Search, S. 118. 28 IGM P 50 Fol. 1. Die vollständige Anamnese lautet: „Seit 14 Tagen Geistesverwirrung mit Angst und Furcht, nach Ärger, erst mit Erscheinungen von Mäusen, nun Argwohn, daß Hunde, Katzen &c Hexen wären, gegen 4–5 Uhr am schlimmsten, mit Gesichtsröthe und stirrem Blicke. – (hat sich von ihrem Manne scheiden lassen.) – Gewissenangst und Vorwürfe. – Argwohn gegen alle Menschen. – Menschenscheu. – Schütteln mit dem Kopfe.“ 29 Vogl: Landpraxis, S. 169 und S. 176. In den Journalen D2-D4 konnte für 42 % aller Patienten der Zivilstand festgestellt werden. Auch Jütte: Patientenschaft, S. 31. In der letzten Zeit in Leipzig und dem Anfang in Köthen überwog ebenfalls der Anteil verheirateter Patienten. Mortsch: D22 Kommentar, S. 74–75. 30 Balster: Kortum, S. 107. Gleiches galt für die Praxis van den Berghes: Baal: In Search, S. 118. 31 Siehe Schaubild 4. 32 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 334–343 und S. 348. Teuteberg: Materialien, S. 37–38. In Münster waren beispielsweise 1831 nur 27,43 % der Einwohner verheiratet, 1861 sogar nur 25,51 %. 33 Köllmann: Bevölkerung, S. 217–218.
154
5 Die Klientel Bönninghausens
außerdem das Zölibat abgelegt.34 Die agrarische Bevölkerungsweise des Regierungsbezirks Münster machte ferner für nicht erbende Kinder eine Familiengründung nahezu unmöglich.35
Schaubild 4: Prozentualer Anteil der Angaben zum Familienstand (bezüglich der Patienten eines Samples).
Der Familienstand konnte vor allem bei Frauen ermittelt werden.36 Während bei rund 40 % der Männer angegeben werden konnte, ob sie ledig, verheiratet oder verwitwet waren, betrug der Anteil bei den Frauen 53,5 %.37 Der Anteil lediger Patientinnen war gegenüber den ledigen Männern leicht höher.38 Allerdings waren mehr als doppelt so viele Frauen, die Bönninghausen aufsuchten, verheiratet als Männer. Gleichfalls waren unter den Patienten mehr verwitwete Frauen als Männer.39
34 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 339–340. 35 Köllmann: Bevölkerung, S. 217. Zu diesen Ausführungen auch Kapitel 3.3.1. 36 Gleiches stellte Balster: Kortum, S. 107 fest, ebenso Held: Außenseitertum, S. 83, Baal: In Search, S. 117. 37 Für den Familienstand der Männer Tabelle 6 und der Frauen Tabelle 7, Tabelle 8 nennt die Angaben für die Patienten unbekannten Geschlechts. Alle Tabellen im Anhang. Allerdings nimmt für die Männer der Anteil der Kranken, bei denen kein Familienstand angegeben werden konnte zwischen den einzelnen Samples zu, während bei den Frauen bis 1864 immer häufiger der Familienstand ermittelt werden konnte. 38 Der Anteil lediger Frauen beträgt 36,5 %, der lediger Männer 33,3 %. 39 Von den weiblichen Patienten waren 15,6 % verheiratet, von den männlichen dagegen nur 6,3 %. Hierzu Schaubild 5 sowie die Tabellen 6 und 7 im Anhang. Auch in der Praxis Kortums war der Anteil verheirateter Patientinnen höher. Balster: Kortum, S. 107.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
155
Schaubild 5: Familienstand weiblicher und männlicher Patienten (prozentualer Anteil von den Patienten des jeweiligen Geschlechts insgesamt).
Was die niederländische Patientenschaft Bönninghausens angeht, ergab sich erneut ein deutlicher Unterschied. Von den Kranken war die überwiegende Mehrheit verheiratet oder verwitwet. Es zeigt sich, ähnlich wie dies für die Patientenschaft allgemein festgestellt wurde, dass Frauen eher verheiratet waren als Männer. Es gab nur vier ledige Frauen, die Bönninghausen aus Rotterdam konsultierten, doch waren bei allen auch andere Familienangehörige in der Behandlung des Homöopathen. Demgegenüber baten mehr ledige Männer den Freiherrn um Rat, wobei hier nur selten verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Kranken bestanden.40 Auch für die Patienten des belgischen Homöopathen konnte eher für Frauen der Familienstand ermittelt werden. Die Mehrheit der weiblichen Kranken war zum Zeitpunkt ihrer Erstkonsultation aber ebenso verheiratet.41 Insofern wäre es hilfreich zu wissen, ob beispielsweise die übrigen Ärzte in Münster eher ledige Kranke behandelten und dies somit auf die besondere Sozialstruktur der Stadt und ihrer Umgebung zurückzuführen ist. Das Überwiegen der weiblichen Patienten ist ebenfalls in anderen Arztpraxen anzutreffen. Dort zeigte sich auch, dass mehr verheiratete Frauen als in Ehe lebende Männer den Rat eines Arztes suchten.
40 Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests, S. 176. 41 Baal: In Search, S. 118.
156
5 Die Klientel Bönninghausens
5.1.2 Alter Homöopathische Praxen heute werden verstärkt von erwachsenen Patienten mittleren Alters aufgesucht.42 Andererseits wurde in der Forschung lange vermutet, dass Säuglinge und sehr alte Menschen zu den „Verlieren“ der medikalen Kultur gehören würden, da für sie weniger medizinische Hilfe in Anspruch genommen wurde.43 Für die Praxis von Clemens von Bönninghausen zeigt die altersspezifische Analyse seiner Patientenschaft ein interessantes Bild. Es ist festzustellen, dass Kranke jeden Alters seinen Rat suchten. Dabei behandelte der Freiherr wenige Tage alte Kinder genauso wie einen 97 Jahre alten Patienten.44 Die Gruppe der Kranken, die zwischen 21 und 25 Jahre alt waren, stellte rund 12 % der Patienten. Als weitere große Gruppen folgten die der Kleinkinder bis zu fünf Jahren mit 11 % und die der Erwachsenen zwischen 26 und 30 Jahren mit 11,1 %.45 Es ist zu beobachten, dass in den Jahren zwischen 1829 und 1833 der Anteil der jüngsten Patienten am höchsten war. Dies kann mit Verzerrungen im Zusammenhang mit der Datengrundlage erklärt werden. Bei den Kalendernotizen fehlen Altersangaben in der überwiegenden Mehrheit der Fälle.46 Gerade bei Frauen, die aus höheren gesellschaftlichen Schichten stammten, notierte Bönninghausen das Alter nur sehr selten. Das „Fehlen“ der Patienten in den höheren Altersklassen ist darum auf die nicht zur Verfügung stehenden Angaben zurückzuführen. Bemerkenswert ist, dass der Anteil der jüngsten Patienten in der Zeit bis 1864 kontinuierlich anstieg. Lag er in den Jahren zwischen 1839 bis 1843 bereits bei knapp 10 % erhöhte er sich bis in die Spätzeit auf annähernd 13 %.47 Demgegenüber ist für die Altersgruppen ab 16 Jahren ein leichter Rückgang festzustellen.48 Während Bönninghausen in diesen Kreisen Patienten verlor, begaben sich in der Altersklasse ab 26 eher neue Betroffene in seine Hände. Daher weist in den Jahren zwischen 1859 und 1864 die Gruppe der zwischen
42 Schultheiß; Schriever: Warum, S. 35. 43 Loetz: Vom Kranken, S. 135, Stolberg: Patientenschaft, S. 19, Dinges: Arztpraxen, S. 50. 44 Beispielsweise therapierte Bönninghausen seinen Sohn August, als dieser gerade einen Tag alt war. Der 97-jährige Patient ist der älteste, der in der Datenbank erschien: IGM P 79 Fol. 119. Von 13.313 Patienten waren Altersangaben vorhanden, dies entspricht 93,3 % aller Kranken. Hahnemann notierte das Alter seiner Patienten seltener. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 38. Bei 54,7 % ist das Alter nicht bekannt. 45 Die Zahlen in Tabelle 9 im Anhang. Graphische Darstellung Schaubild 6. 46 Bei Sample 1 ist für knapp 75 % kein Alter bekannt, in allen übrigen Gruppen liegt der Anteil unter 1 %. 47 Die Altersklasse „0–5“ Jahren stellte in S 1: 4,3 %, in S 2: 9,9 %, in S 3: 12,2 % und in S 4: 12,9 %. 48 Für die Altersklasse „16–20“ ging der prozentuale Anteil von 12,4 % in S 2 auf nur noch 8,8 % in S 4 zurück. In der darauf folgenden Gruppe „21–25“ von 13,8 % in S 2 auf 12,1 % in S 4.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
157
26 und 30 Jahre alten Patienten, hinter den Kindern, den größten Anteil auf.49 Im direkten Vergleich mit den Jahren von 1849 bis 1853 war in der Spätzeit der Praxis auch der Anteil der älteren Patienten ab 51 Jahren höher.50
Schaubild 6: Prozentualer Anteil der Patienten der einzelnen Altersklassen (bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten eines Samples).
Im Gegensatz zu Hahnemann hat Bönninghausen daher von Beginn an Kinder in höherem Maß behandelt.51 In der Praxis des Homöopathiebegründers ist ein großer Anteil der Kleinkinder unter fünf erst in späteren Jahren nachgewiesen.52 Natürlich behandelte Samuel Hahnemann immer Patienten jeden
49 Die Gruppe „26–30“ legte von 11,3 % in S 2 auf 12,5 % in S 4 zu. Die Gruppe „0–5“ nahm in S 4 jedoch 12,9 % ein. Die Gruppe legte „31–35“ im selben Zeitraum von 8,7 % auf 9,9 % zu. 50 Hierzu Schaubild 6. 51 Weiteres zu Kindern als Patienten in Kapitel 5.3. Eine Übersicht zum Alter in Dekaden in Schaubild 7. Bei den Untersuchungen zu den Journalen Hahnemanns handelt es sich außerdem meist um ein Journal, das nur einen kurzen Zeitraum abdeckt. Daher sind größere Schwankungen in den Anteilen möglich. 52 Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 152–153, Ehinger: D36 Kommentar, S. 21, Papsch: D38 Kommentar, S. 40. Mortsch belegt für die Köthener Zeit im Vergleich zu der Praxis in Leipzig eine Zunahme von jüngeren Patienten: Mortsch, Markus: Die frühe Köthener Patientenschaft Samuel Hahnemanns. In: Hahnemann-Lutze-Verein e.V. Köthen/Anhalt (Hrsg.): Homöopathie in Köthen. 2. Köthener Homöopathietage Ratke-Institut Köthen 4.7. bis 6.7.1997, Köthen 1997, S. 28, Mortsch: D22 Kommentar, S. 37–39. Genneper: Patient, S. 23 spricht von einem relativ hohen Anteil der bis zu Zehnjährigen in den Jahren 1815/16, nennt aber keine Angaben.
158
5 Die Klientel Bönninghausens
Alters. Doch überwogen in seiner Klientel noch mehr Erwachsene.53 Während in der Praxis des Tiroler Landarztes Ottenthal ebenfalls der Anteil der älteren erwachsenen Patienten überwog, behandelte der Bochumer Bergarzt Kortum verstärkt Kranke, die jünger als 30 Jahre alt waren. Der Anteil von Kindern in der Praxis van den Berghes betrug hingegen 16 %.54
Schaubild 7: Prozentualer Anteil der Patienten einzelner Altersklassen in Dekaden (bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten eines Samples).
Aufschlussreich ist außerdem, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede sich in den einzelnen Altersklassen zeigen. Eindrücklich ist, dass bei den männlichen Kranken immer die Gruppe der Säuglinge und Kleinkinder bis fünf Jahre den größten Anteil stellte.55 Knapp 14 % aller männlichen Patienten waren dieser Gruppe zuzuordnen, während der Prozentsatz bei den Mädchen nur etwa 10 % betrug.56 Die hohe Morbidität- und Mortalitätsrate männlicher 53 Jütte: Patientenschaft, S. 31–33, Schuricht: D16 Kommentar, S. 17. Ein Vergleich der Altersstrukturen ist aufgrund der unterschiedlich zusammengefassten Altersgruppen nicht immer leicht. In der Frühzeit der Praxis war zumindest die Gruppe der 26- bis 30-Jährigen bei Hahnemann die größte Gruppe. Ihr ließen sich 10,6 % der Patienten zuordnen, womit der Anteil aber geringer ist wie bei Bönninghausen. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 39. In Leipzig waren, ähnlich wie bei Bönninghausen, die meisten Patienten zwischen 21 und 25 Jahre alt (14,5 %). Es folgte die Gruppe der 26- bis 30-Jährigen (12,5 %). Kinder zwischen null und fünf Jahren waren mit 9,8 % vertreten. Größer waren dabei die Anteile der 31 bis 40 Jahre alten Kranken (10,6 % und 10,7 %). Schreiber: Leipzig, S. 153. Ein Überwiegen der erwachsenen Patienten auch bei: Stolberg: Patientenschaft, S. 19. 54 Oberhofer: Landarztpraxis, S. 186, Balster: Kortum, S. 103, Baal: In Search, S. 48. 55 Tabellen 10 bis 12 im Anhang. Die Prozentzahlen: S 1: 7,4 %; S 2: 13,5 %; S 3: 15,2 % und S 4: 14,1 %. 56 Hierzu Schaubild 8.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
159
Säuglinge und Kleinkinder wurde in verschiedenen Zusammenhängen belegt.57 Während die Altersklasse der sechs- bis zehnjährigen Kinder annähernd gleich von Jungen und Mädchen besetzt wurde, überwog das weibliche Geschlecht bei den Kranken zwischen elf und 25 Jahren. In der Gruppe der 26bis 30-Jährigen waren Männer und Frauen mit 11 % wieder fast gleich stark vertreten. Dann aber überwog der Anteil männlicher Patienten.58
Schaubild 8: Geschlechtsspezifische Altersverteilung im Vergleich (prozentualer Anteil an Patienten des entsprechenden Geschlechts insgesamt).
Für die Patientenschaft Hahnemanns ist kaum eine geschlechtsspezifische Untersuchung der Altersverteilung vorgenommen worden. Für 1821 wurde, ganz ähnlich wie bei der Klientel Bönninghausens, ein Überwiegen der weiblichen Jugendlichen zwischen zehn und 24 Jahren und für 30- bis 34-jährige Frauen festgestellt. In einem Alter von 35 bis 44 Jahren überwog der Anteil männlicher Kranker. In den höheren Klassen war das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Während bei den Fünf- bis Neunjährigen etwas mehr Knaben vertreten waren, scheint Hahnemann in dieser Zeit mehr Mädchen bis zu vier Jah57 Papsch: D36 Kommentar, S. 41, Ohler: Pfarrbücher, S. 137, Baschin: Untersuchung, S. 46, Imhof, Arthur: Die gewonnenen Jahre. Von der Zunahme unserer Lebensspanne seit dreihundert Jahren oder von der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben, München 1981, S. 80, Unterkircher, Alois: Ein ungleicher Start ins Leben? Morbidität und Mortalität von männlichen und weiblichen Säuglingen um 1860 in den Krankenjournalen des Südtiroler Landarztes Franz von Ottenthal. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 – ca. 2000, Stuttgart 2007 (MedGG Beiheft 27), S. 53–72. 58 Die Darstellung in Schaubild 8. In der Gruppe „26–30“ betrug der Prozentsatz 11,3 % bei den Frauen und 11,1 % bei den Männern.
160
5 Die Klientel Bönninghausens
ren behandelt zu haben.59 In der Praxis des Bochumer Arztes waren männliche Patienten in den Klassen von null bis zehn Jahren sowie 21 bis 30 Jahren gleich stark vertreten. Der Anteil von Mädchen lag demgegenüber deutlich darunter. Jedoch waren die Anteile der Frauen ab 31 Jahren jeweils höher als die der Männer.60 Für die Gesamtpatientenschaft des belgischen Homöopathen van den Berghe lassen sich dagegen keine starken geschlechtsspezifischen Unterschiede in Bezug auf das Alter feststellen. Mädchen zwischen null und zehn Jahren waren aber auch hier in einer leichten Überzahl, während ältere Frauen geringfügig weniger vertreten waren.61 Betrachtet man die Altersentwicklung der männlichen Patienten über die untersuchte Praxiszeit Bönninghausens hinweg, fallen neben der immer am stärksten besetzten Gruppe der Säuglinge und Kleinkinder weitere Punkte ins Auge.62
Schaubild 9: Alter der männlichen Patienten in prozentualen Angaben (bezogen auf die männlichen Patienten eines Samples). 59 Mortsch: D22 Kommentar, S. 34–35. Dies trifft auf die Patientenschaft in Leipzig und Köthen zu. Mortsch: Patientenschaft, S. 27–28. 60 Balster: Kortum, S. 102–103. Die prozentualen Angaben beruhen auf eigener Rechnung nach den von Balster genannten Zahlen. „0–10“: 85 (17,1 %) männlich, 75 (11,3 %) weiblich, „11–20“: 76 (15,3 %) männlich, 94 (14,1 %) weiblich, „21–30“: 85 (17,1 %) männlich, 98 (14,7 %) weiblich, „31–40“: 29 (5,8 %) männlich, 64 (9,6 %) weiblich, „41–50“: 15 (3,0 %) männlich, 56 (8,4 %) weiblich, „51–60“: 17 (3,4 %) männlich, 45 (6,8 %) weiblich, „61–70“: acht (1,6 %) männlich, 21 (3,2 %) weiblich, „71–80“: vier (0,8 %) männlich, zwölf (1,8 %) weiblich, „81–90“: einer (0,2 %) männlich, keine Altersangabe bei 176 (35,5 %) Männern und 201 (30,2 %) Frauen, insgesamt 496 männliche und 666 weibliche Patienten. Ebenso bei Ottenthal: Oberhofer: Landarztpraxis, S. 187. 61 Baal: In Search, S. 53–54, aber ohne Schaubild oder nähere Zahlenangaben. 62 Dazu Schaubild 9.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
161
Während für die Gesamtpatientenschaft die Gruppe der 21- bis 25-Jährigen am größten war, waren – nach den bis zu fünf Jahre alten Kranken – am häufigsten Männer zwischen 26 und 30 Jahren bei Bönninghausen in der Behandlung. Und in den Zeiträumen zwischen 1839 und 1843 sowie 1849 und 1859 war der Anteil der männlichen Kinder und Jugendlichen von sechs bis 25 Jahren größer als in der Spätzeit der Praxis. Dafür legten die höheren Altersklassen in der Zeit ab 1859 deutlich zu. Offensichtlich wagten in den Jahren um 1860 verstärkt ältere Männer eine homöopathische Therapie. Beispielsweise erhöhte sich der Anteil der zwischen 61 und 65 Jahre alten Männer von 1849 bis 1853 bis in die Jahre von 1859 bis 1863 auf das Doppelte.63 Für die Patientinnen gilt, dass im Vergleich mit den übrigen Altersgruppen immer die Klasse der 21- bis 25-Jährigen am stärksten besetzt war.64 Allgemein spitzt sich die altersspezifische Verteilung der weiblichen Kranken viel stärker auf diese Klasse zu und die durch die Zahlen beschriebenen Kurven sind wesentlich steiler als die der männlichen Kranken beziehungsweise fallen mit zunehmendem Alter sehr viel stärker ab. Doch lässt sich auch bei den jungen Frauen feststellen, dass im Vergleich zu der Zeit zwischen 1839 und 1843 mit den letzten Jahren, der Anteil in den Altersklassen von 16 bis 25 Jahren rückläufig war. Dagegen besuchten ab 1859 eher Frauen ab 26 die Praxis des Freiherrn.
Schaubild 10: Alter der Patientinnen in prozentualen Angaben (bezogen auf die Patientinnen eines Samples).
63 Der Anteil der Klasse „61–65“ betrug in S 3: 1,6 % und in S 4: 3,3 %. 64 Die Darstellung in Schaubild 10.
162
5 Die Klientel Bönninghausens
Insofern zeigte die Untersuchung der Altersstruktur von Bönninghausens Patientenschaft ein für eine homöopathische Praxis des 19. Jahrhunderts übliches Bild, indem besonders Erwachsene zwischen 21 und 30 Jahren seinen Rat suchten. Im Vergleich ist aber der durchgehend hohe und sogar steigende Anteil jüngster Patienten bemerkenswert. Die geschlechtsspezifische Untersuchung bestätigt eine höhere Morbidität der Knaben bis zu einem Alter von fünf Jahren, während weibliche Jugendliche stärker vertreten waren. In den höheren Altersklassen waren demgegenüber mehr Männer bei dem Freiherrn in Behandlung. Aber nur für wenige andere Praxen sind die Daten derart ausgewertet worden, so dass kaum ein Vergleich gezogen werden kann. 5.1.3 Schicht und Berufsfeld Von Samuel Hahnemann ist bekannt, dass er in Einzelfällen Patienten kostenlos behandelte, weil sie zu arm waren, um sich eine medizinische Versorgung leisten zu können.65 Eine solche Tätigkeit ist von Bönninghausen nicht überliefert. Die Kranken, die aus den benachbarten Niederlanden zu ihm in die Behandlung kamen, waren überwiegend wohlhabend. Die meisten gehörten der Mittel- und Oberschicht an.66 Die ausländische Klientel muss jedoch kein Spiegelbild für die Gesamtpatientenschaft des Homöopathen sein. Aus der Frühzeit von Bönninghausens Praxis weiß man, dass sich unter den Patienten für die Gegend um Münster so bekannte Namen wie von Droste-Hülshoff, von Galen, von Ketteler, von Haxthausen oder von Bodelschwingh befanden.67 Es handelt sich um Angehörige des westfälischen Adels, zu denen Bönninghausen durch seinen eigenen Titel und durch seine Stellung als Beamter Kontakte und Freundschaften pflegte.68 Es war nicht leicht, für die Mehrheit der Patienten eine soziale Stellung zu ermitteln. Entgegen seiner eigenen Vorgabe, notierte Bönninghausen nur bei knapp 20 % aller Patienten einen Beruf.69 Weitere Recherchen ermöglichten es, für etwa 31 % der in der Datenbank erfassten Kranken eine Zuordnung zu einer Schicht oder Branche durchzuführen.70 In der Geschichtswissenschaft wurde die Verwendung von Berufsbezeichnungen für die Ermittlung des sozialen Status immer wieder kritisch hinter65 Jütte, Robert: And [the money] accumulates, without annoyance on the part of the patient, in the doctor’s purse’. Samuel Hahnemann and the Question of Fees. In: Dinges: Patients, S. 46, Papsch: D38 Kommentar, S. 38–39. 66 Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquest, S. 173–174. 67 Kottwitz: Leben, S. 62 sowie die Praxisaufzeichnungen aus den Jahren 1829–1833. 68 Kottwitz: Leben, S. 62. Allgemein zur Entwicklung des Adels: Reif: Westfälischer Adel. 69 Nach einem ersten Durchgang aller Patienten nach Abschluss der Transkriptionsarbeiten konnte eine Schicht- oder Branchenzuordnung für 19,6 % vorgenommen werden. 70 Zu den entsprechenden Vorgehen Kapitel 2. Bei Hahnemann schwankte der Anteil der Kranken, die in den einzelnen Journalen einer sozialen Schicht zugeordnet werden konnten. Für die ersten Journale ist bei etwa 30 % der Patienten eine soziale Zuordnung möglich. Vogl: Landpraxis, S. 169.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
163
fragt. Auch bei der vorliegenden Untersuchung konnte man nicht entscheiden, ob ein Kaufmann ein florierendes Geschäft betrieb oder ein armer Kleinhändler war.71 Allerdings bietet die Berufsangabe die einzige Möglichkeit, überhaupt eine gewisse hierarchische soziale Struktur der Patienten zu erstellen. Im Folgenden wurde daher eine grobe Unterteilung in Ober-, Mittel- und Unterschicht gemacht und zusätzlich die Branche berücksichtigt, in der die entsprechende Person oder ihre männliche Bezugsperson beschäftigt war.72 Die Einordnung der einzelnen genannten Berufe orientierte sich an bereits erarbeiteten Modellen.73 Es wurden neun Branchen unterschieden.74 Die Gesamtübersicht zeigt, dass „nur“ 3,6 % aller Patienten Bönninghausens der Oberschicht zugerechnet werden können. Kranke aus der Mittelschicht stellen 8 % aller Betroffenen, während Angehörige der Unterschicht mit 19,1 % die größte Gruppe sind. Ein Arzt der Oberschicht, wie dies der erste Eindruck aus den Journalen meinen lassen kann, war Bönninghausen also nicht. Stattdessen haben eher „ärmere“ Kranke die Hilfe des Homöopathen in Anspruch genommen.75 Die Sozialstruktur der Patienten widerspricht jedoch nicht der für Münster und die Umgebung überlieferten gesellschaftlichen Schichtung der Bevölkerung. Dieser zufolge war die Mehrheit der Menschen der Unterschicht zuzurechnen.76 Betrachtet man den zeitlichen Verlauf der Praxis, so muss man aber feststellen, dass der Schein der ersten Journale nicht nur trügt. Tatsächlich waren Angehörige der Oberschicht zwischen 1829 und 1833 viel stärker vertreten als Personen aus der Unterschicht. Wohl ist bei Adeligen, als einem großen Teil der Oberschicht, durch den Titel eine entsprechende Zuordnung leichter. Der Anteil von 18,8 % kann aber nicht allein auf eine Verzerrung in der Daten71 Schraut: Sozialer Wandel, S. 345–361, Vogl: Landpraxis, S. 160, Ellermeyer: Schichtung. 72 Zu dem Begriff „männliche Bezugsperson“ Becker: Leben, Lieben, Sterben, S. 33, Thümmler: Rekonstruktion, S. 69, Balster: Kortum, S. 92. 73 Die Schichtzuordnung erfolgte nach der Orientierung an Hippel, Wolfgang von; Mocker, Ute; Schraut, Sylvia: Wohnen im Zeitalter der Industrialisierung. Esslingen am Neckar 1800–1914. In: Esslinger Studien 26 (1987), S. 61–62. Die Klassifizierung der Berufsangaben orientierte sich in erster Linie an Vogl: Landpraxis, S. 171, wobei vor allem eine Trennung von Handel und Gewerbe vorgenommen wurde und die einzelnen Gruppen zum Teil umbenannt wurden in Anlehnung an: Schraut: Sozialer Wandel, S. 350. 74 Dies sind: Landwirtschaft (3), Persönliche Dienste (1), Handwerk und Industrie (2), Heimgewerbe (2), Handel/Transport/Verkehr (2), Soziale Dienste (5), Öffentliche Verwaltung (6), Militär (4) und Adel (7). In Klammern die Nummer, die diese Gruppen bei Vogl: Landpraxis, S. 171 haben, auch Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 42–44. Insbesondere die Trennung von Gruppe zwei war bei der Klientel Bönninghausens empfehlenswert. Gleiches für die Klientel Hahnemanns Papsch: D38 Kommentar, S. 36 und Mortsch: Patientenschaft, S. 29, Mortsch: D22 Kommentar, S. 47. 75 Die absoluten Angaben in Tabelle 13 im Anhang. Der Anteil der Unterschicht in Bönninghausens Klientel ist damit größer als in derjenigen Hahnemanns: Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 44, Schreiber: Leipzig, S. 158, Mortsch: D22 Kommentar, S. 58. 76 Ausführlicher dazu Kapitel 3.3.1. Für die Stadt Münster: Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 79, für die Provinz und den Regierungsbezirk auch Wischermann: Schwelle, S. 113.
164
5 Die Klientel Bönninghausens
grundlage zurückgeführt werden. Mitglieder der Oberschicht waren in den folgenden untersuchten Zeiträumen nur noch mit bis zu 3 % in der Klientel Bönninghausens vertreten.77 Die Nennung eines Titels hätte auch bei späteren Neukonsultationen zu einer leichteren Feststellung der Schichtzugehörigkeit führen müssen und insofern die Oberschicht überrepräsentiert erscheinen lassen. Dies ist nicht der Fall. Während der Anteil der Kranken aus der Mittelschicht im Vergleich zu den Jahren 1829 bis 1833 zunächst leicht sank, nahm er bis zum Tod Bönninghausens wieder zu. Auffällig ist außerdem der stetige Anstieg von Patienten aus der Unterschicht.78 Doch spielte die zunehmende Möglichkeit, Kranke einer Schicht zuordnen zu können, eine entscheidende Rolle. Während im zweiten Sample für nur 17,8 % aller Betroffenen eine Angabe über deren sozialer Status gemacht werden konnte, war dies im vierten untersuchten Abschnitt für mehr als die Hälfte aller Kranken möglich.79 Angehörige der Unterschicht machten zwischen 1859 und 1864 39,8 % der Patienten aus, in der Anfangszeit der Praxis waren gerade einmal 5,5 % dieser Schicht zuzuordnen.
Schaubild 11: Prozentuale Angaben zur Schichtzugehörigkeit der Patienten (bezogen auf die Gesamtzahl der Kranken).
Es ist unmöglich anzugeben, wie viele dieser Menschen tatsächlich „arm“ waren. Nur bei vier Patienten kann man eine tatsächliche Armut belegen. Eine Kranke aus Glandorf konnte, als sie den Freiherrn wegen „rothe[r] Flecken auf dem Bauche und der Brust, welche brennen“ konsultierte, nicht sagen, welche 77 Darstellung in Schaubild 11. 78 Einen vergleichbaren Vorgang gab es auch in der Praxis van den Berghes. Baal: In Search, S. 120–126. 79 Dazu Tabelle 13 und die Linie „Gesamt“ in Schaubild 11.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
165
„allopathischen“ Mittel sie dagegen gebraucht hatte, weil sie, wie Bönninghausen es notierte, „arm doktert“. Bei einer 28-Jährigen aus Rotterdam schrieb der Homöopath in die Anamnese „Unvermögend!“.80 Ein Eisenbahnarbeiter wusste ebenfalls nicht, wie er von den namentlich genannten Ärzten behandelt worden war, weil die Eisenbahnkasse seine vorherige Therapie bezahlt hatte.81 Die Zuordnung zu einer Schicht oder Branche war eher für Männer möglich. Knapp 51 % der männlichen Patienten konnten durch ihren sozialen Status beschrieben werden, während dies nur auf ein Viertel aller Frauen zutraf.82 In den geschlechtsspezifischen Schichtzuordnungen spiegeln sich die zuvor beschriebenen Veränderungen wider. In der Zeit zwischen 1859 und 1864 waren sogar 55,7 % aller männlichen Behandelten Angehörige der Unterschicht. Da bei Frauen, nur für einen kleineren Teil der Patienten eine Schichtzuordnung möglich war, ist es sinnvoll, nicht nur den prozentualen Zusammenhang in Bezug zu den Kranken eines Geschlechts insgesamt zu sehen, sondern nur die Verteilung innerhalb derjenigen Betroffenen, von denen überhaupt eine Schichtzuordnung möglich war.83 In diesem Fall zeigt sich, dass sowohl bei den weiblichen als auch den männlichen Kranken im ersten Sample 52 % aus der Oberschicht stammten.84 In den folgenden untersuchten Jahresabschnitten wurde deutlich, dass prozentual mehr Frauen aus der Oberschicht zu Bönninghausen in die Behandlung gingen als Männer.85 Ebenso waren in der Unterschicht mehr weibliche Kranke vertreten.86 Männer waren hingegen in der Mittelschicht, mit Ausnahme des ersten Samples, immer stärker vertreten als
80 IGM P 76 Fol. 213. In den Unterstützungsgesuchen nach „freier Medizin“, sind keine Anträge für eine homöopathische Kur überliefert. Zumindest wurden diese bei einer Durchsicht nicht entdeckt. Siehe: StdAM Armen-Kommission Nr. 1833: Acta betreffend die Gesuche um Bewilligung freier Medizin, 1841–98. Die Patientin aus Rotterdam IGM P 87 Fol. 121, unvermögend war auch IGM P 107 Fol. 3. 81 IGM P 113 Fol. 310. 82 Tabellen 14 und 15 im Anhang. Für die Männer ist bei 50,9 % eine Zuordnung möglich, bei den Frauen nur für 25,2 %. Tabelle 16 im Anhang nennt die Angaben für die Kranken unbekannten Geschlechts. 83 Von den 14.266 Patienten waren 4.841 Männer und 7.312 Frauen. Für 2.461 Männer war eine Schichtzuordnung möglich und für 1.847 Frauen. 84 Sample 1 umfasst 1.185 Patienten mit 365 Männern und 630 Frauen, von 429 wurde die Schicht ermittelt. Dabei waren 230 Männer, von denen 119 der Oberschicht zugeordnet wurden und 196 Frauen, von denen 102 der Oberschicht angehörten. 85 Die Prozentangaben für den Anteil der Oberschichtangehörigen der weiblichen Patienten bezüglich der Frauen, die überhaupt in diesem Sample einer Schicht zugeordnet werden konnten und dieselben Angaben für die Männer sind: S 1: Männer: 51,7 %, Frauen: 52 %; S 2: Männer: 9,3 %, Frauen: 10,7 %; S 3: Männer: 10,4 %, Frauen: 16,7 %; S 4: Männer: 3,3 %, Frauen: 4,7 %; Insgesamt: Männer: 10,7 %, Frauen: 13,6 %. 86 Die Ausnahme ist S 3. Die Angaben für die Unterschicht nach den gleichen Prinzipien berechnet wie in der vorigen Fußnote: S 1: Männer: 13,0 %, Frauen: 17,9 %; S 2: Männer: 58,4 %, Frauen: 58,7 %; S 3: Männer: 55,8 %, Frauen: 52, 4 %; S 4: Männer: 74,2 %, Frauen: 79,0 %; Insgesamt: Männer: 61,1 %; Frauen: 62,4 %.
166
5 Die Klientel Bönninghausens
Frauen.87 War Bönninghausen also eher ein Arzt für wohlhabendere Damen? Zumindest zu Beginn seiner Praxis suchten verstärkt Frauen aus der Mittelund Oberschicht seine Praxis auf. Die differenziertere Untersuchung der einzelnen Berufsfelder, in denen die Betroffenen oder ihr Ehemann beziehungsweise Vater beschäftigt waren, gibt weitere Informationen. Die Patienten Bönninghausens arbeiteten besonders in den Bereichen der Landwirtschaft sowie im Handwerk und der Industrie. Knapp 7 % der Kranken waren Bauern, während 8,4 % ihr Geld mit handwerklicher Tätigkeit verdienten. Aus dem Bereich der „Persönlichen Dienste“ stammten 3,5 % der Betroffenen. Sie waren Magd, Knecht oder versuchten sich als Wirte. Weitere 3,2 % gingen einer Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung nach, während 3,1 % in Handel und Transport beschäftigt waren. Als Lehrer oder Geistliche arbeiteten rund 3 % im Bereich der sozialen Dienste. Der Adel stellte in der Gesamtpatientenschaft „nur“ 1,3 %, das Militär weitere 1,1 % der Kranken.88 In Bezug auf die Beschäftigungsstruktur der Stadt Münster, für deren Patienten doch die meisten Angaben vorliegen, entsprechen diese Angaben durchaus den Verhältnissen. Allenfalls Militärangehörige sind in der Praxis des Homöopathen unterrepräsentiert. Diese waren aber zumeist an die speziell für sie beschäftigten Militärärzte gebunden, so dass deren geringes Auftreten in der Praxis erklärbar ist.89 Im zeitlichen Verlauf zeigt sich deutlich, dass in der Anfangszeit der Praxis vor allem Angehörige des Adels sowie Mitglieder der öffentlichen Verwaltung und aus dem Bereich der sozialen Dienste einen Großteil der Patienten ausmachten. Handwerker und Militärpersonen sowie Beschäftigte aus dem Bereich der persönlichen Dienste waren weitere große Gruppen.90 In der Zeit zwischen 1829 und 1833 waren somit Angehörige der Oberschicht, besonders 87 Die Angaben für die Mittelschicht nach den gleichen Prinzipien berechnet wie in den vorigen Fußnoten: S 1: Männer: 35,2 %, Frauen: 30,1 %; S 2: Männer: 32,2 %, Frauen: 30,6 %; S 3: Männer: 33,9 %, Frauen: 31,0 %; S 4: Männer: 22,5 %, Frauen: 16,3 %; Insgesamt: Männer: 28,2 %, Frauen: 24,0 %. 88 Hierzu Tabelle 17 im Anhang. Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtheit aller Patienten. 89 Im Jahr 1849 waren 51 % der Stadtbevölkerung Unterschicht, dies wären Landwirtschaft und Persönliche Dienste. Handwerker waren 33,2 % der Bevölkerung, Kaufleute 5,9 %, Beamte machten 3 % und Geistliche 0,5 % der Bevölkerung aus. Die Militärbevölkerung nahm 11,3 % ein. Siehe Kapitel 3.3.1 und Behr: Vormärz und Reichsgründung, S. 79. Für den gesamten Regierungsbezirk wurden um 1850 noch immer 57,3 % der Landwirtschaft als primärem Sektor zugeordnet, Handel und Gewerbe im sekundären Sektor beschäftigte weitere 35,6 %, während im tertiären Bereich der Dienstleistung und Verwaltung 7,1 % tätig waren. Wischermann: Schwelle, S. 113. Für die Stadt Münster gibt es auch Gewerbetabellen: StdAM Stadtregistratur Statistische Sachen Fach 16 Nr. 9: Nachweis über die Bevölkerungsstruktur, Übersicht nach Erwerb und Beruf von 1819, 1840, 1848, 1858 und Nr. 4: Gewerbetabellen der Stadt Münster, Band 1, 1819–1843, Nr. 5: Gewerbetabellen der Stadt Münster, Band 2, 1846–1861. Hierzu Kapitel 3.1.1. 90 Hierzu Schaubild 12. Bezogen auf die Gesamtpatientenzahl waren Öffentliche Verwaltung 13,1 %, Adel 7,5 %, Soziale Dienste 6,1 % Persönliche Dienste und Militär je 2,6 % und Handwerk 2,7 %.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
167
aus dem öffentlichen Sektor und Adelige überproportional unter den Patienten vertreten. Demgegenüber waren keine Personen aus der Landwirtschaft vermerkt.91 In der Zeit, in der Bönninghausen nicht praktizieren durfte, gelang es ihm hingegen kaum, neue Patienten aus der öffentlichen Verwaltung, den sozialen Diensten oder dem Adel zu gewinnen. Der Anteil aller drei Berufsgruppen sank stark. Auch Militärangehörige konnten sich nicht mehr zu einer homöopathischen Kur entschließen. Dagegen rekrutierten sich die Neupatienten aus diesen Jahren vornehmlich im Bereich des Handwerks und der Landwirtschaft, während der Anteil der Personen aus dem Sektor der persönlichen Dienste gleich blieb. Bis in die Spätzeit der Praxis erhöhten sich die Anteile der Kranken aus den Bereichen des Handwerks und der Landwirtschaft. Aber auch Betroffene aus dem Handelsgewerbe waren zunehmend zu einer homöopathischen Kur bereit. Bis 1864 stieg der Anteil der Kranken aus dem Bereich der persönlichen und der sozialen Dienste wieder. Die beiden Gruppen, aus denen die frühe Patientenschaft des Homöopathen hauptsächlich bestanden hatte, Adel und Angehörige der öffentlichen Verwaltung, waren in den letzten Praxisjahren kaum noch unter den Neupatienten anzutreffen.92
Schaubild 12: Prozentuale Verteilung und Entwicklung der Angaben zu den Branchen (in Bezug auf die Gesamtheit aller Patienten).
91 Dies ist ein Problem der Datengrundlage. Generell war hier die Schichtzugehörigkeit nur schwer festzustellen, insofern dürfte es eine Verzerrung zu Ungunsten der unteren Schichten geben. 92 Tabelle 17 im Anhang und Schaubild 12. Der Anteil des Adels in der Praxis sank in S 4 auf 0,7 %, der der öffentlichen Verwaltung auf 3,2 %. Eine Verzerrung zu Gunsten des Adels ist kaum anzunehmen, da Angehörige dieser Gruppe durch ihren Titel leicht zu identifizieren sind.
168
5 Die Klientel Bönninghausens
Bei der Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede in Bezug auf die Branche ist mit einem Blick auf die absoluten Angaben ersichtlich, dass mehr Frauen dem Adelsstand zugehörig waren und sie im Bereich der persönlichen Dienste stärker vertreten waren.93 Die Überprüfung der prozentualen Anteile bezogen auf die Gesamtheit des entsprechenden Geschlechts, für die eine Schichtzuordnung möglich war, belegt, dass die weiblichen Patienten zu 13,9 % „persönlich dienend“ tätig waren. Doch ist bekannt, dass mehr Frauen als Mägde und Dienstbotinnen arbeiteten.94 Demgegenüber waren in diesem Feld nur 9,5 % aller Männer beschäftigt. Aber auch aus dem Sektor der Landwirtschaft kamen mehr weibliche Patienten zu Bönninghausen als männliche Kranke. Adelige Frauen stellten 5,7 % der Patientinnen, während 3,1 % der Männer einen Adelstitel führten.95 Männer hingegen überwogen in den Bereichen des Handwerks und der sozialen Dienste mit 29,5 % beziehungsweise 12,1 %. Ebenso waren sie eher in Handel und Transport beschäftigt. Für Militärangehörige war das Verhältnis, ähnlich wie im Bereich der öffentlichen Verwaltung, nahezu ausgeglichen.96 In der Klientel, die Clemens von Bönninghausen in seiner Praxis behandelte, zeigte sich im Hinblick auf deren sozialen Status kein „Aufstieg“. Vielmehr gelang es dem Freiherrn, im Gegensatz zu seinem Lehrer Hahnemann, nur in der Anfangsphase seiner Tätigkeit, Betroffene aus der Oberschicht, wie dem Adel und der öffentlichen Verwaltung für die neue Therapiemethode zu gewinnen.97 Dies lag sicherlich an seiner eigenen gesellschaftlichen Stellung 93 Tabelle 18 im Anhang. 94 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 339. 95 Auch in der Praxis des Arztes Kortum waren mehr weibliche Adelige vertreten. Balster: Kortum, S. 114. 96 Die prozentualen Geschlechtsanteile bezogen auf die Gesamtheit der Patienten des entsprechenden Geschlechts für die die Zuordnung zu einer Branche möglich war ist wie folgt: Landwirtschaft: Männer 20,1 %, Frauen 24,0 %; Persönliche Dienste: Männer 9,5 %, Frauen 13,9 %; Handwerk und Industrie: Männer 29,5 %, Frauen 24,7 %; Heimgewerbe: Männer 1,1 %, Frauen 0,6 %; Handel/Transport/Verkehr: Männer 10,6 %, Frauen 9,3 %; Soziale Dienste: Männer 12,1 %, Frauen 7,3 %; Öffentliche Verwaltung: Männer 10,2 %, Frauen 10,8 %; Militär: Männer 3,8 %, Frauen 3,7 %; Adel: Männer 3,1 %, Frauen 5,7 %. 97 Dies war auch bei van den Berghe der Fall: Baal: In Search, S. 120–126 und S. 149. Stolberg vermutet das Überwiegen von Patienten aus Unter- und Mittelschicht in Praxen ärztlicher Homöopathen aus Bayern mangels Quellen nur, wobei Unterschriftensammlungen und publizierte Fälle dies stützen. Stolberg, Michael: Geschichte der Homöopathie in Bayern (1800–1914), Heidelberg 1999 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 5). Entsprechend der bereits erfolgten Journalauswertungen war Hahnemann dagegen immer ein Arzt der Mittel- und Oberschicht, auch wenn prinzipiell aus allen Schichten Kranke zu ihm kamen. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 44, Schreiber: Leipzig, S. 157–160, Mortsch: D22 Kommentar, S. 58. In Paris war Hahnemann dann endgültig ein gefragter Modearzt der Wohlhabenden. Zu der Entwicklung auch Jütte: Patientenschaft, S. 35–38. Insofern ist die Klientel Hahnemanns wohl auch nicht in allen Punkten repräsentativ für die Gesamtheit der homöopathischen Patienten: Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 172. Auch der Arzt Soemmerring muss vornehmlich als ein Arzt der Mittelund Oberschicht gelten. Dumont: Hölderlin, S. 128–129, gleiches galt für den Homöopa-
5.1 Sozialstruktur der Patienten
169
und seinen zahlreichen privaten Verbindungen im westfälischen Adel und an seiner Tätigkeit als Mitglied der Regierung. Außerdem wird der Ruf und die Werbetätigkeit seiner ersten Patientin Annette von Droste-Hülshoff seinen Ruhm gesteigert haben.98 Insbesondere adelige Damen wurden von der homöopathischen Kur angezogen. Daher wird deutlich, dass die Dienste des Freiherrn zunächst als einem „Modearzt“ von wohlhabenderen Bürgern genutzt wurden. Damit ist auch die soziale Struktur der niederländischen Klientel des Freiherrn nicht repräsentativ für seine Patientenschaft insgesamt.99 In der Zeit des offiziellen Praxisverbotes suchten weniger neue Patienten aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung Bönninghausen auf. Man unterband sein weiteres Treiben nicht, allerdings nahmen eventuell Interessierte nicht die Möglichkeit wahr, seine „illegalen“ Dienste zu nutzen.100 Stattdessen nahm im Verlauf von Bönninghausens Tätigkeit der Anteil der Behandelten, die der Landwirtschaft sowie dem Handwerk und der Industrie zuzuordnen sind, stark zu. Für Bönninghausens Praxis könnte man dies als „Abstieg“ interpretieren. Positiv formuliert bedeutet es aber, dass es dem Freiherrn gelang, die anfänglich kritisch beäugte homöopathische Therapie, die von Vornehmen und Reichen als modisch genutzt worden war, der breiten Bevölkerung näher zu bringen.101 Seine Behandlung stieß auf zunehmende Akzeptanz und sein Angebot wurde wenigstens von „einfachen“ Bürgern zusätzlich zu den übrigen „schulmedizinischen“ Diensten der anderen Ärzte in Anspruch genommen. Und die unteren Schichten waren bereit, dafür zu zahlen. Insofern widerlegen auch die Patienten Bönninghausens das Vorurteil, „einfache“ Menschen hätten in der Vergangenheit kein Geld für eine medizinische Behandlung erübrigen können oder wollen.102
98
99 100 101
102
then Rapp, Held: Außenseitertum, S. 85 oder den dänischen Arzt Hahn: Wulff; Jungersen: Danish Provincial Physician, S. 328. Heutzutage ist der Gebrauch von „Komplementärmedizin“ jeglicher Art ebenfalls eher in der Mittel- und Oberschicht verbreitet. Sharma: Complementary Medicine, S. 18–24. Kottwitz: Leben, S. 62, zu Beamten als Mediatoren auch Busche, Jens: Ein homöopathisches Patientennetzwerk im Herzogtum Anhalt-Bernburg. Die Familie von Kersten und ihr Umfeld in den Jahren 1831–35, München 2005 (Med. Diss.), S. 175. Diese gehörte eher der Mittel- und Oberschicht an. Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests, S. 174. Zu den möglichen Motiven hierfür äußerte sich Bönninghausen in einem Brief an Hahnemann: Stahl: Briefwechsel, S. 133–134. Stolberg betont, dass sich das „sanfte“ Heilverfahren der Homöopathie gerade bei der Oberschicht zu Beginn des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute, weil sie deren „modernem“ Körperverständnis eher entsprach. Stolberg: Homo patiens, S. 282–283. Die zunehmende Nutzung durch die „unterbürgerlichen“ Schichten weist darauf hin, dass dieser zunächst „bürgerliche“ Diskurs zunehmend in die gesamte Bevölkerung Eingang fand. Hierzu Baal: In Search, S. 248, Thümmler: Rekonstruktion, S. 70–75 mit weiterer Literatur. Auch in dieser Praxis waren mehr als die Hälfte der Behandelten eher der Unterschicht zuzuordnen. Ferner: Stolberg: Homo patiens, S. 90, Dinges: Arztpraxen, S. 52, Jütte: Barber-Surgeon, S. 189, McCray Baier: Sufferers, S. 56. Für die Beweggründe Angehöriger aus den einzelnen sozialen Schichten, die Homöopathie zu nutzen am Beispiel
170
5 Die Klientel Bönninghausens
5.1.4 Herkunft: Orte und Entfernung Der Einzugsbereich einer Praxis gibt einerseits über den Ruf des Therapeuten und seinen Aktionsradius Auskunft. Andererseits ist aus Sicht der Patienten zu sehen, welchen Weg sie auf sich nahmen, um sich behandeln zu lassen.103 An den zurückgelegten Strecken kann man ablesen, dass der Erhalt oder die Wiederherstellung der Gesundheit den einzelnen Betroffenen viel wert war und kaum Kosten und Mühen gescheut wurden, um die in Aussicht gestellte Linderung durch den ausgewählten Heiler zu erzielen. Im Gegensatz zu vielen „allopathischen“ Kollegen der Vergangenheit, hielt sich Clemens von Bönninghausen an die Vorgabe seines Vorbildes Samuel Hahnemann und betrieb eine stationäre Praxis, in der ihn die Kranken aufsuchen mussten.104 Doch woher kamen seine Patienten? Welche Distanz legten sie zurück, um ihn zu konsultieren? Eine erste Durchsicht der Journale Bönninghausens führte zu der Feststellung, dass offenbar wenige Patienten des Freiherrn unmittelbar aus Münster stammten.105 Für die Gesamtklientel kann man dieses Urteil jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil, aus dem Gebiet der Stadt Münster und den heute eingemeindeten Orten kam der Großteil der Kranken.106 Einige der heute zu Münster gehörenden Orte, wie Albachten oder Angelmodde, gehörten im 19. Jahrhundert verwaltungstechnisch zum Kreis Münster, der die Immediatstadt, die einen eigenen Kreis bildete, umgab. Nach einer Zuordnung, die den damals aktuellen Kreisgrenzen folgt, kamen 18,2 % aller Patienten aus Münster selbst und 18,1 % aus dem die Stadt umgebenden Kreis.107 Es lässt sich feststellen, dass prozentual mehr männliche Patienten ihren Wohnort direkt in der
103
104 105 106 107
Großbritanniens: Nicholls, Phillip: Class, Status and Gender. Toward a Sociology of the Homoeopathic Patient in Nineteenth-Century Britain. In: Dinges: Patients, S. 141–156. Zu der Bezahlung Kapitel 7.6. Vogl: Landpraxis, S. 170, Schreiber: Leipzig, S. 154. Diese Frage ist zumindest dann berechtigt, wenn die Patienten den Arzt aufsuchten und dieser keine Hausbesuchspraxis hatte. Im letzteren Fall beschränkte sich der Einzugsradius auch nach den physischen Grenzen des Leistbaren und betrug beispielsweise bei dem Arzt Grotjahn etwa elf bis 33 Kilometer. Engel: Patientengut, S. 25. Bei wenigen Patienten führte er auch Hausbesuche durch. Mehr zu diesem Punkt in Kapitel 7.2. Diesen Eindruck gewann Kottwitz bei der Durchsicht der ersten Journale ab 1835. Kottwitz: Leben, S. 142. Die Eingabe von „Münster“ bei Wohnort in der Datenbank ergibt 3.559 Treffer. Die Zuordnung folgte der Auflistung von König, Ewald: Statistische Nachrichten über den Regierungs-Bezirk Münster für die Jahre 1858–1860. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, Münster 1860. Die Kreisgrenzen des Regierungsbezirks Münster waren relativ stabil. Die einzige bedeutende Änderung im Verlauf des Untersuchungszeitraums war die Ausgliederung des Amtes Lienen aus dem Kreis Warendorf. Es wurde 1857 dem Kreis Tecklenburg zugeschlagen. Für alle Herkunftsorte Tabelle 19 im Anhang.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
171
Stadt hatten, während bezogen auf die Gesamtzahl aller Patientinnen mehr Frauen aus dem Kreis Münster kamen.108
Schaubild 13: Prozentuale Angaben zu den angegebenen Wohnorten (bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten).
Mehr als Dreiviertel aller Kranken wohnten in dem Regierungsbezirk Münster. Dabei gaben männliche und weibliche Patienten im Verhältnis gleich oft an, aus den Kreisen Steinfurt und Tecklenburg zu stammen. In den entfernteren Kreisen Ahaus, Borken und Recklinghausen waren etwas mehr Männer wohnhaft, während verhältnismäßig mehr weibliche Kranke aus den Kreisen Coesfeld, Lüdinghausen, Warendorf und Beckum aufgebrochen waren. Dagegen stammten nur 0,9 % aller Kranken aus dem Regierungsbezirk Minden und 2,2 % aus dem Regierungsbezirk Arnsberg. Aus beiden weiter entfernt liegenden Gebieten, waren mehr männliche Patienten zu Bönninghausen gekommen. Knapp 11 % aller Kranken kamen aus dem Königreich Hannover und 1,8 % konsultierten Bönninghausen aus dem Ausland.109 Während der Freiherr etwas mehr Männer aus dem Königreich Hannover behandelte, zeigte sich ein sehr deutliches Überwiegen männlicher Patienten aus dem Ausland. Männer nahmen eher aus weiter entfernten Gegenden die lange 108 In absoluten Angaben überwiegt die Anzahl der weiblichen Patienten fast in jeder geographischen Einheit. Bezogen auf die Gesamtheit der männlichen beziehungsweise weiblichen Kranken, die bei Bönninghausen waren, ergeben sich jedoch bisweilen andere Ergebnisse. Tabelle 20 im Anhang. 109 Für 5 % der Patienten war keine Angabe gemacht worden, bei 0,7 % (unbekannt) konnte der genannte Ort nicht in den Karten identifiziert werden und für weitere 1,3 % (unklar) gab es zwar eine Angabe, allerdings kamen hierfür mehrere Orte in Frage. Siehe Schaubild 13.
172
5 Die Klientel Bönninghausens
Reise auf sich. Frauen wollten oder konnten demgegenüber den Weg nicht zurücklegen und wandten sich auch nicht per Brief an den Freiherrn.110 Entfernungsmäßig bedeuten diese Angaben, dass die überwiegende Mehrheit aller Kranken im Umkreis von rund 50 Kilometern um Münster wohnte.111 Eine Strecke von 40 Kilometern entsprach etwa einer Tagesreise, wenn der Betroffene den Weg hin und zurück zu Fuß bewältigen musste.112 So weit entfernt von Münster sind beispielsweise die Städte Ahaus oder Rheine.113 Die Stadt Glandorf hingegen, die bereits im Königreich Hannover lag, ist Luftlinie knapp 30 Kilometer von Münster entfernt. Dennoch kamen mehr als 1.000 Kranke von dort, um den Rat Bönninghausens einzuholen.114 Interessant ist, dass in der Zeit zwischen 1839 und 1843, als Bönninghausen offiziell nicht praktizieren durfte, der Anteil der Neupatienten aus dem Königreich Hannover geringfügig höher war, als derjenige aus der Stadt und gleich groß wie derjenige aus dem Kreis Münster. Mit 17,2 % der Klientel dieser Jahre bedeutete dies den höchsten Anteil, den Hannoveraner in den untersuchten Zeiträumen stellten. Eventuell hatte Bönninghausen gezielt in Glandorf geworben, um neue Kranke für sich zu gewinnen, da in den preußischen Provinzen solche Anwerbemaßnahmen sicherlich geahndet worden wären. Die Städte Lienen, Lengerich, Dülmen und Hamm liegen zwischen 30 und 35 Kilometer Luftlinie von Münster entfernt. Aus ihnen kamen weitere 1.165 Kranke zu Bönninghausen, nachdem ihnen vor Ort kein Arzt helfen konnte.115 Eine Übersicht zu den Städten oder Orten, in denen mehr als 110 Patienten Bönninghausens gewohnt haben, zeigt, dass knapp 16 % aller Kranken aus einer Entfernung von etwa 30 Kilometern kamen.116 Die Stadt Rotter110 Tabelle 20 im Anhang. Zu dem Befund, dass eher Männer Reisen zu entfernt wohnenden Ärzten antraten: Baal: In Search, S. 60, Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests, S. 174–175. 111 Dieser Kreis um die Stadt Münster schließt die Kreise Coesfeld, Lüdinghausen, Warendorf, Steinfurt und Münster komplett ein, die Kreise Tecklenburg und Beckum zum größten Teil (bei einem Umkreis von 55 Kilometern wären beide Kreise komplett eingeschlossen) und einen kleineren Teil der Kreise Ahaus, Borken und Recklinghausen, aus denen jedoch jeweils weniger als 1 % der Patienten stammten. Dazu Karte 2 und Tabelle 21 im Anhang. Einen ähnlichen Radius hatte das Einzugsgebiet Hahnemanns in den Jahren 1834/35. Papsch: D38 Kommentar, S. 67. 112 Jütte: Patientenschaft, S. 39. 113 Ahaus (zehn) im gleichnamigen Kreis ist Luftlinie rund 45 Kilometer von Münster entfernt, Rheine (49) im Kreis Steinfurt 37 Kilometer, in Klammern die Anzahl der dort wohnenden Patienten. 114 Bei genau 1.064 Patienten war Glandorf als Wohnort angegeben. Dies sind 70 % aller Patienten, die aus dem Königreich Hannover stammten und 7,5 % aller Patienten. Nach den Angaben Bönninghausens brauchte man für den Weg von Glandorf nach Münster zu Fuß sechs Stunden. Bönninghausen, Clemens von: Traumatische Beschwerden und Hochpotenzen. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 485. 115 Hamm lag im Regierungsbezirk Arnsberg, dort wohnten 142 Patienten, Lienen (690) und Lengerich (197) lagen im Kreis Tecklenburg, Dülmen (136) gehörte zum Kreis Coesfeld. Laut Angaben in einem Artikel benötigte man von Lengerich zur Praxis Bönninghausens in Darup etwa acht Stunden. Bönninghausen: Triduum, S. 43. 116 Tabelle 21 im Anhang.
5.1 Sozialstruktur der Patienten
173
dam liegt mehr als 200 Kilometer von Münster entfernt. Dennoch brachen von dort 119 Kranke, die eine homöopathische Kur durch den Freiherrn in Anspruch nahmen, auf.
Karte 2: Verwaltungsgliederung des Regierungsbezirks Münster in den Grenzen von 1857. Aus der Stadt Münster stammten 18,2 % der Patienten. Eigene Eintragung der Abstandskreise und Prozentangaben in die Originalkarte: http://www.his-data.de/objekt/1/0/7/6/ ms,reg,karte,1857,rahmen.htm, Zugriff vom 30. August 2008.
Rund zehn Kilometer hatten Personen aus Amelsbüren, Bösensell, Telgte und Westbevern zurückgelegt.117 In einem Umkreis von etwa 15 Kilometern liegen Albersloh, Altenberge, Greven, Havixbeck, Ostbevern, Ottmarsbocholt und Senden. Diese Heimatorte waren von 1.504 Patienten genannt worden. Dies entspricht 10,5 % aller Kranken. Zwischen 20 und 25 Kilometer Wegstrecke hatten die 1.261 Kranken aus Ascheberg, Buldern, Drensteinfurt, Ladbergen, Nottuln, Sendenhorst, Lüdinghausen und Warendorf in Kauf genommen. Aus den erwähnten Orten stammten etwa 42 % aller Patienten von Bönninghausen.118 Insofern zeigt sich deutlich, dass sich das Einzugsgebiet seiner Praxis auf die nähere Umgebung Münsters erstreckte, auch wenn die Kranken zum Teil beachtliche Wege zurücklegten. Für die Mehrheit war die Reise innerhalb eines Tages zu bewältigen. Damit ist das hauptsächliche Einzugsgebiet von Bönninghausens homöopathischer Praxis der eines „allopathischen“ Arztes je-
117 Aus diesen Orten stammen 913 Patienten, dies sind 6,4 %. 118 Dabei ist die Stadt Münster noch gar nicht berücksichtigt.
174
5 Die Klientel Bönninghausens
ner Zeit vergleichbar.119 Auch Hahnemann hatte in seiner Zeit in Eilenburg eher Patienten aus der näheren Umgebung in seiner Behandlung.120 Ein ganz ähnliches Bild bietet die Wohnortsanalyse der Klientel des belgischen Homöopathen van den Berghe.121 Aus den umliegenden Provinzen kamen die Kranken neben dem Königreich Hannover unter anderem aus der Rheinprovinz, aus Hessen, Frankfurt, Hamburg oder Bremen. Sie nahmen den weiten Weg aus Stuttgart, der Provinz Brandenburg oder Schleswig auf sich oder wandten sich schriftlich aus Pommern an den Freiherrn.122 Aus diesem „weiteren Umland“ kamen ebenfalls mehr Männer zu Bönninghausen in die Behandlung.123 Im Verlauf der Praxiszeit fällt der steigende Anteil ausländischer Patienten auf. Im Hinblick auf Bönninghausens Bekanntheitsgrad kann man dies mit seinem zunehmenden Ruf und seiner Bedeutung für die Homöopathie erklären. Es ist bekannt, dass er mehrere Reisen in die Niederlande unternommen hat und außerdem Werbung in den dortigen Zeitungen schaltete.124 Ein Großteil seiner ausländischen Klientel rekrutierte sich entsprechend aus den Städten Rotterdam, Amsterdam oder Almelo. Aber auch einige Patienten aus Belgien, Frankreich, England, Österreich, Ungarn, Spanien und sogar aus Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika wandten sich an den deutschen Homöopathen.125 Der Anteil ausländischer Patienten in der Praxis war 119 Balster: Kortum, S. 117–120. Im 18. Jahrhundert: Thümmler. Rekonstruktion, S. 54, Wolff, J.; Wolff, H.-P.: Das Profil einer ärztlichen Allgemeinpraxis im Jahre 1862. In: Deutsches Gesundheits-Wesen 34 (1979), S. 569. 120 Jütte: Patientenschaft, S. 39. Er vergleicht den Umfang von Hahnemanns Praxis, in der die meisten Patienten aus einem Umkreis von rund 40 Kilometern kamen, mit demjenigen einer durchschnittlichen „allopathischen“ Praxis. Auch Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 40–41. In Köthen war das Einzugsgebiet sogar noch geringer: Mortsch: Patientenschaft, S. 28, Mortsch: D22 Kommentar, S. 41–42. Später betrug Hahnemanns Einzugsgebiet bis zu 50 Kilometern: Papsch: D38 Kommentar, S. 67–69. In der Zeit in Leipzig war es noch größer, indem mehr als 30 % der Patienten mehr als 100 Kilometer Anfahrtsweg hatten. Schreiber: Leipzig, S. 154. Für den Bochumer Arzt Kortum: Balster: Kortum, S. 117–121 sowie S. 142–147. Die meisten Patienten stammten aus einem Umkreis von etwa 16 Kilometern. Kein Patient wohnte weiter weg als 70 Kilometer. Bei Ottenthal legten die am weitesten entfernt wohnenden Kranken etwa 20 Kilometer zurück: Oberhofer: Landarztpraxis, S. 178–180. 121 Baal: In Search, S. 53–73. 122 Dies sind jedoch nur wenige Kranke, siehe Tabelle 19 im Anhang und Schaubild 14. Nur aus dem Rheinland stammen 0,7 % aller Patienten. 123 Tabelle 20 im Anhang. 124 Bönninghausen bat 1854 die Regierung um Erlaubnis, niederländische Patienten behandeln zu dürfen, siehe StAM Regierung 893 V-236: Die Homöopathie und die homöopathischen Ärzte, 1854–1895, S. 1–2. Bereits 1851 war er in Holland gewesen, der Reiseplan im Deckel von IGM P 79. Im Jahr darauf bat er einen Patienten in Rotterdam, eine Anzeige aufzugeben, dass er an zwei Tagen im Juli 1852 in Emmerich anzutreffen sei, siehe IGM P 82 im hinteren Deckel. 125 Aus den Niederlanden stammten 196 Patienten. Die übrigen Länder mit der Anzahl der Patienten in Klammern: Belgien (16), Frankreich (24), England (13), Österreich (zwei), Ungarn (vier), Spanien, Polen, Italien und der Schweiz (je ein), Amerika (drei), Russland
5.1 Sozialstruktur der Patienten
175
in der Zeit zwischen 1849 und 1853 am höchsten. Daher kann man argumentieren, dass Bönninghausen in diesen Jahren einen Höhepunkt in seiner Laufbahn erreicht hatte und seine Praxis über einen weit reichenden Bekanntheitsgrad verfügte.
Schaubild 14: Entwicklung des prozentualen Anteils der Patienten außerhalb des Regierungsbezirks Münster (bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten eines Samples).
Betrachtet man die geographische Verteilung der Patienten innerhalb der einzelnen Untersuchungszeiträume fällt auf, dass der Anteil der Patienten außerhalb des Regierungsbezirks Münster bis 1864 rückläufig war. In der Anfangszeit der Praxis stammten 31,3 % der Patienten aus diesem Regierungsbezirk.126 Zwischen 1839 und 1843 waren es 78,6 %. Dieser Anteil stieg bis in die Spätzeit der Praxis auf 82,1 %. Für die meisten Herkunftsangaben aus dem Umland des Regierungsbezirks Münster lässt sich feststellen, dass die Anteile in den Jahren zwischen 1849 und 1853 höher waren, als im letzten untersuchten Abschnitt.127 Ausnahme bilden die Patienten, die aus dem Königreich Hannover kamen. Sie waren in der Zeit zwischen 1839 und 1843 am stärksten in der Praxis vertreten. Gegenüber den Jahren 1849 und 1853 legten sie dann in den letzten Jahren, die Bönninghausen noch behandelte, wieder zu. Man kann, (zwei). Insgesamt Ausland 264 Patienten. Ein Artikel in einer Berliner Morgenzeitung nennt Konsultationsgesuche „von Frankreich, England, Spanien, Italien und andern Ländern“. Bönninghausen hat den Artikel in IGM P 92 hinten eingeklebt. 126 Allein aus der Stadt Münster waren 21,9 % der Kranken. Allerdings ist hier eine gewisse Verzerrung zugunsten der Stadt zu vermuten, da nur für die dortigen Bürger ein Wohnort, wenn er nicht angegeben war, verifiziert werden konnte. In S 1 fehlen von fast 60 % aller Kranken Angaben zum Wohnort. 127 Hierzu Schaubild 14.
176
5 Die Klientel Bönninghausens
mit Berücksichtigung des zuvor besprochenen Anteils ausländischer Patienten, feststellen, dass Bönninghausens Praxis in den Jahren zwischen 1849 und 1853 die größte räumliche Ausdehnung hatte und viele Kranke von weiter her eine homöopathische Behandlung durch den Freiherrn in Anspruch nahmen. Der Anteil der Patienten aus dem Regierungsbezirk Münster stieg, wie beschrieben, im Verlauf von Bönninghausens Praxis kontinuierlich an. Dabei nahm der Anteil der Kranken, die unmittelbar aus der Stadt selbst stammten, über die Jahre hinweg tendenziell eher ab. Der Anteil der Kranken, die sich aus dem Kreis Lüdinghausen aufmachten, war ebenso rückläufig. Gleiches galt für die Kreise Warendorf und Beckum. Während aus dem Kreis Tecklenburg in der Zeit zwischen 1839 und 1843 verhältnismäßig viele neue Patienten zu Bönninghausen in die Behandlung kamen, fiel deren Anteil in den folgenden Jahren ab, stieg aber zwischen 1859 und 1863 wieder geringfügig an. Aus den Kreisen Ahaus, Borken und Recklinghausen fanden hingegen kaum Kranke den Weg nach Münster. Diese drei Verwaltungseinheiten waren am weitesten von Münster aus in westlicher und südwestlicher Richtung entfernt. Demgegenüber legten die Kreise Coesfeld und Steinfurt, was die Anteile der dort wohnenden Neupatienten betraf, im Verlauf der Praxistätigkeit Bönninghausens zu. Das Einzugsgebiet hat sich somit im Lauf der Zeit weg vom südöstlichen eher in den nordwestlichen Raum verlagert, wobei Neupatienten aus dem Kreis Lüdinghausen immer noch mit knapp 11 % vertreten waren. Hierzu passt, dass der Kreis Tecklenburg in den späten Jahren wieder eher von Kranken als Heimatgebiet angegeben wurde. Insbesondere der Anteil der Patienten, die aus dem die Stadt Münster umgebenden gleichnamigen Kreis stammten, stieg mit den Jahren und am Ende kamen etwa 22 % von dort.128 Während sich in den Herkunftsorten der Klientel von Samuel Hahnemann der Aufstieg von einer durchschnittlichen Praxis zu der eines gefragten Arztes mit internationaler Patientenschaft abzeichnete, kann dergleichen für die Tätigkeit Bönninghausens nicht festgestellt werden.129 Zwar legten die Patienten zum Teil weite Wege zurück und die Praxis des Freiherrn hatte ein relativ großes Einzugsgebiet. Dennoch stammte die Mehrheit aller Kranken aus der Stadt Münster selbst oder dem unmittelbaren Umkreis von etwa 20 bis 25 Kilometern. Es wurde bereits im vorangegangenen Kapitel deutlich, dass viele Betroffene erst das medizinische Angebot vor Ort nutzten, bevor sie den Weg nach Münster in Kauf nahmen. Insgesamt legten sie dann Wege nach Münster zurück, die damals von Kranken bewältigt wurden, wenn sie sich von einem Therapeuten behandeln lassen wollten, der einen besonderen Ruf genoss.130
128 Hierzu die Darstellung in Schaubild 15. 129 Bereits in Leipzig hatte Hahnemann eine sehr weitläufige Praxis. Schreiber: Leipzig, S. 154. Für die Tätigkeit des Homöopathiebegründers: Jütte: Patientenschaft, S. 39. 130 Loetz: Vom Kranken, S. 238–239. Im Ganzen ähnelt Bönninghausens Praxis im Einzuggebiet derjenigen des belgischen Homöopathen van den Berghe: Baal: In Search, S. 73– 74. Auch heute fahren Patienten oft weit, um ein bestimmtes Therapieangebot zu nutzen: Schultheiß; Schriever: Warum, S. 133.
5.2 Familien
177
Deutlich wird dies an den Patienten, die Bönninghausen aus weiterer Distanz konsultierten, auch wenn diese letztendlich einen kleineren Teil ausmachten.
Schaubild 15: Entwicklung des prozentualen Anteils der Patienten aus den einzelnen Kreisen des Regierungsbezirks Münster (bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten eines Samples).
5.2 Familien Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Familien genau sich in der Behandlung Bönninghausens befanden. Zum einen stellt sich die Frage, wie man „Familie“ definiert.131 Zum anderen ist nur selten aus den Journalen ein verwandtschaftlicher Zusammenhang zu erkennen. Einzig für die Patienten aus Münster, zu denen nähere Recherchen durchgeführt werden konnten, war es möglich, nachträglich den einen oder anderen Familienverband festzustellen.132 Insofern kann in diesem Teilkapitel lediglich der Nachweis geführt werden, dass sich unter den Patienten Bönninghausens immer wieder Angehörige einer Familie befanden, ohne dass hier quantitative Angaben gemacht werden können. Besonders waren mehrere Geschwisterkinder zugleich in der homöopathischen Behandlung. Dies allein spricht jedoch nicht dafür, dass Bönninghau131 Eine Aufstellung dazu in: Arnold, Klaus: Familie, Kinder, Jugend. In: Hammerstein, Notker (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Band 1 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996, S. 136 und im soziologischen Sinn: Schäfers, Bernhard: Die soziale Gruppe. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. erweiterte und aktualisierte Auflage 2000, S. 133–134. 132 Außerdem können in den nicht berücksichtigten Jahren weitere Familienangehörige in die Praxis gekommen sein. Sie konnten damit aber nicht in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden.
178
5 Die Klientel Bönninghausens
sen auch deren Eltern therapierte. Bei den im Folgenden vorgestellten Fällen wurden diejenigen ausgewählt, bei denen zumindest ein Elternteil und ein Kind sowie gegebenenfalls weitere Verwandte bei dem Freiherrn vorstellig wurden.133 Zum einen notierte Bönninghausen immer wieder, dass Eltern erkrankter Kinder Medikamente mitnahmen. Wie zum Beispiel bei einem 67-Jährigen aus Drensteinfurt, der sich aufgrund seiner Krätze-Erkrankung zu Bönninghausen begab. Dieser reichte nicht nur ihm die homöopathischen Mittel, sondern gab noch weitere für zwei Kinder im Alter von sieben und zwölf Jahren mit.134 Eine 37-Jährige aus Milte nahm während ihrer Behandlung wegen „Fallsucht“ Medikamente für ihren Mann und ein Kind in Empfang.135 Ein 55 Jahre alter Bauer hatte als Vorbeugung gegen das Nervenfieber bereits homöopathische Mittel eingenommen. Dennoch erkrankte er daran, weswegen er im September 1862 eine Kur bei Bönninghausen begann. Eine Tochter hatte er durch dieselbe Krankheit bereits verloren, für die Frau und einen ebenfalls betroffenen Sohn wurden später Mittel erbeten.136 Zum anderen wurden zuerst Kinder behandelt und bei späteren Konsultationen Medikamente für ein Elternteil mitgegeben. Ein dreijähriges Bauernkind wird kaum allein in die Praxis des Homöopathen gekommen sein. Dennoch notierte Bönninghausen nur das Mädchen als Patientin. Das Kind litt an Krätze und der Freiherr verschrieb „für Vater und Mutter desselbe“.137 Oder Bönninghausen wurde wegen eines knapp vier Jahre alten Mädchens, das „wegen Schwäche im Kreuze“ noch nicht gehen konnte konsultiert. Der Freiherr notierte, er habe für den Vater Medikamente mitgegeben.138 Aber es versorgten auch mittlerweile erwachsene Kinder ihre Eltern mit den Mitteln.139 Gelegentlich fragten Frauen, die bereits seit längerem den Freiherrn konsultierten, ihn früher oder später wegen Beschwerden ihrer Kinder um Rat. Die Kleinen wurden entweder einfach mit zu einem Termin genommen oder die Mutter berichtete in deren Abwesenheit. Beispielsweise behandelte Bönninghausen zuerst eine „Schullehrerin“ wegen Grippe und später deren Kind.140 Oft erhielten die Kinder gar keine eigene Seite, so dass hierdurch die 133 Die von Mortsch: D22 Kommentar, S. 39 verwendete Maßgabe von mindestens zwei Angehörigen aus mindestens zwei Generationen wurde hier als Vorbild genommen. Zu Geschwisterkindern mehr in Kapitel 5.2. 134 IGM P 76 Fol. 173, ähnlich P 41 Fol. 187 oder P 87 Fol. 19. 135 Von beiden ist jedoch nichts Weiteres berichtet. IGM P 84 Fol. 277. 136 IGM P 113 Fol. 295. 137 IGM P 112 Fol. 145, ähnlich auch P 55 Fol. 260. 138 IGM P 55 Fol. 116, ähnlich auch P 37 Fol. 45. 139 Beispielsweise IGM P 41 Fol. 134 oder P 47 Fol. 150. Oder sie bahnten, wie im Fall eines Arztes 1830, die Behandlung an: IGM P 202/12. 140 P 36 Fol. 74, ähnlich auch P 42 Fol. 182, P 53 Fol. 210, P 55 Fol. 186 oder P 72 Fol. 10. Dies deutete Bönninghausen auch in einer Veröffentlichung an: Bönninghausen, Clemens von: Homöopathische Heilungen, In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 39. Die Patientinnen in diesem Fall: P 151 S. 273 sowie P 154 und P 155 (Ross, Truda und Carol.). Alle IGM.
5.2 Familien
179
Antwort auf die Frage erschwert wird, wie viele Patienten Bönninghausen tatsächlich behandelt hat. Daher muss für den untersuchten Zeitraum von mehr Patienten ausgegangen werden, als Bönninghausen in seine Journale notierte. So geschah es bei einer 37-Jährigen, die zunächst selbst wegen eines Bandwurms behandelt werden wollte. Offensichtlich war sie mit der homöopathischen Kur zufrieden, denn Bönninghausen kurierte später deren ebenfalls daran leidendes Kind, ohne diesem eine eigene Seite zuzuweisen.141 Aber Bönninghausen war hier keineswegs konsequent. Nicht immer notierte er die Kinder zu deren Eltern oder andersherum. So erhielten Mutter und Kind, die beide kurz nacheinander von ihm behandelt wurden je eine eigene Seite. Die Umstände sind wahrlich dramatisch. Bönninghausen wurde im Juni 1852 wegen eines fünf Wochen alten Kindes konsultiert. Dieses war „an der ganzen linken Seite herauf verbrannt“. Die Mutter hatte es am Feuer sitzend entkleiden wollen und bekam dabei einen Fallsuchtanfall, „wobei das Kind in das Feuer fiel und liegen blieb, weil sonst Niemand zu hause war“. Der Freiherr notierte, dass „das Kind schwerlich zu retten“ sei. Allerdings konnte er eine erfolgreiche Behandlung verbuchen, denn im weiteren Verlauf hieß es, dass es noch am Leben sei und sich der Zustand „bedeutend gebessert“ habe. Ende Juli 1852 starb es „von Brande ganz geheilt, an Terminen“.142 In der Tat besuchte die 37 Jahre alte Mutter kurz darauf Münster. Nach dem Tod des Kindes hatte sich ihre rechte Brust entzündet, außerdem litt sie an Gliederschmerzen und der Fallsucht. Anscheinend beeindruckt von der erfolgreichen Behandlung der Brandwunden, konsultierte sie den Freiherrn noch weitere neun Mal wegen verschiedener Beschwerden.143 Ein anderer Vater begab sich zwei Jahre, nachdem Bönninghausen seine Kinder wegen Keuchhusten behandelt hatte, zu diesem in Behandlung.144 Der ebenfalls homöopathisch praktizierende Arzt Wilson aus England fragte Bönninghausen 1851 um Rat für seine Frau. Acht Jahre später wandte er sich wegen der Beschwerden seines Sohns an ihn. Der Anamnese ist zu entnehmen, dass die Gattin mittlerweile an der Schwindsucht gestorben war. Der Sohn selbst hielt sich unterdessen bei einem Oberlehrer in Braunschweig auf.145 Ein Wirt und Bäcker von 58 Jahren aus Lüdinghausen ließ 1859 zunächst sich selbst wegen eines „feinen Ausschlags“ mit „Jucken über den ganzen Körper“ behandeln. Einen knappen Monat später erschien er wieder in Münster. Dieses Mal verlangte er auch für die Gattin und den einjährigen Sohn Medikamente. Beide 141 IGM P 54 Fol. 16. 142 IGM P 82 Fol. 224. Bönninghausen schilderte diesen Fall auch in: Traumatische Beschwerden, S. 482–483. „Terminen“ sind Krämpfe, Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 32. In anderen Gegenden wurden diese auch „Gichter“ genannt: Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 189–190, Stolberg: Homo patiens, S. 137–139. 143 IGM P 83 Fol. 53. 144 IGM P 154 S. 109 (Helms) und P 154 S. 26 a-d (Helms seine 4 Kinder). Ähnlich war es bei einem Registrator, dessen vier Kinder zuerst behandelt wurden, bevor auch er zu Bönninghausen kam P 154 (Ellinghaus). Alle waren bis 1835 in der Behandlung des Freiherrn. 145 IGM P 80 Fol. 122 Madam Wilson, P 104 Fol. 212 der Sohn.
180
5 Die Klientel Bönninghausens
waren vom Vater mit der Flechte angesteckt worden und sollten homöopathisch kuriert werden.146 Der Sohn eines Buchhändlers aus Darmstadt wurde 1860 von Bönninghausen behandelt. Der 20-Jährige litt an Lungenschwindsucht und der Freiherr notierte daher, dass der junge Mann „schwerlich zu retten“ sei. Tatsächlich verstarb er im Januar 1861. Der Vater ließ sich von diesem Todesfall jedoch nicht beirren und wandte sich 1863 wegen „ungewöhnlicher Mattigkeit und Verdauungsbeschwerden“ an den Freiherrn.147 Andere Elternteile suchten den Freiherrn gezielt mit der Absicht auf, sowohl sich als auch eines oder mehrere Kinder therapieren zu lassen. So kamen Mutter und Tochter aus Appelhülsen 1852 gemeinsam zu Bönninghausen. Die beiden hatten „mit einem vermuthlich von einem tollen Hunde gebissenen jungen Hunde gespielt und [sich, M. B.] dann lecken lassen“. Um einen Ausbruch der gefürchteten Tollwut zu verhindern, ließen sie sich behandeln.148 Bereits 1832 konsultierte eine Bau- und Regierungsrätin wegen „Hysterie“ Bönninghausen. Sie brachte ihre zehn Jahre alte Tochter mit, deren Hühneraugen kuriert werden sollten. Ein Jahr später wurde der Freiherr darum gebeten, die Zahnschmerzen des sechsjährigen Sohns zu therapieren.149 Ein Vater aus Nordwalde wandte sich dagegen per Brief an Bönninghausen und bat „ergebenst um freundliche Anhörung meiner und meines Sohnes Krankheitsgeschichte“. Der Vater selbst litt an verschiedenen Beschwerden, akut war allerdings die Krätze, mit der er auch seinen knapp sechs Jahre alten Sohn angesteckt hatte.150 Die 40 Jahre alte Gattin eines Unteroffiziers suchte Bönninghausen gemeinsam mit ihrer sechs Jahre alten Tochter auf. Das Kind litt an „Kopfgrind und trockener Flechte“, die Mutter ebenfalls an Ausschlag und Husten.151 In einem Fall erschienen die Großeltern mit der Enkelin aus Greven. Alle drei hatten seit acht Monaten vergeblich versucht, mit Schwefel ihre Krätze zu behandeln. Nun sollte die homöopathische Kur helfen. Ein anderes Elternteil erschien bei Bönninghausen und wollte die eigene Augenentzündung, wie die der vier Kinder zwischen 17 und sechs Jahren, behandelt wissen.152 Die knapp 30 Kilometer von Lengerich nach Münster legten ein 53-jähriger Vater und sein 23 Jahre alter Sohn gemeinsam zurück. Der Vater litt an Leibweh, Brennen im Magen und Verstopfung. Der Sohn kämpfte mit „lähmigen“ Schmerzen in den Knien und hatte seit zwei Jahren einen Leisten146 IGM P 104 Fol. 147 und Fol. 202, nur das Kind erhielt eine weitere Seite, Bönninghausen hatte „n. v.“ notiert. 147 IGM der Sohn P 108 Fol. 224, der Vater P 114 Fol. 292, eventuell war zwischenzeitlich noch eine Tochter in Behandlung, P 109 Fol. 19 mit demselben Namen aus Darmstadt, jedoch ohne Verweis auf den Buchhändler. 148 IGM P 84 Fol. 30. 149 IGM P 154 und P 155 (Briesen). 150 IGM P 104 Fol. 328 und der zugehörige Brief. Der Brief umfasst nur die ausführliche Symptombeschreibung des Vaters und wurde dann abgerissen. Daher ist vom Sohn nicht mehr bekannt als die Krätzeerkrankung, vermutlich hatte der Vater aber mehr geschrieben. 151 IGM P 46 Fol. 197. 152 Die Beispiele IGM P 45 Fol. 144 und P 43 Fol. 31.
5.2 Familien
181
bruch.153 Beide erschienen nur ein einziges Mal bei Bönninghausen. Ähnlich hielt es die 34-jährige Gattin eines Schuhmachers aus Münster. Sie kam im Mai 1849 nur ein Mal gemeinsam mit drei ihrer Kinder zu Bönninghausen. Alle vier litten an Keuchhusten.154 Von einem Knecht mit der Krätze angesteckt hatten sich im Jahr 1860 eine 70-Jährige aus Ascheberg und die drei sie begleitenden Kinder im Alter zwischen sechs und zwei Jahren.155 Aber auch ganze Familien erschienen in den Sprechzeiten Bönninghausens. So hatte ein Familienoberhaupt aus Aschedorf seine Frau und drei Kinder nach Münster gebracht. Seit einem Jahre litten „alle miteinander“ an der Krätze.156 Ebenso erging es einer vierköpfigen Familie aus Lienen oder den fünf Mitgliedern einer Bauernfamilie aus Senden.157 Andererseits war es möglich, dass verschiedene Familienangehörige unterschiedliche Ärzte und Therapien in Anspruch nahmen. So wurde Bönninghausen um Medikamente für ein an „angehendem Nervenfieber“ erkranktes Mädchen gebeten. Die anderen im Hause lagen, wie er notierte, bereits vier Wochen daran krank und wurden von Doktor Lamby behandelt, der sie täglich besuchte.158 Offenbar war man in einem solchen Fall gewillt, auch die homöopathischen Dienste in Anspruch zu nehmen, da die „Allopathie“ bisher keinerlei Erfolg gezeigt hatte. Bei einem 15 Jahre alten Mädchen wurden die nächsten Angehörigen im Krankenhaus versorgt, ihr Vater war bereits am Nervenfieber gestorben und für sie wurde nun die homöopathische Hilfe bei Bönninghausen gesucht.159 Ähnlich dürfte ein 38-jähriger Kranker aus Elte gedacht haben. Dessen Eltern und zwei Brüder waren bereits an der „Schwindsucht“ gestorben. Er selbst entschied sich für eine homöopathische Kur, um „Stiche in der linken Brustseite“ kurieren zu lassen.160 Ein anderer Mann war seit 1840 Patient bei Bönninghausen. Im Jahr 1854 konsultierte er den Freiherrn wegen einer Nervenfiebererkrankung, seine Frau ließ sich jedoch „allopathisch“ behandeln.161 Er hatte seine Gattin nicht von den Vorzügen einer Kur nach Hahnemann überzeugen können. Es gab auch Familien, von denen verschiedene oder alle Mitglieder nach und nach und zum Teil über Jahre hinweg in der Behandlung Bönninghausens
153 154 155 156
157 158 159 160 161
IGM P 38 Fol. 12 und Fol. 13. IGM P 72 Fol. 188. IGM P 107 Fol. 46. P 76 Fol. 18. Dasselbe galt für die Eltern und zehn Kinder im Alter von 21 bis einem Jahr, die ebenfalls aus Ascheberg zu Bönninghausen kamen, P 106 Fol. 172 oder P 114 Fol. 163 sowie P 114 Fol. 272 und P 115 Fol. 409, alle IGM. P 79 Fol. 161 und P 104 Fol. 282 oder eine siebenköpfige Familie aus Sendenhorst P 107 Fol. 68 und ein Ehepaar aus Münster P 81 Fol. 131, alle IGM. P 102 Fol. 318, ähnliche Fälle P 83 Fol. 243, P 84 Fol. 84 und Fol. 133, alle IGM. IGM P 115 Fol. 444. IGM P 52 Fol. 14. Ob der Patient zum Zeitpunkt der Erstkonsultation bereits verheiratet war, ist unbekannt. IGM P 43 Fol. 102.
182
5 Die Klientel Bönninghausens
waren. Allen voran ist dies natürlich seine eigene Familie.162 Clemens von Bönninghausen begann am 3. November 1829 eine Selbsttherapie unter der Bezeichnung „Egomet Ipse“. Am selben Tag nahm er die Krankheitsbilder seiner zweiten Frau und des Sohns Clemens auf.163 Seine Gattin behandelte er bis zu deren Tod 1850, wobei sie weiterhin Klistiere und Aderlässe in Anspruch nahm. Nach und nach therapierte er alle seine Kinder.164 Sein 1831 geborener Sohn war einer der jüngsten Patienten, denen er zu helfen versuchte. Aber auch Bönninghausens Bruder Egon oder seine Schwiegermutter von Hamm wurden in die medizinische Rundumbetreuung eingeschlossen.165 Ferner war unter den frühen Patienten die Familie eines Katasterkontrolleurs, der den Namen von Bönninghausen trug. Der Vater war zunächst bei seinem Namensvetter, um ihn wegen der sechsjährigen Tochter um Rat und Medikamente zu bitten.166 Auch dessen drei Jahre alter Sohn wurde 1832 wegen Wechselfieber homöopathisch behandelt.167 Erst 1833 begann er selbst eine Therapie bei dem Freiherrn und für den Sohn, ebenfalls Clemens mit Namen, wurde auch die Homöopathie beansprucht.168 In den ersten Praxisjahren gehörten viele adelige Familien zu den regelmäßigen Besuchern der Praxis. So waren neun Angehörige aus der mit Clemens Maria Franz von Bönninghausen verwandten und befreundeten Familie von und zu Brenken zwischen 1830 und 1833 in seiner Kur.169 Auch aus der weit verzweigten westfälischen Familie der von Drostes kamen bis zum Ende der Praxiszeit immer neue Patienten. Annette von Droste-Hülshoff war nur die erste Kranke, die sich zu einer homöopathischen Kur entschloss. Neben ihrer Schwester Jenny behandelte der Freiherr auch deren verwitwete Mutter
162 Auch Hahnemann behandelte seine Familie. Papsch: D38 Kommentar, S. 46–47, Jütte: Hahnemann, S. 66. 163 Amalia von Bönninghausen P 151 S. 29–31, P 154 und P 155 sowie P 2 Fol. 136. Clemens von Bönninghausen P 151 S. 35–26, P 154 und P 155 sowie P 2 Fol. 137. Alle IGM. 164 IGM P 151 S. 37–44 und P 2 Fol. 138–143 (Louise, Egon, Carl, Fritz, August und Julius, Peter nur in P 154). Zu den Kindern: Kottwitz: Leben, S. 155–156. In P 48 führte Bönninghausen Buch über die Mittel der Kinder. 165 Der Bruder Egon IGM P 151 S. 199–200, Kottwitz: Leben, S. 154, Bönninghausen: Stammväter, S. 87. Die Schwiegermutter Bönninghausens IGM P 151 S. 33–34. 166 IGM P 151 S. 133, P 154 und P 155 sowie P 20 Fol. 111. 167 IGM P 154 (Bönninghausen, Franz). 168 IGM P 155 (Bönninghausen, Clemens). Nach Angaben aus der Personenkartei Ferdinand Theissing wurde Clemens von Bönninghausen 1796 in Warendorf geboren und hatte mit seiner Gattin acht Kinder. Die genauen Verwandtschaftsverhältnisse sind unklar, da weder Bönninghausen: Stammväter noch Kottwitz: Leben etwas zu dieser Person aussagen. 169 Die erste Gattin Friedrich von und zu Brenkens und die erste Frau von Bönninghausen waren Schwestern. Von der Beziehung zeugt der Briefwechsel: Archivamt Archiv Erpernburg. Nachlaß Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867) F 52 Bönninghausen teilweise publiziert in Conrad: Briefwechsel. Zu der Person von Brenkens: Conrad, Horst: Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867). Ein Beitrag zum ständischen Konservatismus. In: WZ 133 (1983), S. 85–127.
5.2 Familien
183
und eine Nichte.170 Die Halbgeschwister der verwitweten Frau Droste-Hülshoff, einer geborenen von Haxthausen, befanden sich ebenfalls in homöopathischer Behandlung. Werner Moritz von Haxthausen ließ auch seine Tochter Maria 1833 wegen Hustens therapieren.171 Ein anderer Onkel der berühmten Dichterin schrieb im Jahr 1830 an seine Schwester, dass es „sehr vernünftig“ sei, dass seine Geschwister die homöopathische Kur gebrauchten. Er selbst habe an Bönninghausen geschrieben und ihm bereits mehrere Krankheitsbilder geschickt. In der eigenen Kur gehe „außer der Verschlimmerung die Besserung langsam, jedoch habe [er, M. B.] keine Schmerzen wieder bekommen“.172 Friedrich von Haxthausen konsultierte den Freiherrn bis zu seinem Tod im Jahr 1845 immer wieder, während seine Schwester, eine ehemalige Stiftsdame, die Therapie durch Bönninghausen nur bis 1832 fortführte. Der später wegen der Streitfrage um die Mischehen verhaftete Kölner Erzbischof Clemens August von Droste zu Vischering konsultierte 1833, als er noch Weihbischof in Münster war, Bönninghausen wegen „Beschwerden von einem Fall“.173 Zwei seiner Neffen befanden sich ebenso mit ihren Familien in der Behandlung des Homöopathen.174 So betreute Clemens von Bönninghausen zunächst den noch ledigen Felix von Droste zu Vischering von Nesselrode Reichenstein im Jahr 1830. Nachdem dieser fünf Jahre später geheiratet hatte, kamen auch seine Gattin und fünf seiner Kinder ab 1849 in die Behandlung.175 Bönninghausen versorgte ferner die Kinder des Maximilian Heidenreich von Droste zu Vischering sowie dessen zwei Frauen.176 Den Auftakt machten zwei seiner Töchter im Juli 1830, ihnen folgte die Mutter mit der dritten Tochter. Im 170 P 78 Fol. 132 (die Nichte), P 151 S. 1–4 und S. 181, P 154 und P 155 und P 1 Fol. 136 (Annette von Droste-Hülshoff) sowie Kottwitz: Leben, S. 109–144, P 151 S. 9–10 und P 154 ( Jenny von Droste-Hülshoff), P 154 und P 155 sowie P 48 Fol. 17 (die verwitwete Mutter). Alle IGM. 171 Zu den Verwandtschaftsverhältnissen: Westphalen; Wollheim: Werner von Haxthausen, S. 11–17 und S. 213–214. Die Behandlungen P 154 S. 10, S. 101 und S. 134 (Ludowine), P 155 S. 7, S. 12, S. 17, S. 45 und S. 52 (Werner Moritz), P 155 S. 8, S. 12, S. 25 und S. 49 (Marie). Zu Ludowine von Haxthausen die Kurzbiographie: Jörgens, Appollinaris: Ludowine von Haxthausen 1794–1872. In: WZ 141 (1991), S. 407–438. Alle Patienten in IGM. 172 Die Adressatin war Sophie von Haxthausen. Ihre Behandlung P 154. Bei dem Schreiber handelt sich um Friedrich von Haxthausen, einen ehemaligen Domherren. Obwohl er in dem Brief von 1830 angibt, bereits seit drei Wochen in der homöopathischen Kur zu sein, verzeichnete Bönninghausen eine Erstkonsultation erst am 31. Dezember 1833 siehe P 155 S. 52 und P 34 Fol. 81. Alle IGM. Der Brief in: Westphalen; Wollheim (Hrsg.): Werner von Haxthausen, S. 40–41. Von Haxthausen sandte auch die Krankheitsbilder weiterer Verwandter. 173 IGM P 155 S. 48. Eine kurze Biographie in: Hegel, Eduard: Clemens August Freiherr Droste zu Vischering. In: Westfälische Lebensbilder 10 (1970), S. 76–103. 174 Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen: Richtering: Nachlässe. 175 Sammlung Spiessen Band 11, S. 88 Droste Nesselrode. Die Fälle: P 154 S. 3, S. 8 und S. 20 sowie P 63 Fol. 243, P 71 Fol. 113, P 75 Fol. 140, P 78 Fol. 143, P 84 Fol. 181 und P 109 Fol. 32, P 85 Fol. 282, P 110 Fol. 74. 176 Zu den Angaben: Richtering: Nachlässe, S. 228 sowie Sammlung Spiessen Band 11, S. 88. Die Behandlungen IGM P 154 und P 155, P 4 Fol. 20, P 44 Fol. 42 und Fol. 43, P 62 Fol. 1 und P 74 Fol. 113.
184
5 Die Klientel Bönninghausens
Jahr 1833 wurde als weiteres Familienmitglied der einjährige Sohn wegen Zahnbeschwerden therapiert. Bis 1840 wurden auch die beiden 1831 und 1834 geborenen Kinder behandelt. Erst 1845 konsultierte die zweite Frau Droste zu Vischerings wegen einer Zahnfistel Bönninghausen. Zu diesem Zeitpunkt war sie schwanger. Die vier Kinder aus zweiter Ehe wurden 1849 gemeinsam wegen einer Keuchhustenerkrankung behandelt. Der Sohn Clemens aus erster Ehe, der nur wegen seiner Zahnbeschwerden bei Bönninghausen als Patient genannt wurde, stellte 1860 jedoch seine kurz zuvor geborene Tochter wegen einer „Augenschwäche“ dem Freiherrn vor.177 Clemens von Droste zu Vischering hatte eine Tochter des Grafen Matthias von Galen und der Anna, geborene von Ketteler, geheiratet. Die beiden waren, ebenso wie deren Kinder, ab 1830 Patienten von Bönninghausen gewesen.178 Insofern war die Homöopathie zumindest in diesen adeligen Familien weit verbreitet und wurde über Generationen hinweg genutzt. Zu den regelmäßigen Patienten in den ersten Jahren der Praxis zählte zudem die Familie eines Regierungsrats bei der Provinzialsteuerdirektion zu Münster. Den Anfang machte gleich im November 1829 der Vater, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren an Schmerzen im Unterleib und den Oberschenkeln litt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1844 blieb der Beamte in homöopathischer Behandlung. Eine seiner Töchter fragte Bönninghausen wenige Tage nach der Erstkonsultation des Vaters wegen Gesichtsschmerz um Rat. Die Ehefrau folgte ein knappes Jahr später und ließ zunächst Kopfschmerzen von Bönninghausen behandeln. Sie blieb der homöopathischen Kur bis ein Jahr nach dem Tod ihres Manns treu. Von den sechs Kindern des Ehepaares ist zumindest für fünf eine homöopathische Therapie nachweisbar. Eine der Töchter ließ sich sogar noch vom Sohn Friedrich von Bönninghausen, der die Praxis nach dem Tod des Vaters übernahm, behandeln.179 Die Angehörigen einer Buchhändlerfamilie aus Münster kamen zwischen 1850 und 1852 in die Praxis des Freiherrn. Dem 15 Jahre alten Sohn, der im August 1850 den Anfang machte, vermochte Bönninghausen nicht zu helfen. Er starb im selben Jahr an „Auszehrung“.180 Einen knappen Monat nach der 177 IGM der Vater P 155 S. 49, die Tochter P 106 Fol. 81 sowie BAM Münster St. Servatii Kirchenbuch Nr. 2 Taufen, Heiraten und Tote 1822–1875, 1859, Nr. 8. 178 In der Datenbank sind neun Angehörige aus der Familie des Matthias von Galen nachgewiesen. Andere Familienangehörige können ebenfalls Patienten gewesen sein, konnten im Rahmen der Untersuchung aber nicht weiter berücksichtigt werden. Die Behandlungen IGM P 154 und P 155, sowie P 25 Fol. 81, P 39 Fol. 168 und Fol. 169, P 40 Fol. 4, Fol. 75, Fol. 76 und Fol. 137 sowie P 63 Fol. 72. 179 Die Behandlungen IGM P 151 S. 51–54, P 154 und P 155 sowie P 13 Fol. 109 (Vater), P 154 und P 155 sowie P 23 Fol. 13 (Mutter) und die Kinder P 151 S. 71–72, P 154 und P 155 sowie P 2 Fol. 74, P 24 Fol. 9, P 36 Fol. 164 und P 48 Fol. 146. Biographische Angaben für Ziegler nach Walter: Beamtenschaft, S. 480. Auch bei Hahnemann war es so, dass verschiedene Mitglieder einer Familie den Homöopathen nach und nach und in unterschiedlichen Häufigkeiten konsultierten: Busche: Patientennetzwerk, S. 90–95. 180 IGM P 76 Fol. 130 und BAM St. Lamberti Kirchenbuch Nr. 25 Tote 1841–1854, 1850, Nr. 74.
5.2 Familien
185
Erstkonsultation des Sohns wurde Bönninghausen um Rat für die siebenjährige Tochter gebeten, die sich vermutlich durch Obst den Magen verdorben hatte. Das Mädchen blieb acht Jahre lang in der Behandlung.181 Es folgte der 45-jährige Vater, der „nach Ärger“ an „heftiger Kolik“ und „Erbrechen“ litt. Im Jahr darauf konsultierten die Gattin und drei weitere Kinder aus der Familie den Freiherrn. Als letztes Mitglied der Familie ist in der Datenbank im Dezember 1852 ein zehnjähriger Sohn zu finden, der nach einem Sturz starke Kopfschmerzen und Schwindelgefühle hatte.182 Alle Familienmitglieder vertrauten also trotz des Todes des Bruders und Sohns weiterhin der homöopathischen Kur.183 Im ähnlichen Zeitraum begab sich auch die gesamte Familie des „Regierungspräsidenten“ zu Bönninghausen. Der zum Zeitpunkt der Erstanamnese 50 Jahre alte Beamte litt an Haarausfall und Ausschlag. Seine Gattin folgte einen Monat später in die Behandlung. Sie litt besonders an Schlaflosigkeit und diversen anderen Beschwerden, wogegen sie bereits mit gewisser Besserung zwei verschiedene Kurbäder besucht hatte. Die fünf Kinder des Ehepaares wurden ebenfalls von Bönninghausen behandelt. Zwei Töchter litten im März 1851 beispielsweise an einer grippeähnlichen Erkrankung. Wie den einzelnen Behandlungsverläufen zu entnehmen ist, waren die Familienmitglieder unterschiedlich häufig bei Bönninghausen. Vater und Mutter besuchten den Freiherrn mehr als 20 Mal. Die Behandlung der gesamten Familie brach ab, als der Vater 1857 nach Köslin versetzt wurde.184 Wie durch diese Ausführungen deutlich wurde, behandelte Bönninghausen immer wieder Angehörige oder alle Mitglieder einer Familie. Gelegentlich nahmen Einzelne Medikamente für ihre Verwandten mit oder Bönninghausen behandelte diese, ohne für die weiteren Kranken eine eigene Seite in den Journalen zu verwenden. Bisweilen kamen die Betroffenen gemeinsam zu ihm. Aber es wurden zum Teil erst Kinder oder ein Elternteil behandelt, bevor andere Angehörige sich einer homöopathischen Kur unterzogen. Manche Betroffene erschienen nur ein einziges Mal in Münster, andere Familien blieben über Jahre hinweg treue Anhänger des Freiherrn und seiner Therapie. Daher zeigt sich, dass die medizinische Betreuung sehr oft eine Familienangelegenheit war.185 Dennoch kam es vor, dass einzelne Verwandte unterschiedliche Kuren in Anspruch nahmen oder nach einem Todesfall erst die Hinterbliebenen einer Familie auf das homöopathische Angebot zurückgriffen. Aufgrund 181 IGM P 76 Fol. 188. 182 Die übrigen Familienmitglieder sind in IGM P 77 Fol. 166 und Fol. 240, P 78 Fol. 80 und Fol. 212 sowie P 81 Fol. 75 und P 84 Fol. 60. 183 Gleiches galt auch für Familien bei van den Berghe: Baal: Being Ill, S. 159. 184 Die Behandlungen der einzelnen Familienangehörigen: IGM P 77 Fol. 136, Fol. 182 und Fol. 213, P 78 Fol. 161 und Fol. 162, P 79 Fol. 5 und P 84 Fol. 190. Die biographischen Angaben bei Wegmann: Verwaltungsbeamten, S. 309, Walter: Beamtenschaft, S. 437. Die Kinder werden hier nicht namentlich erwähnt. Naumann war seit 1849 Regierungsvizepräsident in Münster, bis 1850 jedoch mit der kommissarischen Verwaltung des Regierungspräsidiums Arnsberg betraut. 185 Vor allem für die Klientel aus Rotterdam: Gijswijt-Hofstra: Dutch Conquests, S. 176. Dies gilt auch heute noch: Schultheiß; Schriever: Warum, S. 133.
186
5 Die Klientel Bönninghausens
der mangelnden Angaben ist nicht genau festzustellen, wie viele Patienten Bönninghausens gemeinsam mit anderen Verwandten die Kur nutzten oder nicht.186 Dargelegt werden konnte lediglich, dass der Freiherr zumindest für einige Familien eine Art „Hausarzt“ war. Nicht zuletzt galt das für seine eigenen Angehörigen, die er in allen Lebenslagen medizinisch betreute. 5.3 Kinder Hinsichtlich der Behandlung kranker Kinder bestand in der Forschung lange Zeit Uneinigkeit. Während einerseits von Fatalismus gegenüber Krankheit und Tod bei Kleinkindern und Säuglingen berichtet wurde, zeichnen Untersuchungen andererseits Bilder von besorgten Eltern, die ihren Sprösslingen jede erdenkliche Hilfe angedeihen ließen.187 In Bönninghausens Praxis waren 4.077 der Patienten Kinder.188 Unter Kind wurden, in Anlehnung an die heute
186 Von Hahnemann ist bekannt, dass er in seiner Anfangszeit in Köthen verstärkt von Familien als Hausarzt genutzt wurde. Mortsch: D22 Kommentar, S. 39, Schreiber: Leipzig, S. 150, Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 28, Ehinger: D36 Kommentar, S. 21, Papsch: D38 Kommentar, S. 36–37. Ähnliches konnte auch Baal für die Praxis van den Berghes belegen. Aufgrund der Quellenlage konnte sie sogar unterschiedliche Familienportraits erstellen: Baal: In Search, S. 149–162. 187 Zum Fatalismusgedanken: Imhof: Die gewonnenen Jahre, S. 43–45, derselbe: Die verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren und warum wir uns heute so schwer damit tun, München 1984, S. 111–113 und S. 159, Shorter, Edward: Die große Umwälzung in den Mutter-Kind-Beziehungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. In: Martin, Jochen; Nitschke, August (Hrsg.): Zur Sozialgeschichte der Kindheit, Freiburg/München 1986 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e. V. 4), S. 503–524, mit Äußerungen der Ärzte: Stolberg: Heilkunde, S. 276–279, Brügelmann: Blick, S. 232, Esser: Arzt, S. 49 und zumindest vor dem 17./18. Jahrhundert skeptisch bezüglich der Wahrnehmung der Kindheit als eigenem Lebensabschnitt: Ariès, Philippe: Geschichte der Kindheit. Mit einem Vorwort von Hartmut von Hentig, München/Wien 1975. Kritisch: Arnold: Familie, Kindheit, Jugend, Loetz: Vom Kranken, S. 124 und S. 248, Lindemann: Health, S. 367. Anhand der Patientenkorrespondenz Hahnemanns zeigt: Ritzmann, Iris: Die jüngsten Patienten Hahnemanns. Eine analytische Studie zur Kinderpraxis in den Anfängen der Homöopathie. In: MedGG 18 (1999), S. 189–208 sowie dieselbe: Faktor die besorgten Eltern. Zusammenfassend: Buchholz, Werner: Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntnisgrenzen der geschichtlichen Landeskunde. Vorstellung der Konzeption und Einführung in die Beiträge. In: Buchholz, Werner (Hrsg.): Kindheit und Jugend in der Neuzeit 1500–1900. Interdisziplinäre Annäherungen an die Instanzen sozialer und mentaler Prägung in der Agrargesellschaft und während der Industrialisierung. Das Herzogtum Pommern (seit 1815 preußische Provinz) als Beispiel, Stuttgart 2000, S. 7–11. 188 Diese Anzahl ergibt die Eingabe „Kind“ bei Eigenberuf. Insgesamt waren 4.048 Kranke eindeutig 18 Jahre oder jünger. Die abweichende Zahl ergibt sich daraus, dass vor allem im ersten Sample das genaue Alter der Kinder gelegentlich nicht bekannt war, sich allerdings durch das Krankheitsbild wie „Zahnen“ oder die Bezeichnung als „Söhnlein“ oder ähnliches der Status als Kind ergab.
5.3 Kinder
187
geltenden Regelungen, alle Personen bis einschließlich 18 Jahre verstanden.189 Damit stellten Kinder und Jugendliche 28,6 % aller Patienten.190 Beachtlich ist dies vor dem Hintergrund, dass in der Stadt Münster selbst die Geburtenrate im 19. Jahrhundert relativ niedrig war. Somit war der Anteil der Einwohner, die 14 Jahre alt und jünger waren, im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung geringer.191 Von den 4.077 Kindern stammten 1.063 in einem Alter von bis einschließlich 14 Jahren aus Münster und den heutigen Eingemeindungen. Dies sind immerhin 29,9 % aller Münsteraner Patienten. Durchschnittlich betrug der Anteil der jungen Münsteraner dieser Altersgruppe an der Bevölkerung im 19. Jahrhundert jedoch 26,1 %, so dass Kinder aus Münster in der Praxis Bönninghausens im Vergleich zu der Altersstruktur der Stadtbewohner leicht überrepräsentiert waren.192 Wie bereits bei der Auswertung der allgemeinen Altersstruktur festgestellt werden konnte, stieg der Anteil der Kinder bis fünf Jahren in Bönninghausens Praxis sogar kontinuierlich an. Eine differenziertere Betrachtung offenbart, dass bis 1864 auch der Anteil der Säuglinge, die weniger als sechs Monate alt waren, zunahm. Anfänglich war nur knapp 1 % aller Patienten dieser Gruppe zuzurechnen, in den letzten Praxisjahren stieg der Anteil auf 1,6 %. Auch die Gruppe der bis zu 18 Jahre alten Patienten nahm bis 1853 zu. Doch nahm der Prozentsatz der zwischen sechs und 18 Jahre alten Kranken in der Zeit zwischen 1859 und 1864 wieder ab.193 189 In der Mehrheit dieser Fälle nannte Bönninghausen auch keinen Beruf, so dass von einem Kind ausgegangen wurde. Dieselbe Grenze zieht auch Ritzmann, mit der Begründung, dass zumindest in den Quellen des Züricher Spitals, auch Personen zwischen 14 und 18 Jahren noch als Kind gesehen wurden. Ritzmann, Iris: Chirurgische Kinderheilkunde im alten Züricher Spital. In: Gesnerus 58 (2001), S. 294, auch Papsch: D38 Kommentar, S. 40. 190 In der Praxis van den Berghes waren 15,7 % der Patienten 16 Jahre und jünger. Baal: In Search, S. 143. Bei Hahnemann 19 %: Papsch: D38 Kommentar, S. 40. In der Klientel des Arztes Haller waren 22 % der Kranken Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre. Boschung: Patient Records, S. 8. Etwa 17 % machten Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre in der Praxis des thüringischen Arztes aus. Thümmler: Rekonstruktion, S. 76–77. Bei dem Arzt Goedel waren sogar 48 % aller Behandelten Kinder. Wolff; Wolff: Profil, S. 570. 191 Krabbe: Wirtschafts- und Sozialstruktur, S. 204–205, Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 334, Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 22–23, Walter: Beamtenschaft, S. 255. 192 Aus Münster und den heutigen Eingemeindungen stammten 3.561 Patienten. Von den Kindern waren 3.052 zwischen null und 14 Jahren alt, damit stammen 34,8 % aller Kinder der entsprechenden Altersgruppe aus Münster. Für die Angabe zum Anteil der bis zu 14 Jahre alten Münsteranern an der Gesamtbevölkerung Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 23. Er betrug 1818 28,6 %, 1840 25,6 %, 1858 27,2 % und 1864 23,1 %, als Mittelwert ergibt sich 26,1 %. Die Eingemeindungen erfolgten 1875 und 1903 der geringe Anteil der unter 14-Jährigen blieb bestehen, Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 335 und S. 379. 193 Schaubild 16 sowie Tabelle 9 im Anhang, allgemein zur Altersstruktur Kapitel 5.1.2. Unter A0. Ab ½ Jahr wurde die Altersangabe in der Klassifikation aufgerundet. Auch in der Praxis van den Berghes stieg der Anteil der Kinder. Baal: Homoeopathy, S. 245, gleiches galt für die Praxis Langstaffs. Duffin: Rural Practice, S. 8.
188
5 Die Klientel Bönninghausens
Schaubild 16: Prozentualer Anteil der Altersklassen der bis 18-Jährigen in der Praxiszeit (bezogen auf die Gesamtanzahl der Patienten).
Berücksichtigt man das Geschlecht der Kinder, ist zu erkennen, dass mehr männliche als weibliche Säuglinge in der Praxis therapiert wurden.194 Ebenso waren mehr Jungen bis einschließlich einem Alter von 14 Jahren in der Behandlung des Freiherrn. Der Anteil der Mädchen im Vergleich zu den Jungen nahm in der Zeit zwischen 1849 bis 1853 stärker zu. Ganz ähnlich verhalten sich die Anteile, wenn man die übrigen Jugendlichen bis zu einem Alter von 18 Jahren berücksichtigt. Die Zunahme der Mädchen ist hier ebenfalls stärker und in der Spätzeit der Praxis behandelte Bönninghausen sogar mehr Mädchen als Jungen, die zwischen 15 und 18 Jahre alt waren.195
194 Dazu Schaubild 17. Die einzelnen absoluten Angaben in Tabellen 10 bis 12 im Anhang. 195 Demgegenüber waren in der Praxis van den Berghes auch mehr Mädchen von null bis 16 Jahren in Behandlung, Baal: In Search, S. 142, bei Hahnemann überwog der Anteil männlicher Kranker in diesem Alter: Papsch: D38 Kommentar, S. 41. Der Tiroler Arzt Ottenthal behandelte ebenfalls mehr männliche Säuglinge: Unterkircher: Start, S. 54. Übrigens ist auch heute der Anteil der behandelten Knaben bis etwa zehn Jahren höher: Köster, Ingrid: Die Häufigkeit der ärztlichen Inanspruchnahme. In: Ferber: Die ambulante ärztliche Versorgung, S. 389, Grobe; Dörning; Schwartz: GEK-Report, S. 62.
5.3 Kinder
189
Schaubild 17: Entwicklung der Altersklassen bis 18 Jahre nach Geschlecht. Prozentualer Anteil (bezogen auf die Anzahl der Patienten des entsprechenden Geschlechts im Sample).
War die Behandlung von Kindern Luxus oder kamen die jüngsten von Bönninghausens Patienten aus allen sozialen Schichten?196 Von 1.310 Kindern ist die Schichtzugehörigkeit bekannt. Es stammten 1,6 % aus der wohl situierten Oberschicht. Knapp 19 % waren hingegen Kinder aus den unteren sozialen Rängen.197 Ganz ähnlich wie die Schichtzugehörigkeit der Erwachsenen, spiegeln sich auch bei den Kindern und Jugendlichen die Abnahme der Oberschichtangehörigen und die Zunahme der Patienten aus der Unterschicht wider.198
196 Zu dieser These: Ritzmann: Patienten, S. 198, Baal: In Search, S. 139. Am Beispiel der Pockenimpfung konstruiert Wolff verschiedene Motive der Eltern bezüglich der Durchführung oder Unterlassung von medizinischen Maßnahmen: Wolff, Eberhard: Der „willkommene Würgeengel“. Verstehende Innenperspektive und „genaue“ Quelleninterpretation. Am Beispiel des erwünschten Kindertods in den Anfängen der Pockenschutzimpfung. In: Dinges, Martin; Schlich, Thomas (Hrsg.): Neue Wege in der Seuchengeschichte, Stuttgart 1995 (MedGG Beiheft 6), S. 105–141. 197 Tabelle 22 im Anhang. 198 Hierzu sowie zu den folgenden Angaben Schaubild 18.
190
5 Die Klientel Bönninghausens
Schaubild 18: Vergleich der prozentualen Anteile der Schichtzugehörigkeit von Kindern und Patienten insgesamt (bezogen auf die Gesamtzahl der Kinder beziehungsweise Patienten eines Samples).
Im Vergleich zeigt sich, dass Kinder der Ober- und Mittelschicht im ersten Sample sogar noch stärker vertreten waren als Angehörige der beiden Schichten insgesamt. Demgegenüber war der Anteil der Kinder aus der Unterschicht in der Zeit zwischen 1839 und 1843 höher als derjenige von Unterschichtangehörigen in der Gesamtpatientenschaft. Während aber der Anteil der ärmeren Patienten stark anstieg, war derjenige der Kinder aus den unteren Gesellschaftsschichten geringer. Kinder aus der Mittelschicht waren gemessen an ihrem Anteil bezogen auf alle Kinder stärker in Behandlung als Angehörige dieser Schicht bezogen auf alle Patienten. Insofern deuten die Ergebnisse dahin, dass tatsächlich eher Kinder aus der Ober- und Mittelschicht in den Genuss einer homöopathischen Therapie kamen. Kranke Kinder sind im Bereich der Patientengeschichte nur ansatzweise erforscht.199 Dies liegt daran, dass sich Kinder, anders als Erwachsene, nur 199 Ritzmann, Iris: Children as Patients in German-Speaking Regions in the Eighteenth Century. In: Müller, Anja (Hrsg.): Fashioning Childhood in the Eighteenth Century. Age and Identity, Aldershot 2006, S. 26. Kinder als Patienten stehen im Mittelpunkt der Habilitation von Ritzmann: Sorgenkinder. Ferner sind folgende ihrer Artikel hervorzuheben: Ritzmann: Faktor, dieselbe: Patienten oder dieselbe: Kinderheilkunde. In diesem Sinn auch Baal: In Search, S. 138 und Seidler, Eduard: Das kranke Kind. Historische Modelle einer medizinischen Anthropologie des Kindesalters. In: Martin, Jochen; Nitschke, August (Hrsg.): Zur Sozialgeschichte der Kindheit, Freiburg/München 1986 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e. V. 4), S. 685–709. Ein knapper Überblick zur Entwicklung der Pädiatrie bei Duffin, Jacalyn: History of Medicine. A Scandalously Short Introduction, Hampshire/London 2000, S. 303–336 und die Über-
5.3 Kinder
191
schwer zu ihrem eigenen Befinden äußern können und kaum Möglichkeiten haben, dies schriftlich festzuhalten.200 Durch die Notizen, die Bönninghausen gemacht hat, können Kinder als Patienten näher untersucht werden. Die Beschwerden, vor allem bei Kleinkindern bis zu fünf Jahren, wurden von den Begleitpersonen der Kinder geschildert. Prinzipiell kann man bereits am Vorhandensein einiger Briefe, in denen es um kranke Kinder ging, erkennen, dass deren Wohl den Erwachsenen am Herzen lag und die Jüngsten zum Teil sehr genau beobachtet wurden.201 Dabei musste es sich nicht zwangsweise um die eigenen Kinder handeln. Unklar bleibt natürlich, ob vielleicht die Eltern eine Frau aus Ochtrup im Jahr 1860 gebeten hatten, an Clemens von Bönninghausen zu schreiben. Das ältere Kind litt an „Stickhusten“ und erbrach zugleich. Das jüngere Geschwisterchen hatte Husten, „fieberartige Hitze“ und zahnte zudem. Leider ist über das Schicksal beider Kinder nichts weiter bekannt.202 Auch die erste Patientin Bönninghausens, Annette von Droste-Hülshoff, legte dem Freiherrn das Schicksal eines Kindes ans Herz, da „das Kind sonst ganz arm“ war. Bönninghausen konnte ihm aber kaum helfen.203 Ein Lehrer aus Pommern schickte Bönninghausen ein detailreiches Krankheitstagebuch über seinen Bruder, der, mit zwölf Jahren, wesentlich jünger war als er selbst. Bevor er sich an den Freiherrn wandte, hatte er vergeblich versucht, den Jungen selbst homöopathisch zu behandeln.204 Der Brief eines besorgten Vaters aus Frankreich erreichte Bönninghausen über Umwege. Der Junge litt an einem heftigen Husten, der zunächst mit einer homöopathischen Dosis verschwunden war, aber wiederkehrte. Nachdem der Junge durch einen alten Hausarzt dermaßen mit Lebertran traktiert worden war, dass der Magen des Kindes diesen gar nicht mehr vertragen konnte, wollte es der Vater noch einmal mit der Homöopathie versuchen.205 Häufig kamen kranke Geschwister in Behandlung, wenn sie an Keuchhusten oder Krätze litten.206 Beispielsweise notierte der Freiherr im November
200 201
202 203 204 205 206
blickswerke älteren Datums: Peiper, Albrecht: Chronik der Kinderheilkunde, Leipzig 3. erweiterte und umgearbeitete Auflage 1958 und Oehme, Johannes: Pädiatrie im 18. Jahrhundert, Lübeck 1984 (Documenta Pädiatrica 12). Ritzmann: Patienten, S. 190, Baal: In Search, S. 140. Dies unterstreicht die bereits dahingehend gemachten Ergebnisse Ritzmanns, beispielsweise Ritzmann: Patienten, S. 199–200. Für den „Wert“ der Gesundheit von Kindern konnten unterschiedliche Gesichtspunkte ausschlaggebend sein. Hierzu Ritzmann, Iris: Welchen Wert hat die Gesundheit von Kindern? Ein Interessenskonflikt im Ludwigsburger Waisenhaus Ende des 18. Jahrhunderts. In: Sträter, Udo; Neumann, Josef (Hrsg.): Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2003 (Hallesche Forschungen 10), S, 135–153. IGM P 108 Fol. 133 a und b und der eingeklebte Brief. IGM P 151 S. 5–7. Ähnliches auch in der Praxis Hahnemanns: Sauerbeck: Hahnemann, S. 6. IGM P 80 Fol. 175 und der dazugehörige Brief P 217. IGM P 107 Fol. 229 und der dazugehörige eingeklebte Brief. Ähnliches beobachtete Baal auch in der Praxis des belgischen Homöopathen. Baal: In Search, S. 145.
192
5 Die Klientel Bönninghausens
die Krankengeschichte zweier Schwestern, die beide an Keuchhusten erkrankt waren. Die Kinder eines Bäckers aus Münster waren fünf und zwei Jahre alt. Die ältere Tochter war „schon am sterben“, ein älterer Bruder bereits tot.207 In Nordwalde muss 1851 eine Keuchhustenepidemie geherrscht haben, da Bönninghausen von zwei dortigen Familien konsultiert wurde. In einem Fall behandelte er drei Kinder, bei denen die homöopathischen Mittel eine Besserung bewirkten, woraufhin keine Woche später eine weitere Familie um die Therapie zweier Kinder bat. Die Eltern wollten zudem für drei weitere Kinder aus verschiedenen Familien Medikamente mitnehmen.208 Für die vier Kinder eines Uhrmachers aus Münster war die Erkrankung an „Keuchhusten mit Erbrechen“ ebenfalls der Auftakt zu einer längeren homöopathischen Kur. Von den sechs Geschwistern des Haushalts waren zwei Mädchen und zwei Knaben erkrankt. Die homöopathische Kur hatte die Eltern insoweit überzeugt, dass sie nach diesem ersten Versuch im darauf folgenden Jahr den Freiherrn auch bei anderen Beschwerden der Kinder, wie einer Fiebererkrankung, „Geschwüre und Wundheit am After“ oder „Entzündung und Ausschlag rings um die Augen“, um Rat fragten. Allerdings starb zwei Jahre nach dem überwundenen Keuchhusten eine der beiden ältesten Töchter, ohne dass Bönninghausen dem Mädchen helfen konnte. Als Todesursache wurde „Schwindsucht“ in das Kirchenbuch eingetragen.209 Die beiden Töchter eines Mechanikers wurden dem Freiherrn im Dezember 1841 vorgestellt.210 Während das ältere Mädchen an einem „Ausschlag auf dem Kopfe und in den Nacken herunter“ litt, war es um das erst drei Monate alte Baby ernster bestellt. Bönninghausen notierte „Atrophie, Erbrechen, Husten, Nachtschweiß und grauer Stuhl“. Drei Mal verschrieb der Freiherr Medikamente, doch letztendlich war das junge Leben nicht zu retten und das Kirchenbuch offenbart, dass das Baby im April 1842, betreut durch den Arzt Bahlmann, an Krämpfen gestorben war.211 Auch für das ältere Mädchen war nach der ersten Konsultation die Behandlung vorerst beendet. Sie erschien knapp zehnjährig aber nach sechs Jahren erneut zu einem Termin. Trotz allen Bemühens um die Behandlung der Kinder, wurde bisweilen versucht, die Ausgaben zu begrenzen. Im November 1841 kam ein 16-jähriger Patient in die Praxis und wollte seine Krätze durch Bönninghausen therapieren lassen. Nach der ersten Konsultation konnte der Freiherr keine
207 IGM P 49 Fol. 43 a und b. Allein die Kombination von „b“ in der Folioseite welches ein Geschwisterkind andeutet und „Keuchhusten“ in der Erstanamnese ergibt 60 Treffer. Mehr zu Kinderkrankheiten in Kapitel 6.5.3. 208 Die drei Kinder der ersten Familie P 79 Fol. 202 a-c, die weiteren zwei Kinder P 79 Fol. 231 a und b, hier auch der Vermerk zu den übrigen drei Kindern, alle IGM. Allerdings erwähnt das Amts-Blatt Regierung Münster keine derartige Epidemie 1851. 209 Die vier Kinder zum ersten Mal in IGM P 40 Fol. 18, die weiteren Behandlungsverläufe in P 42 Fol. 47, P 43 Fol. 93 und Fol. 166, sowie Personenkartei Ferdinand Theissing unter Pollack, Anton Joseph Christian. 210 IGM P 49 Fol. 93 a und b. 211 BAM St. Aegidii Kirchenbuch Nr. 19 Tote 1842–1870, 1842, Nr. 30.
5.3 Kinder
193
Besserung bemerken. Doch er notierte, zwei Geschwister hätten sich die Mittel geteilt. Denn die 13 Jahre alte Schwester litt ebenfalls an der Krätze.212 Ein wichtiges Kapitel im Rahmen der Gesundheitsfürsorge bei Kindern ist die Frage nach der Blatternimpfung. Diese Maßnahme wurde im ehemaligen Fürstbistum Münster bereits seit dem 18. Jahrhundert betrieben. Ab 1820 hatte man den Kreisphysikus mit der Durchführung derselben bei kleinen Kindern beauftragt.213 Beispielsweise wurden im Jahr 1838 von 634 Neugeborenen 407 innerhalb des ersten Lebensjahres erfolgreich geimpft und im Jahr 1842 von 683 Geborenen 387.214 Hahnemann war von den Impfungen beeindruckt, auch wenn die Art der Durchführung seinen Prinzipien widersprach. Er selbst tätigte keine Impfungen. Auch Bönninghausen trat nicht als Impfarzt in Erscheinung.215 Die Ärzte klagten immer wieder über den Widerstand der Eltern gegen die Impfungen. Die möglichen Motive der Eltern für eine solche Ablehnung sind eingehend untersucht worden.216 Die zumeist unterstellte Vernachlässigung des Kindwohls oder Rückständigkeit der Eltern waren jedoch kaum relevant.217 Die Eltern standen auch den unabsehbaren Folgen eines solchen Eingriffs kritisch gegenüber. Denn eine Impfung war nicht so gefahrlos, wie es heute in der Regel der Fall ist.218 Bönninghausen notierte gelegentlich, ob ein Kind bereits geimpft war oder nicht. Bei nicht wenigen der 75 Fälle musste er Neben- oder Folgewirkungen der Impfung homöopathisch behandeln.219 Dies 212 IGM P 49 Fol. 81. 213 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 44 und Archivamt LWL Archiv Bestand 101 Provinzialständischer Landtag 1826–1886, 249: Schutzblatternimpfung und StAM Regierung Münster 888 V: Die Schutzpockenimpfung, 1819–1843 und 889 II-35: Die Schutzpockenimpfung, 1843–1865 sowie StAM Oberpräsidium Münster 2503: Impfungen gegen Pocken und Blattern (1809), 1819–1853, 1866–1874. 214 Amts-Blatt Regierung Münster 1839, S. 420 und 1843, S. 236. Die Impflisten Münsters beispielsweise in: StdAM Stadtregistratur Medizinalangelegenheiten Fach 205: Nr. 1: Schutzimpfung gegen Blattern, Band 1, 1804–1833 und Nr. 2: Schutzimpfungen gegen Blattern, mit Impflisten, Band 2, 1834–1842, Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 44. 215 Zu den Motiven Hahnemanns für ein Eintreten für Impfungen: Ritzmann: Patienten, S. 196–197 sowie Hahnemann: Organon 6 § 46, S. 127–129. Bönninghausen äußerte sich kritisch zu den Impfungen, wenn der Impfstoff nicht direkt von Kühen, sondern von Menschen stammte. Er betonte die Gefahren eines verunreinigten Impfstoffes. Hierzu Bönninghausen, Clemens von: Avis de la société homoeopathique Rhénane et Westphalienne concernant les questions releatives à la Vaccine. In: Gypser: Generalregister, S. 40–42. Allgemein aber sei „die Vakzzination ein wahres homöopathisches Heilmittel“. Bönninghausen: Aphorismen, S. 97 in der Fußnote. 216 Zusammenfassend mit weiterführender Literatur: Wolff, Eberhard: Einschneidende Maßnahmen. Pockenschutzimpfung und traditionale Gesellschaft im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1998 (MedGG Beiheft 10). 217 Wolff bespricht diesen Komplex unter dem Stichwort „Von außen zugeschriebene Ursachen der Impfablehnung“, Wolff: Maßnahmen, S. 413–446. 218 Auch wenn die Furcht vor schädlichen Nebenwirkungen bisweilen übertrieben gewesen sein mag. Hierzu problematisierend: Wolff: Maßnahmen, S. 296–316. 219 Für elf Kinder wurde vermerkt, sie seien noch nicht geimpft. „Impf“ (27), „geimpft“ (37) und „Blatternimpfung“ (elf) in der Datenbank. Im Zuge der Ursachenanalyse wurden bei
194
5 Die Klientel Bönninghausens
waren Ausschläge, die entweder nur einen bestimmten Teil oder den ganzen Körper betrafen oder Entzündungen, besonders der Augen. Vor allem wenn der Impfstoff von kranken Kindern stammte, konnte deren Leiden übertragen werden. So bekam ein Kleinkind von knapp zwei Jahren nach der „Blatternimpfung von einem ungesunden Kinde“ durch einen Chirurgen aus Wolbeck „Scrofulosis“.220 Ein anderer Impfling wurde mit „Blatternlymphe“ von einem Kind geimpft, „welches Flechten hatte“. Der einjährige Knabe litt nun selbst an Hautausschlag.221 Das „Schiefwachsen beider Knie“ eines vier Jahre alten Kindes stand nach heutigem Ermessen zwar kaum im Zusammenhang mit der vorangegangenen „Blattern-Impfung“. Es war und ist für das Risikobedenken der Eltern gegen einen solchen Eingriff aber unerheblich, ob die Maßnahme und die Reaktion in einem kausalen Zusammenhang standen. Relevant für das zukünftige Verhalten war, was man damals als Folgewirkung interpretierte. Das Entstehen der krummen Knie wird die Eltern des betroffenen Kindes jedenfalls nicht zu begeisterten Impfanhängern gemacht haben.222 Dieser Abschnitt zeigte, dass Bönninghausen zwar kein spezieller „Kinderarzt“ war, er aber recht viele junge und jüngste Patienten in seiner Klientel zu betreuen hatte. Der Anteil von 28,6 % war höher als in den vergleichbaren Praxen von Hahnemann oder van den Berghe.223 Auch übertraf er damit die Anteile in den meisten europäischen Praxen des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen Kinder durchschnittlich zwischen 7 % und 14 % der Klientel ausmachten.224 Die Eltern haben außerdem dem Freiherrn und damit der Homöopathie über die Jahre hinweg verstärkt Vertrauen in Bezug auf die Behandlung ihrer Kinder entgegengebracht.225 Hierfür spricht der steigende Anteil von
220 221 222
223 224
225
45 der betroffenen Kinder die Leiden auf eine vorangegangene Impfung zurückgeführt, Eingabe von „Ursachen“ im Feld „weitere Bemerkungen“ kombiniert mit den zuvor genannten Worten im Feld „Erstanamnese“. P 42 Fol. 52. Zu „Skropheln“ Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 654–655. Ähnliche Fälle P 72 Fol. 2 oder P 112 Fol. 262. Alle IGM. Mehr hierzu in Kapitel 6.3 sowie 6.5.3. IGM P 54 Fol. 146. IGM P 79 Fol. 176, ähnlich auch P 47 Fol. 14, hierzu Wolff: Maßnahmen, S. 315. Auch in Belgien kam es vor, dass mittlerweile erwachsene Patienten ihr Leiden auf die Pockenimpfung zurückführten. Baal: In Search, S. 206. Jütte: Patientenschaft, S. 31–33, Baal: In Search, S. 140. Dinges: Immer schon, S. 303–304. Er war auch höher als in der Praxis Hallers oder der des kanadischen Arztes Langstaff, obwohl die Anteile von etwa 22 % Kindern bereits deutlich höher lagen als in anderen Praxen. Boschung: Patient Records, S. 8, Duffin: Langstaff, S. 94. Zu der Meinung, dass Eltern einem Arzt häufig keine adäquate Therapie für Kinder zutrauten auch Stolberg: Patientenschaft, S. 18–19. Demgegenüber galt die Homöopathie als für Kinder besonders geeignet: Jütte, Robert: The Paradox of Professionalisation. Homeopathy and Hydrotherapy as Unorthodoxy in Germany in the 19th and 20th Century. In: Jütte, Robert; Risse, Guenter; Woodward, John (Hrsg.): Culture, Knowledge and Healing. Historical Perspectives of Homeopathic Medicine in Europe and North America European Association for the History of Medicine and Health Network Series 4), Sheffield 1998, S. 75. Auch in der Praxis Langstaffs wurde ein steigender Anteil von Kleinkindern bemerkt. Duffin: Langstaff, S. 99–101. Einen Überblick, wer bei der Be-
5.4 Der Tod von Patienten
195
Kleinkindern unter den Neupatienten. Im Gegensatz zu der negativen Sicht, die in der Vergangenheit häufig dargelegt wurde, wenn es um das Wohl von Kindern ging, ist festzustellen, dass Eltern ihren Kindern eine ärztliche Behandlung angedeihen ließen. Dies war keineswegs nur der Fall, wenn es um akute Leiden ging, sondern ebenso wenn weniger „gefährliche“ Beschwerden wie Ausschläge oder dergleichen auftraten. Ähnlich wurde bei nahezu aussichtslosen Leiden, trotz allem eine Therapie in der Hoffnung auf Linderung oder Heilung versucht.226 5.4 Der Tod von Patienten Es gibt Krankheiten, denen auch die heutige Medizin nach wie vor machtlos gegenüber steht. Dabei verfügt die aktuelle „Schulmedizin“ über sehr viel wirkungsvollere Medikamente und Therapiemöglichkeiten als im 19. Jahrhundert. Allerdings ergaben sich auch damals die Betroffenen nicht einfach in ihr Schicksal, sondern versuchten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, ihr Leiden so lange wie möglich zu bekämpfen. Todkranke oder chronisch leidende Patienten waren aber in den Praxen der Ärzte nicht gern gesehen. Denn die Aussicht auf Heilung war gering und eine erfolglose Behandlung beziehungsweise im schlimmsten Fall der Tod des Kranken warfen ein schlechtes Licht auf den betroffenen Heiler. Dennoch klagten Mediziner immer wieder darüber, dass die Menschen zu spät oder nie einen Arzt konsultierten.227 In den Kirchenbüchern der Münsteraner Pfarren wurde vermerkt, ob Verstorbene vor ihrem Tod ärztlich betreut worden waren. Meist notierte der Geistliche in der entsprechenden Spalte nur ein „überhaupt“, ohne dies weiter auszuführen. Eine Ausnahme ist die Domgemeinde. In einigen Jahren wurden
handlung kranker Kinder zu Rate gezogen wurde, bietet: Ritzmann: Sorgenkinder, S. 87–120. 226 Hierzu mehr im Zusammenhang mit der Beschreibung des Krankheitsspektrums Kapitel 6.5.3. Allein das Wort „Ausschlag“ wird in Zusammenhang mit Kind 794 Mal erwähnt. Ähnlich ist es auch in der Praxis van den Berghes: Baal: In Search, S. 144, außerdem: Ritzmann: Children, S. 31, Lindemann: Health, S. 367. 227 Esser: Arzt, S. 49–50, Stolberg: Patientenschaft, S. 6–9, Stürzbecher, Manfred: Beiträge zur Berliner Medizingeschichte. Quellen und Studien zur Geschichte des Gesundheitswesens vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 1966 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 19), S. 110 und S. 117–118, Wormer: Physikatsberichte, S. 138. Zu der Frage, warum sie dies nicht taten: Loetz: Grenzen, Stolberg: Heilkunde, S. 244–283. Im Fall des Scheiterns einer Behandlung suchte man die Schuld häufig beim Arzt: Stolberg: Heilkraft, S. 172, Döhner: Krankheitsbegriff, S. 67. So berichtete auch Bönninghausen in einer Erstanamnese, dass ein Mädchen, nach langem Brauchen von einem Arzt, von diesem letztendlich abgewiesen worden war: P 44 Fol. 176. In anderen Fällen hatten die Ärzte die Kranken als „hoffnungslos“ oder „verloren“ aufgegeben: P 151 S. 267, P 73 Fol. 168 und Fol. 220, P 76 Fol. 158, P 77 Fol. 97, P 80 Fol. 129, P 82 Fol. 277, P 84 Fol. 149, P 85 Fol. 9 und Fol. 187, P 107 Fol. 5, P 115 Fol. 252. Alle IGM.
196
5 Die Klientel Bönninghausens
dort die behandelnden Therapeuten genannt.228 Dabei erscheinen so bekannte Namen wie der des Medizinalrates Tourtual oder der Ärzte Vagedes, Klövekorn, Lutterbeck, Riefenstahl, Koppel, Sarrazin und Werlitz. Aber, und das ist die eigentliche Überraschung, auch Clemens von Bönninghausen wurde bei vier Verstorbenen als behandelnder Arzt erwähnt.229 Zwei Damen, die sich eine Wohnung teilten, waren beide mehr als zehn Jahre in der Behandlung des Freiherrn gewesen. Die eine, eine ehemalige Klarissen-Schwester, hatte Bönninghausen im Juli 1830 zum ersten Mal wegen „Schwindel und Fußgeschwulst“ konsultiert. Neun Tage vor ihrem Tod hatte sie den Freiherrn ein letztes Mal im April 1845 besucht. Als Todesursache war im Kirchenbuch „Wassersucht“ angegeben worden. In ihrem Testament hatte sie die Rentnerin bedacht, die mit ihr zusammengewohnt hatte.230 Diese überlebte sie um ein Jahr. Auch bei ihr war Bönninghausen als behandelnder Arzt im Kirchenbuch eingetragen. Gestorben war sie an „Schwindsucht“. Sechs Tage vor ihrem Tod war sie zum letzten Mal bei dem Homöopathen gewesen. Weswegen ihn die damals 39-Jährige im August 1830 ursprünglich konsultierte, ist den Aufzeichnungen nicht zu entnehmen. Während der Therapie klagte sie über Beschwerden bei der Regel, „Urinverhaltung“, Kopfweh, Hitze, „Leberverhärtung“ und Verstopfung.231 Ein Buchbinder war drei Monate vor seinem Tod im März 1847 das letzte Mal bei Bönninghausen gewesen, dennoch wurde der Freiherr als behandelnder Arzt genannt. Als Todesursache war „Auszehrung“ angegeben. Dem Homöopathen gegenüber hatte der damals 29-Jährige bei der Erstanamnese im Jahr 1842 über „Husten, am meisten Früh mit dickem, gelben, geschmacklosen Auswurf“ geklagt. Außerdem bemerkte er ein „Zusammenziehen der Brust“, „Druck im Magen bei Verstopfung“ sowie „inneres Zittern in der Herzgrube“.232 Ein 55 Jahre alter Bote der Feuersozietät nutzte die
228 BAM St. Pauls-Dom Kirchenbuch Nr. 8 Tote 1820–1875. Die Namen der behandelnden Ärzte wurden nur in den Jahren 1836 bis 1841 nicht genannt. Die Domgemeinde war aber die kleinste in Münster und die dort wohnende Bevölkerung nicht repräsentativ für die Gesamteinwohnerschaft: Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 26–32. Diese Angaben scheinen die überaus skeptische Meinung zu widerlegen, die Kranken hätten im 19. Jahrhundert nie einen Arzt aufgesucht. Esser: Arzt, S. 49, Stolberg: Patientenschaft, S. 10. Allerdings stammen die Zahlen vom Beginn des 19. Jahrhunderts. In der Praxis Langstaffs wurde ein steigender Anteil der Todesfälle, bei denen zuvor der Arzt konsultiert worden war, nachgewiesen. Duffin: Langstaff, S. 101. 229 Es handelt sich um die Patienten P 154 S. 7 und P 7 Fol. 16 (Raufake), P 154 und P 155 sowie P 2 Fol. 15 (Sanenberg), P 52 Fol. 33 (Hoeter) und P 83 Fol. 164 (Beringhof). Alle IGM. Zu den übrigen Namen Kapitel 4.4.2 und 4.4.3. 230 IGM P 154 S. 7 sowie P 1 Fol. 16. BAM St. Pauls-Dom Kirchenbuch Nr. 8 Tote 1820– 1875, 1845, Nr. 3. 231 IGM P 154 und P 155 auf mehreren Seiten, P 1 Fol. 2 sowie BAM St. Pauls-Dom Kirchenbuch Nr. 8 Tote 1820–1875, 1846, Nr. 7. 232 IGM P 52 Fol. 33 und BAM St. Pauls-Dom Kirchenbuch Nr. 8 Tote 1820–1875, 1847, Nr. 7.
5.4 Der Tod von Patienten
197
Dienste des Freiherrn zusätzlich zu denen des Arztes Nübel. Verstorben war er an einem „Schwammgewächs“, welches von beiden behandelt worden war.233 Nicht in jedem Fall ist zu entscheiden, ob die Patienten an der Krankheit gestorben sind, derentwegen sie den Freiherrn konsultiert hatten. Bei manchen Patienten notierte Bönninghausen, woran sie verstorben waren. Je länger die Erstkonsultation zurücklag desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderes Leiden zum Tod der Betroffenen geführt hatte.234 Beispielsweise kam im Dezember 1860 ein Bauer in die homöopathische Behandlung. Er wurde von „Zahnweh und Kopfschmerzen“ geplagt. Der Freiherr konnte diese Beschwerden lindern, aber 1863 verstarb der Mann an einem „Schlag“. Eine damals 41-Jährige aus Westbevern besuchte Bönninghausen wegen „Beängstigung und Weinerlichkeit“, ferner befiel sie beim Bücken ein Schwindelgefühl und in der früh hatte sie Kreuzschmerzen. Die Frau blieb 20 Jahre in Behandlung und starb dann ein halbes Jahr nach ihrer letzten Konsultation an einer „Brustkrankheit“, ohne dass sie vor ihrem Tod den Freiherrn noch einmal gesehen hätte. Eine 53 Jahre alte Frau aus Beckum hatte wegen Zahnfleischbeschwerden und Kopfschmerzen den Homöopathen um Rat gefragt. Nach zwei Konsultationen starb die Patientin an einem „Brustfieber“.235 Manche Kranken starben aber unter ganz anderen Umständen. So berichtete Bönninghausen in seinen Aufschrieben, dass ein zehnjähriger Knabe etwa ein dreiviertel Jahr nach seinem letzten Besuch bei ihm „in der Ruhr bei Arnsberg ertrunken“ sei.236 Ein kranker Lehrer hatte den Freiherrn zwei Mal besucht. Er litt an einer verstopften Nase, in der bereits ein Polyp operiert worden war. Außerdem schielte er. Der Behandlungserfolg muss unklar bleiben. Allerdings scheint der 40-Jährige nicht von der Homöopathie überzeugt gewesen zu sein. Für eine weitere Therapie hatte er sich in Berlin einer Operation unterzogen, an deren Folgen er im selben Jahr starb.237 Bei einer anderen Patientin konnte der Freiherr die „Kreuzschmerzen“ lindern, die sie plagten. Daraufhin befand sich die ebenfalls 40 Jahre alte Frau „ganz wohl“. Sie befolgte dann die verordnete Diät nicht mehr, worauf sie „Erbrechen bekam und dann verschied“. Ein weiterer Kranker hatte seine vorangegangene Besserung „durch Tanz und Saufen verdorben“ und starb einige Zeit nachdem er Bönninghausen gesehen hatte.238
233 IGM P 83 Fol. 164 und BAM St. Pauls-Dom, Kirchenbuch Nr. 8 Tote 1820–1875, 1852, Nr. 6. Bei seinem Tod hinterließ er seine Gattin und sieben Kinder. „Herzgrube“ meint die Oberbauchgegend. Hierzu Bruchhausen, Walter; Schott, Heinz: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Göttingen 2008, S. 114. 234 Da in der vorliegenden Untersuchung der genaue Verlauf der weiteren Behandlung nicht verfolgt wurde, kann vorerst nur festgestellt werden, dass Patienten, die längere Zeit bei Bönninghausen waren, diesen auch wegen anderer Beschwerden als denjenigen aus der Erstkonsultation aufgesucht hatten. Dies war bei 49 Verstorbenen der Fall. 235 Die drei Beispiele IGM P 108 Fol. 251, P 37 Fol. 178 und P 76 Fol. 208. 236 IGM P 46 Fol. 192. 237 IGM P 112 Fol. 254. 238 Die Beispiele IGM P 51 Fol. 19 und Fol. 150.
198
5 Die Klientel Bönninghausens
Bei manchen Kranken war sich auch der Freiherr darüber im Klaren, dass er den Todgeweihten nicht retten konnte. Dennoch versuchte er eine Kur.239 Eine 58-Jährige wandte sich im Januar 1853 an Bönninghausen. Seit drei Jahren litt sie an „Wassersucht des ganzen Körpers“, welche „nach Erkältung im Wasser, worin sie gefallen“ entstanden war. Die Kranke war nicht selbst in Münster erschienen und Bönninghausen ließ ihr vermutlich ausrichten oder schrieb ihr, dass kaum Aussicht auf Heilung bestehe. Zwei weitere Daten sind auf der Seite vermerkt, am Ende notierte der Homöopath jedoch den Tod der Patientin am 11. April des Jahres, „wie ich vorher gesagt“. Eine 36-Jährige aus Oelde kam im August 1841 zu Bönninghausen. Seit einem dreiviertel Jahr litt sie an heftiger Diarrhöe, morgens hatte sie trockenen hohlen Husten und seit mehreren Monaten „Geschwulst der Füße“. Sie konsultierte ihn vier Mal. Doch notierte dieser „hoffnungslos“ und schloss seine Aufzeichnungen mit dem Tod der Kranken im Oktober desselben Jahres.240 Bei einem knapp zweijährigen Knaben konnte der Freiherr dessen „psorisches Kniegeschwulst“ im April 1840 lindern. Als der Junge einen Monat später mit einer „Gehirnentzündung“ zu ihm kam, schrieb Bönninghausen resignierend „Wird nicht mehr zu retten sein“. Am 10. Mai des Jahres starb der Knabe.241 Der Freiherr vermerkte bei 263 seiner Patienten den Todesfall.242 Davon waren 112 Männer und 122 Frauen. Durchschnittlich ließen sich die Betrof239 Van den Berghe lehnte beispielsweise eine Therapie ab, wenn er dem Kranken nicht mehr helfen konnte, um die Homöopathie nicht zu kompromittieren. Baal: In Search, S. 173. Auch Hahnemann überlegte genau, ob er moribunde Patienten therapieren sollte, da ihm bewusst war, wie sehr ein Misserfolg seinem Ruf schaden konnte. Jütte: Hahnemann, S. 127–132. Zur Ablehnung Sterbenskranker seit der Antike auch Bergdolt, Klaus: Das Gewissen der Medizin. Ärztliche Moral von der Antike bis heute, München 2004, besonders S. 25–41. In sechs Fällen notierte Bönninghausen seine Prognose „nicht zu retten“: IGM P 35 Fol. 73, P 40 Fol. 44, P 46 Fol. 11, P 47 Fol. 11, P 49 Fol. 30, P 51 Fol. 115, „verloren“ schienen P 77 Fol. 205 und P 78 Fol. 157. Zwar hielt Bönninghausen es für sinnvoll, den Kranken selbst in solchen Fällen Hoffnung zu geben, den Angehörigen gegenüber jedoch die Wahrheit zu sagen. Bönninghausen: Triduum, S. 48. 240 IGM P 84 Fol. 191 und P 48 Fol. 111. 241 IGM P 41 Fol. 167, ähnlich P 36 Fol. 102. 242 Dies sind die Fälle mit „+“ im Feld „Behandlungserfolg“. Es sind 1,8 % aller in der Datenbank verzeichneten Fälle. Hahnemann hingegen scheint den Tod seiner Patienten nicht in seinem Journal verzeichnet zu haben: Schuricht: D16 Kommentar, S. 151, FischbachSabel: D34 Kommentar, S. 59, Mortsch: Patientenschaft, S. 33. Einzige Ausnahme bildet eine Nennung in Mortsch: D22 Kommentar, S. 78. Nach den Untersuchungen von Arztpraxen in Bayern endeten dort zwischen 3 % und 23,5 % der Behandlungen mit dem Tod des Patienten: Stolberg: Patientenschaft, S. 7–13. Aber auch andere Ärzte verzeichneten tödlich verlaufende Krankheiten und Unfälle sehr selten, beispielsweise Martin-Kies: Alltag, S. 41. Bei dem Arzt Goedel endeten 5 % aller Behandlungen mit dem Tod des Erkrankten. Wolff; Wolff: Profil, S. 570, ein Arzt in England verzeichnete für etwa 10 % der von ihm behandelten Kranken einen tödlichen Ausgang: Riley: Sickness, S. 133 oder in einem anderen Fall für 671 Patienten bei 265 eine Heilung, 62 eine Besserung, 22 keine Besserung und 53 Todesfälle: McCray Beier: Sufferers, S. 96. Van den Berghe notierte den Tod von 16 Patienten. Baal: Homoeopathy, S. 251. Der Arzt Langstaff musste den Tod von 0,5 % bis 2,5 % seiner erwachsenen Patienten akzeptieren. Duffin: Langstaff, S.
5.4 Der Tod von Patienten
199
fenen knapp drei Jahre homöopathisch behandeln. Der geringe Mittelwert täuscht aber darüber hinweg, dass einige Patienten nach ihrer Erstkonsultation bis zu ihrem Tod der Heilmethode Hahnemanns und damit dem Therapeuten Bönninghausen die Treue hielten.243 Die Altersstruktur der Verstorbenen belegt, dass 22,1 % aller Patienten bei ihrem Tod erst zehn Jahre alt oder jünger gewesen waren. Bei den Neupatienten stellt diese Altersgruppe „nur“ 16,6 % aller Kranken. Die Kinder- und Säuglingssterblichkeit war in Münster hoch.244 Um 1860 waren rund 34 % aller in Münster Verstorbenen nicht älter als fünf Jahre geworden.245 Insofern wäre der Anteil der in diesem Alter verstorbenen Patienten im Verhältnis zur Altersstruktur der Verstorbenen in der Stadt Münster sogar geringer. Weitere 14,4 % der Toten waren in einem Alter zwischen 21 und 30 Jahren gestorben. Zwischen 31 und 40 Jahren waren 12,5 % der Betroffenen gewesen. Ähnlich hoch lag mit 11,8 % der Anteil der zwischen 51 und 60 Jahre alten Verstorbenen.246 Versucht man die Altersstruktur der Verstorbenen in Bönninghausens Praxis mit derjenigen der Münsteraner Bevölkerung zu vergleichen, liegt der Anteil der zwischen fünf und 45 Jahre Verstorbenen jeweils höher, während der Anteil der 45- bis 65-Jährigen fast gleich ist. Tatsächlich ist es unmöglich zu sagen, ob in der homöopathischen Behandlung mehr Kranke in einem bestimmten Alter verstarben, da Vergleichswerte zur Altersstruktur von Verstorbenen aus anderen Praxen fehlen.247
243 244
245
246
247
101. Im 19. Jahrhundert kam durchschnittlich ein Toter auf 10 Behandlungsfälle. Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 148. Bei den übrigen 29 Patienten war das Geschlecht unbekannt. 19 der Kranken waren zwischen zehn und 35 Jahre durch Bönninghausen behandelt worden. Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 351. Eine hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit im 19. Jahrhundert ist auch für andere Städte belegt, zum Beispiel: Baschin: Untersuchung, S. 43–44 mit weiterführender Literatur. Auch bei Langstaff waren mehr als 40 % der Verstorbenen Kinder: Duffin: Langstaff, S. 97. Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 24. Das Schaubild gibt nur absolute Zahlen und es wird im Text keine Gesamtgrundzahl erwähnt. Daher beruht die Prozentangabe auf eigenen Berechnungen nach näherungsweiser Summierung der Gesamtgrundzahl und Abschätzung der absoluten Angaben. Geschätzt wurde „0–5“: 24,4 %, „5–25“: 9,8 %, „25–45“: 15,6 %, „45–65“: 20,5 % und „über 65“: 19,7 %. Die Altersstruktur der Verstorbenen in der Praxis Bönninghausens nach diesen Altersklassen ist: „0–5“: 15,4 %, „5–25“: 22,4 %, „25–45“: 24,7 %, „45–65“: 21,2 % und „über 65“: 7,7 %, bei 8,5 % war das Alter zum Todeszeitpunkt unbekannt. Die Angaben wie folgt, in Klammern der Prozentanteil: „0–10“: 58 (22,1 %), „11–20“: 24 (9,1 %), „21–30“: 38 (14,4 %), „31–40“: 33 (12,5 %), „41–50“: 24 (9,1 %), „51–60“: 31 (11,8 %), „61–70“: 24 (9,1 %), „71–80“: acht (3,0 %), „über 80“: einer (0,4 %), unbekanntes Alter zum Todeszeitpunkt: 22 (8,5 %). Außerdem ist die Altersstruktur der Gesamtpatientenschaft auch nur bedingt mit derjenigen der Stadt Münster vergleichbar, da das Einzugsgebiet der Praxis größer ist. Im Jahr 1858 waren 27 % der Münsteraner jünger als 14 Jahre, während in Bönninghausens Behandlung knapp 23 % aller Patienten in diesem Alter waren. Unterbesetzt ist ebenso die Klasse der Kranken über 60 Jahren, die in der Gesamtbevölkerung 7,7 %, in der Klientel jedoch „nur“ 4,5 % stellten. Zwischen 14 und 60 Jahren waren 65,1 % der Bevölkerung und in der Patientenschaft des Homöopathen 66 %. Für die Angaben zur Bevölkerung
200
5 Die Klientel Bönninghausens
Bei 111 der Betroffenen kann man vom Tod während der homöopathischen Behandlung sprechen. Diese Kranken sind weniger als vier Wochen, nachdem Bönninghausen die letzte Konsultation vermerkt hatte, verstorben. Viele der Betroffenen hatten, wie an den vorigen Beispielen deutlich wurde, derart schwere oder akute Erkrankungen, dass auch jeder andere Therapeut kaum eine erfolgreiche Kur hätte verbuchen können.248 Bei einigen konnten die verschriebenen Medikamente aber gar nicht wirken, weil die Mittel nicht eingenommen worden waren oder zu spät eintrafen. So starb ein zweijähriges Mädchen aus Glandorf an der Bräune, „noch ehe die Pulver gebraucht waren“.249 Und aus Rotterdam erhielt Bönninghausen von den Hinterbliebenen die „letzten Pulver“ zurück, nachdem der im September 1853 Verstorbene diese nicht mehr eingenommen hatte.250 Eine weitere Patientin verstarb ungewisse Zeit nach ihrer letzten Konsultation bei dem Freiherrn, „nach Aufhören des Einnehmens auf fremden Rath“. Dabei hatte Bönninghausen im Verlauf der Kur eine Besserung ihrer Beschwerden feststellen können.251 Auch eine 58-Jährige aus Ahlen musste während ihrer homöopathischen Therapie gegen Widerstände aus ihrem Umfeld ankämpfen. Sie litt an „stetem Druck auf dem Wirbel, wie von einer Last, mit Angst und Besorgtheit bei allem“, außerdem hatte sie „Pfeffergeschmack im Munde“ und „überlaufende Hitze und Schweiß“. Während ihrer zweijährigen Behandlung durch Bönninghausen berichtete sie aber, „daß die Flasche ausgegossen und mit Wasser wieder gefüllt ist, während sie schlief“. Die Kur war sabotiert worden. Gestorben war sie letztendlich „in allopathischen Händen“, fast zwei Jahre, nachdem Bönninghausen den letzten Termin notiert hatte. Offenbar war der Druck aus dem Umfeld gegen die homöopathische Kur zu groß geworden und sie hatte sie abgebrochen.252 Dieser Fall ist jedoch nicht einzigartig. Bei 82 Verstorbenen notierte Bönninghausen, dass sie nach seiner Kur wieder einen „Allopathen“ aufgesucht und in dessen Behandlung verstorben waren.253 Faszinierend ist das Verhalten eines 35 Jahre alten Patienten aus den Niederlanden. Dieser stand bei Bönninghausen in Behandlung. Bevor er aber von dem Freiherrn aus Münster neue Mittel erhalten hatte, wechselte er nach „Blutspeien“ die Kur und war
248
249 250 251 252 253
Münsters: Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 23. Die prozentualen Angaben zur Klientel Bönninghausens nach Tabelle 9 im Anhang. Dies ist im Nachhinein nicht eindeutig zu entscheiden. Wenn in der Anamnese aber Stichworte wie Krebs, Gehirnentzündung, Wassersucht oder Schwindsucht vermerkt sind, dann sind dies Krankheiten, die in den meisten Fällen tödlich verliefen. Dies sind 37 der 111 Fälle. IGM P 103 Fol. 220. IGM P 86 Fol. 189. Es gibt acht solcher Fälle. Vor derartigem war auch Hahnemann nicht gefeit: Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 184. IGM P 104 Fol. 190. IGM P 106 Fol. 77. Das sind immerhin 31,2 % aller verstorbenen Patienten. Bei einer längeren und zunehmend aussichtslosen Behandlung war der Arztwechsel keine Seltenheit: Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, S. 106.
5.4 Der Tod von Patienten
201
„nun in allopathischen Händen und frägt, was zu thun?“, wie Bönninghausen notierte.254 Der Homöopath konnte ihm nicht mehr helfen und notierte nur noch den Tod des Patienten. Frustrierend muss es für Bönninghausen gewesen sein, wenn Kranke nach einem ersten Heilerfolg zunächst bei weiteren Beschwerden einen „Allopathen“ konsultierten, um letztendlich doch wieder zu ihm zurückzukehren, ohne dass er ihnen helfen konnte. So war ein knapp fünfjähriges Kind 1839 durch ihm von seiner „skrofulösen Augenentzündung“ geheilt worden. Im Verlauf der weiteren Behandlung musste Bönninghausen notieren, dass das Kind „seitdem am Brustfieber allopathisch behandelt und nun ganz am Ende“ war, nachdem es sogar mit einem Aderlass traktiert worden war. Hier vermochten die Globuli kein Wunder zu wirken, und der Freiherr schloss die Krankengeschichte mit dem Vermerk über den Tod des kleinen Patienten im Juli 1842. Zwei weitere Betroffene brachen die homöopathische Kur ab und begaben sich für die weitere Therapie in ein Krankenhaus. In beiden Fällen starben sie in der jeweiligen Institution nach wenigen Tagen.255 Eine wahre Odyssee zu verschiedenen Ärzten hatten die Eltern eines noch nicht einmal einjährigen Mädchens nach dem Abbruch der homöopathischen Behandlung gemacht. Sie konsultierten Bönninghausen 18 Mal von Januar bis März 1861 wegen des „heiseren Hustens“ ihrer Tochter. Mit dem Verlauf der Behandlung waren sie nicht zufrieden. Denn auf der entsprechenden Seite notierte der Freiherr, dass das Kind „in allopathischen Händen von Riefenstahl, Bahlmann und Riefenstahl junior und Thier und Rees, unter vielen Martern“ gestorben sei. Als Todesursache wurde im Kirchenbuch „Halsschwindsucht“ angegeben. Auch ein kleines Mädchen starb an einer „Gehirnentzündung“, nachdem es von Bönninghausen wegen eines Ausschlages im Gesicht und einer „heftigen Augenentzündung“ behandelt worden war. Die Mutter verbreitete nach dem Tod des Kindes aber, dass die Homöopathie an diesem Schuld sei. Bönninghausen vermutete die Anstiftung von zwei „allopathischen“ Ärzten, die das Kind nach ihm erfolglos behandelt hatten.256 Nach der Behandlung bei Bönninghausen waren 143 der Patienten verstorben. Sie hatten den Freiherrn mehr als vier Wochen vor ihrem Tod zum 254 IGM P 87 Fol. 25. 255 IGM P 37 Fol. 138, P 84 Fol. 138 und P 110 Fol. 191. 256 IGM P 109 Fol. 9 und BAM St. Lamberti Kirchenbuch Nr. 26/I Tote 1855–1863, 1861, Nr. 49 und P 41 Fol. 90. Bei den Ärzten handelte es sich um die Doktoren Busch und Riefenstahl. Bönninghausen notierte den Tod am 4. Mai 1840 wegen „Gehirnentzündung“. Laut Kirchenbuch starb das Mädchen jedoch schon am 2. Mai an „Kopfwasser“. BAM Liebfrauen/Überwasser Kirchenbuch Nr. 36 Tote 1832–1841, 1840, Nr. 101 sowie Personenkartei Ferdinand Theissing. Zumindest der letztere Fall belegt, dass es bei Bönninghausen auch zu negativen Reaktionen von Seiten der Patienten nach einer wenig erfolgreichen Kur kam. Schreiber: Leipzig, S. 64 konnte dergleichen nicht feststellen und vermutete, dass „Personen, bei denen die Therapie nicht erfolgreich war, (…) meist indifferent blieben und sich nicht an der Auseinandersetzung zwischen „Allopathie“ und Homöopathie beteiligten.“ Ähnliche Verleumdungsversuche gab es auch nach dem Tod eines Patienten aus Lienen IGM P 6 Fol. 57 (nicht in der Datenbank).
202
5 Die Klientel Bönninghausens
letzten Mal gesehen. Warum sie die homöopathische Kur abgebrochen hatten, ist nicht überliefert. Beispielsweise war eine junge Münsteranerin fünf Jahre lang regelmäßig bei Bönninghausen. Sie hatte bei dem Freiherrn 1841 über ein „unangenehmes Gefühl von Trockenheit in der Brust“ geklagt. Sie litt „stets an kalten Füßen“ und „Brennen zwischen den Schulterblättern“. Außerdem hatte sie Husten. Im Verlauf der Behandlung konnten die Symptome gebessert werden und sie konsultierte Bönninghausen auch wegen verschiedener Beschwerden. Im Jahr 1845 erschien sie das letzte Mal, ohne dass eine nähere Erläuterung erfolgte. Die letzte Notiz des Freiherrn zu seiner ehemaligen Patientin war, dass sie 1854 in „allopathischen“ Händen verstorben sei.257 Dieses Beispiel zeigt, dass Clemens von Bönninghausen in gewissem Maß versuchte, das Schicksal seiner Patienten zu verfolgen, auch wenn sie nicht mehr zu ihm kamen. Natürlich gelang ihm dies nicht bei allen Betroffenen. Durch die zusätzliche Recherche personenbezogener Daten zu einzelnen Kranken aus Münster ergibt sich eine weitere Möglichkeit, zu ermitteln, wie lange die entsprechenden Personen die homöopathische Behandlung „überlebten“. Bisweilen wurde in der Personenkartei Ferdinand Theissing nämlich das Todesdatum genannt. Dies betrifft 139 Menschen.258 Bei 20 Personen waren Todesjahr und das Ende der Behandlung gleich. Weitere 25 Betroffene starben innerhalb eines Jahres nachdem sie Bönninghausen zum letzten Mal gesehen hatten. Insgesamt 35 ehemalige Patienten konnten das Leben zusätzlich zwischen zwei und zehn Jahren genießen.259 Für 23 ehemalige Kranke ging das Erdendasein erst nach weiteren elf und bis zu 19 Jahren zu Ende.260 Und 32 Kranke „überlebten“ den Homöopathen. Vier von ihnen starben erst im 20. Jahrhundert.261 Hierzu gehört der Sohn eines Leutnants, der knapp fünfjährig von Bönninghausen zum ersten Mal 1839 wegen „nächtlicher Diarrhöe nach Magenverderb nach Kuchen“ behandelt wurde. Er blieb sechs Jahre lang Patient des Homöopathen. Dann brach die Behandlung ab. Der
257 IGM P 49 Fol. 24. 258 Bei 17 der Betroffenen hatte auch Bönninghausen das Todesdatum überliefert. Von diesen Kranken starben 13 während der Behandlung, zwei ein Jahr nach Ende der Behandlung, und je ein weiterer Patient zwei beziehungsweise sechs Jahre nachdem sie zum letzten Mal bei Bönninghausen gewesen waren. 259 Die Angaben sind wie folgt: zwei Jahre später vier, drei Jahre später fünf, vier Jahre später vier, fünf Jahre später sechs, sechs Jahre später vier, sieben Jahre später drei, acht Jahre später vier, neun Jahre später drei, zehn Jahre später zwei ehemalige Kranke. 260 Es starben nach dem Ende der Behandlung elf Jahre später drei, 14 und 15 Jahre später je zwei, 16 und 17 Jahre später je vier, 18 Jahre später zwei und 19 Jahre später sechs ehemalige Patienten. 261 Von diesen waren 17 Patienten mehr als 20 Jahre nach Therapieende gestorben und zwar: 21, 23, 27, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 37, 48, 50, 52, 55, 67 und 75 beziehungsweise 76 Jahre nach dem Ende der Therapie. Zwei weitere Patienten waren ebenfalls 21 Jahre, nachdem sie Bönninghausen das letzte Mal gesehen hatten gestorben, allerdings lag das Sterbejahr vor 1864.
5.5 Der „typische“ Patient?
203
ehemalige Kranke starb 1920 und überlebte Bönninghausen somit um mehr als 50 Jahre.262 Dieser Abschnitt machte deutlich, dass natürlich auch Patienten aus der Praxis Bönninghausens starben. In deren Altersstruktur war jedoch keine gravierende Abweichung zu derjenigen der Verstorbenen in Münster allgemein festzustellen. Prinzipiell war im 19. Jahrhundert, anders wie heute, der Tod noch in sämtlichen Altersgruppen anzutreffen und hielt insbesondere bei Säuglingen und Kindern reiche Ernte. Bei vielen Krankheiten, denen die Menschen erlagen, handelt es sich um für diese Zeit häufige Todesursachen.263 Insofern soll dieser Teil weder für noch gegen eine Wirksamkeit der Homöopathie sprechen. Festzustellen bleibt, dass sich auch viele Todkranke von Bönninghausen behandeln ließen. Sie ergaben sich nicht in ihr Leid oder ihre Beschwerden. Manch einer von ihnen setzte allerdings die homöopathische Therapie nicht bis zu seinem Tod fort, sondern wechselte den Heiler. Schließlich waren, wie dies im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, die Kranken selbstbewusst Handelnde, die nach ihren Logiken und Abwägungen, welche Kur am geeignetsten war, verfuhren. In den Krankengeschichten der Betroffenen zeigte sich ferner, dass sowohl der Freiherr als auch seine „allopathischen“ Kollegen vielen Leiden, wie zum Teil auch heute noch, machtlos gegenüberstanden und den Menschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu helfen vermochten. 5.5 Der „typische“ Patient? Eigentlich widerspricht die Frage nach dem „typischen“ Patienten in gewisser Weise dem Gebot der Homöopathie, jeden Kranken als Individuum zu sehen. Eine soziale Gruppe ist jedoch am besten durch ihre statistisch häufigsten Merkmale zu charakterisieren, durch die jeweilige Einzelfälle aber unsichtbar werden. Wer also war der „typische“ Patient in der Praxis Bönninghausens? Gibt es ihn überhaupt? Bönninghausen machte übrigens selten Angaben zu der Religionsangehörigkeit seiner Patienten. Die Kranken aus Münster und Umgebung dürften der überwiegenden Mehrheit nach katholisch gewesen sein. Da die Einwohner der Städte Tecklenburg und Lengerich fast ausnahmslos evangelisch waren, werden die Patienten, die sich von dort auf den Weg nach Münster gemacht haben, eher Protestanten gewesen sein.264 Auch die Mehrheit der Beamten, 262 IGM P 40 Fol. 77. 263 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 28–33, Baschin: Untersuchung mit weiterführender Literatur. 264 Für Münster: Teuteberg: Materialien, S. 43–47, für den Kreis Tecklenburg und die Städte Lengerich und Tecklenburg: König: Nachrichten, S. 26. Im Gesamtkreis überwogen 27.352 Protestanten gegen 18.355 Katholiken. Für die Städte wurden 1838 in Lengerich 1.243 Personen evangelischen und 15 katholischen Glaubens aufgeführt, für Tecklenburg 1.076 Protestanten gegenüber 62 Katholiken. Die Provinz Westfalen war ein „Flickentep-
204
5 Die Klientel Bönninghausens
insbesondere wenn sie von außerhalb kamen, war evangelisch, wie die Familie des Regierungspräsidenten, die in den 1850er Jahren die homöopathische Therapie in Anspruch nahm.265 Bei zwei Patienten vermerkte der Freiherr ausdrücklich, dass sie Juden waren.266 Es scheint, dass Bönninghausen wenig Wert auf die konfessionelle Zugehörigkeit der Kranken legte. Wer Hilfe brauchte, erhielt sie unabhängig von seinem Glaubensbekenntnis. In ähnlicher Weise zeigte sich in der vorangegangenen Analyse der Patientenschaft des Freiherrn, dass Bönninghausen jeden behandelte, der zu ihm kam und gewillt war, sich einer homöopathischen Kur zu unterziehen.267 Dies waren Männer und Frauen vom gerade geborenen Säugling bis zum betagten Greis. Die Patienten kamen zum Großteil aus der Stadt Münster selbst oder dem unmittelbaren Umkreis, aber auch von weit her aus dem Ausland. Außerdem entstammten die Kranken sämtlichen sozialen Schichten. Der Freiherr machte keinen Unterschied zwischen dem westfälischen Adeligen oder dem preußischen Beamten und dem armen Bauern aus dem Agrargebiet um Münster herum oder dem nicht sehr wohlhabenden Kleinhändler. Sie alle kamen zu Clemens von Bönninghausen und hofften auf die Heilung oder wenigstens Linderung ihrer Beschwerden durch die homöopathischen Mittel. Als „typische“ Patientin kann die ledige 24 Jahre alte Tochter eines Lohgerbers aus Münster gelten, die 1849 zu Bönninghausen kam.268 Wie sie war die Mehrheit aller Behandelten weiblich, noch nicht verheiratet und zwischen 21 und 25 Jahren alt, als sie sich zum ersten Mal dem Homöopathen anvertraute. Ihr Vater war handwerklich tätig und verdiente nicht so viel, um der Mittelschicht zugeordnet werden zu können. Stattdessen waren er und somit seine Tochter Angehörige der Münsteraner Unterschicht. Sie hatte daher keinen weiten Weg in die Praxis. Andererseits ist für die Anfangszeit von Bönninghausens Tätigkeit auch dessen erste Patientin, die Dichterin von DrosteHülshoff, repräsentativ. Wohl war sie bei ihrer Erstkonsultation mit „einige 30 Jahr“ schon etwas älter als der Durchschnitt aller Kranken, der bei 28,2 Jahren
265 266
267 268
pich konfessionell relativ homogener Gebiete“. Der Regierungsbezirk Münster bestand zu 95 % aus katholischen Bewohnern. Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 54. Bauks, Friedrich: Die evangelische Kirchengemeinde. In: Jakobi: Geschichte Münster 2, S. 433, Walter: Haupt- und Residenzstadt, S. 62. IGM P 48 Fol. 64 und P 115 Fol. 303, beide stammten jedoch nicht aus Münster oder der näheren Umgebung. Bei niederländischen Patienten gab Bönninghausen ab und zu die Konfession als katholisch an IGM P 83 Fol. 106 oder P 87 Fol. 161. Auch Hahnemann behandelte jüdische Patienten: Papsch: D38 Kommentar, S. 47–48, gleiches galt für Kortum: Balster: Kortum, S. 115–116. Zu der Kooperation von Patienten in der Therapie und dem Patientenverhalten Kapitel 7.5. IGM P 73 Fol. 172. Zumindest im Zusammenhang mit der Schichtzugehörigkeit besteht hier ein deutlicher Unterschied zur heutigen Klientel homöopathischer Praxen, die durchweg eher der Mittel- und Oberschicht zugerechnet werden können. Schultheiß; Schriever: Warum, S. 133, Günther: Patient, S. 122. Allerdings sind die Unterschiede zwischen „allopathisch“ und „homöopathisch“ betreuten Patienten im 19. Jahrhundert noch nicht so bedeutend wie heute, wie die Vergleichsangaben in diesem Kapitel zeigten.
5.5 Der „typische“ Patient?
205
lag, aber in der Zeit zwischen 1829 und 1833 dominierten adelige Damen wie sie die homöopathische Klientel.269 Doch suchten im Lauf der Zeit immer weniger Patienten aus der Oberschicht die Therapie bei Bönninghausen. Auch wenn in dem Abschnitt über Familien als Patienten nicht genau angegeben werden konnte, wie viele Clemens von Bönninghausen tatsächlich als „Hausarzt“ konsultierten, war ersichtlich, dass immer wieder Familienangehörige gemeinsam in die Behandlung des Homöopathen gingen. Außerdem bewegte die als erfolgreich eingestufte Behandlung eines Kranken weitere Verwandte dazu, ebenfalls zu Bönninghausen zu gehen. Auch musste der Verlust eines Angehörigen nicht zwangsweise dazu führen, dass die Familie gänzlich vor einer homöopathischen Kur zurückschreckte. Besonders für adelige Familien konnte angedeutet werden, dass bei der Nutzung der Homöopathie verwandtschaftliche Empfehlungen und Beziehungen eine Rolle spielten.270 Nicht zuletzt wurde das an den Fällen deutlich, in denen Medikamente für Familienangehörige mitgenommen wurden. Es ist heute für homöopathische Praxen bekannt, dass dort deutlich mehr Kinder und Jugendliche therapiert werden.271 Zu der Klientel Bönninghausens zählten bereits im 19. Jahrhundert verhältnismäßig viele Patienten bis zu einem Alter von 18 Jahren. Dies ist im Vergleich mit anderen Praxen keineswegs typisch. Es ist bemerkenswert, dass der Anteil der jungen Patienten bis zu 14 Jahren innerhalb der Klientel anstieg. Insofern steht auch das Schicksal des zehn Jahre alten Sohns eines Regierungspräsidenten aus Münster, der 1849 wegen „angehendem Brustfieber“ bei dem Freiherrn war, als Beispiel für die zahlreichen jungen Patienten in der Praxis.272 Seine jüngere Schwester war knapp zwei Wochen zuvor ebenfalls wegen einer Fiebererkrankung und Kopfschmerzen dem Homöopathen vorgestellt worden.273 Beide verdeutlichen damit, dass gerade Geschwisterkinder immer wieder gemeinsam oder nacheinander behandelt wurden. Dennoch ist Clemens von Bönninghausen nicht als ausgewiesener „Kinderarzt“ zu sehen, da die Mehrheit seiner Patienten noch immer Erwachsene waren. Zunehmend aber brachten Eltern ihm Vertrauen bezüglich der Therapie ihrer Sprösslinge entgegen. Immerhin etwa 62 % aller Kinder waren zuvor bereits „allopathisch“ behandelt worden.274 Dieser Anteil ist zwar geringer als derjenige aller Patienten, die sich zuvor einer anderen Behandlung unterzogen hatten. Trotzdem wird deutlich, dass die
269 In der Praxis van den Berghes betrug das mittlere Alter aller Patienten knapp 35 Jahre. Baal: In Search, S. 54. Für die Patienten aus Gent lag es aber etwas niedriger bei knapp 33 Jahren. Ebenda, S. 114. 270 Für die Patientenschaft Hahnemanns wurde ein solches Netzwerk näher untersucht: Busche: Patientennetzwerk. Eine ähnliche Untersuchung dürfte auch für die Klientel Bönninghausens lohnend sein. 271 Günther: Patient, S. 121. 272 IGM P 72 Fol. 48. 273 IGM P 72 Fol. 19. 274 Von den 4.077 Kindern, war bei 2.527 eine „allopathische“ Kur vermerkt. Von allen Patienten waren 69 % zuvor in Behandlung gewesen.
206
5 Die Klientel Bönninghausens
Eltern versuchten, ihren Kindern so gut wie möglich zu helfen und medizinische Hilfe für sie in Anspruch nahmen. Der Abschnitt über den Tod von Kranken führte eindrücklich vor Augen, dass sich die Menschen im 19. Jahrhundert nicht schicksalsergeben in ihr Leid fügten.275 Zum einen suchten sie dagegen den medizinischen Rat und zum anderen waren sie bereit, nicht nur einen, sondern bisweilen mehrere Ärzte zu konsultieren. Hier treten uns die Kranken aus der Vergangenheit wiederum als selbstbewusst Handelnde gegenüber. Die jeweiligen individuellen Entscheidungen, die homöopathische Kur durch den Freiherrn bis zum Tod fortzusetzen oder am Ende einen anderen Arzt zu konsultieren, können nicht mehr nachvollzogen werden. Die Todesursachen der Betroffenen, soweit sie bekannt sind, waren für den untersuchten Zeitraum üblich und zählten zu den gefährlichen Krankheiten, mit denen sich die Menschen damals auseinanderzusetzen hatten. Gleichwohl versuchten die Betroffenen alles ihnen zur Verfügung stehende, um wenigstens eine Linderung zu erreichen, ganz egal, wie alt sie waren, woher sie kamen oder welcher sozialen Schicht sie angehörten. Auch dies ist ein Merkmal, das kranke Menschen der Vergangenheit mit denen der Gegenwart gemeinsam haben.
275 Diese Ansicht widerlegt auch Stolberg: Homo patiens, S. 33–36.
6 Beschwerden und Krankheiten In den vorangegangenen Kapiteln wurde in Nennungen von Einzelschicksalen deutlich, wie groß das Spektrum der Beschwerden und Krankheiten war, mit denen Menschen zu Clemens von Bönninghausen kamen. Alle Betroffenen empfanden die sie quälenden Symptome als so gravierend oder unangenehm, dass sie dagegen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen wollten.1 Vielfach war der Homöopath nicht die „erste Wahl“ für die Therapie, denn die meisten Patienten schilderten ihm vorangegangene Kuren. Der Freiherr formulierte 1834 seine Auffassung von Krankheit sehr weitreichend. „Jede Abweichung von dem Normalzustande der Natur“ sei darunter zu verstehen, ohne „daß dieselbe ein Organ in seinen Verrichtungen störe“. Daher galten ihm auch „eine schmerzlose Warze am Finger, ein Leberfleck auf der Haut“ oder „eine mäßige Entzündungsröthe der Augen“ als „etwas Krankhaftes“.2 Das folgende Kapitel geht der zweiten Hauptfrage dieser Arbeit nach.3 Mit welchen Beschwerden kamen die Kranken zu Bönninghausen? Was empfanden sie als „krank“? Waren es eher akute oder chronische Leiden? Über welche Symptome klagten sie? Die Aufzeichnungen in den Krankenjournalen stammen aus der Feder Clemens von Bönninghausens und nicht von den Patienten selbst. Außerdem ist unbekannt, welche Aussagen der Freiherr aus dem Erstgespräch festhielt und was er als unwichtig beiseite ließ.4 Die Grundannahmen der Homöopathie verpflichten aber dazu, eine sehr ausführliche Anamnese zu erstellen und möglichst die Worte der Betroffenen wiederzugeben.5 Die Verwendung so genannter „Krankheitsnamen“ war verpönt, so dass die Angaben zum Teil sehr detaillierte und ausführliche Beschreibungen der Empfindungen, Beschwerden und Symptome, die die Patienten plagten und derentwegen sie die homöopathische Hilfe in Anspruch nehmen wollten, enthalten.6 1
2 3 4
5
6
Zur subjektiven Empfindung einer „Krankheit“ und der Schwelle, ab der man sich „krank fühlt“: Flick: Wann fühlen wir uns gesund. Wie die „Definition“ von Krankheit in verschiedenen Gesellschaften zu verschiedenen Zeiten variieren kann, belegen beispielsweise die Aufsätze in: Bulst, Neithard; Delort, Robert (Hrsg.): Maladies et Société (XIIe– XVIIIe siècles). Actes du colloque de Bielefeld novembre 1986, Paris 1989 und Lachmund, Jens; Stollberg, Gunnar (Hrsg.): The Social Construction of Illness, Stuttgart 1992 (MedGG Beiheft 1). Bönninghausen: Homöopathie, S. 17. Die präsentierten Ergebnisse sind Auswertungen der Krankheitsbilder (Erstanamnesen), der Krankheitsmerkmale sowie der Krankheitsnamen in der Datenbank. Bönninghausen: Krankenjournal, S. 115. In Bönninghausen: Triduum, S. 40 betonte er, dass angeblich „in der Regel zehnmal mehr beobachtet und ausgefragt, als aufgeschrieben“ worden sei. Hahnemann: Organon 6 § 84, S. 170–171, Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 22, Jütte: Case Taking, S. 41, Klunker: Hinweise, S. 140, sowie die Hinweise in Kapitel 3.2. Zu den „allopathischen“ Aufzeichnungsmethoden: Gillis: History of the Patient History. Hahnemann, Samuel: Monita über die drei gangbaren Kurarten. In: Hahnemann, Samuel: Kleine medicinische Schriften, Band 1. Hrsg. von Ernst Stapf, Dresden/Leipzig
208
6 Beschwerden und Krankheiten
Allerdings bleiben Zweifel, inwieweit die Notizen des Freiherrn wirklich die „alltäglichen“ Begriffe und die von den Betroffenen verwendete Sprache widerspiegeln. Denn dass Bönninghausen immer den genauen, vollständigen „Wortlaut“ der Patienten in den Anamnesen festhielt, kann weder belegt noch widerlegt werden. Viele der Wendungen, die in den Erstanamnesen gebraucht wurden, kommen auch in Briefen vor, die verschiedene Betroffene an andere Ärzte richteten.7 Darum ist anzunehmen, dass der Homöopath tatsächlich eher die „umgangssprachlichen“ und damit tendenziell die „wörtlichen“ Formulierungen festhielt. Zumindest ist der Schluss zulässig, dass die hier verwendeten Angaben in ähnlichem Maß einen Einblick in das „individuelle“ Krankheitsverständnis und -empfinden erlauben, wie bereits untersuchte und ausgewertete derartige Briefe.8 Wenigstens bieten die Notizen aus den vorliegenden Journalen durch ihre Ausführlichkeit hierfür weit mehr die Möglichkeit als andere Praxisaufzeichnungen, in denen nur die knappsten Angaben in Form einer, möglicherweise noch lateinisch gefassten, Diagnose überliefert sind. Außerdem war Clemens von Bönninghausen kein ausgebildeter Arzt, sondern Laie, so dass eine „schulmedizinische“ Umformulierung der Begriffe seinerseits kaum anzunehmen ist.9 Letztendlich bleibt immer die Barriere, dass „individuelle“ Gefühle in Sprache gekleidet werden müssen, um mitgeteilt werden zu können. Sprache kann jedoch nur das ausdrücken, was zum kulturellen Rahmen gehört. Sprach-
7
8 9
1829 (Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe Heidelberg 1971), S. 91–102, Bönninghausen: Homöopathie, S. 252, derselbe: Aphorismen, S. 489–490, Baal: In Search, S. 7. Aber auch Ottenthal notierte recht ausführlich, wenn auch auf Latein, die einzelnen Symptome, die ihm die Kranken schilderten. Roilo: Historiae Morborum, S. 62. In Stolberg: Homo patiens oder Ruisinger: Patientenwege, S. 115–116 berichteten Kranke von „Sausen und Brausen“ sowie „Singen und Klingen“ in den Ohren oder auch „Flor“ und „wie Fliegen“ vor den Augen, gleiche Formulierungen erscheinen bei Bönninghausen zum Beispiel in: IGM P 38 Fol. 133 oder P 110 Fol. 101 (weitere Beispiele in Kapitel 6.2.1 und 6.2.2). Ebenso stellte Baal für den belgischen Homöopathen van den Berghe fest, dass sich seine Aufzeichnungen kaum von den brieflichen Äußerungen seiner Patienten unterschieden. Baal: In Search, S. 66. Stolberg: Homo patiens, S. 28. Er misst jedoch den Briefen als Selbstzeugnissen höheren Wert in Bezug auf die Krankheitserfahrung bei. Zur Parallelität von Laien- und Fachsprache: Imhof, Arthur; Schumacher, Helmut: Todesursachen. In: Imhof, Arthur (Hrsg.): Historische Demographie als Sozialgeschichte. Gießen und Umgebung vom 17. zum 19. Jahrhundert, Teil 1, Darmstadt/Marburg 1975 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 31), S. 561. Allerdings fanden zu jeder Zeit Begriffe aus der Fachsprache Eingang in die Laienwelt und in der Vergangenheit war die Differenz zwischen beiden nicht so ausgeprägt wie heute. Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 22 betonte ausdrücklich, dass sich die Kranken sämtlicher „Kunstausdrücke“ zu enthalten hätten. Zu dem Vergleich von homöopathischen und sonst üblichen Anamneseerhebungen: Dinges; Holzapfel: Von Fall zu Fall, S. 149–151. Zu dem Umgang mit Laienaussagen im Bereich der Medizin: Habrich, Christa: Pathographische und ätiologische Versuche medizinischer Laien im 18. Jahrhundert. In: Eckart, Wolfgang; Geyer-Kordesch, Johanna (Hrsg.): Heilberufe und Kranke im 17. und 18. Jahrhundert. Die Quellen- und Forschungssituation, Münster 1982 (Münstersche Beiträge zur Geschichte und Theorie der Medizin 18), S. 99–123.
6 Beschwerden und Krankheiten
209
liche Äußerungen sind deswegen nie der unmittelbare und unverfälschte Zugang zu individuellem Erleben und eigener Erfahrung. Die Wahrnehmung des Körpers und von Krankheit ist somit stets gesellschaftlich und kulturell geprägt.10 Die tatsächlichen individuellen Empfindungen und Gefühle bleiben daher in gewisser Weise immer subjektiv und können nur annähernd beschrieben und wiedergegeben, aber kaum direkt erfasst werden. Die Frage nach den Beschwerden der Kranken und deren „individueller“ Erfahrung soll in mehreren Schritten beantwortet werden. Zunächst wird darauf eingegangen, welche Krankheitsursachen die Betroffenen gegenüber Clemens von Bönninghausen in den Erstanamnesen nannten. Anschließend wird das Krankheitsspektrum beschrieben, das der Freiherr in seinen Sprechstunden zu behandeln hatte. Hier wird erklärt, wie die Angaben der Erstanamnesen strukturiert wurden. Dann folgt ein quantitativer Überblick zu allen Beschwerdegruppen und deren Entwicklung in den einzelnen Praxisphasen. In einem weiteren Teil wird durch exemplarische Schilderungen aus den Erstanamnesen von „Kopf bis Fuß“ dargelegt, welche Leiden von den verschiedenen Kranken geschildert wurden. Ferner wird auf die eigentlich nicht erwünschten, aber dennoch verwendeten „Krankheitsnamen“ eingegangen. Im Zuge der Auswertungen war außerdem auffällig, dass viele Menschen mit Unfallfolgen zu Bönninghausen in die Praxis kamen. Eigentlich, so könnte man meinen, fallen derartige „traumatische Beschwerden“ in den Arbeitsbereich der Chirurgen und Wundärzte. Samuel Hahnemann vertrat keinesfalls die Ansicht, dass Homöopathen chirurgisch tätig werden sollten, aber er sprach sich vehement dafür aus, dass auch bei solchen Übeln die Homöopathie ihre lindernde und heilende Wirkung entfalten konnte.11 Es ist zudem bekannt, dass verschiedene Beschwerden Individuen in unterschiedlichem Maß betreffen.12 Man spricht explizit von „Kinderkrankheiten“, und der „Sanitäts-Polizei“ des 19. Jahrhunderts blieb, beispielsweise im Zusammenhang mit Typhuserkrankungen, die Verbindung von Wohlstand und Leiden nicht verborgen.13 Entsprechend spielt die Schichtzugehörigkeit 10 Zu dieser Problematik ausführlicher: Goltz, Dietlinde: Krankheit und Sprache. In: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 53 (1969), S. 225–269, Dornheim, Jutta: „Mein Körper – wie eine Picasso-Figur“. Zur Funktion von Sprachbildern in Gesprächen über Krankheit und Befinden. In: Der Deutschunterricht 39 (1987) Heft 6, S. 83–101, Stolberg: Homo patiens, S. 12–21, Dinges: Männlichkeitskonstruktion. 11 Hahnemann: Organon 6 § 186, S. 226–227. 12 Prinzing, Friedrich: Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 1906, S. 85–86. 13 Beispielsweise Pappenheim: Handbuch, S. 625. In diesem Zusammenhang auch die Bemerkung in: Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1839, S. 16. Hierzu ausführlicher: Krieger, Martin: Arme und Ärzte, Kranke und Kassen. Ländliche Gesundheitsversorgung und kranke Arme in der südlichen Rheinprovinz (1869 bis 1930), Stuttgart 2008 (MedGG Beiheft 31), besonders S. 261–265 sowie Frevert, Ute: Krankheit als politisches Problem 1770–1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung, Göttingen 1984 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 62). Bis heute hat sich daran nichts geändert: Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit in Deutschland. Zusammenfassung, Berlin 2006, www.bagso.de/file-
210
6 Beschwerden und Krankheiten
eines Betroffenen eine Rolle für das Beschwerdepotential. Es ist außerdem immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob Männer und Frauen unterschiedlich stark an einzelnen Beschwerden leiden, manche Krankheitsbilder typisch männlich beziehungsweise weiblich sind.14 Das Krankheitsspektrum soll daher differenziert nach diesen „sozialen Unterschieden“ auf die Kategorien Geschlecht, Alter und Schicht untersucht werden. Dabei wird der naturgegeben weibliche Bereich von Schwangerschaft und Geburt ebenfalls berücksichtigt. Zusammenfassend wird das Kapitel über die Beschwerden und Krankheiten, mit denen die Patienten zu Bönninghausen kamen, unter dem Aspekt beleuchtet, ob die Kranken der Homöopathie für bestimmte Leiden besonders ihr Vertrauen schenkten oder sie für jedes „Zipperlein“ eine Kur bei dem Freiherrn in Anspruch nahmen. 6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden Die Angaben der Erstanamnesen erlauben kein allzu ausführliches Eingehen darauf, wie sich die Kranken im Detail erklärt haben, warum sie krank wurden. Im Gegensatz zu Briefen ist in einem Gespräch zwischen Arzt und Patient kaum die Möglichkeit gegeben, die Krankheit ausführlich in die eigene Biographie einzubetten.15 Samuel Hahnemann ging im Organon davon aus, dass die Betroffenen im Lauf der Anamnese früher oder später selbst auf die Ursache ihrer Erkrankung zu sprechen kommen würden. Aber auch ihm war bewusst, dass der Grund für die Krankheit nicht immer genannt werden würde, weswegen er den Therapeuten dann ein vorsichtiges Nachfragen empfahl.16 Eine Erkrankung erklären zu wollen, liegt im Bedürfnis der Betroffenen.17 Mit der Möglichkeit, eine Ursache zu benennen, ist zum einen gewährleistet, eine Gegenmaßnahme einleiten zu können oder für die Zukunft die Auslöser zu meiden. Zum anderen macht eine Erklärung die Krankheit begreifbarer, so dass sich der Betroffene damit auseinandersetzen kann. Auch wenn die Patienten, die zu Clemens von Bönninghausen in die Praxis kamen, nicht in aller Ausführlichkeit auf die vermutete Ursache eingehen konnten, klingen diese in den Erstanamnesen von 2.432 Personen an. Kranke hatten also nicht nur in admin/Aktuell/Aus_den_Ministerien/gesundheitsbericht_kurzfassung.pdf, Zugriff vom 19. Januar 2009, S. 7–9. 14 Allgemein: Hurrelmann, Klaus; Kolip, Petra (Hrsg.): Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern/Göttingen/Toronto/Seattle 2002. 15 Eine solche Einbettung der Krankheit in die eigene Biographie belegt anhand von Briefen: Stolberg: Homo patiens, S. 59–69. Auch bei den ausführlicheren Schreiben der Patienten Bönninghausens wird dies deutlich IGM P 202/12, P 212/2, P 216/1, P 216/4, ein eingeklebter französischer Brief zu P 77 Fol. 147, sowie der Brief in P 104 Fol. 327b zu Fol. 328. 16 Hahnemann: Organon 6 § 93, S. 176. 17 Stolberg: Homo patiens, S. 49, Ruisinger: Patientenwege, S. 117, Baal: In Search, S. 203, Herzlich; Pierret: Kranke, S. 125–152.
6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden
211
Briefen, sondern auch im direkten Gespräch mit dem Therapeuten das Bedürfnis, ihrer Krankheit einen Sinn zu geben beziehungsweise sie zumindest knapp ursächlich zu erklären. Außerdem scheint Bönninghausen gerade zu Beginn seiner Tätigkeit, wie von Hahnemann geraten, gezielt nach den Ursachen gefragt zu haben. Die Patienten, in deren Anamnesen dies deutlich wird, konnten ihm jedoch keine befriedigende Antwort geben, da beiden „die Entstehungsursache unbekannt“ war.18 Andere Kranke wussten nur zu sagen, dass ihre Beschwerden „allmählich“ oder „plötzlich“ entstanden waren, ohne dass sie einen konkreten Anlass nennen konnten.19 Zwei Patienten äußerten, ihre Beschwerden seien „von selbst entstanden“.20 Eine erste Übersicht zu den genannten Ursachen macht deutlich, dass keiner der Betroffenen seine Beschwerden in einen religiösen Rahmen einordnete. Der Gedanke von Krankheit als „göttlicher Strafe“ infolge sündhafter Verfehlung wird von keinem Patienten geäußert. Stattdessen bewegen sich die angeführten Ursachen im Bereich der eigenen Lebensführung oder der umgebenden Umwelt.21 Allenfalls der Gedanke, dass eine Krankheit „übertragen“ werden würde, indem man einen ähnlich Leidenden ansah, wurde von wenigen Patienten formuliert. So litt eine 17 Jahre junge Frau aus Appelhülsen selbst an „Fallsuchtanfällen“, nachdem sie fünf Wochen zuvor ein davon betroffenes Kind angesehen hatte. Ein ähnliches Schicksal berichtete ein 20-Jähriger aus Darmstadt.22 Die Geschwulst über dem rechten Augenwinkel eines einjährigen Knaben wurde darauf zurückgeführt, dass sich die Mutter „während der Schwangerschaft von Sehen einer ähnlichen dicken Geschwulst an derselben Stelle an einem fremden Menschen“ erschrocken habe.23 Es sind
18 IGM P 151 S. 151 und P 151 S. 137–139, aber auch P 76 Fol. 97, P 104 Fol. 248 oder P 106 Fol. 91. 19 Elf Patienten sprachen von einem „allmählichen“ Entstehen, sechs von „plötzlich“ oder „schnell“. 20 IGM P 108 Fol. 25 und P 115 Fol. 472. 21 Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 248 stellte dagegen eine Mischung von natürlichen und übernatürlichen Erklärungselementen fest oder Loetz: Vom Patienten, S. 217. Hingegen vertraten die von Porter: Disease, S. 25 untersuchten Kranken der englischen Mittelschicht eher die Idee einer selbstverschuldeten Krankheit und kommen somit dem hier vorgestellten Befund näher. Für Kranke im deutschsprachigen Raum: Stolberg: Homo patiens, S. 59. 22 IGM P 82 Fol. 187, P 109 Fol. 80, ähnlich auch P 76 Fol. 81. 23 IGM P 108 Fol. 31. Zu dem Erklärungskonstrukt des „Versehens“: Held, W.: Das „Versehen“ der Frauen. In: Vorträge für die homöopathischen Vereine, Vortrag Nr. 68 1928, S. 1–4, Lorber, Curt: Die Bedeutung Lorenz Heisters in der Hasenschartenchirurgie. In: Med.hist. Journ. 10 (1975), S. 81–93, Fischer-Homberger, Esther: Medizin vor Gericht. Gerichtsmedizin von der Renaissance bis zur Aufklärung, Bern/Stuttgart/Wien 1983, S. 254–268, Bennholdt-Thomsen, Anke; Guzzoni, Alfredo: Zur Theorie des Versehens im 18. Jahrhundert. Ansätze einer pränatalen Psychologie. In: Kornbichler, Thomas (Hrsg.): Klio und Psyche, Pfaffenweiler 1990, S. 112–125, Ritzmann, Iris: Leidenserfahrung in der historischen Betrachtung. Ein Seiltanz zwischen sozialem Konstrukt und humanbiologischer Konstanz. In: Münch, Paul (Hrsg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Früh-
212
6 Beschwerden und Krankheiten
jedoch nur diese wenigen Fälle, in denen auf derartige „magische“ Erklärungen zurückgegriffen wurde. Viele Menschen, die zu Bönninghausen kamen, schilderten vorangegangene Krankheiten, die aber nicht zwangsweise als Ursachen des aktuellen Leidens gesehen wurden.24 Besonders häufig klagten die Betroffenen über Beschwerden, die „nach verschmierter Krätze“ aufgetreten waren.25 Bei einem Jugendlichen von 16 Jahren waren aber beispielsweise vorangegangene Gliederschmerzen „zum Kopfe getrieben“ worden und verursachten dort die Beschwerden, derentwegen er die homöopathische Kur in Anspruch nahm. Während ein 34-jähriger Mann „nach vertriebenem Wechselfieber und häufigem Aderlaß“ an „Brustdrücken und Ziehen, oft auch Stiche in der Brust, mit Beklemmung des Athems“ litt.26 Die Idee, eine Krankheit sei in einer Familie „erblich“, wurde ebenfalls formuliert. Dies galt für Inkontinenz, Phthisis oder Asthma.27 Bei einem fünfjährigen Knaben vermutete man, dass die „Scrofulosis“ angeboren sei.28 Die Übertragung der Krankheiten von Müttern auf Kinder war ähnlich selbstverständlich, selbst wenn sich diese noch während der Schwangerschaft ereignet hatte. So wurde der Ausschlag eines Kindes von sechs Monaten darauf zurückgeführt, dass „die Mutter vor der Geburt die Krätze verschmiert“ hatte.29 Bei zwei anderen hatte die Nervenfiebererkrankung der Mutter gesundheitliche Folgen für die Kleinen.30 Allgemein war den Menschen der Gedanke einer „Ansteckung“ nicht fremd. Eine solche wurde vor allem im Zusammenhang mit der Krätze immer wieder erwähnt.31 So hatte sich eine 17-Jährige aus Glandorf „an einem klei-
24 25
26 27 28 29 30 31
neuzeitgeschichte, München 2001 (Historische Zeitschrift Beiheft 31), S. 63–65, Ritzmann: Sorgenkinder, S. 144–150. Das Schlagwort „Vorerkrankung“ wurde bei 4.174 Patienten vermerkt. Dies wurde bei 350 Kranken erwähnt. Doch könnte es auch sein, dass sich Bönninghausen in der Anamnese gezielt nach einer solchen vorangegangenen Erkrankung erkundigte, weil das „psorische Miasma“ in dem Gedankengebäude Hahnemanns als die „Ursache allen weiteren Übels“ gesehen wurde. Hierzu Hahnemann: Organon 6 § 78 – § 80, S. 163–166. Zu Vorerkrankungen bei Hahnemanns Patienten: Schuricht: D16 Kommentar, S. 23–25. Zu Bönninghausens Stellung bezüglich der Miasmenlehre Hahnemanns: Klunker: Zukunft. IGM P 55 Fol. 152 und P 35 Fol. 91. Zu dem Verständnis, dass Krankheiten wandern und sich ändern können: Stolberg: Homo patiens, S. 42. IGM P 151 S. 43–44 und P 151 S. 157–159 sowie P 43 Fol. 18, P 74 Fol. 236, P 83 Fol. 277, P 112 Fol. 184. Für die Erklärung von Phthisis siehe Tabelle 25 im Anhang. IGM P 110 Fol. 232. Zu der Vorstellung von Erblichkeit auch Stolberg: Homo patiens, S. 65. IGM P 111 Fol. 169. IGM P 106 Fol. 168 und P 114 Fol. 56. Der Terminus „angesteckt“ wurde bei 62 Patienten in der Erstanamnese verwendet. Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 158–160, Baal: In Search, S. 207, Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 40. Allerdings verbanden die Menschen damals nicht dieselben Vorstellungen mit dem Begriff wie heute. Die mikrobiologischen Grundlagen waren nicht bekannt: Wolff, Eberhard: „Volksmedizin“ als historisches Konstrukt. Laienvorstel-
6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden
213
nen Knaben angesteckt“ und litt seit 14 Tagen an Krätze „auf den Händen und im Gesichte“.32 Auch Keuchhusten, skrofulöse Augenentzündung oder Nervenfieber wurden durch Ansteckung übertragen.33 Andere hatten in fremden Betten genächtigt und daraufhin die Krätze bekommen oder wurden von Schlafkameraden angesteckt.34 Mit diesem Risiko war auch die Pflege und Wartung erkrankter Personen verbunden. Eine 20 Jahre alte Magd litt beispielsweise am Nervenfieber, nachdem sie eine davon Betroffene fünf Wochen lang betreut hatte.35 Ein 16-jähriges Mädchen hatte Angst, an der „Wasserscheu“ zu erkranken, nach „Behandlung und Pflege“ eines daran gestorbenen Manns. Allerdings ging der Gedanke einer möglichen Ansteckung so weit, dass eine 34-Jährige aus Glandorf der Meinung war, dass ihr „Krebs an der linken Brust“ von der Ansteckung „von einem ungesunden, mit bösartigem Ausschlag behafteten Kinde“ herrühre.36 In den Bereich der Übertragung gehörten auch die unangenehmen Folgen eines „unreinen“ Beischlafs, die sich bei einigen Patienten zeigten.37 Die Betroffenen waren, mit einer Ausnahme, Männer und hatten sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen. Aber auch der eheliche Beischlaf war vor derartigen Unannehmlichkeiten nicht sicher. Eine 32-Jährige aus Drensteinfurt war von ihrem Mann mit Sykosis angesteckt worden.38 Ein 26 Jahre alter Schuhmacher hatte sich während seines Militärdienstes Tripper und Feigwarzen geholt. Sieben Wochen nach der Hochzeit ließen sich sowohl er als auch seine Frau, die er angesteckt hatte, wegen ihrer Beschwerden homöopathisch behandeln.39 Die Mehrheit der Krankheiten wurde von den Patienten auf „Verhitzung“ oder „Erkältung“ beziehungsweise die plötzliche Abkühlung bei Schweiß zurückgeführt.40 Eine 50-Jährige aus Warendorf litt an „Husten von Verkältung
32 33 34 35 36 37 38
39
40
lungen über die Ursachen der Pockenkrankheit im frühen 19. Jahrhundert und deren Verhältnis zu Erklärungsweisen in der akademischen Medizin. In: ÖZG 7 (1996), S. 410– 419. IGM P 54 Fol. 197. IGM P 72 Fol. 162, P 79 Fol. 154 oder P 80 Fol. 252. IGM P 80 Fol. 211, P 87 Fol. 30 und Fol. 145 oder P 103 Fol. 24. IGM P 114 Fol. 146, ähnlich auch P 85 Fol. 216 (der 23-Jährige hatte Cholera-Kranke betreut), P 113 Fol. 216 oder P 103 Fol. 98. IGM P 73 Fol. 215 und P 52 Fol. 221. „Unreiner Beischlaf“ wurde sieben Mal bei den Beschwerden angegeben. Beispielsweise IGM P 48 Fol. 45, P 50 Fol. 164, P 71 Fol. 245 oder P 103 Fol. 77. IGM P 75 Fol. 117. Mit Sykosis wurden Feigwarzen bezeichnet, dazu Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 781, Pschyrembel, S. 557 beziehungsweise S. 341 sowie Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 8, ein ähnlicher Fall P 104 Fol. 6. Hier war es eine Trippererkrankung, die auch zu Folge hatte, dass das geborene Kind „an Geschwüren bald gestorben“. IGM P 115 Fol. 433 und Fol. 434, ein ähnlicher Fall P 82 Fol. 61. Näheres zu der Frage nach geschlechtsspezifischen Therapien am Beispiel von Hahnemanns Journalen: Brehme: Krankheit und Geschlecht. Von den 2.431 Patienten, die eine Ursache anklingen ließen, waren 693 Fälle auf derartiges zurückzuführen.
214
6 Beschwerden und Krankheiten
mit heftiger Erschütterung des Unterleibes“. Ein 49 Jahre alter Kranker aus Lengerich klagte „seit 14 Tagen nach Verkältung“ über „Lähmigkeit und Geschwulst der Unterschenkel“.41 Ein Mann von 64 Jahren berichtete Bönninghausen 1852: „Seit über 30 Jahren Gliederschmerzen, nach Erkältung im Schweiße, Reißen mit Taubheitsgefühl und Geschwulst der Theile.“ Auch die Blindheit eines Knaben von sechs Jahren sollte „angeblich nach Erkältung des Kopfes bei der Taufe entstanden sein“.42 Der Genfer Arzt Samuel Tissot hatte im 18. Jahrhundert in seinem Ratgeber vor den Folgen einer zu raschen Abkühlung gewarnt. Dazu zählte er ebenfalls „das Trinken kalten Wassers nach einer heftigen Erhitzung“.43 Dies konnte, nach Meinung der Erkrankten, unter anderem lang anhaltende Magenschmerzen zur Folge haben oder Kurzatmigkeit, Halsweh und Husten.44 Ähnlich gefährlich war allgemein ein kalter Trunk. So berichtete ein 23-jähriger Patient aus Glandorf, er habe „seit einem Jahre, nach Genuß kalter Milch bei Erhitzung, Druck im Magen, Unruhigen Schlaf, und Überhaupt Unruhe.“45 Andere hatten ihre Gesundheit mit einem kalten Bier verdorben.46 Neben einem schnellen Temperaturwechsel und der überstürzten Abkühlung des Körpers, wurde auch eine „Durchnässung“ als gefährlich angesehen. Diese führte ebenso zu einer zu schnellen Abkühlung und konnte zu verschiedenen Beschwerden, wie „Geschwulst des ganzen Körpers“ oder einzelner Körperteile, führen.47 Dabei spielte es keine Rolle, ob der später betroffene Körperteil nass geworden war oder nicht. So berichtete ein 34 Jahre alter Patient aus Lienen von „Schwerhörigkeit mit Eitern des Ohres nach Kaltwerden der Füße im Wasser“.48 Nasse Füße waren nach den Angaben einer 64-Jährigen ebenfalls die Ursache für ihre Augenentzündung.49 Andere klagten über „Schwere und Duseligkeit im Kopf“50, Zahnschmerzen, Brustschmerzen51 oder Lähmungsgefühle und Stiche in verschiedenen Körpertei-
41 IGM P 36 Fol. 184 und P 40 Fol. 118. 42 IGM P 83 Fol. 35 und P 44 Fol. 43. 43 Tissot, Samuel: Anleitung für den gemeinen Mann in Absicht auf seine Gesundheit oder gemeinnütziges und bewährtes Haus=Arzeney-Buch, Frankfurt/Leipzig 1770, S. 30–31, Lindemann: Health, S. 265. 44 Über Magenschmerzen klagten beispielsweise IGM P 51 Fol. 96, P 80 Fol. 262, P 84 Fol. 170 oder P 114 Fol. 25, Husten bei P 54 Fol. 19 oder P 79 Fol. 254, „Kurzathmigkeit“ P 86 Fol. 256. Dasselbe Erklärungsmuster wurde auch von Patienten des Arztes Ottenthal verwendet: Roilo: Historiae Morborum, S. 57. 45 IGM P 54 Fol. 154. 46 So IGM P 55 Fol. 101, P 56 Fol. 40 oder P 107 Fol. 223. 47 Zum Beispiel IGM P 36 Fol. 18, P 37 Fol. 121. „Nässe“ war in 433 Fällen als Ursache angegeben worden. 48 IGM P 42 Fol. 19, das Leiden plagte ihn bereits „seit 10 Jahren“, unter Schwerhörigkeit nach Nasswerden litt auch IGM P 35 Fol. 86. 49 IGM P 47 Fol. 114, P 53 Fol. 60 führte seine „Trübsichtigkeit“ ebenfalls auf „Durchnässung“ zurück. 50 IGM P 34 Fol. 16 und P 42 Fol. 76. 51 IGM P 34 Fol. 121 und P 41 Fol. 102 sowie P 39 Fol. 177.
6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden
215
len52. Bei Frauen sorgte eine „Durchnässung“ häufig für eine Stockung der Monatsblutung oder zumindest für deren Störung.53 Es wurden alle möglichen Arten der Beschwerden auf eine Durchnässung oder Erkältung zurückgeführt. Die Unbeständigkeit des Wetters spielte ebenso eine Rolle. Eine Durchnässung konnte durch einen plötzlichen Regenschauer erfolgen. Dass sie „durchgeregnet“ worden seien, berichteten Clemens von Bönninghausen 15 Patienten. So erzählte ein 34-jähriger Bauer, er sei „vor 1 ½ Jahren durchgeregnet und davon erst erkrankt“.54 Ein Patient von 16 Jahren führte hingegen seine Gliederschmerzen auf einen Regenguss zurück, während bei einer 18-Jährigen die Regel nach einem solchen plötzlich stoppte.55 Andere Kranke reagierten empfindlich auf Wetterumschwünge oder führten ihre Beschwerden auf starke Winde zurück.56 Ein 45 Jahre alter Patient aus Ascheberg bekam beispielsweise immer bei „Nordwind und regnichtem Wetter, Kopfweh“, welches vom Nacken in die Stirn zog.57 Prinzipiell wurde in den Medizinalberichten des Kollegiums das Auftreten verschiedener Krankheiten sowie deren Ausbreitung mit den unterschiedlichen Witterungseinflüssen begründet.58 Essen und Trinken sind zwar lebensnotwendig, dennoch waren damit gelegentlich Gefahren für die Gesundheit verbunden. Nicht nur, wie zuvor beschrieben, das Trinken von kaltem Wasser, Bier oder kühler Milch, auch das Genießen verschiedener Lebensmittel konnte zu Beschwerden besonders im Bereich des Magen-Darm-Traktes führen. Generell galten „Unmässigkeiten im Essen und Trinken“ als ungesund. Zu viel Nahrung verhinderte die Verdauung und strengte zu sehr an.59 Wenige Kranke, wie jener Pastor aus Ungarn, der 52 IGM P 36 Fol. 1, P 43 Fol. 129, P 44 Fol. 66, P 55 Fol. 152, P 75 Fol. 98, P 108 Fol. 82. 53 Bei einem Stocken sprach man von „Menostasie“, hierzu Fußnote 122 in Kapitel 6.2.1. IGM P 43 Fol. 82, P 47 Fol. 111, P 49 Fol. 109, P 52 Fol. 178, P 78 Fol. 17, P 107 Fol. 184. 54 IGM P 78 Fol. 116. Prinzipiell war das Wetter für 61 Patienten die Ursache ihrer Beschwerden. 55 IGM P 55 Fol. 152 sowie P 83 Fol. 182. 56 So IGM P 46 Fol. 165, P 50 Fol. 11, P 73 Fol. 198, P 76 Fol. 84, P 84 Fol. 90, P 108 Fol. 152, P 113 Fol. 222. 57 IGM P 86 Fol. 43. 58 Jeder Medizinalbericht enthielt einen Teil über den „Einfluß der Witterung auf die Gesundheit“, hierzu Kapitel 3.3.2, beispielsweise Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1838, S. 12–14, Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1840, S. 11–13, Sanitäts-Bericht 1832, S. 1–8, allgemein: Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 38–39. Auch die „Erkältung“ Bönninghausens 1864 führte sein Sohn Friedrich auf den „herrschenden kalten Nordostwind“ zurück. Mayer: Manen, S. 94. Gleiches galt übrigens auch für die Physikatsberichte in Bayern: Wormer: Physikatsberichte, S. 134–135 sowie Württemberg: Riecke, Viktor: Das Medicinalwesen des Königreichs Württemberg. Unter systematischer Zusammenstellung der dasselbe betreffenden Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, Normalerlasse, Stuttgart 1856, S. 39–49. 59 Hufeland, Christoph: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. 2. Teil, Wien/ Prag 1797 (Faksimile-Ausgabe Hamburg ohne Jahr), S. 31–35 und Lindemann: Health, S. 265, Stolberg: Homo patiens, S. 61–62. Nahrungsmittel oder Getränke verursachten in 351 Fällen laut den Patienten die Beschwerden.
216
6 Beschwerden und Krankheiten
Fieber wegen eines „Excesses im Essen“ bekommen hatte, berichteten jedoch von einem Übermaß an Nahrung.60 Auch mit besonders fetten Speisen konnte man sich den Magen verderben.61 Der Verzehr von Obst, wie Trauben, Äpfeln oder Birnen, und Gemüse, unter anderem Erbsen, Bohnen oder Rüben, konnte unangenehme Folgen haben. So litt ein 27-jähriger Kranker nach „Pflaumen-Essen“ an Durchfall und Hämorrhoiden. Zu viele Kirschen verursachten bei einem 14-jährigen Knaben Kopfweh und anhaltende Übelkeit mit Erbrechen. Sogar die epileptischen Anfälle eines 14 Jahre alten Mädchens aus Münster sollten „erst von Genuße zuvieler Birnen (und Äpfel?) entstanden sein“.62 Eine 70-Jährige aus Handorf glaubte, dass ihre Verdauungsbeschwerden „von Pfannkuchen entstanden“ seien und bei einem anderen Patienten sollten „Schwindel, Nachthusten mit bitterem Auswurf, Abscheu von Speisen, kalte Füße“ die Folge von deren Verzehr sein.63 Ein etwa zweijähriger Knabe war „nach Spinat mit harten Eiern erst erkrankt“ und eine Bauersfrau litt nach „fettem Sauerkraut und Kartoffeln“ an Unterleibsschmerzen und Erbrechen.64 Der Arzt Tissot warnte ebenfalls vor dem Genuss unreifer Früchte oder verdorbener und nicht richtig zubereiteter Nahrung.65 Einige der Kranken klagten nach dem Verzehr von „frischem“ oder „ungarem“ Brot über „Brennen im Unterbauche“ und „Leibschmerzen“.66 Ein Buchhändler litt seit einem halben Jahr nach „altem Bier“ an drückende Magenschmerzen und eine 17-Jährige hatte seit mehr als einem Jahr nach demselben „Genuss“ „Schrunden und Stechen im Magen mit Erbrechen“.67 Eine 48 Jahre alte Kranke plagten „seit 6 Jahren, nach Genuße mit ungahrem Fleische, Leibschmerzen mit ungeheurem Erbrechen des Genoßenen“. Fleisch, egal ob von Schwein oder Rind, Wurstbrote oder Mettwurst verursachten immer wieder ähnliche Probleme.68 Auch Trunkenheit beziehungsweise der übermäßige Genuss von alkoholischen Getränken galt als Krankheitsursache.69 Derartige gesundheitliche Folgen musste beispielsweise ein knapp 20-Jähriger aus Dren60 IGM P 216/2, S. 2 oder auch P 42 Fol. 36. 61 IGM P 34 Fol. 184, P 39 Fol. 155, P 43 Fol. 135, P 71 Fol. 184, P 77 Fol. 6 oder P 107 Fol. 20. 62 IGM P 107 Fol. 188, P 107 Fol. 259, P 74 Fol. 243. Ähnlich P 106 Fol. 56, P 54 Fol. 148 oder P 74 Fol. 76. 63 IGM P 80 Fol. 190 und P 44 Fol. 78, auch P 38 Fol. 160, P 55 Fol. 16, P 77 Fol. 84 oder P 112 Fol. 81. 64 IGM P 78 Fol. 281, P 114 Fol. 429, auch P 41 Fol. 93 oder P 43 Fol. 91, P 52 Fol. 4 oder P 54 Fol. 182. 65 Tissot: Anleitung, S. 37–39. 66 IGM P 44 Fol. 151 und Fol. 178, ähnlich P 50 Fol. 10, P 53 Fol. 202, P 87 Fol. 115 oder P 103 Fol. 81. 67 IGM P 40 Fol. 14 und P 73 Fol. 171. 68 IGM P 84 Fol. 228, Mettwurst bei P 80 Fol. 170 oder P 53 Fol. 44, Wurstbrot bei P 74 Fol. 197 oder P 107 Fol. 167, Fleisch bei P 50 Fol. 23, P 79 Fol. 130, P 82 Fol. 138 oder P 109 Fol. 97. 69 Tissot: Anleitung, S. 36–27, Hufeland: Kunst, S. 31–35.
6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden
217
steinfurt ertragen, der sich bei Bönninghausen wegen „Fallsucht“ behandeln ließ. Ein anderer Kranker litt „in Folge Übermaß an Branntwein“ an „Verstopfung und Harnverhaltung“ sowie „Aufblähung des Leibes und verhaltene Winde“.70 Auch schrieb man Emotionen, wie Angst, Schreck, Trauer oder Ärger, eine Rolle bei der Entstehung von Beschwerden zu.71 Häufig waren plötzliche Schrecken für das Auftreten der Fallsucht verantwortlich. Wodurch der Schreck jedoch verursacht wurde, ist nicht immer überliefert.72 Eine 42-Jährige aus Lienen hatte sich wegen eines Brandes erschrocken und litt seither an Fallsucht, allerdings hatten auch deren Bruder und Vater die Krankheit. Bei einem elfjährigen Knaben hatten die Anfälle begonnen, nachdem ihm eine Strafe angedroht worden war, und ein 13 Jahre altes Mädchen hatte der Anblick einer „aufgeblähten Kuh“ derartig in Schrecken versetzt, dass sie seit zwei Jahren immer wieder von zweistündigen Anfällen heimgesucht wurde. Eine Gleichaltrige zeigte nach Erscheinungen „weißer Gespenster“ in der Nacht ähnliche Symptome.73 Ebenfalls der Schreck vor einer „aufgeblähten Kuh“ führte bei einer 26-Jährigen zu einer Fehlgeburt.74 Auslöser für eine derartige Gemütsbewegung konnten auch Gewitter, Blitze oder der „dem Trunke ergebene Mann“ sein.75 Innerer Ärger und Gram konnten zu starken körperlichen Beschwerden wie „Frost und Nagen im Magen und im Rücken“, „Müdigkeit im Körper und Duseligkeit im Kopfe“, „Stichen in der Brust und Herzklopfen“, Durchfall und Verdauungsproblemen oder „heftiger Kolik und Erbrechen“ und „Nasenbluten“ führen.76 Besonders stark war ein 29 Jahre alter Bäcker von dem „innerlichen, unterdrückten Ärger“ angegriffen. In der Erstanamnese schilderte er „Trübsinn und Melancholie, Drücken in der Milzgegend, Brustbeklemmung
70 IGM P 45 Fol. 146 und Fol. 155, ähnlich P 49 Fol. 133, P 50 Fol. 102, P 76 Fol. 67 oder P 106 Fol. 15. 71 Emotionale Momente wurden von 280 Kranken genannt. Gleiches galt aber auch in den Praxen anderer Ärzte: Thümmler: Rekonstruktion, S. 34, Stolberg: Orakel, S. 390, derselbe: Homo patiens, S. 62–63, Schuricht: D16 Kommentar, S. 22. Die Vorstellung, Emotionen könnten Krankheiten hervorrufen, geht auf Galen und die Humoralpathologie zurück: Alberti, Fay: Emotions in the Early Modern Medical Tradition. In: Alberti, Fay (Hrsg.): Medicine, Emotion and Disease 1700–1950, Houndmills/New York 2006, S. 2–7. 72 So auch bei den belgischen Patienten. Baal: In Search, S. 204. Auch in den Fallberichten der Ärzte kamen Krampfanfälle in Folge von Schrecken vor, beispielsweise Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1838, S. 126. 73 Die Beispiele der Reihe nach in IGM P 78 Fol. 48 und Fol. 78, P 103 Fol. 252, P 77 Fol. 207, der Begriff „Fallsucht“ erschien im Zusammenhang mit Emotionen 32 Mal. 74 IGM P 41 Fol. 9. 75 IGM P 112 Fol. 302, P 74 Fol. 15, P 107 Fol. 257, P 37 Fol. 18, P 86 Fol. 221. 76 IGM P 37 Fol. 46 und Fol. 88, P 41 Fol. 163, P 42 Fol. 150, P 47 Fol. 31, P 77 Fol. 166, P 106 Fol. 86 und Fol. 128, P 112 Fol. 93. Diese Liste ließe sich erweitern. Für Hering, Constantin: Homöopathischer Hausarzt, Jena 4. Auflage 1844, S. 11 hatten „Kummer und Gram mehr übele Folgen, als irgend ein anderes Gemüthsleiden“.
218
6 Beschwerden und Krankheiten
mit Angst, Mattigkeit und Angstschweiß und bitteres Erbrechen“.77 Bei einem Regierungssekretär hatte die Rüge durch seinen Vorgesetzten ein „Gemüthsleiden“ zur Folge, das sich in „Unruhe, Ängstlichkeit und Besorgtheit“ sowie „Früh Erwachen mit Angst, Schweiß und Beklemmung“ äußerte.78 Eifersucht und unglückliche Liebe konnten ebenso „Herzklopfen“, „Kneipen und Stechen um den Nabel“, Wahnsinn oder „Erstickungsanfälle“ hervorrufen.79 Heimweh, im Fall einer Hofrätin die „Sehnsucht nach Cassel“, führte zu Abmagerung und Schwäche und wurde beim Militär bisweilen mit einem „so heißen Lavemant“ behandelt, dass sich der Betroffene „innerlich verbrannt fühlte“.80 Vor allem konnten die Emotionen der Mütter auf deren Kinder übertragen werden. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Gemütsbewegung bereits in der Schwangerschaft erfolgte und gegebenenfalls schon lange zurück lag. So wurde ein drei Monate altes Mädchen zu Bönninghausen gebracht, das heftig schrie und von Krämpfen geplagt wurde. Die Mutter habe „sich während der Schwangerschaft erschrocken, wegen Verbrennung eines Kindes in heißem Wasser“, wie der Freiherr notierte. Die ähnlichen Beschwerden eines Knaben wurden darauf zurückgeführt, dass „die Mutter in der Schwangerschaft viel Ärger gehabt“ habe. Auch die Fallsucht eines mittlerweile zwölfjährigen Kindes, die erst eingesetzt hatte, als es zehn war, wurden damit erklärt, dass diese „nach Schreck und Angst der Mutter, wegen Einstellung des Manns beim Militär in der Schwangerschaft entstanden“ sei.81 Auch beim Stillen mussten die Frauen ihre Gefühle unter Kontrolle halten, weil diese gesundheitliche Folgen für die Kinder haben konnten.82 Trauer über den Verlust von Angehörigen, besonders Ehepartnern oder Kindern, hatte ebenfalls zahlreiche körperliche Beschwerden zur Folge.83 Eine Pastorin, die 1852 zu Bönninghausen kam, hatte fünf Jahre zuvor ihren Mann und zwei Kinder durch das Nervenfieber verloren. Seither litt sie an „Beängstigung in der Herzgrube, mit Herzklopfen“. Ein Graf reagierte auf den Tod seines Kindes mit Kopfschmerzen. Und eine 33-Jährige, die zwei Kinder verloren hatte, bekam ein Geschwür am Ellbogen.84 Daher kann zumindest 77 IGM P 49 Fol. 18. 78 IGM P 82 Fol. 32. 79 IGM P 155, S. 3 (Schnatmeyer), P 34 Fol. 10, P 85 Fol. 213, P 108 Fol. 108 und Fol. 194. 80 IGM P 49 Fol. 46, P 83 Fol. 115 und P 103 Fol. 304. 81 Die Beispiele IGM P 81 Fol. 204, P 104 Fol. 295, P 115 Fol. 200. 82 IGM P 41 Fol. 99 oder P 52 Fol. 47. Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 95 nennt sogar den Todesfall eines Säuglings, nachdem die Mutter diesem die Brust gegeben hatte, als sie ärgerlich war. Hierzu Ritzmann: Sorgenkinder, S. 80–84. 83 Beispielsweise IGM P 47 Fol. 28, P 51 Fol. 159, P 55 Fol. 170, P 77 Fol. 29, P 84 Fol. 224, P 85 Fol. 15, P 102 Fol. 294, P 103 Fol. 5, P 104 Fol. 27, P 107 Fol. 181, P 108 Fol. 253, P 110 Fol. 174. Ähnliche Fälle hatte auch van den Berghe in seiner Praxis: Baal: In Search, S. 144. 84 IGM P 81 Fol. 223, P 155 S. 2 (Merfeld), P 37 Fol. 128, ganz ähnlich P 154 S. 117 (Ziegler).
6.1 Warum bin ich krank? – Ursachen der Beschwerden
219
in diesen Fällen von einer Gleichgültigkeit der betroffenen Eltern gegenüber ihren Kleinen beziehungsweise den Verwandten untereinander keine Rede sein.85 Auch das Umgehen der Cholera flößte Angst ein, was bei der Betroffenen zu „Magendrücken“ führte oder die Ereignisse der Revolution im Jahr 1849, welche eine Obristengattin im Alter von 30 Jahren derartig in Unruhe versetzte, dass sie zunächst in einem Kurbad Linderung suchte und sich später an Bönninghausen wandte.86 Frauen litten an „Geistesverwirrung“, wenn sich eines ihrer Kinder verheiratete, oder wurden von Angst geplagt, weil ein Sohn zum Militär eingezogen worden war. Ein 27-jähriger Bauer aus Glandorf hatte „seit 6 Wochen wegen Sorge und Besorgtheit über die bevorstehende Verheirathung, trübe Gedanken mit Herzklopfen“ und ein 60 Jahre alter Patient aus Seppenrade litt an Husten und Lähmung der Beine, nachdem er „Ärger wegen eines Grundstückes und abgebrochenen Kontrakts“ gehabt hatte.87 Auch die Lebensführung Einzelner beziehungsweise deren tägliche Beschäftigungen, wie Lesen, Stubensitzen oder dergleichen, wurden als Ursachen benannt. So litten eine neunjährige Adelige oder der Schulvikar an „Kopfweh von Geistesanstrengung“. Bei einer Elfjährigen, die „klein und ohne Wachstum, wie ein Kind von 8 Jahren“ war, glaubte man, dass sie „von Geistesanstrengung im Wachsthum so zurück geblieben“ sei. Ein 28-jähriger Baumeister aus Paderborn vermutete, sein „mangelnder Samenerguß beim Beischlaf“ sei „Folge von geistiger Anstrengung“. Eine besondere Form derartiger Anstrengung hatte bei einem 34-Jährigen zu den Beschwerden geführt. Er berichtete Bönninghausen, dass er „seit 18–19 Jahren, nach Grübeln über die Kunst des Zieh-Harmonika-Spielens, Anfälle von Fallsucht“ habe.88 Sowohl übermäßige körperliche Arbeit als auch die Überstrapazierung der Seelenkräfte durch geistige Anstrengungen galten in der Ratgeberliteratur als bedeutende Krankheitsursachen.89 Natürlich waren auch Verletzungen an der Tagesordnung. Stürze oder Verbrennungen führten immer wieder zu Wunden, die von Bönninghausen homöopathisch behandelt werden sollten.90 Ebenso hatte das Heben schwerer Lasten „Verrenkschmerzen“ in Rücken, Schultern oder Magen und „Geschwulst im Kreutze“ oder „Kurzathmigkeit“ und „Reißen im Bein“ sowie „Bluthusten“ oder „Stiche in der linken Lendengegend“ zur Folge.91 Leistenbrüche traten, neben „Verheben“, auch nach starkem Husten und bei Klein85 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Ritzmann: Sorgenkinder, S. 221–225 und S. 283. Zu der Gleichgültigkeitsthese Shorter: Umwälzung, S. 518–521. 86 IGM P 78 Fol. 182 und P 73 Fol. 206. 87 IGM P 109 Fol. 72, P 79 Fol. 185, P 103 Fol. 153 und P 77 Fol. 48. 88 IGM P 154, S. 3 (von Droste), P 154 S. 61 (Schade), P 51 Fol. 104, P 102 Fol. 299 und P 110 Fol. 230. 89 Tissot: Anleitung, S. 29–30, Hufeland: Kunst, S. 16–22. 90 Derartige „äußere Ursachen“ wurden in 552 Fällen erwähnt, hierzu Kapitel 6.4. Auch Stolberg: Homo patiens, S. 64. 91 Beispielsweise IGM P 34 Fol. 131 oder P 35 Fol. 25, P 38 Fol. 155 und P 40 Fol. 48, P 50 Fol. 87, P 54 Fol. 210, P 75 Fol. 109, P 85 Fol. 207, P 115 Fol. 428 und P 45 Fol. 41.
220
6 Beschwerden und Krankheiten
kindern nach heftigem Weinen auf.92 Als Arbeitsfolgen müssen die Gelenkschmerzen gesehen werden, die eine Wäscherin bei ihrer Tätigkeit bekommen hatte oder die Heiserkeit eines Geistlichen nach der Pfingstpredigt. In ähnlicher Weise vermutete ein 39 Jahre alter Glaser, dass sein Husten von Bleiweiß-Staub herrühren könnte und ein Schäfer meinte, dass seine Unterleibsbeschwerden nach dem Waschen seiner Tiere entstanden seien. Für einen Schreiner von 28 Jahren hatte das Hobeln des Rathaus-Saals, wofür er auf dem linken Knie hatte liegen müssen, eine Geschwulst desselben zur Folge.93 Ferner vermutete man, dass Haarschneiden zu Kopfweh, Husten, Schwerhörigkeit oder Augenentzündung führen würde.94 Außerdem bekamen die Leute beim Fahren im Wagen oder mit der Eisenbahn Kopfschmerzen, Brustbeklemmung und erkälteten sich.95 Feuchte Wohnungen und kalte Stuben waren der Gesundheit ebenfalls nicht zuträglich.96 Als eigene „sündhafte“ Verfehlung wurde die Onanie gesehen. Hier trug der Betroffene selbst die Verantwortung für sein Tun und damit für die daraus resultierenden Beschwerden.97 Aber nicht immer wurde die „Selbstbefleckung“ als Ursache gesehen. Bei 86 Patienten und Patientinnen hatte Bönninghausen eine derartige Tätigkeit vermerkt. So litt ein 24-jähriger Färber ausdrücklich „nach Onanie“ seit einem Jahr an „Vorsteherdrüsenabgang“, „Mattigkeit in den Knien“ und „Kältegefühl an der Eichel“ und der Freiherr notierte bei einem ähnlich alten Goldarbeiter, er sei „seit wenigstens 12 Jahr Blödsinnig, nach Onanie und Söfferei“.98 Die genannten Ursachen zeigen, dass die Patienten Bönninghausens ihre Beschwerden nicht in einem religiösen Rahmen erklärten. Vielmehr entstammten die angeführten Ursachen den Bereichen der eigenen Lebensführung, der Emotionen sowie der natürlichen Umwelt im weitesten Sinn. Ganz ähnliche Erklärungsmuster verwendeten die Patienten des belgischen Homöopathen van den Berghe oder die Kranken, die sich brieflich an verschiedene Ärzte wandten.99 Im 19. Jahrhundert haben daher in Anbetracht dessen, 92 IGM P 43 Fol. 40, P 41 Fol. 87, P 49 Fol. 126, P 55 Fol. 122, P 71 Fol. 135, P 81 Fol. 91, P 104 Fol. 180. 93 Die Fälle der Reihe nach in IGM P 72 Fol. 98, P 86 Fol. 5, P 106 Fol. 82, P 107 Fol. 29 und P 114 Fol. 212. 94 Beispielsweise IGM P 37 Fol. 160, P 50 Fol. 47, P 80 Fol. 41, P 108 Fol. 87. 95 So IGM P 50 Fol. 134, P 82 Fol. 119, P 86 Fol. 65, P 112 Fol. 10, P 115 Fol. 349. Gleiches schilderten auch Patienten Hahnemanns. Schuricht: D16 Kommentar, S. 22. 96 IGM P 76 Fol. 104, P 80 Fol. 161, P 108 Fol. 36, P 110 Fol. 284, P 111 Fol. 247, P 112 Fol. 55, P 113 Fol. 146 und Fol. 172, P 114 Fol. 279 und P 115 Fol. 426, hierzu Tissot: Anleitung, S. 39–40. 97 Hufeland: Kunst, S. 9–16, viel ausführlicher zum Onaniediskurs in dieser Zeit Stolberg: Homo patiens, S. 261–281, Baal: In Search, S. 207 sowie Brockmeyer: Schreibweisen, S. 233–262. 98 IGM P 40 Fol. 90 und P 113 Fol. 210. Mehr zu diesem Thema im Zusammenhang mit Kapitel 6.5.1. 99 Baal: Being Ill, S. 169–171. Die Erklärungsdimensionen Nahrung und Trinken, Aktivität, Umgebungsluft und Affekte gehen auf die sechs „res non-naturales“ Galens zurück. Dazu: Stolberg: Homo patiens, S. 59–64 mit weiterführender Literatur. Daher unter-
6.2 Krankheitsspektrum
221
dass Bönninghausen zahlreiche Patienten aus den unteren Gesellschaftsschichten behandelte, nicht mehr nur die gebildeten Stände ihre Beschwerden aus ihrem eigenen Verhalten oder ihrer Biographie erklärt.100 Inwieweit mit den einzelnen Erklärungsmustern für die Betroffenen tatsächlich ein „Verantwortungsgefühl“ für das Entstehen der Erkrankung verbunden war, muss mangels näherer Ausführung dahingestellt bleiben.101 Zumindest hinsichtlich der Selbstbefriedigung war dieses Bewusstsein vorhanden. Ob die unterschiedlichen Umstände von „Verhitzung“ und „Verkältung“ oder das Aufkommen emotionaler Reaktionen dem eigenen Einflussbereich zugemessen wurden, kann nicht mehr entschieden werden. Zumindest versuchten die Betroffenen in solchen Fällen, einen Grund zu nennen und ihre Beschwerden für das eigene Verständnis „logisch“ zu erklären, indem sie sie auf ein mögliches Ereignis oder eine Reaktion in ihrem eigenen Erleben und keine religiösen oder magischen Ursachen zurückführten.102 Allenfalls der Gedanke einer „Übertragung“ gewisser Leiden durch den Anblick eines ähnlich Erkrankten deutet auf einen „magischen“ Erklärungsrahmen. Gemessen an der geringen Zahl der Fälle, in denen derartiges berichtet wurde, überwiegt jedoch das Erklären im Rahmen „natürlicher“, emotionaler oder verhaltenstechnischer Faktoren. 6.2 Krankheitsspektrum Das Gebot einer eingehenden Anamnese und der Verzicht auf eine Diagnose im herkömmlichen Sinn bieten zwar einerseits Vorteile, wenn es um die Erfassung der erlittenen Beschwerden und der Krankheitserfahrung geht. Andererseits stellt die hierdurch zur Verfügung stehende Informationsfülle eine Herausforderung für die Auswertung dar. An dieser Stelle muss zunächst, trotz Betonung der Individualität von Krankheit und Symptomen durch die Homöopathie, vom Einzelpatient abgesehen werden und mit Hilfe von Gruppen
schieden sich die von den Laien geäußerten Erklärungsmuster wenig von denjenigen, die in der „Schulmedizin“ gebräuchlich waren. Am Beispiel der Pocken: Wolff: Volksmedizin. 100 Von den 2.431 Personen, bei denen eine Krankheitsursache deutlich wurde, waren 69 Angehörige der Oberschicht, 166 Mitglieder der Mittelschicht und 527 aus der Unterschicht. 13,3 % der Oberschicht, 14,5 % der Mittelschicht und 19,3 % der Unterschicht erklärten also ihre Krankheit. Zu dieser Vermutung Loetz: Vom Kranken, S. 123, Porter: Disease, S. 25–26, Stolberg: Homo patiens, S. 59. 101 Loetz: Vom Kranken, S. 123 deutet beispielsweise das Zurückführen einer Krankheit auf ein zeitlich noch so weit zurückliegendes Ereignis als ein „Konzept der Selbstverschuldung“ von Krankheit. Baal: In Search, S. 207 sowie Being Ill, S. 170 hingegen interpretiert das Zurückführen der Krankheiten auf emotionale und natürliche Ursachen als eine Deutung der Entstehungsursache außerhalb der individuellen Kontrolle. 102 Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 288.
222
6 Beschwerden und Krankheiten
und Kategorien das Krankheitsspektrum der mehr als 14.200 Patienten beschrieben werden.103 Eine solche Klassifizierung stellt nicht nur eine Abstrahierung dar, sondern ist in gewisser Weise eine Interpretation der geschilderten Beschwerden. Durch eine geschickte Wahl der Gruppen kann eine Falschinterpretation und somit ein Missverständnis bezüglich der gegebenen Informationen vermieden werden.104 Glücklicherweise hat Clemens von Bönninghausen ein Schema in seinem Ratgeber „zur Entwerfung eines vollständigen Krankheitsbildes“ entwickelt. Dieses diente ursprünglich dazu, entfernt von homöopathischen Ärzten wohnenden Kranken zu erklären, in welcher Reihenfolge sie die detaillierten Angaben bezüglich ihrer Leiden machen sollten und verhinderte so, dass sie eine wichtige Information ausließen. Doch mit Hilfe des Leitfadens kann andersherum das komplette Beschwerdespektrum der Patienten strukturiert werden. Das Symptomregister des Freiherrn umfasst 48 Kategorien, die von Kopf bis Fuß alle Körperteile sowie Sinneswahrnehmungen, Gemüt, Verstand und Körperausscheidungen beschreiben.105 Auch bei der Auswertung der Journale Hahnemanns wurden Untersuchungen zu den Leiden, mit denen die Patienten den Homöopathen konsultierten, gemacht. Hierfür waren verschiedene Symptombereiche definiert worden.106 Im Hinblick auf das eigene Material erhielt aber das ausgesprochen differenzierte Schema Bönninghausens den Vorzug, weil es näher an der Quelle und den dort verwendeten Wortlauten stand.107 Zuvor wurde überprüft, inwieweit die verschiedenen Kategorien vergleichbar waren. Hierbei ergab sich, dass durch eine spätere Zusammenfassung einzelner Gruppen aus dem Bönninghausen-Schema, die Symptombereiche einander gegenüber gestellt werden können. Zudem wurden zwei Kategorien ergänzt, die von dem Freiherrn nicht berücksichtigt worden waren, die im Hinblick auf interessante Fragestellungen bei der Auswertung des Beschwerdespektrums aber hilfreich erschienen.108 Letztendlich ergab sich eine verhältnismäßig lange Liste von 103 Ein gleiches Vorgehen: Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 33 und S. 57. Allerdings widerspricht eine solche Quantifizierung der Vorstellung der Homöopathie von der Individualität jedes Kranken und jeder Krankheit. Dazu: Wiesemann: Reform, S. 35–36. 104 Bleker: Krankenjournale, S. 87. Auf die Notwendigkeit einer solchen Strukturierung und deren Probleme verwies bereits: Meyer: Patientenbriefe, S. 74–75. 105 Diese Schrift gab außerdem allgemeine Hinweise für eine zweckmäßige Diät. Bönninghausen: Diät und Entwerfung, besonders S. 19–39. Auch Hahnemann verwendete dieses Schema in seiner Praxis und verschickte es an seine Patienten. Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 115. Ähnliche Schemata Bönninghausens finden sich auch in der Gliederung seines Therapeutischen Taschenbuches: Bönninghausen: Taschenbuch sowie in derselbe: Hülfs-Blätter für die homöopathische Heilkunst, Münster 1829. 106 Es handelt sich um Varady: D5 Kommentar, S. 333 und: Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 34. 107 Zu dem Gebot, möglichst nahe liegende Kategorien zu bilden: Bleker: Krankenjournale, S. 87 und Becker: Leben, Lieben, Sterben, S. 47. 108 Es handelt sich dabei um „Genussmittelverbrauch“ und „körperliche Verfassung“, ferner wurde das Feld „Krankheitsname“ zusätzlich in die Datenbank aufgenommen.
6.2 Krankheitsspektrum
223
50 „Krankheitsmerkmalen“. Hierfür war besonders die Überlegung leitend, dass eine nachträgliche Addition im Zweifelsfall immer einfacher wäre, als eine spätere zusätzliche Differenzierung.109 Jede einzelne Erstanamnese wurde im Hinblick auf die entsprechenden Symptomgruppen analysiert und jeder dort erwähnte Bereich in dem Feld „Krankheitsmerkmale“ markiert. Daher sind in dem Überblick zu dem Beschwerdespektrum Angaben dazu möglich, wie viele der Patienten insgesamt, beziehungsweise eines Samples, über gewisse Leiden klagten und entsprechende Symptome erwähnten.110 Dies spiegelt neben den von Bönninghausen behandelten Krankheiten auch die Wichtigkeit einzelner Symptome in der Anamnese wider.111 Bei 138 Kranken fehlten verwertbare Angaben im Zusammenhang mit der Erstanamnese.112 Bei anderen Betroffenen wurden nur knappe Informationen gegeben, so dass nur ein Symptombereich vermerkt wurde. In weiteren Fällen betrafen die Notizen aus der Erstanamnese bis zu 20 Gruppen. Für die 14.266 Patienten wurden 59.739 „Krankheitsmerkmale“ festgehalten. Dies entspricht im Durchschnitt 4,2 Beschwerden je Patient. Damit waren die Angaben aus den Erstkonsultationen bei dem Freiherrn durchschnittlich etwas kürzer, als diejenigen Samuel Hahnemanns.113 Bei Bönninghausen fielen die Notizen für die Kranken zwischen 1829 und 1833 am knappsten aus. In diesen Jahren war auch der Anteil der Patienten am größten, für die keine Angaben zu deren Beschwerden ermittelt werden konnten. Durchschnittlich klagten die Betroffenen in dieser Zeit über 1,8 Symptome. Die Informationen wurden mit der Änderung der Journalführung in Form der Bücher reichlicher und Kranke in den Jahren von 1839 bis 1843 machten zu 3,8 Kategorien Angaben. Noch auskunftsfreudiger waren die Patienten von 1849 bis 1853. Hier kann nicht ausgeschlossen werden, dass Bönninghausen, da er sich nun ganz seiner homöopathischen Tätigkeit widmen konnte, mehr Zeit investierte, um der erforderlichen Gründlichkeit bei der Buchführung Genüge zu tun und deswegen 109 Ähnliche Überlegungen auch bei Baschin: Untersuchung, wo dies erfolgreich durchgeführt wurde. Die Liste der einzelnen Gruppen mit den entsprechenden Zahlenangaben in Tabelle 23 im Anhang. 110 Durch die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten aller gebildeten Symptomgruppen können an dieser Stelle keine näheren Angaben dazu gemacht werden, wie viele der Patienten über mehrere Beschwerden zugleich klagten. Dafür wären weitere Auswertungen nötig. 111 Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 59–78. 112 Für die folgenden Angaben Tabelle 23 im Anhang. Die Mehrheit dieser Patienten kam in der Zeit zwischen 1829 und 1833 zu Bönninghausen. Der Verlust der Angaben zur Erstanamnese ist vor allem der Journalführung in Kalenderform geschuldet. Bei vielen anderen Fälle handelt es sich um Kranke aus dem Ausland, bei denen der Freiherr die Notizen auf einen Zettel machte und diese hinterher in seine Journale klebte. Einige der Papiere sind leider verloren gegangen. Andere, mittlerweile lose gewordene, Stücke aus IGM P 86 nun in P 217/1. 113 Hahnemann notierte während den Anfängen seiner Journalaufzeichnungen durchschnittlich 4,8 Symptombereiche je Erstkonsultation. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 60.
224
6 Beschwerden und Krankheiten
einfach mehr Angaben festhielt als zuvor.114 Jedenfalls wurden für die 4.491 Kranken, die in diesem Zeitraum erstmals seine Praxis aufsuchten, im Durchschnitt 5,1 Beschwerdegruppen notiert. Ein wenig kürzer fielen die Anamnesen hingegen in der Spätzeit aus. Die entsprechenden Angaben umfassten im Mittel 4,4 Symptome.115 Welche Leiden wurden dem Freiherrn aber in seinen Sprechstunden vorgetragen? Was plagte die Menschen besonders häufig und welche Symptomgruppen waren am stärksten in den einzelnen Anamnesen vertreten? Im folgenden Teilkapitel wird das Krankheitsspektrum der Patienten „quantitativ“ dargestellt. Das bedeutet, dass untersucht wird, welche Beschwerdekategorien am häufigsten genannt wurden. Ferner soll berücksichtigt werden, ob sich im Verlauf der Praxis Veränderungen ergeben haben und sich über die Zeit hinweg gewisse Schwerpunkte in der Behandlungstätigkeit feststellen lassen. In einem weiteren Schritt werden diese in Zahlen beschriebenen Angaben mit „Inhalt“ verknüpft. Anhand von Einzelfällen soll deutlich gemacht werden, worunter Betroffene genau zu leiden hatten und wie sie ihre Beschwerden beschrieben. 6.2.1 Quantifiziertes Leiden Eine Durchsicht aller Erstanamnesen macht deutlich, dass es fast kein Leiden gab, das Clemens von Bönninghausen nicht im Lauf seiner Praxistätigkeit behandelte. Menschen kamen zu ihm und beklagten alle möglichen Arten von Beschwerden, wobei die meisten deutlich ernster waren, als die von dem Freiherrn bereits als „krankhaft“ eingestufte schmerzlose Warze am Finger oder der Leberfleck auf der Haut. Dennoch zeigte eine nähere Analyse des Krankheitsspektrums, dass manche Symptome, nach dem Empfinden der Betroffenen, eher nach einer Behandlung verlangten als andere und sie daher häufiger geschildert wurden. Die meisten Leiden notierte der Homöopath im Bereich von „Fieberzuständen“.116 Hierunter verstand er nach seinem Entwurf eines Krankheitsbildes nicht nur akute Erkrankungen, die mit starken Temperaturerhöhungen verbunden waren, sondern jede auftretende ungewöhnliche Art von Frost, Hitze, Schauder und Schweiß sowie den „Blutlauf“.117 Am 114 In den Journalen Hahnemanns wurde ebenfalls mit zunehmender Praxiszeit eine ausführlichere Anamnese festgestellt. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 56. Prinzipiell hängt die Ausführlichkeit der Anamnese von verschiedenen Faktoren ab, neben Zeit und Interessen des Heilers, sind dies die Art der Konsultation und die Auskunftsfreudigkeit des Patienten. Mortsch: D22 Kommentar, S. 104. 115 Auch bei Hahnemann schwankte die Ausführlichkeit der Erstanamnesen zwischen den einzelnen Journalen. Hörsten D2-D4 Kommentar, S. 60. 116 Es klagten 31,7 % aller Erkrankten über derartige Beschwerden. Tabelle 23 im Anhang mit den absoluten Zahlen. 117 Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 38. Hierzu Jütte: Hahnemann, S. 51.
6.2 Krankheitsspektrum
225
zweithäufigsten wurden Bemerkungen zum „Appetit“ gemacht. Die 23,6 % der Patienten, die in diesem Bereich „Beschwerden“ hatten, waren aufgefordert, ihr Ernährungsbedürfnis sowohl „nach der Tageszeit“ als auch „nach den Empfindungen“ zu beschreiben. Es wurde vermerkt, ob sie eine Abneigung gegen oder Neigung zu gewissen Speisen oder Getränke hätten, wie schnell sich ein Sättigungsgefühl einstellte und ob bestimmte Nahrungsmittel gar nicht vertragen wurden.118 Ein sehr unangenehmer Komplex waren Beschwerden des Magen-Darm-Traktes, die sich durch Veränderungen der „Stuhlausleerung“ zeigten. Etwa 22 % aller Betroffenen klagten über Verdauungsprobleme, die sich in Durchfall oder Verstopfung äußerten.119 Äußerlich waren die meisten Symptome an den Untergliedern lokalisiert. Die Kranken sollten ihre Empfindungen genau nennen und beschreiben, ob die Beschwerden eher an der Haut, in den Muskeln oder den Knochen auftraten. Natürlich waren auch die entsprechenden Stellen genau zu berücksichtigen, ob nur das Knie, der kleine Zeh oder die Hüfte betroffen waren.120 Die Fünftgrößte der Symptomgruppen, über die alle Patienten klagten, war Husten. Auch hier galt es, die Beschaffenheit, den Ton oder die Art des Hustens genau zu charakterisieren. Ferner wurde eine nähere Beschreibung des Auswurfs, sofern dieser auftrat, verlangt.121 Eine Patientin, die tatsächlich alle diese Symptomgruppen in ihrer Anamnese abdeckte, war eine 25-Jährige aus Glandorf. Abends plagte sie „Schmerz im Oberschenkel“, den sie „wie juckendes Stechen“ beschrieb. Sie hatte „oft Durchfall“ und klagte über „Schweiß, besonders der Nase“ und „grauen Hustenauswurf“. Zu ihren Essensgewohnheiten erklärte sie: „Speck stößt auf, mit fettigem Geschmack“. Ganz davon abgesehen litt sie unter Menstruationsbeschwerden, da nach vorangegangenem Schreck „erst Menostasie“ eingetreten sei, aber „nun die Periode alle 14 Tage, mit Schmerzen im Oberbauche und Übelkeit“ erschien.122 Knapp 17 % der Betroffenen klagten über Beschwerden im Bereich der Brust, über „inneres Kopfweh“ oder machten Angaben zu ihrem Durstgefühl. Der Freiherr hatte in seinem Leitfaden eine Rubrik über „Gemeinsame Be118 Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 30. 119 Im Prinzip könnte man hierzu den Bereich der „Blähungen“ zählen, zu denen weitere 2,2 % aller Kranken Angaben machten. 120 Symptome an den Untergliedern hatten 20,5 % aller Patienten, zur Erläuterung: Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 36. 121 18,8 % der Kranken klagten über Husten, Erläuterung: Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 35. 122 IGM P 37 Fol. 89. Es gibt 38 Patienten, die in ihren Erstanamnesen Angaben zu den fünf häufigsten Beschwerdegruppen machten. Bemerkungen zur Menstruation waren mit 38,5 % der weiblichen Kranken zwar prozentual größer als zu den Fiebererkrankungen, allerdings betrifft dieser Symptomkomplex nicht alle Patienten, so dass an dieser Stelle nicht darauf eingegangen wird. Dazu: Kapitel 6.5.2. „Menostasie“ ist ein zeitgenössischer Begriff für das „Aufhören des weiblichen periodischen Blutflusses innerhalb des Zeitraums seines normalen Auftretens“. Vetter: Menostasis. In: Busch, D.; Gräfe, C. von; Horn, E.; Link, H.; Müller, J.; Osann, E. (Hrsg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, 23. Band, Berlin 1840, S. 44.
226
6 Beschwerden und Krankheiten
schwerden“, in der Kranke Symptome notieren sollten, die den ganzen Körper betrafen. Darunter verstand er solche Dinge wie „Abmagerung“, „Anfälle von Fallsucht“ oder „Unruhe im Körper“.123 Derartige Leiden wurden ihm von etwa 16 % der Kranken in seinen Sprechstunden geschildert. Weitere häufig genannte Symptome betrafen das „Angesicht“, Rücken und Oberglieder sowie „Magen und Herzgrube“. Je 12,5 % aller Betroffenen litten an „Übelkeit“ oder „Hautübel“.124 Knapp 10 % aller Patienten berichteten Bönninghausen von Augenbeschwerden im Allgemeinen. Bei rund 5 % aller Kranken hatten diese massive Auswirkungen auf das Sehvermögen. Probleme im Bereich des Mundes und mit den Zähnen hatten etwa 9 % beziehungsweise 5,5 % aller Betroffenen. Ohren und Gehör oder Nase und Geruch waren in ähnlichem Maß Anlass für einen Besuch bei dem Homöopathen. Bei knapp 6 % aller Kranken sorgten „äußere Kopfbeschwerden“ dafür, dass eine Therapie angestrebt wurde.125 Demgegenüber schenkte Hahnemann in seinen Notizen dem körperlichen und seelischen Zustand seiner Patienten größere Beachtung. Sein Schüler Bönninghausen vermerkte derartige Symptome nur bei etwa 8 % seiner Erstanamnesen. Auch Schlafbeschwerden, welche bei Hahnemann bei einem Fünftel aller Gespräche erwähnt wurden, traten bei dem Freiherrn mit nur knapp 8 % auf. In ähnlichen Größenordnungen waren bei beiden Homöopathen Leiden im Zusammenhang mit der nicht „normal empfundenen“ Körpertemperatur und was den Bereich der Nahrungszufuhr betraf vertreten. Bönninghausen maß den Auskünften der Frauen zu ihrem Monatlichen und im Allgemeinen Empfindungen zu dem Durstgefühl mehr Bedeutung bei.126 Außerdem klag123 Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 36–37. 124 Angesicht: 15,1 %, Rücken: 10,8 %, Oberglieder: 11,2 %, Magen und Herzgrube: 13,8 %. Die jeweiligen Erläuterungen: Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 28, S. 31 und S. 36. 125 Ohren und Gehör: 5,5 %, Nase und Geruch: 5,2 %, „äußere Kopfbeschwerden“: 5,8 %. Die nicht weiter aufgeführten Beschwerdegruppen „Mittelfleisch, Gedächtnismängel, Schluchsen, Kehlkopf und Luftröhre, Knochenleiden, Geschlechtstrieb, Schnupfen, Genussmittelverbrauch, Verstandesmängel, After und Mastdarm, der außere Bauch, Schooß und Bauchring, Drüsenleiden, außerer Hals und Nacken, Geschmack sowie Geschlechtsteile“ wurden in weniger als 5 % aller Anamnesen erwähnt. „Schluchsen“ ist ein altes Wort für Schluckauf, hierzu das kleine unterhaltende Buch von Uhlmann, Thomas: Über den Schluckauf, Berlin 1993. 126 Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 58–59. Bei 22,8 % der Erstanamnesen wurde die seelische und bei 28,9 % die körperliche Verfassung notiert. Der Symptombereich „Schlaf“ wurde von 21,2 % der Kranken erwähnt. Bei Bönninghausen waren diese Krankheitsbereichen in 8,1 % beziehungsweise 8,5 % und 7,8 % Teil der Erstanamnesen. Angaben zur Monatsblutung wurden von 38,5 % aller weiblichen Patienten bei dem Freiherrn gemacht, während Hahnemann dies bei 27,0 % seiner Patientinnen tat. Bei Bönninghausen wurden „Fieberzustände“ zwar „nur“ von 31,7 % der Kranken geschildert, damit war dies aber der meist genannte Symptombereich. Bei Hahnemann schilderten sogar 46,3 % aller Betroffenen derartige Symptome. Angaben zu Appetit machten bei Hahnemann 24,6 %, doch muss man hier auch die von Hörsten gesondert berücksichtigte Rubrik „Unverträglichkeit von Speisen“ mit weiteren 9,1 % hinzurechnen, da Bönninghausen in seiner
6.2 Krankheitsspektrum
227
ten in seinen Sprechstunden mehr Betroffene über „Benebelung“, womit sie Duseligkeits- oder Betäubungsgefühle ausdrücken wollten oder Ohnmachtsanfälle gemeint waren.127 Schwindelgefühle wurden häufiger bei Hahnemann angegeben. Dieser notierte auch öfter Beschwerden in den Bereichen Geschmack und „Aufschwulken“ sowie Atmungsprobleme oder was die Darmund Harntätigkeit anging.128 Beide Homöopathen wurden daher in ihren Praxen am häufigsten bei Beschwerden im Zusammenhang mit einer ungewöhnlichen Körpertemperatur um Rat gefragt, gefolgt von Angaben im Bereich der Nahrungsaufnahme und Unverträglichkeit bestimmter Speisen. Beschwerden mit der Darmtätigkeit und Husten waren weitere Beschwerden, bei denen die homöopathische Hilfe von den Geplagten in Anspruch genommen wurde. Allerdings hat Hahnemann der körperlichen Verfassung mehr Beachtung gewidmet und durchschnittlich mehr Symptome notiert. Insofern war der prozentuale Anteil der Angaben für eine Beschwerdegruppe von den Erstkonsultationen bei dem Homöopathiebegründer meist höher als bei Bönninghausen.129 Dieser notierte mehr Beschwerden im Bereich der Menstruation. Gruppe „Appetit“ beiderlei verstand, bei ihm waren Probleme in diesem Bereich mit 23,6 % vertreten, womit dies die zweithäufigste Symptomgruppe war. Angaben zu Durst nahmen bei Hahnemann 14,2 % bei Bönninghausen 16,9 % ein. Bei Hahnemann stellte sich mit zunehmender Praxiszeit auch eine gewisse Änderung ein, da in den späteren Journalen die Stuhlbeschaffenheit und Sexualität sowie Erkältungskrankheiten und Hautausschlägen verstärkt erwähnt werden. Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 20–21. Leider gibt sie keine genauen Angaben und es ist nicht bekannt, nach welchen Rubriken hier differenziert wurde. In der ersten Zeit in Köthen notierte Hahnemann bei der Mehrheit der Kranken Symptome im Bereich des Schlafes (79,3 %), der Stuhlbeschaffenheit (72,2 %) und des Appetits (68,8 %). Ungewöhnliche Körpertemperaturen beschrieben 52,3 % der Kranken und Hautsymptome hatten 51,2 %. Mortsch: D22 Kommentar, S. 106. 127 Der Symptombereich „Ohnmacht“ wurde bei Hahnemann nur in 1,7 % aller Erstanamnesen erwähnt, während bei Bönninghausen unter dem Stichwort „Benebelung“ 5,2 % aller Kranken Angaben machten. 128 Schwindel bei Hahnemann in 8,3 % aller Erstanamnesen, bei Bönninghausen in 3 % aller Fälle. Geschmack 14,5 % gegenüber 4,5 %, Aufschwulken 13,5 % versus 5,4 %, Harn, wobei hier die Rubriken Urinieren und Urinbeschaffenheit beziehungsweise Harn und Harnorgane zusammengenommen wurden 11,2 % bei Hahnemann und 6,4 % bei Bönninghausen. Die Rubrik „Athem“ mit 17,0 % bei Hahnemann und 6,1 % bei Bönninghausen. Ebenso Darmtätigkeit und Stuhlbeschaffenheit bei Hahnemann mit 30 %, bei Bönninghausen Blähungen und Stuhlausleerung mit 24,5 %. Die Angaben zu Hahnemann nach Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 58–59. 129 Hierzu die Liste von Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 58–59. Die häufigsten Angaben bei Hahnemann waren die Bereiche Schmerz (73,0 %), Fieberzustände/Temperatur (46,3 %), Appetit/Unverträglichkeit der Speisen (33,7 %), Darmtätigkeit/Stuhlbeschaffenheit (30,0 %), körperliche Verfassung (28,9 %) sowie Husten (27,3 %). Die Übersicht für Bönninghausen nach Tabelle 23 im Anhang, wobei mit Ausnahme der Kategorien Schmerz beziehungsweise Unterglieder, die in den jeweiligen Untersuchungen nicht gesondert berücksichtigt wurden die Rangfolge abgesehen von der herausragenden Bedeutung der körperlichen Verfassung, gleich ist. Trotz allen Bemühens, die Ergebnisse vergleichbar zu machen, fällt dies im Endeffekt schwer. Wünschenswert wäre, auch die Notizen Hahne-
228
6 Beschwerden und Krankheiten
Bei dem belgischen Homöopathen van den Berghe wurde am häufigsten über Husten und damit verbundene Beschwerden geklagt. Ähnlich viele Kranke waren auch wegen Magen-Darm-Problemen in die Behandlung gekommen. Über Kopfschmerzen oder Hautprobleme sprachen 3,9 % beziehungsweise 3,6 % aller Patienten.130 Bei Hahnemann waren Symptome der Haut immerhin von 25,8 % aller Betroffenen geschildert worden. Der Freiherr behandelte bei 12,5 % seiner Klienten derartige Beschwerden. „Inneres Kopfweh“ verursachte hingegen bei 16,6 % aller Menschen, die zu Bönninghausen kamen, Qualen. Auch van den Berghe behandelte Leiden, die im Hals-NasenOhren-Bereich sowie an den Augen auftraten.131 Ähnlich wie in der Praxis van den Berghes hatte der Arzt Kortum in Bochum am häufigsten Husten zu behandeln. Krankheiten des Magen-Darm-Traktes und Fieber waren bei ihm ebenfalls unter den größten Beschwerdegruppen. Die Symptome Husten, Fieber und Schwitzen, sowie Veränderungen im Stuhl und Erbrechen machten ein Drittel aller von Kortum behandelten Leiden aus. Interessant ist ferner, dass der Arzt auch viele Frauen wegen Menstruationsbeschwerden therapierte.132 So zeigt sich aber, dass auch der „allopathische“ Heiler nicht nur Diagnosen im heutigen Sinn notierte.133 Der unbekannte Arzt aus dem Harz hatte ebenso in etwa einem Drittel aller Fälle Verdauungsbeschwerden und Krankheiten des Magen-Darm-Traktes zu heilen. Mit einer erhöhten Körpertemperatur verbundene Leiden stellten in dieser Praxis knapp 12 % aller Erkrankungen. Frauenbeschwerden waren die drittgrößte Beschwerdegruppe, während Krankheiten der Atmungsorgane und des Bewegungsapparates mit jeweils 8,5 % vertreten waren. Zumindest was den Bereich der Unterglieder angeht, waren derartige Fälle bei Bönninghausen sehr viel stärker vertreten.134 Auch Probleme im Hals-Nasen-Ohrenbereich sowie im Zusammenhang mit der Haut kamen bei dem Freiherrn häufiger vor, als in der Praxis des unbe-
130 131 132 133
134
manns mit einem differenzierteren Schema zu bearbeiten, um beispielsweise die Betroffenheit einzelner Körperteile genauer in Erfahrung zu bringen. Die große Rubrik Schmerz, die Hörsten: D2-D4 Kommentar und Varady: D5 Kommentar verwenden, bleibt viel zu allgemein und unterscheidet nicht, wo der Schmerz auftrat. So kann nicht beurteilt werden, wie viele Patienten über Zahnschmerzen oder andere Beschwerden im Bereich des Mundes klagten, weil in dem Schema Hörstens nur die Zungenbeschaffenheit berücksichtigt wurde. Bei Bönninghausen wurde der Bereich „Mund“ jedoch von 9,1 % aller Kranken erwähnt, Probleme mit den Zähnen hatten weitere 5,5 % der Patienten. Baal: In Search, S. 170 sowie S. 286–289. Allerdings bildete Baal keine Symptombereiche, sondern nennt in ihrem Anhang die Beschwerden mit Einzelnamen. Baal: In Search, S. 175. Balster: Kortum, S. 159–162, ganz ähnlich waren auch die am häufigsten behandelten Beschwerden in der Praxis Ottenthals: Roilo: Historiae Morborum, S. 69. Neben dem Beispiel des Arztes Kortum wird dies auch deutlich bei Thümmler: Rekonstruktion, S. 83, Boschung: Patient Records, S. 10, Roilo: Historiae Morborum, S. 62, Martin-Kies: Alltag, S. 38–39 sowie Wulff; Jungersen: Danish Provincial Physician, S. 328–239. Thümmler: Rekonstruktion, S. 86.
229
6.2 Krankheitsspektrum
kannten Arztes und erstaunlicherweise musste Bönninghausen sehr viel mehr Verletzungsfolgen behandeln.135 Diese Ausführungen zeigen, trotz der Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Beschreibungen der einzelnen Krankheitsspektren zu vergleichen, dass Clemens von Bönninghausen in seiner Praxis mehrheitlich keine anderen Beschwerden zu behandeln hatte, als seine homöopathischen oder „allopathischen“ Kollegen. Zwar gibt es Unterschiede, was die Häufigkeit einzelner Leiden angeht, alle Heiler hatten sich aber im Wesentlichen mit Fiebererkrankungen und gesundheitlichen Problemen im Bereich des Magen-Darm-Traktes auseinander zu setzen. Die Besonderheit, dass Angaben zu Appetit beziehungsweise Unverträglichkeit von Speisen bei Bönninghausen und Hahnemann eine so große Rolle spielten, ist in erster Linie den besonderen Anforderungen der homöopathischen Anamnese, die auf derartige Details mehr Wert legt, geschuldet. Doch führte der Verzehr von ungeeigneten Nahrungsmitteln meist zu Verdauungsbeschwerden und Magen-Darm-Problemen. Es war zu sehen, dass sich bei den Beschwerden, die die Kranken Bönninghausen beschrieben und wegen der sie sich behandeln lassen wollten, keine Schwerpunktbildung erkennen lässt, die die Praxis Bönninghausens deutlich von der eines anderen Arztes unterscheiden würde. Der Freiherr übte seine Tätigkeit fast 35 Jahre lang aus. Veränderte sich in den untersuchten Praxisjahren das Krankheitsspektrum? Ein Vergleich der fünf beziehungsweise sechs am häufigsten genannten Beschwerdegruppen zeigt gewisse Wandlungstendenzen.136 Besonders das Beschwerdespektrum der ersten Praxisjahre weicht stark von dem aller Patienten ab. Position S 1
S2
S3
S4
Gesamt
Menstruation (nur Patientinnen)
Menstruation (nur Patientinnen)
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
Fieberzustände
Fieberzustände
1
Gemeinsame Beschwerden
Menstruation (nur Patientinnen)
2
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
3
Husten
Appetit
Stuhlausleerung Appetit
4
Unterglieder
Unterglieder
Appetit
5
Inneres Kopfweh
Husten
Durst
6
Hautübel
Stuhlausleerung Unterglieder
Appetit
Stuhlausleerung Stuhlausleerung Durst
Unterglieder
Unterglieder
Husten
Tabelle 24: Die häufigsten Beschwerdegruppen. 135 Thümmler: Rekonstruktion, S. 86–87 gibt folgende Übersicht: Erkrankungen der Verdauungssystems (31,8 %), akute Allgemeinerkrankungen wie Fieber (11,9 %), Frauenbeschwerden (10,0 %), Erkrankungen der Respirationsorgane und des Bewegungsapparates (8,5 %), Augen- und HNO-Beschwerden (7,5 %), Hautkrankheiten (5,0 %), Urogenitalerkrankungen und Gemütsleiden (4,2 % und 4,4 %), Verletzungen (1,5 %) und chirurgische Behandlungen (0,2 %), unklare Zustände (4,2 %). Für Bönninghausen die vorangegangenen Angaben sowie Tabelle 23 im Anhang. „Traumatische Beschwerden“ waren bei ihm 3,6 % aller Kranken. 136 Tabelle 24 und Schaubild 19.
230
6 Beschwerden und Krankheiten
Schaubild 19: „Top Sechs“ der am häufigsten genannten Beschwerdebereiche im Verlauf der Praxis (prozentuale Angaben bezogen auf die Gesamtheit der Patienten eines Samples).
Am häufigsten wurde zwischen 1829 und 1833 die Rubrik „Gemeinsame Beschwerden“ genannt, die später nicht mehr unter den großen Gruppen zu finden ist. Von knapp 20 % der Kranken wurden den ganzen Körper betreffende Symptome geschildert. Das übertraf sogar den Anteil der Frauen, die über unangenehme Begleiterscheinungen der Regelblutung klagten. Wobei dieser Beschwerdekomplex ab 1839 in allen Zeitabschnitten prozentual am häufigsten angegeben wurde. Am dritthäufigsten wurden die Kranken in den Jahren von 1829 bis 1833 von Husten geplagt. Symptome an den Untergliedern beschrieben etwa 9 % aller Patienten. Diese Kategorie war in allen vier untersuchten Zeiträumen immer unter den sechs größten Gruppen vertreten, wobei sich die Häufigkeit von 20,6 % zwischen 1839 und 1843 bis zum Ende der Praxis sogar auf 22,2 % erhöhte. Oft beschrieben die Kranken in der Anfangszeit in den Erstanamnesen aber auch „inneres Kopfweh“ oder „Hautübel“, wohingegen „Fieberzustände“ noch nicht zu den häufigsten Beschwerden zählten. Kopfschmerzen und „Hautübel“ waren auch in den folgenden Jahren oft geklagte Leiden, gehörten aber mit maximal 21 % beziehungsweise 15 % nicht mehr zu den größten Gruppen.137 Die häufigsten Leiden in der Zeit zwischen 1839 und 1843 ähneln am meisten denen der Gesamtpatientenschaft. Beschwerden bei und Beschreibung 137 Kopfschmerzen wurden in S 1 bei 8,4 %, in S 2 bei 15,6 %, in S 3 bei 20,8 % und S 4 bei 15,4 % der Erstanamnesen genannt, insgesamt bei 16,6 % aller Kranken. „Hautübel“ traten in S 1 bei 7,3 %, in S 2 bei 13,2 %, in S 3 bei 14,1 % und in S 4 bei 11,6 % der Patienten auf. Derartige Beschwerden wurden in 12,5 % aller Beschreibungen erwähnt. Die absoluten Zahlen in Tabelle 23 im Anhang und Schaubild 19.
6.2 Krankheitsspektrum
231
der Menstruation wurden am meisten gemacht. Etwa 23 % aller Kranken klagten über Temperaturschwankungen oder fiebrige Erscheinungen. Angaben zu Nahrungsaufnahme oder –unverträglichkeit wurden von 22 % der Patienten genannt, womit dieser Bereich, der in den ersten Jahren nur in 1,4 % aller Gespräche notiert wurde, sich unter den am häufigsten genannten Gruppen etablierte. Symptome an den unteren Extremitäten waren die viertgrößte Gruppe. An Husten litten 19 % der Kranken. Dieser war damit „nur“ noch die fünfhäufigste Kategorie. In den folgenden Jahren waren Beschwerden mit Husten und Auswurf nicht mehr unter den sechs größten Gruppen zu finden. Erstmals wurde in dieser Zeit der Bereich der „Stuhlausleerung“ häufiger genannt. Von anfänglich 5,2 % erhöhte sich der Anteil dieser Kategorie auf 18,7 % und in der Zeit von 1849 bis 1853 sogar auf 29,3 %. Die Erwähnung der Stuhlbeschaffenheit nahm dann leicht ab, war aber immer noch an vierter Position im Krankheitsspektrum vertreten. Die häufigere Erwähnung der Stuhlausleerung in den Erstanamnesen verwies Angaben zu „Appetit“ auf den vierten Rang in den Jahren von 1849 bis 1853. „Unterglieder“ waren mit 21,7 % an der sechsten Position. Neu erschien nun der Symptombereich „Durst“. Dabei wurden Angaben zum Trinkverhalten und Durstgefühl, vor allem die Tagezeiten, zu welchen dieses verspürt wurde, gemacht. Das Krankheitsspektrum aus der Zeit von 1859 bis 1864 weist gegenüber dem vorangegangenen geschilderten nur einen Positionswechsel von „Appetit“ und „Stuhlausleerung“ auf. Angaben zu „Appetit“ waren mit 27,2 % etwas häufiger als diejenigen zu „Stuhlausleerung“ mit 23,4 %. Mit der Rangfolge von Menstruation, „Fieberzustände“, „Appetit“ und „Stuhlausleerung“ entsprechen die „Top Vier“ der am häufigsten genannten Symptomgruppen auch denen des Gesamtkrankheitsspektrums. Die Beschwerdeliste weist in den oberen Rängen ab 1839 eine gewisse Konstanz auf, was die Gesamtheit der häufigsten genannten Symptombereiche angeht. Einzig die sechs größten Gruppen der frühen Praxiszeit weichen von den übrigen zum Teil ab. Dies dürfte aber daran liegen, dass Bönninghausen zum einen in seiner Anfangszeit, als er sein erstes „großes“ Buch führte, sehr ausführliche Erstanamnesen erstellte und bei vielen Patienten, auch bei fast allen Familienangehörigen, vielfach eine zugrunde liegende Psoraerkrankung diagnostizierte und somit der Bereich der „Gemeinsamen Beschwerden“ zwangsläufig häufiger auftrat.138 Zum anderen waren, gerade in der Zeit als der Freiherr seine Notizen in Kalenderform machte, die Angaben sehr knapp, so dass häufig zusätzliche Angaben im Bereich „Menstruation“, „Appetit“ oder „Durst“ nicht festgehalten wurden, da andere Symptome für die Erkrankten akuter waren. Insofern zeigt sich durch den Vergleich der Spektren in den einzelnen Praxisphasen, dass Bönninghausen derartigen Symptomen in den Anamnesen und somit in Bezug auf die Wahl eines Heilmittels anscheinend grö138 Absolut wurde 233 Mal die Kategorie „Gemeinsame Beschwerden“ markiert, dies sind 19,6 % aller Erstanamnesen von S 1. Der Krankheitsname Psora erscheint in S 1 85 Mal von 156 Nennungen. Von den 233 „Gemeinsamen Beschwerden“ sind 153 in Verbindung mit einem Krankheitsnamen.
232
6 Beschwerden und Krankheiten
ßere Bedeutung zumaß. Akute Beschwerden, besonders „Fieberzustände“, waren der häufigste Anlass für die Betroffenen, einen Arzt zu konsultieren, auch im ersten Sample ist dieser Bereich nach den „Hautübeln“ mit 6,2 % vertreten. Ansonsten zeigt sich, dass die Beschwerden, die die Kranken schilderten weitgehend ähnlich blieben. Betrachtet man die Entwicklung einzelner Symptombereiche, ist bei den meisten zu bemerken, dass die Häufigkeit ihrer Nennungen bis in die Zeit zwischen 1849 und 1853 anstieg und dann leicht rückläufig war.139 Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass in dieser Phase die Anamnesen mehr Symptome erfassten als in den übrigen Abschnitten. Allerdings nahm der Anteil der Patienten, die über „äußere Kopfbeschwerden“ klagten von 2,5 % auf 7,7 % zu. Für den Bereich der Unterglieder ist die Zunahme ebenso erkennbar wie im Zusammenhang mit den oberen Extremitäten. Beschwerden, die mit Armen und Händen zu tun hatten, wurden anfangs von 4,1 % der Kranken erwähnt, am Ende der Praxiszeit aber von 13,3 %.
Schaubild 20: Einzelne Gruppen des Krankheitsspektrums im Zeitverlauf 1 (prozentuale Angaben bezogen auf die Gesamtheit der Patienten eines Samples).
Besonders auffallend ist die Zunahme geschilderter Leiden im Bereich des Mundes und der Zähne. Über Zahnschmerzen oder Entzündungen des Zahnfleisches klagten anfangs 3,9 % aller Kranken und in den letzten Praxisjahren 7 %. Der Mundraum war zu Beginn für 2,5 % aller Betroffenen Grund, den
139 Die Angaben zum Gesamtkrankheitsspektrum und der Entwicklung einzelner noch nicht erwähnter Beschwerdegruppen Schaubilder 20 und 21.
6.2 Krankheitsspektrum
233
Homöopathen aufzusuchen, und der Anteil stieg bis 1864 auf 10,6 %.140 Im Hinblick auf diese Entwicklung lässt sich feststellen, dass Bönninghausen in diesem Bereich zunehmend das Vertrauen von Patienten erringen konnte. Doch liegt hier die Vermutung nahe, dass die homöopathische Behandlung erst zum Zuge kam, als andere Therapieversuche nicht erfolgreich waren.141 Rückläufig war hingegen die Anzahl derjenigen Patienten, die Bönninghausen wegen „Verstandesmängeln“ oder Beschwerden des Knochensystems konsultierten.142
Schaubild 21: Einzelne Gruppen des Krankheitsspektrums im Zeitverlauf 2 (prozentuale Angaben bezogen auf die Gesamtheit der Patienten eines Samples).
Anhand dieser Ausführungen wurde summarisch deutlich, dass Kranke mit jedweder Art von Leiden, sowohl schwereren als auch leichteren, zu Bönninghausen in die Praxis kamen. Sie hofften, durch die homöopathische Kur eine
140 Die Prozentangaben wie folgt: Äußere Kopfbeschwerden: S 1: 2,5 %, S 2: 3,3 %, S 3: 7,3 %, S 4: 7,7 %, Gesamt 5,8 %; Oberglieder: S 1: 4,1 %, S 2: 10,3 %, S 3: 12,0 %, S 4: 13,3 %, Gesamt 11,2 %; Unterglieder: S 1: 9,4 %, S 2: 20,6 %, S 3: 21,7 %, S 4: 22,2 %, Gesamt 20,5 %; Zähne und Zahnfleisch: S 1: 3,9 %, S 2: 4,4 %, S 3: 5,7 %, S 4: 7,0 %, Gesamt 5,5 %; Mund: S 1: 2, 5 %, S 2: 8,4 %, S 3: 10,2 %, S 4: 10,6 %, Gesamt 9,1 %. Die absoluten Angaben in Tabelle 23 im Anhang. 141 Von den Patienten, bei denen in der Erstkonsultation Angaben zu Beschwerden im Bereich der Zähne und des Zahnfleisches gemacht worden waren, hatten 74,5 % zuvor eine andere Behandlung gehabt (585 von 785 Patienten). Dies sind im Verhältnis mehr, als zuvor „allopathisch“ Behandelte bezüglich aller Patienten mit 69,1 %. 142 Verstandesmängel: S 1: 1,8 %, S 2: 1,7 %, S. 3: 1,6 %, S 4: 1,0 %, Gesamt 1,5 %, KnochenLeiden: S 1: 2,2 %, S 2: 1,3 %, S 3: 0,8 %, S 4: 0,7 %, Gesamt 1,1 %.
234
6 Beschwerden und Krankheiten
schnelle, sanfte und dauerhafte Heilung zu erhalten.143 In diesem quantifizierenden Überblick wurde aber kaum deutlich, welche „individuellen“ Beschwerden die Betroffenen plagten und wie diese beschrieben wurden. Das soll in dem folgenden Teilkapitel nachgeholt werden. Von Kopf bis Fuß wird mit Hilfe beispielhafter Zitate aus Krankengeschichten gezeigt, welche Symptome im Einzelnen zu therapieren waren und wie die Patienten sie darstellten. 6.2.2 Von Kopf bis Fuß Die Erfahrung des Unwohlseins oder in stärkerem Maß der Krankheit wird früher oder später von jedem Menschen gemacht. Auch wenn sich Einzelne, wie ein 33 Jahre alter „Extheologe“, in der Praxis des Homöopathen damit brüsteten, „von Hause aus eine eisenfeste Gesundheit!“144 zu haben, ist kaum einer ein Leben lang gegen jede gesundheitliche Anfeindung gewappnet. Im Extremfall empfand sich der Leidende seit seiner Geburt als Patient, betonte, seitdem noch nie gesund gewesen zu sein und folglich nicht zu wissen, was überhaupt Gesundheit sei.145 Als Betroffener steht man vor dem Problem, sein Leiden der Umwelt mitteilen zu müssen, die Umwelt wiederum vor der Frage, wie damit umzugehen sei. Das Wissen darum, dass fast jeder ähnliche Erfahrungen gemacht hat und sich somit etwa vorstellen kann, was der Betroffene selbst empfinden mag, erleichtert die Verständigung.146 Geht es jedoch darum, die Beschwerden zu charakterisieren, ist jeder auf die Sprache angewiesen und versucht, sich in deren Grenzen und Möglichkeiten mitzuteilen. Diese sprachlichen und im vorliegenden Fall in den Krankenjournalen schriftlich vorhandenen Beschreibungen geben die Möglichkeit, in gewissem Maß die „individuelle“ Krankheitserfahrung und das Empfinden der Patienten Bönninghausens nachzuvollziehen. Dennoch ist die Sprache immer gesellschaftlich geprägt und in den Beschreibungen spiegeln sich die sozialen Gegebenheiten der Zeit. Nicht jede Beschwerde wird in jeder Kultur und zu jeder Zeit gleich beschrieben, ge-
143 Hahnemann: Organon 6 § 2, S. 89, auch Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 20. 144 IGM P 114 Fol. 93, Bönninghausen setzte diese Worte selbst in Anführungszeichen. 145 Dies betonte der Pfarrer aus Ungarn, der seinen Krankenbericht in der dritten Person verfasste: Er „hatte als Säugling das Wechselfieber – was in Ungarn sehr oft geschieht – und diess dauerte 2 Jahre hindurch. Seitdem war er nie gesund; folglich er weiss [sic!] noch nicht: was die Gesundheit ist. Itzt, in seinem 48 Jahre ist er also ein 46jähriger Patient.“ IGM P 216/1. 146 Jütte, Robert: „La douleur des dents est la plus grande“. Zur Geschichte des Zahnschmerzes in der Frühen Neuzeit. In: MedGG 15 (1996), S. 37, in diesem Band befassen sich mehrere Aufsätze mit der Schmerzerfahrung. Gehrke: Patientenbriefe, S. 95, Ritzmann: Leidenserfahrung, S. 59–72, Goltz: Krankheit und Sprache, besonders S. 256–264.
6.2 Krankheitsspektrum
235
schweige denn wahrgenommen und behandelt.147 Da die Homöopathie viel Wert auf das möglichst differenzierte und genaue Eingehen auf die quälenden Symptome legt, breitet sich in den Journalen ein interessantes Panoptikum an Schilderungen aus. Die zuvor nur quantifiziert dargestellten Beschwerden sollen im folgenden Abschnitt eingehender betrachtet werden, um den „individuellen“ Leiden nachzuspüren.148 Die Darstellung psychischer Probleme, die Bönninghausen ebenfalls behandelte, offenbart nähere Einblicke in die Vorstellungswelten der Betroffenen. Harmlos waren die „Gehörtäuschungen“, welche die Freifrau von Oer hatte, „sie glaubte etwas gehört zu haben, was gar nicht da war“. Ein 30 Jahre alter Patient litt dagegen an „fixen Ideen von Verrath und Spott mit stetem Brennen im Kopfe und Neigung, sich zu entleiben, von Angst“. Bönninghausen notierte, er habe eine „Neigung zu Reisen“ und „Menschenscheu“.149 Eine andere Betroffene hatte nach einem „allopathisch“ behandelten Brustfieber eine „Geistesverwirrung“, welche sich „mit Verzweiflung an der Seligkeit“ äußerte und dazu führte, dass sie glaubte, vom Teufel besessen zu sein.150 Ein 33-Jähriger aus Glandorf hörte nach seinen Fallsuchtanfällen Kanonenschüsse und sah „Kriegswagen am hellen Tage auf dem Wege von Ostbevern nach Virneberg“. Nachts klang ihm „himmlische Musik in den Ohren“ und in der Nase hatte er einen „Geruch wie im Paradiese“. Eine 43-Jährige aus Nordhorn glaubte, „Engel zu sehen“ und als weiteres Merkmal ihrer „Geistesverwirrung“ notierte Bönninghausen, sie lese „viel in Büchern“.151 Ein Lehrer aus Münster klagte über „Taumel und Duseligkeit mit Benommenheit des Kopfes und schweres Begreifen des Gelesenen, wie Zerstreutheit und Unvermögen, die Gedanken festzuhalten“. Von Kopfanstrengung wurde das Übel verschlimmert. Bei einem anderen Patienten notierte Bönninghausen seine eigene Vermutung: „Scheint etwas wahnsinnig und wollte in ein [sic!] Zeitschrift setzen lassen, daß es bequem wäre, statt mit einem, mit zwei Stöcken zu gehen.“152 Die Gemütskrankheit eines Drechslers aus Ascheberg äußerte sich in „Gewis147 Eindrücklich und mit Verweis auf weitere Literatur: Dinges: Männlichkeitskonstruktion, S. 99–125, zentral: Herzlich; Pierret: Kranke. Dies gilt auch für die Gegenwart: Schroeder-Kurth: Kulturabhängigkeit, S. 306–322. 148 Der folgende Überblick hat daher qualitativen Charakter. Die angeführten Beispiele sind jedoch nicht nur Einzelfälle. Durch weitere Angaben dazu, wie oft eine sprachliche Wendung in der Datenbank erscheint, wird dies deutlich. Allerdings können in diesem Abschnitt nicht alle genannten Empfindungen dargestellt werden. Eine gewisse Übersicht, wie Patienten bei Hahnemann ihre Symptome beschrieben, gibt: Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 60–72. 149 Die Beispiele IGM P 151 S. 79 und P 38 Fol. 159, „fixe Ideen“ auch in P 79 Fol. 249 und P 114 Fol. 136. 150 IGM P 41 Fol. 104. Im Original wagte der Freiherr es nicht, das Wort auszuschreiben: „Geistesverwirrung nach Brustfieber, allop. behandelt mit Verzweiflung an der Seligkeit und Glauben, als sei sie vom T… besessen.“ Verzweiflung an der Seeligkeit auch in IGM P 43 Fol. 146, P 51 Fol. 120, P 79 Fol. 197, P 109 Fol. 210, P 114 Fol. 55. Geistesverwirrung notierte der Freiherr bei 37 Patienten. 151 IGM P 46 Fol. 47 und P 48 Fol. 14, Engel auch in P 49 Fol. 192 und P 103 Fol. 292. 152 IGM P 54 Fol. 139 und P 71 Fol. 178.
236
6 Beschwerden und Krankheiten
sensunruhe und Gedankenverstreutheit, mit Scheu vor Arbeit und Lebensüberdruß und Verzweiflung“. Auch wirtschaftliche Sorgen und Zukunftsangst sind kein alleiniges Phänomen der heutigen Zeit. Ein 46 Jahre alter Bauer litt an einer „Geistesstörung mit Sorge wegen der Zukunft und wegen Verarmung“.153 Zu dem Bereich der „Verstandesmängel“ zählte Bönninghausen nicht nur Wahnsinn, Sinnes- und Phantasietäuschungen, sondern auch „Delirien und Irreden“, Dummheit sowie „nervöse Angegriffenheit“.154 Entsprechend klagten viele Kranke über „Nervenschwächen“ oder „Nervenziehen“, wovon eine 22-Jährige aus Darup alle acht Tage einen Anfall „mit Zittern der Glieder“ bekam. Bei einer 18 Jahre alten Patientin, bei der das „Nervenziehen“ seit einem dreiviertel Jahr vor allem abends „mit stetem Aufziehen des linken Mundwinkels“ auftrat, zuckten dabei Hände und Füße.155 Einer der ersten Patienten, die Bönninghausen behandelte, war ein Maurermeister aus Bentheim. Der Mann hatte für den Freiherrn gearbeitet, ließ sich wegen der anhaltenden „Gichtschmerzen“ zwei Mal behandeln und ging dann nach Hause, ohne den Homöopathen weiter zu konsultieren. Die Schwindelgefühle, die er gelegentlich hatte, beschrieb er mit „zum Umfallen“. Außerdem hatte er „viel Sausen, Brausen und Knallen in den Ohren“. Schmerzen im Kiefergelenk charakterisierte er nicht näher, während er die in den Zähnen als „ziehend“ beschrieb. Das Empfinden im rechten Hüftgelenk war „stechend“ und ein „ziehender Schmerz“ breitete sich „im Oberschenkel und Knie bis an die Knöchel“ aus. Zudem hatte er oft „fauligen“ Geschmack im Mund. Eine 43-Jährige fühlte sich bei dem Schwindel, „wie trunken“, außerdem plagte sie „äußerlich kneipender Kopfschmerz in der linken Hälfte“.156 Kopfschmerzen wurden von Betroffenen als „klopfend“ beschrieben und lokalisiert, ob sie in der Stirn, mehr um die Augen, an den Schläfen oder im Hinterkopf auftraten.157 Eine 22-Jährige empfand einen „drückenden Schmerz in der Stirn“ und ein „Lockerheitsgefühl des Gehirns von Bewegung“. Eine 29 153 IGM P 107 Fol. 219 und P 110 Fol. 305, Zukunftsangst auch P 77 Fol. 14. 154 Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 24. Delirien bei 48 Patienten, Irreden bei zehn Kranken, Wahnsinn bei 17 Betroffenen. Aussagen wie „blöd“ oder „Blödigkeit“ in 20 Erstanamnesen, „sehr nervös“ oder „nervöse Angegriffenheit/Krankheit“ in 16 Fällen. 155 IGM P 102 Fol. 326 und P 74 Fol. 188. „Nervenziehen“ in 15 Fällen, „Nervenschwäche“ in 16 Anamnesen, „Nervenleiden“ in vier Berichten. Von „Nervenanfällen“ sprechen weitere vier Patienten, ein Betroffener spricht von „Nervenreizbarkeit“ IGM P 44 Fol. 153, „Nervenunruhe“ wird bei zwei Kindern im Zusammenhang mit Keuchhusten erwähnt. Der Terminus „Nerven“ erscheint 380 Mal in der Datenbank, 321 Fälle beziehen sich allerdings auf „Nervenfieber“. Das Adjektiv „nervös“ wurde 25 Mal verwendet. Die Nerven wurden im 17. und 18. Jahrhundert zu einem ärztlichen Erklärungsmodell, das im 19. Jahrhundert nicht nur von Angehörigen der Ober- und Mittelschicht, sondern wie die Journale belegen, auch von der Unterschicht verwendet wurde. Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 229–233. 156 IGM P 151 S. 55–56 und P 151 S. 101. 157 Unter den 2.366 Betroffenen gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie IGM P 151 S. 71, P 40 Fol. 181, P 81 Fol. 222, P 109 Fol. 102.
6.2 Krankheitsspektrum
237
Jahre alte Patientin meinte, ein Gefühl „wie auf und absteigen des Gehirns vorn am Scheitel“ zu verspüren.158 Bei dem Kutscher der Familie Droste-Hülshoff begann der ziehende, stechende Kopfschmerz „am Hinterkopf und verbreitete sich von da nach allen Seiten“.159 Eine 28-Jährige hatte das „Gefühl, als wenn der Kopf auseinander wäre“. Ähnlich meinte eine andere Leidende, dass dieser „zerspringen“ würde.160 Andere Betroffene beschrieben ein Brennen, Sausen, Brausen oder Reißen im Kopf oder den Schläfen und viele sprachen von einem verspürten „Blutdrang zum Kopf“.161 Auch Geräuschempfindungen konnten auftreten. So berichtete ein 15 Jahre altes Mädchen aus Lienen von den „Schreien“ eines Kiebitzes, während eine ältere Witwe „Tag und Nacht Geläute, wie von Glocken im Kopfe“ hörte. Ein 25-Jähriger aus Ostbevern fühlte seine seit 14 Tagen anhaltenden Leiden „wie Kriechen in der Stirn“, eine andere empfand „ein Band um den Kopf“. Ein Kolonialwarenkaufmann aus Münster charakterisierte seinen „Kopf= und Gesichtsschmerz“ an der linken Seite „mit dem Gefühl, als wenn alles zu weich wäre, und wie Stöße von Außen darauf“.162 Wieder Andere kamen sich vor, als würde eine Kugel in ihrem Kopf herumrollen. Keine Worte fand der 41 Jahre alte Bürgermeister von Ladbergen für seinen plötzlich auftretenden, „wie von Außen herein“ drängenden „nicht zu beschreibenden fixen Schmerz“ „oben im Kopfe“, den er nur durch „äußere Wärme“ vertreiben konnte. Eine Frau, die sich schriftlich an den Freiherrn wandte, schrieb von ihren „fürchterlichsten Kopfschmerzen“, an denen sie „alle 3 bis 4 Wochen“ litt. Diese waren so stark, dass sie „dann 2 bis 3 Tage das Bett nicht verlaßen“ konnte.163 Zu den äußeren Kopfbeschwerden zählten Veränderungen der Haut durch Ausschläge oder Flechten.164 Bisweilen verspürten die Betroffenen ein heftiges Jucken oder die betroffenen Stellen nässten und schorften. Ein derartiger „krustiger Ausschlag auf dem Kopfe“ plagte ein knapp zwei Jahre altes Kind. Die betroffene Stelle war etwa „von einer halben Handgröße, stets trocken, aber Abends heftig juckend und von Kratzen blutend“.165 Einige Kranke litten 158 IGM P 51 Fol. 109 und P 82 Fol. 44. Ein ähnliches Gefühl beschrieben auch P 55 Fol. 33 oder P 87 Fol. 168. 159 IGM P 151 S. 87, ähnlich P 115 Fol. 383. 160 IGM P 36 Fol. 21 und P 39 Fol. 71, auch P 71 Fol. 119, P 77 Fol. 120. Derartige differenzierte Bezeichnungen verschiedener Schmerzarten und Empfindungen sind auch bei Patienten Hahnemanns belegt, beispielsweise Dinges: Männlichkeitskonstruktion, S. 110–111. 161 So IGM P 36 Fol. 124, P 37 Fol. 152, P 72 Fol. 78, P 109 Fol. 165. „Blutdrang zum Kopfe“ wurde in wenigstens 142 Anamnesen erwähnt. 162 Die Beispiele IGM P 44 Fol. 86, P 47 Fol. 131, P 36 Fol. 116, P 30 Fol. 109 und P 103 Fol. 324. 163 IGM P 41 Fol. 95, P 71 Fol. 241 sowie P 53 Fol. 81 und P 222/2 zu P 110 Fol. 160. 164 Unter anderen IGM P 151 S. 5–7, P 155 S. 49 (Krüger), P 35 Fol. 113, P 72 Fol. 186, P 102 Fol. 221. Hierzu gehören auch die Kranken, deren Leiden mit „Kopfgrind“ und „Tinea“ angegeben wurde. Siehe Tabelle 25 im Anhang. Insgesamt klagten 310 Patienten bei Bönninghausen sowohl über „äußere Kopfbeschwerden“ als auch „Hautübel“. Auch Bönninghausen: Diät und Entwerfung 1833, S. 26. 165 IGM P 114 Fol. 359.
238
6 Beschwerden und Krankheiten
an Haarausfall oder hatten Schuppen.166 Ein 20-Jähriger, der im Jesuiten-Kloster zu Münster untergebracht war, beschrieb seine Empfindungen des Ausschlags am Hinterkopf mit Brennen und „bei Berührung, mit Pulsieren“.167 Ferner wurden vermehrte Schweißbildung oder ungewöhnliche Kälteempfindungen am Kopf genannt.168 Hautveränderungen betrafen selten nur den Kopf, sondern zeigten sich häufig zugleich im Gesicht. Die Frau eines Glasermeisters litt beispielsweise seit fünf Jahren „an starken Flechten im Gesicht, welche ganz mit rothen Flecken und starken Borken besetzt sind“.169 Leidende schilderten aber auch eine ungewöhnliche Blässe, die im Extremfall mit „wie eine Leiche“ bestimmt wurde, oder „Röthe“ des Angesichts.170 Vor allem bei heftigem Husten oder Keuchhusten führte die Atemnot zu blauen Gesichtsfarben. Andere Patienten sahen eher gelblich aus.171 Augenbeschwerden umfassten sämtliche Empfindungen, die mit den Sehorganen in Zusammenhang standen.172 So plagte den 41 Jahre alten Polizeidiener aus Ostbevern eine „Augenentzündung mit Lichtscheu, Thränen der Augen, und Drücken wie von einem Sandkorn“. Die Empfindung „als ob Sand“ im Auge wäre, war stereotyp für Leiden in diesem Bereich. Das zeigt sich im Fall eines 63 Jahre alten Betroffenen, der „abends beim Lichte und beim Feuer, auch in der Sonne“ ein derartiges Gefühl verspürte. Neben einer „Trockenheit der Lider“ war seine Sehkraft beeinträchtigt, indem er „wie ein Flor vor den Augen, besonders im Sonnenschein“ wahrnahm und sich ein „rother Schein um das Licht“ formte. Eine 48-Jährige hatte seit acht Jahren „trübe Augen“ mit Stichen darin. Sie hatte außerdem den Eindruck wie von einem „blauen und grauen Schein“ vor den Augen und sah das, was hätte weiß erscheinen sollen „schmutzig“.173 In ähnlicher Weise erschien das Licht mit grünen oder grauen Kränzen eingerahmt und manche hatten die Farben des Regenbogens oder „wie bunte Schneeflöckchen“ vor den Augen.174
166 167 168 169 170 171
172 173
174
IGM P 151 S 137–139, P 52 Fol. 234, P 55 Fol. 128, P 83 Fol. 39, P 115 Fol. 430. IGM P 115 Fol. 333. Beispielsweise berichteten 132 Kranke von „Kopfschweiß“. IGM P 151 S. 129. Krankheitserscheinungen an Gesicht („Angesicht“) und Haut beklagten 537 Menschen. Der Vergleich mit der Leiche in IGM P 48 Fol. 127, „Gesichtsblässe“ in mindestens 116 Fällen, „Gesichtsröthe“ in mindestens 198 Fällen. Dies führte zum Teil auch zu paradoxen Angaben wie „Gesichtsröthe, wie blau“ in IGM P 34 Fol. 188. Bläue des Gesichts in mindestens sieben Fällen, „Gilbe“, also eine gelbe Färbung, in 19 Anamnesen, zum Beispiel IGM P 48 Fol. 134, P 51 Fol. 154. Allein der Terminus „Augenentzündung” ist in den Anamnesen 378 Mal enthalten. IGM P 51 Fol. 192, P 52 Fol. 106 und P 51 Fol. 176. „wie Sand“ in Verbindung mit Augenbeschwerden findet sich in 45 Anamnesen, zum Beispiel P 38 Fol. 19. So genannten „Als-ob-Symptomen“ kommt in der Homöopathie eine große Bedeutung zu, da diese als spontane subjektive Empfindungen verstanden werden. Daher sind sie häufig Leitsymptome der Mittelwahl und erleichtern diese. Hierzu Hackl, Monnica: Als-ob-Symptome in der Homöopathie. Repertorium und Materia medica, Stuttgart 2. Auflage 1996. Zum Beispiel IGM P 46 Fol. 109, P 50 Fol. 173, P 72 Fol. 68, P 78 Fol. 30, P 84 Fol. 119, P 104 Fol. 30, P 114 Fol. 114.
6.2 Krankheitsspektrum
239
Einschränkungen im „Gesicht“, wie Bönninghausen sich ausdrückte, wurden auch durch Vergleiche wie Sehen durch einen Nebel, einen Schleier oder ein Sieb beschrieben.175 Ungewöhnlicher war demgegenüber die Ausführung einer Zwölfjährigen, die in ihren entzündeten Augen das Gefühl „wie von Rauch darin“ und Brennen hatte und meinte, „wie durch ein Schleim“ zu sehen. Der zehn Jahre alte Sohn eines Bäckers schielte und war „langsichtig“, was dazu führte, dass er nicht mehr lesen konnte, weil „die Buchstaben durcheinander laufen und beim Lesen kleiner werden“.176 Entscheidend war auch, dass Funken, Flimmern oder schwarze Punkte, ähnlich kleinen Mücken wahrgenommen wurden. Eine 29-Jährige aus Rheine beschrieb diese „wie schwarze Punkte wie ein [sic!] schwarze Kugel vor demselben, besonders beim Sehen auf Weißes“. Eine 46 Jahre alte Frau aus Rotterdam charakterisierte diese Erscheinungen als „Flimmern und wie Schlangen vor den Augen, welche wie auf und nieder Gehen, von weißer Farbe“. Bei einer 30-Jährigen hatte sich der zunehmende Verlust der Sehkraft seit drei Jahren bemerkbar gemacht, nun war sie „fast ganz erblindet“. „Ein dichter Flor vor den Augen“, „früh wie Spinnweben“ und die Empfindungen von „mouches volantes, oder vielmehr schwarzen Punkten, wie ein starker Nadelkopf“ waren die einzigen Wahrnehmungen, die sie noch beschreiben konnte.177 Ein ähnliches Schicksal teilten viele Kranke, die im Zuge ihrer Leiden bereits ihr gesamtes Sehvermögen eingebüßt hatten. Eine Betroffene aus Salzbergen konnte „bloß noch den Sonnenschein erkennen“. Das rechte Auge war „wie ausgelaufen und eingefallen“, im Linken bemerkte der Freiherr ein „weißliches schwammiges Gewächs unter der Cornea“.178 Erkrankungen der Ohren äußerten sich durch das Auslaufen von Eiter oder Flüssigkeit.179 Derartiges beschrieb eine 34-Jährige aus der Nähe von Lengerich, die außerdem auch „Hupfen und Springen“ sowie „Stiche“ im Ohr verspürte. Ein 51 Jahre alter Mann litt seit vier Jahren an „Sausen und wie Sieden in beiden Ohren“.180 Andere Kranke hatten ein Brausen oder ein Sin175 „Flor“ 23 Mal, „Nebel“ 54 Mal, „Schleier“ sieben Mal, „Sieb“ sechs Mal in Verbindung mit „Gesicht“ in den Anamnesen. Zum Beispiel IGM P 37 Fol. 132, P 54 Fol. 232. 176 IGM P 39 Fol. 72 und P 50 Fol. 172. Probleme mit dem Lesen beschrieb auch P 54 Fol. 36. 177 IGM P 85 Fol. 50, P 86 Fol. 53 und P 82 Fol. 85. „Funken vor den Augen“ bei 38 Kranken, „Flimmern“ in elf Anamnesen, „Mücken“ beziehungsweise „mouches“ in vier und sechs Fällen. Eine ähnliche Einschränkung beschrieb auch ein Angestellter des Oberlandesgerichts, der sich zugleich von mehreren „allopathischen“ Ärzten behandeln ließ. StAM Münster Personalakten Nr. 63–66 Oberlandesgericht zu Münster: Auscultator Borges sowie seine Krankengeschichte IGM P 46 Fol. 182. 178 IGM P 46 Fol. 87. Oft war der komplette Verlust der Sehkraft mit Starerkrankungen verbunden, hierzu Kapitel 6.3, Blindheit in zehn, erblindet in 35 Fällen. 179 „Auslaufen“ und Ohr 43 Mal, wie zum Beispiel in IGM P 155 S. 6 (Kofter) oder P 73 Fol. 217. 180 IGM P 34 Fol. 26 und P 76 Fol. 104, auch P 37 Fol. 137, P 52 Fol. 162 oder P 110 Fol. 211. „Sausen in“ in Verbindung mit Beschwerden der Ohren erscheint bei 28 Anamnesen.
240
6 Beschwerden und Krankheiten
gen darin. So war die Freifrau von Böselager seit ihrer Jugend schwerhörig „mit Singen in den Ohren, und viel verhärtetem Ohrenschmals“, das „wie Eiter zu Häufchen sich bildend“ war.181 Insgesamt litten 214 Kranke an Schwerhörigkeit und 52 Betroffene waren ertaubt. Dabei wurde zwischen starker Schwerhörigkeit und völliger Taubheit nur selten ein Unterschied gemacht und die Begriffe zum Teil sehr weit gefasst. Beispielsweise war ein 30-Jähriger aus Telgte „seit 3 Jahren Schwerhörig mit beiden Ohren“, wobei sich keinerlei Flüssigkeitsansammlung in denselben zeigte und „die Ohren stets trocken“ waren. Bönninghausen fuhr dann fort, „das linke Ohr ist ganz taub“. Dennoch hörte der Patient „die Stimmgabel auf beiden Ohren“.182 Was die Nase anging, wurden äußerliche Beschwerden, wie Ausschläge oder Wundheit berichtet. Auch klagten viele Betroffene über Schorfe oder Krusten in der Nase.183 Bei Schnupfen war die Nase verstopft und der Nasenschleim konnte das Aussehen von Milch annehmen oder fließend sein und dann einen „wundfreßenden“ Charakter haben.184 Die im Bereich der Zähne und des Zahnfleisches geschilderten Beschwerden weisen zum einen auf das Zahnen der Säuglinge hin.185 Sie zeigen zum anderen deutlich, dass es um die Mund- und Zahnhygiene nicht zum Besten bestellt war. Schon bei Kindern hatte Bönninghausen schlechte und hohle Zähne zu behandeln. Sie waren abgefault oder bröckelten wie bei einem vierjährigen Knaben aus Amelsbüren ab. Bei einer mittlerweile 25-Jährigen aus Münster faulten die Zähne seit zwölf Jahren und die Beschwerden hatten sich nun auf das Zahnfleisch „mit üblem Geruche“ ausgebreitet.186 Die Zahnschmerzen konnten in der Form von „Stechen und Drücken in den Backenzähnen, die hohl sind, oben und unten“ auftreten. So schilderte es ein 34 Jahre alter Patient und sie verschlimmerten sich– wie dies vielen Leidenden noch heute bekannt vorkommt – „Abends und Nachts bis Mitternacht“ sowie von Kaltem. In anderen Fällen zogen die von den Zähnen ausgehenden Schmerzen mit „Wühlen und Klopfen“ durch das Gesicht und verbreiteten sich Rich181 Brausen 80 Mal, Singen 14 Mal in Verbindung mit Ohren. Das Beispiel IGM P 81 Fol. 179. 182 IGM P 81 Fol. 14, ein solcher Stimmgabeltest wurde bei acht Patienten erwähnt. 183 Dergleichen wurde von 32 Patienten berichtet. 184 Beispielsweise IGM P 39 Fol. 109 oder P 84 Fol. 162. Ansonsten war meist von „Fließschnupfen“ (61 Mal) oder „Stockschnupfen“ (43 Mal) die Rede. 185 Bei mindestens 24 Kindern klingen derartige Beschwerden von „Zahnen“ in den Anamnesen an. 186 IGM P 54 Fol. 208 und P 48 Fol. 26, auch P 154 S. 112 (Galen), P 41 Fol. 133, P 45 Fol. 120, P 49 Fol. 26, P 54 Fol. 57, P 79 Fol. 207, P 80 Fol. 56, P 112 Fol. 17. Es klagten 785 Patienten über Beschwerden mit den Zähnen und dem Zahnfleisch, davon waren 132 Kranke mit „hohlen“ Zähnen, „abbröckelnde“ oder bereits „abgebröckelte“ Zähne wurden in elf Anamnesen erwähnt, „faul“ kam in 23 Fällen vor. Zu der Beschreibung des Zahnschmerzes auch Jütte: Zahnschmerz. Bönninghausen hatte 1835 einen Vortrag zur Heilung von Zahnschmerzen gehalten. Bönninghausen, Clemens von: Vortrag über homöopathische Heilung der Zahnschmerzen. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 73–92.
6.2 Krankheitsspektrum
241
tung Schläfen und Jochbein.187 Die Schmerzen wurden auch als „heftige Schüsse, wie Stiche, bald hier bald da“ bezeichnet. Von einem „zuckendem Reißen“ sprach eine andere Betroffene. Eine 16 Jahre alte Jugendliche fühlte in den hohlen Zähnen „wie etwas Lebendiges darin und Klopfen“. Die Gattin des Postsekretärs empfand ihre Zähne als „zu lang“ und wurde von „Reißen im Zahnfleisch“ geplagt.188 Andere Betroffene beschrieben Empfindungen im Mund, als ob dieser „mit Fett bestrichen“ wäre oder sie „Salbe im Mund“ hätten.189 Der Geschmack war dementsprechend fettig oder faulig und wie von Eiern oder Nusskernen.190 In diesem Zusammenhang standen ebenso die häufig geäußerten Gefühle, man habe einen Pfropfen oder Stopfen im Hals oder spüre eine Knolle oder Kugel, „die auf und nieder geht“ oder „auf- und niedersteigend“ war. So schilderte eine 27-Jährige aus Glandorf, sie sei seit mehreren Wochen heiser, „wie stimmlos, mit dem Gefühl von Knollen im Halse“. Einem 22 Jahre alten Mann aus Hamm kam es hingegen vor, als ob „ein lebendiges Thier vor dem Halse“ sitzen würde.191 Ein Musikdirektor aus Detmold machte in seiner Anamnese ausgesprochen typische Angaben zu dem Bereich „Appetit“. So habe er eine „große Neigung zu Saurem und Pikantem, besonders auf Heringe“, wohingegen ihm ein „Nachtheil von Kohl, Obst und Schwarzbrot, so wie Fettes und Schweinefleisch“ entstehen würde. Gewisse Neigungen zu und Abneigungen gegen bestimmten Lebensmitteln, waren wie Fragen nach gänzlicher Appetitlosigkeit oder Heißhunger die Informationen, die Bönninghausen erwartete, wenn es um „Appetit“ ging.192 Ähnliches galt für „Durst“. Beispielsweise litt eine Obsthändlerin „Tag und Nacht ohne Wahl des Getränkes“ unter Durst.193 Die Angaben waren häufig sehr pauschal, wie „kein Durst“ oder „viel und heftigen Durst“.194 Auch im Bereich des Essens war die Abneigung oft allgemein gegen 187 IGM P 52 Fol. 97 und P 115 Fol. 208, ähnlich P 71 Fol. 191 oder P 87 Fol. 2. 188 IGM P 39 Fol. 23, P 54 Fol. 21, P 41 Fol. 133 und P 34 Fol. 12, auch P 103 Fol. 160 oder P 36 Fol. 160. 189 IGM P 86 Fol. 242 und P 40 Fol. 174. 190 IGM P 37 Fol. 54 und P 34 Fol. 36, das Wort „faul“ erscheint in Verbindung mit Geschmack 169 Mal in den Erstanamnesen. 191 Die genannten Beispiele IGM P 35 Fol. 175 und P 77 Fol. 235. Derartige auf- und niedersteigende Empfindungen beispielsweise in: P 72 Fol. 82, P 85 Fol. 36, P 107 Fol. 57, P 108 Fol. 81, P 115 Fol. 110, ein Stöpsel in P 41 Fol. 107, ein „darinhängendes Stück Fleisch“ P 107 Fol. 213, ein „Pfropf“ in fünf Anamnesen, „Stopfen“ in acht Fällen, „Knollen“ vor oder am Halse in 30 Fällen. Diese Empfindungen verweisen auf eine Deutung der Beschwerden im Sinn sich bewegender Materie, was auch Stolberg: Homo patiens, S. 220– 229 schildert. 192 Das Beispiel IGM P 52 Fol. 127. Zu den Angaben Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 30. „Appetitlos“ in 116 Anamnesen, Heißhunger in 14 Fällen. 193 IGM P 151 S. 77–78. Durst war dabei vor allem eine Begleiterscheinung von Fiebererkrankungen, beides in Kombination wurde bei 1.826 Patienten erwähnt. „Durstlos“ waren acht Patienten. 194 IGM P 85 Fol. 254, es waren 925 Anamnesen, in denen die Patienten „kein Durst“ verspürten, „viel Durst“ hatten 636 Betroffene.
242
6 Beschwerden und Krankheiten
„Fettes“ oder „Saures“.195 Allerdings konnte sich die Abneigung oder der Abscheu konkret auf eine Reihe von Nahrungsmitteln, wie Sauerkraut, Vizebohnen, Brot, Speck, Fleisch, Pfannkuchen, verschiedenerlei Arten Obst und Gemüse oder Bier und Wein, beziehen. Ein Generalmajor von 36 Jahren berichtete „Gurken, Kohl, Melonen [sic!], Sauerkraut“ bekämen ihm nicht so gut.196 Die Folgen von nicht verträglicher Nahrung waren meist Übelkeit und Erbrechen.197 Wobei in letzterem Fall von den Patienten sowohl die Farbe als auch die Art des Auswurfs zum Teil genau beschrieben wurde. Bei einem Bäcker aus Münster folgte den Speisen „grüne Galle mit bitterem Geschmack“.198 Ein Patient aus Lüdinghausen fand dafür die Worte, dass „die Speisen sich in der Speiseröhre fest setzen“ und „nach dem Essen wieder ausgeworfen“ würden. Anderen Betroffenen erschien es, als hätten sie eine „Magenmundverengerung“, so dass die Nahrung nicht aufgenommen werden konnte.199 Die Speisen wurden nicht immer erbrochen. Doch klagten viele Kranke über Sodbrennen oder Aufstoßen, wie ein 20 Jahre alter Patient aus Enniger, der neben „Drücken im Magen“ nach dem Essen „bitteres Wasser und später von gelber bitterer Materie, wie Eigelb“ aufschwulkte.200 Wie er verspürten viele Betroffene in Magen und Unterleib Schmerzen und beschrieben sie zum Teil mit „Kriechen und wie etwas Lebendiges im Unterbauche“ oder als ob dieses Lebendige dort fressen würde, mit „Brennen und Ziehen, wie ein Seil den Bauch herab“, „drückendem Schmerz und Spannung darin und wie Reiben alten Leders gegeneinander“. Auch von Kneipen und Stechen, von Druck und Vollheit war die Rede oder von einem Band, das um den Leib gelegt war.201 So 195 „Gegen Fettes“ findet sich 104 Mal in der Datenbank, „gegen Saures“ sechs Mal. 196 IGM P 45 Fol. 108. Eine Abneigung gegen ein oder mehrere Nahrungsmittel hatten 241 Kranke, von Abscheu sprachen 226 Patienten und einen „Nachtheil“ von bestimmten Gerichten spürten 1.654 Betroffene. „Vizebohnen“ wurden von 121 Kranken genannt, Sauerkraut von 286, Speck von 238, Pfannkuchen von 225, Schwarzbrot von 70, Bier von 168 und Wein von 108 Patienten. An dieser Stelle können nicht alle Nahrungsmittel erwähnt werden. Allerdings werfen die Krankenjournale einen interessanten Blick auf die damaligen Ernährungsweisen. Die Nutzung der Bücher als Quelle für Forschungen in diesem Bereich wäre sicherlich lohnend. Zentral hierfür: Teuteberg, Hans-Jürgen; Wiegelmann, Günter: Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung, Göttingen 1972, dieselben: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung, Münster 2. Auflage 1986 (Studien zur Geschichte des Alltags 6). 197 Die Rubrik „Uebelkeit“ ist bei 1.784 Patienten, das Wort „Erbrechen“ in 1.388 Anamnesen vermerkt. 198 IGM P 103 Fol. 278, oder auch P 40 Fol. 126, P 104 Fol. 303. 199 Das vorangegangene Beispiel IGM 85 Fol. 159. Eine „Magenmundverengerung“ äußerten 23 Kranke, beispielsweise IGM P 155 S. 37 (Kloth), P 38 Fol. 77, P 78 Fol. 192, P 115 Fol. 252. 200 IGM P 37 Fol. 131. „Soodbrennen“ in 96 Anamnesen. 201 Die Zitate IGM P 51 Fol. 172, P 75 Fol. 211, P 52 Fol. 43 und P 84 Fol. 114. Von etwas „Lebendigem“ war in 21 Fällen die Rede. Dies bezog sich jedoch nicht nur auf Magen und Unterleib, sondern auch auf die Brust, alle Glieder oder die Zähne. „Kneipen“ erscheint in 58 Anamnesen, „Stiche im Magen/Unterleib“ in mindestens 64 Anamnesen, „Druck im Magen/Unterleib“ bei wenigstens 39 Patienten, „Vollheit“ in Magen oder
6.2 Krankheitsspektrum
243
hatte ein 54-Jähriger „Vollheit in den Hypochondern, oft wie Brod darin, und Drücken auf den Magen“. Ein anderer Leidender fühlte sich durch das „Knurren und Gnarren“ in seinem Unterleib an Frösche erinnert.202 Beliebt war auch die Beschreibung des Gefühls im Magen, wie von einem Stein oder Klumpen. Diese konnten, wie im Fall einer 36-Jährigen aus Hamm, zum Hals aufsteigen.203 Zu dem Bild der Steine passt es, dass einige Kranke ein „Kollern“ im Unterleib verspürten.204 Einigen erging es, wie einer 37 Jahre alten Patientin, die seit einem halben Jahr an Magenschmerzen mit morgendlicher Übelkeit litt. Sie hatte nachmittags und abends „Schmerzen, welche nicht beschrieben werden können“.205 In vielen Fällen erklärten die Betroffenen, ihre Leiden würden von inneren Organen, vornehmlich der Milz oder Leber, ihren Ausgang nehmen. So teilte eine 24 Jahre alte Patientin aus Dülmen mit, sie habe „von der Milz ausgehend Schmerzen im Magen bis zur Leber, mit Stichen“.206 Die Schmerzen verbreiteten sich häufig, ausgehend vom Magen und Unterleib, bis in die Brust oder den Rücken, wie dies ein Vikar aus Münster beschrieb. Er litt „täglich vormittags von 10 bis Mittag und Abends gegen 5 Uhr bis zum Essen, im heftigem Grade auch nachts“ an Magenschmerzen. Die Schmerzen selbst versuchte er, „wie Spannen und Auseinanderdehnen, in starkem Grade auch wie Stechen im Magen“ zu charakterisieren. Sie verbreiteten „sich links nach der Brust, auch wohl in des [sic!] Unterleib und im Kreuze“.207 Empfindungen in der Brust standen oft in Verbindung mit Erkrankungen der Atemwege. Beispielsweise klagte eine 56-Jährige aus Altenberge über „Husten mit starkem, salzigen Auswurf“, der „mit Brustschmerz“ verbunden war, diese charakterisierte sie „wie Stiche“ und sie wechselten mit „Schmerzen im Unterleibe“ ab, „als wäre im Leibe etwas zerrißen oder geschnitten“. Andere Kranke berichteten von „Druck in der Brust“, „Pfeifen“, „Stichen“ oder „Rasseln“. Ein 43-Jähriger erzählte von „Knurren in der Brust wie eine Katze, die spinnt“.208 Ein 42 Jahre alter Niederländer beschrieb sein mit Husten ver-
202 203 204 205 206
207 208
auch Herzgrube bei 62 Kranken, das Gefühl wie von einem „Band“ wurde in IGM P 43 Fol. 125, P 73 Fol. 72 oder P 111 Fol. 152 unter anderen erwähnt. Die Beispiele IGM P 42 Fol. 82 und P 73 Fol. 125. IGM P 78 Fol. 117. „Klump“ in Magen/Herzgrube 29 Mal, im Unterleib 19 Mal, „Stein im Magen“ 37 Mal. IGM P 42 Fol. 160. „Kollern“ im Magen oder Leibe wird in mindestens 19 Anamnesen erwähnt. IGM P 84 Fol. 238, nicht näher beschreiben konnte ein anderer seine „Qualen im Unterleibe“ P 78 Fol. 202. IGM P 73 Fol. 121, „Milz“ wurde in 285 Anamnesen erwähnt, „Leber“ in 364 Fällen. Insofern deutet sich in den Krankengeschichten die Anwendung einer Körpervorstellung an, die dazu tendierte Funktionen und Krankheiten des Körpers in Organen zu verankern und zu lokalisieren. Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 282. IGM P 36 Fol. 10. In mindestens 20 Fällen ist von „sich verbreitenden“ Schmerzen in Magen und Unterleib die Rede. Das Zitat IGM P 50 Fol. 163, das letzte Beispiel P 84 Fol. 183, sonst P 41 Fol. 72, P 48 Fol. 169, P 52 Fol. 133, P 76 Fol. 207, P 81 Fol. 103, P 103 Fol. 7, P 109 Fol. 15, P 111 Fol. 209, von „Stichen“ in der Brust berichteten 71 Patienten.
244
6 Beschwerden und Krankheiten
bundenes „Brustleiden“ derart, dass ihn dabei „oft Stiche in der Brust, bald rechts, bald links, zwischen den Schulterblättern und wie Abreißen im Kreutze“ plagen würden. Der Husten war zuweilen mit salzigem Auswurf verbunden, wenn Blut enthalten war, schmeckte er eher „süßlich“, außerdem war er von gelber und grüner Farbe. Ähnlich detailliert beschrieben viele andere Kranke ihr Hustenleiden, wie ein weiterer Niederländer, dessen Auswurf mit „bläulichen Schleimstücken ohne Geschmack“ war, wenn sich die Anfälle „früh nach dem Aufstehen“ und „Abends gegen 7, 8 Uhr“ einstellten, jedes Mal mit einer Dauer von „½ bis ¼ Stunde“.209 Ansonsten war der Auswurf aber auch „pappig“, „weißlich“, wie oben „süßlich“, „salzig“ oder schmeckte nach Eiern, Fleischbrühe, Zwiebeln oder Schwefel.210 Meist waren mit Husten oder Schnupfen Atemnot oder „Kurzathmigkeit“ verbunden. So berichtete ein 48-Jähriger von „mangelndem Athem, mit heftigem Husten“, was sich bis zu „Erstickungsanfällen“ steigerte. Ein Student beschrieb „Athembeschwerden, wie von einem Ventil im Halse“.211 Derartige Atemprobleme konnten wiederum mit „heftigem Herzklopfen“ verbunden sein.212 Beschwerden im Bereich von Schulter und Rücken beziehungsweise an Armen und Beinen wurden sehr häufig mit „Verrenkschmerzen“, „Lähmigkeitsgefühlen“, „wie steif“ oder „Müdigkeit“ angegeben.213 Es konnte in den entsprechenden Körperteilen aber auch „kribbeln“ oder einzelne Patienten fühlten „Laufen wie von einer Maus“.214 Schmerzempfindungen im Rücken wurden von den Betroffenen beschrieben, „als wenn dort im Fleische eine Nadel stäcke“ oder als ob die entsprechende Stelle mit einer Nadelbürste traktiert würde.215 Wenn die Kranken Geschwüre oder Entzündungen hatten, kribbelte es dort oder brannte heftig. Dies war bei einem Metzger aus Münster der Fall, der seit zwei Jahren wegen seiner „Kniegicht“ „ohne Krücken nicht mehr im Stande“ war zu gehen und ein „brennen im Knie und Knöchel der linken Seite“ verspürte. Gleichzeitig waren die betroffenen Teile „fast ganz steif“, was der Mann mit den Worten „wie von Muskelverkürzung“ erklärte. Ähnlich erging es einem anderen Patienten, der ohne Stock nicht mehr gehen 209 IGM P 114 Fol. 173 und P 86 Fol. 267. Von „Bluthusten“ berichteten 131 Patienten, „Blutspeien“ wurde von weiteren 186 Kranken erwähnt. 210 Die Beispiele IGM P 51 Fol. 88, P 107 Fol. 250, P 39 Fol. 28, P 85 Fol. 205. „Salziger“ Auswurf in 277 Fällen, „süßlicher/süßer“ Auswurf bei 169 Patienten, „weißlich“ in 14 Anamnesen und „pappig“ in neun Anamnesen in Verbindung mit Husten. 211 IGM P 85 Fol. 249, P 78 Fol. 142. „Kurzathmig“ in 427 Anamnesen, „Erstickungsanfälle“ bei 18 Patienten. 212 Beispielsweise IGM P 81 Fol. 108 oder P 42 Fol. 150, auch P 110 Fol. 160 sowie P 222/2. 213 „Verrenkschmerz“ wurde in 49 Anamnesen angegeben, „Lähmigkeit“ bei 67 Patienten, „wie steif“ bei sechs Patienten und „Steifheit“ bei 30 weiteren Kranken, „Müdigkeit in den Gliedern/Armen/Beinen“ bei mindestens 58 Betroffenen. 214 So IGM P 34 Fol. 28, P 42 Fol. 134, P 48 Fol. 126, P 55 Fol. 38, P 73 Fol. 37, P 104 Fol. 305. 215 IGM P 151 S. 1 und P 151 S. 177–178. „Nadel“ bei zwölf Patienten in Verbindung mit Empfindungen an verschiedenen Körperstellen, auch zum Beispiel im Magen oder Kopf.
6.2 Krankheitsspektrum
245
konnte und dem es vorkam, als ob „die Nerven (Muskeln) sich alle nach dem Unterleibe ziehen“.216 Bei einem 16-Jährigen aus Glandorf hatte sich das rechte Fußgelenk, „wo es nun wieder stark eitert, mit weißem Eiter“ und darin wie „Sägezähne“ entzündet und schmerzte heftig. Zeitlich begrenzt waren die Schmerzen bei einem 36 Jahre alten Patienten, der angab seine Kreuzschmerzen, die sich „wie Klopfen und Stöße von da bis zum Unterleibe“ verbreiteten, würden „jeden Nachmittag von 4 bis 8 Uhr“ dauern.217 Ein Weber hatte seit mehr als zwei Monaten „eine etwas entzündete Geschwulst“ am linken Unterschenkel, in der es sich wie „Reißen und Brennen, wie heißes Wasser in den Adern“ anfühlte. Plastisch formulierte eine 36-Jährige ihre Schmerzen im rechten Oberschenkel mit den Worten, „wie Abschrappen des Fleisches von den Knochen“. Andere beschrieben die Schwellungen wie einen „Schwamm“.218 Den körperlichen Ausscheidungen kam in der Selbstbeobachtung der Kranken seit jeher eine große Bedeutung zu, da man annahm, dass auf diese Weise auch krankmachende Stoffe aus dem Körper hinausgetragen würden.219 Entsprechend gingen viele Patienten Bönninghausens auf ihre „Stuhlbeschaffenheit“ ein und erklärten dem Homöopathen, ob die Ausscheidungen „weich“ oder „hart“ waren, zu oft erschienen oder eine „Verstopfung“ vorlag.220 Der knapp zwei Jahre alte Sohn eines Regierungsassessors hatte seit drei Monaten „beständigen Durchfall, 6–8 mal in 24 Stunden“. Dieser wurde als „grau“ und „wie geronnen“ dargestellt, während die Ausscheidungen in anderen Fällen, „wie geronnene Milch“, „von hellgelber Farbe und heftig stinkend“ oder „wässerig“, weißlich und bräunlich beschrieben wurden.221 Bei harten Ausscheidungen waren diese in „Kugeln“, „knotig“ oder mit Schleim überzogen.222 Gelegentlich waren Blut, Schleim und Stücke Bestandteil der Ausscheidungen. So meinte ein Bauer „Gedärmschabsel“ in seinem „wässe-
216 IGM P 40 Fol. 127 und P 84 Fol. 203. „Muskel“ wird in 35 Anamnesen erwähnt, meist wurden schmerzende Gefühle, wie „Reißen“, „Spannen“ oder „Strammen“, dort verortet. Wie in dem letzten Beispiel ähneln die beschriebenen Empfindungen sehr stark den Vorstellungen, die auch im Zusammenhang mit „Nerven“ geäußert wurden, allerdings wurden „Muskeln“ vor allem im Zusammenhang mit Ober- und Untergliedern erwähnt. 217 Die Beispiele IGM P 75 Fol. 89 und P 71 Fol. 215, ähnliche Beschreibungen P 34 Fol. 119, P 36 Fol. 24, P 42 Fol. 189, P 43 Fol. 167, P 51 Fol. 63, P 76 Fol. 148, P 87 Fol. 204, P 115 Fol. 281. 218 IGM P 104 Fol. 317, P 82 Fol. 153 und P 78 Fol. 56, P 35 Fol. 137. 219 Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 172–182. 220 „harter Stuhl“ in 245 Anamnesen, „weicher Stuhl“ 53 Mal, eine „Verstopfung“ beklagten im Zusammenhang mit der Stuhlbeschaffenheit 1.162 Kranke. 221 IGM P 87 Fol. 69, P 34 Fol. 58 und P 87 Fol. 82. „Durchfall” wurde in 848 Anamnesen erwähnt. Ähnliche Angaben auch in P 112 Fol. 288 oder P 115 Fol. 361, „wässerig“ bei elf Anamnesen, „weißlich“ in 14, „bräunlich“ in vier Fällen. 222 Beispielsweise IGM P 44 Fol. 123, P 74 Fol. 37, P 111 Fol. 253, P 82 Fol. 161, P 110 Fol. 9. Von „knotigem“ Stuhl war in 21 Anamnesen die Rede.
246
6 Beschwerden und Krankheiten
rigen“ Stuhl zu erkennen. Viele Patienten kämpften mit Wurmbefall.223 Verstopfungen konnten ausgesprochen hartnäckig sein, so dass die Ausleerung nur mit Medikamenten „erzwungen“ werden konnte, wie dies bei einem Buchhändler der Fall war. Ein Lehrer führte hingegen seine hartnäckige Verstopfung auf die „Untethigkeit der Gedärme“ zurück.224 Beschreibungen des Urins sowie Beschwerden beim Harnen waren ebenfalls Teil der Krankengeschichten. Ein 54 Jahre alter Bauer litt, als er 1862 zu Bönninghausen kam, an einem „nun seit 10 Wochen verschlimmerten Harnleiden“. Er verspürte „steten Harndrang mit wenig Abgang“, wenn er erfolgte, war er zögernd und von „heftigem Schrunden und Brennen in der Harnröhre“ begleitet. Den Harn beschrieb er als „wäßrig“ mit „mehlartigem Satz in Tropfen“, vor diesem ging „Schleim und wie Milch“ ab.225 Bei anderen Kranken war Blut im Urin, derselbe „dick und trübe“, rot, weißlich, braun oder dunkel gefärbt, ein Bauer beschrieb seinen „dicken und stinkenden“ Harn „wie ammoniakalisch“.226 Viele Betroffene litten an „unwillkührlichem Harnabgang” oder konnten, wie ein 80-Jähriger aus Lüdinghausen, den Urin gar nicht mehr halten, was der Betroffene mit den Worten, „wie von Lähmung der Harnblase“ beschrieb.227 Weit verbreitet war auch das Leiden des „Bettpissens“. Davon waren aber nicht nur Kinder betroffen, wie das Beispiel eines 20 Jahre alten Bauern zeigt, der zwei bis drei Mal die Woche, ohne zu erwachen, einnässte.228 Von Hautveränderungen und Ausschlägen war bereits bei einzelnen Körperteilen die Rede. Bei manchen Kranken betrafen derartige Leiden jedoch die gesamte Hautoberfläche. Die Hautfarbe eines zehnjährigen Kindes aus Telgte wurde mit „bläulich-mistfarbig“ beschrieben. Eine 24-Jährige erklärte, „rauhe Haut, wie Gänsehaut“ zu haben und der Körper eines ebenfalls zehn Jahre alten Mädchens war ganz mit „rother, krustiger Haut, wie schmutzig“ 223 IGM P 115 Fol. 197 oder P 87 Fol. 68, P 110 Fol. 289. Die Würmer gingen mit dem Stuhl ab, wie in P 39 Fol. 122, P 53 Fol. 7, P 79 Fol. 223 oder P 109 Fol. 85. Insgesamt erscheint „Bandwurm“ in 87 Anamnesen. 224 IGM P 77 Fol. 175 und P 51 Fol. 25. Von einer „erzwungenen“ Entleerung berichteten auch P 77 Fol. 123, P 78 Fol. 120, P 83 Fol. 143 und P 84 Fol. 251. Dies weist auf die Vorstellung hin, dass unterdrückte Ausscheidungen eine Gefahr für die Gesundheit darstellten. Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 281. 225 IGM P 113 Fol. 150, der Mann beschrieb mit „wie Milch“ wohl eine Absonderung aus der Harnröhre, welche nicht der Urin selbst war. Ähnliche brennende und schmerzende Empfindungen unter anderen bei IGM P 35 Fol. 181, P 45 Fol. 124, P 53 Fol. 22, P 71 Fol. 243, P 74 Fol. 42, P 81 Fol. 277, P 113 Fol. 34. 226 Solche Beschreibungen in IGM P 36 Fol. 70 (Lehmwasser), P 42 Fol. 25 (Milch), P 48 Fol. 157, P 50 Fol. 134, P 75 Fol. 133, P 84 Fol. 270, P 107 Fol. 182 (Beispiel), P 113 Fol. 256, P 114 Fol. 132 und P 115 Fol. 1. 227 Von einem „unwillkührlichen“ Abgang berichteten 50 Kranke. Das Beispiel IGM P 37 Fol. 7, P 52 Fol. 167. 228 IGM P 114 Fol. 259. Es gab 194 „Bettpisser“, wovon 156 Kinder waren. Hierzu Jansen, Andreas: Das „Bettpissen“ und der „unwillkürliche (unwiderstehliche) Harnabgang“ in der homöopathischen Literatur zu Bönninghausens Zeiten Teil 1 und Teil 2. In: ZKH 41 (1997), S. 13–20 und S. 103–118.
6.2 Krankheitsspektrum
247
bedeckt.229 Oft genug juckten solche Ausschläge „ungeheuer“, und ein 38-Jähriger aus Münster beschrieb die Intensität mit den Worten, dass er dabei „wie rasend“ würde.230 Bereits der Name der Rubrik „Fieberzustände“ deutet an, dass unter Fieber in der Vergangenheit nicht nur ein Anstieg der Körpertemperatur verstanden wurde. Vielmehr wurde „Fieber“ weiter gefasst und mit Gefühlen von Frost und Hitze in Verbindung gebracht.231 Insofern war die „Frostigkeit“, die eine Siebenjährige empfand und „wie mit kaltem Wasser begossen“ beschrieb, ebenso ein „Fieberzustand“, wie die „äußerliche brennende Hitze“ eines 60-Jährigen. Auch das „halbseitige kalte Ziehen und Laufen in den Gelenken und Muskeln“, welches „stets mit Frost“ auftrat und von „Hitze und Durst“ des Nachmittags und „Frost vormittags“ begleitet wurde, zählte dazu. Gleiches galt für die „täglich öfteren plötzliche Anfälle von Hitze mit Angst und Schweiß“, die bei einer 48 Jahre alten Patientin „etwa 5 Minuten lang“ dauerten und dann von Frost abgelöst wurden.232 Bei den zahlreich auftretenden Wechselfiebern wurden zum Teil minutiös die Abfolgen von Hitze und Frost sowie die genauen Längen der Anfälle geschildert.233 Was zeigen die in diesem Teilkapitel vorgestellten „individuellen“ Leiden? Sie beschreiben zum einen den Inhalt der zuvor besprochenen quantitativen Beschwerdegruppen, ohne diesen vollständig zu erschöpfen. Sie geben auf diese Weise der Masse teilweise ein Gesicht. Zum anderen wird deutlich, dass auch in den homöopathischen Erstanamnesen nicht jeder Patient seine Beschwerden detaillierter darstellen mochte oder konnte. Allzu häufig war nur von Kopf- oder Zahn„weh“ die Rede und die Empfindung oder Veränderung eines Körperteils in Form einer „Entzündung“ oder eines „Ausschlags“ wurde nicht näher bestimmt. Aus den Schilderungen, die einen näheren Einblick in die „Gefühlswelt“ erlauben, zeigte sich, dass die Betroffenen so gut wie möglich versuchten, ihre Leiden zu beschreiben. Man wird darüber unterrichtet, wann im individuellen Fall die Fieberschübe auftraten, welche Nahrungsmittel Übelkeit verursachten und wie die Körperausscheidungen beschaffen waren. Diese Details sind gerade jene Besonderheit, die eine homöopathische Anamnese auszeichnen und durch die die „Krankheitsempfindungen“ informationsreicher werden.234 Doch auch hier finden sich „standardisierte“ Angaben in dem Sinn, dass alle Individuen an die ihnen gegebene Sprache gebunden waren. Viele Leidende konnten ihre Gefühle mit dem Bild von „Sand in den Augen“ identifizieren. Spricht dies für ein ähnliches „individuelles“ Empfinden oder für eine normierte Sprache, die für etwas Derartiges nur di-
229 Die Beispiele IGM P 53 Fol. 84, P 41 Fol. 93 und P 43 Fol. 68. 230 IGM P 41 Fol. 46, auch P 86 Fol. 249, P 103 Fol. 155 oder P 116 Fol. 6. 231 Stolberg: Homo patiens, S. 194–199, Jütte: Hahnemann, S. 51, Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 138. 232 IGM P 34 Fol. 101, P 49 Fol. 107, P 35 Fol. 153 und P 83 Fol. 174. 233 Zu Wechselfieber Kapitel 6.3. 234 Hierauf verweisen: Meyer: Patientenbriefe und Stolberg: Krankheitserfahrung.
248
6 Beschwerden und Krankheiten
ese Metapher zulässt?235 Zumindest ist auffällig, dass eine solche Beschreibung nur für den Bereich der Augen verwendet wurde, gleichzeitig kann man die derartige Darstellung zweifelsohne nachvollziehen. Die Bilder von „Steinen“ oder „Klumpen“ blieben dem Empfindungsausdruck in Magen und Unterleib vorbehalten. Auch Beschreibungen der Schmerzen wie „drückend“, „brennend“, „stechend“ oder „klopfend“ sind bis heute eingängige Charakterisierungen der empfundenen Leiden.236 Wie hier und in anderen Untersuchungen festgestellt wurde, erschienen die Beschwerden als etwas „Hinzugekommenes“ als ein eigenes „Es“, das sich nun zum Teil im Körper der Betroffenen bewegte.237 Deutlich trat dies bei den Patienten zu Tage, die von etwas „Lebendigem“ in ihrem Inneren berichteten. In den Krankengeschichten wurden die sichtbaren Veränderungen in Anschwellungen oder farblichen Schattierungen anschaulich geschildert. Empfundene Unannehmlichkeiten wurden häufig lautmalerisch umschrieben mit „Knallen“, „Pfeifen“ oder „Sausen“. Die Betroffenen versuchten ferner, mit Hilfe von Vergleichen aus ihrer Alltagswelt die Leiden verständlich zu machen.238 Die Intensität wurde an vielen Stellen mit Adjektiven, wie „heftig“, „arg“ oder „sehr stark“, belegt.239 Diese grundlegenden sprachlichen Möglichkeiten, eines Leidenden, seine Beschwerden zu charakterisieren, sind damit über weite Teile in der Geschichte konstant.240 Aber dennoch ändern sich sprachliche Bilder über die Zeit hinweg. Grundempfindungen und als besonders geeignet empfundene Beschreibungen mögen von den Kranken jeder Zeit und Gesellschaft gewählt werden. Allerdings verändern sich das Alltagswissen und damit die Bilder, aus dem die Vergleichsmöglichkeiten gewählt werden können. Bestimmte Vorstellungen werden und wurden mit zunehmender Kenntnis des Körpers und insbesondere der immer weiter getriebenen Messbarkeit von Körpervorgängen verändert.241 Bei keinem Patienten Bönninghausens war von „Kreislauf-Problemen“ die Rede oder „stieg“ ein Fieber, wie wir es heute bezeichnen würden. Vielmehr bewegten 235 Zu diesem Problem: Stolberg: Homo patiens, S. 30. 236 Goltz: Krankheit und Sprache, S. 248–251 spricht von „Metaphern“, die mittlerweile in der Sprache der Kranken so alt sind, dass diese ihre Bildhaftigkeit verloren haben, auch Dornheim: Körper, S. 96. 237 Goltz: Krankheit und Sprache, S. 235–239, Stolberg: Homo patiens, S. 39. 238 Dies gilt bis heute: Dornheim: Körper, S. 91–93. 239 Das Wort „heftige“ im Zusammenhang mit diversen Beschwerden erscheint 266 Mal in den Anamnesen, „arge“ in elf Fällen und „sehr starke“ bei 20 Patienten. Hierzu die Briefe, in denen beispielsweise ein Patient seine Schmerzen in den Beinen von so heftigem Charakter beschrieb, dass er „zuletzt vor Schmerzen beinahe gestorben wäre“. IGM P 104 zu Fol. 328 an 327b angeklebt. 240 Die aufgezählten Merkmale finden sich alle in dem Artikel von Goltz: Krankheit und Sprache, S. 235–256, zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Gehrke: Patientenbriefe, S. 95–100. 241 Eindrücklich hierzu Stolberg: Homo patiens, Lachmund; Stollberg: Patientenwelten oder Lachmund, Jens: Der abgehorchte Körper. Zur historischen Soziologie der medizinischen Untersuchung, Opladen 1997.
6.3 Krankheitsnamen
249
sich Knollen und Pfropfen vornehmlich im Hals auf und ab, waren Nerven „empfindlich“, „drängte“ Blut zu Kopf und bestimmte Schmerzen zogen umher. Die Beschwerden scheinen gleichsam „fließender“ und „beweglicher“ zu sein. Daher fällt bei in Sprache gekleidetem Leiden einerseits eine gewisse Grundkonstanz auf. Die sprachlichen grundlegenden Möglichkeiten und einige gewählte Ausdrücke bleiben ähnlich. Andererseits ändern sich viele der Bilder, mit denen diese Grundkonstanten beschrieben werden. Ganz davon abgesehen, dass der Umgang mit den Leiden und infolgedessen die Erfahrung derselben kulturell geprägt bleiben. Insofern bleibt bezüglich der „individuellen“ Krankheitserfahrungen der Patienten Bönninghausens festzustellen, dass diese sowohl ein Produkt von Konstrukten als auch von zugrunde liegenden Konstanten sind.242 6.3 Krankheitsnamen Samuel Hahnemann war gegen die Verwendung von Krankheitsnamen und besonders das Kurieren nach derartigen Bezeichnungen.243 Er vertrat die Ansicht, dass jede Krankheit beziehungsweise die Symptome jedes Betroffenen immer individuell und einzigartig seien. Namen würden eine Gemeinsamkeit von immer nur „höchst verschiedenen“ Krankheitszuständen suggerieren. Seine Abneigung gegen die summarischen Bezeichnungen ist somit vor allem gegen das Ignorieren einzelner Symptome gerichtet, die im Zusammenhang mit der homöopathischen Mittelwahl entscheidend sind. Dennoch erkannte Hahnemann eine Reihe von Beschwerden an, die nach seiner Auffassung entweder immer „auf gleiche Art wiederkehrende eigenartige, acute Miasmen, die den Menschen nur einmal im Leben befallen“ zurückgehen oder Krankheiten, „die oft auf ziemlich ähnliche Weise“ wiederkehren würden. Diese waren, wie Menschenpocken, Masern, Keuchhusten, Scharlachfieber oder Cholera und Pest, „unter einem hergebrachten Namen“ bekannt.244 Hierzu zählten auch jene „chronischen Miasmen“, die Hahnemann als die „größten Peiniger des Menschengeschlechts“ sah. Dies sind Syphilis, Sykosis und Psora, welche er als „jene wahre Grund-Ursache und Erzeugerin fast aller übrigen häufigen, ja unzähligen Krankheits-Formen“ ver-
242 In diesem Sinn formuliert auch Ritzmann ihr Rahmenkonzept zu „subjektiven Krankheitserfahrungen“. Ritzmann: Leidenserfahrung, S. 61. Zu dem Wandel der Bilder: Dornheim: Körper, S. 92, zusammenfassend: Lindemann: Krankheit und Gesundheit. 243 Hahnemann: Organon 6 § 81, S. 167 sowie derselbe, S. 91–102. Dieselbe Meinung vertrat auch Bönninghausen: Wahl, S. 593. Hierzu ausführlicher: Henne, Heinz: Probleme um die ärztliche Diagnose als Grundlage für die Therapie zu Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Habrich, Christa; Marguth, Frank; Wolf, Jörn (Hrsg.): Medizinische Diagnostik in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Heinz Goerke zum sechzigsten Geburtstag, München 1978, S. 283–296. 244 Hahnemann: Organon 6 § 73, S. 158–159.
250
6 Beschwerden und Krankheiten
stand.245 Für diese „miasmatischen“ Krankheiten akzeptierte der Homöopathiebegründer die Vergabe und Verwendung eines Namens.246 Dennoch maß Hahnemann den übrigen Krankheitsnamen eine gewisse praktische Bedeutung zu, wenn es darum ging, „sich dem Volke in Kürze verständlich zu machen“. Er mahnte, dass man sie nur als „Collectivnamen“ verwenden und beispielsweise von „einer Art von“ Wassersucht sprechen sollte. Auf diese Weise würde deutlich, dass dies keine gleich bleibenden Krankheiten seien.247 Dementsprechend verwendeten Samuel Hahnemann und sein Schüler Clemens von Bönninghausen die eigentlich zu vermeidenden Krankheitsnamen. Beide interpretierten sie aber nicht als abschließende Diagnosen, sondern fügten weitere Informationen zu den Symptomen und Beschwerden, die die Patienten plagten, hinzu.248 So hilft das Gebot eines möglichst individuellen Erfassens des Leidens, das Problem der „retrospektiven Diagnose“ zu mildern.249 Denn die Bezeichnung eines bestimmten Beschwerdekomplexes mit einem Namen als Teil der medizinischen Fachsprache ist, wie die Sprache, ein Produkt ihrer Zeit. Ein „Krankheitsname“ ist somit nie eine „historisch konstante Tatsache“, sondern immer auch ein „Konstrukt“, das den jeweiligen Wissensstand und das Verständnis der entsprechenden Zeit sowie die Sicht des Arztes auf den Patienten und den sozialen Kontext widerspiegelt.250 Die medizinische Nomenklatur des 19. 245 Hahnemann: Organon 6 § 78 – § 80, S. 163–166. Sykosis ist die Feigwarzenkrankheit, Psora der lateinische Name für Krätze. Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 8. Hierzu erläuternd: Fischer, Ulrich: Die Chronischen Miasmen Hahnemanns. Grundgedanken zum Verständnis und zur Therapie chronischer Krankheiten aus homöopathischer Sicht, Karlsruhe 1993 geänderter Nachdruck von 2002. 246 Hahnemann: Heilkunde, S. 18. 247 Hahnemann: Organon 6 § 81, S. 169. Bönninghausen notierte tatsächlich zum Teil zu den „Krankheitsnamen“, der Patient habe „eine Art von Wechselfieber“, IGM P 155 S. 22 (Maneke) oder P 114 Fol. 448. 248 Für Bönninghausen wird dies im Laufe des Kapitels deutlich, für Hahnemann: Varady: D5 Kommentar, S. 342–343, Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 62–64. Sie interpretiert die Verwendung von Krankheitsnamen durch Hahnemann als Widerspruch zu seinen theoretischen Forderungen im Organon. Hingegen verweist Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 21 und S. 59 auf den Gebrauch von Krankheitsnamen durch ihn, wobei sie deutlich macht, dass dieser die Bezeichnungen nicht für seine Mittelwahl verwendete. Gleiches galt für Gauwerky und van den Berghe. Gauwerky: Mittheilungen, S. 241–248 und Baal: In Search, S. 286–289. 249 Hierzu Leven, Karl-Heinz: Krankheiten. Historische Deutung versus retrospektive Diagnose. In: Paul, Norbert; Schlich, Thomas (Hrsg.): Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt am Main/New York 1998, S. 153–185 und Eckart; Jütte: Einführung, S. 325–333, Ritzmann: Sorgenkinder, S. 121–124. 250 Bleker, Johanna; Brinkschulte, Eva: Windpocken, Varioloiden oder echte Menschenpocken? Zu den Fallstricken der retrospektiven Diagnostik. Eine Untersuchung anhand der Patientendateien des Würzburger Juliusspitals 1819–1829. In: Internationale Zeitschrift für Geschichte und Ethik der Naturwissenschaft, Technik und Medizin 3 (1995), S. 97, Imhof, Arthur: Methodological Problems in Modern Urban History Writing. Graphics Representations of Urban Mortality 1750–1850. In: Porter; Wear: Problems and Methods, S.117–119.
6.3 Krankheitsnamen
251
Jahrhunderts fußte darauf, dass man Krankheiten nach ihren äußeren, erkennbaren Symptomen und ihren verschiedenartigen Erscheinungsformen beschrieb, während man heute nach den „zugrunde liegenden pathologisch-anatomischen Veränderungen“ fragt.251 Entsprechend wurden Fiebererkrankungen als eigene Krankheitsgruppe verstanden oder man verwendete Bezeichnungen wie Wassersucht, die in der heutigen Terminologie auf Unverständnis stoßen.252 Eine „Übersetzung“ damals verwendeter Bezeichnungen in heute gebräuchliche „Krankheitsnamen“ verbietet sich daher und wäre in vielen Fällen Spekulation.253 Vielmehr bieten die von Clemens von Bönninghausen erstellten ausführlicheren Anamnesen die Möglichkeit, besser nachzuvollziehen, was in der damaligen Zeit unter einem bestimmten „Krankheitsnamen“ verstanden wurde und sich damit eine genauere Vorstellung davon zu machen, was ein bestimmtes Krankheitsbild im 19. Jahrhundert für die Ärzte und die Betroffenen bedeutete. Der Freiherr verwendete bei 3.052 Patienten mehr als 120 Krankheitsnamen. Einige davon erschienen nur ein einziges Mal.254 In anderen Fällen nannte Bönninghausen sowohl den deutschen als auch den lateinischen Krankheitsnamen. So erschienen Wasserkopf und Hydrocephalus in den Anamnesen oder es wurden verschiedene gebräuchliche Synonyme angegeben. Bisweilen wurden die Hauptnamen mit verschiedenen Adjektiven verbunden, weswegen sowohl von „Phthisis consumata“ als auch von „Phthisis trachealis“ die Rede war.255 251 Für die Diagnose im 20. Jahrhundert: Rath, Gernot: Moderne Diagnosen historischer Seuchen. In: Deutsche medizinische Wochenschrift 81 (1956), S. 2065, Hadorn, Walter (Hrsg.): Vom Symptom zur Diagnose. Lehrbuch der medizinischen Symptomatologie, Basel/New York 4. Auflage 1965, Hallauer, Johannes; Beske, Fritz (Hrsg.): Diagnose- und Therapiestandards in der Medizin. IGSF-Symposium Bonn 22. September 1997, Würzburg 1998. Zu den Problemen eines Arztes, von der Patientenschilderung zu der Diagnose zu gelangen: Ferber, Liselotte von: Die Diagnose des praktischen Arztes im Spiegel der Patientenangaben, Stuttgart 1971. 252 Zu Fieber: Stolberg: Homo Patiens, S. 194–199. Zu Wassersucht ebenda, S. 205–206, auch Baschin: Untersuchung, S. 59–61. 253 Imhof, Arthur: Mortalität in Berlin vom 18. bis 20. Jahrhundert. In: Münch, Ranghild (Hrsg.): Pocken. Zwischen Alltag, Medizin und Politik. Begleitbuch zur Ausstellung, Berlin 1994, S. 87 und Leven: Krankheiten, S. 160. Auch Versuche einer so genannten „retrospektiven Deutung“ führen zu eher zweifelhaften Ergebnissen. Hierzu Gehrke: Patientenbriefe, S. 100–105. 254 Dabei sind eventuell nicht alle möglichen „Krankheitsnamen“ berücksichtigt. Hahnemann selbst nannte in seinen Schriften nur einige Beispiele, was er unter einem solchen verstand, definierte jedoch nicht eindeutig, welche Bezeichnungen darunter zu fassen sind. Die vorliegende Liste orientiert sich an den Nennungen Hahnemanns und den bereits erfolgten Auswertungen seiner Journale durch Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 63 und Varady: D5 Kommentar, S. 342–343. Es wurden außerdem nur die Krankheitsnamen berücksichtigt, an deren Beschwerden der Patient aktuell litt und die er behandeln lassen wollte. Die Häufigkeit der Nennungen schließt also die Erwähnung der Krankheit als Vorerkrankung nicht ein. Bönninghausen verwendete somit bei 21,4 % aller Erstanamnesen einen oder mehrere Krankheitsnamen. 255 Die vollständige Liste mit Erläuterungen in Tabelle 25 im Anhang.
252
6 Beschwerden und Krankheiten
Bei manchen Patienten vermerkte Bönninghausen, dass es sich bei der Angabe des Krankheitsnamens um eine ärztliche Diagnose handelte. Bei einer 30 Jahre alten Patientin hatte der Arzt die Beschwerden beispielsweise als „Hypotroph. cord periode hydrops perdcardii“ bezeichnet.256 Die Kranke beschrieb ihre Symptome mit Beklemmungsgefühlen abends und in der warmen Stube, mit Erbrechen, Verstopfung und „vielem leerem Aufstoßen“. „Nach dem Niederlegen“ litt sie an „Athemmangel“, sie bekam „heftiges Herzklopfen von jeder Bewegung“ und musste „abends im Bette Keuchen“. Bei einer 49-Jährigen aus Greven hatte der Arzt das „Magenleiden von Fettem“, woran sie seit Jugend litt, kurzerhand zu „Magenkrebs“ erklärt. Bei einem 60 Jahre alten Gutsbesitzer war das Magenleiden ebenfalls als solcher diagnostiziert worden, aber „nach allem Mediziniren vergangen“. Nun kam er zu Bönninghausen, weil ihn „seit 2 Jahren ein schwammartiger Auswuchs an der Unterlippe nach Innen, auch Krebs genannt“ plagte. Das Gewächs, welches „etwas brennt“, hatte nun die „Größe einer Wallnuß“. Im Fall eines Fabrikanten aus Rotterdam erhielt der Freiherr die Krankheitsbeschreibung nur von dem behandelnden Arzt, der seinen Patienten „ganz verloren gegeben“ hatte. Nach Aussage des Therapeuten litt der Betroffene an „Phthisis tuberculosa“ und zwar „in ultimo stadio“. Bereits seit neun Jahren plagten den Kranken „Bluthusten mit Athemmangel“, er litt an Fieber, welches nachts mit Delirien verbunden war und musste beständig Husten, wobei er sehr viel auswarf.257 Bei zwei anderen Betroffenen hatten die jeweils konsultierten Mediziner „Schleimfieber“ diagnostiziert. Mit Hilfe von deren Erstanamnesen kann man nachvollziehen, weshalb Hahnemann das Verwenden von Krankheitsnamen, insbesondere das Kurieren nach denselben, heftig kritisiert hatte. Außerdem machen die Angaben deutlich, warum eine „Übersetzung“ der Begriffe in derartigen Fällen kaum möglich ist. Die Frau aus Dülmen, die 1852 zu Bönninghausen kam, hatte „seit 4 Wochen und darüber Schmerzen im Unterleibe“, welche von „einer Stelle zur anderen ziehend waren“. Sie litt an stetem Aufstoßen, hatte Durst, „viel Frost“ und „harten Stuhl“, der aus Schleim bestand oder mit viel Schleim abging. Jedenfalls erklärte ihr der behandelnde Arzt daraufhin, sie habe „Schleimfieber“. Hingegen beschrieb ein 28 Jahre alter Mann dem Freiherrn, er habe „eine belegte Zunge, wenig Appetit“, steten Durst und heftigen Durchfall „mit Druck im Unterleibe“. Seit vier Tagen litt er außerdem an „Frost und Zauder im Wechsel“. Auch diese Symptome waren vom Arzt als „Schleimfieber diagnostizirt“ worden. Diese Angaben sind vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass das preußische Verzeichnis der 256 IGM P 49 Fol. 167. „Hydrops perdcardii“ ist Herzbeutelwassersucht, Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Hrsg.): Alphabetisches Register der Krankheiten und Todesursachen mit den Nummern des durch Ministerialerlass vom 22. April 1904 eingeführten Verzeichnisses, Berlin 1905, S. 45, „hypotroph cord“ beschreibt ein unterentwickeltes Herz. 257 Die Beispiele mit Krebs IGM P 73 Fol. 116 und P 112 Fol. 285, ähnlich P 108 Fol. 73. Der Patient aus Rotterdam: P 82 Fol. 277. Insgesamt wurde der Name „Krebs“ bei 38 Kranken verwendet.
6.3 Krankheitsnamen
253
Krankheiten und Todesursachen diesen „Namen“ den Lungenerkrankungen zuordnet, während das Deutsche Krankheitsnamenbuch hierunter „ein mit vermehrter Schleimbildung einhergehendes Magenfieber“ versteht und eher die Verbindung mit einer typhösen Erkrankung nahe legt.258 Bei der 24 Jahre alten Gattin eines Kaufmanns, die sich seit drei Jahren unwohl fühlte und deren Beschwerden „vom Arzte für Bleichsucht erklärt“ worden waren, notierte Bönninghausen gleichwohl eine ausführliche Anamnese und akzeptierte die Diagnose, ebenso wie in allen anderen Fällen, nicht als endgültige Gegebenheit oder als Indikation für das angemessene und daher zu verwendende homöopathische Mittel. Die Patientin klagte bei dem Freiherrn in erster Linie über Schmerzen in Kopf, Rücken und Oberschenkeln, sie litt unter Kälte der Füße und Hände sowie viel Frost und Durst. Außerdem hatte sie eine Neigung zu Verstopfung, in der früh jedoch eher Durchfall. Ähnliches tat er im Fall einer weiteren Patientin von 26 Jahren. Neben Appetitmangel, klagte sie über „Herzklopfen beim Treppensteigen, Schlaflosigkeit, Eingenommenheit des Kopfs, Verdauungsschwäche, Blutleere und häufiges Aufstoßen“. Zudem war sie immer wieder von Ohnmachtsanfällen betroffen.259 Im Folgenden sollen einige der „Krankheitsnamen“, die in den Erstanamnesen häufiger genannt wurden, ohne dass Bönninghausen deutlich machte, dass die Diagnose von einem Arzt stammte, näher betrachtet werden. Wie einleitend deutlich wurde, akzeptierte Samuel Hahnemann für eine Reihe von Krankheiten einen gemeinsamen Namen. Dazu zählte er „Keuchhusten“. Dieser „Name“ ist derjenige, der am häufigsten in den Erstanamnesen Bönninghausens erschien. Von den 413 Nennungen entfallen 393 auf die kleinsten Patienten des Freiherrn. Heute gilt die durch Tröpfcheninfektion übertragene Krankheit als wenig gefährlich. Im 19. Jahrhundert führten die charakteristischen Hustenanfälle immer wieder zum Tode vieler betroffener Kleinkinder und Säuglinge, wenn auch die Sterblichkeit daran, im Vergleich mit den anderen Infektionskrankheiten des Kindesalters, geringer war.260 Im Jahr 1852 258 Die Beispiele IGM P 84 Fol. 107 und P 115 Fol. 168. Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten: Alphabetisches Register, S. 85, in diese Richtung deutet auch Koch: Hausmittel, S. 102–103. Dagegen: Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 143. Zumindest die Symptome im zweiten Beispiel würden eher der Deutung von Höfler entsprechen. Der Begriff war im 19. Jahrhundert weit verbreitet und die Krankheit konnte auch epidemisch auftreten. Genaue Symptome sind aber nicht überliefert: Baschin: Untersuchung, S. 70–72. Eine dritte Patientin litt ebenfalls an „Schleimfieber“, hier wird allerdings nichts Näheres zu den Symptomen gesagt, IGM P 86 Fol. 12. 259 IGM P 113 Fol. 268 und P 114 Fol. 62. Der Name „Bleichsucht“ erscheint bei 25 Patienten, nach Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 702 verstand man darunter die Armut von rotem Blutfarbstoff oder Blutarmut, auch Chlorosis genannt. 260 Pschyrembel, S. 929. Hirsch, August: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, Band 2, Erlangen 1862–1864, S. 107 und Prinzing: Handbuch, S. 91 und S. 361, Baschin: Untersuchung, S. 78–80. Bönninghausen veröffentlichte über den Keuchhusten und dessen Behandlung einen Aufsatz: Bönninghausen, Clemens von: Etwas über den
254
6 Beschwerden und Krankheiten
wurde Bönninghausen wegen eines dreijährigen Knabens und seines kleinen Schwesterchens konsultiert. Beide hatten „seit 8 Tagen heftigen Stickhusten“. In Milte, woher auch die kleinen Patienten stammten, waren an dieser Krankheit innerhalb von 14 Tagen bereits 24 Kinder gestorben. Bei beiden dauerten die Hustenanfälle zehn bis 15 Minuten und traten einmal in der Stunde auf, außerdem wurden sie von „heftigem Erbrechen von Schleim“ begleitet.261 Ein Bäcker aus Münster oder dessen Gattin konsultierte den Freiherrn 1841 wegen ihren beiden Töchtern. Sie hatten bereits einen Sohn durch den Keuchhusten verloren und die Ältere war, wie Bönninghausen notierte, „schon am Sterben“. Bei den Mädchen war der Husten ebenfalls mit Erbrechen, aber auch mit Niesen und viel Schleim im Mund verbunden.262 Keuchhusten trat in der Stadt selbst und in der ganzen Provinz immer wieder epidemisch auf.263 Neben dem Erbrechen von Schleim und der aufgenommenen Nahrung, gehörten Nasenbluten, Fieber und tränende Augen zu den Begleitern der Krankheit.264 In den Anamnesen von zwei Kindern aus Münster wurde beschrieben, dass das Gesicht während des Hustens von einer „dunklen Röthe“ überzogen wurde, bei anderen Patienten nahm das Gesicht eine eher „bläuliche Röthe“ an.265 Zwei schon ältere Betroffene beschrieben die Gefühle beim Husten „mit Stichen in der Mitte der Brust bis zwischen die Schulterblätter“ oder „mit gierren in der Brust“.266 Bei einem einjährigen Knaben aus Glandorf wurden die Geräusche des Hustens mit „Röcheln und Pfeifen in der Brust“ charakterisiert, beim „Nachlaß des Anfalls“ war es ein „Glucken“ oder es war von einem „Rasseln in der Luftröhre“ die Rede.267 Die krampfartigen Hustenanfälle führten zu „quickendem Athem“ oder allgemein zu Atemnot.268 In Hahnemanns Gedankengebäude wurde der Psora gleichsam als Ursprung vieler weiterer Krankheitsformen eine große Bedeutung zugemessen.269 Clemens von Bönninghausen beschrieb, vor allem in der Frühzeit seiner Praxis, viele Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Nasenübel oder allgemeine Schwächezustände, als „psorisch“. Daher begann er bei den Betrof-
261 262 263 264 265 266 267 268 269
Keuchhusten. In: Bönninghausen: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften, S. 525–528 und eine eigene Schrift: Bönninghausen, Clemens von: Die homöopathische Behandlung des Keuchhustens in seinen verschiedenen Formen, Münster 1860. Die Patienten IGM P 83 Fol. 207. Im Amts-Blatt Regierung Münster 1852 wurde jedoch nichts von einer Epidemie berichtet. IGM P 49 Fol. 43. Beispielsweise Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 20, Haxthausen: GeneralSanitäts-Bericht 1840, S. 16 oder Amts-Blatt Regierung Münster 1831, S. 219. Zum Beispiel IGM P 154 S. 70 (Ross), P 155 S. 9 (Berger), P 34 Fol. 188, P 42 Fol. 21, P 43 Fol. 101, P 72 Fol. 72, P 73 Fol. 10, P 86 Fol. 129, P 102 Fol. 270, P 111 Fol. 35. IGM P 113 Fol. 11 und P 35 Fol. 79, aber auch P 103 Fol. 34, P 46 Fol. 144, P 51 Fol. 154, P 72 Fol. 188, P 79 Fol. 136, P 84 Fol. 147, P 103 Fol. 284, P 110 Fol. 303. IGM P 75 Fol. 58 und P 102 Fol. 204, ähnlich P 34 Fol. 188, P 39 Fol. 24, P 77 Fol. 202, P 79 Fol. 31. IGM P 81 Fol. 37 und P 103 Fol. 7. IGM P 35 Fol. 79, P 36 Fol. 70, P 40 Fol. 83, P 48 Fol. 88. Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 8, Erläuterungen: Fischer: Miasmen.
6.3 Krankheitsnamen
255
fenen, aber auch bei seiner eigenen Familie, jede Therapie mit einer entsprechenden Kur. Häufig führte er, besonders in den knappen Notizen aus den Jahren 1830 bis 1833, gar nicht weiter aus, worin die Psora oder die „psorischen Beschwerden“ genau bestanden.270 Später behandelte er psorische Geschwüre, Geschwülste und Ausschläge an allen möglichen Körperteilen. So klagte ein 19 Jahre alter Patient über einen ungeheuren Ausschlag „von näßenden Pusteln psorischer Natur auf beiden Händen, mit Brennen und Jucken, nachts am meisten eiternd“. Bei der 50 Jahre alten Gattin eines Regierungssekretärs juckte der derartig beschriebene Ausschlag am meisten in der Wärme und Ruhe. Kratzte sie, bluteten die Pusteln und stachen.271 Eine akute Krätzeerkrankung hatten 189 Patienten. Viele Betroffene klagten, dass der Hautausschlag zu bestimmten Tageszeiten oder unter gewissen Bedingungen verstärkt juckte. Gaben sie dem Reiz nach und kratzten, verspürten sie ein „Brennen“, „Stechen“ oder „Schrunden“, bei vielen bluteten oder nässten die entsprechenden Stellen.272 Allerdings führte das Kratzen auch zu einer vorübergehenden Linderung und ein 24 Jahre alter Patient beschrieb dieses Gefühl derartig, dass es „wollustig gut thut“.273 In einigen Fällen bildeten sich Geschwüre oder Beulen.274 Die 19-jährige Tochter eines Taglöhners war mit ihren Beschwerden zunächst zu einem Arzt gegangen, der sich das ganze besehen und erklärt hatte, „es säßen darin überall die Krätzmilben“.275 Nun erbat sie die Hilfe des Homöopathen. Auch die beiden anderen „chronischen Miasmen“ Syphilis und Sykosis wurden als Krankheitsnamen in den Erstanamnesen verwendet.276 Ähnliche Beschwerden, wie die an Krätze erkrankten Patienten, beschrieben diejenigen, die in ihrer Konsultation bei Bönninghausen angaben, eine „Flechte“ zu haben. Doch zählt dieser „Krankheitsname“ nicht mehr zu denjenigen, die von Hahnemann akzeptiert wurden. Mit „Flechte“ wurde jeder
270 Von den 156 erwähnten Psora-Erkrankungen entfallen 85 auf das erste Sample. Andere Fälle auch IGM P 151 S. 109–110, P 151 S. 133, P 151 S. 241, P 154 S. 62 (Berghans/ Berghaus), P 154 S. 52 (Hagemann), P 154 S. 112 (Padberg), P 154 S. 71 (Springorum), P 155 S. 28 (Pritzelwitz). Doch war Bönninghausen aufgrund seiner Lektüre der Werke Hahnemanns klar, welche Zeichen eine „Psoraerkrankung“ ausmachten. In den knappen Notizen, an deren Veröffentlichung er nie gedacht hatte, genügte ihm wohl für sein Gedächtnis zu diesem Zeitpunkt die Feststellung der zugrunde liegenden Psoraerkrankung. Ganz davon abgesehen hatte er in dieser Aufzeichnungsart gar nicht viel Platz für detaillierte Angaben. Die Zeichen beispielsweise in: Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 30–52. Bönninghausen hatte sich auch ein Manuskript mit den Symptomen der Psora sowie den entsprechend geeigneten Mitteln angelegt: P 171 Zur Heilung der Psora. 271 IGM P 35 Fol. 26 und P 42 Fol. 129. 272 So IGM P 40 Fol. 20, P 42 Fol. 126, P 46 Fol. 13, P 74 Fol. 68, P 102 Fol. 285 oder P 108 Fol. 226. 273 IGM P 78 Fol. 193, auch P 81 Fol. 131, P 82 Fol. 135. 274 Zum Beispiel IGM P 42 Fol. 88, P 48 Fol. 157, P 114 Fol. 73. 275 IGM P 103 Fol. 31. 276 Mit fünf (Sykosis) beziehungsweise 15 (Syphilis) Nennungen spielen sie jedoch keine große Rolle.
256
6 Beschwerden und Krankheiten
chronische Hautausschlag bezeichnet.277 Ein solcher zeigte sich auf allen Körperteilen und plagte die Betroffenen mit Nässe, Jucken, Stechen und Brennen.278 Manchmal eiterten oder bluteten die Ausschläge. Die Hautoberfläche der befallenen Stellen wurde rot, weiß, gelb oder mistfarbig. Die Hautpartikel schuppten ab oder es bildeten sich Borken, dicke Krusten und Schorfe.279 Viele Patienten litten auch an Fallsucht und wollten die Krankheit von Bönninghausen behandeln lassen.280 Manche Betroffene erlitten ausgesprochen selten, nur einmal in sechs Monaten oder alle zwei Wochen, die gefürchteten Krampfanfälle. Andere wurden täglich mehrere Male von den Zuckungen heimgesucht.281 Die Anfälle waren unterschiedlich lang und konnten nach Aussagen der Kranken zwischen fünf Minuten, einer halben oder bis zu mehreren Stunden dauern. Extrem lange litt ein acht Jahre alter Knabe an den Krämpfen, die jedes Mal neun Stunden anhielten, aber „nur“ vier bis sechs Mal im Jahr erschienen.282 Für eine 19-Jährige aus Ostbevern waren das „Krummziehen der Finger“ mit „Kribbeln darin und Einziehen des Daumens“ deutliche Anzeichen eines bevorstehenden Anfalls. Ein Schuster aus Warendorf beschrieb das Gefühl mit den Worten: „von der Hand läuft es den Arm herauf, wie Kribbeln“.283 Er verlor bei den Anfällen das Bewusstsein und sein Mund zog sich schief. Der Besinnungsverlust galt als allgemeines Merkmal der „wahren Fallsucht“.284 Allerdings berichteten Patienten von Bönninghausen immer wieder, sie hätten das Bewusstsein nicht verloren. So ein 17-jähriges Mädchen aus Walstedde, das die Symptome sonst ganz typisch „mit Zusammenziehen der Glieder und des ganzen Körpers, mit Reißen darin und Einschlagen der Daumen“ beschrieb.285 Auch von anderen Kranken wurde 277 Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 151. 278 Beispielsweise IGM P 34 Fol. 186, P 37 Fol. 185, P 46 Fol. 108, P 53 Fol. 147, P 72 Fol. 230, P 74 Fol. 6, P 85 Fol. 107, P 108 Fol. 51, P 113 Fol. 25. 279 Zum Beispiel IGM P 151 S. 129–130, P 34 Fol. 76, P 35 Fol. 102, P 39 Fol. 160, P 43 Fol. 8, P 54 Fol. 133, P 74 Fol. 235, P 82 Fol. 37, P 83 Fol. 64, P 87 Fol. 102, P 108 Fol. 72, P 114 Fol. 347. 280 Fallsucht, die Synonyme Epilepsie und Veitstanz wurden 276 Mal genannt. Dies entspricht immerhin 1,9 % aller Kranken. Zu Epilepsie und deren Verbreitung auch Hirsch: Handbuch 2, S. 565–570. Auch Kortum behandelte Kranke mit „Epilepsie“. In seiner Praxis waren dies 0,7 % der Klientel. Balster: Kortum, S. 166–170. Laut Bönninghausen: Hausarzt, S. 19–20 in der Fußnote, hatte er seit 1835 bis 1852 506 derartige Krankheitsfälle behandelt, „wovon die bei Weitem größere Zahl glücklich geheilt wurde“. 281 In mehreren Anamnesen werden die Zeiträume genannt, wie in IGM P 35 Fol. 168, P 35 Fol. 178, P 37 Fol. 175, P 40 Fol. 101, P 55 Fol. 74, P 71 Fol. 211, P 73 Fol. 66, P 76 Fol. 81, P 84 Fol. 211, P 108 Fol. 121. 282 Zum Beispiel bei IGM P 37 Fol. 175, P 41 Fol. 99, P 42 Fol. 166, P 72 Fol. 99, P 75 Fol. 67, P 103 Fol. 190, P 113 Fol. 283, P 115 Fol. 111. Der Knabe in P 42 Fol. 83. 283 IGM P 37 Fol. 188 und P 41 Fol. 52, aber auch P 48 Fol. 126, P 55 Fol. 178, P 55 Fol. 96, P 112 Fol. 283. 284 Hellmund, J. M.: Die gefährlichsten Kinderkrankheiten und ihre homöopathische Heilung, Dritte Abtheilung, Gotha 1851, S. 31. Er beschreibt auch die übrigen Symptome der Fallsucht ausführlich. 285 IGM P 51 Fol. 78, ähnlich P 73 Fol. 108, P 102 Fol. 326, P 107 Fol. 225.
6.3 Krankheitsnamen
257
die krampfartige Haltung oder das „Verziehen“ und Steifwerden einzelner Körperteile und ein starrer Blick geschildert.286 Bei einem 50 Jahre alten Patienten kündigten sich die Anfälle durch „Knistern und Singen im Kopfe“ an. Einem anderen Betroffenen ging es vorher „wie Blitzen durch den Kopf“. Den Anfall selbst beschrieb er „mit Schlagen und Werfen der Glieder, Beißen in die Zunge, Schreien mit hoher Stimme und Schaum vor dem Munde“.287 Der unwillkürliche Abgang von Harn gehörte ebenso zu den Begleitern eines solchen heftigen Anfalls. Ein 17 Jahre alter Jugendlicher litt an „zweierlei Art von Fallsucht, die eine am Tage, mit Duseligkeit anfangend, so daß er nicht sagen kann, was er will, nachher rings umdrehen; – die andere nachts mit todtähnlichem Hinliegen endigend“.288 Nach den Anfällen fielen die meisten in tiefen Schlaf und wurden von Kopf- und Gliederschmerzen geplagt oder mussten sich erbrechen.289 Eine Krankheit, die gerade Kinder betraf, waren die „Skrofeln“. Deren charakteristisches Merkmal war das Anschwellen der verschiedenen Körperdrüsen, besonders aber derjenigen am Hals. Vor allem äußerte sich die Erkrankung in einer „scrofulösen Augenentzündung“.290 Letztere trat bei einem siebenjährigen Knaben mit einem Ausschlag rings um die Augen, Tränen derselben, Stichen darin sowie einer „völligen Lichtscheu“ in Erscheinung. Sein Augenlid war geschwollen. In anderen Fällen juckten die Augen und das Weiße des Augapfels war gerötet, das brennende Gefühl wurde gelegentlich „wie Sand darin“ beschrieben. Im Fall einer 14-Jährigen aus Lienen hatte die Entzündung soweit geführt, dass sie nun „verwachsene hervorgetretene Pupillen mit fast verloschener Sehkraft“ hatte.291 Eine mittlerweile 20 Jahre alte Frau kam gleich 1829 zu Bönninghausen. Sie litt seit ihrem achten Lebensjahr an dieser Krankheit, wobei sie dieselbe als einzige von neun Geschwistern bisher überlebt hatte. Der Freiherr notierte die typischen „geschwollenen und skrophulösen Unterkieferdrüsen und Brust286 Unter anderen IGM P 34 Fol. 28, P 36 Fol. 114, P 39 Fol. 110, P 47 Fol. 185, P 51 Fol. 78, P 55 Fol. 21, P 73 Fol. 199, P 84 Fol. 116, P 103 Fol. 317, P 110 Fol. 176, P 112 Fol. 257. 287 IGM P 45 Fol. 113 und P 47 Fol. 28, auch P 39 Fol. 117 und P 43 Fol. 15. 288 IGM P 55 Fol. 81 und P 46 Fol. 136. 289 Beispielsweise IGM P 34 Fol. 22, P 39 Fol. 110, P 45 Fol. 58, P 72 Fol. 149, P 74 Fol. 245, P 85 Fol. 54, P 104 Fol. 178. Weiteres zur Betreuung epilepsiekranker Kinder bei Ritzmann: Sorgenkinder, S. 152–153. 290 Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 654 sowie Hellmund, J. M.: Die gefährlichsten Kinderkrankheiten und ihre homöopathische Heilung, Zweite Abtheilung, Gotha 1850, S. 52–86. Die Schreibweise variiert zwischen c/k sowie f/ph. Nach Duden. Die deutsche Rechtschreibung, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 22. Auflage 2000, S. 898 lautet die heute übliche Schreibweise: „Skrofulose“. Bönninghausen behandelte 256 Kranke wegen der „Skrofeln“, in der Literatur findet man auch die Schrweibweise „Skropheln“. Dies entspricht 1,8 % aller Kranken beziehungsweise 6,2 % aller Kinder. Auch Gauwerky hatte in seiner Praxis Fälle dieser schwer zu heilenden Krankheit: Gauwerky: Mittheilungen, S. 246–247. Zu Verbreitung und Kenntnis über die Krankheit auch Hirsch, August: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, Band 1, Erlangen 1860, S. 494–521. 291 Die Beispiele IGM P 36 Fol. 46 und P 73 Fol. 245, auch IGM P 37 Fol. 78, P 38 Fol. 163, P 42 Fol. 122, P 55 Fol. 197, P 76 Fol. 35, P 79 Fol. 265, P 110 Fol. 144.
258
6 Beschwerden und Krankheiten
drüsen“. Außerdem waren die Drüsen unter den Armen und in der Schoßbeuge geschwollen. Ferner litt die junge Frau an einer „verstopften Nase mit Schorf drinnen“, ihre Lippen waren geschwollen und in der Mitte aufgesprungen, der „Geruch zuweilen widerlich unangenehm“. Im Mund und am leicht blutenden Zahnfleisch hatte sie Bläschen und sie plagte „dumpfer Zahnschmerz mit geschwollenen Backen“. Morgens hatte sie sowohl „fauligen Geschmack“ als auch „weißgelblichen Schleim im Munde mit belegter Zunge“. Ihr Appetit sei „sehr stark“. Ganz ähnlich beschrieben viele Patienten ihre Beschwerden.292 Häufig waren kleine Kinder, die an der Krankheit litten, in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, wie ein fast vier Jahre altes Mädchen aus Westbevern, das noch nicht gehen konnte, dessen rechtes Knie schief war und das von „Ausschlag und Wundheit in den Leistenbeugen“ geplagt wurde. Kleine Patienten mit einem „skrofulösen“ Erscheinungsbild wurden oft als dick oder mit einem unnatürlich dicken Kopf beschrieben und schwitzten viel.293 Derartige Hautausschläge, wie sie das kleine Mädchen hatte, bis hin zu Vereiterungen und der Bildung von Geschwüren, die häufig eiterten, traten meist in späteren Stadien der Krankheit auf.294 Bei einem knapp ein Jahr alten Mädchen beispielsweise hatte dieser „skrofulöse Ausschlag, welcher nässt und juckt“ auf der rechten Backe angefangen und bedeckte nun den Kopf und das Gesicht.295 Der Arzt Pellengahr stellte in einem 1829 erschienenen Aufsatz fest, dass die Anzahl der Wechselfieberfälle zunächst rückläufig gewesen sei. Die Krankheit kehrte aber zurück und in einzelnen Jahren war sie „ohne Ausnahme die vorherrschende“ im Gebiet um Münster herum.296 Zu Clemens von Bönninghausen kamen immer wieder Patienten, die über periodisch wiederkehrende Fieberanfälle klagten. Beispielsweise litt der 29 Jahre alte Verwalter der von Hülshoffs an täglichen Anfällen. Er verspürte zunächst „Frost mit Durst, Übelkeit, Schläfrigkeit, Schwindel, Mattigkeit und faulem Geschmack“, dann überkam ihn die Hitze, bei der er ebenfalls durstig war. Ferner plagten ihn „Übelkeit, Schläfrigkeit und Mattigkeit und dazu kurzer Atem und Magenschmerzen“, zuletzt setzte der Schweiß ein, wobei Durst, Magenschmerzen und Schläfrigkeit stete Begleiter blieben. Bei anderen Formen dieses Fiebers 292 IGM P 151 S. 255–257, all diese Symptome listet auch Hellmund: Kinderkrankheiten 2, S. 53–63 auf. Auch IGM P 42 Fol. 109, P 49 Fol. 178, P 71 Fol. 198, P 75 Fol. 133, P 103 Fol. 125, P 107 Fol. 143. 293 Unter anderen IGM P 36 Fol. 75, P 38 Fol. 82, P 39 Fol. 154, P 42 Fol. 67, P 46 Fol. 188, P 52 Fol. 202, P 73 Fol. 67, P 82 Fol. 281, P 84 Fol. 247, P 112 Fol. 224. 294 Hellmund: Kinderkrankheiten 2, S. 54. 295 IGM P 45 Fol. 176, ganz ähnliche Fälle IGM P 154 S. 47 (Bronstering), P 43 Fol. 68, P 53 Fol. 111, P 72 Fol. 91, P 76 Fol. 228, P 85 Fol. 2, P 103 Fol. 233, P 112 Fol. 43. 296 Pellengahr, Anton: Einige Bemerkungen über die im Sommer und Spätjahre 1827 zu Münster in Westfalen beobachtete Parotitis epidemica. In: Ärztliche Gesellschaft zu Münster (Hrsg.): Abhandlungen und Beobachtungen der ärztlichen Gesellschaft zu Münster, Band 1, Münster 1829, S. 177 sowie Sanitaets-Bericht 1831, S. 14, aber auch die späteren Sanitätsberichte nennen Wechselfieber das ganze Jahr hindurch: Haxthausen: GeneralSanitäts-Bericht 1840, S. 16, Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 20.
6.3 Krankheitsnamen
259
kehrten die Schübe täglich oder nach drei beziehungsweise vier Tagen wieder, weswegen in den Krankengeschichten auch von „Quotidiana“, „Tertiana“ oder „Quartana“ die Rede war.297 Als die „augenfälligste Eigenthümlichkeit“ des Wechselfiebers charakterisierte Bönninghausen in einer Schrift, die „periodisch wiederkehrenden Anfälle von Schauder, Kälte, Hitze und Schweiß, und zwar aller dieser Beschwerden nacheinander oder einigen davon zugleich oder mit einander abwechselnd“.298 Üblicherweise wurde die Krankheit mit Chinarinde behandelt und unterdrückt, häufig kehrte sie jedoch zurück und eine homöopathische Kur wurde von den Betroffenen versucht.299 Der Freiherr notierte nicht nur die genaue Abfolge der Fieberanfälle, sondern auch deren Zeit und Dauer sowie die begleitenden Umstände, wie er es selbst für die vollständige Aufnahme eines Symptoms notwendig hielt. Insofern kann man heute den Krankengeschichten entnehmen, dass die Betroffenen nicht nur unter Fieberschüben von bis zu 24 Stunden Länge zu leiden hatten, sondern wie bereits deutlich wurde, Durst, Mattigkeit und Schläfrigkeit ständige Begleiter waren.300 Ein 54-Jähriger aus Telgte litt bereits seit 15 Wochen an den Anfällen, die „täglich gegen zehn Uhr mit Ziehen in den Gliedern, Frost, Durst und Kopfweh“ begannen. Ab der Mittagszeit bis gegen fünf Uhr dauerte die Hitzephase „mit Durst, Leibschmerz, Scheu von Entblösung, Brennen im Magen und Kopfweh“. Nach einer Stunde setzte der Schweiß ein. Aber es traten auch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, fauler Geschmack und allgemeine Gliederschmerzen auf, die meist in den Phasen zwischen dem Fieber kaum nachließen.301 Eine weitere Erkrankung, die mit stark erhöhter Temperatur einherging, war das „Nervenfieber“. Prinzipiell konnte darunter „jede fieberhafte Krankheit, bei der das Nervensystem des Menschen während des ganzen Verlaufes schwer ergriffen“ war, verstanden werden. Allerdings wurde der Name häufig 297 Das Beispiel: IGM P 36 Fol. 112. Wechselfieber als Krankheitsname wurde 272 Mal genannt, darunter waren 101 Nennungen von Tertiana, 24 Fälle von Quartana und 38 Patienten mit Quotidiana. Eventuell wurde auch der Begriff „Schweißfieber“, der in einem Falle mit der Bezeichnung Quotidiana verwendet wurde synonym mit Wechselfieber gebraucht. „Schweißfieber“ hatten sechs Patienten. 298 IGM P 176: Bönninghausen, Clemens von: Kurze Anleitung zur Heilung der Wechselfieber auf homöopathischem Wege, Münster 1832, S. 3. Diese Anleitung bearbeitete er und entwarf selbst eine zweite stark veränderte Auflage unter neuem Titel: P 183 und P 184: Bönninghausen, Clemens von: Versuch einer homöopathischen Therapie der Wechsel- und anderer Fieber zuerst für den angehenden Homöopathiker, Münster 1863. 299 Koch: Hausmittel, S. 117. Im Sanitätsbericht werden auch andere Hausmittel, wie Pfeffer mit Branntwein, gepulverte Eierschalen oder Flusssand genannt: Sanitaets-Bericht 1831, S. 24. Hierzu den Vermerk zur Verwendung von Chinarinde beziehungsweise Chinin in Kapitel 4.1. Beispielsweise IGM P 155 S. 21 (Große Goormann), P 35 Fol. 153, P 36 Fol. 112, P 71 Fol. 177, P 82 Fol. 191, P 103 Fol. 293. 300 Zum Beispiel IGM P 36 Fol. 167, P 43 Fol. 22, P 46 Fol. 7, P 75 Fol. 174, P 78 Fol. 2, P 85 Fol. 272, P 104 Fol. 136, P 110 Fol. 97. 301 Der beschriebene Fall IGM P 37 Fol. 11, zu den Begleiterscheinungen unter anderen IGM P 154 S. 128 (Lövian), P 155 S. 24 (Binde), P 36 Fol. 94, P 41 Fol. 42, P 43 Fol. 99, P 55 Fol. 64, P 72 Fol. 105, P 79 Fol. 28, P 84 Fol. 62, P 103 Fol. 212, P 113 Fol. 168.
260
6 Beschwerden und Krankheiten
für Typhus verwendet.302 Über Symptome von „Nervenfieber“ klagten 138 Patienten. Zu diesen gehörten Müdigkeit, Schmerzen in Kopf, Brust, Rücken, Hals- und Nackenbereich, Reißen in den Gliedern, Schwindelgefühle, bisweilen Husten oder Durchfall. Die Symptome einer 27 Jahre alten Frau aus Senden wurden Bönninghausen „mit Dummlichkeit im Kopfe, delirium mit Angst im Schlafe (wie wenn Bäume ihr auf den Kopf fielen), viel Schweiß, Zusammenziehen und Reißen in den Beinen, Durchfall“ sowie „Leibweh und Durst“ beschrieben. Ihr Harn war trüb und lehmfarbig. Eine andere Patientin litt seit zwei Wochen an Nervenfieber „mit Schlaflosigkeit, Verstopfung, Harnverhaltung, Gesichtsröthe, funkelnden Augen, Beißen und Kratzen bei Bewußtsein“.303 Die genannten Beschwerden treten bei Typhus auf, sind aber auch bei anderen Krankheiten ausgesprochen häufig. Deswegen ist kaum zu entscheiden, ob die damals betroffenen Personen tatsächlich an einer Typhusform litten. Für die „individuelle“ Krankheitswahrnehmung und Beschreibung spielt dies jedoch keine Rolle, da die Betroffenen ihre Beschwerden als „Nervenfieber“ interpretierten und entsprechend fürchteten. Charakteristisch für eine „wirkliche“ Typhuserkrankung ist eine grau-gelbe Färbung der Zunge. Eine derartige Verfärbung wurde von einer 45-jährigen Kranken aus Ladbergen berichtet.304 Die Tuberkulose zählte auch im Münster des 19. Jahrhunderts zu den weit verbreiteten Krankrankheiten und verursachte immer einen gewissen Prozentsatz der Todesfälle.305 Den Krankheitsnamen „Tuberkulose“ findet man nicht direkt in den Journalen des Freiherrn. Nur der Begriff „Phthisis“ wurde in drei Fällen mit dem Adjektiv „tuberculosa“ gebraucht. Außerdem bemerkte Bönninghausen bei einer jungen Patientin von neun Jahren „Lungentuberkeln“. Deren übrige Beschwerden wurden mit „viel Husten, am meisten früh, mit vielem gelben, übelriechenden Auswurf, zuweilen mit Würgen und Schlei302 Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 142. Typhus ist aber ausgesprochen schwierig zu diagnostizieren. Auch Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen, Düsseldorf/Zürich 1997, S. 340 und S. 618–620. Zum damaligen Kenntnisstand über die Krankheit: Hirsch: Handbuch 1, S. 149–192. Zu Typhus in Münster: Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 41. 303 Die Beispiele IGM P 41 Fol. 120 und P 54 Fol. 201. Übrige Symptome unter anderen bei IGM P 34 Fol. 138, P 36 Fol. 107, P 52 Fol. 89, P 55 Fol. 83, P 74 Fol. 91, P 86 Fol. 186, P 104 Fol. 81, P 109 Fol. 224, P 113 Fol. 295. Ähnliche Symptome wurden auch von einer Nervenfieberepidemie 1836 in Metelen berichtet: StAM Münster Regierung Münster Medizinalwesen 211 II-37-9: Die epidemischen Krankheiten, insbesondere das Nervenfieber zu Metelen, 1836, S. 16–17. Samuel Hahnemann veröffentlichte anonym eine Schrift über die „Heilart des jetzt herrschenden Nerven- oder Spitalfiebers“. Diese findet sich in: Hahnemann, Samuel: Gesammelte kleine Schriften. Hrsg. von Josef Schmidt und Daniel Kaiser, Heidelberg 2001, S. 648–650. 304 IGM P 43 Fol. 191 sowie Pschyrembel, S. 1867. Zu den variierenden Erscheinungen des Typhus Prinzing: Handbuch, S. 376. 305 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 48. Allgemein zu Tuberkulose, allerdings am Beispiel Württembergs: Hähner-Rombach, Sylvelyn: Sozialgeschichte der Tuberkulose. Vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter besonderer Berücksichtigung Württembergs, Stuttgart 2000 (MedGG Beiheft 14).
6.3 Krankheitsnamen
261
merbrechen von faulig-süßlichem Geschmacke“ beschrieben. Außerdem stellte sich beim Schlafen Schweiß ein.306 Obwohl bereits seit dem 17. Jahrhundert von Tuberkeln, also sichtbaren Knötchen in der Lunge, im Zusammenhang mit Lungenkrankheiten, wie im geschilderten Fall, die Rede war, setzte sich die Bezeichnung in der Laiensprache nicht durch.307 Vielmehr war, neben der zuvor genannten „Phthisis“, von „Schwindsucht“ die Rede.308 Die Symptome von 101 Patienten wurden mit diesen Krankheitsnamen belegt. Den für die Krankheit typischen Husten beklagten alle Betroffenen. Den Auswurf, der oft mit Blut durchsetzt war, beschrieben sie unterschiedlich mit den Worten „süß“, „salzig“, „faul“, „sauer“ oder charakterisierten seine Konsistenz mit „zäh“ oder die Farbe mit „gelb“.309 Damit einher gingen häufig Kopf- und Rückenschmerzen, Atemprobleme oder Stiche im Brustkorb, einige Kranke hatten zugleich Durchfall, meist spürten sie eine Hitze und sehr oft verloren sie massiv an Gewicht, wie ein 37-Jähriger aus Albersloh, den Bönninghausen als „ungeheuer mager“ beschrieb.310 Verhältnismäßig häufig hatte der Freiherr eitrige Entzündungen der Finger zu behandeln.311 Diese als „Panaritium“ bezeichnete Beschwerde plagte 103 Patienten. Die Kranken fühlten in den betroffenen Stellen „Klopfen“, „Stechen“, „Brennen“, „Reißen und Hupfen“.312 Der Daumen eines Patienten war „ganz dick und feurig roth“. Einer 47-Jährigen aus Glandorf ging der Schmerz durch den ganzen Arm und raubte ihr den Schlaf, während eine andere Betroffene die Schmerzen bis zur Ohnmacht trieben.313 Viele Betroffene hatten bereits versucht, durch Salben oder ähnliches den Eiter aus der Entzündung zu ziehen, oder hatten die Geschwulst von einem Arzt öffnen lassen.314 Ebenfalls mit starken Schmerzen verbunden war das Beschwerdebild der „Gicht”. Unter anderem war von „Gichtknoten“ oder „Geschwulst“ die Re-
306 IGM P 111 Fol. 70. 307 Stolberg: Homo patiens, S. 200. 308 Für Schwindsucht Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 715: Phthisis, „eine nach Säfteverlusten, lange dauernden, fieberhaften Prozessen, Verschwärungen mit Abmagerung, Abzehrung, Schwinden und Abnehmen der allgemeinen Körperfülle, einhergehende Krankheit, für Phthisis: Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten: Alphabetisches Register, S. 77: Schwindsucht. 309 Zum Beispiel IGM P 44 Fol. 21, P 51 Fol. 86, P 73 Fol. 25, P 79 Fol. 170, P 85 Fol. 190, P 112 Fol. 277. 310 Zum Beispiel IGM P 36 Fol. 199, P 52 Fol. 61, P 53 Fol. 1, P 78 Fol. 113, auch P 154 S. 88 (Franz), P 52 Fol. 50, P 76 Fol. 130, P 81 Fol. 280, P 112 Fol. 313, P 73 Fol. 220, P 77 Fol. 145, P 83 Fol. 173, P 87 Fol. 1, P 115 Fol. 322. Dieselben Symptome beschrieben im Zusammenhang mit „Schwindsucht“ auch andere Betroffene in ihren Briefen, dazu: Stolberg: Homo patiens, S. 200. 311 Pschyrembel, S. 1351. 312 Zum Beispiel IGM P 37 Fol. 186, P 45 Fol. 189, P 53 Fol. 163, P 79 Fol. 194, P 82 Fol. 156, P 102 Fol. 303, P 106 Fol. 70, P 110 Fol. 95. 313 Die Beispiele der Reihe IGM P 87 Fol. 9, P 52 Fol. 135 und P 74 Fol. 34. 314 IGM P 46 Fol. 110, P 48 Fol. 110, P 77 Fol. 95, P 78 Fol. 246, P 107 Fol. 116, P 109 Fol. 30, P 112 Fol. 108.
262
6 Beschwerden und Krankheiten
de.315 Die „Gicht“ zeigte sich vor allem in den Gelenken, die steif wurden oder in denen Stiche und Kriechen zu spüren waren.316 Ein 57-Jähriger aus Albersloh war beispielsweise „seit fünf Jahren gichtlahm, mit Geschwulst der Knie, welche ganz steif sind“. Seine Schmerzen beschrieb er als „reißend“. Andere belegten sie mit dem Adjektiv „brennend“.317 Die Krankheit wurde als „fliegend“, „laufend“, „ziehend“ oder „bebend“ bezeichnet. In letzterem Fall litt der aus Glandorf stammende Patient seit zehn Jahren an „Zittern der Arme bei Anstrengung“ sowie „Kälte und Zittern der Unterschenkel im Sitzen“.318 Die Vorstellung von einer Art „herumlaufenden“ Krankheit wird auch bei einem 23-Jährigen deutlich, dessen Gicht „nun zum Kopfe aufsteigend“ war. Ein Schneider berichtete sehr anschaulich von seiner „Gicht“, die zunächst im Arm begonnen hatte, nun aber auch „krampfhaft ziehende Schmerzen im linken Bein“ verursachte, dass „der Schmerz von einem Theile, zum anderen wandelt“.319 Der Sanitätsbericht des Jahres 1838 nennt für die gesamte Provinz Westfalen 14 Augenärzte.320 In Münster selbst wurde eine spezielle Augenklinik erst 1883 eröffnet.321 Im Zusammenhang mit Erkrankungen der Augen verwendeten 78 Kranke die Bezeichnung „Staar“, meist in den Ausprägungen „schwarzer“ oder „grauer“ Staar. Bei vielen hatte eine Nichtbehandlung oder erfolglose Therapie zur völligen Erblindung geführt, als sie eine homöopathische Kur begannen.322 Die 43 Jahre alte Gattin eines Steuerdieners hatte versucht, durch eine Operation ihre Sehkraft wieder herzustellen, allerdings vergeblich.323 Andere konnten den allmählichen Verlust oder die Einschränkung ihrer Sehkraft in Worte fassen und beschrieben, sie würden alles wie „durch einen Nebel“ wahrnehmen, hätten einen „Flor“ oder „Schleier“ vor den Augen oder die Buchstaben würden sich beim Lesen „bewegen und zusammenlaufen“. Ein 46 Jahre alter Betroffener aus Appelhülsen beschrieb seine Sehfähigkeit „wie durch ein Sieb“.324 Die Gegenstände erschienen nur in Grau- oder Gelbtönen oder die Betroffenen nahmen einen grünen Schein, 315 Beispielsweise IGM P 154 S. 140 (Fischer), P 34 Fol. 46, P 55 Fol. 38, P 82 Fol. 267, P 111 Fol. 290. Über diese Krankheit klagten 100 Patienten. 316 Unter anderen IGM P 154 S. 47 (Heggeler), P 40 Fol. 189, P 46 Fol. 74, P 48 Fol. 125. 317 IGM P 38 Fol. 7 das Beispiel, auch P 40 Fol. 23, P 52 Fol. 125, P 84 Fol. 203. 318 IGM P 35 Fol. 18 sowie P 46 Fol. 40, P 48 Fol. 118, P 77 Fol. 225, P 113 Fol. 259. 319 IGM P 46 Fol. 103, P 81 Fol. 102 oder P 46 Fol. 127. Diese Vorstellung im Zusammenhang mit „Gicht”, war für die Deutung des Krankheitsbildes üblich: Stolberg: Homo patiens, S. 129–137. 320 Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1838, S. 229. In den folgenden Berichten wurden nur noch Zahnärzte gesondert genannt. 321 Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 51. 322 IGM P 45 Fol. 140, P 74 Fol. 70, P 76 Fol. 90, P 80 Fol. 215, P 87 Fol. 144, P 104 Fol. 85, P 111 Fol. 216. 323 IGM P 110 Fol. 242, P 38 Fol. 189 oder P 107 Fol. 33 berichten von einer erfolglosen vorangegangenen Kur. 324 IGM P 73 Fol. 6 oder P 36 Fol. 106, P 50 Fol. 120, P 71 Fol. 138 und Fol. 160, P 78 Fol. 24, P 80 Fol. 206.
6.3 Krankheitsnamen
263
bläuliche Färbung oder „graue und rothe Streifen“ wahr.325 Ein 16-jähriges Mädchen hatte zu Beginn der Krankheit „Brennen im Augapfel“ und sah, „wie Hünchen vor den Augen herfliegend“. Andere hatten „Funken vor den Augen“ oder meinten, Bewegungen, „wie fliegende schwarze Mücken“, zu sehen.326 Die „Wassersucht“ gehörte in der Vergangenheit ebenfalls zu den gefürchteten Krankheiten.327 Besonders deshalb, weil mit ihr ein langes beschwerliches Siechtum verbunden war, wie dies auch aus einigen Leidensgeschichten von Bönninghausens Patienten hervorgeht. Die 40 Jahre alte Frau eines Bauern litt beispielsweise seit sechs Jahren an „Wassersucht“. Die Flüssigkeit war ihr „seitdem 26 bis 27 mal abgezapft“ worden, wobei sie jedes Mal danach „eine dicke Geschwulst rechts im Leibe“ verspürte. Sie hatte „stets Durst“ und litt an „nächtlicher Unruhe“. Eine andere Betroffene verspürte bei der solchermaßen behandelten Flüssigkeitsansammlung ein „Schneiden und Stechen im Unterleibe“. Außerdem litt sie an Harnverhaltung.328 Eine 34-Jährige hatte seit drei Monaten Wassersucht in den Beinen, welche von großer „Kurzathmigkeit“ und „Schmerzen in Brust und Gliedern“ in Anfällen begleitet wurde. Seit neun Monaten war eine Frau aus Lienen bereits krank und lag „beständig zu Bette“. Sie litt an „Bauchwassersucht und Durchfall“, klagte über „brennen im Bauche und Benautheit des Athems und trockenen Husten“.329 Viele Betroffene beschrieben, dass die Beschwerden in den Beinen angefangen hätten und dann „bis zum Unterbauche heraufgestiegen“ seien.330 Charakteristisch für die „Krankheit“ waren die Wasseransammlungen in den verschiedenen 325 Zum Beispiel IGM P 39 Fol. 66, P 54 Fol. 28, P 80 Fol. 104, P 82 Fol. 132, P 104 Fol. 152. 326 IGM P 84 Fol. 16, ähnlich P 45 Fol. 137, P 108 Fol. 88, P 114 Fol. 288 sowie P 48 Fol. 16, P 51 Fol. 136. 327 Stolberg: Homo patiens, S. 205. 328 IGM P 114 Fol. 341 und P 108 Fol. 63, auch P 45 Fol. 60, P 52 Fol. 197, P 55 Fol. 108, P 85 Fol. 206, P 87 Fol. 208. Eine solche Leidensgeschichte auch in: Sanitäts-Bericht 1832, S. 64–71, die Betroffene hatte während ihres Leidens ebenfalls eine homöopathische Kur in Soest versucht, welche sie aber nicht retten konnte. 329 IGM P 81 Fol. 36 und P 71 Fol. 218, auch P 77 Fol. 165. Unter „Benautheit“ ist ein beklemmendes Gefühl im Brustraum zu verstehen oder der Zustand von Ängstlichkeit unter Atembeklemmung. Rheinisches Wörterbuch. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und des Provinzialverbandes der Rheinprovinz auf Grund der von Johannes Franck begonnenen, von allen Kreisen des Rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearbeitet und herausgegeben von Josef Müller, Heinrich Dittmaier, Rudolf Schützeichel und Mattias Zender. 9 Bände. Bonn/Berlin 1928–1971: benaut Band 6 Spalte 117–118 von benäuen. Bönninghausen übersetzt es mit Beklemmung. Bönninghausen: Triduum, S. 60. 330 IGM P 114 Fol. 364, P 82 Fol. 226, P 102 Fol. 274, P 109 Fol. 101, P 112 Fol. 220. Eine solche Deutung findet sich in den Patientenbriefen von Kranken aus dem 18. Jahrhundert nicht. Hier wurde die „Wassersucht“ als Folge einer übermäßigen Entleerung des Körpers und dem Verlust von Säften interpretiert. Die Symptome, die in den Briefen geschildert wurden, sind jedoch mit denen aus den Krankenjournalen identisch. Stolberg: Homo patiens, S. 205–206.
264
6 Beschwerden und Krankheiten
Körperhöhlen. Zwar war bekannt, dass eine solche meist infolge von anderen oft chronischen Erkrankungen auftrat, aber man konnte sie kaum von diesen trennen, so dass der Name weiterhin verwendet wurde.331 Die von Bönninghausen verwendeten „Krankheitsnamen“ waren keine ungewöhnlichen Diagnosen. Sie entsprachen der damals üblichen medizinischen Nomenklatur und waren „täglich Brot“ für jeden Arzt.332 Der wesentliche Unterschied zwischen den Aufzeichnungen Bönninghausens und denen seiner „Kollegen“ besteht darin, dass er die „Krankheitsnamen“ nicht als feststehende Begriffe akzeptierte. Für seine Therapie fasste er sie nicht als richtunggebend auf, sondern notierte zusätzlich die „individuellen“ Symptome, die ihm die Patienten in den Gesprächen schilderten. Deswegen konnte an dieser Stelle verdeutlicht werden, was einzelne Betroffene meinten und wahrnahmen, wenn sie an den Beschwerden litten, die für sie ganz selbstverständlich zu den heute zum Teil unbekannten „Krankheitsnamen“ gehörten. 6.4 „Traumatische Beschwerden“ Man mag sich fragen, inwieweit die Homöopathie bei äußeren Verletzungen zu helfen vermag, wo doch deren Behandlung „mithin nur mechanisch-materielle Hilfe zu fordern“ scheint. Clemens von Bönninghausen verteidigte den Einsatz von Hochpotenzen bei derartigen „traumatischen Beschwerden“ und verwies auf eigene erfolgreiche Behandlungen.333 Samuel Hahnemann erklärte im Organon, dass auch „von außenher dem Körper zugefügte Uebel, von nur irgend einiger Beträchtlichkeit, schon den ganzen lebenden Organism in Mitleidenheit ziehen“ würden. Daher fallen derartige „örtliche Uebel“ nur insofern in den Bereich der Chirurgie, „als an den leidenden Theilen eine mechanische Hülfe anzubringen ist wodurch die äußern Hindernisse der, durch die Lebenskraft einzig zu erwartenden Heilung, mechanisch vertilgt werden können.“ Der Homöopathiebegründer zählte hierzu das Einrenken und die Stabilisierung von Körperteilen und Knochenbrüchen, die Hemmung und Stillung von Blutungen, das Verschließen von Wunden durch fachgerechte Binden und Nadeln sowie das Entfernen von Fremdkörpern aus den verletzten Teilen. Um eine vollständige Heilung zu erzielen, insbesondere den äußeren Schmerz zu lindern oder begleitende Fieber zu beseitigen, überhaupt, wo 331 Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 717–718 sowie Oesterlen, Friedrich: Handbuch der medizinischen Statistik, Tübingen 1865, S. 439. Es ist kaum zu unterscheiden, auf welche ursprüngliche Erkrankung die „Wassersucht“ zurückging, da derartige Wasseransammlungen beispielsweise bei Herzleiden oder auch bei Leber- und Nierenerkrankungen auftreten. Stolberg: Homo patiens, S. 206. 332 So finden sich viele der „Krankheitsnamen“ in dem Spektrum wieder, das der Bochumer Arzt Kortum behandelte. Balster: Kortum, S. 163–164. Dies ist jedoch logisch, da die Homöopathie die „übliche“ medizinische Sprache nicht ausblenden konnte und sich die Patienten dieselbe zum Teil angeeignet hatten. 333 Bönninghausen: Traumatische Beschwerden.
6.4 „Traumatische Beschwerden“
265
infolge eines chirurgischen Eingriffs innere Arzneien von Nöten waren, „da tritt das Geschäft des dynamischen Arztes und seine homöopathische Hülfe ein.“334 Bei 507 Patienten musste Bönninghausen die Folgen einer „äußeren Einwirkung“ behandeln.335 Dies entspricht immerhin knapp 3,6 % aller durch den Freiherrn Behandelten. Die allermeisten der Betroffenen hatten bereits Maßnahmen gegen ihre Beschwerden ergriffen, bevor sie zu Bönninghausen kamen. Dies schloss neben der medizinischen Selbstversorgung das Aufsuchen von Ärzten ein. Bisswunden wurden beispielsweise ausgewaschen oder ausgebrannt.336 Bei Knochenbrüchen waren zum Teil Verbände angelegt worden.337 Quetschungen und andere Verletzungen wurden mit Salbe, Pflastern und allerlei anderen Mitteln behandelt.338 Fremdkörper, wie eingestoßene Splitter oder Dornen, waren vor der Konsultation des Freiherrn bereits entfernt worden.339 Bei Verbrennungen wurden als Sofortmaßnahme die betroffenen Körperstellen mit Wasser gekühlt, aber auch mit Öl, Wachs oder Watte und Salbe hantiert.340 Gelegentlich lag die Selbstbehandlung oder „allopathische“ Kur schon etwas länger zurück und Bönninghausen musste extreme Spätfolgen behandeln. Hierzu gehört der Fall jenes 19 Jahre alten Manns, der sich „mit der Häkselmaschine im Arm geschnitten“ hatte und dessen Ellbogengelenk infolge der vorangegangenen Therapie steif geworden war. Bei einem Patienten von 29 Jahren war die Wunde „nach einem Haue in das rechte Knie, vor 30 Wochen, allopathisch behandelt und verpfuscht“. Er litt nun unter „Geschwulst und Steifheit des Knies“. Auch ein Steinhauer aus Havixbeck klagte zwei Monate „nach Verletzung am rechten Schienbein“ noch immer über „Geschwürigkeit an der Stelle, mit Jucken und Kribeln“.341 Die medizinischen Maßnahmen der einzelnen Betroffenen gingen somit zum Großteil über das hinaus, was Samuel Hahnemann an „allopathischer“ Behandlung in derartigen Fällen für berechtigt hielt. Somit setzten die meisten Kranken zunächst auf die Wirkung der herkömmlichen Mittel, bevor sie die homöopathische Hilfe in Anspruch nahmen. 334 Hahnemann: Organon 6 § 186, S. 226–227, sowie zur Entfernung der veranlassenden Ursache Hahnemann: Organon 6 § 7, S. 92. 335 Diese sind mit dem Schlagwort „Kurioses“ versehen, wobei darunter noch weitere Fälle gefasst wurden. 336 Insgesamt hatten 359 der Betroffenen eine vorangegangene „allopathische“ Kur angegeben, 113 machten keine Angaben. Beispielsweise P 81 Fol. 32, P 112 Fol. 56, P 85 Fol. 96, P 104 Fol. 331. 337 Zum Beispiel IGM P 103 Fol. 90, P 115 Fol. 432. 338 Dazu IGM P 71 Fol. 136, P 72 Fol. 176, P 75 Fol. 166, P 73 Fol. 22, P 76 Fol. 22, P 81 Fol. 133, P 87 Fol. 95. 339 IGM P 81 Fol. 207, P 107 Fol. 116, P 110 Fol. 50, P 112 Fol. 40. 340 IGM P 116 Fol. 8, P 115 Fol. 255, P 114 Fol. 206, P 110 Fol. 41, P 106 Fol. 116, P 104 Fol. 172, P 103 Fol. 74, P 80 Fol. 121, P 74 Fol. 209, P 52 Fol. 217. 341 Die genannten Beispiele IGM P 50 Fol. 167, P 83 Fol. 97 und P 103 Fol. 109. Ähnliche Schicksale IGM P 71 Fol. 36, P 85 Fol. 106, P 86 Fol. 124, P 106 Fol. 116 oder P 109 Fol. 213.
266
6 Beschwerden und Krankheiten
Die Mehrheit der Betroffenen waren tatsächlich Unfallopfer.342 Sie hatten sich Verletzungen, Quetschungen und Knochenbrüche zugezogen. Mehrere Kranke hatten sich Finger oder eine Hand in der Mühle gequetscht.343 Knochenbrüche betrafen vor allem Arme und Beine. Ein 23-Jähriger war überfahren worden und hatte einen Schlüsselbeinbruch erlitten.344 Bei den übrigen Verletzungen, meist der Beine, Füße, Arme oder Hände, wurden nicht immer die genauen Entstehungsumstände geschildert. Bönninghausen musste auch immer wieder Augenverletzungen behandeln, weil Dornen, Körner oder andere Fremdkörper eingedrungen waren. Ein achtjähriges Mädchen litt „nach einem Stoße“ an „Entzündung des linken Auges, welches trübe ist und die Pupille verdunkelt“. Ganz ähnlich erging es einem 36-Jährigen aus Altenberge, der „nach Verletzung des rechten Auges mit einem Span“ blind war und Bönninghausen um Rat fragte.345 Auch Schnittverletzungen sollte der Freiherr behandeln. Ein 23 Jahre alter Bauer hatte sich „vor 8 Tagen mit dem Häckselmesser ein Stück von der Spitze des Daumens geschnitten“. Eine Behandlung mit schwarzer Salbe war vergeblich geblieben, die Wunde war noch immer eiternd und schmerzhaft, als er im November 1863 zu Bönninghausen kam. Ein zehnjähriger Knabe war in ein Beil gefallen und litt nun an einem Geschwür auf der Kniescheibe und bei einem 18-Jährigen war nach einem Schnitt mit dem Schneidermesser eine Lähmung der ersten beiden Finger zurückgeblieben. Die Wunde eines 13 Jahre alten Jungen, der sich „mit dem Beile in den Zeigefinger der linken Hand gehauen“ hatte, war entzündet. Besonders stark hatte sich ein 13-Jähriger mit der Häckselmaschine verletzt. Er hatte sich am rechten Ellbogengelenk nicht nur Fleisch, sondern noch ein Stück Knochen abgetrennt.346 Verletzungen durch Tiere, beispielsweise durch Tritte, führten ebenso zu starken und langwierigen Beschwerden. Ein 40-jähriger Bauer war „gleich unter dem Knie vom Pferde geschlagen“ worden und wünschte gegen seine an342 Verletzungen jedweder Art gaben 131 Patienten an, in 32 Fällen war von Quetschung die Rede und in 17 von Knochenbrüchen. Das gesamte Spektrum möglicher Unfallfolgen wurde im Zusammenhang mit der Unfallversicherung immer präziser geschildert, hierzu zum Beispiel: Kaufmann, Constantin Handbuch der Unfallmedizin, Band 1, Stuttgart 4. Auflage 1919 und Band 2, Stuttgart 4. Auflage 1925 oder Thiem, Christel: Handbuch der Unfallerkrankungen einschließlich der Invalidenbegutachtung, Zwei Bände, Stuttgart 2. Auflage 1909/1910. 343 IGM P 82 Fol. 71 und Fol. 79, P 85 Fol. 94, P 103 Fol. 61, P 112 Fol. 30. 344 Das Beispiel IGM P 111 Fol. 44, ein weiterer Schlüsselbeinbruch P 41 Fol. 105. Es gab 17 Knochenbrüche. Die genauen Ursachen sind selten angegeben. Ausnahme ist der Tritt eines Pferdes, der zu einem Schienbeinbruch führte in IGM P 75 Fol. 78. Von den Brüchen betreffen zwölf die unteren und vier die oberen Extremitäten, einer ist ohne genaue Lokalisierung. 345 Die Beispiele IGM P 75 Fol. 164 und P 103 Fol. 72, ähnliche Fälle P 39 Fol. 40, P 49 Fol. 57, P 52 Fol. 226, P 72 Fol. 51, P 74 Fol. 70, P 80 Fol. 144, P 84 Fol. 143, P 110 Fol. 50, P 112 Fol. 53, P 115 Fol. 343. 346 Die Beispiele der Reihe nach IGM P 115 Fol. 374, P 38 Fol. 16, P 43 Fol. 118, P 84 Fol. 221 und P 102 Fol. 275, ähnliche Fälle auch IGM P 72 Fol. 198, P 79 Fol. 73, P 112 Fol. 32 oder P 113 Fol. 115.
6.4 „Traumatische Beschwerden“
267
haltenden Schmerzen beim Bewegen des Beins homöopathische Mittel. Ein zehnjähriger Knabe war „vorgestern Abend vom Bulle am Hinterkopfe gestoßen“ worden. Er hatte an der Stelle zwei Löcher und zu den Schmerzen hatte sich Fieber eingestellt, als der Freiherr konsultiert wurde. Kurios ist der Fall eines jungen Bleichers. Der 19-Jährige wurde 1859 „von einem Habicht an der rechten Hand gekratzt“. Der Ringfinger war entzündet und bereitete dem Leidenden stechende und brennende Schmerzen.347 Auch Bisse von Tieren zählten zu den „äußeren Übeln“. Mit einer Ausnahme waren alle 55 Betroffenen von Hunden gebissen worden oder mit solchen in Berührung gekommen, von denen man vermutete, dass sie „toll“ gewesen waren. In 14 Fällen war kein Biss vermerkt, doch hatten die Patienten trotzdem Angst, von der Tollwut befallen zu werden.348 So hatten Mutter und Tochter aus Appelhülsen „mit einem vermuthlich von einem tollen Hunde gebissenen jungen Hunde gespielt und dann lecken lassen“. Beide wollten zur Vorsorge ein Mittel, damit die gefürchtete Tollwut nicht zum Ausbruch kam. Auch ein Bäcker aus Münster und sein zwölfjähriger Sohn hatten „mit einem tollen Hunde zu thun gehabt, waren aber nicht gebissen worden“. Sie erschienen im Januar 1862 ein einziges Mal bei Bönninghausen, um homöopathische Mittel zu erhalten.349 Wie ein 29-Jähriger aus Drensteinfurt, der die Bisswunden an der rechten Hand hatte, waren die meisten in die Hand oder Finger gebissen worden.350 Einen 70-Jährigen hatte das Tier am Knöchel erwischt.351 Ein fünfjähriger Junge wurde von einem Hund unter dem Auge verletzt und ein knapp zwei Jahre alter Knabe „von einem fremden, aber nicht tollen Hund in die Backe 347 Die Beispiele IGM P 82 Fol. 114, P 104 Fol. 42 und P 102 Fol. 293, ähnlich P 48 Fol. 46, P 50 Fol. 137, P 73 Fol. 22, P 76 Fol. 26 oder P 106 Fol. 253. 348 Die Tollwut war eine ausgesprochen gefürchtete Krankheit. Burghard, Klaus: Hundswuth und Wasserscheu. Die Tollwuttherapie im Jahrhundert vor Pasteur, Berlin 2000, King, Arthur; Fooks, Anthony; Aubert, M.; Wandeler, Alexander (Hrsg.): Historical Perspective of Rabies in Europe and the Mediterranean Basin. A Testament to Rabies by Dr. Arthur A. King, Paris 2004, Pemberton, Neil; Worboys, Michael: Mad Dogs and Englishmen. Rabies in Britain 1830–2000, Houndmills 2007. Die Medizinalberichte schilderten regelmäßig Bisse durch tolle Hunde oder Ausbrüche der Tollwut beispielsweise Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1838. Außerdem war die Behandlung der gefährlichen Krankheit auch Gegenstand des Medizinalkollegiums: StAM Medizinalkollegium 44: die Hundswut, 1839–1868, StAM Regierung Münster 208 V-6: Behandlung der Tollwut bei Menschen, 1819–1829 und 217 III-40: Die Behandlung der Tollwut, 1829–1842 und der städtischen Gesundheitsbehörde: StdAM Gesundheitsangelegenheiten Fach 204 Nr. 19: Tollwütige Hunde. Auch Bönninghausen veröffentlichte dazu: Bönninghausen, Clemens von: Briefliche Mittheilung des Herrn Reg.-Raths Dr. v. Bönninghausen an Dr. Rummel. In: AHZ 39 (1850), Sp. 97–101 und derselbe: Heilungen, S. 47–57. 349 Um solche Präventionsmittel baten 14 Betroffene. Die Beispiele IGM P 84 Fol. 30, P 112 Fol. 57 und 58. Gegen die Krankheit waren auch zahlreiche Hausmittel im Umlauf: StAM Münster Regierung Medizinalwesen 187 2–19: Die Anwendung von Hausmitteln bei Brandschäden und andern Übeln, 1834–1854, S. 12–15. 350 Es gibt 41 Bisswunden. IGM P 74 Fol. 148, aber auch P 34 Fol. 177, P 84 Fol. 174, P 111 Fol. 300. 351 IGM P 74 Fol. 150, ähnlich P 77 Fol. 73 oder P 115 Fol. 285.
268
6 Beschwerden und Krankheiten
gebissen“. Die Stelle unter dem linken Auge eiterte bereits, als Bönninghausen um Rat gebeten wurde. Der einzige Biss, der nicht von einem Hund war, betraf einen 24 Jahre alten Knecht. Er war von einem Pferd an der Hand verletzt worden.352 Allerdings kam es auch immer wieder zu Beschwerden, weil Menschen im wahrsten Sinn des Wortes „unter die Räder“ gekommen waren. So wurde ein 26-jähriger Bauer von einem Wagen überfahren und an der Schulter verletzt. Ansonsten betrafen solche Vorfälle meist die Beine. Ein knapp 18 Jahre alter Jugendlicher litt zudem an „Schmerzen im Unterleibe, nach Verletzung durch Überfahren mit dem Karren“ und ein anderer Betroffener hatte starke Kopfschmerzen, nachdem „ihm ein Wagenrad über den Kopf gegangen“ war.353 Bönninghausen musste auch Pistolenschüsse versorgen. Ein 19-jähriger Schreiner aus Glandorf hatte „sich selbst in den linken Oberschenkel mit der Pistole geschoßen, und den Oberschenkel stark zerrißen und verbrannt“. Ein 22 Jahre alter Schneider hatte seit mehr als einem Jahr mit den Folgen seiner „Verletzung der Bauchbedeckung durch Pistolenschuß“ zu kämpfen. Die Wunde hatte sich noch nicht geschlossen, so dass daraus immer wieder Kot abging.354 Bei 110 Personen waren die Beschwerden auf einen Fall oder Sturz zurückzuführen. Diese Leiden bestanden nicht nur, aber hauptsächlich, in Schmerzen in den betroffenen Körperteilen, oft dem Kopf oder den Armen und Beinen. Meist hatte der Sturz „Lähmigkeit“ und „Geschwulst“ zur Folge. Beispielsweise war eine 65-Jährige „vor einem halben Jahr gefallen auf Steine“, hatte sich dabei „die Hüfte verrenkt“ und war „seitdem bettlägrig“.355 Auch konnte durch einen „Sturze vom Wagen“ die Fallsucht oder durch einen „Fall vom Boden“ „Verstandesverwirrung“ hervorgerufen werden.356 Der „Verlust des Geschmacks und Geruchs“, sowie „Schwerhörigkeit“ oder „Brustschwäche und Athemmangel“ konnten ebenfalls Folgen von Stürzen sein.357 Ähnlich rief das Heben schwerer Lasten Schmerzen im Rücken- und Schulterbereich hervor, die Bönninghausen homöopathisch kurieren sollte.358 Die Be-
352 Die Beispiele der Reihe nach in IGM P 111 Fol. 261, P 104 Fol. 331 und P 106 Fol. 12. 353 Die Beispiele IGM P 103 Fol. 180, P 49 Fol. 116 und P 51 Fol. 116. Ähnlich P 85 Fol. 37, P 87 Fol. 14, P 109 Fol. 113 oder P 114 Fol. 349. 354 IGM P 113 Fol. 244 und P 74 Fol. 22. 355 Das Beispiel IGM P 75 Fol. 244, ähnlich auch P 77 Fol. 2, P 82 Fol. 199, P 83 Fol. 257 oder P 110 Fol. 51. 356 IGM P 41 Fol. 170, P 50 Fol. 56. 357 IGM P 45 Fol. 68, P 74 Fol. 178 und P 107 Fol. 182. 358 Derartige Beschwerden wünschten 66 Patienten, von Bönninghausen behandeln zu lassen. Bönninghausen ließ offen, ob man „Verhebungen“ zu den „traumatischen Beschwerden rechnen will oder nicht“, er selbst nannte solche in Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 473. Solche beispielsweise IGM P 38 Fol. 53, P 40 Fol. 111, P 54 Fol. 196, P 76 Fol. 122, P 85 Fol. 279, P 106 Fol. 13.
6.4 „Traumatische Beschwerden“
269
troffenen klagten auch über Stiche in der Brust, Blutharnen, Kurzatmigkeit oder Bluthusten und Schmerzen in der Lebergegend.359 Clemens von Bönninghausen hatte ferner die Folgen von Verbrennungen zu versorgen. Die offenen Feuer- und Kochstellen in den Häusern waren nicht zuletzt eine erhebliche Gefahr für Kinder. Von den 92 Verbrennungsopfern waren 59 Kinder gewesen.360 Beispielsweise hatte ein knapp zwei Jahre altes Kleinkind „durch Falle ins Feuer“ die rechte Hand verbrannt. Zurückgeblieben war eine „Verkürzung des Beugemuskels“, so dass einzelne Finger gekrümmt blieben. In ähnlicher Weise hatten andere Kinder sich am Kopf oder im Gesicht, den Armen, dem Hinterteil und den Beinen Brandwunden zugezogen.361 Auch heiße und siedende Flüssigkeit, wie Wasser, Milch, Grütze oder Lauge, beziehungsweise damit gefüllte Gefäße, waren eine ständige Gefahrenquelle. Eine Zweijährige aus Darup verbrannte sich „durch Fallen in einen Topf siedender Grütze die Arme bis über den Ellbogen“ und am Kinn, so sehr dass die „Stellen wie rohes Fleisch“ aussahen.362 Ein 27 Jahre alter Betroffener aus Telgte hatte sich „am linken Fuße mit siedendem Wasser verbrannt, so daß die Haut davon gegangen ist“. Nicht besser erging es einer 40-Jährigen, deren Brandwunden an den Unterfüßen eine Woche nach dem Unfall noch eiterten.363 Einem zweijährigen Knaben wurde eine „heiße Pfannkuchenpfanne“ zum Verhängnis, an der er sich beide Hände verbrannte. Ein sechsjähriges Mädchen hatte sich „Munde und Rachen mit heißem Kaffee verbrannt“, seitdem litt sie an „Entzündung des Rachens und der Zunge, mit Husten und verhindertem Schlingen“.364 Drei weitere Kinder waren „mit dem Gesichte an den Ofen gefallen“.365 Eine 22-Jährige litt fünf Monate nach einer Verbrennung im Gesicht an „unreinem Teint“ und bat deswegen um eine ho359 Die einzelnen Symptome sind auch erwähnt in IGM P 36 Fol. 111, P 38 Fol. 155, P 80 Fol. 12, P 103 Fol. 89. 360 Ob man diesen Befund im Sinn einer bewussten Vernachlässigung der Kinderaufsicht und damit als Hinweis auf die Gleichgültigkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern werten kann, sei dahin gestellt. Zu dieser These: Shorter: Umwälzung, S. 514–515. Immerhin zählen auch heute noch Verbrennungen zu den größten Unfallursachen im Kindesalter: Walther, B.; Hofmann, S.: Minderung der Unfallgefährdung im Kindesalter durch entwicklungsgerechte Erziehung, S. 80 und Flach, A.; Ehlers, C.; Schmolke, H.; Dinkelacker, M.: Die Unfallgefährdung im Kindesalter, S. 50. Beide Aufsätze befinden sich in: Rehbein, Friedrich (Hrsg.): Der Unfall im Kindesalter. Klinik, Rehabilitation, Prophylaxe, Stuttgart 1972 (Zeitschrift für Kinderchirurgie und Grenzgebiete Supplementband 11). Von den Unfallopfern waren 146 Kinder (28,8 %). Dies sind 3,6 % aller behandelten Kinder. 361 Das Beispiel IGM P 55 Fol. 30, ähnliche Fälle IGM P 85 Fol. 268, P 109 Fol. 57, P 115 Fol. 182. 362 IGM P 111 Fol. 281 oder IGM P 78 Fol. 25, P 86 Fol. 253, P 102 Fol. 276, P 110 Fol. 126, P 104 Fol. 227. 363 Beispiele IGM P 85 Fol. 21 und P 84 Fol. 268, ähnlich IGM P 81 Fol. 196, P 77 Fol. 243. 364 IGM P 72 Fol. 235 und P 74 Fol. 81. 365 IGM P 74 Fol. 209, P 82 Fol. 47, P 109 Fol. 29, ähnlich IGM P 107 Fol. 141, P 104 Fol. 164, P 77 Fol. 191.
270
6 Beschwerden und Krankheiten
möopathische Kur. Ein 42 Jahre alter Arbeiter war an Kopf und Armen mit siedendem Wasser verbrannt worden, nachdem von einem Kessel der Verschluss abgesprungen war. Wohingegen ein 48-jähriger Bauer „im trunkenen Zustande […] ins Feuer gefallen und Kopf, Hals und Hand linker Seite verbrannt“ hatte.366 Unter „Verbrennung“ beziehungsweise „Verbeitzung“ führte der Freiherr zwei weitere Unfälle. Ein 33 Jahre alter Mann und ein neunjähriger Knabe hatten sich mit Schwefelsäure die Wange beziehungsweise die Augenlider verätzt. Zumindest im letzteren Fall konnte Bönninghausen eine völlige Heilung verbuchen.367 Diese Fälle zeigten, dass auch Patienten mit „traumatischen Beschwerden“ ihr Vertrauen in die Homöopathie setzten. Allerdings war von den Betroffenen oft zuerst eine andere Therapie versucht worden. Doch widerspricht das Einrecken von Gliedmaßen oder das Schienen von Brüchen nicht der homöopathischen Kur. Sämtliche Verletzungen ereigneten sich, wenn man von den Schusswunden absieht, im häuslichen oder „beruflichen“ Umfeld.368 Männer waren von Unfällen häufiger betroffen als Frauen.369 Dies ist ein Befund, der durch andere Arbeiten bestätigt wird.370 Gerade wenn es nach den Verletzungen zu Komplikationen oder Folgebeschwerden kam, die nicht auf dem herkömmlichen Wege beseitigt werden konnten, wandten sich die Leidenden an Bönninghausen, der versuchte, mit seinen Mitteln bestmöglich zu helfen.
366 IGM P 52 Fol. 217, P 102 Fol. 273 und P 102 Fol. 321. 367 IGM P 34 Fol. 60 und P 83 Fol. 117, diesen Fall veröffentlichte Bönninghausen in: Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 485. 368 Dieses Spektrum schildert auch Porter, Roy: Accidents in Eighteenth Century. In: Cooter, Roger; Luckin, Bill (Hrsg.): Accidents in History. Injuries, Fatalities and Social Relations, Amsterdam/Atlanta 1997, S. 90–106. 369 Von den Unfallopfern waren 217 männlich (4,5 % aller Männer) und 189 weiblich (2,6 % aller Frauen), bei 101 konnte das Geschlecht nicht mit Sicherheit ermittelt werden. 370 Die Unfallstatistik setzt erst ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein. Die dann zur Verfügung stehenden Zahlen zeigen, dass Männer eher von Unfällen betroffen waren. Ausnahme bilden jedoch Verbrennungen, von denen eher Frauen betroffen waren. Dies ist bei Bönninghausens Patienten ebenso 55 Frauen (0,8 %) gegenüber 23 Männern (0,5 %) erlitten Verbrennungen. Hierzu Prinzing: Handbuch, S. 150–160. Dass Unfälle auch für mehr Männer tödlich endeten: Baschin: Untersuchung, S. 101. Auch in der Praxis zweier Kölner Wundärzte, die häufig Unfälle chirurgisch behandelten, waren überwiegend Männer: Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 101–104, auch McCray Baier: Sufferers, S. 56, Duffin: Langstaff, S. 148. Allgemein scheinen Unfälle in der Zeit vor der Einführung einer Unfallversicherung seither kaum untersucht worden zu sein, was nicht zuletzt auch mit der schwierigen Quellenlage zusammenhängt. In dem Buch von Cooter und Luckin widmet sich beispielsweise nur ein Kapitel Unfällen im 18. Jahrhundert: Cooter, Roger; Luckin, Bill (Hrsg.): Accidents in History. Injuries, Fatalities and Social Relations, Amsterdam/Atlanta 1997. Am IGM beschäftigt sich derzeit Sebastian KnollJung in seiner Dissertation „Arbeitsunfälle in Kaiserreich und Weimarer Republik: Ursachen, Behandlung und Folgen aus Sicht der Unfallopfer und im sozialen Kontext“ (Arbeitstitel) mit diesem Thema.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
271
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren Die Erfahrung lehrt, dass nicht alle Menschen gleichermaßen von verschiedenen Beschwerden betroffen sind. Einerseits haben Individuen unterschiedliche „Krankheitsschwellen“, was ebenfalls den Statistikern zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt war. Manch einer arbeitet noch mit einer schweren Lungenerkrankung, ein anderer legt sich bereits mit einem kleinen Schnupfen zu Bett.371 Andererseits sind die Menschen je nach ihrer Konstitution, ihrem Alter und ihren Lebensumständen unterschiedlichen Krankheitsgefahren ausgesetzt und für einzelne Beschwerden in verschiedenem Maß anfällig.372 Ganz davon abgesehen wurden und werden in unterschiedlichen Kulturkreisen verschiedene Krankheitsbilder gewissen „Risikogruppen“ zugeschrieben. So galt Hysterie im 19. Jahrhundert als ein vornehmlich weibliches Phänomen.373 Untersuchungen zeigen ferner, dass Frauen und Männer zum Teil unterschiedlich stark von bestimmten Krankheiten betroffen sind. Über die genauen Ursachen dafür und besonders die Gewichtung der unterschiedlichen biologisch-genetischen und sozialen Faktoren besteht bisher noch keine Einigkeit.374 Die direkte Erfahrung und die Beschwerden von Menstruation, Schwangerschaft und Wochenbett sind aber ausschließlich Frauen vorbehalten. Kinder sind außerdem aufgrund noch nicht erworbener Immunitäten anfälliger für bestimmte Beschwerden und sind als „Schwächere“ eher der Erkrankungsgefahr ausgesetzt. Insofern spielt auch das Alter eines Betroffenen eine Rolle für die Krankheiten. Je nachdem in welchem Umfeld man lebt und welcher Arbeit man nachgeht, sieht sich der Mensch mit unterschiedlichen Gesundheitsrisiken konfrontiert. Im Zusammenhang mit höherem Wohlstand stehen nicht zuletzt bessere Hygienezustände, die gegebenenfalls Krankheiten vorbeugen und verhindern. Auch deswegen lassen sich in Krankheitsspektren schichtspezifische Unterschiede feststellen.375
371 Prinzing: Handbuch, S. 86, siehe auch die Anmerkungen zu Kapitel 4. 372 Prinzing: Handbuch, S. 2–3. 373 Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 247, Stolberg: Homo patiens, S. 241–243, FischerHomberger, Esther: Hysterie und Misogynie. Ein Aspekt der Hysteriegeschichte. In: Gesnerus 26 (1969), S. 117–127. Zwar gab es Versuche, Nervenkrankheiten geschlechtsunabhängig zu sehen: Link-Heer, Ursula: „Männliche Hysterie“. Eine Diskursanalyse. In: Becher, Ursula; Rüsen, Jörn (Hrsg.): Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt am Main 1988, S. 364–396 und Bruchhausen; Schott: Geschichte, Theorie und Ethik, S. 115– 117, doch wurde dies im Zusammenhang mit den psychischen Folgeerscheinungen der Weltkriege zum Problem: Lerner, Paul: Hysterical Men. War, Psychiatry and the Politics of Trauma in Germany 1890–1930, London 2003. 374 Hierzu der Sammelband von Hurrelmann; Kolip: Geschlecht. 375 Mosse, Max; Tugendreich, Gustav (Hrsg.): Krankheit und Soziale Lage, München 1913. Dies ist bis heute der Fall: Gesundheitsberichtserstattung des Bundes: Gesundheit in Deutschland. Zusammenfassung, Berlin 2006, S. 7–9. Online unter: www.bagso.de/fileadmin/Aktuell/Aus_den_Ministerien/gesundheitsbericht_kurzfassung.pdf, Zugriff vom 19. Januar 2009.
272
6 Beschwerden und Krankheiten
In den folgenden Teilkapiteln geht es um diese Unterschiede und deren Einfluss in Bezug auf die Leiden, die die einzelnen Individuen in den Erstanamnesen klagten. Zunächst wird das Beschwerdespektrum der Patienten Bönninghausens unter dem Aspekt des Geschlechts betrachtet. Die rein weiblichen Erfahrungen rund um Menstruation, Schwangerschaft und Wochenbett werden gesondert berücksichtigt. Anschließend geht es darum, ob im Hinblick auf die jüngsten Kranken die Behandlung von so genannten „Kinderkrankheiten“ im Vordergrund stand.376 Zuletzt werden die Leiden im Hinblick auf die soziale Schichtzugehörigkeit der Betroffenen betrachtet. 6.5.1 Männliche und weibliche Krankheiten? Männer und Frauen sind verschieden. Die genetischen und biologischen Unterschiede, die weitgehend in der Zeit konstant sind, manifestieren sich in der sozialen Ausgestaltung der Geschlechter und ihrer Rollen, die sich im Lauf der Zeit verändert haben und verändern.377 Geschlecht, ob in seiner biologischen Eigenschaft als „sex“ oder seiner sozialen Konstruktion als „gender“, ist eine zentrale Variable, die den Gesundheitszustand eines Menschen im Positiven wie Negativen beeinflusst.378 Denn ausgehend von den biologisch offenkundigen Unterschieden sind mit der sozialen Interpretation und Ausgestaltung der Geschlechterrollen zum einen Risiken, bestimmte Erkrankungen eher zu bekommen und zum anderen unterschiedliche Verhaltensweisen, mit Gesundheit und Krankheit umzugehen und diese wahrzunehmen, verbunden.379 Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind einem ständigen Wandel unterworfen und man sollte sich davor hüten, heute bestehende „männliche“ oder „weibliche“ Verhaltensweisen und Zuschreibungen als historische Konstanten zu sehen.380 376 Die Einschränkung der altersspezifischen Analyse des Krankheitsspektrums auf die Krankheiten der Kinder und Jugendlichen erfolgte aus datentechnischen Gründen. Eine genaue Differenzierung für alle Altersklassen wäre zu aufwendig gewesen, da für jedes Lebensjahr alle Symptomgruppen hätten abgefragt und anschließend addiert werden müssen. Aufgrund der im Hinblick auf die Frage eines Eigenberufs eingefügten Bezeichnung „Kind“, war diese Gruppe bereits gesondert erfasst und die Auswertung somit leichter. Die Daten stehen bei Interesse einer weiteren Analyse zur Verfügung. 377 Bleker, Johanna: Die Frau als Weib. Sex und Gender in der Medizingeschichte. In: Meinel, Christoph; Renneberg, Monika (Hrsg.): Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik, Bassum/Stuttgart 1996, S. 15–29. 378 Kolip, Petra; Hurrelmann, Klaus: Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Eine Einführung. In: Hurrelmann; Kolip: Geschlecht, S. 14, im selben Sammelband: Kuhlmann, Ellen: Gender-Theorien, S. 104–117. 379 Zu dem Zusammenwirken der je nach Geschlecht unterschiedlich ausgeprägten Faktoren und deren schematische Darstellung: Degenhardt, Annette; Thiele, Andreas: Biomedizinische und biopsychosoziale Modelle. In: Hurrelmann; Kolip: Geschlecht, S. 87– 103. 380 Am Beispiel der Männergesundheit weist darauf hin: Dinges, Martin: Historische Forschung und die aktuelle Diskussion zur Männergesundheit. In: Stiehler, Matthias;
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
273
Krankheit und Geschlecht sind in vielen Untersuchungen thematisiert worden, besondere Beachtung fand der „Genderaspekt“, also die soziale Ausformung der Variable.381 Die Frage danach, welches Geschlecht von welchen Krankheiten eher betroffen war, ist hingegen seltener aufgegriffen worden und eine umfangreiche Analyse der geschlechtsspezifischen Verbreitung verschiedener Leiden steht noch aus.382 Im Folgenden werden die „männlichen“ und „weiblichen“ Krankheitsspektren beleuchtet, um zu analysieren, ob Männer oder Frauen über bestimmte Beschwerden eher klagten. Dabei spiegeln die zu erwarteten Befunde sowohl biologische Gegebenheiten als auch die soziale Deutung wider. Prinzipiell schilderten Frauen in ihren Erstanamnesen mehr Beschwerden als Männer. Während diese durchschnittlich 3,8 Symptome nannten, waren es bei den Frauen 4,7.383 In 35 % aller Anamnesen berichteten sie dann von „Fieberzuständen“, gefolgt von Angaben zu „Appetit“. Aussagen zur „Stuhlbeschaffenheit“ enthielten 23,8 % aller Notizen von den weiblichen Kranken. Kopfweh plagte 21,2 % und Beschwerden an den Untergliedern waren in ähnlichem Ausmaß Anlass, den Homöopathen aufzusuchen. Kopfschmerzen waren bei Männern nicht unter den größten Beschwerdegruppen vertreten und Klotz, Theodor (Hrsg.): Männerleben und Gesundheit. Eine interdisziplinäre, multiprofessionelle Einführung, Weinheim/München 2007, S. 24–35 sowie der Sammelband: Dinges, Martin (Hrsg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 – ca. 2000, Stuttgart 2007 (MedGG Beiheft 27). Auch ein Vergleich „geschlechtsspezifischer“ Krankheitsspektren von früher mit heute ist schwer, weil Diagnosen und Symptome ganz anders gefasst werden. 381 Beispielsweise Brockmeyer: Schreibweisen, besonders mit Bezug auf psychologische und psychosomatische Krankheiten: Schmersahl, Katrin: Medizin und Geschlecht. Zur Konstruktion der Kategorie Geschlecht im medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts, Opladen 1998, Brähler, Elmar; Felder, Hildegard (Hrsg.): Weiblichkeit, Männlichkeit und Gesundheit, Opladen/Wiesbaden 2. Auflage 1999, Mauthe, Jürgen-Helmut (Hrsg.): Krankheit & Geschlecht. Konzepte & Kontroversen, Sternenfels 1999, Nusser, Tanja; Strowick, Elisabeth (Hrsg.): Krankheit und Geschlecht. Diskursive Affären zwischen Literatur und Medizin, Würzburg 2002 und Mixa, Elisabeth; Malleier, Elisabeth (Hrsg.): Körper – Geschlecht – Geschichte. Historische und aktuelle Debatten in der Medizin, Innsbruck/Wien 1996, Schweig: Gesundheitsverhalten. 382 Darauf verweisen: Schücking, Beate: Weiße Flecken in der Landschaft. Frauenforschung in der Medizin. In: Mixa; Malleier: Körper, S. 236 und Ellerbrock, Dagmar: Geschlecht, Gesundheit und Krankheit in historischer Perspektive. In: Hurrelmann; Kolip: Geschlecht, S. 131. Bisherige Studien: Ellerkamp: Industriearbeit oder Stumm: Gesundheit, Brehme: Krankheit und Geschlecht, Schweig: Gesundheitsverhalten. 383 Vergleiche Tabellen 26 und 28 im Anhang, sowie Tabellen 27 und 29. Auch wenn man die Angaben zur Menstruation nicht berücksichtigt, machten Frauen mit 4,3 Symptomen im Mittel immer noch mehr Angaben als Männer. Die Frage, ob Frauen nun „kränker“ oder aufgrund ihrer Sozialisation auskunftsfreudiger waren, kann nicht beantwortet werden. Beide Interpretationen des Befunds und noch viele weitere wären möglich. Dies ist bis heute der Fall. Allerdings ist auch der „Beschwerdedruck“ stark von sozialen Faktoren abhängig und wandelt sich: Brähler, Elmar; Schumacher, Jörg; Felder, Hildegard: Die Geschlechtsabhängigkeit von Körperbeschwerden im Wandel der Zeit. In: Brähler; Felder: Weiblichkeit, Männlichkeit und Gesundheit, S. 171–185.
274
6 Beschwerden und Krankheiten
Symptome an den Untergliedern wurden in 19,5 % aller Krankengeschichten geschildert. Bei den männlichen Patienten waren „Fieberzustände“ die am häufigsten genannten Beschwerden, gefolgt von Husten in 23,4 % aller Fälle. Dieser Symptombereich gehörte aber bei den Frauen gar nicht zu den größten Gruppen. Ähnlich war es mit „Durst“, der bei den Männern in 16,3 % aller Fälle thematisiert wurde. Aussagen zum „Appetit“ enthielten 21,7 % der Erstanamnesen von männlichen Kranken, womit diese in deren Symptomspektrum die viertgrößte Gruppe waren. Position
S1
S2
S3
S4
Gesamt
1
Gemeinsame Beschwerden
Husten
Fieberzustände
Fieberzustände
Fieberzustände
2
Husten
Appetit
Stuhlausleerung
Appetit
Husten
3
Unterglieder
Fieberzustände
Husten
Stuhlausleerung
Stuhlausleerung
4
Kopfweh
Stuhlausleerung
Appetit
Unterglieder
Appetit
5
Haut
Unterglieder
Durst
Husten
Unterglieder
6
Stuhlausleerung
Brust
Unterglieder
Durst
Durst
Tabelle 27: Am häufigsten genannte Gruppen bei den Männern. Position
S1
S2
S3
S4
Gesamt
1
Gemeinsame Beschwerden
Menstruation
Menstruation
Fieberzustände
Menstruation
2
Menstruation
Fieberzustände
Fieberzustände
Menstruation
Fieberzustände
3
Kopfweh
Appetit
Stuhlausleerung
Appetit
Appetit
4
Husten
Unterglieder
Kopfweh
Durst
Stuhlausleerung
5
Haut
Kopfweh
Durst
Stuhlausleerung
Kopfweh
6
Fieberzustände
Stuhlausleerung
Brust
Unterglieder
Unterglieder
Tabelle 29: Am häufigsten genannte Gruppen bei den Frauen.
Im Verlauf der Praxis ergaben sich kleinere Änderungen. So waren bei beiden Geschlechtern in der Zeit zwischen 1829 und 1833 Beschwerden, die den gesamten Körper betrafen, die am häufigsten genannte Gruppe.384 Auch waren unter den meisten Nennungen Symptome der Haut vertreten. In diesen Jahren zählte bei den Männern aber Kopfweh zu den viel geschilderten Leiden, während Frauen in erhöhtem Maß über Husten klagten. Bei den Patientinnen erschien in den Jahren ab 1849 und am Ende der Praxis der Bereich „Durst“ unter den größten Gruppen, so dass beispielsweise ab 1859 Kopfschmerzen nicht mehr zu den am häufigsten geäußerten Beschwerden zählten. Hingegen waren zwischen 1849 und 1853 Symptome an der Brust in höherem Maß geschildert worden und der Bereich „Appetit“ entfiel. „Durst“ wurde bei den Männern ebenfalls erst in diesem Zeitraum stärker thematisiert, während in den Jahren ab 1839 Beschwerden der Brust die sechshäufigste genannte 384 Hierzu Tabellen 26 und 28 im Anhang, sowie Tabellen 27 und 29.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
275
Gruppe waren. In den letzten Jahren waren die größten Beschwerdekomplexe bei den Männern jedoch, abgesehen von Positionswechseln einzelner am häufigsten genannter Gruppen, konstant. So waren Husten und „Stuhlausleerung“ zwischen 1849 und 1853 geringfügig mehr vertreten, während Angaben zu „Appetit“ und „Unterglieder“ in den letzten Praxisjahren, die zweite und vierte Position unter den viel beklagten Beschwerden einnahmen. Neben den bereits aufgezeigten Unterschieden, dass Frauen mehr über Kopfschmerzen klagten, während bei Männern Husten öfter thematisiert wurde, zeigt sich, dass auch „Fieberzustände“ häufiger bei den Patientinnen erwähnt wurden, gleiches gilt für den Bereich „Appetit“ und in geringerem Maß für „Durst“.385 Von den Symptomgruppen, die seither noch nicht angesprochen wurden, klagten Frauen mehr über „Augenleiden“ und Beschwerden im Gesicht.386 Auch der Bereich von Magen, Herzgrube und Unterleib sowie Übelkeit waren eher weibliche Domänen. Demgegenüber waren Männer im Bereich von „Schooß und Bauchring“ anfälliger und klagten häufiger über Blähungen.387 Der Urogenitaltrakt wurde ebenso verstärkt in den Erstanamnesen der männlichen Kranken thematisiert. Der höhere Anteil der Männer in den Symptomgruppen Atem, Schnupfen und Luftröhre beziehungsweise Kehlkopf weist darauf hin, dass sie eher von Erkrankungen der Atmungsorgane betroffen waren. Ähnliches ergab die Untersuchung des geschlechtsspezifischen Krankheitsspektrums in der Praxis des belgischen Homöopathen.388 Frauen litten auch in Belgien eher an Übelkeit und hatten mehr Beschwerden im Magen-Darm-Bereich, wobei dies für die Patientinnen Bönninghausens nicht eindeutig zu belegen ist.389 In Bönninghausens Praxis überwogen ferner die Frauen bei Symptomen der Brust und des Rückens. Auffällig ist zuletzt, dass die körperliche Verfassung und der Gemütszustand besonders von Patientinnen thematisiert wurden, während Männer im Bereich des Genussmittelverbrauchs aussagefreudiger waren. Gerade in diesen Aspekten zeigen sich jedoch die sozialen Deutungen und Konstruktionen des Geschlechts. Da Frauen eher eine „Empfindsamkeit“ zugeschrieben und zugestanden wurde, äußerten diese sich eher zu
385 Graphische Darstellung in den Schaubildern 22 und 23. Demgegenüber litten in der Harzer Praxis mehr Männer an Fieberkrankheiten. Thümmler: Rekonstruktion, S. 88. Auch in der Praxis van den Berghes waren Kopfschmerzen vorwiegend Beschwerden der weiblichen Patienten. Baal: In Search, S. 176. 386 In der Praxis van den Berghes waren kaum geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit Hals-Nasen-Ohren-Leiden sowie im Bereich der Augen festgestellt worden. Allenfalls ein leichter „Frauenüberschuss“ von 6,7 % zu 6,4 %. Baal: In Search, S. 175. 387 In diesen Bereich fallen Leisten- und Hodenbrüche. Diese Leiden treten bis heute vorwiegend bei Männern auf. Pschyrembel, S. 742. „Bauchring“ meint „die gesamte, von den Muskeln, Fascien und Bändern gebildete Umfassung der Bauch-Eingeweide“. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 508–509. 388 Baal: In Search, S. 170. Ebenso in der Harzer Praxis: Thümmler: Rekonstruktion, S. 90. 389 Baal: In Search, S. 174.
276
6 Beschwerden und Krankheiten
ihren Gemütsempfindungen. Übermäßiger Alkoholgenuss war hingegen ein männliches Phänomen.390
Schaubild 22: Geschlechtsspezifisches Krankheitsspektrum aller Patienten 1 (prozentuale Angaben bezogen auf die Gesamtzahl der männlichen und weiblichen Kranken).
Was den letzteren Bereich anging, gaben männliche Patienten bei Bönninghausen häufiger an, zu rauchen oder viel Alkohol zu trinken.391 Der Freiherr hatte sogar einige „Söffer“ in Behandlung, die hofften, mit Hilfe der homöopathischen Kur von ihrem Laster loszukommen. Dabei wurde der Name Bönninghausens im Zusammenhang mit erfolgreichen Therapien in diesem Gebiet weitergegeben. Im Mai 1841 suchte ein Branntweintrinker aus der Nähe von Rheine den Freiherrn auf. Im Dezember desselben Jahres wurde ein Grenzaufseher bei Bönninghausen vorstellig, der seit 17 Jahren der Sucht ergeben war und nun wünschte, davon befreit zu werden, wie der zuvor genannte Mann aus Rheine.392 390 Zur „empfindsamen Frau“ Stolberg: Homo patiens, S. 241–248. Zu Alkoholgenuss, ohne allerdings auf den geschlechtsspezifischen Aspekt einzugehen: Heggen, Alfred: Alkohol und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Eine Studie zur deutschen Sozialgeschichte, Berlin 1988 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 64). Zu derartigen Zuschreibungen auch Dinges: Immer schon, S. 308–313. 391 Hierzu Spode, Hasso: Alkohol, Geschlecht und Gesundheit unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Kaiserreichs. Ein Beitrag zur Natur-Kultur-Debatte. In: Dinges: Männlichkeit, S. 191–210. 392 Der erste Betroffene IGM P 49 Fol. 99 und in P 50 Fol. 28 wird namentlich auf diesen Kranken verwiesen. Auch P 49 Fol. 118, das Wort „Söffer“ ist zwölf Mal in der Datenbank, „Branntweintrinker“ elf Mal. Auch heute spielt die Empfehlung von Freunden und Bekannten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, eine „komplementäre“ Form der
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
277
Schaubild 23: Geschlechtsspezifisches Krankheitsspektrum aller Patienten 2 (prozentuale Angaben bezogen auf die Gesamtzahl der männlichen und weiblichen Kranken).
Zwar gaben auch Frauen gelegentlich an, Branntwein zu trinken oder Wein zu sich zu nehmen, wie eine 76-Jährige aus Alverskirchen, die nach den Aufzeichnungen des Freiherrn, „stets Thee und bitteren Schnaps“ trank. Das Bild des „Söffers“ aber blieb Männern vorbehalten.393 Andersherum wurde die Diagnose „Hysterie“ in den Krankenjournalen Bönninghausens ausschließlich bei weiblichen Kranken gebraucht.394 Der Freiherr notierte aber auch bei Männern Aussagen zu deren Gemütsbeschaffenheit. So wurden 22 männliche Kranke mit dem Vermerk gekennzeichnet, ein „sanftes Gemüt“ zu haben.395 medizinischen Therapie zu versuchen. Sharma: Complementary Medicine, S. 42, Schultheiß; Schriever: Warum, S. 133. Bönninghausen hatte über die Behandlung von Trinksucht und Räuschen einen Aufsatz verfasst: Ueber die Philoposie. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 649–656. Auch in Bönninghausen: Hausarzt, S. 32 gibt er Ratschläge zur Behandlung der „Besoffenheit“. 393 IGM P 38 Fol. 154, auch P 52 Fol. 246, P 71 Fol. 101, P 83 Fol. 9. Hierzu Frank, Michael: Trunkene Männer und nüchterne Frauen. Zur Gefährdung von Geschlechterrollen durch Alkohol in der Frühen Neuzeit. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998, S. 187–212. Zu Alkoholproblemen in einer Arztpraxis: Duffin: Langstaff, S. 138–144. 394 Von den 22 Nennungen entfallen 13 auf die ersten Praxisjahre. Mit Ausnahme einer Köchin sind alle Patientinnen Angehörige der Ober- (fünf Fälle) und Mittelschicht (acht Fälle). 395 In diesem Zusammenhang ist ein Verweis auf die zusätzliche schichtspezifische Differenzierung interessant. Von den 310 Männern, bei denen Aussagen dazu gemacht wurden, waren 24 Mitglieder der Oberschicht, 61 der Mittelschicht und 66 der Unterschicht.
278
6 Beschwerden und Krankheiten
Das Adjektiv „sanft“ wurde jedoch noch stärker bei Frauen verwendet, wo 110 Patientinnen derartig charakterisiert wurden. Einem stereotypen Bild von „Männlichkeit“ kommt dagegen ein 37 Jahre alter Steinhauermeister nach, der in der Anamnese als „äußerst heftig und jähzornig“ beschrieben wurde. Von „ärgerlichem Gemüth“ oder zu „innerem Ärger geneigt“ waren 26 männliche Patienten. Bei den Frauen kamen solche Konnotationen in 88 Fällen zum Ausdruck. Die Köchin der Familie Droste-Hülshoff war beispielsweise von „sanftem und sehr empfindlichen Gemüth, mit Neigung Gram und Aerger in sich zu verschließen“.396 Was den Bereich der Geschlechtsorgane betraf, schilderten ebenfalls mehr Männer Beschwerden. Beschrieben wurden Veränderungen der Geschlechtsteile, wie Schwellungen oder Verfärbungen, Juckreize, Hautausschläge und brennende oder stechende Empfindungen.397 Einen Großteil nahmen Brüche ein, die in den Hodensack austraten.398 Allerdings ist es nicht so, dass Frauen, was den Intimbereich angeht, gänzlich schweigen würden.399 Äußerliche Veränderungen, wie Knoten und Anschwellungen, oder ein Brennen und Jucken sowie vermehrte Schweißbildung in der Schamgegend wurden auch von ihnen thematisiert.400 Viele Frauen litten zudem an einem Gebärmuttervorfall.401 Häufig traten solche Beschwerden in Verbindung mit Geschlechtskrankheiten auf, die Bönninghausen unter ihrem „allopathischen“ Namen notierte. Zwar litten unter solchen Erkrankungen sowohl männliche als auch weibliche Betroffene. Die Mehrheit der Kranken war aber männlich. Von den neun Frauen waren fünf verheiratet und eine Witwe.402 In deren Erstanamne-
396
397 398 399 400
401 402
Dies bedeutet, dass 9,2 % aller männlichen Oberschichtangehörigen derartige Informationen gaben, 8,8 % aus der Mittelschicht, aber nur 4,4 % aus der Unterschicht. Die 22 „sanften“ Männer machen immerhin 7,1 % der Charakterisierungen in diesem Bereich aus. IGM P 55 Fol. 53 und P 151 S. 13. Diese Beispiele mögen genügen, um darauf hinzuweisen, dass eine eingehendere Untersuchung interessante Aufschlüsse über die geschlechtsspezifischen Gemütszuschreibungen zu Tage fördern kann. Auch Varady führte für D5 eine eingehendere Analyse der Beschreibung der Gemütsverfassungen durch, verzichtete aber auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung. Das Adjektiv „sanft“ wurde von Hahnemann in diesem Zusammenhang jedoch nicht verwendet. Varady: D5 Kommentar, S. 334–336. Beispielsweise IGM P 151 S. 51–54, P 35 Fol. 13, P 41 Fol. 94, P 47 Fol. 181, P 51 Fol. 154, P 74 Fol. 13, P 78 Fol. 40, P 83 Fol. 21, P 104 Fol. 185, P 114 Fol. 409, P 115 Fol. 224. So genannte „Hodenbrüche“ traten bei 97 Personen auf. Hiervon waren 90 jünger als 18 Jahre. Wann und wie Frauen ihre Sexualität thematisierten beschreibt ausführlicher: Brockmeyer: Schreibweisen. So IGM P 151 S. 29, P 35 Fol. 148, P 36 Fol. 156, P 37 Fol. 84, P 40 Fol. 167, P 45 Fol. 85, P 52 Fol. 95, P 71 Fol. 235, P 74 Fol. 190, P 80 Fol. 167, P 86 Fol. 39, P 102 Fol. 316, P 109 Fol. 165, P 111 Fol. 153, P 115 Fol. 299. Nach einem ersten Eindruck schilderten sowohl ledige, als auch verheiratete und verwitwete Frauen derartige Beschwerden. Mindestens 34 Patientinnen gaben dies an. Tripper 40 Fälle, davon 35 Männer, Syphilis 14 Fälle, davon zwölf Männer, Sykosis fünf Fälle, davon drei Männer. Auch bei Hahnemann wurden mehr Männer mit Geschlechtskrankheiten vorstellig. Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 87. Allerdings war
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
279
sen wurde gelegentlich deutlich, dass sie durch ihren Gatten mit der Krankheit angesteckt worden waren. Andererseits litt ein 32 Jahre alter Fuhrmann an „Tripperausfluß von weißröthlicher Farbe, mit Schmerzen in der Eichel“, hatte aber seine Frau (noch) nicht mit der Krankheit angesteckt.403 Auffällig ist zudem, dass bei Männern in Verbindung mit Problemen im Intimbereich meist auch auf den „Geschlechtstrieb“ eingegangen wird. Bei Frauen finden sich derartige Bemerkungen ausgesprochen selten. Wenn überhaupt berichteten verheiratete Frauen, die noch keine Kinder hatten, von „mangelnder Wollust“ oder einer „Abneigung gegen den Beischlaf“.404 In drei Fällen war sogar von einem starken „Geschlechtstrieb“ die Rede.405 Bei Männern wurde sowohl über häufige und unerwartete Pollutionen als auch über Impotenz berichtet. So klagte der Diözesan-Baumeister, der seit vier Monaten verheiratet war, als er Bönninghausen im Januar 1859 aufsuchte, über „mangelnden Samenerguß beim Beischlaf, wobei die Errektion von selbst verschwindet“. Dabei hatte er alle zwei bis drei Wochen einen nächtlichen Samenerguss.406 Die Debatte um die Schädlichkeit der Selbstbefriedigung für die Gesundheit hatte Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts begonnen. In diversen Schriften wurde die Masturbation als religiöse und moralische Verfehlung angeprangert, die massive gesundheitliche Folgen nach sich zog.407 Viele Beschwerden, die Clemens von Bönninghausen daher im Zusammenhang mit dem „Geschlechtstrieb“ seiner Patienten notierte, wurden mit der Onanie in Verbindung gebracht. Unklar muss bleiben, inwieweit die einzelnen Betroffenen dem Homöopathen gegenüber von selbst auf dieses Thema eingingen oder ob er nachfragte.408 Obwohl die Anti-Masturbations-Kampagne auf
403 404 405 406
407 408
es bei Männern auch leichter, eine derartige Erkrankung festzustellen. Bei van den Berghe waren ebenfalls mehr Männer betroffen. Baal, Anne van: J’ai vu une femme publique. Sexuality, Venereal Disease and Homoeopathy in Nineteenth-Century Ghent. The Tale of the Patient. In: MedGG 20 (2001), S. 179–196, Baal: In Search, S. 176. Spärliche Angaben zu derartigen Erkrankungen in Münster auch StdAM Kreis-A-Archiv 998: Die Venerische Krankheit, 1833–1900. Beispielsweise IGM P 104 Fol. 6 oder P 114 Fol. 88. Der Mann P 108 Fol. 237. Hierzu Kapitel 6.1. Zum Beispiel IGM P 78 Fol. 264, P 86 Fol. 265, P 104 Fol. 22, hierzu Kapitel 6.5.2. Ähnlich der Befund bei Brockmeyer: Schreibweisen, S. 233, S. 246 und S. 261. IGM P 71 Fol. 230, P 77 Fol. 61 und P 78 Fol. 201. IGM P 102 Fol. 299. Seine mangelnde Potenz war nach eigener Erklärung eine „Folge von geistiger Anstrengung“. Auch IGM P 151 S. 259, P 36 Fol. 29, P 42 Fol. 41, P 49 Fol. 180, P 74 Fol. 217, P 77 Fol. 59, P 81 Fol. 132, P 87 Fol. 161, P 107 Fol. 70. Das Wort „Impotenz” wird in den Anamnesen acht Mal verwendet, kam aber auch bei Frauen vor. Auch bei Hahnemann wurde ein solcher Vorgang kommentiert. Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 121–127. Ausführlicher Stolberg: Homo patiens, S. 261–281 und Laqueur, Thomas: Solitary Sex. A Cultural History of Masturbation, New York 2003. Hahnemann zählte „Onanie“ zu den Ursachen, die selten von den Patienten aus eigenem Antrieb genannt wurden. Hahnemann: Organon 6 § 93, S. 178. Bönninghausen notierte in drei Fällen den Vermerk „Onanie“ mit einem Fragezeichen, so dass die Vermu-
280
6 Beschwerden und Krankheiten
beide Geschlechter abzielte, scheinen Männer eher daran teilgenommen beziehungsweise diese rezipiert zu haben.409 Besonders männliche Betroffene bezogen die geschilderten Folgen auf ihren eigenen Gesundheitszustand und nutzten die in den diversen Schriften propagierten Folgen, um ihre eigene Lebenssituation und Erkrankung zu deuten.410 In den Erstanamnesen von 86 Patienten wird deutlich, dass sie sich der „Selbstbefleckung“ schuldig gemacht hatten oder diese noch immer trieben. Das erstaunliche daran ist, dass es sich nicht nur um Männer handelte, sondern dass auch bei 34 Frauen von Onanie die Rede war.411 Da diese intime Information vermutlich nicht ohne Weiteres preisgegeben wurde, muss man annehmen, dass Bönninghausen dem Laster der Selbstbefriedigung im Hinblick auf die gesundheitliche Beeinträchtigung seiner Patienten eine erhöhte Bedeutung beigemessen hat und diese mögliche Ursache sowohl für Männer als auch für Frauen in Betracht zog. Dafür spricht, dass er die Tatsache der „sündhaften Verfehlung“ auch dann festhielt, wenn der oder die Betroffene sie schon lange nicht mehr ausführte. Ähnliches notierte der Freiherr bei 33 Patienten. Dabei wird zumindest in einem Fall eine deutliche Verbindung von Masturbation und Heirat erkennbar. Letztere bedeutete nämlich das Ende der „falschen“ Befriedigung.412
409
410
411
412
tung berechtigt ist, dass es sich nicht um eine Information handelt, die er vom Patienten erhielt, sondern seine eigene Überlegung darstellt. IGM P 36 Fol. 20, P 56 Fol. 1, P 86 Fol. 52. Das Buch Tissot, Samuel: Von der Onanie. Oder Abhandlung über die Krankheiten die von der Selbstbefleckung herrühren, Wien 5. Auflage 1787 behandelt beide Geschlechter. Zu geschlechtsspezifischen Aspekten: Belemann-Smit, Anja: Wenn schnöde Wollust dich erfüllt… . Geschlechtsspezifische Aspekte in der Anti-Onanie-Debatte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2003. Stolberg: Homo patiens, S. 265 und S. 274, Eckart; Jütte: Einführung, S. 208, Dinges: Männlichkeitskonstruktion, S. 107, Stolberg, Michael: An Unmanly Vice. Self-Pollution, Anxiety and the Body in the Eighteenth Century. In: Soc. Hist. Med. 13 (2000), S. 1–21. „Onani“ in der Erstanamnese. Bei zwei weiteren Patientinnen stellte Bönninghausen ein solches Treiben während der Behandlung fest (IGM P 51 Fol. 78 und P 75 Fol. 145). Bemerkungen über den Geschlechtstrieb waren bei 179 Patienten gemacht worden. Davon waren 121 Männer und 56 Frauen. Bei den zwei Patienten unbekannten Geschlechts dürfte es sich mit großer Sicherheit um Männer handeln, es war jedoch nicht definitiv zu belegen, weil die Namen abgekürzt waren und nur von „Onanie“ und „Geschlechtstrieb“ die Rede war, ohne dass ein Geschlechtsmerkmal deutlich wurde. Derartige „Zeugnisse“ weiblicher Selbstbefriedigung sind ausgesprochen selten. Siehe: Stolberg: Homo patiens, S. 274 und Eckart; Jütte: Einführung, S. 208. In den Journalen D2 bis D7 erwähnte Hahnemann bei keiner Frau oder bei Jugendlichen eine solche Tätigkeit. Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 127. Zwischen 15 und 18 Jahren waren sieben, interessanterweise weibliche Kranke, bei denen Bönninghausen eine Masturbation vermerkte. IGM P 76 Fol. 16. Der entsprechende Passus: „Früher Onanist, nun seit 11 Jahr verheirathet.“, auch IGM P 74 Fol. 12 und P 116 Fol. 3. Von den 33 Patienten waren sieben weiblich und 26 männlich. In den Briefen von Männern an Ärzten gehörte das „Abschwören“ beziehungsweise die Versicherung, dem Laster nun nicht mehr zu frönen, zum Standard, weil es die Einsicht in die eigene Verfehlung kennzeichnete. Stolberg: Homo patiens, S. 277. Ähnliches stellt auch Brockmeyer: Schreibweisen, S. 285 fest.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
281
Bei Männern waren häufigere Pollutionen, brennende Empfindungen im Unterleib und allgemeine Schwächeerscheinungen die Folgen der Onanie.413 Bei Frauen stand die Bemerkung zu Masturbation nicht immer in sichtbarem Zusammenhang zu den Beschwerden, die sonst in den Anamnesen geschildert wurden. Beispielsweise klagte eine 19-Jährige aus Lienen über „Husten, Ausschlag im Schweiße und Stiche in der Brust“. Sie hatte Verstopfung und Zahnschmerzen und litt an „Schweißbildung auf Brust und am Unterleibe“. Bönninghausen notierte den Verdacht auf „Phthisis“ und vermerkte „Onanistin“. Allerdings war den Patientinnen gemeinsam, dass sie unregelmäßige Monatsblutungen hatten oder ein Brennen in den Geschlechtsteilen geschildert wurde. Offenbar weckte dies, wie bei einer 23 Jahre alten Kranken aus Senden, deren Regel nun ganz aufgehört hatte, wobei sie an „Kreuz= und Leibschmerzen und Müdigkeit in den Beinen“ litt, den Verdacht auf eine derartige Tätigkeit.414 Beachtenswert ist auch, dass der Freiherr bei drei Frauen notierte, sie seien „arge“ Onanistinnen, während eine derartige Intensitätsbeschreibung bei Männern fehlte oder sogar abgeschwächt mit „etwas“ beschrieben wurde.415 Gerade im Bereich der Selbstbefriedigung und der geschlechtsspezifischen Differenzen diesbezüglich, spielen die soziale Konstruktion und Wahrnehmung des Geschlechts eine größere Rolle als biologische Faktoren. Ähnliches muss man von den „Krankheitsbildern“ „Hysterie“ und „Söffer“ annehmen, die nur bei Frauen beziehungsweise Männern verwendet wurden. Hier kann man von sozial konstruierten typisch „männlichen“ und weiblichen“ Beschwerden sprechen. Inwieweit die einzelnen außerdem genannten Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Zusammenhang mit verschiedenen Symptomgruppen und Beschwerdebildern auf biologische oder soziale Einwirkungen zurückzuführen sind, kann anhand der Quelle nicht entschieden werden. An dieser Stelle kann nur auf die bestehenden Differenzen aufmerksam gemacht werden. Im Vergleich mit der Klientel anderer Arztpraxen wurde außerdem deutlich, dass sich das Überwiegen eines Geschlechts in einem Krankheitsbereich nicht immer zeigen muss. So waren beispielsweise die Frauen in der Praxis Bönninghausens eher von Augenbeschwerden betroffen, während sich bei van den Berghes Klientel kaum ein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellen ließ. Beide Geschlechter klagten bei dem Freiherrn letztendlich ähnlich häufig über „Fieberzustände“ und machten oft Angaben zu „Appetit“, „Stuhlausleerung“ und den „Untergliedern“. Frauen 413 IGM P 37 Fol. 62, P 45 Fol. 190, P 72 Fol. 65, P 76 Fol. 103, P 80 Fol. 110, P 83 Fol. 261, P 108 Fol. 88, P 113 Fol. 260. Derartige häufig geschilderte Folgen nennt auch Stolberg: Homo patiens, S. 272–277. 414 Die Beispiele IGM P 44 Fol. 21 und P 78 Fol. 222, auch P 37 Fol. 134, P 55 Fol. 232, P 71 Fol. 130, P 76 Fol. 42. Von den Frauen waren 14 ledig, eine verheiratet und bei 19 ließ sich der Zivilstand nicht feststellen. 415 IGM P 54 Fol. 108, P 55 Fol. 203 und P 76 Fol. 53, eine Abschwächung „Onanistin, aber nicht stark.” hingegen in P 79 Fol. 181. Bei den Männern: IGM P 76 Fol. 80 und P 84 Fol. 223.
282
6 Beschwerden und Krankheiten
schilderten jedoch häufiger Kopfschmerzen, während bei den Männern Husten öfter behandelt wurde. Zumindest in den letzten beiden Fällen kann man bei der Klientel Bönninghausens daher von Kopfweh und Husten als „typisch“ weiblichen beziehungsweise männlichen Beschwerden sprechen. 6.5.2 Von Regelblutungen, werdenden Müttern und Geburtsfolgen Der gesamte Zyklus von Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und den gesundheitlichen Folgen eines Wochenbettes einschließlich des Stillens bleibt naturgemäß eine Erfahrung der Frauen. Auch wenn die Fertilitätsrate der Frauen im gebärfähigen Alter während des 19. Jahrhunderts in Münster deutlich unter derjenigen für Preußen lag, spielten gesundheitliche Probleme rund um den Bereich der Fruchtbarkeit für die Patientinnen von Clemens von Bönninghausen eine bedeutende Rolle.416 Angaben über das „Monatliche“ waren ein wichtiger Bestandteil in den Erstanamnesen der Patientinnen.417 Wie bei dem allgemeinen Überblick zu dem gesamten Beschwerdespektrum deutlich wurde, enthielten 38,5 % der Krankheitsschilderungen von Frauen Informationen zu deren Regelblutungen.418 In den meisten Fällen ging es um die Menge, ob die Periode zu stark oder zu schwach, und die Dauer, ob sie zu lang oder zu kurz, war. Was von den jeweiligen Betroffenen als „zu stark“ oder „zu schwach“ beziehungsweise als „zu lang“ und „zu kurz“ beurteilt wurde, wurde in den meisten Anamnesen nicht weiter ausgeführt.419 Eine 32-jährige Assessorin aus dem Harz machte deutlich, dass seit mehreren Jahren ihre Periode „zur rechten Zeit“ 416 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 347, derselbe: Materialien, S. 110–113. Im Folgenden werden neben den Patientinnen, bei denen Angaben zur Menstruation vermerkt wurden, besonders die 1.185 Fälle berücksichtigt, bei denen das Schlagwort „Gynäkologie“ eingefügt wurde. 417 Dies war auch in der Praxis van den Berghes der Fall. Baal: In Search, S. 230. Gleiches galt für die Praxis Hahnemanns. Anhand der frühen Journale wurde die Einstufung der Menstruation untersucht: Brehme: Krankheit und Geschlecht. Allgemein zur Geschichte der Menstruation: Shail, Andrew; Howie, Gillian (Hrsg.): Menstruation. A Cultural History, Houndmills 2005, Hering, Sabine; Maierhof, Gudrun: Die unpässliche Frau. Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene 1860–1985, Pfaffenweiler 1991, Fischer-Homberger, Esther: Krankheit Frau. Aus der Geschichte der Menstruation in ihrem Aspekt als Zeichen eines Fehlers (1974/1978). In: dieselbe: Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen, Darmstadt/Neuwied 1984, S. 34–70, sowie der Diskurs über das Monatliche: Zinn-Thomas, Sabine: Menstruation und Monatshygiene. Zum Umgang mit einem körperlichen Vorgang, Münster/New York/München/Berlin 1997. 418 Tabelle 28 im Anhang und Tabelle 29 in Kapitel 6.5.1. 419 Man geht heute von einem durchschnittlichen Zyklus mit 28 Tagen aus. Die Blutungen dauern zwischen einem und vier Tagen. Lippert: Handbuch Anatomie, S. 316. In der medizinischen Literatur des 19. Jahrhunderts wurden drei bis vier Tage als „normal“ gesehen, wohingegen Hahnemann wohl eher fünf Tage für „normal“ hielt. Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 100–101. Sie weist an dieser Stelle jedoch auch auf den ausgesprochen subjektiven Eindruck bezüglich einer als „normal“ empfundenen Regel hin.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
283
eintrete, sie „aber zu stark und zu lange (6 bis 7 Tage) dauernd“ sei.420 Demgegenüber währte bei der Tochter eines Goldarbeiters die Blutung acht Tage und Bönninghausen vermerkte nicht, dass dies als ungewöhnlich lang empfunden wurde. In den Anamnesen einer 39-jährigen Bauersfrau und eines 15 Jahre alten Mädchens kommt zum Ausdruck, dass diese eine ebenso lang anhaltende Regel als „zu lang“ empfanden, zumal sie „mit großer Heftigkeit“ verbunden war.421 Ein Dienstmädchen aus Münster berichtete sogar von einer viel zu starken und zehn Tage dauernden Periode, zu deren Anfang sie außerdem „Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Leibweh und Kreuzschmerzen“ plagten. Bei einer anderen Betroffenen währten die Blutungen sogar bis zu zwei Wochen.422 Als ungewöhnlich kurz sah die 24-jährige ledige Tochter eines Lohgerbers ihre Regel an. Diese dauerte nach ihren Angaben nur einen Tag und war darüber hinaus „mit Leibschmerzen, wie Brennen und Schneiden“ verbunden.423 Die 19 Jahre alte Tochter eines Drechslers aus Wolbeck empfand ihre nur zwei Tage dauernde Periode ebenfalls als „zu schwach“ und „zu blass“. Auch eine dreitägige Dauer wurde von einer 22-Jährigen eher als zu kurz eingestuft.424 Demgegenüber hielt eine Verheiratete aus Sendenhorst ihre fünf bis sechs Tage dauernde Regel für angemessen und für eine 46-Jährige aus Albersloh waren vier bis fünf Tage völlig akzeptabel.425 Eine 22-Jährige beschrieb ihre Regel als zu schwach und eigentlich sei es nur „grauer Weißfluß“. Auch eine 19 Jahre alte Patientin aus der Nähe von Osnabrück bezeichnete ihre nur einen Tag anhaltende Periode als „zu schwach“, obwohl sie diese „mit dickem, zähen, schwarzen Blute“ beschrieb.426 Als „zu stark“ charakterisierte eine 33-jährige Münsteranerin ihre „oft alle 8 Tage, mit schwarzem Blute“ eintretende Regel. Gleiches galt für die Gattin eines Schuhmachers, bei der während der Periode „Blut in Klumpen“ abging.427 Die Farbe des Blutes wurde, wie in einzelnen Beispielen deutlich war, auch thematisiert, insbesondere dann, wenn es nicht der gewöhnlichen roten Färbung entsprach. Einige Patientinnen beschrieben es dann als schwarz, dunkelrot, mistfarbig, grau oder als „mit hellrothem Blute und schwarzen Klumpen“.428 Auch die Frage, ob sich der Zyklus verlängert oder verkürzt hatte, das Monatliche zu früh, zu spät, unregelmäßig oder gar nicht erschien, war von Be420 IGM P 86 Fol. 265. Ähnlich empfand die Patientin P 78 Fol. 134. 421 IGM P 52 Fol. 234, P 83 Fol. 152 und P 107 Fol. 164, ähnlich P 110 Fol. 280, P 77 Fol. 5 oder P 73 Fol. 202. 422 IGM P 81 Fol. 260 und P 83 Fol. 187, ähnlich P 82 Fol. 84 und Fol. 201, P 80 Fol. 52. 423 IGM P 73 Fol. 172, ähnlich P 46 Fol. 76, P 76 Fol. 117, P 81 Fol. 186, P 106 Fol. 72. 424 IGM P 82 Fol. 97 und P 48 Fol. 73, ähnlich P 151 S. 83–84, P 86 Fol. 56 und P 106 Fol. 190. 425 IGM P 83 Fol. 114, auch P 78 Fol. 3, P 71 Fol. 141, P 77 Fol. 195. 426 IGM P 106 Fol. 31 und Fol. 185. 427 IGM P 86 Fol. 122 und P 40 Fol. 29. 428 IGM P 151 S. 45–46, P 151 S. 95–96, P 38 Fol. 42, P 46 Fol. 67, P 52 Fol. 32, P 78 Fol. 41, P 79 Fol. 229, P 80 Fol. 96, P 81 Fol. 41, P 83 Fol. 256, P 102 Fol. 316, P 106 Fol. 185, P 113 Fol. 22, P 116 Fol. 21.
284
6 Beschwerden und Krankheiten
deutung. Eine 19-Jährige aus Glandorf hatte beispielsweise nur alle drei bis vier Monate schwache Blutungen, die mit „Leib- und Kreuzschmerz“ verbunden waren. Eine junge Münsteranerin berichtete davon, dass sie „alle 5 Wochen“ ihre schwache Periode bekäme, ohne dass sie den Zyklus als außergewöhnlich lang ansah.429 Eine unverheiratete 35 Jahre alte Frau gab an, ihre Regel käme alle drei Wochen, ohne dass sie dies als besonders früh empfand.430 Eine 18-Jährige berichtete, sie habe ihre Blutungen alle 14 Tage und diese würden acht oder sogar neun Tage anhalten. Ein ebenso langer Zyklus wurde von einer 19 Jahre alten Bediensteten als „zu früh“ beurteilt, außerdem sei ihre Periode „ziemlich stark“.431 Bei einer 19 Jahre alten Frau trat die ziemlich starke Regel hingegen „zu spät“, nämlich nur „alle 8 Wochen“ ein, hielt dann aber sieben Tage an. Bei einer 21-Jährigen stellte sich die Menstruation ebenfalls acht Tage zu spät ein, während eine 22-Jährige von sehr unregelmäßigen Blutungen berichtete. Diese traten nur „alle 2 oder 6 Wochen“ auf.432 Einige der Frauen klagten darüber, dass sie an „Menostasie“ leiden würden.433 Ihre Blutungen waren seit unterschiedlich langen Zeiträumen ausgeblieben, ohne dass sie schwanger oder in den Wechseljahren waren. So berichtete die 17 Jahre alte Tochter eines Tischlers aus Münster, dass ihre Periode seit einem halben Jahr fehle. Bei einer 26-Jährigen aus Lienen waren die Blutungen seit eineinhalb Jahren ausgeblieben. Eine 19-Jährige aus Telgte erzählte Bönninghausen im Juni 1839, dass ihre „Menostasie“ seit Neujahr anhalten und sie stattdessen einen „Blutdrang zum Kopfe“ verspüren würde.434 Ähnlich formulierte eine 30-jährige Patientin, bei der es hieß, sie habe „oft Nasenbluten statt der Regel“. Bei einer 18 Jahre jungen Frau fehlte die Periode seit zwei Jahren, stattdessen hatte sie „Blutspeien“. Eine 24 Jahre alte Frau hatte Blutungen, die ihrer Meinung nach zu schwach waren und mit „Blutdrang zum Kopfe und Nasenbluten“ in Verbindung standen. Hier deutet sich die Interpretation der Regelblutung im Sinn einer monatlichen Reinigung des Körpers von krankmachenden Stoffen und zu viel Blut an. Stockte die Regel aus unerfindlichen Gründen, musste die Entleerung auf einem anderen Wege erfolgen oder äußerte sich, indem das Blut einer anderen Körperöffnung zuströmte. Eine solche Deutung, beziehungsweise deren Ablehnung, klingt bei einer 22-jährigen Patientin an, in deren Erstanamnese ausdrücklich gesagt wurde, dass die alle drei Monate auftretenden Anfälle von Nasenbluten „mit dunklem Blute, ohne Bezug auf die Periode, welche sonst ziemlich stark ist“, 429 IGM P 38 Fol. 84 und Fol. 181. Die Patientin in P 82 Fol. 113 hatte einen sechswöchigen Zyklus. 430 IGM P 44 Fol. 167 oder ähnlich P 53 Fol. 222. 431 IGM P 78 Fol. 30, P 85 Fol. 241, auch P 79 Fol. 62, P 55 Fol. 16. 432 IGM P 82 Fol. 88, P 78 Fol. 280, P 104 Fol. 149. Von unregelmäßigen Blutungen ist bei 52 Patientinnen die Rede. 433 Dieser Begriff (zur Erklärung Fußnote 122 in Kapitel 6.2.1) erscheint 123 Mal in den Erstanamnesen, die Verbindung von „Menstruation“ bei Krankheitsmerkmale und „fehlt“ bei der Anamnese wurde 403 Mal in der Datenbank gefunden. 434 IGM P 53 Fol. 143 und Fol. 70 und P 36 Fol. 156.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
285
waren.435 Eine ganz andere Ursache hatte das Ausbleiben der Periode bei einer 25-Jährigen aus Billerbeck. Sie war schwanger. Offenbar hatte sie Bönninghausen in der Absicht aufgesucht, von ihm ein Mittel zu erhalten, um die Menstruation wieder herbeizuführen, also eine Abtreibung vorzunehmen. Der Freiherr lehnte das Ansinnen deutlich ab. Er notierte in der Erstanamnese: „Abgewiesen!“436 Bei einer anderen Betroffenen, bei der die Regel seit zwei Monaten ausgeblieben war, bemerkte der Homöopath eine „sehr leise, wie verlegene Sprache“ und notierte sich daher bei der Erstanamnese: „Ob sie gravide ist?“ Die Patientin erschien nur ein einziges Mal bei ihm, so dass die Frage unbeantwortet bleiben muss.437 Auch Beschwerden, die viele Frauen heute mit ihrer Periode in Verbindung bringen, wurden im 19. Jahrhundert von den Betroffenen beschrieben.438 Eine 30-Jährige aus Glandorf litt zwei bis drei Tage vor Eintritt ihrer Regel an „Kreuzschmerzen, Wassererbrechen, Geschwulst der Unterschenkel“.439 Eine Majorin verspürte vor ihrer zu schwachen Periode „Ängstlichkeit, Herzklopfen und Angegriffenheit“ und eine 24 Jahre alte Näherin wurde von „Schwermuth und Melancholie“ vor und nach der Regel geplagt.440 Eine junge Frau aus Westbevern wollte ihren juckenden und stechenden Ausschlag auf der Backe homöopathisch behandeln lassen. Sie gab an, dass dieser Ausschlag vor der Periode stärker sei und ihr außerdem vor deren Eintritt Müdigkeit zu schaffen machen würde.441 Eine 20-Jährige aus Glandorf gab Bönninghausen gegenüber an, dass ihre Periode „schwach sei“ und sie „bei Eintritt derselben Leibschmerzen“ hätte. Eine 26-Jährige aus Münster berichtete über derartige Beschwerden recht anschaulich, dass sie „zu Anfange der Regel“ „Krämpfe im Unterbauche“ habe, die einen halben Tag dauerten und mit dem „Gefühl als sollte das Leib unten herausfallen und Drängen auf die Geschlechtstheile“ verbunden waren. Auch die zuvor bereits genannte Assessorin fühlte „während der Regel Druck im Unterleibe, als sollte unten alles 435 Die Beispiele IGM P 43 Fol. 117, P 42 Fol. 26, P 83 Fol. 154 und P 114 Fol. 161. Ausführlicher dazu: Stolberg: Homo patiens, S. 123–124 und S. 178–181, ähnliches belegt auch für Patientinnen Hahnemanns Brockmeyer: Schreibweisen, S. 277, ausführlicher zu den dahinter stehenden medizinischen Theorien: Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 67–73, ebenda Beispiele für derartige „Ersatzblutungen“, S. 106–108. 436 Hervorhebung im Original. Die Behandlung in IGM P 90 Fol. 70. Die Begegnung fand 1854 statt und ist nicht in der Datenbank. Sie wurde bei der Durchsicht aller Journale zufällig entdeckt. Der volle Wortlaut ist: „Ausgebliebene Periode, weil Gravida!! Abgewiesen!“. 437 IGM P 34 Fol. 183. Die junge Frau stammte aus Lienen, zusätzliche Informationen gibt es daher nicht. 438 Die meisten dieser Beschwerden werden heute unter dem Etikett des „prämenstruellen Syndroms” diskutiert: Stolberg, Michael: The Monthly Malady. A History of Premenstrual Suffering. In: Med. Hist. 44 (2000), S. 301–322. Ähnlich erging es auch den Patientinnen Hahnemanns. Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 109–110. 439 IGM P 35 Fol. 21, auch P 41 Fol. 159, P 79 Fol. 201, P 81 Fol. 97, P 82 Fol. 55, P 106 Fol. 195, P 109 Fol. 168. 440 IGM P 78 Fol. 61, P 38 Fol. 41, ähnlich P 54 Fol. 108. 441 IGM P 37 Fol. 22, auch P 40 Fol. 25, P 54 Fol. 252.
286
6 Beschwerden und Krankheiten
herausfallen“. Eine andere Frau beschrieb ihre „Schmerzen im Unterbauche, wie ein Stein darin“.442 „Kreuz- und Leibschmerzen“, Ziehen oder Drücken im Unterbauch und Krämpfe waren ständige unangenehme Begleiter des Monatlichen bei vielen Frauen.443 Häufig gingen damit auch Übelkeit, Schwindel und Erbrechen oder Verstopfung einher.444 Eine 22 Jahre alte Frau litt an „Aufblähung, Schwindel, Kopfweh und Achselgrubenschweiß und Magendrücken mit Aufstoßen“, während bei einer 38-Jährigen „Augenschmerzen“ mit steten „Thränen, die scharf sind“ auftraten.445 Eine Lehrerin aus Nordwalde berichtete von „Kopf- und Zahnschmerzen“ während der Regel und eine 24 Jahre alte Patientin aus Lienen machte in ihrer Erstanamnese überhaupt nur Angaben zu den Regelbeschwerden. Mit der schwachen Periode waren für sie „Kreuz=, Unterleib= und Oberschenkel=Schmerz“ verbunden.446 Bei jungen Mädchen setzte zum Teil in einem Alter von 13 oder 14 Jahren die Periode ein.447 Die 14-jährige Tochter eines Kaufmanns hatte sie seit einem dreiviertel Jahr, als sie Bönninghausen 1852 zum ersten Mal konsultierte. Die Blutungen waren zwar nicht stark, traten jedoch „alle 3 Wochen“ ein. Bei einer Gleichaltrigen aus Herbern war sie nach einem ersten Mal bisher seit drei Monaten ausgeblieben.448 Andererseits notierte der Freiherr bei jungen Frauen von 17, 19 oder 22 Jahren, dass sie noch keinerlei Regelblutungen gehabt hätten. Eine krasse Ausnahme war eine 32-Jährige aus Ostbevern, bei der die Periode „noch gänzlich“ fehlte, als sie 1839 zu Bönninghausen kam.449 Ähnliche Aufmerksamkeit wurde dem „Weißfluß“ gewidmet, dessen Auftreten und Konsistenz ebenfalls beschrieben wurden.450 So berichtete eine Frau von 33 Jahren, sie habe jedes Mal nach der Regel starken Weißfluss, der acht bis zehn Tage anhaltend sei.451 Auf unreinen Beischlaf ging hingegen der 442 Die Beispiele IGM P 34 Fol. 20, P 83 Fol. 252 a, P 86 Fol. 265, P 72 Fol. 220, ähnlich P 78 Fol. 117. 443 Auswahl IGM P 36 Fol. 7, P 39 Fol. 25, P 42 Fol. 75, P 46 Fol. 95, P 51 Fol. 142, P 55 Fol. 140, P 74 Fol. 48, P 77 Fol. 117, P 83 Fol. 253 b, P 85 Fol. 281, P 103 Fol. 65, P 108 Fol. 75, P 111 Fol. 96, P 113 Fol. 113, P 114 Fol. 315. 444 IGM P 38 Fol. 147, P 40 Fol. 73, P 50 Fol. 115, P 54 Fol. 17, P 80 Fol. 42, P 103 Fol. 152, P 115 Fol. 283. 445 IGM P 73 Fol. 103 und P 103 Fol. 266. 446 IGM P 106 Fol. 59 und P 37 Fol. 146, auch P 112 Fol. 219 oder P 155 (Schopmann). 447 Der Zeitpunkt der ersten Blutung bei Bönninghausens Patientinnen ist für das 19. Jahrhundert angemessen. Imhof errechnete für die Menarche ein durchschnittliches Lebensalter von 16 Jahren. Imhof: Die gewonnenen Jahre, S. 164. Heute tritt bei jungen Mädchen die Regel meist mit elf bis 14 Jahren ein. Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 101. 448 IGM P 81 Fol. 125, P 111 Fol. 138. 449 Die Betroffene IGM P 34 Fol. 47. Eine Auswahl ähnlicher Befunde IGM P 34 Fol. 46, P 39 Fol. 185, P 50 Fol. 36, P 73 Fol. 34, P 80 Fol. 284, P 83 Fol. 146, P 104 Fol. 219, P 111 Fol. 228. Die Verbindung Menstruation und „noch nicht” wird 132 Mal in der Datenbank gefunden. 450 In 311 Erstanamnesen ist das Wort „Weißfluß“ zu finden, in 16 die lateinische Bezeichnung „Fluor albus“. 451 IGM P 103 Fol. 16, auch IGM P 37 Fol. 61, P 44 Fol. 7, P 47 Fol. 134, P 74 Fol. 141, P 78 Fol. 139, P 79 Fol. 225, P 81 Fol. 171, P 82 Fol. 63, P 83 Fol. 187, P 86 Fol. 237, P 106 Fol.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
287
„scharfe“ und „freßende“ Weißfluss zurück, den die 20-jährige Betroffene wie „weißen Schleim“ beschrieb. Derartige unangenehme Ausflüsse standen aber nicht zwangsweise in Verbindung mit sexuellen Ausschweifungen, denn die Tochter des Kreissekretärs aus Münster berichtete, sie habe ihren „scharfen, fressenden Weißfluß von Jugend auf“.452 In Stadt und Regierungsbezirk Münster lag die Geburtenrate im Vergleich zu Preußen recht niedrig. Trotzdem war es ungewöhnlich, wenn sich im Lauf einer Ehe gar keine Kinder einstellten.453 Diese, so kann man vermuten, ungewollte Kinderlosigkeit wurde auch von den Patientinnen Bönninghausens thematisiert.454 Eine Gräfin begab sich 1832 zu Bönninghausen und ließ sich gezielt wegen „Unfruchtbarkeit“ behandeln. Im weiteren Behandlungsverlauf konnten die homöopathischen Mittel jedoch keine Schwangerschaft bewirken. Eine 48-Jährige aus Lengerich war „in 3 Ehen kinderlos“ geblieben, ohne dass der Freiherr hierzu weitere Bemerkungen machte. Noch Hoffnungen machte sich eine 31-Jährige, die seit sechs Jahren verheiratet, aber bisher kinderlos war. In ähnlicher Weise äußerte sich eine Frau, die seit einem Jahr verheiratet war, und noch auf Nachwuchs wartete, obwohl sie bereits 43 Jahre alt war.455 Eine 32 Jahre alte Frau aus Ottmarsbochold führte die Tatsache, dass sie in ihrer bis dahin zweieinhalbjährigen Ehe noch nicht schwanger geworden war, auf ihre „zu starke 6 Tage anhaltende Periode“ zurück. Eine drei Jahre jüngere Patientin aus demselben Dorf hatte gegen ihre bisherige Kinderlosigkeit Tropfen gebraucht, woraufhin sich Schmerzen in Kopf, Brust und Rücken einstellten, die sie homöopathisch behandeln lassen wollte. Das Ausbleiben von Nachwuchs war bei der 35 Jahre alten Gattin eines Güterhändlers durch die Trippererkrankung ihres Manns verursacht.456 Einer Dame aus Lüdenscheid, deren Alter Bönninghausen nicht nannte, war von einem Arzt erklärt worden, dass die Ursache der Unfruchtbarkeit „eine schiefe Lage der Gebärmutter“ sei. Die seit neun Jahren verheiratete Frau akzeptierte die Kinderlosigkeit nicht und bat den Freiherrn 1853 um Mittel. Ein ähnliches Urteil war bei einer 24-Jährigen gefällt worden. Sie berichtete zudem, dass ihr Mann und sie Probleme mit dem ehelichen Beischlaf hätten, indem sie „wenig reizbar“ sei und der Samenerguss zum einen sehr früh erfolge und zum anderen „das Glied nicht tief genug“ eindringen könne.457 106, P 107 Fol. 205, P 111 Fol. 96. 452 Die Beispiele IGM P 102 Fol. 316, P 43 Fol. 179, P 151 S. 285, P 50 Fol. 180, P 72 Fol. 56, P 110 Fol. 286. 453 Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 348. 454 In den Anamnesen von 60 Patientinnen finden sich solche Angaben. Bönninghausen notierte „(nupta) sine prole“. Ebenso bei dem belgischen Homöopathen: Baal: In Search, S. 234. Auch Brockmeyer: Schreibweisen, S. 267–274, Papsch: D38 Kommentar, S. 52, bei Ottenthal: Roilo: Historiae Morborum, S. 75–76. 455 IGM P 154 und P 155 (Gräfin Merfeld), P 38 Fol. 44, P 54 Fol. 115 und P 34 Fol. 164, P 114 Fol. 432. 456 Die Beispiele IGM P 75 Fol. 68, P 79 Fol. 263, P 114 Fol. 88. 457 IGM P 84 Fol. 267 und P 102 Fol. 266, auch P 86 Fol. 265. Bei der Patientin P 104 Fol. 22 beziehungsweise dem Schreiben hierzu IGM P 221/1 wies der Mann jedoch jegli-
288
6 Beschwerden und Krankheiten
Gerade bei älteren Patientinnen, die zum Teil in mehr als zehnjährigen Ehen keine Kinder zur Welt gebracht hatten, ging es kaum noch um die mögliche Änderung des Zustandes. Vielmehr gehörte für sie diese Information zu ihrer Biographie, die unter Umständen dem Freiherrn eine genauere Mittelwahl ermöglichen sollte. So hatte sich eine 39 Jahre alte Frau aus Billerbeck mit ihrer seit 18 Jahren andauernden Kinderlosigkeit abgefunden, wollte aber ihren Husten, der mit Kopf- und Unterleibsschmerzen verbunden war, behandelt wissen.458 Andere Betroffene litten über Jahre hinweg an starken Menstruationsbeschwerden oder unregelmäßigen Blutungen, deren Behandlung nun im Vordergrund stand.459 Ganz davon abgesehen, dass Bönninghausen 1860 eine Näherin behandelte, die seit vier Wochen an „Geistesverwirrung“ litt und glaubte, „sie wäre schwanger“, hatte er im Lauf seiner Praxiszeit zahlreiche Frauen als Patientinnen, die er wegen Beschwerden während der Schwangerschaft betreute.460 Zu den Leiden, mit denen sich die werdenden Mütter konfrontiert sahen, gehörte das typische „Erbrechen der Schwangeren“, aber auch Kopfschmerzen und Müdigkeit, Gliederschmerzen oder „Wehadern“ und Kurzatmigkeit, Verstopfung, Zahnschmerzen und Inkontinenz.461 Eine 38-Jährige berichtete von „Blutabgang in der Schwangerschaft“ und eine adelige Dame aus Münster hatte im siebten Monat mit „Übelkeit, Magendrücken, Soodbrennen, Verstopfung, Herzklopfen, Schlaflosigkeit“ zu kämpfen.462 Einige Leiden, mit denen die Patientinnen zu Bönninghausen kamen, standen gar nicht in direktem Zusammenhang mit der Schwangerschaft. Diese wurde nur als zusätzliche Information über den aktuellen körperlichen Zustand im Rahmen der Anamnese verstanden. Beispielsweise hatte sich eine 27-Jährige, die im letzten Monat war, mit der Krätze angesteckt und wünschte hiergegen die homöopathische Kur und eine 33 Jahre alte Militärangehörige suchte den Freiherrn in erster Linie wegen ihrer „Augenlider-Entzündung“ auf, als sie im dritten Monat schwanger war. Eine 28 Jahre alte Frau aus Lienen klagte bei Bönninghausen über Rückenschmerzen, „Stiche im Hinterkopfe, mit Hitze“, „Geschwulst der Beine“, „Verstopfung“ und „viel Durst“. che Schuld an der Kinderlosigkeit von sich. 458 IGM P 113 Fol. 180. Von den 60 Frauen waren neun seit mehr als zehn Jahren kinderlos, zum Teil hatten sie die Menopause hinter sich und waren älter als 45 Jahre (vier Patientinnen), weitere sechs waren älter als 40. 459 Zum Beispiel IGM P 55 Fol. 236, P 73 Fol. 73, P 113 Fol. 276, P 114 Fol. 431, P 115 Fol. 156. 460 IGM P 107 Fol. 73. Insgesamt waren 178 Frauen während der Behandlung schwanger. Bei 27 vermerkte Bönninghausen, dass es sich um Erstgebärende (Primipara) handelte. 461 Erbrechen: P 155 S. 9 (Osthues), P 35 Fol. 175, P 54 Fol. 221, P 114 Fol. 106, Gliederschmerzen, Müdigkeit, Inkontinenz: P 46 Fol. 90, P 108 Fol. 198, P 112 Fol. 247, P 113 Fol. 249, P 42 Fol. 141, P 106 Fol. 177, Wehadern: P 49 Fol. 40, P 81 Fol. 176, P 109 Fol. 130, Verstopfung: P 49 Fol. 185, P 50 Fol. 98, P 114 Fol. 266, Zahnschmerzen: P 74 Fol. 198, P 77 Fol. 41, P 103 Fol. 243. Alle IGM. 462 Beispiele IGM P 74 Fol. 26 und P 34 Fol. 88.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
289
Sie war im siebten Schwangerschaftsmonat. Doch notierte der Freiherr, dass es sich bei ihr eher um eine „Nervenfieber=Art“ handeln würde, woran „der Mann vor 14 Tagen“ verstorben war.463 Viele werdende Mütter wurden zusätzlich mit weiteren Sorgen belastet. Eine Frau aus Münster konsultierte Bönninghausen 1860. Sie war im fünften Monat schwanger und hatte bereits drei Fehlgeburten im siebten Monat erleben müssen. Sie bat den Freiherrn um Pulver, holte diese aber nicht ab. Anzeichen eines „Abortus im 6ten Monat“ verspürte auch eine 21-Jährige und wurde deshalb bei dem Homöopathen vorstellig.464 Die Gattin eines Kaufmanns suchte 1859 die Praxis auf. Sie hatte „Flechten an der Hand“ und war im dritten Monat schwanger. Sie berichtete, sie habe bereits drei Fehlgeburten im sechsten, siebten und achten Schwangerschaftsmonat hinter sich. Allerdings konnte Bönninghausen mit seinen Mitteln auch eine vierte Fehlgeburt nicht verhindern. Eine einzige Tochter wurde dem Ehepaar erst im Jahr 1861 geboren. Erfolgreicher war hingegen die Kur einer 32-Jährigen, die im August 1860 zu Bönninghausen kam. Sie war zu diesem Zeitpunkt im dritten Monat, hatte aber in eben diesem Zeitraum in fünf vorangegangenen Schwangerschaften Fehlgeburten erlitten. Auch nun ging wieder ein starker Blutstrom ab. Im Verlauf der Krankengeschichte notierte der Freiherr 1861 die glückliche Geburt eines Kindes, „welches lebt und sich wohl befindet“.465 Die Furcht vor einem zu frühen Abgang der Frucht war, wie bereits diese Beispiele zeigen, nicht unberechtigt. Insgesamt berichteten 77 Frauen von einer oder mehreren vorangegangenen Fehlgeburten und deren Folgen. Starke Blutflüsse waren nur eine der unangenehmen Beschwerden.466 Eine 23-Jährige aus Roxel litt „nach zweimaligem Abortus im dritten Monate“ an „Stechen und Brennen von der Hüfte bis zum Knie rechter Seite“, „Stechen und Brennen im Unterleibe“ sowie „Brennen beim Harnen“ und „Brennen und Ziehen im After und Kreuze beim Stuhlgange“. Aber auch „Brust- und Magenschmerzen“ und „Kurzathmigkeit“ konnten auftreten.467 Doch auch wenn die Strapazen der Schwangerschaft ausgestanden waren, war bei dem Gedanken an die bevorstehende Geburt nicht jeder werdenden Mutter wohl. Die 36 Jahre alte Frau eines Drechslers hatte drei Jahre zuvor bereits „ein schweres Wochenbett“ gehabt, wobei das Kind gestorben war. Ihrer bald bevorstehenden Entbindung sah sie deswegen mit Furcht entgegen und ließ sich daher von Bönninghausen behandeln. Ähnlich erging es einer 463 Die Beispiele der Reihe nach IGM P 45 Fol. 118, P 53 Fol. 160, P 54 Fol. 226, ähnlich P 75 Fol. 108, P 87 Fol. 150, P 103 Fol. 217, P 110 Fol. 182. 464 IGM P 106 Fol. 22 und P 50 Fol. 8. Auch P 114 Fol. 171 oder P 50 Fol. 8. Ähnlich erging es belgischen Patientinnen: Baal: In Search, S. 144. Auch an den Tiroler Arzt Ottenthal wandten sich Frauen mit derartigen Sorgen: Roilo: Historiae Morborum, S. 70. 465 Das erste Beispiel IGM P 106 Fol. 7 und Personenkartei Ferdinand Theissing, das zweite Beispiel P 107 Fol. 242. 466 Beispielsweise IGM P 154 S. 77 und S. 78 (Vogelsang), P 39 Fol. 71, P 46 Fol. 67, P 48 Fol. 89, P 54 Fol. 244, P 75 Fol. 72, P 81 Fol. 24, P 86 Fol. 50, P 103 Fol. 256, P 111 Fol. 185, P 115 Fol. 183. 467 IGM P 34 Fol. 80 sowie P 39 Fol. 179, P 78 Fol. 53, P 85 Fol. 215, P 86 Fol. 158.
290
6 Beschwerden und Krankheiten
29-Jährigen aus Lienen.468 Die verkürzte, weil auf ihre Gebärtätigkeit reduzierte, Lebensgeschichte der Gattin eines Bureau-Assistenten spiegelt die beständige Angst einer Frau vor der Niederkunft wider, besonders dann, wenn mit Komplikationen zu rechnen war. Die 31-Jährige war erstmals im Dezember 1853 bei Bönninghausen erschienen. Sie berichtete, sie habe „2 Kinder gehabt, welche angeblich wegen Enge des Beckens mit der Zange geboren und darauf gleich gestorben sind, mit blau und schwarzwerden“. Beide Kinder „mußten gewendet werden, wegen unrechter Lage“. Nun war sie wieder im sechsten Monat schwanger und fürchtete für das erwartete Kind ein gleiches Schicksal. Bönninghausen konnte jedoch nach erfolgreicher Behandlung notieren, dass seine Patientin am 5. März 1854 „glücklich entbunden“ worden war. Zwar war „wegen verkehrter Lage“ doch eine Zangengeburt notwendig geworden, welche „aber sehr schnell“ verlief. Die Patientin blieb neun Jahre in der homöopathischen Behandlung, konsultierte Bönninghausen aber erst 1855 wieder, als sie erneut im siebten Monat schwanger war. Das erste Kind war „nun am Leben geblieben“, wie der Freiherr noch vermerkte. Auch die Geburt 1855 verlief erfolgreich. Erst 1860 erschien die Frau erneut, wobei sie, wie man den Aufzeichnungen entnehmen kann, mittlerweile „mehre schwere Wochenbetten, mit Verblutung am 3ten Tage und Festsitzen der Nachgeburt“ überstanden hatte. In diesem Jahr war sie wieder schwanger. Im Februar 1861 wurde die Frau von ihrem achten Kind entbunden.469 Die homöopathischen Mittel wurden außerdem während des Geburtsvorganges gebraucht. Vor allem wenn bei Erstgebärenden die Wehen zu schwach waren, schien eine medikamentöse Unterstützung angebracht. Eine 28-Jährige hatte „seit 2 Uhr vorige Nacht Geburtswehen, welche nun aufgehört haben, und stattdeßen Erbrechen des Genoßenen, mit bitterer Galle, gleich nach jedem Trinken“. Bönninghausen gab die Mittel mit. Wie die Entbindung verlief, ist in seinen Notizen nicht überliefert. Das Kirchenbuch der Gemeinde Amelsbüren offenbart, dass die stolzen Eltern ihr erstes Kind, einen Sohn, am 10. April 1860 taufen lassen konnten.470 Unbekannt bleibt hingegen das Schicksal einer Frau, die mit 37 ihr erstes Kind erwartete. Auch sie hatte mit „mangelnden Wehen“ zu kämpfen.471 468 IGM P 110 Fol. 200 und P 42 Fol. 58. Von derartigen Gefühlen berichtet auch Labouvie, Eva: Unter Schmerzen gebären. Gedanken zur weiblichen Empfindung um die Geburt. In: MedGG 15 (1996), S. 79–99. 469 IGM P 87 Fol. 251. Der Sippenkartei des BAM ist zu entnehmen, dass die Frau im Dezember 1851 von einem Mädchen und im Januar 1853 von einem Knaben entbunden worden war. Beide waren als „totgeboren“ markiert und zumindest der Knabe nicht getauft worden. Die Taufe des Sohns 1854 in BAM Liebfrauen Überwasser Kirchenbuch Nr. 9 Taufen 1851–1858, 1854, Nr. 42. Die übrigen Geburten erfolgten nach der Sippenkartei im Juni 1855, Februar 1857, Juni 1858, August 1859 und Februar 1861. Bei diesen Kindern ist zumindest in der Kartei keine Todgeburt vermerkt. 470 IGM P 106 Fol. 193, BAM Amelsbüren St. Sebastian Kirchenbuch Nr. 12 Taufen 1856–1926, 10. April 1860. 471 IGM P 109 Fol. 108. Die homöopathische Hilfe wurde in sieben Fällen bei Wehen verlangt, drei der Frauen waren Erstgebärende.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
291
Da Clemens von Bönninghausen kein approbierter Arzt war und keine Ausbildung zum Geburtshelfer hatte, war er bei den Geburten seiner Patientinnen nicht anwesend. Mit Ausnahme wehenregulierender Mittel konnte die Homöopathie nicht weiter helfen. Zahlreiche Frauen, zum Teil mit den neugeborenen Kindern, kamen hinterher zu ihm und klagten über unangenehme Folgen der zurückliegenden Entbindung. Vor allem wenn „Instrumente“ verwendet worden waren und die Geburt ausgesprochen schwer war, stieg das Risiko für Mütter und Kinder, Verletzungen davon zu tragen. Eine Adelige, die 1861 in die Praxis kam, berichtete, sie habe im vorigen Jahr „eine schwere Zangengeburt“ gehabt. Dabei war ein Nerv verletzt worden. Infolgedessen litt sie an „heftigen Schmerzen erst an der Innseite, nun an dem ganzen linken Beine, mit Geschwulst des Unterschenkels gegen Abend“. Ihr Kind war „an Verletzung des Kopfs gestorben“.472 Ähnlich dramatische Erfahrungen musste eine 32-Jährige aus Bentheim machen. „Nach mehreren schweren Geburten und Mißhandlungen der Ärzte mit Instrumenten, wobei sämmtliche Kinder gestorben oder todt zur Welt gekommen“, klagte sie nun bei dem Homöopathen über „stetes unwillkührliches Harnen, am meisten nachts“. Unterleibskrämpfe, die sie ebenfalls hatte, musste sie mit Opium stillen. Besser überstanden hatte ein vier Wochen altes Kind die Zangengeburt. Zwar hatte der Knabe einen Windbruch davon getragen, aber er sei „übrigens, so wie die Mutter, ganz gesund“.473 In anderen Fällen ging die Nachgeburt nicht von selbst ab und musste „chirurgisch entfernt werden“. Eine 41 Jahre alte Frau aus Amelsbüren litt nach einem solchen Eingriff an unwillkürlichem Harnabgang und Verstopfung, außerdem war der „Wochenfluss“ ausgeblieben. Bei einer Frau aus Rotterdam war nach ihrer zweiten Entbindung die Nachgeburt manuell „durch Einführung der Hand bis zum Ellbogen“ gelöst worden. Seither hatte sie einen Gebärmuttervorfall.474 Die Zeit nach der Entbindung und im Wochenbett hielt jedoch noch ganz andere Gefahren bereit. Die 32 Jahre alte Gattin eines Hauptmanns erschien 1833 bei Bönninghausen. Seine knappe Notiz lautete zunächst „Schwind472 IGM P 109 Fol. 181. Bei sieben Entbindungen ist von der Verwendung einer Zange und bei sechs von Instrumenten die Rede. Zu der zunehmenden Verwendung von „Instrumenten“ unter dem Gesichtspunkt der Medikalisierung: Seidel, Hans-Christoph: Eine neue „Kultur des Gebärens“. Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998 (MedGG Beiheft 11), besonders S. 343–360, zu der Entwicklung der ärztlichen Geburtshilfe mit Verweis darauf, welchen Druck Qualifikationsansprüche aufbauen konnten: Kasper-Holtkotte, Cilli: Ein Intellektueller zwischen den Zeiten. Der Trierer Arzt Lion Nathan Bernkastel (1768/73–1840). In: Menora 4 (1993), S. 141–175. 473 Die Beispiele IGM P 42 Fol. 187 und P 87 Fol. 205. Ähnlich wie der 32-Jährigen erging es auch P 46 Fol. 52 und P 107 Fol. 137. „Windbruch“ ist eine Bezeichnung für einen Leistenbruch. Man ging davon aus, dass dieser durch Winde hervorgerufen wurde. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 77. 474 IGM P 74 Fol. 108 und P 87 Fol. 32, auch P 42 Fol. 90, P 73 Fol. 3 oder P 108 Fol. 1. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 164: „der schleimig blutige Erguss in den 6 Wochen post partum, Fluxus lochialis, puerperalis“.
292
6 Beschwerden und Krankheiten
sucht“. Allerdings war sie mit ihrem vierten Kind schwanger und wurde im März von einem Sohn entbunden, nachdem sie für die Wehen homöopathische Mittel erhalten hatte. In der weiteren Behandlung notierte Bönninghausen, „wahrscheinlich Kindbettfieber“, „große Aufregung“ auch „mit Hitze in der Brust“, „Stiche in der Seite“, „Frost im Schlafe“ und „übelriechende Lochien“. Bis April konstatierte der Freiherr zunehmende Schwäche bei verstärkter Hitze. Trotz der Therapie starb die Kranke Ende des Monats.475 Auch eine andere Patientin, die 1847 zu ihm in die Praxis kam, konnte Bönninghausen nicht vor dem Tod im Kindbett bewahren. Zunächst hatte er ihr knapp zwei Wochen vor der Entbindung noch Mittel für das Wochenbett gegeben. Der Freiherr notierte dann, sie habe in den Wochen „Magenschmerz mit Schlaflosigkeit und Milchfieber“. Später traten „trockene Hitze“ und eine „Halsgeschwulst“ hinzu und die Patientin verstarb am 5. Dezember. In der Traueranzeige, die unter die Notizen geklebt worden war, wurde die Todesursache mit „Frieseln und hinzugetretenem Scharlachfieber“ angegeben.476 Zwar endete nicht allzu häufig das Wochenbett mit dem Tod von Mutter und oder Kind. Aber zum Teil beschrieben die Betroffenen erhebliche gesundheitliche Beschwerden oder litten noch Jahre lang an den Folgen.477 So hatten sich bei einer 40-jährigen Kranken die „Lochine“ nicht eingestellt, sie litt außerdem an Husten, Durchfall und „Schmerzen in den Hypochondern“. Eine andere 28 Jahre alte Frau hatte in ihrem Kindbett drei „Geschwüre an der Hinterseite des Oberschenkels mit Brennen und Stechen“ bekommen.478 Wieder andere hatten Fieber, klagten über Schmerzen im ganzen Leib und litten unter Verstopfung.479 Eine 40-Jährige aus Lienen, die seit acht Wochen im Kindbett war, fühlte „nun wie ein Klump zu einer Seite der Scheide, von Gehen und Stehen schmerzhaft“. Zudem plagten sie Kreuzschmerzen „wie Lähmung“ sowie „Kopf- und Augenschmerzen“.480 Bei der Ehefrau eines Glasbläsers hatten sich die „epileptischen Anfälle“, an denen sie seit neun Jahren mehrmals am Tag litt, im Wochenbett „sehr verschlimmert“.481 Eine mitt475 IGM P 155 S. 7–8, S. 10–11, S. 13–20 (Lewald) und Personenkartei Ferdinand Theissing. „Lochien“ sind die Blutungen, die sich nach der Geburt einstellen. Pschyrembel, S. 1063. 476 IGM P 65 Fol. 185, auch P 26 Fol. 13. Die Kindbettsterblichkeit schwankte in Münster in der Zeit von 1817 und 1874 zwischen 0,34 % und 2,08 %. Hierzu Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 356. 477 Bei 412 Frauen notierte der Freiherr Beschwerden, die von diesen in Zusammenhang mit dem Wochen- und Kindbett gebracht wurden. Dies berichteten auch Patientinnen aus Belgien. Baal: In Search, S. 230. 478 Beispiele IGM P 36 Fol. 95 und P 41 Fol. 165, ähnliche Beschwerden auch P 49 Fol. 124 oder P 80 Fol. 98. 479 IGM P 43 Fol. 157, auch P 42 Fol. 155, P 45 Fol. 153, P 47 Fol. 49, P 48 Fol. 54, P 53 Fol. 218, P 72 Fol. 223, P 79 Fol. 75, P 81 Fol. 136, P 82 Fol. 66. 480 IGM P 79 Fol. 10, ähnlich P 85 Fol. 75 oder P 103 Fol. 37. 481 IGM P 106 Fol. 44. Weitere unmittelbare Folgen des Wochenbettes werden beispielsweise in IGM P 107 Fol. 96, P 108 Fol. 136, P 109 Fol. 73, P 111 Fol. 164, P 112 Fol. 324, P 113 Fol. 45 oder P 114 Fol. 7 beschrieben.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
293
lerweile 54 Jahre alte Patientin aus Glandorf gab Bönninghausen gegenüber an, sie verspüre „seit 12 bis 13 Jahren, nach dem Wochenbette, Schneiden in der linken Unterleibsseite, mit Zusammenziehen“. Andere Frauen hatten Kopfschmerzen oder „Schwäche im Kreuze und in den Beinen“ zurückbehalten oder litten an „Stuhl= und Harnverhaltung“.482 Die Gattin eines Müllers aus Münster klagte eineinhalb Jahre nach ihrem Wochenbett noch über „Stechen und Reißen in der rechten Hüfte und im Kreuze“, außerdem hatte sie Durchfall.483 Die Ehefrau eines Tanzlehrers litt 1850 immer noch an den Nachfolgen ihres sieben Jahre zurückliegenden Wochenbettes, aus dem sie einen „starken Bruch“ davon getragen hatte, der eine „Unterleibs-Entzündung“ hervorrief. Diese führte letztendlich zu einer „Bauchwassersucht“, welche „mit Geschwulst und Auslaufen der Unterschenkel und Füße“ charakterisiert wurde. Bönninghausen konnte der Patientin während der drei Konsultationen kaum helfen.484 In anderen Fällen wurden Symptome beschrieben, die heute unter die Kategorie „Wochenbettdepressionen“ fallen würden. Eine 35 Jahre alte Frau litt in den Wochen an „Geistesverwirrung“ und machte sich Sorgen „wegen der Haushaltung, welcher sie zu genüge allein außer Stande“ war. Bei einer 22-Jährigen aus Glandorf äußerte sich die „Geistesverwirrung“, die sie nach dem Wochenbette seit drei Wochen hatte, in „Verzweiflung an der Seeligkeit, nun mit Speichelfluß und Selbstvorwürfen und Gesichtsröthe und Magenschmerzen, und stetes Weinen“. In der Erstanamnese einer 33-Jährigen vermerkte Bönninghausen ausdrücklich, dass sie eine „Abneigung gegen ihr Kind“ habe. Eine mittlerweile 50 Jahre alte Frau hatte zwei Jahre zuvor ihr elftes Kind zur Welt gebracht, seither litt sie an „Angst wegen Häusliches, am schlimmsten früh und Abends, mit Unruhe und Klagen“. Die Furcht raubte ihr nachts den Schlaf und sie hatte kalte Hände und Füße.485 Zu den häufigsten und unmittelbarsten Wochenbettfolgen gehörten aber durch das Stillen wund gewordene und entzündete Brüste. So hatte eine 26-Jährige aus Telgte eine entzündete und geschwollene rechte Brust, nachdem sie seit acht Tagen „in den Wochen“ war. Bereits in ihrem anderen, mittlerweile vier Jahre zurückliegenden Kindbett war dieselbe Brust entzündet gewesen und hatte geeitert. Auch eine 31 Jahre alte Mutter aus Lengerich klagte über „Geschwulst, Verhärtungen und Brennen in beiden Brüsten, mit
482 IGM P 34 Fol. 97 und P 35 Fol. 106, ähnlich P 42 Fol. 182, P 43 Fol. 2, P 46 Fol. 15, P 47 Fol. 34. 483 IGM P 48 Fol. 155, ähnlich P 50 Fol. 101, P 72 Fol. 225, P 74 Fol. 177. 484 IGM P 75 Fol. 15 und Personenkartei Ferdinand Theissing. Der Mann heiratete erneut, wobei auf der Karte das genaue Datum nicht angegeben war. Langzeitfolgen werden auch erwähnt in: P 77 Fol. 28, P 79 Fol. 209, P 81 Fol. 23, P 86 Fol. 54, P 103 Fol. 177, P 106 Fol. 68, P 109 Fol. 163, P 112 Fol. 223, P 114 Fol. 341. 485 Die Beispiele IGM P 35 Fol. 184, P 43 Fol. 30 und P 38 Fol. 63, ähnliches in: P 47 Fol. 127 und Fol. 135, P 71 Fol. 151, P 72 Fol. 155, P 80 Fol. 19. Ganz ähnlich bei van den Berghe: Baal: In Search, S. 234–235.
294
6 Beschwerden und Krankheiten
Ausschlag an den Wangen, bei Übermaß an Milch“.486 Eine 25-jährige Magd hatte neben ihren „seit 14 Tagen eiternden Brüsten“, in denen sie „heftige Stiche und Jucken“ verspürte, noch ganz andere Sorgen. Sie war ledig, „der Schwängerer“ aber, wie Bönninghausen notierte, „nach America entwichen“. Bei einer 32 Jahre alten Mutter war nach der Geburt ihres fünften Kindes die rechte Brust entzündet, dabei war diese „oberhalb der Warze steinhart und blauroth“, außerdem beschrieb sie die Schmerzen als „mit heftigem Brennen und Stechen“. Bei keinem der anderen Kinder war ihr etwas Ähnliches geschehen. Auch nach dem Ende des Wochenbettes hatten Frauen noch lange Zeit Beschwerden, wenn sie ihre Kleinkinder säugten.487 Das Stillen war einerseits eine „billige“ Nahrung und andererseits bewahrte es sie vor Krankheiten, die durch verunreinigte Ersatznahrung hervorgerufen werden konnten. Außerdem war vielen Frauen die Wirkung des Stillens als Verhütung einer erneuten Schwangerschaft bekannt.488 Häufig notierte Bönninghausen, dass die Monatsblutung bei den Frauen ausgeblieben war, weil sie noch ein Kind „schenkten“. Den Eintritt der Periode trotz des Stillens bemerkte Bönninghausen hingegen als außergewöhnlich.489 Offensichtlich wurde auch in der Umgebung von Münster das Stillen als Teil der Familienplanung verwendet, denn in einigen Fällen offenbaren die Notizen aus den Erstanamnesen, dass Kinder bis zu einem Alter von zwei oder drei Jahren gestillt wurden.490 Ausnahmen sind die beiden Knaben, die noch mit fünf beziehungsweise sieben Jahren „geschenkt“ wurden.491 Für die Behandlung von Kindern ist die Frage, ob diese gestillt wurden noch von weiterer Bedeutung. Denn in einem solchen Fall erhielten die kleinen Patienten die Medikamente nicht selbst, sondern die Mutter sollte sie einnehmen.492 Auch in den Krankengeschichten der stil486 Die Beispiele IGM P 86 Fol. 165, P 34 Fol. 103, P 103 Fol. 44 und P 112 Fol. 95. Ähnliches unter anderen in: P 35 Fol. 57, P 44 Fol. 150, P 45 Fol. 40, P 50 Fol. 165, P 52 Fol. 23, P 72 Fol. 4, P 74 Fol. 134, P 77 Fol. 102, P 79 Fol. 94, P 81 Fol. 59, P 85 Fol. 11, P 106 Fol. 50, P 110 Fol. 251, P 112 Fol. 295, P 115 Fol. 243. 487 Bei 325 Patienten machte Bönninghausen eine Notiz dazu, ob die Mütter gerade stillten oder ob die Kinder noch gesäugt wurden oder nicht. Eine künstliche Nahrung vermerkte er bei 70 Kindern. 488 Imhof, Arthur: Einführung in die Historische Demographie, München 1977, S. 76–79 und Arnold, Klaus: Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance, Paderborn/ München 1980, S. 33. Zu unterschiedlichen Stillgewohnheiten auch Unterkircher: Start, S. 66–68. 489 IGM P 43 Fol. 140, P 51 Fol. 45, P 82 Fol. 91, P 106 Fol. 245. 490 Auswahl IGM P 50 Fol. 155, P 75 Fol. 17, P 76 Fol. 19, P 77 Fol. 239, P 80 Fol. 78, P 81 Fol. 173, P 84 Fol. 271, P 86 Fol. 127, P 103 Fol. 148, P 104 Fol. 244, P 109 Fol. 125, P 110 Fol. 231, P 113 Fol. 32, P 115 Fol. 331. Hierzu Teuteberg: Bevölkerungsentwicklung, S. 354 im Zusammenhang von Säuglingsernährung und Säuglingssterblichkeit. Er mahnt weitere Forschungen an. Die hier vorliegenden Ergebnisse und weitere Auswertungen können aus unerwarteten Quellen hierzu weitere Informationen geben. 491 IGM P 110 Fol. 289 und P 115 Fol. 182. 492 Ausdrücklich P 43 Fol. 188 oder P 34 Fol. 188. Hierzu Hahnemann: Organon 6 § 284 (Fußnote), S. 300. Für die Therapie Hahnemanns ist dies belegt: Papsch: D38 Kommen-
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
295
lenden Mütter zeichnen sich zum Teil bewegende Einzelschicksale ab. Eine 41-Jährige kam zu Bönninghausen in die Behandlung, weil ihr „das an Terminen leidende“ Kind die Brustwarzen zerbissen hatte. Beide Brüste waren nun hart, entzündet und abwechselnd heiß und kalt. Das Kind aber war an den Krämpfen sechs Wochen zuvor gestorben. Und eine 26-jährige Mutter konnte „nach dem Tode ihres, am Stickhusten in allop.(athischer) Beh.(andlung) gestorbenen Kindes, ihre Milch nicht vertreiben“.493 Ältere Patientinnen, die sich zum ersten Mal dem Homöopathen anvertrauten, berichteten, dass ihre Menstruation bereits ausgeblieben war, machten aber gleichwohl zum Teil Angaben dazu, wie „das Monatliche“ früher beschaffen war.494 Bei einer Frau aus Rotterdam begann die Erstanamnese damit, dass sie seit 31 Jahren verheiratet sei und elf Kinder zur Welt gebracht habe. Dabei waren acht Kinder „rechtzeitig“ entbunden worden und „drei mit Abortus“. Ihre Periode hatte mit 44 aufgehört, wie alt sie 1852 war, notierte der Freiherr aber nicht. Die Beschwerden, die sie zu behandeln wünschte, standen jedoch in keinem ersichtlichen Bezug zu den einleitenden biographischen Angaben. Ganz ähnlich strukturiert war die Anamnese einer ebenfalls aus Rotterdam stammenden 57 Jahre alten Frau, deren Periode im Alter von 47 aufgehört hatte.495 Die Freifrau von Fürstenberg litt hingegen „hauptsächlich seit dem Aufhören der Monatsreinigung, an Flechten und anderen Beschwerden“. Diese waren Kopfschmerzen, die „Neigung zu Hartleibigkeit“, ein „hässlicher Geschmack im Mund“ sowie „große Schwäche mit Lähmigkeitsschmerz im Rücken und Kreuz“. Die Freifrau von Twickel klagte über „viel Herzklopfen“, seit ihre Periode in einem Alter von 45 Jahren aufgehört hatte.496 Das Enden der Regelblutungen wurde also als Teil der weiblichen Biographie begriffen und dann thematisiert, wenn nach Meinung der Betroffenen damit gesundheitliche Folgen in Verbindung standen.497
tar, S. 43. 493 IGM P 82 Fol. 83, P 51 Fol. 28. „Terminen“ sind Krämpfe, siehe Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 32. 494 Mindestens 26 Frauen berichteten in der Erstanamnese über das Ende ihrer Menstruation. Bei einer Frau ist kein Alter angegeben, je eine Frau war 41, 43 und 45 Jahre alt, drei Frauen waren 48, zehn 50, vier 51, eine 52, zwei 53 und je eine 57 und ungefähr 60 Jahre alt. Etwa IGM P 35 Fol. 152, P 74 Fol. 1, P 77 Fol. 86, P 86 Fol. 44, P 111 Fol. 1 oder P 114 Fol. 182. Auch bei Hahnemann wurde solches thematisiert: Brehme: Krankheit und Geschlecht, S. 101–104, derartige Beschwerden gab es auch bei Ottenthal: Roilo: Historiae Morborum, S. 70. 495 IGM P 81 Fol. 120 und Fol. 258, ähnlich der eingeklebte Brief zu P 106 Fol. 117. Im 19. Jahrhundert trat die Menopause bei verheirateten Frauen ungefähr mit 45 Jahren ein. Imhof: Die gewonnenen Jahre, S. 164. 496 IGM P 151 S. 111–113 und P 106 Fol. 210, ähnlich beispielsweise P 151 S. 77–78, P 77 Fol. 86, P 76 Fol. 38 hier nehmen die Beschwerden „mit Eintritt der klimakterischen Zeit“ wieder zu. 497 Hierzu Stolberg: Homo patiens, S. 180–181, Stolberg, Michael: A Woman’s Hell? Medical Perceptions of Menopause in Preindustrial Europe. In: Bull. Hist. Med. 73 (1999), S. 404–428.
296
6 Beschwerden und Krankheiten
Der Zyklus von „Monatlichem“, Schwangerschaften und der Wochenbetterfahrung oder dessen Ausbleiben gehörte zum Alltag der Patientinnen, die bei Bönninghausen vorstellig wurden. Die von ihnen geschilderten Probleme und Beschwerden, die der Homöopath dann behandelte, sind auch heute noch Begleiter dieses Zyklus und werden in entsprechenden Ratgebern besprochen.498 Der Anteil der Frauen, welche den Freiherrn wegen gesundheitlicher Probleme während oder infolge der Schwangerschaft und des Kindbettes konsultierten, nahm über die Jahre hinweg zu.499 Werdende Mütter und Wöchnerinnen brachten damit im Lauf der Tätigkeit Bönninghausens diesem und seiner homöopathischen Kur mehr Vertrauen entgegen.500 In den Krankengeschichten ist quellenbedingt aber kaum von positiven Erlebnissen die Rede. Die Betroffenen klagten vielmehr über diverse Beschwerden und Leiden, die im Zusammenhang mit diesem Zyklus aufgetreten waren. Schwangerschaft und Wochenbett waren zweifelsohne gefährliche Situationen für Frauen im 19. Jahrhundert. Die Komplikationen und Folgen in den hier angeführten Beispielen machten dies deutlich. Es muss im Dunkeln bleiben, was Frauen genau empfanden, wenn sie in zehn Jahren sieben Kinder zur Welt gebracht hatten oder nach vier ausgetragenen Kindern vier Fehlgeburten erlitten.501 Ganz davon abgesehen, dass die Mütter nach all den Strapazen oft schon wieder viel zu schnell von ihren Kindern Abschied nehmen mussten. Wie sich eine Frau fühlte, die nach zwei Fehlgeburten endlich ein Kind zur Welt gebracht hatte, das nur acht Monate alt an „Bluterbrechen“ starb, wird in den Notizen des Freiherrn nicht deutlich.502 Auch bleibt der heutigen Vorstellung überlassen, wie Frauen die Erfahrung von zum Teil bis zu zwölf Geburten 498 So deckt das Buch von Roy, Carola; Roy, Ravi: Homöopathie für Mutter und Kind. Schwangerschaft, Geburt, Kindbett, Kinderkrankheiten, Impfschäden, München 2. Auflage 1999 alle in diesem Kapitel genannten Gebiete mit homöopathischen Ratschlägen und Hinweisen ab. Auch Hahnemann behandelte derartige Leiden. Papsch: D38 Kommentar, S. 50–54, ebenso van den Berghe: Baal: In Search, S. 229–239. In der Praxis Langstaffs als ausgebildetem Geburtshelfer lag der Schwerpunkt der gynäkologischen Arbeit bei der Geburt selbst. Dabei widmete er der postnatalen Betreuung weniger Zeit. Duffin: Langstaff, S. 178–217. 499 Von den 1.163 „gynäkologischen“ Fällen (15,9 % aller Frauen), standen 824 (11,3 % aller Frauen) im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Davon entfallen auf S 1: 24 (3,8 %), S 2: 175 (7,7 %), S 3: 300 (13,0 %) und S 4: 325 (15,5 %). Die Prozentangabe in Klammern bezieht sich auf die Gesamtzahl der Frauen im jeweiligen Sample. 500 Ein ähnlicher Anstieg wurde für die Praxis des kanadischen Arztes Langstaff belegt. Man könnte dies als Nachfrage von Seiten der Frauen nach einer, neben den Hebammen, zusätzlichen medizinischen Betreuung rund um Schwangerschaft und Wochenbett deuten. Duffin: Rural Practice, S. 11–13. Zu dieser „Nachfrage von unten“ im Zusammenhang mit medizinischen Angeboten auch Loetz: Vom Kranken, Ritzmann: Faktor, Goubert, Jean-Pierre: La Médicalisation de la Société Française 1770–1830, Waterloo 1982. Zusammenfassend hierzu unter dem Gesichtspunkt der Medikalisierung: Loetz: Medikalisierung, S. 123–128 mit weiterführender Literatur. 501 IGM P 106 Fol. 150 und P 83 Fol. 51, ähnlich P 103 Fol. 75 oder P 107 Fol. 210. 502 IGM P 85 Fol. 193, auch P 40 Fol. 159, P 83 Fol. 259, P 104 Fol. 170.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
297
verarbeiteten, von denen nur drei Kinder länger am Leben geblieben waren, oder ob sie dies als gegebene Tatsache einfach hinnahmen.503 In solchen Fällen teilen die Notizen nur die körperlichen Folgen eines solchen Ereignisses mit, über die seelischen schweigen sie meistens. Wenige Ausnahmen sind die bereits erwähnten Mütter, die Furcht vor der bevorstehenden Niederkunft hatten, oder sich nach einer erlittenen Fehlgeburt, um das Kind sorgten, das sie nun unter dem Herzen trugen. Auch die Mütter, und zum Teil Väter, die Bönninghausen betreute, weil sie unter den Folgen von Trauer und Gram über ihre zu früh verstorbenen Kinder litten, sind hierzu zu zählen.504 6.5.3 Krankheiten der Kinder Clemens von Bönninghausen betreute in seiner Praxis mehr als 4.000 Kinder und Jugendliche bis zu einem Alter von 18 Jahren. Der Anteil der jungen Patienten stieg im Lauf der Zeit. Daher zeigt sich in der Praxis des Freiherrn, dass im 19. Jahrhundert die Homöopathie in zunehmendem Maß als besonders für Kinder geeignete Heilmethode genutzt wurde.505 Ratgeber in Form von Hausarztliteratur beschrieben, wie die „gefährlichsten Kinderkrankheiten“ homöopathisch zu behandeln seien.506 Außerdem boten manche Praktiker vorbereitete Mittel an, die in akuten Fällen sofort angewendet werden konnten. Auch Bönninghausen hatte „Bräune-Pulver“ im Programm, die Eltern auf Vorrat kaufen konnten. So standen die fünf Pulver bei der „meistens mitten in der Nacht plötzlich“ auftretenden Erkrankung zum „sofortigen Gebrauche“ zur Verfügung.507 Mit dem Wunsch, die derartig empfohlenen Mittel zu erhalten, wandte sich 1849 der Kreisgerichtsdirektor aus Ahaus an den Freiherrn. Bei dem knapp zwei Jahre alten Sohn eines Kaufmanns aus Münster war das erste Pulver „mit Erfolg gebraucht“ worden. Ermutigt durch die erfolgreiche Ver503 IGM P 79 Fol. 242, auch P 43 Fol. 173, P 86 Fol. 23 und Fol. 51, P 107 Fol. 138, P 108 Fol. 1, P 115 Fol. 308. Die Frage nach der „Verarbeitung” einer solchen, heute als traumatisch empfundenen, Erfahrung mag anachronistisch sein, da Frauen damals die Situation gar nicht als „traumatisch”, sondern als „normal“ wahrnahmen. Am Beispiel von Durchfällen bei Kleinkindern weißt darauf Schroeder-Kurth: Kulturabhängigkeit, S. 309 hin. 504 Hierzu mehr in Kapitel 6.1. 505 Baal: In Search, S. 138–139, Ritzmann: Patienten, S. 189–208. Hierzu Kapitel 5.3. 506 Beispielsweise Hellmund: Kinderkrankheiten, drei Bände oder Hartmann, Franz: Die Kinderkrankheiten und ihre Behandlung nach den Principien des homöopathischen Heilsystems, Leipzig 1852. Allgemein zur Frage von kinderspezifischen Behandlungen Ritzmann: Sorgenkinder, S. 153–234. 507 IGM P 190 Anweisung zum Gebrauche der Bräune=Pulver. Bönninghausen veröffentlichte diese im Zusammenhang mit seiner Therapie bei der Bräune ursprünglich in AHZ 1862: Bönninghausen, Clemens von: Mein Verfahren bei der häutigen Bräune. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 711–713. Zu der Frage, was als „Kinderkrankheit“ während einer bestimmten Zeit aufgefasst wurde am Beispiel der Schweiz: Ritzmann, Iris: Kinderkrankheiten und Kindersterblichkeit. Unterschiedliche Blickwinkel früher und heute. In: Hugger, Paul (Hrsg.): Kind sein in der Schweiz. Eine Kulturgeschichte der frühen Jahre, Zürich 1998, S. 301–317.
298
6 Beschwerden und Krankheiten
wendung der homöopathischen Arznei, konsultierten die Eltern Bönninghausen ein halbes Jahr später wegen eines Hustens erneut. Und obwohl der Homöopath in der Gebrauchsanweisung darauf hinwies, dass bei der Selbstbehandlung in jedem Fall mit dem ersten Mittel begonnen werden sollte und daher ein ausgegangenes Pulver sofort ersetzt werden müsse, taten dies die Eltern oft nicht. Darum war bei einem etwa Dreijährigen die Kur mit dem zweiten Mittel begonnen und, nachdem der Husten nicht abklang, Bönninghausen um Rat gefragt worden.508 Aber „Bräune“-Erkrankungen machten nur einen kleinen Teil des Krankheitsspektrums aus, das der Freiherr bei seinen kleinen Patienten zu behandeln hatte.509 Die Erkrankungshäufigkeit im Kindesalter ist und war sehr groß. Generell sind Kinder wegen des noch nicht vollständig ausgeprägten Immunsystems anfälliger für Krankheiten. Allerdings wird eine Erkrankung durch äußere Umstände begünstigt oder erschwert. Insofern sorgten im 19. Jahrhundert nach Meinung der Ärzte auch „unvernünftige Ernährung und mangelhafte Pflege“ für zahlreiche Beschwerden bei Säuglingen.510 Die Erstanamnesen der Kinder umfassten im Durchschnitt 3,7 Beschwerdegruppen. Durchweg waren sie kürzer als die Angaben von allen Kranken. Doch waren kleine Kinder gar nicht in der Lage, ihre Leiden selbst zu beschreiben, und die besorgten Eltern konnten meist nur wenige Informationen zu offensichtlichen Symptomen liefern. Auch sie waren bei der Frage, was ihr Kind empfand und wo es schmerzte auf Vermutungen angewiesen. Eine genaue Beschreibung konnten sie unmöglich geben.511 Vergleicht man die Häufigkeit der einzelnen Symptomgruppen, die in den Erstanamnesen der Kinder erwähnt wurden, mit denen des Gesamtkrankheitsspektrums, fallen Unterschiede ins Auge. Zunächst sind „Fieberzustände“ 508 Die Beispiele IGM P 74 Fol. 79, P 104 Fol. 277 und P 109 Fol. 61. Die Verwendung der Pulver auch erwähnt bei P 83 Fol. 119, P 108 Fol. 192, P 111 Fol. 265, P 112 Fol. 104, P 115 Fol. 82. 509 Bönninghausen behandelte 28 Fälle von Bräune. Er äußerte sich jedoch in mehreren Aufsätzen zu dieser gefürchteten Kinderkrankheit. Neben dem zuvor genannten Bönninghausen: Verfahren, sind dies: derselbe: Die häutige Bräune. In: Gypser: Generalregister, S. 43–46, derselbe: Explication qui m’est imposée. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 587–591 sowie derselbe: Invasion. Eine Übersetzung der Artikel in: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. 510 Prinzing: Handbuch, S. 90. Zusammenfassend über die verschiedenen Faktoren im Hinblick auf die Säuglingssterblichkeit auch Spree, Reinhard: Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, S. 49–92. Daher wurde im Kaiserreich die Säuglingsfürsorge forciert. Hierzu Butke, Silke; Kleine, Astrid: Der Kampf für den gesunden Nachwuchs. Geburtshilfe und Säuglingsfürsorge im Deutschen Kaiserreich, Münster 2004 und Stöckel, Sigrid: Säuglingsfürsorge zwischen sozialer Hygiene und Eugenik. Am Beispiel Berlins im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Berlin/New York 1996 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 91) mit weiterer Literatur. 511 Auch bei van den Berghe sind die Anamnesen der Kinder kürzer. Baal: In Search, S. 140. Hierzu Ritzmann: Patienten, S. 205. Dies wird beispielsweise in IGM P 107 Fol. 174 deutlich.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
299
der Bereich, der bei etwa einem Viertel der Kinder genannt wurde. Akute Temperaturschwankungen sind somit das häufigste Leiden der kleinen Patienten, wobei dies sowohl auf Mädchen als auch Jungen zutraf.512 In einem ähnlichen Maß wurden Beschwerden im Gesichtsbereich geschildert. Etwa 22 % der Kinder hatten Husten und 17,3 % waren wegen Probleme mit der Haut zu Bönninghausen gekommen. Hierbei traten derartige Leiden ebenfalls bei Knaben verstärkt auf, während Hautleiden eher bei Mädchen genannt wurden.513 Beschwerden im Magen-Darm-Trakt führten bei ungefähr 16 % der kleinen Patienten zu einem Besuch bei dem Freiherrn und 15,8 % der Erstanamnesen enthielten Angaben zu dem Bereich „Durst“. Im Vergleich mit dem Gesamtspektrum sind somit die Gruppen „Angesicht“ und „Haut“ nur bei den Kindern unter den häufigsten Beschwerden zu finden. Damit zeigt sich, dass Eltern nicht nur dann mit ihren Kindern zu einem Arzt gingen, wenn eine vermutete lebensbedrohende Erkrankung vorlag. Auch die belgischen kleinen Patienten litten vornehmlich an Husten, Durchfällen und Hauterkrankungen.514 Im Lauf der Praxis zeichneten sich Veränderungen ab.515 Während in der Zeit von 1829 bis 1833 die meisten Kinder wegen Husten und den gesamten Körper betreffende Beschwerden behandelt wurden, waren am Ende der Praxis Symptome im Gesicht am häufigsten. 26 % der Kinder klagte aber auch in den letzten Jahren über Husten. Fiebererkrankungen waren an dritter Position. Beschwerden an den Untergliedern waren sowohl in der Anfangszeit, als auch in den letzten Praxisjahren unter den größten Gruppen, fehlten hingegen in den beiden Zeiträumen dazwischen. Dagegen musste Bönninghausen von 1839 bis 1843 vergleichsweise viele Erkrankungen der Augen bei den jungen Patienten behandeln. „Gemeinsame Beschwerden“ waren mit etwa 15 % noch unter den großen Gruppen vertreten. Dagegen wurden Probleme mit der „Stuhlausleerung“ nur in der Zeit von 1849 bis 1853 von etwa einem Fünftel der Patienten geschildert. Aussagen zu „Durst“ waren in den letzten beiden untersuchten Zeiträumen jeweils bei 19 % Teil der Angaben. Allerdings ist es interessant zu sehen, welche Beschwerdegruppen bei Kindern im Verhältnis zu den übrigen Patienten überproportional auftraten. Symptome im Gesicht wurden zwar von 15,1 % aller Kranken beschrieben, doch entfielen von diesen Nennungen fast 48 % auf die Kinder.516 Ähnlich war es im Bereich der Nase und des Geruchs sowie mit Schnupfen.517 Auch Erkran512 Die Übersicht Tabelle 30 im Anhang. Von den „Fieberzuständen“ entfallen 341 auf Jungen (24 % aller Knaben) und 575 auf die Mädchen (28,0 %). 513 Husten bei 340 Jungen und 437 Mädchen, das sind 24 % aller Knaben und 21,3 % aller Mädchen. Symptome der Haut bei 218 Jungen (15,4 %) und 383 Mädchen (18,7 %). 514 Baal: In Search, S. 144–146. 515 Hierzu die Übersicht in Tabelle 31. 516 In 2.148 Anamnesen waren Beschwerden im „Angesicht“ vermerkt worden, 1.027 davon waren Kinder. 517 Von den 181 Betroffenen, die Schnupfen hatten, waren 74 Kinder, Nase und Geruch war bei 735 Patienten vermerkt, davon waren 352 Kinder.
300
6 Beschwerden und Krankheiten
kungen der Drüsen waren ein überwiegendes Phänomen der Kinder. Dies ist vor allem auf die „Skrofeln“ zurückzuführen, deren charakteristisches Merkmal das Anschwellen der Körperdrüsen war.518 In diesem Zusammenhang steht ebenfalls das verstärkte Auftreten von Augenentzündungen, weswegen etwa 45 % aller Augenleiden bei Kindern notiert wurden. Die „Skrofeln“ zogen fast alle Sinnesorgane in Mitleidenschaft, wobei die diversen Entzündungen gleichzeitig auftreten konnten, wie bei einem siebenjährigen Bauernjungen, bei dem sich die Krankheit in „Fließschnupfen mit Wundheit in und unter der Nase, im Wechsel mit Augen oder Ohr- Entzündung“ zeigte.519 „Aeußere Kopfbeschwerden“ wurden ebenso mehrheitlich bei Kindern erwähnt. Hier handelte es sich hauptsächlich um Ausschläge oder verstärkten Kopfschweiß.520 Position
S1
S2
S3
S4
Gesamt
1
Gemeinsame Beschwerden
Fieberzustände
Fieberzustände
Angesicht
Fieberzustände
2
Husten
Angesicht
Angesicht
Husten
Angesicht
3
Unterglieder
Husten
Husten
Fieberzustände
Husten
4
Fieberzustände
Haut
Stuhlausleerung
Durst
Haut
5
Haut
Augen
Haut
Unterglieder
Stuhlausleerung
6
Kopfweh, Zähne, Augen
Gemeinsame Beschwerden
Durst
Haut
Durst
Tabelle 31: Die häufigsten Symptomgruppen bei Kindern während der Praxiszeit.
Besonders auffallend ist, dass Beschwerden an „Schooß und Bauchring“ mehrheitlich in den Erstanamnesen von Kindern genannt wurden. Die Erklärung ist einfach. Bönninghausen behandelte sehr viele Leistenbrüche. Von den 157 derartigen Beschwerden wurden 104 bei den jüngsten Patienten angegeben.521 Eine Operation des Leidens schien bei so jungen Betroffenen noch nicht angebracht. Vielmehr hoffte man, mit der medikamentösen Unterstützung die Öffnung im Gewebe wieder zu schließen. Vornehmlich traten die Brüche bei Jungen auf, wie bei dem noch nicht einmal einen Monat alten Sohn eines Uhrmachers aus Münster, der ihn vom heftigen Schreien bekommen hatte.522 518 Näheres zu dieser Krankheit in Kapitel 6.3. Von den 472 von „Drüsen-Leiden“ Betroffenen waren 292 Kinder, 125 davon waren Mädchen und 72 Jungen. 519 IGM P 72 Fol. 168. Von den Augenleiden entfielen 45,3 % der Nennungen auf Kinder. 520 Von 824 Erstanamnesen, bei denen derartige Beschwerden genannt wurden, waren 436 solche von Kindern. Ausschläge und Kopfschweiß waren auch Symptome der Skrofeln. Bönninghausen verwendete aber diesen Namen nicht immer, wenn solche Beschwerden geschildert wurden. Hellmund: Kinderkrankheiten 2, S. 52–86. 521 Von 97 Hodenbrüchen waren ebenfalls 90 bei Kindern. Auch in der Praxis Ottenthals traten Leistenbrüche verstärkt bei Knaben auf. Unterkircher: Start, S. 65. 522 Von den 104 Leistenbrüchen traten 64 bei Knaben auf. Bis heute sind Leistenbrüche eher ein Leiden der Männer Pschyrembel, S. 742. Hierzu Hartmann: Kinderkrankheiten, S. 76–78.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
301
Natürlich traten auch in der Praxis des Freiherrn die typischen „Kinderkrankheiten“ zutage.523 Wie bereits erwähnt, war Keuchhusten die häufigste Krankheit in diesem Zusammenhang. Masern traten in 23 Fällen auf. Zwei kleine Patienten litten an Mumps, fünf an Scharlach und drei an Windpocken. Rachitis wurde bei 20 Kindern vermerkt und äußerte sich bei einem etwa vier Jahre alten Knaben aus Lienen in einem „wupelnden Gang“, einem nach hinten gebogenen Rücken und den typisch „krumm nach außen gebogenen Beinen“.524 Mit der Ausnahme von Keuchhusten und der „Skrofeln“ stellten diese Erkrankungen jedoch nicht den Großteil der Leiden der jüngsten Patienten. Es zeigte sich, dass gerade bei den kleinsten Patienten die Eltern nicht, wie es ihnen oft vorgeworfen wurde, nur bei schweren lebensbedrohlichen Erkrankungen einen Arzt aufsuchten, sondern dass sie ebenso andere Leiden behandelt wissen wollten. Besonders bei fiebrigen Krankheiten oder bei Durchfall vertrauten die Erwachsenen somit nicht nur auf die Selbstmedikation oder waren zumindest nach einer fehlgeschlagenen Eigentherapie letztendlich dazu bereit, den Homöopathen um Rat zu fragen.525 6.5.4 Soziale Schicht und Krankheit „Wo und wann immer Menschen zusammenlebten und –arbeiteten waren bestimmte Menschen besser als andere gestellt.“526 Diese „soziale Ungleichheit“ wirkt sich in sämtlichen Bereichen des Lebens aus, nicht zuletzt in Bezug auf Gesundheit und Krankheit. Mit zunehmendem Wohlstand waren und sind bessere Ernährungsmöglichkeiten, umfassendere Hygienestandards, angenehmere Wohnräume und im Fall einer Erkrankung die bessere Chance gegeben, sich von einem Arzt behandeln zu lassen. Das bedeutet nicht, dass sich Arme oder Angehörige der Unterschicht in keinster Weise um ihre Gesundheit sorgten oder versuchten, ihr Wohlergehen sicherzustellen und im Krankheitsfall nie oder nur selten einen Arzt aufsuchten.527 Allerdings waren ihre 523 Zu deren Auftreten: Prinzing: Handbuch, S. 91. 524 Tabelle 25 im Anhang. Das Beispiel IGM P 42 Fol. 81. Bei Rachitis ist wegen Vitamin D Mangels die Knochenmineralisation gestört, weswegen sich die Gliedmaßen krümmen. Pschyrembel, S. 1531–1532. Zu Keuchhusten und Skrofeln Kapitel 6.3. 525 Ritzmann: Faktor, S. 167–169 äußert die Vermutung, dass gerade Fieber- und Durchfallerkrankungen ohne die Konsultation eines Heilers behandelt wurden. Allerdings revidiert sie dies in einem anderen Aufsatz, in dem sie darauf hinweist, dass gerade in Briefen an Hahnemann der überwiegenden Mehrheit nach fieberhafte Leiden geschildert wurden. Ritzmann: Patienten, S. 198. 526 Hradil: Ungleichheit, S. 194. 527 Diese früher häufig vertretene These darf durch aktuelle Forschungen mittlerweile als widerlegt gelten. Beispielsweise Loetz: Vom Kranken, Stolberg: Heilkunde, Kinzelbach: Gesundbleiben. Eindrücklich beweist das Tagebuch Ulrich Bräkers das Gegenteil. Hoffmann, Susanne: Gesundheit und Krankheit bei Ulrich Bräker (1735–1798), Dietikon 2005 (Züricher Medizingeschichtliche Abhandlungen 297).
302
6 Beschwerden und Krankheiten
Möglichkeiten in gewissem Maß begrenzter und die tägliche Sorge um ausreichend Nahrung den wohlhabenderen Menschen unbekannt. Insofern wird seit langem über einen Zusammenhang von sozialer Schichtzugehörigkeit und Krankheit beziehungsweise Tod geforscht. Die entsprechenden Zusammenhänge waren Zeitgenossen ebenfalls nicht verborgen geblieben.528 Die entscheidende Frage ist aber, ob sich innerhalb der geschilderten Beschwerden von Bönninghausens Patienten entsprechende Unterschiede je nach Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht feststellen lassen. Betrachtet man die Krankheitsspektren der einzelnen Schichten, zeigen sich kaum gravierende Unterschiede.529 Die „großen“ Gruppen, die in der Gesamtpatientenschaft dominierten, stellten auch in den einzelnen Schichten die größten Beschwerdepotentiale dar. Einzig die Angehörigen der Mittelschicht nannten in den Erstanamnesen recht häufig Beschwerden im Bereich der „Brust“, womit dieser unter den fünf größten Gruppen zu finden ist. Ähnliches gilt für Auskünfte im Zusammenhang mit „Durst“, welche nur in der Unterschicht in erhöhtem Maß gemacht wurden. Außerdem gibt es kleine Rangunterschiede. So beklagten die meisten Patienten aus der Oberschicht eine unangenehme Beschaffenheit ihrer Darmausscheidung, während bei Unter- und Mittelschicht die meisten Betroffenen über fiebrige Erkrankungen berichteten. Die „Stuhlausleerung“ folgte in den Anamnesen der Mittelschichtangehörigen jedoch auf dem nächsten Rang, während in der Unterschicht Angaben zu Appetit noch häufiger waren. Diese wurden in den beiden oberen Schichten wiederum weniger thematisiert. Über Husten klagten zwischen 17 % und 27 % der Patienten, die einer Schicht zugeordnet werden konnten. In Mittel- und Oberschicht war dieses Leiden damit die dritthäufigste Gruppe, wenn man die Angaben der Patientinnen zu „Menstruation“ nicht berücksichtigt.530 528 Auch zeitgenössische medizinisch-statistische Handbücher differenzieren die Krankheits- und Todesfälle nach Schichtzugehörigkeit wie Oesterlen: Handbuch, Prinzing: Handbuch. Zentral für diesen Forschungsbereich in Deutschland: Spree: Soziale Ungleichheit. Die Frage unterschiedlicher Sterblichkeit je nach Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird seit dem 18. Jahrhundert diskutiert. Grundlegend: Perrenoud, Alfred: Die soziale Ungleichheit vor dem Tod in Genf im 17. Jahrhundert. In: Imhof, Arthur (Hrsg.): Die Biologie des Menschen in der Geschichte. Beiträge zur Sozialgeschichte der Neuzeit aus Frankreich und Skandinavien, Stuttgart 1978 (Kultur und Gesellschaft 3), S. 118–146. In jüngerer Zeit: Mielck, Andreas (Hrsg.): Krankheit und soziale Ungleichheit. Sozialepidemiologische Forschungen in Deutschland, Opladen 1994 sowie Babitsch, Birgit: Soziale Ungleichheit, Geschlecht und Gesundheit, Bern 2005. 529 Die absoluten Angaben in Tabellen 32 bis 34 im Anhang, die Übersicht in Tabelle 35. Graphische Darstellung der größten Gruppen in Schaubild 24. 530 Husten in den Anamnesen der Oberschicht mit 17,4 %, der Mittelschicht mit 27,7 % und der Unterschicht mit 21,1 %. Damit weichen die großen Gruppen der einzelnen Schichten von denjenigen ab, die in der Praxis van den Berghes ermittelt wurden. Patienten aus der Oberschicht litten hier eher an Asthma, Kopfweh und Hautleiden sowie Erkrankungen der Atemwege, Angehörige der Arbeiter- und Unterschicht hatten dagegen eher mit Magen-Darm-Problemen und Husten zu kämpfen, wobei sie auch über Kopfschmerzen und Hautprobleme klagten. Baal: In Search, S. 177.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
303
Position
Oberschicht
Mittelschicht
Unterschicht
Gesamt
1
Menstruation (nur Patientinnen)
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
Menstruation (nur Patientinnen)
2
Stuhlausleerung
Fieberzustände
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
3
Fieberzustände
Stuhlausleerung
Appetit
Appetit
4
Husten
Husten
Stuhlausleerung
Stuhlausleerung
5
Appetit
Appetit
Durst
Unterglieder
6
Unterglieder
Brust
Husten
Husten
Tabelle 35: Häufigste schichtspezifische Beschwerdegruppen (Gesamtspektrum).
Die Erstanamnesen der Mittelschichtangehörigen umfassten am meisten Angaben.531 Durchschnittlich notierte Bönninghausen für solche Patienten 4,6 Symptome. Für Kranke aus der Oberschicht ergab sich im Mittel eine Symptomnennung weniger. Besonders aber in der Anfangszeit der Praxis war die Anzahl der erwähnten Symptome je Patient ausgesprochen gering und betrug sowohl in der Ober- als auch der Mittelschicht gerade knapp zwei Beschwerden. Dies hängt mit den verkürzten Notizen in der Kalenderform zusammen. Demgegenüber sind in dieser Zeit verhältnismäßig wenige Kranke der Unterschicht zuzuordnen. Für die 65 Personen, auf die dies zutraf, notierte der Freiherr 3,2 Symptome.532 In den folgenden Praxisjahren waren die Erstanamnesen der Ober- und Mittelschicht durchweg länger als die der Unterschicht. Daher ist die ungewöhnlich hohe Anzahl der Beschwerden in den ersten Praxisjahren für die Unterschichtangehörigen auf eine Verzerrung in der Datengrundlage zurückzuführen. Im zweiten untersuchten Praxiszeitraum waren die Notizen allgemein länger und umfassten für die Oberschicht 4,6 Symptome, für die Mittelschicht 4,3 und die Unterschicht 3,8. Noch ein wenig ausführlicher waren die Angaben dann in der Zeit von 1849 bis 1853, während sich in den letzten Praxisjahren die Anzahl reduzierte. Angehörige der Mittelschicht machten geringfügig mehr Leiden geltend als diejenigen der Oberschicht.533 Im Verlauf der Zeit änderten sich die in den einzelnen Schichten am häufigsten angegebenen Beschwerden, ohne jedoch eine deutliche Tendenz er-
531 Die entsprechenden Angaben in Tabellen 32 bis 34 im Anhang. 532 Hier wirken sich die sehr ausführlichen Anamnesen der 26 Unterschichtangehörigen aus, die Bönninghausen noch in seinem ersten Buch notierte. Dies sind Bedienstete aus seinem eigenen Haushalt sowie von befreundeten Adeligen. Bei diesen umfassten die Erstanamnesen häufig zehn und mehr Bereiche, bei anderen Patienten aus dieser Schicht waren die Angaben mit nur zwei oder drei Symptomen viel kürzer. Auf diese 26 Personen entfielen daher auch allein 178 aller genannten Symptome. Insofern wurde für die 32 übrigen Angehörigen der Unterschicht in S 1, zu denen Angaben gemacht wurden, fast immer nur ein Symptom notiert. 533 Siehe die entsprechenden Angaben in Tabellen 32 bis 34 im Anhang. In S 3 nannten Mittelschichtangehörige 5,6 Symptome im Durchschnitt, diejenigen der Oberschicht 4,2, in der Unterschicht waren es 4,9.
304
6 Beschwerden und Krankheiten
kennen zu lassen.534 Leiden, die den ganzen Körper betrafen, wurden in den ersten Praxisjahren bei Kranken aller Schichten am meisten genannt. Dies steht damit im Zusammenhang, dass Bönninghausen zu Beginn seiner Therapie bei fast allen Erkrankten einen psorischen Ursprung vermutete und entsprechend Symptome des ganzen Körpers häufiger notierte. In diesen Jahren wurden auch zahlreiche der Beschwerdebereiche in der Unterschicht gleich häufig angegeben, was ebenfalls ein Indiz für die gleichförmigen Anamnesen ist. In den folgenden untersuchten Praxisphasen waren in dieser Schicht der Bereich der Brust, Leiden der Haut und im „Angesicht“ häufiger genannte Beschwerden, die im Gesamtspektrum der Unterschichterkrankungen nicht mehr erscheinen. Position
S1
S2
S3
S4
Gesamt
1
Gemeinsame Beschwerden
Menstruation (nur Patientinnen)
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
Fieberzustände
2
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
Fieberzustände
Unterglieder
Menstruation (nur Patientinnen)
3
Husten, Unterglieder
Stuhlbeschaffenheit
Stuhlausleerung
Menstruation (nur Patientinnen)
Appetit
4
Schwindel, Oberglieder, Haut, Gemüt, Fieber
Appetit, Husten
Durst
Appetit, Durst
Stuhlausleerung
5
Ohren und Gehör, Kopfweh
Brust
Brust
Stuhlausleerung
Husten
6
Übelkeit, Augenbeschwerden
Haut
Angesicht
Husten
Unterglieder
Tabelle 36: Die größten Beschwerdegruppen der Unterschicht.
Auch in der Mittelschicht wich das Spektrum der ersten Praxisjahre in gewissem Maß von dem aller Kranken ab. Kopfweh und Symptome im Gesicht waren hier unter den großen Gruppen vertreten. Kopfschmerzen wurden auch in der Zeit von 1849 bis 1853 vergleichsweise oft von Angehörigen dieser Schicht beklagt. In den letzten Praxisjahren finden sich außerdem verstärkt Angaben zu „Durst“ in deren Anamnesen.
534 Die Übersichten bieten Tabellen 36 bis 38.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
305
Position
S1
S2
S3
S4
Gesamt
1
Gemeinsame Beschwerden
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
Fieberzustände
Menstruation (nur Patientinnen)
2
Husten
Appetit
Menstruation (nur Patientinnen)
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
3
Kopfweh
Fieberzustände
Stuhlausleerung
Appetit
Stuhlausleerung
4
Menstruation (nur Patientinnen)
Stuhlausleerung
Appetit
Stuhlausleerung
Husten
5
Angesicht
Husten
Brust, Durst
Husten
Appetit
6
Unterleib
Brust
Kopfweh
Durst
Brust
Tabelle 37: Die größten Beschwerdegruppen der Mittelschicht.
Die wohl situierten Adeligen und Angehörigen der oberen Klasse klagten bei Bönninghausen in den ersten Jahren stärker über Zahnbeschwerden und Kopfschmerzen. In der Zeit, als der Freiherr offiziell nicht hätte praktizieren dürfen, suchten sie ihn in gleichem Maß wegen Kopfschmerzen, Husten und „Fieberzuständen“ auf. Zudem schilderten die Wohlhabenden Symptome an den Untergliedern. In den letzten Praxisjahren beklagten sie häufiger Leiden des „Angesichts“ und ließen sich deswegen von Bönninghausen behandeln. Position
S1
S2
S3
S4
Gesamt
1
Gemeinsame Beschwerden
Menstruation (nur Patientinnen)
Menstruation (nur Patientinnen)
Appetit
Menstruation (nur Patientinnen)
2
Unterglieder
Stuhlausleerung
Stuhlausleerung
Fieberzustände
Stuhlausleerung
3
Menstruation (nur Patientinnen)
Kopfweh, Husten, Unterglieder, Fieberzustände
Fieberzustände
Menstruation (nur Patientinnen)
Fieberzustände
4
Husten
Gemüthsbeschaffenheit
Appetit
Stuhlausleerung
Husten
5
Kopfweh
Augenbeschwerden
Angesicht
Unterglieder
Appetit
6
Zähne
Rücken
Kopfweh, Husten
Angesicht
Unterglieder
Tabelle 38: Die größten Beschwerdegruppen der Oberschicht.
Die am häufigsten geäußerten Leiden waren daher in den einzelnen Schichten ähnlich. Doch auch wenn „Fieberzustände“ in allen sozialen Gruppen das größte Beschwerdepotential darstellten, zeigt sich, dass Patienten der Mittelund Unterschicht derartige Leiden häufiger schilderten als Angehörige der Oberschicht. Husten war demgegenüber vornehmlich ein Symptom der Mittelschicht, ebenso waren Angaben zum Essverhalten in den Anamnesen die-
306
6 Beschwerden und Krankheiten
ser Gruppe häufiger, während Durst eher von Angehörigen der Unterschicht thematisiert wurde.535 In den Beschwerdekategorien, die seither noch nicht betrachtet wurden, kann man ebenfalls zum Teil große schichtspezifische Unterschiede feststellen.536 So beschrieben Betroffene aus der Oberschicht eher Schwindelgefühle und sie waren stärker von „Verstandesmängeln“ betroffen. Letzteres erklärt sich dadurch, dass Bönninghausen unter diese Gruppe auch „Angegriffenheit von Kopfarbeiten“ fasste.537 Derartige Beschwerden traten hauptsächlich in den geistigen und geistlichen Berufen auf, also bei Professoren, Beamten oder Klerikern, die mehrheitlich als Angehörige der Oberschicht eingestuft wurden. Auffallend ist, dass Mitglieder der oberen Gesellschaftsschichten mehr Probleme mit den Zähnen beschrieben und sich deswegen bei Bönninghausen behandeln ließen. Ob sie tatsächlich mehr Beschwerden hatten oder vielmehr nur eher dazu bereit waren, deswegen den Homöopathen zu konsultieren und sich den Zahn nicht gleich „ausreißen“ zu lassen, kann nicht beantwortet werden. Zudem schilderten Kranke aus der Oberschicht eher Beschwerden im Bereich von „After und Mastdarm“, litten verstärkt an Schnupfen und machten häufiger Angaben zu ihrer Gemütsbeschaffenheit. Über die Praxiszeit hinweg nahmen besonders die Bereiche von „Durst“ und „Appetit“ in den Anamnesen der wohlhabenderen Kranken zu.538 Patienten aus der Mittelschicht klagten häufiger über Kopfschmerzen und „äußere Kopfbeschwerden“. Auch Augen- und Ohrenleiden, sowie Symptome im Mundbereich wurden eher in dieser sozialen Gruppe beschrieben. Auf häufigere Probleme mit der Verdauung weist auch die beständige Klage über Übelkeit hin. Außerdem waren Kranke aus dem Mittelstand stärker von Erkrankungen der Atmungsorgane betroffen.539 Darauf weist der bereits erwähnte höhere Anteil von an Husten Leidenden hin.540 Ferner überwogen die Betroffenen, die Angaben zu einem übermäßigen „Genussmittelverbrauch“ machten, in dieser Schicht. Innerhalb des Krankheitsspektrums der Mittelschicht stellte sich im Verlauf der Praxis heraus, dass die Betroffenen in einigen Bereichen öfter den Homöopathen um Rat fragten. So nahm der Anteil der Erstanamnesen in denen „äußere Kopfbeschwerden“, Leiden im Zusammenhang mit Augen, Sehkraft, Ohren, Zähne, Mund, Harn sowie den Unter535 536 537 538
Hierzu Schaubild 24. Schaubilder 25 und 26, die jeweils nicht genannten Nummern sind in Schaubild 24. Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 25. Im Krankheitsspektrum der Oberschicht ist kaum eine einheitliche Zu- oder Abnahme bei den beschriebenen Beschwerden festzustellen, vielmehr gleichen die Häufigkeiten der Symptome Zickzacklinien. Appetit S 1: 0,9 %, S 2: 25,0 %, S 3: 29,6 %, S 4: 34,2 %, Gesamt: 17, 2 %, Durst: S 1: 0,4 %, S 2: 5,0 %, S 3: 15,6 %, S 4: 16,5 %, Gesamt: 7,5 %. 539 Bei „Athem“ und „Kehlkopf und Luftröhre“ übertraf der Anteil der Mittelschichtpatienten, in deren Anamnesen dergleichen erwähnt wurde, den aus den anderen beiden Schichten. 540 Bei den Patienten van den Berghes wurden Erkrankungen der Respirationsorgane und Husten besonders bei Patienten der Arbeiterklasse und der unteren Mittelklasse festgestellt. Baal: In Search, S. 177.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
307
gliedern, Kehlkopf und Luftröhre, zu. Auch über Übelkeit wurde im Lauf der Zeit immer mehr geklagt und eher Angaben zu „Durst“ und „Appetit“ gemacht.541 Angehörige der Mittelschicht erweiterten insofern die Bandbreite der Beschwerden, die sie homöopathisch behandeln lassen wollten. Die Dienste des Freiherrn nutzten sie daher am ehesten wie die eines Allgemeinarztes.
Schaubild 24: Beschwerdekategorien einzelner Schichten im Vergleich (prozentuale Angaben bezogen auf die Anzahl der Patienten einer Schicht).
In der Unterschicht waren besonders Hautkrankheiten aufgetreten. Ausschläge und Flechten erschienen öfter im „Angesicht“, einem Bereich, der in den Anamnesen dieser Schicht geringfügig häufiger auftrat als bei den beiden anderen. Auffällig ist ferner das Überwiegen der Patienten aus den unteren gesellschaftlichen Rängen bei Problemen im Zusammenhang mit „Magen und Herzgrube“. Rücken, Ober- und Unterglieder sowie der Schoßkomplex wurden ebenfalls häufiger als Sitz des Übels angegeben. Außerdem thematisierten Kranke aus der Unterschicht eher ihre körperliche Verfassung. Die Beschwer541 Äußere Kopfbeschwerden S 1: 3,5 %, S 2: 4,3 %, S 3: 9,7 %, S 4: 11,9 %, Gesamt: 8,6 %, Augenbeschwerden S 1: 5,7 %, S 2: 9,9 %, S 3: 10,3 %, S 4: 11,4 %, Gesamt: 10,0 %, Gesicht S 1: 2,8 %, S 2: 5,5 %, S 3: 5,6 %, S 4: 6,3 %, Gesamt: 5,5 %, Ohren und Gehör S 1: 2,1 %, S 2: 7,9 %, S 3: 6,8 %, S 4: 6,8 %, Gesamt: 6,5 %, Zähne und Zahnfleisch S 1: 5,0 %, S 2: 6,7 %, S 3: 7,4 %, S 4: 8,7 %, Gesamt: 7,4 %, Mund S 1: 3,5 %, S 2: 11,9 %, S 3: 12,4 %, S 4: 17,5 %, Gesamt: 13,0 %, Appetit: S 1: 1,4 %, S 2: 28,9 %, S 3: 30,9 %, S 4: 31,8 %, Gesamt: 27,1 %, Durst S 1: 0,7 %, S 2: 9,9 %, S 3: 23,2 %, S 4: 23,3 %, Gesamt: 17,5 %, Übelkeit S 1: 2,8 %, S 2: 11,9 %, S 3: 17,1 %, S 4: 18,2 %, Gesamt: 14,6 %, Harn S 1: 2,1 %, S 2: 4,7 %, S 3: 7,4 %, S 4: 9,2 %, Gesamt: 6,8 %, Kehlkopf und Luftröhre S 1: 0 %, S 2: 1,2 %, S 3: 3,5 %, S 4: 3,6 %, Gesamt: 2,6 %, Unterglieder S 1: 5,7 %, S 2: 15,8 %, S 3: 20,3 %, S 4: 22,1 %, Gesamt: 18,2 %.
308
6 Beschwerden und Krankheiten
den, gerade im Schoßbereich und dem Rücken, standen häufig in Zusammenhang mit der harten körperlichen Arbeit auf dem Feld, oder wenn man schwere Lasten tragen musste. Von „Drüsen-Leiden“ waren genauso mehr Kranke aus der Unterschicht betroffen. Da derartige Symptome vor allem bei den „Skrofeln“ genannt wurden, die überwiegend bei Kindern auftraten, plagte diese Krankheit vor allem die kleinen Patienten aus den ärmeren Bevölkerungsteilen.542 Während bei den Kranken aus der Mittelschicht eine höhere Bereitschaft festgestellt wurde, alle Beschwerden an jedem Körperteil behandeln zu lassen, fällt der Befund für die Häufigkeit der einzelnen Symptomkomplexe in der Unterschicht im Verlauf der Praxis etwas anders aus. Einerseits wurden über die Jahre hinweg mehr Beschwerden im Rücken und mit dem Magen sowie im Zusammenhang mit Blähungen und Harn gemacht. Auch Angaben bezüglich „Durst“ erscheinen häufiger.543 Andererseits wurden Symptome der Ohren und der Knochen sowie Bemerkungen zu Atem und Schnupfen kontinuierlich von weniger Kranken genannt.544 Clemens von Bönninghausen behandelte Kranke aus allen Schichten. Im Wesentlichen waren die häufigsten Beschwerden, weswegen die Betroffenen zu ihm kamen, in allen sozialen Ebenen ähnlich. Zwar waren in der Oberschicht ungewöhnliche „Stuhlbeschaffenheiten“ die häufigste Klage, während in Mittel- und Unterschicht eher „Fieberzustände“ den Weg zu Bönninghausen antreten ließen. Allerdings waren die Symptome auch jeweils in den anderen Schichten unter den Hauptleiden zu finden. Ähnliches galt für Husten, von dem alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft geplagt wurden und für den Bereich der Unterglieder. Schichtspezifische Unterschiede lassen sich dennoch erkennen. So schilderten eher Betroffene aus der Oberschicht Probleme mit oder an den Zähnen. Ähnliches galt für „Verstandesmängel“ und die Auskunft zur „Gemütsbeschaffenheit“. Patienten aus der Unterschicht kamen hingegen verstärkt mit Hautveränderungen und –erkrankungen zu Bönninghausen. Außerdem thematisierten sie eher Beschwerden der oberen und unteren Extremitäten sowie des Rückens. Bei Patienten aus der Mittelschicht überwogen dagegen eher Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt, indem sie sich über Übelkeit und in besonderem Maß über problematische „Stuhlbe-
542 Hartmann: Kinderkrankheiten, S. 449 meinte zwar, dass die Skrofeln erblich bedingt seien, allerdings wären Unreinlichkeit und mangelnde Pflege „Gelegenheitsursachen“, weswegen die Krankheit besonders in den „niederen“ Klassen verbreitet sei. Hirsch: Handbuch 1, S. 506–515 geht auf die „socialen“ Ursachen ein. 543 Magen und Herzgrube S 1: 4,6 %, S 2: 12,1 %, S 3: 13,9 %, S 4: 14,4 %, Gesamt: 13,7 %, Rücken S 1: 4,6 %, S 2: 9,9 %, S 3: 11,5 %, S 4: 11,9 %, Gesamt: 11,3 %, Harn S 1: 1,5 %, S 2: 4,2 %, S 3: 5,6 %, S 4: 5,6 %, Gesamt: 5,3 %, Durst S 1: 4,6 %, S 2: 11,6 %, S 3: 22,6 %, S 4: 25,5 %, Gesamt: 22,0 %, Blähungen S 1: 1,5 %, S 2: 1,7 %, S 3: 2,4 %, S 4: 2,5 %, Gesamt: 2,3 %. 544 Ohren S 1: 12,3 %, S 2: 5,5 %, S 3: 4,9 %, S 4: 4,7 %, Gesamt: 5,1 %, Knochen S 1: 4,6 %, S 2: 0,8 %, S 3: 0,5 %, S 4: 0,5 %, Gesamt: 0,7 %, Schnupfen S 1: 6,2 %, S 2: 1,3 %, S 3: 1,2 %, S 4: 0,6 5, Gesamt: 1,0 %, Athem S 1: 7,7 %, S 2: 7,6 %, S 3: 7,1 %, S 4: 5,8 %, Gesamt: 6,4 %.
6.5 Wer leidet woran? – Unterschiedliche Beschwerdespektren
309
schaffenheiten“ beklagten. Auch Kopfschmerzen und Symptome im Mundbereich traten in dieser sozialen Gruppe eher auf.
Schaubild 25: Beschwerden im schichtspezifischen Vergleich 1 (prozentuale Angaben bezogen auf die Angehörigen einer Schicht insgesamt).
Schaubild 26: Beschwerden im schichtspezifischen Vergleich 2 (prozentuale Angaben bezogen auf die Angehörigen einer Schicht insgesamt).
310
6 Beschwerden und Krankheiten
6.6 Clemens von Bönninghausen – Ein Allgemeinarzt? Clemens Maria Franz von Bönninghausen hielt möglicherweise nicht alle Beschwerden, die die Patienten ihm gegenüber während der Aufnahme der Erstanamnesen nannten, in seinen Notizen fest. Die Angaben jedoch, die er machte, vermitteln einen Einblick in die Leiden, mit denen die Kranken zu ihm in die Praxis kamen. Dieser ist aufgrund der Anforderungen, die an eine homöopathische Anamnese gestellt werden, ausführlicher als in durchschnittlichen überlieferten Praxisaufzeichnungen anderer Ärzte. Es ist gerade diesen Anforderungen geschuldet, aber auch zu verdanken, dass man aus den Aufzeichnungen Vieles über „zusätzliche Beschwerden“ erfährt, die rückblickend nicht immer den Anlass für die Arztkonsultation gegeben haben.545 Hierzu zählen Angaben im Bereich des Durstgefühls oder der Nahrungsunverträglichkeiten. Kaum ein Betroffener wird den Homöopathen in erster Linie deswegen aufgesucht haben, weil er eine Abneigung gegen Speck oder Sauerkraut verspürte oder ihm nach dem Verzehr derartiger Speisen übel wurde. Doch machen solche „Begleiterscheinungen“ die Krankengeschichten informationsreicher und vielfältiger. Sie vermitteln ein differenzierteres Bild davon, was Betroffene zu dieser Zeit „empfanden“ oder welche Essgewohnheiten sie hatten. Sie zeichnen ein ausführlicheres Bild vom „Gesamtbefinden“ eines Leidenden, das sich nicht nur in den „Hauptbeschwerden“ erschöpft. Die Beschreibungen der Krankheitsbilder geben nicht nur Auskunft zu den Beschwerden der Menschen, sondern sind durch ihren Entstehungskontext geprägt und zeigen, welche Informationen für Bönninghausen bezüglich der Arzneimittelwahl wichtig waren. Es wurde deutlich, dass Kranke mit jeder Art von Leiden zu Bönninghausen kamen. Sie wollten die homöopathische Kur gegen jedes „Zipperlein“ versuchen. Die meisten Klagen in den Erstanamnesen betrafen „Fieberzustände“, Auffälligkeiten in Bezug auf Appetit und „Stuhlausleerung“ oder Husten sowie körperlich gesehen den Bereich der Unterglieder. Derartige Akutsymptome, wie eine erhöhte Temperatur, Durchfall, Verstopfung oder Husten, sind auch heute für viele Menschen ein Grund, einen Arzt aufzusuchen, sofern die meist als nicht allzu ernst eingestuften Beschwerden nach einigen Tagen nicht von selbst verschwinden.546 Bei der Betrachtung der Krankheiten, die andere Ärzte im 19. Jahrhundert zu behandeln hatten, zeigte sich, dass diese häufigen 545 Dieser Kontext prägt zweifelsohne die Äußerungen. Es ist nicht bekannt, dass Bönninghausen seine Patienten dazu verpflichtete, das Organon zu lesen. Hierzu Dinges, Martin: Men’s Bodies ‘Explained’ on a Daily Basis in Letters from Patients to Samuel Hahnemann (1830–1835). In: Dinges: Patients, S. 85–118. 546 Hierzu beispielsweise die Nennung der häufigsten Beschwerden im Gesundheitsbericht für Deutschland von 1998 herausgegeben von der Gesundheitsberichterstattung des Bundes in Kapitel 3.5 Tabelle 3.5.1. Die Daten stammen aus dem Jahr 1991. Das entsprechende Kapitel ist im Internet einsehbar unter: http://www.gbe-bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gastf&p_aid=&p_knoten=FID&p_sprache=D&p_ suchstring=832, Zugriff vom 16. November 2008.
6.6 Clemens von Bönninghausen – Ein Allgemeinarzt?
311
Symptome nicht ungewöhnlich waren. Ein ausgesprochener Schwerpunkt von Leiden, mit denen die Kranken Bönninghausen im Vergleich zu anderen Ärzten besonders oft konsultierten, ließ sich daher nicht ausfindig machen. Aus heutiger Sicht ist auffällig, dass die Praxis des Freiherrn das gesamte Krankheitsspektrum abdeckte. In diesem Sinn wurde der Homöopath von den Kranken, wie jeder andere zugelassene Arzt auch, als „Allgemeinarzt“ um Rat gebeten. Allerdings war das für das 19. Jahrhundert, in dem die Spezialisierung einzelner Teilbereiche der Medizin, wie Augen- oder Kinderheilkunde, erst allmählich zur Entfaltung kam, nichts Ungewöhnliches. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang aber der verhältnismäßig große Anteil von Patienten, die Bönninghausen wegen „traumatischer Beschwerden“ behandelte. Auch das zunehmende Vertrauen von Frauen während Schwangerschaft und Wochenbett, die im Lauf der Zeit immer zahlreicher in der Praxis wurden, ist auffällig.547 Hierzu zählte ebenso der stetige Anstieg der Kranken, die Leiden im Mund sowie an Zähnen und Zahnfleisch behandeln lassen wollten. Denn für diese Bereiche standen auch zu Bönninghausens Zeiten einzelne „Spezialisten“ in Form von Chirurgen, Geburtshelfern, Hebammen oder Zahnärzten zur Verfügung. Doch therapierten auch diese „Spezialisten“ nach den tradierten Formen der damaligen „Schulmedizin“.548 Es zeigte sich, dass Kranke nicht nur mit „lebensgefährlichen“ Leiden zu Bönninghausen kamen. Oft ließen sie leichtere Symptome behandeln. Dies galt für alle Patienten gleichermaßen. Außerdem weist die große Anzahl von Krankheitsnamen, wie Keuchhusten oder Wechselfieber, darauf hin, dass der Freiherr viele akute Beschwerden therapierte, während auch lang bestehende und damit als chronisch einzustufende Leiden zum Spektrum zählten.549 547 Auch Kortum behandelte viele Frauen im Wochenbett, doch hatte er als akademisch gebildeter Arzt auch Kurse in Geburtshilfe besucht. Balster: Kortum, S. 22, S. 33 und S. 163. Und Bönninghausen behandelte mehr „traumatische Beschwerden“ als der Arzt in der Harzer Praxis, bei dem 1,5 % Verletzungen und 0,2 % chirurgische Eingriffe bei den Behandlungen waren: Thümmler: Rekonstruktion, S. 86. Bei dem kanadischen Arzt, der ebenfalls sowohl chirurgisch als auch gynäkologisch ausgebildet war, machte die Chirurgie zwischen 10,7 % (1849–1854) und 5,4 % (1872–1875) aller Eingriffe aus. Hingegen stieg der Anteil von Behandlungen im Bereich der Geburtshilfe im selben Zeitraum von 6,8 % auf 12,4 %. Duffin: Rural Practice, S. 8–13, dieselbe: Langstaff, S. 97. Bei verschiedenen Ärzten in Bayern machte deren chirurgische Praxis zwischen 2,4 % und 10,0 % aus. Stolberg: Patientenschaft, S. 22–23. 548 Vielfach begannen die Spezialisierungstendenzen bereits im 18.Jahrhundert, gelangten aber erst Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts zur vollen Ausbildung eines eigenständigen Gebietes. Beispielsweise Duffin: History, besonders S. 212–275 oder Porter: Kunst, S. 384–392, Eulner, Hans-Heinz: Das Spezialistentum in der ärztlichen Praxis. In: Artelt, Walter; Rüegg, Walter (Hrsg.): Der Arzt und der Kranke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, S. 17–34. 549 Zu dem gleichen Ergebnis kommt die Studie über die Leiden der Patienten in der Praxis van den Berghes. Baal: In Search, S. 198 (dieser behandelte ebenfalls das gesamte Krankheitsspektrum, S. 170), auch bei Ottenthal war dies der Fall: Roilo: Historiae Morborum, S. 77. Damit ist auch die Einschätzung Wormer: Physikatsberichte, S. 139 widerlegt. Heute überwiegen in homöopathischen Praxen die Kranken, die bereits seit längerem
312
6 Beschwerden und Krankheiten
Unter Einbeziehung der im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Krankheitsnamen konnte durch die ausführlicheren Beschreibungen der Anamnesen deutlich gemacht werden, welche Symptome zu einem bestimmten Krankheitsbild gehörten. Durch die ausführlicher behandelten Angaben in den Erstanamnesen jenseits von zusammenfassenden Bezeichnungen wurde ein differenzierterer Blick auf die einzelnen beklagten Leiden „von Kopf bis Fuß“ möglich. Die hier geäußerten Beschreibungen mögen teilweise auf Formulierungen im Organon oder gängige Bezeichnungen und Notationen in der Homöopathie und zugleich der „Schulmedizin“ verweisen. Bönninghausen selbst nannte in dem Entwurf eines Krankheitsbildes Beispiele, auf was die Menschen Wert legen sollten, und gab damit einen gewissen Interpretationsspielraum und ein Wortfeld vor. Allerdings erschöpften sich die geäußerten Symptome nicht in den dort angeführten Benennungen. Vielmehr weisen sie darauf hin, dass „Laien“ ein sehr breites Krankheitsvokabular aus Alltagssprache und integrierten „Fachbegriffen“ benutzten, um ihre Beschwerden darzustellen.550 Die beschriebenen Leiden geben im Rahmen der sprachlich zur Verfügung stehenden Mittel den Blick auf die „individuellen“ Erfahrungen und Empfindungen frei. Diese eröffneten eine Sicht auf die in gewissem Maß zwiespältige Verbindung von einem „traditionellen“ mit einem „modernen“ Körperverständnis.551 Einerseits wurde den körperlichen Ausscheidungen eine hohe Bedeutung beigemessen, gegebenenfalls wurden sie erzwungen. In den vorangegangenen Kuren waren Brech- und Abführmittel sowie Aderlässe genutzt worden. Es bewegten sich „Knollen“ und „Pfropfen“ vornehmlich im Hals auf und ab, Blut „drängte“ zu Kopf und bestimmte Schmerzen zogen umher. Die Beschwerden scheinen gleichsam „fließender“, „beweglicher“ und „wandelbarer“ zu sein. Andererseits wurden die Krankheiten durch Ursachen in der eigenen Umwelt erklärt. Die Leiden wurden genau lokalisiert, und man bezog sich auf entsprechende Körperorgane oder Nerven und Muskeln. Berücksichtigt man ferner, dass die Patienten des Freiherrn zunehmend aus den unteren sozialen Schichten stammten, bedeutet dies, dass jene Diskurse, die in der Frühen Neuzeit besonders in bürgerlichen Kreisen geführt wurden und dazu beitrugen, dass ein „modernes“ Körperverständnis ausgebildet wurde, sich langsam aber sicher ihren Weg in die breite Bevölkerung hinein bahnten.552 leiden, also eher chronische Krankheiten haben. Günther; Römermann: Homoeopathic Patient, S. 288–289, Sharma: Complementary Medicine, S. 24–26. 550 Stolberg: Homo patiens, S. 39. 551 Stolberg: Homo patiens, S. 281–286, derselbe: Orakel, S. 393–397. Die Diskurse, die bis 1800 aufkamen setzten sich also langsam in der breiteren Bevölkerung durch, die die Ideen vom Menschen als „reizbares“ Wesen und in gewissem Sinn als „Maschinen“ übernahmen. Zu den Diskursen und Konzepten auch Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765–1914, Frankfurt am Main 2001. 552 Stolberg führte seine Untersuchung zur Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit durch und nannte das „moderne Körperverständnis“ einen „neuen ‚bürgerlichen’ Habitus“. Er verweist eindrücklich auf die Ablehnung der Homöopathie durch das „gemeine“ Volk zu Beginn des 19. Jahrhunderts, da die Wirkungen nicht drastisch genug waren. Stolberg: Homo patiens, S. 282–283. Ein Konglomerat verschiedener Konzepte und Deutungsmu-
6.6 Clemens von Bönninghausen – Ein Allgemeinarzt?
313
Mit diesen Ausführungen wurde nicht zuletzt deutlich, dass die Krankheitsschilderungen und die damit verbundenen „persönlichen“ Erfahrungen sowohl kulturell und sozial geprägt als auch von einer gewissen Konstanz sind. Ein Körper reagiert auf bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen ähnlich, zum Teil werden diese mit nachvollziehbaren Worten charakterisiert. Welche Symptome aber wie wahrgenommen werden und wie die Betroffenen und ihre Umwelt damit umgehen, bleibt kulturell und sozial bestimmt. In ähnlicher Hinsicht wirken sich „biologische“ und „soziale“ Faktoren dahingehend aus, dass Individuen in unterschiedlichem Maß von bestimmten Beschwerden betroffen sind. Die differenzierte Betrachtung des Krankheitsspektrums entsprechend den Kategorien Geschlecht, Alter und Schicht verwies zwar darauf, dass die häufigen Symptome in allen durch diese Merkmale gebildeten Gruppen ähnlich waren. Allerdings zeigten sich in den verschiedenen Gruppen durchaus Unterschiede. So klagten Männer eher über Husten und Frauen mehr über Kopfschmerzen. Kinder hatten zumeist unter Hauterkrankungen und Drüsenkrankheiten zu leiden. Besorgte Eltern brachten ihre Sprösslinge aber nicht nur bei „lebensbedrohlichen“ Krankheiten zu dem Homöopathen. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht hatte zunächst keine gravierenden Unterschiede in den Beschwerdespektren zur Folge. Die „häufigsten“ Leiden waren in allen Schichten ähnlich. Bemerkenswert ist jedoch die eindeutige Erkenntnis, dass Oberschichtangehörige sich verstärkt um ihre Zähne sorgten und mehr über ihre „Gemütsbeschaffenheit“ Auskunft gaben. In der Unterschicht waren hingegen Erkrankungen der Haut weiter verbreitet, während die Mittelschicht von Kopfschmerzen geplagt wurde. In diesem letzteren Bereich dürften besonders die sozialen Ursachen schwerer wiegen als die biologischen. Inwieweit dies bei den Kategorien Geschlecht und Alter der Fall ist, kann nachträglich kaum entschieden werden. Wie das Kapitel zeigte, erklärten sich die Betroffenen im 19. Jahrhundert ihre Leiden zum Teil anders wie wir dies heute tun würden. Sie deuteten die Vorgänge in ihrem Körper im Rahmen ihrer Kenntnisse und Vorstellungen und diese mögen uns heute zum Teil befremdlich erscheinen. Die Namen für einzelne Krankheiten haben sich teilweise verändert, auch sie sind Teil des Wissensstandes der jeweiligen Zeit. Allerdings haben sich die prinzipiellen Anfeindungen für die Gesundheit und damit die Beschwerden, allen voran Schmerzempfindungen, derentwegen man zum Arzt geht, nur wenig gewandelt. Auch heute gibt es Unfälle, werden Kinder geboren und sind in den Krankheitsspektren geschlechtsspezifische, altersspezifische und schichtspezifische Unterschiede festzustellen. Die am häufigsten geklagten Symptome von Bönninghausens Patienten jedoch – fieberhafte Empfindungen oder ungewöhnliche „Stuhlbeschaffenheiten“ und Husten – sind immer noch präsent. ster bot beispielsweise ein Mann, der 1859 an den Freiherrn schrieb. Dieser bediente sich stets Abführmittel, um den Stuhlgang zu befördern, erklärte zugleich jedoch seine Unterleibsentzündung damit, dass er sich „durch unverdauliche Speisen die Nerven des Magens verdorben“ habe. IGM P 104 Fol. 327b zu Fol. 328.
7 Die Praxis Bönninghausens Auch wenn in vielen Veröffentlichungen über Clemens Maria Franz von Bönninghausen die Ansicht zum Ausdruck kommt, er habe sich im Bereich der Homöopathie zunächst nur „schriftstellerisch“ betätigt, weisen die ersten Notizen seiner „Heilversuche“ darauf hin, dass er recht kurze Zeit nach seiner eigenen Genesung selbst lindernd und heilend tätig wurde.1 Da sich seine Tätigkeit zunächst vor allem auf Familie und Bekannte erstreckte und der Freiherr kein Geld für seine Dienste verlangte, ergaben sich daraus vorerst keine Schwierigkeiten. Aber die Praxis wuchs, und wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, suchten in den berücksichtigten 20 Jahren mehr als 14.000 Patienten seinen Rat. Über die Tätigkeiten Bönninghausens zu Beginn seiner homöopathischen Praxis gibt ein Schriftstück seiner ersten Patientin Annette von Droste-Hülshoff Auskunft. Sie schrieb, dass der Freiherr im Jahr 1830 kaum Zeit gehabt habe, ihren Brief zu lesen und zu beantworten, da er „fortwährend verreist gewesen“ war. Seit seiner Rückkehr, die zum Zeitpunkt des Schreibens zwei Tage her war, hatte er außerdem „noch gar nicht zu Bette gehn können, so waren die Patienten über ihn hergefallen“. Die Dichterin fuhr fort: „Der Zulauf zu Bönninghausen wächst gewaltig an; er sieht schon ganz heruntergekommen davon aus, wie ich höre – der arme Schelm!“2 Zwei Jahre später berichtete Bönninghausen in einem Brief an Hahnemann über seine ungeheuren Erfolge. Diese führten dazu, dass er auch während seiner Dienstreisen quasi ununterbrochen von Kranken um Rat gefragt wurde.3 Im Jahr 1842 wurde die Praxis des Freiherrn unter die größten eines homöopathischen Arztes gezählt und anhand einer Veröffentlichung die Rechnung aufgestellt, Bönninghausen habe jährlich mehr als 3.000 neue Patienten zu behandeln.4 Auch in der Spätzeit der Praxis klagte der Freiherr gegenüber seinem guten Freund von und zu Brenken „über allzu viele Arbeit, so daß ich oft nicht weiß, 1
2
3
4
Ein genaues Datum von der eigenen Heilung ist nicht bekannt. Sie fand aber im Lauf des Jahres 1828 statt. Die Behandlung der Dichterin datiert vom 5. September 1829. Kottwitz: Leben, S. 162 und IGM P 151 S. 1. Der Brief richtete sich an Sophie von Haxthausen und ist vom 7. Juli 1830. Zitiert nach: Droste-Hülshoff: Briefe, S. 105–106. Bönninghausen war zu diesem Zeitpunkt als Verantwortlicher für das Katasterwesen viel und lange in der Provinz unterwegs. Dies gefiel ihm nicht allzu sehr, wie auch seine Briefe an den Freiherrn von und zu Brenken belegen. Conrad: Briefwechsel, S. 14 sowie Archivamt Archiv Erpernburg. Nachlaß Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867) F 52 Bönninghausen, Kottwitz: Leben, S. 127. In diesem Sinn äußert sich auch IGM P 202/12 am 11. April 1830. Der Brief in Stahl: Briefwechsel, S. 67–70, sowie eine von Bönninghausen selbst angefertigte Tabelle über den Umfang seiner Praxis, die in den Jahren 1833 und 1834 „viele Kranke von auswärts und mehr als 200 Behandelte auf der Reise“ erwähnt, in P 155 auf der letzten Seite. Hartmann, Franz: Kritik. In: AHZ 23 (1842), Sp. 96. Er bespricht den von Bönninghausen in ACS veröffentlichten Artikel „Triduum homoeopathicum“. Hierzu mehr in Kapitel 7.7.
7 Die Praxis Bönninghausens
315
woher die Zeit nehmen, um Alles gehörig zu machen“. Zu dieser Arbeit zählte Bönninghausen „das leidige Briefeschreiben“, denn „aus aller Herren Länder kommen stets Briefe an mich um Rath und Hülfe“, welche er natürlich beantworten musste.5 Diese Zitate beschreiben das Arbeitspensum eines viel beschäftigten und stets gefragten Laienheilers. Doch über die Kranken, die für diese Umtriebigkeit verantwortlich waren, erfährt man nichts oder allenfalls indirekt etwas. In den seitherigen Kapiteln war die Rede davon, welche medizinischen Kuren die Betroffenen schon ausprobiert hatten, wer sie waren und wegen welcher Beschwerden sie die Dienste des Homöopathen in Anspruch nehmen wollten. Wie eine Therapie durch den Freiherrn vonstatten ging, wo und wie die Kranken Bönninghausen aufsuchten, wie oft sie dies taten oder wie sie sich während der Behandlung verhielten, wurde noch nicht besprochen. Im folgenden Teil der Arbeit soll der dritten Forschungsfrage, die sich mit der Praxis des Freiherrn beschäftigt, nachgegangen werden. Dabei gilt es, den Rahmen einer Behandlung durch Bönninghausen aus Sicht der Kranken im weitesten Sinn abzustecken. Deutlich sind die „Vorgaben“ Hahnemanns, der es stets ablehnte, Hausbesuche durchzuführen, und darauf bestand, dass die Kranken zu ihm kommen sollten.6 Es wird im Folgenden zu untersuchen sein, wie groß der Umfang von Bönninghausens Praxis im Verlauf der einzelnen Jahre war. Aus der Sicht der Kranken bedeutet dies, wie viele neue Patienten kamen in den einzelnen Jahren zu ihm? Wie viele Konsultationen wurden durchgeführt? An wie vielen Tagen konnte man den Homöopathen überhaupt aufsuchen? Daran anknüpfend stellt sich die Frage nach dem Ort und der Zeit, wo und wann Bönninghausen zu sprechen war. Suchten in bestimmten Jahreszeiten mehr Kranke seinen Rat und wo war der Freiherr anzutreffen? Ein weiteres Teilkapitel geht der Frage nach, wie oft einzelne Patienten den Homöopathen aufsuchten, wie lange sie in seiner Behandlung blieben und wie häufig sie durchschnittlich erschienen. Entscheidend ist, wie die Kranken zu dem Homöopathen Kontakt aufnahmen, ob sie selbst kamen oder einen Boten schickten. Neben dieser „Arzt-Patient-Kommunikation“ geht es um das Verhalten einzelner Betroffener. Wie wirkten sie auf die Behandlung ein und befolgten sie alle Anweisungen des Freiherrn widerspruchslos? Am Ende der Therapie, egal wie diese ausgegangen war, steht die Frage nach der Bezahlung und dem ärztlichen Honorar, die ebenfalls thematisiert werden wird. Was von den einzelnen Kranken bis heute überdauert hat, sind die durch Bönninghausen notierten Angaben. Die ursprünglich als Gedächtnisstütze angelegten Journale erlauben es dennoch, das Verhalten und die Empfindungen 5
6
Conrad: Briefwechsel, S. 23–25, der Brief in Archivamt Archiv Erpernburg. Nachlaß Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867) F 52 Bönninghausen datierend vom 23. Februar 1857. Zu dem Zeitpunkt, als er an den Adressaten schrieb, musste er vier weitere Briefe auf Französisch, Englisch und Holländisch verfassen. Zu der Korrespondenz auch IGM P 188 Journal für Correspondenz. Für Hahnemann hierzu Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 113. Allerdings führte auch Hahnemann Hausbesuche durch, wie Nachtmann: Behandlung, S. 103 belegt.
316
7 Die Praxis Bönninghausens
der Betroffenen herauszuarbeiten. Der Freiherr selbst hatte nie an eine Publikation seiner Aufzeichnungen gedacht. Trotzdem verwendete er die Notizen in seinen zahlreichen Aufsätzen und Werken. Die Patienten erscheinen gleichsam nur noch als „Material“ oder Fälle. In einem weiteren Teil soll berücksichtigt werden, wie der Homöopath die durch ihn Behandelten in diesen Schriften darstellte und ob sich aus ihnen über die Krankengeschichten hinaus weitere Informationen ergeben. Bei der Beantwortung all dieser Detailfragen mag es scheinen, als ob die jeweiligen Betroffenen kaum eine Rolle spielten und somit aus dem Blick geraten sind. Allerdings basieren sämtliche aggregierten Daten auf den einzelnen Handlungen und Entscheidungen von Individuen. Zusammengefasst ergeben sie das Bild, das unter dem Oberbegriff der „Praxis“ abgehandelt wird. Die grundlegende Tatsache, dass es ohne die einzelnen Patienten aber gar keine Praxis gäbe, wird in dem abschließenden Teilkapitel in den Vordergrund gestellt. 7.1 Entwicklung der Praxis Nachdem Clemens Maria Franz von Bönninghausen im September 1829 seine Aufzeichnungen mit den Notizen über die Dichterin Annette von DrosteHülshoff begonnen hatte, behandelte er in diesem Jahr 64 weitere Kranke. Im folgenden Jahr stieg die Anzahl der Neupatienten, die ihn um Rat fragten, auf 445 Patienten. Bis 1833 war die Nachfrage nach seinem homöopathischen Angebot wieder rückläufig. Zwischen 1829 und 1833 begaben sich durchschnittlich 237 Erstpatienten pro Jahr in seine Behandlung.7 Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad und der Möglichkeit, sich der homöopathischen Tätigkeit nach 1835 „hauptberuflich“ zu widmen, nahm die Anzahl der Neupatienten weiter zu. Auch wenn nach der Anzeige und dem darauf erfolgten Ausübungsverbot weniger Kranke erstmals seinen Rat suchten, blieb die Zahl auf einem hohen Niveau.8 Erstaunlich ist, dass die mittlere Anzahl von Neupatienten je Jahr in der Zeit zwischen 1839 und 1843 mit etwa 905 höher lag als in den Jahren von 1849 bis 1853. In diesen Jahren, in denen Bönninghausen endlich offiziell praktizieren durfte, erschienen durchschnittlich 898 neue Kranke in seiner Praxis.9 Im Vergleich dazu war in 7 8
9
Zu diesen Angaben Tabelle 40 im Anhang. Kottwitz: Leben, S. 80. Mit Ausnahme des Jahres 1837 kamen bis einschließlich 1839 immer mehr als 1.000 neue Kranke in Bönninghausens Praxis. Die Anzahl der Neupatienten für 1834 konnte nicht ermittelt werden, da die Aufzeichnungen des Jahres noch in Kalenderform geführt wurden und Kranke nur teilweise in IGM P 1 nachgetragen wurden. 1835: 1.227 Neupatienten, 1836: 1.897 Neupatienten, 1837: 572 Neupatienten, 1838: 1.032 Neupatienten, 1839: 1.225 Neupatienten. Ab 1839 sind die Betroffenen wieder in der Datenbank verzeichnet. Die übrigen Angaben beruhen auf nachträglichen Auszählungen der Journale IGM P 1 bis P 34. Bei Kottwitz: Leben, S. 83 ist ebenfalls die Rede davon, dass der Praxisumfang Bönninghausens nach der Legalisierung seiner Tätigkeit nicht zunahm. Allgemein genoss die
7.1 Entwicklung der Praxis
317
den letzten Jahren seiner Tätigkeit die Anzahl mit etwa 803 Erstpatienten wiederum geringer, wenn auch höher als in den Anfangsjahren. Von Hahnemann ist bekannt, dass er in seiner Pariser Zeit einen viel höheren Zulauf in seiner Praxis erfuhr als jemals zuvor in seiner Laufbahn, während auch in der Praxis des belgischen Homöopathen van den Berghe die Anzahl der Neupatienten gegen Ende seiner Tätigkeit rückläufig war. Dieser empfing im Jahr etwa 487 Kranke. Eine Zahl, die Bönninghausen somit übertraf.10 Allerdings zeigen diese Daten, dass die in dem Artikel in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung vermuteten 3.000 Neupatienten je Jahr viel zu hoch gegriffen waren. Stattdessen musste sich Bönninghausen mit weit weniger behandlungswilligen Kranken begnügen. Nur in den Jahren 1839 und 1851 suchten mehr als 1.000 Patienten zum ersten Mal seine Praxis auf.11 Doch liegen die, wenn auch wechselnden, Angaben zu den jährlich aufgenommenen Neupatienten in der Praxis Bönninghausens auf einem beachtenswerten Niveau, wenn man sie mit Daten aus verschiedenen Praxen bayrischer Ärzte vergleicht. Die Ärzte mit den meisten Patienten hatten in den Jahren 1862/63 zwar mehr als 2.000 Kranke neu aufgenommen. Der Großteil der Mediziner nannte aber eher bescheidenere Anzahlen von Neuzugängen zwischen 600 und 825 Betroffenen.12 Auch die geringe Menge von Neupatienten in den Anfangsjahren der Praxis war in diesem Sinn keine Ausnahme. Üblicherweise musste jeder ärztliche Berufsanfänger sich zunächst einen gewissen Ruf und eine Klientel aufbauen.13 Nach den überwundenen „Startschwierigkeiten“ hatte Bönninghausen mehr neue Kranke im Jahr zu behandeln als der belgische Homöopath van den Berghe, der etwa 647 Erstkonsultationen jährlich verzeichnete.14 Die Anzahl der Konsultationen, die Clemens von Bönninghausen im Verlauf seiner Praxis durchführte, ist viel schwerer zu bestimmen. Aufgrund der Aufzeichnungsform konnten in der Auswertung nur diejenigen Konsultationen der Patienten berücksichtigt werden, die in die Datenbank aufgenom-
Homöopathie in den 1830er Jahren eine sehr große Popularität, die dann ein wenig zurückging. Jütte, Robert: Wo alles anfing. Deutschland. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. Länder, Schulen, Heilkundige, München 1996, S. 40–41. 10 Für Hahnemann: Dinges: Arztpraxen, S. 45, Baal: Homoeopathy, S. 243 (auf der Basis der Auswertung dreier Bücher von 1865/69, 1881/82 und 1898/1901). 11 Der Artikel Hartmann: Kritik, Sp. 96. Die absoluten Angaben zu den Neukonsultationen in Tabellen 39 und 40 im Anhang. Dass es in der Zeit von 1835 bis 1838 mehr als 1.000 Neupatienten waren Fußnote 8 in diesem Teil, zudem hat Bönninghausen im Jahr 1856 1.007 Erstkonsultationen durchgeführt. Dies sind die Journale IGM P 93 bis P 97. 12 Stolberg: Patientenschaft, S. 14–15. 13 Stolberg: Patientenschaft, S. 15. Der Arzt, der dort mit 328 Neuzugängen im Jahr die kleinste Praxis führte, war Berufsanfänger. Hierzu Thümmler: Rekonstruktion, S. 39, Oberhofer: Landpraxis, S. 180. 14 Baal: In Search, S. 51, auch van den Berghe hatte zu Beginn nur etwa 173 Neupatienten je Jahr. Ebenda, S. 48.
318
7 Die Praxis Bönninghausens
men wurden.15 De facto liegt die Anzahl der Konsultationen in den einzelnen untersuchten Jahren ab 1839 viel höher, weil Kranke in dieser Zeit zu Bönninghausen kamen, deren Erstkonsultation nicht im ausgewählten Zeitraum erfolgte und deren Angaben somit nicht berücksichtigt werden konnten. Dennoch geben die zusammengetragenen Daten erste Hinweise auf die Arbeitsleistung des Freiherrn und damit die Nachfrage von Seiten der Kranken. Für die ersten Jahre seiner Tätigkeit hatte Bönninghausen eine eigene Tabelle angefertigt, in der er die durchgeführten Konsultationen auflistete. Laut dieser Tabelle hatte der Freiherr in den Jahren 1829 und 1830 281 beziehungsweise 2.752 Konsultationen.16 Nach den Auswertungen der zur Verfügung stehenden Krankenjournale fanden in der Zeit zwischen 1829 und 1833 durchschnittlich etwa 1.092 Konsultationen im Jahr statt. Diese Anzahl erhöhte sich in der Zeit des Praxisverbotes auf etwa 3.011 Patientenkontakte je Jahr. Etwas mehr Termine führte Bönninghausen in der Zeit von 1849 bis 1853 durch, indem er hier im Mittel 3.742 Kranke je Jahr empfangen hatte. Eigentlich hätte man in diesen Jahren, in denen er offiziell die Erlaubnis zur Praxis hatte, einen höheren Zuspruch vermuten können. Entsprechend der in der Datenbank vorhandenen Angaben war die Anzahl der Konsultationen pro Jahr in den letzten Praxisjahren dagegen rückläufig und betrug durchschnittlich 2.675 Patientenkontakte.17 Besonders aber in diesen Zeiträumen dürfte sich das Fehlen der Konsultationen der Patienten aus den nicht berücksichtigten Jahren stärker auswirken und die Anzahl der durchgeführten Konsultationen daher höher liegen. Allerdings ist es kein unbekanntes Phänomen, dass der Umfang der ärztlichen Tätigkeit mit zunehmendem Alter des Therapeuten rückläufig sein kann. Es könnte sich um eine bewusste Entscheidung handeln, weniger Patienten zu sehen, weil Bönninghausen sich mit höherem Alter weniger Arbeit aussetzen wollte. Jedenfalls ging auch in der Praxis des kanadischen Landarztes Langstaff die durchschnittliche Anzahl von Krankenbesuchen in den letzten Tätigkeitsjahren zurück. Ähnliches wurde in der Praxis des Tiroler Arztes Ottenthal beobachtet.18 15
Bönninghausen thematisiert dieses Problem selbst in: Bönninghausen: Triduum, S. 38. Allerdings geht auch aus den Journalen Hahnemanns der Umfang der Tätigkeit nicht mit letzter Genauigkeit hervor, weil er nicht immer alle Behandlungen konsequent verzeichnete. Bußmann: D6 Kommentar, S. 3. Gleiches gilt für die Praxis van den Berghes. Baal: Homoeopathy, S. 242. 16 Bönninghausens Tabelle in IGM P 155 auf der letzten beschriebenen Seite, nicht paginiert. Anhand der Krankenjournale beziehungsweise der Datenbank können jedoch nur 1.483 Konsultationen für das Jahr 1830 belegt werden. Besonders die Aufzeichnungen zwischen Februar und Juni 1830 sind in dem verlorenen Bändchen enthalten (hierzu Kapitel 2). Insofern stellt die hier genannte Zahl den einzigen greifbaren Hinweis auf die Praxis Bönninghausens in dieser Zeit dar. 17 Zu diesen Angaben Tabelle 41 im Anhang. 18 Zu Langstaff: Duffin: Langstaff, S. 36, Tabelle 2.2, für Ottenthal: Oberhofer: Landarztpraxis, S. 181 sowie Roilo: Historiae Morborum, S. 65. Gleiches legen auch die Daten nahe, die Auskunft über einen weiteren kanadischen Arzt geben. Roland; Rubashewsky: Economic Status, S. 35, ebenso Faure: Clientèle, S. 181.
7.1 Entwicklung der Praxis
319
Die Anzahl der im Jahr durchgeführten Konsultationen und Neubesuche gibt an sich noch keinen Aufschluss über das tagtägliche Arbeitsaufkommen oder den Andrang in der Praxis. Eine Auswertung der Tage, an denen Bönninghausen Kranke empfing, ergab, dass er im Lauf seines Lebens immer mehr Zeit in die Betreuung seiner Patienten investierte und in den letzten Tätigkeitsjahren fast täglich Betroffene betreute. Zwischen 1859 und 1863 war der Freiherr an etwa 361 Tage im Jahr für Leidende zu sprechen. In den Anfangsjahren, als er seine Praxis nur nebenberuflich ausübte, widmete er sich durchschnittlich 218 Tage im Jahr den Hilfesuchenden. In der Zeit, in der er offiziell nicht praktizieren durfte, stieg die durchschnittliche Anzahl von Tagen, an denen er seiner Heiltätigkeit nachging, auf 264 Tage und nahm in den Jahren seiner nun erlaubten Tätigkeit auf 337 Tage im Jahr zu. Damit ist Bönninghausens eigene Aussage widerlegt, er habe in dieser Zeit lediglich an drei Tagen in der Woche Patienten empfangen.19 Wie die Ausführungen zeigten, war die Anzahl der zu bewältigenden Konsultationen und Neupatienten schwankend, während Bönninghausen immer mehr Zeit seiner eigenen Praxis widmete. Zum Ende seiner Tätigkeit hin stand er fast täglich für die Kranken zur Verfügung. Auch in den ersten Wochen des Jahres 1864 war der Freiherr für die Patienten persönlich zu sprechen. Bis zum 22. Januar sind die Erstanamnesen der Patienten zweifelsohne von Bönninghausen selbst notiert worden. Inwieweit er in den folgenden Tagen noch Kranke betreute, ist nicht mehr festzustellen. Laut den Angaben des Sohns nahm der Freiherr zumindest an seiner eigenen Behandlung weiterhin regen Anteil.20
19 Solches behauptete er für 1842 in Bönninghausen: Triduum, S. 38 und für 1850 in einem Brief an die Regierung in Münster datierend vom 16. September 1850, der in AHZ 41 (1851), Sp. 13–16 abgedruckt wurde. Damit hätte der Freiherr an lediglich 156 Tagen Kranke sehen dürften. Zwar weisen die Untersuchungen der Tage, an denen Bönninghausen behandelte regelmäßige Abstände auf, an denen kein Patientenbesuch festgestellt werden konnte. Bönninghausen nahm aber inoffiziell seine eigene Behauptung nicht so genau. Hierzu Kapitel 7.2. 20 Zwischen 1859 und 1863 arbeitete Bönninghausen durchschnittlich 361,4 Tage im Jahr. Hierzu Schaubild 27. Die Aufzeichnungen für 1864 sind in P 116 enthalten, das vom Sohn nahtlos weitergeführt wurde. Ab dem 23. Januar 1864 (IGM P 116 Fol. 17) notierte der Sohn die Anamnesen, was jedoch nicht ausschließt, dass der Freiherr weiterhin Einfluss auf die Therapien der Patienten nahm. Auch am Todestag kamen sechs Patienten erstmals in die Praxis des Homöopathen (IGM P 116 Fol. 26 bis Fol. 32). Zu den „letzten Tagen“ Bönninghausens: Mayer: Manen, S. 94–95. Auch der Arzt Ottenthal behandelte am Tag vor seinem Tod Kranke. Roilo: Historiae Morborum, S. 58, gleiches galt für den Nürnberger Arzt Osterhausen: Kirste, Hans: Der Tageslauf eines Nürnberger praktischen Arztes um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. In: MMW 48 (1937), S. 1910.
320
7 Die Praxis Bönninghausens
Schaubild 27: Mittlere Werte der Erstkonsultationen, Konsultationen und Arbeitstage je Jahr im Vergleich.
Was bedeuten die bisher geschilderten Entwicklungen von Erstbesuchen, weiteren Konsultationen und Arbeitstagen für das tägliche Arbeitsaufkommen des Freiherrn? Laut den eigenen Eintragungen des Homöopathen besuchten am 2. März 1836 40 neue Patienten seine Praxis.21 In den Angaben, die Bönninghausen in der Publikation im Archiv für die homöopathische Heilkunst machte und die zu der irrtümlichen Annahme führten, er habe annähernd 3.000 Erstpatienten pro Jahr aufgenommen, war von 28 Erstpatienten innerhalb von drei Tagen im April 1841 die Rede. Das würde im Mittel neun Kranken entsprechen. Tatsächlich hatte Bönninghausen die hier vorgestellten Behandlungen an fünf Tagen durchgeführt. In der Zeit vom 11. bis zum 19. April besagten Jahres hatten zwischen einem und 15 Kranke seine Dienste erstmals in Anspruch genommen.22 Während der Freiherr am 6. April 1859 elf Hilfesuchende erstmals begrüßen konnte, gab es andererseits zahlreiche Tage, an denen lediglich ein neuer Kranker den Homöopath aufsuchte.23 Zusätzlich zu den Erstkonsultationen, kamen weitere Besucher in die Praxis des Freiherrn und wollten ihre begonnene Therapie fortsetzen. So hat Bönninghausen am 21 Diese absolute Spitzenzahl wurde bei einer Durchsicht aller Krankenjournale in IGM P 14 entdeckt. Von den 40 Patienten erschienen aber 24 nur ein einziges Mal. 22 Bönninghausen: Triduum, S. 67. Die Berechnung Hartmann: Kritik, Sp. 96. Die Krankenaufzeichnungen IGM P 47 Fol. 1 bis Fol. 32. Der Freiherr hatte vier Patienten (Fol. 7, Fol. 12, Fol. 20 und Fol. 28) ausgelassen. Am 11. April hatte er einen neuen Patienten, am 12. neun, am 17. 15 und am 18. und 19. April jeweils vier. 23 Siehe P 103 Fol. 161 bis Fol. 171. Nur ein Patient: 11. April 1841 in P 47, beispielsweise am 14. März 1851 in P 78 Fol. 125 oder am 4. Juni 1861 in P 110 Fol. 169, alle IGM. Die Liste könnte beliebig erweitert werden.
7.1 Entwicklung der Praxis
321
12. Januar 1852 nicht nur einen 34 Jahre alten Bauern aus Lienen wegen „Reißen“ in Brust und Gliedern erstmals behandelt, sondern 23 weiteren Patienten seine Dienste angedeihen lassen. Wenige Tage später suchten sogar 40 Kranke den Homöopathen auf.24 Besonders in den ersten Praxisjahren, als der Freiherr seine Aufzeichnungen noch in Kalenderform führte, ist ein Überblick über die täglich geleisteten Behandlungszahlen leichter. Dabei konnte es durchaus geschehen, dass am Tag mehr als zehn oder gelegentlich mehr als 20 Kranke den Freiherrn aufsuchten. Allein am Weihnachtstag des Jahres 1830 verzeichnete der Homöopath 31 Besucher. Davon waren 18 neu in der Behandlung.25 Andererseits gab es immer wieder Tage, an denen kein einziger Patient nach einer homöopathischen Behandlung fragte. Diese wurden aber bis zum Tod Bönninghausens immer seltener, wie die Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitstage aufzeigte. Gerade die soeben genannten hohen Anzahlen täglicher Konsultationen stellten eher die Ausnahme denn die Regel dar. Im Mittel erschienen in der Zeit von 1829 bis 1833 etwa fünf Patienten je Arbeitstag in der Praxis des Freiherrn, bei einem von ihnen musste Bönninghausen für die ausführlichere Erstanamnese etwas mehr Zeit aufwenden.26 Während des eigentlichen Praxisverbotes konnte der Homöopath sich keineswegs zurücklehnen. Elf Konsultationen, darunter etwa drei Erstkonsultationen, notierte er pro Praxistag in seinen Büchern. Leicht rückläufig war das durchschnittliche Arbeitsaufkommen in den Jahren von 1849 bis 1853. Die Anzahl der Konsultationen verringerte sich auf 10,5 je Tag, während gerundet weiterhin knapp drei neue Patienten in den Räumen der Praxis erschienen. In den Jahren vor seinem Tod empfing der Freiherr noch zwei Kranke erstmals, während die tägliche Anzahl der Konsultationen auf sieben zurückging.27 Insofern behandelte der Freiherr in den verschiedenen Abschnitten seiner Praxistätigkeit ähnlich viele Neupatienten täglich wie der belgische Homöopath van den Berghe.28 24 Alle Erstkonsultationen in IGM P 81 Fol. 127 (12. Januar 1852) sowie Fol. 135 bis Fol. 143 (17. Januar 1852). Die übrigen Patienten ergeben sich bei Eingabe der Daten in die Konsultationsdaten der Datenbank. Auch bei Hahnemann waren gelegentlich bis zu 20 Patienten pro Tag in der Praxis. Ehinger: D36 Kommentar, S. 23. 25 Die Bücher IGM P 154 und P 155 an den entsprechenden Daten. Mehr als 20 Konsultationen zum Beispiel am 1. Juli 1830 oder am 3. September 1830, mehr als zehn Konsultationen am 11. September 1830, am 18. Oktober 1830, am 7. Dezember 1830, am 23. und 24. Juni 1831 oder am 15. Januar 1833. 26 Diese Mittelwerte entsprechen fast denjenigen von Hahnemann, der in den Journalen D2 bis D4 5,98 Konsultationen und 1,24 neue Patienten pro Tag hatte. Hörsten: D2D4 Kommentar, S. 54. 27 Die Mittelwerte der Konsultationen (K) und davon Erstkonsultationen (EK) betrugen in den Jahren 1829–1833: 4,8 K, 1,1 EK, 1839–1843: 11,4 K, 3,4 EK, 1849–1853: 10,5 K, 2,7 EK, 1859–1863: 7,4 K, 2,2 EK. Die graphische Darstellung in Schaubild 28. 28 Baal: In Search, S. 51. Van den Berghe behandelte zwischen 1869 und 1902 21.340 Patienten, im Mittel 647 neue Patienten im Jahr beziehungsweise 54 im Monat. Der Homöopath Vannier empfing zwischen 1930 und 1954 etwa drei neue Patienten am Tag. Faure: Clientèle, S. 181. Nach einer Durchsicht aller Journale dürfte Bönninghausen in seiner gesamten Praxiszeit von 1829 bis 1864 etwa 27.500 Patienten betreut haben.
322
7 Die Praxis Bönninghausens
Schaubild 28: Mittlere Anzahl der Konsultationen und Erstkonsultationen je Tag im Praxisverlauf.
Vergleicht man die Tätigkeit Bönninghausens und die Nachfrage nach seinen Diensten mit den Angaben, die aus anderen Arztpraxen zur Verfügung stehen, ist zu sehen, dass er in der Anfangszeit seiner Tätigkeit etwas mehr beschäftigt war, als beispielsweise jener unbekannte Arzt im Harz, der im Jahr 1750 im Schnitt etwa zwei neue Patienten je Tag sah, aber nur drei Konsultationen durchführte.29 Auch bewegt sich das Arbeitsaufkommen Bönninghausens in einem ähnlichen Rahmen wie das seines großen Vorbildes Samuel Hahnemann. Mit etwa elf Konsultationen je Tag übertraf der Schüler sogar das mittlere Patientenaufkommen seines Lehrers, wobei der Freiherr nie eine derartig umfangreiche Praxis führte, wie Hahnemann in seinen Pariser Jahren.30 In den „Hochzeiten“ seiner Praxis hatte der Freiherr damit ähnlich viele 29 Thümmler: Rekonstruktion, S. 39. Im Jahr 1750 behandelte der thüringische Landarzt an 273 Tagen 556 Patienten in 820 Konsultationen. Auch der Arzt Soemmerring hatte im Jahr 1796 meist nur zwei bis drei Konsultationen am Tag, auch wenn es ab und zu mehr als zehn sein konnten. Dumont: Hölderlin, S. 127. 30 Für das Patientenaufkommen Hahnemanns eine Übersicht bei Dinges: Arztpraxen, S. 45. Hahnemann hatte zwischen vier und neun Konsultationen je Tag in den verschiedenen Praxisabschnitten zwischen 1801 und 1831/32. Jütte: Patientenschaft, S. 27–29. Für 1815/16 (D12 bis D14) belegt Genneper: Patient, S. 19 zwischen zehn und 15 Konsultationen, wobei es sich bei einem bis zwei Kranken um Erstpatienten handelte. Für 1834/35 belegt Papsch: D38 Kommentar, S. 27 sogar nur drei Behandlungen je Tag. Auch die täglichen Behandlungszahlen in Hahnemanns Praxis unterlagen starken Schwankungen. Zu Beginn seiner Zeit in Leipzig hatte Hahnemann beispielsweise zwei neue Patienten je Tag und knapp sieben Konsultationen, in der Hochzeit dort zwischen 1819/20 konnten es aber auch 20 Konsultationen täglich sein. Schreiber: Leipzig, S. 138–141. Diese Nach-
7.1 Entwicklung der Praxis
323
Patienten zu behandeln wie der Bochumer Arzt Kortum, der pro Tag etwa zehn Kranke betreute.31 Demgegenüber führte der Arzt Grotjahn im Harz täglich bei neun bis 13 Kranken Behandlungstätigkeiten durch. Bei dem kanadischen Arzt Langstaff stieg die durchschnittliche Zahl der Patientenkontakte je Tag von anfänglich lediglich einem auf neun Patienten.32 Bei anderen Ärzten hingegen wurde diese Zahl bei weitem überstiegen. Diese betreuten offenbar bis zu 80 Patienten täglich. Allerdings beziehen sich diese Angaben nicht nur auf durchgeführte Konsultationen oder, wie im Fall Grotjahns, auf Hausbesuche. Die überwiegende Tätigkeit bestand bei diesen Ärzten vor allem im Ausstellen von Rezepten.33 Die hier vorgestellten Angaben zeichnen das Bild einer recht umfangreichen Praxistätigkeit Clemens von Bönninghausens. Das durchschnittliche Arbeitsaufkommen und die Anzahl der durchgeführten Konsultationen und Neupatienten sind durchaus mit denjenigen aus anderen Arztpraxen zu vergleichen. Es mag einerseits erstaunlich sein, dass der Freiherr trotz der hohen Arztdichte und damit nicht zu knappen medizinischen Versorgung der westfälischen Bevölkerung aus und um Münster über eine recht ausgedehnte und gut besuchte Praxis verfügte. Andererseits gelang es auch Ärzten, die den Lehren Hahnemanns in ihrer Therapie folgten, in anderen Städten eine etablierte
frage hängt mit der Behandlung des Fürsten Schwarzenberg zusammen. Nachtmann: Behandlung. Ebenda S. 108 auch eine Übersicht zu den durchschnittlichen Behandlungszahlen je Tag zwischen 1813 und 1830. Sie schwanken zwischen 3,6 (1813) und 10,0 (1820) je Tag. Im Jahr 1821 schwankte in den einzelnen Monaten die Anzahl der Konsultationen je Tag hingegen zwischen knapp fünf und etwa elf. Mortsch: D22 Kommentar, S. 81. 31 Balster: Kortum, S. 131. In der Praxis Goedels waren zwischen einer und 23 Behandlungen je Tag mit starken Schwankungen. Ein Durchschnittswert wurde nicht ermittelt: Wolff; Wolff: Profil, S. 571. 32 Engel: Patientengut, S. 53 und S. 94. Sie nennt für den Untersuchungszeitraum von neun Jahren 27.239 Rezepte, die Grotjahn ausstellte (3.026 im Jahr) sowie 11.755 gelegentliche und so genannte „Expreß-Besuche“ (1.306 je Jahr). Sie verzeichnete 42.113 verschiedene ärztliche Tätigkeiten. Für den kanadischen Arzt Langstaff: Duffin: Rural Practice, S. 6–7. 33 Letzteres ist für den Arzt Heim im Jahr 1795 belegt. Allerdings handelt es sich hier kaum um einen Durchschnittswert. Heischkel, Edith: Der Alltag des Arztes. In: CIBA-Zeitschrift 7 (1956) Heft 80 Der Arzt in der Goethezeit, S. 2666. Einen mittleren Wert von etwa 38 Patienten je Tag berechnete Kirste: Tageslauf, S. 1911 für den Arzt Osterhausen. In Epidemiezeiten konnten daraus auch 60 bis 70 Besuche werden. Bei beiden Ärzten handelt es sich um „gebildete“ Ärzte, deren Haupttätigkeit, ähnlich wie bei Grotjahn, im Ausstellen von Rezepten bestanden haben dürfte. Zumindest ist es schwer vorstellbar, wie ein Arzt an einem Tag 80 Kranke persönlich aufgesucht haben will. An dieser Stelle zeigt sich jedoch, wie viel Vorsicht bei der Beschreibung und der Beurteilung der ärztlichen Tätigkeit und der ermittelten Durchschnittswerte notwendig ist. Denn nicht immer geht aus den Quellen oder den Untersuchungen hervor, ob von direkten Behandlungen oder dem Ausstellen von Rezepten die Rede ist. Darauf verweist auch Stolberg: Patientenschaft, S. 5. Zu Grotjahn: Tutzke, Dieter; Engel, Regina: Tätigkeit und Einkommen eines Allgemeinpraktikers vor der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ergebnisse einer historisch-statistischen Analyse. In: Zeitschrift für die gesamte Hygiene 24 (1978), S. 460–465.
324
7 Die Praxis Bönninghausens
Praxis aufzubauen.34 Und immer wieder gibt es Beispiele dafür, dass medizinische Laien trotz des mannigfaltigen medizinischen Angebots der „Schulmedizin“ als Heiler konkurrenzfähig waren.35 Dies ist nichts Ungewöhnliches, wenn man berücksichtigt, dass Menschen nach der Effizienz der Behandlung fragten und weniger danach, ob jemand zugelassen oder Laie war.36 Die Kranken stimmten – wie übrigens auch heutzutage – mit ihren Füßen ab, von wem sie eine gute Behandlung ihrer Leiden erwarteten.37 Und wenn sie einmal Vertrauen zu einem Therapeuten gefasst hatten und deren Mittel ihnen halfen, dann stiegen die Chancen, dass sie ihm in weiteren Krankheitsfällen die Treue hielten. 7.2 Die Behandlungssituation Es ist heute üblich, dass ein Kranker seinen Arzt in dessen Praxis zu den festgelegten Sprechzeiten aufsucht. Zumeist sind dies entsprechend zweckmäßig eingerichtete und aufgeteilte Räume. Der Patient tritt ein, meldet sich an und wird üblicherweise gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen, bis ihn der Arzt in seinem Sprech- und Untersuchungszimmer empfängt. Selbstzeugnisse von Ärzten aus früheren Zeiten malen hingegen ein anderes Bild. Dort ist die Rede von einem Arzt, der unter oft widrigen Umständen Tag und Nacht unterwegs ist, um Kranke zu besuchen.38 Ein solches Los schilderte ein Arzt, der sich von seinen lang anhaltenden gesundheitlichen Problemen nicht selbst 34 Das beste Beispiel ist Hahnemann selbst, auch die Tätigkeit van den Berghes oder Arthur Lutzes. 35 Loetz belegt dies für die umfangreiche Tätigkeit eines Scharfrichters in Mannheim. Loetz: Vom Kranken, S. 232. Ebenda auf den folgenden Seiten weitere Beispiele. Derartige Personen wurden als ernst zu nehmende Konkurrenz, da sie durchaus auch von zahlungskräftiger Kundschaft aufgesucht wurden, häufig von „Schulmedizinern“ angezeigt und entsprechend als „Pfuscher“ verurteilt. Lindemann: Krankheit und Gesundheit, S. 205– 207, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 106–108. Zur Situation in Münster Kapitel 3.3.2. 36 Dies galt für die Vergangenheit, ebenso wie es heute gilt. Loetz: Faktoren, S. 40. Hierüber geben auch die zahlreichen Klagen von Ärzten über den Zulauf zu „Pfuschern“ Auskunft. Stolberg: Patientenschaft, S. 6–9. 37 Die „Macht“, die kranke Menschen durch ihre Wahlmöglichkeit haben, und deren Auswirkung beschreibt auch Stolberg: Orakel, S. 404. 38 Zu diesem Topos: Dinges: Arztpraxen, S. 23–24, Vieler: Arztpraxis, S. 7. Dass das Leben eines Arztes anstrengend war, belegen unter anderen: Duffin: Langstaff, Kirste: Tageslauf, Engel: Patientengut, S. 52, Dumont: Hölderlin, S. 127, Tutzke; Engel: Tätigkeit, S. 462, Heischkel: Alltag, S. 2665–2668. Wann sich die stationäre Praxis eines Arztes mit Sprechstunden allgemein durchgesetzt hat, ist umstritten. Fest steht, dass deutliche Unterschiede zwischen Stadt- und Landpraxen bestanden. Siehe Stolberg: Patientenschaft, S. 4–6, Vieler: Arztpraxis, S. 2–4, Merkel, Gottlieb: Die ärztliche Sprechstunde. In: MMW 53 (1906), S. 2355–2357. Berühmte Ärzte konnten es sich eher leisten, die Kranken zu sich kommen zu lassen. Das beste Beispiel ist Samuel Hahnemann. Zu dessen Einstellung ein Brief an Dr. Ehrhardt in Merseburg abgedruckt in Haehl: Hahnemann 2, S. 153.
7.2 Die Behandlungssituation
325
heilen konnte, und daher den Rat Bönninghausens suchte. Seine Diätfehler und die mangelnde Wirksamkeit der homöopathischen Mittel entschuldigte er damit, dass er sich „bey einigen bösen Entbindungen nicht allein stark erhitzen, sondern fürchterlich seine wenigen Kräfte aufbieten mußte“, außerdem hatte er „einem unglücklichen Manne das Bein in der Lende abnehmen [müssen, M. B.], ohne guten Gehülfen zu haben. Dies und mehrere starke Turen zu Pferde bey Tag und Nacht sind gewiß Ursache, warum das Mittel nicht so würken konnte“, wie er glaubte.39 Clemens von Bönninghausen berichtete 1850 in einem Brief an die Regierung zu Münster, dass er „nie und nirgends Kranke anzulocken suche“. Vielmehr, so fuhr er fort, erschwere er den Betroffenen „den Zutritt zu mir auf eine, mir oft als unschicklich und anstößig vorgeworfene Weise, indem ich [Bönninghausen, M. B.] in meinem Hause nicht einmal ein Wartezimmer den Kranken zur regelmäßigen Verfügung gestellt habe, und doch von Jedem, ohne Unterschied, verlange, daß er selbst zu mir komme, oder im Verhinderungsfalle mir auf meiner Stube Nachricht zubringen lasse“. Hausbesuche führe er nur „in äußerst seltenen Fällen“ bei bettlägerig Kranken durch. Seine Sprechstunden wären zudem „nur die Vormittagsstunden an blos dreien Wochentagen“.40 Tatsächlich sind in den Krankenjournalen des Freiherrn nur bei vier Patienten Hausbesuche nachzuweisen, die er allesamt 1829 durchführte. Zwar behandelte Bönninghausen, gerade in den Anfangsjahren der nebenberuflich ausgeübten Praxis, häufig auf Reisen. Aber auch hier mussten die Kranken zu ihm kommen. Und wenn er in der ersten Zeit Behandlungen durchführte, während er bei Freunden zu Gast war, ist dies kaum mit einem Hausbesuch gleichzusetzen.41 39 IGM P 202/12 vom 11. April 1830, S. 2–3. Ein ähnliches „Schicksal“ belegt: Stolberg: Patientenschaft, S. 12. 40 Clemens von Bönninghausen in einem Brief an die königliche Regierung in Münster vom 16. September 1850. Dieser ist abgedruckt in AHZ 41 (1851), Sp. 14–15. Auch in Bönninghausen: Triduum, S. 47 berichtet er nur von einem Zimmer, das sich aber in einem oberen Stockwerk befand. In einem Artikel aus der Berliner Morgen-Zeitung „Die Zeit“ vom 18. August 1855 ist hingegen davon die Rede, dass „seine Empfangszimmer stets mit Hülfesuchenden angefüllt“ seien. Bönninghausen hat den Artikel in IGM P 92 hinten eingeklebt. Aber auch in anderen Arztpraxen waren Hausbesuche nicht an der Tagesordnung: Balster: Kortum, S. 210, Thümmler: Rekonstruktion, S. 49, Oberhofer: Landarztpraxis, S. 175. Der kanadische Landarzt Langstaff machte zwar in der Mehrheit der Fälle Hausbesuche, versuchte jedoch auch, eine Sprechstunde zu halten: Duffin: Rural Practice, S. 7. Der Arzt Goedel führte 1861/62 seine Praxis noch vornehmlich als Hausbesuchspraxis: Wolff; Wolff: Profil, S. 507–571. Eine Terminabsprache versuchte eine Patientin im Jahr 1831, indem sie per Brief anfragte, wann und ob sie Bönninghausen sprechen könne, IGM P 202/11, Brief vom 13. Februar 1831. 41 Dies sind die Dichterin Droste-Hülshoff (P 151 S. 1–4), eine bettlägerig Kranke (P 151 S. 89–94) und zwei adelige Damen (P 151 S. 79–87 und S. 209–212). Beispielsweise hielt sich Bönninghausen am 9. und 10. Juli in Erpernburg (genannt Erdbeerenburg) bei der befreundeten Familie von und zu Brenken auf. Er behandelte dort sowohl einzelne Familienmitglieder als auch weitere Kranke: P 154 S. 89, alle IGM. Conrad: Briefwechsel, S. 27. Bönninghausen daher in der Anfangszeit der Praxis als „fahrenden Landarzt“ zu be-
326
7 Die Praxis Bönninghausens
Der amerikanische Arzt Caroll Dunham berichtete in seinem Nachruf auf den Freiherrn, dass dieser in seinem Haus in Münster täglich von neun Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags Kranke zu empfangen pflegte. Anschließend habe er sich erholt und meist ausgedehnte Spaziergänge unternommen.42 Von einem Wartezimmer oder dem genauen Ablauf eines Behandlungstages berichtete er nichts. Allerdings werden bei diesem Zitat, wie den Äußerungen Bönninghausens, die Kranken nicht erwähnt. Aber es wird deutlich, dass sich der Freiherr, ebenso wie sein Lehrer Samuel Hahnemann, von den damals gängigen Hausbesuchen distanzierte und erwartete, dass die Kranken zu ihm kamen.43 Welches Bild entwerfen die Auswertungen der Journale und damit das dort dokumentierte Verhalten der Patienten von der Praxis des Freiherrn? Im Verlauf eines Jahres war der Andrang von Kranken, die erstmals den Homöopathen um Rat fragten, besonders im März und April sehr stark. Auch im Juni herrschte reger Zuspruch für die Dienste des Freiherrn, während die Nachfrage in den übrigen Sommermonaten rückläufig war. Zum Oktober hin nahm die durchschnittliche Zahl an Neupatienten wieder zu. Das Maximum an Neupatienten hatte der Freiherr zwischen 1829 und 1833 im Juli zu bewältigen, während der Juni in den Jahren von 1849 bis 1853 und 1859 bis 1863 der Monat mit den meisten Neupatienten war. In der Zeit des Praxisverbotes kamen hingegen die meisten Kranken erstmals im März.44 Die Entwicklung der Konsultationen im Jahresverlauf war durch weniger „Spitzen“ geprägt.45 In den Anfangsjahren der Praxis überstieg die mittlere Anzahl der Konsultationen in den Wintermonaten diejenigen der Sommermonate, wobei im Juli die Zahl der Konsultationen einen Sommergipfel aufweist. In den übrigen Praxisjahren war die Nachfrage nach den Diensten des Freiherrn allgemein in den Frühlingsmonaten höher als in den Winter- und Sommermonaten. Deutlich ist in den letzten beiden untersuchten Zeitab-
42
43
44 45
zeichnen, scheint nicht angemessen, Stahl: Briefwechsel, S. 250–254, zumal in diesem Kapitel nachgewiesen wird, dass der Freiherr in den Sommermonaten, in denen er zumeist unterwegs war, weniger Kranke behandelte. Dunham veröffentlichte den Nachruf in der American Homoeopathic Review im April 1864. Dies zitiert nach Bradford: Pioneers, S. 187. Eine ähnliche Aussage machte Dunham bereits 1855 in einem Brief: Dunham: Letter. Bönninghausen notierte den „Besuch von Dr. Caroll Dunham aus New York (America)“ vom 7. bis zum 28. April 1851 in dem vorderen Deckel des Journals P 78 und für den 10. bis 20. August 1855 in P 92, IGM. Gleiches galt für Friedrich Gauwerky und Arthur Lutze, wie den Informationszetteln zu entnehmen ist, die Bönninghausen aus deren Praxen aufbewahrte: IGM P 96 und P 106 jeweils im hinteren Deckel, P 221/4. Gauwerky führte jedoch nach eigenen Aussagen im Notfall ebenfalls Hausbesuche durch. Gauwerky: Mitteilungen, Sp. 245. Eine Sprechstunde wurde bei „allopathischen“ Ärzten wohl erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts langsam eingeführt. Hierzu Huerkamp: Aufstieg, S. 158, Esser: Arzt, S. 54, Heischkel: Alltag. Hahnemann hatte hingegen bis in die Pariser Zeit eine Sprechstundenpraxis: Michalowski, Arnold: Samuel Hahnemann. Krankenjournal DF5 (1837–1842). Transkription und Übersetzung, Heidelberg 1992, S. IX. Tabelle 40 im Anhang und Schaubild 29. Tabelle 41 im Anhang und Schaubild 30.
7.2 Die Behandlungssituation
327
schnitten der Anstieg der mittleren Konsultationszahlen bis in den Juni. Anschließend waren weniger Kranke je Monat bei dem Freiherrn, wobei deren Anzahl in den Wintermonaten leicht anstieg. In den Jahren von 1839 bis 1843 nahm die durchschnittliche Anzahl der Konsultationen ab März hingegen ab, erreichte im Juli einen kleinen Höhepunkt und sank, um in den Wintermonaten wieder leicht zuzunehmen. Auch in anderen Praxen wurden derartige Häufungen der Konsultationen in den Frühjahrsmonaten beobachtet. Insofern verweist der Befund auf eine allgemein höhere Erkrankungsanfälligkeit der Menschen in diesem Zeitraum.46 Auch ein Anstieg der Erkrankungsrate in den Sommermonaten ist nichts Ungewöhnliches. Üblicherweise lassen sich in den Mortalitätsraten ähnliche „Frühjahrs- und Sommergipfel“ ausmachen.47
Schaubild 29: Neukonsultationen im Jahresverlauf (Mittelwerte).
46 Thümmler: Rekonstruktion, S. 41–43, Loetz: Vom Kranken. S. 204, Duffin: Rural Practice, S. 7. In der Praxiszeit Hahnemanns in Leipzig war die saisonale Verteilung der Konsultationen in den einzelnen Jahren sehr unterschiedlich. Schreiber: Leipzig, S. 142–149. In der Praxis Ottenthals waren die Krankheitsfälle von Januar bis März meist am höchsten: Roilo: Historiae Morborum, S. 65–66. Auch heute ist die Anzahl der Arztbesuche in den Monaten zwischen November und März höher als in den Sommermonaten. Grobe; Dörning; Schwartz: GEK-Report, S. 49. 47 In der Praxis Kortums war ebenso ein Anstieg der Konsultationen im Juli zu bemerken. Balster: Kortum, S. 126–127. Ähnliches für die Praxis Hahnemanns 1834/35: Papsch: D38 Kommentar, S. 27. Zu der saisonalen Verteilung der Mortalitätsraten: Baschin: Untersuchung, S. 39–41 mit weiterführender Literatur.
328
7 Die Praxis Bönninghausens
Schaubild 30: Konsultationen im Jahresverlauf (Mittelwerte).
Interessant ist in dieser Hinsicht, dass die Entwicklung der Konsultationen und diejenige der Erstbesuche in der Praxis nicht immer konform waren.48 Während bei den Neukonsultationen in den Jahren zwischen 1829 und 1833 der Juli der Monat mit dem höchsten Andrang war, waren in den Wintermonaten viel mehr Kranke zu dem Freiherrn gekommen. Und während sich in der Zeit des eigentlichen Ausübungsverbotes im Juli mehr Betroffene zu Bönninghausen begaben, war die Anzahl der neuen Patienten rückläufig. Gleiches galt in dieser Zeit für die Wintermonate. Obwohl Bönninghausen also nach wie vor um Rat gefragt wurde, gelang es ihm nicht, ähnlich viele Neupatienten anzuziehen. Dasselbe lässt sich an den Konsultationsdaten in den folgenden Praxisabschnitten erkennen, die durch ein häufigeres Erscheinen „bekannter“ Patienten in den Wintermonaten geprägt waren. Berücksichtigt man ferner, an wie vielen Arbeitstagen der Freiherr überhaupt für die Behandlung seiner Patienten Zeit hatte, fällt auf, dass in den ersten Praxisjahren vor allem in den Sommermonaten nur wenige Tage für eine Konsultation zur Verfügung standen. In diese Jahreszeit fielen die zahlreichen Reisen, die Bönninghausen im Zusammenhang mit seinen dienstlichen Aufgaben unternehmen musste. Er verlegte später selbst gerne Reisen privater Natur in diese Monate.49 Dies kündigte er vorher in der Zeitung an, damit Hilfe48 Der graphische Vergleich der Mittelwerte von Neukonsultationen und Konsultationen in Schaubild 31. 49 Reisepläne hat Bönninghausen in IGM P 79 im hinteren Deckel notiert. Seine Abwesenheit zeigte er im Westfälischen Merkur des Jahres 1851 an. Eine Abwesenheitsmeldung findet sich auch in IGM P 75. In der tabellarischen Übersicht in P 155 erwähnt Bönninghausen im Juli, dass er mehr als 200 Patienten auf der Reise behandelt habe. Die einzel-
7.2 Die Behandlungssituation
329
suchende informiert waren und sich nicht vergeblich auf den Weg nach Münster machten. Andererseits ließ Bönninghausen in den niederländischen Zeitungen ankündigen, dass er sich an bestimmten Tagen in näheren Gegenden aufhalten würde, so dass Behandlungswillige die Gelegenheit hatten, den Freiherrn dort zu sprechen.50 In den Wintermonaten hatte er demgegenüber häufiger Zeit für Kranke. Die zunehmende Anzahl von Arbeitstagen ergab sich daraus, dass Bönninghausen im Lauf der Zeit in den Sommermonaten an mehr Tagen von Leidenden aufgesucht werden konnte. In den Jahren von 1839 bis 1843 lag die durchschnittliche Anzahl von Tagen, die Bönninghausen für die Patienten zur Verfügung stand, besonders in den Wintermonaten unter derjenigen der Anfangsjahre.51
Schaubild 31: Neukonsultationen und Konsultationen im Jahresverlauf im Vergleich (Mittelwerte).
nen Stationen seiner Reise sind auch den Angaben in IGM P 154 und P 155 zu entnehmen, so war er beispielsweise im Juli 1831 in verschiedenen Städten, P 154 S. 88–90, auch Kottwitz: Leben, S. 33. 50 Dies belegt eine Notiz in IGM P 82 im Deckel hinten. Er bat zu diesem Zweck einen Patienten aus Rotterdam darum, die Anzeige aufzugeben, der Kranke IGM P 76 Fol. 222. Bönninghausen wollte sich am 6. und 7. Juli 1852 in Emmerich aufhalten. Luftlinie liegt der Ort am Rhein etwa zwischen Münster und Rotterdam. Interessanterweise nahm Bönninghausen sein Buch jedoch nicht mit. Die Anamnesen der 18 Patienten, die ihn tatsächlich an diesen Tagen dort aufsuchten, notierte er auf Zettel, die er nachträglich in IGM P 83 Fol. 4 bis Fol. 21 eingeklebte. Vier dieser Zettel sind verloren gegangen. Diese Angaben zeigen auch, dass Bönninghausen noch bis zum 8. Juli 1852 in Emmerich war. 51 Hierzu Tabelle 42 im Anhang und Schaubild 32.
330
7 Die Praxis Bönninghausens
Schaubild 32: Arbeitstage im Jahresverlauf (Mittelwerte).
Auch wenn Bönninghausen an mehr als nur drei Tagen die Woche Patienten empfing, kam er seiner gegenüber der Regierung in Münster geäußerten Behauptung, nur diesen Zeitraum für Betroffene zu sprechen zu sein, in der Zeit zwischen 1839 und 1853, am nächsten. Wie man den Abwesenheitsmeldungen in der Münsteraner Zeitung entnehmen kann, hielt Bönninghausen seine Sprechstunden 1851 von Samstag bis Montag ab.52 Eine Auswertung der Wochentage, an denen Kranke gewöhnlich bei Bönninghausen vorstellig wurden, zeigte, dass diese Regelung zumindest 1841 und 1851 weitgehend befolgt wurde.53 Samstag war der Tag, an dem die meisten Patienten zu ihm kamen. Allerdings wurde keiner weggeschickt, wenn er an einem „falschen“ Tag vor der Tür des Freiherrn erschien. Denn die Ergebnisse belegen in Ausnahmefällen Erstkonsultationen und allgemein durchgeführte Beratungen an den übrigen Wochentagen.
52 In IGM P 79 im Deckel vorn. Er betonte dies auch in Bönninghausen: Triduum, S. 38. 53 Da die Analyse der Wochentage nicht parallel zur Erhebung, sondern nachträglich durchgeführt wurde, beschränkt sie sich auf ausgewählte Stichjahre. Die Wahl fiel wegen der überlieferten Abwesenheitsmeldungen für 1851 auf die Jahre 1831, 1841, 1851 und 1861. Die Übersicht Tabellen 43 und 44 im Anhang sowie Schaubilder 33 und 34.
7.2 Die Behandlungssituation
331
Schaubild 33: Neukonsultationen an Wochentagen (Mittelwerte bezogen auf die Anzahl aller Tage eines Jahres).
In den ersten Praxisjahren war es so, dass der Freiherr am Wochenende viel weniger von Kranken besucht wurde. Die Tage mit den meisten Konsultationen und Neubesuchen waren 1831 Dienstag und Freitag. Interessant ist außerdem, dass in den letzten Praxisjahren die Regel des Freiherrn nicht mehr galt. Im Jahr 1861 kamen die meisten Patienten am Mittwoch und am Samstag zu ihm. Dies wiederum waren die Tage des Wochenmarktes in Münster.54 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Sonntag, trotz der bestehenden Möglichkeit, weniger von den Kranken für eine Konsultation genutzt wurde. Fast ähnlich viele Betroffene suchten den Freiherrn montags auf. Den Patienten in und um Münster war die Sonntagsruhe wichtiger als ein Arztbesuch. Es ist keine Ausnahme, dass Ärzte an Sonn- und Feiertagen arbeiteten. Vielfach kamen genau an diesen Tagen die meisten Patienten in die Praxen der „allopathischen“ Ärzte. Auch Bönninghausen stand an diesen Tagen seinen Patienten zur Verfügung. An Weihnachten und Ostern oder dem Fest der Heiligen drei Könige, am 6. Januar, notierte er die entspre-
54 Damals wie heute sind dies die Tage des Wochenmarktes, der mittlerweile auf dem Domplatz stattfindet. Früher war er auf dem Prinzipalmarkt, von wo er jedoch wegen der Straßenbahnführung verlegt wurde: Werland, Peter: Münsters Märkte. In: Das Schöne Münster 8 (1936), S. 65–80. Außerdem auch Werland, Walter: Zur Eröffnung der Straßenbahn 1901 kam der Wochenmarkt zum Domplatz. Einige Erinnerungen an die verschiedenen Märkte im alten Münster. In: Münsterische Zeitung vom 17. Oktober 1970, Zeitungsauschnittsammlung im StdAM ZAUS 42 Münsters Märkte. Entsprechend wurden in den Zeitungen jeweils donnerstags und sonntags die Marktpreise veröffentlicht. Beispielsweise Westfälischer Merkur für Samstag, 23. August 1862 am Sonntag 24. August 1862 oder für Mittwoch 7. Dezember 1861 am Donnerstag 8. Dezember 1861.
332
7 Die Praxis Bönninghausens
chenden Konsultationen.55 Ebenso ist die Verbindung von einem Besuch beim Arzt und Markttagen in einer Stadt nachgewiesen.56 Heute hingegen suchen die meisten Betroffenen am Montag einen Arzt auf. Denn durch das Wochenende „verschobene“ Besuche werden an diesem Öffnungstag nachgeholt.57
Schaubild 34: Konsultationen an Wochentagen (Mittelwerte bezogen auf die Anzahl aller Tage eines Jahres).
Wenn Bönninghausen tatsächlich, wie dies Caroll Dunham überlieferte, nur vormittags Sprechstunde gehabt hat und fünf Stunden für seine Patienten frei hielt, so bedeutet dies bei einem zuvor errechneten Pensum von 10,5 Patienten je Tag, dass er einem einzelnen Kranken eine knappe halbe Stunde widmen konnte.58 Von diesen waren etwa drei neue Patienten, für deren Erstanamnesen er mehr Zeit einkalkulieren musste.59 Berücksichtigt man die Ein55 So notierte der Freiherr am 3. April 1831 ausdrücklich Ostertag und die Konsultation, IGM P 154 S. 75. Auch am 24. und 25. Dezember sowie am 6. Januar kamen Patienten zu ihm. Allerdings waren es meist weniger Patienten als in den Tagen davor und danach. Ähnliches galt auch für Hahnemann: Jütte: Patientenschaft, S. 29. Für andere Praxen, in denen die Anzahl der Besucher vor allem an den Sonn- und Feiertagen hoch war: Thümmler: Rekonstruktion, S. 41, Balster: Kortum, S.131–134 und S. 209. Balster vermutet, dass die Menschen sonntags mehr Zeit hatten und einen Arztbesuch mit dem Kirchgang verbanden. In Münster scheint dies jedoch nicht in so starkem Maß zuzutreffen. Merkel: Sprechstunden, S. 2355, Kirste: Tageslauf, S. 1910. 56 Deutlich: Oberhofer: Landarztpraxis, S. 184 und Balster: Kortum, S. 133, Merkel: Sprechstunde, S. 2355. 57 Grobe; Dörning; Schwartz: GEK-Report, S. 46. 58 Siehe Kapitel 7.1. Die hier genannte Zahl war der für die Jahre 1849–1853 im Mittel errechnete Wert. 59 Hierzu Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 120. Entsprechende Überlegungen zu den Zeiten, die Hahnemann seinen Patienten widmete bei Ehinger: D36 Kommentar, S. 23 sowie die Angaben bei Haehl: Hahnemann 2, S. 151 beziehungsweise S. 412–413.
7.2 Die Behandlungssituation
333
schränkung, dass zumindest in den Jahren 1841 und 1851 die Patienten vornehmlich zwischen Samstag und Montag in die Praxis kamen, dann stand den einzelnen Konsultationen an diesen Tagen weniger Zeit zur Verfügung, sofern die zeitliche Regelung zu diesem Zeitpunkt bereits galt. Im Jahr 1851 kamen samstags beispielsweise etwa 26 Personen zu Bönninghausen, sechs davon zum ersten Mal. Bei einer strikten Einhaltung der Sprechzeiten wären damit knapp zwölf Minuten für die einzelnen Betroffenen und ihre Probleme zur Verfügung gewesen.60 Von anderen Homöopathen ist bekannt, dass sie auch am Nachmittag für die Kranken zu sprechen waren. Arthur Lutze informierte die Behandlungswilligen, dass er „an allen Wochentagen von 8 bis 1 Uhr und von 4 bis 7 Uhr“ anzutreffen sei. Seine Klinik in Köthen war somit acht Stunden am Tag zugänglich. In Köln hatten die Betroffenen nur vier Stunden täglich Zeit, um sich von Bönninghausens Sohn Carl behandeln zu lassen. Samuel Hahnemann war, zumindest während seiner Zeit in Leipzig, nur fünf Stunden je Tag zu sprechen, wobei er seine Öffnungszeit auf Vor- und Nachmittag verteilte. Mit Hilfe der Konsultationszahlen je Tag wurde daher errechnet, dass der Homöopathiebegründer etwa eine Dreiviertelstunde für den einzelnen Kranken aufbrachte.61 In vier Krankengeschichten wurde davon berichtet, dass die Betroffenen abends oder spät nachts Clemens von Bönninghausen um Rat baten. Die El60 Hierzu Tabelle 44 im Anhang. Für die anderen Tage könnte man ähnliche Berechnungen anstellen. 61 Der Zettel in IGM P 96 im Deckel hinten. Friedrich Gauwerky war „von des Morgens früh bis Mittags“ außer Freitags zu Hause. IGM P 221/4, der Zettel. Nach Jütte: Patientenschaft, S. 25 für Leipzig: 9 bis 12 Uhr und 14 bis 16 Uhr. 1817/1818 führte Hahnemann zwischen 8 Uhr morgens und 7 Uhr abends Konsultationen durch. Ein derartig rekonstruierter Arbeitstag bei Schuricht: D16 Kommentar, S. 158, Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 120. Einen ähnlichen Zeitrahmen von 30 bis 45 Minuten je Konsultation hatte Hahnemann in einem Brief genannt. Haehl: Hahnemann 2, S. 412–413, für die Zeit in Paris sprach er davon, dass ein neuer Patient seine Aufmerksamkeit zwischen 60 und 90 Minuten in Anspruch nahm. Haehl: Hahnemann 2, S. 387. Für Carl von Bönninghausen ein ausgeschnittener Zeitungsartikel in P 96 vorn im Deckel. Bei dem Arzt Kortum weiß man hingegen nichts über Sprechzeiten. Balster: Kortum, S. 209. Dazu auch Gypser: Gedanken. Heute dauert ein Arzt-Patient-Kontakt in der Regel etwa sechs Minuten. Diese Angabe stammt aus dem Artikel „Deutsche oft beim Arzt“, der am 15. Januar 2009 in der Pharmazeutischen Zeitung online veröffentlicht wurden. Der Artikel basiert auf Grobe; Dörning; Schwartz: GEK-Report, wobei in diesem keinerlei Aussagen über die Behandlungszeit enthalten sind. Er ist im Archiv der Zeitung abgelegt: http://www. pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=28880&no_cache=1&sword_list[0]=deutsche&sword_list[1]=oft&sword_list[2]=beim&sword_list[3]=arzt, Zugriff vom 26. Januar 2009. Eine internationale Studie ermittelte eine durchschnittliche Konsultationslänge von 7,6 Minuten. Damit waren die Konsultationen deutscher Ärzte wesentlich kürzer als diejenigen von Ärzten in den Niederlanden (10,2 Minuten) oder der Schweiz (15,6 Minuten). Hierzu Deveugele, Myriam; Derese, Anselm; Brink-Muinen, Atie van den; Bensing, Jozien; De Maeseneer, Jan: Consultation Length in General Practice. Cross Sectional Study in Six European Countries. In: British Medical Journal 325 (2002), S. 472–477.
334
7 Die Praxis Bönninghausens
tern eines drei Jahre alten Knabens waren wegen dessen anhaltendem und heftigem Keuchhusten so in Sorge, dass der Freiherr „mitten in der Nacht geweckt wurde“, um die notwendigen Mittel zu geben.62 Ein Militärangehöriger aus Münster durfte sogar am Morgen eine dreiviertel Stunde und am Abend eine viertel Stunde zu Sitzungen erscheinen.63 Diese Anmerkungen belegen, dass Kranke in Notfällen und Ausnahmen noch am Abend Hilfe von dem Homöopathen erwarten konnten. Die Behandlungssituation hing immer davon ab, wie viele Kranke tatsächlich an einem Tag in die Praxis kamen. Jedenfalls mussten die Kranken oder deren Vertreter bei Bönninghausen erscheinen.64 Konzentrierten sich in den Sommermonaten in den Anfangsjahren die Behandlungswilligen auf die wenigen Tage, die Bönninghausen überhaupt in seiner Praxis anzutreffen war, konnte der Freiherr mit Sicherheit nicht für jeden die eigentlich erforderliche Zeit aufbringen. Auch mussten die einzelnen Anwesenden längere Zeit auf die Möglichkeit warten, mit ihm zu sprechen oder sich im Fall einer brieflichen Konsultation länger auf die Antwort gedulden. In den späteren Jahren, in denen die Kranken nur an bestimmten Tagen zu einer Konsultation kommen konnten, war die Dauer eines Gesprächs, besonders an einem Samstag, wesentlich knapper als an den übrigen Tagen. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit, bei leicht rückläufigen täglichen Konsultationen und Neukonsultationen, hatte der Freiherr ausreichend Zeit für die einzelnen Patienten.65 Wie die Auswertungen jedoch belegen, hielt sich Bönninghausen nicht strikt an die Sprechzeiten. Keiner der Kranken stand vergeblich vor der Tür oder musste ohne eine Medikation wieder gehen. Andererseits hielten sich die Behandlungssuchenden weitgehend an die von Bönninghausen angekündigten Sprechzeiten, sonst wären die „Ausnahmen“ an den Tagen, an denen eigentlich keine Konsultationen durchgeführt wurden, sicherlich höher. 7.3 Der Behandlungsverlauf Für den Patienten selbst ist es weniger von Bedeutung, ob an einem Tag viele oder gar keine Kranken in der Praxis des konsultierten Heilers erscheinen. Zwar registriert der Einzelne auch heute, ob im Wartezimmer mehrere oder wenige Personen anwesend sind, ob er selbst länger oder kürzer warten muss. Derartige Einschätzungen oder Wahrnehmungen einzelner Betroffener sind aus der Praxis des Freiherrn nicht überliefert.66 Nur indirekt kann man aus dem Brief der Droste-Hülshoff schließen, dass an den wenigen Tagen, die 62 IGM P 103 Fol. 42, ähnlich P 83 Fol. 117 und P 112 Fol. 85. 63 IGM P 114 Fol. 377 (bei Behandlungserfolg notiert), ähnliches geht auch aus dem Schreiben IGM P 221/1 hervor sowie IGM P 202/11, Brief vom 13. Februar 1831. 64 Hierzu Kapitel 7.4. 65 Hierzu Kapitel 7.1. 66 Für Hahnemanns Praxis sind derartige Zeugnisse jedoch überliefert: Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 109–111, Jütte: Patientenschaft, S. 24–27.
7.3 Der Behandlungsverlauf
335
Bönninghausen im Jahr 1830 an seinem Wohnort Zeit für die Kranken hatte, diese ihn geradezu belagerten und somit der Einzelne vermutlich längere Zeit auf seine Konsultation warten musste.67 Was für den Leidenden, damals wie heute, weitaus wichtiger ist, ist die Frage, wie oft er den Heiler aufsucht und wie lange er die Behandlung aufrechterhält. Die Häufigkeit der Konsultationen ist von mehreren Faktoren, wie der Art des Leidens oder der Entfernung des Patienten zur Praxis, abhängig.68 Ob der Kranke im Rahmen der Therapie zu einem Anhänger des Therapeuten und seiner Methode wird oder ob er schon nach einem Besuch diesem, meist ohne einen weiteren Kommentar, wieder den Rücken kehrt, ist ein weiterer Aspekt. Gerade bei Kranken, die nur ein einziges Mal bei Clemens von Bönninghausen erschienen, ist es unmöglich zu sagen, ob sie dies taten, weil sie bereits mit einer Gabe von ihren Leiden befreit wurden, oder ob sie sich nach einer ausbleibenden Wirkung wieder von der Homöopathie und dem Freiherrn abwandten.69 Bönninghausen versuchte, über den „Erfolg“ seiner Kur im Bilde zu bleiben, indem er den Leuten auftrug, ihm nach 14 Tagen eine Nachricht zukommen zu lassen.70 Insofern ist von einigen Kranken bekannt, dass sie tatsächlich eine einmalige Gabe eines Mittels von ihren Leiden befreit hat. In anderen Fällen wurde dem Freiherrn jedoch seine Erfolglosigkeit zugetragen.71 Zu den Glücklichen, bei denen bereits eine Gabe der homöopathischen Mittel zu einer Heilung geführt hatte, gehörte beispielsweise eine 22-Jährige aus Glandorf, die wegen einem Hautausschlag die Kur im Februar 1841 begonnen hatte. Im Oktober desselben Jahres wurde Bönninghausen über seinen Erfolg unterrichtet und hielt dies entsprechend in seinen Notizen fest. Andere Kranke, wie eine 40 Jahre alte Frau, hatte die Wirkung der homöopathischen Mittel nicht überzeugt und eine 58-Jährige aus Walstedde ließ den Freiherrn wissen, dass ihre Beschwerden „angeblich nicht besser“ geworden seien.72 Insgesamt waren 4.850 Kranke nur ein einziges Mal bei dem Freiherrn gewesen.73 Weitere 3.178 kamen immerhin ein zweites Mal. Das bedeutet, dass sich die Mehrheit der Patienten nur kurzzeitig in der Behandlung des
67 Droste-Hülshoff: Briefe, S. 105–106. In ähnlicher Weise äußerte sich Bönninghausen selbst in einem Brief an Hahnemann im Juli 1832. Stahl: Briefwechsel, S. 68. 68 Jütte: Patientenschaft, S. 29, Balster: Kortum, S. 142–146, Ehinger: D36 Kommentar, S. 24–25. 69 Hierzu Kapitel 7.5. Darauf verweist auch Thümmler: Rekonstruktion, S. 40. 70 Darauf wies Bönninghausen: Wahl, S. 595 hin. 71 Bei 95 Patienten, die nur ein einziges Mal da waren, notierte Bönninghausen „geheilt“ bei Behandlungserfolg. 72 IGM P 46 Fol. 6, P 81 Fol. 176, P 55 Fol. 159. Bei 47 Kranken, die nur ein einziges Mal erschienen, ist die Wirkungslosigkeit der homöopathischen Mittel belegbar. Viele starben nach oder sogar vor der Einnahme der Mittel. Hierzu Kapitel 5.4. 73 Entsprechend ist bei 96 % dieser Kranken unbekannt, wie die Behandlung verlief und weshalb sie die Kur abbrachen. Bei 95 Personen, also immerhin knapp 2 %, dieser Fälle ist jedoch eine Heilung vermerkt.
336
7 Die Praxis Bönninghausens
Homöopathen befand.74 Mehr als zehn Konsultationen führten nur etwa 8 % aller Betroffenen durch.75 Andererseits hatte Clemens von Bönninghausen sehr treue Anhänger, die mehr als 100 Mal zu ihm kamen.76 Die Rentnerin aus Münster, die der Freiherr bis zu ihrem Tod medizinisch betreute, brachte es in den Jahren von 1830 bis 1846 auf mehr als 300 Konsultationen.77 Im Mittel kamen die Kranken 4,4 Mal zu ihm.78 Auch bei Hahnemann waren mehr als ein Drittel der Patienten nur ein einziges Mal erschienen.79 Gleiches galt für die Praxis des belgischen Homöopathen, in der mehr als ein Viertel aller Kranken nur ein einziges Mal vorstellig wurden.80 Ähnliches belegen die Zahlen aus der Praxis des Bochumer Arztes Kortum. Bei diesem waren ungefähr 60 % der Patienten nur ein einziges Mal erschienen. Mehr als drei Be-
74 75
76
77
78
79
80
Hierzu Tabelle 45 im Anhang. Patienten, die nur einmal zu Bönninghausen kamen, machen 34 % der Klientel aus, 22,3 % waren zwei Mal bei ihm gewesen. Die Aufschlüsselung in Tabelle 45 im Anhang sowie Darstellung Schaubild 35. Eine bis zehn Konsultationen hatten 92,3 % aller Kranken, elf bis 20 4,8 %, 21 bis 30 1,4 %, 31 bis 40 0,6 % und 41 bis 50 0,3 %. Zwischen 51 und 60 Konsultationen hatten 22 Personen, zwischen 61 und 70 19, zwischen 71 und 80 sechs und fünf Personen erschienen zwischen 81 und 90 Mal bei dem Freiherrn, sieben hatten zwischen 91 und 100 Besuche. Es gab 23 Personen, die je 100, 101 (zwei Personen), 104, 105, 106, 108, 114, 115, 116, 118, 123, 124 (zwei Personen), 127, 153, 161, 173, 184, 208, 211, 223 und 305 Mal zu ihm kamen. Dies sind 0,2 % aller Patienten. IGM P 154 und P 155, P 2 Fol. 15 (Sanenberg). Nachgewiesen sind für die Patientin 305 Konsultationen. Wegen der geschilderten Probleme mit der Aufzeichnungsart (Kapitel 2) fehlen jedoch die Konsultationsdaten des Jahres 1834 und bis April 1835. Daher ist diese Zahl nach oben zu korrigieren. Das arithmetische Mittel aller Patienten ergibt sich, indem man die Anzahl der Konsultationen mit der entsprechenden Anzahl der Patienten, die so oft zu Bönninghausen kam, multipliziert, anschließend alle Daten addiert und durch 14.266 teilt. Die Anzahl der Konsultationen (62.915) ist höher als die Anzahl der Konsultationen in den untersuchten Jahren (52.792), weil für alle in die Datenbank aufgenommenen Patienten auch deren Konsultationen außerhalb des Untersuchungszeitraums erhoben und berücksichtigt wurden. Bei den Patienten aus den ersten Journalen Hahnemanns ergab sich eine Anzahl von etwa drei Konsultationen. Die Anzahl der Konsultationen je Person reichte von einer bis zu 55. Vogl: Landpraxis, S. 168. Während der Praxis in Leipzig schwankte die Zahl der Konsultationen je Patient zwischen 2,3 und 4,5. Schreiber: Leipzig, S. 151. Für die Patienten van den Berghes wurden im Mittel sieben Konsultationen errechnet. Baal: Homoeopathy, S. 249. Der Arzt Langstaff besuchte seine Patienten zwischen 2,5 und 3,1 Mal. Duffin: Langstaff, S. 94. Schuricht: D16 Kommentar, S. 11. Ein einziges Mal erschienen 37 % der Kranken, zwei bis vier Mal 25,6 %. In den ersten Krankenjournalen traf dies sogar auf mehr als 50 % der Patienten zu. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 51–52. Da aber die Journale Hahnemanns in Tagebuchform verfasst sind und zum Teil nur eine Zeitspanne von etwa einem Jahr umfassen, sind diese Zahlen kritisch zu sehen. Die Patienten könnten auch nach dem Ende des Buches erneut erschienen sein, was in den Berechnungen jedoch nicht berücksichtigt werden konnte. Baal: In Search, S. 179. Auch bei dem Arzt Haller waren 22,6 % (67 von 296 Patienten) der Patienten nur ein Mal gewesen. Boschung: Haller, S. 8.
7.3 Der Behandlungsverlauf
337
suche waren bei dem „Allopathen“ sogar eine Seltenheit.81 Noch höher war der Anteil der Betroffenen, die den unbekannten Kollegen im Harz nur ein einziges Mal um Rat fragten. Von den 556 Kranken traf dies auf 409 zu.82 Insofern gelang es Bönninghausen im Verhältnis sogar mehr Leidende davon zu überzeugen, ihn weitere Male zu konsultieren.
Schaubild 35: Prozentualer Anteil der Anzahl der Konsultationen (bezogen auf alle Patienten).
Im Lauf der Praxis nahm der Anteil derjenigen Kranken, die nur ein einziges Mal bei dem Homöopathen erschienen, zunächst ab. In den letzten Jahren erreichte er seinen höchsten Anteil. Dieser Anstieg lässt sich nicht allein mit dem Tod Bönninghausens und damit dem zwangsweisen Ende der Arzt-Patient-Beziehung erklären. Innerhalb der letzten Jahre schwankte die Anzahl der Kranken, die nur ein einziges Mal kamen, zwischen 36,1 % im Jahr 1861 und 42,5 % im Jahr 1863. Zumindest die Kranken, die den Freiherrn bis 1862 oder in der ersten Jahreshälfte 1863 gesehen hatten, hätten ihn durchaus häufiger aufsuchen können, als sie es tatsächlich taten.83 Dahingegen nahm über den gesamten Praxisverlauf der Anteil derjenigen Patienten zu, die immerhin zwei 81 Balster: Kortum, S. 123. 828 von 1382 Kranken waren nur ein Mal, 20,4 % (= 282) ein zweites Mal da. 82 Thümmler: Rekonstruktion, S. 40. Von 556 Patienten kamen 409 (73,6 %) ein Mal, 92 zwei und 29 drei Mal. 83 Einen Überblick über die Entwicklung der Konsultationsanzahlen bietet Schaubild 36. In der Zeit zwischen 1859 und 1864 kamen 39,2 % aller Kranken nur ein Mal. Für 1859 betrug der Anteil 37 %, 1860 37,9 %, 1861 36,1 %, 1862 40,1 %, 1863 42,5 % und 1864 78,8 %. In diesem letzten Jahr ist jedoch die besonders hohe Angabe auf den Tod Bönninghausens zurückzuführen. Immerhin 17 der 41 Patienten, die im Januar nur ein einziges Mal erschienen waren, kamen noch zu Friedrich von Bönninghausen. Zieht man diese von den 41 ab, so beträgt der Anteil derjenigen, die nur ein einziges Mal kamen 46,2 %. Auf das Problem, dass eine Analyse der Patientenzahlen und der Praxis immer
338
7 Die Praxis Bönninghausens
Mal bei dem Homöopathen vorstellig wurden. Ähnliches zeigt sich für die Betroffenen, die drei beziehungsweise fünf Mal erschienen, während eine viermalige Konsultation seltener wurde.84
Schaubild 36: Anzahl der Konsultationen im Zeitverlauf (prozentuale Angaben bezogen auf die Patienten eines Samples).
Männer und Frauen unterschieden sich in der Anzahl der durchgeführten Konsultationen kaum. Nur geringfügig mehr Männer waren zwischen einem und zehn Mal bei Bönninghausen. Der Anteil der Patienten, die mehr als 100 Mal zur Behandlung kamen, war für männliche wie weibliche Betroffene gleich. Der Anteil weiblicher Patienten, die nur ein oder zwei Mal bei dem Homöopathen waren, lag leicht höher als derjenige der Männer. Aber es kamen mehr Männer zwischen acht und zehn Mal zu dem Therapeuten.85 Bei Kortum waren deutlich mehr Frauen nur ein einziges Mal gewesen, während Männer häufiger zwischen zwei und vier Mal bei ihm erschienen. Doch konsultierten Frauen den Bergarzt öfter.86 nur entsprechend der einzelnen Journale und nicht über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt werden kann, geht Schreiber: Leipzig, S. 132 ein. 84 Schaubild 36 sowie die absoluten Angaben in Tabelle 46 im Anhang. 85 Die graphische Darstellung in Schaubild 37. Die absoluten Angaben Tabelle 47 im Anhang. Mehr als 100 Mal waren 23 Personen bei Bönninghausen, 14 waren Frauen und neun Männer. Bezogen auf die Patienten desselben Geschlechts entspricht dies jedoch jeweils 0,2 % aller Kranken. Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 49 stellte hingegen für die Klientel Hahnemanns einen geschlechtsspezifischen Unterschied fest. Männer erschienen hier im Mittel 3,81 Mal, Frauen lediglich 2,51 Mal bei Hahnemann. Demgegenüber waren Frauen (8,7 Mal) öfter bei Haller vorstellig geworden als Männer (6,1 Mal). Boschung: Haller, S. 9. 86 Balster: Kortum, S. 123. Prozentuale Angaben selbst berechnet nach den dort genannten absoluten Zahlen. Eine Konsultation hatten 56,3 % aller Männer und 62,5 % al-
7.3 Der Behandlungsverlauf
339
Schaubild 37: Anzahl der Konsultationen je Geschlecht (prozentualer Anteil bezogen auf Männer und Frauen insgesamt).
Berücksichtigt man ferner das Alter der Kranken, kann man feststellen, dass Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre öfter mehr als ein Mal bei dem Homöopathen vorstellig wurden beziehungsweise Eltern den Homöopathen öfter um Rat fragten. Der Anteil der Kinder, die bis zu zehn Mal bei Bönninghausen waren, lag mit 92,1 % zwar ähnlich hoch wie bei allen Patienten. Allerdings waren die prozentualen Anteile der jungen Kranken, die fünf bis zehn Mal in die Praxis kamen, höher.87 Im Gegensatz zu der Gesamtpatientenschaft sind bei den Kindern auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Konsultationshäufigkeit festzustellen. Während Männer und Frauen durchschnittlich jeweils 2,8 Konsultationen hatten, waren es bei den Knaben 2,7 und bei den Mädchen 2,9.88 ler Frauen. Bei zwei Konsultationen waren es 22,5 % der Männer und 17,8 % der Frauen, für drei Besuche 8,7 % der Männer und 7,3 % der Frauen, vier Konsultationen hatten 4,8 % der Männer und 3,6 % der Frauen. Jeweils fünf Besuche hatten 2,4 % der Männer und Frauen, zwischen sechs und neuen Besuchen waren 3,0 % der Männer und 3,2 % der Frauen, mehr als zehn Mal erschienen 1,8 % der Männer und 2,2 % der Frauen. Heute besuchen Frauen häufiger einen Arzt. Hierzu mit möglichen Erklärungsansätzen Dinges: Immer schon. Aktuellere Angaben in: Köster: Inanspruchnahme, S. 389 und S. 392, Grobe; Dörning; Schwartz: GEK-Report, S. 41. 87 Der Vergleich graphisch dargestellt in Schaubild 38. Absolute Angaben in Tabelle 48 im Anhang. In der Klientel Hahnemann ließ sich derartiges nicht nachweisen. Auf Kinder entfielen hier sogar durchschnittlich weniger Konsultationen: Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 50. 88 Die Mittelwerte wurden für die Anzahl der Kranken berechnet, die zwischen einem und zehn Mal in die Praxis kamen. Für die Gesamtpatientenschaft liegt der so berechnete
340
7 Die Praxis Bönninghausens
Schaubild 38: Anzahl der Konsultationen der Kinder im Vergleich mit der Gesamtpatientenschaft (prozentuale Angaben bezogen auf die Anzahl der Kinder beziehungsweise Patienten insgesamt).
Schaubild 39: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Anzahl der Konsultationen bei den Kindern (prozentuale Angaben bezogen auf die Knaben und Mädchen).
Mittelwert bei 2,7 Konsultationen. Die Darstellung der geschlechtsspezifischen Konsultationsanzahlen der Kinder in Schaubild 39.
7.3 Der Behandlungsverlauf
341
Wesentlich weniger Mädchen als Frauen waren nur ein einziges Mal bei Bönninghausen gewesen. Bei den Knaben waren dies mit 33,5 % sogar geringfügig mehr als für alle männlichen Patienten. Insofern waren deutlich weniger Mädchen als Knaben nur ein oder zwei Mal dem Freiherrn vorgestellt worden.89 Der Anteil der jungen weiblichen Patienten war auch bei den Behandlungen höher, die zwischen fünf und neun Konsultationen umfassten. Bei derartigen Therapien war der Anteil der Mädchen auch höher als derjenige bei den weiblichen Patienten insgesamt. Offensichtlich waren die Behandlungen von jungen weiblichen Kranken durch mehr Konsultationen gekennzeichnet. Bei den männlichen Patienten ist der Unterschied hingegen nicht so deutlich ausgeprägt.90 Dies wirft ein interessantes Licht auf die These, dass Eltern möglicherweise eher Jungen bei einer medizinischen Therapie bevorzugten.91 Der Anteil der Knaben bis zu 18 Jahren war auch in der Praxis Bönninghausens höher als derjenige der Mädchen. Aber diese Kranken wurden, wie die Analyse der Konsultationen zeigt, nicht zwangsweise häufiger homöopathisch behandelt. Vielmehr war die Anzahl der für Mädchen aufgewendeten Konsultationen höher.
Schaubild 40: Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Konsultationsanzahlen bei Kindern und in der Gesamtpatientenschaft im Vergleich (prozentuale Angaben bezogen auf die entsprechende Anzahl der Männer, Frauen, Knaben und Mädchen).
89 Eine Gegenüberstellung der geschlechtsspezifischen Konsultationsanzahlen von Kindern und allen Patienten in Schaubild 40. 90 Schaubild 40. Es waren 90,1 % aller Mädchen zwischen einem und zehn Mal von Bönninghausen behandelt worden. Bei den Frauen waren es 91,7 %. 91,9 % der Männer waren zwischen einem und zehn Mal bei Bönninghausen und 91,5 % der Knaben. 91 Hierzu mit weiterführender Literatur: Unterkircher: Start, S. 53–72. Auch Papsch: Sozialstatistische Auswertung, S. 138.
342
7 Die Praxis Bönninghausens
Noch deutlicher fallen die Unterschiede in den Behandlungen ins Auge, wenn man die soziale Schichtzugehörigkeit der Patienten berücksichtigt. Während Kranke aus Ober- und Mittelschicht im Schnitt etwa drei Mal bei Bönninghausen waren, waren es für weniger begüterte Menschen nur 2,7 Mal.92 Entsprechend war der Anteil der Oberschichtangehörigen, die weniger als zehn Mal bei Bönninghausen vorstellig wurden, geringer als diejenigen der beiden übrigen Schichten.93 Ausgesprochen deutlich ist, dass Patienten aus der Unterschicht viel häufiger nur ein bis vier Mal bei Bönninghausen waren.94 Im Vergleich waren Personen aus der Oberschicht jedoch öfter als diejenigen aus der Mittelschicht nur ein einziges Mal bei dem Homöopathen. Ansonsten war der Anteil der Patienten, die zwischen fünf und zehn Mal kamen, mit Ausnahme einer siebenmaligen Konsultation, bei Angehörigen der Mittelschicht stets höher als in den anderen beiden Schichten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die Auswertung der Klientel Hahnemanns zu deren Konsultationsverhalten. In der Praxis des Bergarztes Kortum kamen Angehörige der Oberschicht ebenfalls häufiger.95 Wie lange blieben die Kranken in der Behandlung des Freiherrn? Theoretisch hätte ein Patient 1829 eine Kur bei Bönninghausen beginnen und diese bis zu dessen Tod fortsetzen können. So lang blieb allerdings keiner der Betroffenen dem Homöopathen treu. Nur er selbst therapierte sich von Beginn bis zu seinem Tod immer wieder selbst.96 Eine lebenslange homöopathische Betreuung durch seinen Vater genoss Bönninghausens erster Sohn Clemens. Im Zuge der allgemeinen Familientherapie hatte der Freiherr den gesundheitlichen Zustand aller seiner näheren Angehörigen aufgezeichnet. Clemens von Bönninghausen starb 1863, wobei er kurz vor seinem Tod ebenfalls Globuli erhielt. Die Tochter eines Regierungsrates war eine überzeugte Anhängerin der Homöopathie. Im Jahr 1830 stellte sie sich dem Freiherrn wegen „Zahnund Kopfweh“ vor. Ein letztes Mal kam sie 1863 zu Bönninghausen, konsul92 Auch diese Mittelwerte beziehen sich auf die Kranken, die zwischen einem und zehn Mal zur Behandlung kamen. Für die Oberschicht sind dies 3,0 Konsultationen, für die Mittelschicht sogar 3,3 und für die Unterschicht 2,7. Die absoluten Angaben auch Tabelle 49 im Anhang. 93 Nur 74,9 % aller Oberschichtangehörigen waren zwischen einem und zehn Mal bei Bönninghausen gewesen, für die Mittelschicht traf dies auf 84,6 % zu und bei der Unterschicht waren es 92,5 %. 94 Hierzu Schaubild 41. 95 Hierzu Jütte: Patientenschaft, S. 35, Vogl: Landpraxis, S. 171 und Hörsten: D2-D4 Kommentar, S. 50–51. Hier wurde die Anzahl der Konsultationen je Patient in verschiedenen Berufsgruppen ermittelt. Allerdings waren die Gruppen, Bildung/Wissenschaft, Kirche und Adel sowie aus der Verwaltung, die in der vorliegenden Untersuchung der Oberschicht zugeordnet wurden, diejenigen mit den höchsten Konsultationsanzahlen, Papsch: D38 Kommentar, S. 34, Balster: Kortum, S. 138. 96 Bönninghausen nahm sein eigenes Krankheitsbild in IGM P 151 S. 59–62 auf, hierzu P 202/14. In IGM P 154 und P 155 notierte er regelmäßig seine eigenen Medikationen und in P 2 Fol. 135 gab er sich eine eigene Seite. Die Notizen darin brechen aber im Jahr 1852 ab. In Bönninghausen: Drei Cautelen Hahnemanns. In: Kleine medizinische Schriften, S. 342–347 beschrieb er seine Selbsttherapie.
7.3 Der Behandlungsverlauf
343
tierte später aber dessen Sohn Friedrich, der die Praxis übernahm.97 Überhaupt blieben 568 Patienten nach dem Tod Clemens Maria Franz von Bönninghausens seiner Praxis treu und ließen ihre Therapie durch seinen Nachfolger fortsetzen.98 Kranke, die 30 Jahre oder mehr bei dem Homöopathen in Behandlung waren, sind aber die Ausnahme. Dies traf auf nur fünf Patienten zu. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen setzte die Therapie nur innerhalb eines Jahres fort.99
Schaubild 41: Anzahl der Konsultationen nach Schichtzugehörigkeit (prozentuale Angaben bezüglich der Patienten einer Schicht).
Dabei nahm der Anteil der Kurzzeitpatienten über die Jahre hinweg zu. Kranke, die hingegen in zwei Jahren bei Bönninghausen erschienen, gab es im Verlauf der Praxis tendenziell weniger. Eine dreijährige Kur führten 3,2 % aller Kranken durch. Der Anteil nahm von zunächst 4,3 % in den Anfangsjahren der Praxis auf 2,7 % ab und stieg auf 3,9 % in den letzten Tätigkeitsjahren.100 97 IGM P 151 S. 35–36, P 154 und P 155 sowie P 2 Fol. 137 (die letzte eingetragene Medikation sah „1. Belladonna, 2. Sepia [je in der 200. Potenz] und 3. Milchzucker“ vor), P 154 (Ziegler, Antonia) und P 2 Fol. 74. 98 Dies sind immerhin knapp 4 % der berücksichtigten Patienten, siehe „beim Sohn“ im Feld „weitere Bemerkungen“ in der Datenbank. Davon entfallen auf S 1: vier, auf S 2: 60, auf S 3: 90 und auf S 4: 414. 99 Es handelt sich um 10.285 Patienten (72,1 %). Hierzu die Auflistung in Tabelle 50 im Anhang. Auch bei van den Berghe blieben 86,9 % der Kranken maximal ein Jahr in der Behandlung. Baal: In Search, S. 180. 100 Hierzu Schaubild 42. Die Prozentangaben bezogen auf die jeweilige Gesamtzahl der Kranken eines Samples sind für eine Behandlung während eines Jahres S 1: 64,4 %, S 2: 66,6 %, S 3: 69,4 % und S 4: 83,4 %, Gesamt 72,1 %. Dabei wurde der Wert für S 4 modi-
344
7 Die Praxis Bönninghausens
Schaubild 42: Dauer der Behandlungen im Zeitverlauf (prozentuale Angaben bezogen auf die Patienten eines Samples).
Männer und Frauen waren ähnlich lang in Behandlung, zumindest was eine Dauer von bis zu fünf Jahren anging. Für 91 % der Kranken beider Geschlechter war die Behandlung innerhalb von fünf Jahren abgeschlossen. Berücksichtigt man den Zeitraum bis zu einer Behandlungsdauer von elf Jahren, so stieg dieser Anteil auf 96,2 % bei den Männern und 97,2 % bei den Frauen. Länger als elf Jahre waren somit geringfügig mehr Männer in Behandlung.101 Angehörige der Oberschicht setzten ihre Kur im Vergleich länger fort, als Betrof-
fiziert, indem hier für die Dauer 1 die Anzahl der entsprechenden Patienten zur Gesamtzahl der Patienten des Samples in Bezug gesetzt wurde. Für die Dauer D 2 wurde die Anzahl der Kranken jedoch zur Gesamtzahl der Patienten, die zwischen 1859 und 1863 in die Praxis kamen in Bezug gesetzt und für die Dauer D 3 bildeten nur die Kranken von 1859 bis 1862 die Bezugsgröße. Die Angaben sind wie folgt für eine Behandlung während zwei Jahre S 1: 16,5 %, S 2: 11,4 %, S 3: 12,8 %, S 4: 11,3 %, Gesamt 12,2 % und für drei Jahre S 1: 4,3 %, S 2: 2,7 %, S 3: 3,4 % und S 4: 3,9 %, Gesamt 3,2 %. Bei van den Berghe war der Anteil der Kranken, die zwischen einem und zwei Jahren in Behandlung waren 5 %, eine dreijährige Behandlung hatten 2 % der Kranken. Baal: In Search, S. 180. Somit gelang es Bönninghausen auch, seine Patienten länger an sich zu binden, wie es bei van den Berghe der Fall war. 101 Die Gegenüberstellung: D1 71,5 % Männer, 71,8 % Frauen, D2 13 % Männer, 12,2 % Frauen, D3 3,5 % Männer, 3,0 % Frauen, D4 1,8 % Männer, 2,2 % Frauen, D5 1,2 % Männer, 1,8 % Frauen, D6 1,1 % Männer, 1,3 % Frauen, D7 1,1 % Männer, 0,9 % Frauen, D8 0,6 % Männer, 1,7 % Frauen, D9 0,9 % Männer, 0,8 % Frauen, D10 je 0,7 % bei Männern und Frauen, D11 0,8 % Männer und 0,7 % Frauen. Für die absoluten Angaben Tabelle 51 im Anhang.
7.3 Der Behandlungsverlauf
345
fene aus dem Mittelstand. Für etwa 95 % aller Unterschichtmitglieder war die Kur durch den Freiherrn nach maximal fünf Jahren beendet.102 Demgegenüber ist auffällig, dass die Behandlung von Kindern allgemein länger dauerte.103 Während für 72,1 % aller Kranken eine Kur innerhalb eines Jahres abgeschlossen war, galt dies nur für 70,1 % aller Kinder. Beachtenswert ist, dass dies bei den Angehörigen sämtlicher sozialer Schichten zu erkennen ist. Eltern aus der Unterschicht ließen ihre Kinder ebenfalls länger behandeln als Angehörige der Schicht allgemein. Während 94,7 % dieser Schicht ihre Therapie maximal sechs Jahre lang aufrecht erhielt, waren es bei den Kindern 92,1 %. In der Mittelschicht war der Unterschied nicht ganz so deutlich, während die jüngsten Patienten aus den höheren gesellschaftlichen Ständen wiederum deutlich länger als alle Angehörigen dieser Schicht in der Behandlung des Homöopathen blieben.104 Auch bezüglich des Geschlechts lässt sich diese Feststellung machen. So waren Knaben länger in Behandlung als männliche Patienten insgesamt und gleiches galt für Mädchen.105 Der geschlechtsspezifische Vergleich zeigt, dass Mädchen häufiger länger als sechs Jahre in der Behandlung waren als Jungen.106 Insofern kann auch hier nicht von einer Benachteiligung der jungen weiblichen Patienten die Rede sein. Allerdings bedeutete eine lange Behandlungszeit nicht zwangsweise, dass die Patienten permanent betreut wurden. Häufig erschienen Kranke sequenzenweise und zwischen den einzelnen Therapien klafften lange Lücken.107 So kam die zuvor genannte Tochter des Regierungsrates während ihrer mehr als 30 Jahre dauernden Behandlung zwischen 1832 und 1838 nur ein einziges Mal zu Bönninghausen. Auch von 1845 bis 1858 herrschte eine lange Pause.108 Es war eher ungewöhnlich, dass Kranke mehrmals pro Tag von dem 102 Die absoluten Angaben Tabelle 51 im Anhang. 83,9 % der Oberschicht waren zwischen einem und fünf Jahren in Behandlung, in der Mittelschicht traf dies auf 90,8 % der Patienten zu und in der Unterschicht auf 94,7 %. 103 Die absoluten Angaben Tabelle 52 im Anhang, graphische Darstellung in Schaubild 43. 104 Insgesamt waren 80,6 % der Kinder aus der Oberschicht, 89,0 % aus der Mittelschicht und 92,1 % aus der Unterschicht bis zu sechs Jahren in der Behandlung des Freiherrn. Für die Angehörigen der Schichten insgesamt betrugen die entsprechenden prozentualen Anteile 83,9 % in der Oberschicht, 90,8 % in der Mittelschicht und 94,7 % in der Unterschicht. Die Darstellung in Schaubild 43. 105 Es waren 92,0 % der Männer und 92,3 % der Frauen während sechs Jahren in der Behandlung. Bei den Knaben waren es 90,9 % und bei den Mädchen 89,1 %. Hierzu Schaubild 43. 106 Zu den absoluten Angaben Tabelle 52 im Anhang sowie Schaubild 43. Für die Mädchen waren es die zuvor genannten 89,1 % und bei den Jungen 90,9 %. Was im Umkehrschluss heißt, dass die Behandlung bei 10,9 % der Mädchen und 9,1 % der Jungen länger als sechs Jahre dauerte. 107 Ein differenzierter Überblick für eine Behandlungsdauer bis zu zehn Jahren bietet Tabelle 53 im Anhang. 108 Die erste Lücke könnte zum Teil auf die Quellenlage zurückzuführen sein, da die Konsultationen in den Jahren 1834 und bis April 1835 nicht recherchiert werden konnten. Allerdings notierte der Freiherr die Kranke im untersuchten Teil des Journals IGM P 155 (also
346
7 Die Praxis Bönninghausens
Freiherrn betreut wurden. Es handelt sich um lediglich 83 Patienten, von denen mehr als die Hälfte Kinder waren.109 Ein Graf wurde demgegenüber innerhalb eines Jahres 30 Mal bei Bönninghausen vorstellig. Die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Terminen schwankten während seiner Kur zwischen zwei Tagen und annähernd vier Wochen. Auf zwei Jahre verteilten sich die 48 Konsultationen, die die Eltern wegen ihrer kleinen Tochter durchführten. Während der Behandlung ab September 1850 bis Ende des Jahres 1851 traten ebenfalls verschiedene Abstände zwischen zwei Tagen oder mehr als einem Monat auf.110 Ganz anders war das Konsultationsverhalten einer 23 Jahre alten Frau aus Glandorf. Sie erschien je ein Mal in den Jahren 1842, 1843 und 1851. Ähnlich wie sie hatten zehn weitere Patienten innerhalb von zehn Jahren den Freiherrn nur drei Mal aufgesucht. Bei einem 16-jährigen Knaben konnte Bönninghausen das Halsweh im Jahr 1851 mit zwei Verordnungen lindern. Neun Jahre später kehrte der junge Mann wegen verschiedener Beschwerden zu dem Homöopathen zurück.111
Schaubild 43: Vergleich der prozentualen Anteile der Kinder, die bis zu sechs Jahren in Behandlung waren, differenziert nach Geschlecht und Schicht (bezogen auf die jeweilige Patientengruppe). im Jahr 1833) kein einziges Mal. Ihre Seite in den Journalen begann in P 2 Fol. 74 am 18. Mai 1835. Insofern hätte die Betroffene nur 1834 Konsultationen haben können, ohne dass diese in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt wurden. 109 Eine mehrfache Konsultation je Tag wurde mit „bis“ bei den Konsultationsdaten von Bönninghausen selbst und entsprechend in der Datenbank vermerkt. Von den 83 Betroffenen, waren 46 (55,4 %) Kinder. Bei Hahnemann war dies wohl öfter der Fall. Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 31. 110 IGM P 155 (Graf Solms) und P 76 Fol. 184. 111 IGM P 49 Fol. 158 und P 79 Fol. 18. Die übrigen Patienten in der Datenbank unter Eingabe von „10“ bei Dauer der Behandlung und „=3“ bei Anzahl der Konsultationen.
7.3 Der Behandlungsverlauf
347
Je länger die Behandlung andauerte, desto höher wurde der Anteil derjenigen Patienten, die in diesem Zeitraum nicht in jedem Jahr bei Bönninghausen gewesen waren und deren Konsultationsverhalten daher eher auf eine sporadische Nutzung der homöopathischen Dienste schließen lässt.112 Wie bereits deutlich wurde, war für die Mehrheit der Patienten eine Therapie innerhalb eines Jahres abgeschlossen. Neben der großen Gruppe, die nur ein einziges Mal bei dem Freiherrn waren, suchten weitere 2.752 Kranke zwei Mal innerhalb eines Jahres seinen Rat.113 Durchschnittlich ein Mal pro Monat erschienen lediglich 18 Patienten. Dabei lassen sich für eine Frequenz von einer Konsultation je Jahr keine gravierenden geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellen. Hingegen ist wiederum auffällig, dass der Anteil von Kindern, die lediglich ein einziges Mal im Jahr dem Homöopathen vorgestellt wurde, geringer ist als in der Gesamtpatientenschaft. Knaben wurden eher nur ein einziges Mal je Jahr vorgestellt als Mädchen. Unterschichtangehörige waren, im Vergleich zu den anderen Schichten, auch häufiger nur ein Mal je Jahr beim Arzt.114 Deutlich ist in dieser Hinsicht besonders der hohe Anteil von Oberschichtangehörigen, die durchschnittlich ein Mal im Monat zu Bönninghausen kamen.115 Bei dieser Frequenz ist auch ein geschlechtsspezifischer Unterschied zu bemerken, indem 0,3 % aller Männer ein Mal pro Monat zu Bönninghausen kamen, aber nur 0,1 % aller Frauen. Bei den Kindern ist dies ebenso.116 Mit zunehmender Dauer und Frequenz stieg die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Kranken den Freiherrn wegen unterschiedlicher Beschwerden aufsuchten. Inwieweit einzelne Kranke dann sofort wieder auf die Homöopathie vertrauten oder doch zunächst eine „allopathische“ Kur genutzt hatten, kann nicht geklärt werden. Mehr als 2.000 Kranke hatten im Verlauf ihrer Therapie den Homöopathen wegen anderen Symptomen als den in der Erstkonsultation genannten aufgesucht.117 Eine Besserung der Leiden, derentwegen die Be112 Der Anteil derjenigen Kranken, die in drei Jahren nur zwei Mal bei Bönninghausen waren betrug 7 %, Kranke, die in vier Jahren weniger als ein Mal pro Jahr bei Bönninghausen waren, waren 16,3 % der Gruppe, während einer fünfjährigen Behandlung waren dies 28,4 %, bei einer sechsjährigen Dauer 34,3 %, innerhalb von sieben Jahren waren 48,5 % der Kranken weniger als sieben Mal bei Bönninghausen gewesen, für acht Jahre 51,6 %, bei einer neunjährigen Behandlungsdauer 55,8 % und während einer zehn Jahre anhaltenden Behandlung sahen 52,5 % der Kranken den Freiherrn weniger als ein Mal im Jahr. 113 Tabelle 53 im Anhang. 114 Tabelle 54 im Anhang. Die Frequenz von 0,083 (eine Konsultation im Jahr) ergab sich für 37,2 % aller Kranken, für 36,4 % der Männer und 36,5 % der Frauen, jedoch nur für 35,7 % der Kinder. Hierbei wiederum traf dies auf 36,9 % der Knaben und nur 33,1 % der Mädchen zu. Angehörige der Unterschicht waren in 37 % ein einziges Mal im Jahr bei Bönninghausen gegenüber 30,2 % der Oberschicht und 27,4 % der Mittelschicht. 115 Für die Gesamtpatientenschaft traf dies auf 0,2 % zu, auf Oberschichtangehörige aber für 0,8 %. 116 Ein Mal im Monat kamen 0,2 % aller Patienten, 0,3 % aller Männer und 0,1 % aller Frauen, 0,2 % aller Kinder, wobei 0,3 % aller Knaben und 0,1 % der Mädchen. 117 Die Bemerkung „wegen verschiedener Beschwerden“ bei Behandlungserfolg gibt es 2.365 Mal. Davon entfallen bei einer Dauer von einem Jahr 396 Patienten, bei zwei Jah-
348
7 Die Praxis Bönninghausens
troffenen erstmals zu dem Freiherrn Kontakt aufgenommen hatten, konnten mehr als 4.700 Kranke feststellen. Eine ausdrückliche Heilung erfolgte bei 689 Patienten. Andererseits konnte die homöopathische Methode nicht jeden Kranken von seinen Leiden befreien. Dies traf auf knapp 1.600 Leidende zu.118 Anhand der Dauer einer Behandlung und der Anzahl der durchgeführten Konsultationen kann man nicht bestimmen, inwieweit einzelne Kranke im Verlauf der Therapie zu treuen Anhängern der Homöopathie wurden. Sicherlich stieg mit zunehmender Dauer und Anzahl die Wahrscheinlichkeit dafür, dass einzelne Patienten bei jedweder Art von Beschwerden erneut zu Bönninghausen kamen. Wie man aber einzelnen Krankengeschichten entnehmen kann, war auch eine Besserung der Beschwerden durch die Mittel des Freiherrn kein Garant dafür, dass bei weiteren Symptomen wieder zu den homöopathischen Arzneien gegriffen wurde.119 Wie die einzelnen Behandlungsverläufe deutlich machten, nutzte die überwiegende Mehrheit der Betroffenen nur eine kurze Zeit das Angebot von Bönninghausen. Für viele der Betroffenen ist daher keine Aussage über einen „Behandlungserfolg“ möglich. Dieses Problem bietet sich nicht nur für die vorliegenden Unterlagen. Auch bei den „allopathischen“ Kollegen waren die Kranken mehrheitlich nur ein oder zwei Mal. Insofern wurde der Homöopath sogar im Vergleich öfter von einzelnen Betroffenen zu Rate gezogen. Interessant bleibt, dass Kinder länger und häufiger dem Freiherrn vorgestellt wurden. Hier haben die Eltern der homöopathischen Kur offensichtlich eine größere Heilungschance eingeräumt.
ren 454 Kranke, bei drei Jahren 231 Kranke, bei vier Jahren 177 Kranke, bei fünf Jahren 149 Patienten, bei sechs Jahren 123 Patienten, bei sieben Jahren 100 Patienten, bei acht Jahren 99 Kranke, bei neun Jahren 93 Kranke und bei zehn Jahren 85 Patienten. 118 Von den 14.266 Patienten war bei 5.580 Kranken (39,1 %) der Ausgang der Behandlung unbekannt, für weitere 1.767 (12,4 %) konnte keine klare Aussage getroffen werden. Ein „nein“ bei Behandlungserfolg ergab sich bei 1.595 Patienten (11,2 %). Von einer Besserung war bei 4.702 Kranken die Rede. Vier Kranken stellte Bönninghausen auch ein Attest aus IGM P 45 Fol. 161, P 55 Fol. 21, P 110 Fol. 65 und Fol. 293. Auch der Arzt Haller vermerkte den „Erfolg“ seiner Therapien, machte jedoch nur in 50 % aller Fälle diesbezüglich Angaben. Davon beurteilte er 68 % aller Fälle positiv im Verlauf, zweifelhaften Erfolg konstatierte er bei 10 % und einen negativen Verlauf bei 20 % der Fälle. Boschung: Haller, S. 12. Damit gilt er als „verhältnismäßig erfolgreicher Therapeut“. Steinke: Der junge Arzt, S. 83. Für van den Berghes Praxis ist bekannt, dass von 65 Kindern, zwölf geheilt wurden. Von den 2.932 Kranken, die älter als zehn waren, konnten 198 geheilt werden (6,8 %) und 602 fühlten ihre Leiden gebessert (20,5 %). Bei der Mehrheit der Fälle ist der Ausgang unbekannt. Baal: Homoeopathy, S. 247 und S. 251. 119 Hierzu mehr in Kapitel 7.5.
7.4 Kontakt von Patienten und Therapeut
349
7.4 Kontakt von Patienten und Therapeut Wenn man sich heute über längere Zeit hinweg unwohl fühlt, greift man meist zum Telefon, um sich bei seinem Hausarzt einen Termin geben zu lassen. Dieses Mittel der Kontaktaufnahme stand den Kranken zu Bönninghausens Zeiten nicht zur Verfügung. Sie machten sich selbst auf den Weg, um den Freiherrn in Münster aufzusuchen, wandten sich indirekt mittels Boten an ihn oder fragten schriftlich um Rat. Der Homöopath notierte in seinen Aufzeichnungen, ob ein Kranker persönlich bei ihm erschienen war oder nicht.120 Die überwiegende Mehrheit der Hilfesuchenden kam, zumindest für die Erstkonsultation, persönlich zu Bönninghausen. Er empfahl dies in seinem Leitfaden für die Erstellung eines Krankheitsbildes sehr dringend.121 Ähnliches galt für die Praxis des unbekannten thüringischen Arztes. Dort war ebenfalls die Mehrheit der Kranken persönlich erschienen. Aber bei diesem Heiler war der Anteil derjenigen größer, die einen Boten schickten und nicht selbst vorstellig wurden.122 Auch für Hahnemann war es selbstverständlich, dass die Kranken selbst kamen. Der Arzt Ottenthal wurde ebenso eher von den Betroffenen aufgesucht.123 Allerdings garantierte das eigene Erscheinen nicht in jedem Fall die erfolgreiche Durchführung der Erstanamnese, wie das Beispiel eines zwölf Jahre alten Mädchens zeigt. Die Jugendliche aus Salzbergen litt an Magenschmerzen, weinte jedoch, anstatt auf die Fragen Bönninghausens nach ihren Beschwerden zu antworten. Bei einer 15-Jährigen notierte der Freiherr hart: „blöd und antwortet nicht.“ Auch hier fiel die Erstanamnese 120 Hierfür verwendete er die Abkürzungen „v.v.“ und „n.v.“, was vidi vivum oder non vidi bedeutet. Bönninghausen: Krankenjournal, S. 165. Die Abkürzung „v.v.“ erscheint nur bei 28 Patienten in den Journalen, während bei vielen Kranken gar keine Notiz gemacht wurde. Daher wurde davon ausgegangen, dass das persönliche Erscheinen die Norm war und es nur ausdrücklich vermerkt wurde, wenn der Freiherr den Kranken nicht gesehen hatte. Insofern erhielt auch jeder Patient seine eigene Seite in den Aufzeichnungen, selbst wenn er nicht persönlich erschien. Eine Unterscheidung von Patient und Besucher, wie dies bei Thümmler: Rekonstruktion, S. 37 nötig war, muss daher hier nicht gemacht werden. 121 Die Eingabe von „ja“ bei „persönliche Konsultation“ in der Datenbank ergibt 9.222 Treffer. Bei manchen ist ersichtlich, dass die Behandlung später brieflich fortgesetzt wurde. Nicht erschienen waren 3.995 Kranke. Dabei ist unklar, ob sie sich mittels Boten oder schriftlich an den Freiherrn wandten, bei 73 Kranken ist ein brieflicher Kontakt nachweisbar, bei den übrigen Patienten war die Frage nicht sicher zu beantworten. Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 4. 122 Thümmler: Rekonstruktion, S. 38–39. Hausbesuche führte auch dieser Arzt kaum durch. Thümmler nennt 556 behandelte Personen, von denen 328 anwesend gewesen seien und 228 vertreten worden waren. Sie verzeichnet 1.017 Kontakte zwischen Arzt und Patient, von denen auf die Behandlung anwesender Kranker 671 entfielen und auf die „abwesender Patienten“ 337. Dennoch schreibt sie S. 38, dass „in nicht einmal der Hälfte aller Konsultationen der Patient selber anwesend war.“ Dieser Schluss ist angesichts der Daten nicht logisch. 123 Für Hahnemann beispielsweise Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 113 oder Schuricht: D16 Kommentar, S. 11–12, für Ottenthal: Oberhofer: Landarztpraxis, S. 174–175.
350
7 Die Praxis Bönninghausens
denkbar knapp aus. Ähnlich unbefriedigend verliefen die Befragungen weiterer Kinder, wobei ebenso erwachsene Patienten keine ausführlicheren Angaben machen konnten oder wollten.124 So notierte der Freiherr beispielsweise bei einem 52 Jahre alten Niederländer, der extra aus Amsterdam nach Münster gekommen war, dass dieser „kurz angebunden“ sei. Auch von einer Mutter, die Bönninghausen in erster Linie wegen des Leistenbruches ihres etwa zwei Monate alten Kindes konsultierte, berichtete er dasselbe.125 Prinzipiell versuchte Bönninghausen immer, auch bei seinen kleinsten Patienten, von den Kranken selbst Informationen zu erhalten. Einen dreijährigen Jungen, der seit einiger Zeit nachts viel schrie, befragte er nach dem „Warum“, worauf „das Kind viel nach dem Bauche“ fühlte, welcher sich „auch etwas gespannt“ zeigte.126 Gründe, weshalb Erkrankte den Homöopathen nicht selbst aufsuchten, klingen in manchen Anamnesen an. Eine 25-Jährige konnte „wegen Schwäche die Reise nicht unternehmen“. Vor allem bei Bettlägerigen wäre der Weg nach Münster zu anstrengend gewesen, so dass in diesen Fällen meist ein Bote geschickt wurde.127 Auch fürchtete man gesundheitliche Nachteile oder die Verschlechterung des eigenen Zustandes von einer weiten Reise.128 Wie beschwerlich sich die Anreise gestalten konnte, geht aus der Erstanamnese einer 30 Jahre alten Patientin aus Lüdinghausen hervor. Die Frau war mit ihrer Begleitung nach Münster aufgebrochen, obwohl sie schwanger war. Auf dem Weg dorthin hatten sie am Rad des Wagens „einen Schaden“ gehabt.129 Derartige Unannehmlichkeiten mochten Frauen, die in einiger Entfernung von Münster wohnten, von der Reise abhalten. Auch Kindern mutete man ein persönliches Erscheinen in der Sprechstunde seltener zu. Während etwa 28 % aller Patienten bei der Erstkonsultation nicht anwesend waren, betrug der Anteil der Kinder, die Bönninghausen nicht zu Gesicht bekam 37 %. Dies betraf nicht nur Kinder von außerhalb. Auch in Münster wohnende kleine Patienten
124 IGM P 115 Fol. 324 und P 83 Fol. 152. Weitere derartige Fälle: P 43 Fol. 26 und Fol. 152, P 50 Fol. 37 und Fol. 148, P 55 Fol. 18, P 71 Fol. 200, P 72 Fol. 193, P 75 Fol. 205, P 76 Fol. 193, P 77 Fol. 198, P 78 Fol. 233, P 80 Fol. 197, P 82 Fol. 252, P 115 Fol. 238. 125 IGM P 80 Fol. 163 und P 83 Fol. 222. 126 IGM P 104 Fol. 234. Zu Kindern als Patient auch Digby: Patient’s View, S. 295–296. 127 Das Beispiel IGM P 115 Fol. 388. Fälle von Bettlägerigkeit, die zum Teil mehrere Monate andauern konnte, in IGM P 43 Fol. 184, P 51 Fol. 41, P 55 Fol. 182, P 71 Fol. 234, P 84 Fol. 74, P 87 Fol. 47, P 102 Fol. 262, P 107 Fol. 183, P 111 Fol. 292. Hierzu Oberhofer: Landarztpraxis, S. 176 oder Vieler: Arztpraxis, S. 9, Balster: Kortum, S. 213–214. Die Entfernung als ein Argument, dass Kranke nicht persönlich erschienen, betonte Bönninghausen in seinem Aufsatz: Triduum, S. 43, S. 59 oder S. 64 sowie derselbe: Tabes dorsualis, S. 561. 128 Dies klingt an in IGM P 102 Fol. 315, wo es ausdrücklich hieß: „eine Reise nach Münster brachte keinen erheblichen Schaden“. Wenn man bedenkt, dass einige Leute ihre Beschwerden auf „Fahren im Wagen“ oder ähnliches zurückführten, ist diese Furcht durchaus verständlich. Hierzu Kapitel 6.1. 129 IGM P 87 Fol. 196. Leider geht aus der Anamnese nicht hervor, wer die Frau begleitete.
7.4 Kontakt von Patienten und Therapeut
351
wurden dem Homöopathen weniger häufig persönlich vorgestellt.130 Neben den Problemen, die eine möglicherweise weite und unangenehme Reise nach Münster haben konnte, waren die Eltern besonders ganz kleiner Kinder der Meinung, dass eine persönliche Vorstellung nicht nötig oder, da die Kinder keine eigenen Aussagen machen konnten, sinnlos sei. Einige Kranke wandten sich schriftlich an den Freiherrn. So wie jener besorgte Vater aus Nordwalde, der „ergebenst um freundliche Anhörung meiner und meines Sohnes Krankheitsgeschichte“ bat, oder die knapp 70 Jahre alte Patientin aus Hamm, die ihren Brief mit den Worten „ich bin so frei, Ihnen [sic!] mit einigen Zeilen zu belästigen“ begann.131 Doch entsprach nicht jede verfasste Nachricht den Vorstellungen von einem aussagekräftigen Krankheitsbild, wie es Bönninghausen in seinem Leitfaden vorschwebte. Häufiger musste er notieren, dass Leidende ihm „ungenügende“ oder „unvollständige“ Nachrichten geschickt hätten oder er noch einmal um eine Untersuchung und nähere Beschreibungen nachfragen musste. Die Schrift des Freiherrn hatten die entsprechenden Betroffenen nicht gelesen. Andererseits konnte es auch vorkommen, dass die Leidenden ihm „ellenlange Berichte“ schickten, aus denen die benötigten Angaben aber nicht hervorgingen. Dies war bei einem 23 Jahre alten Bauern aus Lienen der Fall, der sich brieflich zwei Mal an Bönninghausen wandte. Jedoch musste der Freiherr feststellen: „Ein unendlich langer schriftlicher Bericht, der nichts Wesentliches erklärt.“132 Bei manchen Patienten korrespondierte der Freiherr gar nicht mit den Kranken selbst. Sondern er erhielt das Krankheitsbild von einem anderen Arzt, ein Geistlicher führte als schreibkundiger Stellvertreter den Briefwechsel oder Familienangehörige unterrichteten den Freiherrn über das Befinden.133 Allerdings war der 130 Von den 14.266 Patienten waren 3.995 nicht persönlich erschienen, bei den 4.077 Kindern waren es 1.518. Von den aus Münster und den heute eingemeindeten Orten direkt stammenden Patienten, hatten sich von den 3.559 Betroffenen 612 (17,2 %) nicht zu Bönninghausen begeben. Von den hier wohnenden 1.274 Kindern waren es 333 (26,1 %). Dass Kinder häufiger zu den in Abwesenheit behandelten Patienten gehörten, stellten auch Thümmler: Rekonstruktion, S. 79 und Kirste: Tageslauf, S. 1911 fest. 131 IGM P 104 Fol. 328 und P 110 Fol. 160, der Brief P 222/2. Überliefert sind die Briefe von mehreren Patienten, IGM P 202/1 bis P 221/2, 38 davon wurden in der vorliegenden Arbeit für die Auswertungen herangezogen. 132 IGM P 83 Fol. 21 und P 115 Fol. 322 oder P 87 Fol. 230, „ungenügende Nachricht“ auch in IGM P 39 Fol. 21, P 42 Fol. 115, P 43 Fol. 1, P 44 Fol. 17 und Fol. 180, P 46 Fol. 133, P 106 Fol. 58, P 111 Fol. 151 sowie P 115 Fol. 240, weitere sieben Fälle in den Erstanamnesen, „sonst nichts geschrieben“ heißt es dort auch in sieben weiteren Fällen. Nachfragen musste Bönninghausen zum Beispiel bei IGM P 42 Fol. 140, P 74 Fol. 38, P 87 Fol. 236. Gelesen hatte die Anleitung aber ein Arzt, der sich dann schriftlich an Bönninghausen wandte: P 202/12 Anhang zum Brief vom 30. Januar 1830. 133 IGM P 85 Fol. 215, P 103 Fol. 289, P 106 Fol. 110 und P 221/3 sowie P 109 Fol. 19 (von „allopathischen“ Ärzten) oder P 154 S. 133 und S. 143 (Schwermer/Schwerner) sowie P 56 Fol. 25 (von Geistlichen), die Schreiben zu P 79 Fol. 49, P 106 Fol. 117, P 107 Fol. 227 von homöopathischen Ärzten. Auf derartige Korrespondenzen wurde in Kapitel 4.3 verwiesen. Briefe von Familienangehörigen erhielt Bönninghausen von seinem eigenen Schwiegervater P 151 S. 33–34, ein besorgter Bruder über seine Schwester beziehungs-
352
7 Die Praxis Bönninghausens
Anteil derjenigen Patienten, die den Freiherrn schriftlich um Rat fragten und mit ihm in Briefkontakt standen, im Vergleich zur Gesamtpatientenschaft geringer als bei Hahnemann. Der Begründer der Homöopathie führte eine ausgesprochen große „Korrespondenzpraxis“.134 Gleiches galt für den Arzt und Chirurgen Lorenz Heister.135 Eine weitaus geringere Rolle spielten Briefkonsultationen demgegenüber in der Praxis des Tiroler Landarztes.136 Zuverlässiger als eine schriftliche Nachricht konnte es scheinen, wenn die Kranken einen Boten sandten, der Bönninghausen immerhin anstelle des eigentlichen Patienten Rede und Antwort stehen konnte.137 Doch auch hier war es manchmal mit den Kenntnissen der geschickten Personen nicht weit her. Oft saßen dem Freiherrn völlig unwissende und ahnungslose Menschen gegenüber.138 In einem Fall konnte ihm der anwesende Vater fast nichts über den Gesundheitszustand seiner 19 Jahre alten Tochter berichten. Den Aus-
134
135
136 137
138
weise Geschwister von Herrn Groß zu P 76 Fol. 107 jetzt P 216/5 und P 216/6 oder Herrn Grützmacher P 217 zu P 80 Fol. 174 und Fol. 175 oder von Ehemännern über deren Gattinnen P 221/1 zu P 104 Fol. 22 oder P 202/17 zu P 151 S. 63–66 und S. 131, auch P 202/10 und P 202/11. Briefe von Bekannten oder Freunden sind hingegen in der Praxis Bönninghausens nicht überliefert, finden sich jedoch bei Hahnemann, beispielsweise im Zusammenhang mit der Behandlung der Mathilde Berenhorst: Gehrke, Christian: ArztPatientenbeziehung und medizinische Vorstellungen von Patienten im 18. und 19. Jahrhundert. In: ZKH 45 (2001), S. 238–240. Auch andere Patienten ließen die Korrespondenz durch ihren behandelnden Arzt führen: Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 169. Eine briefliche Konsultation fand bei 73 Patienten statt. Für die Praxis Bönninghausens sind prinzipiell viel weniger Patientenbriefe überliefert als für die Hahnemanns. Mehr als 5.500 Patientenbriefe an Samuel Hahnemann sind im Archiv des IGM erhalten. Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 112. Für Bönninghausen die entsprechenden Schriftstücke mit den Signaturen IGM P 202/1 bis P 221/2. Hahnemann bearbeitete zumindest im Jahr 1821 monatlich zwischen 20 und 70 brieflichen Kontakten. Die Briefbehandlung machte etwa 23 % der Kontakte aus. Mortsch: D22 Kommentar, S. 84–85. Zu diesem Begriff Vieler: Arztpraxis, S. 9. Auch andere Ärzte hatten eine ausgedehnte Briefpraxis wie dies Überlieferungen belegen: Stolberg: Homo patiens und Ruisinger: Patientenwege basieren auf den Auswertungen derartiger Briefkorpora von verschiedenen Ärzten. Einen Überblick zu dem Thema „Krankheit in Briefen“ sowie zu Patientenbriefen als Quellen bietet: Dinges, Martin; Barras, Vincent (Hrsg.): Krankheit in Briefen im deutschen und französischen Sprachraum 17.–21. Jahrhundert, Stuttgart 2007 (MedGG Beiheft 29). Ruisinger, Marion: Briefpraxis versus Besuchspraxis. Das Beispiel Lorenz Heister (1683– 1758). In: Dietrich-Daum; Dinges; Jütte: Arztpraxen, S. 65–77. Aufgrund der besonderen Quellenlage sind für diese Praxis sogar Untersuchungen bezüglich Unterschiede zwischen den einzelnen Patientengruppen möglich. In der Quellenüberlieferung liegt hier der Fall ähnlich wie bei Bönninghausen, indem relativ wenige Schreiben erhalten sind. Oberhofer: Landarztpraxis, S. 178. In den Praxen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts stellten Boten neben den durchgeführten Visiten die Hauptform des Arzt-Patienten-Kontakts: Vieler: Arztpraxis, S. 8–9, Lindemann: Health, S. 366, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 89–97, Thümmler: Rekonstruktion, S. 39, Stolberg: Patientenschaft, S. 16. Bei Kortum fanden 1,5 % aller Konsultationen mittels Boten statt. Balster: Kortum, S. 211. Ahnungslose und unwissende Boten in IGM P 81 Fol. 235, P 84 Fol. 149 und P 103 Fol. 38. In mindestens 79 Erstanamnesen notierte der Freiherr, dass „sonst nichts zu erfahren“ sei.
7.4 Kontakt von Patienten und Therapeut
353
künften eines Sohns über das Krankheitsbild eines Elternteils traute der Freiherr nicht allzu sehr, da es „der anwesende Sohn mit der Wahrheit nicht sehr genau zu nehmen“ schien. Im Fall einer 52 Jahre alten Frau aus Ottmarsbocholt war der Schwager geschickt worden, der aber kaum etwas berichten konnte. Auch die Erstanamnese einer 50 Jahre alten Frau aus Buldern fiel sehr kurz aus, da sonst „von dem unerhört dummen Mann nichts zu erfragen“ war. Ein Schmied aus Nienkerken hatte eine Magd zu Bönninghausen geschickt, die dem Homöopathen ebenfalls keine ausreichenden Informationen geben konnte. Bei einer 35-Jährigen aus Brochterbeck waren sowohl die mitgegebene schriftliche Nachricht „ungenügend“ als auch der Bote „unwissend“.139 Neben der Frage, inwieweit die Boten tatsächlich schlecht informiert waren und daher gar nicht mehr Auskunft geben konnten, bleibt auch die Überlegung, dass viele vielleicht gar nicht richtig auf die ausführlichen Anamneseerhebungen des Homöopathen vorbereitet waren. Welcher Bote oder welcher Kranke ahnte im Vorfeld, dass es für die Wahl des passenden Arzneimittels wichtig war zu wissen, ob die Schmerzen vor- oder nachmittags beispielsweise stärker waren oder welche begleitenden Umstände auftraten. Zumindest liegt in solchen Fällen nahe, dass die Betroffenen zuvor nicht den von Bönninghausen publizierten Leitfaden gelesen hatten. Allerdings hatten auch andere Ärzte immer wieder mit dem mangelnden Wissen von Boten zu kämpfen.140 In den Aufzeichnungen des Homöopathen ist meist von „dem Boten“ die Rede, so dass es sich um Männer gehandelt haben dürfte. In den zuvor genannten Beispielen wurde deutlich, dass häufig Familienangehörige für die entsprechenden Dienste eingesetzt wurden. Zumindest in den zwei Fällen, in denen „die Mutter selbst hier“ gewesen war, hatte der Freiherr aber nichts an der Ausführlichkeit ihrer Aussagen zu bemängeln.141 Bisweilen wurde den Boten einiges abverlangt. Besonders in dringenden Fällen mussten sie weite Wege in Rekordzeit zurücklegen, häufig mit dem Hintergedanken, dass bei ihrer Rückkehr der Sterbenskranke bereits seinem Leiden erlegen sein könnte. Unter solch dringenden Umständen kam im Mai 1842 ein Bote aus Glandorf an, der den Homöopathen wegen eines an Brustfieber erkrankten knapp zwei Jahre alten Mädchens um Medikamente bitten sollte. Das Kind war bereits „seit neun Tagen“ krank, und zwar „so schlimm, daß bei Rückkehr des Boten das Kind wohl schon verschieden sein kann“. Die Befürchtungen bewahrheiteten sich indes nicht und die kleine Patientin blieb 139 Die Beispiele der genannten Reihe nach: IGM P 110 Fol. 1 (ähnlich P 81 Fol. 177), P 115 Fol. 405, P 55 Fol. 147, P 53 Fol. 78, P 79 Fol. 193, P 81 Fol. 231. 140 Dinges: Introduction, S. 6, Oberhofer: Landarztpraxis, S. 176–177, mit Beispiel: Roilo: Historiae Morborum, S. 62, Balster: Kortum, S. 211, Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 94. 141 Dies sind IGM P 85 Fol. 213 und P 109 Fol. 54. In sechs Fällen ist von „dem Boten“ oder auch „der Bote“ die Rede. Auch in der Praxis des Bochumer Arztes sowie in der thüringischen Praxis, waren die Boten überwiegend männlich. Balster: Kortum, S. 213 und Thümmler: Rekonstruktion, S. 39, S. 69 und S. 78. Demgegenüber waren in der Praxis des Tiroler Arztes mehr Frauen als Boten tätig. Oberhofer: Landarztpraxis, S. 177.
354
7 Die Praxis Bönninghausens
noch mehrere Jahre in der homöopathischen Behandlung.142 Der Ausgesandte hatte sich ähnlich beeilt, wie ein berittener Bote im Fall eines Jungen aus demselben Ort, der sich mit Säure verätzt hatte. Das Unglück hatte sich am 22. August 1852 gegen sieben Uhr abends ereignet und der Bote war bereits gegen zehn Uhr in Münster. Er hatte „den 6stündigen Weg in 2½ Stunden zu Pferde zurückgelegt“.143 Für den kleinen Patienten hatte sich der Einsatz gelohnt. Der Freiherr konnte mit den homöopathischen Mitteln eine Besserung erzielen und berichtete davon, dass „nach 8 Tagen völlige Heilung“ eingetreten sei. Der Knabe selbst hatte neun Jahre später wegen verschiedener Beschwerden erneut eine Konsultation bei dem Freiherrn.144 Bei anderen Kranken kam jedoch jede Hilfe zu spät. Daher musste Bönninghausen bei einer 30 Jahre alten Frau aus Drensteinfurt notieren, dass sie bereits verstorben war, „als der Bote zurückkehrte“. Gleiches galt für einen 15-Jährigen aus Glandorf.145 Wie sich in diesem Abschnitt zeigte, nutzten die Betroffenen alle ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle, um mit dem Freiherrn in Verbindung zu treten. Die Korrespondenzpraxis spielte bei Bönninghausen eine geringere Rolle als bei Hahnemann. Die Klientel, die überwiegend im Umkreis von Münster zu Hause war, kam stattdessen der Mehrheit nach selbst zu dem Homöopathen oder schickte in dringenden Fällen einen Boten. Zumindest wurde deutlich, dass es von den Kranken akzeptiert wurde, dass sie den Therapeuten in seinem Haus aufzusuchen hatten. 7.5 Patientenverhalten Wie in den Schriften des Hippokrates zu lesen ist, wird von einem Kranken erwartet, dass er sich der Krankheit unter dem Beistand des Arztes widersetzt. Dabei wird impliziert, dass einem Betroffenen selbst in hohem Maß daran gelegen ist, seine Gesundheit so schnell wie möglich wiederherzustellen.146
142 IGM P 51 Fol. 11. 143 Die Krankengeschichte IGM P 83 Fol. 117. Die übrigen Angaben nach Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 485. Die Strecke zwischen den beiden Städten beträgt Luftlinie knapp 28,5 Kilometer, während der Routenplaner map24 einen Weg von 32,5 Kilometern mit einer Fahrtzeit von 40 Minuten ermittelt. http://www.de.map24.com, Zugriff vom 21. November 2008. 144 Aus IGM P 83 Fol. 117 geht nur eine Besserung und die erneute Konsultation hervor, über die vollständige Heilung berichtete Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 485. 145 Der erste Fall ereignete sich bereits 1838 IGM P 29 Fol. 127 (nicht in der Datenbank) und P 73 Fol. 84. Zu anderen Kranken, bei denen die Medikamente ebenfalls zu spät eintrafen Kapitel 5.4. 146 Hippokrates: Die epidemischen Krankheiten I, II, 6 nach: Hippokrates: Sämmtliche Werke. Übersetzt von Robert Fuchs, Zweiter Band, München 1897, S.108. Zu den Erwartungen an einen Kranken auch Coe: Sociology, S. 100–104 und Parsons: Social System, S. 439–447.
7.5 Patientenverhalten
355
Eine erfolgreiche Therapie setzt daher neben der Anwendung der richtigen Mittel und Maßnahmen besonders eine Kooperation des Kranken voraus.147 Samuel Hahnemann stellte sehr hohe Anforderungen an seine potentiellen Patienten. Er bestand nicht nur darauf, dass die Kranken ihn persönlich zu seinen Sprechstunden aufsuchten und ihn möglichst gleich bar bezahlten, sondern er erwartete, dass die Betroffenen sich homöopathische Grundkenntnisse aneignen und volles Vertrauen in seine Heilmethode haben sollten. Dazu gehörte, dass sie zuvor sein Hauptwerk, das Organon, oder eine seiner kürzeren Schriften lesen sollten. Außerdem mussten sich die Patienten seiner Kur unterordnen und jedweder Art von „allopathischer“ Behandlung abschwören. Hielten sie sich nicht an Hahnemanns Anweisungen, konnte dieser ausgesprochen hart reagieren und brach gegebenenfalls die Kur ab.148 Von Bönninghausen sind derartige Lektürevorschriften nicht bekannt. Allerdings hatte er in seinem kleinen Leitfaden zur Erstellung eines vollständigen Krankheitsbildes klare Anweisungen bezüglich einer einzuhaltenden Diät gegeben und gewisse Ratschläge zur Lebensführung gemacht.149 Üblicherweise wurden seine Behandlungen von entsprechenden Hinweisen auf eine Diät begleitet.150 Aus den Aufzeichnungen einiger Patienten geht hervor, dass diese sich durchaus selbst in den Schriften diverser homöopathischer Autoren kundig gemacht hatten. So übersandte ein Vater dem Freiherrn Aufzeichnungen über seinen Sohn, der an „Lungenschwindsucht“ litt. Dieses vollständige Krankheitsbild hatte der Buchhändler aus Darmstadt nach dem 147 Diese Kooperation in der Behandlung wird in der medizinischen Fachsprache mit dem Begriff des „Compliance“ belegt: Basler, Heinz-Dieter: Compliance. Die Kooperation in der Therapie. In: Basler, Heinz-Dieter; Florin, Irmela: Klinische Psychologie und körperliche Krankheit, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1985, S. 90–105. Am Beispiel der Patienten Hahnemanns verwendet Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 121–123 den Begriff. 148 Zu den Erwartungen Hahnemanns an seine Patienten: Jütte: Arzt-Patient-Beziehung, S. 114–115 und S. 121, derselbe: „Und es sammelt sich ohne Verdruß von Seiten des Kranken in des Arztes Beutel“. Samuel Hahnemann und die Honorarfrage. In: MedGG 18 (1999), S. 164, Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 90 (S. 174 im Original), derselbe in einem Brief vom 16. März 1831 an Bönninghausen, Stahl: Briefwechsel, S. 45–46. Aber es sind Fälle bekannt, in denen Hahnemann andere therapeutische Anwendungen, wie Pflaster duldete. Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 20, S. 116–120, Busche, Jens: Ein homöopathisches Patientennetzwerk im Herzogtum Anhalt-Bernburg. Die Familie von Kersten und ihr Umfeld in den Jahren 1831–1835, Stuttgart 2008 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 11), S. 100–101, Schreiber: Leipzig, S. 135– 136, Nachtmann: Behandlung, S. 99, Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 179. Zur externen Anwendung homöopathischer Mittel durch Hahnemann: Genneper, Thomas: Die externe Anwendung homöopathischer Arzneien. In: ZKH 46 (2002), S. 93–100. Aber auch der Baderchirurg Frizzun brach eine Behandlung nach wiederholten Unstimmigkeiten mit einem Patienten ab. Martin-Kies: Alltag, S. 96. 149 Bönninghausen: Diät und Entwerfung. Andere Homöopathen gaben ihren Patienten Zettel mit, auf denen notiert war, was erlaubt und was verboten war. Von Arthur Lutze eine derartige Notiz in P 96 im hinteren Deckel und von Friedrich Gauwerky aus Soest eine Nachricht in P 221/4, beide IGM. 150 Dies geht aus den Aufsätzen Bönninghausens zu seinen Behandlungen hervor. Beispielsweise Bönninghausen: Heilungen, S. 41.
356
7 Die Praxis Bönninghausens
„Keuchhustenbuche“ des Homöopathen angefertigt, wonach aber „angezeigt“ war, dass der Sohn „schwerlich zu retten“ sei. Ein französischer Patient hatte unter anderem in dem Handbuch von Hering gelesen und sich dementsprechend eine Hausapotheke angelegt, während ein Lehrer aus Pommern in Hahnemanns Werk Die chronischen Krankheiten gelesen hatte.151 Bei manch einem Betroffenen weckte die Lektüre eines homöopathischen Werkes das grundsätzliche Interesse für die Heilmethode. In diesem Sinn inserierte ein anonymer Amsterdamer in einer Zeitung, nachdem er Bönninghausens Haus- und Schiffsarzt gelesen hatte, es sollten sich Personen bei ihm melden, die bereits aus Erfahrung die Behandlungsmethode des Freiherrn empfehlen könnten. So wollte er es doch mit dieser, von seinem Arzt als „Quacksalberei“ bezeichneten, Methode versuchen. Denn sein Doktor habe seit drei Jahren nur seine Zunge angesehen, seinen Puls gefühlt und ihn Heilmittel schlucken lassen, wodurch er erst recht krank geworden sei, und es somit ohne Quacksalberei auch nicht weit mit ihm gebracht. Da der Unterschreibende nicht namentlich bekannt ist, ist nicht nachzuprüfen, ob sein Aufruf erfolgreich war und er sich letztendlich unter den zahlreichen Patienten aus Amsterdam befand, die den Freiherrn im Lauf der Zeit konsultierten.152 Ebenso wurde deutlich, dass auch der Freiherr erwartete, dass die Kranken zu ihm kamen und er nur in seltenen Ausnahmen Hausbesuche machte. In dieser Hinsicht folgte er seinem Lehrer Hahnemann. Die Betroffenen akzeptierten offensichtlich die Regel.153
151 P 108 Fol. 224. Die Erstanamnese datiert vom 8. Dezember 1860. Der Buchhändler muss das neue Buch Bönninghausen: Behandlung gemeint haben Es gibt zu diesem Thema außerdem einen in der AHZ 1857 veröffentlichten Aufsatz. Bönninghausen: Keuchhusten und in P 95 im hinteren Deckel machte sich Bönninghausen Notizen zu „Therapeutische Diagnosen zum Keuchhusten“. Für den französischen Patienten der Brief zu P 107 Fol. 229: „Je fis venir quelques ouvrages d’homeopathie entré autres le Manuel d’Héring je me moutai d’un petite pharmacie (…).“ Um welches Buch von Hering es sich genau handelt ist unklar, eventuell ist es Hering: Hausarzt. Und zumindest bei dem Pastor aus Ungarn (P 74 Fol. 246 sowie P 216/1–3) sowie dem Arzt Gross (P 76 Fol. 107 und die dazu gehörigen Briefe P 216/5 und P 216/6) kann man eine solche Lektüre mit Sicherheit vermuten, da sie sich selbst oder Familienangehörige gezielt therapierten. Der Lehrer aus Tempelberg in Pommern (P 80 Fol. 174 und Fol. 175 sowie P 217). Alle IGM. 152 Die Anzeige, die am 23. November 1853 mit dem Titel „Allemaal Kwakzalverij!!“ in einer nicht näher bestimmten niederländischen Zeitung erschien, hatte Bönninghausen in IGM P 88 hinten eingeklebt. Ich danke an dieser Stelle Frau Sabine Heise, Münster, für die Hilfe bei der Übersetzung. Das Buch, das der Betroffene gelesen hatte, war die niederländische Fassung von Bönninghausen: Hausarzt mit dem Titel: De homeopatische huis- en scheepsdoctor. In korte therapeutische diagnosen. Eene proeve, Rotterdam 1853. Kopfschmerzen, an denen der Patient litt, sind S. 33–95 in der deutschen und S. 29–82 in der niederländischen Fassung beschrieben. Übrigens war auch Bönninghausen: Diät und Entwerfung unter dem Titel Bönninghausen, Clemens von: Beknopt onderrigt in het opmaken van een volledig ziektebeeld en in de kennis der met de natuur overeenstemmende diët. Ten behoeve der homeopathische behandeling voor leeken in de Geneeskunde, Amsterdam 1852 erschienen. 153 Hierzu Kapitel 7.2 mit den ausführlichen Zitaten.
7.5 Patientenverhalten
357
Einzelne Krankengeschichten erlauben einen genaueren Einblick auf das Verhalten der Menschen, die bei Bönninghausen Hilfe suchten. Dabei begegnen dem Leser in der Praxis des Freiherren immer wieder Patienten, von denen man meinen könnte, sie hätten es mit der Heilung nicht ganz so eilig gehabt oder die homöopathische Therapie nicht ernst genommen.154 Hierzu gehören diejenigen, die bei Bönninghausen erschienen, anschließend jedoch ihre Pulver nicht mitnahmen, später nicht abholten oder diese nicht einnahmen. Nicht abgeholt wurden die Mittel für den zwölf Jahre alten Sohn eines Schmiedes, weswegen Bönninghausen sie per Brief verschickte. Ein 18 Jahre alter Bursche aus Glandorf nahm seine Medikamente auf dem Nachhauseweg gar nicht mit. Auch in anderen Fällen blieb der Freiherr auf den Mitteln sitzen. Was die Kranken mit ihrer Wendung an den Homöopathen bezweckt hatten, bleibt fraglich. Kurios ist der Fall eines Grafen von 30 Jahren, dessen Mutter nur einmal bei Bönninghausen erschien. Zwar war die Fortsetzung der von Homöopathen in Wien begonnenen Kur durch den Freiherrn geplant, weswegen der Patient in Münster binnen vier Wochen eintreffen sollte. Doch muss es sich der Adelige anders überlegt haben und der Besuch der Mutter bleibt das einzige nachweisbare Zeugnis seiner Behandlungsabsicht.155 Eine 19-Jährige aus Glandorf brauchte die ihr verschriebenen Mittel nicht vollständig auf, weswegen eine erwartete Wirkung ausblieb. Die Kranke nahm daraufhin „allopathische“ Medikamente, bevor sie nach drei Jahren doch wieder zu Bönninghausen kam. In ähnlicher Weise sprach die Frau eines Schreiners zwei Jahre nach ihrer Erstkonsultation erneut bei dem Homöopathen vor. Die damals verschriebenen Mittel hatte die Frau gar nicht eingenommen und nun wollte sie ganz andere Beschwerden behandelt haben. Eine andere Kranke schreckte im letzten Moment davor zurück, die Arzneien zu nehmen und verbrannte diese, um stattdessen die eines anderen Arztes einzunehmen. Dennoch konsultierte sie Bönninghausen knapp zwei Monate nach der Erstkonsultation wieder. Die 26 Jahre alte Gattin eines Inspektors schickte hingegen die ihr verschriebenen Mittel kommentarlos zurück 156 Auch hier kann nur spekuliert werden, weswegen die Betroffenen die Mittel nicht wie verordnet einnahmen und auf diese Weise ihre eigene Behandlung unmöglich machten.
154 Dies ist eine mögliche Interpretation des von der Sicht von Bönninghausen aus gesehenen „ungehorsamen“ Verhaltens. Die einzelnen Kranken mögen persönlich plausible Gründe gehabt haben, die Kur nicht weiter zu führen. Diese Gründe sind aufgrund der mangelnden Quellenlage nicht nachzuvollziehen. Zu derartig ambivalenten Interpretationen von Verhalten je nach Standpunkt auch Stolberg: Ärzte sowie Wolff: Würgeengel. 155 Die Beispiele IGM P 103 Fol. 166 und P 75 Fol. 98, der Graf P 85 Fol. 213. Ebenfalls die Mittel nicht abgeholt hatten: P 104 Fol. 144, P 106 Fol. 22, P 113 Fol. 66, P 114 Fol. 279. Alle Patienten stammten direkt aus Münster, so dass Bönninghausen wohl darum gebeten hatte, die Mittel später abzuholen. Keiner der vier erschien ein zweites Mal. 156 IGM P 37 Fol. 112, P 54 Fol. 241, P 28 Fol. 138 (diese Kranke ist nicht in der Datenbank, da die Behandlung 1838 erfolgte), P 82 Fol. 84 und P 112 Fol. 63, ebenso hatten P 155 (Coppenrath), P 155 (Rottmann), P 43 Fol. 87, P 53 Fol. 211, P 86 Fol. 189 und Fol. 251, P 87 Fol. 25 und P 115 Fol. 252 die Medikamente nicht eingenommen.
358
7 Die Praxis Bönninghausens
Den Grund, ein empfohlenes Mittel nicht einzunehmen, lieferte zumindest ein Bauer aus der Nähe von Melle. Er habe die Arzneien nicht gebraucht, „weil angeblich die Verwandten sich wiedersetzt“ hätten. Er nahm nach der ersten Konsultation des Freiherrn 1859 wieder eine „allopathische“ Behandlung auf, bevor er mehr als ein Jahr später die homöopathische Kur fortsetzte. Bei einer anderen Patientin erfuhr Bönninghausen später, dass der Arzt, bei dem sie seither in Behandlung gewesen war, sie von der Einnahme der homöopathischen Mittel abgebracht hatte, nachdem er ihr sagte, „er nähme es auf sein Gewissen, daß ihr nichts mehr helfen würde“. Die Kranke starb zwei Wochen später. Bei einer verwitweten Freifrau waren die Beschwerden von allein vergangen, weswegen sie auf die Einnahme der Mittel verzichtet hatte. Allerdings kehrte das Leiden nach zwei Monaten wieder zurück, so dass sie erneut den Freiherrn aufsuchte.157 Andere Kranke hatten die Medikamente unabsichtlich in der falschen Reihenfolge verwendet oder waren verwirrt durch die Darreichung der geringen Gaben und die langen Abstände zwischen den Einnahmen.158 So hatte eine 44 Jahre alte Bauersfrau etwas zu enthusiastisch „alle 8 Stunden ein ganzes Pulver eingenommen“, wodurch die Wirksamkeit des Mittels ausgeblieben war. Aber sie war nicht die einzige Patientin, die die verordneten Arzneien zu schnell oder falsch zu sich nahm. Bei einer 28-Jährigen aus Hamm hatten die Mittel trotz Zwischenpausen ihre Wirkung entfaltet und ähnliches galt für einen 40 Jahre alten Patienten aus Lengerich, der zuerst das dritte, dann das erste und zuletzt das zweite Pulver eingenommen hatte.159 Manch ein Kranker begann die Kur mit den homöopathischen Gaben aber auch erst später.160 Etwas ungeschickt stellte sich ein Patient 1830 an, der nämlich „die Pulver verschüttet“ hatte und so nicht einnehmen konnte. In anderen Fällen teilten sich mehrere Personen die Arzneien, die eigentlich nur für Einen bestimmt waren und ein ganz anderes Problem hatte eine 70-Jährige aus Bösensell. Sie selbst hatte nur das erste Mittel nehmen können, die übrigen hatte ihr Mann „gefressen“.161 Die homöopathische Therapie wurde von strengen Diätvorschriften begleitet. Wie der Freiherr in seiner kleinen Schrift betonte, sei es nicht allein die 157 Die Beispiele IGM P 103 Fol. 215 und P 114 Fol. 15. Zu weiteren Gründen für die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen auch Jütte: Ärzte, Patienten, Heiler, S. 218–223. 158 Über die lange Wirkungsdauer äußerte Bönninghausen sich in drei Aufsätzen: Cautelen, S. 311 sowie S. 337–354 und derselbe: Über die Wirkungsdauer der Arzneien. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 489–494 und derselbe: Die lange Wirkungsdauer. In: ebenda, S. 705–709. 159 IGM P 103 Fol. 217, P 51 Fol. 141 und P 110 Fol. 58, ähnlich P 104 Fol. 231, P 106 Fol. 242, P 107 Fol. 36, P 109 Fol. 61, P 115 Fol. 82. Auch Hahnemann gab, besonders bei Briefkonsultationen, immer mehrere Mittel ab. Bußmann: D6 Kommentar, S. 7, Nachtmann: Behandlung, S. 99. Auch Patienten des belgischen Homöopathen machten gelegentlich Fehler bei der Einnahme der Medikamente. Baal: In Search, S. 165. 160 IGM P 113 Fol. 143, auch P 154 S. 40 (Riepenhorst) oder P 154 (Boner). 161 IGM P 154 (Edelbrock), P 49 Fol. 81 sowie P 82 Fol. 229. Auch P 202/12 am 11. April 1830.
7.5 Patientenverhalten
359
Diät, die dem Kranken „seine Gesundheit wieder verschafft“. Vielmehr sei der Zweck einer solchen, dass sie den erkrankten Menschen „zu einer naturgemäßen Lebensweise zurückführen“ solle und verhindere, „daß die zur Besiegung einer Krankheit gereichte Arznei nicht durch sonstige arzneiliche Reize gestört werde“.162 Verboten waren daher Kaffee und starker Tee, nicht nur chinesischer oder grüner Tee, sondern gleichfalls Aufgüsse aus Flieder, Kamille, Pfefferminz und Fenchel. Gleiches galt für „hitzige Getränke“, wie Wein, Branntwein, Rum oder Liköre aller Art sowie Bier. Starke Gewürze, wie Pfeffer, Lorbeer oder Zitrone, waren ebenfalls untersagt und besondere Gerüche galt es genauso zu vermeiden. Zu letzterem zählte Bönninghausen den des Kampfers, sämtliche Parfümerien und Räucherwerke. Strengstens verboten war ohnehin die Verwendung von diversen äußerlichen Mitteln in Form von Salben, Bädern und Pflastern.163 Aber immer wieder notierte der Freiherr Mitteilungen von Kranken, die die verordnete Diät nicht eingehalten hatten oder den Wirkungserfolg der homöopathischen Arzneien durch fortgesetztes Kaffee-, Tee- oder Schnapstrinken selbst sabotierten.164 Beispielsweise konnte eine 72-Jährige aus Amelsbüren „den Kaffee nicht entbehren“ und die Frau eines bekannten Münsteraner Bildhauers war ebenfalls eine notorische Kaffeetrinkerin.165 In ähnlicher Weise konnte die Tochter eines Tischlers ihr ständiges Bedürfnis nach Kamillentee nicht unterdrücken.166 „Söffer“ verdarben sich ihre eigenen Heilungschancen durch fortgesetztes Trinken von Branntwein und Schnaps, aber auch Wein und Bier wurden entgegen den Anweisungen des Freiherrn getrunken.167 Ein 162 Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 5–6. Auch Hahnemann gab entsprechende Diätvorschriften, beispielsweise Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 122–125, Nachtmann: Behandlung, S. 100, Brockmeyer: Schreibweisen, S. 98–99, Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 173, Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 68–72 (S. 131–139 im Original). Weihe, Gauwerky und Lutze notierten solche auf Zetteln, die Bönninghausen in seinen Journalen aufbewahrte P 53 im vorderen und P 96 jeweils im hinteren Deckel, sowie P 221/4, alle IGM. 163 Eine ausführliche Übersicht: Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 13–18. 164 Das Wort „Diät“ wurde in 16 Erstanamnesen und 28 Mal bei „Behandlungserfolg“ vermerkt. Meist sind es „Diätbrüche“. IGM P 154 (Burlage/Barlage) und (Schürmann), P 155 (Petri) sowie (Schmedding), P 36 Fol. 47, P 39 Fol. 29, P 51 Fol. 19, P 55 Fol. 128, P 72 Fol. 182, P 78 Fol. 80, P 104 Fol. 80 oder P 115 Fol. 90. 165 IGM P 74 Fol. 144 und P 40 Fol. 92. Es handelt sich bei letzterer um Elisabeth Ney, auch ihr Mann war Patient bei Bönninghausen P 113 Fol. 257. Mehr zu der Familie in dem Sammelband über deren Tochter Elisabeth Ney: Stadtmuseum Münster (Hrsg.): Herrin ihrer Kunst. Elisabeth Ney Bildhauerin in Europa und Amerika. Ein Ausstellungskatalog, Münster 2008, besonders zur Person des Vaters darin der Aufsatz von: Tiemann, Katharina: Der verkannte Bildhauer Johann Adam Ney in Münster. Künstler und eigenwilliges Vorbild, S. 52–57. Vermerke über unerlaubten Kaffeegenuss auch in IGM P 154 (Iserhinke) und (Wenner), P 36 Fol. 105, P 38 Fol. 184, P 45 Fol. 169, P 71 Fol. 121, P 78 Fol. 110, P 112 Fol. 213a. 166 IGM P 43 Fol. 127. Bei anderen Kranken wurde die Essenz des Tees nicht näher bestimmt, beispielsweise IGM P 154 (Holsen) und (Krawinkel), P 38 Fol. 154, P 53 Fol. 90. 167 Diverse Alkoholika unter anderen IGM P 154 (Ziegler) und (Thiers), P 155 (Feldbäumer), P 37 Fol. 170, P 39 Fol. 113, P 48 Fol. 51, P 53 Fol. 62, P 71 Fol. 149, P 75 Fol. 119, P 103
360
7 Die Praxis Bönninghausens
in Militärdiensten stehender Graf zählte zu den regelmäßigen Diätbrechern, indem der Freiherr mehrmals im Verlauf der Krankengeschichte notierte, dass der Husar die Diät nicht habe halten können oder die Wirkung der Medikamente durch zu stark gewürzte Speisen verdorben hätte. Bei anderen Patienten waren Völlereien auf einer Hochzeit, der Genuss von Schokolade oder das Würzen mit Pfeffer Diätsünden. Besonders auffallend ist das Verhalten jenes 31 Jahre alten Manns, dessen Kur erfolglos blieb, weil er „aber dabei täglich 3–4 mal jedesmal 40 Gr.(an) Op.(ium)“ nahm.168 Manche Kranken verstießen gegen die Auflagen, die Bönninghausen unter dem Stichwort „Mode-Sachen“ und „Lebensweise“ thematisiert hatte. Eine Schauspielerin bediente sich der Schminke und ein erst 15 Jahre alter Knabe aus Warendorf trug eine Perücke. Die schädliche Wirkung des Haarfärbens machte Bönninghausen für den schlechten Gesundheitszustand eines Verwandten verantwortlich.169 In anderen Fällen war die Wirkung der Medikamente durch starke Gemütsbewegungen aufgehoben worden.170 Bei den meisten Betroffenen setzte der Freiherr die Kur dennoch fort. Allerdings waren wenige Kranke so einsichtig, wie eine 65 Jahre alte Patientin aus Ennigerloh, die während der Kur „aber Kaffee getrunken“ und die Mittel zudem falsch eingenommen hatte. Bönninghausen verschrieb ihr dieselben Medikamente erneut, weil sie versprochen hatte, „sich aber nun bessern“ zu wollen. Ebenso selbstkritisch berichtete ein Pfarrer, dass er bei der fast täglich zu lesenden Messe „etwas Wein gebrauche“ und vermutete „auch hier ein Hindernis der Behandlung“.171 Andere Patienten fragten in den Briefen vorsichtig, was erlaubt sei und was nicht. So erkundigte sich der Lehrer aus Pommern am Ende eines Briefes, ob seine Schwester „Gesundheitsschokolade ohne Gewürz mit Zucker“ trinken dürfe. Auch die Droste-Hülshoff hatte den Freiherrn um genaue Anweisungen bezüglich einer erlaubten Kost gebeten. Zumindest teilte sie ihrer Bekannten Sophie von Haxthausen mit, dass junge Gänse und rohe Milch verbo-
Fol. 257. 168 IGM P 48 Fol. 20, P 154 (Schlüter) und P 34 Fol. 160, P 155 (von Nagel), P 78 Fol. 280, P 75 Fol. 230, ähnlich auch P 37 Fol. 20 ein Schützenfest, P 51 Fol. 150 Tanzen und Saufen. Ein Gran entspricht 0,06 Gramm in Preußen. Witthöft, Harald: Deutsche Masse und Gewichte des 19. Jahrhunderts nach Gesetzen, Verordnungen und autorisierten Publikationen deutscher Staaten, Territorien und Städte. Teil 1 Die Orts- und Landesmaße, St. Katharinen 1993 (Handbuch der Historischen Metrologie 2), S. 26. 169 Schminken P 115 Fol. 448 und P 154 (Schulze Entrup), Perücke P 47 Fol. 107 (alle IGM) und das Haarfärben in einem Brief an von und zu Brenken vom 23. Februar 1857, Conrad: Briefwechsel, S. 23. Archivamt Archiv Erpernburg. Hierzu die Ausführungen in Bönninghausen: Diät und Entwerfung, S. 17–18. 170 So IGM P 154 (Fiddeler) Schreck, P 154 (Ziegler) Gemütsbewegung nicht näher bestimmter Art. 171 IGM P 44 Fol. 26 und P 216/2, ähnlich kritisch bezüglich seines Lebenswandels: P 202/12 am 11. April 1830.
7.5 Patientenverhalten
361
ten, hingegen Stengelrüben und Spinat sowie gekochte Milch erlaubt seien.172 Ähnlich verfuhr eine Dame aus Borghorst, die am Ende ihres Briefes fragte, ob sie „Spinat, Spargel und Stangenrüben“ essen dürfe.173 Derartige Äußerungen in den Briefen weisen jedoch darauf hin, dass die Patienten gewillt waren, sich den Anweisungen des Homöopathen zu beugen und dessen Diätvorschriften so weit wie möglich einzuhalten.174 Der Vater, der sich selbst und seinen Sohn von der Krätze geheilt wissen wollte, teilte Bönninghausen selbstbewusst seine eigenen Vorstellungen über die benötigten Medikamente mit. Das für ihn „bestimmte Mittel“ müsse „auf den Stuhlgang wirken, weil sonst mein [das ist der Patient, M. B.] Zustand durch Verstopfung gleich unverträglich wird“.175 Ähnliche Anfragen und Versuche, die Behandlung zu gestalten beziehungsweise nach eigenem Verständnis darauf Einfluss zu nehmen, sind auch von den Patienten Hahnemanns und anderer Ärzte bekannt.176 Verschiedene Patienten teilten dem Freiherrn immer wieder mit, dass sie während ihrer Therapie andere Mittel gebraucht hatten. Nicht alle Kranken fühlten sich daran gebunden, dem Homöopathen während der Behandlung die alleinige Treue zu halten und verwendeten vielfach Mittel parallel. Überzeugte Anhänger der Hahnemannschen Lehre waren sie somit kaum oder sie mochten offensichtlich nicht ihr ganzes Vertrauen auf sie setzen. Selbst Bönninghausens Frau führte während der Schwangerschaft Aderlässe durch. Und sie war nicht die einzige, nach deren Verständnis derartige Maßnahmen den
172 Der Brief IGM P 217 zu P 80 Fol. 174. Die Passage aus dem Brief der Droste im Original: „ – ich hatte auch gerade nach eingen Speisen fragen lassen, und bekam zur Antwort, – Gesseln sind verboten, so wie rohe Milch – hingegen sind erlaubt Stengelrüben und Spinat, so wie alle gekochte Milch und auch Stipmilch, Buttermilch, dicke Milch, Käse ohne Gewürz“. Nach Droste-Hülshoff: Briefe, S. 105–106. „Gessel“ ist nach Grimm: Deutsches Wörterbuch Band 4,1 Sp. 4174 eine junge Gans. Auch in P 216/2 wird gefragt, ob Eichelkaffee erlaubt sei. 173 Die Patientin P 151 S. 119–120. Die Anfrage IGM P 202/11, zweites Schriftstück ohne Datum, S. 2. Eine direkte Anfrage wegen „Bitter- und Brunnenkresse“ in IGM P 202/5, P 202/10. 174 Nicht nur die ausführlichen tagebuchartigen Berichte in den Briefen an Bönninghausen geben über die Bereitschaft der Patienten, sich selbst und ihr Verhalten kritisch zu beobachten Auskunft, zum Beispiel die Briefe des ungarischen Pfarrers P 216/1–3 oder P 202/10 und P 202/11, IGM. Anhand des längeren Briefwechsels eines Kantoren, der durch Hahnemann behandelt wurde, konnte Dinges: Männlichkeitskonstruktion, S. 111– 112 auch nachzeichnen, wie der Betroffene nach und nach sein Verhalten änderte und dies in den Briefen ausführlich darstellte. Eine ähnliche Sicht derartiger Einwirkungsversuche von Seiten der Patienten: Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 174, ebenda S. 174–177 werden Veränderungen im Verhalten der Patienten und deren Beschreibung der eigenen Symptome unter dem Einfluss der Behandlung durch Hahnemann thematisiert. 175 IGM P 104 Fol. 328. 176 Für Hahnemann: Gehrke, Christian: Arzt-Patientenbeziehung und medizinisch Vorstellungen von Patienten im 18. und 19. Jahrhundert. In: ZKH 45 (2001), S. 238–245, Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 177–186. Für andere Ärzte: Stolberg: Orakel, S. 386 und S. 392, derselbe: Homo patiens, S. 106, Lachmund; Stollberg: Patientenwelten, S. 99–106, Baal: In Search, S. 2–3 sowie S. 194.
362
7 Die Praxis Bönninghausens
homöopathischen Anweisungen nicht widersprachen.177 Andere Kranke schmierten weiter mit Salben, nahmen nicht näher bestimmte Medikamente und Hausmittel ein, brauchten Klistiere, legten Pflaster auf und führten Inhalationen und Bäder durch. Ein 68 Jahre alter Geheimrat aus Münster hatte während seiner Kur Schwefelbäder, „Kräuterthee und Schröpfköpfe, ohne Erfolg“ gebraucht.178 Ein solches Verhalten konnte, musste aber nicht zwangsweise, zum Abbruch der Behandlung durch Bönninghausen führen. Dies zeigt das Beispiel eines Betroffenen, der „gestern Sennesblütten genommen“ hatte. Der eine Termin wurde „abgesagt“, aber der Kranke erschien dennoch ein weiteres Mal zur Behandlung.179 Doch der Freiherr war nicht in allen Fällen so nachsichtig. Einige Patienten bekamen sehr deutlich seinen Zorn zu spüren und häufig ist die Reaktion des Homöopathen durchaus nachvollziehbar. Noch im November 1829 nahm er sich auf dringendes Bitten durch eine Frau Präsidentin der 35 Jahre alten Gattin eines Schuhmachers aus Münster an. Die Betroffene litt „schon seit 4 Jahren an einer eigenthümlichen Schwäche des ganzen Körpers, die bis jetzt immer zugenommen hat“. Bönninghausen machte in diesem Fall sogar einen seiner seltenen Hausbesuche, bei dem er „sie ganz abgemagert und krumm zusammengezogen im Bette liegend“ fand. „Wahrlich ein Bild höchsten Jammers.“180 Nach dem Erhalt der Rezepte der vier Ärzte, die die Frau seit 1825 behandelt hatten, verordnete der Freiherr die entsprechenden homöopathischen Mittel. Die Betroffene dankte ihm seine Mühen kaum und trank entgegen der begleitenden Diät Kaffee. Darüber hinaus ließ sie gegenüber anderen verlauten, „daß es ihr lästerlich scheine, wenn ich [das ist Bönninghausen, M. B.] glaube, ihre Krankheit habe ihren Grund in schlecht geheilter Krätze“. Der Homöopath war ob dieser offenkundigen Zweifel an seiner Diagnose zu Recht düpiert und brach die Behandlung ab. Zwar stattete er der Kranken auf dringendes Bitten einer anderen Frau erneut einen Besuch ab, die Therapie dauerte aber nur bis Ende Dezember des Jahres.181 Eine ähnlich ungehaltene Reaktion des Freiherrn provozierte das Verhalten einer be177 IGM P 151 S. 29–31, sowie P 35 Fol. 17, P 46 Fol. 139, P 47 Fol. 153, P 50 Fol. 84, P 73 Fol. 30. Auch der Arzt Groß ließ sich aus nicht näher beschriebenen Gründen bei einer Krankheit „allopathisch“ therapieren, ohne sich selbst homöopathisch zu behandeln. Brief zu IGM P 76 Fol. 197 P 216/6. Ähnliches ist von Patienten Hahnemanns bekannt. Ehinger: D36 Kommentar, S. 141, Busche: Patientennetzwerk, S. 98–100. Hahnemann lehnte derartiges strikt ab. Hahnemann: Die chronischen Krankheiten, S. 69 (S. 134 im Original). Solches Verhalten belegt auch Held: Außenseitertum, S. 87, Baal: In Search, S. 195–196. Auch heute sind derartige Parallelbehandlungen üblich. Schultheiß; Schriever: Warum, S. 134–135. 178 IGM P 72 Fol. 146, sowie P 154 (Beverding), (Gooszen) oder (Schlechtendahl), P 34 Fol. 129, P 38 Fol. 119, P 42 Fol. 106, P 44 Fol. 81, P 47 Fol. 117, P 53 Fol. 240, P 77 Fol. 65, P 78 Fol. 92, P 86 Fol. 286, P 110 Fol. 186, P 112 Fol. 264. 179 IGM P 154 (Melskämper). 180 IGM P 151 S. 89–94. 181 IGM P 151 S. 89–94. Nach den Angaben in der Personenkartei Ferdinand Theissing starb die Frau 1832.
7.5 Patientenverhalten
363
freundeten Grafenfamilie. Bereits acht Mal hatte Bönninghausen deren Tochter Mittel gegeben, als er eines Abends erfuhr, „daß Dr. Werlitz herbeigerufen war, ohne mich zu benachrichtigen“. Auch in diesem Fall bedeutete das „Fremdgehen“ der Patienten das Ende der homöopathischen Kur. So erging es auch einem Betroffenen, der wegen einer „Halsdrüsengeschwulst“ zu dem Homöopathen kam. Dieser wurde nach seiner zweiten Konsultation „fortgejagt“, nachdem er gestanden hatte, weiterhin „allöopathisch gebraucht“ zu haben. Dasselbe Schicksal ereilte einen 34-Jährigen aus Handorf, der sich „Aufschläge von Kräutern“ gemacht hatte und einen Sattler aus Münster, der sich hatte „punktiren lassen“. Beide wurden „nun deshalb von mir abgewiesen“, wie der Homöopath notierte.182 Von der einen Frau, die vermutlich ein abtreibendes Mittel von Bönninghausen erwartet hatte, war schon die Rede. Auch sie hatte keinen Erfolg bei der Bitte um eine „Kur“. Ebenso wenig kam der Freiherr den Wünschen eines 25 Jahre alten Patienten aus Rotterdam in der Gestaltung der Behandlung nach. Dieser wollte, dass der Homöopath mit seinem seitherigen niederländischen Arzt „darüber korrespondieren“ solle. Bönninghausen verweigerte sich dem Ansinnen mit den Worten „was ich weder will noch kann“. Genauso erfolglos blieb ein Major mit der Absicht, sein „Kind täglich baden“ zu wollen. Die Kur des Sohns wurde deswegen abgelehnt. Einen Rentmeister traf der Zorn des Freiherrn ebenfalls. Der 33-Jährige „hat seitdem ohne mein Vorwissen ein Bad gebraucht und kriegt nun nichts wieder“. Allerdings unternahm der Mann wegen seiner noch immer anhaltenden Beschwerden sechs Jahre später einen erneuten Therapieversuch und blieb dann etwa zwei Jahre in der Behandlung.183 Anders als der Rentmeister waren nicht alle Patienten von der Richtigkeit und der Wirksamkeit der homöopathischen Arzneien zu überzeugen. Wenn die Mittel nicht schnell genug anschlugen und eine spür- oder sichtbare Veränderung des Befindens bewirkten, kehrten die Betroffenen entsprechend häufig dem Freiherrn den Rücken und begaben sich wieder zu einem „Allopathen“. Von der so genannten homöopathischen Verschlimmerung hatte sich ein Patient abschrecken lassen, der Bönninghausen mitteilte, er sei zu seinem Arzt zurückgekehrt und wolle bei diesem bleiben.184 Ähnlich war es bei der Frau des Gärtners, die im November 1829 zu den ersten Patienten des Freiherrn zählte. Nach der Erstkonsultation hatte Bönninghausen die 26-Jährige nicht mehr gesehen. Doch wurde ihm Mitte Dezember des Jahres von anderen berichtet, „daß sie keine Diät gehalten, dabei im Hause viel Verdruß gehabt, und sich zu einem anderen gewandt, nach dessen einmaliger Verwendung sie gestorben“ sei. So erging es auch einem Karrenbinder aus Münster, der sich nach einmaliger Konsultation bei dem Freiherrn ins Clemenshospital begeben hatte und dort binnen drei Tagen verstarb.185 Auch eine 40-Jährige aus Mün182 Die Beispiele der Reihe nach: IGM P 82 Fol. 30, P 154 S. 40 und S. 65 (Ahaus), P 50 Fol. 89, P 73 Fol. 109. 183 IGM P 90 Fol. 70, P 83 Fol. 19, P 79 Fol. 87 und P 87 Fol. 230. 184 IGM P 107 Fol. 8, ähnlich P 114 Fol. 19. 185 IGM P 151 S. 95–96, P 84 Fol. 138. Hierzu Kapitel 5.4.
364
7 Die Praxis Bönninghausens
ster erschien nicht wieder bei dem Freiherrn. Nachdem die ersten beiden eingenommenen Mittel nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, wandte sie sich von der Homöopathie ab.186 Konsequent war das Verhalten eines 80-jährigen Patienten, der die Therapie bei Bönninghausen ebenfalls beendete, weil er „die Diät nicht halten konnte“.187 Die Zweifel an der Wirksamkeit der Homöopathie zu zerstreuen, hoffte der Freiherr bei einem 39 Jahre alten Kranken. Obwohl dieser „nicht an die kleinen Gaben“ glaubte, wurde er bei Bönninghausen vorstellig und konsultierte ihn vier Mal. Eine 34 Jahre alte Frau aus Lüdinghausen hatte nur ein einziges Mal Medikamente erhalten und anschließend „auf die Pulverchen geschimpft und keine Diät gehalten“. Daher war eine erhoffte Besserung ausgeblieben, weswegen die Betroffene sich erneut in eine „allopathische“ Behandlung begeben hatten.188 Gleichermaßen ungeduldig war ein Gärtner, dem „die Kur zu langsam Fortschritte“ machte und der zudem die verordnete Diät verletzt hatte. Bönninghausen schrieb resignierend: „Euer Wille geschehe“. Der Kranke erschien nach mehr als 20 Jahren wieder in der Praxis und wollte ein anderes Leiden behandelt wissen. Etwas schneller kehrte ein 25 Jahre alter Weber aus Ostbevern zu dem Freiherrn zurück. Nachdem die Kur zu Beginn keine deutlichen Besserungen erzielen konnte, hatte er „seitdem allopathisch gebraucht“, was letztendlich nur dazu führte, dass die Symptome wieder ähnlich schlimm wie bei der Erstkonsultation waren. Der Mann setzte dann seine Therapie über zwei Jahre hinweg fort.189 Aber auch Betroffene, die über mehrere Konsultationen oder Jahre hinweg bei Bönninghausen in der Behandlung gewesen waren, wandten sich teilweise enttäuscht von der Homöopathie ab. So beendete ein 51 Jahre alter Kranker aus Rotterdam die Kur nach elf Konsultationen. Offenbar hatte er keine spürbare Verbesserung seines Gesundheitszustandes erfahren und gab „die Kur auf und ist wieder zu den Allop.(athen). zurückgekehrt“, wie Bönninghausen notierte. Die Rechnung stellte er dem Herrn dennoch aus. Auch ein anderer Betroffener quittierte nach zehn Konsultationen trotz einer eingetretenen Besserung seiner Beschwerden das Verhältnis zu dem Homöopathen, indem er von diesem mit den Worten, er wolle „es aufgeben“ eine Rechnung forderte. Ähnlich enttäuscht wandte sich eine Rätin nach acht Jahren Therapie und mehr als 100 Konsultationen von dem Freiherrn ab.190 Gerade solchen Patienten kann man jedoch kaum mangelnde Geduld oder fehlende Koopera186 IGM P 81 Fol. 176, auch P 47 Fol. 44. 187 IGM P 37 Fol. 7, so auch P 77 Fol. 86. 188 IGM P 48 Fol. 189 und P 82 Fol. 14, ähnlich wie der letzte Fall P 79 Fol. 36. Ähnlich „ungläubige“ Patienten hatte auch van den Berghe in seiner Praxis. Baal: In Search, S. 197, dieselbe: Being Ill, S. 149. 189 IGM P 151 S. 105 und P 86 Fol. 115 im Original verwendete Bönninghausen die lateinischen Worte „Fiat voluntas vestra!“ sowie P 35 Fol. 78. Weitere Behandlungsabbrüche durch Patienten P 87 Fol. 1 und Fol. 25. 190 IGM P 102 Fol. 323, P 113 Fol. 259, P 155 ab S. 1 (Honthumb) sowie die Fortsetzung in Journal P 2 Fol. 20.
7.5 Patientenverhalten
365
tionsbereitschaft in der Therapie vorwerfen. Auch ein Kranker aus Frankreich beendete nach vierjähriger Behandlung die Zusammenarbeit mit Bönninghausen. Er wurde von einem weiteren Arzt vor Ort betreut, mit dem der Freiherr die Honorarabsprachen traf. Doch wurde der Patient wegen ausbleibender Erfolge „ungeduldig“ und ließ letztendlich nichts mehr von sich hören.191 Nach vier Behandlungsterminen stellte ein 13-Jähriger fest, er könne die Kur „nicht vertragen“. Andere brachen die Behandlung durch den Freiherrn kommentarlos ab und in vielen Fällen notierte der Freiherr, vermutlich mit schwerem Herzen, den Tod seiner ehemaligen Patienten während einer anderweitigen medizinischen Betreuung.192 Der Gatte einer Frau Oberst wurde 1849 hingegen nach Berlin versetzt, so dass die Dame ihre Kur bei Bönninghausen ebenfalls abbrechen musste. Einen ganz anderen Grund für das Ende der Therapie hatte ein Herzog, dessen Befinden der Freiherr nach drei Konsultationen mit „nun wohl und will nun nicht mehr brauchen“ beschrieb.193 Manch einer der Abtrünnigen suchte Bönninghausen erneut auf, nachdem eine fortgesetzte schulmedizinische Kur keinen weiteren Erfolg gezeigt hatte. Ob jeder von „Reue“ erfüllt war, wie es der Homöopath in der Anamnese eines „Musikus“ notierte, bleibt dahingestellt. Der zum Zeitpunkt der Erstanamnese 64 Jahre alte Mann hatte eine Kur wegen seiner andauernden Augenentzündung begonnen. Dennoch hatte er sich anderweitig um eine Heilung bemüht, was zu einer Verschlimmerung der Beschwerden führte, weswegen er „voll Vertrauens“ zu Bönninghausen zurückkehrte.194 So hatte eine 30 Jahre alte Patientin, nachdem sie mit den homöopathischen Mitteln keine Besserung erzielen konnte, sogar einen sechs Wochen dauernden Aufenthalt im Krankenhaus zu Sankt Mauritz gehabt, bevor sie Bönninghausen erneut aufsuchte. Einige der oft auch Todkranken konnten dann aber die homöopathischen Gaben nicht mehr retten, wie dies bei einer 62-Jährigen aus Glandorf der Fall war.195 Verwunderlich ist in manchen Fällen, dass die Patienten nach einer erfolgreich verlaufenen Therapie in einem weiteren Krankheitsfall zunächst wieder einen anderen Arzt aufsuchten, bevor sie zu Bönninghausen kamen beziehungsweise dem Freiherrn ganz fern blieben. So hatten bei einem 15 Jahre alten Knaben aus Hamm die Mittel des Homöopathen seine Hüftschmerzen gelindert. Dennoch hatte er anschließend zwei weitere „Allopathen“ konsultiert sowie Schröpfköpfe und Blutegel angewendet.196 Im Jahr 1831 hatte der 191 IGM P 104 Fol. 158. 192 IGM P 83 Fol. 221 sowie P 42 Fol. 104 oder P 115 Fol. 398. Zu dem Tod von Patienten Kapitel 5.4. 193 IGM P 73 Fol. 206 und P 104 Fol. 271. Bei 689 Patienten wurde eine Heilung notiert. Etwa 300 davon setzten ihre Kur aber wegen verschiedener Beschwerden fort. 194 IGM P 151 S. 287 und P 154 (Lembeck). 195 IGM P 112 Fol. 130 und P 72 Fol. 158. Für letztere auch Kapitel 5.4. 196 IGM P 115 Fol. 249, ähnlich auch P 37 Fol. 98. Dies kam auch in van den Berghes Praxis vor. Baal: Homoeopathy, S. 252–253, dieselbe: In Search, S. 196.
366
7 Die Praxis Bönninghausens
Freiherr einen dreijährigen Knaben erfolgreich behandelt, bei einem „Scharlachausschlag“ war jedoch zunächst der Arzt Klövekorn konsultiert worden, bevor der Patient 1837 wieder in die Praxis des Freiherrn kam.197 Eine 52-jährige Näherin zog es trotz der Besserung durch die Globuli vor, nach zwei Konsultationen wieder zu ihrem Arzt Riefenstahl zurückzukehren, während eine 16 Jahre alte Patientin in Zukunft auf den Rat des Pastors von Bochum hören wollte.198 Allerdings hatte der Homöopath nicht nur mit „ungehorsamen“ und undankbaren Menschen zu tun. Viele seiner Patienten hielten sich an die Vorschriften, die er ihnen machte, und nahmen die verschriebenen Mittel in der entsprechend verordneten Reihenfolge ein. Zumindest war es bei der Mehrheit der Kranken von Seiten des Freiherrn nicht nötig, irgendwelche aus seiner Sicht negativen Einflüsse auf die stattfindende Therapie zu notieren.199 Von verschiedenen Seiten wurde ihm die Heilung von Beschwerden mitgeteilt und andere ehemalige Patienten bedankten sich für eine erfolgreiche Behandlung.200 Innerhalb von zwei Konsultationen konnte der Freiherr der Gattin eines „Schullehrers“ helfen. Die Krankengeschichte schließt in diesem Fall mit den Worten: „So gut als hergestellt, und ist der Mann eben so verwundert als dankbar über die schnelle Hülfe“.201 Ein weiterer Patient war über seine „Wie-
197 IGM P 154 (Petersen) und P 26 Fol. 108, ähnlich P 35 Fol. 159. 198 IGM P 52 Fol. 179 und P 87 Fol. 225. Bei mindestens 35 Patienten ist im Rahmen des „Allop. gebr.“ davon die Rede, dass sie auch nach der Erstkonsultation wieder entsprechende Therapien nutzten. Auch zum Beispiel IGM P 87 Fol. 251 (nicht in der Datenbank). Bei einem 16-jährigen Mädchen, das eiternden Kopfausschlag mit Drüsen am Hals und Augenentzündung hatte. Sie war zwei Mal bei Bönninghausen, dann hieß es „haben in der Nacht nach Fové geschickt wegen Bellrose und brauchen jetzt von diesem“. Die Kranke erschien 1857 ein weiteres Mal wegen „Entzündung der Brust“. 199 Eine derartige Befolgung der „ärztlichen“ Anweisungen wurde nicht thematisiert, weil sie die erwartete Norm darstellte. Somit wird das „normale“ Verhalten kaum dokumentiert, obwohl es bei einer Vielzahl der Kranken vorausgesetzt werden kann. Ausnahmen sind die zuvor genannten Briefe, aus denen Verhaltensänderungen und Befolgungen der Anweisungen von Seiten der Patienten zu entnehmen sind, auch P 216/2, in dem der Pfarrer aus Ungarn genau beschrieb, wie sich die Symptome nach Einnahme der Mittel änderten. Abweichendes Verhalten wird hingegen wahrgenommen und sanktioniert. Einführend zum Begriff des „abweichenden Verhaltens“: Peuckert, Rüdiger: Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. Auflage 2000, S. 103–123. Gleiches gilt für die Briefe Hahnemanns. Stolberg: Krankheitserfahrung, S. 174. Beispielhaft für die raren Berichte über „positives“ Verhalten: Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 213– 214, Porter; Porter: Patient’s Progress, S. 88–92. 200 Eine Heilung wurde bei 689 Patienten verzeichnet. 201 IGM P 48 Fol. 114, ausdrücklich von Dank ist auch bei IGM P 154 S. 45 (Dupré) die Rede. Bönninghausen berichtete von dieser Heilung in Bönninghausen: Triduum, S. 39. Hier „zitiert“ er aus dem Dankschreiben ausführlicher: „Zum Schlusse muß ich Ihnen noch freimüthig und offen bekennen: nie habe ich eine solche Krankheit in einem so hohen Grade erlebt; eben so wenig von einer so schnellen, als glücklichen Kur gehört.“
7.5 Patientenverhalten
367
derherstellung“ derart erfreut, dass er diese in einer Meldung im Münsterischen Anzeiger mitteilte.202 Clemens Maria Franz von Bönninghausen bot, als einer von vielen im Rahmen des „medizinischen Marktes“, seine Dienste an. Er war darüber hinaus sogar Laie, und die meisten Kranken hatten, wie deutlich wurde, zuvor andere Therapieangebote genutzt. Die Entscheidung, letztendlich der Homöopathie eine Chance zu geben, beruhte auf vielfältigen Überlegungen. Nachdem alle bisher versuchten Mittel erfolglos angewendet worden waren, entschlossen sich die Kranken, diese Heilmethode auszuprobieren. Dabei kam es gelegentlich vor, dass ausgebildete Ärzte den Betroffenen selbst empfahlen, zu Bönninghausen zu gehen. So formulierte Bönninghausen es in den Aufzeichnungen über seine eigene Schwiegermutter. Da seither keine Haus- und ärztlichen Mittel geholfen hätten, „schien es nicht unrathsam, homöopathisch zu versuchen, und zu versuchen was diese Heilmethode in solchen Fällen leisten könne“.203 Ein zwölf Jahre altes Mädchen war „nach langem Brauchen“ von dem Arzt abgewiesen worden und suchte nun den Rat des Freiherrn.204 Das Verhalten der Patienten richtete sich in solchen Fällen zum einen nach Erfolgsaussichten und zum anderen nach Empfehlungen. Wie ebenfalls im Lauf der Schilderungen deutlich wurde, zogen erfolgreiche Heilungen weitere Behandlungsfälle nach sich. Insbesondere innerhalb von Familien und Bekannten wurde dann die Adresse des Freiherrn weitergegeben.205 Wie durch die Beschreibung der vorangegangenen „allopathischen“ Kuren anklang, waren die wenigsten Patienten, als sie den Freiherrn zum ersten Mal aufsuchten, Anhänger der Lehre Hahnemanns.206 Auch nachdem sie Bönninghausen konsultiert hatten, war eine Besserung, wie in diesem Abschnitt zu sehen war, nicht notwendigerweise eine Voraussetzung dafür, dass 202 IGM P 113 Fol. 9. Bönninghausen notierte am Ende: „20/8 62. seine Herstellung im Münst. Anzeiger mitgetheilt.“ Allerdings konnte in der entsprechenden Ausgabe keine derartige Anzeige gefunden werden. Ich danke an dieser Stelle Frau Sabine Heise und Frau Irmgard Pelster, Münster, für die Auskunft. 203 IGM P 151 S. 33–34. Dies geschah auch bei der Droste. P 151 S. 1–4 oder P 151 S. 267, P 77 Fol. 184, P 82 Fol. 277. Weitere Fälle in Kapitel 4.4.2 und 4.4.3. Gleiches galt für Patienten in Hahnemanns Praxis. Dinges, Martin: Einleitung. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. Länder, Schulen, Heilkundige, München 1996, S. 7, Brockmeyer: Schreibweisen, S. 268, Meyer: Patientenbriefe, S. 70. Zu den möglichen Motiven: Sauerbeck: Hahnemann, S. 8, Baal: In Search, S. 192–194. In ähnlicher Weise wurden aber auch andere Heiler nach Misserfolgen der gebildeten Ärzte konsultiert: Lindemann: Krankheit, S. 205–206. 204 IGM P 44 Fol. 176, auch P 47 Fol. 187, P 76 Fol. 17, P 78 Fol. 197, P 86 Fol. 221, P 106 Fol. 109 und Fol. 189, P 107 Fol. 241. „Nach langem Brauchen” meint hier die Einnahme „allopathischer Mittel”. 205 Auf Bitten der Droste selbst nahm sich Bönninghausen eines Kindes an IGM P 151 S. 5–7. Auch die Behandlung der undankbaren Gärtnerfrau erfolgte auf eine Fürsprache hin P 151 S. 89–94. Ähnliche „Netzwerke“ klingen unter anderen an in IGM P 35 Fol. 20, P 51 Fol. 37, P 71 Fol. 205, P 79 Fol. 231, P 115 Fol. 63. Zu den familiären Netzwerken Kapitel 5.2. 206 Dies traf aber auch auf die Patienten Hahnemanns zu. Sauerbeck: Hahnemann, S. 8.
368
7 Die Praxis Bönninghausens
die Kranken der Homöopathie weiterhin die Treue hielten. Immer wieder berichtete der Freiherr in seinen Notizen von „ungehorsamen“ Patienten, die sich während seinen Behandlungen von anderen Ärzten betreuen ließen, von schlechten Gewohnheiten nicht ablassen konnten oder die nach einer erfolgreichen Behandlung bei neuerlichen Beschwerden zunächst wieder zu einem „Allopathen“ gingen und nicht direkt zu ihm. Aber es erging nicht nur dem Freiherrn so. Von denselben Problemen waren auch andere Ärzte betroffen.207 Doch darf man bei all diesem „abweichenden Verhalten“ nicht übersehen, dass nur von einem kleineren Teil der Kranken derartige Schritte überliefert sind. Ein anderer Teil der Patienten hielt sich dagegen an die „Spielregeln“, die die Behandlung bei Bönninghausen bestimmten. Gerade durch das „unfolgsame“ Verhalten während der Therapie durch Bönninghausen zeigt sich das eigenständige Handeln der Patienten. Diese ließen sich nicht alles sagen und setzten sich eigenmächtig über diverse Regeln hinweg. Das vielfältige medizinische Angebot wurde durchweg genutzt und die Anweisungen und Regeln des Homöopathen nicht immer streng befolgt. In diesem Sinn präsentieren sich die Kranken des 19. Jahrhunderts als frei entscheidende, selbstbewusste Individuen, die über die jeweilige Folgebereitschaft in den Therapien selbst befanden und sich keinem „ärztlichen Zwang“ unterwarfen.208 7.6 Honorarforderungen und Bezahlung Clemens Maria Franz von Bönninghausen begann seine „homöopathischen Heilversuche“ spätestens im November 1829. Zu dieser Zeit verlangte er für seine Dienste noch kein Honorar, zumal viele der ersten Patienten enge Freunde und Familienangehörige waren. Nicht aus dem näheren Umfeld des Freiherrn stammte zwar die kleine Patientin „von etwa neun Jahren“ derer er sich auf Bitten der Droste annahm, da das Kind „sonst ganz arm“ war. Hätte der Freiherr bereits auf eine Bezahlung bestanden, kann man vermuten, dass er in einem solchen Falle auf diese verzichtet hätte. Bis 1835 konnten die Betroffenen auf die kostenlose Hilfe des Homöopathen zählen. Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt aus dem Gehalt als preußischer Beamter. Doch als, nach dem Ende seiner Tätigkeit im Katasterwesen, seine Bezahlung auf die Hälfte reduziert wurde, überlegte er sich bald, 207 Loetz: Vom Kranken: S. 244, Baal: In Search, S. 192–198. 208 Ähnliches stellt auch Dinges: Arztpraxen, S. 53 und derselbe: Männlichkeitskonstruktion, S. 118 fest. Porter; Porter: Patient’s Progress, S. 15 belegten dies auch für das 18. Jahrhundert und in der Praxis van den Berghes wurde derselbe Schluss gezogen. Baal: In Search, S. 256. Zum Wandel des Arzt-Patient-Verhältnis auch Lachmund; Stolberg: Patientenwelten sowie Huerkamp, Claudia: Ärzte und Patienten. Zum strukturellen Wandel der Arzt-Patient-Beziehung vom ausgehenden 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. In: Labisch, Alfons; Spree, Reinhard (Hrsg.): Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, Bonn 1989, S. 57–73, Bischoff; Zenz: Patientenkonzepte, S. 11, Digby: Patient’s View, S. 303–304.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
369
mit seiner Praxis das nötige Geld zu verdienen. Dabei war ihm bewusst, dass er den Zorn der „zünftigen Aeskulapen“ wecken könnte.209 Dennoch schlug er den Weg ein und machte per Anzeige im Westfälischen Merkur vom 6. Februar 1835 bekannt, dass er für künftigen Rat und Hilfe „eine dem nöthigen Aufwande von Zeit und Mühe billig entsprechende Vergütung“ verlangen wolle.210 Mit diesem Schritt rief Bönninghausen, wie befürchtet, den Widerspruch der nieder- und zugelassenen Ärzte hervor. Die Ausübung der Homöopathie wurde ihm daraufhin „durch eine hohe Ministerial-Verfügung“ vom 13. März 1836 untersagt, was er im April des Jahres ebenfalls in der Zeitung bekannt gab.211 Wie die Krankenjournale aber belegen, kam der Freiherr dem Verbot nicht nach und seine Tätigkeit wurde offenkundig toleriert. Auch Honorarforderungen stellte er in dieser Zeit. Die Patienten, die Bönninghausen in den ersten Praxisjahren aufsuchten, mussten sich daher um die Bezahlung der homöopathischen Dienste keine Gedanken machen. Besonders für die weniger Begüterten unter den Kranken dürfte dies eine willkommene Gelegenheit gewesen sein. Allerdings ließen sich in der Zeit zwischen 1829 und 1833 auch viele Personen aus der Oberschicht behandeln, die sich ein entsprechendes Entgelt hätten leisten können. Die mangelnde Anziehungskraft des Homöopathen für Patienten aus der Oberschicht in den folgenden untersuchten Praxisjahren, dürfte kaum durch die nun auftretenden Honorarforderungen zu erklären sein. Im Gegenteil, unter den später auf Rechnung behandelten Kranken befanden sich ausgesprochen viele aus der Oberschicht.212 Andererseits zeigt die zunehmende Akzeptanz der homöopathischen Tätigkeit bei Angehörigen der Unterschicht auch, dass die nach 1835 erhobenen Beträge nicht abschreckend wirkten. Doch wie hoch waren die Honorare des Freiherrn? Waren sie höher als die Forderungen anderer Ärzte? Hatten ärmere Patienten weniger zu zahlen als Reiche? Derartige gestaffelte Entgeltsätze waren zum Teil bei anderen Homöopathen üblich. Auch die Medizinaltaxe des preußischen Staates räumte für diverse medizinische Leistungen einen Spielraum für die Geldbeträge ein. So konnten die Ärzte ihre Forderungen den Vermögensverhältnissen ihrer Patienten anpassen.213 209 Hierzu der Brief an von und zu Brenken vom 16. Januar 1835. Abgedruckt in Conrad: Briefwechsel, S. 14–17. 210 Westfälischer Merkur vom 6. Februar 1835. Bönninghausen notierte sich, dass er die Anzeige auch im Intelligenzblatt des Jahres drucken ließ. Hierzu P 1 im vorderen Deckel. Die Anzeige selbst Münsterisches Intelligenzblatt 1835, S. 140. 211 Westfälischer Merkur vom 4. April 1836. 212 Bei 357 Patienten konnten Angaben zu Honorar oder Rechnungen gefunden werden. Davon gehörten 116 der Oberschicht an, 94 kamen aus der Mittelschicht und 40 aus der Unterschicht. 213 Hierzu der Kommentar zu Absatz 1 der Taxe für practische Ärzte vom 21. Juni 1815. Abgedruckt in Medicinal-Kalender 1857, S. 10. Sehr deutlich ist in dieser Hinsicht der Informationszettel von Lutze, den Bönninghausen sich in IGM P 96 in den hinteren Deckel geklebt hatte. Hier heißt es: „Das Honorar überlasse ich im Allgemeinen der Bestimmung eines Jeden nach dessen Vermögensumständen, da notorisch Arme Rath und Arz-
370
7 Die Praxis Bönninghausens
Prinzipiell ist es nicht leicht, aus den Krankenjournalen etwas zu den erhobenen und den geleisteten Beträgen in Erfahrung zu bringen. Bei lediglich 357 Patienten waren derartige Angaben überliefert. Nur allzu häufig handelt es sich um die bloße Information, dass der Kranke „auf Rechnung“ behandelt wurde.214 Der genaue Betrag wurde hingegen verschwiegen. Zwar führte Bönninghausen ein „Conto-Buch“. Dieses enthält jedoch erst Angaben ab 1851 bis 1853 sowie für die Jahre 1861 und 1862. Es ist zudem unregelmäßig geführt und eine intensivere Nutzung für das Büchlein fand erst der Sohn Friedrich, der es nach 1864 hauptsächlich verwendete.215 Zumindest zeigen die Bemerkungen, dass der Freiherr auf Rechnung behandelte, dass die Kranken nicht in allen Fällen bar bezahlen mussten und dass der Homöopath von der rigorosen Haltung seines Lehrmeisters Hahnemann in dieser Hinsicht abwich.216 Andererseits kann die geringe Anzahl von Bemerkungen über das Honorar auch darauf hindeuten, dass die Mehrheit der Betroffenen ihre Kur sofort bezahlte und sich daher eine entsprechende Notiz erübrigte. Die Beträge, die zumeist am Schluss einer Krankengeschichte, am Ende eines Jahres im Behandlungsverlauf notiert oder im „Conto-Buch“ aufgeführt wurden, schwankten zwischen fünf Groschen und 91 Talern.217 Allerdings betrug die Mehrheit der in Rechnung gestellten Summen zwischen einem und zwei Talern. Die Höhe der meisten Rechnungen ging damit nicht über den
214
215 216
217
nei unentgeltlich empfangen. In der Regel zahlen Begüterte für 1–2monatliche Behandlung und Arznei 1 Friedrichsd’or, Personen aus dem Mittelstande 1 oder 2 Thaler, weniger Bemittelte nach Umständen weniger.“ Auch von Hahnemann ist derartiges überliefert. Jütte: Honorarfrage, S. 161, Schuricht: D16 Kommentar, S. 152–154, Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 33–37, Mortsch: D22 Kommentar, S. 88–96. Für einen anderen Arzt: Tutzke; Engel: Tätigkeit, S. 464. Von dem belgischen Homöopathen van den Berghe ist bekannt, dass er sehr viele Kranke kostenlos behandelte. Baal: Homoeopathy, S. 242. Er hatte dafür sogar besondere Sprechstunden: Baal: Being Ill, S. 149, dieselbe: In Search, S. 130–135. Verschiedene Preise hatte auch Rapp Held: Außenseitertum, S. 86– 87. Dies ist bei 153 Patienten (42,9 %) der Fall. Dabei sind 45 Patienten aus der Oberschicht (38,8 %), 40 aus der Mittelschicht (42,6 %) und 17 aus der Unterschicht (42,5 %). Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Patienten, von denen Honorar und Schicht bekannt sind. Es handelt sich um IGM P 156 Conto-Buch. Jütte: Honorarfrage, S. 1571–158. Auch Hahnemann hat wohl auf Rechnung behandelt. Busche: Patientennetzwerk, S. 101–104. Namenslisten der Kranken, die Bönninghausen „Auf Rechnung“ behandelte, finden sich am Ende der Journale IGM P 3 bis P 5, P 38 bis P 40, P 44 bis P 66 sowie P 68. Aber auch andere Ärzte bestanden auf eine sofortige Bezahlung. Bei dem Arzt im Harz wurde in 466 von 820 Fällen die Behandlung sofort bezahlt: Thümmler: Rekonstruktion, S. 66, auch bei Ottenthal: Roilo: Historiae Morborum, S. 57. Das preußische Währungssystem galt seit 1821 in Westfalen. Ein Taler entspricht 30 Groschen. Ein Groschen sind zwölf Pfennige. Verdenhalven, Fritz: Alte Meß- und Währungssysteme aus dem deutschen Sprachgebiet, Neustadt an der Aisch 2. Auflage 1998, S. 100. Die paläographischen Abkürzungen ebenda S. 117–119.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
371
Preis für eine handelsübliche Menge Getreide hinaus.218 Mehr als 40 Patienten mussten dem Freiherrn zwischen zwei und drei Talern für geleistete Dienste bezahlen.219 Die höchste Summe beglich mit den zuvor genannten 91 Talern im Jahr 1852 eine Patientin aus England, die Bönninghausen seit Mai 1851 28 Mal per Brief konsultiert hatte. Allein diese Summe und die Häufigkeit der Konsultationen lassen darauf schließen, dass die Kranke verhältnismäßig wohlhabend war. Es folgten zwei weitere Behandlungsdaten, nachdem der entsprechende Betrag notiert worden war. Über deren Bezahlung lässt die Krankengeschichte jedoch nichts mehr verlauten.220 Der Freiherr hatte sein Honorar „für Engländer“ im Deckel eines Journals notiert und festgelegt, dass eine Konsultation mit Ordination drei Taler und ein Brief zwischen zwei und drei Talern kosten sollten. Entsprechend stellte er einer Familie aus der Grafschaft Suffolk eine Rechnung von fast 70 Talern aus. Diese beinhaltete für den Vater vier Ordinationen zu zwölf Talern sowie vier Briefe für je zwei Taler. Ähnlich verfuhr der Freiherr für die weiteren Familienangehörigen, denen je acht und fünf Konsultationen sowie vier weitere Briefe in Rechnung gestellt wurden. Zusätzlich berechnete er zwei Taler und zehn Groschen für weiteres Porto und Auslagen, wobei aus der Krankengeschichte des Manns hervorgeht, dass ein Brief damals elf Groschen Porto kostete.221 Bei anderen im Ausland wohnenden Patienten schöpfte der Freiherr seine Honorargrenzen aus und verlangte für einen Brief die festgelegten drei Taler.222 Ein französischer Patient ließ Bönninghausen über einen weiteren Arzt wissen, er würde für die Erstkonsultation 50 Franc zahlen, für jede weitere 30. Der Freiherr akzeptierte die Bedingungen und notierte in gewissen Abständen während der 13 Konsultationen die erfolgten Zahlungen.223 Die niederländischen Patienten konnten ihre Behandlung ebenso in Gulden begleichen. Der Homöopath hatte sich Tabellen mit den entsprechenden Wechselkursen in die Deckel seiner Journale notiert.224 Ein 52 Jahre alter Patient hatte bei218 Die Marktpreise 1842 aus Westfälischer Merkur vom 10. November 1842 Weizen der preußische Scheffel zwei Taler 20 Groschen, Roggen ein Taler 28 Groschen, Gerste ein Taler 15 Groschen, Buchweitzen ein Taler 20 Groschen, Hafer 27 Groschen sechs Pfennige, Kartoffeln 18 Groschen. Die Preise stiegen in den 50er Jahren an. Hierzu ausführlicher Fußnoten 256 und 257 sowie die Ausführungen in diesem Kapitel. 219 Von den Rechnungen, die klassifiziert werden konnten, betrugen zehn weniger als einen Taler, 52 zwischen einem und zwei Talern, 44 bis zu drei Talern, 28 bis zu vier Talern, 18 bis zu fünf Talern, zehn bis zu sechs Talern, 15 bis zu sieben und fünf bis zu acht Talern. Bis zu neun Talern waren zwei Kranke schuldig geblieben, bis zu zehn sieben und bis zu elf sechs. Zwischen elf und 20 Talern betrug die Rechnung von 20 Kranken, 20 und mehr Taler bezahlten 13 Personen. 220 IGM P 79 Fol. 49. 221 Die Rechnung mit der Gesamtsumme IGM P 80 Fol. 66 (Rückseite), die anderen beiden Patienten P 80 Fol. 67, P 80 Fol. 65 (hier das Porto). Die Notizen zu dem Honorar „für Engländer“ in IGM P 80 im Deckel hinten. 222 IGM P 79 Fol. 81, Fol. 97 und Fol. 131 sowie P 82 Fol. 255. 223 IGM P 104 Fol. 158. 224 IGM P 85 und P 86 im hinteren Deckel. Für die Umrechnung von Friedrichsd’or auch P 87 im hinteren Deckel.
372
7 Die Praxis Bönninghausens
spielsweise 25 Gulden übersandt, was Bönninghausen in 13 Taler 28 Groschen und neun Pfennige umrechnete. Er verrechnete den Betrag gewissenhaft mit den seither getätigten Leistungen und schrieb dem Herrn vier Taler und einen Groschen gut. Eine andere Patientin aus Rotterdam beglich für die eine in dem Journal notierte Konsultation sieben Gulden, was laut den Tabellen des Freiherrn drei Talern 27 Groschen und zehn Pfennigen entsprach. Insgesamt betrugen die in Gulden berechneten Beträge zwischen fünf und den zuvor erwähnten 25 Gulden.225 Clemens von Bönninghausen notierte in seinem „Conto-Buch“ in den Rechnungen, die er ab 1861 ausstellte, für eine Ordination einen Taler, gleiches galt für einen Brief. Eine Visitation schlug hingegen mit 20 Groschen zu Buche.226 Daher hatte die Freifrau von Twickel für 19 Ordinationen, vier Visitationen und sechs Briefe 27 Taler und 20 Groschen zu entrichten. Nach den gleichen Honorarsätzen verfuhr der Freiherr bei den 14 weiteren Patienten, denen er die Therapien des vergangenen Jahres in Rechnung stellte. Dieselben Preise lagen den ausgestellten Rechnungen bis in das Jahr 1863 hinein zugrunde. Übrigens handelte es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen um Adelige und deren Kinder, die ihre Schulden zumeist im Verlauf des Januars beglichen. Nur ein Regierungsrat zögerte die Entlohnung bis in den Juni hinaus.227 Mit der Höhe der Bezahlung orientierte sich der Homöopath, zumindest was die briefliche Behandlung anging, am oberen Ende der Spannbreite, die die preußische Medizinaltaxe in einem solchen Fall vorgesehen hatte.228 Die übrigen Beträge sind nur bedingt vergleichbar, da die Taxe der Medizinalpersonen sich üblicherweise danach richtete, dass der Arzt den Patienten in dessen Haus aufsuchte. Dann standen dem Heiler für den ersten Besuch eines Patienten, der innerhalb der Stadt oder deren Vororte wohnte, zwischen 20 und 40 Groschen zu. Wohnte der Kranke weiter als eine Viertelmeile von der Stadt weg, so konnte er zwischen einem und zwei Talern verlan225 IGM P 110 Fol. 300 und P 86 Fol. 54, P 86 hinten im Deckel. Zehn derartige Beträge sind überliefert, wobei ein niederländischer Patient (IGM P 86 Fol. 267) mit badischen und darmstädtischen Gulden bezahlte. 226 IGM P 156 „Rechnungen pro 1861“ und „Rechnungen pro 1861/62“ nicht paginiert. Visitationen sind bei 1861/62 nicht in Rechnung gestellt worden. Ordination entspricht dem Verschreiben von Mitteln, was im Behandlungsverlauf vermerkt ist, hierzu die Gliederung der Journale in Kapitel 1.2. 227 Die Auflistung in IGM P 156 unter „Rechnungen pro 1861“, die Patientin P 106 Fol. 210. Die Krankengeschichte nennt für das Jahr 1860 jedoch nur die 19 Ordinationen, Visiten und Briefe wurden von Bönninghausen nicht gesondert notiert. Gleiches galt auch für die Rechnungen, die Bönninghausen im Jahr 1861/62 ausstellte. Auch hier handelte es sich bei den 16 Patienten in 14 Fällen um Adelige. Die übrigen beiden waren ein Regierungsrat und seine Frau. Entsprechend waren auch fünf Patienten deren Rechnungen für 1862 notiert wurden Angehörige des Adels. Gleiches galt für die zwölf Patienten, denen er die Rechnung „Pro 1863“ ausstellte. 228 Die Medizinaltaxe aus dem Medicinal-Kalender 1857, S. 10–13. Für einen Brief konnte ein Arzt zwischen 20 Groschen und einem Taler verlangen. Bönninghausen selbst hatte drei Posten aus dieser Taxe in seinem Journal IGM P 110 im vorderen Deckel notiert.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
373
gen. Für ein Rezept, das der Betroffene oder ein Bote im Haus des Arztes selbst in Empfang nahm, durfte nur zwischen einem achtel und einem viertel Taler verlangt werden.229 Insofern war das Honorar, das Bönninghausen für eine Konsultation bei den genannten Patienten erhob, im Verhältnis höher, zumindest für diejenigen aus der Stadt. Vergleicht man die Bezahlung mit derjenigen für die Ausstellung eines Rezeptes, waren die Tarife sogar deutlich höher, zumal die Kranken selbst zu ihm kommen mussten. Für diejenigen Patienten aber, die Bönninghausen ohnehin per Brief konsultierten, war die Therapie damit nicht teurer als bei einem anderen Arzt.230 Die in dem „Conto-Buch“ notierte Höhe der Bezahlung galt aber nicht für alle Patienten gleichermaßen. Wie deutlich wurde, handelte es sich bei fast allen der Betroffenen, für die ab 1861 eine Rechnung notiert wurde, um Adelige oder hochstehende Beamten. Die beiden Ausnahmen sind zwei Angestellte der Familie von Twickel. Zwar führte der Freiherr auch in diesen Fällen die Kur auf Rechnung durch. Doch wurden für eine Ordination nur 20 beziehungsweise 15 Groschen verlangt.231 Bönninghausen staffelte also seine Ansprüche. Dies zeigt sich ebenfalls an den Rechnungen, die er für die Behandlungen des Jahres 1851 notierte. Eine Freifrau zahlte für die 16 durchgeführten Ordinationen acht Taler, also 15 Groschen je Konsultation. Ihre Kinder erhielten dieselbe für zehn Groschen.232 Für die drei Behandlungen seiner Tochter musste ein Kaufmann und Tuchfabrikant aus Münster im Jahr 1852 hingegen einen Taler und 15 Groschen begleichen. Er zahlte für eine Ordination 15 Groschen, während bei der Freifrau, die auch später auf Rechung behandelt wurde, bereits zu dieser Zeit 30 Groschen für eine solche veranschlagt wurden. Ein anderer Adeliger zahlte demgegenüber 20 Groschen.233 Gleiches galt für eine Angestellte der Familie von Twickel, während eine Bedienstete der
229 Anhand des Praxisbuches des Dr. Grotjahn konnte nachgewiesen werden, dass dieser sich mit seinen Honoraren an der preußischen Taxe orientierte und sie einhielt. Engel: Patientengut, S. 67–71. 230 In der Fassung der Medizinaltaxe aus dem Jahr 1832 wurden für den Arztbesuch innerhalb der Stadt zwischen zehn und 20 Groschen berechnet, für die mehr als eine Viertelmeile entfernt Wohnenden 15 bis 30 Groschen zuzüglich einem Meilengeld von demselben Betrag je Meile, bei der Abholung eines Rezeptes zwischen fünf und zehn Groschen. Hierzu StAM Oberpräsidium Münster 2495: Erlaß von Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte, 1832–1845, 1871–1909, S. 10–14. 231 IGM P 156 „Rechnungen pro 1862“. Die Patienten IGM P 112 Fol. 101 (hier werden für eine Ordination 20 Groschen berechnet) und P 114 Fol. 27 (für die angegebenen vier Ordinationen werden zwei Taler in Rechnung gestellt, was 15 Groschen je Konsultation entspricht). 232 IGM P 156 Rechnungen für 1851, die Patienten P 76 Fol. 148, P 74 Fol. 137 (32 Ordinationen für zehn Taler und 20 Groschen. Der entsprechende Tarif galt bereits für die vorangegangene Rechnung, mit der 33 Konsultationen zwischen 1849 und 1850 beglichen wurden.), P 74 Fol. 136 (36 Ordinationen zu zwölf Talern). 233 IGM P 156 Rechungen für 1851, P 52 Fol. 59 und Personenkartei Ferdinand Theissing sowie P 46 Fol. 64 derselben Dame wurden 1861 und 1861/62 zu diesem Satz Rechnungen ausgestellt. Auch P 70 Fol. 201 (nicht in der Datenbank).
374
7 Die Praxis Bönninghausens
Familie von Ketteler lediglich zehn Groschen zahlte und der Knecht der von Korfs bekam die Ordination sogar für sieben Groschen.234 Der übliche Betrag für eine Ordination waren 15 Groschen. Dies bezahlte die Mehrheit der Patienten, denen der Freiherr eine Rechnung für die Behandlungen des Jahres 1851 ausschrieb.235 Beispielsweise sollte ein Major aus Münster am 13. Januar 1852 für 22 Ordinationen elf Taler aufbringen. Pflichtschuldigst beglich er die Rechnung bereits am darauffolgenden Tag. Gleiches galt für einen 16 Jahre alten Patienten aus Münster, der für fünf Ordinationen zu je 15 Groschen aufkommen sollte. Laut Therapieverlauf war er aber nur vier Mal bei Bönninghausen vorstellig geworden.236 Mit dem Honorar von 15 Groschen unterschritt Bönninghausen die Bezahlung, die einem Arzt im Fall eines Hausbesuches innerhalb der Stadt zustand. Natürlich mussten die Betroffenen selbst zu Bönninghausen kommen, erhielten dann aber nicht nur ein Rezept, sondern hatten die Gelegenheit, den Homöopathen zu sprechen. Insofern bedeutet der in solchen Fällen von dem Freiherrn erhobene Betrag, dass die Konsultation des Homöopathen billiger war als die eines anderen Arztes.237 Ein Kaufmann aus Münster bezahlte im Januar 1844 für die fünf Mal, die er zwischen Februar und März 1843 bei Bönninghausen gewesen war, zwei Taler, was einem Tarif von zwölf Groschen je Konsultation entspricht. Gleiches galt für die Gattin eines Militärangehörigen oder ein 15-jähriges Mädchen aus Münster.238 Drei Kranke, die der Unterschicht zugeordnet wurden, mussten jeweils nur fünf Groschen pro Konsultation bezahlen. Dies galt unter anderen für eine 49 Jahre alte Frau aus Greven. Einem 26-Jährigen aus Münster, der für zwei Konsultationen im Jahr 1852 fünf Groschen hätte zahlen sollen, wurde die Summe geschenkt.239 Andere Patienten mussten für jede Ordination, ähnlich wie die genannte Freifrau für ihre Kinder, zehn Groschen entrichten. Hierzu gehörten die Eltern eines zwölf Jahre alten Knabens aus Münster. Der Vater war Kaufmann von Beruf. Gleiches galt für einen Freiherrn und Gutsbe-
234 IGM P 156 Rechnungen für 1851. Die Patienten P 78 Fol. 30, P 80 Fol. 9 und P 77 Fol. 224. 235 IGM P 156 Rechnungen für 1851. Insgesamt sind 45 Patienten notiert, von diesen war bei 14 keine Umrechnung auf die Einzelordination möglich, bei fünf handelt es sich um Honorare für die Behandlung von Tieren. Für 19 Patienten betrug der Betrag 15 Groschen. Für 36 Kranke ist ein derartiges Honorar zugrunde gelegt. 236 IGM P 76 Fol. 171 (der Patient war bereits 1833 da) sowie P 156 Rechnungen für 1851 und P 75 Fol. 231. 237 Laut Medizinaltaxe in der Fassung des Jahres 1856 standen dem Arzt bei einem Erstbesuch 20 bis 40 Groschen zu, bei jedem folgenden inklusive der Rezepte zehn bis 20 Groschen. Medicinal-Kalender 1857, S. 10. 238 IGM P 53 Fol. 101 und Fol. 160, P 55 Fol. 233. 239 IGM P 73 Fol. 116 und P 83 Fol. 212, außerdem P 111 Fol. 85. Letzterer Fall wurde der Unterschicht zugewiesen, bei den beiden zitierten Beispielen war eine solche Zuordnung nicht möglich.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
375
sitzer, der sich selbst und seine Tochter durch Bönninghausen behandeln ließ.240 Während diese Betroffenen weniger als die üblichen 15 Groschen zahlten, mussten andere Patienten deutlich mehr erübrigen. Zuvor war von Konsultationen zu je 20 Groschen die Rede.241 Auch die 30 Groschen, die zumeist Adelige für eine Ordination oder die briefliche Übersendung von Medikamenten bereitwillig bezahlten, wurden bereits erwähnt.242 In manchen Fällen mussten die Betroffenen jedoch noch mehr für eine Konsultation bezahlen. So betrug die Rechnung, welche eine Frau aus Witten für eine wohl schriftlich durchgeführte Behandlung zahlen sollte, 40 Groschen. Hier erklärt sich der erhöhte Tarif aus dem Portoaufkommen.243 Einer Gräfin stellte der Homöopath für zwei Termine im Jahr 1859 gleich drei Taler in Rechnung.244 Ein anderer Freiherr hatte für vier brieflich erfolgte Konsultationen acht Taler zu zahlen.245 Wie an diesen Beispielen deutlich wurde, mussten nur Angehörige der Oberschicht, vornehmlich Adelige, Honorare entrichten, die die sonst üblichen 15 Groschen deutlich überstiegen.246 Dabei ist zu bedenken, dass die Summen sowohl die Kosten für den eigentlichen Aufwand des Homöopathen als auch für die verschriebenen Medikamente abdeckten. Laut Medizinaltaxe sollte ein entsprechendes Pulver, dosiert zwischen der ersten und der zehnten Potenz, einen Groschen kosten. Die folgenden Verdünnungen einen Pfennig mehr und die 21. bis 30. Potenz einen Groschen und zwei Pfennige. Der Freiherr verschrieb selten nur ein Mittel und in Briefen schickte er immer mehrere Pulver mit genauen Anweisungen, wann welches einzunehmen sei, so dass die Preise entsprechend höher waren.247 Die einzelnen Mittel schlugen daher innerhalb der zu entrichtenden Beträge weniger zu Buche. Den Groß240 Für 21 Patienten ließ sich eine Bezahlung von zehn Groschen je Ordination nachweisen. Die Beispiele IGM P 75 Fol. 12 sowie Personenkartei Ferdinand Theissing, P 76 Fol. 212 und P 77 Fol. 3. 241 14 Patienten zahlten 20 Groschen je Konsultation, so IGM P 47 Fol. 58, P 83 Fol. 274 oder P 112 Fol. 266. 242 Insgesamt zahlten 31 Betroffene in einer oder mehreren Rechnungen 30 Groschen, wobei nicht immer erkenntlich ist, ob es sich um eine persönliche oder briefliche Konsultation handelte. Die Mehrheit der Beträge stammt aus der Zeit nach 1859, Ausnahmen sind unter anderen für 1843 P 53 Fol. 93 oder für 1842 P 52 Fol. 9 und P 50 Fol. 134, für 1849 P 71 Fol. 113, alle IGM. 243 IGM P 74 Fol. 100. Bönninghausen notierte den Betrag nach der einen Konsultation und ein „n. v.“, was bedeutet, dass die Kranke nicht selbst bei ihm vorstellig wurde. 244 IGM P 156 bei Rechnungen pro 1861 sowie die Patientin P 34 Fol. 102, ähnlich für P 34 Fol. 96, P 46 Fol. 64. 245 IGM P 156 „Rechnungen pro 1861/62“ und P 110 Fol. 6, ähnlich P 113 Fol. 259. 246 Auch in der Praxis Hahnemanns sind derartige starke Honorarunterschiede bekannt. Mortsch: D22 Kommentar, S. 91. Ebenso bei van den Berghe: Baal: In Search, S. 190– 191. 247 Die entsprechenden Angaben nach StAM Regierung Münster 905 I–V: Die Medizinaltaxen, sowie die Diäten und Reisekosten der Medizinalbeamten, 1816–1873, S. 92–93. So gab Bönninghausen Patienten oft mehrere Mittel mit genauen Einnahmevorschriften mit. Beispielsweise Bönninghausen: Triduum. Darauf deuten auch die in Kapitel 7.5 er-
376
7 Die Praxis Bönninghausens
teil der verlangten Summen bekam der Freiherr direkt für seine Dienste. Seine Gewinnspanne war jedoch bei Adeligen, von denen er einen entsprechend höheren Satz erwartete, deutlich höher als bei weniger Bemittelten. In wenigen Krankengeschichten berichteten die Betroffenen, wie viel Geld sie bereits für andere Medikamente oder die Therapie durch Ärzte ausgegeben hatten. Insofern wird deutlich, wie dies auch andere Studien belegt haben, dass die Menschen entgegen kolportierten Vorurteilen durchaus einen akademisch gebildeten Arzt zu Rat zogen und sich dessen Kur leisteten.248 Die Eltern eines mittlerweile neun Jahre alten Mädchens hatten sich bereits an fünf Ärzte gewandt und mehr als 500 Taler für die Kur ihres Kindes aufgebracht, bevor sie 1861 eine homöopathische Behandlung begannen. Eine Frau aus Everswinkel hatte sich 13 Gläser eines Medikaments zu je zehn Groschen besorgt und somit ebenfalls mehr als vier Taler investiert.249 Dass auch zugelassene, akademische Ärzte stolze Preise für selbst hergestellte Medikamente verlangten, belegen die Berichte von zwei weiteren Patienten. Ein 37-jähriger Mann, der ursprünglich aus Dortmund stammte, hatte sich ein solches Mittel für zehn Taler gekauft. Die Eltern eines 13 Jahre alten Jungen aus Nordwalde mussten dem Arzt Werlitz für zwei Rezepte mit zwölf Pulvern, die eigentlich nur Milchzucker enthielten, 21 Groschen und sechs Pfennige entrichten.250 Auch andere Ärzte aus Münster und Umgebung ließen sich ihre Dienste teuer bezahlen. So hatte ein Zimmermann aus Nordwalde bereits neun Taler an den Arzt Koppel abgegeben, während die Eltern eines 15 Jahre alten Jungen für die Behandlung durch Doktor Ohm zehn Taler zahlen mussten.251 Der letztere Fall belegt ebenso wie die Behandlungsgeschichte der 13 Jahre alten Tochter eines Bauern, deren Eltern für die Behandlung durch einen Arzt in Ahlen bereits 17 Taler bezahlt hatten, dass die Kur für Kinder in vermutlich weniger begüterten Gesellschaftsschichten nicht an Geldmangel scheitern musste. Auch ein 57-jähriger Bauer aus Everswinkel hatte in seine eigene Behandlung bereits mehr als 15 Taler investiert, ohne dass sich hierbei eine Verbesserung abgezeichnet hatte.252 Allerdings sagen die bisher genannten Beträge noch nichts darüber aus, ob der Besuch eines Heilers, sei es nun des Homöopathen oder eines appro-
248
249 250
251 252
wähnten Begebenheiten von Patienten, die ihre Medikamente in der falschen Reihenfolge eingenommen hatten, hin. Hierzu Stahl: Briefwechsel, S. 252–253. Hierzu Loetz: Grenzen, S. 32 mit weiterer Literatur, dieselbe: Vom Kranken, S. 120 und S. 209, McCray Beier: Sufferers, S. 112–114, Tutzke; Engel: Tätigkeit, S. 463, Jütte: Patient und Heiler, S. 355–357. Insofern muss hier auch die Einschätzung Wormer: Physikatsberichte, S. 138–139 zurückgewiesen werden. IGM P 111 Fol. 70 und Fol. 68. IGM P 83 Fol. 227 und P 73 Fol. 224. Die Kritik an überteuerten Medikamenten äußerte in überspitzter Weise bereits 1810 ein anonymer Schreiber in folgendem Aufruf: Bitte an deutsche Aerzte ihre Kranken nicht arm zu machen, Halle 1810 (Nachdruck AOK-Verlag Remagen 1996). IGM P 103 Fol. 308 und P 110 Fol. 171. IGM P 111 Fol. 223 und P 114 Fol. 348. Zu der Behandlung von Kindern: Ritzmann: Patienten, S. 198–199, Ritzmann: Faktor, S. 174–176.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
377
bierten Arztes, für den einzelnen Kranken „teuer“ war. Wie zuvor deutlich wurde, kostete ein homöopathisches Mittel einen Groschen und einige Pfennige. Ein Blutegel war zwischen November 1832 und April 1833 für eineinhalb Groschen das Stück zu haben. Infolge eines akuten Mangels des sehr nachgefragten „Arzneimittels“ stieg der Stückpreis ab 1840 auf mehr als zwei Groschen.253 Insofern waren die homöopathischen Mittel im Vergleich zu diesen billiger. Ein Bruchband kostete übrigens zwischen 40 Groschen und drei Talern, während man für das Gran Chinin neun Pfennige entrichten musste.254 Auf dem Markt konnte man im Juli 1830 den Scheffel Weizen zu zwei Talern 15 Groschen und vier Pfennigen erwerben, während dieselbe Menge Roggen nur einen Taler 27 Groschen und elf Pfennige kostete. Buchweizen und Hafer waren noch billiger und für dieselbe Menge Kartoffeln zahlte man 27 Groschen und sechs Pfennige. Für ein Pfund Rindfleisch betrug die Taxe zwei Groschen und sechs Pfennige.255 Bis in die 1840er Jahre hinein blieben diese Preise weitgehend stabil, wurden dann jedoch infolge von Missernten teurer.256 Ein Arztbesuch war damit fast so teuer wie eine handelsübliche 253 Die Blutegelpreise wurden zwei Mal jährlich im Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Münster veröffentlicht. Hier zitiert ebenda 1832, S. 434. Zu der Meldung über den Mangel ebenda 1839, S. 206. Der Preis betrug auch 1852 noch zwei Groschen und zehn Pfennige, ebenda 1852, S. 326 und bis 1861 zwei Groschen und drei Pfennige, ebenda 1860, S. 258. 254 Die Bruchbänder empfahl ein Stahlarbeiter in Amts-Blatt Regierung Münster 1830, S. 282, ebenda S. 276 die Preise für das Chinin. Ein Jahr später kostete das Gran Chinin nur noch sechs Pfennige. Amts-Blatt Regierung Münster 1831, S. 272. Ein Gran waren 0,06 Gramm in Preußen. Witthöft: Masse und Gewichte 2, S. 26. Abbildungen von Bruchbändern in Probst: Fahrende Heiler, S. 27. 255 Münsterisches Intelligenzblatt 1830, S. 791, die Marktpreise für Juli 1830 (Buchweitzen ein Taler 16 Groschen und vier Pfennige, Hafer einen Taler einen Groschen und zehn Pfennige) sowie S. 304 die Taxpreise für Brot und Fleisch. Der Scheffel in Münster entsprach 1830 etwa 24 Litern. Witthöft: Masse und Gewichte 2, S. 329. 256 Eine allgemeine Übersicht bietet StdAM Stadtregistratur Gewerbepolizei, Preise für den Lebensbedarf Fach 143, Nr. 3–6. Hier Nr. 4: Nachweis über die Preise des gewöhnlichen Lebensbedarfs, Band 4, 1845–1851. Zum Beispiel S. 11: Durchschnittmarktpreis eines Scheffels Roggen 1841 im August ein Taler 24 Groschen acht Pfennige, im September ein Taler 19 Groschen ein Pfennig, im Oktober ein Taler 19 Groschen fünf Pfennige. Oder die Marktpreise 1842 aus Westfälischer Merkur vom 10. November 1842 Weizen der preußische Scheffel zwei Taler 20 Groschen, Roggen ein Taler 28 Groschen, Gerste ein Taler 15 Groschen, Buchweitzen ein Taler 20 Groschen, Hafer 27 Groschen sechs Pfennige, Kartoffeln 18 Groschen. Hierzu Küster: Armut, S. 168–171. Im Mai 1851 kostete der Scheffel Kartoffeln ein Taler und dieselbe Menge Weizen ein Taler 26 Groschen und drei Pfennige. Nach den durchschnittlichen Marktpreisen im Westfälischen Merkur vom 18. Mai 1851. Im November 1861 kostete der Scheffel Weizen drei Taler 20 Groschen und Kartoffeln ein Taler zwölf Groschen ein Pfennig. Nach Münsterischer Anzeiger vom 7. November 1861. Bier zu 100 Quart kostete 1833 und 1841 zwei Taler 20 Groschen, StdAM Stadtregistratur Gewerbepolizei Fach 143 Nr. 3: Nachweis über die Preise des gewöhnlichen Lebensbedarfs, Band 3, 1833–1844, S. 2–3 und S. 155. Der Preis stieg in den 1850er Jahren jedoch auf drei Taler zehn Groschen, ebenda Nr. 6: Nachweis über die Preise des gewöhnlichen Lebensbedarfs, Band 5, 1852–1871, S. 201–204. Ab 1841 sind die Mengen in preußischen Scheffeln angegeben. Der preußische Scheffel umfasste
378
7 Die Praxis Bönninghausens
Menge Kartoffeln. Berücksichtigt man, dass ein Zimmermann etwa neun Groschen täglich in den Wintermonaten und im Sommer etwa zwölf verdiente, war eine Kur durch einen Heiler zwar nicht billig, aber auch nicht unerschwinglich.257 Zumindest für die meisten Gewerbetreibenden in Münster lag eine ärztliche Betreuung, sei es nun durch den Homöopathen oder durch einen Arzt, im Bereich des Möglichen, ganz zu schweigen von den Angehörigen der Oberschicht.258 Was arme Kranke anging, konnten diese Unterstützungsgesuche auf freie medizinische Behandlung einreichen. Andererseits deuten die wenigen hierfür zur Verfügung stehenden Belege aus den Krankenjournalen an, dass Bönninghausen sein Honorar herabsetzte und gegebenenfalls auf die Bezahlung wartete oder ganz darauf verzichtete.259 Manche Kranke konnten bei der Bezahlung ihrer Kur aber auf die Unterstützung anderer hoffen.260 So verwies ein 45-Jähriger aus Rotterdam den Freiherrn an seinen Bruder, der die Kosten übernehmen würde. Ein anderer Patient, der ebenfalls aus Rotterdam stammte, übernahm am Ende seiner Behandlung die Honorarforderungen für einen anderen Kranken.261 Für die Therapie einer 38-Jährigen und ihrer elfjährigen Tochter kam auch ein anderer Patient auf.262 Ein 18-Jähriger aus Warendorf konnte hingegen nicht auf ein solches Netzwerk zurückgreifen. Sein Schicksal belegt, dass die Behand-
257
258
259
260
261 262
ab 1816 knapp 55 Liter, ein Quart entsprach 1,1 Liter. Witthöft: Masse und Gewichte 4, S. 504–505. Die Angaben stammen aus dem Jahr 1825, hatten sich aber im Vergleich zur fürstbischöflichen Zeit nicht stark erhöht. Auch wenn die Angabe damit aus einem Jahr vor der Untersuchung stammt, bietet sie dennoch eine erste Orientierung. Die Angaben nach Münsterisches Intelligenzblatt vom 8. Februar 1825, zitiert nach Küster: Armut, S. 169 Fußnote 221. Küster erwähnt ebenda auch, dass „genaue Angaben über die Veränderung der Nominallöhne im münsterischen Gewerbe nicht überliefert“ seien. Zu einem solchen Ergebnis bezüglich der Erschwinglichkeit von Arztbehandlungen kommt auch Loetz: Vom Kranken, S. 209. Zu den Problemen Arzthonorare in Verhältnis zu den damaligen Einkommen zu setzen, auch Stürzbecher: Beiträge, S. 97–123 und S. 148–151, Jütte: Patient und Heiler, S. 354. Allerdings sind die hier erarbeiteten Daten für diesen Untersuchungszeitraum zu früh. Kritisch hierzu Loetz: Grenzen, S. 32–33. Zumindest konnten sich die meisten der besteuerten Gewerbetreibenden ein bürgerliches Auskommen sichern. Die Mehrheit der 1826 verzeichneten Gewerbetreibenden wurde mit einem Steuersatz bis zu acht Talern veranschlagt. Kill: Bürgertum, S. 122. Diese Anträge wurden meist durch den Armenarzt gestellt. StdAM Armenkommission Nr. 1833: Acta betreffend die Gesuche um Bewilligung freier Medizin, 1841–98. Bönninghausen war jedoch kein Armenarzt und in den überlieferten Schriftstücken ist, soweit erkenntlich, kein Antrag auf Übernahme einer homöopathischen Behandlung enthalten. Dies galt nicht nur für die Kranken bei Bönninghausen, ähnliches belegen Loetz: Vom Kranken, S. 212, Jütte: Patient und Heiler, S. 365, derselbe: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 195–197, Thümmler: Rekonstruktion, S. 72, Fischbach-Sabel: D34 Kommentar, S. 36. IGM P 86 Fol. 194 und Fol. 64. Die beiden IGM P 86 Fol. 223 und Fol. 224, bezahlt hatte ein Patient, der P 85 Fol. 187 notiert ist und ebenfalls in Rotterdam wohnte. Es gibt in der Datenbank noch einen Kranken mit demselben Nachnamen P 86 Fol. 206, dessen Adresse aber in Paris ist.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
379
lung durch Bönninghausen zwar nicht unerschwinglich war, aber teuer werden konnte. Der Betroffene hatte ab September 1850 den Homöopathen drei Mal wegen „Geschwüre am Oberschenkel und Knie rechter Seite, welche oft bluten“ konsultiert. Dann brach er die Kur ab. Zwei Jahre später wandte er sich erneut an den Freiherrn. Der notierte, der junge Mann habe die Therapie „wegen Geldmangel aufgehört“ und zunächst einen anderen Arzt um Rat gebeten, wobei dies keinen Erfolg gezeigt hatte.263 Der entsprechende Vermerk einer Behandlung „auf Rechnung“ weist darauf hin, dass Clemens von Bönninghausen nicht immer auf eine Barzahlung bestand. Lediglich bei einer Kranken ist eine solche Zahlung inklusive des Betrags nachgewiesen. Eine Gräfin, die in Münster wohnte, beglich dem Freiherrn im Anschluss an ihre 14 Konsultationen im Jahr 1842 die fällig gewordenen neun Taler und zehn Groschen „bar“.264 Und nicht nur bei dem zuvor erwähnten niederländischen Patienten wird eine Vorauskasse deutlich. Einem Buchhändler, dessen Sohn die homöopathische Kur nicht helfen konnte, erstattete der Freiherr das ausstehende Guthaben zurück.265 Zwei weitere Krankengeschichten enthalten Hinweise darauf, dass der Homöopath auch eine Zahlung in Naturalien akzeptierte. So versprach ihm ein 20-Jähriger aus Ostbevern „Reiser an Früh-Birnen“ und diejenigen Leute, die wegen einer 32 Jahre alten Frau bei Bönninghausen um Rat fragten, brachten ihm Trüffel mit, welche sie gefunden hatten.266 Der Freiherr konnte bei 159 der Patienten eine Zahlung der ausstehenden Honorarforderungen notieren. Meist schrieb er ein „sol.“ für „solvit“ hinter den entsprechenden Betrag oder den Vermerk über eine Rechnung. Aus den Aufzeichnungen des „Conto-Buches“ geht hervor, dass die Patienten im Ja263 IGM P 76 Fol. 223. 264 IGM P 49 Fol. 184, gleiches gilt für die Patientin P 82 Fol. 73. 265 Das zuvor erwähnte Beispiel P 110 Fol. 300, der Buchhändler P 108 Fol. 224. Weitere Patienten, deren Angaben Hinweise auf Vorauszahlungen enthalten: P 80 Fol. 66, P 86 Fol. 24, P 110 Fol. 300 und P 111 Fol. 50. Der Lehrer aus Pommern fügte seinem Brief das Honorar von zwei Talern bei P 217. Gleiches tat der Bittsteller, der Bönninghausen wegen zweier Kinder aus der Nachbarschaft schrieb, P 108 Fol. 133 eingeklebt, alle IGM. 266 IGM P 54 Fol. 71 und P 74 Fol. 166. Was mit „Reiser“ gemeint ist, war nicht herauszufinden. Es scheint sich dabei nicht um eine normierte Mengenangabe oder ein gebräuchliches Hohlmaß zu handeln. Möglich wäre es, dass damit ein aus Reisig gefertigter Korb gemeint war. „Korb“ war als Gewichtsmaß zwar in der Grafschaft Mark bekannt, doch wurde eher Torf oder Erz in solchen Einheiten aufgewogen, heute wird die Einheit in der Hochseefischerei verwendet und ein Korb umfasst 50 Kilogramm Fischgewicht. Verdenhalven: Meß- und Währungssysteme, S. 29 und Hellwig, Gerhard: Lexikon der Maße und Gewichte, Gütersloh 1983, S. 138. Mit „das Reis“ wurden auch dünnes Geäst, das als Brennmaterial diente, oder junge Baumsetzlinge bezeichnet. Letzteres wäre insofern eine Möglichkeit, als Bönninghausen als interessierter Botaniker verschiedene Versuche mit unterschiedlichen Pflanzen machte. Zur Bedeutung Grimm: Wörterbuch, Band 14, Sp. 712–716. Eine Entlohnung in Naturalien war in anderen Praxen noch viel stärker üblich. Thümmler: Rekonstruktion, S. 66, Loetz: Vom Kranken, S. 211, Engel: Patientengut, S. 78–80, Martin-Kies: Alltag, S. 32–33, Roland; Rubashewsky, S. 38–41. Eine Entlohnung in Arbeitsleistung ist bei Bönninghausen nicht belegt.
380
7 Die Praxis Bönninghausens
nuar an die Begleichung des ausstehenden Entgelts erinnert wurden.267 Die meisten kamen der Aufforderung, das Honorar zu zahlen, schnell nach und erstatteten Bönninghausen die entsprechenden Summen entweder gleich im Januar oder bis März des Jahres.268 Ähnliche Zahlungsgewohnheiten ließen sich bei den Patienten anderer Arztpraxen ausmachen.269 Gelegentlich erfolgte die Zahlung, wie bei einem 26 Jahre alten Mann aus Münster, erst im September.270 Andere, wie ein 70-jähriger Herzog, versprachen, die Schulden abzutragen oder versicherten dem Freiherrn in den Briefen immer wieder, dass dieser sein Honorar erhalten würde.271 Wesentlich schneller beglich ein General die Behandlung seines kleinen Sohns. Er bezahlte den Freiherrn nach etwa zwei Wochen. Auch andere Kranke ließen den Homöopathen nicht allzu lange auf sein Honorar warten und bezahlten, noch ehe das Jahr vorbei war, ihre Schulden.272 Einige Patienten erprobten die Geduld von Bönninghausen aber ganz erheblich, indem sie die Bezahlung um mehrere Jahre hinauszögerten. Eine Gräfin aus Nordkirchen entlohnte den Freiherrn für seine Dienste erst fünf Jahre nach der erfolgten Kur und eine Magd aus Münster wollte ihre dann drei Jahre zurückliegende Therapie im Juni 1864 „ihrer Ehrlichkeit zum Ruhme bezahlen“. Friedrich von Bönninghausen, der die Praxis übernommen hatte, erwies sich jedoch als kulant und erließ ihr die Schulden.273 Ähnlich beglichen weitere Patienten ihre ausstehenden Schulden erst nach dem Tode Bönninghausens. Viele hat267 IGM P 156 Rechnungen für 1851. Am 14. Januar 1852 stellte Bönninghausen die Rechnungen für die Behandlungen im Jahr 1851 der notierten Patienten. Patientin P 83 Fol. 274 erhielt die Aufforderung im Juli 1853, Patient P 70 Fol. 201 (nicht in der Datenbank) im Januar 1854. 268 Von den 25 Patienten, denen Bönninghausen im Januar 1852 die Rechnung machte, bezahlten 21 bis März des Jahres, bei den übrigen ist das genaue Datum nicht angegeben. Beispiele für Zahlungen im Januar: P 46 Fol. 47, P 47 Fol. 134, P 50 Fol. 132, P 51 Fol. 190, P 53 Fol. 93, P 54 Fol. 78, P 72 Fol. 146, P 74 Fol. 77, P 76 Fol. 188, P 80 Fol. 224, P 104 Fol. 322, P 106 Fol. 210, P 110 Fol. 6. Zahlungen im Februar zum Beispiel P 40 Fol. 89, P 78 Fol. 180, P 87 Fol. 115, P 103 Fol. 22. Zahlungen im März: P 34 Fol. 96, P 74 Fol. 136, P 80 Fol. 118, P 109 Fol. 193, im April: P 35 Fol. 81, P 53 Fol. 27, P 78 Fol. 30, P 113 Fol. 259, im Juni: P 110 Fol. 110, alle IGM. 269 Hahnemann wurde auch häufig zu Ende eines Jahres entlohnt. Derartiges konnte in den Journalen Bönninghausens nicht festgestellt werden. Jütte: Honorarfrage, S. 151, Loetz: Vom Kranken, S. 211, Engel: Patientengut, S. 73–77 und S. 81–83, Dinges: Arztpraxen, S. 41 mit weiterer Literatur, Thümmler: Rekonstruktion, S. 66. 270 IGM P 77 Fol. 224, auch P 111 Fol. 85 oder P 77 Fol. 224. 271 IGM P 104 Fol. 271. Der ungarische Pfarrer tat dies in jedem seiner Briefe P 216/1–3. 272 IGM P 109 Fol. 117. Weitere Patienten, die vor Ablauf eines Jahres bezahlten: P 42 Fol. 116, P 50 Fol. 24, P 54 Fol. 75 und Fol. 139, P 55 Fol. 103, P 71 Fol. 122, P 78 Fol. 8, Fol. 49 und Fol. 61, P 79 Fol. 49, P 83 Fol. 274, P 86 Fol. 223 und Fol. 224, P 87 Fol. 115, P 104 Fol. 187, P 112 Fol. 266. 273 Die Gräfin P 76 Fol. 96, die Magd P 109 Fol. 44. Folgende Patienten ließen den Freiherrn ebenfalls zwei Jahre und mehr auf sein Honorar warten: P 34 Fol. 102, P 47 Fol. 58 (drei Jahre) und Fol. 134, P 50 Fol. 12, Fol. 42 und Fol. 152, P 51 Fol. 9 und Fol. 38, P 51 Fol. 10, P 52 Fol. 78 und Fol. 206, P 77 Fol. 8, P 107 Fol. 195, P 114 Fol. 16 und Fol. 338, alle IGM.
7.6 Honorarforderungen und Bezahlung
381
ten den jährlichen Rhythmus beibehalten und das entsprechende Honorar für die im Jahr 1863 durchgeführten Behandlungen bezahlt.274 Aber nicht immer verliefen die Zahlungsmodalitäten reibungslos. Bisweilen musste der Freiherr säumige Schuldner an das ausstehende Honorar erinnern. So hatten die Eltern für die Behandlung ihrer vier an Keuchhusten erkrankten Kinder im Jahr 1859 21 Taler zu entrichten. Von diesen hatten sie bereits sechs bezahlt, den fehlenden Betrag musste der Freiherr jedoch anmahnen.275 Eine andere Patientin legte ihrem Schreiben einen Taler für ein Telegramm bei. Doch war sie über die Tarife falsch informiert, so dass der Freiherr selbst die fehlenden sechs Pfennige auslegen musste. Ärgerlich musste Bönninghausen zur Kenntnis nehmen, dass eine Familie aus Holland anstelle der versprochenen zehn nur neun Gulden geschickt hatte. Und die Hinterbliebenen eines ehemaligen Patienten schickten, anstatt des erwarteten Honorars, die letzten nicht gebrauchten Pulver kommentarlos zurück.276 Eine andere Familie hatte in ihrem Schreiben angekündigt, die erforderlichen zehn Gulden beizulegen, doch enthielt der Brief kein Geld, wie Bönninghausen feststellen musste. Es handelte sich um ein Versehen, denn das vermisste Entgelt wurde pflichtschuldigst nachgesandt. Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Kommunikation mit den Eltern eines kleinen Mädchens. Auch hier wurde eine Fernbehandlung durchgeführt, weil die vier Jahre alte Patientin ebenfalls in den Niederlanden wohnte. Den ausstehenden Betrag wollten die Eltern in zwei Briefen bezahlt haben. Allerdings erhielt Bönninghausen die Briefe offenbar nie.277 Die Kranken, die sich an den Freiherrn wandten, waren also durchaus bereit, die entstehenden finanziellen Kosten zu tragen. In den meisten Fällen wurden die Beträge ohne größere Probleme innerhalb eines Jahres, wie zumeist üblich, bezahlt.278 Die Honorarforderungen staffelten sich entsprechend den Möglichkeiten der einzelnen Betroffenen. Insofern konnten sich auch „ärmere“ Menschen eine homöopathische Therapie leisten. Die Bezahlung bewegte sich in solchen Fällen in einem üblichen Rahmen und orientierte sich an den Kosten, die auch bei anderen Ärzten fällig geworden wären.279 Zumindest waren die geforderten Honorare in einem ähnlichen Rahmen wie von anderen Homöopathen. Es zeigte sich in den Krankengeschichten, dass Kranke bisweilen bereit waren, viel Geld auszugeben, so lange 274 Zum Teil waren die Betroffenen auch weiter beim Sohn in Behandlung. Beispielsweise IGM P 39 Fol. 184, P 44 Fol. 43, P 87 Fol. 106, P 114 Fol. 15, P 115 Fol. 465, P 116 Fol. 24. 275 IGM P 102 Fol. 170 der Ausgang ist aber unbekannt, auch IGM P 103 Fol. 22 in diesem Falle mit Erfolg, P 74 Fol. 76 mit unbekanntem Ausgang. 276 IGM P 109 Fol. 19, P 75 Fol. 199 und P 86 Fol. 189. 277 IGM P 86 Fol. 24 und P 106 Fol. 126. 278 Ähnliches stellt auch Loetz: Vom Kranken, S. 211 fest. 279 Dass verschiedene Therapien von Laienheiler nicht billiger sein mussten, als diejenigen eines ausgebildeten Arztes und die Kranken bereit waren, das Honorar aufzubringen belegen auch Loetz: Vom Kranken, S. 213–214 und S. 212, sowie Stolberg: Heilkunde, S. 138–139, Probst: Fahrende Heiler, S. 20 und S. 146–147.
382
7 Die Praxis Bönninghausens
sie sich von der gewählten Kur eine Linderung oder Heilung versprachen. Das Argument finanzieller Kosten allein erklärt jedenfalls nicht, für welche Therapie sich ein Kranker entschied oder ob er überhaupt einen Arzt konsultierte. Und, wie die Beispiele der Aufwendungen für andere Arzneimittel und Behandlungen zeigen, es war den Menschen durchaus möglich, die notwendigen Beträge aufzubringen, um sich eine ärztliche Betreuung zu leisten.280 Auch um die Zahlungsmoral der Patienten, die sich von Bönninghausen behandeln ließen, scheint es nicht so schlecht bestellt gewesen zu sein. Zwar gab es gelegentliche Unstimmigkeiten, doch die Mehrheit der Kranken beglich ihre Schulden recht schnell.281 7.7 Patienten als „Fälle“ – Publikationen aus der Praxis Im Rahmen der Patientengeschichte ist zu unterscheiden, inwieweit das jeweilige Forschungsinteresse auf die Patienten an sich konzentriert ist oder ob diese nicht vielmehr das „Material“ für weitere Fragestellungen bilden.282 Die vorliegende Arbeit richtet ihren Fokus tatsächlich auf die kranken Menschen. Diese stehen im Mittelpunkt und es geht darum, etwas über ihr Handeln und ihr Empfinden zu erfahren. Aber es gehört manchmal auch zur Geschichte eines Leidenden, dass sein Schicksal ein „Fall“ wird, ein „Material“ mit Hilfe dessen der Therapeut weitere Ziele verfolgt. Meist geht es dann um Fragen der Wirksamkeit einer Heilmethode oder verschiedener Mittel und deren genaue Wirkung auf den Organismus. Über die Tätigkeit so mancher Ärzte geben nur deren publizierte Fallsammlungen Aufschluss.283 Doch wurden die ursprünglichen Patientenschicksale hierfür redaktionell überarbeitet und häufig eine Auswahl getroffen, welche „Fälle“ geeignet oder lehrreich waren.284 Auch einigen Kranken, die zu Clemens von Bönninghausen kamen, wurde diese „Ehre“ zuteil. Im Prinzip führte der Freiherr seine Bücher lediglich als Gedächtnisstütze für seine eigene Tätigkeit. Eine Publikation seiner sorgfältig
280 Loetz: Vom Kranken, S. 122, Lindemann: Health, S. 367, für die Frühe Neuzeit Jütte: Barber-Surgeon, S. 189, derselbe: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 195–204, Kinzelbach: Gesundbleiben, S. 397. 281 Auch bei dem Arzt im Harz war eine sofortige Bezahlung die Regel. Zumindest zahlte dort mehr als die Hälfte der Kranken die Kur „sofort“. Thümmler: Rekonstruktion, S. 66. Anders die Klagen bei Stolberg: Heilkunde, S. 251. 282 Wolff: Perspectives, S. 211–212. 283 Beispielsweise die Fallgeschichten des Arztes Storch auf deren Basis die Arbeit von Duden: Haut entstand. Auch Gauwerky: Mittheilungen, Lane, Joan: John Hall and his Patients. The Medical Practice of Shakespeare’s Son-in-Law, Stratford-upon-Avon 1996, Remmen, Hans: Die Beziehungen des Fabricius Hildanus zu Köln an Hand seiner Observationes et Curationes, Hilden 1965 (Fabrystudien 3). 284 Hierzu Dinges; Holzapfel: Von Fall zu Fall oder Jütte: Kasus. Hierzu zählen auch die in den Medizinalberichten veröffentlichten Fälle der verschiedenen Ärzte des Regierungsbezirks Münster und der Provinz Westfalen.
7.7 Patienten als „Fälle“ – Publikationen aus der Praxis
383
angelegten Journale war nicht geplant.285 Gleichwohl verwendete der Homöopath seine Unterlagen in zahlreichen Aufsätzen. Mindestens zehn davon enthalten mehrere, nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewählte, Krankengeschichten, von denen der Freiherr gelegentlich sogar die genaue Journalund Seitennummer nannte. Auch aus seinen Aufzeichnungen zu den Heilungen von Tieren sind zwei Aufsätze hervorgegangen.286 Einige der Publikationen erschienen während der Zeit, in der Bönninghausen offiziell gar nicht hätte praktizieren dürfen oder verwenden „Patientenmaterial“ aus diesen Jahren.287 Sechs der Artikel behandeln Aufzeichnungen, die in den Jahren durchgeführt wurden, die im Untersuchungszeitraum liegen.288 Auf diese soll im Folgenden eingegangen werden. Es geht aber weniger darum, welche redaktionellen Änderungen Bönninghausen im Vergleich zu den Originalaufzeichnungen bezüglich des Therapieverlaufes oder der Medikationen vorgenommen hat.289 Stattdessen steht im Vordergrund, welche zusätzlichen Informationen über die Patienten selbst und ihr Verhalten sich aus den Aufzeichnungen entnehmen lassen. Bönninghausen behauptete in einem der Artikel, ohne Zusätze oder Auslassungen, aus seinen Journalen zu zitieren und lud jeden Leser ein, zu ihm zu 285 Jütte: Case Taking, S. 43. Bönninghausen betonte dies selbst in: Triduum, S. 40 sowie in: Traumatische Beschwerden, S. 487. 286 Dies sind: Die Hochpotenzen (1850) und Thierheilungen und Hochpotenzen (1863). In der Arbeit von Backert-Isert: Praxis, Kapitel 5.2, S. 251 wird nur der letzte der beiden Aufsätze mit den Originalstellen des Tierjournals verglichen. Beide Aufsätze sind in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften enthalten. 287 In der Zeit zwischen 1838 und 1842 erschienen Bönninghausen, Clemens von: Rüge. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 95–98, derselbe: Beiträge zur Kenntniß der Wirkungen der Calcarea carbonica und des Causticum. In: ebenda, S. 99– 242, derselbe: Fehl- und Treffkuren. In: ebenda, S. 243–276 sowie derselbe: Triduum. Auf Material, das aus der Zeit des Praxisverbots stammte, gehen ferner zurück: Bönninghausen, Clemens von: Die Erfahrung und die Hochpotenzen. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 379–392 sowie derselbe: On the use of high attenuations in homoeopathic practice. In: ebenda, S. 417–442. 288 Es handelt sich um: Heilungen (1831), Triduum (1842), On the use (1852), Nervenfieber und Hochpotenzen (1854), On the highest potencies capable of producing an exacerbation of the symptoms (1854) sowie Traumatische Beschwerden (1854). 289 In einzelnen Fällen kommt dies dennoch zur Sprache. Da aber für die vorliegende Arbeit nur die Erstanamnese wortgetreu transkribiert wurde, ist eine genaue Überprüfung des Therapieverlaufs und der nachträglich angefertigten Formulierung in den Aufsätzen anhand der Datenbank nicht möglich. Die verordneten Medikamente wurden gar nicht transkribiert, so dass ein Vergleich hier ebenfalls nicht möglich ist. Davon abgesehen zielt dieses Kapitel nicht darauf ab, eine Erfolgsquote von Bönninghausens Behandlungen zu überprüfen oder zu untersuchen, wie „ehrlich“ der Freiherr bei seinen Angaben war. Es geht auch hier um die Patienten. Für den Aspekt der Fallredaktion und „Ehrlichkeit“ bezüglich Bönninghausens Artikel Triduum siehe Kunkle, Luise: Evidence Based Medicine auf der Grundlage von Krankenakten. V. Bönninghausens Artikel „Triduum homoeopathicum“. 2 Teile auf: http://hpathy.de/papersnew/kunkle-evidencebased-medicine.asp sowie http://hpathy.de/papersnew/kunkle-evidence-based-medicine-1.asp, Zugriff vom 27. Dezember 2008.
384
7 Die Praxis Bönninghausens
kommen, um die entsprechend vorgestellten „Fälle“, in den von ihm geführten Journalen nachzulesen. Hierfür gab er die genaue Journalnummer und Seite an.290 Anhand der Patientengeschichte der Dichterin Annette von DrosteHülshoff wurde bereits nachgewiesen, dass der Freiherr in diesem Fall Glättungen und Straffungen durchgeführt hatte.291 Jener Artikel im Archiv für die homöopathische Heilkunst war der erste, in dem Bönninghausen Fallgeschichten aus seiner Praxis präsentierte.292 Neben der Schilderung der Therapie der Droste enthält er fünf weitere Darstellungen. Bei zwei der geschilderten Fälle handelt es sich jedoch um Rekonstruktionen aus dem Gedächtnis, da im angegebenen Zeitraum keinerlei Aufzeichnungen in den Journalen zu den Kranken gefunden werden konnten.293 Ganz davon abgesehen, dass alle Patienten, die in diesem Artikel zum Gegenstand erfolgreicher homöopathischer Behandlung wurden, zuvor unisono „vergeblich Hülfe“ bei „allopathischen“ Ärzten gesucht hatten, geben die Darstellungen den einen oder anderen Hinweis auf das Patientenverhalten. Jene „Gastwirthin“, die im Februar 1830 zu Bönninghausen kam, erschien in Begleitung ihres Vaters. Damit wird deutlich, dass der Freiherr tatsächlich auch in der Frühzeit seiner Praxis in seinem Haus aufgesucht wurde und dass Hilfesuchende von Angehörigen zum Arzt begleitet wurden.294 Die zweite Darstellung, die Bönninghausen ohne nachweisbare Originalnotizen berichtete, wirft ein Licht auf die Kommunikation über Kranke beziehungsweise Krankheitsfälle in der privaten Umgebung. Der Freiherr war zu Besuch bei einer befreundeten Familie, bei der zur gleichen Zeit weitere Gäste, unter ihnen die Besitzerin eines Landgutes, waren. Diese erzählte bei der Zusammenkunft davon, dass „vor kurzem dort eine Dienstmagd von einem tollen Hunde gebissen, und in Folge dessen bei ihr die Wasserscheu wirklich ausgebrochen sei“.295 Dass ein solch dramatischer Krankheitsfall bei Gesprächen privater Art thematisiert wurde, ist nicht verwunderlich. Bönninghausen mochte aber auch hier die Hoffnung nicht aufgeben und bot seine homöopathischen Dien290 Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 470, gleiches gilt für: On the use, S. 422. 291 Dinges; Holzapfel: Von Fall zu Fall, S. 160–161. 292 Bönninghausen: Heilungen, S. 45–57. Die Behandlung der Droste ebenda S. 29–37 und Kottwitz: Leben. Die Fallredaktion bei Dinges; Holzapfel: Von Fall zu Fall. Die Briefe P 202/1–7. 293 Es handelt sich um die „Frau Gastwirthin K…, hier in M…“, S. 45–47 sowie die Patientin Louise Klusemann, S. 47–56 in Bönninghausen: Heilungen. Ähnlich ist es mit zwei Fallbeschreibungen aus dem Aufsatz Bönninghausen: Cautelen, S. 322–327. Beide Patienten sind, obwohl sie am 12. September 1842 beziehungsweise 14. Januar 1843 bei Bönninghausen gewesen sein sollen, nicht in den Journalen, ohne dass ein Eintrag fehlt. 294 Auch aus einer weiteren hier berichteten Behandlungsgeschichte geht hervor, dass der Kranke Bönninghausen in dessen Haus aufsuchte. Bönninghausen: Heilungen, S. 39. 295 Die Wasserscheu, sprich Tollwut, war sehr gefürchtet, da eine wirksame Kur zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war und die Krankheit fast unausweichlich tödlich endete. Burghard: Hundswuth, S. 7–11. Hierzu die ausführlicheren Angaben in Kapitel 6.4, besonders Fußnote 348.
7.7 Patienten als „Fälle“ – Publikationen aus der Praxis
385
ste an. Die Gutsbesitzerin sandte daraufhin die nötigen Mittel an den dortigen Pfarrer, in der Hoffnung, dass dieser die Therapie richtig durchführen würde. Der Homöopath hatte in Ermangelung einer genaueren Kenntnis des Zustandes der Betroffenen drei Mittel geschickt und diese jeweils mit einer kurzen Symptomcharakteristik versehen, „damit der gebildete Pfarrer im Stande sei, das am beßten passende wählen zu können“.296 Der so in die Verantwortung genommene Geistliche suchte nach dem Erhalt der Mittel die Kranke auf und konnte ihr eines davon geben, wie er es getreulich in einem Schreiben an die adelige Dame und Bönninghausen darlegte. Bönninghausen selbst hatte nach mehreren Wochen die Gelegenheit, in Anwesenheit eines weiteren Zeugen, mit der unterdessen Genesenen zu sprechen. Sie bestätigte den erfolgreichen Verlauf, wobei der Freiherr in der Schilderung des Aufsatzes lediglich für sich in Anspruch nahm, die Kranke von einer künstlich hervorgerufenen „Wasserscheu“, infolge einer zu hohen Gabe Belladonna seitens des „allopathischen“ Arztes, befreit zu haben.297 In diesem Fall wird nicht nur deutlich, wie verworren manche „Netzwerke“ homöopathischer Patienten sein konnten. Solche zufälligen Begegnungen und Hilfsmöglichkeiten lassen sich außerdem kaum in historischen Quellen nachweisen.298 Aber auch die Mediatorenrolle des Geistlichen wird hier eindrücklich belegt.299 Er war der Adressat des Briefes. Man vertraute aufgrund seiner Bildung darauf, dass er die richtige Entscheidung treffen könnte und zugleich führte er die Korrespondenz für die später Genesene. Ganz davon abgesehen, dass die erste Publikation Bönninghausens Krankengeschichten enthält, die sich so nicht in den Aufzeichnungen nachweisen lassen, waren die Veröffentlichungen zum Teil ausführlicher als die ursprünglichen Angaben, besonders wenn es um den Erfolg der Therapie ging. Dies ist auch in einem Vergleich von dem Journal, das die Notizen über die Behandlung von Tieren enthält, und den darauf basierenden Aufsätzen nachgewiesen
296 Wörtlich heißt es: „… bat sie [die Gutsbesitzerin, M. B.] mich um die erforderlichen Arzneien, und erbot sich selbst, diese an den dortigen, sehr verständigen Pfarrer am nächsten Morgen abzusenden, damit dabei nichts versehen werde.“ Bönninghausen: Homöopathische Heilungen, S. 47–48. 297 Bönninghausen: Homöopathische Heilungen, S. 55–56. Die Schilderung der Symptome deutete auf die damals üblichen Krankheitszeichen bei einer „Wasserscheu“ hin. Hierzu Burghard: Hundwuth, S. 22–34. 298 Ähnliches belegt auch ein kleiner Hinweis, der in einem englischen Aufsatz erschien. Eine 50-Jährige hatte nach vergeblicher „allopathischer“ Kur zunächst jegliche Hoffnung aufgegeben, als ihr Freunde rieten, Bönninghausen zu konsultieren. Bönninghausen: On the use, S. 437, die Patientin IGM P 78 Fol. 220. Hier wird dergleichen nicht erwähnt. In einer weiteren Publikation war es ein Bruder, der in Münster wohnte und den Kontakt zwischen Bönninghausen und dem bei Bremen wohnenden Verwandten vermittelte. Bönninghausen: Tabes dorsualis, S. 560. 299 Dieser ist auch in der Patientenschaft Hahnemanns belegt. Papsch: D38 Kommentar, S. 29–31, Mortsch: D22 Kommentar, S. 62–64, Jütte: Patientenschaft, S. 41–42. In Bayern waren Geistliche laut „Kurpfuscherstatistik“ die größte Laiengruppe, die sich homöopathisch betätigte. Stolberg: Bayern, S. 177–178.
386
7 Die Praxis Bönninghausens
worden.300 Die Publikationen aus der Praxis verraten daher bisweilen mehr über die Patienten Bönninghausens als die Originalaufzeichnungen. Dies ist auch in dem Artikel „Triduum homoeopathicum“ der Fall. Dieser hatte zur Folge, dass zum einen die an sich verschleierte Autorenschaft des Freiherrn aufgedeckt wurde und führte zum anderen zu der fälschlichen Annahme, Bönninghausen habe mehr als 3.000 Neupatienten im Jahr. Er erschien 1842 im Archiv für die homöopathische Heilkunst.301 Den unmittelbaren Anlass für die Verfassung hatte die Abkehr eines jungen Arztes von der Homöopathie gegeben. Zumindest diente dieser „Aufhänger“ dem Freiherrn als Einleitung. Obwohl der „junge Aeskulap“ vor seinem Studium durch Bönninghausens Leistung für die Lehre Hahnemanns gewonnen worden war, hatte er sich doch infolge seiner Ausbildung wieder der „alten Schule“ zugewandt. Die Zweifel an der Wirksamkeit der Homöopathie wurden auch im 19. Jahrhundert lautstark artikuliert und während der Ausbildung des jungen Arztes war besonders an den „offengelegten Erfolgen der neuen Schule“ Kritik geübt worden. Es wurde behauptet, „daß alle Erzählungen von glücklichen Erfolgen, welche die Homöopathen mittheilen, mit großer Sorgfalt ausgewählt sind, und daß eine weit größere Zahl verunglückter Curen, welche auf ihre Leistungen ein ungünstiges Licht werfen müssen, wohlbedächtig verheimlicht werden“. Darum seien die publizierten Behandlungserfolge nicht nur einer Wirksamkeit der Medikation, sondern „lediglich dem Zufall oder irgend einer andern unbekannt gebliebenen Ursache“ beziehungsweise den Heilungskräften der Natur zuzuschreiben. Dass sich dieses Argument ebenso gut auf die veröffentlichten Fallgeschichten der „allöopathischen Schriftsteller“ anwenden ließ und diese sogar noch weniger zuverlässig seien, weil sie „in der Regel keine Krankenjournale führen und deshalb größtentheils nur aus dem Gedächtnisse erzählen“, vergaß der Freiherr zwar nicht anzumerken, dennoch wollte er den Fehdehandschuh aufnehmen. Bönninghausen wählte schließlich per Los aus seinen bis zu diesem Zeitpunkt 48 gefüllten Krankenjournalen einen Zeitraum aus. Die Wahl fiel „auf Nro. 1 des 47sten Bandes, welches mit dem 17. April 1841 anfängt, und bald nach dem 19. April schließt, mithin drei auf einander folgende Tage umfaßt“. Gemäß der Aufzeichnungsart handelte es sich bei den vorgestellten Fällen nur um Patienten, die erstmals in diesem Zeitraum zu Bönninghausen kamen. Allerdings beginnt P 47 nicht am 17., sondern bereits am 11. April. Wie belegt werden konnte, richtete sich Bönninghausen 1841 weitgehend nach seiner eigenen Regel, nur an drei Tagen die Woche Patienten zu empfangen. Wo und wie er angeblich noch an anderen Orten Praxis geführt haben will, kann nicht nachgewiesen werden.302 De facto hatten die in 300 Backert-Isert: Praxis, S. 251. 301 Der eigentliche Aufsatz „Triduum homoeopathicum“ erschien mit dem Kürzel: „Von Dr. B. zu D.“ in ACS 19 (1842) Heft 3, S. 35–68. Hartmann: Kritik. Alle im Weiteren angeführten Zitate stammen, soweit nicht anders vermerkt, aus diesem Artikel. 302 Bönninghausen schrieb davon, dass er nur Samstag, Sonntag und Montag die Praxis hätte, die übrigen Tage verreist sei, „und noch an zweien andern Orten ähnliche Journale
7.7 Patienten als „Fälle“ – Publikationen aus der Praxis
387
dem Aufsatz genannten Behandlungen am 11. und 12. sowie vom 17. bis zum 19. April stattgefunden. In diesem Zeitraum kamen außerdem nicht nur die erwähnten 28 Personen erstmals in die Praxis, sondern noch fünf weitere Kranke. Diese waren jedoch jeweils nur ein einziges Mal bei dem Freiherrn vorstellig geworden und hatten offensichtlich keine Nachricht über Erfolg oder Misserfolg der Kur gegeben.303 Bei vier weiteren Kranken war ebenfalls nur eine Konsultation in den Journalen verzeichnet. Dennoch nahm der Freiherr diese Fälle in seinen Aufsatz auf, denn ihm war auf verschiedenen Wegen eine Mitteilung über die Wirkung der Mittel gemacht worden. Keine dieser Nachrichten ist aber in den Journalen vermerkt. Hierzu zählt der erste angeführte Fall eines sieben Tage alten Knaben. In den ausführlicheren Aufzeichnungen des Aufsatzes wird ersichtlich, dass auch hier eine eigenmächtige Änderung der Kur erfolgte, indem man dem Kind nur eines der verordneten Globuli gab und auf die übrigen verzichtete, da sich eine Besserung einstellte. Bönninghausen berichtete weiter, dass das Kind „bis heute ganz gesund geblieben sei“. In diesem Fall war er falsch informiert worden, denn die Kirchenbücher belegen, dass der Knabe am darauffolgenden Tag an den „Krämpfen“ gestorben war.304 Andere Patienten machten sich gar nicht die Mühe Bönninghausen vom Erfolg der Kur zu berichten. Eine 24 Jahre alte Frau war beispielsweise nicht selbst bei dem Homöopathen erschienen, sondern hatte aus Lienen ihren Mann geschickt. Dieser konnte dem Freiherrn allerdings keine ausführlichen Angaben machen. Von der erfolgreichen Kur erfuhr dieser erst zwei Monate später durch Nachbarn.305 Bei einigen Patienten, bei denen Bönninghausen in den Originalaufzeichnungen ein „n. v.“ notierte hatte, um kenntlich zu machen, dass sie nicht persönlich erschienen waren, offenbaren die Mitteilungen im Aufsatz, dass tat-
führe“. Diese Journale sind nicht überliefert, so es sie denn überhaupt gab. Zumindest erwähnte Bönninghausen sie in seiner eigenen Liste in P 152 (nicht paginiert), die er über seine Bücher angefertigt hatte, nicht. Zu den Tagen, an denen er Praxis hatte auch Kapitel 7.2. 303 Am 11. April war ein Patient da (P 47 Fol. 1), am 12. April fanden neun Neukonsultationen (P 47 Fol. 2 a und b bis Fol. 9) statt. Am 17. April waren es 15 Neupatienten (IGM P 47 Fol. 10 bis Fol. 24). Am 18. und 19. April waren es je vier (P 47 Fol. 25 bis Fol. 28 sowie P 47 Fol. 29 bis Fol. 32). Bei den nicht berücksichtigten Nummern handelt es sich um P 47 Fol. 7, Fol. 12, Fol. 20, Fol. 25 und Fol. 28. In diesem Aufsatz verschwieg Bönninghausen daher auch die genauen Seitenangaben. Allerdings hatte Bönninghausen in dem Artikel vier Fälle publiziert, von denen er keine weitere Nachricht erhalten hatte. Bönninghausen: Triduum, S. 43 und S. 67. 304 IGM P 47 Fol. 1, BAM St. Aegidii Kirchenbuch Nr. 12 Tote 1822–1841, am 12. April 1841, die Taufe ebenda St. Aegidii Kirchenbuch Nr. 13 Taufen 1837–1862, 1841, Nr. 23. 305 Dieser Fall: Bönninghausen: Triduum, S. 59–60 (P 47 Fol. 21). Die Kranke hatte nur eine Ordination von dem Freiherrn erhalten, ebenso wie Bönninghausen: Triduum, S. 62 (P 47 Fol. 24), S. 63 (P 47 Fol. 26). Von einem Nachbarn unterrichtet wurde Bönninghausen bei P 47 Fol. 4, im Triduum ist dieser Fall auf S. 44, alle IGM.
388
7 Die Praxis Bönninghausens
sächlich Boten oder Nachrichten geschickt worden waren.306 Der Bericht über einen 56 Jahre alten Mann zeigt ferner, dass Bönninghausens Briefpraxis doch umfangreicher war, als es die überlieferten Schreiben vermuten lassen. Der in dem Artikel erwähnte Brief enthielt nur wenig brauchbare Informationen, so dass ihn der Freiherr entsorgte. Der Patient wohnte übrigens mehr als zwölf Meilen entfernt und hatte dort dennoch von Bönninghausens „Heilungen Kunde erhalten“. Die erfolgreiche Kur durch den Freiherrn brachte diesem weitere Nachfragen aus der Gegend ein.307 Bei einer 21-Jährigen bestätigen die zusätzlichen Notizen nicht nur, dass sie persönlich bei Bönninghausen vorstellig wurde, sondern auch, dass das Zimmer, in dem Bönninghausen seine Konsultationen durchführte in einem oberen Stockwerk gelegen war. Die Kranke „war bis zu meinem [Bönninghausens, M. B.] Haus gefahren und hatte nur langsam und in mehren Absätzen die Treppe bis zu meinem Zimmer erstiegen“. Dies hatte die Leidende bereits so erschöpft, dass sie „sich erst eine Weile auf dem Sopha ausruhen mußte“.308 Eine Sitzgelegenheit bot der Freiherr somit seinen Patienten an, wenn sie sich zu ihm begaben. Ähnlich wie die zuvor beschriebene Gastwirtin befand sich diese Kranke in Begleitung. Bei manchen Patienten konnten aufgrund von zusätzlichen Informationen in den Publikationen der Beruf oder der Zivilstand ergänzt werden.309 Auch in dem Aufsatz über „Nervenfieber und Hochpotenzen“ werden Familienzusammenhänge deutlich. Zugleich zeigt die Nennung eines tödlich endenden Krankheitsverlaufs in dieser Veröffentlichung, dass Bönninghausen den Mut aufbrachte, dergleichen nicht zu verschweigen. Bei der Patientin aus Havixbeck wurden dem Freiherrn die Symptome durch einen Boten mitgeteilt. Die homöopathischen Mittel konnten jedoch keine Wirkung entfalten. Bereits seit 306 Alle Seitenangaben beziehen sich auf Bönninghausen: Triduum. Es handelt sich um: P 47 Fol. 6, S. 45, der Bote konnte Bönninghausen jedoch keine befriedigende Antwort geben, dasselbe Problem bei P 47 Fol. 14, S. 53 sowie P 47 Fol. 19, S. 59, P 47 Fol. 26, S. 63 hierzu Kapitel 7.4. Von Nachrichten ist die Rede bei P 47 Fol. 10, S. 51 und P 47 Fol. 18, S. 57. In P 47 Fol. 11, S. 52 erschien ein Vater bei dem Freiherrn. In allen Fällen waren die Patienten wegen der weiten Entfernung zu Münster nicht selbst erschienen. So auch Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 474 zu P 81 Fol. 115, ebenda S. 483 zu P 82 Fol. 224 wird ein Bote erwähnt, der im Original nicht genannt wurde. Alle Patientendaten in IGM. 307 Bönninghausen: Triduum, S. 60–61. Der Patient P 47 Fol. 22. Ein Brief von diesem Mann ist im IGM nicht überliefert. Aus Feldhausen stammten außer diesem Kranken noch sieben weitere. Einer hatte den Freiherrn jedoch vorher konsultiert. Die anderen folgten alle in P 47 und P 48, ein letzter Kranker von dort P 71 Fol. 127. Vermutlich handelt es sich um das heute zu Bottrop gehörende Feldhausen, das Luftlinie etwa 60 Kilometer von Münster entfernt ist. 308 Bönninghausen: Triduum, S. 47. Die Patientin IGM P 47 Fol. 9. Hier wird nichts dergleichen erwähnt. 309 Dies war unter anderen möglich für: P 47 Fol. 4, S. 43, P 47 Fol. 15, S. 54, P 47 Fol. 18, S. 56, P 47 Fol. 21, S. 59, P 47 Fol. 27, S. 63, P 47 Fol. 31, S. 65. Die Seiten beziehen sich auf Bönninghausen: Triduum. Gleiches gilt jedoch auch für P 78 Fol. 116, welcher in On the use, S. 424 vorgestellt wird oder Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 480 zu Patientin P 82 Fol. 71. Alle IGM.
7.7 Patienten als „Fälle“ – Publikationen aus der Praxis
389
August war der Bruder jener Kranken ebenfalls wegen Nervenfieber in der Behandlung des Freiherrn gewesen. Bei ihm hatte die Kur aber angeschlagen. Hier hatte die zunächst erfolgreiche Therapie des jungen Manns dazu geführt, auch in weiteren Fällen die Hoffnung auf die Homöopathie zu setzen.310 Aus einer anderen Familie behandelte Bönninghausen zunächst den Vater und kurz später dessen Söhne.311 Vergleicht man die Darstellung der Anamnesen mit den Originalaufzeichnungen, so fällt zum einen auf, dass Bönninghausen aus den sehr stichwortartig festgehaltenen Symptomen nun einen leserlichen Text gestaltet hat. In einigen Fällen weicht dieser gravierend von den ursprünglichen Notizen ab.312 Sehr nahe an den eigentlichen Anamnesen sind hingegen die Übersetzungen ins Englische. Bönninghausen konnte 1852 durch den befreundeten Arzt Wilson einen Aufsatz in einer englischen homöopathischen Zeitschrift veröffentlichen.313 Dieselbe Gründlichkeit, die Einladung und Möglichkeit, die einzelnen Fälle zu überprüfen, fehlt in dem zweiten kleineren Artikel für eine amerikanische Zeitschrift.314 Während auch in dem Artikel über „Traumatische Beschwerden und Hochpotenzen“ sehr genau zitiert wurde.315 Die Fallauf310 Bönninghausen: Nervenfieber, S. 452–454 sowie S. 459. Die Patienten P 86 Fol. 238 und Fol. 287. Der Bruder befand sich seit dem 28. August 1853 in Behandlung, wobei in der Erstanamnese „angehendes Nervenfieber“ vermerkt wurde. Seine Kur endete am 5. September. Für die Schwester begann die Therapie erst am 13. September des Jahres. Bönninghausen behauptete jedoch im Artikel, der Bruder habe sich durch den Todesfall der Schwester nicht von einer Behandlung durch ihn abschrecken lassen. Wie die aber auch im Aufsatz korrekt wiedergegebenen Behandlungsdaten zeigen, konnte sich der Bruder gar nicht von dem Todesfall der Schwester abschrecken lassen. Einem genauen Leser muss bereits im 19. Jahrhundert dieser Widerspruch aufgefallen sein. Alle IGM. 311 Bönninghausen: Nervenfieber, S. 454–457. Die Patienten P 85 Fol. 16, Fol. 19 und Fol. 278. Zumindest bei dem zweiten Sohn ist die Familienzugehörigkeit aus dem Journal nicht mehr ersichtlich. Das genaue Verwandtschaftsverhältnis wird jedoch auch bei Fol. 16 und Fol. 19 nicht deutlich. Alle IGM. 312 Dies trifft besonders zu auf IGM P 47 Fol. 9 und die Beschreibung in Bönninghausen: Triduum, S. 47–50. Hierzu ausführlicher: Kunkle: Evidence 2. Ganz zu schweigen von den zuvor erwähnten rekonstruierten Fällen in Bönninghausen: Heilungen. 313 Bönninghausen: On the use. Bönninghausen vermerkte dazu im vorderen Deckel von P 78: „Aus diesem Buche sind die, über den Folium mit E. J. bezeichneten Fälle, (namentlich Fol. 116. 120. 126. 127. 131. 133. 137. 142. 145. 151. 153. 174. 209. 217. 220. 225. 230. 275.) am 31 Oct 1851 dem Dr. Wilson in London für sein englisches Journal, nebst einer Einleitung, mitgetheilt.“ 314 Bönninghausen: On the highest potencies. Dennoch war der Hinweis, es handle sich bei IGM P 51 Fol. 115 um einen Bauern hilfreich. Zwar nennt Bönninghausen die genaue Journal- und Foliumnummer nicht, aber das Datum der Erstkonsultation, womit in der Datenbank die entsprechende Anamnese gefunden wurde. Gleiches gilt für P 42 Fol. 111. Die weiteren drei genannten Fälle konnten hingegen aufgrund mangelnder Angaben nicht in den untersuchten Krankenjournalen verifiziert werden. Jene fünf Fälle hatte der Freiherr bereits zuvor an D. Stapf mitgeteilt. Bönninghausen, Clemens von: Aus einem Briefe des Herrn Regierungs-Rath D. v. Bönninghausen in Münster an D. Stapf. In: Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften, S. 367–373. Der Brief enthält noch zwei weitere Fälle. 315 Bönninghausen: Traumatische Beschwerden, S. 469–488.
390
7 Die Praxis Bönninghausens
zeichnungen Bönninghausens folgen mit einigen Ausnahmen nicht nur weitgehend seinen Originalaufzeichnungen, sondern es zeigt sich, dass er wirklich versuchte, kaum „Krankheitsnamen“ zu verwenden. Seine Notizen betonen somit sein Laientum. Deutlich wird dies, wenn man die „Mittheilungen aus der Praxis“ des Herrn Friedrich Gauwerky liest. Diese sind meist mit den schulmedizinischen Termini versehen und erinnern in ihrer Sprache an einen ausgebildeten Mediziner.316 Im Großen und Ganzen enthalten die Veröffentlichungen Bönninghausens aus der Praxis über die bereits gewonnenen Erkenntnisse aus den Journalen hinaus nur wenig Neues über seine Patienten und deren Verhalten. Aus manchen Aufsätzen konnten Ergänzungen zu den sozialstrukturellen Merkmalen der Patienten vorgenommen werden, weil Bönninghausen diese interessanterweise in den Publikationen nannte.317 Durch weitere Angaben konnten in den vorangegangenen Kapiteln erzielte Ergebnisse erhellt werden. So zeigte sich bei wenigen nicht anwesenden Kranken, dass diese tatsächlich eine Nachricht geschickt hatten oder dass ein Bote bei Bönninghausen vorstellig geworden war. Allerdings betonen die meisten der in den Aufsätzen dargestellten Fälle das selbständige Handeln der Betroffenen. Die „allopathische“ Vergangenheit wurde von Bönninghausen in allen seinen Artikeln nicht verschwiegen, zumal er damit aufzeigen konnte, dass er bereits als hoffnungslos aufgegebene Patienten heilen oder deren Leiden lindern konnte. Außerdem war auch in den Publikationen von Diätsünden oder weiterhin eingenommenen „allopathischen“ Medikamenten die Rede.318 In gewisser Weise können solche Anmerkungen als Absicherung des Freiherrn gesehen werden, eine fehlgeschlagene Kur zu Lasten des „ungehorsamen“ Patienten zu legen. Dennoch zeigen diese Hinweise, dass die Kranken weiterhin eigenständig und nach eigenem Gutdünken verfuhren. Auch die Fallbeschreibungen des Homöopathen waren überarbeitet und wichen daher mehr oder weniger stark von seinen ursprünglichen Notizen ab. Aber der Freiherr verschwieg erfolglose Behandlungen oder sogar Todesfälle nicht komplett.319 Dass der Homöopath mit seinen Publikationen bestimmte Zwecke verfolgte, wird man ihm kaum vorwerfen können. Sein Ziel war es, besonders belehrende Erfahrungen und neue Wege aus der Praxis darzustellen. Es ging in allen Artikeln darum, die Wirksamkeit der Homöopathie he-
316 Gauwerky: Mittheilungen, Sp. 241–248. Er überschreibt seinen Artikel auch mit „Dr. med.“. Zu Gauwerky selbst der Artikel in Schroers: Lexikon, S. 36. 317 Statistisch sind diese Ergänzungen bei etwa 20 Kranken jedoch nicht von Bedeutung. 318 Besonders in Bönninghausen: Nervenfieber. S. 454, S. 455 und S. 463, aber auch in derselbe: Heilungen, S. 41 und S. 58 sowie derselbe: Triduum S. 45 und S. 52, derselbe: On the use, S. 440. 319 Beispielsweise in: Bönninghausen: Heilungen, S. 40–43 und der Patient P 151 S. 251– 252, derselbe: Wahl, S. 595, derselbe: Triduum, S. 46 der Patient P 47 Fol. 6 sowie ebenda S. 49, P 47 Fol. 9, derselbe: Nervenfieber, S. 452–454 (P 86 Fol. 287) sowie S. 458–459 (P 86 Fol. 232), derselbe: On the use, S. 431 (P 78 Fol. 142). Alle IGM.
7.8 Ohne Patienten keine Praxis
391
rauszustellen.320 Die ursprünglichen Schicksale der Menschen traten hinter diesen Zweck zurück. Dennoch spiegeln auch die Fallgeschichten die Patienten und deren Handeln. In den Aufsätzen wird dieses aber bei weitem nicht so deutlich, wie es die Auswertung seiner Journale ermöglichte. Im Hinblick auf Bönninghausens Therapie und sein Vorgehen können die veröffentlichten Fälle jedoch weiteren Aufschluss geben.321 7.8 Ohne Patienten keine Praxis Am 15. Februar 1860 kam eine 34 Jahre alte Magd aus St. Mauritz zu Bönninghausen.322 Sie hatte Magenschmerzen und wurde abwechselnd von Frost und Hitze geplagt, wobei sie stets kalte Füße hatte. Wie sie erschienen an diesem Tag noch zwei weitere Kranke zum ersten Mal in der Praxis. Dies waren ein Kleidermacher aus Münster und ein Kaufmann aus Oelde. Eine Frau aus den Niederlanden hatte sich vermutlich schriftlich an den Freiherrn gewandt. Ihre Erstanamnese wurde ebenfalls auf diesen Tag datiert. Sie selbst war aber nicht anwesend. Gleiches galt für eine weitere Patientin aus Lienen. Letztere hatte eventuell einen Boten geschickt, doch vermerkte der Freiherr nichts Entsprechendes in den Notizen. Von diesen fünf neuen Patienten erschienen drei lediglich ein einziges Mal bei Bönninghausen. Zumindest von der jungen Frau aus Lienen wurde dem Freiherrn zugetragen, sie sei „schnell vollständig geheilt“ worden. Die Kranke aus den Niederlanden schrieb noch ein weiteres Mal nach Münster. Der Kaufmann setzte seine Therapie im März und April mit je einer Konsultation fort. Zusätzlich erschienen mindestens fünf weitere Betroffene, die ihre begonnene Kur fortsetzen wollten.323 Bei einer Patientin handelte es sich um die 26 Jahre alte Gattin eines Kaufmanns aus Münster, die den Homöopathen wegen ihrer seit vier Monate anhaltenden Übelkeit 14 320 Vor allem das Eintreten für die Hochpotenzen prägte einen Großteil seiner späteren Veröffentlichungen, wie aus deren Titeln ersichtlich wird. Allein elf der von Gypser zusammengetragenen Aufsätze beschäftigen sich dem Titel nach mit den Hochpotenzen. Neben den bereits genannten sind dies Bönninghausen, Clemens von: Die Vorzüge der Hochpotenzen. In: Kleine medizinische Schriften, S. 601–613, derselbe: Die Jenichenschen Hochpotenzen. In: ebenda, S. 657–666 sowie derselbe: Zur Würdigung der Hochpotenzen. In: ebenda, S. 675–688. 321 Sollten sich im Anschluss an die vorliegende Arbeit weitere Projekte mit der Therapie Bönninghausens auseinandersetzen und daher auch die Behandlungsverläufe einzelner Kranker genauer untersucht werden, ist es hilfreich, die veröffentlichten Aufsätze des Freiherrn zu berücksichtigen. So zeichnet Wegener, Andreas: Einblicke in die Praxis Bönninghausens. In: ZKH 33 (1989), S. 3–11 und Teil 2, ZKH 34 (1990), S. 207–214 die Therapie des Freiherrn anhand eines publizierten Falles nach. 322 Der Tag wurde zufällig ausgewählt. Die Erstanamnesen IGM P 106 Fol. 103 bis Fol. 107. 323 Mindestens deswegen, weil auch Kranke, die nicht in die Datenbank aufgenommen wurden, weil ihre Erstanamnesen außerhalb des untersuchten Zeitraums waren, an diesem Tag in die Praxis gekommen sein könnten. Die weiteren Kranken an diesem Tag sind: P 104 Fol. 16, Fol. 158, Fol. 160, Fol. 229 und P 106 Fol. 80.
392
7 Die Praxis Bönninghausens
Tage zuvor zum ersten Mal besucht hatte. Am 15. konnte der Freiherr eine Besserung ihrer Beschwerden feststellen und die Kranke kam nicht wieder zu ihm, nahm aber 1867 einen Termin bei Friedrich von Bönninghausen wahr. Von den übrigen vier Patienten waren zwei weitere aus Münster, die bereits seit 1859 ihr Vertrauen auf die Homöopathie setzten. Gleiches galt für den Bauern aus Telgte und den Patienten aus Frankreich, dessen Brief Bönninghausen an jenem Tag auch beantwortete. Jener 52-jährige Franzose konsultierte den Freiherrn zwischen 1859 und 1862 14 Mal, doch konnten die homöopathischen Mittel nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Denn am Ende der Aufzeichnungen notierte Bönninghausen: „Wird ungeduldig!!!“324 Weitere Ordinationen sind nicht verzeichnet worden, so dass die Vermutung nahe liegt, dass der Kranke die Kur enttäuscht abgebrochen hat. An diesem Tag, übrigens einem Dienstag, führte der Freiherr also zehn Konsultationen durch, fünf davon waren neue Patienten. Ähnliche Tagesabläufe, mal mit mehr, mal mit weniger Patienten, könnte man für sämtliche Tage innerhalb des Untersuchungszeitraums schreiben. Dieses eine ausführlichere Beispiel zeigt deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Kranken die Dienste des Freiherrn in Anspruch nahmen und wie zugleich die Handlung jedes Einzelnen von ihnen das Tagespensum der Praxis bestimmte. Clemens Maria Franz von Bönninghausen bot seine homöopathischen Dienste zwischen 1829 und 1864 an. Dies tat er zunächst unentgeltlich, ab 1835 gegen Honorar. Hätte keine Nachfrage nach diesem Angebot bestanden, hätte er sehr schnell von seiner Behandlungstätigkeit abgelassen. Es ist in gewisser Weise eine Binsenweisheit: Ohne Kranke keine Praxis. Nicht der Arzt sucht sich üblicherweise die Patienten, sondern die Kranken wählen den Therapeuten. Dies gilt in besonderem Maß für die Homöopathie.325 Doch vergisst man in den aggregierten Zahlen und den durch sie bestimmten graphischen Darstellungen, bei der Frage nach dem Umfang der Tätigkeit des Heilers leicht, dass eigentlich die Patienten die Praxis ausmachen. Hinter all den in diesem Kapitel, ebenso wie in den anderen, präsentierten Angaben stehen Individuen, ihr Handeln und ihre Entscheidungen. Warum die Betroffenen eine Behandlung bei Bönninghausen durchführten beziehungsweise sich zumindest ein einziges Mal bei ihm vorstellten, lässt sich im Einzelnen nicht mehr rekonstruieren. Wie in den vorangegangenen Kapiteln immer wieder deutlich wurde, waren viele von den seitherigen Ergebnissen anderer Kuren wenig überzeugt, einige sogar von den „allopathischen“ Ärzten als hoffnungslos abgeschrieben und bisweilen direkt an Bönninghausen verwiesen worden. Doch die Kranken gaben ihre eigene Meinung und ihre Entscheidungsfreiheit mit dem Eintritt in Bönninghausens Haus nicht
324 Bönninghausen verwendete tatsächlich drei Ausrufezeichen. IGM P 104 Fol. 158. 325 Ernst: Patientengeschichte, S. 97, Sigerist: Anfänge, S. 13, Loetz: Histoire, S. 288, Porter: Patient’s View, S. 182. Für die Homöopathie wurde die Patientenschaft schon als „eines der wichtigsten Elemente des homöopathischen Netzwerkes“ bezeichnet. Schreiber: Leipzig, S. 64.
7.8 Ohne Patienten keine Praxis
393
auf.326 Vielmehr erscheinen, wie in dem Teil über das Patientenverhalten nachgezeichnet werden konnte, manche Betroffenen geradezu „rebellisch“, und man mag sich im Nachhinein fragen, wozu sie eigentlich den ärztlichen Rat einholten, wenn sie sich nicht an diesen hielten. Andererseits ist dieses „Verhaltensmuster“ bis heute Teil des Handlungsrepertoires von kranken Menschen. Viele wohlgemeinte Ratschläge der Ärzte werden ignoriert und schlechte Angewohnheiten wider besseres Wissen beibehalten. Auch heute holen viele Betroffene eine zweite Meinung ein oder versuchen, die Therapie in ihrem Sinn zu beeinflussen.327 Wie deutlich wurde, suchten im Verlauf der Praxis immer mehr Kranke den Rat des Homöopathen. Leicht rückläufig waren die Zahlen aber in den letzten Jahren vor dem Tod des Freiherrn. Im Mittel wurden die Dienste pro Tag zwischen fünf und elf Mal in Anspruch genommen. Die Anzahl der Personen, die damit über die Jahre hinweg bei dem Freiherrn Rat und Hilfe suchte, ist mit derjenigen in anderen Arztpraxen vergleichbar. Die Größe von Bönninghausens Praxis, gemessen an der Anzahl der Patienten und Konsultationen, entsprach durchaus derjenigen in anderen Praxen. Dabei wirkten sich im Jahresverlauf besonders ein erhöhtes Krankheitsaufkommen in den Frühjahrs- und Sommermonaten aus. Die von Bönninghausen festgelegten Sprechzeiten wurden weitgehend akzeptiert. Die Mehrheit der Kranken suchte ihn tatsächlich nur an den angegebenen Tagen zwischen Samstag und Montag auf. In den letzten Jahren, als der Homöopath seine Regelungen gelockert hatte und tatsächlich jeden Tag zu sprechen war, entschieden sich viele Kranke dafür, den Besuch mit einem Markttag zu verbinden. Ebenso beugten sich die meisten Kranken der Forde326 Dinges: Arztpraxen, S. 53. 327 Darauf weisen verschiedene Äußerungen hin, die in einer informellen Umfrage unter etwa 20 Ärzten durchgeführt wurde. Kochanek, Doris: 29 Dinge, die Ihnen Ihr Arzt nicht sagt. In: Reader’s Digest Deutschland Januar 2009, S. 98–106. Prinzipiell werfen die Aussagen der verschiedenen Ärzte ein interessantes Licht auf das Verhalten heutiger Patienten. Darauf verwies Jütte: Ärzte, Heiler und Patienten, S. 213. Das „Problem“ war bereits Thema verschiedener Untersuchungen. Schmädel, Dieter: Nichtbefolgung ärztlicher Verordnungen. Ausmaß und Ursachen. In: Siegrist, Johannes; Hendel-Kramer, Anneliese (Hrsg.): Wege zum Arzt. Ergebnisse medizinsoziologischer Untersuchungen zur Arzt-Patientenbeziehung, München/Wien/Baltimore 1979 (Medizin und Sozialwissenschaften 4), S. 139–171. Insofern stellt sich die Frage, ob das Bild eines „modernen“ Arzt-PatientVerhältnis, in dem der Arzt die Macht hat und die Patienten lediglich gehorchen, so zutreffend ist. Damit soll jedoch keinesfalls in Abrede gestellt werden, dass sich im Verhältnis von Arzt und Patient keinerlei Wandlungen ergeben hätten. Hierzu Huerkamp: Ärzte und Patienten sowie Shorter, Edward: Doctors and their Patients. A Social History, New Brunswick 1991, Jütte: Patient und Heiler, S. 452–460. Mit ausführlicher Literaturliste: Noack, Thorsten; Fangerau, Heiner: Zur Geschichte des Verhältnisses von Arzt und Patient in Deutschland. In: Schulz, Stefan; Steigleder, Klaus; Fangerau, Heiner; Paul, Norbert (Hrsg.): Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Eine Einführung, Frankfurt am Main 2006, S. 77–93. Bezogen auf die heutige Situation aus Sicht der Ärzte: Gellner, Winand; Schmöller, Michael (Hrsg.): Neue Patienten – Neue Ärzte? Ärztliches Selbstverständnis und Arzt-Patienten-Beziehung im Wandel, Baden-Baden 2008.
394
7 Die Praxis Bönninghausens
rung, zumindest für die Erstkonsultation persönlich in der Praxis zu erscheinen. War dies nicht möglich, sandten sie eine Nachricht oder einen Boten. Die meisten Betroffenen führten jedoch nur eine Kurzbehandlung, bestehend aus einer oder zwei Konsultationen, durch. Dies ist nichts Ungewöhnliches, doch erschwert es die Aussage darüber, ob ihre Beschwerden gelindert oder geheilt wurden oder ob den Kranken die homöopathischen Mittel gar nicht helfen konnten. Allerdings konnte Bönninghausen im Lauf seiner Tätigkeit einige treue Anhänger gewinnen, die mehr als zehn Mal in seine Praxis kamen und über längere Zeit hinweg in seiner Betreuung waren. Je länger ein Patient in der Behandlung verblieb und je häufiger er den Freiherrn konsultierte desto eher stieg die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene während dieser Zeit tatsächlich zu einem treuen Anhänger der Hahnemannschen Lehre geworden war. Mit Sicherheit nachzuweisen ist dies kaum. Viele Patientenschicksale machen deutlich, dass der Weg zu Bönninghausen wieder von diesem weg führen konnte. Im Fall einer erneuten Erkrankung wurde oft wieder zu „Altbewährtem“ gegriffen, anstatt sofort zu dem Freiherrn zu gehen. Einige Kranke wandten sich nach längerer Zeit enttäuscht von der Homöopathie ab, nachdem diese nicht den gewünschten Erfolg gezeigt hatte. Die Analyse des Konsultationsverhaltens wirft hingegen die berechtigte Frage auf, ob Kinder tatsächlich weniger ärztlich betreut wurden und es den Eltern egal war, wie es ihren Kleinen gesundheitlich erging. Während sich diesbezüglich auch Unterschiede zwischen den Angehörigen einzelner sozialer Schichten zeigten, waren geschlechtsspezifische Unterschiede weniger deutlich ausgeprägt. Um die Zahlungsmoral der Kranken, soweit die Angaben dazu vorhanden waren, war es offensichtlich nicht ganz so schlecht bestellt, wie der pessimistische Hahnemann dies in seinen diversen Briefen verlauten ließ.328 Die Betroffenen waren durchaus bereit, für ihre Behandlung finanzielle Aufwendungen zu tätigen und in der Lage, diese aufzubringen. Die meisten Rechnungen, die Bönninghausen, häufig im Januar ausstellte, wurden im Lauf des Jahres beglichen. Bei den übrigen Patienten muss mangels Nachweis die Frage offenbleiben, wie eine Bezahlung erfolgte, ob einige von Bönninghausen ganz umsonst behandelt wurden, ob er auf monetärer Sofortbezahlung bestand oder Naturalien akzeptierte. Die Praxis der Vorauskasse konnte bei einigen Patienten nachgewiesen werden. Die Entscheidung der einzelnen Betroffenen, eine Kur bei Bönninghausen zu versuchen, bedeutete für den Freiherrn natürlich die Verpflichtung, diesen nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen. Allerdings bot seine Praxis zugleich die Möglichkeit, die Heilmethode der Homöopathie anzuwenden und somit darzulegen, dass mit ihr Menschen geheilt oder ihre Beschwerden gelindert werden konnten. Daher verwundert es nicht, dass einige Einzelschicksale als „Material“ in einer von Bönninghausens zahlreichen Publikationen er328 Hierzu diverse Briefe Hahnemanns an andere Homöopathen in Haehl: Hahnemann 2, S. 152–154.
7.8 Ohne Patienten keine Praxis
395
schienen. Da diese „Fälle“ im Großen und Ganzen relativ nahe an den Originalaufzeichnungen des Freiherrn orientiert waren, bot eine ausführliche Analyse der veröffentlichten Aufsätze zusätzlich zu der durchgeführten Untersuchung der ursprünglichen Notizen wenig Neues im Hinblick auf die Kranken selbst. In den Aufsätzen ist ebenfalls von den vorangegangenen Kuren und Patienten, die nicht in allem die vorgegebenen Regeln der Behandlung befolgten, die Rede. Der Zweck der Fallpublikationen bestimmt die Darstellungen. Vor allem für eine mögliche weitere Untersuchung hinsichtlich des genauen Therapieverlaufs und der Medikationen sind die Aufsätze aufschlussreicher. Die „Biographie einer Praxis“, mithin ihr Umfang, ihre Dauer und ihre Ausprägung, hängt zum einen Teil vom Heiler selbst ab. Dieser entscheidet, wie und wann er behandelt, welche Methode er anwendet, ob und wie er Veränderungen in seiner Therapieform durchführt.329 Dennoch wird der andere Teil der „Praxisbiographie“ durch die Patienten geschrieben. Im Fall Bönninghausens kann man dies auch deswegen sagen, weil er Laie war. Keiner der Betroffenen, die zu ihm kamen, war in irgendeiner Weise verpflichtet, bei ihm Rat zu holen. Weder war Bönninghausen ein approbierter Arzt, so dass man ihm „mehr zutrauen“ konnte, noch konnte er aufgrund seiner mangelnden offiziellen Ausbildung Armenarzt sein, so dass er verpflichtet gewesen wäre, eine bestimmte Klientel in jedem Fall zu behandeln. Die Entscheidung der einzelnen Kranken, ihm zumindest eine einzige Chance zu geben und gegebenenfalls öfter zu ihm zu kommen, bildete die Praxis. Die Einzelnen kamen und gingen. Sie blieben mehr oder weniger lang in der Betreuung des Freiherrn. Sie suchten Rat und Hilfe, so wie sie es meist schon zuvor bei anderen Ärzten oder Heilern getan hatten. Sie vertrauten sich Bönninghausen an, ohne ihre eigene Meinung und Handlungsfreiheit aufzugeben. Die Kranken und ihre Leiden prägten und bestimmten auf diese Weise die Tätigkeit des Freiherrn, seine Praxis, in der er selbst versuchte, nach bestem Wissen und Gewissen im Sinn Hahnemanns eine „schnelle, sanfte, dauerhafte Wiederherstellung der Gesundheit“330 zu erzielen.
329 Diese Fragen standen jedoch nicht im Mittelpunkt der Arbeit. Allerdings spielen sie bei Duffin: Langstaff eine zentrale Rolle. In dieser Arbeit wurde der Begriff „Biographie einer Praxis“ verwendet, diese wird aber aus der Sicht des Arztes und seines Handelns geschrieben, die Patienten stehen, anders als hier, nicht im Mittelpunkt. Darauf verweisen auch Imhof; Larsen: Sozialgeschichte und Medizin, S. 195–196. 330 Hahnemann: Organon 6 § 2, S. 89.
8 Schluss: Patienten damals – so anders als heute? Menschen in allen Zeiten und Kulturen sahen und sehen sich verschiedenen Gefahren für ihr leibliches und seelisches Wohlergehen ausgesetzt. Die Frage von Krankheit und Gesundheit und wie damit umzugehen sei, ist so alt wie die Menschheit. Zahlreiche Ärzte in der Mitte des 19. Jahrhunderts klagten darüber, dass ihre kranken Landsleute nur ungern einen ausgebildeten Arzt um Rat fragten und lieber zu einem „Pfuscher“ gingen. Erschien der „einfache“ Mann einmal beim Arzt, war der Krankheitsverlauf schon fortgeschritten und die Lage ausgesprochen ernst. Zudem waren die Menschen gegenüber den ergriffenen Therapiemaßnahmen skeptisch, versuchten selbst, ihre Kur zu beeinflussen, leisteten dem Arzt nicht immer Gehorsam und zahlten überdies nur wenig und vor allem spät. Diese Klagen der von staatlicher Seite anerkannten Ärzteschaft haben vielfach die ältere medizinhistorische Forschung geprägt und zu einem verzerrten Bild von kranken Menschen und deren Verhalten in der Vergangenheit geführt. Jüngere Studien, die sowohl Selbstzeugnisse von Kranken als auch Quellen aus Arztpraxen berücksichtigten, betonen demgegenüber, dass auch im 19. Jahrhundert nicht nur Patienten aus den oberen Gesellschaftsschichten die ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen. Positiv heben sie die Eigenständigkeit der einzelnen handelnden Kranken hervor. Die Studien belegen, dass Betroffene zu jeder Zeit nicht einfach nur krank waren und gar nichts gegen ihr Leiden unternommen hätten, sondern dass sie im Gegenteil sehr aktiv mit den zu Gebote stehenden Mitteln dagegen vorgingen. Zu den Maßnahmen gehörten eben nicht nur die Hinzuziehung von ausgebildetem und anerkanntem Heilpersonal, sondern genauso Selbstmedikation und die Konsultation einer Vielfalt von so genannten „irregulären“ Therapeuten. In der vorliegenden Arbeit ging es um „kranke“ Menschen im 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen die Person, die Entscheidungen, das Verhalten und die Empfindungen all derjenigen Kranken, die sich zwischen 1829 und 1864 an den Laienhomöopathen Clemens Maria Franz von Bönninghausen wandten. Möglich wurde dies durch die überlieferten Krankenjournale, die in detailreichen Aufschrieben eine Informationsfülle über die einzelnen Betroffenen, deren Leidenswege und Beschwerden zur Verfügung stellten. Auf der Basis einer Datenbank wurde mit Hilfe einer seriellen Auswertung durch statistische Verfahren und die Darstellung von Einzelbeispielen die Welt der Patienten teilweise wieder sichtbar gemacht. Die drei eingangs gestellten Forschungsfragen sollen nun zusammenfassend beantwortet werden. Zusätzlich wurde deutlich, dass die Kranken den Homöopathen in den allermeisten Fällen erst nach einer, nur allzu oft fehlgeschlagenen, „allopathischen“ Kur um Rat fragten. Nur wenige der Patienten waren überzeugte Anhänger der Lehre Hahnemanns, als sie zum ersten Mal bei dem Freiherrn vorstellig wurden. Dieses Ergebnis führt zu dem Schluss, dass zumindest für die Mitte des 19. Jahrhunderts die Klage der Ärzte, Kranke
8 Schluss: Patienten damals – so anders als heute?
397
hätten sie nicht zu Rate gezogen, für den Raum Münster nicht zutrifft. Vielmehr hatten „allopathische“ Heiler in den entsprechenden Fällen keine befriedigende Linderung oder eine Heilung erzielen können. Der Homöopath Clemens von Bönninghausen wurde von der Minderheit der Betroffenen als erste Instanz um Rat gefragt, ohne dass zuvor Maßnahmen zu einer Wiederherstellung der Gesundheit getroffen worden wären. Dies trifft auf alle Kranken zu, ganz unabhängig von deren sozialem Status. Es ist daher nicht so, dass Angehörige der unteren sozialen Schichten sich wegen der möglicherweise zu hohen Kosten nicht an einen ausgebildeten Arzt gewandt hätten. Allerdings gehörten bestimmte medizinische Maßnahmen, gerade auch der Aufenthalt in einem Kurbad, vornehmlich zum therapeutischen Repertoire der wohlhabenderen Bürger. Die erste Frage ging den sozialstatistischen Merkmalen der Patientenschaft nach. Wer waren die Menschen, die Bönninghausen um Hilfe baten? Es ließ sich feststellen, dass leidende Personen beider Geschlechter, jeden Alters und aus allen sozialen Schichten den Homöopathen konsultierten. Der „typische“ Patient in der Zeit zwischen 1829 und 1864 war weiblich, ledig, zwischen 21 und 25 Jahren alt und stammte aus der Unterschicht aus Münster. Besonders aber in den Jahren zwischen 1849 und 1853 wurde der Freiherr stärker von ausländischen Betroffenen kontaktiert. Bemerkenswert war der große und sogar steigende Anteil von Kindern, die dem Homöopathen vorgestellt wurden. Auch ganze Familien nutzten das therapeutische Angebot. Während in den Anfangsjahren der Praxis jedoch Angehörige der Oberschicht die Klientel dominierten, stieg der Anteil der Kranken aus der sozialen Unterschicht bis 1864 deutlich an. Bönninghausen und sein „sanfteres“ homöopathisches Angebot stießen somit zunehmend auf die Akzeptanz des „einfachen“ Manns. Dies weist darauf hin, dass sich die Betroffenen nach und nach von den drastischen Maßnahmen, die bis dahin in der „Schulmedizin“ üblich gewesen waren, distanzierten beziehungsweise bereit waren, nach deren mangelndem Erfolg weitere Therapiemöglichkeiten zu nutzen. In einem zweiten Schritt wurde untersucht, warum die Kranken zu Bönninghausen kamen. Zentral war die Frage, welche Leiden die Betroffenen in den Erstanamnesen schilderten und wie die Symptome beschrieben wurden. Die Antwort auf diese Frage lautete, dass prinzipiell jede Art von Beschwerden behandelt wurde. Die vielfach verwendeten Krankheitsnamen und die häufigsten Symptome, wie „Fieberzustände“, Beschreibungen der „Stuhlausleerungen“ und Husten, weisen auf zahlreiche akute Erkrankungen hin. Durch die Ausführlichkeit der homöopathischen Anamnese war es außerdem möglich, sehr viel detaillierter über den Zustand der einzelnen Kranken informiert zu werden. Denn zu den meist genannten Symptomen zählten ebenfalls Angaben zu „Appetit und Essverhalten“. Dies sind zwei Bereiche, die nicht notwendigerweise den Weg zu einem Arzt weisen müssen. Körperlich gesehen waren die meisten Beschwerden an den Untergliedern zu beklagen. Aber der Freiherr behandelte auch zahlreiche Patienten, die zum Teil schon jahrelang von ihren Leiden geplagt wurden. Gleiches galt für Sterbenskranke, und nicht im-
398
8 Schluss: Patienten damals – so anders als heute?
mer vermochte er mit seinen Mitteln zu helfen. Mit diesem Krankheitsspektrum unterschied sich die Praxis des Freiherrn nicht von demjenigen, das in anderen sowohl „allopathischen“ als auch homöopathischen Praxen dieser Zeit festgestellt wurde. Die Untersuchung der angegebenen Ursachen zeigte, dass die Menschen ihre Beschwerden aus Faktoren der eigenen Lebensführung, der Emotionen und der natürlichen Umwelt erklärten. Bei der Beschreibung der Symptome verwendeten die Betroffenen ein reichhaltiges Vokabular, das diese so gut wie möglich in Worte fasste. Dabei wurde sowohl ein „traditionelles“ als auch „modernes“ Körperverständnis deutlich. Manche Darstellungen haben in ihrer Form bis heute überdauert, andere weisen eindrücklich auf den Wandel in den Wissensbeständen hin. Bei der Betrachtung der spezifischen Krankheitsspektren zeigte sich, dass die zuvor genannten großen Beschwerdegruppen sowohl bei Männern, Frauen und Kindern als auch in allen sozialen Schichten vertreten waren. Interessant waren die graduellen Unterschiede, die verdeutlichten, dass Männer eher an Husten und Frauen verstärkt an Kopfschmerzen litten. Kinder wurden vor allem wegen Haut- und Drüsenerkrankungen zu dem Homöopathen gebracht. So muss die seitherige Vorstellung, Eltern hätten nur bei schwerwiegenden Erkrankungen ärztlichen Rat für ihre Sprösslinge gesucht, revidiert werden. Auch wegen leichterer kindlicher Beschwerden wurde der Homöopath konsultiert. Im Rahmen der schichtspezifischen Analyse traten die sozialen Faktoren besonders deutlich hervor. Oberschichtangehörige waren eindeutig auskunftsfreudiger, was ihren Gemütszustand betraf, gleiches galt für Zahnleiden. In der Mittelschicht waren hingegen Kopfschmerzen stärker vertreten, während die Patienten aus der Unterschicht eher von Hautleiden geplagt wurden. Das Phänomen „Krankheit“ bleibt sowohl von biologischen als auch sozialen und kulturellen Faktoren geprägt und bestimmt. Das Abwägen der beiden Bereiche gegeneinander ist außerordentlich schwer. Die dritte Hauptfrage zielte auf die „Biographie der Praxis“. Es ging darum, herauszufinden, wie eine Behandlung durch den Freiherrn verlief und was dies für die Patienten bedeutete. So wurde ein Bogen über alle Aspekte, die die heilende Tätigkeit Bönninghausens für die Betroffenen umfasste, gespannt und die Geschichte der Praxis aus der Sicht der einzelnen Hilfesuchenden geschrieben. Alle Leidenden sorgten dafür, dass der Homöopath eine umfangreiche Praxis führen konnte, die mit der Zahl der Neupatienten und Konsultationen anderen Praxen, auch denjenigen „allopathischer“ Ärzte, vergleichbar war. Die Zahl der Konsultationen und Erstpatienten stieg zunächst an, war aber in den letzten Praxisjahren leicht rückläufig. Im Mittel kamen pro Tag zwischen fünf und elf Kranke zu dem Freiherrn. Die Mehrheit suchte den Homöopathen persönlich auf und fast alle hielten sich an die zunächst geltenden Öffnungszeiten. Später wurde ein Besuch häufig mit dem Markttag in Münster verbunden. Besonders in den Frühjahrs- und Sommermonaten kamen mehr Leute in die Praxis. Doch war die Mehrheit der Patientenschaft nur kurze Zeit in Behandlung und sah den Freiherrn gerade ein oder zwei Mal. Die Häufigkeit und die Dauer der Behandlung variierten stark. Es gab durch-
8 Schluss: Patienten damals – so anders als heute?
399
aus Kranke, die dem Homöopathen über mehrere Jahre hinweg die Treue hielten und ihn regelmäßig wegen verschiedener Beschwerden konsultierten. Es wurde deutlich, dass Kinder eher häufiger und länger von Bönninghausen betreut wurden, was die Hypothese von einer nachlässigen medizinischen Versorgung der Kleinsten in Frage stellt. Bekannt war hingegen, dass Angehörige der Oberschicht meist länger und öfter während ihrer Behandlung erschienen. Geschlechtsspezifische Unterschiede traten demgegenüber weniger deutlich zu Tage. Die Betroffenen waren bereit, für die Dienste des Freiherrn nach 1835, denn bis dahin hatte er unentgeltlich gearbeitet, zu bezahlen. Üblicherweise musste Bönninghausen nicht allzu lang auf sein Honorar warten. Die Leidenden nutzten das Angebot des Homöopathen reichlich. Dabei führte der Weg sowohl zu ihm, als auch wieder von ihm weg, wenn eine Behandlung nicht den gewünschten Erfolg erzielte. Darüber, ob, wann und wie lange sie die Dienste des Freiherrn in Anspruch nahmen, befanden die Kranken nach eigenen Überlegungen. Letztendlich hatten sie diese aber mindestens einmal zu Clemens von Bönninghausen gebracht, womit sie dessen Praxis belebten und prägten. Mit diesen Ergebnissen bestätigt die Arbeit bereits geleistete Forschungen im Bereich der Patientengeschichte und erweitert sie zugleich. Denn in der untersuchten Zeit waren die Unterschiede zwischen der etablierten Praxis eines Homöopathen und eines „Allopathen“ hinsichtlich der Klientel und der zu behandelnden Krankheiten nicht so groß, wie man vermuten mag. Heiler beider Couleur hatten es mit Menschen zu tun, die sich unwohl fühlten und dagegen die Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen wollten. Das Spektrum der behandelten Krankheiten war gleichermaßen „allgemeinärztlich“ geprägt. Besondere Schwerpunkte traten nicht zu Tage. Die Ergebnisse betonen, dass Kranke in der Mitte des 19. Jahrhunderts in und um Münster sehr wohl gegen ihre Beschwerden vorgingen und dabei selbstbewusst die Therapie und den Heiler auswählten. Sie zogen „alle Register“ und waren nicht bereit, sich auf Dauer ohne Widerspruch dem Regime eines Therapeuten unterzuordnen. Der Wechsel des Heilers betraf sowohl „Allopathen“ als auch Homöopathen. Andererseits versuchten die Betroffenen, den Anweisungen ihres Heilers nachzukommen, waren bereit, Diätregeln und andere Anweisungen zu befolgen, und behandelten einen Arzt nicht als „Diener“, der nach Belieben herbeigerufen wurde und dessen Bezahlung man so lang wie möglich hinauszögerte. Damit wird deutlich, dass das Bild, das die ältere Forschung vom Verhalten kranker Menschen gezeichnet hatte, für die untersuchte Zeit der Differenzierung bedarf. Die Arbeit weist erneut auf die vielfältigen Erkenntnismöglichkeiten der Krankenjournale als Quelle, besonders für die Patientengeschichte, hin. Die Bücher sind tatsächlich eine Fundgrube für Forschungen und werden dies trotz der vorliegenden Arbeit in Zukunft bleiben. Denn es wurden bei weitem nicht alle möglichen Fragen, die die Journale aufwerfen, berücksichtigt. Gerade für die Homöopathiegeschichte konnte lediglich ein erster Schritt gemacht werden, da die Untersuchung des Therapieverlaufs und der Medika-
400
8 Schluss: Patienten damals – so anders als heute?
tion ausgeklammert wurde. Die erarbeitete Datenbank steht jedoch weiteren Forschungsvorhaben zur Verfügung und bietet für verschiedene Fragestellungen Anhaltspunkte. Auf weitere Untersuchungsmöglichkeiten, beispielsweise im Bereich der Patientennetzwerke, wurde im Verlauf der Arbeit verwiesen. Allerdings wurden im Zuge der Studie auch die Grenzen der Quellengattung der Krankenjournale deutlich. Es bleiben indirekte Quellen der Patienten, und es ist im Nachhinein nicht zu unterscheiden und festzustellen, ob Clemens von Bönninghausen tatsächlich dem Gebot nachkam, den Originalton der Konsultationsgespräche festzuhalten. Was er beiseite ließ, ist unwiederbringlich im Dunkel der Geschichte verloren. Das ist bei Fragen, die sich mit psychologischen Aspekten einzelner Erfahrungen befassen, zu sehen. Hierzu sind kaum Aussagen überliefert. Auch wird nicht deutlich, was gewisse gesundheitliche Erlebnisse und Einschränkungen im Detail für die Kranken bedeuteten. Was eine werdende Mutter nach ihrer dritten Fehlgeburt empfunden haben mag oder wie ein bettlägerig Kranker mit seiner Situation umging, dazu schweigen die Aufzeichnungen. Prinzipiell kann es aber bei vorliegenden Quellen immer nur darum gehen, was diese aussagen und weniger darum, mit vorgefertigten Fragen, die möglicherweise der Zeit nicht angemessen sind, an das Material heranzutreten. Zuletzt wirft die Menge der durch die Quelle zur Verfügung gestellten Daten das Problem auf, einen Mittelweg zwischen Einzelschicksal und Quantität zu finden. Viele bewegende Lebensgeschichten verbergen sich hinter den Zahlen und Schaubildern. An dieser Stelle bleibt ebenfalls nur der Verweis darauf, dass weitere Studien lohnenswert sind. Die Arbeit hat gezeigt, dass die Welt der Patienten im 19. Jahrhundert mindestens ebenso vielschichtig war, wie diejenige, in der sich Kranke heute bewegen. Denn ist uns diese Welt von damals tatsächlich so fremd? Mit dieser Frage sollen keineswegs anachronistisch heutige Verhältnisse in das 19. Jahrhundert übertragen werden. Unser aktuelles Wissen über den Körper, unser Verständnis von den Vorgängen in seinem Inneren und die Therapiemöglichkeiten haben sich verändert. Das medizinische System ist, nicht zuletzt durch die vielfältigen Spezialisierungstendenzen und die Rolle der Krankenkassen, ganz anders strukturiert. Und doch – wer heute „krank“ ist, steht ebenfalls vor der Wahl, ab wann und zu welchem Therapeuten er gehen soll. Selbstmedikation ist nach wie vor die erste Stufe einer „Patientenkarriere“. Dann steht man vor der Überlegung, welcher „Arzt“ der richtige ist. Durch die vielfältigen Spezialgebiete ist der „Weg zum Arzt“ nicht unbedingt einfacher geworden, ganz zu schweigen von den vielfältigen Angeboten, die sich neben der „Schulmedizin“ präsentieren. Der Markt der „alternativen“ Methoden hat sich seit dem 19. Jahrhundert nicht verkleinert. Man denke lediglich an Therapien wie Akupunktur, Ayurveda oder die Traditionelle Chinesische Medizin. Auch heute werden derartige Maßnahmen ergänzend genutzt, und üblicherweise waren die Betroffenen zunächst bei einem „schulmedizinischen“ Arzt. Man wählt auch heute auf der Basis von Empfehlungen und nach Überlegungen der Effizienz, welche Methode am meisten Erfolg verspricht. Die meisten
8 Schluss: Patienten damals – so anders als heute?
401
„Kranken“ konsultieren im Lauf der Zeit nicht nur einen Therapeuten, sondern holen vielfach eine zweite Meinung ein oder wechseln den Arzt. Oft informieren sich die Leidenden selbst in diversen Kommunikationsmedien, häufig mit dem Resultat, dass sie hinterher verunsicherter sind als zuvor. Jeder Kranke entscheidet nach wie vor selbst, wie lange er eine Behandlung aufrecht erhält oder wann er nicht mehr bereit ist, den Ratschlägen seines Heilers Folge zu leisten. Von einer einseitigen Autorität der Ärzte kann jedenfalls heute keine Rede sein. Und trotz bestehender Versorgung seitens der Krankenkassen gibt es ebenso wieder Betroffene, die sich fragen müssen, ob sie sich eine Behandlung leisten können oder nicht. Bei einem Blick in die Vergangenheit darf man nicht davon ausgehen, dass damals so gehandelt wurde wie heute, aber man darf prinzipiell ähnliche Handlungsmuster nicht ausschließen. Die vorliegende Untersuchung der Kranken, die den Homöopathen Clemens Maria Franz von Bönninghausen um Rat fragten, zeigte, dass uns die Welt der Patienten und ihr Verhalten im 19. Jahrhundert zum einen fremd und zum anderen bekannt ist. Fremd scheinen die Erklärungsmuster für die einzelnen Leiden, die Benennung der Krankheiten und zum Teil die jeweiligen ergriffenen Maßnahmen. Bekannt ist uns diese vergangene Welt jedoch durch das grundlegende Repertoire der Handlungsmöglichkeiten. Jeder, der sich unwohl fühlt und dessen Beschwerden das Maß der Erträglichkeit überschritten haben, versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Dabei entscheidet er individuell, wann und wen er um Rat fragt und welche Maßnahmen, wann und wie lang in Anspruch genommen werden. Der Wunsch des Menschen, gesund zu sein, zu bleiben oder es gegebenenfalls wieder zu werden, ist über die Zeit hinweg konstant. Wie man diesen Wunsch erfüllt, bleibt jedem selbst überlassen. Die Wege dorthin sind damals wie heute verschieden, auch gibt es dafür noch immer kein Universalmittel.
Anhang Die Zahlenangaben und auf deren Basis erstellte Schaubilder beruhen, soweit nicht anders vermerkt, auf der Auswertung der Datenbank, die die Erstanamnesen und Krankengeschichten von 14.266 Patienten umfasst. Die Abkürzungen S 1, S 2, S 3 und S 4 beziehen sich, wie in Kapitel 2 erläutert, auf die verschiedenen untersuchten Zeitabschnitte der Praxis. Gesondert aufgeführt werden die Zahlen zu S 4 f. Dies sind die 52 Patienten, die Bönninghausen noch im Jahr 1864 betreute. Falls bei einer weiteren Bearbeitung diese Kranken nicht berücksichtigt werden sollen, muss man die entsprechenden Angaben von denen, welche bei S 4 genannt werden, abziehen. Die Zahlen von S 4 umfassen somit die Gesamtzahl aller Patienten und deren Angaben von 1859 bis 1864. 1 Tabellen zu Kapitel 3 Jahr
Zahl der praktischen Ärzte1
Nur Wundärzte 1. und 2. Klasse2
Einwohnerzahl Münster3
Einwohner pro Arzt in Münster
Einwohner pro Arzt in Preußen4
18295
23
5
18.502
660,8
2.877 (für 1828)
18346
21
5
18.605
715,6
1839
29
5
20.314
597,5
1840
29
7
20.595
572,1
1841
30
6
20.696
574,9
1842
30
10
20.798
520,0
1843
33
10
20.901
486,1
1849
28
7
21.275
607,9
1850
23
8
21.660
698,7
1851
28
9
22.051
596,0
1852
29
7
22.450
623,6
1853
30
8
22.586
594,4
1859
27
5
23.114
722,3
1860
26
5
23.225
749,2
1861
29
5
23.337
686,4
1862
29
5
23.124
680,1
1863
27
4
22.914
739,2
Tabelle 1: Arztdichte der Stadt Münster (eigene Berechnung).
3.019 2.996
2.930
3.067
404
Anhang
Einwohnerzahl des Regierungsbezirks Münster7
Einwohner pro Arzt im Regierungsbezirk
Einwohner pro Arzt in Preußen8
Jahr
Zahl der praktischen Ärzte
Nur Wundärzte 1. und 2. Klasse
18299
95
70
392.824
2.380,8
2.877 (für 1828)
183910
115
71
405.275
2.178,9
2.977 (für 1837)
184011
117
72
411.249
2.175,9
184212
127
69
408.113
2.082,2
184313
135
70
418.765
2.042,8
184914
138
59
412.935
2.096,1
185215
134
52
429.863
2.311,1
185316
149
54
429.863
2.117
185817
124
105
436.085
1.904,3
2.996
2.930
3.067 (für 1861)
Tabelle 2: Arztdichte im Regierungsbezirk Münster (eigene Berechnung mit Ausnahme der Jahre 1849 und 1853).
1
Mit Ausnahme der Angaben für die Jahre 1829 und 1834 nach: StdAM Stadtregistratur Fach 202 Nr. 2: Statistische Tabelle der Sanitäts-Anstalten nebst Nachweis der Medizinal Personen in der Stadt Münster, 1813–1867. Die Mehrheit der praktischen Ärzte war auch als Wundarzt zugelassen und ab 1842 waren auch mehr als 50 % der Ärzte als Geburtshelfer approbiert. 2 Mit Ausnahme der Angaben für die Jahre 1829 und 1834 nach: StdAM Stadtregistratur Fach 202 Nr. 2: Statistische Tabelle der Sanitäts-Anstalten nebst Nachweis der Medizinal Personen in der Stadt Münster, 1813–1867. Die Angaben für die Wundärzte erster und zweiter Klasse wurden hierbei addiert. Die Mehrheit der Wundärzte war auch als Geburtshelfer zugelassen. 3 Diese Angaben nach Teuteberg: Materialien, S. 23–24. 4 Soweit nicht anders angegeben nach Huerkamp: Aufstieg, S. 149, die Zahlen für 1840 nach S. 50. 5 Diese Zahlen stammen aus dem Adressbuch für die Provinz Westfalen von 1829. Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829, S. 283 für die Stadt Münster. 6 Diese Zahlen wurden aus der Tabelle von Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 117 übernommen, da sonst keine vergleichbaren Daten für das erste Sample vorgelegen hätten. Allerdings ist die Arztdichte mit Hilfe der Bevölkerungsangabe berechnet, die Teuteberg angibt. Bei Schwanitz beträgt die Anzahl der Einwohner je Arzt 730. Aber es ist unklar, mit welcher Bevölkerungszahl sie zu diesem Ergebnis kam. 7 Die Daten mit Ausnahme der Jahre 1849 und 1853 nach Köllmann: Bevölkerung, S. 196, die Angabe zu dem Jahr 1829 ist bei Köllmann für 1828 angegeben. Die Angabe für 1842 stammt aus Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842 bezieht sich aber auf die Bevölkerungsanzahl im Jahr 1841, die Bevölkerungszahl für das Jahr 1839 stammt aus dem Jahr 1837 nach Köllmann: Bevölkerung, S. 196. 8 Nach Huerkamp: Aufstieg, S. 149. 9 Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829, S. 283–287. 10 Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1839, S. 141–142. 11 Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1840, S. 176–177. 12 Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 160.
405
Anhang
Jahr
Zahl der praktischen Ärzte
Einwohnerzahl Nur Wundärzte der Provinz 1. und 2. Klasse. Westfalen18
Einwohner pro Arzt in der Provinz
Einwohner pro Arzt in Preußen19
182920
240
193
1.239.606
2.862,8
2.877 (für 1828)
183921
320
189
1.355.126
2.662,3
2.977 (für 1837)
184022
325
190
1.282.197
2.489,7
2.85023
184224
349
180
1.411.940
2.669,1
2.996
184325
364
183
1.421.443
2.598,6
185226
389
138
1.504.251
2.854,4
2.930 (für 1849)
185827
401
105
1.566.441
3.095,7
3.067 (für 1861)
Tabelle 3: Arztdichte in der Provinz Westfalen (eigene Berechnung). 13 14
15 16
17 18 19 20 21 22 23 24
25
26 27
Provinzial-Sanitäts-Bericht 1843, S. 153–154. Reg. Bez Münster 335 Praktische Ärzte (richtiger: 135 Ärzten), 36 Wundärzte erster Klasse, 34 Wundärzte zweiter Klasse. Die gesamte Zeile nach StAM Medizinalkollegium 7: Generalia, Verfassung und Verwaltung des Medizinalwesens, Berichte, 1816–1920, nicht paginiert. Zusammenstellung der statistischen Verhältnisse des ärztlichen Personals in den einzelnen Regierungs-Bezirken des Preußischen Staates am Schluße des Jahres 1849. Klier: Adressbuch 1852, S. 327–331. Die gesamte Zeile nach StAM Medizinalkollegium 7: Generalia, Verfassung und Verwaltung des Medizinalwesens, Berichte, 1816–1920, nicht paginiert. Zusammenstellung der statistischen Verhältnisse des ärztlichen Personals in den einzelnen Regierungs-Bezirken des Preußischen Staates am Schluße des Jahres 1853. Klier: Adreßbuch 1858, S. 332–335. Die Angaben nach: Kraus, Antje: Quellen zur Bevölkerungsstatistik Deutschlands 1815– 1875, Boppard 1980 (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte 2), S. 208. Nach Huerkamp: Aufstieg, S. 149. Es wurden nur die Zahlen übernommen, die mit den vorhandenen vergleichbar sind. Wendt; Jochmus: Adressbuch 1829, S. 283–296. Es wurde nicht zwischen Wundärzten erster und zweiter Klasse unterschieden. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1839, S. 141–142. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht 1840, S. 176–177. Sponholz: Statistik, S. 89. Tourtual: Provinzial-Sanitätsbericht 1842, S. 160, Angabe der Bevölkerung S. 174: Bevölkerung 1841 in Münster 202.645 Männer, 205.468 Frauen, 408.113 Gesamt, Arnsberg 268.904 Männer, 260.183 Frauen, 529.087 Gesamt, Minden: 217.780 Männer, 219.683 Frauen, 437.463 Gesamt, Provinz: 689.329 Männer, 685.334 Frauen, 1.374.663 Gesamt. In diesem Bericht sind zwei Tippfehler, die Anzahl der Ärzte für Münster muss 135 lauten und nicht 335, ebenso kann die Anzahl der Wundärzte zweiter Klasse für Minden nicht richtig sein, hier steht 88, es können aber nur 18 sein. Provinzial-Sanitäts-Bericht 1843, S. 153–154: Reg.bez. Münster 335 Praktische Ärzte (richtiger: 135), 36 Wundärzte erster Klasse, 34 Wundärzte zweiter Klasse, Arnsberg Praktische Ärzte 140, Wundärzte erster Klasse 33, Wundärzte zweiter Klasse 30, Minden 89 Praktische Ärzte, 88 Wundärzte erster Klasse (richtiger: 18), 32 Wundärzte zweiter Klasse, Provinz 364 Praktische Ärzte, 87 Wundärzte erster Klasse, 96 Wundärzte zweiter Klasse. Klier: Adressbuch 1852, S. 327–339. Klier: Adreßbuch 1858, S. 332–343.
406
Anhang
2 Tabellen zu Kapitel 5 Geschlecht Absolut
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Männlich
366
1.310
1.589
1.576
4.841
20
Weiblich
630
2.276
2.309
2.097
7.312
32
Unbekannt
189
938
593
393
2.113
0
Gesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
52
Geschlecht Prozent
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Männlich
30,9
29,0
35,4
38,8
33,9
38,5
Weiblich
53,2
50,3
51,4
51,6
51,3
61,5
Unbekannt
15,9
20,7
13,2
9,7
14,8
0
Männlich und unbekannt 46,8
49,7
48,6
48,4
48,7
38,5
Tabelle 4: Geschlecht der Patienten (absolute und prozentuale Angaben). Familienstand
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
ledig
219
1.503
1.690
1.480
4.892
22
verheiratet
149
230
422
647
1.448
12
verwitwet
17
38
36
36
127
2
geschieden
0
2
0
0
2
0
unbekannt
800
2.751
2.343
1.903
7.797
16
Gesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
52
S3
S4
Gesamt
S4f
Tabelle 5: Familienstand der Patienten (absolute Angaben). Familienstand Männer
S1
S2
ledig
88
468
577
480
1.613
8
verheiratet
72
82
94
62
310
2
verwitwet
2
5
12
3
22
0
geschieden
0
0
0
0
0
0
unbekannt
204
755
906
1.031
2.896
10
Gesamtzahl der männlichen Patienten
366
1.310
1.589
1.576
4.841
20
Tabelle 6: Familienstand der männlichen Patienten (absolute Angaben). Familienstand Frauen
S1
S2
S3
S4
Gesamt
ledig
117
800
948
804
2.669
14
verheiratet
77
148
328
585
1.138
10
verwitwet
15
33
24
33
105
2
geschieden
0
2
0
0
2
0
unbekannt
421
1.293
1.009
675
3.398
6
Gesamtzahl der weiblichen Patienten
630
2.276
2.309
2.097
7.312
32
Tabelle 7: Familienstand der Patientinnen (absolute Angaben).
S4f
407
Anhang
Familienstand Unbekannt
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
ledig
14
235
165
196
610
0
verheiratet
0
0
0
0
0
0
verwitwet
0
0
0
0
0
0
geschieden
0
0
0
0
0
0
unbekannt
175
703
428
197
1.503
0
Gesamtzahl der Patienten unbekannten Geschlechts
189
938
593
393
2.113
0
Tabelle 8: Familienstand der Patienten unbekannten Geschlechts (absolute Angaben). Alter
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
A0–5
51
447
546
526
1.570
7
A6–10
32
260
279
233
804
3
A11–15
20
267
330
261
878
5
A16–20
32
562
457
359
1.410
5
A21–25
24
625
579
490
1.718
3
A26–30
27
512
532
510
1.581
7
A31–35
31
394
405
403
1.233
7
A36–40
14
368
338
328
1.048
1
A41–45
21
243
278
228
770
3
A46–50
7
251
237
188
683
0
A51–55
15
184
167
172
538
5
A56–60
16
153
127
141
437
2
A61–65
6
118
80
102
306
1
A66–70
3
62
64
55
184
1
Aüber70
1
57
45
50
153
1
ohne Angabe
885
21
27
20
953
1
Gesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
52
A0
11
44
54
66
175
0
A0–14
97
916
1.084
955
3.052
12
A0–18
120
1.296
1.464
1.222
4.048
16
Tabelle 9: Alter der Patienten (absolute Zahlen). Alter Männer
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
A0–5
27
177
241
222
667
5
A6–10
12
83
95
84
274
0
A11–15
7
73
103
74
257
2
A16–20
14
142
135
97
388
1
A21-25
7
131
176
140
454
2
A26–30
11
151
188
188
538
4
A31–35
16
118
138
165
437
1
A36–40
8
118
133
142
401
1
A41–45
12
73
93
108
286
2
A46–50
1
74
95
96
266
0
408 A51–55
Anhang
11
52
66
83
212
0
A56–60
9
47
45
66
167
1
A61–65
5
29
25
52
111
1
A66–70
0
15
26
28
69
0
Aüber70
0
17
21
26
64
0
keine Angabe
226
10
9
5
250
0
Gesamt
366
1.310
1.589
1.576
4.841
20
A0
7
26
32
34
99
0
A0–14
44
314
412
365
1.135
6
A0–18
55
417
512
434
1.418
7
Gesamt
S4f
Tabelle 10: Alter der männlichen Patienten (absolute Angaben). Alter Frauen
S1
S2
S3
S4
A0–5
24
193
251
224
692
2
A6–10
20
133
144
114
411
3
A11–15
13
142
191
147
493
3
A16-20
18
317
271
204
810
4
A21–25
16
376
332
321
1.045
1
A26–30
14
253
270
292
829
3
A31–35
15
193
204
216
628
6
A36–40
6
180
163
168
517
0
A41–45
8
108
154
102
372
1
A46–50
6
120
110
80
316
0
A51–55
4
76
78
74
232
5
A56–60
7
72
53
64
196
1
A61–65
1
52
38
38
129
0
A66–70
3
28
23
22
76
1
Aüber70
1
22
14
20
57
1
keine Angabe
474
11
13
11
509
1
Gesamt
630
2.276
2.309
2.097
7.312
32
A0
4
11
16
16
47
0
A0–14
53
436
550
442
1.481
6
A0–18
65
645
735
593
2.038
9
Tabelle 11: Alter der Patientinnen (absolute Angaben). Alter Unbekannt
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
A0–5
0
77
54
80
211
0
A6–10
0
44
40
35
119
0
A11–15
0
52
36
40
128
0
A16–20
0
103
51
58
212
0
A21–25
1
118
71
29
219
0
A26–30
2
108
74
30
214
0
409
Anhang
A31–35
0
83
63
22
168
0
A36–40
0
70
42
18
130
0
A41–45
1
62
31
18
112
0
A46–50
0
57
32
12
101
0
A51–55
0
56
23
15
94
0
A56–60
0
34
29
11
74
0
A61–65
0
37
17
12
66
0
A66–70
0
19
15
5
39
0
Aüber70
0
18
10
4
32
0
keine Angabe
185
0
5
4
194
0
Gesamt
189
938
593
393
2.113
0
A0
0
7
6
16
29
0
A0–14
0
45
26
32
103
0
A0–18
0
114
67
79
261
1
Tabelle 12: Alter der Patienten unbekannten Geschlechts (absolute Angaben). Schicht
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Oberschicht
223
80
135
79
517
3
Mittelschicht
141
253
340
412
1.146
13
Unterschicht
65
473
574
1.617
2.729
17
Gesamt
429
806
1.049
2.108
4.392
33
Tabelle 13: Schichtzugehörigkeit aller Patienten (absolute Angaben). Schicht Männer S 1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Oberschicht
119
40
64
39
262
0
Mittelschicht
81
138
209
267
695
7
Unterschicht
30
250
344
880
1.504
9
Gesamt
230
428
617
1.186
2.461
16
Absolut
366
1.310
1.589
1.576
4.841
20
Tabelle 14: Schichtzugehörigkeit der männlichen Patienten (absolute Angaben). Schicht Frauen
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Oberschicht
102
40
70
40
252
3
Mittelschicht
59
114
130
140
443
6
Unterschicht
35
219
220
678
1.152
8
Gesamt
196
373
420
858
1.847
17
Absolut
630
2.276
2.309
2.097
7.312
32
Tabelle 15: Schichtzugehörigkeit der Patientinnen (absolute Angaben). Schicht Unbekannt
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Oberschicht
2
0
1
0
3
0
Mittelschicht
1
1
1
5
8
0
410
Anhang
Unterschicht
0
4
10
59
73
0
Gesamt
3
5
12
64
84
0
Absolut
189
938
593
393
2.113
0
Tabelle 16: Schichtzugehörigkeit der Patienten unbekannten Geschlechts (absolute Angaben). Branche/Berufsfeld
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Landwirtschaft
0
82
104
797
983
11
Persönliche Dienste
31
111
127
228
497
2
Handwerk und Industrie
32
268
321
581
1.202
6
Heimgewerbe
4
11
9
14
38
1
Handel, Transport, Verkehr
15
70
151
201
437
6
Soziale Dienste
72
99
129
136
436
3
Öffentliche Verwaltung
155
92
119
85
451
2
Militär
31
46
52
35
164
0
Adel
89
27
37
31
184
2
Summe
429
806
1.049
2.108
4.392
33
Gesamt Patienten
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
52
Tabelle 17: Berufsfelder der Patienten (absolute Angaben). Branche/Berufsfeld
Männer
Frauen
Landwirtschaft
495
443
Persönliche Dienste
234
257
Handwerk und Industrie
727
456
Heimgewerbe
26
11
Handel, Transport, Verkehr
261
172
Soziale Dienste
297
135
Öffentliche Verwaltung
250
199
Militär
94
69
Adel
77
105
Summe
2.461
1.847
Gesamt Patienten
4.841
7.312
Tabelle 18: Berufsfelder nach Geschlecht differenziert (absolute Angaben).
Herkunft
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
Ausland
3
35
179
47
264
0
Hannover
4
776
368
365
1.513
3
Bremen
0
0
0
1
1
0
Frankfurt
0
0
1
0
1
0
Oldenburg
0
1
2
1
4
0
Hamburg
1
0
0
1
2
0
Württemberg
0
0
1
0
1
0
Sachsen
0
1
1
1
3
0
Lippe-Detmold
0
4
2
0
6
0
411
Anhang
Schleswig
0
0
0
1
1
0
Hessen
1
2
4
13
20
0
Thüringen
0
1
1
2
4
0
Rheinland
9
15
36
35
95
1
Brandenburg
1
0
4
1
6
0
Prov. Sachsen
0
0
1
3
4
0
Pommern
0
1
3
1
5
0
Posen
0
0
0
1
1
0
Reg.bez. Minden
39
24
26
45
134
0
Reg.bez. Arnsberg
31
31
141
104
307
2
Reg.bez. Münster Darin:
371
3.558
3.623
3.337
10.889
43
Stadt Münster
259
727
849
756
2.591
15
Kreis Ahaus
13
6
21
26
66
0
Kreis Beckum
9
228
161
118
516
2
Kreis Borken
2
4
33
17
56
1
Kreis Coesfeld
30
116
245
256
647
4
Kreis Lüdinghausen
9
411
534
431
1.385
3
Kreis Münster
16
779
901
882
2.578
8
Kreis Recklinghausen
1
13
23
11
48
0
Kreis Steinfurt
18
144
218
280
660
2
Kreis Tecklenburg
7
641
342
358
1.348
4
Kreis Warendorf keine Angabe
7
489
295
202
993
4
705
6
6
3
720
0
unbekannt
10
32
29
27
98
2
unklar
10
37
64
77
188
1
Gesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
52
Tabelle 19: Herkunftsorte der Patienten nach Land, Provinz und Kreisen zusammengefasst (absolute Angaben). Die Zuteilung der Kreise im Regierungsbezirk Münster erfolgte nach König: Statistische Nachrichten über den Regierungs-Bezirk Münster für die Jahre 1858– 1860. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, Münster 1860. Die wesentlichste Änderung im Untersuchungszeitraum ist, dass 1857 das Amt Lienen aus dem Kreis Warendorf ausgegliedert und dem Kreis Tecklenburg zugeteilt wurde. Ort
Männer Prozent
Frauen Prozent
Männer Absolut
Frauen Absolut
Ausland
2,6
1,5
125
113
Hannover
10,3
10,1
498
739
Rheinland
0,9
0,6
44
47
Hessen
1,1
0,1
11
8
übriges Umland
0,5
0,2
22
17
Reg.bez. Arnsberg
2,9
2,1
139
150
Reg.bez. Minden
1,1
0,9
53
69
Kreis Ahaus
0,5
0,4
26
26
Kreis Beckum
3
3,7
146
268
Kreis Borken
0,5
0,3
24
20
412
Anhang
Kreis Coesfeld
4,2
4,4
201
323
Kreis Lüdinghausen
8,2
9,8
396
715
Kreis Münster
16,6
18,3
802
1.335
Kreis Recklinghausen
0,4
0,3
19
24
Kreis Steinfurt
4,7
4,7
225
341
Kreis Tecklenburg
9,3
9,2
450
670
Kreis Warendorf
5,6
6,9
272
506
Stadt Münster (mit Bauerschaften)
22,6
19,4
1.093
1.421
Gesamt
93,9
92,9
4.841
7.312
Tabelle 20: Herkunft von männlichen und weiblichen Patienten (absolute Angaben sowieprozentuale Angaben bezogen auf die Gesamtzahl der Patienten des jeweiligen Geschlechts insgesamt). Stadt
Entfernung
Verwaltungseinheit
Patienten
Prozent
Amelsbüren
10 Kilometer
Kreis Münster
301
2,1
Bösensell
10 Kilometer
Kreis Münster
152
1,1
Telgte
10 Kilometer
Kreis Münster
180
1,3
Westbevern
10 Kilometer
Kreis Münster
280
2,0
Albersloh
15 Kilometer
Kreis Münster
130
0,9
Altenberge
15 Kilometer
Kreis Steinfurt
127
0,9
Greven
15 Kilometer
Kreis Münster
135
0,9
Havixbeck
15 Kilometer
Kreis Münster
286
2,0
Ostbevern
15 Kilometer
Kreis Warendorf
375
2,6
Ottmarsbocholt
15 Kilometer
Kreis Lüdinghausen
126
0,9
Senden
15 Kilometer
Kreis Lüdinghausen
325
2,3
Ascheberg
20 Kilometer
Kreis Lüdinghausen
170
1,2
Buldern
20 Kilometer
Kreis Coesfeld
134
0,9
Drensteinfurt
20 Kilometer
Kreis Lüdinghausen
239
1,7
Ladbergen
20 Kilometer
Kreis Tecklenburg
121
0,8
Nottuln
20 Kilometer
Kreis Münster
126
0,9
Sendenhorst
20 Kilometer
Kreis Beckum
112
0,8
Lüdinghausen
25 Kilometer
Kreis Lüdinghausen
190
1,3
Warendorf
25 Kilometer
Kreis Warendorf
169
1,2
Dülmen
30 Kilometer
Kreis Coesfeld
136
1,0
Glandorf
30 Kilometer
Hannover
1.064
7,5
Lengerich
30 Kilometer
Kreis Tecklenburg
197
1,4
Lienen
30 Kilometer
Kreis Tecklenburg
690
4,8
Hamm
35 Kilometer
Reg.bez. Arnsberg
142
1,0
Rotterdam
215 Kilometer
Ausland
119
0,8
6.026
42,3
Summe
Tabelle 21: Orte mit mehr als 110 Nennungen in der Entfernung von Münster (gerundete Angabe der Luftlinie in Kilometern ermittelt mit Hilfe von Google Earth, prozentualer Anteil bezogen auf die Gesamtheit der Patienten).
413
Anhang
Schicht
S1
S2
S3
S4
Gesamt
Oberschicht
73
16
53
23
165
Mittelschicht
33
79
120
142
374
Unterschicht
8
186
197
380
771
Keine Angabe
44
1.012
1.040
671
2.767
Kinder
158
1.293
1.410
1.216
4.077
Patienten insgesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
Tabelle 22: Schichtzugehörigkeit der Kinder (0–18 Jahre) (absoluten Angaben).
3 Tabellen zu Kapitel 6 Nummer
Kategorie
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
1
Schwindel
28
148
161
88
425
0
2
Benebelung
7
199
336
202
744
0
3
Verstandesmängel
21
76
72
40
209
0
4
Gedächtnismängel
1
5
9
10
25
0
5
Inneres Kopfweh
100
704
934
628
2.366
6
6
Aeußere Kopfbeschwerden
30
151
330
313
824
5
7
Augenbeschwerden
74
459
481
373
1387
4
8
Gesicht
46
172
277
203
698
4
9
Ohren und Gehör
42
250
275
212
779
4
10
Nase und Geruch
31
252
249
203
735
0
11
Angesicht
55
594
846
652
2.147
6
12
Zähne und Zahnfleisch
46
197
256
286
785
7
13
Mund
30
382
460
432
1.304
6
14
Appetit
16
997
1.244
1.106
3.363
10
15
Durst
14
412
1.047
943
2.416
9
16
Geschmack
16
210
226
192
644
1
17
Aufschwulken
25
328
250
168
771
3
18
Schluchsen
5
8
4
5
22
1
19
Uebelkeit
50
538
650
546
1.784
6
20
Magen und Herzgrube
61
683
683
544
1.971
3
21
Unterleib
36
520
705
501
1.762
8
22
Der außere Bauch
2
77
118
83
280
2
23
Schooß und Bauchring
5
108
110
97
320
1
24
Blähungen
13
100
114
84
311
1
25
Stuhlausleerung
62
844
1.318
952
3.176
8
26
After und Mastdarm
20
52
87
67
226
0
27
Mittelfleisch
1
8
4
8
21
0
28
Harn
29
255
282
228
794
4
29
Harnorgane
2
32
39
34
107
2
30
Geschlechtstheile
13
186
301
157
657
2
31
Geschlechtstrieb
5
38
103
33
179
1
32
Menstruation
71
838
1.139
769
2.817
6
414 33
Anhang
Schnupfen
23
37
69
52
181
1
34
Athem
33
325
296
213
867
3
35
Husten
123
867
964
735
2.689
5
36
Kehlkopf und Luftröhre
4
48
53
39
144
0
37
Außerer Hals und Nacken
23
145
199
164
531
0
38
Brust
66
677
906
716
2.365
9
39
Rücken
15
507
548
467
1.537
7
40
Oberglieder
48
465
539
541
1.593
4
41
Unterglieder
111
931
976
904
2.922
17
42
Gemeinsame Beschwerden
233
680
772
581
2.266
7
43
Knochen=Leiden
26
60
35
30
151
1
44
Drüsen=Leiden
28
174
162
108
472
1
45
Hautübel
86
595
632
470
1.783
9
46
Schlafbeschwerden
19
197
494
407
1.117
5
47
Fieberzustände
74
1.044
1.943
1.460
4.521
18
48
Gemüthsbeschaffenheit
51
376
481
245
1.153
5
49
Genussmittelverbrauch
5
60
71
43
179
1
50
Körperliche Verfassung
0
266
586
367
1.219
5
Summe
1.925
17.277
22.836
17.701
59.739
208
keine Angabe
129
1
4
4
138
0
Patienten insgesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
14.266
52
Patientinnen
630
2.276
2.309
2.097
7.312
32
Symptome je Patient
1,6
3,8
5,1
4,4
4,2
4,0
Symptome je Patient ohne „keine Angabe“
1,8
3,8
5,1
4,4
4,2
4,0
Tabelle 23: Krankheitsspektrum (absolute Angaben). Nummer
Name
Anzahl Erläuterung
1
„Quecksilber“-Krankheit
7
„Quecksilber-Siechthum“/ Vergiftung
3
Merc.(urial) Krankheit/Leiden
4
2
Albanimorie
1
Preußisches Register, S. 3: Albuminurie, Eiweissabsonderung im Harn.
3
Alopecia/Alopeira
2
Preußisches Register, S. 3: Haarschwund, Pschyrembel, S. 49–50: Haarausfall.
4
Amauosie/Amaurosis
2
Preußisches Register S. 3: Amaurose, Erblindung, Pschyrembel, S. 57.
5
Ankylose
2
Preußisches Register, S. 5: steifes Gelenk, Pschyrembel, S. 87: Versteifung mit Bewegungsverlust.
6
Anorexie
2
Preußisches Register, S. 5: Appetitmangel, Pschyrembel, S. 89: Appetitlosigkeit bis zu Magersucht.
Höfler, S. 819: Die durch Merkur (Quecksilber) heilbaren Krankheiten.
Anhang
415
7
Aphten
6
Preußisches Register, S. 5 Mundentzündung durch Schwämmchen, Pschyrembel, S. 110–111: Ausschlag im Mund.
8
Arsen-Krankheit
1
Preußisches Register, S. 6: Vergiftung mit Arsen.
9
Askariden
1
Preußisches Register, S. 7: Ascaris, Spulwurm, Pschyrembel, S. 150.
10
Asthma spasmodium
28
Preußisches Register, S. 7: Lungenkrampf, Pschyrembel, S. 153: anfallsweise auftretende hochgradige Atemnot.
11
Atrophie
12
Preußisches Register, S. 8: Verkümmerung eines Körperteils, auch Abzehrung der Kinder.
12
Blasenstein
2
Höfler, S. 682: Steinbildung in dem Harn der Harnblase.
13
Bleichsucht
25
Höfler, S. 702: Chlorosis, Armut von rotem Blutfarbstoff, Blutarmut.
Bleichsucht
23
Chlorosis
2
14
Bräune
28
Bräune
25
Angina membranosa (mit Bräune)
1
Höfler, S. 65–66: Diphtherie und Croup. Preußisches Register, S. 4: Angina membranacea, Diphtherie.
Croup
2
Höfler, S. 338: Halsbräune, Diphtherie.
15
Brüllhusten
1
Weder in Höfler noch in Preußisches Register.
16
Brustentzündung
2
Höfler, S. 861: Pneumonia, Pleuropneumonia, Bronchitis acuta.
17
Brustfieber
18
Höfler, S. 139: „ein von Erkrankung der Brustorgane ausgehendes Fieber“.
18
Bubo
6
Preußisches Register, S. 15: Drüsengeschwulst, besonders der Leistendrüsen, Pschyrembel, S. 270: Schwellung der Lymphknoten in der Leistenbeuge.
19
Chinasiechthum
24
Preußisches Register, S. 17: Krankheit infolge zu vielen Chinins.
20
Cholera
2
Höfler, S. 87–89: „die mit Erbrechen von grüngelber oder gelbroter Galle und Gallestuhlgängen begleitete Cholera“, aber auch jede mit Cholera verwechselte Krankheit.
21
commotio cerebri
1
Preußisches Register, S. 19: Gehirnerschütterung.
22
Coxalgie/Coaxalgia
4
Preußisches Register, S. 20: Coxitis, Hüftgelenkentzündung.
23
[Angina] Decubitus
1
Preußisches Register, S. 22: Druckbrand, Pschyrembel, S. 81: Schmerzanfälle im Brustkorb, Herz-/Brustenge.
24
Delirium tremens potatorum
1
Preußisches Register, S. 23: Säuferwahnsinn, Pschyrembel, S. 376.
25
Diabetes (mellitus)
7
Preußisches Register, S. 23: Zuckerkrankheit.
26
Dispepsie
1
Preußisches Register, S. 25: Dyspepsie, Verdauungsstörung.
416
Anhang
Epilepsie/Fallsucht/Veitstanz
276
Epilepsie
47
Fallsucht
226
Veitstanz
3
28
Fistelgeschwür
1
Höfler, S. 149: „ein in Röhren oder hohlen Gängen tiefgehendes Geschwür“.
29
Flechten
196
Höfler, S. 151–153: chronischer Hautausschlag.
Flechte
178
Krustenflechte
1
Mehlflechte
9
Höfler, S. 152: mehlartige Abschuppung der Haut.
Ringel-/Ringflechte
3
Höfler, S. 152: „eine ring- oder kreisförmig sich ausdehnende Flechte“.
Schuppenflechte
5
Höfler, S. 153: Mehlflechte.
30
Friesel
2
Höfler, S. 169: „roter Hautausschlag bei akuten, mit Frost einhergehenden Krankheiten“.
31
Gallenfieber
1
Höfler, S. 140: „ein Fieber, wobei die Kranken namentlich in der Augenbindehaut eine gelbe Farbe zeigen“.
32
Gallensteine
1
Höfler, S. 682: „steinähnliche Gebilde in dem Inhalte der Gallenblase, welche auch Kalksalze enthalten“.
33
gastrisches Fieber
4
Höfler, S. 140: Nervenfieber, Typhus, ein Fieber mit Magenerscheinungen.
34
Gastritis
1
Preußisches Register, S. 34: Magenkatarrh, Pschyrembel, S. 624: Entzündung der Magenschleimhaut.
35
Gehirnentzündung
41
Preußisches Register, S. XVI: akute Encephalitis.
36
Gelbsucht
23
Höfler, S. 705–706: gelbliche Hautverfärbung und damit einhergehende Erkrankungen.
Gicht
100
Höfler, S. 189–190: „zuckende, zitternde, krampfhafte Bewegung, lähmungsartige Schwäche, Krampfschmerzen, Gliederreissen“.
Gicht
99
Podagra
1
Preußisches Register, S. 78: Gicht am Fuß, Pschyrembel, S. 1450: Gicht in den großen Zehen.
38
Grippe
6
Höfler, S. 205: Influenza und jeder starke Katarrh.
39
Hämorrhoiden
29
Höfler, S. 213: „Blutflüsse, namentlich die aus Blutknoten am After“.
40
Hemiphlegie/Hemplagie
2
Preußisches Register, S. 42: Hemiplagia, einseitige Lähmung, Pschyrembel, S. 735: vollständige Lähmung einer Körperhälfte.
41
Hexenschuß
6
Höfler, S. 598: Lenden- oder Kreuzschmerzen.
42
Hordebla/Hordelblen
1
Preußisches Register, S. 44: Hordeolum, Gerstenkorn, Pschyrembel, S. 788.
27
37
Höfler, S. 114: Anfall von Bewusstlosigkeit mit Konvulsionen, Fallsucht, Veitstanz.
Anhang
417
43
Hydrocele/Hydrosala
3
Preußisches Register, S. 45: Wasserbruch (des Hodens), Pschyrembel, S. 803.
44
Hydrocephalus
10
Preußisches Register, S. 45: Wasserkopf, Pschyrembel, S. 804.
Hydrocephalus (chronicus)
4
Kopfwasser(sucht)
4
Wasserkopf
2
Hydrophobia
3
Hydrophobia (spontana)
2
Wasserscheu
1
Preußisches Register, S. XI und S. 104: Hundswut, Hydrophobia.
Hypertionthin [sic!] der Knochen
1
Preußisches Register, S. 46: Hyperthrophie, übermäßige Vergrößerung.
45
46
Preußisches Register, S. 45 und S. 104: Hundswut, Wasserscheu, Pschyrembel, S. 801: Symptom bei Tollwut.
47
Hypochondrie
4
Höfler, S. 247 und S. 711–712: Milzsucht, Rippsucht, Melancholie, „ein körperliches Krankheitsgefühl, dessen Hauptsitz meist unter die Rippen verlegt wird“.
48
Hypotroph. cord. periode hydrops perdcardii
1
Preußisches Register, S. 45: Hydrops pericardii, Herzbeutelwassersucht.
Hysterie
22
Höfler, S. 247: „ein aus dem Munde der neueren Ärzte ins Volk gedrungenes Wort für Frauenleiden verschiedenster Art, deren Ursachen dasselbe nicht kennt, und die das Volk an manchen Orten dem „Verhextsein“ zuschreibt“.
Hysterie
21
Globus Hystericus
1
Preußisches Register, S. 38: „Gefühl einer in die Speiseröhre aufsteigenden Kugel bei Hysterie“.
50
Ischias rheumatica
1
Preußisches Register, S. 48: Hüftnervenleiden.
51
kalter Brand
1
Höfler, S. 68: hochrote Anschwellung der Haut mit lebhaftem Fieber.
52
Karies/Knochenfraß
20
Preußisches Register, S. 16: Knochenfraß, auch der Zähne.
49
Karies
1
Knochenfraß
19
Höfler, S. 167: die Verzehrung des Knochens.
53
Katarrh
1
Höfler, S. 261: krankhafte Schleimabsonderung aus der Nase, Schleimhautentzündung.
54
Keuchhusten
413
Höfler, S. 246: „Husten mit Keichen (Blasen) und Atembeschwerden“, Tussis convulsiva.
Keuchhusten
400
Krampfhusten
6
Höfler, S. 246: angestrengtes Husten, Keuchhusten.
Stickhusten
7
Preußisches Register, S. 89: Keuchhusten.
Kolceodynia
1
Preußisches Register, S. 51: Darmentzündung, Pschyrembel, S. 954: Kolitis, Entzündung des Dickdarms.
55
418
56
57
Anhang
Höfler, S. 291: Bauchschmerzen im Gedärme, Pschyrembel, S. 954: krampfartige Leibschmerzen.
Kolik
8
Kolik
5
Blähungskolik
2
Höfler, S. 291: Bauchschmerz durch Blähungen veranlasst.
Bleiweiß-Kolik
1
Höfler, S. 291: Colica saturnia damnoniorum, die durch Bleivergiftung verursachte Kolik, auch Malerkolik.
Krätze
345
Höfler, S. 301–303: allgemein „jede Krankheit der Haut, die zum Kratzen derselben oder zur Abschabung der Haut Veranlassung gibt“, Scabies, Milben-Krätze.
Krätze
183
Psora
156
Höfler, S. 482: Krätze; „eine unbewiesene Krankheitsmaterie, welche Hahnemann 1775–1843, der Stifter der sogen. Homoeopathie als Ursache des inneren Krätzesiechtums annahm“.
Psoriasis
1
Preußisches Register, S. 80: Schuppenflechte, Pschyrembel, S. 1502–1503: Krätze.
Scabies (primäre)
5
Preußisches Register, S. 84: Krätze, Pschyrembel, S. 1618–1619.
Krebs
38
Höfler, S. 327–328: „zuerst offenes, dann gangränöses Geschwür“, Organverhärtungen.
Krebs (ohne nähere Bestimmung)
27
Brustkrebs
6
Gesichtskrebs
1
Lippenkrebs
1
Noli me tangere
1
Preußisches Register, S. 70: nicht operierbare Krebsgeschwulst.
Scirhus
1
Preußisches Register, S. 86: Hartkrebs, Pschyrembel, S. 1659: Tumor.
Zungenkrebs
1
Kropf
2
Kropf
1
Struma
1
Preußisches Register, S. 90: Kropf, Pschyrembel, S. 1751–1752.
60
Kyphosis
62
Preußisches Register, S. 54: Verbiegung der Wirbelsäule, Pschyrembel, S. 995.
61
Läusesucht
3
Höfler, S. 709–710: „Abschilferung des Haarbodens in Form von kleinen Hautschüppchen“.
62
Lenden-Nerven-Rheumatismus
1
Höfler, S. 506: Gichtfluß, Gliederreissen.
63
Leucorrhöe
1
Preußisches Register, S. 56: weiser Fluss, Pschyrembel, S. 1039: Weißfluss.
58
59
Höfler, S. 334: Struma, schmerzloser Auswuchs am Hals, auch Halsdrüsenanschwellung.
Anhang
419
64
Lungenentzündung
1
Höfler, S. 861: „akuter Katarrh der inneren Bronchien“, Brustentzündung, Pleuresie.
65
Mania
1
Preußisches Register, S. 62: Mania, Geisteskrankheit.
66
Masern
23
Höfler, S. 401: „kleine, aber viele, gefleckte, gespreckelte Hautknötchen bei Blattern und sonstigen Hautkrankheiten“, Morbilli.
67
Mastdarmfistel
1
Höfler, S. 149: Fistelgeschwüre am Mastdarm.
68
Mehlschuppen
1
Höfler, S. 607: „Abschuppung namentlich der Kopfhaut“.
69
Melancholie
2
Höfler, S. 409–410: Schwarzgalligkeit, auch Trübsinn, Stadium der Geisteskrankheit.
70
Mentagra
2
Preußisches Register, S. 64: Bartfinne.
71
Metatasus/Metatarsus
3
Preußisches Register, S. 64: Mittelfußknochen.
72
Metitis
1
Preußisches Register, S. 64: Metritis, Gebärmutterentzündung.
73
Migräne/Migraine
5
Höfler, S. 418: „jeder auf eine Kopfhälfte in seiner Empfindung beschränkter Schmerz“.
74
Militär-Augenkrankheit
1
Höfler, S. 310: Augenkrankheit, bei den Soldaten herrschende ansteckende Bindehautentzündung.
75
Mumps
2
Preußisches Register, S. 66: epidemische Ohrspeicheldrüsenentzündung.
Mumps
1
Ziegenpeter
1
Preußisches Register, S. 106: Mumps
76
Mycops
1
Preußisches Register, S. 667: Mykosis fungoides, Hautkrankheit mit Geschwulstbildung, Pschyrembel, S. 1211: Pilzerkrankungen.
77
Nachtfieber
1
Weder in Höfler noch in Preußisches Register.
78
Nervenanfälle
1
Weder in Höfler noch in Preußisches Register.
79
Nervenfieber
139
Höfler, S. 142: ein Fieber, das das Nervensystem angreift, auch Typhus.
Nervenfieber
138
nervöses Fieber
1
Höfler, S. 142: „ein fieberhaft erregter Zustand, der sich auf dem Boden einer sogen. Nervösen Krankheit entwickelt“, Nervenfieber.
Nesselsucht
18
Höfler, S. 718: „die Nesseln (Ausschlag) als Nesselkrankheit“, Urticaria.
Nesselausschlag
11
Preußisches Register, S. 68: Urticaria.
Nesselfieber
1
Höfler, S. 142: „acut fieberhafte Nesselsucht“.
Nesselsucht
6
Urticaria
1
Preußisches Register, S. 98: Nesselausschlag, Pschyrembel, S. 1886.
81
Neuralgie
1
Preußisches Register, S. 69: Nervenschmerz, Pschyrembel, S. 1264: Schmerzsymptome beschränkt auf Ausbreitungsgebiet eines Nervs.
82
Oedeme
6
Höfler, S. 451: Geschwulst, durch Wassererguss im Gewebe entstanden.
80
420
Anhang
83
Ozaena
1
Preußisches Register, S. 73: Stinknase, Pschyrembel, S. 1346: Rückbildung der Nasenschleimhaut.
84
Panaritium
103
Preußisches Register, S. 73: infektiöses Fingergeschwür, Pschyrembel, S. 1351–1352: eitrige Entzündung der Finger.
85
Paralysis dorsalis
1
Preußisches Register, S. 73: Lähmung.
86
Parotis
4
Preußisches Register, S. 74: Parotis Ohrspeicheldrüse, Parotitis Ohrspeicheldrüsenentzündung.
87
Phimosis
1
Preußisches Register, S. 76: Vorhautverengerung, Pschyrembel, S. 1412.
88
Physcoria peritonialis
1
Weder in Höfler noch in Preußisches Register.
89
Pleuresie
2
Preußisches Register, S. 77: Brustfellentzündung, Pschyrembel, S. 1440: Pleuritis.
Pocken
3
Höfler, S. 474–476: „die durch Aufblähung und Aufschwellung mit Wassererguss entstandene kleine linsen- bis erbsengrosse Hautblatter“, Menschenpocken, Variolae.
Blattern
2
Höfler, S. 49: Variolae.
Pocken
1
91
Polyp
21
Preußisches Register, S. 78: gestielte Geschwulst.
92
Prosopalgie
9
Preußisches Register, S. 79: Gesichtsschmerz, Pschyrembel, S. 1484.
Prosopalgie/Prosopalgia
8
Psopalgia Fothergilli
1
Preußisches Register, S. 32: Fothergillscher Gesichtsschmerz.
93
Rachitis
20
Höfler, S. 312: englische Krankheit, Kinderkrankheit, unterwachsen, doppelte Glieder, Beinkrümme.
94
Ranula
4
Preußisches Register, S. 81: Geschwulst im Mund, Pschyrembel, S. 1539: Unterzungenspeicheldrüse.
90
Ranula
3
Fröschleingeschwulst
1
Preußisches Register, S. 33: Ranula.
95
Rheuma
26
Höfler, S. 506: Gichtfluss, Gliederreißen, Gicht.
96
Rose
26
Preußisches Register, S. 82: Erysipelas, Pschyrembel, S. 527: Wundrose, Hauterkrankung.
Rose (ohne nähere Bestimmung)
3
Bellrose
20
Höfler, S. 519: „Blasen bildendes Gesichtsrotlauf“.
Blasenrose
1
Höfler, S. 519: Blatter-Rose, Erysipelas bullosum.
2
Höfler, S. 519: „die eigentliche Kopfrose, die sich in ihrem Verlaufe auf das Gesicht beschränkt und oft mit Haarausfall gefolgt ist“, Erysipelas faciei.
Gesichtsrose
Anhang
421
1
Höfler, S. 172: „die durch starke Transpiration gerötete und juckende Haut (Schweißfriesel)“, Scharlachfieber.
1
Höfler, S. 346: Lähmung allgemein „jede pathologische Abnahme in der Erregbarkeit der die Bewegung und Empfindung auslösenden Nerven“.
Ruhr
2
Höfler, S. 530: „die Empfindung der schnellen, schmerzhaften, unruhigen Bewegung der Gedärme, sowohl beim einfachen Durchfall, als namentlich beim roten Bauch- oder Leibfluss der eigentlichen infektiösen, seuchenartig sich verbreitenden Ruhr“.
rothe Ruhr
1
Höfler, S. 531: Ruhr mit blutigen Entleerungen.
weiße Ruhr
1
Höfler, S. 531: Ruhr mit weißen Entleerungen.
100
(Rückwärts-)Starrkrampf
2
Preußisches Register, S. 89: Tetanus.
101
Scharlach
5
Höfler, S. 556: roter Hautausschlag bei Scharlachfieber, Scarlatina.
Scharlach
1
Scharlachfieber
2
Höfler, S. 143: Scharlach.
Scharlachfriesel
2
Höfler, S. 170: Ausschlagsform bei Scharlach.
Schlaganfall
6
Preußisches Register, S. XVI: Gehirnschlag, Apoplexia.
Apopl(ex) preesumpt.
1
Preußisches Register, S. 5: Bluterguß.
Schlaganfall
1
Schlagfluß
4
Höfler, S. 163: „ein plötzlich gewisse Teile wie ein Schlag befallender Erguss, der diese Teile ganz oder zum Teil lähmt“.
97
98
99
102
Rothfunk
Rückenmarkslähmung
103
Schleimfieber
3
Höfler, S. 143: „ein mit vermehrter Schleimbildung einhergehendes Magenfieber“. Nach Preußisches Register, S. 85 jedoch eine Lungenerkrankung.
104
Schweißfieber
6
Höfler, S. 143–144: Schweiß bei hektisch Fiebernden.
105
Schwindsucht/Phthisis
101 Höfler, S. 715: Phthisis, „eine nach Säfteverlusten, lange dauernden, fieberhaften Prozessen, Verschwärungen mit Abmagerung, Abzehrung, Schwinden und Abnehmen der allgemeinen Körperfülle, einhergehende Krankheit“. Stolberg: Homo patiens, S. 199–202.
Schwindsucht
40
Luftröhrenschwindsucht
2
Lungenschwindsucht
2
galoppirende Lungenschwindsucht
1
Lungentuberkeln
1
Höfler, S. 756: „Knötchen, welches am häufigsten in der Lunge der Schwindsüchtigen zu finden ist“.
Phthisis
41
Preußisches Register, S. 77: Schwindsucht.
422
Anhang
Phthisis consumata
7
Phthisis pulmonaris
1
Phthisis trachealis
3
Phthisis tuberculosa
3
106
Seitenstichfieber
2
Weder in Höfler noch in Preußisches Register.
107
Skrofeln/Skrofulosis, auch Scrofeln/Scrofulosis
256
Höfler, S. 654–655: Anschwellung verschiedener Körperdrüsen.
108
Skorbut
2
Preußisches Register, S. 87: Scharbock, Stolberg: Homo patiens, S. 151–155.
109
Sprul/Spril
4
Preußisches Register, S. 88: Spirillen, eine Bakteriengattung.
110
Staar
78
Höfler, S. 669: Katarakt, starrend blickende Augen.
grauer Staar
50
Höfler, S. 670: staarblindes Auge, grauweiß getrübte Pupille.
grauer und schwarzer Staar
2
Kapselstaar
2
Höfler, S. 670: häutiger Staar, Trübung des Sehfeldes durch die Veränderung der Kapselhaut der Linse.
schwarzer Staar
23
Höfler, S. 670: Pupille nicht entfärbt, sondern erweitert und daher meist schwarz.
weißer Staar
1
Höfler, S. 670: grauweiße Trübung der Pupille.
111
Steatom
7
Preußisches Register, S. 89: gutartige Neubildung.
112
Steinpocken
3
Preußisches Register, S. 89: Windpocken.
Steinblattern
1
Steinpocken
2
113
Sycosis/Sykosis
5
Höfler, S. 781: Feigwarzen, Pschyrembel, S. 341.
114
Syphilis
15
Höfler, S. 721–724: Infektionskrankheit, Schanker.
Lues venerea
1
Höfler, S. 721: Syphilis, Pschyrembel, S. 1067.
Schanker
6
Preußisches Register, S. 84: Syphilis.
Syphilis
8
115
Tabes dorsualis
10
Preußisches Register, S. 91: graue Degeneration der Hinterstränge, Rückenmarkschwindsucht.
116
Taenia
2
Preußisches Register, S. 91: Bandwurm, Pschyrembel, S. 1784: Darmparasiten.
117
Terminen
6
Schwanitz: Krankheit, Armut, Alter, S. 32: Krämpfe.
118
Tinea/Kopfgrind
30
Preußisches Register, S. 92: Haarausfall, Pschyrembel, S. 1816: Hauterkrankung.
Tinea malgina
2
Tinea favosa
5
Höfler, S. 204: Kopfgrind, Favus, Pschyrembel, S. 555: Pilzinfektion.
Kopfgrind
23
Preußisches Register, S.51: Tinea.
Tresmus/Trismus
3
Preußisches Register, S. 94: Krämpfe.
119
Anhang
11
Preußisches Register, S. 93: Trichiasis, Einstülpung der Augenwimpern.
Tripper
40
Höfler, S. 750: „jeder Abgang von eitrigem oder eiterähnlichem Schleimhautsekret in Form eines träufelnden Tropfens, namentlich aus der Harnröhre“, Gonorrhoea.
Tripper
27
Eicheltripper
1
Höfler, S. 750: Eiterung am Vorhautblatt.
Nachtripper
12
Höfler, S. 751: „der nach scheinbarer Heilung des akuten Trippers zurückbleibende oder wiederauftretende gonorrhoeische Harnröhrenausfluss“.
122
Ulcera sisch.
1
Preußisches Register, S. 96: Ulcus, Geschwür, Pschyrembel, S. 1871.
123
vox cholerica
1
Weder in Höfler noch in Preußisches Register.
Wassersucht
56
Höfler, S. 717–719: Krankheit, bei der sich wässerige Ansammlungen unter der Haut oder in den Leibeshöhlen ausbilden, Stolberg: Homo patiens, S. 205–206.
Wassersucht (ohne nähere Bestimmung)
39
Bauchwassersucht
8
Brustwasser(sucht)
3
120
121
124
Trichiris /Trichiarsis/Trichiasis/Trichiatis
423
Gehirnwassersucht
1
Hautwassersucht
1
Wechselfieber
272
Höfler, S. 145: Febris intermittens (Malaria), weil die einzelnen Fieberanfälle in annähernd gleichen Zeiträumen mit völlig fieberfreien Perioden abwechseln.
Quartana
24
Höfler, S. 486: „das alle vier Tage sich einstellende Wechselfieber“.
Quotidiana
38
Höfler, S. 144: Tagesfieber, tägliches Fieber.
Tertiana
101
Höfler, S. 144: „Malariafieber mit dem genau jeden 3. Tag cyklisch wiederkehrenden Rückfall“.
Wechselfieber
109
126
Wundfieber
1
Höfler, S. 145: Entzündungsfieber infolge von Wunden.
127
Zona
2
Preußisches Register, S. 106: Zona, Gürtelrose.
125
Tabelle 25: Verwendete Krankheitsnamen. Erläuterungen nach: Höfler: Höfler, Max: Deutsches Krankheitsnamen-Buch, München 1899 (Neudruck Hildesheim/New York 1970), Preußisches Register: Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Hrsg.): Alphabetisches Register der Krankheiten und Todesursachen mit den Nummern des durch Ministerialerlass vom 22. April 1904 eingeführten Verzeichnisses, Berlin 1905, Pschyrembel: Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch, Berlin/New York 260. Auflage 2004. Fett hervorgehoben wurden die Namen, die mehrere synonym verwendete Einzelbezeichnungen zusammenfassen, die Anzahl der Einzelnamen wurde entsprechend addiert.
424
Anhang
Nummer
Kategorie
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
1
Schwindel
10
43
50
36
139
0
2
Benebelung
3
48
109
69
229
0
3
Verstandesmängel
7
23
20
13
63
0
4
Gedächtnismängel
1
3
5
6
15
0
5
Inneres Kopfweh
25
129
228
182
564
3
6
Aeußere Kopfbeschwerden
8
36
115
109
268
3
7
Augenbeschwerden
20
107
143
125
395
0
8
Gesicht
12
49
86
75
222
1
9
Ohren und Gehör
10
66
95
75
246
3
10
Nase und Geruch
9
71
80
66
226
0
11
Angesicht
14
149
247
192
602
1
12
Zähne und Zahnfleisch
15
42
57
78
192
3
13
Mund
10
119
169
173
471
5
14
Appetit
3
270
376
400
1.049
4
15
Durst
0
93
355
343
791
3
16
Geschmack
2
51
75
83
211
1
17
Aufschwulken
8
92
81
78
259
2
18
Schluchsen
3
2
1
3
9
1
19
Uebelkeit
6
123
201
195
525
4
20
Magen und Herzgrube
13
171
194
214
592
1
21
Unterleib
13
121
210
176
520
4
22
Der außere Bauch
1
16
35
27
79
1
23
Schooß und Bauchring
2
44
64
59
169
1
24
Blähungen
5
31
52
45
133
0
25
Stuhlausleerung
23
230
453
372
1.078
3
26
After und Mastdarm
10
26
47
36
119
0
27
Mittelfleisch
0
5
3
6
14
0
28
Harn
13
101
136
123
373
1
29
Harnorgane
2
14
26
29
71
1
30
Geschlechtstheile
8
79
115
88
290
1
31
Geschlechtstrieb
4
22
68
27
121
1
32
Menstruation (nur Patientinnen)
0
0
0
0
0
0
33
Schnupfen
7
15
32
22
76
1
34
Athem
11
104
121
100
336
1
35
Husten
54
301
421
354
1.130
3
36
Kehlkopf und Luftröhre
1
13
30
23
67
0
37
Außerer Hals und Nacken
5
34
66
59
164
0
38
Brust
19
182
291
246
738
4
39
Rücken
5
128
147
161
441
5
40
Oberglieder
12
126
172
169
479
2
41
Unterglieder
32
226
325
359
942
6
42
Gemeinsame Beschwerden
84
168
263
247
762
3
43
Knochen=Leiden
9
18
12
12
51
1
44
Drüsen=Leiden
9
46
59
29
143
0
45
Hautübel
23
161
222
174
580
6
425
Anhang
46
Schlafbeschwerden
3
52
175
151
381
3
47
Fieberzustände
17
254
631
542
1.444
6
48
Gemüthsbeschaffenheit
13
81
141
74
309
0
49
Genussmittelverbrauch
5
37
47
38
127
1
50
Körperliche Verfassung
0
72
187
122
381
1
Summe
569
4.394
7.238
6.385
18.586
91
keine Angabe
29
0
1
2
32
0
Männer
366
1.310
1.589
1.576
4.841
20
Symptome je Patient
1,6
3,4
4,6
4,1
3,8
4,6
Symptome je Patient ohne „keine Angabe“
1,7
3,4
4,6
4,1
3,9
4,6
Tabelle 26: Beschwerden der Männer (absolute Angaben). Nummer
Kategorie
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
1
Schwindel
16
81
88
46
231
0
2
Benebelung
4
103
178
124
409
0
3
Verstandesmängel
14
41
47
26
128
0
4
Gedächtnismängel
0
2
3
4
9
0
5
Inneres Kopfweh
68
466
604
409
1.547
3
6
Aeußere Kopfbeschwerden
22
98
179
173
472
2
7
Augenbeschwerden
43
267
278
214
802
4
8
Gesicht
29
94
151
116
390
3
9
Ohren und Gehör
30
143
147
121
441
1
10
Nase und Geruch
21
135
140
113
409
0
11
Angesicht
38
346
510
388
1.282
5
12
Zähne und Zahnfleisch
29
134
180
193
536
4
13
Mund
17
213
241
222
693
1
14
Appetit
11
551
740
652
1.954
6
15
Durst
12
246
556
531
1.345
6
16
Geschmack
14
125
132
102
373
0
17
Aufschwulken
16
160
130
77
383
1
18
Schluchsen
2
3
3
2
10
0
19
Uebelkeit
40
332
383
319
1.074
2
20
Magen und Herzgrube
37
377
397
297
1.108
2
21
Unterleib
18
311
412
285
1.026
4
22
Der außere Bauch
0
44
75
46
165
1
23
Schooß und Bauchring
3
34
31
18
86
0
24
Blähungen
6
46
47
35
134
1
25
Stuhlausleerung
32
465
723
518
1.738
5
26
After und Mastdarm
9
17
33
21
80
0
27
Mittelfleisch
1
2
1
1
5
0
28
Harn
10
100
112
89
311
3
29
Harnorgane
0
9
12
5
26
1
30
Geschlechtstheile
5
101
178
63
347
1
426
Anhang
31
Geschlechtstrieb
1
16
34
5
56
0
32
Menstruation (nur Patientinnen)
71
838
1.139
769
2.817
6
33
Schnupfen
15
19
34
26
94
0
34
Athem
21
153
136
101
411
2
35
Husten
52
379
405
315
1.151
2
36
Kehlkopf und Luftröhre
1
22
20
12
55
0
37
Außerer Hals und Nacken
14
95
107
92
308
0
38
Brust
40
368
524
433
1.365
5
39
Rücken
9
271
328
284
892
2
40
Oberglieder
30
254
289
305
878
2
41
Unterglieder
63
488
519
471
1.541
11
42
Gemeinsame Beschwerden
117
363
402
275
1.157
4
43
Knochen=Leiden
12
29
17
10
68
0
44
Drüsen=Leiden
14
106
79
66
265
1
45
Hautübel
51
314
331
229
925
3
46
Schlafbeschwerden
16
116
262
216
610
2
47
Fieberzustände
47
599
1.093
818
2.557
12
48
Gemüthsbeschaffenheit
35
246
308
159
748
5
49
Genussmittelverbrauch
0
14
11
3
28
0
50
Körperliche Verfassung
0
152
335
226
713
4
Summe
1.156
9.888
13.084
10.025
34.153
117
keine Angabe
76
1
0
0
77
0
Frauen
630
2.276
2.309
2.097
7.312
32
Symptome je Patient
1,8
4,3
5,7
4,8
4,7
3,7
Symptome je Patient ohne „keine Angabe
2,1
4,3
5,7
4,8
4,7
3,7
Tabelle 28: Beschwerden der Frauen (absolute Angaben). Nummer
Kategorie
S1
S2
S3
S4
Gesamt
S4f
1
Schwindel
3
16
24
7
50
0
2
Benebelung
1
41
55
31
128
0
3
Verstandesmängel
2
13
25
3
43
0
4
Gedächtnismängel
0
0
0
2
2
0
5
Inneres Kopfweh
10
159
214
119
502
0
6
Aeußere Kopfbeschwerden
8
96
194
138
436
3
7
Augenbeschwerden
10
198
243
177
628
1
8
Gesicht
5
38
108
67
218
0
9
Ohren und Gehör
4
95
104
78
281
2
10
Nase und Geruch
9
112
123
108
352
0
11
Angesicht
6
240
424
357
1.027
2
12
Zähne und Zahnfleisch
10
37
43
43
133
3
13
Mund
2
69
122
114
307
2
14
Appetit
0
165
203
169
537
2
15
Durst
2
138
272
232
644
2
427
Anhang
16
Geschmack
2
19
26
18
65
0
17
Aufschwulken
4
23
18
8
53
0
18
Schluchsen
1
1
1
1
4
1
19
Uebelkeit
5
161
248
193
607
3
20
Magen und Herzgrube
4
55
63
32
154
0
21
Unterleib
1
112
145
89
347
2
22
Der außere Bauch
0
21
45
36
102
0
23
Schooß und Bauchring
0
57
58
59
174
0
24
Blähungen
0
8
9
8
25
0
25
Stuhlausleerung
7
156
299
196
658
2
26
After und Mastdarm
2
7
21
23
53
0
27
Mittelfleisch
0
0
0
1
1
0
28
Harn
4
100
105
66
275
0
29
Harnorgane
0
7
1
1
9
0
30
Geschlechtstheile
0
57
66
45
168
0
31
Geschlechtstrieb
0
4
3
1
8
0
32
Menstruation (nur Patientinnen)
4
120
144
82
350
0
33
Schnupfen
6
15
32
21
74
0
34
Athem
5
74
60
40
179
0
35
Husten
31
233
325
316
905
4
36
Kehlkopf und Luftröhre
0
7
4
5
16
0
37
Außerer Hals und Nacken
3
58
80
67
208
0
38
Brust
3
107
123
91
324
1
39
Rücken
3
84
81
53
221
1
40
Oberglieder
7
114
164
132
417
0
41
Unterglieder
16
175
229
201
621
7
42
Gemeinsame Beschwerden
31
195
211
158
595
3
43
Knochen=Leiden
2
24
14
10
50
0
44
Drüsen=Leiden
8
117
105
62
292
1
45
Hautübel
13
218
277
197
705
2
46
Schlafbeschwerden
3
61
145
106
315
1
47
Fieberzustände
14
265
463
313
1.055
6
48
Gemüthsbeschaffenheit
5
94
121
63
283
1
49
Genussmittelverbrauch
0
3
2
3
8
0
50
Körperliche Verfassung
0
140
264
161
565
2
Summe
256
4.309
6.106
4.503 15.174
54
keine Angabe
8
0
0
2
10
0
Kinder insgesamt
158
1.293
1.410
1.216
4.077
16
Mädchen
82
644
735
589
2.050
9
Symptome je Patient
1,6
3,3
4,3
3,7
3,7
3,4
Tabelle 30: Beschwerden der Kinder (absolute Angaben).
428
Anhang
Nummer
Kategorie
S1
S2
S3
S4
Oberschicht
S4f
1
Schwindel
6
4
6
3
19
0
2
Benebelung
4
1
6
3
14
0
3
Verstandesmängel
8
5
7
0
20
0
4
Gedächtnismängel
1
2
0
0
3
0
5
Inneres Kopfweh
25
19
28
9
81
1
6
Aeußere Kopfbeschwerden
5
1
11
7
24
0
7
Augenbeschwerden
10
14
10
8
42
1
8
Gesicht
10
5
4
5
24
1
9
Ohren und Gehör
9
2
8
7
26
1
10
Nase und Geruch
7
5
9
4
25
0
11
Angesicht
12
11
36
16
75
1
12
Zähne und Zahnfleisch
15
5
18
9
47
1
13
Mund
8
12
18
10
48
0
14
Appetit
2
20
40
27
89
1
15
Durst
1
4
21
13
39
0
16
Geschmack
3
1
6
1
11
0
17
Aufschwulken
5
1
5
2
13
0
18
Schluchsen
0
0
0
0
0
0
19
Uebelkeit
3
11
21
7
42
0
20
Magen und Herzgrube
9
8
19
6
42
0
21
Unterleib
9
12
20
12
53
0
22
Der außere Bauch
1
0
0
3
4
0
23
Schooß und Bauchring
2
2
3
4
11
0
24
Blähungen
4
1
8
2
15
0
25
Stuhlausleerung
15
20
57
22
114
0
26
After und Mastdarm
8
6
10
1
25
0
27
Mittelfleisch
0
1
1
1
3
1
28
Harn
9
8
11
7
35
0
29
Harnorgane
0
3
3
3
9
0
30
Geschlechtstheile
6
5
6
4
21
0
31
Geschlechtstrieb
1
5
7
2
15
0
32
Menstruation (nur Patientinnen)
12
15
31
12
70
0
33
Schnupfen
9
5
5
3
22
0
34
Athem
6
6
4
5
21
0
35
Husten
26
19
28
17
90
0
36
Kehlkopf und Luftröhre
1
2
1
3
7
0
37
Außerer Hals und Nacken
3
0
6
4
13
0
38
Brust
13
20
14
11
58
0
39
Rücken
3
13
14
12
42
0
40
Oberglieder
6
11
19
8
44
0
41
Unterglieder
27
19
22
21
89
1
42
Gemeinsame Beschwerden
43
11
18
11
83
0
43
Knochen=Leiden
5
2
1
1
9
0
44
Drüsen=Leiden
4
2
5
2
13
0
429
Anhang
45
Hautübel
13
4
19
12
48
0
46
Schlafbeschwerden
7
10
19
10
46
0
47
Fieberzustände
11
19
48
26
104
0
48
Gemüthsbeschaffenheit
13
15
27
8
63
0
49
Genussmittelverbrauch
2
0
3
0
5
0
50
Körperliche Verfassung
0
1
16
11
28
0
Summe
402
368
699
375
1.844
9
keine Angabe
24
0
0
0
24
0
Alle Patienten
223
80
135
79
517
3
Patientinnen
102
40
70
40
252
3
Symptome je Patient
1,8
4,6
5,2
4,7
3,6
3,0
Symptome je Patient ohne „keine Angabe“
2
4,6
5,2
4,7
3,7
3,0
Tabelle 32: Beschwerden der Oberschicht (absolute Angaben). Nummer
Kategorie
S1
S2
S 3
S4
Mittelschicht
S4f
1
Schwindel
5
9
9
5
28
0
2
Benebelung
0
5
20
12
37
0
3
Verstandesmängel
6
5
7
12
30
0
4
Gedächtnismängel
0
1
3
2
6
0
5
Inneres Kopfweh
14
40
74
74
202
1
6
Aeußere Kopfbeschwerden
5
11
33
49
98
2
7
Augenbeschwerden
8
25
35
47
115
1
8
Gesicht
4
14
19
26
63
1
9
Ohren und Gehör
3
20
23
28
74
1
10
Nase und Geruch
3
17
19
20
59
0
11
Angesicht
9
35
64
61
169
0
12
Zähne und Zahnfleisch
7
17
25
36
85
2
13
Mund
5
30
42
72
149
1
14
Appetit
2
73
105
131
311
3
15
Durst
1
25
79
96
201
3
16
Geschmack
3
13
15
23
54
0
17
Aufschwulken
3
25
10
12
50
1
18
Schluchsen
1
0
0
1
2
1
19
Uebelkeit
4
30
58
75
167
3
20
Magen und Herzgrube
3
34
43
36
116
1
21
Unterleib
9
30
59
45
143
3
22
Der außere Bauch
0
4
8
4
16
0
23
Schooß und Bauchring
1
5
16
4
26
0
24
Blähungen
0
9
11
10
30
1
25
Stuhlausleerung
8
62
120
129
319
3
26
After und Mastdarm
4
4
12
11
31
0
27
Mittelfleisch
0
1
0
2
3
0
430
Anhang
28
Harn
29
Harnorgane
1
1
7
30
Geschlechtstheile
1
10
27
31
Geschlechtstrieb
1
6
23
32
Menstruation (nur Patientinnen)
5
42
60
33
Schnupfen
3
4
34
Athem
1
21
35
Husten
27
36
Kehlkopf und Luftröhre
37
Außerer Hals und Nacken
38
Brust
9
47
79
84
219
2
39
Rücken
3
31
37
55
126
1
40
Oberglieder
3
35
38
43
119
0
41
Unterglieder
8
40
69
91
208
3
42
Gemeinsame Beschwerden
32
34
51
60
177
3
43
Knochen=Leiden
1
5
5
3
14
1
44
Drüsen=Leiden
5
9
7
4
25
0
45
Hautübel
14
44
51
45
154
1
46
Schlafbeschwerden
1
22
55
53
131
2
47
Fieberzustände
4
64
167
168
403
4
48
Gemüthsbeschaffenheit
7
25
61
35
128
3
49
Genussmittelverbrauch
1
6
9
10
26
0
50
3
12
25
38
78
1
12
21
1
22
60
1
16
46
1
50
157
3
17
11
35
0
35
22
79
1
61
107
123
318
3
0
3
12
15
30
0
1
11
11
22
45
0
Körperliche Verfassung
0
10
43
34
87
2
Summe
239
1.087
1.905
2.039
5.270
61
keine Angabe
10
0
0
0
10
0
Alle Patienten
141
253
340
412
1.146
13
Patientinnen
59
114
130
140
443
6
Symptome je Patient
1,7
4,3
5,6
4,9
4,6
4,7
Symptome je Patient ohne „keine Angabe“
1,8
4,3
5,6
4,9
4,6
4,7
Tabelle 33: Beschwerden der Mittelschicht (absolute Angaben). Nummer
Kategorie
S1
S2
S3
S4
Unterschicht
S4f
1
Schwindel
9
16
21
33
79
0
2
Benebelung
1
12
41
83
137
0
3
Verstandesmängel
1
6
5
14
26
0
4
Gedächtnismängel
0
0
1
4
5
0
5
Inneres Kopfweh
8
68
99
219
394
2
6
Aeußere Kopfbeschwerden
4
24
35
104
167
1
7
Augenbeschwerden
7
52
62
133
254
0
8
Gesicht
5
20
32
73
130
0
9
Ohren und Gehör
8
26
28
76
138
2
10
Nase und Geruch
1
23
36
72
132
0
431
Anhang
11
Angesicht
5
69
107
231
412
1
12
Zähne und Zahnfleisch
3
22
23
98
146
3
13
Mund
4
38
62
161
265
4
14
Appetit
3
97
149
413
662
3
15
Durst
3
55
130
412
600
4
16
Geschmack
4
21
26
85
136
0
17
Aufschwulken
6
32
34
82
154
1
18
Schluchsen
1
3
0
4
8
0
19
Uebelkeit
7
57
99
197
360
2
20
Magen und Herzgrube
3
57
80
233
373
1
21
Unterleib
2
43
89
199
333
3
22
Der außere Bauch
0
15
12
33
60
1
23
Schooß und Bauchring
1
15
16
42
74
1
24
Blähungen
1
8
14
40
63
0
25
Stuhlausleerung
3
99
168
387
657
4
26
After und Mastdarm
0
6
17
25
48
0
27
Mittelfleisch
0
2
0
2
4
0
28
Harn
1
20
32
91
144
1
29
Harnorgane
0
2
10
11
23
1
30
Geschlechtstheile
0
23
49
59
131
0
31
Geschlechtstrieb
0
2
21
6
29
0
32
Menstruation (nur Patientinnen)
8
75
105
208
396
1
33
Schnupfen
4
6
7
10
27
0
34
Athem
5
36
41
94
176
2
35
Husten
12
97
178
289
576
1
36
Kehlkopf und Luftröhre
0
4
4
6
14
0
37
Außerer Hals und Nacken
5
16
16
69
106
0
38
Brust
7
79
127
307
520
4
39
Rücken
3
47
66
193
309
2
40
Oberglieder
9
39
57
196
301
1
41
Unterglieder
12
71
98
378
559
6
42
Gemeinsame Beschwerden
21
68
79
238
406
1
43
Knochen=Leiden
3
4
3
8
18
0
44
Drüsen=Leiden
0
34
17
48
99
0
45
Hautübel
9
70
89
174
342
4
46
Schlafbeschwerden
0
29
68
143
240
1
47
Fieberzustände
9
104
261
593
967
7
48
Gemüthsbeschaffenheit
9
31
50
85
175
0
49
Genussmittelverbrauch
1
8
14
19
42
1
50
Körperliche Verfassung
0
32
58
147
237
1
Summe
208
1.783
2.836
6.827
11.654
67
keine Angabe
7
0
0
1
8
0
Alle Patienten
65
473
574
1.617
2.729
17
Patientinnen
35
219
220
678
1.152
8
432
Anhang
Symptome je Patient
3,2
3,8
4,9
4,2
4,3
3,9
Symptome je Patient ohne „keine Angabe“
3,6
3,8
4,9
4,2
4,3
3,9
Tabelle 34: Beschwerden der Unterschicht (absolute Angaben).
4 Tabellen zu Kapitel 7 Gesamtzahlen
S1
S2
S3
S4
S4f
Gesamt
Neukonsultationen
1.185
4.524
4.491
4.014
52
14.266
Konsultationen
5.458
15.056
18.708
13.375
195
52.792
Arbeitstage
1.091
1.318
1.683
1.807
22
5.921
Tabelle 39: Praxisumfang und Tätigkeit (absolute Angaben). Jahr S1
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni Juli
August
September
Oktober
Novem- DezemGesamt ber ber
J1829
0
0
0
0
0
0
0
0
1
4
31
29
65
J1830
14
10
1
0
2
0
130
37
68
65
48
70
445
J1831
26
27
15
16
3
32
22
14
12
14
17
12
210
J1832
15
23
19
22
21
12
6
2
13
8
26
19
186 (187)
J1833
18
28
16
35
18
16
14
11
15
26
53
28
278
Mittelmodifi- 18,25 ziert
22
12,8
18,3
11
15
43
16
21,8
23,4
35
31,6
237
Jahr S2
Februar
August
September
Oktober
Novem- DezemGesamt ber ber
1.185 Januar
März
April
Mai
Juni Juli
J1839
77
86
123
125
105
149
120
94
87
86
90
83
1.225
J1840
60
65
96
125
94
113
82
84
49
76
68
68
980
J1841
64
85
105
77
64
57
75
69
41
66
42
40
785
J1842
62
70
67
59
73
43
50
55
38
69
56
64
706
J1843
76
56
69
69
71
70
86
57
62
65
74
73
828
Mittel
67,8
72
92
91
81,4
86
83
71,8
55,4
72,4
66
65,6
904,8
Jahr S3
Januar
Februar
August
September
Oktober
Novem- DezemGesamt ber ber
4.524 März
April
Mai
Juni Juli
J1849
43
64
83
91
85
83
73
59
70
71
53
56
831
J1850
51
45
71
75
41
84
74
57
62
61
67
49
737
J1851
81
77
95
106
83
97
113
74
80
95
73
75
1.049
J1852
89
68
96
58
68
84
79
74
58
82
66
73
895
J1853
82
60
61
93
119
123
98
69
87
81
62
44
979
Mittel
69,2
63
81,2
84,6
79,2
94
87
66,6
71,4
78
64,2
59,4
898,2 4.491
Jahr S4
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni Juli
August
September
Oktober
Novem- DezemGesamt ber ber
J1859
78
67
88
65
62
58
51
86
61
49
64
44
773
J1860
64
46
55
60
84
95
62
69
62
70
62
60
789
J1861
61
63
85
90
69
96
75
79
68
81
48
68
883
433
Anhang
J1862
53
62
84
85
93
73
49
73
42
54
62
56
786
J1863
61
60
58
69
67
74
77
52
56
72
79
58
783
Mittel
63,4
60
74
73,8
75
79
63
71,8
57,8
65,2
63
57,2
802,8
J1864
52
52 4.066
Tabelle 40: Neukonsultationen im saisonalen Verlauf (absolute Angaben und Mittelwerte, die Mittelwerte von Januar bis August in S 1 beziehen sich nur auf die Jahre 1830 bis 1833, im Jahr 1832 waren es eigentlich 187 Patienten, bei einem wurde jedoch das Datum nicht genau angegeben). Jahr S1
Januar
Februar
März
April Mai
Juni Juli
August
September
Okto- Novem- Dezember ber ber
Gesamt
J1829
0
0
0
0
0
0
0
0
2
9
119
147
277
J1830
125
67
82
48
32
6
174
87
156
221
244
263
1.505
J1831
228
167
160
135
39
88
76
48
64
81
104
90
1.280
J1832
112
129
113
92
97
29
38
30
45
34
95
73
887 (888)
J1833
144
136
155
182
103
119
77
32
92
102
193
173
1.508
Mittelmodifiziert
152,3 125
128
114
67,8
61
91
49,25
71,8
89,4
151
149,2
1091,4
Jahr S2
Januar
August
September
Okto- Novem- Dezember ber ber
J1839
166
166
226
260
201
300
268 262
267
256
272
287
2.931
J1840
249
291
301
320
293
291
263 283
161
234
227
198
3.111
J1841
210
268
347
274
255
197
224 223
175
198
244
184
2.799
J1842
229
277
268
262
245
182
214
184
236
252
279
2.805
J1843
335
286
345
290
292
253
326 210
256
228
262
Mittel
237,8 258
297
281
257
244
259 231
208,6
230,4 251,4
Jahr S3
Januar
Februar
März
April Mai
Juni Juli
September
Okto- Novem- Dezember ber ber
J1849
82
157
208
236
254
251
225 203
239
205
206
232
2.498
J1850
234
242
287
293
169
282
258 233
277
258
284
286
3.103
J1851
316
330
399
404
434
381
424 338
338
334
400
412
4.510
J1852
396
356
414
344
336
340
317
302
281
331
340
352
4.109
J1853
394
296
322
349
450
447
428 365
407
398
344
288
4.488
Mittel
284,4 276
326
325
329
340
330 288
308,2
305,2 314,8
314
3741,6
5.458 Februar
März
April Mai
Juni Juli
177
Gesamt
327
3.410
255
3011,2 15.056
August
Gesamt
18.708 Jahr S4
Januar
Februar
März
April Mai
Juni Juli
August
September
Okto- Novem- Dezember ber ber
Gesamt
J1859
147
171
212
202
223
191
147
215
176
172
178
154
2.188
J1860
203
152
182
191
212
255
236 204
214
206
195
235
2.485
J1861
235
228
264
260
267
299
252 257
225
249
226
260
3.022
J1862
236
264
301
302
271
262
239 219
177
213
230
231
2.945
J1863
215
218
221
238
233
234
231 189
215
243
262
236
2.735
Mittel
207,2 207
236
239
241
248
221 216,8
201,2
216,6
218,2
223,2
2.675
J1864
195
195 13.570
434
Anhang
Tabelle 41: Konsultationen im saisonalen Verlauf (absolute Angaben und Mittelwerte, die Mittelwerte von Januar bis August in S 1 beziehen sich nur auf die Jahre 1830 bis 1833, zum Jahr 1832 siehe Tabelle 40). Jahr S1
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni Juli
August
Septem- Okto- Novem- DezemGesamt ber ber ber ber
J1829
0
0
0
0
0
0
0
0
2
6
30
31
69
J1830
30
24
27
27
12
3
21
9
20
31
29
31
264
J1831
30
27
27
29
5
14
21
11
18
27
27
27
263
J1832
27
27
28
21
24
9
8
9
7
6
18
29
213
J1833
28
28
31
30
16
21
13
2
26
28
29
30
282
Mittelmodifiziert
28,75
27
28,3
26,8
14,3
12
16
7,75
14,6
19,6
26,6
29,6
218,2
Jahr S2
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni Juli
August
Septem- Okto- Novem- DezemGesamt ber ber ber ber
J1839
24
23
24
25
19
24
21
21
18
26
25
28
278
J1840
27
22
28
22
24
21
21
21
14
17
18
19
254
J1841
21
25
22
19
20
19
20
20
17
23
26
23
255
J1842
26
24
25
21
19
13
20
21
15
23
21
25
253
J1843
28
24
26
22
24
18
24
20
22
22
25
23
278
Mittel
25,2
24
25
21,8
21,2
19
21
20,6
17,2
22,2
23
23,6
263,6
Jahr S3
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni Juli
August
Septem- Okto- Novem- DezemGesamt ber ber ber ber
J1849
25
26
28
29
26
26
26
24
28
24
26
29
317
J1850
31
28
30
28
26
24
25
23
26
27
30
28
326
J1851
30
28
30
30
30
24
26
22
29
28
30
28
335
J1852
31
29
29
30
31
28
26
29
30
30
30
29
352
J1853
30
28
31
27
31
28
27
31
30
31
28
31
353
Mittel
29,4
28
29,6
28,8
28,8 26
26
25,8
28,6
28
28,8
29
336,6
Jahr S4
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni Juli
August
Septem- Okto- Novem- DezemGesamt ber ber ber ber
J1859
30
28
31
30
31
29
27
31
30
31
30
31
J1860
30
28
30
29
31
30
31
31
30
31
29
29
359
J1861
31
27
31
30
31
30
31
31
29
31
30
31
363
J1862
30
28
31
30
31
30
31
31
30
31
30
31
364
J1863
30
28
31
30
30
30
31
30
30
31
30
31
362
Mittel
30,2
28
30,8
29,8
30,8 30
30
30,8
29,8
31
29,8
30,6
J1864
22
359
361,4 22
Tabelle 42: Arbeitstage im saisonalen Verlauf (absolute Angaben und Mittelwerte, die Mittelwerte von Januar bis August in S 1 beziehen sich nur auf die Jahre 1830 bis 1833).
435
Anhang
Neukonsultationen Montag (alle Tage)
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag Freitag
Samstag
Sonntag
J1831
0,6
0,7
0,6
0,5
0,8
0,6
0,2
J1841
3,4
0,4
0,1
0,2
0,7
6,2
4,2
J1851
4
2
1,8
1,3
1,3
6
3,7
J1861
2,4
2,2
3,1
2,2
1,9
3
2,2
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag Freitag
Samstag
Sonntag
Neukonsultationen Montag (Arbeitstage) J1831
0,9
1
0,7
0,7
1
0,8
0,3
J1841
3,4
0,7
0,4
0,5
0,9
6,2
4,3
J1851
4,2
2,2
2
1,5
1,5
6,2
3,8
J1861
2,4
2,2
3,1
2,2
1,9
3,1
2,2
Tabelle 43: Mittelwerte der Neukonsultationen je Wochentag (im oberen Teil bezogen auf alle Tage eines Jahres, im unteren Teil auf die Tage eines Jahres, an denen Bönninghausen überhaupt Besuch empfing). Konsultationen (alle Tage)
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
J1831
4,3
4,5
3,8
3,3
3,8
3,4
1,4
J1841
13,7
1,8
0,5
0,7
2,7
20
14,5
J1851
16,9
8,5
6,7
5,2
6
26
17,3
J1861
7,8
7,2
10
7
6,9
11,6
7,4
Konsultationen (Arbeitstage)
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
J1831
6,3
6,4
4,7
4,6
4,9
4,4
2,5
J1841
13,9
3,2
1,8
2,1
3,5
20
14,7
J1851
17,6
9,4
7,6
6
7
26,5
18
J1861
7,8
7,3
10
7
6,9
11,8
7,4
Tabelle 44: Mittelwerte der Konsultationen je Wochentag (im oberen Teil bezogen auf alle Tage eines Jahres, im unteren Teil auf die Tage eines Jahres, an denen Bönninghausen überhaupt Besuch empfing). Anzahl Anzahl der KonProzent Personen der Konsultationen sultationen
Anzahl Prozent Personen der KonProzent Personen sultationen
A1
0,1
34
4.850
A35
13
A75
0
1
A2
22,3
3.178
A36
0
7
A77
0
1
A3
12,4
1.775
A37
0
4
A78
0
1
A4
7,7
1.099
A38
0
6
A79
0
1
A5
5,1
726
A39
0
4
A80
0
1
A6
3,6
514
A40
0
7
A81
0
2
A7
2,5
357
A41
0
5
A83
0
1
A8
1,9
269
A42
0
6
A85
0
1
A9
1,6
232
A43
0
5
A86
0
0
A10
1,2
169
A44
0,1
8
A90
0
1
436 A11
Anhang
0,9
133
A45
0
3
A92
0
2
A12
0,6
99
A46
0
2
A97
0
2
A13
0,6
88
A47
0,1
8
A98
0
2
A14
0,5
70
A48
0
2
A100
0
1
A15
0,5
65
A49
0
4
A101
0
2
A16
0,5
65
A50
0
2
A104
0
1
A17
0,3
47
A51
0
2
A105
0
1
A18
0,4
50
A52
0
5
A106
0
1
A19
0,2
35
A53
0
3
A108
0
1
A20
0,2
28
A55
0
1
A114
0
1
A21
0,2
35
A56
0
2
A115
0
1
A22
0,2
30
A57
0
3
A116
0
1
A23
0,2
31
A58
0
2
A118
0
1
A24
0,2
29
A59
0
1
A123
0
1
A25
0,1
21
A60
0
3
A124
0
2
A26
0,1
12
A61
0
1
A127
0
1
A27
0,1
12
A62
0
4
A153
0
1
A28
0,1
11
A64
0
4
A161
0
1
A29
0,1
10
A65
0
2
A173
0
1
A30
0,1
15
A67
0
2
A184
0
1
A31
0,1
9
A68
0
4
A208
0
1
A32
0,1
11
A69
0
1
A211
0
1
A33
0,1
14
A70
0
1
A223
0
1
A34
0,1
8
A74
0
1
A305
0
1
keine Angabe
0
2
99,1
14266
Tabelle 45: Anzahl der Konsultationen einzelner Patienten (absolute und prozentuale Angaben). Anzahl der Konsultationen
S1
S2
S3
S4
S4f
A1
416
1.576
1.265
1.593
41
A2
195
941
978
1.064
7
A3
117
542
602
514
2
A4
102
349
364
284
1
A5
43
223
263
197
1
Patienten insgesamt
1.185
4.524
4.491
4.066
52
Tabelle 46: Anzahl der Konsultationen (absolute Angaben). Anzahl der Konsultationen
Männer
Frauen
Gesamt
A1
1.607
2.433
4.850
A2
1.066
1.649
3.178
A3
604
911
1.775
A4
385
535
1.099
A5
249
366
726
A6
159
277
514
437
Anhang
A7
125
196
357
A8
100
134
269
A9
86
118
232
A10
66
85
169
Summe
4.447
6.704
13.169
Patienten insgesamt
4.841
7.312
14.266
Tabelle 47: Anzahl der Konsultationen je Geschlecht (absolute Angaben). Anzahl der Konsultationen
Kinder
Knaben
Mädchen
A1
1.325
475
610 439
A2
897
319
A3
518
172
260
A4
306
111
151
A5
227
70
126
A6
153
49
87
A7
105
33
63
A8
83
23
48
A9
69
23
39
A10
52
23
25
Summe
3.735
1.298
1.848
Kinder insgesamt
4.077
1.418
2.050
Tabelle 48: Anzahl der Konsultationen bei den Kindern (absolute Angaben). Anzahl der Konsultationen
Oberschicht
Mittelschicht
Unterschicht
A1
140
284
937
A2
76
228
653
A3
57
120
342
A4
34
87
224
A5
21
78
123
A6
18
45
78
A7
17
36
64
A8
9
40
42
A9
9
36
45
A10
6
16
34
Summe
387
970
2.542
Patienten insgesamt
517
1.146
2.729
Tabelle 49: Anzahl der Konsultationen nach Schichtzugehörigkeit (absolute Angaben). Dauer der Behandlung
Prozent
Personen
Dauer der Behandlung
Prozent
Personen
D1
72,1
10.285
D21
0,2
25
D2
12,2
1.736
D22
0,1
18
D3
3,2
454
D23
0,1
20
D4
2,1
300
D24
0,1
18
D5
1,6
222
D25
0
7
438
Anhang
D6
1,2
169
D26
0
2
D7
0,9
134
D27
0
1
D8
0,9
124
D28
0
4
D9
0,8
120
D29
0
2
D10
0,7
101
D30
0
2
D11
0,7
100
D31
0
1
D12
0,6
81
D32
0
0
D13
0,5
77
D33
0
0
D14
0,4
62
D34
0
1
D15
0,3
46
D35
0
1
D16
0,3
37
D36
0
0
0
2
99,8
14.266
D17
0,2
30
keine Angabe
D18
0,2
28
Summe
Insgesamt führte Bönninghausen die Praxis von 1829 bis 1864. Zählt man jedes der Jahre ergibt sich die maximale Behandlungsdauer von 36 Jahren.
D19
0,2
29
D20
0,2
27
Tabelle 50: Dauer der Behandlungen in Jahren (absolute Angaben). Dauer
Männer
Frauen
Oberschicht
Mittelschicht
Unterschicht
D1
3.460
5.251
299
733
2.094
D2
629
891
71
178
300
D3
170
221
28
56
89
D4
89
161
14
35
45
D5
60
135
11
21
30
D6
54
94
11
18
26
D7
51
68
9
15
10
D8
31
124
4
11
17
D9
44
60
8
16
13
D10
33
51
6
8
12
D11
37
50
6
12
12
Gesamt
4.658
7.106
467
1.103
2.648
Patienten insgesamt
4.841
7.312
517
1.146
2.729
Tabelle 51: Dauer der Behandlung nach Geschlecht und Schichtzugehörigkeit der Patienten (absolute Angaben). Dauer der Behandlung
D1
D2
D3
D4
D5
D6
Summe
Absolut
Kinder
2.859
458
147
106
66
58
3.694
4.077
Oberschicht
92
18
11
3
3
6
133
165
Mittelschicht
232
38
24
17
11
11
333
374
Unterschicht
570
75
28
20
6
11
710
771
Knaben
1.011
153
60
29
20
16
1.289
1.418
Mädchen
1.375
240
71
61
41
39
1.827
2.050
439
Anhang Tabelle 52: Dauer der Behandlung bei Kindern unter Berücksichtigung von Schicht und Geschlecht (absolute Angaben). Dauer
Anzahl Frequenz
Personen
Dauer Anzahl Frequenz
Personen
Dauer
Anzahl Frequenz
Personen
1
1
0,083
4.850
4
11
0,229
8
7
16
0,19
1
1
2
0,167
2.752
4
12
0,25
11
7
17
0,202
2
1
3
0,25
1.252
4
13
0,271
5
7
18
0,214
4
1
4
0,333
618
4
14
0,292
2
7
19
0,226
1
1
5
0,417
333
4
15
0,313
7
7
20
0,238
0
1
6
0,5
180
4
16
0,333
5
7
22
0,262
2
1
7
0,583
90
4
17
0,354
2
7
24
0,286
1
1
8
0,667
60
4
18
0,375
7
7
26
0,31
3
1
9
0,75
43
4
19
0,396
5
7
28
0,333
1
1
10
0,833
27
4
20
0,417
3
7
29
0,345
1
1
11
0,917
17
4
21
0,438
5
7
30
0,357
2
1
12
1
18
4
22
0,458
2
7
35
0,417
1
1
13
1,083
9
4
23
0,479
4
7
36
0,429
1
1
14
1,167
11
4
24
0,5
3
7
41
0,488
1
1
15
1,25
8
4
25
0,521
0
7
47
0,56
2
1
16
1,333
4
4
26
0,542
1
7
50
0,595
1
1
17
1,417
2
4
27
0,563
2
7
51
0,607
1
1
18
1,5
1
4
28
0,583
1
7
52
0,619
1
1
19
1,583
0
4
29
0,604
0
7
61
0,726
1
1
20
1,667
0
4
30
0,625
2
7
62
0,738
1
1
21
1,75
1
4
31
0,646
2
7
98
1,167
1
1
22
1,833
0
4
32
0,667
1
Summe
1
23
1,917
0
4
33
0,688
2
8
2
0,021
13
1
24
2
2
4
34
0,708
2
8
3
0,031
12
1
25
2,083
2
4
35
0,729
2
8
4
0,042
13
1
26
2,167
2
4
36
0,75
0
8
5
0,052
6
1
27
2,25
0
4
37
0,771
0
8
6
0,063
9
1
28
2,333
1
4
38
0,792
0
8
7
0,073
11
1
29
2,417
1
4
39
0,813
0
8
8
0,083
9
1
30
2,5
1
4
40
0,833
1
8
9
0,094
7
10.285
4
42
0,875
1
8
10
0,104
7
Summe
134
2
2
0,083
275
4
43
0,896
1
8
11
0,115
4
2
3
0,125
308
4
49
1,021
1
8
12
0,125
3
2
4
0,167
246
4
53
1,104
1
8
13
0,135
3
2
5
0,208
173
4
85
1,771
1
8
14
0,146
3
2
6
0,25
156
4
92
1,917
1
8
15
0,156
3
300
8
16
0,167
0
2
7
0,292
121
Summe
2
8
0,333
96
5
2
0,033
17
8
17
0,177
3
2
9
0,375
72
5
3
0,05
24
8
18
0,188
4
2
10
0,417
60
5
4
0,067
22
8
19
0,198
0
2
11
0,458
46
5
5
0,083
26
8
20
0,208
1
2
12
0,5
31
5
6
0,1
16
8
23
0,24
1
440
Anhang
2
13
0,542
32
5
7
0,117
15
8
24
0,25
1
2
14
0,583
19
5
8
0,133
22
8
30
0,313
1
2
15
0,625
16
5
9
0,15
11
8
31
0,323
3
2
16
0,667
20
5
10
0,167
3
8
32
0,333
1
2
17
0,708
10
5
11
0,183
8
8
36
0,375
1
2
18
0,75
12
5
12
0,2
3
8
47
0,49
1
2
19
0,792
8
5
13
0,217
5
8
68
0,708
1
2
20
0,833
4
5
14
0,233
2
8
74
0,771
1
2
21
0,875
4
5
15
0,25
3
8
75
0,781
1
2
22
0,917
4
5
16
0,267
5
8
104
1,083
1
2
23
0,958
6
5
17
0,283
3
Summe
2
24
1
6
5
18
0,3
3
9
2
0,019
7
2
25
1,042
1
5
19
0,317
5
9
3
0,028
8
2
26
1,083
1
5
20
0,333
2
9
4
0,037
13
2
27
1,125
0
5
21
0,35
3
9
5
0,046
20
2
28
1,167
3
5
22
0,367
5
9
6
0,056
11
2
29
1,208
0
5
23
0,383
2
9
7
0,065
5
2
30
1,25
1
5
24
0,4
0
9
8
0,074
3
2
31
1,292
0
5
25
0,417
0
9
9
0,083
4
2
32
1,333
0
5
26
0,433
0
9
10
0,093
5
2
33
1,375
1
5
27
0,45
1
9
11
0,102
3
2
34
1,417
0
5
28
0,467
0
9
12
0,111
1
2
35
1,458
1
5
29
0,483
1
9
13
0,12
1
2
36
1,5
0
5
30
0,5
2
9
14
0,13
3
2
37
1,542
0
5
32
0,533
1
9
15
0,139
1
2
38
1,583
0
5
33
0,55
2
9
16
0,148
5
2
39
1,625
1
5
35
0,583
1
9
17
0,157
3
2
40
1,667
0
5
40
0,667
3
9
18
0,167
1
2
41
1,708
0
5
43
0,717
1
9
19
0,176
2
2
42
1,75
0
5
46
0,767
1
9
20
0,185
2
2
43
1,791
0
5
52
0,867
1
9
21
0,194
2
2
44
1,833
1
5
59
0,983
1
9
22
0,204
3
2
45
1,875
0
5
68
1,133
1
9
23
0,213
2
2
46
1.917
0
5
115
1,917
1
9
25
0,231
2
2
47
1,958
0
Summe
222
9
28
0,259
1
2
48
2
1
6
2
0,028
13
9
32
0,296
1
1.736
6
3
0,042
14
9
34
0,315
2
Summe
124
3
2
0,056
32
6
4
0,056
15
9
36
0,333
2
3
3
0,083
61
6
5
0,069
16
9
37
0,343
1
3
4
0,111
51
6
6
0,083
13
9
42
0,389
1
3
5
0,139
51
6
7
0,097
11
9
44
0,407
1
3
6
0,167
36
6
8
0,111
7
9
48
0,444
1
3
7
0,194
27
6
9
0,125
13
9
57
0,528
1
3
8
0,222
18
6
10
0,139
8
9
65
0,602
1
3
9
0,25
22
6
11
0,153
5
9
116
1,074
1
441
Anhang
3
10
0,278
16
6
12
0,167
6
Summe
3
11
0,306
16
6
13
0,181
2
10
2
0,017
2
3
12
0,333
11
6
14
0,194
8
10
3
0,025
11
3
13
0,361
10
6
15
0,208
3
10
4
0,033
11
3
14
0,389
6
6
16
0,222
2
10
5
0,042
5
3
15
0,417
12
6
17
0,236
2
10
6
0,05
10
3
16
0,444
11
6
18
0,25
3
10
7
0,058
3
3
17
0,472
6
6
19
0,264
0
10
8
0,067
5
3
18
0,5
3
6
20
0,278
3
10
9
0,075
6
3
19
0,528
5
6
21
0,292
2
10
10
0,083
6
3
20
0,556
5
6
22
0,306
1
10
11
0,092
3
3
21
0,583
7
6
23
0,319
0
10
12
0,1
3
3
22
0,611
2
6
24
0,333
2
10
13
0,108
1
3
23
0,639
7
6
25
0,347
3
10
14
0,117
1
3
24
0,667
7
6
26
0,361
2
10
15
0,125
3
3
25
0,694
6
6
27
0,375
2
10
16
0,133
1
3
26
0,722
1
6
28
0,389
1
10
17
0,142
3
3
27
0,75
0
6
29
0,403
1
10
18
0,15
2
3
28
0,778
1
6
30
0,417
1
10
19
0,158
0
3
29
0,806
1
6
31
0,431
1
10
20
0,167
2
3
30
0,833
1
6
32
0,444
1
10
21
0,175
1
3
31
0,861
2
6
35
0,486
1
10
24
0,2
1
3
32
0,889
3
6
37
0,514
1
10
25
0,208
1
3
33
0,917
5
6
38
0,528
1
10
26
0,217
2
3
34
0,944
1
6
42
0,583
1
10
29
0,242
4
3
35
0,972
2
6
44
0,611
1
10
33
0,275
2
3
43
1,194
1
6
49
0,681
1
10
34
0,283
1
3
45
1,25
1
6
62
0,861
1
10
36
0,3
1
3
47
1,306
1
6
100
1,389
1
10
38
0,317
2
169
10
40
0,333
1
120
3
50
1,389
1
Summe
3
51
1,417
1
7
2
0,024
8
10
46
0,383
1
3
55
1,528
1
7
3
0,036
20
10
47
0,392
1
3
58
1,611
1
7
4
0,048
16
10
52
0,433
1
3
64
1,778
2
7
5
0,06
12
10
60
0,5
1
454
7
6
0,071
9
10
64
0,533
1
Summe 4
2
0,042
25
7
7
0,083
11
10
67
0,558
1
4
3
0,063
24
7
8
0,095
5
10
70
0,583
1
Summe
4
4
0,083
38
7
9
0,107
6
4
5
0,104
36
7
10
0,119
4
4
6
0,125
23
7
11
0,131
3
4
7
0,146
20
7
12
0,143
1
4
8
0,167
18
7
13
0,155
3
4
9
0,188
13
7
14
0,167
6
4
10
0,208
12
7
15
0,179
1
101
Die Frequenz berechnet sich als Quotient der Anzahl der Konsultationen durch die Dauer der Behandlung multipliziert mit zwölf. Sie gibt die Häufigkeit an, wie oft einzelne Betroffene je Monat vorstellig wurden.
Tabelle 53: Konsultationsfrequenzen der Patienten (absolute Angaben).
442
Anhang
Frequenz Anzahl Männer
Frauen Kind
F0,083
2.667
5.310
1.764
Knaben
1.455 523
Mädchen
Oberschicht
Mittelschicht
Unterschicht
678
156
314
1.010
Ein Mal je Jahr.
Beschreibung
F0,167
3.068
1.037
1.588
868
307
421
71
240
633
Ein Mal in sechs Monaten.
F0,25
1.449
462
766
420
128
217
44
110
293
Ein Mal in vier Monaten.
F0,333
741
262
369
197
73
93
22
57
171
Ein Mal in drei Monaten.
F0,5
221
74
121
57
18
34
8
18
40
Ein Mal in zwei Monaten.
F1
24
13
8
9
4
3
4
7
8
Ein Mal je Monat
F2
3
0
3
2
0
2
0
2
0
Zwei Mal je Monat.
Summe
10.816
3.612
5.522
3.008 1.053
1.448
305
748
2.155
Gesamt
14.266
4.841
7.312
4.077
2.050
517
1.146
2.729
1.418
Tabelle 54: Frequenzen einzelner Patientengruppen im Vergleich (absolute Angaben).
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellenverzeichnis Nicht gedruckte Quellen Bistumsarchiv Münster (BAM) Kirchenbücher folgender Pfarrgemeinden in Münster: St. Aegidii, St. Pauls Dom, St. Lambertii, Liebfrauen, St. Ludgerii, St. Martini, St. Servatii und St. Mauritz aus den Jahren 1800 bis 1875. Kirchenbücher der Pfarrgemeinden folgender Orte: Albachten, Amelsbüren, Angelmodde, Handorf, Nienberge, Roxel und Wolbeck aus den Jahren 1800 bis 1875. Kiskemper: Priesterverzeichnis. Alphabetisches Verzeichnis aller Orte des Bistums Münster mit den Namen der jeweiligen Priester (gebundenes maschinenschriftliches Manuskript). „Klerikerkartei“. Alphabetisches Verzeichnis aller Geistlichen des Bistums Münster. „Sippenkartei“. Alphabetisches Verzeichnis aller Personen, die in den Kirchenbüchern der Münsteraner Pfarrgemeinden genannt werden, geordnet nach Art der sakralen Handlung bis 1875. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart (IGM) Bestand P Nachlaß Bönninghausen (1828–1887) P 1 – P 116 Krankenjournale von 1835 bis 1864. P 150 Alphabetisches Patientenregister zu Bönninghausens Krankenjournalen, Clemens und Friedrich von Bönninghausen. P 151 Homöopathische Heilungs-Versuche, angefangen im September 1829, von Cr. [sic!] C. M. F. von Bönninghausen. P 152 Alphabetisches Namen-Verzeichnis der homöopathisch behandelten Kranken, seit Ende des Jahres 1830. P 153 Namens-Verzeichnis der homöopathisch behandelten Kranken vom 1. Julius 1830 anfangend. P 154 Tagebuch für die homöopathische Praxis. Angefangen am 1. Julius 1830, beendigt den 31. December 1833 [richtig: 1832]. P 155 Homöopathische Heilversuche angefangen den 1. Januar 1833. P 156 Conto-Buch. Angefangen 1851. P 157 Thierheilungen. 1849–1878. P 171 Zur Heilung der Psora. P 176 Kurze Anleitung zur Heilung der Wechselfieber auf homöopathischem Wege, Münster 1832.
444
Quellen- und Literaturverzeichnis
P 183 Versuch einer homöopathischen Therapie der Wechsel- und anderer Fieber zunächst für angehende Homöopathiker 1. Auflage. P 184 Versuch einer homöopathischen Therapie der Wechsel- und anderer Fieber zunächst für den angehenden Homöopathiker, Münster 2. Auflage 1863. P 188 Journal für Correspondenz. P 190 Anweisung zum Gebrauche der Bräune-Pulver. P 201/1 Lebenslauf von Clemens von Bönninghausen (von unbekannter Hand). P 201/2 – P 222 Ausgegliederte Schriftstücke, wie Briefe, Krankenblätter und Symptomregister zu und von einzelnen Patienten. Die Einzelsignaturen sind an den entsprechenden Stellen in der Arbeit angegeben. LWL-Archivamt für Westfalen (Archivamt) Adelsarchive Bockhorst, Wolfgang: Adelsarchive in Westfalen. Die Bestände der Mitgliedsarchive der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e. V. Kurzübersicht, Münster 1998 (Vereinigte Westfälische Adelsarchive e. V. 9). Archiv Erpernburg. Nachlaß Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867), F 52 Bönninghausen. LWL Archiv Bestand 101 Provinzialständischer Landtag 1826–1886. 249: Schutzblatternimpfung. 356: Statistik und Topographie. Staatsarchiv Münster (StAM) (jetzt Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen) Bestand 3. Behörden und Einrichtungen des Staates und der Selbstverwaltung nach 1816 3.1.1.1. Oberpräsidium Münster (Findbuch B 120, 8) 2495: Erlaß von Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte, 1832–1845, 1871–1909. 2503: Impfungen gegen Pocken und Blattern (1809), 1819–1853, 1866–1874. 3.1.1.2. Besondere Kommissionen und Dienststellen Medizinalkollegium (Findbuch B 187) 5 I: Generalia, Einrichtung, Geschäftsbetrieb, Ernennungen, Garnison, Rechnungswesen, Apotheken u. a., vol. I, 1815–1878. 7: Generalia, Verfassung und Verwaltung des Medizinalwesens, Berichte, 1816–1920. 41: Prüfung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, vol. IV, 1844–1867, Zwei Bände. 43 a-b: Maßregeln gegen die Cholera, vol. I., 1831–1832, vol. II, 1832–1873. 44: Die Hundswut, 1839–1868.
Quellen- und Literaturverzeichnis
445
3.1.2. Bezirksregierungen Regierung Münster (Findbuch B 201, 8) Nr. 4516: Acta Conduiten-Listen der Mitglieder und Referendarien der königlichen Regierung zu Münster, 1818–1830. 187 2-19: Die Anwendung von Hausmitteln bei Brandschäden und andern Übeln, 1834–1854. 190 V-17: Nachweise der Medizinalpersonen, 1824–1860. 194 II-34: Die periodischen Berichte über die im Reg.bez. Münster zur Abwehr der Cholera getroffenen Schutzmaßnahmen, 1831–1832. 195 II-34: Die für den Fall des Ausbruchs der Cholera gebildeten Schutzkommissionen im Reg.bez. Münster, 1831–1841. 207 I II-13 bis 207 XV II-13: Examination, Approbation und Niederlassung der Ärzte, Wund- und Zahnärzte im Reg.bez. Münster, 15 Bände, 1811– 1868. 208 V-6: Behandlung der Tollwut bei Menschen, 1819–1829. 211 II-37-9: Die epidemischen Krankheiten, insbesondere das Nervenfieber zu Metelen, 1836. 217 III-40: Die Behandlung der Tollwut, 1829–1842. 218 I: Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1816–1817. 218 II: Organisation des Medizinalwesens, enthaltend die Nachweisungen sämtlicher Medizinalpersonen im Reg.bez. Münster, 1817–1818. 886 V: Epidemische Krankheiten unter den Menschen, 1859–1871. 888 V: Die Schutzpockenimpfung, 1819–1843. 889 II-35: Die Schutzpockenimpfung, 1843–1865. 893 V-236: Die Homöopathie und die homöopathischen Ärzte, 1854–1895. 894 I A: Die Apotheken der praktischen Ärzte, 1818–1852. 905 I-V: Die Medizinaltaxen, sowie die Diäten und Reisekosten der Medizinalbeamten, 1816–1873. 3.8. Personalakten Nr. 63-66 Oberlandesgericht zu Münster: Auscultator Borges. Nr. 313 Regierung Münster: Acta die Anstellung des Bau-Inspctors von Briesen als Regierungs- und Bau Rath in Münster und dessen Personalien betreffend 1843. Nr. 315 Regierung Münster: Die Wiederbesetzung der durch den Tod des Dr. Busch bei der Regierung zu Münster erledigten MedizinalRathsStelle und Wahrnehmung dieser Stelle durch den MedizinalRath Dr. Tourtual 1849– 1866. Nr. 498 Regierung Münster: Acta die Ernennung des MedizinalRath Dr. Theodor Riefenstahl nun RegierungsMedizinal Rath betreffend. Nr. 519 Regierung Münster: Oberlandesgerichtsassessor v. Hartmann 1836 und den Uebertritt des nunmehrigen Regierungs-Raths von Hartmann von der General-Commission zum hiesigen Regierungs-Collegium als Justitiarius 1841.
446
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bestand 4. Nichtstaatliches Schriftgut 4.3.2. Adelige Häuser, Familien, Höfe Haus Darup (Akten) Nr. 6. Spiessen, Max von: Sammlung Spiessen, 46 Bände. Stadtarchiv Münster (StdAM) Bestand A Archive der Stadt Münster 2. Registraturen der Preußischen Stadtverwaltung (1802–1945) Stadtregistratur Medizinalangelegenheiten Fach 201 Nr. 3: Approbation und Vereidigung von Medizinalpersonen, Band 2, 1839– 1929. Nr. 4: Bestallung und Vereidigung der Hebammen, Band 1, 1772–1838. Nr. 6: Unterstützung der Hebammen, Band 1, 1817–1838. Nr. 7: Unterstützung der Hebammen, Band 2, 1839–1868. Medizinalangelegenheiten Fach 202 Nr. 2: Statistische Tabelle der Sanitäts-Anstalten nebst Nachweis der Medizinal Personen in der Stadt Münster, 1813–1867. Gesundheitsangelegenheiten Fach 204 Nr. 2: Maßnahmen gegen die Cholera, Band 1, 1831–1865. Nr. 16: Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben der Cholera-SchutzCommission zu Münster (Band 1: Belege), 1831–1832. Nr. 17: Generalprotokolle der Cholera-Schutzkommission und sonstige Generalia betr. Das Medizinalwesen, 1831–1834. Nr. 18: Schutzkommission gegen die Cholera wegen Einrichtung der Lazarette (III. Sektion), 1831. Nr. 19: Tollwütige Hunde. Medizinalangelegenheiten Fach 205 Nr. 1: Schutzimpfung gegen Blattern, Band 1, 1804–1833. Nr. 2: Schutzimpfungen gegen Blattern, mit Impflisten, Band 2, 1834–1842. Statistische Sachen Fach 16 Nr. 8a: Einwohner-Register-Verzeichnisse, 1800–1900. Einwohner-Register der Stadt Münster in drei Bänden: Band I (1817–1840) [Zugang Karteikarten], Band II (1840–1865) [Zugang Buch], Band III (1865ff). Einwohner-Verzeichnis der Stadt Münster nach Laischaften (Lamberti, Liebfrauen, Ludgeri, Martini, Aegidii, Dom, Jüdefelder, Bauernschaften [Delstrup, Geist, Kemper]). Nr. 9: Nachweis über die Bevölkerungsstruktur, Übersicht nach Erwerb und Beruf von 1819, 1840, 1848, 1858.
Quellen- und Literaturverzeichnis
447
Statistische Sachen Fach 17 Nr. 4: Gewerbetabellen der Stadt Münster, Band 1, 1819–1843. Nr. 5: Gewerbetabellen der Stadt Münster, Band 2, 1846–1861. Gewerbepolizei, Preise für den Lebensbedarf Fach 143 Nr. 1–6: Nachweis über die Preise des gewöhnlichen Lebensbedarfs, Sechs Bände, 1818–1871. Armenkommission Nr. 1833: Acta betreffend die Gesuche um Bewilligung freier Medizin, 1841– 1898. Bestand B Archive des ehemaligen Landkreises Münster 1. Kreisarchiv Münster Landratsamt Münster Kreis-A-Archiv 971: Anstellung und Vereidung von Medizinalpersonen, 1817–1909. 974: Medizinalpersonen und Sanitätsanstalten, Band 3, 1857–1885. 997: Die Choleramorbus, 1831–1893. 998: Die Venerische Krankheit, 1833–1900. 1474: Unerlaubte Ausübung der Medizinalpraxis, Band 2, 1843–1882. 1475: Unerlaubter Verkauf von Medikamenten und Giften, Kurpfuscher. „Personenkartei Ferdinand Theissing“ und der Artikel in der Westfälischen Tageszeitung vom 10. November 1940. Dieser Artikel liegt der Kartei bei. Zeitungen Münsterischer Anzeiger. Münsterisches Intelligenzblatt. Westfälischer Merkur. Universitätsarchiv Münster Verzeichnisse der Behörden, Lehrer, Beamten, Institute und sämmtlicher Studirenden auf der Königl. Theologischen und philosophischen Akademie zu Münster im Wintersemester 1844/45 bis Wintersemester 1863/64, Münster ohne Jahr.
448
Quellen- und Literaturverzeichnis
Gedruckte Quellen Amts-Blatt der königlichen Regierung zu Arnsberg, 1829–1864. Amts-Blatt der königlichen Regierung zu Minden, 1829–1864. Amts-Blatt der königlichen Regierung zu Münster, 1829–1864. Anonym: Bitte an deutsche Aerzte ihre Kranken nicht arm zu machen, Halle 1810 (Nachdruck AOK-Verlag Remagen 1996). Anonym: Das Hausmittel-Buch. Eine Auswahl alter und neuer Hausmittel zum Gebrauche unserer deutschen Hausfrau zusammengestellt von einem Arzte, Wien 1892. Bönninghausen, Clemens von: Hülfs-Blätter für die homöopathische Heilkunst, Münster 1829. Bönninghausen, Clemens von: Kurze Anleitung zur Entwerfung eines vollständigen Krankheitsbildes behufs Homöopathischer Heilung, ohne Ort [nach 1829?]. Bönninghausen, Clemens von: Homöopathische Heilungen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 29–58. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 10 (1831) Heft 2, S. 86–104 und Heft 3, S. 85–96. Ein Teil des Artikels wurde auch unter dem Titel: Merkwürdige Heilung einer Wasserscheu auf homöopathischem Wege. In: Zeitung der homöopathischen Heilkunst 4 (1832), S. 81–87 und S. 89–91 veröffentlicht. Bönninghausen, Clemens von: Die homöopathische Diät und die Entwerfung eines vollständigen Krankheitsbildes behufs homöopathischer Heilung für das nichtärztliche Publikum, Münster 1833. Bönninghausen, Clemens von: Die Homöopathie. Ein Lesebuch für das gebildete, nicht ärztliche Publikum, Münster 1834. Bönninghausen, Clemens von: Vortrag über homöopathische Heilung der Zahnschmerzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 73–92. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 15 (1835) Heft 2, S. 1–22. Bönninghausen, Clemens von: Rüge. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 95–98. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 12 (1838), S. 359–360. Bönninghausen, Clemens von: Beiträge zur Kenntniß der Wirkungen der Calcarea carbonica und des Causticum. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 99–242. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 17 (1838) Heft 1, S. 1–67 und 17 (1839) Heft 3, S. 1–77. Bönninghausen, Clemens von: Fehl- und Treffkuren. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von
Quellen- und Literaturverzeichnis
449
Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 243–276. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 18 (1840) Heft 2, S. 1–34. Bönninghausen, Clemens von: Triduum homoeopathicum. In: Archiv für die homöopathische Heilkunst 19 (1842) Heft 3, S. 34–68. Auch in: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 277–310. Bönninghausen, Clemens von: Drei Cautelen Hahnemanns. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 311–355. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 21 (1844) Heft 1, S. 69–113. Bönninghausen, Clemens von: Hahnemanns Arzneigaben. In: Archiv für die homöopathische Heilkunst 21 (1844) Heft 2, S. 30–40. Auch in: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 357–366. Bönninghausen, Clemens von: Aus einem Briefe des Herrn Regierungs-Rath D. v. Bönninghausen in Münster an D. Stapf. In Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 367–377. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 22 (1845) Heft 1, S. 89–99. Bönninghausen, Clemens von: Die Erfahrung und die Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 379–392. Ursprünglich in: Archiv für die homöopathische Heilkunst 23 (1848) Heft 3, S. 25–38. Bönninghausen, Clemens von: Kurze Belehrung für Nicht-Ärzte über die Verhütung und Behandlung der asiatischen Cholera, Münster 1849. Bönninghausen, Clemens von: Die Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 395–406. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 38 (1850), S. 358–366. Bönninghausen, Clemens von: Briefliche Mittheilung des Herrn Reg.-Raths Dr. v. Bönninghausen an Dr. Rummel. In: Allgemeine homöopathische Zeitung 39 (1850), Sp. 97–101. Auch in: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 407–411. Bönninghausen, Clemens von: An Eine Hochlöbliche Königliche Regierung hier. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 41 (1851), Sp. 13–16. Bönninghausen, Clemens von: Beknopt onderrigt in het opmaken van een volledig ziektebeeld en in de kennis der met de natuur overeenstemmende diët. Ten behoeve der homeopathische behandeling voor leeken in de Geneeskunde, Amsterdam 1852. Bönninghausen, Clemens von: On the use of high attenuations in homoeopathic practice. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg
450
Quellen- und Literaturverzeichnis
1984, S. 417–441. Ursprünglich in: Homoeopathic Times 3 (1852), S. 655– 657, S. 669–671 und S. 683–686. Bönninghausen, Clemens von: Der homöopathische Hausarzt. In kurzen therapeutischen Diagnosen. Ein Versuch, Münster 1853. Bönninghausen, Clemens von: De homeopatische huis- en scheepsdoctor. In korte therapeutische diagnosen. Eene proeve, Rotterdam 1853. Bönninghausen, Clemens von: Nervenfieber und Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 443–464. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 47 (1854) S. 57–61 und S. 65–69. Bönninghausen, Clemens von: On the highest potencies capable of producing an exacerbation of the symptoms. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 465–468. Ursprünglich in: American Journal of Homoeopathy 9 (1854), S. 54–55. Bönninghausen, Clemens von: Traumatische Beschwerden und Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 469–488. Ursprünglich in: Allgemeine homöopathische Zeitung 48 (1854), S. 43–54, S. 51–54 und S. 61–63. Bönninghausen, Clemens von: Über die Wirkungsdauer der Arzneien. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 489–494. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 49 (1855), S. 81–83. Bönninghausen, Clemens von: Avis de la société homéopathique Rhénane et Westphalienne concernant les questions relatives à la Vaccine. In: Gypser, Klaus-Henning: Generalregister zu den Werken Bönninghausens, Heppenheim 1992, S. 40–42. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 48 (1854), S. 173. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Die häutige Bräune. In: Gypser; Klaus-Henning: Generalregister zu den Werken Bönninghausens, Heppenheim 1992, S. 43–46. Ursprünglich in: Populäre homöopathische Zeitung 2 (1856), S. 52–53. Bönninghausen, Clemens von: Etwas über den Keuchhusten. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 525–528. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 53 (1857), S. 85–86. Bönninghausen, Clemens von: Tabes dorsualis und Aluminium metallicum. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 543–555. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 57 (1858), S. 3–6 und S. 12–13.
Quellen- und Literaturverzeichnis
451
Bönninghausen, Clemens von: Le tabes dorsualis et le diabetes mellitus. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 557–562. Ursprünglich in: L’Homoéopathe Belge 1 (1858), S. 93–99. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Quelques mots sur le choix des médicaments. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 571–575. Ursprünglich in: L’Homoéopathe Belge 1 (1859), S. 190–199. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Explication qui m’est imposée. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 587–591. Ursprünglich in: L’Homoéopathe Belge 2 (1859), S. 42–46. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Die Wahl des Heilmittels. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 593–596. Ursprünglich in: Allgemeine homöopathische Zeitung 59 (1859), S. 125–126. Bönninghausen, Clemens von: Le choléra. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 597–600. Ursprünglich in: L’Homoéopathe Belge 2 (1859) S. 73–76. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Die Vorzüge der Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 601–613. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 59 (1859), S. 171–173 und S. 179–181. Bönninghausen, Clemens von: Die homöopathische Behandlung des Keuchhustens in seinen verschiedenen Formen, Münster 1860. Bönnighausen, Clemens von: Documents pour servir à l’histoire du choléra. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 643–648. Ursprünglich in: L’Homoéopathe Belge 2 (1860), S. 163–168. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Ueber die Philoposie. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 649–656. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 60 (1860), S. 171–174. Bönninghausen, Clemens von: Die Jenichenschen Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 657–666. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 61 (1860), S. 70–72 und S. 85–87.
452
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bönninghausen, Clemens von: Zur Würdigung der Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 675–688. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 61 (1860), S. 134–135, S. 140– 142, S. 159–160 und S. 164–165. Bönninghausen, Clemens von: Invasion d’une angine diphtheritique. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 689–691. Ursprünglich in: L’Homoéopathe Belge 3 (1861), S. 133–135. Die Übersetzung in Bönninghausen: Kleine medizinische Schriften Supplementband. Bönninghausen, Clemens von: Die lange Wirkungsdauer. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 705–709. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 63 (1861), S. 117–118. Bönninghausen, Clemens von: Mein Verfahren bei der häutigen Bräune. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 711–713. Ursprünglich in: Allgemeine homöopathische Zeitung 63 (1861), S. 127– 128. Bönninghausen, Clemens von: Die Aphorismen des Hippokrates nebst den Glossen eines Homöopathen, Leipzig 1863. Bönninghausen, Clemens von: Das Krankenjournal. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 67 (1863), S. 114–116, S. 121–123, S. 129–131, S. 140–141, S. 147–149 und S. 163–165. Auch in: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 745–776. Bönninghausen, Clemens von: Thierheilungen und Hochpotenzen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 777–784. Ursprünglich in: Allgemeine Homöopathische Zeitung 67 (1863), S. 204–206. Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984. Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Supplementband. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser und Martin Stahl, Heidelberg 1994. Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Repertorium der homöopathischen Arzneimittel und Genius-Hinweise. Hrsg. von Raimund Kastner, Heidelberg 1998. Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Therapeutisches Taschenbuch. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Stuttgart 2000. Bolle, Peter: Ueber die Therme zu Lippspringe. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 43 (1852), S. 225–229. Buck, Michael: Medicinischer Volksglaube und Volksaberglaube aus Schwaben, Ravensburg 1865.
Quellen- und Literaturverzeichnis
453
Bruns, Alfred (Hrsg.): Westfalenlexikon 1832–1835, Münster 1978 (Nachdrucke zur westfälischen Archivpflege 3). Cazin, Friedrich: Adreß-Buch der Stadt Münster nach den amtlichen Registern, herausgegeben mit Bewilligung des hochlöblichen Magistrats 1853, Münster 1853 (Stadtarchiv Münster, Mikrofilm). Cazin, Friedrich: Adress-Buch der Stadt Münster nach den amtlichen Registern, herausgegeben mit Bewilligung des hochlöblichen Magistrats, Münster Zweite Ausgabe 1856 (Stadtarchiv Münster Mikrofilm). Cazin, Friedrich: Adreß-Buch der Stadt Münster und des Kirchspiels Mauritz, herausgegeben nach den amtlichen Registern, Münster Dritte Ausgabe 1860 (Stadtarchiv Münster, Mikrofilm). Deutsches Arzneibuch 6. Ausgabe 1926, Berlin 1926. Dieses ist online einsehbar: http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00000785, Zugriff vom 5. August 2008. Diening, Anton: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Münster aus amtlichen Quellen zusammengestellt, Münster 1846. Droste-Hülshoff, Annette von: Historischkritische Ausgabe. Briefe 1805–1838 Text. Bearbeitet von Walter Gödden, Tübingen 1987 (Historischkritische Ausgabe. Werke, Briefwechsel hrsg. von Winfried Woesler Band 8,1). Droste-Hülshoff, Annette von: Westfälische Schilderungen und ihr Echo in Westfalen. Mit einem Nachwort herausgegeben von Winfried Freund, Paderborn 1991. Dunham, Caroll: Letter from C. Dunham, M. D. In: Philadelphia Journal of Homoeopathy 4 (1855), S. 449–458. Erdmann, Bernhard: Die örtliche Anwendung der Elektricität in Bezug auf Physiologie, Pathologie und Therapie, Leipzig 1856. Eulenberg, Hermann: Das Medicinalwesen in Preussen. Nach amtlichen Quellen, Berlin 1874. Gauwerky, Friedrich: Mittheilungen aus der Praxis. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 43 (1852), S. 241–248. Gauwerky, Friedrich: Zur Behandlung der Syphilis, Halle 1872 (Med. Diss.). Geigel, A.[lois]: Geschichte, Pathologie und Therapie der Syphilis, Würzburg 1867. Gesetzessammlung für die preußischen Staaten ab 1815. Guillaume, Friedrich: Topographisch=historisch=statistische Beschreibung der Stadt Münster. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde, Münster 1836. Gwinner, Wilhelm: Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgang dargestellt. Ein Blick auf sein Leben, seinen Charakter und seine Lehre, Leipzig 1862. Hahnemann, Samuel: Heilkunde der Erfahrung. In: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst 22 (1805) Heft 3, S. 1–99. Hahnemann, Samuel: Apothekerlexikon, Erster Theil A bis E, Leipzig 1793. Hahnemann, Samuel: Monita über die drei gangbaren Kurarten. In: Hahnemann, Samuel: Kleine medicinische Schriften, Band 1. Hrsg. von Ernst
454
Quellen- und Literaturverzeichnis
Stapf, Dresden/Leipzig 1829 (Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe Heidelberg 1971), S. 91–125. Hahnemann, Samuel: Krankenjournal DF5 (1837–1832). Transkription und Übersetzung von Arnold Michalowski, Heidelberg 1992. Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. „Aude sapere“. Standardausgabe der 6. Auflage. Hrsg. von Josef Schmidt, Stuttgart 1999. Hahnemann, Samuel: Gesammelte kleine Schriften. Hrsg. von Josef Schmidt und Daniel Kaiser, Heidelberg 2001. Hahnemann, Samuel: Krankenjournal DF2 (1836–1842). Transkription und Übersetzung von Arnold Michalowski, Heidelberg 2003. Hahnemann, Samuel: Die chronischen Krankheiten. Theoretische Grundlagen. Mit allen Änderungen von der 1. Auflage (1828) zur 2. Auflage (1835) auf einen Blick, bearbeitet von Matthias Wischner, Stuttgart 3. Auflage 2006. Hartmann, Franz: Kritik. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 23 (1842), Sp. 91–101. Hartmann, Franz: Die Kinderkrankheiten und ihre Behandlung nach den Principien des homöopathischen Heilsystems, Leipzig 1852. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht von Westfalen, auf das Jahr 1838. Herausgegeben von dem Königlichen Medizinal-Collegium zu Münster, Münster 1840. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1839. Herausgegeben von dem Königlichen Medizinal-Collegium zu Münster, Münster 1841. Haxthausen: General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1840. Herausgegeben von dem Königlichen Medizinal-Collegium zu Münster, Münster 1842. Hellmund, J. M.: Die gefährlichsten Kinderkrankheiten und ihre homöopathische Heilung, Drei Bände, Gotha 1849–1851. Band 1 ist online digitalisiert unter http://en.scientificcommons.org/j_m_hellmund, Zugriff vom 16. Oktober 2008. Hering, Constantin: Homöopathischer Hausarzt, Jena 4. Auflage 1844. Hirsch, August: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, Zwei Bände, Erlangen 1860 und 1862–64. Hippokrates: Sämmtliche Werke. Übersetzt von Robert Fuchs, Drei Bände, München 1895–1900. Horn, Wilhelm: Das preussiche Medicinalwesen aus amtlichen Quellen dargestellt, Teil 1, Berlin 2. Auflage 1863. Hufeland, Christoph: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern, Zwei Teile, Wien/Prag 1797 (Faksimile-Ausgabe Hamburg ohne Jahr). Klier (Hrsg.): Adreßbuch der Provinz Westfalen auf das Jahr 1840, Münster 1840. Derselbe Autor hat auch 1846, 1852 und 1858 Adressbücher herausgegeben. Koch, August: Die bewährtesten Hausmittel der Deutschen. Aus den Papieren eines Militärarztes, Leipzig 3. Auflage 1861.
Quellen- und Literaturverzeichnis
455
König, Ewald: Statistische Nachrichten über den Regierungs-Bezirk Münster für die Jahre 1858–1860. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, Münster 1860. Königliches Medizinal-Collegium zu Münster (Hrsg.): General-Sanitäts-Bericht von Westfalen auf das Jahr 1841, Münster 1844. Lutheritz, Karl: Hausapotheke oder medicinisches Noth- und Hülfsbüchlein für Nichtärzte zur Kenntniß, Wahl und Anwendungsart der wichtigsten, und durch sichere Erfahrung bei innerlichen und äußerlichen Krankheiten bewährt gefundenen Hausmittel, Meißen 1825. Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Hrsg.): Alphabetisches Register der Krankheiten und Todesursachen mit den Nummern des durch Ministerialerlass vom 22. April 1904 eingeführten Verzeichnisses, Berlin 1905. Medicinal-Kalender für den Preussischen Staat auf das Jahr 1850, Berlin 1850. Medicinal-Kalender für den Preussischen Staat auf das Jahr 1857, Berlin 1857. Medicinal-Kalender für den Preussischen Staat auf das Jahr 1861, Berlin 1861. Mellin, Christoph: Die Hausmittel. Eine Sammlung der besten, gemeinützigsten und sichersten Mittel, die Gesundheit des Menschen zu erhalten, und den Krankheiten gehörig vorzubeugen, Grätz 1794. Müller, Ferdinand: Das grosse illustrirte Kräuterbuch. Ausführliche Beschreibung aller Pflanzen, ihres Gebrauchs, Nutzens, ihrer Anwendung und Wirkung in der Arzneikunde, ihres Anbaus, ihrer Einsammlung, Bewerthung und Verwendung im Handel und Gewerbe. Nebst deutlicher Anweisung zur Bereitung aller möglichen medicinischen Präparate, Kräutersäfte, Arzneien, vieler Geheim= und Hausmittel, Parfümerien, Pomaden, Insektenpulver, Ulm 5. Auflage 1877. Munde, Carl: Die Gräfenberger Wasserheilanstalt und die Prießnitzische Curmethode, Leipzig 1841. Nunez, Jos.: Aus einem Schreiben des Dr. Nunez, an R. R. Dr. v. Bönninghausen. In: Neues Archiv für die homöopathische Heilkunst 2 (1846) Heft 3, S. 95–100. Oesterlen, Friedrich: Handbuch der medizinischen Statistik, Tübingen 1865. Pappenheim, Louis: Handbuch der Sanitäts-Polizei, Band 2 H-Z, Berlin 1859. Pellengahr, Anton: Einige Bemerkungen über die im Sommer und Spätjahre 1827 zu Münster in Westfalen beobachtete Parotitis epidemica. In: Ärztliche Gesellschaft zu Münster (Hrsg.): Abhandlungen und Beobachtungen der ärztlichen Gesellschaft zu Münster, Band 1, Münster 1829, S. 177–189. Preußisches Strafgesetzbuch 1851, dieses ist online abrufbar unter: http:// www.koeblergerhard.de/Fontes/StrafgesetzbuchPreussen1851.pdf, Zugriff vom 23. April 2008. Prinzing, Friedrich: Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 1906. Provinzial-Sanitäts-Bericht des Königlichen Medcinal-Collegiums von Westfalen für das Jahr 1843, Münster 1845. Provinzial-Sanitäts-Bericht des Königlichen Medicinal-Collegiums von Westfalen für das Jahr 1844, Münster 1846.
456
Quellen- und Literaturverzeichnis
Räuber, Hugo: Bestimmungen, Erlasse und Verfügungen für das Medizinalwesen in Preussen, Köslin 1907. Riecke, Viktor: Das Medicinalwesen des Königreichs Württemberg. Unter systematischer Zusammenstellung der dasselbe betreffenden Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, Normalerlasse, Stuttgart 1856. Rönne, Ludwig von; Simon, Heinrich: Das Medicinal=Wesen des preußischen Staates, Zwei Bände, Breslau 1844. Sanitaets-Bericht des koeniglichen Medicinal-Collegii zu Münster vom Jahre 1831, Münster 1833. Sanitäts-Bericht des Königlichen Medicinal-Collegii zu Münster vom Jahre 1832, Münster 1834. Schnetzler, Karl; Neumann, Franz: Die Geheimmittel und die Heilschwindler, Karlsruhe 4. Auflage 1891. Seemann, von (Hrsg.): Adreßbuch der Provinz Westfalen auf das Jahr 1836, Minden 1836. Derselbe Autor hat auch 1846 ein Adressbuch herausgegeben. Sponholz, Carl: Allgemeine und spezielle Statistik der Medizinal-Personen der Preußischen Monarchie. Jahrgang 1845, Stralsund 1845. Statistisches Bureau zu Berlin (Hrsg.): Tabellen und amtliche Nachrichten über den Preussischen Staat für das Jahr 1849, Sechs Bände, Berlin 1851–1855. Statistisches Bureau zu Berlin (Hrsg.): Tabellen und amtliche Nachrichten über den Preussischen Staat für das Jahr 1852, Berlin 1855. Statistisches Bureau zu Berlin (Hrsg.): Tabellen und amtliche Nachrichten über den Preussischen Staat für das Jahr 1855, Berlin 1858. Sundelin, Karl: Anleitung zur medizinischen Anwendung der Elektrizität und des Galvanismus, Berlin 1822. Tourtual, [Caspar] (Hrsg.): Provinzial-Sanitätsbericht des Königlichen Medizinal-Collegiums von Westfalen für das Jahr 1842, Münster 1844. Tissot, Samuel: Anleitung für den gemeinen Mann in Absicht auf seine Gesundheit oder gemeinnütziges und bewährtes Haus=Arzeney-Buch, Frankfurt/Leipzig 1770. Tissot, Samuel: Von der Onanie. Oder Abhandlung über die Krankheiten die von der Selbstbefleckung herrühren, Wien 5. Auflage 1787. Vetter: Menostasis. In: Busch, D.; Gräfe, C. von; Horn, E.; Link, H.; Müller, J.; Osann, E. (Hrsg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, 23. Band, Berlin 1840, S. 44. Wendt, von; Jochmus (Hrsg.): Adreßbuch für die Provinz Westfalen auf das Jahr 1829, Münster 1829. Wendt hat auch 1832 ein Adressbuch herausgegeben. Wittstein, Georg: Taschenbuch der Geheimmittellehre. Eine kritische Uebersicht aller bis jetzt untersuchten Geheimmittel, Nördlingen 2. vermehrte Auflage 1868.
Quellen- und Literaturverzeichnis
457
Literaturverzeichnis Abel, Wilhelm: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg/Berlin 1974. Abele, Andrea; Becker, Peter (Hrsg.): Wohlbefinden. Theorie, Empirie, Diagnostik, Weinheim 1991. Adler, Ubiratan: Identifizierung von 681 Q-Potenz-Verordnungen und ihr Nachweis in den Krankenjournalen. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 13 (1995), S. 135–166. Alberti, Fay: Emotions in the Early Modern Medical Tradition. In: Alberti, Fay (Hrsg): Medicine, Emotion and Disease 1700–1950, Houndmills/New York 2006, S. 1–21. Albsmeier, Werner: Münster. Westfalens Hauptstadt. Eine kleine Heimatkunde, Münster 1954. Albsmeier, Werner: Münster. Metropole Westfalens, Münster 1977. Almodt, Agnes: Ergänzungen zur Geschichte der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt zu Münster i. W. 1821–1848, Münster 1942 (Med. Diss.). Ammon, Hermann (Hrsg.): Hunnius. Pharmazeutisches Wörterbuch, Berlin/ New York 9. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2004. Anonym: C. v. Bönninghausen. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 68 (1864), S. 56. Anonym: Trauerbotschaft. C. von Bönninghausen. In: Populäre Homöopathische Zeitung 10 (1864), S. 47. Anonym: Nekrolog. In: Westfälischer Merkur 30. Januar 1864. Anonym: Meldung. In: Westfälische Nachrichten 1. November 1956. Anonym: Lebensbeschreibung. In: Volksheilkunde 32 (1980) Heft 9, S. 500– 502. Anonym: Deutsche oft beim Arzt. Pharmazeutische Zeitung online vom 15. Januar 2009. Im Archiv der Zeitung online abgelegt unter: http://www. pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=28880&no_cache=1&sword_ list[0]=deutsche&sword_list[1]=oft&sword_list[2] =beim&sword_ list[3]=arzt, Zugriff vom 26. Januar 2009. Anschütz, Felix (Hrsg.): Anamneseerhebung und allgemeine Krankenuntersuchung, Berlin/Heidelberg/New York 5. Auflage 1992. Arends, Johannes: Volkstümliche Namen der Arzneimittel, Drogen, Heilkräuter und Chemikalien, Berlin/Heidelberg/New York 16. Auflage 1971. Ariès, Philippe: Geschichte der Kindheit. Mit einem Vorwort von Hartmut von Hentig, München/Wien 1975. Arnold, Klaus: Kind und Gesellschaft in Mittelalter und Renaissance, Paderborn/München 1980. Arnold, Klaus: Familie, Kinder, Jugend. In: Hammerstein, Notker (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band 1 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996, S. 135–152.
458
Quellen- und Literaturverzeichnis
Aschoff, Diethard: Von der Emanzipation zum Holocaust. Die jüdische Gemeinde im 19. und 20. Jahrhundert. In: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Band 2, Münster 1993, S. 461–487. Baal, Anne van: J’ai vu une femme publique. Sexuality, Venereal Disease and Homoeopathy in Nineteenth-Century Ghent. The Tale of the Patient. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 20 (2001), S. 179–196. Baal, Anne van: Homoeopathy in Nineteenth-Century Flanders. The Patients of Ghent Homoeopath Gustave A. van den Berghe (1869–1902). In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 237–258. Baal, Anne van: Being Ill in the City. Nineteenth-Century Patients in Ghent and their Experience with Homoeopathy. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 22 (2003), S. 147–175. Baal, Anne van: In Search of a Cure. The Patients of the Ghent Homoeopathic Physician Gustave A. van den Berghe (1837–1902), Amsterdam 2004 (Phil. Diss.). Babitsch, Birgit: Soziale Ungleichheit, Geschlecht und Gesundheit, Bern 2005. Backert-Isert, Jutta: Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864) und seine tierhomöopathische Praxis in ihrem therapiegeschichtlichen Kontext. Die Arbeit ist online publiziert unter: http://www.igm-bosch.de/ download/documents/backert_isert.pdf und http://elib.tiho-hannover.de/ dissertations/backert-isertj_ws06.pdf, Zugriff vom 13. Juni 2008. Balster, Wolfgang: Medizinische Wissenschaft und ärztliche Praxis im Leben des Bochumer Arztes Karl Arnold Kortum (1745–1824), Bochum 1990 (Med. Diss.). Baschin, Marion: Sozial- und medizingeschichtliche Untersuchung einer württembergischen Oberamtsstadt im 19. Jahrhundert. Esslingen am Neckar, Stuttgart 2006 (MA Arbeit). Diese Magisterarbeit wurde mittlerweile publiziert in: Baschin, Marion; Kozlik, Andreas: Studien zur südwestdeutschen Demographie. Die Sterblichkeit in Württemberg im 18./19. Jahrhundert und in Esslingen im 19. Jahrhundert, Remshalden 2008 (historegio 7), S. 11-139. Basler, Heinz-Dieter: Compliance. Die Kooperation in der Therapie. In: Basler, Heinz-Dieter; Florin, Irmela: Klinische Psychologie und körperliche Krankheit, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1985, S. 90–105. Bauer, Eberhard; Schott, Heinz (Hrsg.): F. A. Mesmer (1734–1815) und die Geschichte des „tierischen Magnetismus“. Ausstellung des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Freiburg, Freiburg 1985. Bauks, Friedrich: Die evangelische Kirchengemeinde. In: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Band 2, Münster 1993, S. 433–459. Becker, Peter: Leben, Lieben, Sterben. Die Analyse von Kirchenbücher, St. Katharinen 1989. Behr, Hans-Joachim: Die Provinz Westfalen und das Land Lippe 1813–1933. In: Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 2. Das 19. und
Quellen- und Literaturverzeichnis
459
das 20. Jahrhundert. Politik und Kultur, Düsseldorf 1983 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 43), S. 45–164. Behr, Hans-Joachim: Zwischen Vormärz und Reichsgründung. In: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Band 2, Münster 1993, S. 79–129. Belemann-Smit, Anja: „Wenn schnöde Wollust dich erfüllt…“. Geschlechtsspezifische Aspekte in der Anti-Onanie-Debatte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2003. Bennholdt-Thomsen, Anke; Guzzoni, Alfredo: Zur Theorie des Versehens im 18. Jahrhundert. Ansätze einer pränatalen Psychologie. In: Kornbichler, Thomas (Hrsg.): Klio und Psyche, Pfaffenweiler 1990, S. 112–125. Bergdolt, Klaus: Das Gewissen der Medizin. Ärztliche Moral von der Antike bis heute, München 2004. Best, Heinrich; Schröder, Wilhelm: Quantitative historische Sozialforschung. In: Meier, Christian; Rüsen, Jörn (Hrsg.): Historische Methode, München 1988 (Theorie der Geschichte Beiträge zur Historik 5), S. 235–266. Bettin, Hartmut; Meyer, Ulrich; Friedrich, Christoph: „Diese Bitte war ich der Menschheit schuldig.“ Das Wirken des homöopathischen Laienheilers Arthur Lutze (1813–1870) in Preußen. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 19 (2001), S. 199–227. Die Bibel, Übersetzung nach Hoffnung für alle. Die Bibel, Basel 3. Auflage 2003. Bischoff, Claus; Zenz, Helmuth (Hrsg.): Patientenkonzepte von Körper und Krankheit, Bern/Stuttgart/Toronto 1989. Bleker, Johanna; Brinkschulte, Eva: Windpocken, Varioloiden oder echte Menschenpocken? Zu den Fallstricken der retrospektiven Diagnostik. Eine Untersuchung anhand der Patientendateien des Würzburger Juliusspitals 1819–1829. In: Internationale Zeitschrift für Geschichte und Ethik der Naturwissenschaft, Technik und Medizin 3 (1995), S. 97–116. Bleker, Johanna: Patientenorientierte Krankenhausgeschichtsschreibung. Fragestellung, Quellenbeschreibung, Bearbeitungsmethode. In: Bleker, Johanna; Brinkschulte, Eva; Grosse, Pascal (Hrsg.): Kranke und Krankheiten im Juliusspital zu Würzburg 1819–1829. Zur frühen Geschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland, Husum 1995 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 72), S. 11–22. Bleker, Johanna: Die Krankenjournale des Juliusspitals als Quellen der Morbiditäts- und Mortalitätsverhältnisse. Theoretische, historische und bearbeitungstechnische Aspekte. In: Bleker, Johanna; Brinkschulte, Eva; Grosse, Pascal (Hrsg.): Kranke und Krankheiten im Juliusspital zu Würzburg 1819– 1829. Zur frühen Geschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland, Husum 1995 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 72), S. 75–91. Bleker, Johanna: Die Frau als Weib. Sex und Gender in der Medizingeschichte. In: Meinel, Christoph; Renneberg, Monika (Hrsg.): Geschlechterverhält-
460
Quellen- und Literaturverzeichnis
nisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik, Bassum/Stuttgart 1996, S. 15–29. Bönninghausen, Clemens: Die Stammväter von Bönninghausen. Ihr Leben, ihre Taten und ihre Zeit. Biographien von der älteren Genealogie und von der Stammlinie I, Coesfeld 1958. Boschung, Urs: Albrecht Haller’s Patient Records (Berne 1731–1736). In: Gesnerus 53 (1996), S. 5–14. Bradford, Thomas: The Pioneers of Homoeopathy, Philadelphia 1897. Brähler, Elmar; Felder, Hildegard (Hrsg.): Weiblichkeit, Männlichkeit und Gesundheit, Opladen/Wiesbaden 2. Auflage 1999. Brähler, Elmar; Schumacher, Jörg; Felder, Hildegard: Die Geschlechtsabhängigkeit von Körperbeschwerden im Wandel der Zeit. In: Brähler, Elmar; Felder, Hildegard (Hrsg.): Weiblichkeit, Männlichkeit und Gesundheit, Opladen/Wiesbaden 2. Auflage 1999, S. 171–185. Bramkamp, Heinrich: Die Domvikare. In: Schröer, Alois (Hrsg.): Das Domkapitel zu Münster 1823–1973. Aus Anlaß seines 150jährigen Bestehens seit der Neuordnung durch die Bulle „De salute animarum“ im Auftrag des Domkapitels, Münster 1976, S. 441–455. Brehme, Sabine: Krankheit und Geschlecht. Syphilis und Menstruation in den frühen Krankenjournalen (1801–1809) Samuel Hahnemanns, Marburg 2006. Breitkopf, Helmut: Analyse von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Formen gesundheitsbezogener Figurationen als soziale Alltäglichkeit. In: Grunow, Dieter; Breitkopf, Helmut; Dahme, HeinzJürgen; Engler, Renate; Grunow-Lutter, Vera; Paulus, Wolfgang: Gesundheitsselbsthilfe im Alltag. Ergebnisse einer repräsentativen Haushaltsbefragung über gesundheitsbezogene Selbsthilfeerfahrungen und -potentiale, Stuttgart 1983, S. 61–94. Briesen, Detlef; Brunn, Gerhard; Elkar, Rainer; Reulecke, Jürgen: Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, Köln 1995 (Schriften zur politischen Landeskunde Nordrhein-Westfalens 9). Brockmeyer, Bettina: Schreibweisen des Selbst. Zur Geschichte der Wahrnehmungen und Darstellungen von Körper und Gemüt um 1830, Kassel 2007 (Phil. Diss.). Bruchhausen, Walter; Schott, Heinz: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Göttingen 2008. Brügelmann, Jan: Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779–1850. Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Gesundheitswesens, Berlin 1982 (Phil. Diss.). Buchholz, Werner: Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntnisgrenzen der geschichtlichen Landeskunde. Vorstellung der Konzeption und Einführung in die Beiträge. In: Buchholz, Werner (Hrsg.): Kindheit und Jugend in der Neuzeit 1500–1900. Interdisziplinäre Annäherungen an die Instanzen sozialer und mentaler Prägung in der Agrargesellschaft und während der In-
Quellen- und Literaturverzeichnis
461
dustrialisierung. Das Herzogtum Pommern (seit 1815 preußische Provinz) als Beispiel, Stuttgart 2000, S. 7–16. Buchmann, Werner: Grundlinien der Homöopathie in Hahnemanns Werk. Eine Einführung in Organon, Reine Arzneimittellehre und Chronische Krankheiten, Heidelberg 2000. Bulst, Neithard; Delort, Robert (Hrsg.): Maladies et Société (XIIe-XVIIIe siècles). Actes du colloque de Bielefeld novembre 1986, Paris 1989. Burghard, Klaus: Hundswuth und Wasserscheu. Die Tollwuttherapie im Jahrhundert vor Pasteur, Berlin 2000. Burnham, John: What is Medical History?, Cambridge 2005. Busche, Jens: Ein homöopathisches Patientennetzwerk im Herzogtum AnhaltBernburg. Die Familie von Kersten und ihr Umfeld in den Jahren 1831–35, München 2005 (Med. Diss.). Die Dissertation liegt mittlerweile unter demselben Titel gedruckt vor als Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 11, Stuttgart 2008. Bußmann, Johanna: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D6 (1806–1807). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 2002. Butke, Silke; Kleine, Astrid: Der Kampf für den gesunden Nachwuchs. Geburtshilfe und Säuglingsfürsorge im Deutschen Kaiserreich, Münster 2004. Cant, Sarah; Sharma, Ursula: A New Medical Pluralism? Alternative Medicine, Doctors, Patients and the State, London 1999. Cockayne, Edward; Stow, N. (Hrsg.): Stutter’s Casebook. A Junior Hospital Doctor 1839–1841, Woodbridge 2005. Coe, Rodney: Sociology of Medicine, New York/St. Louis/San Francisco/ London 1970. Conrad, Horst: Ein unbekannter Briefwechsel des ersten Coesfelder Landrates Clemens von Bönninghausen (1785–1864). In: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld 3 (1978) Heft 2, S. 5–28. Conrad, Horst: Friedrich Carl von und zu Brenken (1790–1867). Ein Beitrag zum ständischen Konservatismus. In: Westfälische Zeitschrift 133 (1983), S. 85–127. Cooter, Roger; Luckin, Bill (Hrsg.): Accidents in History. Injuries, Fatalities and Social Relations, Amsterdam/Atlanta 1997. Corbin, Alain: Auf den Spuren eines Unbekannten. Ein Historiker rekonstruiert ein ganz gewöhnliches Leben, Frankfurt am Main/New York 1999. Cowen, David; King, Louis; Lordi, Nicholas: Drug Use in the 19th Century. A Computer Analysis. In: Hickel, Erika; Schröder, Gerald (Hrsg.): Neue Beiträge zur Arzneimittelgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schneider zum 70. Geburtstag, Stuttgart 1982, S. 59–67. Dann, Hanns-Dietrich: Subjektive Theorien zum Wohlbefinden. In: Abele, Andrea; Becker, Peter (Hrsg.): Wohlbefinden. Theorie, Empirie, Diagnostik, Weinheim 1991, S. 97–117. Degenhardt, Annette; Thiele, Andreas: Biomedizinische und biopsychosoziale Modelle. In: Hurrelmann, Klaus; Kolip, Petra (Hrsg.): Geschlecht, Ge-
462
Quellen- und Literaturverzeichnis
sundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern/Göttingen/ Toronto/Seattle, S. 87–103. Deveugele, Myriam; Derese, Anselm; Brink-Muinen, Atie van den; Bensing, Jozien; De Maeseneer, Jan: Consultation Length in General Practice. Cross Sectional Study in Six European Countries. In: British Medical Journal 325 (2002), S. 472–477. Dieterich, Otto-Erich: Das Medizinalwesen der Stadt Münster i. W. von den Anfängen bis zur Gegenwart, Münster 1946 (Med. Diss., Mikrofiche). Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/ Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26). Digby, Anne: The Patient’s View. In: Loudon, Irvine (Hrsg.): Western Medicine, Oxford 1997, S. 291–305. Dimitriadis, George: Die Sicherheit der Methode des Therapeutischen Taschenbuchs von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 45 (2001), S. 96–115. Dimitriadis, George: Bönninghausens Therapeutisches Taschenbuch. Eine Fundgrube seiner klinischen Erfahrungen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 45 (2001), S. 223–237. Dimitriadis, George: Homoeopathic Diagnosis. Hahnemann through Bönninghausen an Introductional Manual with over Fifty Cases Illustrating the Application of the Bönninghausen Repertory Therapeutic Pocketbook Method, Sydney 2004. Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996. Dinges, Martin: Einleitung. Für eine neue Geschichte der Homöopathie. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen. Von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996, S. 7–20. Dinges, Martin: Einleitung. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. Länder, Schulen, Heilkundige, München 1996, S. 7–18. Dinges, Martin; Schüppel, Reinhart: Vom Nutzen der Homöopathiegeschichte insbesondere für den „ärztlichen Stand“. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 241 (1996), S. 11–26. Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5). Dinges, Martin: Introduction. Patients in the History of Homoeopathy. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 1–32. Dinges, Martin: Men’s Bodies ‘Explained’ on a Daily Basis in Letters from Patients to Samuel Hahnemann (1830–1835). In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 85–118.
Quellen- und Literaturverzeichnis
463
Dinges, Martin: Männlichkeitskonstruktion im medizinischen Diskurs um 1830. Der Körper eines Patienten von Samuel Hahnemann. In: Martschukat, Jürgen (Hrsg.): Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt am Main/ New York 2002, S. 99–125. Dinges, Martin: Social History of Medicine in Germany and France in the Late Twentieth Century. From History of Medicine toward a History of Health. In: Huisman, Frank; Warner, John (Hrsg.): Locating Medical History. The Stories and Their Meanings, Baltimore/London 2004, S. 209– 236. Dinges, Martin; Holzapfel, Klaus: Von Fall zu Fall. Falldokumentation und Fallredaktion Clemens von Bönninghausen und Annette von Droste-Hülshoff. In: Zeitschrift für klassische Homöopathie 48 (2004), S. 149–167. Dinges, Martin (Hrsg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 – ca. 2000, Stuttgart 2007 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 27). Dinges, Martin: Immer schon 60 % Frauen in den Arztpraxen? Zur geschlechtsspezifischen Inanspruchnahme des medizinischen Angebotes (1600–2000). In: Dinges, Martin (Hrsg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel 1850–2000, Stuttgart 2007 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 27), S. 295–322. Dinges, Martin; Barras, Vincent (Hrsg.): Krankheit in Briefen im deutschen und französischen Sprachraum 17.–21. Jahrhundert, Stuttgart 2007 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 29). Dinges, Martin: Historische Forschung und die aktuelle Diskussion zur Männergesundheit. In: Stiehler, Matthias; Klotz, Theodor (Hrsg.): Männerleben und Gesundheit. Eine interdisziplinäre, multiprofessionelle Einführung, Weinheim/München 2007, S. 24–35. Dinges, Martin: Arztpraxen 1500–1900. Zum Stand der Forschung. In: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/ Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26), S. 23– 62. Döhner, Otto: Krankheitsbegriff, Gesundheitsverhalten und Einstellungen zum Tod im 16. bis 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main/Bern/New York 1986 (Marburger Schriften zur Medizingeschichte 17). Dörner, Klaus: Diagnosen der Psychiatrie, Frankfurt am Main/New York 2. Auflage 1981. Dornheim, Jutta: „Mein Körper – wie eine Picasso-Figur“. Zur Funktion von Sprachbildern in Gesprächen über Krankheit und Befinden. In: Der Deutschunterricht 39 (1987) Heft 6, S. 83–101. Drees, Annette: Blutiges Handwerk – klinische Chirurgie. Zur Entwicklung der Chirurgie 1750–1920, Münster 1989. Drees, Annette: Vom handwerklichen Wundarzt zum studierten Spezialisten. Der Aufstieg der Chirurgen. In: Drees, Annette: Blutiges Handwerk – kli-
464
Quellen- und Literaturverzeichnis
nische Chirurgie. Zur Entwicklung der Chirurgie 1750–1920, Münster 1989, S. 11–21. Drese, Volkmar: Kirchenbücher. Historischer Abriß und Benutzungshinweise. In: Ribbe, Wolfgang; Henning, Eckart (Hrsg.): Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt an der Aisch 11. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage 1995, S. 113–141. Druwe, Ulrich: Studienführer Politikwissenschaft, Neuried 2. Auflage 1994. Duden, Barbara: Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987. Duden. Die deutsche Rechtschreibung, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 22. Auflage 2000. Düwell, Kurt; Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Band 1. Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung, Wuppertal 1983. Duffin, Jacalyn: A Rural Practice in Nineteenth-Century Ontario. The Continuing Medical Education of James Miles Langstaff. In: Canadian Bulletin of Medical History 5 (1988), S. 3–28. Duffin, Jacalyn: Langstaff. A Nineteenth-Century Medical Life, Toronto/Buffalo/London 1999. Duffin, Jacalyn: History of Medicine. A Scandalously Short Introduction, Hampshire/London 2000. Dumont, Franz: Nicht nur Hölderlin. Das ärztliche Besuchsbuch Soemmerrings als Quelle für sein soziales Umfeld in Frankfurt am Main. In: Medizinhistorisches Journal 28 (1993), S. 123–153. Eckart, Wolfgang: Geschichte der Medizin, Berlin/Heidelberg/New York 1990. Eckart, Wolfgang: Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755–1843) und die medizinischen Konzepte seiner Zeit. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 237 (1992), S. 3–8 und S. 62–74. Eckart, Wolfgang; Jütte, Robert: Medizingeschichte. Eine Einführung, Köln/ Weimar/Wien 2007. Eckart, Wolfgang; Jütte, Robert: Medizingeschichte. Aspekte, Aufgaben, Arbeitsweisen. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (2008) Heft 2, S. 76–84. Ehinger, Gabriele: Das homöopathische Praxistagebuch von Samuel Hahnemann (1755–1843) aus den Jahren 1831/32. Transkription und Kommentar zum Krankenjournal D36 (9. Juni 1831–7. September 1832), Berlin 2003 (Med. Diss.). Ellerbrock, Dagmar: Geschlecht, Gesundheit und Krankheit in historischer Perspektive. In: Hurrelmann, Klaus; Kolip, Petra (Hrsg.): Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern/Göttingen/ Toronto/Seattle, S. 118–141. Ellerkamp, Marlene: Industriearbeit, Krankheit und Geschlecht, Göttingen 1991 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 95).
Quellen- und Literaturverzeichnis
465
Ellermeyer, Jürgen: „Schichtung“ und „Sozialstruktur“ in spätmittelalterlichen Städten. Zur Verwendbarkeit sozialwissenschaftlicher Kategorien in historischer Forschung. In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 125–149. Engel, Regina: Das Patientengut eines praktischen Arztes um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Gezeigt am Beispiel des Patientenjournals von Dr. Heinrich Grotjahn in Schladen am Harz, Berlin 1978 (Med. Diss.). Ernst, Elmar: Das „industrielle“ Geheimmittel und seine Werbung. Arzneifertigwaren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Würzburg 1975 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 12). Ernst, Katharina: Patientengeschichte. Die kulturhistorische Wende in der Medizinhistoriographie. In: Bröer, Ralf (Hrsg.): Eine Wissenschaft emanzipiert sich. Medizinhistoriographie von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Pfaffenweiler 1999 (Neuere Medizin- und Wirtschaftsgeschichte 9), S. 97– 108. Esser, Ottilie: Der praktische Arzt im Rheinland um 1750–1850, Bonn 1963 (Med. Diss.). Eßer, Raingar; Fuchs, Thomas (Hrsg.): Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003 (Aufklärung und Europa 11). Eulner, Hans-Heinz: Das Spezialistentum in der ärztlichen Praxis. In: Artelt, Walter; Rüegg, Walter (Hrsg.): Der Arzt und der Kranke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, S. 17–34. Eyll, Klara van: Stadtadressbücher als Quelle für die wirtschafts- und sozialhistorische Forschung. Das Beispiel Köln. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 24 (1979) Heft 3, S. 12–26. Faltin, Thomas: Heil und Heilung. Geschichte der Laienheilkundigen und Struktur antimodernistischer Weltanschauung in Kaiserreich und Weimarer Republik am Beispiel Eugen Wenz (1856–1945), Stuttgart 2000 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 15). Faure, Olivier: La Clientèle d’un homéopathe Parisien au XXe siècle. Recherche sur les patients de L. Vannier 1928–1948. In: Faure, Olivier (Hrsg.): Praticiens, patients et militants de l’homéopathie (1800–1940), Lyon 1992, S. 175–196. Faure, Olivier: Eine zweite Heimat für die Homöopathie. Frankreich. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. Länder, Schulen, Heilkundige, München 1996, S. 48–73. Ferber, Liselotte von: Die Diagnose des praktischen Arztes im Spiegel der Patientenangaben, Stuttgart 1971. Ferber, Liselotte von (Hrsg.): Die ambulante ärztliche Versorgung im Spiegel der Verwaltungsdaten einer Ortskrankenkasse, Stuttgart 1988. Fichtner, Gerhard: Das Problem der Schweigepflicht und der Historiker. In: Meyer, Dietrich; Hey, Bernd (Hrsg.): Akten betreuter Personen als archivische Aufgabe. Beratungs- und Patientenakten im Spannungsfeld von Persönlichkeitsschutz und historischer Forschung, Neustadt an der Aisch 1997
466
Quellen- und Literaturverzeichnis
(Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 25), S. 111–122. Fischbach-Sabel, Ute: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D34 (1830). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 1998. Fischer, Ulrich: Die Chronischen Miasmen Hahnemanns. Grundgedanken zum Verständnis und zur Therapie chronischer Krankheiten aus homöopathischer Sicht, Karlsruhe 1993 geänderter Nachdruck von 2002. Fischer, Ulrich: Fallanalyse und Repertorisation mit der Computerversion des Therapeutischen Taschenbuchs C. v. Bönninghausens. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 248 (2003), S. 244–248. Fischer-Homberger, Esther: Hysterie und Misogynie. Ein Aspekt der Hysteriegeschichte. In: Gesnerus 26 (1969), S. 117–127. Fischer-Homberger, Esther: Medizin vor Gericht. Gerichtsmedizin von der Renaissance bis zur Aufklärung, Bern/Stuttgart/Wien 1983. Fischer-Homberger, Esther: Krankheit Frau. Aus der Geschichte der Menstruation in ihrem Aspekt als Zeichen eines Fehlers (1974/1978). In: FischerHomberger, Esther: Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen, Darmstadt/Neuwied 1984, S. 34–70. Flach, A.; Ehlers, C.; Schmolke, H.; Dinkelacker, M.: Die Unfallgefährdung im Kindesalter. In: Rehbein, Friedrich (Hrsg.): Der Unfall im Kindesalter. Klinik, Rehabilitation, Prophylaxe, Stuttgart 1972 (Zeitschrift für Kinderchirurgie und Grenzgebiete Supplementband 11), S. 41–55. Flick, Uwe (Hrsg.): Wann fühlen wir uns gesund. Subjektive Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit, Weinheim/München 1998. Frank, Michael: Trunkene Männer und nüchterne Frauen. Zur Gefährdung von Geschlechterrollen durch Alkohol in der Frühen Neuzeit. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998, S. 187–212. Frei, Heiner: Die Rangordnung der Symptome von Hahnemann, Bönninghausen, Hering und Kent evaluiert anhand von 175 Kasuistiken. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 43 (1999), S. 143–155. Frevert, Ute: Krankheit als politisches Problem 1770–1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung, Göttingen 1984 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 62). Friedländer, E.: Bönninghausen, Clemens Maria Franz v. B. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 3, Leipzig 1876, S. 131–132. Die Allgemeine deutsche Biographie kann mittlerweile online abgerufen werden unter: http://mdz1.bib-bvb.de/~ndb/adb_index.html, Zugriff vom 5. März 2009. Gehrke, Christian: Die Patientenbriefe der Mathilde von Berenhorst (1808– 1874). Edition und Kommentar einer Krankengeschichte von 1832–1833, Göttingen 2000 (Med. Diss.). Gehrke, Christian: Arzt-Patientenbeziehung und medizinische Vorstellungen von Patienten im 18. und 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 45 (2001), S. 238–245.
Quellen- und Literaturverzeichnis
467
Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Zwischenbilanz zur Vereinigung, Opladen 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage 1996. Gellner, Winand; Schmöller, Michael (Hrsg.): Neue Patienten – Neue Ärzte? Ärztliches Selbstverständnis und Arzt-Patienten-Beziehung im Wandel, Baden-Baden 2008. Genneper, Thomas: Die Behandlung einer epidemischen Krankheit durch C. v. Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 34 (1990), S. 37–42. Genneper, Thomas: Als Patient bei Samuel Hahnemann. Die Behandlung Friedrich Wiecks in den Jahren 1815/1816, Heidelberg 1991 (Med. Diss.). Genneper, Thomas: Die externe Anwendung homöopathischer Arzneien. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 46 (2002), S. 93–100. Gerhardt, Uta: Krankheits- und Patientenkarrieren. In: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Keupp, Heiner; Rosenstiel, Lutz von; Wolff, Stephan (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendung, München 1991, S. 312–316. Germann, Peter: Freiherr Clemens von Bönninghausen. Der treueste Schüler Hahnemanns. In: HP-Journal Fachzeitschrift für Naturheilkunde 23 (1993), S. 10–15. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheitsbericht für Deutschland von 1998. Der Bericht ist online einsehbar unter: http://www.gbebund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gastf&p_aid=&p_ knoten=FID&p_sprache=D&p_suchstring=832, Zugriff vom 16. November 2008. Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit in Deutschland. Zusammenfassung, Berlin 2006, www.bagso.de/fileadmin/Aktuell/Aus_den_ Ministerien/gesundheitsbericht_kurzfassung.pdf, Zugriff vom 19. Januar 2009. Gijswijt-Hofstra, Marijke: Homeopathy’s Early Dutch Conquests. The Rotterdam Clientele of Clemens von Bönninghausen in the 1840s and 1850s. In: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 51 (1996), S. 155183. Gillis, Jonathan: The History of the Patient History since 1850. In: Bulletin of the History of Medicine 80 (2006), S. 490–511. Gördes, Elisabeth: Heilkundige in Münster i. W. im 16. und 17. Jahrhundert, Münster 1917 (Med. Diss.). Goltz, Dietlinde: Krankheit und Sprache. In: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 53 (1969), S. 225–269. Gosmann, Hans-Ulrich: Kommentiertes Literaturverzeichnis zur Bönninghausen-Methodik. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 248 (2003), S. 257–260. Goubert, Jean-Pierre: La Médicalisation de la Société Française 1770–1830, Waterloo 1982.
468
Quellen- und Literaturverzeichnis
Grimm, Andreas: Von manuellem zu maschinellem Potenzieren. Geschichte und Entwicklung von Potenziermaschinen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 5 (1994), S. 192–200. Grimm, Jakob; Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, 16 Bände, Leipzig 1854–1960. Alle Bände sind online abrufbar unter: http://germazope.unitrier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GA00001, Zugriff vom 3. Februar 2009. Grobe, Thomas; Dörning, Hans; Schwartz, Friedrich: GEK-Report ambulantärztliche Versorgung 2008. Auswertung der GEK-Gesundheitsberichterstattung, St. Augustin 2008. Der Bericht ist online abrufbar unter: https:// www.gek.de/x-medien/dateien/magazine/GEK-Report-Ambulant-Aerztliche-Versorgung-2008.pdf, Zugriff vom 17. Januar 2009. Gründer, Horst: Arme, Armut und Armenwesen in der Stadt Münster im 19. Jahrhundert. In: Westfälische Zeitschrift 139 (1989), S. 161–178. Grütters, Ruth: Kranksein in der frühen Neuzeit. Medizinalwesen und Krankheitswahrnehmung in der Bischofsstadt Münster (16.–17. Jahrhundert), Bonn 1994 (MA Arbeit). Grunow, Dieter; Breitkopf, Helmut; Dahme, Heinz-Jürgen; Engler, Renate; Grunow-Lutter, Vera; Paulus, Wolfgang: Gesundheitsselbsthilfe im Alltag. Ergebnisse einer repräsentativen Haushaltsbefragung über gesundheitsbezogene Selbsthilfeerfahrungen und -potentiale, Stuttgart 1983. Günther, Martina: Der homöopathische Patient in der niedergelassenen Arztpraxis. Ergebnisse einer vergleichenden Patientenbefragung in konventionellen Arztpraxen und homöopathischen Privat- und Kassenpraxen. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 18 (1999), S. 119–136. Günther, Martina; Römermann, Hans: The Homoeopathic Patient in General Practice. Findings of a Comparative Poll of Patients in Conventional Medical Practices and Homoeopathic Private and Health Insurance Scheme Practices. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 281–299. Gukenbiehl, Hermann: Soziologie als Wissenschaft. Warum Begriffe lernen? In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. erweiterte und aktualisierte Auflage 2000, S. 11–23. Gutman, William: Die Fallaufnahme in der Homöopathie. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 5 (1961), S. 1–19. Gypser, Klaus-Henning: Wie lautet v. Bönninghausens Vorname richtig? In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 26 (1982), S. 198. Gypser, Klaus-Henning: Clemens Maria Franz von Bönninghausen. In: Bönninghausen, Clemens von: Bönninghausens Kleine medizinische Schriften. Hrsg. von Klaus-Henning Gypser, Heidelberg 1984, S. 13–28. Gypser, Klaus-Henning: Gedanken zur Anamnese in der Homöopathie. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 31 (1987), S. 91–95.
Quellen- und Literaturverzeichnis
469
Gypser, Klaus-Henning: Editorial. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989), S. 1–2. Gypser, Klaus-Henning: Generalregister zu den Werken Bönninghausens, Heppenheim 1992. Habrich, Christa: Pathographische und ätiologische Versuche medizinischer Laien im 18. Jahrhundert. In: Eckart, Wolfgang; Geyer-Kordesch, Johanna (Hrsg.): Heilberufe und Kranke im 17. und 18. Jahrhundert. Die Quellenund Forschungssituation, Münster 1982 (Münstersche Beiträge zur Geschichte und Theorie der Medizin 18), S. 99–123. Hackl, Monnica: Als-ob-Symptome in der Homöopathie. Repertorium und Materia medica, Stuttgart 2. Auflage 1996. Hadorn, Walter (Hrsg.): Vom Symptom zur Diagnose. Lehrbuch der medizinischen Symptomatologie, Basel/New York 4. Auflage 1965. Haehl, Richard: Samuel Hahnemann. Sein Leben und Schaffen, Zwei Bände, Leipzig 1922. Hähner-Rombach, Sylvelyn: Sozialgeschichte der Tuberkulose. Vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter besonderer Berücksichtigung Württembergs, Stuttgart 2000 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 14). Hähner-Rombach, Sylvelyn (Hrsg.): „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser, Stuttgart 2005 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 25). Hallauer, Johannes; Beske, Fritz (Hrsg.): Diagnose- und Therapiestandards in der Medizin. IGSF-Symposium Bonn 22. September 1997, Würzburg 1998. Handley, Rima: Auf den Spuren des späten Hahnemanns. Hahnemanns Pariser Praxis im Spiegel der Krankenjournale, Stuttgart 2001. Hartmann, Fritz: Krankheitsgeschichte und Krankengeschichte. Naturhistorische und personale Krankheitsauffassung. In: Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg (Hrsg.): Marburger Sitzungsberichte 87 (1966) Heft 2, S. 17–32. Haunfelder, Bernd: Münster. Geschichte in Bildern, Münster 2. Auflage 1994. Haunfelder, Bernd: Die Preußen in Münster 1815–1870, Münster 1998 (Geschichte original am Beispiel der Stadt Münster 22). Haushofer, Max: Lehr- und Handbuch der Statistik in ihrer neusten wissenschaftlichen Entwicklung, Wien 1872. Hegel, Eduard: Clemens August Freiherr Droste zu Vischering. In: Westfälische Lebensbilder 10 (1970), S. 76–103. Heggen, Alfred: Alkohol und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Eine Studie zur deutschen Sozialgeschichte, Berlin 1988 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 64). Heischkel, Edith: Der Alltag des Arztes. In: CIBA-Zeitschrift 7 (1956) Heft 80 Der Arzt in der Goethezeit, S. 2665–2671. Heinrich, Hella: Betrachtungen über die Erstellung der revidierten Fassung des „Therapeutischen Taschenbuches“ von Clemens von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 45 (2001), S. 124–130.
470
Quellen- und Literaturverzeichnis
Held, Christa: Medizinisches Außenseitertum in der Frühzeit der naturwissenschaftlichen Medizin dargestellt an Leben und Werk von Prof. Dr. Georg Rapp (1818–1886), Frankfurt am Main 1999 (Med. Diss.). Held, W.: Das „Versehen“ der Frauen. In: Vorträge für die homöopathischen Vereine, Vortrag Nr. 68 1928, S. 1–4. Hellwig, Gerhard: Lexikon der Maße und Gewichte, Gütersloh 1983. Helmert, Friedrich: Die residierenden Domkapitulare. In: Schröer, Alois (Hrsg.): Das Domkapitel zu Münster 1823–1973. Aus Anlaß seines 150jährigen Bestehens seit der Neuordnung durch die Bulle „De salute animarum“ im Auftrag des Domkapitels, Münster 1976, S. 352–409. Hembry, Phyllis: The English Spa 1560–1815. A Social History, London 1990. Hendel-Kramer, Anneliese; Siegrist, Johannes: Soziale und psychische Determinanten des Krankheitsverhaltens. In: Siegrist, Johannes; Hendel-Kramer, Anneliese (Hrsg.): Wege zum Arzt. Ergebnisse medizinsoziologischer Untersuchungen zur Arzt-Patientenbeziehung, München/Wien/Baltimore 1979 (Medizin und Sozialwissenschaften 4), S. 24–55. Henne, Heinz: Probleme um die ärztliche Diagnose als Grundlage für die Therapie zu Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Habrich, Christa; Marguth, Frank; Wolf, Jörn (Hrsg.): Medizinische Diagnostik in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Heinz Goerke zum sechzigsten Geburtstag, München 1978, S. 283–296. Herberhold, Franz: Archivverzeichnis Haus Welbergen. Akten, Münster 1980 (Westfälische Quellen und Archivverzeichnisse 4). Hering, Sabine; Maierhof, Gudrun: Die unpässliche Frau. Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene 1860–1985, Pfaffenweiler 1991. Herzlich, Claudine; Pierret, Janine: Kranke gestern, Kranke heute. Die Gesellschaft und das Leiden, München 1991. Hickmann, Reinhard: Das psorische Leiden der Antonie Volkmann. Edition und Kommentar einer Krankengeschichte aus Hahnemanns Krankenjournalen von 1819–1831, Würzburg 1993 (Med. Diss.). Hickmann, Reinhard: Die Volkmannin (1796–1863). Neun Jahre in Behandlung beim Begründer der Homöopathie. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen. Von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996, S. 45–67. Hippel, Wolfgang von; Mocker, Ute; Schraut, Sylvia: Wohnen im Zeitalter der Industrialisierung. Esslingen am Neckar 1800–1914. In: Esslinger Studien 26 (1987), S. 47–270. [Hirschel, Bernhard]: Literaturbesprechung. C. v. Boenninghausen. Die Aphorismen des Hippokrates nebst den Glossen eines Homöopathen. In: Neue Zeitschrift für homöopathische Klinik 9 (1864), S. 69–70 und S. 84–86. Hochadel, Oliver: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen 2003. Höfler, Max: Deutsches Krankheitsnamen-Buch, München 1899 (Neudruck Hildesheim/New York 1970).
Quellen- und Literaturverzeichnis
471
Hörsten, Iris von: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D2-D4 (1801–1803). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 2004. Hoffmann, Susanne: Gesundheit und Krankheit bei Ulrich Bräker (1735–1798), Dietikon 2005 (Züricher Medizingeschichtliche Abhandlungen 297). Hoffmann, Susanne: Gesunder Alltag im 20. Jahrhundert? Geschlechterspezifische Diskurse und gesundheitsrelevante Verhaltensstile in deutschsprachigen Ländern, Stuttgart 2010 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 36). Hoffmann-Axthelm, Walter: Die Geschichte der Zahnheilkunde, Freiburg 2. Auflage 1985. Hoffmann-Richter, Ulrike; Finzen, Asmus: Die Krankengeschichte als Quelle. Zur Nutzung der Krankengeschichte als Quelle für Wissenschaft und psychiatrischen Alltag. In: Bios 11 (1998), S. 280–297. Hofmann, Robert: Clemens Maria Franz v. Bönninghausen (1785–1864). Homöopath und Universalgelehrter. In: Patientenforum. Zeitschrift für Homöopathie 2006 Heft 4, S. 6–7. Holling, Andreas: Ein Denkmal für Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864). In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 49 (2005), S. 177– 179. Holzapfel, Klaus: Clemens v. Bönninghausen und die Sicherheit der Arzneiverordnung. 155 Jahre Therapeutisches Taschenbuch. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 44 (2000), S. 135–154. Holzapfel, Klaus: Inkongruenzen und Abweichungen des Manuskripts von der gedruckten Version des Therapeutischen Taschenbuches von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 44 (2000), S. 187–194. Holzapfel, Klaus: „Rosenrothe Knoten“ und „Entzündete Wülste“. Ein Beitrag zu Begriffsklärungen in Bönninghausens Therapeutischem Taschenbuch (1846). In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 44 (2000), S. 239–250. Holzapfel, Klaus: Stellungnahme zum Artikel von G. Dimitriadis: Die Sicherheit der Methode des Therapeutischen Taschenbuchs von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 45 (2001), S. 116–123. Hradil, Stefan: Soziale Ungleichheit, soziale Schichtung und Mobilität. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. erweiterte und aktualisierte Auflage 2000, S. 193–215. Hueck, Silve-Maria von: Genealogisches Handbuch des Adels. Gesamtverzeichnis der Bände 1–127, Limburg an der Lahn 2002. Huerkamp, Claudia: Ärzte und Professionalisierung in Deutschland. Überlegungen zum Wandel des Arztberufs im 19. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 349–382. Huerkamp, Claudia: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten. Das Beispiel Preußens, Göttingen 1985 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 68). Huerkamp, Claudia: Ärzte und Patienten. Zum strukturellen Wandel der ArztPatient-Beziehung vom ausgehenden 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert.
472
Quellen- und Literaturverzeichnis
In: Labisch, Alfons; Spree, Reinhard (Hrsg.): Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, Bonn 1989, S. 57–73. Hugenroth, Hermann (Hrsg.): Zum dichterischen Werk des münsterschen Arztes und Humanisten Bernhard Rottendorff (1594–1671), Münster 1991 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 15). Hunnius, Curt: Pharmazeutisches Wörterbuch, Berlin 5. Auflage 1975. Hurrelmann, Klaus; Kolip, Petra (Hrsg.): Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern/Göttingen/Toronto/Seattle 2002. Imhof, Arthur; Schumacher, Helmut: Todesursachen. In: Imhof, Arthur (Hrsg.): Historische Demographie als Sozialgeschichte. Gießen und Umgebung vom 17. zum 19. Jahrhundert, Teil 1, Darmstadt/Marburg 1975 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 31), S. 559–625. Imhof, Arthur; Larsen, Øivind (Hrsg.): Sozialgeschichte und Medizin. Probleme der quantifizierenden Quellenbearbeitung in der Sozial- und Medizingeschichte, Oslo/Stuttgart 1976 (Medizin in Geschichte und Kultur 12). Imhof, Arthur: Einführung in die Historische Demographie, München 1977. Imhof, Arthur: Die gewonnenen Jahre. Von der Zunahme unserer Lebensspanne seit dreihundert Jahren oder von der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben, München 1981. Imhof, Arthur: Die verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren und warum wir uns heute so schwer damit tun, München 1984. Imhof, Arthur: Methodological Problems in Modern Urban History Writing. Graphics Representations of Urban Mortality 1750–1850. In: Porter, Roy; Wear, Andrew (Hrsg.): Problems and Methods in the History of Medicine, London/New York/Sydney 1987, S. 101–132. Imhof, Arthur: Mortalität in Berlin vom 18. bis 20. Jahrhundert. In: Münch, Ranghild (Hrsg.): Pocken. Zwischen Alltag, Medizin und Politik. Begleitbuch zur Ausstellung, Berlin 1994, S. 81–91. Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Münster wird preußisch, Münster 1992. Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Drei Bände, Münster 1993. Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Stadtgesellschaft im Wandel. Untersuchungen zur Sozialgeschichte Münsters im 19. und 20. Jahrhundert, Münster 1995. Jakobi, Franz-Josef; Lambacher, Hannes; Metzdorf, Jens; Winzer, Ulrich (Hrsg.): Stiftungen und Armenfürsorge in Münster vor 1800, Münster 1996 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 17/1). Jansen, Andreas: Bönninghausens therapeutische Hinweise. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 39 (1995), S. 179–185. Jansen, Andreas: Das „Bettpissen“ und der „unwillkürliche (unwiderstehliche) Harnabgang“ in der homöopathischen Literatur zu Bönninghausens Zeiten, Zwei Teile. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 41 (1997), S. 13–20 und S. 103–118.
Quellen- und Literaturverzeichnis
473
Jansen, Andreas: Die charakteristischen Symptome von Arsenicum album nach Clemens von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 42 (1998), S. 241–242. Jansen, Andreas: Die charakteristischen Symptome von Ignatia amara nach Clemens von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 43 (1999), S. 76–77. Jansen, Andreas: Die charakteristischen Symptome von Belladonna nach Clemens von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 43 (1999), S. 247–250. Jansen, Andreas: Die charakteristischen Symptome von Sepia nach Clemens von Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 44 (2000), S. 72–75. Jarnot, Sabine: Die Salzstraße mit Lambertikirchplatz, Hölzernes Wams, Bolandsgasse, Winkelstraße, Arztkarrengasse, Servatiikirchplatz, Kleiboltengasse und Loergasse. Häuserbuch der Stadt Münster, Band 2, Münster 2001 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 20/2). Jörgens, Appollinaris: Ludowine von Haxthausen 1794–1872. In: Westfälische Zeitschrift 141 (1991), S. 407–438. John, Alfred: Tierischer Magnetismus und Schulmedizin in Bremen während der Aufklärung, Frankfurt am Main 1997 (Marburger Schriften zur Medizingeschichte 35). Jütte, Robert: Patient und Heiler in der vorindustriellen Gesellschaft. Krankheits- und Gesundheitsverhalten im frühneuzeitlichen Köln, Bielefeld 1989 (Habilitationsschrift). Jütte, Robert: A Seventeenth-Century German Barber-Surgeon and his Patients. In: Medical History 33 (1989), S. 184–198. Jütte, Robert: Sozialgeschichte der Medizin. Inhalte, Methoden, Ziele. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 9 (1990), S. 149–164. Jütte, Robert: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München/Zürich 1991. Jütte, Robert: Paganinis Besuch bei Hahnemann. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 237 (1992), S. 191–200. Jütte, Robert: Vom medizinischen Kasus zur Krankengeschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Juni 1992, S. N4. Jütte, Robert: Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute, München 1996. Jütte, Robert: Samuel Hahnemanns Patientenschaft. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen. Von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996, S. 23–45. Jütte, Robert: Wo alles anfing. Deutschland. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Weltgeschichte der Homöopathie. Länder, Schulen, Heilkundige, München 1996, S. 19–47.
474
Quellen- und Literaturverzeichnis
Jütte, Robert: „La douleur des dents est la plus grande“. Zur Geschichte des Zahnschmerzes in der Frühen Neuzeit. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 15 (1996), S. 37–54. Jütte, Robert: „10 bis 20 Kranke füllen täglich das Vorzimmer…“. Quellenkundliche Skizzen zu Samuel Hahnemanns Patientenschaft. In: Hahnemann-Lutze-Verein e.V. Köthen/Anhalt (Hrsg.): Homöopathie in Köthen. 2. Köthener Homöopathietage Ratke-Institut Köthen 4.7. bis 6.7.1997, Köthen 1997, S. 15–22. Jütte, Robert: The Paradox of Professionalisation. Homeopathy and Hydrotherapy as Unorthodoxy in Germany in the 19th and 20th Century. In: Jütte, Robert; Risse, Guenter; Woodward, John (Hrsg.): Culture, Knowledge and Healing. Historical Perspectives of Homeopathic Medicine in Europe and North America, Sheffield 1998 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 4), S. 65–88. Jütte, Robert: Case Taking in Homoeopathy in the 19th and 20th Centuries. In: British Homoeopathic Journal 87 (1998), S. 39–47. Jütte, Robert: „Und es sammelte sich ohne Verdruß von Seiten des Kranken in des Arztes Beutel“. Samuel Hahnemann und die Honorarfrage. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 18 (1999), S. 149–167. Jütte, Robert: „And [the money] accumulates, without annoyance on the part of the patient, in the doctor’s purse”. Samuel Hahnemann and the Question of Fees. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 33–51. Jütte, Robert: Homöopathie. Eine Heilkunde und ihre Geschichte. Ausstellung des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart, Stuttgart 2006. Jütte, Robert: Samuel Hahnemann. Begründer der Homöopathie, München 3. Auflage 2007. Jütte, Robert: Die Arzt-Patient-Beziehung im Spiegel der Krankenjournale Samuel Hahnemanns. In: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26), S. 109–145. Jungnitz, Bernhard: Die konfessionellen Krankenhäuser der Stadt Münster im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, Herzogenrath 1981 (Studien zur Geschichte des Krankenhauswesens 18). Kaplan, Brian: Fallaufnahme. Methodologie und Flexibilität. In: Von der Anamnese zur Arzneimittelverordnung. Beiträge vom 60. Kongress der Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis, Berlin 2005, Zeitschrift für Klassische Homöopathie 49 (2005), S. S5–S16. Kaspar, Fred: Brunnenkur und Sommerlust. Gesundbrunnen und Kleinbäder in Westfalen, Bielefeld 1993.
Quellen- und Literaturverzeichnis
475
Kasper-Holtkotte, Cilli: Ein Intellektueller zwischen den Zeiten. Der Trierer Arzt Lion Nathan Bernkastel (1768/73–1840). In: Menora 4 (1993), S. 141– 175. Kass, Amalie: The Obstetrical Casebook of Walter Channing 1811–1822. In: Bulletin of the History of Medicine 67 (1993), S. 494–523. Kathstede, Gerhard: Die soziale Struktur der Patientenschaft des Clemenshospitals in Münster von 1754 bis 1765, Münster 1973 (Schriftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an der Grundschule und Hauptschule). Kaufmann, Constantin: Handbuch der Unfallmedizin, Zwei Bände, Stuttgart 4. Auflage 1919/25. Keinemann, Friedrich: Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, Zwei Bände, Münster 1974 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung 14). Keinemann, Friedrich: Das Kölner Ereignis und die Kölner Wirren (1837–41). Weichenstellungen, Entscheidungen und Reaktionen mit besonderer Berücksichtigung Westfalens. Ein Nachtrag zu Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, Hamm 1986 (gedrucktes Manuskript). Keinemann, Friedrich: Vom Krummstab zur Republik. Westfälischer Adel unter preußischer Herrschaft 1802–1945, Bochum 1997 (Dortmunder Historische Studien 18). Keinemann, Friedrich: Westfalen, die Julirevolution und der dritte westfälische Landtag. Ein Vorspiel der Revolution von 1848, Norden 2005. Keinemann, Friedrich: Von den Freiheitskriegen zur Julirevolution. Westfalen im frühen 19. Jahrhundert, Norden 2006. Keller, Georg von: Über die Aufzeichnung des Krankheitsbildes. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989), S. 27–36. Kill, Susanne: Das Bürgertum in Münster 1770–1870. Bürgerliche Selbstbestimmung im Spannungsfeld von Kirche und Staat, München 2001. Killy, Walther (Hrsg.): Bönninghausen, Klemens Maria Franz Frh. von. In: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Band 1, München/New Providence/London/Paris 1995, S. 631. King, Arthur; Fooks, Anthony; Aubert, M.; Wandeler, Alexander (Hrsg.): Historical Perspective of Rabies in Europe and the Mediterranean Basin. A Testament to Rabies by Dr. Arthur A. King, Paris 2004. Kinzelbach, Annemarie: Gesundbleiben, Krankwerden, Armsein in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Gesunde und Kranke in den Reichsstädten Überlingen und Ulm 1500–1700, Stuttgart 1995 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 8). Kirchhoff, Karl-Heinz: Die Stadt Münster. Geschichte und heutige Struktur, Münster 5. Auflage 1979. Kirchhoff, Karl-Heinz: Der Prinzipalmarkt mit Michaelisplatz, Gruetgasse, Syndikatgasse und Syndikatplatz. Häuserbuch der Stadt Münster, Band 1,
476
Quellen- und Literaturverzeichnis
Münster 2001 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 20/1). Kirste, Hans: Der Tageslauf eines Nürnberger praktischen Arztes um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des praktischen Arztes. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 84 (1937), S. 1910–1912. Klatte, Elisabeth: Wasser schafft der Heilkraft Bahn. Ein Tagebuch aus der Prießnitzschen Wasserkuranstalt. In: Hähner-Rombach, Sylvelyn (Hrsg.): „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser, Stuttgart 2005 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 25), S. 137–161. Kleij, Thomas: Zur Entwicklungs- und Herstellungsgeschichte der Hoffmannstropfen, Dresden 2001 (Med. Diss.). Klötzer, Ralf: Kleiden, Speisen, Beherbergen. Armenfürsorge und soziale Stiftungen in Münster im 16. Jahrhundert (1535–1588), Münster 1997 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 17/3). Klunker, Will: Editorial. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 29 (1985), S. 45–46. Klunker, Will: Propädeutische und therapeutische Hinweise in C. v. Bönninghausens Glossen zu Hippokrates. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989), S. 139–146. Klunker, Will: Clemens von Bönninghausen und die Zukunft von Hahnemanns Miasmenlehre für die Behandlung chronischer Krankheiten. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 34 (1990), S. 229–236. Klunker, Will: Zu Bönninghausens Methodik der Mittelwahl. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 39 (1995), S. 91–104. Klunker, Will: Unbekannte Fieberrubriken Bönninghausens. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 39 (1995), S. 248–252. Kochanek, Doris: 29 Dinge, die Ihnen Ihr Arzt nicht sagt. In: Reader’s Digest Deutschland Januar 2009, S. 98–106. Köllmann, Wolfgang: Die Bevölkerung des Regierungsbezirks Münster im 19. Jahrhundert. In: Westfälische Forschungen 40 (1990), S. 195–222. Köster, Ingrid: Die Häufigkeit der ärztlichen Inanspruchnahme. In: Ferber, Liselotte von (Hrsg.): Die ambulante ärztliche Versorgung im Spiegel der Verwaltungsdaten einer Ortskrankenkasse, Stuttgart 1988, S. 383–398. Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 1. Von den Anfängen bis zum Ende des alten Reiches, Düsseldorf 1983 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 43). Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 2. Das 19. und das 20. Jahrhundert. Politik und Kultur, Düsseldorf 1983 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 43). Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 3. Das 19. und das 20. Jahrhundert. Wirtschaft und Gesellschaft, Düsseldorf 1984 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 43). Kohl, Wilhelm: Kleine Westfälische Geschichte, Düsseldorf 1994.
Quellen- und Literaturverzeichnis
477
Kohler, Walter: Quellen zur Statistik des Gesundheitswesens in Deutschland 1815–1938. In: Fischer, Wolfram; Kunz, Andreas (Hrsg.): Grundlagen der Historischen Statistik von Deutschland. Quellen, Methoden, Forschungsziele, Opladen 1991 (Schriften des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin 65), S. 290–291. Kolip, Petra; Hurrelmann, Klaus: Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Eine Einführung. In: Hurrelmann, Klaus; Kolip, Petra (Hrsg.): Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern/Göttingen/ Toronto/Seattle, S. 13–31. Kotok, Alexander: Homeopathy and the Russian Orthodox Clergy. Russian Homeopathy in Search of Allies in the Second Part of the 19th and Beginning of the 20th Centuries. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 16 (1997), S. 171–193. Kottwitz, Friedrich: Bönninghausens Leben. Hahnemanns Lieblingsschüler, Berg 1985. Krabbe, Wolfgang: Wirtschafts- und Sozialstruktur einer Verwaltungsstadt des 19. Jahrhunderts. Das Beispiel der Provinzialhauptstadt Münster. In: Düwell, Kurt; Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Band 1. Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung, Wuppertal 1983, S. 197–206. Kraus, Antje: Quellen zur Bevölkerungsstatistik Deutschlands 1815–1875, Boppard 1980 (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte 2). Krehnke, Walter: Der Gang der Cholera in Deutschland seit ihrem ersten Auftreten bis heute. In: Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Volksgesundheitsdienstes 49 (1937), S. 331–446. Krieger, Martin: Arme und Ärzte, Kranke und Kassen. Ländliche Gesundheitsversorgung und kranke Arme in der südlichen Rheinprovinz (1869 bis 1930), Stuttgart 2008 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 31). Künzli vom Fimmelsberg, Jost: Bönninghausens Zeitschriftenveröffentlichungen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989), S. 121–123. Küster, Thomas: Alte Armut und neues Bürgertum. Öffentliche und private Fürsorge in Münster von der Ära Fürstenberg bis zum Ersten Weltkrieg (1756–1914), Münster 1995 (Studien zur Geschichte der Armenfürsorge und der Sozialpolitik in Münster 2). Kuhlmann, Ellen: Gender-Theorien. In: Hurrelmann, Klaus; Kolip, Petra (Hrsg.): Geschlecht, Gesundheit, Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern/Göttingen/Toronto/Seattle, S. 104–117. Kunkle, Luise: Samuel Hahnemanns “mysteriöse“ Q-Potenzen. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 20 (2002), S. 213–220. Kunkle, Luise: Projekt von Bönninghausen. Zur Beweisführung der Wirksamkeit der Homöopathie. In: Homöopathie Zeitschrift 2006 Heft 2, S. 9–11. Kunkle, Luise: Evidence Based Medicine auf der Grundlage von Krankenakten. V. Bönninghausens Artikel „Triduum homoeopathicum“, 2 Teile. Online abrufbar: http://hpathy.de/papersnew/kunkle-evidence-based-medi-
478
Quellen- und Literaturverzeichnis
cine.asp sowie http://hpathy.de/papersnew/kunkle-evidence-based-medicine-1.asp, Zugriff vom 27. Dezember 2008. Kunkle, Luise: Von Bönninghausens Verschreibungspraxis. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 52 (2008), S. 172–178. Kutzer, Michael: „Das Intelligenzblatt, Herr Regazzoni und der Frosch“. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung der Schulmedizin mit dem „tierischen Magnetismus“ zu Justinus Kerners Zeiten. In: Schott, Heinz (Hrsg.): Medizin und Romantik. Justinus Kerner als Arzt und Seelenforscher. Beiträge zum internationalen wissenschaftlichen Symposion aus Anlaß des 200. Geburtstages von Justinus Kerner (1786–1862) vom 11.–13. September 1986 in Weinsberg 1990, Weinsberg 1991, S. 431–442. Labisch, Alfons: Zur Sozialgeschichte der Medizin. Methodologische Überlegungen und Forschungsbericht. In: Archiv für Sozialgeschichte 20 (1980), S. 431–469. Labisch, Alfons: Sozialgeschichte und Historische Soziologie der Medizin. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 10 (1987), S. 206–208. Labisch, Alfons: Homo hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt am Main/New York 1992. Labisch, Alfons; Spree, Reinhard (Hrsg.): „Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett.“ Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 1996. Labouvie, Eva: Unter Schmerzen gebären. Gedanken zur weiblichen Empfindung um die Geburt. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 15 (1996), S. 79–99. Lachmund, Jens: Der abgehorchte Körper. Zur historischen Soziologie der medizinischen Untersuchung, Opladen 1997. Lachmund, Jens; Stollberg, Gunnar (Hrsg.): The Social Construction of Illness, Stuttgart 1992 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 1). Lachmund, Jens; Stollberg, Gunnar: Patientenwelten. Krankheit und Medizin vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert im Spiegel von Autobiographien, Opladen 1995. Lahrkamp, Helmut (Hrsg.): Bevölkerung und Topographie Münsters um 1770, Münster 1980 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 10). Lahrkamp, Helmut: Unter dem Krummstab. Münster und das Münsterland nach dem Westfälischen Frieden bis zum Sturz Napoleons, Münster 1999. Lahrkamp, Monika: Münster in napoleonischer Zeit 1800–1815. Administration, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeichen von Säkularisation und französischer Herrschaft, Münster 1976 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 7/8). Lahrkamp, Monika: Die französische Zeit. In: Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 2. Das 19. und das 20. Jahrhundert. Politik und Kultur, Düsseldorf 1983, S. 1–43.
Quellen- und Literaturverzeichnis
479
Lane, Joan: John Hall and his Patients. The Medical Practice of Shakespeare’s Son-in-Law, Stratford-upon-Avon 1996. Langefeld, Willi; Spree, Reinhard: Organisation, Patienten und finanzielle Entwicklung des Clemens-Hospitals in Münster von 1820 bis 1914. In: Jakobi, Franz-Josef; Klötzer, Ralf; Lambacher, Hannes (Hrsg.): Strukturwandel der Armenfürsorge und der Stiftungswirklichkeiten in Münster im Laufe der Jahrhunderte, Münster 2002 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 17/4), S. 323–347. Larsen, Øivind: Case Histories in Nineteenth-Century Hospitals. What Do They Tell the Historians? Some Methodological Considerations with Special Reference to McKeown’s Criticism of Medicine. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 10 (1991), S. 127–148. Laqueur, Thomas: Solitary Sex. A Cultural History of Masturbation, New York 2003. Lechtape, Wilhelm: Die Bevölkerung der Stadt Münster in den hundert Jahren vor dem Weltkriege. Eine statistische Studie, Münster o. J. [1915]. Lerner, Paul: Hysterical Men. War, Psychiatry and the Politics of Trauma in Germany 1890–1930, London 2003. Leven, Karl-Heinz: Krankheiten. Historische Deutung versus retrospektive Diagnose. In: Paul, Norbert; Schlich, Thomas (Hrsg.): Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt am Main/New York 1998, S. 153–185. Lindemann, Mary: Health and Healing in Eighteenth-Century Germany, Baltimore 1996. Lindemann, Mary: Wie ist es eigentlich gewesen? Krankheit und Gesundheit um 1800. In: Wahrig, Bettina; Sohn, Werner (Hrsg.): Zwischen Aufklärung, Policey und Verwaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750–1850, Wiesbaden 2003 (Wolfenbütteler Forschungen 102), S. 191–207. Link-Heer, Ursula: „Männliche Hysterie“. Eine Diskursanalyse. In: Becher, Ursula; Rüsen, Jörn (Hrsg.): Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt am Main 1988, S. 364–396. Lippert, Herbert: Handbuch Anatomie. Textatlas, Hamburg 6. Auflage 2006. Loetz, Francisca: Histoire des mentalités und Medizingeschichte. Wege zu einer Sozialgeschichte der Medizin. In: Medizinhistorisches Journal 27 (1992), S. 272–291. Loetz, Francisca: Vom Kranken zum Patienten. „Medikalisierung“ und medizinische Vergesellschaftung am Beispiel Badens 1750–1850, Stuttgart 1993 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 2). Loetz, Francisca: „Medikalisierung“ in Frankreich, Großbritannien und Deutschland 1750–1850. Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung. In: Eckart, Wolfgang; Jütte, Robert (Hrsg.): Das europäische Gesundheitssystem. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in historischer Perspektive, Stuttgart 1994 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 3), S. 123–161.
480
Quellen- und Literaturverzeichnis
Loetz, Francisca: Andere Grenzen. Faktoren ärztlicher Inanspruchnahme in Deutschland 1780–1830. Empirische Ergebnisse und methodologische Überlegungen. In: Schnalke, Thomas; Wiesemann, Claudia (Hrsg.): Die Grenzen des Anderen. Medizingeschichte aus postmoderner Perspektive, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 25–48. Lorber, Curt: Die Bedeutung Lorenz Heisters in der Hasenschartenchirurgie. In: Medizinhistorisches Journal 10 (1975), S. 81–93. Mackaman, Douglas: Leisure Settings. Bourgeois Culture, Medicine, and the Spa in Modern France, Chicago/London 1998. Maibaum, Elke: Der therapeutische Aderlaß von der Entdeckung des Kreislaufs bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Herzogenrath 1983 (Studien zur Medizin-, Kunst- und Literaturgeschichte 2). Martin, Alfred: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Nebst einem Beitrage zur Geschichte der deutschen Wasserheilkunde, Jena 1906. Martin-Kies, Verena: Der Alltag eines Engadiner Arztes um 1700 aufgrund des Tagebuches von Jachiam E. Frizzun, Chur 1977. Mauthe, Jürgen-Helmut (Hrsg.): Krankheit & Geschlecht. Konzepte & Kontroversen, Sternenfels 1999. McCray Beier, Lucinda: Sufferers and Healers. The Experience of Illness in Seventeenth-Century England, London/ New York 1987. Medick, Hans: Mikro-Historie. In: Schulze, Winfried (Hrsg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1569), S. 40–53. Merkel, Gottlieb: Die ärztlichen Sprechstunden. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 53 (1906), S. 2355–2357. Meyer, Dietrich; Hey, Bernd (Hrsg.): Akten betreuter Personen als archivische Aufgabe. Beratungs- und Patientenakten im Spannungsfeld von Persönlichkeitsschutz und historischer Forschung, Neustadt an der Aisch 1997 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 25). Meyer, Jörg: „… als wollte mein alter Zufall mich jetzt wieder unter kriegen.“. Die Patientenbriefe an Samuel Hahnemann im Homöopathie-Archiv des Instituts für Geschichte der Medizin in Stuttgart. In: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 3 (1986), S. 63–79. Meyer, V.[eit]: Den Manen unseres Bönninghausen. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 68 (1864), S. 89–95. Michalowski, Arnold; Sander, Sabine; Sauerbeck, Karl-Otto: Therapiegeschichtliche Materialien zu Samuel Hahnemanns Pariser Praxis. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 8 (1989), S. 171–196. Michalowski, Arnold: Richtlinien zur Edition von Hahnemann-Handschriften (Stand 1997). In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 9 (1990), S. 195– 204. Michalowski, Arnold: Samuel Hahnemann. Krankenjournal DF5 (1837– 1842). Transkription und Übersetzung, Heidelberg 1992.
Quellen- und Literaturverzeichnis
481
Michalowski, Arnold: EDV-unterstützte Edition homöopathiegeschichtlicher Quellen. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 11 (1992), S. 219–227. Michalowski, Arnold: Samuel Hahnemann. Krankenjournal DF2 (1836– 1842). Transkription und Übersetzung, Heidelberg 2003. Mielck, Andreas (Hrsg.): Krankheit und soziale Ungleichheit. Sozialepidemiologische Forschungen in Deutschland, Opladen 1994. Mixa, Elisabeth; Malleier, Elisabeth (Hrsg.): Körper – Geschlecht – Geschichte. Historische und aktuelle Debatten in der Medizin, Innsbruck/ Wien 1996. Möller, Bernhard: Die Methodik Clemens von Bönninghausens. Dargestellt anhand seines Therapeutischen Taschenbuchs. In: Die Bönninghausenund Bognermethodik. Homöopathie-Zeitschrift Sonderheft 2002, S. 6–23. Montgomery, Douglass: Zittmann’s Decoction. In: California State Journal of Medicine 6 (1908), S. 100–103. Mortsch, Markus: Die frühe Köthener Patientenschaft Samuel Hahnemanns. In: Hahnemann-Lutze-Verein e.V. Köthen/Anhalt (Hrsg.): Homöopathie in Köthen. 2. Köthener Homöopathietage Ratke-Institut Köthen 4.7. bis 6.7.1997, Köthen 1997, S. 23–38. Mortsch, Markus: Edition und Kommentar des Krankenjournals D22 (1821) von Samuel Hahnemann, Essen 2005 (Med. Diss.). Online publiziert unter: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=980459168&dok_var=d1&dok _ext=pdf&filename=980459168.pdf, Zugriff vom 31. Januar 2009. Mosse, Max; Tugendreich, Gustav (Hrsg.): Krankheit und Soziale Lage, München 1913. Müller-Jahncke, Wolf-Dieter; Friedrich, Christoph; Meyer, Ulrich: Arzneimittelgeschichte, Stuttgart 2. Auflage 2005. Nachtmann, Walter: „…Ach! wie viel verliere ich auch an Ihm!!!“. Die Behandlung des Fürsten Karl von Schwarzenberg durch Samuel Hahnemann und die Folgen. In: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 6 (1987), S. 93–110. Nicholls, Phillip: Class, Status and Gender. Toward a Sociology of the Homoeopathic Patient in Nineteenth-Century Britain. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 141–156. Nebel, A.: Dr. C. von Bönninghausen. In: Leipziger Populäre Zeitschrift für Homöopathie 40 (1909), S. 109–110. Noack, Thorsten; Fangerau, Heiner: Zur Geschichte des Verhältnisses von Arzt und Patient in Deutschland. In: Schulz, Stefan; Steigleder, Klaus; Fangerau, Heiner; Paul, Norbert (Hrsg.): Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Eine Einführung, Frankfurt am Main 2006, S. 77–93. Nusser, Tanja; Strowick, Elisabeth (Hrsg.): Krankheit und Geschlecht. Diskursive Affären zwischen Literatur und Medizin, Würzburg 2002. Oberhofer, Andreas: Eine Landarztpraxis im 19. Jahrhundert am Beispiel der Ordination des Dr. Franz von Ottenthal (1818–1899). In: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpra-
482
Quellen- und Literaturverzeichnis
xen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26), S. 167–192. Oehme, Johannes: Pädiatrie im 18. Jahrhundert, Lübeck 1984 (Documenta Pädiatrica 12). Oepen, Joachim: Personenstandsüberlieferung in katholischen Archiven. In: Joergens, Bettina; Reinicke, Christian (Hrsg.): Archive, Familienforschung und Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 2006, S. 74-87, bisher unter: http:// www.archive.nrw.de/dok/vortraege_bruehl/oepen_katharchive.pdf, Zugriff vom 27. Mai 2006. Ohler, Norbert: Pfarrbücher als Quelle für den Historiker. Methoden und Möglichkeiten ihrer Erschließung dargestellt am Beispiel der Pfarrbücher von Hochdorf/Breisgau. In: Hampp, Irmgard; Assion, Peter (Hrsg.): Forschungen und Berichte zur Volkskunde in Baden-Württemberg 1974–1977, Band 3, Stuttgart 1977, S. 115–148. Ohler, Norbert: Quantitative Methoden für Historiker. Eine Einführung, München 1980. Opgenoorth, Ernst; Schulz, Günther: Einführung in das Studium der Neueren Geschichte, Paderborn/München/Wien/Zürich 6. Auflage 2001. Pagel, Julius: Bönninghausen, Clemens Franz Maria von. In: Hirsch, August (Hrsg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Band 1, München/Berlin 3. Auflage 1962, S. 595. Pagel, Julius: Zittmann, Johann Friedrich. In: Allgemeine deutsche Biographie, Band 45, Leipzig 1900, S. 372. Die Allgemeine deutsche Biographie kann mittlerweile online abgerufen werden unter: http://mdz1.bib-bvb. de/~ndb/adb_index.html, Zugriff vom 5. März 2009. Papsch, Monika: Krankenjournal D38 (1833–1835). Kommentarband zur Transkription, Stuttgart 2007. Papsch, Monika: Sozialstatistische Auswertung von Samuel Hahnemanns (1755–1843) homöopathischer Praxis von Dezember 1833 bis Mai 1835 anhand seines Krankentagebuches „D38“. In: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26), S. 129–145. Parsons, Talcott: The Social System, London 1952. Patterson, James: How Do We Write the History of Disease? In: Health and History 1 (1998), S. 5–29. Peiper, Albrecht: Chronik der Kinderheilkunde, Leipzig 3. erweiterte und umgearbeitete Auflage 1958. Pemberton, Neil; Worboys, Michael: Mad Dogs and Englishmen. Rabies in Britain 1830–2000, Houndmills 2007. Perrenoud, Alfred: Die soziale Ungleichheit vor dem Tod in Genf im 17. Jahrhundert. In: Imhof, Arthur (Hrsg.): Die Biologie des Menschen in der Geschichte. Beiträge zur Sozialgeschichte der Neuzeit aus Frankreich und Skandinavien, Stuttgart 1978 (Kultur und Gesellschaft 3), S 118–146.
Quellen- und Literaturverzeichnis
483
Peuckert, Rüdiger: Abweichendes Verhalten und soziale Kontrolle. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. Auflage 2000, S. 103–123. Pflanz, Manfred: Der Entschluß, zum Arzt zu gehen. In: Hippokrates 35 (1964), S. 896. Pflanz, Manfred: Selbstmedikation. In: Münchener Medizinische Wochenschrift 111 (1969), S. 282–287. Plate, Ulrich: Clemens von Bönninghausens „Systematisch-alphabetisches Repertorium“, Zwei Teile. In: Neues Archiv für Homöopathik 2 (2007), S. 29– 40 und S. 73–84. Plaßmann, Joseph: Geschichte der Stadt Münster in Westfalen. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Münster 1925. Pompey, Heinrich: Die Bedeutung der Medizin für die kirchliche Seelsorge im Selbstverständnis der sogenannten Pastoralmedizin. Eine bibliographischhistorische Untersuchung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Freiburg/ Basel/Wien 1968 (Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge 23). Pons. Globalwörterbuch Lateinisch-Deutsch, Stuttgart/Dresden 2. Auflage 1995. Porter, Roy (Hrsg.): Patients and Practitioners. Lay Perceptions of Medicine in Preindustrial Society, Cambridge 1985. Porter, Roy: The Patient’s View. Doing Medical History from Below. In: Theory and Society 14 (1985), S. 175–198. Porter, Roy: Disease, Medicine and Society in England 1550–1860, Hampshire/ London 1987. Porter, Roy; Wear, Andrew (Hrsg.): Problems and Methods in the History of Medicine, London/New York/Sydney 1987. Porter, Roy; Porter, Dorothy: In Sickness and in Health. The British Experience 1650–1850, London 1988. Porter, Roy; Porter, Dorothy: Patient’s Progress. Doctors and Doctoring in 18th Century England, Cambridge 1989. Porter, Roy: Health for Sale. Quackery in England 1660–1850, Manchester 1989. Porter, Roy (Hrsg.): The Medical History of Waters and Spas, London 1990. Porter, Roy: Accidents in Eighteenth Century. In: Cooter, Roger; Luckin, Bill (Hrsg.): Accidents in History. Injuries, Fatalities and Social Relations, Amsterdam/Atlanta 1997, S. 90–106. Porter, Roy: Die Kunst des Heilens. Eine medizinische Geschichte der Menschheit von der Antike bis heute, Heidelberg/Berlin 2003. Probst, Christian: Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin von Marktplatz und Landstraße, Rosenheim 1992. Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch, Berlin/New York 260. Auflage 2004. Radkau, Joachim: Zum historischen Quellenwert von Patientenakten. Erfahrungen zur Geschichte der Nervosität. In: Meyer, Dietrich; Hey, Bernd (Hrsg.): Akten betreuter Personen als archivische Aufgabe. Beratungs- und Patientenakten im Spannungsfeld von Persönlichkeitsschutz und histori-
484
Quellen- und Literaturverzeichnis
scher Forschung, Neustadt an der Aisch 1997 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 25), S. 73–101. Rath, Gernot: Moderne Diagnosen historischer Seuchen. In: Deutsche medizinische Wochenschrift 81 (1956), S. 2065–2069. Raßmann, Ernst: Bönninghausen, Clemens Maria Franz von. In: Raßmann, Ernst: Nachrichten von dem Leben und den Schriften Münsterländischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, Münster 1866, S. 29–32. Reekers, Stephanie: Westfalens Bevölkerung 1818–1955. Die Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden und Kreise im Zahlenbild, Münster 1956 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde Reihe I Heft 9). Reekers, Stephanie: Die Gebietsentwicklung der Kreise und Gemeinden Westfalens 1817–1967, Münster 1977 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe Reihe I Heft 18). Reif, Heinz: Westfälischer Adel 1770–1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 35). Reif, Heinz: Der katholische Adel Westfalens und die Spaltung des Adelskonservatismus in Preußen während des 19. Jahrhunderts. In: Teppe, Karl; Epkenhans, Michael (Hrsg.): Westfalen und Preussen. Integration und Regionalismus, Paderborn 1991 (Forschungen zur Regionalgeschichte 3), S. 107– 124. Reis, Stefan; Terlinden, Michael (Hrsg.): Drei Werke v. Bönninghausens für den homöopathischen Praktiker, Oberhausen 1994. Remmen, Hans: Die Beziehungen des Fabricius Hildanus zu Köln an Hand seiner Observationes et Curationes, Hilden 1965 (Fabrystudien 3). Rheinisches Wörterbuch. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und des Provinzialverbandes der Rheinprovinz auf Grund der von Johannes Franck begonnenen, von allen Kreisen des Rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearbeitet und herausgegeben von Josef Müller, Heinrich Dittmaier, Rudolf Schützeichel und Mattias Zender, Neun Bände, Bonn/Berlin 1928– 1971. Online einzusehen unter: http://germazope.uni-trier.de/Projects/ WBB/woerterbuecher/WBB/rhwb/wbgui, Zugriff vom 2. Februar 2009. Richter, Hans; Böhm, Manfred (Hrsg.): Pharmazeutisch-medizinisches Lexikon, Zwei Bände, Berlin 1989. Richtering, Helmut: Die Nachlässe der Gebrüder Droste zu Vischering. Erbdroste Adolf Heidenreich (1769–1826), Bischof Caspar Max (1770–1846), Domherr Franz Otto (1771–1826), Erzbischof Clemens August (1773–1845), Münster 1986 (Westfälische Quellen und Archivverzeichnisse 12). Riley, James: Sickness, Recovery and Death. A History and Forecast of Ill Health, Houndmills 1989.
Quellen- und Literaturverzeichnis
485
Risse, Adolf: Beiträge zu einer Biographie des münsterischen Arztes Dr. med. Bernhard Rottendorff (1594–1671). In: Bierbaum, Max (Hrsg.): Studia Westfalica. Beiträge zur Kirchengeschichte und religiösen Volkskunde Westfalens. Festschrift für Alois Schröer, Münster 1972, S. 285–340. Risse, Guenter; Warner, John: Reconstructing Clinical Activities. Patient Records in Medical History. In: Social History of Medicine 5 (1992), S. 183– 205. Ritzmann, Iris: Kinderkrankheiten und Kindersterblichkeit. Unterschiedliche Blickwinkel früher und heute. In: Hugger, Paul (Hrsg.): Kind sein in der Schweiz. Eine Kulturgeschichte der frühen Jahre, Zürich 1998, S. 301–317. Ritzmann, Iris: Die jüngsten Patienten Hahnemanns. Eine analytische Studie zur Kinderpraxis in den Anfängen der Homöopathie. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 18 (1999), S. 189–208. Ritzmann, Iris: Chirurgische Kinderheilkunde im alten Züricher Spital. In: Gesnerus 58 (2001), S. 292–299. Ritzmann, Iris: Leidenserfahrung in der historischen Betrachtung. Ein Seiltanz zwischen sozialem Konstrukt und humanbiologischer Konstanz. In: Münch, Paul (Hrsg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, München 2001 (Historische Zeitschrift Beiheft 31), S. 59–72. Ritzmann, Iris: Der Faktor Nachfrage bei der Ausformung des modernen Medizinalwesens. Überlegungen am Beispiel der Kinderheilkunde. In: Wahrig, Bettina; Sohn, Werner (Hrsg.): Zwischen Aufklärung, Policey und Verwaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750–1850, Wiesbaden 2003 (Wolfenbütteler Forschungen 102), S. 169–173. Ritzmann, Iris: Welchen Wert hat die Gesundheit von Kindern? Ein Interessenskonflikt im Ludwigsburger Waisenhaus Ende des 18. Jahrhunderts. In: Sträter, Udo; Neumann, Josef (Hrsg.): Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2003 (Hallesche Forschungen 10), S, 135–153. Ritzmann, Iris: Children as Patients in German-Speaking Regions in the Eighteenth Century. In: Müller, Anja (Hrsg.): Fashioning Childhood in the Eighteenth Century. Age and Identity, Aldershot 2006, S. 25–32. Ritzmann, Iris: Sorgenkinder. Kranke und behinderte Mädchen und Jungen im 18. Jahrhundert, Köln 2008. Römling, Michael: Münster. Geschichte einer Stadt, Soest 2006. Röttger, Lotte: Erhebungen über die Geburten und Sterbefälle in der Stadt Münster in Westfalen während des 19. Jahrhunderts, Aachen 1940 (Med. Diss.). Roilo, Christine: „Historiae Morborum“ des Franz v. Ottenthal. Ein Zwischenbericht. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 18 (1999), S. 57–80. Roland, Charles; Rubashewsky, Bohodar: The Economic Status of the Practice of Dr. Harmaunus Smith in Wentworth County Ontario 1826–1827. In: Canadian Bulletin of Medical History 5 (1988), S. 29–49. Rothschuh, Karl (Hrsg.): Was ist Krankheit? Erscheinung, Erklärung, Sinngebung, Darmstadt 1975.
486
Quellen- und Literaturverzeichnis
Roy, Carola; Roy, Ravi: Homöopathie für Mutter und Kind. Schwangerschaft, Geburt, Kindbett, Kinderkrankheiten, Impfschäden, München 2. Auflage 1999. Rülander, Ulrike: Münster. Garnisonstadt und Armeestandort 1871–1945, Münster 1997. Ruisinger, Marion: Auf Messers Schneide. Patientenperspektiven aus der chirurgischen Praxis Lorenz Heisters (1683–1758). In: Medizinhistorisches Journal 36 (2001), S. 309–333. Ruisinger, Marion: Patientenwege. Die Konsiliarkorrespondenz Lorenz Heisters (1683–1758) in der Trew-Sammlung Erlangen, Stuttgart 2008 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 28). Ruisinger, Marion: Briefpraxis versus Besuchspraxis. Das Beispiel Lorenz Heister (1683–1758). In: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26), S. 65–77. Sander, Sabine: Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe, Göttingen 1989 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 83). Sanders, Bernhard: Beitrag zur Geschichte der Homöopathie im Land Westfalen. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 209 (1964), S. 334–341. Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765– 1914, Frankfurt am Main 2001. Sauerbeck, Karl-Otto: Der späte Hahnemann und sein ärztliches Umfeld. Maschinenschriftliches Vortragsmanuskript, gehalten 1989 (IGM Signatur: H/k/Saue/1989,2). Sauerbeck, Karl-Otto: Wie gelangte Hahnemann zu den Hochpotenzen? Ein Kapitel aus der Geschichte der Homöopathie. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 235 (1990), S. 223–232. Schäfers, Bernhard: Die soziale Gruppe. In: Korte, Hermann; Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, Opladen 5. erweiterte und aktualisierte Auflage 2000, S. 125–140. Schaten, Mathilde: Veröffentlichungen aus des Münsterischen Medizinaldirektors Christoph Ludwig Hoffmann schriftlichem Nachlaß, Münster 1939 (Med. Diss.). Schmädel, Dieter: Nichtbefolgung ärztlicher Verordnungen. Ausmaß und Ursachen. In: Siegrist, Johannes; Hendel-Kramer, Anneliese (Hrsg.): Wege zum Arzt. Ergebnisse medizinsoziologischer Untersuchungen zur Arzt-Patientenbeziehung, München/Wien/Baltimore 1979 (Medizin und Sozialwissenschaften 4), S. 139–171. Schmersahl, Katrin: Medizin und Geschlecht. Zur Konstruktion der Kategorie Geschlecht im medizinischen Diskurs des 19. Jahrhunderts, Opladen 1998. Schmidt, Josef: Taschenatlas Homöopathie. Grundlagen, Methodik und Geschichte, Heidelberg 2001.
Quellen- und Literaturverzeichnis
487
Schmitz, Britta: Hebammen in Münster. Historische Entwicklung, Lebensund Arbeitsumfeld, Berufliches Selbstverständnis, Münster/New York 1994 (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 85). Schmitz, Willy: Die preußischen Landräte des Kreises Coesfeld 1816–1945, Coesfeld 1974 (Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Kreises Coesfeld 15). Schneider, Wolfgang: Geheimmittel und Spezialitäten. Sachwörterbuch zu ihrer Geschichte bis um 1900, Frankfurt am Main 1969 (Lexikon zur Arzneimittelgeschichte 4). Schnell, Rainer; Hill, Paul; Esser, Elke: Methoden der empirischen Sozialforschung, München/Wien 6. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage 1999. Schnütgen, Robert: Die Anfänge der Homöopathie in Westfalen. In: Deutsche Homöopathische Monatsschrift 6 (1955), S. 336–337. Schopohl, Friedrich: Die Chirurgen-Schule (medizinisch-chirurgische Lehranstalt) zu Münster in Westfalen, Gütersloh 1936 (Med. Diss.). Schott, Heinz (Hrsg.): Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, Stuttgart 1985. Schott, Heinz: Heilkräfte aus der Maschine. Elektrische und magnetische Kuren im 18. Jahrhundert. In: Gesnerus 44 (1987), S. 55–66. Schraut, Sylvia: Sozialer Wandel im Industrialisierungsprozeß. Esslingen 1800–1870, Esslingen am Neckar 1989 (Esslinger Studien Schriftenreihe 9). Schreiber, Kathrin: Samuel Hahnemann in Leipzig. Die Entwicklung der Homöopathie zwischen 1811 und 1821. Förderer, Gegner und Patienten, Stuttgart 2002 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 8). Schroeder-Kurth, Traute: Die Kulturabhängigkeit von Erkrankung, Krankheit, Kranksein, Gesundheit (Sickness, Disease, Illness, Health). Probleme global gültiger Definitionen und Konsequenzen für Erwartungen und Behandlung. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 22 (2003), S. 306–322. Schroers, Fritz: Lexikon deutschsprachiger Homöopathen, Stuttgart 2006. Schücking, Beate: Weiße Flecken in der Landschaft. Frauenforschung in der Medizin. In: Mixa, Elisabeth; Malleier, Elisabeth (Hrsg.): Körper – Geschlecht – Geschichte. Historische und aktuelle Debatten in der Medizin, Innsbruck/Wien 1996, S. 229–243. Schultheiß, Ulrich; Schriever, Thomas: Warum gehen Patienten zum Arzt mit der Zusatzbezeichnung Homöopathie oder Naturheilverfahren, Ulm 1991 (Med. Diss.). Schulze Pellengahr, Christian: Das adelige Haus Darup zu Darup. Ein Überblick über seine heutige Anlage sowie seine jüngere Geschichte. In: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld 25 (2000), S. 183–273. Schuricht, Ulrich: Samuel Hahnemann. Krankenjournal D16 (1817–1818). Kommentarband zur Transkription, Heidelberg 2004. Schwanitz, Hedwig: Krankheit, Armut, Alter. Gesundheitsfürsorge und Medizinalwesen in Münster während des 19. Jahrhunderts, Münster 1990 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster Neue Folge 14).
488
Quellen- und Literaturverzeichnis
Schweig, Nicole: Gesundheitsverhalten von Männern. Gesundheit und Krankheit in Briefen 1800–1950, Stuttgart 2009 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 33). Seidel, Hans-Christoph: Eine neue „Kultur des Gebärens“. Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 11). Seidler, Eduard: Das kranke Kind. Historische Modelle einer medizinischen Anthropologie des Kindesalters. In: Martin, Jochen; Nitschke, August (Hrsg.): Zur Sozialgeschichte der Kindheit, Freiburg/München 1986 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e. V. 4), S. 685– 709. Seiler, Hanspeter: Die Entwicklung von Samuel Hahnemanns ärztlicher Praxis anhand ausgewählter Krankengeschichten, Heidelberg 1988. Shail, Andrew; Howie, Gillian (Hrsg.): Menstruation. A Cultural History, Houndmills 2005. Sharma, Ursula: Complementary Medicine Today. Practitioners and Patients, London/New York 2. Auflage 1995. Shephard, David: The Casebook, the Daybook, and the Diary as Sources in Medical Historiography. In: Canadian Bulletin of Medical History 17 (2000), S. 245–255. Shorter, Edward: Die große Umwälzung in den Mutter-Kind-Beziehungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. In: Martin, Jochen; Nitschke, August (Hrsg.): Zur Sozialgeschichte der Kindheit, Freiburg/München 1986 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e. V. 4), S. 503– 524. Shorter, Edward: Doctors and their Patients. A Social History, New Brunswick 1991. Sicken, Bernhard: Münster als Garnisonstadt. Allgemeine Wehrpflicht und Kasernierung. In: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Band 2, Münster 1993, S. 727–766. Siekmann, Mechthild: Die Stadt Münster um 1770. Eine räumlich-statistische Darstellung der Bevölkerung, Sozialgruppen und Gebäude, Münster 1989 (Siedlung und Landschaft in Westfalen 18). Sigerist, Henry: Anfänge der Medizin. Von der primitiven und archaischen Medizin bis zum Goldenen Zeitalter in Griechenland, Zürich 1963. Spode, Hasso: Alkohol, Geschlecht und Gesundheit unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Kaiserreichs. Ein Beitrag zur Natur-Kultur-Debatte. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800–ca. 2000, Stuttgart 2007 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 27), S. 191–210. Spree, Reinhard: Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981. Spree, Reinhard: Kurpfuscherei. Bekämpfung und ihre sozialen Funktionen während des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Labisch, Alfons; Spree, Rein-
Quellen- und Literaturverzeichnis
489
hard (Hrsg.): Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, Bonn 1989, S. 103–121. Spree, Reinhard: Quantitative Aspekte der Entwicklung des Krankenhauswesens. In: Labisch, Alfons; Spree, Reinhard (Hrsg.): „Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett.“ Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main/New York 1996, S. 51–88. Stadtmuseum Münster (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Münster 2005. Stadtmuseum Münster (Hrsg.): Herrin ihrer Kunst. Elisabeth Ney Bildhauerin in Europa und Amerika. Ein Ausstellungskatalog, Münster 2008. Stahl, Martin: Zur Geschichte der „Vereinigung homöopathischer Aerzte Rheinlands und Westphalens“. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 14 (1995), S. 195–218. Stahl, Martin: Von Kunstjüngern und Afterwissenschaftlern. Zum Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen. In: Heinze, Sigrid (Hrsg.): Homöopathie 1796–1996. Eine Heilkunde und ihre Geschichte. Katalog zur Ausstellung Deutsches Hygiene-Museum, 17. Mai bis 20. Oktober 1996, Berlin 1996, S. 47–55. Stahl, Martin: Der Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen, Heidelberg 1997 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 3). Steiner, Urs: Die homöopathische Datenermittlung nach Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 51 (2007), S. 73–78. Steinke, Hubert: Der junge Arzt und seine Patienten. Albert von Hallers Praxis in Bern 1731–1736. In: Dietrich-Daum, Elisabeth; Dinges, Martin; Jütte, Robert; Roilo, Christine (Hrsg.): Arztpraxen im Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 26), S. 79–86. Stens, [Wilhelm]: Nachruf an C. v. Bönninghausen. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung 68 (1864), S. 64. Stille, Günther: Krankheit und Arznei. Die Geschichte der Medikamente, Berlin/Heidelberg/New York 1994. Stöckel, Sigrid: Säuglingsfürsorge zwischen sozialer Hygiene und Eugenik. Am Beispiel Berlins im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Berlin/ New York 1996 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 91). Störmann, Peter: Repertorialer Auszug aus Bönninghausens letztem literarischen Werk „Die Aphorismen des Hippokrates…“, Sechs Teile. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 40 (1996), S. 77–82, S. 160–163, S. 206– 207, S. 256–261 und 41 (1997), S. 123–126 und S. 163–167. Stolberg, Michael: Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme medizinischer Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert, München 1986 (Med. Diss.).
490
Quellen- und Literaturverzeichnis
Stolberg, Michael: Ärzte und ländliche Patienten. Soziologisch-historische Aspekte einer schwierigen Beziehung. In: Die medizinische Welt 43 (1992), S. 529–533. Stolberg, Michael: Patientenschaft und Krankheitsspektrum in ländlichen Arztpraxen des 19. Jahrhunderts. In: Medizinhistorisches Journal 28 (1993), S. 3–27. Stolberg, Michael: Die Homöopathie im Königreich Bayern. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 14 (1996), S. 173–194. Stolberg, Michael: „Mein äskulapisches Orakel!“. Patientenbriefe als Quelle einer Kulturgeschichte der Krankheitserfahrung im 18. Jahrhundert. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7 (1996), S. 385– 404. Stolberg, Michael: Homöopathie und Klerus. Zur Geschichte einer besonderen Beziehung. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 17 (1998), S. 131– 148. Stolberg, Michael: Geschichte der Homöopathie in Bayern (1800–1914), Heidelberg 1999 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 5). Stolberg, Michael: A Woman’s Hell? Medical Perceptions of Menopause in Preindustrial Europe. In: Bulletin of the History of Medicine 73 (1999), S. 404–428. Stolberg, Michael: Krankheitserfahrung und Arzt-Patienten-Beziehung in Samuel Hahnemanns Patientenkorrespondenz. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 18 (1999), S. 169–188. Stolberg, Michael: The Monthly Malady. A History of Premenstrual Suffering. In: Medical History 44 (2000), S. 301–322. Stolberg, Michael: An Unmanly Vice. Self-Pollution, Anxiety and the Body in the Eighteenth Century. In: Social History of Medicine 13 (2000), S. 1–21. Stolberg, Michael: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003. Stolberg, Michael: Die wundersame Heilkraft von Abführmitteln. Erfolg und Scheitern vormoderner Krankheitsbehandlung aus der Patientensicht. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 22 (2003), S. 167–177. Stolberg, Michael: Medizin und Krankheit in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (2008) Heft 2, S. 85–95. Stollberg, Gunnar: Patients and Homoeopathy. An Overview of Sociological Literature. In: Dinges, Martin (Hrsg.): Patients in the History of Homoeopathy, Sheffield 2002 (European Association for the History of Medicine and Health Network Series 5), S. 317–329. Streuber, Ingeborg: Ein Macher. Arthur Lutze (1813–1870). „Der Mensch kann, was er will, doch muß er glauben und vertrauen.“ In: Dinges, Martin (Hrsg.): Homöopathie. Patienten, Heilkundige, Institutionen. Von den Anfängen bis heute, Heidelberg 1996, S. 160–184. Stürzbecher, Manfred: Beiträge zur Berliner Medizingeschichte. Quellen und Studien zur Geschichte des Gesundheitswesens vom 17. bis zum 19. Jahr-
Quellen- und Literaturverzeichnis
491
hundert, Berlin 1966 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 18). Stumm, Ingrid von: Gesundheit, Arbeit und Geschlecht im Kaiserreich am Beispiel der Krankenstatistik der Leipziger Ortskrankenkasse 1887–1905, Frankfurt am Main 1995 (Münchner Studien zur neueren und neusten Geschichte 12). Teichler, Jens-Uwe: „Der Charlatan strebt nicht nach Wahrheit, er verlangt nur nach Geld“. Zur Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaftlicher Medizin und Laienmedizin im deutschen Kaiserreich am Beispiel von Hypnotismus und Heilmagnetismus, Stuttgart 2002 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 18). Teuteberg, Hans-Jürgen; Wiegelmann, Günter: Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung, Göttingen 1972. Teuteberg, Hans-Jürgen; Wiegelmann, Günter: Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung, Münster 2. Auflage 1986 (Studien zur Geschichte des Alltags 6). Teuteberg, Hans-Jürgen: Materialien zur Bevölkerungsgeschichte Münsters 1816–1945, Münster 1993 (Beiträge zur Statistik Münsters 59). Teuteberg, Hans-Jürgen: Bevölkerungsentwicklung und Eingemeindungen (1816–1945). In: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Band 2, Münster 1993, S. 331–386. Teuteberg, Hans-Jürgen: Vom Agrar- zum Industriestaat (1850–1914). In: Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 3. Das 19. und 20. Jahrhundert. Wirtschaft und Gesellschaft, Düsseldorf 1984, S. 163–311. Thiem, Christel: Handbuch der Unfallerkrankungen einschließlich der Invalidenbegutachtung, Zwei Bände, Stuttgart 2. Auflage 1909/1910. Thümmler, Andrea: Rekonstruktion des Alltags eines thüringischen Arztes im 18. Jahrhundert anhand seines Praxistagebuches 1750–1763, Berlin 2004 (Med. Diss.). Tiemann, Katharina: Der verkannte Bildhauer Johann Adam Ney in Münster. Künstler und eigenwilliges Vorbild. In: Stadtmuseum Münster (Hrsg.): Herrin ihrer Kunst. Elisabeth Ney Bildhauerin in Europa und Amerika. Ein Ausstellungskatalog, Münster 2008, S. 52–57. Tutzke, Dieter; Engel, Regina: Tätigkeit und Einkommen eines Allgemeinpraktikers vor der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ergebnisse einer historischstatistischen Analyse. In: Zeitschrift für die gesamte Hygiene 24 (1978), S. 460–465. Uhlmann, Thomas: Über den Schluckauf, Berlin 1993. Unterkircher, Alois: Ein ungleicher Start ins Leben? Morbidität und Mortalität von männlichen und weiblichen Säuglingen um 1860 in den Krankenjournalen des Südtiroler Landarztes Franz von Ottenthal. In: Dinges, Martin (Hrsg): Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 –ca. 2000, Stuttgart 2007 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 27), S. 53–72.
492
Quellen- und Literaturverzeichnis
Valenti, Ernst Joseph Gustav de: Medicina clerica. Handbuch der PastoralMedizin für Seelsorger, Pädagogen und Aerzte, Zwei Bände, Leipzig 1831/32. Varady, Helene: Die Pharmakotherapie Samuel Hahnemanns in der Frühzeit der Homöopathie. Edition und Kommentar des Krankenjournals Nr. 5 (1803–1806), Zwei Bände, München 1987 (Med. Diss.). Verdenhalven, Fritz: Alte Meß- und Währungssysteme aus dem deutschen Sprachgebiet, Neustadt an der Aisch 2. Auflage 1998. Vieler, Ingrid: Die deutsche Arztpraxis im 19. Jahrhundert, Mainz 1958 (Med. Diss.). Vierkotten, Ursula: Zur Geschichte des Apothekenwesens von Stadt und Fürstbistum Münster i. W. Mit dem münsterschen Apothekereid und der Arzneitaxe von 1584, Marburg 1969 (Dr. rer. nat.). Vigoureux, Ralf: Karl Julius Aegidi. Leben und Werk des homöopathischen Arztes, Heidelberg 2001 (Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte 6). Vogl, Michael: „Nahe und entfernte Landpraxis“. Untersuchungen zu Samuel Hahnemanns Eilenburger Patientenschaft 1801–1803. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 9 (1990), S. 165–180. Waldecker, Achim: Die Arzneiapplikation durch Riechenlassen bei Hahnemann und Bönninghausen. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989), S. 77–81. Walter, Bernd: Die Beamtenschaft in Münster zwischen ständischer und bürgerlicher Gesellschaft. Eine personengeschichtliche Studie zur staatlichen und kommunalen Beamtenschaft in Westfalen (1800–1850), Münster 1987 (Geschichtliche Arbeiten zur Westfälischen Landesforschung Wirtschaftsund Sozialgeschichtliche Gruppe 3). Walter, Bernd: Von der fürstbischöflichen Haupt- und Residenzstadt zur preußischen Provinzialhauptstadt (1815–1835). In: Jakobi, Franz-Josef (Hrsg.): Geschichte der Stadt Münster, Band 2, Münster 1993, S. 47–78. Walther, B.; Hofmann, S.: Minderung der Unfallgefährdung im Kindesalter durch entwicklungsgerechte Erziehung. In: Rehbein, Friedrich (Hrsg.): Der Unfall im Kindesalter. Klinik, Rehabilitation, Prophylaxe, Stuttgart 1972 (Zeitschrift für Kinderchirurgie und Grenzgebiete Supplementband 11), S. 77–91. Warner, John: The Uses of Patient Records by Historians. Patterns, Possibilities and Perplexities. In: Health and History 1 (1999), S. 101–111. Wegener, Andreas: Einblicke in die Praxis Bönninghausens. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989), S. 3–11. Wegener, Andreas: Einblicke in die Praxis Bönninghausens, Teil II. Beiträge zur Verwandtschaft der Arzneimittel. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 34 (1990), S. 207–214. Wegener, Andreas: Zur Quellenlage des „Therapeutischen Taschenbuches“ von Bönninghausen, Teil 1. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 38 (1994), S. 139–145.
Quellen- und Literaturverzeichnis
493
Wegener, Andreas: Zur Quellenlage des „Therapeutischen Taschenbuches“ von Bönninghausen, Teil 2. Kriterien für die Einarbeitung der Prüfungssymptome. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 39 (1995), S. 105– 117. Wegener, Andreas: Dysmenorrhoe – Manganum. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 40 (1996), S. 75–76. Wegener, Andreas: Arbeiten mit dem „Therapeutischen Taschenbuch“ Bönninghausens. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 40 (1996), S. 139– 152. Wegener, Andreas: Sabadilla. Die Methode der Mittelfindung „nach Bönninghausen“. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 44 (2000), S. 111–116. Wegmann, Dietrich: Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen 1815–1918, Münster 1969 (Geschichtliche Arbeiten zur Westfälischen Landesforschung Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Gruppe 1). Werland, Peter: Münsters Märkte. In: Das Schöne Münster 8 (1936), S. 65–80. Werland, Walter: Zur Eröffnung der Straßenbahn 1901 kam der Wochenmarkt zum Domplatz. Einige Erinnerungen an die verschiedenen Märkte im alten Münster. In: Münsterische Zeitung vom 17. Oktober 1970, Zeitungsauschnittsammlung im Stadtarchiv Münster ZAUS 42 Münsters Märkte. Werland, Walter: v. Bönninghausens „Stammsitz“ lag am ehemaligen Servatiitor. In: Westfälische Nachrichten vom 6./7. Februar 1982. Westphalen, Ruth von; Wollheim, Ulrich (Hrsg.): Werner von Haxthausen. Westfälischer Freiherr und bayrischer Graf im Briefwechsel mit seinen Geschwistern. Familienbriefe aus den Jahren 1825 bis 1850, Münster 1998 (Kleine Rüschhaus-Edition VI). Wichmann, Michael: Wohnen in Münster in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur quantitativen Historischen Sozialforschung, Münster 1991 (Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II). Wiesemann, Claudia: Reform, Revolution, Homöopathie. Samuel Hahnemann und die Medizin seiner Zeit im Widerstreit von Praxis und Wissenschaft. In: Heinze, Sigrid (Hrsg.): Homöopathie 1796–1996. Eine Heilkunde und ihre Geschichte. Katalog zur Ausstellung Deutsches Hygiene-Museum, 17. Mai bis 20. Oktober 1996, Dresden 1996, S. 27–40. Willfahrt, Joachim: Homöopathische Hausarztliteratur des 19. Jahrhunderts als Anleitung zur Selbstmedikation, Zwei Teile. In: Zeitschrift für Klassische Homöopathie 35 (1991), S. 114–121, S. 153–159, S. 194–202 und 36 (1992), S. 62–72. Wimmer, Wolfgang: Die Pharmazeutische Industrie als „ernsthafte“ Industrie. Die Auseinandersetzung um die Laienwerbung im Kaiserreich. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 11 (1992), S. 75–88. Winkle, Stefan: Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen, Düsseldorf/Zürich 1997.
494
Quellen- und Literaturverzeichnis
Winkler, Matthias: Softwarevergleich. In: Die Bönninghausen- und Bognermethodik. Homöopathie-Zeitschrift Sonderheft 2002, S. 60–66. Winter, Norbert: Handbuch der homöopathischen Fallanalyse, Karlsruhe 4. Auflage 2000. Wischermann, Clemens: An der Schwelle der Industrialisierung (1800–1850). In: Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Band 3. Das 19. und das 20. Jahrhundert. Wirtschaft und Gesellschaft, Düsseldorf 1984 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 43), S. 41–162. Wischermann, Clemens: Hungerkrisen im vormärzlichen Westfalen. Düwell, Kurt; Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Band 1. Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung, Wuppertal 1983, S. 126–147. Wittern, Renate: Zum Verhältnis von Homöopathie und Mesmerismus. In: Schott, Heinz (Hrsg.): Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, Stuttgart 1985, S. 108–115. Witthöft, Harald: Deutsche Masse und Gewichte des 19. Jahrhunderts nach Gesetzen, Verordnungen und autorisierten Publikationen deutscher Staaten, Territorien und Städte, Teil 1 Die Orts- und Landesmaße, St. Katharinen 1993 (Handbuch der Historischen Metrologie 2). Witthöft, Harald: Deutsche Masse und Gewichte des 19. Jahrhunderts nach Gesetzen, Verordnungen und autorisierten Publikationen deutscher Staaten, Territorien und Städte, Teil 3 Korpus der Maße und Gewichte nach den Rechtsquellen des 19. Jahrhunderts, St. Katharinen 1994 (Handbuch der Historischen Metrologie 4). Wolff, Eberhard: Der „willkommene Würgeengel“. Verstehende Innenperspektive und „genaue“ Quelleninterpretation. Am Beispiel des erwünschten Kindertods in den Anfängen der Pockenschutzimpfung. In: Dinges, Martin; Schlich, Thomas (Hrsg.): Neue Wege in der Seuchengeschichte, Stuttgart 1995 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 6), S. 105–141. Wolff, Eberhard: „Volksmedizin“ als historisches Konstrukt. Laienvorstellungen über die Ursachen der Pockenkrankheit im frühen 19. Jahrhundert und deren Verhältnis zu Erklärungsweisen in der akademischen Medizin. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 7 (1996), S. 405– 430. Wolff, Eberhard: Einschneidende Maßnahmen. Pockenschutzimpfung und traditionale Gesellschaft im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1998 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 10). Wolff, Eberhard: Perspektiven der Patientengeschichtsschreibung. In: Paul, Norbert; Schlich, Thomas (Hrsg.): Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt am Main/New York 1998, S. 310–334. Wolff, Eberhard: Perspectives on Patients’ History. Methodological Considerations on the Example of Recent German-Speaking Literature. In: Canadian Bulletin of Medical History 15 (1998), S. 207–228. Wolff, J.; Wolff, H.-P.: Das Profil einer ärztlichen Allgemeinpraxis im Jahre 1862. In: Deutsches Gesundheits-Wesen 34 (1979), S. 568-571.
Quellen- und Literaturverzeichnis
495
Wormer, Eberhard: Die bayerischen Physikatsberichte aus medizingeschichtlicher Sicht. Landgerichtärzte, medizinische Praxis und die Perspektive des Kranken. In: Fassl, Peter; Kießling, Rudolf (Hrsg.): Volksleben im 19. Jahrhundert. Studien zu den bayerischen Physikatsberichten und verwandten Quellen, Augsburg 2003 (Quellen zur Historischen Volks- und Landeskunde 2), S. 125–142. Wulff, Henrik; Jungersen, Kirsten: A Danish Provincial Physician and His Patients. The Patient Records from the Practice of Christopher Detlev Hahn in Aarhus around 1800. In: Medizinhistorisches Journal 40 (2005), S. 321– 345. Zeber, Ulrike: Die Geschichte des Pflasters. Von der traditionellen Arzneiform Pflaster zum Heftpflaster, Stuttgart 2001 (Heidelberger Schriften zur Pharmazie- und Naturwissenschaftsgeschichte 18). Ziegler, Volker: Die Familie Jobst und das Chinin. Materialwarenhandel und Alkaloidproduktion in Stuttgart 1806–1927, Berlin 2003. Zinn-Thomas, Sabine: Menstruation und Monatshygiene. Zum Umgang mit einem körperlichen Vorgang, Münster/New York/München/Berlin 1997. Internetadressen http://www.bar-do.net/, Zugriff vom 10. Oktober 2008. http://www.boenninghausen.de/BonninghausenD/bonninghausend.html, Zugriff vom 11. Juni 2008. http://www.de.map24.com, Zugriff vom 21. November 2008. http://www.his-data.de/objekt/1/0/7/6/ms,reg,karte,1857,rahmen.htm, Zugriff vom 30. August 2008. http://www.igm-bosch.de/content/language1/html/10404.asp, Zugriff vom 19. April 2010. http://www.medizingeschichte.uni-wuerzburg.de/aerztliche_praxis/index.html, Zugriff vom 26. April 2010.
MEDIZIN, GESELLSCHAFT UND GESCHICHTE
–
BEIHEFTE
Herausgegeben von Robert Jütte.
Franz Steiner Verlag
ISSN 0941–5033
25. Sylvelyn Hähner-Rombach (Hg.) „Ohne Wasser ist kein Heil“ Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser 2005. 167 S., kt. ISBN 978-3-515-08785-8 26. Heiner Fangerau / Karen Nolte (Hg.) „Moderne“ Anstaltspsychiatrie im 19. und 20. Jahrhundert Legimitation und Kritik 2006. 416 S., kt. ISBN 978-3-515-08805-3 27. Martin Dinges (Hg.) Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 – ca. 2000 2007. 398 S. mit 7 Abb., 22 Tab. und 4 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-08920-3 28. Marion Maria Ruisinger Patientenwege Die Konsiliarkorrespondenz Lorenz Heisters (1683–1758) in der TrewSammlung Erlangen 2008. 308 S. mit 7 Abb. und 16 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-08806-0 29. Martin Dinges (Hg.) Krankheit in Briefen im deutschen und französischen Sprachraum 17.–21. Jahrhundert 2007. 267 S., kt. ISBN 978-3-515-08949-4 30. Helen Bömelburg Der Arzt und sein Modell Porträtfotografien aus der deutschen Psychiatrie 1880 bis 1933 2007. 239 S. mit 68 Abb. und 2 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-09096-8 31. Martin Krieger Arme und Ärzte, Kranke und Kassen Ländliche Gesundheitsversorgung und kranke Arme in der südlichen Rheinprovinz (1869 bis 1930)
32.
33.
34.
35.
36.
37.
2009. 452 S. mit 7 Abb., 16 Tab. und 5 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-09171-8 Sylvelyn Hähner-Rombach Alltag in der Krankenpflege / Everyday Nursing Life Geschichte und Gegenwart / Past and Present 2009. 309 S. mit 22 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09332-3 Nicole Schweig Gesundheitsverhalten von Männern Gesundheit und Krankheit in Briefen, 1800–1950 2009. 288 S. mit 4 Abb. und 8 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09362-0 Andreas Renner Russische Autokratie und europäische Medizin Organisierter Wissenstransfer im 18. Jahrhundert 2010. 373 S., kt. ISBN 978-3-515-09640-9 Philipp Osten (Hg.) Patientendokumente Krankheit in Selbstzeugnissen 2010. 253 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09717-8 Susanne Hoffmann Gesunder Alltag im 20. Jahrhundert? Geschlechterspezifische Diskurse und gesundheitsrelevante Verhaltensstile in deutschsprachigen Ländern 2010. 538 S. mit 7 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09681-2 Marion Baschin Wer lässt sich von einem Homöopathen behandeln? Die Patienten des Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864) 2010. 495 S. mit 45 Abb. und 54 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09772-7