Wenn Erben zum Streitfall wird: Eskalationen in der Familie vermeiden [1 ed.] 9783666408205, 9783525408209


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Wenn Erben zum Streitfall wird: Eskalationen in der Familie vermeiden [1 ed.]
 9783666408205, 9783525408209

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Christiane Wempe

Wenn Erben zum Streitfall wird Eskalationen in der Familie vermeiden

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Christiane Wempe

Wenn Erben zum Streitfall wird Eskalationen in der Familie vermeiden

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit einer Abbildung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: 3006607/photocase.de Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6096 ISBN 978-3-666-40820-5

Inhalt

Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I Der Kontext 1 Das liebe Geld und seine Schattenseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 Zur Bedeutung von Geld in Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.3 Eltern als Erblasser: Wie sag ich’s meinen Kindern? . . . . . . 21 1.4 Kinder als Erben: Eine Zerreißprobe für ihre Beziehung . . . 25 1.5 Individuelle Einflüsse: »Was heißt hier gerecht?« . . . . . . . . . 30 1.6 Erbschaftskonstellationen in speziellen Kontexten . . . . . . . 32 II Die systemische Beratung 2 Erbschaftskonflikte in Beratung und Psychotherapie . . . . . . . . . . 40 2.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.2 Erbe als Herausforderung für Eltern und Kinder . . . . . . . . . 42 2.3 Erbschaftskonflikte auf der Geschwisterebene . . . . . . . . . . . 47 2.4 Muster der Erbschaftsaufteilung und ihre Probleme . . . . . . 49 2.5 Spezifische Ansatzpunkte für Beratung und Psychotherapie  57 2.6 Individuelle Beratungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III Am Ende 3 Auch der Tod bringt Leben in die Familie: Erbstreitigkeiten . . . 68 4 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5 Die Autorin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75

Für Phillip und Stefan

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehungen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten. Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben,

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allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick. Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen 8

(2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind. Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten. Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort

Es gibt wenige Übergangsmomente im Verlauf des Familienlebenszyklus, an denen kritische Punkte im Beziehungssystem so krass offengelegt werden wie den Erbfall. Neben die Trauer (oder die mehr oder weniger ambivalent erlebte Erleichterung) um den Verlust eines nahestehenden Menschen, meist Eltern oder Großelternteil, tritt schnell die Frage, wie mit dem nun frei gewordenen Besitz umzugehen ist. Je nachdem, ob und in welcher Detailtiefe dies vom Erblasser geregelt wurde, können Gefühle über die Ungerechtigkeit der von ihm oder ihr gewählten Lösung aufkommen, können sich schwierige und hoch emotionale Verteilungskämpfe unter Geschwistern, Vettern und Kusinen, Zweit- oder Dritt-Partner:innen des Verstorbenen ergeben. Das Kernthema hier ist die Frage danach, was angemessen, was »gerecht« ist – und wenn man den Zahlen glaubt, wonach etwa 1/6 bis 1/3 aller Erbvorgänge mehr oder weniger massiv strittig verlaufen, kann man erahnen, wie schwierig die Verrechnungsvorgänge sind, die hier jeder der Betroffenen über eigene Verdienste, Rechte bzw. Verpflichtungen und die der jeweils anderen vornimmt. Über diese »innere Kontenführung« wird im Alltag wenig geredet, doch der Erbfall »bringt es an den Tag«, wie es so schön heißt. »Ausgerechnet das Bild, das ich schon als Kind geliebt habe und das mir mehrfach versprochen wurde, soll an den Bruder gehen, der dafür gar keinen Sinn hat? Und das nach alldem, was ich für die Eltern getan habe!« –

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wie unter einer Lupe werden Spannungen überdeutlich, die vielleicht lange unterschwellig geblieben waren. Je weniger die Familien gelernt haben, sich über diese Themen auseinanderzusetzen, je größer das Harmoniebedürfnis und die Angst vor Streit, desto verletzlicher sind sie, wenn sie die Heftigkeit der Gefühle, die hier freigesetzt werden können, unvorbereitet treffen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass bei der möglichen Empörung über ungerechte Erbregelungen heftige Gefühle wachgerufen werden, 10

die die Qualität der Familienbeziehungen nachhaltig beeinträchtigen können. Wir wissen nicht genau, wie viele Familien in Folge unglücklich verlaufener Erbfolgevorgänge tatsächlich auseinandergebrochen sind, wie viele Geschwister einander für immer den Rücken gekehrt haben – anekdotische Evidenz, tragische Einzelfälle werden viele Beraterinnen und Berater von Familien berichten können. Angesichts der Tragweite dieser Probleme erstaunt es, wie wenig sich gerade die Familienpsychologie, die Familientherapie bzw. die systemische Therapie dieser Thematik angenommen haben. Die Fachliteratur, die sich tiefgreifend mit den mit Erbe verbundenen Problemen auseinandersetzt, ist bis heute recht überschaubar – ein echter »blinder Fleck«! Umso erfreulicher ist es, dass sich die Autorin dieses Buches als erfahrene Familienpsychologin und psychotherapeutische Praktikerin diesem Themenfeld widmet. Ausgehend von der unendlichen möglichen Vielfalt von Familienkonstellationen, Geschlechterverhältnissen und Geschwisterbeziehungen sucht sie nach verbindenden Mustern, die helfen, die jeweils sehr persönlichen Kränkungen und Enttäuschungen zu verstehen und einzuordnen. Die bereits angesprochenen Dilemmata der Gerechtigkeit stehen dabei natürlich stark im Vordergrund: Es ist eben unmöglich, eine abstrakte »Gerechtigkeit« in zwischenmenschlichen Alltag herzustellen, fast immer wird es Kompromisse geben, wird die eine oder die andere Seite mit dem Gefühl leben müssen,

schlechter weggekommen zu sein – eine Empfindung, von der jede Mutter und jeder Vater mit kleineren und manchmal auch größeren Kindern ein Lied singen kann (wie oft wird doch gerade das Weihnachtsgeschenk, das der andere bekommen hat, als so viel besser erlebt als das eigene …). So liegt es nah, dass alte Geschwisterrivalitäten wieder wachgerufen und im Erbfall recht unvermittelt »scharf« gestellt werden. Welche Tragik, wenn dann eine der wichtigsten Verbindungen, die Menschen in ihrem Leben haben, bricht oder dauerhaft beschädigt wird. Professionelle Beratung kann hier helfen, andere, reifere Lösungen zu finden als den Bruch. Es wird Zeit, dass die Chancen wahrgenommen werden, die darin liegen, das Thema Erben in Beratung und Therapie anzusprechen, ehe die solchen Streitigkeiten innewohnenden Eskalationsschleifen beginnen und sich vielleicht auf juristischen Gleisen noch verschärfen. Das vorliegende Buch soll zum einen sensibel machen für die vielen möglichen Fallstricke, die in Familien »herumliegen«, wenn es um Vererben und Erben geht und es soll zugleich zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, diese früh zu erkennen, präventiv anzugehen oder, wenn man schon in der Falle von Wut und Eskalation steckt, doch so zu bearbeiten, dass möglichst wenig »Beziehungsporzellan« zerschlagen wird. In diesem Sinn wünsche ich diesem schönen Band, dass er in den Händen von interessierten Laien und therapeutischen Praktikerinnen und Praktikern gute Wirkung entfaltet. Arist von Schlippe

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Der Kontext

1 Das liebe Geld und seine Schattenseiten

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1.1 Vorbemerkungen »Unsere Mutter ist noch nicht mal richtig unter der Erde, und mein Bruder hat schon hinter meinem Rücken die wertvolle Münzsammlung, die unser Vater so gehütet hatte, weggeschafft. Angeblich hatte unser Vater sie seinem Enkel schon vor Jahren versprochen, na also, davon weiß ich nichts, das glaube ich nie im Leben! Meine Töchter hätten auch gern ein paar Münzen zur Erinnerung an den Opa gehabt« – wer kennt solche Geschichten aus seinem Umfeld nicht, in denen auf unschöne Weise um das Erbe gerungen wird? Betroffene können ein Lied davon singen. Erbgeschichten bergen reichlich Zündstoff in sich, viele der oft jahrelang andauernden zermürbenden Zerwürfnisse sind an Heftigkeit kaum zu überbieten. Unter den Familienmitgliedern sind Unterstellungen und Vorwürfe an der Tagesordnung, an deren Ende oftmals eisiges Schweigen und Kontaktabbruch stehen. Manchmal sind weitere Verwandte oder Außenstehende an den Konflikten beteiligt, was die Sache nicht einfacher macht. Lassen sich die Probleme nicht im Kreis der Familie lösen, vor allem, wenn die Kommunikation untereinander völlig abreißt, wird üblicherweise Rechtsbeistand eingeholt, was den Ton noch verschärfen und die Konflikte weiter anheizen kann. Solche Erbauseinandersetzungen können Rechtsanwälte und Gerichte manchmal über Jahre beschäftigen, wobei sich wahre zwischenmenschliche Abgründe auf-

tun, wie die bekannte Rechtswissenschaftlerin Dauner-Lieb weiß: »Im Übrigen weiß der erfahrene Erbrechtler, dass das Erbrecht wohl von allen Rechtsgebieten am besten geeignet ist, die schlechten Eigenschaften des Menschen zur vollen Entfaltung zu bringen« (2005, S. 38). In der Folge erzielt einschlägige Ratgeberliteratur guten Absatz, und auch im Internet gibt es einige Hilfsangebote wie etwa das Deutsche Forum für Erbrecht. 15

Menschheit bot die Kluft zwischen arm und reich gesellschaftlichen

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Neid um Besitz und Vermögen spaltet nicht nur Familien, sondern auch ganze Gesellschaften. Schon immer in der Geschichte der Sprengstoff, der Unruhen, Krisen bis hin zu Revolutionen auslösen konnte. Ebenso kennt die Geschichte reichlich, zum Teil spektakuläre Fälle von Erbstreitigkeiten. Historisch gut belegt sind etwa diverse Erbfolgekriege (z. B. Pfälzischer Erbfolgekrieg 1688–1697), bei denen sich die Fehden über mehrere Generationen hinzogen und zahlreiche Menschenleben kosteten. Einen Extremfall stellen Gewalt- oder Tötungs­ delikte im Zusammenhang mit einem Erbschaftsstreit dar, die in den Medien ausgeschlachtet werden. Ebenso bedienen sich Kriminal­ romane gern dieses Stoffs: »In Kriminal­romanen und -filmen steht am Anfang der verbrecherischen Handlung häufig ein Testament« (Der Tages­spiegel, 18.09.2020).1 Des Weiteren ist bekannt, dass das Übertragen von Familienunternehmen von der älteren an die nächste Generation viele Probleme mit sich bringt, was etwa Arist von Schlippe in zahlreichen Publikationen anschaulich beschrieben hat (z. B. 2022a u. b). Nicht zuletzt haben wir der Literatur eindrückliche Beispiele teils dramatischer Erbschaftsstreitigkeiten zu verdanken, angefangen mit der Bibel (z. B. Jakob und Esau) oder mit den klassischen Märchen (z. B. »Die drei Glückskinder«). Aber auch die Belletristik hat uns 1 https://www.tagesspiegel.de/berlin/bei-erbschaft-mord-4198006.html (Zugriff am 4.1.2023).

berühmte Beispiele von Erbschaftsdramen, wie beispielsweise die »Buddenbrooks« von Thomas Mann (2008) beschert. Ebenso wenig lassen sich die modernen Medien dieses brisante Thema entgehen, wie unter anderem die Fernsehserie »Das Erbe der Guldenburgs« (1987–1990) oder die Netflix-Serie »Die Erbschaft« (2014–2017) zeigen. Zwei unterhaltsame Spielfilme seien noch erwähnt, in denen das Antreten einer Erbschaft an eine Bedingung der Erblasser bzw. der Erblasserin geknüpft ist. Diese müssen die Erben gemeinsam erfül-

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len, damit das Erbe nicht verloren geht. Daraus entwickeln sich spannende Dynamiken. In dem Film »Alles auf Zucker« (2004) müssen die zerstrittenen Brüder eine siebentägige Trauer nach jüdischer Tradition abhalten, während die Kinder in dem Film »Saint Jacques … Pilgern auf Französisch« (2005) dazu verdonnert sind, gemeinsam den Jakobsweg zu laufen. Hinter diesem »Auftrag« verbirgt sich in beiden Filmen jeweils der Wunsch der verstorbenen Mutter, die Geschwister wieder zusammenzubringen. Das Bedürfnis, Familienharmonie zu bewahren oder herzustellen, ist am Ende des Lebens vermutlich sehr ausgeprägt, um beruhigt aus dem Leben zu gehen. Angesichts dieser Brisanz erstaunt es sehr, dass die familienpsycho­ logische Literatur zu diesem Thema äußerst dürftig ist. Bisher wurden Prozesse des Erbens und Vererbens (wie finanzielle Transfers allgemein) primär unter ökonomischen, juristischen oder soziologischen Aspekten betrachtet, wobei die strukturellen Bedingungen (z. B. Volumen, Verteilungen) oder rechtlichen Besonderheiten im Vordergrund standen. Die Familienpsychologie dagegen setzt den Fokus auf die Beziehungsebene und das subjektive Erleben der Beteiligten (z. B. Rütschi, 2018). Erst kürzlich hat die Familienpsychologie das Thema Erbschaft für sich entdeckt, so dass die Zeitschriften »Psychotherapie im Alter« (2021) und »Familiendynamik« (2022) ganz aktuell eigens jeweils ein Schwerpunktheft dazu herausgebracht haben. In der Beratungs- und psychotherapeutischen Praxis spielt

dieses Thema zwar durchaus eine wichtige Rolle, aber spezielle therapeutische Ansätze wurden bisher nicht entwickelt. Menschen nehmen in solchen belastenden Konfliktsituationen auch professionelle Hilfe in Anspruch. Günstig wäre es etwa, eine Mediation aufzusuchen, die einer Eskalation entgegenwirken kann. Durch Ungerechtigkeiten im Erbschaftsprozess, die auf weit zurückreichende elterliche Zurückweisungen hinweisen, können Menschen 17

ten gilt. Ein solcher Abschied kann in Abhängigkeit von der Bezie-

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tief gekränkt sein. Außerdem geht Erben in der Regel mit dem Tod eines nahestehenden Familienmitgliedes einher, den es zu verkrafhung zu der verstorbenen Person und den Ressourcen der Hinterbliebenen als unterschiedlich schmerzlich erlebt werden. Von diesem Zeitpunkt an sind die Kinder nun selbst die Ältesten (»jetzt sind wir die Nächsten«), was ihnen die eigene Endlichkeit bewusst macht. Selbst erwachsene Kinder können verunsichert sein, wenn Eltern als emotionaler Halt und Quelle von Unterstützung nicht mehr da sind. Außerdem markiert dieser Einschnitt das Ende eines Familienzyklus. Die nachfolgende Generation muss sich neu orientieren und die Familientraditionen und Rituale neu definieren. Normalerweise halten die Mütter die Familie zusammen und vermitteln bei Zwistigkeiten, um das Familiensystem zu stabilisieren, auch »kin-keeper« genannt (Fuller-Thomson, 2000). Nach ihrem Ableben wird diese Rolle häufig von älteren Schwestern übernommen, die fortan die Familienbande aufrechterhalten und Zusammenkünfte organisieren, damit beispielsweise Feiertage gemeinsam begangen werden. In gemeinsamer Trauer können Geschwister – zumindest vorübergehend – (wieder) zusammenrücken. Allerdings hält dieser Effekt nicht unbedingt lange an, und bald kehrt wieder Alltag ein (Khodyakov & Carr, 2009). Insgesamt liegt der Fokus hier auf dem Erbgeschehen in Kernfamilien, da die Einbeziehung komplexerer Familienstrukturen den Rahmen dieses Buches sprengen würde.

1.2 Zur Bedeutung von Geld in Familien Erbschaften beinhalten in den meisten Fällen Vermögen und Besitz einer Familie, die unter den Erben verteilt werden. Geld hat eine wichtige faktische Bedeutung, da es der Versorgung und Absicherung der Familie dient. Zudem beeinflussen die materiellen Bedingungen den Familienalltag und die Freizeitgestaltung, indem sie Zugang zu vom Gesetz her, für ihre Kinder zu sorgen, bis diese auf eigenen

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Bildung, Kultur und Konsum ermöglichen. Eltern obliegt es auch 18

Füßen stehen. Wuchs die ältere Generation noch in ökonomisch schwierigen Zeiten auf und lebte eher bescheiden, konnten sich spätere Generationen infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs einen gewissen Luxus wie z. B. Urlaubsreisen leisten. Der Wunsch, »die Kinder sollen es mal besser haben« erfüllte sich: Heutzutage sind viele Kinder und Jugendliche daran gewöhnt, dass auf die meisten ihrer Bedürfnisse eingegangen wird. So sind etwa ein (oft kostspieliges) Smartphone oder andere Mediengeräte eine Selbstverständlichkeit. Allerdings sind die Lebensgrundlagen auch hierzulande sehr unterschiedlich: an einem Ende Familien, die an der Armutsgrenze leben und jeden Cent umdrehen müssen, am anderen Ende wohlhabende Familien, die nicht aufs Geld achten müssen. Es ist zu vermuten, dass sich diese Unterschiede infolge von Coronapandemie, Ukrainekrieg und Energiekrise noch vergrößern könnten. Diese gesellschaftlichen Unterschiede spiegeln sich auch im Spektrum der zu vererbenden Vermögen wider, weshalb eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von »vererbter Ungleichheit« spricht (Tiefensee & Grabka, 2017). In der jetzt das Alter erreichenden »Wirtschaftswunder-Generation« sind die Besitztümer kontinuierlich gestiegen, so dass bereits die Postbank Erbschaftsstudie (2012) von der »historisch größten Erbschaftswelle« sprach. Allerdings profitiert davon nur ein kleiner Teil am oberen

Ende der Gesellschaft. Gleichzeitig wächst die Zahl »von wirtschaftlich unbedeutenden Nachlässen, die zwar Verpflichtung, aber nicht Privileg sind« (Breitschmid, 2007, S. 42). Psychologisch interessant sind Geldflüsse in Familien vor allem deshalb, weil Geld zudem eine symbolische Bedeutung hat. Das heißt, es ist ein machtvolles Mittel, die Familienbeziehungen zu gestalten: Über finanzielle bzw. andere materielle Zuwendungen wird immer ziehen sich meist durch die ganze Familiengeschichte. So werden bei-

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spielsweise die Lieblingskinder häufiger zum Essen oder zu gemein-

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auch Wertschätzung bzw. Ablehnung ausgedrückt. Solche Dynamiken

samen Urlauben eingeladen, während andere Kinder nicht in diesen Genuss kommen. Oder wie soll man etwa einem Enkel erklären, dass die Großeltern seinem Cousin den Führerschein bezahlen, ihm aber nicht? Bei solchen Ungleichheiten, ob heimlich oder ganz offen erfolgend, sind Spannungen und Enttäuschung kaum zu vermeiden. Im Allgemeinen sind Familien Solidargemeinschaften, überall auf der Welt, so auch hierzulande, d. h. es herrscht die Norm, dass man in der Familie füreinander da ist. Generell läuft der Investitionsfluss in Familien dabei einseitig von der älteren an die jüngere Generation, d. h. dass Eltern viel mehr einbringen, als sie von ihren Kindern zurückbekommen. Ein Ausgleich erfolgt oft erst zeitversetzt: Wenn die alternden Eltern krank und pflegebedürftig werden, sind sie es nun, die ihrerseits auf Unterstützung (Pflege- oder Dienstleistungen) von den Kindern angewiesen sind. Je nach der gesundheitlichen Situation der Eltern kann dies die mittlere Generation sehr belasten und mit starken Einschränkungen einhergehen. Viele haben selbst noch ihre eigenen Kinder zu versorgen und sind beruflich stark eingebunden. In der Psychologie bisher wenig beachtet, aber durchaus aufschlussreich, ist, wie Familien mit Geld umgehen. Jede Familie hat ihre eigene »Geldkultur«, die oft über die Generationen hinweg tra-

diert wird (Fooken, 1998). In einigen Familien wird Geld eher großzügig bis verschwenderisch ausgegeben, andere sitzen sparsam bis knausrig darauf. Eltern betrachten es als ihre Aufgabe, ihren Kindern einen nach ihren Vorstellungen angemessenen Umgang mit Geld beizubringen. Zudem leben sie modellhaft vor, welche Geldausgaben sie als sinnvoll erachten. Vor allem ab dem Jugendalter haben Eltern schnell das Gefühl, dass ihr Geld bei den Kindern nicht in guten Händen ist. Daher wollen sie, auch beim Vererben, vermeiden,

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dass ihr oft mühsam Erspartes einfach verprasst wird. Ein Beispiel aus einem beliebten Buch veranschaulicht dies auf amüsante Weise. Frau Bergmann, zweifach verwitwet, zweifelt an den beruflichen Plänen ihrer einzigen Tochter und möchte sie daher nur ungern dabei unterstützen: »Kirsten erzählte mir, dass sie ihre ›Praxis‹ zu einem Gesundheits- und Entspannungszänter für Haustiere erweitern und in Zukunft auch Wassergeburt für Katzen anbieten möchte. Aquagymnastik auch. Dazu müsste sie aber anbauen, und dafür braucht sie Geld. MEIN GELD. Na, Sie können sich ja denken, dass ich bei so einem Humbug die Schatulle zuhalte!« (Rohde, 2016, S. 28). Typischerweise belohnen Eltern ihre Kinder mit Geldgeschenken für gute Leistungen in der Schule. Jugendliche verhandeln gern zäh um Taschengeld, weil ihre Ansprüche steigen und sie mit ihren Peers mithalten wollen. Während der Ausbildungszeit der herangewachsenen Kinder fallen die höchsten Kosten an, was Eltern sehr belasten kann. Selbst danach, im Prinzip ein Leben lang, unterstützen Eltern ihre erwachsenen Kinder oder Enkel häufig noch, springen bei Krisen (z. B. Scheidung, Krankheit) oder finanziellen Engpässen (z. B. Hausbau, Arbeitslosigkeit) ein. Erst im Alter endet die Unterstützung meist, wenn die Eltern von ihrer Rente leben und nun ihr Geld für Hilfe- und Pflegeleistungen selbst benötigen. Das Vermächtnis bildet das Ende der Unterstützung und kommt den Kindern über den Tod der Eltern hinaus zugute.

1.3 Eltern als Erblasser: Wie sag ich’s meinen Kindern? Das Erbe ist vorrangig für die eigene Familie gedacht, ganz nach dem Motto: »Das Erbe soll in der Familie bleiben«. Auch das in Deutschland geltende bürgerliche Erbrecht ist an die »familiale Genealogie« gebunden: »Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers« (§ 1924 BGB). Eine solche »dynas21

& Grabka, 2017). In der Postbank Erbschaftsstudie (2012) dominiert

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tische Motivkonstellation« ist auch empirisch belegt: Aktuell erfolgen zwei Drittel aller Erbfälle generationenübergreifend (Tiefensee ebenfalls das Bedürfnis, für nahe Angehörige zu sorgen, gefolgt von dem Wunsch, anderen eine Freude zu machen. Auch in experimentellen Settings (s. u.) betonten ältere Probanden und Probandinnen bei ihren Motiven die biologischen Bande: »In den Kindern weiterleben«. Da im Regelfall die Eltern zuerst sterben, folgt Vererben einem Kaskadenmodell: Gelder und Sachwerte fließen in der Generationenfolge von oben nach unten. Angesichts der gestiegenen Lebenserwartung der älteren Generation kann es heutzutage passieren, dass die immensen Kosten für Pflege das ganze Erbe aufbrauchen, trotz Pflegeversicherung. Ansonsten mussten die Kinder einspringen, jedoch seit 2020 nur noch vermögende Kinder. Da Erbschaft ein heikles Thema ist, gestaltet sich auch die empirische Untersuchung der Erbschaftsdynamik schwierig. In seltenen Fällen wurden potentielle Erblasser direkt befragt (z. B. Schmitt & Jores, 2001). Ebenso wenig bringt die Durchsicht von Testamenten, da diese nichts über die dahintersteckenden Familiendynamiken aussagen. Ein experimentelles Vorgehen besteht darin, dass Probanden und Probandinnen anhand von Fallvignetten ein hypothetisches Erbe aufteilen und nach ihren Motiven befragt werden (Bossong & Nussbeck, 2004). Inwieweit dies repräsentativ für die Familienrealität ist, ist allerdings fraglich.

Für die Eltern ist das Vererben ein Drahtseilakt, denn die meisten wollen gerecht sein, wissen aber nicht, wie sie dies umsetzen sollen. Sie fürchten, es sich mit ihren Kindern zu verderben, weil deren Vorstellungen über eine gerechte Erbaufteilung ganz anders aussehen könnten als ihre. Das mag ein Grund dafür sein, dass Eltern die Festlegung ihres letzten Willens gern verdrängen bzw. so lange aufschieben, bis es gesundheitlich kaum noch möglich ist. Außerdem werden sie dadurch an den eigenen Tod erinnert, was beunru-

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higend ist. Die Bereitschaft, die Hinterlassenschaft zu regeln, steigt allerdings mit dem Alter: Etwa die Hälfte der über 65 Jahre alten Menschen hat bereits ein Testament verfasst (Postbank Erbschaftsstudie, 2012). Die anderen überlassen die Erbschaftsregelung dem Zufall bzw. der gesetzlichen Erbfolge, getreu dem Motto: »Nach mir die Sintflut«. Dabei steht den Erblassern die Gestaltung ihres Testa­ ments weitgehend frei, denn im deutschen Erbrecht herrscht laut Artikel 14 GG Testierfreiheit. Sie können sogar Kinder enterben, ohne dies zu begründen. Die enterbten Kinder erhalten dann nur ihren Pflichtteil (50 % des gesetzlichen Erbes). Grundsätzlich gilt wohl in den meisten Familien der Anspruch, dass Kinder immer gleich zu behandeln seien. Dementsprechend wird auch beim Vererben erwartet, dass Eltern die Erbmasse auf alle Kinder gleich verteilen, so wie es auch das Gesetz vorsieht: »Kinder erben zu gleichen Teilen.« (§ 2303 BGB, 4). Diese scheinbar einfachste Lösung soll helfen, Konflikte zwischen den Kindern zu vermeiden, scheitert aber oft an der Realität. Zu erheblichem Unmut führt es bereits zu Lebzeiten der Eltern, wenn eins oder mehrere der Kinder, womöglich noch hinter dem Rücken der anderen, Geld oder Sachgeschenke (z. B. ein Auto) erhalten. Wird dafür kein Ausgleich für die anderen geschaffen, kann dies den Familienfrieden erheblich stören. Solche Schenkungen müssen auf das Erbe angerechnet werden, um nicht die Anteile der Miterben zu schmälern. Obwohl

Schenkungen eine Art vorzeitiges Erbe sind, unterliegen sie keiner gesetzlichen Regelung. Beim Vererben wird die Gleichverteilung allerdings nicht immer von allen als die gerechteste Lösung gesehen. So können Eltern sich aus bestimmten Gründen (s. u.) für eine andere Aufteilung entscheiden. Im Falle solcher ungleichen Aufteilungen wird von den Kindern ein Ausgleich erwartet. Wird z. B. dem einen Sohn das Ferienhaus zugesprochen, erwartet der andere genswerten. Im Idealfall sollten Eltern mit ihren Kindern darüber

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sprechen (»offenes Testament«) und ihre Gründe für Abweichun-

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einen höheren Anteil bei den Wertpapieren oder ähnlichen Vermö-

gen erläutern. Nach ihrem Ableben ist das nicht mehr möglich und durch das Testament verursachte Kränkungen sind nicht mehr zu klären. Faktisch hat laut Postbank Erbschaftsstudie (2012) ca. jeder Zweite der über 65 Jahre alten Erblasser mit den vorgesehenen Erben gesprochen. Zugleich ist aber die Sorge von Eltern verständlich, dass sie die bei derart schwierigen Gesprächen entstehende Emotionalität nicht aushalten und diesen daher lieber aus dem Weg gehen. Die Gefahr, dass aufgebrachte potentielle Erben und Erbinnen alle Hebel in Bewegung setzen, um die Eltern umzustimmen (auch auf Kosten der Miterben), ist nicht von der Hand zu weisen. Hier empfiehlt es sich, ggf. eine fachkompetente Unterstützung für die Moderation eines solchen Gesprächs aufzusuchen. Dies wäre auch in folgendem Fall ratsam gewesen: In Familie M.2 hatten beide Eltern gut verdient und es sich auch gut gehen lassen. Aus dieser Ehe, die später geschieden wurde, stammen zwei Töchter und ein Sohn. Der Vater war bereits verstorben, ohne etwas zu hinterlassen, weil er sein Geld nicht zusammenhalten 2 Alle Fallbeispiele sind an persönliche und psychotherapeutische Erfahrungen angelehnt, die entsprechend verfremdet wurden, um eine Anonymisierung zu gewährleisten.

konnte. Die deutlich jüngere Mutter war immer sehr großzügig zu ihren Kindern, hatte allerdings wohl über ihre Verhältnisse gelebt. So hatte sie allen den letzten Familienurlaub bezahlt, obwohl ihr Konto bereits überzogen war. Zu ihr hatten die Kinder eine sehr gute Beziehung, bis sie erneut heiratete. Das Verhältnis zum Stiefvater war angespannt, weil die Kinder ihm unterstellten, er ließe sich von der Mutter aushalten. Als diese starb, stellte sich heraus, dass eine lehen aufgenommen hatte. Dies hatte sie verschwiegen, wie auch

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hohe Summe ausstand, weil die Mutter einige Zeit zuvor ein Dar24

die Tatsache, dass sie in ihrer Lebensversicherung den neuen Mann begünstigt hatte. Die Kinder mussten daraufhin das Erbe ausschlagen, konnten kaum die Beerdigungskosten begleichen.

In vielen Fällen spiegeln finanzielle Zuwendungen die elterliche Zuneigung zu den einzelnen Kindern (s. o., symbolischer Wert von Geld) wider. So werden Lieblingskinder gegenüber anderen bevorzugt, die weniger in der elterlichen Gunst stehen, und zwar auch noch im Erwachsenenalter. Bei Befragungen benennen bis zwei Drittel aller Eltern Lieblingskinder, denen sie sich besonders nah fühlen und eher Unterstützung gewähren würden (Aldous, Klaus & Klein, 1985; Suitor, Sechrist, Plikuhn, Pardo & Pillemer, 2008). Dabei bevorzugen sie diejenigen Kinder, die ähnliche Werte vertreten, die normativen Schritte zum Erwachsenenstatus erreicht haben und nicht durch deviantes Verhalten auffällig geworden sind, sowie Kinder, die in der Nähe wohnen und Unterstützung leisten. Daher mag eine ungleiche Aufteilung daraus resultieren, dass eins der Kinder für einen zuvor geleisteten Pflegeeinsatz »entschädigt« wird, weil die anderen sich weniger oder gar nicht um die Eltern gekümmert haben. Die Wahrscheinlichkeit, als Eltern umsorgt zu werden, hängt von mehreren Faktoren ab, wie Alter oder Geschlecht der Kinder, aber auch deren Lebenssituation. So sinkt z. B. die Pflege-

wahrscheinlichkeit, wenn ein Kind selbst in Familienaufgaben stark eingebunden ist. Wer vorher finanziell oder anderweitig unterstützt wurde, will das vielleicht auf diesem Weg wieder gut machen: »Die Pflege gilt gewissermaßen als Rückzahlung für die elterliche Unterstützung« (Raab, Leopold & Engelhardt, 2014, S. 17). Unbestritten ist, dass es in den meisten Familien die älteren Töchter sind, die sich für die Eltern verantwortlich fühlen. Dies kann sehr belastend sein, vornehm zurückhält. Dabei sind Vergleiche untereinander (wer hat

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sich schon immer gedrückt?) sehr üblich, denn: »Schließlich bewer-

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wenn diese Bürde auf einer einzigen Person lastet und sich der Rest

ten Geschwister die eigenen Kosten und Verpflichtungen relativ zu denen ihrer Geschwister« (2014, S. 17). Beim Vererben sind Konflikte an der Tagesordnung, wenngleich viele Familien es hinbekommen, diese friedlich zu lösen. Nach den Ergebnissen der Postbank Erbschaftsstudie (2012) geht ca. jede sechste Erbschaft in Deutschland mit Streitigkeiten, meist unter Geschwistern, einher, weil sich Hinterbliebene benachteiligt fühlen (73 %) oder schon vorher zerstritten waren (57 %). Dabei rechnen Kinder häufiger (25 %) mit Streitigkeiten als Eltern (10 %). Je höher das Erbe, desto erbitterter wird darum gekämpft. Allerdings können auch materiell unbedeutende Dinge (z. B. die alte Uhr des Vaters), die eine hohe emotionale Bedeutung haben, zu heftigen Auseinandersetzungen führen.

1.4 Kinder als Erben: Eine Zerreißprobe für ihre Beziehung Die hohe Konfliktanfälligkeit macht das Erbe zu einem Kristallisations­ punkt, der das Verhältnis der Geschwister zueinander auf den Prüfstand stellen kann. Geschwisterbeziehungen gehören zu den Primär-

beziehungen und sind die längsten Beziehungen im Leben überhaupt. Aufgrund der einzigartigen Kombination, Altersgefährte bzw. Altersgefährtin plus Familienmitglied, sind Geschwisterbeziehungen mit keiner anderen Beziehung vergleichbar. So sind sie etwa im Unterschied zu Freundschaften nicht freiwillig und nicht kündbar. Bei Streitigkeiten steht für Geschwister viel auf dem Spiel, und besonders im Alter wollen sie ihre Beziehung nicht gefährden. Schon das mittlere Alter bringt oft wieder eine Annäherung mit sich und Geschwister besinnen

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sich mehr aufeinander. Ein Grund dafür ist, dass die eigenen Kinder aus dem Haus sind und sich Verluste im persönlichen Umfeld häufen. Auch die Eltern als Ansprechpersonen sind nicht mehr verfügbar. Der Tod der Eltern bringt die Geschwister zwangsläufig (wieder) zusammen, weil es einige Aufgaben (Organisation der Beerdigung, Entsorgen des elterlichen Hausstandes) gemeinsam zu bewältigen gilt. Viele Geschwister halten ein Leben lang Kontakt, was Telefon und die neuen Medien auch bei eingeschränkter Mobilität und Gesundheit ermöglichen. Vor allem Schwestern stehen einander oft bis ins hohe Alter nah und unterstützen sich gegenseitig. Guter Kontakt trägt zu Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit bei und vermittelt ein Gefühl emotionaler Sicherheit und Kontinuität (Bedford, 1997; Cicirelli, 1995). Besonders in Krisenzeiten (z. B. Erkrankung) erweist sich dieser Kontakt als hilfreich. Kinderlose, Geschiedene oder Verwitwete sind dabei mehr an der Beziehung interessiert als Menschen, die eigene Familien haben. Diese besondere Nähe hat natürlich auch ihre Schattenseiten, denn Geschwister kennen die jeweiligen Schwachstellen voneinander und können sich gegenseitig leicht verletzen. Daher sind Spannungen, Entfremdung oder sogar Kontaktabbruch unter Brüdern und Schwestern nicht selten. Dies kann das Wohlbefinden beeinträchtigen, sowie Ängste, Depression und Einsamkeit im Alter verstärken (Stocker, Gilligan, Klopack, Conger, Lanthier, Neppl, O’Neal, & Wickrama, 2020). Nicht zuletzt deswegen wird die Geschwisterbe-

ziehung häufig als die ambivalenteste aller Beziehungen überhaupt bezeichnet, Nähe und Rivalität liegen hier dicht beieinander. Generell nimmt das elterliche Verhalten erheblichen Einfluss auf die Qualität des geschwisterlichen Kontakts, und zwar über die gesamte Familiengeschichte hinweg. Dabei stellt elterliche Ungleichbehandlung einen Schlüsselfaktor dar, der das Geschwisterverhältnis untergraben kann. Diese bezieht sich auf unterschiedliches Verhalten emotionale Beziehung (Aldous et al., 1985; Suitor et al., 2008). Kin-

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der, egal welchen Alters, vergleichen sich ständig und registrieren

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den Kindern gegenüber, Bevorzugung bezieht sich dagegen auf die

Unterschiede im Elternverhalten ihnen gegenüber genauestens: »Wer bekommt die teureren Schuhe?« oder »Bei mir wart ihr viel strenger als beim kleinen Bruder!« Auch Eltern stellen Vergleiche an und schüren so Konkurrenz: »Deine Schwester macht ihre Hausaufgaben immer ordentlich, warum kannst du das nicht auch?«. Dies kann Kinder anspornen, aber auch das Gegenteil bewirken und schwächere Kinder frustrieren. Passiert das häufiger, fühlen sie sich weniger geliebt und ihr Selbstwert leidet. Auch im mittleren Alter spielt elterliche Benachteiligung noch eine Rolle. Bei Befragungen berichten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen von früheren Bevorzugungen bezüglich Zuneigung, Disziplin und Privilegien. In der Folge fühlen sich benachteiligte Kinder ihren Eltern weniger verbunden und sind weniger geneigt, diese zu unterstützen. Dabei spielt das Geschlecht der Eltern eine Rolle: Die Benachteiligung durch Mütter wiege schwerer, weil diese stärker in das Leben der Kinder involviert sind als Väter (Ferring, Boll & Filipp, 2003). Eltern ihrerseits bevorzugen eher erwachsene Töchter als Söhne (Aldous et al., 1985; Suitor et al., 2008). Tatsächlich sind ungleiche Behandlungen der einzelnen Kinder im Erziehungsalltag nicht zu vermeiden, da deren jeweiliger Entwicklungsstand altersgemäße Erziehungsweisen der Eltern erforder-

lich macht, um die kindlichen Bedürfnisse angemessen zu erfüllen. In längsschnittlichen Beobachtungsstudien wurde nachgewiesen, dass Eltern ihre Kinder im jeweils gleichen Alter in der Regel tatsächlich gleich behandeln (Dunn & Plomin, 1996). Dies bekommen Kinder aber nicht mit und fühlen sich daher schnell zurückgesetzt. Dies lässt sich nur aus dem Weg räumen, wenn Eltern diese Unterschiede gut begründen. Daher empfiehlt es sich, dass Eltern ihren Kindern in altersangemessener Weise erklären, dass diese in verschiedenen

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Lebensphasen eben jeweils etwas anderes brauchen und dass dies nichts mit unterschiedlicher Liebe zu tun hat. Schließlich wird dem Geburtenrang eines Kindes in der Geschwisterforschung eine zentrale Rolle beigemessen. Dieser wird mit typischen Zuschreibungen und Stereotypen assoziiert, die jedoch empirisch nicht eindeutig nachzuweisen sind. Vielmehr scheint es so zu sein, dass sich die Eltern gemäß ihrer Vorurteile verhalten und sich das kindliche Verhalten im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung entsprechend festigt. Generell gelten Erstgeborene eher als elternorientiert und angepasst, während später Geborene durchsetzungsfähiger sind, weil sie sich schon früh gegen ihre älteren Geschwister behaupten müssen. Aufgrund ihrer altersbedingten Überlegenheit neigen Erstgeborene dazu, ihre jüngeren Geschwister zu dominieren, wohingegen letztere bestrebt sind, den älteren nachzueifern. Den schlechtesten Stand haben mittlere Kinder, sogenannte »sandwich children«, die immer das Gefühl haben, zwischen die Maschen zu fallen. Daher wird bei ihnen eine besondere Anfälligkeit für problematische Entwicklungsverläufe vermutet. Alfred Adler, Pionier der Geschwisterpositionsforschung, hat mit seinen Überlegungen wesentlich zu einer überwiegend negativen Sicht von Geschwisterbeziehungen beigetragen. Der Begriff »Entthronungstrauma« stammt aus seiner Feder. Für Erstgeborene stellt die Geburt des zweiten Kindes einen großen Einschnitt in ihr Leben

dar: Hatten sie bis dahin die Eltern für sich allein gehabt, müssen sie diese fortan mit einem oder mehreren Geschwisterkindern teilen. Demzufolge entwickeln die meisten älteren Kinder, verständ­ licherweise, Eifersucht den jüngeren gegenüber, ein Phänomen, das Eltern nur zu gut kennen. Von klein an müssen Geschwister also alle familialen Ressourcen teilen, denn die elterliche Aufmerksamkeit und Zuwendung hat natürliche Grenzen. Auch wenn Eltern 29

systembedingt vorprogrammiert. Aus der Geburtenrangfolge und

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bemüht sind, ihre Ressourcen zu jedem Zeitpunkt vollkommen gerecht auf ihre Kinder zu verteilen, ist eine ungleiche Investition dem Alters­abstand ergibt sich automatisch eine Ungleichbehandlung, die nicht vermeidbar ist (Hertwig, Davis & Sulloway, 2002). Mit dem Geburten­rang der Kinder wächst der »Kontostand« an erhaltenen Ressourcen unterschiedlich an: Erst- und Letztgeborene genießen die ungeteilte Zuwendung ihrer Eltern jeweils eine Zeitlang allein, während mittlere Kinder immer teilen müssen. Um sich diese Ressourcen zu sichern, entwickeln Kinder unterschiedliche Strategien, indem sie etwa jeweils eigene Nischen in der Familie (z. B. die Musische, der Sportliche) besetzen, in denen sie sich von ihren Geschwistern abheben. Schachter (1982) zufolge dient diese geschwisterliche Abgrenzung (»sibling de-identification«) dazu, Rivalität zu reduzieren. Mit zunehmender Kinderzahl sind allerdings immer mehr Nischen bereits vergeben. Diese Neigung zur Abgrenzung ist bei erstgeborenen Geschwisterpaaren und gleichgeschlechtlichen Geschwistern mit geringem Altersabstand besonders ausgeprägt. Einen ähnlichen Mechanismus findet man auch im Verhalten der Kinder gegenüber ihren Eltern, die sogenannte »geteilte ElternIdentifikation« (Schachter, 1982): Kinder neigen dazu, sich jeweils verstärkt einem bestimmten Elternteil zuzuordnen (»Mamakind« oder »Papakind«). Eltern ihrerseits können diese Muster verstärken, indem sie darauf eingehen und diese so verfestigen.

Frühe Positionskämpfe setzten sich oft bis ins Erwachsenenalter hinein fort und entzünden sich an immer neuen Inhalten. Erben ist ein Paradebeispiel dafür, denn Geschwister konkurrieren direkt um das elterliche Erbe. Dabei besteht Interdependenz in dem Sinne, dass ein Mehr auf der einen Seite automatisch zu einem Weniger auf der anderen Seite führt (Bossong & Nussbeck, 2004). Gestritten wird bei Erbschaften nicht nur um große Vermögenswerte oder Immobilien, son30

Erinnerungen an den verstorbenen Elternteil verbunden sind. Oft sind

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dern auch um einfache Gebrauchsgegenstände, die mit persönlichen dies Gegenstände, die in der Familie gesammelt und über die Generationen weitergegeben wurden, wie z. B. ein altes Service oder eine Puppensammlung (Stum, 1999). Eine von allen als fair erlebte Aufteilung solch emotional hoch besetzter Dinge ist nur schwer zu erreichen. Die Art der Erbaufteilung ist bestens geeignet, Neid und Missgunst unter Geschwistern zu schüren. Sobald sich ein Kind gegenüber den anderen übervorteilt sieht, kommt es zu gegenseitigen Vorwürfen und Verdächtigungen, hintergangen worden zu sein. Diese können in heftigsten langwierigen Auseinandersetzungen und in Entfremdung bis hin zu Kontaktabbruch münden. Dabei reißen alte Wunden wieder auf, denn hinter den aktuellen Konflikten können länger schwelende, ungelöste Unstimmigkeiten stecken: »Nach dem Tod der Eltern und nach der Beerdigung eines Elternteils öffnen sich emotionale Grenzen, sodass die ungelösten Beziehungsprobleme über die materielle Ebene abgehandelt werden« (Rütschi, 2018, S. 12).

1.5 Individuelle Einflüsse: »Was heißt hier gerecht?« Schließlich nehmen auch individuelle Aspekte Einfluss auf den Verlauf von familialen Erbschaftskonflikten, wie Einstellungen und Dispositionen der beteiligten Familienmitglieder. Über die Bedeutung

von Persönlichkeitsmerkmalen ist in diesem Rahmen wenig bekannt, so dass sich nur Vermutungen anstellen lassen. Beispielsweise ist anzunehmen, dass sich Menschen mit einer Neigung zu erhöhter Kränkbarkeit besonders leicht benachteiligt fühlen. Außerdem ist davon auszugehen, dass Menschen mit einer hohen Ausprägung in Neurotizismus besonders anfällig dafür sind, in Konflikte zu geraten und diese nicht unbedingt konstruktiv zu lösen. Bei depressiven Menschen hingegen ist damit zu rechnen, dass sie sich durch Ungewomöglich noch die Schuld dafür geben. Beim Erben spielt die subjektive Bewertung eine zentrale Rolle, d. h., inwieweit die Verteilung als fair interpretiert wird. Kinder stellen sich Fragen wie: »Hat meine Schwester nicht schon immer mehr als ich gekriegt?« auch noch im Erwachsenenalter. Die aufkeimenden Gefühle haben ihren Ursprung oft weit in der Vergangenheit, weil sich die Muster einer elterlichen Ungleichbehandlung meist durch die ganze Lebensspanne ziehen (s. o.). Im Zusammenhang mit dem subjektiven Konflikterleben ist das wenig bekannte Merkmal »Sensibilität für Ungerechtigkeit« hervorzuheben: Ungerechtigkeitssensible Menschen tendieren dazu, Ungerechtigkeit verstärkt wahrzunehmen und intensiv darauf anzusprechen (Schmitt, Baumert, Fetchenhauer, Gollwitzer, Rothmund & Schlösser, 2009). Daher neigen sie zu Argwohn, Aggressionen und Rachegefühlen anderen Menschen gegenüber (s. u.). Eine Facette davon ist die »Opfersensibilität«, eine Haltung, die durch argwöhnische Kognitionen, Angst vor Ausbeutung und eigennützige Verteidigungshaltung gekennzeichnet ist (Schmitt et al., 2009). Opfersensibilität kommt besonders in Situationen negativer Interdependenz zum Tragen, wie dies bei Erbschaften der Fall ist: Wenn ein Erbe mehr bekommt, verringert sich automatisch der Anteil der Miterben. Aus diesem Grund sind opfersensible Menschen bestrebt,

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rechtigkeit in ihrem negativen Selbstbild bestätigt fühlen und sich

sich ihre Anteile im Voraus zu sichern, in der festen Überzeugung, sonst übervorteilt zu werden. Typischerweise heben sie schon zu Lebzeiten der Eltern über längere Zeit unauffällig kleinere Beträge von deren Konto ab. Dabei fühlen sie sich sogar voll im Recht, weil sie dies nur tun, um der vermuteten Benachteiligung zu entgehen. Aufgrund ihres tiefen generalisierten Misstrauens sind sie auch meistens nicht bereit, mit den anderen Familienmitgliedern zusammen an einer Lösung zu arbeiten.

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1.6 Erbschaftskonstellationen in speziellen Kontexten Spezialfall Stieffamilien: Gehen bei Auseinandersetzungen rund ums Erbe schon traditionelle Kernfamilien oft durch stürmische Zeiten, kann es in anderen Familienkonstellationen, die aus einer Trennung der Eltern rühren, so richtig ungemütlich werden. Hier stellt sich die Situation noch viel komplizierter dar. Mitglieder der Ursprungsfamilie nehmen Stiefeltern oder -geschwister oft als nicht dazugehörig wahr und handeln nach dem Motto: »Blut ist dicker als Wasser«. Betroffene können diesbezüglich von leidvollen Erfahrungen berichten, die Beziehungen sind eher distanziert oder angespannt. Das gilt auch für Halbgeschwister aus anderen Verbindungen eines Elternteils. Die finanzielle Situation in Trennungsfamilien ist häufig angespannt und die Mitglieder in solchen Familienkonstellationen fühlen sich untereinander weniger verpflichtet. Bezüglich des Erbes kommen mit der Wiederheirat eines Elternteils – unerwünschterweise – auch weitere potentielle Erben (neue Partner bzw. Partnerinnen, Halbgeschwister) ins Spiel, nicht zur Freude der Kinder aus der ersten Ehe, deren Erbanteile dadurch geringer ausfallen. Das gilt besonders für Erbstücke mit hoher symbolischer Bedeutung, die als Teil der Familiengeschichte betrachtet

werden (Kemp & Hunt, 2001). Auf diese legen Kinder der Ursprungsfamilie besonderen Wert, sie sollen in der Familie bleiben. Nur unter bestimmten Bedingungen, wenn beispielsweise eine Stieftochter das Elternteil am Ende versorgt und gepflegt hat, wird akzeptiert, dass diese sich so ihren Erbteil »verdient« hat. Insgesamt wurde die spezifische Dynamik von Erbprozessen in Stieffamilien äußerst selten untersucht (z. B. Stum, 1999). 33

eigenen Kinder haben, rücken die Geschwister und deren Nachkom-

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Weitere Verwandtschaft: In manchen Fällen ist die weitere Verwandtschaft in Erbschaftsprozesse involviert, z. B. wenn Erben keine men in der Erbfolge nach. Die Gefahr von Verwicklungen steigt in solchen komplexen Konstellationen erheblich. Teile der Verwandtschaft können gegen andere koalieren, leicht stellt sich gegenseitiges Misstrauen ein. Die Literatur bietet einen reichen Schatz an Beispielen solcher Familiendramen wie auch dem folgenden: Ein betagtes kinderloses Paar (Simon und Tamara) hat sich rechtzeitig auf sein Ableben vorbereitet und ein Testament verfasst, das allen Familienmitgliedern bekannt ist3. Ihr letzter Wille lautet, dass alle Neffen und Nichten das beträchtliche Vermögen zu gleichen Teilen erben sollen. Eine der Nichten (Antonia) hat sich als einzige bis zuletzt hingebungsvoll um die beiden gekümmert, während der Rest der Familie nur gelegentlich vorbeischaute, um den Schein zu wahren: »Manchmal kam Helene (eine andere Nichte) trotzdem kurz vorbei, damit man sie nicht nur als Aasgeier ansah. Sie werfe dann, verriet Antonia gern, einen Blick auf das Testament, das schon lange in Simons und Tamaras Nachtschränkchen lag, was jeder wusste, sie fotografierte die Gemälde, die an der Wand hingen, man wisse ja nicht, 3 Die Geschichte verweist darauf, dass ein »offenes Testament« auch nicht unbedingt die perfekte Lösung ist, sondern wieder neue Folgeprobleme nach sich ziehen kann.

ob irgendeiner auf die Idee kommen würde, sie zu stibitzen, und zählte die Löffel im Wohnzimmerschrank« (Schenk, 2020, S. 82). Nach dem fast gleichzeitigen Tod der beiden älteren Herrschaften ist das Testament plötzlich verschwunden. Nun gilt die gesetzliche Erbfolge, derzufolge Tamaras Schwester Alleinerbin ist. Da die beiden Schwestern keine gute Beziehung hatten, wird sie von den anderen Familienmitgliedern verdächtigt, das Testament unterschlagen zu haben. Diese appellieren an sie, den Willen der Verstorbenen doch zu respektieren.

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Dies jedoch prallt an ihr ab, sie scheint keinerlei Gewissenbisse zu haben. Besonders Antonia ist zutiefst enttäuscht, da sie allein am meisten für die beiden da war. Nach der Beisetzung eskaliert die Situation: »Ein Wort gibt das andere. Ein Wort, das stört, gibt ein anderes, das verstört. Anstand, Vorsicht und Heuchelei, all diese wattigen Eigenschaften machen sich dünn, böse Satzfetzen und Vogelnamen (von der Gans zum Geier) fliegen durcheinander« (S. 196). Ärger und Schuldzuweisungen richten sich dabei auch gegen Onkel und Tante, mit ihrer »egoistischen Philosophie: Nach mir die Sintflut. Denn anstatt ihre Testamente dem Notar anzuvertrauen, haben diese Kretins sie tatsächlich in den Nachttischschubladen liegen lassen, wo sie gestohlen oder fotokopiert wurden oder eben einfach verloren gegangen sind« (S. 90). Diese beiden haben darauf vertraut, dass die Familie ihren letzten Willen respektiert, was sich nun als Trugschluss erweist. Mit der Möglichkeit, dass jemand sie hintergeht, haben sie nicht gerechnet, ein typisches Beispiel für »Konsensfiktion« (siehe unten). Die Beziehungen scheinen für immer zerrüttet.

Fremde Personen und Institutionen: Nicht zuletzt können finanzielle Zuwendungen wie das Familienerbe auch außenstehenden Menschen zugutekommen. Gelegentlich passiert es, dass ein Elternteil in der letzten Lebensphase eine Liebesbeziehung eingeht, was die Kinder manchmal als befremdlich erleben. In einem Fall verliebte

sich der betagte Vater in eine etwa gleichaltrige Frau und schenkte ihr den ganzen Schmuck seiner verstorbenen Ehefrau. Da die Kinder dies zu spät bemerkten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als seine Entscheidung zähneknirschend hinzunehmen. Kinder begegnen solchen fremden Personen oft skeptisch und unterstellen ihnen schnell, die Bedürftigkeit des alten Elternteils um seines oder ihres Vermögens willen ausgenutzt zu haben. Einen Extremfall stellen Erbanwenden, um betagte, abhängige Menschen zu ihrem Vorteil zu

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manipulieren, damit sie an das Erbe kommen. Dabei kann es sich

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schleicher dar, die – auf Kosten der Miterben – perfide Strategien

sowohl um Familienmitglieder als auch um fremde Menschen handeln, die die Not hilfsbedürftiger Älterer ausnutzen. Letztere sind diesen oft ausgeliefert, vor allem, wenn keine Kinder in der Nähe leben, die nach ihren Eltern schauen. Besonders wenn Menschen demenzkrank sind und ihre Finanzen nicht mehr überblicken, erhöht sich diese Gefahr. Sie vertrauen dann auf Personen, die sie umgarnen und sich ihrer – scheinbar fürsorglich – annehmen. Folgendes Beispiel veranschaulicht einen solchen Fall: Eine begüterte Frau im höheren Alter lebte allein, nachdem erst ihr Mann, dann ihre Schwester und später ihr einziges Kind verstorben waren. Nur ein Neffe lebte noch, zu dem aber kaum Kontakt bestand, weil er im Ausland lebte. Im Alltag fühlte sie sich oft einsam, nur wenige Freundinnen kamen noch zu Besuch. Je älter und gebrechlicher sie wurde, desto mehr brauchte sie Unterstützung. Da sie Fremden gegenüber misstrauisch war, lehnte sie professionelle Angebote ab (»mir kommt kein Fremder ins Haus«). Stattdessen wandte sie sich an ihre Nachbarn, die sich gelegentlich um sie kümmerten, ihre Einkäufe erledigten und sie zu Arztbesuchen begleiteten. Zum Ausgleich stellte sie ihnen ihr Auto zur Verfügung, das sie eh nicht mehr fahren konnte. Als die Frau starb, war kein Testament

vorhanden, so dass vom Gesetz her der Neffe Alleinerbe war. Dieser kam nach Deutschland, um alles zu regeln. In der Zwischenzeit witterten die Nachbarn ihre Chance und durchwühlten die Wohnung der Verstorbenen, zu der sie einen Schlüssel hatten. Im Laufe ihres langen Lebens hatte diese einigen wertvollen Schmuck und Meißner Porzellan gesammelt, an dem sich die Nachbarn nun schamlos bedienten. Der Neffe wusste zu wenig und kannte sich damit nicht 36

spekuliert hatten. Er überließ ihnen großzügig das Auto seiner Tante

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aus, als dass ihm das hätte auffallen können, worauf die Nachbarn und bedankte sich für ihre Hilfe, nicht ahnend, dass sie ihn bereits um einen beträchtlichen Teil seiner Erbschaft betrogen hatten.

Schließlich können Menschen ihr Erbe wohltätigen Zwecken zukommen lassen, z. B. Patenschaften übernehmen oder es in karitative Stiftungen stecken. Oftmals kommt es vor, dass eine Institution bedacht wird, welche die verstorbene Person an ihrem Lebensende liebevoll betreut hat – wie beispielsweise ein Hospiz. Daher wollen sie diesen Einrichtungen ihren Dank erweisen, eben auch in materieller Form. Solche Entscheidungen seitens eines Elternteils können bei den Kindern Ressentiments auslösen. Zwischenfazit: Insgesamt sollte deutlich geworden sein, dass das Thema Geld in Familien, und Erben insbesondere, bisher nur unzureichend beachtet wurde. Dabei sind die vorgestellten Muster und Prozesse finanzieller Transfers familienpsychologisch äußerst spannend, denn sie erlauben einen tiefen Einblick in die Familiendynamik. Insbesondere das Erbschaftsgeschehen ist ein Kristallisationspunkt, an dem sich elterliche Gunst bzw. Zurückweisung unwiderruflich im letzten Willen spiegeln. Die materielle Absicherung der Familie festigt die emotionalen Bande. Elterliche Unterstützung gibt Kindern bis weit ins Erwachsenenalter hinein Sicherheit und Halt, besonders

in Krisenzeiten. Elterliche Geldzuwendungen stellen gleichzeitig wirkungsvolle Machtmittel dar, denn daran geknüpfte Erwartungen können die Kinder in die Pflicht nehmen. Bekannte (oder geargwöhnte) Bevorzugungs- oder Benachteiligungsmuster ziehen sich oft durch die ganze Familiengeschichte. Beim Erben erfahren solche Muster noch mal frischen Aufwind, der die Familiendynamik kräftig aufwirbeln kann. Das elterliche Erbe birgt also viel Konfliktpotenzial und kann die Familienbeziehungen der Nachkommen über Jahre 37

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beeinträchtigen.

Die systemische Beratung

2 Erbschaftskonflikte in Beratung und Psychotherapie

Beratung

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2.1 Vorbemerkungen Das vorangegangene Kapitel sollte deutlich machen, wie existenziell das Thema Erben für Familien sein kann. Zentrale und emotional hoch besetzte Fragen, die das Familienleben berühren, verdichten sich hier, Konsensfiktionen zerbrechen, Illusionen mögen sich auflösen und implizite Versprechen erweisen sich als gebrochen (von Schlippe, 2022b). All dies, wie gesagt, muss nicht zwangsläufig geschehen, denn immerhin sind etwa zwei Drittel der Erbfälle mehr oder weniger unstrittig. Jedoch allein die zahlenmäßige Größenordnung des verbleibenden Drittels, in dem es keine einvernehmliche Lösung gibt, verdeutlicht die Dimensionen der Probleme, mit denen Familien konfrontiert sind. Die Wahrscheinlichkeit ist also nicht gering, dass in dieser Situation professionelle Hilfe gesucht wird. Daher ist das Erbschaftsthema im psychotherapeutischen Alltag durchaus präsent: Familienmitglieder suchen Hilfe, um unüberbrückbar erscheinende Konflikte bezüglich der Verteilung der Erbmasse zu verarbeiten. In diesem Kapitel werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Menschen unterstützt werden können, die durch Erbschaftskonflikte belastet sind. Insgesamt dürfte es seltener vorkommen, dass Eltern sich wegen der Regelung ihrer Hinterlassenschaft psychologische Hilfe suchen. Üblicherweise holen sie eher juristischen Rat ein, um ihren letzten

Willen festzulegen, wobei die Beziehungsebene außen vor ist. Für Eltern ist es eine große Herausforderung, einen gerechten Weg der Erbaufteilung zu finden, mit dem die Kinder zufrieden sind. Manche sind unsicher, ob sie mit der von ihnen gewählten Erbaufteilung einzelne Kinder vor den Kopf stoßen, die sich dann von ihnen abwenden. Außerdem müssen vermögende Eltern befürchten, hofiert zu werden, nur weil bei ihnen etwas zu holen ist. Umgekehrt besteht kriegt mal alles«) manipuliert werden und unter der Fuchtel ste-

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hen. Dazu liefert die Belletristik prominente Beispiele: »Ein beliebter

Beratung

die Gefahr, dass die Kinder mit einem versprochenen Erbe (»du

Stoff für Komödien ist der vorgeblich todkranke Erblasser, der durch seine vorgespielte Bereitschaft, jemandem sein großes Vermögen zu vererben, die potentiellen Erben nach seiner Pfeife tanzen lässt« (Dauner-Lieb, 2005, S. 32). Umso ärgerlicher, wenn dieses Versprechen am Ende nicht eingelöst wird. Normalerweise ist anzunehmen, dass eher die erwachsenen Kinder Beratung aufsuchen, die über ihr Erbe untereinander in Streit geraten. Ihre Beziehung kann durch Querelen rund ums Erbe sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, lange schlummernde Rivalitäten brechen unter Umständen wieder auf und entfalten sich erneut. Dazu gibt es bislang wenige Erkenntnisse; Ergebnisse der Geschwisterforschung fanden bisher kaum Eingang in klinisch-psychologische Konzepte. Generell sind Geschwisterbeziehungen gegenüber den ElternKind-Beziehungen in der Psychotherapielandschaft ein weitgehend unbeschriebenes Blatt: »Das Geschwisterthema steht im Schatten der Eltern-Kind-Beziehung« (Lehmkuhl & Lehmkuhl, 2006, S. 106). Ein wesentlicher Grund mag sein, dass die Psychoanalyse die MutterKind-Bindung als prägend für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung ansah und daher in den Vordergrund stellte. Adler hat zwar schon früh den Blick auf die Geschwisterbeziehungen gerichtet, seine Überlegungen fanden jedoch nicht den Widerhall, den sie verdient hätten.

Nachfolgend werden zunächst diverse mögliche Problemkonstellationen im Erbschaftsprozess aus der Sicht von Eltern und Kindern beschrieben: Was wollen Eltern mit ihrem Erbe erreichen und wie erleben Kinder die elterlichen Entscheidungen? Weiterhin geht es um die Frage, wie die Art der Erbaufteilung die Geschwisterbeziehung beeinflusst, und welche Probleme sich dabei stellen. Zuletzt wird auf der individuellen Ebene geschaut, wie Merkmale der einzelnen Familienmitglieder zur Konfliktdynamik beitragen.

Beratung

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2.2 Erbe als Herausforderung für Eltern und Kinder Elterliche Perspektive: Wenn die Eltern das Alter erreicht haben, in dem gesundheitliche Probleme sowie Verluste im Familien- und Freundeskreis zunehmen, wird ihnen die eigene Endlichkeit deutlich bewusst. Die Gewissheit, sterben zu müssen (Mortalitätssalienz) ist eine existenziell beunruhigende Angst, die gern verdrängt wird. Für manche, wie z. B. schwerkranke Menschen, ist sie nur schwer auszuhalten. Im Angesicht dieser Angst entwickeln Menschen Strategien, um ihr zu begegnen. So geht die »Terror-Management-Theorie« (Rosenblatt, Greenberg, Solomon, Pyszczynski & Lyon, 1989) davon aus, dass Menschen angesichts dieser verunsichernden Angst vor dem eigenen Tod (»terror«) dazu neigen, sich auf ihr Wertesystem zu besinnen, an dem sie sich orientieren können. Das zieht sie verstärkt zu Menschen hin, die mit ihnen auf einer Wellenlänge liegen. Diese Strategien wirken auf die Familie in der einen oder anderen Form zurück. Die alternden Eltern bevorzugen folglich diejenigen ihrer Kinder, die ähnliche Werte und Interessen haben, und distanzieren sich von denen, die davon abweichen oder durch ein Fehlverhalten in Ungnade gefallen sind (s. o.). Dies kann sich beim Erben ebenfalls in ungleichen Zuwendungen an einzelne Kinder niederschlagen (s. u.).

Etwa ab der Lebensmitte neigen Menschen dazu, ihr Leben zu resü­mieren und kritisch zu reflektieren. Im Rahmen dieser Bilanzierung stellen sich Menschen auch die Frage nach dem Sinn ihres Lebens. Dieser besteht für viele unter anderem darin, ihre Werte und Traditionen an die nachfolgende Generation weiterzugeben, sowie Fürsorge und Verantwortung für diese zu übernehmen. Dieses Phänomen (»man hat nicht umsonst gelebt«) bezeichnet Erikson eines »sozialen Erbes« Spuren in der Nachwelt zu hinterlassen. Sol-

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che generativen Akte werden als befriedigend, erfüllend und sinnstif-

Beratung

(1966) als »Generativität«. Daraus entspringt der Wunsch, im Sinne

tend erlebt und fördern Wohlbefinden und Selbstvertrauen im Alter. Dieses Sorgen und Weitergeben richtet sich, wenn vorhanden, vorrangig auf die eigenen Kinder und Kindeskinder, welche die Familientradition fortsetzen und in denen die Menschen weiterleben. Aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten können diesem Zweck dienen, weil das Erfüllen solcher Aufgaben das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. Die Generativität bildet sich auf emotionaler und materieller Ebene ab. Zu Lebzeiten handeln viele Eltern nach der Devise: »Lieber mit der warmen Hand geben« und können so mit ihren Geschenken an der Freude ihrer Kinder und gegebenenfalls Enkel teilhaben. Angesichts begrenzter Lebenszeit beginnen Menschen auch, sich Gedanken über ihr Vermächtnis zu machen und ihre persönlichen Angelegenheiten zu regeln, z. B. ihr Testament zu verfassen. Viele wollen auch mit ihrem Erbe etwas Gutes tun und so nach ihrem Tod den Hinterbliebenen in guter Erinnerung bleiben. So gesehen, bleiben Eltern immer ihrer fürsorgenden Rolle verhaftet und binden die Kinder damit an sich. Ein Großteil älterer Menschen, die sogenannten »sensiblen Eichhörnchen«, spart sein Geld und bewahrt sein Wohneigentum, um für den Fall einer Pflegebedürftigkeit vorzusorgen und den Kindern nicht auf der Tasche zu liegen (Lawrence & Goodnow, 2011).

Daneben gibt es andere ältere Menschen, die es vorziehen, ihr Geld mit vollen Händen auszugeben, um ihre persönlichen Bedürfnisse (Reisen, Konsum) zu befriedigen und in ihren letzten Lebensjahren aus dem Vollen zu schöpfen. Bei diesen sogenannten »SKIer« (»an elder who is spending the kids’ inheritance«, d. h. »Ältere, die das Erbe ihrer Kinder verprassen«) gehen die Kinder leer aus (Lawrence

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Ein geschiedener 56-jähriger Mann erkrankte schwer, nachdem er

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& Goodnow, 2011). Ein typischer Fall hierzu:

gerade zum zweiten Mal geheiratet hatte. Als die Ärzte ihm die Diagnose ALS (eine unheilbare Muskelkrankheit) eröffneten, war ihm bewusst, dass er nicht mehr lange leben würde. Das war für ihn und seine Frau ein großer Schock, der sie völlig aus der Bahn warf. Schließlich entschied er sich, wenigstens noch etwas aus seiner letzten Zeit zu machen. Sie lösten seine Lebensversicherung auf und gingen auf eine Weltreise. Seine Kinder aus der ersten Ehe waren darüber enttäuscht, da für sie nichts übrigblieb und sie nicht einbezogen wurden.

Tatsächlich ist heutzutage ein Trend bei älteren Menschen zu beobachten, aktiv zu bleiben und mehr an sich zu denken. Im Alter wollen sie ihre Träume erfüllen und nicht zugunsten der Kinder auf zu Vieles verzichten. Dieses elterliche Verhalten kann bei den Kindern auf Unverständnis stoßen und zu Wut und Enttäuschung führen, besonders wenn sie sich sehr auf Unterstützung und Erbschaft verlassen haben. Allerdings ist zwischen Altruismus und Egoismus wohl eher von einem Kontinuum auszugehen, auf dem das Verhalten der Eltern mehr in die eine oder die andere Richtung tendiert (Sousa, Silva, Santos & Patrao, 2010). Der Prozess der Bilanzierung des eigenen Lebens kann mit Methoden der Biographiearbeit begleitet werden. Spezielle therapeutische Ansätze wie der Lebensrückblick bieten hilfreiche Anregungen (z. B.

Forstmeier, 2012). Weiterhin können ältere Menschen unterstützt werden, angesichts der Unausweichlichkeit des Todes nicht zu verzweifeln und Wege zu finden, wie sie ihren Lebensabend lebenswert gestalten. Wer sich auf diesen schmerzlichen Weg einlässt, kann erstaunliche Entwicklungen machen, etwa indem altersgemäße Aktivitäten aufgebaut werden und das soziale Netz gestärkt wird.

im mittleren Alter tiefgreifende Lebensveränderungen an, wie bei-

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spielsweise der Tod der Eltern. Mit dem Tod des letzten Elternteils

Beratung

Perspektive der Kinder: Auch für die erwachsenen Kinder stehen

endet ein Familienzyklus und damit auch die Kindrolle endgültig. Dies verunsichert die Betroffenen mitunter, da von nun an die Eltern als emotionaler Rückhalt entfallen. Die meisten können den Verlust der Eltern nach einer Trauerphase akzeptieren und fallen nicht in ein tiefes Loch. Je nach den Umständen des elterlichen Todes (lange, quälende Krankheit oder plötzliches Ableben) und der emotionalen Bindung fällt die Trauer jedoch mehr oder weniger intensiv aus. Im Extremfall löst der Abschied eine schwere Lebenskrise aus, wobei man dann von komplizierter bzw. pathologischer Trauer sprechen würde. Bei schwierigen Eltern-Kind-Beziehungen sind Kinder von dem Verlust weniger berührt oder sogar erleichtert (z. B. bei Misshandlung bzw. Missbrauch). Wenn die Trauer sich mit den Auseinandersetzungen um das Erbe vermischt (s. u.), beeinträchtigt dies den Trauerprozess bisweilen erheblich. Das Erbgeschehen hat viele Facetten und kann ganz unterschiedlich aussehen. Einerseits sind viele Erbschaften Anlass zur Freude, weil sie den Kindern Sicherheit geben und ihnen erlauben, sich bestimmte Wünsche (Anschaffungen oder Reisen) zu erfüllen. Viele Kinder empfinden daher über den Tod der Eltern hinaus Dankbarkeit. Andererseits können Erbschaften mit massiven Enttäuschungen einhergehen, wenn etwas anderes erwartet wurde (s. u.). In einigen

Fällen beinhaltet das Erbe Schulden und muss ausgeschlagen werden. Weiterhin kann das Antreten des Erbes eine Bürde sein, weil es diejenigen, die erben, dazu verpflichtet, bestimmte Traditionen fortzuführen, wie z. B. ein Familienunternehmen zu übernehmen (von Schlippe, 2022a). Bis zum Schluss bleibt es unsicher, wie das Testament aussehen wird, denn es ist jederzeit widerrufbar, z. B., wenn sich Beziehungen verändern. Selbst wenn kein Testament vorliegt, sagt 46

Verantwortung stehlen und die Kinder ihrem Schicksal überlassen.

Beratung

dies etwas über die Beziehungen aus, weil die Eltern sich so aus der Manchmal kommt es nach dem Tod der Eltern daher zu mehr oder weniger bösen Überraschungen, wie es der bereits erwähnte Fall der Familie M. veranschaulicht. Frau M. verstarb plötzlich an Herzversagen, die drei Kinder konnten sich nicht von ihr verabschieden. Nach dem Tod der Mutter stellte sich heraus, dass diese nicht nur hohe Schulden hatte, sondern sogar heimlich das Sparbuch ihrer jüngsten Tochter geplündert hatte. Dies löste bei den Kindern allergrößte Empörung aus, zumal dieses Geld von der Großmutter stammte. Die jüngste Tochter war schwer enttäuscht, hätte dies ihrer Mutter nie zugetraut. Das Verhalten warf ein ganz neues Licht auf die Mutter. Keiner konnte verstehen, dass diese nicht für die »Kleine« vorgesorgt hatte, was im Widerspruch zu ihrer allgemein fürsorglichen Art stand.

Das Bild, das die Kinder von ihrer Mutter zu Lebzeiten hatten, ließ sich angesichts dieser Erfahrung nicht mehr aufrechterhalten und musste in ein neu zu entwickelndes Bild von ihr integriert werden. Derartige Erfahrungen lassen Kinder an der Beziehung zu ihren Eltern im Nachhinein zweifeln. Ziel von Beratung ist daher, die Beziehung kritisch zu reflektieren und sich gegebenenfalls mit den Eltern auszusöhnen, um einen inneren Frieden zu finden. Berater

und Beraterinnen können einen inneren Dialog mit den Eltern anregen, z. B. indem sie die Kinder bitten, einen Brief an die Eltern zu schreiben, damit sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringen können.

2.3 Erbschaftskonflikte auf der Geschwisterebene

lungsaufgaben konfrontiert, von denen die Pflege der alternden

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Eltern wohl die schwierigste ist (Goetting, 1986). In Abhängigkeit

Beratung

Auch Geschwister sind in der Lebensmitte mit wichtigen Entwick-

von der gesundheitlichen Situation der Eltern und der Lebenssitua­ tion der pflegenden Kinder geht die Pflege mit erheblichen Belastungen und Einschränkungen einher. Angesichts der gestiegenen Lebenserwartung der Eltern können sich diese Belastungen heutzutage über viele Jahre hinziehen. Meistens liegt die Bürde dabei nur auf einer Person, üblicherweise einer Tochter, während die anderen Geschwister sich nur wenig, etwa zu besonderen Gelegenheiten (Urlaubsvertretung) einbringen. Häufig fühlen sich die pflegenden Kinder nicht hinreichend gewürdigt, zumal die anderen das Ausmaß der Belastung nicht wahrhaben (wollen). Manche ernten sogar noch den Vorwurf, dass sie alles an sich reißen würden. Eine gute Möglichkeit wäre hier, pflegenden Geschwistern gegenüber explizit Wertschätzung auszudrücken, wie z. B. kleine »Gesten der Wertschätzung« (Omer & von Schlippe, 2004) zukommen zu lassen. Dann würden diese sich trotz ihrer enormen Belastung gewürdigt fühlen. Dies passiert aber wohl in den wenigsten Familien, wie der folgende Fall zeigt. In der Familie F. hatten die Eltern zwei Töchter und einen Sohn. Die Mutter verstarb früh nach längerer Krankheit. Die jüngere Schwester Cecilia hing sehr an ihrer Mutter, hatte sich aufopferungsvoll um

sie gekümmert. Die ältere Schwester Alma hatte sich weitgehend rausgezogen, der Sohn, das »verhätschelte Nesthäkchen«, war überfordert. Dankbarkeit für ihr Engagement bekam Cecilia nicht, schon gar nicht von Alma. Die Beziehung der Schwestern war nie richtig gut gewesen, erreichte nun aber ihren absoluten Tiefpunkt. Die Schwestern hatten immer konkurriert, vor allem um Schulnoten, zumal die Eltern sehr leistungsorientiert waren. Alma schikaniert wehren und hatte resigniert. Die Eltern hatten die Streitereien nie

Beratung

ihre jüngere Schwester bis heute, Cecilia konnte sich nie dagegen 48

ernst genommen und als »Kinderkram« abgetan. Konflikte wurden unter den Teppich gekehrt. Nach dem Tod der Mutter hält Cecilia die Familie zusammen und kümmert sich um ihren Bruder.

Der Tod der Eltern kann Geschwister in der Trauer näher zusammenrücken lassen (s. o.). Viele Brüder und Schwestern stehen einander im Alter nah und sind wichtige Quellen der Unterstützung füreinander. Ein Leben lang teilen Geschwister die Kindrolle und bleiben über die gemeinsame Familienidentität verbunden. Sie teilen unzählige gemeinsame Erinnerungen, die sie miteinander lebendig halten. Die Reminiszenz wird daher als eine wichtige Entwicklungsaufgabe von Geschwistern im Alter betrachtet (Goetting, 1986). Aufgrund der gemeinsamen Biographie können sie ihre frühen Erfahrungen validieren und in eine reife Perspektive bringen. Dies kann eine Quelle von Wohlbefinden und Stolz sein, die das Gefühl von Integrität fördert. Eine weitere Entwicklungsaufgabe von Geschwistern im Alter stellt der erwachsene Umgang mit Rivalitäten aus der Kindheit dar (Goetting, 1986). Um ihre Beziehung nicht zu gefährden, sind Brüder und Schwestern im Alter oft versöhnlicher gestimmt und auf Konfliktvermeidung bedacht. Vor diesem Hintergrund können sie sich der Vergangenheit stellen, die von den Eltern zugewiesenen starren

Rollen hinterfragen und die alten Muster ablegen. Ein Aufrollen ihrer Beziehung kann helfen, die Stärken und Schwächen ihrer Beziehung zu erkennen. In vielen Fällen ist die elterliche Ungleichbehandlung das Hauptproblem, das ihre Beziehung häufig ein Leben lang überschattet. Nun besteht die Chance, die negativen Folgen dieses Verhaltens gemeinsam zu bearbeiten und – davon befreit – ihre Beziehung neu zu definieren. 49

tet (s. o.). Diese Sichtweise hält sich bis heute hartnäckig, sowohl in

Beratung

Insgesamt wurde die Geschwisterbeziehung bisher primär unter pathogenen Aspekten wie Entthronung, Eifersucht und Macht betrachder wissenschaftlichen Literatur als auch im Allgemeinverständnis. Tatsächlich können Geschwister aber auch eine wichtige Ressource sein, die es in Beratung und Psychotherapie mehr zu nutzen gilt. Das Erinnern an gemeinsame gute Momente und gemeinsam bewältigte Krisen kann ihnen die Stärken ihrer Beziehung bewusst machen. Stierlin (2005) spricht von geleiteter Aufmerksamkeit, wenn man Paare, die »von einem Berg negativer Erfahrungen erdrückt« (S. 110) werden, dazu ermuntert, sich auf gemeinsame beglückende Erfahrungen zu konzentrieren. Dies ließe sich ebenso auf Geschwister übertragen.

2.4 Muster der Erbschaftsaufteilung und ihre Probleme Nicht zuletzt birgt das Erbe aufgrund der Interdependenz ein beträchtliches Konfliktpotential, denn jeder Erbe ist ein Konkurrent. Wenn schon zu Lebzeiten der Eltern Gelder an das eine Kind fließen oder Immobilien übertragen werden, schrumpft automatisch das Erbe der anderen. Erbschaftsstreitigkeiten kreisen meist darum, dass Eltern ihr Erbe nicht so unter ihren Kindern aufteilen, wie diese es erhofft hatten. Die meist gut gemeinte Verteilung der elterlichen Hinterlassenschaft

kann bei den Kindern ganz anders ankommen, als sie beabsichtigt war. Ein Hauptproblem liegt darin, dass die Familienmitglieder sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie eine »gerechte« Verteilung aussieht. Im Konfliktfall ist jeder Erbe von seiner persönlichen Wahrnehmung so überzeugt, dass er abweichende Sichtweisen der anderen erbenden Personen nicht akzeptieren kann. Im Folgenden werden die konkreten Dilemmata beleuchtet, mit denen die Akteure in Erbauseinandersetzungen konfrontiert sind, und die daher Beratungsanlässe

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darstellen können. Dabei lassen sich vier Kriterien unterscheiden, die jeweils spezifische Probleme mit sich bringen. a) Gleichbehandlung: Nach diesem Prinzip, das der gültigen Rechtsprechung (s. o.) entspricht, werden leibliche Kinder gleichgestellt, unabhängig von ihren Verdiensten um das Wohlergehen der Eltern. Die Gleichbehandlung wird in vielen Familien als fair bewertet. Grundsätzlich ist aber eine gleiche Behandlung aller Kinder im Alltag kaum umzusetzen, denn Eltern müssen die Bedürfnisse und Ansprüche der Kinder ihrem Alter und Geschlecht gemäß erfüllen (s. o.). Kinder, egal welchen Alters, reagieren empfindlich auf Abweichungen von dieser Norm und vergleichen sich ständig. Also steht hier die Frage im Raum: »Wer kriegt das bessere Erbstück und warum?« Auch im Erbgeschehen birgt die Forderung nach Gleichbehandlung viele Konfliktquellen, die nicht leicht zu lösen sind, da »Gleichheit« eine Abstraktion ist, die konkret unmöglich zu erreichen ist. Allein die Art des Erbes kann ungeahnte Probleme bereiten: So liegen bei vielen Erbteilen unterschiedliche »Währungen« vor, z. B. Geld oder Aktien auf der einen Seite und Immobilien auf der anderen Seite. Die Erben müssen aushandeln, wie das gegeneinander aufzuwiegen ist. Manche Erbstücke (z. B. Kunstobjekte) sind nicht direkt teilbar, wie ist da ein Ausgleich zu schaffen? Außerdem herrscht schnell Unstimmigkeit darüber, wie mit früher geflossenen Geldzuwendungen umzugehen ist, die von Rechts wegen auf

das Erbe anzurechnen sind. Insbesondere um den Verbleib emotional hoch besetzter, zum Teil materiell unbedeutender Dinge wird gern gerungen (z. B. eine alte Puppe der Mutter), weil persönliche Erinnerungen daran hängen (Stum, 1999). Im folgenden Fall geht es um einen Ring. In Familie P. lebt nach dem Tod des Vaters nur noch die 84-­jährige kognitiv eingeschränkt ist. Die Eltern haben zwei Töchter, von denen

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der Vater stets Anna, der älteren, mehr zugewandt war als der jünge-

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Mutter, die gesundheitlich schwer angeschlagen und zunehmend

ren, Tina, die von klein an ein Sorgenkind war. Die Mutter bemühte sich um ausgleichende Gerechtigkeit. Nach einem heftigen Streit hatte Tina vor einigen Jahren den Kontakt abgebrochen, woraufhin der enttäuschte Vater sie enterbt hatte. Nach seinem Tod fordert Tina nun ihren Pflichtteil ein. Insbesondere kämpft sie um den Siegelring der Familie und andere Sammlerstücke aus dem väterlichen Besitz. Das jahrelange Gerichtsverfahren mit teuren Gutachten übersteigt materiell den Wert des ganzen Erbes und belastet die Familie extrem.

b) Gegenleistung: In diesem Fall wird das Erbe danach aufgeteilt, wer – unabhängig vom Verwandtschaftsgrad – bestimmte Gegenleistungen für den Erblasser erbracht hat. Eltern können Kindern beispielsweise testamentarisch bestimmte Pflichten auferlegen, wie etwa die Versorgung ihres Haustieres oder die Grabpflege, wie es der Titel des bereits erwähnten Buches nahelegt: »Wer erbt, muss auch gießen« (Rohde, 2016). So kann das Erbe daran geknüpft sein, einen Familienbetrieb weiterzuführen (von Schlippe, 2022a). Historisch gesehen sah die Tradition in bäuerlichen Familien vor, dass das Antreten eines Erbes (die Übernahme des Hofs) die Kinder (meist die Erstgeborenen) im Gegenzug dazu verpflichtete, im Alter für die Eltern aufzukommen. Auch heutzutage wird es in Familien so gehandhabt,

dass Kindern, die diese Aufgabe übernehmen, ein Ausgleich gewährt wird, z. B. mietfrei im Elternhaus zu wohnen. Wenn sich ein Kind so seinen Vorteil »verdient« hat, stößt dies am ehesten auf Akzeptanz. Oftmals sind sich Geschwister allerdings uneinig darüber, weil sich die Hilfeleistungen nur schwer in Geld oder Ähnliches umrechnen lassen. Zudem widerspricht ein solches Aufrechnen der Solidaritäts52

selbstverständlich erachtet wird. Erschwerend kommt hinzu, dass

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norm in Familien (s. o.), derzufolge gegenseitige Unterstützung als Verdienste subjektiv sehr unterschiedlich bewertet werden. Neid und Frustration sind kaum zu vermeiden. Zu erheblichem Unmut führt es beispielsweise, wenn Eltern nicht anwesende Kinder (z. B. die im Ausland lebenden) idealisieren, diese sich aber gar nicht einbringen (können?). Dies ist für die engagierten Kinder vor Ort, die ihre Zeit und Kraft opfern, schwer auszuhalten. Ärger löst es vor allem auch aus, wenn ein Kind ein vorgezogenes Erbe, wie z. B. ein ihm überschriebenes Haus annimmt, ohne dann jedoch später die versprochene Gegenleistung zu erbringen, wie im folgenden Fall: In Familie W. erhielt der ältere Sohn das Elternhaus, unter der Bedingung, sich im Alter um die Mutter zu kümmern. Als diese pflegebedürftig wurde, brachte er sie jedoch umgehend in eine Pflegeeinrichtung. Nachdem er dann das Haus verkauft hatte, setzte er sich mit dem Erlös nach Südamerika ab und ward nicht mehr gesehen. Infolgedessen musste nun sein Bruder diese Aufgabe übernehmen und die Mutter bis zum Ende begleiten, ohne dafür »entlohnt« zu werden.

Aus dem Gefühl einer Normverletzung (hier gebrochenes Pflegeversprechen) heraus kommt es in dieser Familie zu Empörung, laut Montada (2014) ein »Leitindikator sozialer Konflikte«. Ziel der Beratung ist es, den familialen Mechanismen der Konflikteskalation auf den

Grund zu gehen. Solche Auseinandersetzungen scheitern oft daran, dass die subjektiven Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder, was eine gerechte Lösung ist, unvereinbar sind. Für den jüngeren Sohn ist klar, dass sein Bruder die Mutter betrogen und im Stich gelassen hat. Der ältere dagegen rechtfertigt sich damit, dass die Mutter im Heim gut versorgt sei. Außerdem habe er Deutschland verlassen müssen, um sich eine berufliche Perspektive aufzubauen. Den Beteiligten trennen und dafür zu öffnen, dass jeder in der Familie seine persön-

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liche Version von Gerechtigkeit vertritt. Das Beharren auf die eigene

Beratung

fällt es schwer, sich von der Idee einer einzigen gerechten Lösung zu

Sicht befeuert die Konflikteskalation (von Schlippe, 2022b). c) Bedürftigkeit: Da Eltern ihre fürsorgende Rolle nie ganz ablegen, kann sich ihr letzter Wille auch an der Bedürftigkeit ihrer Kinder ausrichten, was auf eine andere Form von Gerechtigkeitslogik verweist. So mag es den Eltern am Herzen liegen, einem finanziell schlechter gestellten Kind mehr zu hinterlassen als einem gut situierten, das auf das Erbe nicht angewiesen ist. So werden Kinder, die in Ausbildung oder arbeitslos sind, häufiger finanziell unterstützt, genau so wie Kinder, die eine Familie haben, im Vergleich zu beruflich erfolgreichen bzw. kinderlosen Kindern. In der Regel wird dies von den anderen Familienmitgliedern dann akzeptiert, wenn die Bedürftigkeit durch einen Notfall (z. B. Unfall) oder eine chronische Erkrankung bedingt ist, so dass die Kinder ein Leben lang elterliche Unterstützung brauchen. Anders sieht es aus, wenn die Bedürftigkeit selbstverschuldet ist, Kinder z. B. Schulden durch übermäßiges Konsumverhalten angehäuft haben. Das folgende Fallbeispiel veranschaulicht diese inneren Konflikte von Eltern: Die verwitwete 83-jährige Mutter möchte ihr Erbe möglichst gerecht unter ihren beiden Söhnen aufteilen. Dies beinhaltet ihre Eigentumswohnung und etwas Barvermögen. Der ältere Sohn, Noah, wohnt

mit seiner Familie (Ehefrau und zwei erwachsene Töchter) in der Nähe und schaut regelmäßig nach ihr, hilft ihr bei Bedarf im Alltag. Der jüngere Sohn, Simon, ist ledig, hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Seit etlichen Jahren lebt Simon im Ausland, besucht seine Mutter einmal im Jahr für zwei bis drei Wochen, in denen er kleine Reparaturen leistet. Im Vergleich zu seinem gut etablierten Bruder ist seine finanzielle Situation sehr unsicher, sein kleines Bistro auf Mallorca lief während der Coronapandemie schlecht. Deshalb

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hat er von seiner Mutter Geld erbeten, dessen Rückzahlung fraglich ist. Noah ist damit nur einverstanden, wenn das Geld auf Simons Erbe angerechnet wird. Die Mutter fragt sich, ob Simon mehr erhalten darf, weil es ihm finanziell schlecht geht. Sie fürchtet den Konflikt zwischen den beiden, deren Beziehung stets angespannt war.

Die Mutter befindet sich im Zwiespalt: Einerseits würde sie aus Mitleid gern Simon unter die Arme greifen, der er es aufgrund schulischer Probleme nicht so weit gebracht hat. Andererseits wäre dies Noah gegenüber nicht gerecht, der hart für seinen Status gearbeitet hat. Ein Blick in die Familiengeschichte zeigt, dass es sich dabei um ein altbekanntes Muster handelt. Der charmante Simon verstand es immer gut, seiner Mutter Geld aus der Tasche zu ziehen, was diese hingenommen hat. Noah findet, dass Simon es sich stets leicht gemacht und sich zu sehr auf die Mutter verlassen hat. Simon dagegen fühlte sich seinem Bruder gegenüber immer unterlegen, konnte ihm nie das Wasser reichen. Verschiedene Gerechtigkeitskriterien liegen hier miteinander im Streit. Die am Konflikt Beteiligten beharren auf ihrer Sichtweise der Dinge und können diese nicht relativieren. Das Handeln der anderen wird als unrecht bewertet, im Sinne einer Normverletzung, im Beispiel die der gerechten Aufteilung der mütterlichen Ressourcen. Die Chance ist recht hoch, dass es nach dem Tod der Mutter zu einem

massiven Geschwisterkonflikt kommt. Stierlin (2005) geht davon aus, dass Menschen innerlich Buch über Austauschprozesse in ihren Beziehungen führen. Dabei geht es »um die Verrechnung der eigenen Beiträge und denen der anderen gemäß dem eigenen Gerechtigkeitsverständnis« (von Schlippe, 2022b, S. 3). Wenn die Beteiligten sich ihre unterschiedlichen Gerechtigkeitsprinzipien bewusst machen, würde dies eine Konfliktlösung fördern. 55

ihren einzelnen Kindern gegenüber zum Ausdruck. Damit stellen

Beratung

d) Bevorzugung: Auf der Beziehungsebene bringen Eltern mit der Verteilung der Erbgüter auch ihre Sympathie bzw. Antipathie finanzielle Zuwendungen wie die Erbschaft machtvolle Instrumente der Beziehungsgestaltung dar. Was vielleicht vorher vertuscht wurde, tritt durch das Testament unwiderruflich ans Tageslicht und ist nun allen zugänglich. Tendenziell werden Lieblingskinder großzügiger bedacht als ungeliebte Kinder. Solche Mechanismen beginnen meist schon in der Kindheit und ziehen sich durch das ganze Leben, da sich die elterlichen Vorbehalte im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung immer wieder bestätigen. Das folgende Beispiel zeigt in eklatanter Weise eine solche – hier generationenübergreifende – Bevorzugung: In Familie K. haben die Eltern zwei Töchter und einen Sohn. Die eine Tochter hat keine Kinder, die andere und der Sohn haben jeweils zwei. Zum Sohn und dessen Kindern besteht wenig Kontakt, da sie weiter weg wohnen und wenig Interesse bekunden. Die beiden Enkel, die im Ort wohnen, pflegen dagegen regen Kontakt zu ihrem Großvater und helfen ihm regelmäßig. Mit Mitte Sechzig beschließt der Großvater, sein Haus auf den älteren (18-jährigen) Enkel (Sohn seiner jüngsten Tochter) zu übertragen, der sein erklärter Liebling ist. Alle anderen gehen leer aus. Der Großvater äußert sich nicht zu seiner Entscheidung und lehnt ein klärendes Gespräch ab. Die auf

Harmonie bedachte Großmutter findet das zwar ungerecht, kommt aber nicht gegen ihren dominanten Mann an.

Ein Blick in die Familiengeschichte bringt Licht in das Dunkel dieser Dynamik. Die Beziehung des Großvaters zu seinem Sohn war stets angespannt, weil dieser ihm seine strenge, zum Teil gewalt­ tätige Erziehung immer vorgeworfen hat. Besonders die ältere Tochter fühlte sich stets benachteiligt, da sie als mittleres Kind immer das

Beratung

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Gefühl hatte, übergangen zu werden. Aus der Bevorzugung seiner jüngsten Tochter, dem Nesthäkchen, hatte der Großvater nie einen Hehl gemacht und diese nun auf ihren älteren Sohn übertragen. Auf Seiten der Kinder wird deutlich, wie negativ sich eine Bevorzugung, hier die des Enkels, auf die Familiendynamik auswirken und welche Folgeprobleme dies nach sich ziehen kann: In der Folge spaltet sich die Familie: Die jüngste Tochter und ihre Familie koalieren mit dem Großvater, während die beiden älteren Geschwister sich verbünden und von der Familie distanzieren. Auch von der Großmutter sind sie enttäuscht, die sich nicht für sie eingesetzt hat, aus Angst vor dem Konflikt mit ihrem Mann. Ihre Vermittlungsversuche prallen daher an den älteren Kindern ab. Selbst nach dem Tod des Großvaters will keine richtige Annäherung gelingen. Der Enkel fühlt sich im Recht, sei er doch nur dem großväterlichen Willen gefolgt. Sein Bruder ist tief enttäuscht und hat der Familie früh den Rücken gekehrt. Hoffnung auf eine Versöhnung hat niemand, zu tief sind die Gräben nach all den unschönen Ereignissen, über die es keine Aussprache gab.

Die elterliche Ungleichbehandlung gilt als Hauptursache von Geschwisterstreit, denn sie erzeugt Neid und Rivalität (s. o.). Wird ein Kind bevorzugt, fühlt sich ein anderes in der Regel benachteiligt

oder sogar ganz abgelehnt. Die negativen Folgen elterlicher Ungleichbehandlung für das Selbstvertrauen und die Geschwisterbeziehung wurden bereits beschrieben (s. o.). Solche Muster ziehen sich meist durch die ganze Lebensspanne und kommen daher auch beim Erben zum Tragen. Benachteiligte Kinder können Erbschaften als Wiedergutmachung für erlittene Kränkungen durch die Eltern sehen. Allerdings kann auch eine ausgeprägte Bevorzugung zu Schuldgefühlen lingskindern lastet häufig ein hoher Druck, den elterlichen Erwartun-

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gen zu entsprechen und die Gefahr, emotional ausgenutzt zu werden.

Beratung

dem benachteiligten Geschwisterkind gegenüber führen. Auf Lieb-

2.5 Spezifische Ansatzpunkte für Beratung und Psychotherapie Nachdem die vielen Facetten aufgezeigt wurden, wie eine Erbschaft aufgrund einer nicht einvernehmlichen Aufteilung an die Erben zu Problemen führen kann, geht es in diesem Abschnitt um Ansätze, die einer Konfliktentwicklung in der Familie entgegenwirken können. Dazu gibt es außer der Mediation kaum konkrete Beratungskonzepte. Bisher spielt das Thema Erbkonflikte in der psychotherapeutischen Landschaft praktisch keine Rolle, auch nicht in systemischen Konzepten (von Schlippe, 2022a). Nach Möglichkeit sollten die Probleme mit der ganzen Familie besprochen und gegebenenfalls mit Hilfe einer professionellen Mediation angegangen werden. Offenheit und Kommunikation: Zunächst ist es ein wesentliches Anliegen in der Beratung, das Thema Geld ans Tageslicht zu bringen, da dieses in vielen Familien ein Tabuthema ist. Viele Eltern verschweigen ihren Kindern ihre finanziellen Verhältnisse, womöglich aus Angst vor einem Autoritätsverlust oder aus Angst, dass die Kin-

der daraus Ansprüche ableiten könnten. Das gilt umso mehr für das Thema Erben, das zudem mit einem weiteren Tabuthema einhergeht, nämlich dem Tod der Eltern, der gern verdrängt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen Familien ein »Harmoniemythos« herrscht und Streitigkeiten eher verharmlost werden. Der Begriff »Konsensfiktion« beschreibt etwas Ähnliches, nämlich die Neigung von Familien, von ähnlichen Ansichten und einem guten Verhältnis hoffen Familien, dass sich alle schon irgendwie gütlich einigen werden.

Beratung

ihrer Mitglieder auszugehen (von Schlippe, 2022b). Auch im Erbfall 58

Grundsätzlich neigen Eltern sowieso dazu, die Familienbeziehungen positiver zu beschreiben als ihre Kinder (Bengston & Kuipers, 1971). Empathie und Akzeptanz: Wenn Eltern im Vorfeld ihrer Erbschaftsregelung Beratung aufsuchen, sollten sie zu offenen Gesprächen mit ihren Kindern darüber ermutigt werden, denn: »Eine klare Erbschaftsregelung ist eine der besten Hinterlassenschaften, die Eltern ihren Kindern übergeben können« (von Schlippe, 2022a, S. 8). Insbesondere kann man möglichen Spannungen vorbeugen, indem Eltern ihren Kindern ihre Absichten erläutern. So mag es gute Gründe für Abweichungen von der Gleichbehandlung (z. B. die besondere Bedürftigkeit eines Kindes) geben bzw. gegeben haben, deren Erläuterung befriedend wirken kann. Bei so schwerwiegenden Entscheidungen wie einem Testament sollten mögliche Folgen und Nebeneffekte bedacht werden (Montada, 2014). Berater und Beraterinnen sollten Eltern anregen, sich in ihre Kinder hineinzuversetzen und deren Erwartungen und Bedenken ernst zu nehmen. Diese Offenheit der Eltern kann umgekehrt den Kindern helfen, die Sichtweisen der Eltern zu verstehen: Was hat diese bewogen, ein bestimmtes Kind zu bevorzugen? So können Kinder erkennen, dass die Eltern es nicht immer schaffen, die Konsequenzen ihrer Entscheidung für die nächste Generation zu bedenken. Diese Erkennt-

nis trägt dazu bei, dass Kinder inneren Frieden schließen und sich gegebenenfalls mit den Eltern (und Geschwistern) aussöhnen. Wenn die Eltern ihre Beweggründe vorher offenlegen und die Kinder nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen, dürfte sich die Akzeptanz ihrer Überlegungen deutlich erhöhen. Familienmitglieder, die sich einbringen und Einfluss auf Entscheidungen nehmen können, kön-

Kommunikation und Verbindlichkeit: Ist es im Beratungssetting

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gelungen, dass Familien in Dialog getreten sind, ist zunächst auf

Beratung

nen diese besser annehmen (Stum, 1999).

ihre Kommunikation zu achten, um möglicherweise defizitäre Kommunikationsfertigkeiten zu verändern. Dazu gibt es viele hilfreiche Ansätze aus der systemischen Arbeit, die hier als bekannt vorausgesetzt werden. An dieser Stelle seien nur zwei Punkte herausgegriffen. Ein Problem kann der unterschiedliche Grad an Verbindlichkeit von Aussagen sein, der unter Umständen zu folgenschweren Missverständnissen führt. Beispielsweise geben Eltern im Rahmen ihrer Nachlassregelung Versprechen, bei denen sie einem Kind etwas in Aussicht stellen, wie z. B.: »Du sollst mal die Ferienwohnung bekommen«. Dies ist von den Eltern vielleicht nur eine vage Absichtserklärung, wird aber von den Kindern als feste Zusage aufgefasst. Man spricht hier auch von »psychologischen Kontrakten«. Diese können einen reibungslosen Ablauf von Erbschaften verhindern, weil sie später gegebenenfalls in Vergessenheit geraten sind oder aus anderen Gründen nicht eingehalten werden. Besonders schwierig wird es vor allem dann, wenn etwas gleich mehreren Beteiligten zugesagt wurde. Ein weiterer aktueller Aspekt betrifft die digitalisierte Kommunikation, die auch in Familien mittlerweile sehr verbreitet ist, Emails und Messenger-Dienste gehören fest zu ihrer Alltagskommunikation. Diese Art des Austauschs birgt spezifische Probleme, weil die nonverbalen Kanäle der Kommunikation fehlen. Vor allem, wenn digitale

Kommunikation dazu genutzt wird, sich über Beziehungsthemen auseinanderzusetzen (und nicht nur über Verabredungen zu Raum und Zeit), kann es leicht zu schwerwiegenden Missverständnissen kommen, deren Entstehen die Konfliktparteien nicht immer nachvollziehen können. Daher sollte gerade bei bereits angespannten Beziehungen den Beteiligten empfohlen werden, eine persönliche Klärung herbeizuführen, gegebenenfalls mithilfe externer Moderation. Gerade in den digitalen Medien kann die Konfliktkommunika-

Beratung

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tion eskalieren, weil diese auf den verbalen Kanal reduziert ist. ThenBerg und Schlippe (2020) haben hier zehn Fallstricke identifiziert, z. B. Entwertung, Ironie und Drohungen. Darüber hinaus haben die beiden Autoren zehn hilfreiche Vorschläge erarbeitet, deren Umsetzung der »Entschärfung konflikthafter digitaler Nachrichten« zuträglich ist. Nicht zuletzt spielen Wahrnehmungsverzerrungen im Konflikterleben der einzelnen Beteiligten eine wichtige Rolle. In Erbkonflikten erscheint insbesondere der feindselige Attributionsfehler aufschlussreich, dessen »Grundannahme ist, dass der andere einen schädigen will – und zwar auch dann, wenn er sich konstruktiv verhält« (von Schlippe, 2022b, S. 125). Im Sinne einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung unterstellt ein Erbe mit dieser Neigung den Erblassern, dass sie ihn stets benachteiligen und seinen Miterben, dass sie ihn übervorteilen wollen. Dieses destruktive Muster bewirkt, dass versöhnliche Angebote nicht erkannt oder als »Tricks« gedeutet werden. Methoden der Deeskalation: In Konflikten spielt Empörung eine zentrale Rolle: »Empörung ist die Resonanz auf verletzte Werte, auf erlebte Ungerechtigkeit und damit die affektive Ausgangslage, die wir bedenken müssen, wenn es um Konflikte geht« (von Schlippe, 2022b, S. 67). Dabei tragen mehrere Mechanismen zum Entstehen und Aufrechterhalten von Konflikten bei. Von Schlippe (2022b) gibt einen guten Überblick über deeskalierende Methoden, wie z. B. Gesten der Wert-

schätzung oder das Achten auf konstruktive sprachliche Formulierungen (wie beispielsweise Verallgemeinerungen vermeiden, Ich-Botschaften verwenden), um destruktive Muster zu unterbrechen. Auf der Beziehungsebene ist es hilfreich, auch positive Beziehungssignale zu senden. Zerstrittene Geschwister könnten dem jeweils anderen gegenüber gelegentlich verdeutlichen, dass ihnen am Fortbestehen ihrer Beziehung gelegen ist – das dürfte die Chancen auf eine Wiederannäherung erhöhen, zumal ja diese Lebensphase, wie gesagt, durch den

Genogramm: Schließlich kann auf eine klassische systemische Metho­de, die Genogrammarbeit, zurückgegriffen werden. Auf diesem Wege wird versucht, die Hintergründe in der Familiengeschichte zu klären und transgenerative Muster aufzuspüren, die die Eltern (unbewusst) fortgesetzt haben (Hildenbrand, 2007). Die Genogrammarbeit könnte hier auf die familiale »Geldhistorie« bzw. Erbgeschichte angewendet werden: Welche Geldkultur wurde tradiert? Möglicherweise war das Thema Geld schon in den Herkunftsfamilien der Eltern tabu und macht es ihnen später schwer, über dieses (und damit auch über das Erbe) zu reden. Ebenso lässt sich hier nach generationsübergreifenden Erfahrungen mit Erbschaften fragen, die Einfluss darauf nehmen, wie die Eltern ihre eigene Hinterlassenschaft regeln. Fließen vielleicht persönliche leidvolle Erfahrungen mit elterlicher Ungleichbehandlung in die Verteilung des eigenen Erbes ein, die nie aufgelöst wurden? Mediation: In vielen Fällen haben die zerstrittenen Parteien resigniert, den Konflikt im familialen Rahmen zu lösen. Dann bleibt nur die Weitervermittlung an eine Mediation, um den »Konflikt zu klären, die gegensätzlichen Positionen und Anliegen der Parteien zu artikulieren und wechselseitig verständlich zu machen« (Montada, 2014, S. 31). Ziel ist, mögliche Konfliktlösungen verbindlich festzu-

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Wunsch nach Versöhnung und Konfliktbeilegung gekennzeichnet ist.

halten und Eskalationen zu verhindern, die die Fronten zusätzlich verhärten können, zumal – nicht selten – die Konfliktbearbeitung auf die juristische Ebene verlagert wird. Dies trägt nicht unbedingt immer zu einer konstruktiven Lösung bei, weil die Anwälte die Interessen ihrer Mandanten durchsetzen wollen und für familiale Problemhintergründe ja auch nicht zuständig sind. Eine Mediation als Methode der Wahl verspricht einen Gewinn an Kompetenzen und Weisheit bezüglich normativer Überzeugungen. Aus einer neutralen

Beratung

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Position heraus versuchen Beraterinnen und Berater, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.

2.6 Individuelle Beratungsansätze In manchen Familien ist der Faden abgerissen und gemeinsame Gespräche werden nicht mehr in Erwägung gezogen. In diesen Fällen bleibt nur die Möglichkeit, sich allein Unterstützung zu holen. Systemische Elemente lassen sich auch in der Einzelarbeit anwenden, wie etwa eine Familienaufstellung mit dem Familienbrett (z. B. de Philipp, 2019). Das Belastungserleben hängt auch mit individuellen Wahrnehmungsmustern, Persönlichkeitsaspekten und Einstellungen zusammen (s. o.). Demzufolge zielt Einzelberatung u. a. darauf ab, die eigenen Anteile zu identifizieren und zu reflektieren. Dies gestaltet sich nicht immer leicht, weil Empörung blind macht für den Eigenanteil bei der Konflikteskalation (von Schlippe, 2022a, S. 7). Eine zentrale Rolle spielt hier das Erleben von Ungerechtigkeit, das die Bewältigung von kritischen Lebensereignissen behindern kann. Dies kommt besonders bei Verlustereignissen (z. B. Unfall) zum Tragen (Montada, 1988). In solchen Situationen trachten Betroffene danach, andere für ihr Leid verantwortlich zu machen und einen Ausgleich

(z. B. Schmerzensgeld) zu fordern. Ein verweigertes oder hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibendes Erbe kann ebenfalls als ein Verlusterlebnis verstanden werden. Folglich sind die betroffenen Menschen bestrebt, dem verstorbenen Elternteil und bzw. oder den Miterben die Schuld zu geben. Die Eltern können nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden und die anderen Erben sehen die Verantwortung bei den Eltern – umso schwieriger ist es, mit dem Gefühl, benachteiligt worden zu sein, fertig zu werden, das sich auch über Auf die besondere Rolle des Merkmals Sensibilität für Ungerechtigkeit wurde bereits hingewiesen (s. o.). Opfersensible Menschen begegnen den Menschen in ihrem Umfeld misstrauisch, unterstellen ihnen feindselige Absichten und rechnen ständig damit, ausgenutzt zu werden (Schmitt et al., 2009). Daher eignen sie sich im bevorstehenden Erbfall ihre Anteile vorab an, um nicht von den Miterben über den Tisch gezogen zu werden. Eine solche Haltung beeinträchtigt die Kooperation und Solidarität in der Familie und erschwert den Einigungsprozess. Diese Menschen stellen auch eine besondere Herausforderung für die Beratung dar, da sie wenig änderungsmotiviert und von ihren Ansichten sehr überzeugt sind, in denen sie sich aufgrund ihrer einseitigen Wahrnehmung ständig bestätigt sehen. Eigene Anteile werden dagegen eher nicht erkannt, also inwieweit das eigene Verhalten zur Konflikteskalation beigetragen haben könnte. Ihre Kränkbarkeit erschwert auch den Aufbau der therapeutischen Beziehung. Mittelfristig kann sich aus der Enttäuschung eine Anpassungsstörung, oft mit längerer depressiver Reaktion, entwickeln. Für dieses Störungsbild scheint der bereits erwähnte Lebensrückblick ein geeignetes Vorgehen. Forstmeier (2012, S. 93 ff.) unterscheidet hier mehrere Ansatzpunkte. Zunächst soll ein aktuell negatives Ereignis in seiner Schwere gewürdigt und die damit einhergehenden Gedan-

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Beratung

längere Zeit hinweg nicht zu verringern scheint.

ken und Gefühle erfasst werden. Dabei helfen folgende Fragen zu zentralen Ereignissen im Lebensverlauf: Fokusse eines Lebensrückblicks Ȥ Welcher ist der schlimmste Moment des Ereignisses oder der Ereig­nis­kette? Ȥ Welche sind die dominierenden Gefühle (z. B. Wut, Scham, Angst, Ȥ Welche dysfunktionalen Gedanken sind mit dem Ereignis assozi-

Beratung

Trauer, Schuld)? 64

iert (z. B. Machtlosigkeit, Selbstvorwürfe, fehlendes Selbstvertrauen, Verbitterung)?

Ziel des Lebensrückblicks ist es, sich emotional immer differenzierter mit diesen Ereignissen auseinanderzusetzen und sie letztlich zu akzeptieren und in das eigene Selbstbild zu integrieren. Dabei wird auch versucht, im Sinne eines Reframings, belastenden Ereignissen etwas Positives abzugewinnen und so einen Sinn zu geben. Ein weiterer Fokus liegt auf gemeisterten Krisen im Leben und dem Erkennen der persönlichen oder sozialen Ressourcen, die dabei hilfreich waren. In dieser Lebensphase auf diese rekurrieren zu können, stärkt das Selbstwirksamkeitserleben (Forstmeier, 2012). Im Extremfall können nicht integrierte negative Lebenserfahrungen zu einer sogenannten »Verbitterungsstörung« führen, einer Unterform der Anpassungsstörungen. Diese ist durch andauernde Verbitterung sowie Fremd- und Selbstaggressionen infolge eines einschneidenden Kränkungserlebnisses (z. B. Kündigung) gekennzeichnet (Baumann, 2018). Infolgedessen fühlen sich die Betroffenen ausgeliefert und herabgewürdigt, ihr Befinden ist nachhaltig beeinträchtigt. Der »Mangel an Weisheit«, d. h. Expertise im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen, steht hier im Zentrum. Daher wurde

für dieses Störungsbild ein spezieller kognitiver Ansatz konzipiert, die »Weisheitstherapie«. Ziel dieses Ansatzes ist es, Verletzungen, die durch kritische Lebensereignisse erlitten wurden, funktionaler zu verarbeiten, sich davon zu distanzieren und eine neue Lebensperspektive aufzubauen (Baumann, 2018). Dabei werden Einstellungen und Problemlösemuster mittels kognitiver Methoden (z. B. Reframing) bearbeitet. vermittelt, wie Empathie, Perspektivwechsel und die Fähigkeit, ein

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Problem flexibel zu betrachten. Dies erscheint für eine komplexe

Beratung

Insbesondere werden weisheitsaktivierende Problemlösestrategien

Erbkonstellation passend, bei der das Einnehmen der verschiedenen Perspektiven aller am Prozess beteiligten Personen dazu beiträgt, die Dynamik im Familiensystem zu begreifen. Wie bereits beschrieben, ist es wichtig, die subjektiven Gerechtigkeitslogiken der Familienmitglieder zu identifizieren, um eine für alle befriedigende Konfliktlösung zu erreichen.

Am Ende

3 Auch der Tod bringt Leben in die Familie: Erbstreitigkeiten4

Ende

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Die altbekannte Redewendung »Über Geld redet man nicht« gilt leider bisher auch für die Familienpsychologie und Psychotherapie. Es ist für Familien in der Regel ein vielschichtiges Thema, familiale Geldkulturen spiegeln typische Familienmuster auf markante Weise wider. Vor allem die symbolische Bedeutung ist dabei relevant, also was damit an Sympathie bzw. Antipathie zum Ausdruck gebracht wird. Das gilt umso mehr für das Erbe, den letzten Akt der Ressourcenvergabe in einer Familiengeschichte. Erbschaften sind emotional hoch besetzt, steht doch der gesamte Familienbesitz auf dem Spiel. In vielen Familien schaffen es die Nachkommen, sich friedlich zu einigen und fühlen sich darüber über den Tod der Eltern hinaus verbunden. Viele Geschwister pflegen ihre Beziehung im Alter, haben ihre Rivalitäten überwunden und schwelgen in gemeinsamen Erinnerungen, um ihre Geschichte lebendig zu halten. Von diesen Familien können wir lernen, wie Erbschaft gelingen kann. Geschwisterbeziehungen sind gerade in späteren Lebensphasen eine wichtige Ressource, die zu Wohlbefinden beitragen. Daher sollten diese in Beratung und Psychotherapie zukünftig mehr Beachtung finden. Anders sieht es in Familien aus, in denen das Antreten einer Erbschaft aus dem Ruder läuft. Argwohn, Vorwürfe und Unterstellungen 4 Gerhard Uhlenbruck (*1929), deutscher Immunbiologe und Aphoristiker.

befeuern die Spannungen, bis die Dynamik eskaliert. Die Fronten sind dabei oft so verhärtet, dass nur die juristische Ebene bleibt, um eine Einigung zu erzwingen. Selbst bis dahin harmonische Familienbeziehungen können in diesem »Verteilungskampf« an ihre Grenzen stoßen. Da solche Zerwürfnisse bis zum Zerbrechen eines Familienverbandes führen können, gehen sie mit großem Leidensdruck einher, der mitunter durchaus in Depressionen endet. Beratung im Vorfeld hilft, Eskalationen entgegenzuwirken. Hierzu wurden einige Was Erbschaftsauseinandersetzungen so schwer macht, sind die unterschiedlichen Vorstellungen der Familienmitglieder davon, wie eine gerechte Aufteilung auszusehen hätte. Was für die einen gerecht ist, ist es für die anderen noch lange nicht. Tatsächlich hegen die meisten Eltern den Wunsch, ihren Kindern mit dem Erbe etwas Gutes tun, zumal dies die letzte Gelegenheit in ihrem Leben dazu ist. Leider stößt ihre gute Absicht bei den Kindern nicht immer auf die erhoffte Gegenliebe, sondern führt stattdessen zu erheblichem Unmut und Zwistigkeiten, weil diese sich etwas anderes erhofft hatten. Dabei sieht die übliche Norm vor, alle Kinder gleich zu behandeln, also ihnen auch gleich viel zu hinterlassen. Dieser Anspruch, Kinder immer gleich zu behandeln, scheitert an der Erziehungsrealität und der Unmöglichkeit, die abstrakte Forderung nach Gleichheit konkret umzusetzen (s. o.). Subjektiv wahrgenommene Ungleichbehandlungen schüren Rivalitäten unter den Kindern, die von den Eltern ernst genommen werden sollten, damit sie sich nicht verfestigen. Abhilfe kann es schaffen, wenn Eltern den Kindern ihr Verhalten entsprechend erklären, wichtig wäre dabei, dies nicht aus einem schlechten Gewissen heraus zu tun. Ebenso verlangt eine ungleiche Erbaufteilung nach Erläuterungen, die die Akzeptanz der Kinder erhöhen. Offene Gespräche bieten die Möglichkeit, die verschiedenen Sichtweisen zu verdeutlichen und zu reflektieren.

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Wege aufgezeigt.

Das Gerechtigkeitsempfinden hängt auch damit zusammen, dass Menschen innerlich Buch über gegenseitige Leistungen führen (Stierlin, 2005): Wer schuldet mir etwas und wem bin ich etwas schuldig? Solche Verrechnungsmuster wurden bisher eher bei Paaren diskutiert, sollten aber auch in Geschwister- und Eltern-Kind-Beziehungen stärker berücksichtigt werden. Ein solches Aufrechnen kommt etwa beim Thema Hilfe- und Pflegeleistungen besonders zum Travielleicht ein Anliegen, als Dank für deren Unterstützung einzelnen

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gen, die häufig alles andere als gleich verteilt sind. So ist es Eltern 70

Kindern (oder anderen Menschen) mehr zu vererben. Ein anderer Grund für eine ungleiche Verteilung ist, dass Kinder aufgrund einer besonderen Bedürftigkeit mehr erhalten als ihre Geschwister (s. o.). Sowohl Bedürftigkeit als auch Verdienste werden allerdings sehr unterschiedlich bewertet, so dass Konflikte quasi vorprogrammiert sind. Ein offener Austausch über die jeweilige »innere Buchführung« unter professioneller Begleitung kann helfen, das Konfliktpotenzial abzumildern. Schließlich kommt es vor, dass Eltern ein bestimmtes Kind bevorzugen oder benachteiligen, was bei den Geschwistern Neid und Kränkung auslösen kann und dann ihrer Beziehung schadet. Hier könnte Beratung dazu beitragen, sich dies überhaupt einzugestehen und den Hintergründen nachzugehen: Was hat eine solche Bevorzugung mit der eigenen Geschwisterhistorie zu tun, wiederholt sich hier ein Muster aus der eigenen Kindheit, das es gegebenenfalls aufzulösen gilt? Auf Seiten der Kinder stellt das Erbe gegebenenfalls einen Kristallisationspunkt geschwisterlicher Rivalität dar, dessen Wurzeln oft weit zurück reichen. Konflikte im Erbgeschehen sind daher nicht zu verstehen, ohne einen Blick auf die Historie der jeweiligen Geschwisterbeziehung zu werfen. Elterliche Ungleichbehandlungen, die für Kinder nicht nachvollziehbar sind, stellen also eine große Last dar,

die bis ins Alter nachwirken kann. Ziel einer Beratung kann es sein, diese Leidensgeschichte aufzurollen, die Gefühle zu verarbeiten und sich (innerlich) mit den Eltern und Geschwistern auseinanderzusetzen. Blut ist dicker als Wasser: Ist Erben ohnehin schon in der eigenen Familie schwierig genug, potenziert sich das Ganze in Stieffamilien noch einmal drastisch. Über die Erbschaftsdynamik in alternativen noch zu füllen gilt. Wenn sich ein verwitwetes oder geschiedenes

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Elternteil neu bindet, kommen weitere Familienmitglieder hinzu,

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Familienformen ist kaum etwas bekannt, eine große Lücke, die es

nicht unbedingt zur Freude der Ursprungsfamilie. Das Elternteil befindet sich im Zwiespalt zwischen einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin und den Kindern aus der ersten Ehe, die um die emotionalen wie materiellen Ressourcen konkurrieren. Generell wird es weniger akzeptiert, wenn Menschen materielle Unterstützung oder Erbanteile erhalten, die nicht als zur Familie gehörend wahrgenommen werden. Auf Systemebene spalten sich Familien daher häufig in einen alten und einen neuen Teil, zwischen denen ein eisiges oder hochangespanntes Klima herrscht, was sehr belastend ist. Schlussendlich ist auch das weitere Umfeld der Familie zu bedenken: Werte wie Gerechtigkeitsnormen wandeln sich nicht nur mit der Zeit, sondern sind auch kulturell geprägt. Familien, deren Mitglieder aus unterschiedlichen Kulturen stammen, haben oft ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie materielle Versorgung und Hinterlassenschaften auszusehen haben. In bi-nationalen Familien können dabei Welten aufeinanderprallen, die unvereinbar erscheinen. So wird etwa in vielen Kulturen erwartet, sich auch um die weitere Verwandtschaft zu kümmern, was hierzulande eher unüblich ist. Abschließend lässt sich sagen, dass es unzählige offene Fragen gibt und ein weites Feld möglicher Problemkonstellationen, für die spezielle Beratungskonzepte erst noch zu entwickeln sind.

4 Literatur

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Christiane Wempe, Diplom-­Psychologin, ist

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psychologische Psychotherapeutin für Kin-

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5 Die Autorin

der, Jugendliche und Erwachsene in eigener Praxis. Sie ist außerdem als Dozentin und Supervisorin am IFKV Bad Dürkheim tätig. Sie verfügt über psychotherapeutische Qualifikationen in den Bereichen personenzentrierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie. Zu ihren Veröffentlichungen zählen zahl­reiche Publikationen im Bereich Klinische Psychologie wie auch Entwicklungs- und Familienpsychologie. Darüber hinaus hat sie Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Siegen und Kassel, sowie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, übernommen.