Wege und Irrwege des Krisenmanagements: Von Afghanistan bis Südsudan 9783205793199, 9783902670991, 9783205788560


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German Pages [272] Year 2014

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Wege und Irrwege des Krisenmanagements: Von Afghanistan bis Südsudan
 9783205793199, 9783902670991, 9783205788560

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Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement Schriftenreihe des Center für Strategische Analysen Herausgegeben von Walter Feichtinger Band 7

Walter Feichtinger · Hermann Mückler Gerald Hainzl · Predrag Jureković (Hg.)

WEGE UND IRRWEGE DES KRISENMANAGEMENTS Von Afghanistan bis Südsudan

2014 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Das Werk ist eine ergänzte und aktualisierte Auflage des Bandes 8/2012 der Schriftenreihe der ­Landesverteidigungsakademie Wien ISBN 978-3-902670-99-1. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Landesverteidigungsakademie und urheberrechtlich geschützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung  : © U.S. Air Force  ; photo by Tech. Sgt. Dawn M.Price

© 2014 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H., Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Redaktion  : Michel Lechner, Wien Korrektorat  : Herbert Hutz, Drasenhofen Umschlaggestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Generaldruckerei, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU

ISBN 978-3-205-78856-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 9 Kurzfassung 11 Walter Feichtinger Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Internationales Krisenmanagement – eine Bestandsaufnahme 13 Hermann Mückler Konflikt und Konflikthaftigkeit – ambivalente Kategorien. Grundsätzliche kultur- und sozialanthropologische Annäherungen 39 Wolfgang Braumandl-Dujardin Der umfassende Ansatz als strategischer Leitgedanke für eine vernetzte Politik zur Bewältigung von fragilen Situationen 67 Markus Gauster Zehn Jahre Krisenmanagement in Afghanistan – eine Bilanz 93 Gerald Hainzl Internationales Krisenmanagement in Afrika 121 Wolfgang Mühlberger Konfliktmanagement im Vorderen Orient: Negativer Frieden als Ultima Ratio? Internationales Konfliktmanagement als Opfer und Garant politischen Unwillens 143 5

Inhaltsverzeichnis

Predrag Jureković Vom Staatszerfall Jugoslawiens zum EU-Engagement auf dem Westbalkan. 20 Jahre Konflikt- und Krisenmanagement mitten in Europa 159 Hermann Mückler Konflikt und Krisenmanagement im Pazifik. Das Beispiel Bougainville, Papua-Neuguinea 193 Gerald Hainzl · Predrag Jureković Lehren und Ableitungen aus den Fallstudien für das internationale Krisen- und Konfliktmanagement 225 Walter Feichtinger Und was kommt jetzt  ? Überlegungen zur Zukunft des Internationalen Konflikt- und Krisenmanagements 233

ANHANG Abkürzungsverzeichnis 247 Literatur- und Onlinequellen 252 Autoren- und Herausgeberverzeichnis 267

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Abbildungs und Tabellenverzeichnis

Walter Feichtinger: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Internationales Krisenmanagement – eine Bestandsaufnahme

Grafik 1: Kriege und Bewaffnete Konflikte 1945–2011 Grafik 2: IKKM-Übersicht 1990–2012 Grafik 3: Schematische Darstellung Nicht-linearen IKKM

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Wolfgang Braumandl-Dujardin: Der umfassende Ansatz als strategischer Leitgedanke für eine vernetzte Politik zur Bewältigung von fragilen Situationen

Tabelle 1: Konzeptive und mentale Herausforderungen bei der Umsetzung eines CA nach Andrea Riemer 9/2011 Tabelle 2: NATO-Contribution for CA Tabelle 3: Dili Declaration 2010 Tabelle 4: Interacting Triangle of State/Peace Building

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Markus Gauster: Zehn Jahre Krisenmanagement in Afghanistan – eine Bilanz

Grafik 1: Afghanistan National Development Strategy (ANDS) Structure Grafik 2: Ein etablierter Kreislauf: Opiumwirtschaft und Milizenführer Grafik 3: Reale Machtverteilung durch Milizenführer Tabelle 1: Bilanz des internationalen Engagements

99 103 105 115

Wolfgang Mühlberger: Konfliktmanagement im Vorderen Orient: Negativer Frieden als Ultima Ratio?

Grafik 1: Zeitleiste der EU- und UN-Missionen in der MENA-Region 1990–2012 150 Predrag Jureković: Vom Staatszerfall Jugoslawiens zum EU-Engagement auf dem Westbalkan

Tabelle 1  : Überblick über das internationale Krisenmanagement 1991–95 Tabelle 2  : Überblick über das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement 1995–99 Tabelle 3  : Überblick über das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement 1999/2000–2013 7

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Vorwort Der Gestaltungsspielraum der österreichischen Sicherheitspolitik wird von der globalen strategischen Lage, von der Integrationsdynamik und Sicherheitsvorsorge der Europäischen Union, von den regionalen Entwicklungen und von der nationalen politischen Kultur abgesteckt. In diesem Sinn analysiert der vorliegende wissenschaftliche Sammelband der Direktion für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport in Wien neben den globalen und europäischen Rahmenbedingungen sowie den regionalen Herausforderungen die wichtigsten Handlungsfelder und die Dynamik der österreichischen Sicherheitspolitik sowie deren Wahrnehmung von außen, in den Medien und in der Bevölkerung. Über die akademische Analyse hinaus soll die praktische Weiterentwicklung der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik angestoßen ­werden. Eine wesentliche Zielsetzung dieses Buches besteht darin, nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme vorzunehmen, sondern auch in kompakter und fokussierter Weise Erkenntnisse festzuhalten. Denn das Phänomen der Kurzlebigkeit – siehe die kurze Verweildauer von Spezialisten und Spezialistinnen sowie von Truppenkontingenten in internationalen Ein­sätzen – stellt auch ein bestimmendes Element bei Friedensmissionen dar und führt dazu, dass wesentliche Erfahrungen oft nur kurz von Nut­zen sind, weil sie rasch wieder in Vergessenheit geraten. Im Einführungsteil stellt Walter Feichtinger eine grundsätzliche Betrach­tung der Entwicklung des Internationalen Konflikt- und Krisenmanage­ments an, während Hermann Mückler sich mit Konflikten und Kon­flikthaftigkeit als ambivalente Kategorien auseinandersetzt. Wolfgang Braumandl wiederum befasst sich mit der Herausforderung von vernetz­ter Politik im Zusammenhang mit Friedenseinsätzen, denn das Ganze sollte und könnte auch hier viel mehr als die Summe aller Teile sein. Die überblickshafte Analyse von Regionen bildet den zentralen empirischen Teil des Bandes, wobei Südosteuropa von Predrag Jureković, Afrika von Gerald Hainzl, Israel/Palästina von Wolfgang Mühlberger und die pazi­fischen Inselstaaten von Hermann Mückler beleuchtet werden. Mit Afgha­ nistan – nicht wegzudenken aus einem Band wie diesem – setzt sich Markus Gauster auseinander. Ein Gesamtresümee über regionale Erfah­rungen und Er9

Vorwort

kenntnisse wird von Hainzl und Jureković gezogen, wäh­rend Walter Feichtinger noch einen Ausblick auf Trends und Perspek­tiven des Internationalen Konfliktund Krisenmanagements liefert. Bei aller Kritik und teils sehr unbefriedigenden Ergebnissen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass erfolgreiches Konflikt- und Krisen­management unter heutigen Bedingungen eine äußerst komplexe Her­ausforderung darstellt. Es gibt auch keine Schablone, nach der Einsätze ablaufen könnten, denn jedes Engagement stellt aufgrund der unter­schiedlichen Konfliktursachen, Akteure, Nachbarschaften und Interes­senlagen einen besonderen Fall dar. Weiters sind diese Formen interna­tionaler Friedensbemühungen und alle damit zusammenhängenden Auf­gaben eine relativ junge „sicherheitspolitische Disziplin“, bei der es noch viel zu lernen und zu verbessern gibt. In diesem Sinne sind kriti­sche Anmerkungen auch als konstruktiver Beitrag für ein zukünftiges Engagement zu verstehen. Die Herausgeber

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Kurzfassung Im vorliegenden Band wird das Internationale Konflikt- und Krisenmanagement nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 umfassend dargestellt und untersucht. Dabei handelt es sich weniger um eine rückblickende Analyse einzelner Friedenseinsätze oder um die Beleuchtung spezifischer Maßnahmen. Vielmehr soll ein Überblick vermittelt werden, wie die internationale Staatengemeinschaft versucht hat, unter den geänderten geopolitischen Rahmenbedingungen Frieden und Sicherheit zu schaffen und zu erhalten, und mit welchen Herausforderungen sie dabei konfrontiert worden ist. Dieser Intention folgend stellen daher Walter Feichtinger und Hermann Mückler im ersten Kapitel grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung und Entwicklung des Internationalen Konflikt- und Krisenmanagements an. Feichtinger leitet in stringenter Weise die wesentlichen Parameter und Veränderungen bei internationalen Friedensbemühungen ab und gelangt dabei zu zehn wesentlichen Erkenntnissen. Mückler hingegen setzt sich mit Konflikt- und Konflikthaftigkeit aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive auseinander. Wolfgang Braumandl-Dujardin komplettiert diesen Teil mit seinen Betrachtungen zu umfassenden Lösungsansätzen im Krisenmanagement (Comprehensive Approach), die aus einer faktischen Notwendigkeit entstanden und bereits zu einem Dogma bei internationalen Kooperationen geworden sind. Fallstudien zu Afghanistan (Markus Gauster), Afrika (Gerald Hainzl), dem Nahen Osten (Wolfgang Mühlberger) und dem ehemaligen Jugoslawien (Predrag Jureković) führen eindrücklich vor Augen, welche Gefahren für internationalen Frieden und Sicherheit bestehen und wie sich die internationale Staatengemeinschaft – die häufig nicht gemeinschaftlich agiert – bemühte, die zumeist innerstaatlichen Kriege nicht nur einzudämmen, sondern auch zu beenden und für eine nachhaltige Konsolidierung samt Staatsaufbau zu sorgen. Dieses Kapitel wird dem Titel des Bandes mehr als gerecht, denn es waren nicht immer erfolgreiche Wege, sondern auch viele Irrwege, die diese Versuche prägten. Etwas anders stellen sich die Ansätze und Ergebnisse internationaler Friedensbemühungen im Pazifik (Hermann Mückler) dar – vielleicht besteht hier auch die Möglichkeit, voneinander zu lernen, wenngleich die Ausgangssituationen doch stark variieren. 11

Kurzfassung

In der von Hainzl und Jureković erstellten Zusammenschau wird deutlich, wie unterschiedlich die Einschätzungen, Reaktionen, Interessen und Herangehensweisen bedeutender Staaten und internationaler Sicherheitsorganisationen an einzelne Konfliktherde sind. Sie veranschaulichen die Konzepte, die von einem „leichten Fußabdruck“ bis zur Einrichtung eines Protektorats reichen können. Allerdings wird auch klar, dass humanitäre Interventionen, die massive Menschenrechtsverletzungen oder etwa Völkermord unterbinden sollen, bei vielen Regierungen auf große Skepsis bis Ablehnung stoßen. Es kommt auch zum Ausdruck, wie umfassend und langfristig Konflikt- und Krisenmanagement sein muss, um nachhaltig zu wirken. Feichtinger stellt abschließend Überlegungen zur Zukunft internationaler Friedensbemühungen an und macht dies an den möglichen Auslösern und Akteuren fest. Er geht dabei davon aus, dass trotz aller negativer Erfahrungen das gesamte Spektrum an Maßnahmen des Internationalen Konfliktund Krisenmanagements denkbar bleibt, wenngleich es in den meisten Fällen schwieriger werden dürfte, breiten internationalen Konsens herzustellen.

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Walter Feichtinger

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Internationales Krisenmanagement – eine Bestandsaufnahme 1. Rückblick im Zeitraffer 1.1 Vom Abkommenswächter zum Friedenserzwinger und Aufbauhelfer

Als am 19. März 2011 Kampfflugzeuge Großbritanniens und Frankreichs aufstiegen, um den Vorstoß libyscher Sicherheitskräfte auf Bengasi, eine Bastion der Aufständischen, zu verhindern, wurde zum wiederholten Male von internationaler Seite in einen Bürgerkrieg interveniert. Legitimiert wurden diese Luftangriffe durch die Resolution 1973 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (SR/ VN), die nach Aufforderung der Arabischen Liga und nach intensivem Ringen unter den Mitgliedern des Sicherheitsrats zustande gekommen war. Im Wesentlichen wurde darin festgehalten, dass die Situation in Libyen eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellt und Staaten daher ermächtigt werden, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Dazu gehörte auch die Einrichtung einer Flugverbotszone.1 Das klingt doch ganz anders als jenes Mandat, das die erste Friedensoperation der Vereinten Nationen (VN) 1948 begründete und den Einsatz einer Gruppe von Staaten zur Überwachung der Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Israel, Ägypten, Irak, Libanon, Saudi- Arabien, Syrien, Jordanien und dem Jemen anordnete. Denn dieses basierte auf einem Abkommen mit allen beteiligten Staaten als Konfliktparteien und stellte weder eine Einmischung in innere Angelegenheiten noch eine Einschränkung ihrer Souveränität dar.2 1 Resolution des VN-Sicherheitsrats 1973 (2011), verabschiedet am 17. März 2011. „Determining that the situation in the Libyan Arab Jamahiriya continues to constitute a threat to international peace and security, […] 6. Decides to establish a ban on all flights in the airspace of the Libyan Arab Jamahiriya in order to help protect civilians  ; […] 8. Authorizes Member States … to take all necessary measures …“. 2 Resolution des VN-Sicherheitsrats 50 (1948), verabschiedet am 29. Mai 1948. „Desiring to bring a cessation of hostilities in Palestine without prejudice to the rights, claims and position of either Arabs or Jews, […] 2. Calls upon all Governments and authorities concerned to undertake that they will not introduce fighting personnel into Palestine, Egypt, Iraq, Lebanon, Saudi Arabia, Syria, Transjordan and Yemen during the cease-fire  ; […] 6. Instruct the United Nations Mediator in Pal-

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Die Resolution 1973 dagegen bildete im März 2011 die Grundlage für die Einrichtung einer Flugverbotszone über Teilen des libyschen Territoriums und somit eine massive Intervention. Monatelang flogen daraufhin NATO- und mit ihr verbündete Staaten Luftangriffe, um die libysche Bevölkerung vor weiteren Übergriffen der Sicherheitskräfte von Muammar al Gaddafi zu schützen und diesen zum Einlenken zu bringen. Letztlich führten sie jedoch in Verbindung mit den Bodenangriffen der libyschen Widerstandskämpfer zu dessen Sturz und physischen Vernichtung und einem gewaltsamen Regimewechsel. Das Beispiel Libyens 2011 zeigt auf drastische Weise, in welche Richtung sich das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement (IKKM) seit dem Ende des Kalten Krieges 1989 entwickelt hat.3 Nicht, dass es nicht vorher schon umfangreiche Embargos, Sanktionen oder militärische Operationen der VN zur Herstellung von Frieden und Sicherheit gegeben hätte – der wesentliche Unterschied besteht darin, dass zum einen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in diesen zwei Dekaden international immer stärker geächtet wurden. In diesen Fällen können sich daher Regime und Machthaber nicht mehr auf völkerrechtliche Souveränität und damit verbundene umfassende persönliche Immunität verlassen. Die zweite Veränderung besteht darin, dass sich internationale Friedenseinsätze pragmatisch immer stärker in Richtung Stabilisierung und Staatsaufbau entwickelten, allerdings ohne dass die internationale Gemeinschaft und nicht staatliche Akteure dafür über wirklich schlüssige Antworten, Konzepte und Instrumente verfügt hätten. Die damit einhergehenden Probleme und Disestine, in concert with the Truce Commission, to supervise the observance of the above provisions, and decides that they shall be provided with a sufficient number of military observers  ; 7. Instructs the United Nations Mediator to make contact with all parties as soon as the cease-fire is in force with a view to carrying out his functions as determined by the General Assembly […]“. 3 Ein definitorischer Hinweis  : Unter Konflikt sind Positionsdifferenzen und Spannungen zwischen zwei oder mehr Konfliktparteien zu verstehen, die allerdings ohne Waffengewalt ausgetragen werden. In einer Krise kann es dagegen neben der offenen Androhung von Gewalt auch zum sporadischen Einsatz von Gewalt gegen Personen und Sachen kommen. Eine gewaltsame Krise kann in weiterer Folge in einen begrenzten oder unbegrenzten Krieg münden. Konfliktmanagement erfolgt demnach in der Phase vor oder nach bewaffneten Auseinandersetzungen, während Krisenmanagement in den gewaltsamen Phasen stattfindet. In der Regel sind die Übergänge aber schwimmend, es kann daher auch beides gleichzeitig stattfinden. Vergleiche dazu Schwank, Nikolaus/ Trinn, Chistoph  : Muster und Entwicklungstrends politischer Konflikte. In  : Feichtinger, Walter/Dengg, Anton (Hg.)  : Kein Feind in Sicht. Wien 2010, S. 65–87. Hier ist auch auf die undifferenzierte Verwendung des Begriffs „Postkonflikt“ hinzuweisen, der suggeriert, dass der/die Konflikt/e nach Gewaltakten gelöst wären  ; richtigerweise sollte es „Postkrieg“ oder „Postgewalt“ heißen.

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kussionen führten nicht nur zu neuen Ansätzen und Doktrinen, sondern warfen vermehrt auch die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit und den Erfolgsaussichten des IKKM auf. 1.2 Kurze, aber intensive Versuchs- und Lernphase

Ansätze zur Herstellung des internationalen Friedens und von Sicherheit waren nach 1989 von höchst unterschiedlichen Vorstellungen und Einzelereignissen geprägt, die ebenso als Wege und Irrwege des Internationalen Krisen- und Konfliktmanagements gesehen werden können. Die VN spielten dabei zwar eine entscheidende Rolle, sie führten jedoch lediglich die Hälfte der Friedensoperationen selbst durch – für die anderen zeichneten Regionalorganisationen, Koalitionen aus „willigen“ Staaten oder auch Staaten im Alleingang verantwortlich. Hier erscheint der Hinweis angebracht, dass die beiden seit 2003 in der westlichen Öffentlichkeit dominierenden Einsätze im Irak und in Afghanistan in der langen Liste internationaler Friedensbemühungen aufgrund ihrer besonderen Entstehungsgeschichte Sonderfälle darstellen. So sah Washington den Einsatz in Afghanistan als Verteidigungskrieg, weil er als direkte Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 erfolgte – die VN schlossen sich dieser völkerrechtlichen Sichtweise von Selbstverteidigung an. Der Einmarsch im Irak wiederum wurde als präventive Aktion dargestellt, die dem Einsatz von (tatsächlich nicht vorhandenen) Massenvernichtungswaffen durch Saddam Hussein zuvorkommen sollte – diesmal jedoch ohne Zustimmung der VN. In beiden Fällen war es das deklarierte Ziel, die bestehenden Regime zu stürzen. Dass Washington und seine Verbündeten in weiterer Folge auch Stabilisierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen ergreifen mussten widersprach ganz klar deren Absicht. So meinte der amtierende USPräsident George W. Bush 2003  : „Ich wehre mich gegen den Einsatz des Militärs zum Nationbuilding. Wenn sie ihren Job getan haben, werden unsere Streitkräfte sich nicht als Peacekeeper betätigen. Wir sollten eine UN-Schutztruppe etablieren und abziehen.“4 George W. Bush musste rasch erkennen, dass diese Auffassung nicht mit den Realitäten, Erfordernissen sowie den Konsequenzen der jeweiligen Interventionen und der damit verbundenen Verantwortung vor Ort im Einklang stand. Denn wie schon die zahlreichen Friedenseinsätze der 1990er-Jahre in Afrika und Europa vor Augen geführt hatten, ist es mit der (gewaltsamen) Herbeiführung 4 Zitiert nach W. Kagan, Frederick  : Krieg und Nachkrieg. Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2003, S. 1321–1332, hier S. 1322.

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neuer politischer Machtverhältnisse keinesfalls getan. Die eigentliche Herausforderung besteht vielmehr darin, den mühsam errungenen Frieden zu gewährleisten, einen Rückfall zu verhindern und die Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Angesichts der Tatsache, dass es in 30 von 68 innerstaatlichen Kriegen nach 1945 binnen weniger Monate wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen ist, eine herausragende Aufgabe.5 Neben Stabilisierungsmaßnahmen erfordern Nachkriegssituationen in der Regel umfassende Anstrengungen zur Bewältigung politischer, sozialer, wirtschaftlicher und psychologischer Folgen. Friedenssicherung kann daher nur ein erster Schritt sein, der rasch in Friedenskonsolidierung übergehen und zu effektiven Strukturen und selbsttragendem Frieden führen sollte.6 Diese Auffassung setzte sich zwar zunehmend durch, die komplexen Problemlagen offenbarten jedoch auch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die intensive Versuchs- und Lernphase seit 1989 ist allerdings noch viel zu kurz, um schlüssige Antworten auf die mannigfaltigen Anforderungen haben zu können. 1.3 Ursachen und Auslöser des IKKM

Die sicherheitspolitische Bedrohungslage hat sich in den Jahren seit 1989 grundlegend verändert. Weltweite Konflikttrendanalysen ergeben, dass nunmehr innerstaatliche Konflikte dominieren. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem damit verbundenen Zerfall der globalen Ordnungsmacht Sowjetunion beziehungsweise der ordnungspolitischen Zurückhaltung der USA brachen viele innerstaatliche Konflikte auf, die zuvor verdeckt geblieben waren. Der Konflikttrend ist seit 1990 von einer absoluten Dominanz kriegerischer Auseinandersetzungen innerhalb von Staaten geprägt, so waren 2012 von den weltweit 34 Kriegen bzw. bewaffneten Konflikten mehr als 90 % innerstaatlicher Natur, der zwischenstaatliche (internationale) Krieg stellt nunmehr die Ausnahme dar.7

5 Vgl. Hofmann, Tobias/Lena M. Schaffer  : Einmal Frieden und zurück  ? Friedensmissionen und die wiederkehrende Eskalation innerstaatlicher Gewalt. In  : PVS 43/2009, S. 307–332, hier S. 307. 6 Vgl. Schaller, Christian/Schneckener, Ulrich  : Das Peacebuilding-System der Vereinten Nationen. Neue Mechanismen – neue Möglichkeiten. SWP-Studie 6/2009 Berlin. S. 11. Auf Definitionen und Aufgaben von Friedenssicherung und -konsolidierung wird in Kapitel 2.4 zurückgekommen. 7 Schreiber, Wolfgang  : AKUF Analysen, Nr. 11  ; Dezember 2012, Kriege und bewaffnete Konflikte 2012 – Ein erster Überblick. http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/Ipw/Akuf/publ/ AKUF-Analysen-11.pdf

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Kriege und Bewaffnete Konflikte8 1945–2011

  Quelle  : AKUF  ; Grafik  : Christian Wurzer, IFK

Es ist mittlerweile unbestritten und völkerrechtlich anerkannt, dass innerstaatliche Konflikte den globalen Frieden und die Sicherheit ebenso gefährden wie zwischenstaatliche Kriege.9 Denn sie bleiben nicht auf ein Staatsterritorium begrenzt, sondern strahlen auf die Umgebung aus und können ganze Regionen destabilisieren. Überschwappeffekte haben im Zeitalter der Globalisierung, das ja ebenfalls mit dem Ende des Kalten Krieges einsetzte und ungeahnte Freiheiten und Verbreitungsmöglichkeiten brachte, häufig weltweite Wirkung. Hier sei nur exemplarisch auf Flüchtlingswellen, die Ausbreitung der Organisierten Kriminalität infolge Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggels, auf das Entstehen terroristischer Zellen oder auch auf enorme Preisschwankungen bei Öl oder Gas verwiesen. Die große sicherheits- und friedenspolitische Aufgabe bestand daher zunehmend darin, innerstaatliche Kriege einzudämmen und für stabilen Frieden zu sorgen. Als die größten Stolpersteine erwiesen und erweisen sich dabei sogenannte schwache oder fragile, im Extremfall gescheiterte Staaten, in denen die Regierungsmacht oft nicht über die Hauptstadt hinausreicht. In diesen Fällen sind nicht nur Stabilisierungs-, sondern auch friedensbildende und langfristige Wiederauf8 Die Kategorie Bewaffneter Konflikt wird seit 1999 geführt. 9 Herdegen, Matthias  : Völkerrecht, 8. Auflage, München  : Verlag C.H. Beck (2007), S. 213–238, hier S. 225 und S. 234ff. sowie S. 364–368.

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baumaßnahmen erforderlich. Der Zerfall Somalias und die daraus resultierende Piraterie, die sich zu einer erheblichen Gefahr für den Schiffsverkehr im Golf von Aden mit entsprechenden Kosten (laut Weltbank zwischen 1,3 und 2 Mrd. USD jährlich, ohne erhöhte Versicherungsprämien)10 entwickelte, ist wohl das bekannteste Beispiel einer negativen Entwicklung. Aber selbst vermeintlich „starke“ Regime können manchmal internationales Einschreiten nahelegen, wenn nämlich die konzentrierte Staatsmacht zur systematischen Unterdrückung oder gar Vernichtung eines Bevölkerungsteiles missbraucht wird – als aktuellstes Beispiel sei Syrien 2013 genannt. Als dritte Konfliktgruppe, die immer wieder internationale Friedensbemühungen erfordert, sind alle innerstaatlichen Macht- und Verteilungskämpfe anzuführen, die vom Ringen um politische Teilhabe bis zu Sezessionsbestrebungen reichen können.11 Denn auch diese haben die Tendenz zur Eskalation und Einbeziehung der Nachbarschaft, etwa durch massive Flüchtlingsströme, Waffen- und Menschschmuggel oder ein Übergreifen der Kampfhandlungen. Die ursprüngliche Kernaufgabe des IKKM, die Unterstützung bei der Überwachung und Umsetzung von Friedensabkommen im Einvernehmen mit den beteiligten Staaten nach formaler Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen, hat zwar unverändert Gültigkeit, steht aber nicht mehr im Vordergrund. So wurden nach 1989 nur mehr vier Friedensoperationen (z.B. UNMEE  : United Nations Mission in Ethopia and Eritrea – Juli 2000 bis Juli 2008, oder UNOMUR  : United Nations Observer Mission Uganda/Ruanda – Juni 1993 bis September 1994)12 zu diesem Zweck ins Leben gerufen. 1.4 Maßnahmen zum Erhalt oder zur Wiederherstellung des Friedens

Es hat sich auch die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf Friedensbedrohungen und -brüche dynamisch verändert. Die Charta der VN zielt darauf ab, die Souveränität und territoriale Integrität jedes friedliebenden Staates zu schützen. Sie nennt jedoch nicht als Voraussetzung, dass dieser seine Kernaufgaben gegenüber der internationalen Staatenwelt, aber auch gegenüber der eigenen Bevölkerung zu erfüllen hat. Diese innere Dimension von „verantwortlicher Souveränität“ steht aber gerade heute im Zentrum der Diskussion über eine mögliche 10 World Bank  : World Development Report 2011. Overview. Conflict, Security, and Development. Washington 2011, S. 5. 11 Hinweis  : Maßnahmen der internationalen Katastrophenhilfe werden nicht in den Bereich des IKKM einbezogen. 12 http://www.un.org/en/peacekeeping/operations/past.shtml

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Relativierung des Gewaltverbots.13 In der Realität zeigt sich nämlich, dass manche Regime diesen Aufgaben nicht nachkommen können oder wollen.14 Um die Diskrepanz zwischen völkerrechtlichem Soll-Zustand und realpolitischem Ist-Zustand zu beseitigen, kann der Sicherheitsrat der VN Zwangsmaßnahmen inklusive Androhung oder Einsatz militärischer Gewalt beschließen. Für den Fall, dass ein Staat eine Bedrohung für andere Staaten oder für die internationale Ordnung darstellt, herrscht über das Bestehen einer expliziten Rechtsgrundlage zur Intervention Konsens. Ein Einschreiten der internationalen Gemeinschaft gestaltet sich aber als äußerst schwierig, wenn sich die Bedrohung ausschließlich nach innen, also gegen die eigene Bevölkerung richtet.15 Hier kann nur die ständige Praxis des VN-Sicherheitsrats, über die dargelegten Destabilisierungseffekte von internen Konflikten in der Region eine Verletzung von Art. 39 der VN-Charta festzustellen, herangezogen werden. Dennoch sind Interventionen in sogenannte „innere Angelegenheiten“ völkerrechtlich und realpolitisch höchst umstritten. Manche Staaten, aber auch Nichtregierungsorganisationen, lehnen sie rigoros ab (hier vor allem China und Russland), während die neuere Rechtsmeinung und Praxis Interventionen prinzipiell dann nicht ausschließen, wenn es die Abwendung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfordern (Position der westlichen Welt).16 Trotz dieser Differenzen und manch negativer Erfahrungen (z.B. Somalia 1993– 95) ist auf globaler Ebene festzustellen, dass humanitäre Interventionen im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte erheblich an Bedeutung gewonnen haben und die Schutzverpflichtung (Responsibility to Protect/R2P und Protection of Civilians/ PoC) gegenüber dem Individuum und bedrohter Gruppen zu einem wesentlichen Pfeiler des IKKM geworden ist. Im Anlassfall kommt es dabei immer zur Abwägung souveränitätsrechtlicher gegen humanitäre Interessen, was im Extremfall auch zu einer militärischen Intervention führen kann. Die damit einhergehenden heftigen Diskussionen unter den Mitgliedern des VN-Sicherheitsrats zeigten, wie schwierig und kontrovers sich dieser Prozess gestalten kann. Ähnlich im Falle Syriens seit dem Beginn der Aufstandsbewegung im Frühjahr 2011, wo sich die in-

13 Peters, Anne  : Humanity as the A and O of Sovereignty, European Journal of International Law Vol 20 Nr 3 (2009), S. 513–544, hier S. 543. 14 A more secure world  : Our shared responsibility. Report of the Secretary-Generals High-level Panel on Threats, Challenges and Change. United Nations 2004, S. 17. 15 A more secure world, S. 62. 16 Siehe Summary of the UN-Secretary-General’s Report on the Role of Regional and Sub-regional Arrangements in Implementing the Responsibility to Protect. New York 2011, S. 1.

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ternationale Gemeinschaft nur mühsam zu Sanktionen, aber bis Herbst 2013 zu keiner substanziellen Resolution aufraffen konnte. Die Resolution zur Vernichtung der Produktionsanlangen und der Bestände an chemischen Waffen bildete gewissermaßen den kleinsten gemeinsamen strategischen Nenner der internationalen Staatengemeinschaft, war aber ein Nebenschauplatz des Krieges. 1.5 Internationale Gemeinschaft unter Anpassungsdruck

Die Mechanismen und Instrumente der VN waren Ende der 1980er-Jahre nicht auf Erfordernisse zur Stabilisierung und Lösung vorrangig innerstaatlicher Konflikte ausgerichtet. Es galt daher sowohl für die bestehenden Sicherheitsorganisationen wie auch für einzelne Staaten, die bereit waren, sich für den weltweiten Frieden und Sicherheit einzusetzen, radikal umzudenken und ihre Strukturen, Mechanismen, Instrumente und Abläufe anzupassen oder neue zu entwickeln.17 Die Befreiung Kuwaits 1991 hatte in diesem Zusammenhang falsche Erwartungen und Hoffnungen geweckt. Denn als damals eine multinationale Streitkraft unter Führung der USA mit weit über 500.000 Soldaten und einem Mandat des VNSicherheitsrats das irakische Militär aus Kuwait, das im Jahr davor Iraks Diktator Saddam Hussein annektiert hatte, zurückschlug, glaubten manche, nun sei eine neue Phase einer globalen Friedensordnung unter Führung der VN und mit Unterstützung aller maßgeblichen Staaten im Entstehen. Dass diese Vorstellungen trügerisch waren, sollte sich bald darauf in den Zerfallskriegen im ehemaligen Jugoslawien, aber auch in Angola, Ruanda und Somalia zeigen, als die sogenannte internationale Gemeinschaft nur sehr zögerlich und zurückhaltend agierte. Der Völkermord in Ruanda 1994 und das Massaker von Srebrenica 1995 zeigten auf dramatischste Weise, wohin Zaudern und Zögern letztlich führen kann. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse stellte sich weniger die Frage, in wessen Kompetenz die Verhinderung exzessiver kollektiver Gewaltanwendung oder die Anordnung einer humanitären Intervention fiel – das war unzweifelhaft der Sicherheitsrat, der bei Gefährdung des internationalen Friedens oder auch bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord einschreiten kann. Viel mehr war zu klären, wer sich abseits rhetorischer Bekenntnisse dafür auch tatsächlich militärisch engagieren würde. Denn die VN verfügen per se über keine eigenen Truppen, sondern sind auf die Bereitschaft der einzelnen Staaten angewiesen, diese freiwillig einzubringen. Dieses Problem ist ein ständiger Begleiter von VN17 Vergleiche dazu exemplarisch den Aufbau einer afrikanischen Sicherheitsarchitektur, die Neuausrichtung der NATO als „Krisenmanager“ oder die Transformation von Streitkräften in Europa.

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Missionen, das es enorm erschwert, rasch und angepasst auf Eskalationen zu reagieren und Konflikten präventiv zu begegnen. So dauert es trotz intensiver Bemühungen der VN nach wie vor etwa sechs Monate, bis eine VN-Friedenstruppe in einem Einsatzraum wirksam wird. Diese „Behäbigkeit“ der VN hat neben anderen Gründen dazu geführt, dass einzelne Staaten, Staatengruppen oder regionale Sicherheitsorganisationen (z.B. NATO) als eigenständiger Akteur immer stärker auf den Plan traten. Über den Zeitraum von 1948 (erste VN-Mission im Nahen Osten) bis 2005 besteht annähernd Gleichstand zwischen den 60 VN-geführten und den 68 nicht VN-geführten Missionen im Bereich Konfliktprävention und Konfliktmanagement. Dabei ist festzuhalten, dass 40 der nicht VN-Missionen ohne Zustimmung oder Autorisierung des Sicherheitsrats erfolgten.18 Das deutet darauf hin, dass es bei etwa 30 % aller Friedenseinsätze zu keiner positiven Entscheidung im Sicherheitsrat gekommen ist oder er a priori gar nicht einbezogen worden war. Es zeigte sich somit auch, dass Staaten gewillt und in der Lage sind, eigenmächtig ohne Zustimmung des Sicherheitsrats einzuschreiten, wenn sie es für erforderlich halten – mit allen damit verbundenen Problemen. Die Erfahrungen belegen allerdings, wie wichtig in allen Fällen die Zustimmung des Sicherheitsrats ist, denn nur ein Mandat dieses Gremiums kann zivilen und militärischen Maßnahmen jene Legitimität verleihen, die in den Augen der betroffenen Bevölkerung und vor der Weltgemeinschaft nötig sind, um auch nachhaltige Unterstützung zu erfahren. Das war eine wesentliche Lehre für die NATO, die ohne Zustimmung des Sicherheitsrats 1999 eine Luftoperation gegen Belgrad geführt hatte, noch stärker aber für die USA, die ohne entsprechendes Mandat und gegen den deklarierten Willen wichtiger Verbündeter wie Deutschland und Frankreich 2003 im Irak einmarschiert waren. So räumten etwa ranghohe US-Vertreter im Hinblick auf die folgenden Wirren diesen Fehler mit dem Verweis ein, dass die USA infolge fehlender Legitimation einen erheblichen Imageschaden erlitten und die dringend erforderliche Unterstützung beim Wiederaufbau gefehlt hatten. Das erklärt auch das intensive Ringen im Sicherheitsrat um die Herbeiführung einer entsprechenden Resolution, die den Lufteinsatz gegen Gaddafis Truppen 2011 erlaubte. Allen Anfeindungen, Problemen und Unzulänglichkeiten zum Trotz waren und sind daher die VN der zentrale Akteur im IKKM, weil nur sie einen Gewalteinsatz legitimieren können.19 Allerdings sollte 18 Heldt, Birger  : Trends from 1948 to 2005  : How to View the Relation between the United Nations and Non-UN Entities. In  : C. F. Daniel, Donald/ Taft, Patricia/ Wiharta, Sharon (Hg.)  : Peace Operations. Trends, Progress and Prospects. Washington 2008, S. 9–26, hier S. 11. 19 Vgl. Le Roy, Alan  : Looking Forward  : Peace Operations in 2020. In  : Thierry Tardy (Hg.)  : For a Re-

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man sich bewusst sein, dass der Entscheidungsfindungsprozess im Sicherheitsrat eine komplexe und komplizierte Angelegenheit darstellt, die viel Zeit erfordert und nur schwer zu durchblicken ist. Man könnte dieses Gremium auch als Öltanker mit fünf Kapitänen bezeichnen, die nicht immer das selbe Ziel ansteuern.

2. Entwicklung des IKKM nach 1989 – prägende Aspekte 2.1 Mehr EINSÄTZE – mehr AKTEURE

Die umfangreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen führten nach 1989 zu einem rasanten Anstieg der Friedensoperationen auf bis zu 12 pro Monat. Ihre Bandbreite erstreckte sich von verwaltungstechnischen Unterstützungsmissionen etwa beim Aufbau des Zollwesens bis zur umfassenden Übernahme von Regierungsaufgaben, wie es beispielsweise im Kosovo, in Osttimor oder Kambodscha durch die Einrichtung von VN-Übergangsverwaltungen der Fall war.20 Dabei gelangten die VN sowohl hinsichtlich Aufgabenstellung wie auch bei den Kapazitäten rasch an ihre Grenzen, was bis zu einem gewissen Grad auch ihre Versäumnisse und Versagen erklärt. Es entstanden somit zunehmend leere Felder, die vermehrt durch andere Sicherheitsakteure abgedeckt wurden. In Europa füllte das Verteidigungsbündnis NATO diese Lücke und schrieb sich nach 1999 Konfliktmanagement als neue strategische Aufgabe zu, wodurch sie auch der Diskussion um ihre Existenzberechtigung ein Ende bereitete. Auch in anderen Weltgegenden stieg die Bedeutung regionaler und subregionaler Sicherheitsorganisationen, die nun vermehrt im Auftrag und als Partner der VN – ganz im Sinne der VN-Charta als Regionalorganisation gem. Kapitel VIII – auf den Plan traten. So führte beispielsweise die westafrikanische Economic Community of West African States (ECOWAS) mit ihren Truppen in Westafrika (Liberia, Sierra Leone, Guinea-Bissau) verschiedene Friedensoperationen durch  ; so stehen auch 2012 das afrikanische Kontingent AMISOM im Auftrag der Afrikanischen Union (AU) in Somalia sowie etwa 4.000 Soldaten in der zwischen Sudan und Südsudan umstrittenen Region Abyei (UNISFA) im Einsatz. Europäische Staaten bringen ihre Truppen primär im Rahmen der NATO und der EU ein – dies auch deshalb, weil sie die aus ihrer Sicht newed Consensus on UN Peacekeeping Operations. Geneva Papers 23, Genf 2011, S. 21–27, hier S. 21. 20 Vgl. Le Roy, Alain  : Looking Forward  : Peace Operations in 2020. In  : Tardy, Thierry (Hg.)  : For a Renewed Consensus on UN Peacekeeping Operations. Geneva Papers 23. Genf 2011, S. 21–27, hier S. 21.

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mangelnde Effektivität und Effizienz von VN-Einsätzen kritisieren. Die EU wiederum hat ihre eigene Hilflosigkeit und das schwache Auftreten der VN während der jugoslawischen Zerfallskriege zum Anlass genommen, eigene Kapazitäten für Krisenmanagementeinsätze aufzubauen. Die ausufernden Aufgaben (Mediation, Frühwarnung, Sicherheitssektorreform, Kampf gegen gender-based violence, Rechtsstaatlichkeit u.v.a.m.) und Lücken in der Vernetzung von relevanten Bereichen im Peacebuilding und Statebuilding machen auch das Problem deutlich, dass der VN-Sicherheitsrat in erster Linie mit kurzfristigen Stabilisierungskompetenzen ausgestattet ist (Mandatshorizont zwischen sechs und 12 Monaten). All das trug zum Entstehen eines unübersichtlichen Akteursgeflechts aus internationalen Organisationen, Staaten und Staatengruppen, international agierenden Nicht-Regierungsorganisationen sowie unzähligen Hilfsund humanitären Organisationen bei. Von staatlicher Seite kamen dabei Diplomaten, Militärs, Polizisten sowie Verwaltungs- und Rechtsexperten zum Einsatz, während sich zivile Helfer primär auf humanitäre Hilfe und langfristige Wiederaufbauprojekte konzentrierten. Entwicklungszusammenarbeit kann dabei als Bindeglied zwischen staatlichem und nicht staatlichem Engagement gesehen werden. 2.2 Unterschiedliche Interessen involvierter Staaten

Dies führt zur Frage nach der Motivation einzelner Staaten, die deren Mitwirkung an Entscheidungsprozessen sowie eine aktive Teilnahme am IKKM bestimmt. Im Bereich der Interessenlagen sind einige Merkmale zu erkennen, die das Verhalten und Engagement maßgeblich beeinflussen. So ist erstens die Wahrnehmung und Beurteilung von Ereignissen in Konflikträumen höchst unterschiedlich und häufig von innenpolitischen Überlegungen beherrscht. Damit ist gemeint, dass Entscheidungen, die eine Regierung hinsichtlich einer Krisenregion in internationalen Organisationen mitträgt, sich im Umkehrschluss gegen das eigene Land wenden könnten. Gerade autoritäre Systeme wie China und Russland sind deshalb bei Interventionen, insbesondere im Zusammenhang mit massiven Menschenrechtsverletzungen, äußerst zögerlich und zurückhaltend, weil sie häufig mit ähnlichen Problemlagen im eigenen Land konfrontiert sind oder sein könnten. Präzedenzfälle und das Entstehen vorgegebener Sanktionsmechanismen vonseiten der internationalen Staatengemeinschaft sind daher aus ihrer Sicht zu verhindern. Zudem ist zweitens davon auszugehen, dass primär enge sicherheits- und verteidigungspolitische Überlegungen das Engagement der meisten Staaten bestimmen. Das kann in unmittelbarem Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen 23

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stehen, wo etwa eine Eindämmung von Kampfhandlungen in der Nachbarschaft angestrebt wird, um Überschwappeffekte oder negative Auswirkungen auf das eigene Territorium zu verhindern. So dürfte Russland schon Anfang 2012 befürchtet haben, dass bei einem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Asad militante islamistische Kräfte die Oberhand gewinnen und Dschihadisten in den Kaukasus zurückkehren könnten. Selbstverständlich hat der Kreml aber primär größtes strategisches Interesse, den Waffenkäufer und einzigen Verbündeten im Nahen Osten sowie den Flottenstützpunkt im syrischen Hafen Tartus nicht zu verlieren. Moskaus Widerstand im Sicherheitsrat gegen verschärfte Sanktionen dürfte somit auf mehreren nationalen Zielsetzungen beruhen. Wie das Engagement der deutschen Bundeswehr in Afghanistan zeigt, können aber ebenso umfassendere Sicherheitsüberlegungen ein mittelbares Engagement in großer Entfernung bewirken.21 Die Mitwirkung an Entscheidungsprozessen und Aktivitäten des IKKM stellt aber drittens auch ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik eines Staates dar. Im positiven Sinn geht es dabei um Sichtbarkeit in der internationalen Gemeinschaft und einen Imagegewinn des Landes (siehe Brasiliens führende Rolle in Haiti),22 im negativen Sinn kann Staaten daran gelegen sein, eigene Einflusssphären zu wahren und internationale Einmischung zu unterbinden. Nicht von ungefähr finden Friedensoperationen in der Regel nicht in unmittelbarer Nachbarschaft von ständigen SR-Mitgliedern statt.23 Das Beispiel Chinas 1999 wiederum zeigt, dass es viertens auch simple nationale Interessenpolitik sein kann, die Entscheidungen bestimmt. Peking verweigerte im Sicherheitsrat die Zustimmung zur Verlängerung des Mandats für die präventiv stationierte Friedenstruppe in Mazedonien, nachdem die Regierung in Skopje offizielle Kontakte mit Taiwan aufgenommen hatte. Nicht zuletzt ist fünftens die Durchsetzung universeller Werte wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit für viele demokratische Regierungen ein starkes Motiv, sich an Maßnahmen zur Erringung friedlicher Zustände zu beteiligen.24 21 Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die Aussage des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers Joachim Struck, der die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistaneinsatz mit der einfachen Formel „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“ rechtfertigte. 22 Ramalho, Antonio Jorge  : Traditional and New Contributors to UN Operations  : Brazil’s Strategic Motivations. In  : Tardy, Thierry (Hg.)  : For a Renewed Consensus on UN Peacekeeping Operations. Geneva Papers 23. Genf 2011, S. 28–36, hier S. 33. 23 Siehe Fortna, Virginia Page  : Does Peacekeeping Work  ? Shaping Belligerents’ Choices after Civil War. Princeton University Press 2008, S. 44. 24 Vgl. dazu Berdal, Mats  : Building Peace after War. Routlege London 2009, S. 14.

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Diese heterogenen Interessenlagen traten in den vergangenen 20 Jahren immer stärker zutage. In politischen Kreisen wird deshalb gerne das Faktum betont, dass keine Situation wie die andere sei und daher immer von Fall zu Fall genau geprüft und entschieden werden müsse. Bei kritischen Beobachtern und den krisen- und kriegsgeplagten Bevölkerungen entstand allerdings vermehrt der Eindruck, dass oft mit unterschiedlichem Maß gemessen werde, da etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit eigentlich an allen Orten der Welt dieselbe Reaktion der internationalen Gemeinschaft bewirken sollten. Der Begriff Staatengemeinschaft ist daher wohl eher als eine euphemistische Konstruktion zu verstehen, die dann an ihre Grenzen gelangt, wenn universelle Wertvorstellungen mit nationalen Interessen kollidieren. 2.3 Schwierige Abstimmung und Arbeitsteilung

Aufgrund ihrer Vielzahl und Vielfalt sind Friedensoperationen und Missionen der letzten Jahrzehnte nur schwer tabellarisch zu erfassen. Klar ist, dass sie an Zahl und Umfang drastisch zugenommen haben (siehe Graphik IKKM-Übersicht 1990–2012). Dabei fällt auch auf, dass es zu einem umfangreichen Parallelengagement verschiedenster Organisationen in den meisten Einsatzräumen gekommen ist. In der täglichen Praxis haben sich dabei verschiedene Formen der Zusammenarbeit zwischen den VN, Regionalorganisationen und einzelnen Staaten ergeben, die meist auf eine rudimentäre Arbeitsteilung hinauslaufen und sich an den Kernkompetenzen der Mitwirkenden orientieren. Es sei hier nicht verschwiegen, dass dies häufig mit erheblichen Problemen einhergeht und zu starken Reibungsverlusten führt. Bestrebungen, diese zu reduzieren, beschäftigen deshalb seit Jahren Verantwortungsträger und strategische Planer auf allen Seiten. Es geht dabei schlichtweg darum, einen akkordierten, zweckorientierten Einsatz von Personen und Ressourcen von Staaten und Sicherheitsorganisationen sowie im Zusammenwirken mit anderen Akteuren zu erzielen. Der Grundgedanke von einem vernetzten, umfassenden Zugang zu den komplexen Herausforderungen in Krisenräumen wie etwa in Afghanistan gewann zweifelsohne an Boden, er wurde angesichts vieler Misserfolge und sinkender Ressourcen zu einem strategischen Imperativ. Es wäre aber verfehlt, anzunehmen, dass sich trotz eindeutiger Erfahrungen alle am IKKM Beteiligten einer stringenten Koordination unterwerfen. Denn zu groß sind die institutionellen Unterschiede, Absichten und Zielsetzungen aller Involvierten, zu stark dominieren Einzelinteressen und Befindlichkeiten auch einzelner Personen in den entscheidenden Positionen (vergleiche dazu den Beitrag von Wolfgang Braumandl in diesem Band). 25

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IKKM-Übersicht 1990–2012

  Grafik: David Jaklin, IFK25

Das Entstehen einer sogenannten „Hilfsindustrie“, darunter das mannigfaltige Engagement von Nichtregierungsorganisationen, die aus dem heutigen IKKM nicht mehr wegzudenken sind, wurde bereits angesprochen. Sie darf im Kontext der bestehenden Akteursvielfalt und der zivil-militärischen Zusammenarbeit nicht unerwähnt bleiben, weil ihre Vertreter in Konflikträumen zumeist beachtenswerte und unverzichtbare Leistungen für die betroffene Bevölkerung erbringen, durchaus aber auch Eigeninteressen verfolgen können. Wesentlich dabei ist, dass es immer wieder zu Interessenkonflikten mit staatlichen Stellen kommt. Während nämlich Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft in der Regel auf eine nachhaltige Transformation der politischen Verhältnisse abzielen, fühlen sich humanitäre Organisationen ausschließlich der Linderung des Leides der Bevölkerung und der Verbesserung ihrer Lebensumstände verpflichtet. Um 25 NATO  : List of Operations. , abgerufen am 08.03.2012. UN List of Peacekeeping operations 1948–2012 abgerufen am 08.03.2012. EEAS  : Overview of the missions and operations of the European Union. abgerufen am 08.03.2012. Survey of OSCE Field Operations SEC. GAL/171/11/Corr.1, abgerufen am 08.03.2012.

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Zugang zu Menschen in Not zu erhalten, sehen sie sich deshalb häufig genötigt, selbst mit repressiven Regimen zu kooperieren und sich auf strikte Unparteilichkeit zu berufen. Das kann jedoch den Intentionen der Staatengemeinschaft zuwiderlaufen, die aus politischen Erwägungen diese Regime oft mit Sanktionen belegen oder die Kontakte massiv einschränken. Im Spannungsfeld von Straffreiheit, der Bildung von Übergangsregierungen und der angestrebten Aussöhnung müssen ohnehin oftmals schwierige Kompromisse eingegangen werden, wie etwa die Einbeziehung sogenannter Warlords in politische Verhandlungen in Afghanistan. Die Praxis der letzten zehn Jahre hat bewiesen, dass größere, auch internationale nicht staatliche Einrichtungen (z.B. Rotes Kreuz/Roter Halbmond, Caritas, Ärzte ohne Grenzen) fähig und willens sind, mit staatlichen und internationalen Einrichtungen zu interagieren, also zumindest aufeinander Rücksicht zu nehmen. Problematischer gestaltet sich dagegen häufig die Präsenz Tausender kleiner und kleinster Hilfsorganisationen, deren Wirken oftmals unüberschaubar, geschweige denn koordinierbar ist. 2.4 Vielfältige Anforderungen und Aufgaben

Lässt man die letzten 20 Jahre Revue passieren, so ist zu erkennen, dass sich das Aufgabenspektrum im IKKM erheblich erweitert hat. In der Fachsprache der VN, die mit der „Agenda für den Frieden“ des damaligen VN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali (1992) den Grundstein für ein neues Verständnis und einen neuen Problemzugang gelegt hat, wird von Maßnahmen zur Konfliktprävention (Conflict Prevention), zur Friedensdurchsetzung (Peace Enforcement – Einsatz von Zwangsmitteln zur Beendigung von Kampfhandlungen), zur Friedenssicherung (Peacekeeping – Überwachung eines Friedensabkommens zwischen den Konfliktparteien, meist in Verbindung mit der Stationierung internationaler Truppen) und zur Konfliktnachsorge (Peacebuilding) gesprochen.26 Allein im Bereich Friedenssicherung wurden mittlerweile etwa 300 Aktivitäten identifiziert, die aus mehr als 20 größeren Aufgabenfeldern wie Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kämpfer oder Unterstützung bei Wahlen sowie der Reform des Sicherheitssektors entstehen.27 Die Verhinderung von gewaltsamen 26 Schaller, Christian/Schneckener, Ulrich  : Das Peacebuilding-System der Vereinten Nationen. Neue Mechanismen – neue Möglichkeiten. SWP-Studie 6/2009 Berlin, S. 10–11. 27 Mancini, Francesco  : Conclusion Managing Partnership. In  : Francesco Mancini/Adam C. Smith (eds.)  : Partnerships – a New Horizon for Peacekeeping  ? International Peacekeeping 5/2011 Routledge Oxfordshire 2011, S. 627–633, hier S. 628.

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Konflikten hat zweifelsohne Vorrang bei allen Friedensbemühungen – sie stößt aber rasch an ihre Grenzen, wenn zumindest eine der Konfliktparteien entschlossen ist, ihre Interessen auch mit Gewalt durchzusetzen. Im Falle Syriens waren die USA im September 2013 knapp dran, militärische Schläge aus der Luft gegen das Asad-Regime durchzuführen – ohne Zustimmung des Sicherheitsrats. Falls Konfliktprävention versagt, können die VN Maßnahmen zur Friedenserzwingung beschließen. Sollten politische und wirtschaftliche Sanktionen dabei nicht ausreichen ist auch der Einsatz militärischer Gewalt möglich. Allerdings kam es in den letzten Jahren auch ohne Mandat des Sicherheitsrats zu militärischen Interventionen. So war es im Falle des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević 1999, der alle Friedensappelle ignorierte und das Risiko eines NATO-Luftangriffs bewusst in Kauf nahm. Der NATO-Einsatz in Libyen 2011 dagegen beruhte auf einer eindeutigen Resolution des Sicherheitsrats, der ein weiteres gewaltsames Vorgehen der Gaddafi-Truppen unterbinden wollte.

Grafik  : Christian Wurzer, IFK28

 

In der Realität hat sich gezeigt, dass das Schwergewicht des IKKM auf friedenssichernden Maßnahmen liegt, die erst nach Einstellung der Kampfhandlungen und auf Basis eines Waffenstillstands- oder Friedensabkommens zwischen den 28 Idealtypisches Schema der VN gemäß Vortragsunterlagen UN High Level Course 2011.

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Konfliktparteien einsetzen. Friedenssicherung sollte im Idealfall nahtlos in Friedenskonsolidierung übergehen, wo in einem umfassenden Ansatz die politischen, ökonomischen, sozialen und psychologischen Konsequenzen von Kriegen überwunden und strukturelle Konfliktursachen beseitigt werden sollen. Es liegt auf der Hand, dass an dieser Schnittstelle zivile Kenntnisse und Fertigkeiten etwa beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen oder eines Justizsystems verstärkt vonnöten sind. Ein enormes Problem im IKKM, da diese Experten in der Regel nicht oder nur in ungenügender Zahl für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen bzw. nicht so schnell zum Einsatz kommen können. Damit gerät jedoch das Gesamtkonzept ins Wanken, das auf den Pfeilern Sicherheit und Entwicklung ruht. Denn ausländische Militär- und Polizeikräfte können zwar für eine gewisse Zeit für Sicherheit sorgen, ohne entsprechende Kapazitätsentwicklung in einem Wiederaufbaugebiet laufen sie aber zunehmend Gefahr, das Image einer Besatzungstruppe zu erlangen. Eine der größten Herausforderungen besteht immer darin, einen Rückfall in kriegerische Zustände zu verhindern. Die Gefahr ist erheblich, so hat sich in 30 von 68 innerstaatlichen Kriegen nach 1945 die Hoffnung auf Frieden oft binnen weniger Monate zerschlagen.29 Ein zusätzlicher gravierender Aspekt ist darin zu sehen, dass Friedenssicherung den einfacheren Teil einer komplexen Gesamtaufgabe darstellt. Sie ist nämlich als Stabilisierung eines gewaltfreien Zustands zu verstehen, ohne die dahinter liegenden Ursachen beseitigt zu haben. Der Konflikt wird gewissermaßen eingefroren. Die Bezeichnung „post-Konflikt-Engagement“ ist demnach trügerisch und sollte durch „post-Kriegs-Engagement“ ersetzt werden. Ein „Einfrieren“ führt außerdem dazu, dass das internationale Interesse an der nachhaltigen Lösung unter Beseitigung der strukturellen Hintergründe abnimmt und es sich dem nächsten „Hotspot“ des Weltgeschehens zuwendet. Neben der internationalen Aufmerksamkeit werden in der Regel auch Ressourcen verlagert und materielle wie personelle Zusagen nicht eingehalten, was – neben anderen Gründen – zu erheblichen Problemen im Bereich der umfassenden und nachhaltigen Transformation führt. Dabei sind substanzielle Verbesserungen im Gesamtsystem eines Staates von vorneherein nur sehr schwer zu erzielen, wie das Beispiel Haitis zeigt, wo bereits die vierte VN-Mission seit 1994 stattfindet. Dort wurden die geringen Fortschritte auch noch durch das Erdbeben von 2010 zunichtegemacht. In diesem Zusammenhang ein kurzer Hinweis auf Sanktionen  : Diese werden zwar von den VN oder einzelnen Staaten und Organisationen häufig eingesetzt, 29 Hofmann, Tobias/Schaffer, Lena M.: Einmal Frieden und zurück  ? Friedensmissionen und die wiederkehrende Eskalation innerstaatlicher Gewalt. In  : PVS 43/2009, S. 307–332, hier S. 307.

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ihre Wirksamkeit und Treffsicherheit ist allerdings höchst umstritten. Bei Bürgerkriegen gibt es die Erfahrung, dass umfassende Wirtschaftssanktionen zwar erheblichen Druck erzeugen, aber keine Verhandlungslösung herbeiführen können. Allerdings steigt durch Sanktionen der Handlungszwang, sei es, einen militärischen Erfolg erzwingen zu wollen oder doch an den Verhandlungstisch zu kommen. Sanktionen können daher zwar ein Mittel zum Zweck sein, aber politische Lösungen nicht ersetzen.30 2.5 Regionale Konzentrationen internationaler Friedensbemühungen

In den Friedensbemühungen der vergangenen 20 Jahre sind deutlich geografische Konzentrationen zu erkennen. So finden seit Beginn der 1990er-Jahre zahlreiche unterschiedliche zivile und militärische Einsätze auf dem Westbalkan statt, die auf die gewaltsame Abspaltung jugoslawischer Teilstaaten und des Kosovo sowie auf den 1997 drohenden Staatszerfall Albaniens zurückgeführt werden können (siehe dazu eine detaillierte Darstellung im Beitrag von Predrag Jureković). Eine zweite Häufung ergab sich aufgrund der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion an deren südwestlicher Grenze, dem Südkaukasus. Die schwelenden Konflikte zwischen Georgien und seinen nach Unabhängigkeit strebenden Provinzen Abchasien und Südossetien sowie zwischen Aserbaidschan und Armenien führten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und zur Internationalisierung der Konflikte. Allerdings kam es zu keiner umfangreichen Stationierung von Friedenstruppen, da Moskau diese Region als „nahes Ausland“ einstuft und im Sicherheitsrat eine stärkere externe Einflussnahme zu verhindern wusste. Das kurze Aufflammen der innergeorgischen Konflikte 2008 nutzte der Kreml, um durch eine direkte Militärintervention seine Position in der Region nachhaltig zu festigen, was aber keinesfalls eine Konfliktlösung bedeutet. Die größte Konzentration internationaler Friedensbemühungen findet sich auf dem afrikanischen Kontinent. So waren 2012 etwa 75 % der 75.973 VN-Friedenssoldaten in Afrika im Einsatz, 30 von 53 Resolutionen des Sicherheitsrates hatten Afrikabezug und für die Zeitspanne von Mitte 2012 bis Mitte 2013 wurden 7,33 Mrd. USD aus dem VN-Budget für Friedenseinsätze in Afrika be­willigt.31 30 Escribà-Folch, Abel  : Economic sanctions and the duration of civil conflicts. In  : Journal of Peace Research 47(2) 2010, S. 129–141, hier S. 140. 31 United Nations Peacekeeping Operations, Factsheet 31. May 2013. http://www.un.org/en/peace keeping/documents/bnote0513.pdf, abgerufen am 02.08.2013.

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Die Bandbreite der Friedenseinsätze reichte dabei von der Überwachung von Friedensabkommen über Interventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung bis zu langfristigen Maßnahmen des Staatsaufbaus (siehe dazu den Beitrag von Gerald Hainzl). Gemessen an der Zahl ziviler und militärischer Kräfte sowie den eingesetzten Mitteln rangieren jedoch die Friedenseinsätze in Afghanistan seit 2001 sowie im Irak nach der US-Intervention 2003 an vorderster Stelle. Auch wenn sich deren Entstehungsgeschichte maßgeblich von anderen Friedensoperationen unterscheidet, so können doch beide Einsatzräume als die umfangreichsten Experimentier- und Erfahrungsfelder des (von westlichen Vorstellungen geprägten) IKKM gelten. Von gesamtstrategischer Bedeutung bleiben dabei wohl die intensiven Bemühungen, die internationalen und nationalen Aktivitäten in einem Mindestmaß zu koordinieren und kohärent zu gestalten. Signifikant und möglicherweise prägend ist aber der US-Schwenk von einer ergebnisorientierten zu einer datumsorientierten Strategie, in dem der Truppenabzug aus beiden Staaten nicht wie ursprünglich betont von einem zu erreichenden Zustand, sondern von einem eher willkürlich festgelegten Zeitpunkt abhängig gemacht wurde.32 Dieses Vorgehen steht in starkem Gegensatz zur üblichen Praxis der internationalen Gemeinschaft – z.B. im Kosovo, in Haiti oder Osttimor –, die ein balanciertes ziviles und militärisches Engagement anstrebt und den stufenweisen Rückzug von den tatsächlichen Ergebnissen abhängig macht.

3. Zusammenfassende Anmerkungen Im Hinblick auf die internationalen Beziehungen – gemessen an dem jahrhundertelang dominierenden Konflikt- und Kriegsbild des zwischenstaatlichen Krieges – ist die Zeitspanne von 1989 bis 2012 und die darin erfolgte Neuausrichtung auf Maßnahmen zur Bewältigung und Überwindung innerstaatlicher bewaffneter Konflikte (noch) relativ kurz. Trotz aller Unterschiede und Besonderheiten der jeweiligen Konflikte und Friedensbemühungen lassen sich aber erste Erkenntnisse ableiten und Entwicklungen sowie Trends erkennen, die auch Parameter zukünftiger Friedensoperationen sein könnten.

32 Vergleiche die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, die US-Truppen bis 2014 aus Afghanistan abzuziehen.

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3.1 Erkenntnisse und Problemfelder des IKKM

In einer Zusammenschau der vergangenen 20 Jahre ist festzustellen, dass das IKKM von drei strategischen Parametern bestimmt wurde. Diese sind a) heterogene Interessen und unterschiedliches Engagement der maßgeblichen Staaten (v.a. der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, zunehmend aber auch der BRICS-Staaten)  ; b) der Trend von „harter“ zu „weicher“ Sicherheit (Betonung der Menschenrechte und Schutzverpflichtung), wobei Interventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung, die „humanitäre Interventionen“ abgelöst haben,33 einen kritischen Streitpunkt darstellen, und c) eine Sonderrolle der VN als globaler Organisation, die jedoch unter einem Missverhältnis zwischen den realpolitischen Möglichkeiten und operativen Potenzialen leidet. Daran wird sich in absehbarer Zeit vermutlich nicht viel ändern. Besonders fraglich ist, ob der Sicherheitsrat nach den Erfahrungen in Libyen 2011 in absehbarer Zeit wieder einer derartigen Intervention ein Mandat erteilen wird. Vor allem Russland und China werden in Hinkunft noch zurückhaltender sein als bisher, da sie den in der Realität erfolgten Sturz des Regimes sicher so nicht gebilligt hätten. Militärische Interventionen könnten daher hinkünftig vermehrt davon abhängen, ob es gelingt, die betroffene Bevölkerung zu schützen, ohne dadurch zwangsläufig einen Regimesturz und Machtwechsel zu bewirken. Ein Beispiel dafür gab es in der jüngeren Geschichte, als die USA, GB und Frankreich nach offizieller Beendigung des zweiten Golfkriegs 1991 Flugverbotszonen im Nord- und Südirak (ca. 62 % des irakischen Staatsgebietes) einrichteten, um die schiitische und kurdische Minderheit zu schützen.34 Ob sich dieses Schema allerdings auch auf Szenarien wie Libyen oder Syrien umlegen ließe, ist zu hinterfragen. 3.2 Die Frage nach Wirksamkeit und Erfolg

Angesichts der ungeheuren Ressourcen, die in den letzten beiden Dekaden für das IKKM aufgebracht wurden, erscheint es legitim, die Frage nach dessen Wirksamkeit und Erfolg zu stellen. Es ist klar, dass dabei keine einfachen buchhalterischen Kriterien und Formeln gelten können, sondern primär qualitative politische Faktoren heranzuziehen sind. Im Vordergrund sämtlicher Betrachtungen 33 Luck, Edward C.: Der verantwortliche Souverän und die Schutzverantwortung, Vereinte Nationen 2 (2008), S. 51–58. 34 Vgl. Posch, Walter  : Irak unter Saddam Hussein. Das Ende einer Ära  ? Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 13/2003 Wien, S. 15–16.

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steht die Frage, ob ein bewaffneter Konflikt beendet und ein neuerlicher Ausbruch verhindert werden konnten. Das ist von eminenter Bedeutung angesichts der Tatsache, dass sich 90 % der Bürgerkriege im 21. Jahrhundert in Ländern ereignet haben, die in den 30 Jahren davor bereits schon einmal von Bürgerkriegen betroffen waren.35 Erstaunlicherweise werden diese Fragen noch immer nicht öffentlich aufgeworfen – das überrascht angesichts der Risiken und Kosten, die jeder einzelne Staat dabei trägt. Man könnte daraus aber auch ableiten, dass Maßnahmen des IKKM grundsätzlich nicht infrage gestellt werden, sondern auf großem nationalem und internationalem Konsens beruhen. Bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Friedenseinsätzen gehen die Einschätzungen zwar auseinander, allerdings wird dem IKKM eine stabilisierende Wirkung und positive Einwirkung auf Friedensprozesse attestiert. So weist die Konfliktforscherin Virginia Page Fortna darauf hin, dass vorsichtige Schätzungen davon ausgehen, dass bei Einsätzen zur internationalen Friedenssicherung die Gefahr eines Rückfalls in Kriegshandlungen um die Hälfte reduziert würde, während andere sogar von 75 bis 85 % ausgehen.36 Kritischere Studien wiederum kommen zum Ergebnis, dass es nur einen geringen Unterschied macht, ob eine Friedensmission im Land sei oder nicht. So kam es laut Hoffmann/Schaffer in 40 % von 114 untersuchten Fällen nach 1945 erneut zum Ausbruch von Gewalt. In 40 Fällen wurden Beobachter und Friedenstruppen entsandt, davon sind 24 erfolgreich verlaufen. Aber auch in 43 der 74 Friedensperioden ohne Friedensmissionen kam es zu keinem erneuten Ausbruch. Allerdings erfolgen VN-Friedensmissionen zumeist in einem sehr schwierigen Umfeld, was doch auf eine vergleichsweise höhere Erfolgsquote hinweisen dürfte. Unbestritten scheint bei allen Analytikern zu sein, dass Friedensmissionen in ehemaligen Bürgerkriegsländern die dauerhafte Sicherung des innerstaatlichen Friedens effektiv unterstützen.37 Hinsichtlich der Kosten gibt es eine aufschlussreiche Studie des US Governmental Accountability Office (GAO) aus 2006, in der festgestellt wird, dass ein dem UN-Engagement in Haiti (MINUSTAH) vergleichbarer Peacekeeping-Einsatz der USA etwa das Doppelte gekostet habe. Man kann daraus ableiten, dass VN-Peacekeeping in hohem Maße kosteneffektiv und effizient ist.38 Das darf aber nicht da35 World Development Report 2011. Overview. World Bank Washington 2011, S. 2. 36 Fortna, Virginia Page  : Does Peacekeeping Work  ? Shaping Belligerents’ Choices after Civil War. Princeton University Press 2008, S. 9–10. 37 Hofmann, Tobias/Schaffer, Lena M.: Einmal Frieden und zurück  ? Friedensmissionen und die wiederkehrende Eskalation innerstaatlicher Gewalt In  : PVS 43/2009, S. 307–332. 38 Haeri, David/Jovin, Rebecca  : Why we need the West in UN Peacekeeping. In  : Thierry Tardy (Hg.)  :

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rüber hinwegtäuschen, dass in allen Bereichen des IKKM erhebliches Verbesserungspotenzial besteht. Im Hinblick auf nachhaltige Effekte, vor allem auf selbsttragenden Frieden und verbesserte Lebensbedingungen für die betroffenen Bevölkerungen, fällt das Resümee deutlich kritischer aus. Denn nur in wenigen Fällen (z.B. Mosambik, Osttimor) ist es tatsächlich zu einer Konflikttransformation und positiven Gesamtentwicklung gekommen. In Bosnien/Herzegowina kann dagegen nach dem Dayton-Abkommen 1995 noch immer nicht von einem sozialen und politischen Ausgleich – wesentliche Grundlage für nachhaltige Entwicklung ohne externe Friedenssicherung – gesprochen werden. Die Entwicklungen in Afghanistan und im Irak wiederum legen die Frage nahe, ob nicht mittelfristig nach dem Abzug des Gros der internationalen Truppen abermals eine Gefährdung für den globalen Frieden und Sicherheit entstehen und/oder eine humanitäre Intervention erforderlich werden könnte. Hinweise auf ungelöste Konflikte bieten aber auch jahrzehntelange VN-Einsätze wie in Zypern (seit 1964) oder auf den Golanhöhen zwischen Syrien und Israel (seit 1974). Um Lehren ziehen zu können, erscheint es deshalb wichtig, sich bisherige Erfahrungen nachdrücklich in Erinnerung zu rufen. 3.3 Denkfehler sind zu vermeiden

Gerade im Zusammenhang mit dem IKKM gilt es, Denkfehler wie etwa analoge Schlüsse, die Annahme von einer Universalität der Bedeutung und Gültigkeit von bestimmten Werten oder auch der allgemeinen Anwendbarkeit von Methoden und Konzepten zu vermeiden. Denn kein Konflikt ist – bei hinreichender Kontextanalyse – wie der andere, keine Gesellschaft ist wie die andere, keine Konfliktvorgeschichte ist wie die andere und die strategischen Interessen externer Akteure und ihre Bereitwilligkeit, sich einzubringen, sind jeweils anders gelagert. Auch die Notwendigkeiten und Erfordernisse in den Konfliktgebieten unterscheiden sich zumeist deutlich, obwohl einige Grundmuster zu erkennen sind. Ein allgemeiner Irrtum besteht darin, anzunehmen, dass substanzielle Änderungen in einem Staat, etwa im Sicherheitsbereich, im Bildungswesen, in den realen Machtverhältnissen oder bei der Bekämpfung von Korruption, binnen weniger Jahre möglich sind. Der Weltentwicklungsbericht 2011 der Weltbank hält dazu fest, dass die erfolgreichsten Reformstaaten im 20. Jahrhundert durchFor a Renewed Consensus on UN Peacekeeping Operations. Geneva Papers 23, Genf 2011, S. 50– 55, hier S. 54.

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schnittlich 20 Jahre benötigten, um die Verwaltung auf Stand zu bringen, dass 27 Jahre nötig waren, um die Korruption in den Griff zu bekommen, dass es 17 Jahre erforderte, um das Militär aus der Politik zu drängen, dass erst nach 36 Jahren eine effektive Regierung etabliert war und dass es 41 Jahre dauerte, bis sich der Rechtsstaat durchgesetzt hatte.39 Ebenso utopisch ist die Annahme, dass diese Veränderungen von außen implementiert werden können. Hier entwickelte sich allerdings in den letzten Jahren aufseiten der internationalen Organisationen wie auch bei beteiligten Staaten und Nichtregierungsorganisationen ein Umdenken, das dieser Erkenntnis Rechnung trägt. Denn so wünschenswert es vielleicht auch wäre – die Einflussmöglichkeiten von außen sind sehr begrenzt, umgesetzt wird nur, was mit den örtlichen Vorstellungen und Verhältnissen in Einklang gebracht werden kann. Die Forderung, das „Ownership-Prinzip“, also die Entscheidungskompetenz und Eigenverantwortung der lokalen Eliten und Gesellschaften, zur Handlungsleitlinie für externes Engagement zu machen, klingt daher plausibel. Sie beantwortet aber nicht die damit einhergehende Frage, ob bei den Entscheidungsträgern und in der Gesellschaft vor Ort der entsprechende Wille für politische, rechtliche und wirtschaftliche Veränderungen gegeben und die erforderlichen Kapazitäten und Fähigkeiten (Absorptionsvermögen) vorhanden sind. Darüber hinaus gibt es auch Grenzen des Ownership-Prinzips, wenn bspw. lokale Machthaber Vereinbarungen mit der internationalen Gemeinschaft bewusst hintertreiben oder sie als Person untragbar sind, etwa wegen schwerer Menschenrechtsvergehen. 3.4 Zehn wesentliche Erkenntnisse

In einer Präzisierung der bisherigen Ausführungen können zehn Erkenntnisse festgehalten werden  : 1. Eine mangelnde Nachhaltigkeit des internationalen Engagements birgt die Gefahr von Rückfällen und des Verlusts bisheriger Errungenschaften. Eine Strategie, die nur auf die Stabilisierung eines Konflikts abzielt, reicht daher auf Dauer nicht aus, denn nur durch Konflikttransformation können selbsttragende Sicherheit und Entwicklung erzielt werden. 2. Fehlende Kohäsion und keine oder nur eine unzureichende Abstimmung externer Maßnahmen führen zur Vergeudung von Ressourcen, zu Ineffizienz und zum Glaubwürdigkeitsverlust internationaler Akteure in den Augen der 39 World Development Report 2011 Overview. World Bank Washington 2011, S. 11.

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Konfliktgesellschaften. Bei allen unterschiedlichen Prinzipien, Problemsichten und Auffassungen wäre daher ein Mindestmaß an gemeinsamer Zielsetzung und Koordinierung bei den wichtigsten Akteuren erforderlich.40 3. Internationales Engagement in Form von Interventionen sollte nur auf Grundlage völkerrechtlicher Legitimation, also auf Basis eines Mandats des Sicherheitsrats, erfolgen. Immer wichtiger wird dabei die Einbeziehung regionaler und subregionaler Sicherheitsorganisationen, da deren Zustimmung und Mitwirkung kurz-, mittel- und langfristig von höchster Bedeutung sind. Die herausragende Rolle der VN bleibt dabei unangetastet. 4. Überzogene Erwartungshaltungen sind „Gift“ für das IKKM. Das trifft sowohl für die Gesellschaften in den Aktionsräumen internationaler Friedenseinsätze als auch für die Entsendestaaten zu. Denn unerfüllte Erwartungen schlagen über kurz oder lang in Enttäuschung und Frustration um und führen zu einem Vertrauensverlust, zu gegenseitigen Schuldzuweisungen oder zu Rückzugsforderungen auf beiden Seiten. „Erwartungsmanagement“, das auf die Chancen und Möglichkeiten, aber auch Grenzen und Gefahren eines internationalen Engagements hinweist, hat daher schon im Vorfeld einzusetzen und dieses ständig zu begleiten. 5. Militärische Mittel können in bestimmten Situationen erforderlich sein, um den Forderungen der internationalen Gemeinschaft Nachdruck zu verleihen oder humanitäre Katastrophen zu unterbinden. Sie können aber kein Politikersatz sein und somit nur stabilisierenden und transformierenden Charakter haben. Der Anwendungsbereich beschränkt sich daher auf den Aufbau einer Drohkulisse, die Unterbindung der organisierten Gewaltanwendung repressiver Regime, den Schutz bedrohter Bevölkerungsteile und die Selbstverteidigung. 6. Vor jedem Engagement ist zu prüfen, ob Friedenseinsätze unter den gegebenen Rahmenbedingungen erfolgreich sein können. Dazu gehört die objektive Einschätzung der Verhältnisse vor Ort wie auch die tatsächliche Verfügbarkeit personeller sowie materieller Ressourcen. Im Extremfall kann das bedeuten, dass Missionen nicht zustande kommen, um ein vorprogrammiertes Scheitern zu verhindern. Die Inhalte von Mandaten des SR, die den Auftragsrahmen für die internationalen Kräfte im Einsatzraum bilden, haben deshalb im vollen Einklang mit den realen Gestaltungsmöglichkeiten zu sein und sollten keine Wunschliste darstellen. 40 Vgl. Tardy, Thierry  : Introduction – For a Renewed Consensus on UN Peacekeeping Operations. In  : Tardy, Thierry (Hg.)  : For a Renewed Consensus on UN Peacekeeping Operations. Geneva Papers 23, Genf 2011, S. 9–20, hier S. 17.

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7. Friedenskonzepte haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie tatsächlich von den betroffenen Bevölkerungen getragen werden. Dabei gilt es aber oft, den Widerstand von bisherigen Nutznießern bewaffneter Konflikte im politischen und/oder wirtschaftlichen Bereich zu überwinden. Ohne die „Selbstbestimmung“ zu gefährden, sollte die internationale Gemeinschaft mit ihren Repräsentanten vor Ort geschlossen und klar Position beziehen und die konsequente Umsetzung von getroffenen Vereinbarungen verfolgen. 8. Trotz aller Orientierung an Nachhaltigkeit und langfristigem Engagement sollte klar sein, dass externe Akteure dennoch nur „Gast“ in einem anderen Land sind. Es besteht daher ein gewisser Zeitdruck, zu sicht- und spürbaren Ergebnissen zu kommen, um nicht das Ansehen und die Unterstützung vor Ort zu verlieren. Das gilt insbesondere für die Stationierung militärischer Truppen, die binnen weniger Jahre durch lokale Sicherheitskräfte, die das Vertrauen der eigenen Bevölkerung genießen, ersetzt werden sollten. 9. Partnerschaftliche Modelle und zivil-militärische Zusammenarbeit werden immer stärker an Bedeutung gewinnen, um den Erfordernissen vor Ort und dem steigenden Ressourcenbedarf gerecht zu werden. Bisherige Ansätze und Konzepte bilden daher vermutlich nur den Auftakt für eine intensivierte Auseinandersetzung mit den Themen Arbeitsteilung, Koordinierung, Spezialisierung, Kooperation und integrative Lösungen im Rahmen des IKKM. 10. Obwohl das IKKM auf absehbare Zeit ein sicherheitspolitisches Paradigma bleiben wird, sollten die Wirkungsmöglichkeiten realistisch eingeschätzt werden. Denn neben den komplexen und multiplen Herausforderungen an den einzelnen Schauplätzen ist zu berücksichtigen, dass das Prinzip der staatlichen Souveränität auch in Zukunft klare Grenzen setzen wird. Das bedeutet, dass IKKM nicht nur zeitlich befristet oder inhaltlich und räumlich stark eingeschränkt erfolgen kann – immer abhängig vom Wohlwollen und von der Zustimmung der jeweils vor Ort Regierenden. Siehe Sudan, siehe Tschad, siehe Syrien. Die Übergangsverwaltungen in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo stellen vermutlich eher Ausnahmen dar. Diese zehn Punkte werden das IKKM nicht von sich aus verändern. Allerdings kann die Kenntnisnahme dieser Grundsätze und ihre der Situation entsprechende Berücksichtigung in manchen Fällen vielleicht doch dazu beitragen, Irrtümer und Fehler nicht zu wiederholen oder bereits gemachte Erfahrungen nicht zu vergessen. Denn das IKKM wird ein sicherheitspolitischer Imperativ bleiben, dem es zu folgen gilt – möglichst auf zielführenden Wegen.

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Hermann Mückler

Konflikt und Konflikthaftigkeit – ambivalente Kategorien Grundsätzliche kultur- und sozialanthropologische Annäherungen

Menschen sind als soziale Wesen von der ersten Sekunde ihrer Geburt an darauf angewiesen, mit anderen Menschen in Wechselbeziehungen zu treten. Diese Wechselbeziehungen folgen bewussten oder unbewussten Abhängigkeiten und der Notwendigkeit, Bedürfnisse (als Baby) abgedeckt zu erhalten bzw. aktiv in der Interaktion mit anderen die Bedingungen gegenseitiger Bedürfnisabdeckung auszuverhandeln und entsprechend umzusetzen, was fast zwangsläufig eine konflikthafte Komponente beinhaltet. Thomas Hobbes, britischer Staatstheoretiker des frühen 17. Jahrhunderts, sah die Ursachen von Konflikten nicht so sehr in destruktiven menschlichen Antriebskräften, sondern in der Art der Beziehungen der Menschen untereinander. Er berührte damit eine Grundkonstante menschlichen Interagierens. Bewusst und unbewusst werden bereits vom Zeitpunkt der Geburt an die Fäden dieser Beziehungsverhältnisse zwischen dem Einzelindividuum und den Individuen seiner menschlichen Umwelt geknüpft. Eine reflexive Annäherung an den Menschen als sozial agierendes Wesen fragt daher, wie und warum dieses soziale Interagieren mit der Umwelt strukturiert ist und was für Konsequenzen sich daraus ergeben. Um sich dem Thema der Konflikthaftigkeit im Kontext von Krisenmanagement zu nähern, ist es durchaus zielführend, sich einige grundsätzliche Dinge in Erinnerung zu rufen, denn das Agieren von Menschen ist von der Notwendigkeit geprägt, grundlegende Bedürfnisse abdecken zu müssen und darüber hinausgehende Bedürfnisse abdecken zu wollen. Menschliches Agieren kann und muss daher grundsätzlich unter dem Aspekt der Bedürfnisbefriedigung betrachtet werden. Bedürfnisse werden durch Nutzung vorhandener Ressourcen befriedigt. Sind diese in Hülle und Fülle vorhanden, dann werden die darum rivalisierenden Individuen relativ leicht Wege der Aufteilung und diese Wege regulierende Modi finden. Sind diese jedoch begrenzt, dann beginnt jene Form des Interagierens, welche wir mit den Worten Konflikt und Konfliktaustragung in Verbindung bringen. Aus der Knappheit von Ressourcen resultiert die Konkurrenz um diese. Hobbes’ Antwort auf diese Erkenntnis, die in der Feststellung gipfelte, dass der Naturzustand des Menschen daher ein Kriegs39

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zustand sei, ist die angestrebte Auflösung des Kriegszustandes durch Einführung des Staatswesens. Die Einführung des Staates, der, mit voller Souveränität ausgestattet, den Frieden in der Gemeinschaft durch Vertragsüberwachung sichern soll, ist Hobbes’ Antwort und Strategie zur Bekämpfung des Konfliktes. Hobbes war jedoch nur einer unter vielen Wissenschaftlern, die Theorien und Strategien zum Umgang mit Konflikt und dessen Bewältigung entwickelten. Im Folgenden sollen grundsätzliche Begriffe und Kategorien zu dieser Thematik aus der Sicht der Sozialwissenschaften und insbesondere der Kultur- und Sozialanthropologie angesprochen werden. Ziel ist es, von grundlegenden und allgemeingültigen Erörterungen ausgehend, durch entsprechende Eingrenzung der Thematik diese auf jene wesentlichen Faktoren zu reduzieren, die einen Ausgangspunkt für verantwortungsbewusstes Agieren im Sinne des Krisenmanagements zwischen den Eckpunkten Konfliktprävention und Konfliktnachsorge ermöglichen. Hobbes hatte ein durchweg negatives Menschenbild, welches sich in Hobbes’ Gedankenexperiment des „Leviathan“ durch Egozentrismus, Konkurrenz und Misstrauen niederschlug.1 Ein einseitiges Bild. Wie wir sehen werden, gab es innerhalb der Kultur- und Sozialanthropologie auch ganz andere Ansätze  : die Suche nach der Existenz sogenannter friedliebender Gesellschaften, um deren Wesen zu analysieren und anwendbare Lösungen für konflikthafte Gesellschaften zu finden. Das Auffinden solcher Gesellschaften gestaltete sich schwierig, dennoch  : Es ist ein Verdienst der Ethnologie, darauf hingewiesen zu haben, dass es grundsätzlich so etwas wie friedfertige Gesellschaften geben kann. Der kritische Punkt war, wie man dabei „Friedfertigkeit“ definiert. Wenn man ihn über das negative Konzept definiert, das Frieden mit der Abwesenheit von Krieg gleichsetzt, und gleichzeitig eine Definition gibt, wie Krieg in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, so konnte man durchaus sogenannte friedfertige Gruppen und Gesellschaften finden. Beide antagonistisch sich gegenüberstehenden Positionen, Hobbes’ negatives Bild und das allzu positive einiger Ethnologen, zeigen Wege des Umgangs mit Konflikten und waren dennoch nur Zwischenschritte auf einem langen Weg zur Bewusstmachung dessen, was wir als Konflikt erkennen und unter Konflikthaftigkeit verstehen. Als zwei grundsätzliche Annäherungen taugen sie dennoch, denn andere Konflikttheorien lassen sich wie auf einer Skala zwischen den beiden Extrempositionen potenzieller Kriegsbereitschaft und Friedfertigkeit verorten.

1 Hobbes, Thomas  : Leviathan. Frankfurt/Main 1969.

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Grundsätzliches und der Begriff der Konflikthaftigkeit Menschliches Leben, wie jeder biologische Organismus, verfolgt das primäre Interesse der Sicherstellung jener Ressourcen, die es zum Leben benötigt. Die Notwendigkeit, Grundbedürfnisse abzudecken und dabei mit anderen, ebenfalls daran Interessierten die Bedingungen des Zugangs und der Kontrolle auszuverhandeln, führt uns zu jenem zentralen Begriff, der eng mit dem Begriff „Konflikt“ verbunden ist  : Interessenabgleich  ! Wenn zwei Menschen beisammenstehen, um sich beispielsweise über eine Konsequenzen nach sich ziehende Interpretation einer Sache zu einigen, dann bedarf dies des Interessenabgleichs. Dieser verläuft über verschiedene Wege der Kommunikation, deren wichtigste und sichtbare vordergründigste „Werkzeuge“ die Sprache, Gestik und Mimik sind. Es können auch andere Kommunikationselemente wirksam werden, doch für uns genügen hier vorab die am einfachsten nachvollziehbaren Faktoren, die für uns den Charakter von Parametern zur Interpretation dieses Interagierens haben. Diese Werkzeuge oder tools kann man nach ihrer Häufigkeit des Auftretens und der Wichtigkeit ihrer Verwendung ordnen. Ich zähle Sprache, Gestik und Mimik zu den grundlegenden Kommunikationselementen oder Werkzeugen erster Ordnung. Andere Elemente, wie beispielsweise die Schrift, Piktogramme, Symbole, verschiedene Zeichen, denen eine eigene Bedeutung, aber noch viel mehr eine Wirkung zugrunde liegt (damit beschäftigt sich explizit die Semantik als Bedeutungslehre im Kontext und als Teilbereich der Semiotik, der Zeichentheorie), würde ich als Werkzeuge zweiter Ordnung bezeichnen. Diese tools werden anlassorientiert zu Handlungssetzungen verwendet und können für sich, in ihrer symbolischen Bedeutung, ein Statement sein und eine Botschaft vermitteln. Zwei Akteure, die miteinander kommunizieren, müssen sich zuerst darüber im Klaren sein, mit welchen Werkzeugen und nach welchen Dekodierungs- und Verständnisparametern das Interagieren zwischen ihnen ablaufen kann, bevor es zum Interessenabgleich kommt. Dies geschieht in der Regel unbewusst, denn wir lernen von Geburt an die Regeln und Mechanismen, die in unserer jeweils eigenen Kultur gelten, zu deuten, zu erlernen und anzuwenden – wir nennen das Sozialisation. Dort, wo wir mit anderen kommunizieren, schaffen bzw. erfinden wir unter Umständen anlassorientiert jeweils weitere Elemente, die das Inter­ agieren möglich machen und reibungslos gestalten sollen. Wenn beispielsweise zwei Kleinkinder in einer Sandkiste miteinander spielen, so finden sie Mittel und Wege, ihre unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen vom Spielen in Einklang zu bringen und vollbringen dabei unbewusst eine komplexe Leistung  : 41

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Sie artikulieren ihre eigenen Wünsche, reagieren auf die Wünsche des jeweils anderen, erkennen Grenzen der eigenen Möglichkeiten, die sich zwangsläufig daraus ergeben, dass das Gegenüber andere Vorstellungen von der Gestaltung des Spiels hat und sie tasten sich an Kompromisse heran, die sich in der Regel tatsächlich als tragfähig erweisen, auch wenn der Weg dorthin unter Umständen von lautstarken verbalen und manchmal auch handfesteren Artikulationen und Argumentationen geprägt sein mag. Sie entwickeln für ihren Umgang mit- und untereinander ein Instrumentarium, welches dem Interessenabgleich dient und ein Auskommen in der Sandkiste ermöglicht. In Summe handelt es sich um eine erstaunlich komplexe Koordinationsleistung. Der Interessenabgleich bringt uns zur Verknüpfung dieses Begriffs mit einem weiteren Faktor  : der Konflikthaftigkeit jeglichen Interagierens. Der Begriff Konflikthaftigkeit bezeichnet eine Eigenschaft und ein Potenzial. Konflikthaftigkeit als Eigenschaft ist ein wesentliches Element der menschlichen Natur, die durch die Einzigartigkeit jedes einzelnen Individuums und der dadurch gegebenen Verschiedenartigkeit geprägt ist. Konflikthaftigkeit wird dann mit negativen Konnotationen besetzt, wenn man den Begriff Konflikthaftigkeit mit „Konflikt“ im Sinne von Konfrontation in Beziehung zu setzen geneigt ist. Konflikthaftigkeit kann als Potenzial grundsätzlich positiv bewertet werden, wenn wir annehmen, dass in Konflikten für das Individuum und die Gruppe nutzbare Kräfte und damit entscheidende Wachstumspotenziale in Richtung neuer selbstregulativer Tendenzen stecken können. Individuen bzw. Gruppen wachsen letztlich mit ihrer Fähigkeit, Konflikte zu erkennen, zu ertragen und positiv zu nutzen. Doch es gibt noch ein weiteres Potenzial  : Wenn einem Verhältnis bzw. einem Sachverhalt eine potenzielle Konflikthaftigkeit innewohnt, sodass es tendenziell aufgrund unterschiedlicher aufeinanderprallender Vorstellungen über Sichtweisen, Vorgangsweisen und Macht- und Herrschaftsansprüche begründende Kontrolle zu Konflikten kommt, ist dieser Dynamik grundsätzlich in gleichem Maße das Potenzial der Eskalation inhärent. Die Verschärfung eines Konfliktverlaufs im Sinne einer schrittweisen Vertiefung, Verhärtung von Positionen sowie die zunehmend antagonistisch und damit kommunikationsreduzierende Aufstellung der Konfliktakteure wird von Fachwissenschaftlern anhand von Stufenmodellen dargestellt, die der Erfassung schrittweiser Eskalation dienen.2 Wesentlich dabei ist, dass im Konfliktverlauf mit der Steigerung des Gewaltniveaus 2 Kahn, Herman  : On Escalation, Metaphors and Scenarios. New York 1965  ; siehe auch Glas, Friedrich  : Konfliktmanagement. Ein Handbuch zur Diagnose und Behandlung von Konflikten für Organisationen und ihre Berater. Bern/Stuttgart 1990.

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das Verhalten der beiden Konfliktakteure fatalerweise weiter eingeengt wird, weil schrittweise bestimmte Handlungsalternativen ausgeschlossen werden.3 Dort, wo zwei Individuen oder ein Individuum und eine Gruppe oder zwei Gruppen miteinander in Beziehung treten, geht es um den Abgleich von Bedürfnissen, die wir hier als Interessen bezeichnen. Dass die Bedürfnisse des einen nicht notwendigerweise deckungsgleich mit den Bedürfnissen eines anderen oder anderer sind, wird vorausgesetzt. Aus diesem Grund ist jedes Interagieren immer auch ein Abtasten zwischen zwei oder mehreren Akteuren, mit dem Trachten der Eruierung, wie weit man selbst mit seinen Interessenlagen gehen kann, ohne die Bedürfnisse bzw. Interessen anderer zu stören bzw. zu behindern. Im Grunde geht es um Behutsamkeit im Umgang miteinander, es geht um die Strukturierung und damit um die Qualität eines Beziehungsverhältnisses und sich daraus ableitende Handlungsweisen, die uns häufig nicht bewusst sind. Immanuel Kant hat dieses Beziehungsverhältnis in seinem berühmt gewordenen sogenannten Kategorischen Imperativ (KI) kongenial zusammengefasst, auch wenn er weiterführende grundsätzliche Gedanken der Moral und des Willens des Menschen sowie, damit in Verbindung stehend, das sich daraus ableitende Pflichtgefühl des Menschen damit verknüpfte, und damit in eine Richtung ging, die nicht mehr Gegenstand der Erörterungen dieses Beitrags sind. Im Prinzip könnte eine Form des sogenannten Kategorischen Imperativs folgendermaßen lauten  : „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“4 Diese Grund- bzw. Universalitätsformel wird von Kant selbst in geringfügigen Abwandlungen mehrmals in seinen Texten auch im Kontext einer Selbstzweck- oder Naturgesetzformel formuliert, die Grundaussage bleibt aber immer die Gleiche. Man könnte das auch, vom Kopf auf die Füße gestellt und deutlich profaner formuliert, umdrehen und sagen  : „Tue niemand, was du selbst nicht willst, dass man dir tue.“ Die Quintessenz beider Aussagen ist, dass man sich damit in Wechselbeziehung zu anderen begibt, diese erkennt und hinterfragt, und dieses Verhältnis in Bezug auf den eigenen Bewegungsspielraum und mögliche Berührungspunkte zu definieren versucht. Es geht dabei um die Formulierung eines Wunsches nach einem Übereinkommen, welches aber nur dann schlagend im Sinne einer positiven Umsetzung werden kann, wenn sich alle Betroffenen an dieses in gleichem Maße gebunden fühlen. Das Spannende daran 3 Meyer, Berthold  : Formen der Konfliktregelung. Eine Einführung mit Quellen  ; Friedens- und Konfliktforschung Band 3, Opladen 1997, S. 23–24. 4 Vgl. Kant, Immanuel  : Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hg. v. Jens Timmermann, Sammlung Philosophie Band 3, Göttingen 2004.

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ist wohl, dass es sich um eine universalistische Konzeption handelt, heute aber gerade das, was als universalistisch bezeichnet wird bzw. werden kann, in einer multi- und interkulturellen Welt vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sozia­ lisationen bzw. Sozialisierungsmöglichkeiten und vielfältiger kultureller Backgrounds scheinbar hinterfragbar geworden ist. Auch wenn es in diesem Fall nicht zutrifft, so muss allgemein angemerkt werden, dass die Frage, was universalistisch ist, vor dem Hintergrund globaler kulturrelativistischer Tendenzen und vor allem angesiuchts der außereuropäischen Kritik an westlichen philosophischen Ideen und Konzepten mit deren antizipierter Universalgültigkeit, gerade in diesen Bereichen zu Neuverhandlungen von Kommunikationsparametern, aber eben auch von Ideen selbst geführt hat. Die Schule der klassischen politischen Ökonomie von David Ricardo bis Adam Smith hatte eine dynamische Konzeption der Interessenverfolgung und -entwicklung auf Basis einer anthropologischen Sozietät und einer utilitaristischen, also nutzbringenden Handlungsmotivation der Individuen entworfen, deren Befriedigung durch ökonomische Marktvermittlung erreicht werden sollte. Menschen wurden dabei als egoistische Nutzenmaximierer gesehen, die unter Bedingungen der freien Konkurrenz zu einem Interessenabgleich kommen konnten. Hier war der Markt jener Ort, an dem Konflikte als Interessenkonflikte ausgetragen wurden.5 Auf diesem Markt, aber natürlich auf jeder Kommunikationsebene, muss man, um Kommunizieren zu können, die Zeichen verstehen, muss Einigkeit darüber herrschen, was sie bedeuten bzw. wie sie zu deuten sind. Es geht hier um ein Beziehungsverhältnis zwischen einem Sender und einem Empfänger bzw. Adressaten. Letztlich dient alles Kommunizieren der Bedürfnisbefriedigung. Dazu zählt nicht nur die Abdeckung grundlegender Bedürfnisse („food, shelter, health, care, education“) sondern auch Werte mit Bedürfnischarakter, wie beispielsweise  : Akzeptiert werden, sich Ansehen erwerben, geachtet sein, als Kompetenzträger gesehen werden, usw. … Ich gebe hier nur einige Beispiele wieder, um potenziell mögliche Faktoren zu skizzieren. Damit aber alle diese Dinge, nämlich der Interessenabgleich und die Bedürfnisbefriedigung – oder besser der Interessenabgleich zur Bedürfnisbefriedigung – funktionieren können, bedarf es Regeln. Regulative, die ich lieber als „Spielregeln“ bezeichnen möchte und die sich Kinder in der Sandkiste unbewusst genauso geben wie Politiker, die in Den Haag beim Internationalen Gerichtshof oder in New York bei den Vereinten Nationen sitzen und sehr bewusst um Regeln für das ausbalancierte Interagieren auf gleicher 5 Imbusch, Peter  : Konflikttheorien. In  : ders. und Zoll, Ralf (Hg.)  : Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung mit Quellen. Opladen 1996, S. 129.

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Höhe auf internationaler Ebene ringen. Das Völkerrecht ist dabei genauso ein Regelwerk wie die Straßenverkehrsordnung, die ausgehängten Jugendschutzbestimmungen in einem Lokal ebenso wie Befehlsketten- und Zuständigkeitsordnungen im militärischen Bereich. Viele der heute existierenden Regelwerke haben eine lange evolutionäre Entstehungsgeschichte und basieren auf anlassorientierten Erfahrungen sowie komplexen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen mit historischer Dimension. Die Hauptaufgabe der Kultur- und Sozial­ anthropologie ist es, genau diese unterschiedlichen Regelwerke in allen Gesellschaften zu allen Zeiten zu erfassen, zu vergleichen und in ihrem inneren Aufbau zu analysieren. Wie mühsam es ist, solche Spielregeln zu entwerfen, abzuklären und damit konsensfähig zu machen, die sich daraus ergebenden Betroffenheitsszenarien zu erkennen, wiederum abzuklären und zu berücksichtigen, kann in der internationalen Politik am Beispiel der Entwicklung des Völkerrechts sowie im täglichen politischen Alltagsgeschäft beobachtet werden. Bei beiden prallen unterschiedliche Interessen(-gruppen) aufeinander und durch Lobbying, Intervention Einzelner oder Gruppen, durch die Dynamik von Widerstand, Akzeptanz, Kompromisse-Schließen, Adaptierungen, Abändern, Anpassen und wieder Verwerfen ist die Ambivalenz, Mühsal und Fragilität dieses Prozesses erkennbar. Sozialwissenschaftler müssen sich im Prozess des Herantastens an den Begriff „Konflikt“ im Vorfeld mit diesen Dingen auseinandersetzen, und zwar global, vergleichend und alle Spielarten berücksichtigend, die sich aus unterschiedlicher Größe der Gruppen und Gemeinwesen ergeben können. Einschlägige Wissenschaftler beschäftigten sich in der Geschichte ihrer Fächer und heute mehr denn je mit jenen „Spielregeln“, die einfache und komplexere Gesellschaften oder Sozietäten zu allen Zeiten an allen Orten entwickelt haben, um das Zusammenleben der Menschen zu strukturieren, zu organisieren und zu für die qualifizierte Mehrheit einer Gruppe zufriedenstellenden Handlungsanweisungen und damit zu Lebenslösungen zu gelangen. Es geht dabei um das Vertrauen darauf, dass sich alle in einem Gemeinwesen in gleicher Weise bestimmten Regeln verpflichtet fühlen und auf bestimmte Verhaltensweisen anderer verlassen können. Wäre dies nicht der Fall, könnten wir keinen Fußgängerübergang überqueren, denn dann müssten wir Angst haben, dass wir überfahren werden. Legislative, Exekutive und Judikatur dienen in funktionierenden Gemeinwesen der Überwachung und Einhaltung solcher Spielregeln, von deren Abweichen mit graduell abgestuften Sanktionierungen als bewusstseinsbildende Korrektive reagiert wird. Es geht um Bewusstseinsbildung, um Konsensbildung und Konsens, um Vertrauen und Pakttreue. Es macht dabei keinen Unterschied, ob es sich um eine Familie, einen Klan, eine Dorfgemeinschaft, einen Stamm (den man erst genauer definie45

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ren müsste) oder einen Staat handelt, innerhalb welcher oder welchem solche Konsensbildung gefordert ist. Noch schwieriger wird die Situation, wenn es sich um die Notwendigkeit von Interessenabgleich zwischen sich als Gruppe definierenden sozialen Entitäten wie Familien, Dorfgemeinschaften, ethnischen Minderheiten oder Staaten handelt.

Konflikt und Konflikttheorien Im Bereich des Krisenmanagements spielen aus sozialwissenschaftlicher Sicht die Begriffe „Bedürfnisabdeckung“ – „Interessenabgleich“ – „Kommunikation“ und ihre Parameter – „Übereinkommen“ – „Ressourcen“ und die Kontrolle über diese sowie deren Distribution – und die Unterschiedlichkeit und Ambivalenz von gesellschaftliche Entitäten organisierende „Regelwerken“ eine entscheidende Rolle. Im Kern jedoch steht der Begriff des „Konfliktes“ und der „Konflikthaftigkeit“. Der Begriff des Konfliktes, der dem ubiquitären, also allgegenwärtigen Phänomen des Konfliktes entspringt, soll hier kurz aus der Sicht der Sozial- und Kulturwissenschaften skizziert werden. Manche Sozialwissenschaftler wagen keine konkrete und schon gar keine abschließende Definition dessen, was man als Konflikt bezeichnen kann, und verweisen auf die Vielschichtigkeit der Anwendbarkeit dieses Begriffs.6 So wie er häufig nur im Kontext der jeweiligen Konflikttheorien genannt wird, welche am Anlassfall orientierte bzw. strukturelle Erörterungen in den Vordergrund schieben, so schwer ist es, grundsätzliche Definitionen dazu in den genannten Wissenschaftsbereichen zu erhalten. Dennoch wäre es hier unbefriedigend, sich völlig der Verantwortung zu entledigen, eine Definition im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners zu suchen. Dieser lautet in den genannten Fächern, dass man dann von einem Konflikt sprechen kann, wenn zwei, meist soziale, Elemente gleichzeitig gegensätzlich oder unvereinbar sind. Ein Konflikt kann sich auf einzelne Personen beschränken, dann sprechen wir von „intrapersonellen“ Konflikten, mehrere Menschen umfassen („interpersonell“), oder, was für uns hier von Bedeutung ist, ganze Organisationssysteme wie beispielsweise Gemeinschaften, Gesellschaften oder Staaten umfassen („organisatorische“ Konflikte), wobei sich alle drei Formen vermischen und gleichzeitig auftreten können. Norbert Ropers hat Konflikte einmal als Inte6 So z. B. Bonacker, Thorsten noch im Jahr 1996  : Konflikttheorien. Eine sozialwissenschaftliche Einführung. Opladen 1996, S. 14. Er meint, dass erst die jeweiligen Konflikttheorien ermöglichen, den Begriff des Konfliktes inhaltlich zu füllen.

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ressenunterschiede definiert, die von mindestens einer Partei in einem Bereich gemeinsamer sozialer Interaktion wahrgenommen werden, sodass die Bestrebungen der Parteien nicht gleichermaßen realisiert werden können.7 Konflikte sind generell Störungen, die den Handlungsablauf unterbrechen und belastend wirken, und sie haben die Tendenz zu eskalieren, das heißt, sie weiten sich aus und nehmen an Intensität zu. Konflikte werden in der individuellen Wahrnehmung als Störung des „normalen“ Lebens empfunden und beeinträchtigen gewohnte Handlungsabläufe. Zugrunde liegt dieser Sichtweise die Erkenntnis, dass, je mehr sich eine Gruppe bzw. allgemein ein soziales System entwickelt, desto mehr werden Unterschiede zwischen den Elementen dieses Systems sichtbar, wobei diese Differenzen für das Fühlen, Wollen und Handeln vom Einzelnen oder auch Untergruppen als hinderlich erlebt werden. Entscheidend ist, dass Konflikte zuerst als solche wahrgenommen werden müssen, um sie überhaupt verhandelbar zu machen. Nur wenn Konflikte „wahrgenommene Interessendivergenzen“ sind, können sie auch verhandelbar sein, können alle Beteiligten ihre Werte und/oder Ziele einer gemeinsamen Konfliktbearbeitung zugänglich machen.8 Wahrnehmungen, wie Wellmann zu Recht meint, bilden zwar eine gesellschaftliche Realität, bilden diese aber nicht notwendigerweise ab. Erst auf dieser Grundlage kann unterstellt werden, dass alle Konflikte „rational“, d.h. in Folge auch „gewaltfrei“ bearbeitbar sind. Deshalb liegt vielen Studien zur Kriegsbeendigung „… das Modell des ‚rationalen Akteurs‘ und der ‚rationalen Entscheidung‘“ zugrunde.9 Bei diesem Konfliktmodell, so Wellmann, kann davon ausgegangen werden, dass alle drei Konfliktaspekte, erstens der eigentliche Konflikt über inkompatible Ziele oder Werte, zweitens das Konfliktverhalten und drittens die Konfliktattitüden, in wechselseitiger Beeinflussung zueinander stehen, wobei jeder dieser Punkte Ausgangspunkt für eine „gewaltfreie“ Konfliktbearbeitung sein kann. Schlüsselworte wären hier die Begriffe „Mediation“, „Faciliation“ und „Transformation“.10 Konflikt kann solcherart als Streit   7 Ropers, Norbert  : Friedliche Einmischung. Strukturen, Prozesse und Strategien zu konstruktiven Beschreibung ethnopolitischer Konflikte. Berlin 1995.   8 Wellmann, Arend  : Konflikt, Gewalt und Krieg in der „gewaltfreien Konfliktbearbeitung“ – Anmerkungen aus kritischer Perspektive. In  : Vogt, Wolfgang R. (Hg.)  : Gewalt und Konfliktbearbeitung. Baden-Baden 1997, S. 116–130. Wellmann bezieht sich dabei auf Rubin, Z./Pruitt, Dean G./ Kim, Sung Hea  : Social Conflict, Escalation, Stalement, and Settlement. New York u. a. 1994.   9 Wellmann 1994, S. 118, zitiert hier Matthies, Volker  : Friedensursachenforschung. Ein vernachlässigtes Forschungsfeld. Wissenschaft & Frieden, Nr. 2, 1994. 10 Wellmann 1994, S. 118  ; er verweist hier auch auf Schmid, Hermann  : Friedensforschung und Politik. In  : Senghaas, Dieter (Hg.)  : Kritische Friedensforschung. Frankfurt/Main 1975  ; sowie auf

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gesellschaftlicher Akteure über Werte oder Ansprüche auf knappe Ressourcen, Status, Einfluss, Macht gesehen werden. Die Konfliktparteien beschränken sich dabei nicht nur darauf, die erstrebten Werte zu erlangen, sondern sie versuchen auch, Rivalen zu neutralisieren, zu verletzen oder auszuschalten. Konflikte sind stets eine Reaktion und eine Kreation der beteiligten Personen oder Subsysteme, die auf ihre Weise an der Konflikterhaltung, Konflikteskalation oder Konfliktlösung durch ihr Verhalten, die Art ihrer Kommunikation, die verschiedenen Deutungen, Bewertungen und Erklärungen mitwirken. Um von einem Konflikt sprechen zu können, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein  : Erstens müssen mindestens zwei Personen oder Parteien vorhanden sein  ; zweitens muss ein gemeinsames Konfliktfeld existieren  ; drittens müssen unterschiedliche Handlungsabsichten gegeneinanderstehen und viertens das Vorhandensein von Gefühlen, wobei negative Gefühle wie Angst, Wut, Neid, aber auch Ehrgefühl im Konflikt als Antriebselement fungieren können. Dem Element Empathiefähigkeit der Konfliktteilnehmer ist bei der Konfliktlösung schon deshalb Augenmerk zu schenken, da dessen Instrumentalisierung entscheidend Konflikte beeinflussen und eskalieren lassen kann, was zu einem fünften Punkt führt  : gegenseitige Beeinflussungsversuche, wobei diese auch indirekt über Dritte laufen können. Den objektiven Konfliktgründen wie knappe Güter- und Ressourcenverknappung sowie Status, Macht und Herrschaftsaspekten müssen subjektive Konfliktgründe wie Dispositionen und Einstellungen, Feindschaft, Hass, Aggressivität und Ressentiments beigestellt werden. Die Abgrenzung von Konflikten führt zur klaren Trennlinie zu anderen, zwischenmenschliche Irritationen bezeichnenden Dynamiken, beispielsweise Problemen, bei denen sich die Parteien in der Bewältigung der Situation uneins sind und dabei negative Gefühle entwickeln. Da die Gefühle einen starken Handlungsantrieb verursachen, ist die Aktionsbereitschaft in Konflikten deutlich höher. Pauschal kann man sagen  : je stärker das emotionale Engagement ist, desto höher wird die Handlungsbereitschaft der solcherart involvierten Akteure sein. Ein starkes Gefühl hat außerdem häufig die Nebenwirkung, dass es eine kritische Urteilsbildung reduziert oder sogar vollständig unterdrückt. Die Folge mag ein unreflektiertes Handeln sein, das im Nachhinein bereut wird. Negative Gefühle – das betrifft auch ganze Kollektive, bis hin zum Staat – beruhen häufig auf Positionsdifferenzen hinsichtlich ihrer sozialen Lage und der Möglichkeit, Kontrolle über Machtmittel und/oder Ressourcen ausüben zu können, wie es beRopers, Norbert  : Friedliche Einmischung. Strukturen, Prozesse und Strategien zur konstruktiven Beschreibung ethnopolitischer Konflikte. Berlin 1995, S. 43ff.

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reits Ralf Zoll, aber auch Ralf Dahrendorf formulierten,11 sowie auf Unterschied und Wechsel von Wahrnehmungen. Beides bedingt in der Folge eine kritische Spannung im Beziehungszusammenhang, sodass von einem manifesten Konflikt die Rede ist, bei dem nicht nur Subjekte im Sinne von Konfliktparteien, sondern auch Objekte im Sinne von Konfliktgegenständen eine Rolle spielen.12 Ebenfalls bezugnehmend auf den Beziehungszusammenhang ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu nennen, der im Rahmen seiner dialektischen Konflikttheorie (die heute wieder an Bedeutung gewonnen hat) ein Herr-Knechtschaft-Verhältnis in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte, was wiederum von Karl Marx und Friedrich Engels in idealisierter Form aufgegriffen wurde. Man kann Konflikte nach verschiedensten Gesichtspunkten kategorisieren  ; zweckmäßig ist dabei, sich zu überlegen, wie viele Personen betroffen sind und in welchem Umfeld sich der Konflikt abspielt. Wichtig dabei ist, sich zu fragen, ob man es mit „schwelenden“ Konflikten zu tun hat, die sich unter der Oberfläche und oft nach ganz eigenen Regeln weiterfressen, oder um „offene“ Konflikte handelt, die im negativen Fall in einen hitzigen Kampf ausarten und im positiven Fall in eine Diskussion zu einer gemeinsamen Problemlösung münden können. Von negativen Gefühlen bis hin zu Aggression reicht die Bandbreite, der sich zuerst sozialdarwinistische Erklärungsversuche widmeten. Später sprangen die Ethnologie und Soziobiologie auf, um vor allem der Aggression Hauptaugenmerk zu schenken. Von Konrad Lorenz, der bei seiner Erklärung von Aggression auf kultur- und stammesgeschichtliche Aspekte zurückgriff, führte der Weg zu Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der Konflikte und Kriege auf die anthropologische Konstante biologischer Dispositionen zurückführte. Was nun Kultur und was genetische Programmierung sei, beschäftigte zwischenzeitig ganze Forschergenerationen, von denen Edward O. Wilson und Peter Meyer als Vertreter der Meinung von Aggression als energetisches Reservoir in der genetischen Programmierung herausragen.13 Dennoch, sie alle haben nicht im engeren Sinn Konflikttheorien entwickelt, diese waren nur der logische Output von deren wissenschaftlicher Arbeit. Erst mit dem Soziologen Georg Simmel können wir von einem „echten“

11 Zoll, Ralf  : Friedens- und Konfliktforschung als Studiengang. In  : ders. und Imbusch, Peter (Hg.)  : Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung. Opladen 1996, S. 162–174  ; Dahrendorf, Ralf  : Der moderne soziale Konflikt. Stuttgart 1992. 12 Vgl. Meyer, Berthold  : Formen der Konfliktregelung. Friedens- und Konfliktforschung Band 3, Opladen 1997, S. 20–21. 13 Meyer, Peter  : Evolution und Gewalt. Ansätze zu einer biosoziologischen Synthese. Hamburg 1981  ; Wilson, Edward O.: Biologie als Schicksal. Frankfurt/Main 1980.

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Konflikttheoretiker sprechen, da er die formalen Merkmale von Konfliktbeziehungen, aus einer überwiegend individualistischen Perspektive betrachtend, zum Gegenstand der soziologischen Theorie und Analyse machte und Konflikt als Form der Vergesellschaftung interpretierte. Simmel fokussierte dabei auf die oben angesprochenen „Spielregeln“ und Regelmechanismen. Direkt neben ihm steht Max Weber, der den Kampf im Rahmen von Konflikten als Handeln mit der Absicht der Durchsetzung des eigenen Willens gegen Widerstand betrachtete und damit unweigerlich zu den Grundfragen von Macht, Herrschaft und sozialer Ungleichheit gelangte. Lewis Coser wiederum stand in direkter Verlängerung von Simmel, da er dessen Konzeptionen aufgriff und soziale Konflikte auch in ihrem Potenzial zur Stärkung der Anpassungsfähigkeit von sozialen Systemen erfasste.14 Ralf Dahrendorf konnte die Konsequenzen von Konflikten nicht so positiv sehen und verwies auf die vertikalen, hierarchischen Komponenten der meisten fundamentalen Konflikte. Dass nach dem Zweiten Weltkrieg explosionsartig Konflikttheorien aus dem Boden schossen, insbesondere in den Feldern Spiel-, Entscheidungs- und Systemtheorie, zeigt einerseits das gestiegene Interesse und den Bedarf an klar strukturierten analytischen Konzepten und deren Anwendbarkeit, andererseits die Verästelung der Zugänge, die der zunehmenden Komplexität erkannter Unterschiede in den einzelnen Konfliktfeldern geschuldet sind.

Konflikt und Tradition Bevor ein Konflikt offen ausbricht, werden häufig Symptome von Verhaltensveränderungen deutlich. Signale, durch die man einen Konflikt erkennen kann, sind nur dann bemerkbar, wenn man durch Kenntnis der Ausgangs- und Ist-Situation, der Lebensumstände der Betroffenen, der historischen Bezüge und der überlieferungsbezogenen „Altlasten“ sowie innergesellschaftlicher Besonderheiten (dort, wo es um größere soziale Entitäten geht) spezifisches Verhalten als Veränderung von einer gewohnten Form bzw. Norm interpretieren kann.15 Ich betone dabei die historische Komponente, denn der argumentative Rückbezug von Konfliktteilnehmern auf zeitlich unter Umständen schon lange zurückliegende Ereignisse 14 Coser, Lewis  : Theorie Sozialer Konflikte. Neuwied 1965. 15 Für die individuelle personenbezogene Ebene wurden hier von Selter, Joachim und Wilczek, Ines (Konfliktmanagement, in  : Management-Fortbildung für Führungskräfte an Hochschulen. GustavStresemann-Institut. Bonn 2000) entsprechende Parameter ausformuliert.

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zur Legitimation des eigenen Verhaltens gegenüber einem Gegner ist meines Erachtens ein Kernpunkt. Wenn ich nochmals auf die Geschichte der beiden spielenden Kinder in der Sandkiste zurückkomme, dann deshalb, um darauf hinzuweisen, dass der dort stattfindende konflikthafte Interessenabgleich im Regelfall, zeitlich gesehen, im Hier und Jetzt abläuft. Das heißt mit anderen Worten, die Konfliktteilnehmer, die beiden Kleinkinder, kennen keine instrumentalisierbare Vergangenheit, die sie in ihrer Argumentation in die Waagschale werfen können oder wollen (anders wäre es, wenn sie sich ein paar Tage später wieder träfen und erinnerten  ; das würde die Konfliktparameter entscheidend verändern). Die beiden Kleinkinder knüpfen daher eine einmal gemachte Vereinbarung nicht mehr oder nur in geringerem Maße wieder auf. Anders verhalten sich Erwachsene, denen zwei Bewusstseins- bzw. Reflexionsebenen zu eigen sind, welche Konfliktlösungen komplexer machen  : Einerseits deren Fähigkeit, einem konkreten in der Gegenwart verorteten Konflikt eine historische Dimension durch die eigene Argumentation legitimierende Rückbezüge zu geben, andererseits weil die Reflexionsfähigkeit über längerfristige zukünftige Konsequenzen ihres Tun im Hier und Jetzt ihre Handlungen und Entscheidungen beeinflussen. Dieses Vor- und Zurückdenken kann generationsübergreifend ausgetragene Konflikte insbesondere dort am Leben erhalten, wo historische Rückbezüge auf vergleichsweise starre Traditionsbezogenheit stößt (beispielsweise im albanischen Kanun genannten Gewohnheitsrecht). Als sozialund kulturwissenschaftlicher Konfliktmediator muss man sich dieses Umstands bewusst sein  ; die genaue Kenntnis historischer Entwicklungen ist eine wesentliche Voraussetzung angemaßter Vermittlungskompetenz. Die von Konfliktvermittlern antizipierte Transformationswilligkeit der Konfliktteilnehmer ist überdurchschnittlich oft von der Rolle dieser historischen Verortungskomponenten, die wir mit Tradition korrelieren, gekennzeichnet. Unter Tradition wird häufig die Überlieferung der Gesamtheit des Wissens, der Fähigkeiten sowie der Sitten und Gebräuche einer Kultur oder einer Gruppe verstanden. Tradition ist somit allgemein das kulturelle Erbe, das von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird.16 Wie stark der Bezug dazu die Gegenwart der jeweiligen Menschen betrifft, ist graduell unterschiedlich. Wenn wir die Funktion von Tradition in ihrem Potenzial der Konflikthaftigkeit erhellen wollen, dann gehört prioritär die Schaffung von Gruppenidentität 16 Mückler, Hermann  : Einführung  : Tradition und Traditionalismus – Zur Rolle und Instrumentalisierung eines Identitätskonzeptes. In  : ders. u. Faschingeder, Gerald (Hg.)  : Tradition und Traditionalismus. Zur Instrumentalisierung eines Identitätskonzeptes. Wien 2012.

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dazu, wobei hier dem Element der Auserwähltheit im Sinne von Abgrenzung und Selbstdefinition Bedeutung zukommt. Anders ausgedrückt  : Die Auserwähltheit erweist sich als wesentlich für die symbolische Konstruktion von Gemeinschaft und damit für deren Überleben. Mit der Funktion der Identitätsschaffung hängt die Fähigkeit der Tradition zusammen, Legitimität zu erzeugen. Eine zweite Funktion der Tradition ist ihre normative Kraft, Werte und Verhaltensnormen einzuüben und zu festigen. „Durch Erinnerung wird Geschichte zum Mythos. Dadurch wird sie nicht unwirklich, sondern im Gegenteil erst Wirklichkeit im Sinne einer fortdauernden normativen und formativen Kraft“, formulierte es einmal Jan Assmann.17 Er hat in diesem Zusammenhang den Begriff des „kulturellen Gedächtnisses“ geprägt, der damit „[…] die Tradition in uns, die über Generatio­ nen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten Texte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser Selbstund Weltbild prägen“18 bezeichnet. Jan Assmann sieht, zusammen mit Aleida Assmann, mit der er das Konzept des kulturellen Gedächtnisses entwickelte, den mündlich, schriftlich, normativ und narrativ weitergegebenen Nachlass der Menschheit als kulturelles Gedächtnis, wobei dieses im Regelfall individuell in Form von Bildung erworben wird. Die Bedeutung und Funktion des Konzeptes liegt im Bewusstsein um die uranfänglich vertikale Verankerung geistigen Lebens. Es ermöglicht im Sinne sinnstiftenden Agierens einen Lebensentwurf nach historischen, religiösen, mythischen oder philosophischen Vorbildern. Eine dritte Funktion von Tradition (die bei Assmann synonym für „kulturelles Gedächtnis“ steht) ist die Erneuerungskraft bzw. die Fähigkeit, Neuerungen zu legitimieren. Da Tradition Kontinuität konstruieren kann, ist sie in der Lage, in Umbruchzeiten Selbstvergewisserung zu bieten und Wandlungsprozesse zu forcieren. In der Forschung wird dies vor allem mit dem Aspekt „Erfindung der Tradition“ korreliert.19 Entscheidend ist bei allen die Konstruktion von Tradition für deren Instrumentalisierung, wobei im Konfliktmanagement die Frage, wer die Deutungshoheit diesbezüglich für sich in Anspruch nehmen kann, von Bedeutung ist. Meistens sind es die Schlüsselfiguren lokaler Eliten, welche durch eine spezifische Auslegung von echten und scheinbaren, überlieferten und erfundenen Traditi17 Assmann, Jan  : Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, S. 52. 18 Ders. 1992, S. 70. 19 Vgl. dazu Hobsbawm, Eric/Ranger, Terence (Hg.)  : The Invention of Tradition. Cambridge 1983, sowie Anderson, Benedict  : Imagined Communities. Reflections on the Origin of and Spread of Nationalism. London 1983.

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onen eigene Ziele wie die (Rück-)Eroberung von Pfründen und Einflussbereichen argumentativ zu untermauern versuchen. Konfliktmediatoren müssen daher zuerst folgende Fragen stellen  : Wer profitiert von angemaßten Traditions(rück-) bezügen  ? Wer wird in welcher Weise damit und dabei exkludiert, benachteiligt oder marginalisiert  ? Angemaßte Deutungshoheiten im Sinne von Kontrolle über die Interpretation dessen, was traditionell sei, sind generell konfliktgenerierende Elemente. Überliefertes wird – selektiv angeeignet – angewandt, um Rezentes zu legitimieren. Das Alte dient, durch Auswahl und Zielorientiertheit gerichtet, dem Neuen. Ein in vielerlei Hinsicht querdenkender britischer Schriftsteller und Journalist hat einmal pointiert angemerkt, dass Tradition sozusagen die Ausdehnung des Wahlrechts sei  : „Tradition means giving votes to the most obscure of all classes, our ancestors. It is the democracy of the dead.“20 Für einen Kultur- und Sozialanthropologen ist ein solcher Ansatz nicht grundsätzlich abwegig. Denn dort sind Ahnen in vielen indigenen Gesellschaften nicht nur mitgedachte und daher vorhandene (im Sinne von berücksichtigte) Gestalten, sondern tatsächlich anwesend, auch wenn sie unsichtbar nur indirekt in Erscheinung treten. In diesem Kontext hat Traditionsbezug eine unmittelbarere und intensivere Konnotation, der den solcherart daran Glaubenden den Handlungsspielraum im Hier und Jetzt einengt und durch kontrollierende, eingreifende und sanktionierende Ahnen eine Unausweichlichkeit im Handeln auferlegt, die der Schicksalsfrage eine interessante Wendung geben kann. Hier bekommen persönliche Identität und Verortung, aber auch Gruppenbewusstsein eine neue Bedeutung. Wenn wir es aber wieder auf eine allgemeine Ebene heben wollen, dann kann man sagen, dass ethnische Identität immer das Produkt externer und interner Definition (Kategorisierung und Identifikation) ist. Beide Prozesse sind dialektisch verwoben, indem ethnische Kategorien und ethnische Gruppen in einem gemeinschaftlichen Identitätsbildungsprozess miteinander verbunden sind.21 Das Resultat ethnischer Identitätsbildung ist die Produktion und Reproduktion einer Gemeinschaft durch ihre „Besonderheit“ mithilfe von Strategien sozialer Grenzziehung, wobei hier, wie gesagt, dem kollektiven Element und dem Begriff „kollektives Gedächtnis“ Bedeutung beigemessen werden muss. Letzteres bezeichnet dabei eine gemeinsame Gedächtnisleistung einer Gruppe von Men20 Chesterton, Gilbert K.: Orthodoxy. [1908], Chicago 2009. 21 Schröder, Ingo W.: Ethnisierung als Strategie sozialer Schließung in sozio-politischen Konflikten. In  : ders. u. Grugel, Andrea (Hg.)  : Grenzziehungen. Zur Konstruktion ethnischer Identitäten in der Arena sozio-politischer Konflikte. Frankfurt/Main 1998.

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schen und bildet die Basis für gruppenspezifisches Verhalten zwischen ihren Angehörigen, da es dem Einzelnen ermöglicht, Gemeinsamkeiten vorzustellen. Das kollektive Gedächtnis nimmt dabei mit Blick auf die kulturelle Vergangenheit Bezug auf die gegenwärtigen sozialen und kulturellen Verhältnisse, wirkt individuell auf eine Gruppe von Menschen und tradiert gemeinsames Wissen (es wirkt vor allem dort, wo Erinnerungskulturen angesprochen werden). Der britische Soziologe Anthony Giddens hat diesbezüglich einschlägig programmatisch gearbeitet  ;22 für ihn verhalten sich Traditionen, die sich durch Integrität, Kontinuität und Authentizität auszeichnen, in ihrer Orientierung an der Vergangenheit derart, dass Vergangenheit einen erheblichen Einfluss auf die Gegenwart ausübt. Giddens betonte dabei ein Element der Dauerhaftigkeit, was von anderen Autoren angezweifelt wurde,23 da diese meinten, Traditionen unterliegen einem fortwährenden Wandel. Diese Dauerhaftigkeit bzw. Überdauerung erklärte Giddens mit dem, was Maurice Halbwachs eben „kollektives Gedächtnis“ genannt hatte.24 Gerade im Bereich der Traditions-Kreation bzw. Traditions„verhaftetheit“ kommt die Fähigkeit des Menschen zur Symbolschöpfung zum Tragen  ; der Anthropologe Marshall Sahlins hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es Emotionen sind, die durch Kultur organisiert werden,25 – aber Emotionen bestimmen Konflikte entscheidend. Die Durchschlagskraft von Symbolen in den Argumentationen bilden so für Konfliktmediatoren in deren Bestrebungen zur Bewusstmachung und Dekonstruktion berücksichtigungswürdiger Herausforderungen. In Zusammenhang mit Krisenmanagement bedeutet dies die voraussetzende Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den bei den Konfliktteilnehmern vorhandenen Strukturierungen des kollektiven Gedächtnisses als Ursache und Auslöser sowie – noch wichtiger – als permanente Quelle der immer wiederkehrenden Bestärkung zur Legitimation und Argumentation der jeweiligen Position in einem Konflikt.

22 Giddens, Anthony  : Konsequenzen der Moderne. Frankfurt/Main 1996. 23 So z. B. von Shils, Edward  : Tradition. Chicago 1981. 24 Zu „kollektivem Gedächtnis“ siehe Halbwachs, Maurice  : Das kollektive Gedächtnis. Stuttgart 1967. 25 Sahlins, Marshall  : The Use and Abuse of Biology  : an anthropological critique of sociobiology. In  : Howell/Willis (ed.)  : Societies at peace. Anthropological Perspectives. London/New York 1989, S. 26.

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Ethnologie und tribale Konflikte

Es ist, wie bereits erwähnt, ein Verdienst der Ethnologie, darauf hingewiesen zu haben, dass es grundsätzlich so etwas wie friedfertige Gesellschaften geben kann, obwohl die Frage, wie man „Friedfertigkeit“ definieren und gleichzeitig eine Definition geben kann, wie Krieg in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, nach wie vor zu verschiedenen Ansätzen und Schlussfolgerungen führt. Innerhalb der Ethnologie lag der Schwerpunkt vorerst auf der Untersuchung von Krieg und Konflikt. Der britische Ethnologe Edmund Leach, der bei den Kachin in Burma (Myanmar) geforscht hatte, stellte in diesem Zusammenhang einmal die Frage, weshalb man den Kriegszustand als abnormal betrachten soll, wenn der Gang der europäischen Geschichte allein schon das Gegenteil zeigte.26 Andere fokussierten auf Teilbereiche der Waffentechnologie sogenannter primitiver Völker und stellten dabei ergologisch-technologische Aspekte in den Vordergrund, um weiterführende komparative Schlussfolgerungen zu ziehen, wie beispielsweise Friedrich Ratzel, der durch den Vergleich von Bogen und Pfeil in afrikanischen und melanesischen Gesellschaften Kulturkontakte und -beziehungen zu (re)konstruieren versucht hatte.27Auch der aus Düsseldorf stammende Ethnologe Wilhelm Emil Mühlmann beschäftigte sich mit Konfliktszenarien unterschiedlicher ethnischer Gruppen und verknüpfte dabei Entwicklung von Waffentechnik mit Formen sozialer Organisation.28 In seinen programmatischen Aussagen wiederum sah Mühlmann ein friedliches Verhältnis im Zusammenleben der Menschen aufgrund der Komplexität der Gesellschaftsverhältnisse als Fiktion. Er meinte, dass die Extremform des Krieges nicht durch besondere Blutigkeit gekennzeichnet sei, sondern durch besonders planvollen, totalen Einsatz aller geistigen, wirtschaftlichen und technischen Machtmittel. Frieden war für ihn lediglich ein illusorisches Gedankengebilde, in dem Ökonomie, Technik und Wissenschaft nicht ausreichend in gesellschaftliche Zusammenhänge integriert seien. Bei allem Respekt vor der recherchemäßigen Akribie und der Umfassendheit seines Ansatzes dienten seine mechanistischen und kriegsverherrlichenden Ausführungen im Jahr 1940 letzt26 Leach, Edmund  : Ignoble Savages. In  : New York Review of Books, Vol. 11, No. 6, 1968, S. 24–29. 27 Ratzel, Friedrich  : Die afrikanischen Bögen ihre Verbreitung und Verwandtschaften. Nebst einem Anhang über die Bögen Neu-Guineas, der Veddah und der Negritos. Eine Anthropogeographische Studie. Separatabdruck a.d. Abh.d.Königl.Sächs. Ges.d.Wiss. Leipzig 1891, S. 293–346. 28 Mühlmann, Wilhelm  : Krieg und Frieden. Ein Leitfaden der politischen Ethnologie. Heidelberg 1940  ; vgl. auch ders.: Primitive Waffentechnik und soziale Organisation. In  : Wiese, Leopold von (Hg.)  : Die Entwicklung der Kriegswaffe und ihr Zusammenhang mit der Sozialordnung. Köln 1953, S. 22–61.

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lich auch der Legitimierung eines gerade stattfindenden Angriffskrieges und des Regimes, welches diesen angezettelt hatte, und müssen daher kritisch gesehen werden. Der aus Kiel stammende Kulturmorphologe Adolf Ellegard Jensen wiederum versuchte eine Rekonstruktion des Weltbildes früher Pflanzerkulturen und forschte dafür u. a. bei den Wemale auf den Molukken.29 Durch den Zweiten Weltkrieg geprägt, bildete seine Sichtweise des immer wiederkehrenden Zyklus von Sterben und Werden den philosophischen Kern seines theoretischen Gebäudes. Auch hier spielte, wie in den meisten Werken anderer Ethnologen bzw. Kultur- und Sozialanthropologen, und ich habe hier vor allem solche aus dem deutschsprachigen Raum erwähnt, vor allem der Krieg die zentrale Rolle. Lange Zeit wurden vor allem tribale Kriege untersucht, also Konflikte in relativ kleinen Gruppen und Gesellschaften, mit lokal begrenzter Reichweite und ohne eine Zentralgewalt. Ethnografische Berichte über tribale Kriege sind zahlreich und sie wurden immer wieder als Beleg für die Universalität von Krieg genommen. Die Untersuchungen solcher tribalen Konflikte waren nie Selbstzweck, sondern dienten als wesentliche Argumentationshilfen für funktionale Gesellschaftstheorien. Nachbardisziplinen konnten immer wieder Material für die Bekräftigung der je eigenen Standpunkte aus den Aussagen der Ethnologen herausdestillieren und dabei zu völlig gegensätzlichen Ansichten kommen. Es ist vielleicht eine der Erkenntnisse der ethnologischen Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden, dass bei zunehmender wissenschaftlicher Erkenntnis Generalisierungen, auch für relativ kleine Regionen und eng umrissene Aufgabenstellungen, nahezu unmöglich werden. Die Politikwissenschaft griff beispielsweise die Studien von Ethnologen auf, um in einer nicht biologistischen Variante des Hobbes’schen Naturzustands die Grundannahme zu treffen, dass es zu allen Zeiten an allen Orten Kriege gegeben habe und Krieg daher ein menschheitsgeschichtlich universelles Phänomen darstelle, welches es zu untersuchen gelte. Um nur ein zentrales und – obwohl vergleichsweise jüngeren Datums – schon „klassisches“ Werk der ethnologischen Erforschung tribaler Konflikte herauszustreichen  : Peter Hanser hat mit seinem Werk „Krieg und Recht“ über Wesen und Ursachen kollektiver Gewaltanwendung in den Stammesgesellschaften Neuguineas nicht nur eine Übersicht über die theoretischen Ansätze neuerer ethnologischer Kriegsforschung präsentiert, sondern ist auch auf Streitschlichtungsinstanzen und somit Konfliktregelungs- bzw. -beilegungsmechanismen eingegangen.30 Interessant ist, dass sich bei Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses kein 29 Jensen, Adolf E.: Die getötete Gottheit. Weltbild einer frühen Kultur, Stuttgart 1966. 30 Hanser, Peter  : Krieg und Recht. Wesen und Ursachen kollektiver Gewaltanwendung in den Stam-

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einziges Kapitel findet, welches sich explizit detaillierter mit Frieden, Friedensformen oder Friedensoptionen auseinandersetzt. Dies zieht sich so im deutschsprachigen Raum weitgehend bis zu den neuesten Publikationen hindurch. So kommt auch das jüngste Werk des Schweizer Ethnologen Jürg Helbling über tribale Kriege ohne ein eigenes Kapitel zu Friedensoptionen und -szenarien aus, obwohl dieses beeindruckende Buch über Konflikte in Gesellschaften ohne Zentralgewalt mit Beispielen u. a. aus Neuguinea, Amazonien und Ostafrika aufgrund seiner umfassenden Rezeption theoretischer Grundlagen und struktureller Aspekte einen wesentlichen Beitrag zur Konflikt- und Kriegsforschung darstellt.31 Die Frage, inwieweit die Beschäftigung mit tribalen Konflikten Antworten auf die Konflikte unserer Zeit geben kann, ist nur bedingt zu beantworten. Spätestens seit dem 11. September 2001 und einer Fülle an Büchern, die seither den Krieg gegen den Terrorismus sowie allgemein die modernen Bedrohungsszenarien, welche die hoch entwickelten Industriestaaten bedrohen, beleuchten, stellt sich die Frage, was die Ethnologie mit ihrem angehäuften Wissen zu diesen Dingen beitragen kann. Moderne Staaten unterscheiden sich entscheidend von Staaten ohne Zentralgewalt. Es gibt jedoch Schnittstellen. Dort, wo „weak states“ zu sogenannten „failing states“ (wie z. B. Papua-Neuguinea) oder gar, wie im Fall Somalia, zu „failed states“ werden, finden Bezeichnungen wie „Tribalisierung“ bzw. „Re-Tribalisierung“ Eingang in die Diskussion. Mit dem Zerfall staatlicher Strukturen, mit einer zunehmenden Kleinkammerung zahlreicher Konfliktherde und der Entstaatlichung von Kriegen (Stichwort  : „Privatisierung von Gewalt“), in Zusammenhang mit der Untersuchung sogenannter Conflict-Entrepreneurs und Warlords und in der Analyse der „embeddedness“ von Konflikten im jeweiligen ruralen Umfeld, der Involvierung, Ressourcenausbeutung und Belastung der lokalen Bevölkerung, der Kommunikation zwischen autark, selbstständig agierenden relativ kleinen Zellen von Kämpfern gegenüber technisch hochgerüs­ teten Streitkräften (Stichwort  : „Asymmetrie der Konflikte“) und schließlich bei der Mediation und der Transparentmachung der Existenz unterschiedlicher Konfliktlösungsmechanismen gegenüber Zentralgewalten – um nur einige Punkte zu nennen –, überall da gewinnen sozialwissenschaftliche Forschungen, insbeson-

mesgesellschaften Neuguineas. Berlin 1985  ; vgl. auch Hanser, Peter/Trutz von Trotha  : Ordnungsformen der Gewalt. Reflexionen über die Grenzen von Recht und Staat an einem einsamen Ort in Papua-Neuguinea. Köln 2002. 31 Helbling, Jürg  : Tribale Kriege. Konflikte in Gesellschaften ohne Zentralgewalt. Frankfurt/Main 2006.

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dere an der Schnittstelle von Ethnologie und Politikwissenschaft an Bedeutung.32 Ebenso ist die geschlechterspezifische Dimension von Konflikthaftigkeit sowie Frieden und Friedfertigkeit bisher nur ungenügend beleuchtet worden, was bei der Durchsicht der einschlägigen Literatur, die sich mit der Psychologie und dem Verhalten nicht westlicher Menschen befasst, auffällt. Auf das kulturspezifische Verhältnis der Geschlechter untereinander wird vergleichsweise wenig eingegangen. Selten wird berücksichtigt, dass in nicht westlichen Lebenswelten mögliche Verhaltensunterschiede nach sozialer Stellung und hierarchischer Position konstruiert werden. Der Kriegsverlauf des von US-Amerikanern 2003 angeführten Krieges im Irak zeigt deutlich, wie wenig die amerikanische politische Administration und der militärische Planungsstab von den kulturellen Eigenheiten, Befindlichkeiten und Bedürfnissen der verschiedenen ethnischen, religiösen und sprachlichen Gruppen im Irak wussten bzw. wissen wollten – mit fatalen Folgen für die in Zusammenhang mit der Konfliktnachsorge angestrebten politischen Ziele. Die ethnologische Auseinandersetzung mit Konflikt (und dem Gegenpol Frieden) hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen Aufschwung genommen, der vor allem aus den angelsächsischen Ländern, und hier insbesondere seit dem Vietnamkrieg, wesentliche Impulse erhielt. Ein Punkt dabei war die Auseinandersetzung mit den biologistischen Theorien. Es wurden Fragen nach einem angeblichen Aggressionsinstinkt aufgeworfen. Studien fokussierten auf Wertemuster von Gewaltlosigkeit, wie sie sich in bestimmten Gesellschaften beobachten ließen. Forscher wie der Amerikaner Ashley Montagu studierten, wie sich Gewaltlosigkeit und Gewaltverzicht über entsprechende Erziehung herausbilden können, und umgekehrt, wie auch Aggression und antisoziales Verhalten als Resultate des Lernens in einem bestimmten Umfeld entstehen können.33 Schlussfolgerung dieser Studien war die Aussage, dass sich menschliche Verhaltensweisen über kulturelles Lernen und nur in einem geringeren Maße durch biologische Disposition herausbilden. Frühkindliche Einübung in kooperatives Verhalten dient dazu, ein Individuum und die innergesellschaftliche Kommunikation wesentlich unaggressiv und kooperativ zu machen. Zumindest einige der Arbeiten müssen als Reaktion auf die Aussagen der Verhaltensforschung (Ethologie) gesehen werden, deren Protagonisten einen dem Menschen innewohnenden Aggressionstrieb favorisier32 Vgl. dazu Mückler, Hermann  : Friede – eine ambivalente Kategorie. Ethnologische Annäherungen und Gedanken zu einem Begriff. In  : Meyer, Marion (Hg.)  : Friede. Eine Spurensuche. Wien 2008, S. 21–30. 33 Montagu, Ashley  : Learning non Aggression. The experience of non-literate societies. Oxford 1978.

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ten. Ohne die Existenz angeborener Aggression, die als Gefühl und Potenzial im Menschen existiert, grundsätzlich zu negieren, hängen deren Ausdruck und die Kontrolle des Phänomens jedoch von der Sozialisation des Individuums ab. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass die Sicht des Menschen als von Natur aus aggressives Wesen ein westliches Menschenbild ist und nicht überall so interpretiert werden muss. Und schließlich kann man erkennen, dass Konfliktlösungen in menschlichen Gesellschaften kulturelle Leistungen im Sinne sozialer und kooperativer Verhaltensweisen sind – und sich vielfach deutlich von im Tierreich beobachtbaren Reaktionsmustern unterscheiden. In ihrer Absolutheit widersprachen manche Aussagen der Humanethologen und Soziobiologen den Forschungsergebnissen der Kultur- und Sozialwissenschaftler und provozierten damit eine Kritik, die jedoch Impulse für die ethnologische Auseinandersetzung mit Krieg und Konflikthaftigkeit auslöste. Dies bedeutete auch eine kritische Hinterfragung der eigenen Positionen und des eigenen Selbstverständnisses. Ein von Signe Howell und Roy Willis im Jahr 1989 herausgegebenes Sammelwerk hatte hier Beispielcharakter, denn es thematisierte die „eigenen“ Herangehensweisen sowie festgefahrene bzw. lieb gewonnene Sichtweisen innerhalb der Ethnologie und forderte, bei der Betrachtung potenziell friedvoller Gesellschaften die Erforschung und Erhellung von deren Werthaltungen, Ideen und Konzepten, welche die menschliche Natur betreffen. Denn die Vorstellungen über das Wesen der Menschen, das „was und wie ist der Mensch“, sind kulturspezifisch und damit in einer Vielfalt vorhanden, dass es gilt, bei der Auseinandersetzung mit Konflikt und Nichtkonflikt solche Vorstellungen über individuelle und kollektive Gewalt in den jeweiligen Gesellschaften zu erheben, um ein Verständnis für bestimmte Handlungsweisen zu erhalten.

Eine ‚Anthropology of Peace‘ als Strategie für Krisenmanagement  ? Wenn man nun Konflikt und Konflikthaftigkeit aus der Perspektive dessen betrachtet, was angestrebt wird, nämlich Frieden, so muss man sich fragen, was mit Frieden gemeint sein kann bzw. was Frieden und Friedfertigkeit bedeuten können. Sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt, kann solch eine Diskussion dazu führen, dass man über das negative Konzept, das Frieden mit der Abwesenheit von Krieg gleichsetzt und gleichzeitig eine Definition gibt, wie Krieg in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, durchaus sogenannte friedfertige Gruppen und Gesellschaften finden kann. David Fabbro hat in diesem Zusammenhang einmal eine 8-Punkte-Kriterienliste für die Definition von Friedfertigkeit aufgestellt, in59

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dem er nicht nur die Abwesenheit von bestimmten Formen von Gewalt, sondern auch von potenziell Gewalt generieren könnenden Institutionen (Polizei, Militär) in seine Überlegungen miteinbezog.34 Friedfertige Gesellschaften waren nach dieser Bewertung jedoch dann ausschließlich solche mit geringer Bevölkerung und kleinen Territorien.35 Ein weiterer Punkt der Aufmerksamkeit ist der Grund für die Friedfertigkeit, wie Wolfgang Schreiber richtigerweise anmerkt  : „Betrachtet man den Frieden hier kurzfristig in seiner engsten Bedeutung als Abwesenheit von Krieg, so lässt sich das Problem einfach verdeutlichen  : Ist man friedfertig, weil man gar nicht auf die Idee kommt, bestimmte Konflikte kriegerisch zu lösen, oder ist man friedfertig, weil die Nachbarn und potentiellen Konfliktpartner militärisch überlegen sind, oder aber, weil militärische Abschreckung in Form eines Gleichgewichts funktioniert  ?“ Man könnte fragen, ab wann Gesellschaften zur Friedfertigkeit neigten bzw. diese aufgaben, was sich wieder mit dem Warum  ? verknüpft. Archäologische Forschungen haben gezeigt, dass Formen von Krieg erst im Neolithikum nachgewiesen sind, für die Menschheitsgeschichte der Zeit davor lassen sich keine verbindlichen Aussagen treffen.36 Schließlich könnte man fragen, warum man eher bei Jäger- und Sammlergesellschaften und nomadisch lebenden Gesellschaften heute Zustände von Friedfertigkeit festzustellen glaubt. Welche Rolle spielt die Größe der Gruppe und der Mobilität und die Art der Lebensweise  ? Welche Rolle spielen die subsistenzbedingten Konflikt- und Kriegsanfälligkeiten, die sich durch ökologisch belastende Nutzungsweisen ergeben, z. B. Überweidung und dadurch bedingte Bodenerosion bei nomadischen Gruppen gegenüber einer „sanfteren“ verträglicheren und nachhaltigen Ressourcennutzung bei Kleingruppen von Jägern und Sammlern  ? Und schließlich, welche Rolle spielten und spielen koloniale Einflussnahmen als gravierende strukturverändernde Eingriffe auf allen gesellschaftlichen Ebenen und die darauf folgenden antikolonialen Reaktionen der Betroffenen  ? Die Kriterienfestlegung für eine Identifizierung und Untersuchung friedfertiger Gesellschaften sagt oft weniger über die Friedfertigkeit einer bestimmten Gesellschaft aus, als was die jeweiligen Autorinnen und Autoren unter Frieden verstehen, wie Schreiber bemerkte, und

34 Fabbro, David  : Peaceful Societies  : An Introduction. In  : Journal of Peace Research, Vol. 15, 1978, S. 67–84. 35 Schreiber, Wolfgang  : ‚Friede‘ und ‚Friedfertigkeit‘. Ansätze und Perspektiven ethnologischer Beiträge zur Friedensforschung. In  : Bräunlein, P./A. Lauser (Hg.)  : Krieg & Frieden. Ethnologische Perspektiven. Bremen 1995, S. 224–236. 36 Vgl. dazu Sponsel, Leslie/Thomas Gregor (eds.)  : The Anthropology of Peace and Nonviolence. Boulder 1994.

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das setzt bei der Behandlung dieses Fragenkomplexes die Einnahme eines reflexiven Betrachtungspunktes seitens der Ethnologen voraus. Fest steht nur, dass es weder fremde Kulturen gibt, die grundsätzlich zur Gewalt neigen, noch solche, bei denen Friedensidyllen vorherrschen.37 Frieden und Friedfertigkeit sind, ebenso wie Krieg und Konflikthaftigkeit, als kulturelle Phänomene Ausdruck einer Kultur, sie können eine Kultur selbst sein. Wenn man Frieden und Friedfertigkeit als etwas grundsätzlich Positives bewerten will, dann muss man Zustände, Handlungsweisen, psychische Stimmungen usw. zuordnen, um den Begriff zu Konflikt und Krieg abzugrenzen – nun nicht aber im Sinne einer negativen Abgrenzung, sondern einer positiven. So kann Frieden ökonomisch mit Erhalt und Zugewinn assoziiert werden. Mit ökonomischer Stabilität, Ressourcenerhaltung und -bildung. Krieg im umgekehrten Fall bedeutet Verlust, ökonomische Einbußen, Rückschläge in der Wirtschaftsentwicklung, Kapazitätenbindung im Ressourcenbereich und Wertevernichtung. In etwa meinte dies auch so der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder, als er einmal augenzwinkernd pointiert in einem seiner Theaterstücke meinte  : „Wenn Krieg ist, denkt man über ein besseres Leben nach. Wenn Frieden ist, über ein bequemeres.“38 Im individuell physisch/psychischen Sinn bedeutet Frieden psychische Stabilität, Orientierung, Reproduktion, Zeit zum Planen, Handeln, Reflektieren. Krieg bedeutet psychischen Stress, physischen Schmerz, vielfältige Formen von Leid, Instabilität. Politisch bedeutet Frieden die Existenz von Handlungs- und Verhandlungsspielräumen („Zeitfenster“). Den Protagonisten steht damit mit der Ausnutzung der Zeitkomponente und der dadurch gegebenen Möglichkeit, eine Kommunikationsbasis zu potenziellen Konfliktpartnern aufzubauen, ein gestaltendes Werkzeug zur Verfügung. Frieden bedeutet in gewissem Sinn, bewusst, selbstbestimmt und unbelastet agieren und reagieren zu können. Krieg bedeutet dazu im Gegensatz Agieren unter Druck, den Wegfall von bestimmten Kommunikationsmöglichkeiten („abgebrochene Brücken“) zum Gegner und Feind und die absolute Notwendigkeit, niemals aus der Position des Agierenkönnens in die Position des nachholenden Reagierens gedrängt werden zu dürfen. Dies sind nur einige wenige Punkte, die hier auch nicht kategorisiert 37 Dies zeigt beispielsweise Gingrich, Andre  : Fremder Friede  ? Wie anderswo mit kriegerischer Gewalt oder deren friedlicher Beilegung umgegangen wird, nebst Randbemerkungen, was man hierzulande darüber erfährt oder auch nicht. In  : Daim, Falko/Thomas Kühtreiber (Hg.)  : Sein und Sinn/Burg und Mensch. St. Pölten 2001, S. 161–167. 38 Wilder, Thornton  : Die Alkestiade. Original  : Engl.: The Alcestiad, or, A Life in the Sun (Schauspiel). Frankfurt/Main 1960.

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sind (sozialer Friede, politischer Friede usw.) und sie sind nicht annähernd erfüllend erklärt. Sie beantworten nicht, was Frieden ist oder sein kann – aber was Frieden auch sein kann und ist. Frieden kann aber auch – eine Sicht, die der als Mediator zur Friedenssuche Auftretende berücksichtigen muss – negative Konnotationen beinhalten, wenn er beispielsweise zu einem zu hohen Preis erkauft wird. Der indische Politiker Jawaharlal Nehru nahm genau auf diesen Aspekt einmal Bezug, als er meinte  : „Friede ist eine kostbare Einrichtung und für jeden Fortschritt notwendig – aber sogar der Friede kann zu einem zu hohen Preis erkauft werden, und wir können den vollkommenen Frieden des Grabes haben und die unbedingte Sicherheit eines Käfigs oder Gefängnisses.“39 Und in dieselbe Kerbe schlug der später gestürzte persische Mohammed Reza Schah Pahlawi, als er in seinen vor dem Sturz erschienenen Memoiren unterstrich, dass „die freiheitliebenden Völker nie vergessen dürfen, dass das Wort Frieden an sich sehr vage und unbestimmt ist und eigentlich gar nichts bedeutet. Sie müssen immer bedenken, dass ‚Frieden‘ alles umschließt, von der Möglichkeit zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und einem Leben unter erstrebenswerten menschlichen Bedingungen bis zur Stumpfheit und Resignation gewaschener Hirne.“40 Ein weiterer Versuch, der sich von konkreten Fallbeispielen aus der Ethnologie abhebt, betont einen anderen Aspekt  : Frieden ist nicht ein Zustand per se, sondern fast immer das Ergebnis der punktuellen oder permanenten Anwendung konfliktverhindernder bzw. konfliktlösender Handlungsstrategien. Er ist somit harte Arbeit. Frieden ist Ergebnis von zielgerichtetem Handeln und nicht automatisch existent, wenn es gerade keinen Krieg gibt. Daraus ergibt sich die Frage, wie man Frieden „erarbeiten“ kann, wie man einen allgemein als erstrebenswert geltenden Zustand erreichen kann. Tatsächlich zeigt die Geschichte, dass das Erreichen eines friedfertigen Zustands in und zwischen Individuen und Gesellschaften das Ergebnis komplexer, zeitraubender und mit hohem Einsatz verbundener Aktionen ist. Der portugiesisch-jüdische aus Amsterdam stammende Philosoph Baruch de Spinoza charakterisierte Frieden entsprechend folgendermaßen  : „Der Friede besteht nicht in einem Verschontsein von Krieg, sondern in der Einigung und Eintracht der Gesinnung.“41 Dass dies den Aufwand, sich mit den Standpunkten des Gegners auseinandersetzen zu müssen, mit sich bringt, versteht sich von selbst. Die Sichtweisen und Beweggründe des Gegners zu betrachten, sie als – aus der Perspektive des anderen – legitim zu betrach39 Nehru, Jawaharlal  : Indiens Weg zur Freiheit. Zürich 1948, S. 428. 40 Mohammed Reza Pahlawi  : Im Dienst meines Landes. Stuttgart 1961. 41 Spinoza, Baruch de  : Abhandlung vom Staate. Leipzig 1907, S. Par.4.

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ten, erfordert etwas, was man vielleicht am besten mit menschlicher Größe bezeichnen kann. Es ist ein weiterer Begriff, der sich nur nach kulturspezifischen ethisch-moralischen Grundsätzen fassen und bewerten lässt. Der jordanische König Hussein bin Talal, Hussein I., durch jahrelange und zum Teil erfolglose Verhandlungen im ausweglos scheinenden Nahostkonflikt gestählt, zitierte einmal ein arabisches Sprichwort  : „Der Frieden kommt durch Verständigung, nicht durch Vereinbarung.“42 Und der haschemitische Führer fügte selbst hinzu  : „Vereinbarungen werden leichter gebrochen als getroffen, aber eine Verständigung hat Bestand.“ Das bringt uns möglicherweise zur Erkenntnis, dass jede Gestaltung in der Gesellschaft auf die Kenntnis vergangener und gegenwärtiger Ereignisse und deren zugrunde liegenden Handlungsvorgaben angewiesen ist, um aus Erfolgen und Irrtümern das Entstehen und die Bewältigung von Konflikten zur Gestaltung und Sicherung der Lebensbedingungen für Mensch und Gesellschaft für die Zukunft zu lernen. Der bereits mehrfach erwähnte Thomas Hobbes hatte seinerzeit aufmerksam ethnografische Berichte in zeitgenössischen Reisebeschreibungen mit dem Ziel studiert, sein Menschenbild durch Hinweise auf real existierende Verhältnisse abzusichern. Für eine Reflexion über Krieg und Frieden war die von Hobbes entwickelte Betrachtungsweise in ihrer Logik konsequenzenreich. Der Kriegszustand in seiner Allgegenwart war nicht besonders erklärungsbedürftig, jedoch war es umgekehrt der Frieden als Ausnahmezustand, den es zu erklären galt und gilt. Der französische Denker Michel de Montaigne hatte aus der Lektüre der zum Teil gleichen Reisebeschreibungen wiederum entgegengesetzte Schlüsse gezogen. Während Hobbes die Vertreter der „staatenlosen“ Völker als ungebildet und selbstsüchtig beschrieb, meinte Montaigne bei den solcherart untersuchten Menschen größere Freiheiten, Ungezwungenheit und Unschuld im Gegensatz zu seiner eigenen Gesellschaft zu erkennen.43 Wie Hobbes suchte auch Montaigne Antworten auf Probleme seiner kriegerischen Zeit. Peter Bräunlein und Andrea Lauser haben bereits 1995 einen Sammelband herausgegeben, in dem sie Grundkonstanten einer möglichen „anthropology of peace“ für Konfliktlösungen skizzierten. Sie bezogen sich dabei auf solche Vorgeschichten, wie sie Hobbes und Montaigne ansprachen, der Beginn einer „anthropology of peace“ im engeren Sinn ist jedoch in dem Bemühen vorwiegend amerikanischer Ethnologen zu suchen, bereits erwähnten Aggressionshypothesen und deren Vertretern zu 42 Hussein bin Talal, Hussein I.: Mein gefährliches Leben. München 1962, S. 76. 43 Bräunlein, Peter J./ Lauser, Andrea  : Auf dem Weg zu einer Ethnologie des Krieges und des Friedens. Hindernisse und Annäherungen. In  : KEA, Sonderband II, Bremen 1995, S. II.

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widersprechen. Bei dem vom bereits erwähnten Ashley Montagu herausgegebenen „Learning non Aggression“ steht genau diese Auseinandersetzung im Mittelpunkt. In den enthaltenen Beiträgen schildern die Autorinnen und Autoren, wie sich in bestimmten Gesellschaften Wertemuster von Gewaltlosigkeit und Gewaltverzicht über frühkindliche Erziehung herausbilden oder, umgekehrt, wie auch Aggression und antisoziales Verhalten Resultate des jeweiligen „learning environments“ darstellen. Die Frage nach einem angeblichen Aggressionsinstinkt wird damit in der Tradition der „culture and personality“-Schule angegangen. Demnach bilden sich menschliche Verhaltensweisen über kulturelles Lernen und in geringerem Maß durch biologische Dispositionen heraus.44 Mich auf Bräunlein und Lausers Aussagen stützend, führt die Frage, welche genetischen Potenziale für aggressives Verhalten auch immer in uns sein mögen, wieder zu Ashley Montagu, der meint, dass es die frühkindliche Einübung in kooperatives Verhalten und die Entmutigung jedes aggressiven Verhaltens ist, welches dazu dient, ein Individuum und die innergesellschaftliche Kommunikation wesentlich unaggressiv und kooperativ zu machen. In dem von Montagu edierten Sammelband werden, wie Bräunlein und Lauser anmerken, die malayischen Semai, die Inuit der kanadischen Arktis, die Mbuti-Pygmäen Zentralafrikas und die Bewohner Tahitis zu prominenten Beispielen unkriegerischer, gewaltmeidender Gesellschaften. Spiegelbildlich wurden beispielsweise die Yanomami Südamerikas sowie zahlreiche Gruppen im Hochland von Neuguinea zu wissenschaftlichen Musterbeispielen für extrem kriegerische Gesellschaften stilisiert. Die frühkindliche Entwicklung hilft uns nicht bei der Bewältigung von rezenten, bereits vorhandenen Konfliktszenarien, wo wir mit einer Ist-Situation umzugehen haben, aber es geht auch um das Durchbrechen eines Kreislaufes. So regen Signe Howell und Roy Willis an, dass es notwendig sei, bei der Betrachtung friedvoller Gesellschaften die Erforschung und Erhellung von Werthaltungen, Ideen und Konzepten, die die menschliche Natur betreffen, vorrangig zu betreiben.45 Solche Vorstellungen über „das Wesen des Menschen“, über die Beurteilung von individueller und kollektiver Gewalt, bestehen schließlich in jeder Gesellschaft. Zu klären sei hier, wie berechtigt die Aussage ist, dass Aggression synonym für Gewalt sei, wie häufig zu lesen ist. Krieg wird damit gleichzeitig als Beweis für menschliche Aggression begriffen und über diese wird in der westlichen Wissenschaft überwiegend ohne Hinweise auf außereuropäische 44 Dies. S. I–XXII. 45 Howell, Signe/Willis, Roy (eds.)  : Societies at Peace. Anthropological Perspectives. London/New York 1989.

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Konzepte gesprochen. Voraussetzungslos wird damit eine Universaltheorie über Aggression eingeführt, ihre weltweite Richtigkeit und Anwendbarkeit als gegeben angenommen. Bräunlein/Lauser dazu  : „Aggression ist in keiner menschlichen Gesellschaft als isoliertes Phänomen zu begreifen. Humanwissenschaftler können eben nicht, wie etwa Chemiker, bestimmte Substanzen […] herauslösen und gesondert betrachten. Aggression als eine Form menschlichen Verhaltens ist niemals kulturneutral.“46 Krieg ist nach Howell und Willis ein soziales Phänomen. Wie alles menschliche Verhalten ist auch Aggression eingebettet in ein von den Mitgliedern der eigenen Gesellschaft geteiltes Bedeutungssystem. Aggression ist so gesehen eine Form, gesellschaftliche Beziehungen herzustellen und zu definieren. Welchen Beitrag können nun die Sozialwissenschaften insgesamt und insbesondere die Kultur- und Sozialanthropologie zur Konfliktlösung beitragen  ? Im Mittelpunkt der Forschung stehen bei Letzteren die mit Kolonialismus, Globalisierung und den weltweiten Migrationsströmen der Gegenwart verbundenen Prozesse, wie etwa die Redefinition von Identitäten und kulturellen Abgrenzungen. Zugleich werden die klassischen Themen lokalkultureller Interaktionen, Organisationsformen und Weltbilder weiterentwickelt. Dabei ist die intensive Feldforschung mit der Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ nach wie vor ein definierendes Merkmal des Faches. Insbesondere in der Kultur- und Sozialanthropologie wird dem Einzelfall besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Nicht quantitative, sondern qualitative Studien stehen im Vordergrund. Mit anderen Worten  : Nicht verallgemeinerbare Gemeinsamkeiten und grundsätzliche Dynamiken zur Ableitung von Trends werden prioritär behandelt, sondern persönlichen, individuellen sowie spezifisch gruppenbezogenen Betroffenheitsszenarien Aufmerksamkeit geschenkt. Es sind nicht mechanistische Modelle, die man entwickelt und auf denen man aufbaut, sondern es ist das antizipierte Bewusstsein um die Vielschichtigkeit und unterschiedliche Betroffenheit der Konfliktakteure. Der Einzelfall spielt eine Rolle, der individuell Betroffene hat Bedeutung. Stress und Traumatisierung, individuelle extreme und psychische Betroffenheit sowie daraus resultierendes erratisches Verhalten stehen hier im Zentrum der Betrachtung. Das eröffnet Chancen zur wesentlich differenzierteren Erfassung von Ursachen, Gründen und Konsequenzen dessen, was als Konflikt erkannt wird, auch wenn es schon deshalb komplizierter ist, weil es erheblichen Mehraufwand in der Erhebung und Analyse bedarf. 46 Bräunlein, Peter J./ Lauser, Andrea  : Auf dem Weg zu einer Ethnologie des Krieges und des Friedens. Hindernisse und Annäherungen. In  : KEA, Sonderband II, Bremen 1995, S. IX.

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Für die Konfliktvermeidung und -prävention bedeutet dies aktive Teilnahme zur Förderung von Verhaltenseinstellungen, die das Streben nach inkompatiblen Zielen sanktionieren oder unterbinden. Auch die vorausschauende Vorhaltung von einer den Ansprüchen aller Parteien genügenden Menge knapper Werte (Güter, Ressourcen) kann ebenso Mittel zur Konfliktvermeidung sein, wie es die Konfliktregulierung im Sinne des Konfliktaustrags in einem von beiden Konfliktparteien anerkannten Regelsystem darstellt. Der Konfliktunterdrückung, also der Verhinderung unerwünschten Konfliktverhaltens durch Drohung mit oder Anwendung von Zwang, wird hier deshalb nicht das Wort geredet, weil dies, wie die Erfahrung zeigt, die eigentlichen Konfliktgründe zwar unterdrückt, aber keine echte und langfristige Lösung ermöglicht. Auf einer Zeitachse verortet, bedeutet dies die Notwendigkeit eines Erkennens und Einschreitens zu einem Zeitpunkt, an dem der Konflikt noch ein potenzieller oder (schon) latenter ist  ; wenn es bereits ein manifester Konflikt ist, können die hier angeführten Schritte bereits zu spät sein, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Bei der Konfliktbearbeitung durch Intervention Dritter ist das Ziel bekanntlich die Beendigung des Konfliktverhaltens der Parteien, das Erzielen einer Kompromisslösung, wobei als Lösung die Modifizierung mehrerer oder aller Konfliktaspekte mit der Intention, eine selbsttragende Lösung zu formulieren, im Vordergrund steht. Neben den im Regelfall militärischen Mitteln wie bewaffnete oder unbewaffnete Intervention, Peace Enforcement und Peace Keeping können meines Erachtens Sozialwissenschaftler hier durch die Förderung von Empathiebildung und gegenseitiger Perspektivenübernahme, durch eine reflexive Kommunikationskontrolle sowie die Anwendung von Konfliktlösungstechniken aus anderen sozialwissenschaftlichen Bereichen wie Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Eheberatung etc. Beiträge leisten, die auf den Ebenen Konfliktvermeidung, Konfliktprävention, Konfliktregulierung und schließlich Konfliktlösung ihr Potenzial entfalten können.

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Der umfassende Ansatz als strategischer Leitgedanke für eine vernetzte Politik zur Bewältigung von fragilen Situationen Einleitung In diesem Beitrag wird die Fachdebatte über den sogenannten „Comprehensive Approach“ (CA) dargestellt. Dabei steht ein erklärender Abriss im Vordergrund, um die thematische Relevanz der CA-Diskussion im internationalen Konfliktund Krisenmanagement (IKKM) zu verdeutlichen. Diese thematische Zusammenschau soll den aktuellen Stand der Debatte reflektieren, um jene Aspekte zu identifizieren, die für die Umsetzung eines umfassenden Ansatzes entscheidend sind. Die Ausführungen machen deutlich, dass vor allem staatliche Stellen ein großes Interesse an der Umsetzung eines umfassenden Ansatzes zur Bewältigung von fragilen Situationen haben. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind in Bezug auf einen CA zurückhaltender. Die Operationalisierung hängt aber in erster Linie vom politischen Willen maßgeblicher Akteure und damit von einem funktionierenden Multilateralismus ab. Inwiefern beide Komponenten auf die Operationalisierung hinwirken – z. B. im Rahmen des 3C-Konzeptes (Koordiniert, Komplementär, Kohärent) – bleibt noch abzuwarten. Die Implementierung eines Konzeptes für mehr Politikkohärenz in fragilen Situationen wird aktuell von anderen politischen Prioritäten überlagert, wie bspw. der „Euro-/Finanzkrise“ in der EU. Die Umsetzung umfassender Ansätze im IKKM erfordert neben dem politischen Willen auch finanzielle Ressourcen und strukturelle Veränderungen für eine bessere Koordination von Aktivitäten. Einflussreiche Staaten und die großen internationalen Organisationen (bspw. UNO, EU, NATO) sind für die Etablierung erforderlicher Kooperationsforen maßgeblich, um Konzepte umfassender Ansätze überhaupt implementieren zu können. Die aktuelle Diskussion dreht sich um die Frage, wie und mit welchen Instrumenten umfassende Ansätze im IKKM implementiert werden könnten. Dem hier angeführten politologischen Grunddiskurs (auf der Grundlage des internationalen CA-Fachdiskurses)1 über theore1 Neben den unten angeführten Dokumenten sind noch zusätzliche Quellen zu nennen, die eine politikwissenschaftlich geprägte Auseinandersetzung mit dem CA darstellen oder diese unterstützen. Vgl.

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tische Implikationen und Voraussetzungen für eine allfällige Operationalisierung eines CAs kommt eine tragende und strukturierende Rolle zu. Basierend auf den Erkenntnissen des politikwissenschaftlichen Diskurses wurde der 3C-Ansatz als ein konkretes Modell für die Operationalisierung des CA für mehr Politikkohärenz in fragilen Situationen identifiziert. Die sicherheitspolitische Forschung in Österreich hat sich in den vergangenen drei Jahren intensiv mit dem CA-Leitprinzip in fragilen Situationen beschäftigt. Die Ergebnisse des wissenschaftlichen Diskurses wurden im aktuellen Beitrag aufgearbeitet.

„Ein Begriff prägt das Denken“2 Das Prinzip des umfassenden und komplementierenden Handelns zur Bewältigung fragiler Situationen hat in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit erhalten. So wurde versucht, dem umfassenden Ansatz hinsichtlich seiner Operationalisierung und Implementierung zu entsprechen. In der internationalen Diskussion hat der umfassende Ansatz vielschichtige Inhalte und nationale Gewichtungen erfahren, wie diverse Konzepte verdeutlichen  : 3C3, 3D4 (Diplomacy, Defense and Development), R2P (Responsibility to Protect), Integrated Mission (IM), Comprehensive Approach (CA) für die NATO und EU etc. Es erscheint für die Umsetzung des umfassenden Handlungsansatzes zweckmäßig, politische Gegebenheiten (politische Ordnungen) direkt anzusprechen, um eine Diffusion des Handlungsansatzes zu vermeiden. Aus den unterschiedlichen Begriffvan der Lijn, Jaїr  : 3D – The Next Generation. Lessons learned from Uruzgan for future operations. Institut für Internationale Beziehungen, Niederlande. Den Haag, 2011  ; Greminger, Thomas  : Streitkräfte und zivile Akteure in komplexen multilateralen Friedensoperationen. In  : ASMZ 4/2007, S. 6–17  ; Schmidtberger, Andrea  : EU und UN im Krisenmanagement – Ein Verhältnis mit Zukunft  ? OIIP, Mai 2010  ; Mitchel, William  : Comprehensive Approach Capacity Building – Implementing the Effects Based Approach to Military Operations. Royal Danish Defence College. 2008  ; Brzoska, Michael/ Ehrhart, Hans-Georg  : Civil-Military Cooperation in Post-Conflict Rehabilitation and Reconstruction – Recommendations for Practical Action. Policy Paper 30. Stiftung Entwicklung und Frieden. Quille, Gerrad/Gasparini, Giovanni, et al.: Developing EU Civil Military Co-ordination  : The Role of the new Civilian Military Cell. Joint Report by ISIS Europe and CeMiSS. Brüssel, Juni 2006. 2 Feichtinger, Walter  : Vorwort. In  : Feichtinger, Walter/Braumandl-Dujardin, Wolfgang/Gauster, Markus (Hg.)  : Comprehensive Approach – Vom strategischen Leitgedanken zur vernetzten Politik. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 8/2011. Wien, 2011, S. 7. 3 Vgl. 3C Conference Report 2009 – Coherent, Coordinated, Complementary. Improving results in fragile and conflict situations. Genf, 2009. 4 Vgl. van der Lijn, 2011.

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Der umfassende Ansatz als strategischer Leitgedanke für eine vernetzte Politik

lichkeiten und inhaltlichen Auslegungen ergeben sich für die Umsetzungsebene „Unklarheiten“ hinsichtlich der wesentlichen Eckpunkte, die im vorliegenden Beitrag konkretisiert werden.5 Für Walter Feichtinger hat der CA als „strategischer Leitgedanke“ unterschiedliche Begriffe hervorgebracht. Trotz der zahlreichen inhaltlichen Begriffsvariationen kann eine Begriffstradition festgestellt werden, die auf eine verbesserte nationale und internationale Zusammenarbeit hinweist. Während auf nationaler Ebene i.d.R vom sogenannten „Whole of Nation Approach“ (WoNA) oder vom „Whole of Government Approach“ (WoGA) gesprochen wird, sprechen Experten auf internationaler Ebene vom „CA“ im Sinne eines strategischen Leitprinzips für mehr Politikkohärenz zur Bewältigung von fragilen Situationen. Aus struktureller Sicht ergibt sich so eine „Schnittstellenproblematik“, die weitreichende politische Folgen hat.6 In Bezug auf die politischen Folgen stellen sich die Fragen, „wie diese beiden Ebenen in Einklang gebracht werden können, wo die Initiativen liegen“ und „wer dabei die Entscheidungshoheit hat“.7 Günther Barnet führt die Uneinheitlichkeit der Begriffe auf „historische und organisationssoziologische Unterschiede“ zurück. Dennoch blieb die Kernfrage, wie also verschiedene Organisationen und Akteure in den unterschiedlichsten Ebenen über einen unterschiedlichen Zeitraum hinweg zusammenarbeiten können. Wie werden bspw. die Mittel, Methoden und Wertvorstellungen einer kohärenten, zielorientierten Interaktion zugeführt  ?8 Die unterschiedlichen Begriffe aus dem Bereich der umfassenden Sicherheitsgewährleistung mittels umfassenden Ansatzes – wie z. B. Vernetzte Sicherheit, Umfassende Sicherheit, Comprehensive Approach, Integrated Mission9 etc. – werden in der Politologie, auf Policy-Ebene sowie in der Politik bereits behandelt.10 Diesen Konzepten liegt eine gemein  5 Vgl. Feichtinger (8/2011), S. 7.   6 Vgl. ebd. sowie Feichtinger, Walter/Braumandl-Dujardin  : Theoretische Aspekte eines Comprehensive Approach. In  : Feichtinger, Walter/Braumandl-Dujardin, Wolfgang/Gauster, Markus (Hg.)  : Comprehensive Approach – Vom strategischen Leitgedanken zur vernetzten Politik. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 8/2011. Wien, 2011, S. 19–64.   7 Feichtinger (8/2011), S. 7.   8 Vgl. Barnet, Günther/Braumandl-Dujardin, Wolfgang  : Ein Comprehensive Approach für Österreichs Beitrag zum internationalen Konflikt- und Krisenmanagement – ein Begriff, viele Möglichkeiten. In  : ÖMZ 4/2011, S. 456–461.   9 Vgl. UN Department of Peacekeeping Operations, Department of Field Support  : United Nations Peacekeeping Operations – Principles and Guidelines. New York, 2010. 10 Vgl. MoD (GB)  : The Comprehensive Approach. Joint Discussion Note 4/05. London 2006  ; HM Government (GB)  : The National Security Strategy of United Kingdom – A Strong Britain in an Age of Uncertainty. London, Oktober 2010  ; de Coning, Cedric  : Clarity, Coherence and Context – Three Priorities for Sustainable Peacebuilding. CIPS University of Ottawa, 2010.

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same prinzipielle und konzeptuelle Wertigkeit zugrunde. Mit den verschiedenen Konzepten soll die Frage nach den Möglichkeiten einer „harmonischen Umsetzung“ von „gemeinsamen Zielvorstellungen“ verfolgt werden, und zwar trotz historischer und organisationskultureller Eigenformen von Organisationen und Akteuren.11 Kritische Stimmen vertreten die Auffassung, wonach institutionelle Unterschiede und Interessenlagen einer harmonischen Umsetzung von gemeinsamen Zielvorstellungen im Rahmen eines CAs entgegenstehen.

Politologisch-theoretischer Grunddiskurs12 Welchem politologisch-theoretischen Grunddiskurs folgt der CA als ein strategischer Leitgedanke überhaupt  ? Der hier angesprochene politologisch-theoretische Grunddiskurs wurde in den letzten Jahren wesentlich von einer ressortspezifischen Diskussion geprägt. Man könnte sogar von einem Begriff sprechen, der erst durch das Interesse verschiedener Verteidigungsressorts entstand, weil die Defizite des IKKM eine Befassung mit neuen Methoden erforderlich machten. Andrea Riemer und Ernst Felberbauer schreiben im Sammelband „Comprehensive Approach. Definitionen – Ansätze – Weiterentwicklungen“ von einer internationalen Ordnung mit „vielschichtigen und vielfältigen Akteuren und den damit verbundenen Herausforderungen“. Die wesentlichen Merkmale dieser internationalen Ordnung sind „Komplexität“ und „Interdependenz“, so die Autoren.13 Dadurch ist aber die internationale Ordnung auch „unübersichtlicher“ geworden, wodurch Lösungsansätze umfassender gestaltet werden müssen.14 Zahlreiche Länder haben diesen Veränderungen im internationalen Gefüge v.a. seit 1989 bereits mit Konzepten für eine umfassende Herangehensweise zur Lösung von komplexen und interdependenten Problemen und Herausforderungen entsprochen. Begriffe wie „Vernetzte Sicherheit“, „Gemeinsame Sicherheit“, „Umfassende Sicherheit“ etc. haben teilweise staatlich-konzeptive Überlegungen hervorgebracht.15 Um den aktuellen Herausforderungen zu entsprechen, besteht

11 Vgl. hierzu Barnet/Braumandl-Dujardin (4/2011), S. 458f. 12 Vgl. hierzu auch LVAk-Symposium  : „Comprehensive Approach  : Definitionen – Ansätze – Weiterentwicklung. In  : ÖMZ 6/2011, S. 744f. 13 Riemer, Andrea/Felberbauer, Ernst (Hg.)  : Comprehensive Approach. Definitionen – Ansätze – Weiterentwicklungen. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie Wien, 9/2011, S. 5. 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. ebd.

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Der umfassende Ansatz als strategischer Leitgedanke für eine vernetzte Politik

hinsichtlich der Prinzipien wie „Prävention“, „Integration“ und „Kooperation“ ein breiter Konsens.16 Die Operationalisierung von umfassenden Ansätzen stößt in der politischen Realität von Komplexität und Interdependenz auf zwei wesentliche Hindernisse, die von österreichischen Experten bereits in unterschiedlichen Zusammenhängen angesprochen wurden  : 1. ein fehlender internationaler – oder zumindest – europäischer Konsens hinsichtlich einer gemeinsamen Definition von CA und 2. die operative Umsetzung von umfassenden Ansätzen mittels der genannten Grundprinzipien ist vom politischen Willen und machtpolitischen Interessen abhängig.17 In diesem thematischen Zusammenhang versucht der politologisch-theoretische Grunddiskurs zum Leitprinzip des umfassenden Ansatzes nicht nur die begrifflichen Implikationen darzustellen, sondern vertieft auch das theoretische Verständnis hinsichtlich der „Ausgangsbedingungen“, „Notwendigkeiten aus gestalterischer Sicht“ und der „Umsetzungsherausforderungen“.18Aus gangsbedingungen für umfassende Ansätze werden über den Sicherheitsbegriff erschlossen, wodurch sich bei Riemer „definitorische Unschärfen“ vom konkreten Anspruch eines CA abheben.19 Im Bereich der gestalterischen Notwendigkeiten werden komplexe Ordnungseinheiten und -begriffe in Bezug auf einen CA analysiert, um so die Policy-relevanten Aktionsfelder hervorzuheben. Für die Policy-Ebene wird deutlich, dass die „Bivalenz der Herausforderungen“ nicht nur Chancen bringen, sondern auch als Bedrohung dargestellt werden könnte. Dadurch werden nach Riemer Policy-relevante „Themenstellungen“ (sicherheitspolitische Herausforderungen, wie bspw. Cyber-Attacken, Angriffe gegen die Infrastruktur, regionale Konflikte etc.) über eine „hohe Perspektivenabhängigkeit“ relativiert. Damit ist das „Interpretationsspektrum“ angesprochen, welches vom individuellen Erfahrungs- und Erwartungshorizont geprägt ist.20 Dadurch wird die sicherheitspolitische Konkretisierung von Bedrohungen erschwert und ihre positive Strukturierung zur „Herausforderung per se“.21 Die positive Strukturierung unterschiedlicher sicherheitsrelevanter Ordnungen (im Bereich der „gestalterischen Notwendigkeiten“) verlangt im Policy-Bereich nach dem Führungsprinzip der Einfachheit.22 Riemer stellt in diesem Zusammenhang fest  : „Einfachheit 16 Vgl. a.a.O., S. 9–37. 17 Vgl. hierzu a.a.O., S. 5–8 und S. 9–37, sowie Feichtinger (8/2011), S. 7f., sowie Feichtinger/Braumandl-Dujardin (8/2011), S. 19–65. 18 Vgl. hierzu Riemer (9/2011), S. 9–37. 19 Vgl. ebd. 20 A.a.O., S. 23. 21 Ebd. 22 Ebd.

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garantiert zwar keinen Erfolg, aber Kompliziertheit verlangt geradezu nach einem Fehlschlag, weil bereits das schwächste Glied in einer langen und komplex vernetzten Kette zum Auslöser für den Fehlschlag werden kann.“23 Welche Umsetzungsherausforderungen sind nun mit diesem Policy-Umfeld von Komplexität und Interdependenz verbunden  ? Auch hier wird deutlich, dass eine positive Strukturierung („Erfassung und Gestaltung“) von Herausforderungen nationale Alleingänge als unzweckmäßig erscheinen lässt. Eine positive Strukturierung komplexer, fragiler Situationen verlangt nach internationaler Kooperation, um im Sinne von Politikkohärenz wirksam werden zu können.24 Die damit verbundenen Umsetzungserfordernisse sind nach Auffassung von Andrea Riemer mit folgenden Schlüsselelementen verbunden  : a) „sicherheitspolitische Vernetzung“, b) strukturelle Aspekte der sicherheitspolitischen Vernetzung (im Bereich Ausbildung, von existierenden Prozessen der Planung und Steuerung. Dies erfordert eine „Synchronisation“ von sicherheitspolitischen Maßnahmen.) und c) grundlegende Änderung der Denkhaltung und Denkkultur, um die Vernetzung der Akteure zu erreichen. Gemäß dem politologisch-theoretischen Grunddiskurs wird bei Riemer in sogenannte „konzeptive“ und in „mentale Herausforderungen“ differenziert, die in der angeführten Tabelle erfasst sind. Tabelle  : Konzeptive und mentale Herausforderungen bei der Umsetzung eines CA nach Andrea Riemer 9/2011 Umsetzungsherauforderungen konzeptiv

mental

Fehlendes Verständnis für das Funktionieren der internationalen Ordnung als Aktionsfeld

Unterschiedliche Bereitschaft der Zusammenarbeit

Fehlende gemeinsame Begrifflichkeiten und Konzeptionen

Informations-Sharing  : Mangel an Bereitschaft, Wissen zu teilen

Mangelndes Verständnis von Sicherheit im 21. Jh.

Vertrauensmangel zwischen CA-relevanten Akteuren insbesondere auch auf lokaler Ebene (Wissen über lokale Verhältnisse und Erfordernisse)

Unterschiedliche Motive und Zielsetzungen führen zu verschiedenen Startund Zielpunkten

Bedeutung von persönlichen Kontakten und Netzwerken („informelle Ermöglicher“ in CA-Aktivitäten)

23 Ebd. 24 A.a.O., S. 24.

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Umsetzungsherauforderungen konzeptiv

mental

Fokus auf Akteure und weniger auf Herausforderungen

Problem mangelnder Unparteilichkeit von Akteuren in Missionen

Leadership versus Inklusivität (je höher die Anzahl der Mitwirkenden, desto schwieriger die Kompromissfindung)

Ressourcenströme nicht zweckmäßig eingesetzt

Schnittstellenproblematik zwischen nationalen und internationalen CA Fehlende Ausstiegsszenarien für eine Mission

Merkmale von Politikkohärenz Aus politikwissenschaftlicher Sicht hat die Diskussion in Verbindung mit den institutionellen Erfordernissen bereits eine rudimentäre Struktur hervorgebracht, die im 3C-Entwicklungsprozess weiter konkretisiert wurde.25 So heißt es im Konferenzband  : Aus institutioneller Sicht sind neben den mittlerweile relativ unbestrittenen Hauptachsen aus den Bereichen – Außenpolitik, Entwicklungspolitik und Verteidigung, oft als kanadische ,3D-Formel‘ (diplomacy, development und defence) bezeichnet – eine Fülle von anderen Politikfeldern und deren Mittel als notwendiger Beitrag für ,nachhaltige Stabilisierung und Wiederaufbau (S&R)‘ in und nach bewaffneten Konflikten, aber auch zu deren Prävention erkannt worden. Etwa dem DIMES-Ansatz (Diplomatic, Informational, Military, Economic/Financial, and Societal/Cultural) folgend, bedarf es neben militärischem Einsatz ziviler Expertise von Polizei und Justiz, aus der Finanzverwaltung, dem Bildungs- und Informationsbereich, den Sozial-, Gesundheits- und Infrastruktursektoren, sowie sozio-ökonomischen und ökologischen Fachwissens. Dies sowohl in der Planung für kohärente gesamtstaatliche oder multinationale Politikformulierungen als auch bei der Umsetzung vor Ort. Damit die Einsatz leistenden Staaten in Form ihrer verschiedenen Ministerien und nachgeordneten Agenturen diese Aufgabe in ihren unterschiedlichen Bezugsrahmen meistern können, hat es sich als notwendig herausgestellt, Mechanismen und Prinzipien zu entwickeln, 25 Vgl. Feichtinger, Walter/Werther-Pietsch, Ursula/Barnet, Günther (Hg.)  : Koordiniert, komplementär und kohärent agieren in fragilen Situationen – Die Wiener 3C-Konferenz. Sonderpublikation. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie. Wien, 12/2010/S.

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die überwiegend als Whole of Government Approach (WoGA) bezeichnet werden. Dass die Expertise und Ressourcen dafür jedoch nicht nur von staatlicher Seite kommen können, sondern vielfach durch NRO und andere nicht-staatliche Akteure ergänzt werden, liegt dabei auf der Hand.26

Das aus dem 3D-Ansatz hervorgegangene Kohärenzmodell des 3C versucht wesentliche internationale Organisationen konkret in die Pflicht zu nehmen, um die Abstimmung der erforderlichen Mittel und Methoden leisten zu können. Dabei kommt es nach dem Wiener 3C-Appell zur Normierung eines „Prinzipienkataloges“ der Zusammenarbeit, der nicht staatliche Akteure bei der nationalen Politikformulierung und Umsetzung im Sinne des „Whole of Nation Approach“ (WoNA) inkludiert.27 Der „Schlüssel zum Erfolg“ liegt dabei auf den sogenannten „Kontext-abhängigen Zusammenarbeitsprinzipien“, die unter Heranziehung von engagiertem Personal die Aufgabenteilung zur Bewältigung von fragilen Situationen ermöglichen. Die dabei relevante Erkenntnis ist die, wonach fragile Situationen durchaus in einem komplexen, mehrdimensionalen Politikumfeld eingebettet sind. Danach kann keine Organisation oder Staat im Alleingang alle erforderlichen Mittel zur Bewältigung von fragilen Situationen aufbringen („Niemand kann alles leisten“ 28). �� Kohärenz wird nach Auffassung von Experten durch die strategische Vernetzung für die (vorausschauende) Sicherstellung erforderlicher Kapazitäten auf der Ebene der Politikformulierung, Planung und Bereitstellung generiert.29 Der CA-Leitgedanke sollte dabei nicht ausschließlich als operatives oder situatives Konzept verstanden werden,30 sondern vielmehr als ein „richtungsweisender, strategischer Ansatz“, der langfristige Perspektiven für institutionsübergreifende Mechanismen zur gemeinsamen Fähigkeitsentwicklung einschließt.31 Die Experten des 3C-Konferenz-Bandes haben ganz klar aufgezeigt, dass bei „nicht integrierten Mandaten“ – was auch die Ressourcenkomponente betraf – missionsverantwortliche Kommandanten (militärische wie zivile) vor Ort mit der Bestimmung gemeinsamer Ziele, der entsprechenden Koordinierung und ihrer Durchführung beginnen mussten.32 Dass dabei wertvolle Zeit und da-

26 A.a.O., S. 12. 27 Vgl. a.a.O., S. 13, sowie Feichtinger/Braumandl-Dujardin (8/2011), S. 23ff. 28 Feichtinger/Werther-Pietsch/Barnet (12/2010/S), S. 13. 29 Vgl. ebd. 30 Vgl. ebd. 31 Ebd. 32 Vgl. a.a.O., S. 14.

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mit auch Ressourcen verloren gehen, darf dann nicht weiter verwundern. Österreich forciert und unterstützt daher das 3C-Modell, das bei der „konzeptionellen Darstellung und Definition von gemeinsamen Aufgabenstellungen, Schnittstellen und Zusammenarbeitskriterien in komplexen und fragilen Situationen“ helfen soll. Über diese sogenannten „Handlungsstränge“ soll für Österreich Politikkohärenz Realität werden.33 Die Zielsetzung einer friktionsfreien Interaktion und einer entsprechenden Aufgabenteilung zwischen den zivilen und militärischen Akteuren soll nach Vorgabe von Johann Pucher, ehemaliger Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport (BMLVS), zur Selbstverständlichkeit werden.34 Ferner vertritt Pucher in diesem Zusammenhang die Auffassung, wonach es nicht um „Mission Hunting“ für das Militär gehen soll, sondern um eine zivil-militärische Zusammenarbeit entlang bedarfsorientierter Handlungsstränge, welche die Konfliktprävention und den Bereich der Nachsorge einschließen. Die Regeln und Mechanismen werden durch die 3C-Prinzipien (Koordination, Komplementarität und Kohärenz) bestimmbar.35 Vorbehalte der NGOs (z. B. humanitäre Organisationen) an einer ganzheitlichen Interventionsstrategie in Bezug auf ihre maßgeblichen Grundsätze wie „Humanität“, „Neutralität“ und „Unparteilichkeit“ verlangen nach einer inhaltlichen Benennung von „Funktionskomplexen“36 bei der Unterstützung von Maßnahmen im Staatsaufbau. Pucher hält eine akteursrelevante Zuteilung von Aufgaben für sinnvoll, die fünf Bereiche umfassen kann  : a) Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit, b) Schaffung eines sicheren Umfeldes, c) Etablierung eines demokratischen Regierungs- und Gemeinwesens, d) Entwicklung nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen und e) Sicherstellung von Bedürfnissen des täglichen Lebens.37

33 Pucher, Johann  : Koordination, Komplementarität und Kohärenz als Regulative der österreichischen Sicherheitspolitik. In  : Feichtinger/Werther-Pietsch/Barnet (12/2010/S), S. 35. 34 Vgl. a.a.O., S. 34. 35 Vgl. ebd. 36 A.a.O., S. 35. 37 A.a.O., S. 35f.

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Internationale Kohärenzkonzepte Europäische Union38

Obwohl die EU sicherlich ein geeigneter Akteur zur Implementierung von Politikkohärenz ist, bedürfen die bereits bestehenden militärischen und zivilen Instrumente einer EU-weiten Kohärenz, bevor in Konfliktregionen umfassende Ansätze greifen können. Günther Barnet meint, dass die CA-Diskussion in der EU die unterschiedlichen Zugänge der verschiedenen Mitgliedsstaaten klar aufzeigt.39 Dennoch verweist der CMCO-Begriff (Civil-Military Co-ordination) eindeutig auf die Notwendigkeit einer strukturierten und dauerhaften Koordination zwischen zivilen und militärischen Interventionsakteuren in fragilen Situationen. Dies beinhaltet nach Barnet eine Reihe von Bereichen, die für die Entwicklung von Politikkohärenz entscheidend sein können. Dazu gehören  : a) die Interaktion mit Nicht-EU-Akteuren, b) die Umsetzung strategischer Vorgaben und Planung, c) die Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten und Kapazitäten sowie d) die effektive Koordination und Kooperation der Akteure im Einsatzraum. Innerhalb der EU gibt es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich einer Integration von zivilen und militärischen Elementen in die EU-Führungseinrichtung auf operativer Ebene. Vor allem Frankreich spricht sich gegen die zivile Dimension im Führungsbereich einer Operation aus.40 Formal hat die EU zivile und militärische Ziele im Rahmen des Headline Goal 2010 (HG2010) bestimmt, um eine verbesserte Gesamtkohärenz des Krisenmanagements zu erreichen  : „[…] rapid and decisive action applying a fully coherent approach to the whole spectrum of crisis management operations covered by the Treaty of the European Union.“41 Im Rahmen des Civilian Headline Goal 2008 wurden fünf Bereiche für mehr Kohärenz genannt  :

38 Vgl. Feichtinger/Braumandl-Dujardin (8/2011), S. 42–44. 39 Barnet, Günter  : Ein Comprehensive Approach für die Europäische Union –Anspruch und Wirklichkeit. In  : Pucher, Johann/Frank, Johann (Hg.)  : Strategie und Sicherheitspolitik 2010. Wien, 2010, S. 273. 40 Vgl. ebd. 41 Vgl. Gross, Eva  : EU and the comprehensive approach. DIIS Report 2008. Kopenhagen, 2008, S. 16.

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a) Entwicklung eines integrierten zivilen Kriseninterventionskonzepts, b) die Fähigkeit zur Durchführung von zeitgleichen Missionen, c) rasche Entsendung von Krisenreaktionskräften, d) Fähigkeit zur militärischen Zusammenarbeit und e) Übereinstimmung von ESVP-Aktionen mit langfristigen Zielen der EU-Kommission (z. B. Drittstaatenhilfe und Entwicklungshilfe). 2007 wurde die CPCC (Civilian Planning and Conduct Capability) ins Leben gerufen, die mehrere zivile Missionen überwachen und unterstützen kann. Trotz der Fortschritte in der EU benötigt eine operationalisierte CMCO eine „Europäisierung nationaler Praktiken“ für einen reibungsloseren Missionsverlauf. Ob und inwieweit die EU den Prozess der Harmonisierung und Synchronisierung in den kommenden Jahren abschließen kann, wird über den weiteren Verlauf der Verbesserung der unionsinternen Kohärenz entscheiden. NATO42

Teil eines umfassenden Ansatzes im Sinne verbesserter Politikkohärenz ist die strategische Partnerschaft des nordatlantischen Bündnisses mit der EU. Diese Partnerschaft ist ein Bekenntnis zu einer engen euro-atlantischen Zusammenarbeit im Bereich des Krisenmanagements. Die NATO könnte im Rahmen eines CA auf die zivilen Kompetenzen der EU zurückgreifen und so die Glaubwürdigkeit internationaler Missionen stärken. Eine Bereinigung politischer Interessendivergenzen als Folge unterschiedlicher Mitgliedschaften von Staaten ist erforderlich. Aus der Sicht des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses könnten fünf sogenannte „pragmatic proposals“ als Teil eines CA bereitgestellt werden. Ob die NATO und/oder EU eigenständige CA-Konzepte erarbeiten oder diese nur als Leitideen verankern, bleibt abzuwarten. Viel wahrscheinlicher ist es, dass beide Organisationen ihre Ressourcen und Fähigkeiten abstimmen. Derzeit ist vor allem innerhalb der NATO die Bereitschaft zur Etablierung eines aufwendigen umfassenden Ansatzes nicht erkennbar bzw. erwartbar. Vor allem die zivile Komponente kann das nordatlantische Bündnis nicht in derselben Qualität abdecken wie bspw. die EU oder UNO. Dennoch kann die NATO sich die Unterstützung bspw. eines EU-CA vorstellen (siehe Tabelle)  :43 42 Vgl. Feichtinger/Braumandl-Dujardin (8/2011), S. 41–42. 43 Vgl. NATO  : NATO-EU  : a strategic partnership. Online-Dokument  : , abgerufen am 8. März 2010, und NATO  : A Comprehensive Approach

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NATO-Contribution for CA CA-NATO-Proposal

Military Intelligence Corps Association (MICA)

Planning and conduct of operations

NATO takes full account of all military and non-military aspects of a NATO engagement, and is working to improve practical cooperation at all level with all relevant organizations and actors in the planning and conduct of operations. NATO’s ongoing work in area of Operations Planning promotes a sense of common purpose and resolve, the clear definition of strategies and objectives before launching an operation, as well as enhanced planning to support nations’ contributions to operations. Effects on the local population and on reconstruction and development are being factored into military planning.

Lessons learned, training, education and exercises

Proposals have been developed to make greater use of NATO training, education and exercise opportunities by offering joint training of civilian and military personnel. This promotes the sharing of lessons learned and also helps build trust and confidence between NATO, its partners and other international and local actors, which has encouraged better coordination.

Enhancing cooperation with external actors

Achieving lasting mutual understanding, trust, confidence and respect among the relevant organizations and actors will make their respective efforts more effective. Therefore, NATO is actively pursuing extensive civil-military interaction with other relevant organizations and actors on a regular basis, as appropriate, while respecting the autonomy of decisionmaking of each organization.

Public messaging

To be effective, a Comprehensive Approach must be complemented by sustained and coherent public messages. NATO’s information campaigns should be substantiated by systematic and updated information, documenting progress in relevant areas. It is important to ensure that the information strategies of the main actors should complement and not contradict each other, which could be facilitated by direct contacts between those responsible for public information.

Stabilization and reconstruction

NATO is seeking to improve its military support to stabilization and reconstruction in all phases of a conflict. This will involve exploiting the full range of existing and planned Alliance capabilities relevant to this broad activity. It will also require better coordination of NATO’s military efforts in this file with those of its partners and other international and nongovernmental organization, which are the primary providers of essential civilian means to stabilization and reconstruction.

Quelle  : NATO44

(2008). Online-Dokument  : abgerufen am 8. März 2010. 44 Vgl. NATO  : A Comprehensive Approach (2008). Online-Dokument  : , abgerufen am 8. März 2010.

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Vereinte Nationen

Die UNO hat in den vergangenen Jahren auf der Grundlage von zentralen Dokumenten des UN-Sicherheitsrates sowie auf Basis des Brahimi-Reports aus dem Jahre 2000 eigene Schritte unternommen, um die gesamte Bandbreite des UNKrisenmanagements kohärenter zu gestalten. Resultat jahrelanger Bemühungen ist das Konzept der sogenannten Integrated Mission (IM), um auf der Grundlage eines Mandates vorhandene Ressourcen und Möglichkeiten besser ausschöpfen zu können. Dabei gibt es auch Bestrebungen, gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten bedarfsorientierte Cluster zu bilden, die einen raschen Rückgriff auf Hilfsgüter oder spezielle Fähigkeiten – die nicht im UN-System vorhanden sind – ermöglichen sollen. Das IM-Konzept wird auf der Grundlage eines strategischen Planes mit entsprechenden Prioritäten angewendet  : An integrated mission is based on a common strategic plan and a shared understanding of the priorities and types of programme interventions that need to be undertaken at various stages of the recovery process. Through this integrated process, the UN system seeks to maximise its contribution towards countries emerging from conflict by engaging its different capabilities in a coherent and mutually supportive manner.45

Das integrierte Missionskonzept der UNO ist aus politischen Gründen nicht als „Comprehensive Approach“ zu betiteln, weil es sich institutionell und organisatorisch ausschließlich auf die eigenen Möglichkeiten konzentriert. Ein umfassender Ansatz würde die derzeitigen Kapazitäten der UNO überfordern. Sie ist hier auf Kooperationen mit EU, NATO, AU und anderen Organisationen angewiesen. Das IM-Konzept ist daher aus politischen und institutionellen Erwägungen vom CABegriff abzugrenzen, weil die „Reichweite“ eines CA wesentlich weiter gefasst ist als das aktuelle UN-Konzept. Aus finanziellen, organisatorischen und personellen Gründen würde ein UN-CA die Organisation überfordern.

45 Rintakoski, Kristiina/Autti, Mikko  : Comprehensive Approach – Trends, Challenges and Possibilities for Cooperation in Crisis Prevention and Management. Helsinki Seminar, 17. Juni 2008, S. 13, und United Nations. Integrated Missions Planning Process (IMPP) – Guidelines Endorsed by the Secretary General on 13 June 2006. Online-Dokument , abgerufen am 23. Jänner 2012.

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NGOs und Politikkohärenz

Neben der staatlichen Perspektive für eine verbesserte Kooperation und Koordination in fragilen Situationen bietet Ruth Picker von der Arbeitsgemeinschaft Globale Verantwortung eine NGO-Sicht auf die Thematik.46 Die NGOs würden eine verbesserte Koordination auf nationaler wie internationaler Ebene sehr begrüßen. Das betrifft nicht nur den Prozess der Koordination, sondern auch die hierfür erforderlichen Strukturen vor Ort. Als Grundvoraussetzung für eine verbesserte Koordination im Sinne des CAs müssen staatliche Akteure die unterschiedlichen Ansätze, Perspektiven, Zielsetzungen, Werthaltungen, Spezialisierungen, Erfahrungen und Möglichkeiten von zivilen humanitären Organisationen anerkennen. Picker empfiehlt staatlichen Einrichtungen von einer komplementären Sichtweise auf NGOs in fragilen Situationen abzugehen. NGOs sind in zahlreichen Krisenregionen tätig und erfüllen nicht selten Aufgaben, die für die Bereiche der Konfliktprävention und des Peacebuilding oft von zentraler Bedeutung sind.47 Innerhalb der AG Globale Verantwortung als Dachorganisation österreichischer NGOs wird im Rahmen eines Konsultationsprozesses versucht, die Stärken hervorzuheben, um gleichzeitig die Hilfe noch effektiver gestalten zu können.48 NGOs erwarten sich eine breite Akzeptanz für ihren humanitären Ansatz und ihre fundamentalen Prinzipien sowie Verständnis, so sie sich für eine Zusammenarbeit im Rahmen eines CAs entscheiden.49 Das „gegenseitige Verständnis ist Voraussetzung für ein gemeinsames Tätigwerden von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in Situationen extremer Unsicherheit, Koordination ist aber kein Selbstzweck. Wesentlich für das Gelingen eines 3C-Ansatzes aus Sicht der Nichtregierungsorganisationen ist der politische Wille dazu“, so Picker.50

46 Vgl. Picker, Ruth  : Non-governmental organisations and the 3C. In  : Feichtinger/Werther-Pietsch/ Barnet, (12/2010/S), S. 37–38 sowie die Homepage der Organisation. Online-Dokument  : , abgerufen am 17. Jänner 2012. 47 Vgl. Picker (12/2010/S), S. 37. 48 Vgl. hierzu Development Effectiveness. Online-Dokument  : , abgerufen am 18. Jänner 2012. 49 Vgl. Picker (12/2010/S), S. 37. 50 A.a.O., S. 38.

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Der 3C-Appell Hintergrund

Am Beispiel der „Millennium Development Goals“51 (MDGs) der UNO wird deutlich, dass in fragilen Situationen Ziele nur dann erreicht werden, wenn ein kohärenter Ansatz zwischen der internationalen Gemeinschaft und den betroffenen Staaten zum Tragen kommt. Vor allem die UNO ist an einer umfassenden Lösung von Krisen und Konflikten interessiert, um in Teilschritten ambitionierte Zielsetzung zu erreichen. Ferner besteht ein Bedarf an Mechanismen für ein wirksameres Krisenmanagement mithilfe von multilateralen Ansätzen für eine Reduktion von bewaffneten Konflikten. Werther-Pietsch/Roithner vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA) halten fest, dass die internationale Gemeinschaft derzeit über „keine akkordierte Strategie“ verfügt, wie auf fragile Situationen reagiert werden kann.52 Österreich ist in diesem Bereich ein verlässlicher Partner der UNO (und der EU) und unterstützt die Bemühungen um mehr Politikkohärenz in allen Phasen eines Konfliktes. Johann Pucher hat in diesem Zusammenhang bereits mehrmals auf die zentrale Bedeutung der Konfliktprävention hingewiesen. Mit dem „Strategischen Leitfaden für Sicherheit und Entwicklung“ 53 �� versucht Österreich seinen konkreten Beitrag im Sinne der MDGs zu leisten. Die Umsetzung der UN-MDGs wie auch des österreichischen strategischen Leitfadens setzt einen integrierten Ansatz voraus, der alle relevanten staatlichen Akteure umfasst. Politikkohärenz wird insgesamt als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Krisenintervention angesehen. Im Rahmen eines „Whole of Government Approach“ (WoGA) sind verfügbare Ressourcen und Fähigkeiten bestmöglich aufeinander abzustimmen, um im Krisengebiet gezielt helfen zu können. Werther-Pietsch/Roithner klassifizieren die erste 3C-Konferenz 2009 in Genf als einen „Meilenstein in der Verwirklichung koordinierter, komplementärer und 51 Vgl. hierzu die Homepage der UNO. Online-Dokument  : , abgerufen am 23. Jänner 2012. 52 Werther-Pietsch, Ursula/Roithner, Anna Katharina  : Die Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Akteure in fragilen Situationen – Thesen und Prinzipien der Wiener 3C-Konferenz. In  : Feichtinger/Werther-Pietsch/Barnet (12/2010/S), S. 40. 53 Vgl. hierzu Konzeptuelle Grundlagen eines österreichischen Engagements für Sicherheit und Entwicklung. In  : Feichtinger/Werther-Pietsch/Barnet (12/2010/S), S. 149–153  ; BMeiA (Hg.)  : Strategischer Leitfaden für Sicherheit und Entwicklung der österreichischen Entwicklungspolitik. Online-Dokument  : , abgerufen am 23. Jänner 2012, und Werther-Pietsch, Ursula  : Sicherheit und Entwicklung – Zwei Pfeiler eines Systems  ? Sonderpublikation der Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie. 2/2009/S, Wien, Genf 2009.

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kohärenter Vorgangsweisen in fragilen Situationen“.54 Basierend auf den Ergebnissen der Genfer Konferenz wird 3C als ein integrierter Ansatz ausgelegt, um Synergien zwischen maßgeblichen Akteuren zu generieren. Im Kontext sind diese die UNO, Weltbank, OECD und die NATO.55 Während die Genfer Konferenz auf die Zusammenführung und Abstimmung der Interessen zwischen unterschiedlichen Regierungsstellen fokussierte, wurde in Wien dem sogenannten „Whole of System Approach“ (WoSA) Rechnung getragen und die zivilgesellschaftliche Dimension56 (NGOs) in den 3C-Prozess integriert (siehe Abschnitt NGO und Politikkohärenz). Dieser Ansatz hat seine Grundlage in der Dili-Deklaration57 vom 10. April 2010, in der die gemeinsamen Ziele der Geber- und Partnerländer in den Bereichen Peacebuilding und Statebuildung formuliert wurden. Diese gemeinsamen Ziele gelten als der „konzeptionelle Hintergrund“ für die 3C-Konferenz in Wien. Die neue Vision von Politikkohärenz im Peacebuilding und Statebuilding richtet sich an staatliche und nichtstaatliche Akteure.58 Dili Declaration 2010 Preamble […] „Conflict and fragility are major obstacles for achieving the Millennium Developments Goals (MDGs). We recognise that it will be extremely difficult to achieve the MDGs in most fragile and conflict-affected states by 2015. We urgently need to address conflict and fragility by supporting country-led peacebuilding and statebuilding processes. To improve the impact of our efforts, we will take immediate actions and develop an International Action Plan on Peacebuilding and Statebuilding.“ Peacebuilding and Statebuilding Goals „Our collective vision is to end and prevent conflict and to contribute to the development of capable, accountable states that respond to the expectations and needs of their population, in particular the needs of vulnerable and excluded groups, women, youth and children. … This will require sustained efforts by all stakeholders to improve governance, strengthen economic and social development, and promote peace and security …“ • Foster inclusive political settlements and processes, and inclusive political dialogue. • Establish and strengthen basic safety and security. • Achieve peaceful resolution of conflicts and access to justice. • Develop effective and accountable government institutions to facilitate service delivery. • Create the foundations for inclusive economic development, including sustainable liveli-

54 Werther-Pietsch/Roithner (12/2010/S), S. 39. 55 A.a.O., S. 39f. 56 Vgl. a.a.O., S. 41. 57 Vgl. Dili Declaration – A new vision for peacebuilding and statebuilding. Online-Dokumente  : , abgerufen am 24. Jänner 2012. 58 Vgl. Werther-Pietsch/Roithner (12/2010/S), S. 41.

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hood, employment and effective management of natural resources. • Develop social capacities for reconciliation and peaceful coexistence. • Foster regional stability and co-operation. Challenges to achieving peacebuilding and statebuilding goals • Lack of shared vision for change among key stakeholders […]. • Lack of trust between developing countries and development partners. • Too many overlapping plans, and weak alignment of donors behind a unified national plan […]. • Approaches which focus on a country’s capital city and certain regions, creating pockets of exclusion […]. • Insufficient attention to the protection of women and children from armed conflict […]. • Insufficient attention to economic growth […]. • Unrealistic timeframes for reform, weak capacity to implement plans and limited effectiveness or capacity development approaches. • The need to strengthen linkages between development, security, justice and good governance. • Lack of data and reliable statistics to inform planning and peacebuilding and statebuilding. • Insufficient flexibility, speed and predictability of transition financing, and limited effectiveness of existing instruments.

Quelle  : Dili Declaration59

Grundsätze und Ziele Der Wiener 3C-Appell legt die Grundsätze und Ziele für ein koordiniertes, komplementäres und kohärentes Vorgehen fest. Diese Festlegung erfolgt im Kontext der Erfordernisse von „fragilen Situationen“. Fragilität kann unter bestimmten Voraussetzungen in bewaffnete Konflikte münden. Dieser Extremfall soll mithilfe von Sicherheit und Entwicklung vermieden werden. Um den 3C-Ansatz als umfassenden Ansatz operationalisieren zu können, ist nicht nur ein gemeinschaftliches Verständnis von einer bestimmten Konfliktsituation erforderlich, sondern auch ein Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich Sicherheit und Entwicklung. Operationalisierte Politikkohärenz verlangt von den Akteuren eine aktive Beteiligung in Peacebuilding- und Statebuilding-Prozessen. Gemäß dem 3C-Appell kommen „spezifische Qualitäten, Herangehensweisen, Arbeitsprinzipien und Zugänge auf unterschiedlicher Ebene zum Tragen“60. Die 59 Vgl. Dili Declaration, a.a.O. 60 Wiener 3C-Appell – Koordiniert, komplementär und kohärent agieren in fragilen Situationen. In  : Feichtinger/Werther-Pietsch/Barnet (12/2010/S), S. 56.

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Grundsätze und Ziele des 3C-Ansatzes (siehe unten) folgen dabei wichtigen gemeinschaftlichen handlungsorientieren Erkenntnissen  : • Entwicklung, Frieden und Sicherheit sowie Menschenrechte sind miteinander verflochten  ; • Konfliktprävention, Friedenserhaltung und Friedenskonsolidierung sind mit dem erfolgreichen Aufbau staatlicher Strukturen verbunden  ; • „Empowerment“ der lokalen Bevölkerung, Stärkung demokratischer Strukturen und die Einhaltung der Menschrechte sind für die Schaffung von Frieden essenziell  ; • Schutz der Zivilbevölkerung, insbesondere verletzlicher Gruppen (Kinder, Jugendliche, Frauen etc.), trägt zur Bewältigung von fragilen Situationen bei  ; • eine konstruktive Zusammenarbeit zur Erreichung einer gemeinsamen Perspektive mittels des 3C-Ansatzes erscheint sinnvoller als ein isoliertes Vorgehen  ; • NGOs können nicht als integrierter Teil eines gesamtstaatlichen Ansatzes betrachtet werden, sondern im Sinne eines koordinierten, komplementären und kohärenten Vorgehens.61 Auf der Basis der handlungsorientierten Erkenntnisse formulierten die Teilnehmer der 3C-Konferenzen in Genf und Wien 16 Grundsätze und Ziele, die hier zusammenfassend dargestellt sind. Ganz oben auf der Liste steht die Erkenntnis, wonach Friedensprozesse nur dann nachhaltig sind, wenn die Zivilgesellschaft (sofern vorhanden) eingebunden wird. In diesem Zusammenhang kommt dem „Local Ownership“ eine besondere Bedeutung für Nachhaltigkeit zu. Aber auch eine gemeinsame Vision für das Engagement in fragilen Situationen von Betroffenen und internationalen Akteuren ist notwendig, damit die Hilfsprogramme eine nachhaltige Wirkung entfalten können. Des Weiteren kommt der Konfliktprävention mithilfe eines gemeinsamen Analyseverfahrens und koordinierten Planungsprozesses für die Stabilisierung von fragilen Situationen große Bedeutung zu. Konfliktprävention soll, noch bevor ein Konflikt in gewalttätige Auseinandersetzungen übergeht, zwischen den Parteien vermitteln. Ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen den Akteuren des Konfliktmanagements ist hierfür erforderlich. Die angenommenen Grundsätze und Ziele sollen negative Auswirkungen eines internationalen Engagements vermeiden. Eine systematische Aus- und Fortbildung sowie die Herausbildung entsprechender Fähigkeiten 61 Vgl. a.a.O., S. 56f.

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sind hierfür erforderlich, um eine dauerhafte Deeskalation in einem Konflikt zu erreichen. Aber auch die Beachtung der VN-Resolutionen 1.894 („Protection of Civilians in Armed Conflicts“) und 1.325 („Schutz von Frauen in bewaffneten Konflikten“) wurde als Grundsatz und Ziel in das Wiener 3C-Dokument aufgenommen. Der zwölfte Grundsatz des Wiener Appells ist besonders für nicht staatliche, humanitäre Hilfsorganisationen gedacht. Hier werden „Menschlichkeit“, „Unabhängigkeit“, „Unparteilichkeit“ und „Neutralität“ als oberste Prinzipien der humanitären Hilfe festgehalten. Damit wird die grundsätzliche Eigenständigkeit sowie Selbstverantwortlichkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen in fragilen Situationen anerkannt. Zivile Aufgaben sollen vonseiten internationaler Friedensmissionen nur dann übernommen werden, wenn keine zivile Organisation hierfür verfügbar ist. Die Einbindung von Organisationen, die Minderheiten und diskriminierte Gruppen vertreten, wird im 3C-Ansatz besonders unterstützt. Die Erkenntnisse von NGOs sollen in fragilen Situationen auch den staatlichen Partnern einer internationalen Friedensmission zur Verfügung stehen. Der „Grad der Kooperation“ zwischen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren in fragilen Situationen ist „kontextabhängig“ und ist von Fall zu Fall zu bestimmen.62

Operationalisierung Wegen zahlreicher struktureller und politischer Fragen hinsichtlich multilateraler Kooperationen und den damit verbundenen Schwierigkeiten zeigt sich sehr deutlich, dass lediglich große Organisationen in der Lage wären, einen CA-Ansatz umzusetzen. Der politische Wille für mehr Politikkohärenz ist aber nicht so weit vorhanden, dass es für eine Realisierung ausreichen würde. Das zeigen unterschiedliche Konzepte für integrierte Missionen bereits vor. Experten, und hier vor allen Eva Gross, Günther Barnet, Karsten Friis und Pia Jarmyr, sind der Ansicht, dass vor allem die EU einen umfassenden Ansatz zur Stabilisierung von fragilen Situationen glaubwürdig vertreten kann. Die EU verfügt im Krisenmanagement nicht nur über eigene militärische Fähigkeiten, sondern auch über die erforderlichen politischen und zivilen Komponenten. Außerdem wird der europäische Zugang zum Thema Krise und Konflikt international als „neutral“ perzipiert, weil er in der Regel kultursensibler ist als bspw. jener der USA. Die Bevölkerung in einer betroffenen Krisenregion toleriert eher den „weichen“ Ansatz der EU als jenen der USA, wie die Beispiele Irak und Afghanistan verdeutlichen. Für Joseph 62 Vgl. a.a.O., S. 57ff.

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Nye verfügt die EU über eine beachtliche Menge an „Weicher Macht“, die sich aus ­einem kultursensitiven und historischen Kontext speist. Nicht zuletzt wegen dieser Zuschreibung von „Weicher Macht“ wird die Europäische Union die zentrale Institution für die Umsetzung eines CA bleiben, wie auch Eva Gross in ihrem Bericht schreibt. Die NATO hat bereits festgestellt, dass sie keinen selbstständigen Weg zur Etablierung eines CA gehen wird. Vielmehr kann sie nach eigener Darstellung als Kooperationspartner bei der Umsetzung eines allfälligen umfassenden Ansatzes zur Bewältigung von fragilen Situationen fungieren. Der komplementäre Charakter einer CA-relevanten Kooperation in fragilen Situationen ergibt sich auf NATO-Seite durch das Vorhandensein glaubwürdiger militärischer Fähigkeiten, wohingegen aufseiten der EU eine kultursensitive, zivil-militärische Komponente inklusive eines beachtlichen „Entwicklungsbudgets“ vorhanden ist. Kosovo

Die oben erwähnte CA-relevante Komplementarität wird im Kosovo deutlich. Während die NATO den militärischen Teil erfüllt, kann eine zivile Repräsentation der EU (International Civilian Representative for Kosovo, ICR) in der Person von Peter Feith als „politischer Katalysator“ für die Annäherung des Kosovo an die internationale Gemeinschaft – insbesondere an die EU – dienen. Davon profitierte in den vergangenen Jahren auch das demokratische Gefüge der noch jungen kosovarischen Nation. Durch die massive europäische Komponente war eine nachhaltige Konflikttransformation möglich. Eine landesweite Gewalteskalation oder ein neuerlicher bewaffneter Konflikt mit Serbien kann aus heutiger Sicht ausgeschlossen werden. Die politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen der involvierten Konfliktparteien haben einen nachhaltigen Reorientierungsprozess auf der Grundlage einer vergleichsweise positiven Konflikttransformation in Richtung „Europa“ erfahren. Der tendenziell positive Befund vom langen internationalen Konfliktmanagement im Kosovo bedeutet aber noch nicht, dass es sich um einen per se erfolgreichen CA gehandelt hat. Vielmehr war die faktische Präsenz internationaler Akteure (militärisch wie zivil) ausschlaggebend für die Konflikttransformation. Eine inhaltliche und strukturelle Abstimmung hat zwar auf strategischer Ebene stattgefunden, jedoch nicht auf lokaler Ebene. Dadurch wurden viele Möglichkeiten für eine noch raschere Konflikttransformation verspielt  ; bspw. Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft im Sinne eines Leitfadens für Sicherheit und Entwicklung. Mit anderen Worten  : eine konzeptionelle Politikkohärenz eines 3C-Ansatzes fehlte im Falle des Kosovo.

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Afghanistan

Auch für den Afghanistan-Einsatz lassen sich ähnliche Aussagen treffen, wie Markus Gauster in einem Beitrag ausführt.63 Die massive internationale Präsenz hat in Teilen des Landes eine Modernisierung hervorgerufen, die allerdings in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht noch nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann. Beobachter meinen, dass die kleptokratischen Züge des politischen Systems in Form der herrschenden Eliten einen Rückfall in die Zustände vor der Vertreibung der Taliban begünstigen. Die Afghanistan National Development Strategy (ANDS) stellt zwar den Versuch einer gemeinschaftlich formulierten Strategie für eine nachhaltige Entwicklung für Afghanistan dar, der allerdings auf regionaler Ebene durch zahlreiche Partikularinteressen und unterschiedliche Zugänge zur Stabilisierung des Landes konterkariert wird. So verfolgen die USA andere Schwerpunkte als Deutschland, Großbritannien oder Dänemark. Auch die UNO hat ihre eigenen Ziele und eine eigene Arbeitweise, die sich mit anderen Akteuren maximal auf der obersten strategischen Ebene (graduell) abstimmen lassen. Auf einen ganz ähnlichen Befund verweist Martin Pabst von der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Er beschreibt die drei Friedensmissionen UNAMID, MINURCAT und EUFOR Tchad/RCA als „grundsätzlich innovativ“, weil sie als Testfall für die Zusammenarbeit multilateraler Organisationen gelten können. So werden knappe Ressourcen gebündelt und verschiedene Fähigkeiten komplementär eingesetzt.64 Nach Auffassung von Pabst werden allerdings grundlegende Fehler des Internationalen Krisenmanagements der vergangenen zwei Jahrzehnte wiederholt. So werden miteinander verbundene Konflikte – hier Südsudan, Ostsudan, Darfur und Tschad – getrennt behandelt.65 Im Allgemeinen sind EU, NATO und UNO die maßgeblichen Akteure des IKKM, die jedoch unterschiedliche Referenzen abdecken, was sich besonders in den Einsatzräumen bemerkbar macht. Das hat auch Eva Gross konstatiert, indem sie der Missionsebene Verbesserungspotenziale attestiert  : […] the EU is in an advantageous position to implement a comprehensive approach. In practice the

63 Gauster, Markus  : Comprehensive Approach – Anspruch und Realität am Beispiel Afghanistan. In  : Feichtinger/Braumandl-Dujardin/Gauster (8/2011), S. 67–138. 64 Pabst, Martin  : UNAMID, MINURCAT und EUFOR Tchad/RCA  : Vorgeschichte, Ziele, Mandate, Strukturen und aktueller Stand. In  : Feichtinger, Walter/Hainzl, Gerald (Hg.)  : Krisenmanagement in Afrika. Erwartungen – Möglichkeiten – Grenzen. Reihe  : Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement. Bd. 3. Wien 2009, S. 85–110, hier S. 85. 65 A.a.O., S. 109f.

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experience of individual crisis missions has revealed room for improvement when it comes to increasing coherence among EU instruments.66 Doch wie kann man nun komplexe Missionen in fragilen Situationen konzeptionell gestalten, sodass sie im Sinne des 3C-Ansatzes tatsächlich dem Prinzip der Politikkohärenz entsprechen  ? Auf oberster politischer Ebene sind die gemeinsamen Ziele zu definieren, die idealerweise von den relevanten Akteuren (lokalen Akteuren und internationalen Partnern) anerkannt und mitgetragen werden. Die Politik kann über das Instrument des Mandates (Festlegung realistischer Ziele) einen Konsens hinsichtlich gemeinschaftlicher Ziele herstellen. Problematisch wird es bei der Umsetzung in Form der konkreten Mandatsimplementierung im Krisengebiet. Thomas Starlinger hat im Rahmen der internationalen 3C-Konferenz in Wien ein Modell für eine Operationalisierung des Leitkonzeptes für Politikkohärenz entwickelt. Seine Methode versucht über eine offene Struktur der Koordination diverse Programme, Projekte und Operationen der Akteure zu erfassen. Operationalisierung eines CAs auf der Grundlage des 3C-Konzepts

Während Experten auf die unterschiedlichen Begriffe verweisen, die wiederum auf Policy-Ebene ein Problem für die Konkretisierung des CA darstellen, vertritt Starlinger die Auffassung, dass der theoretische Konsens hinsichtlich der „Hauptbereiche und der Notwendigkeit einer entsprechenden Methode zur Umsetzung“ für die Operationalisierung durchwegs ausreichend sei.67 Sein Ansatz zur Operationalisierung greift auf einen sogenannten „Blueprint Mechanism“ (BM) mit entsprechenden Instrumenten für eine erfolgreiche Umsetzung zurück. Der CABlueprint Mechanism deckt vier Entwicklungsfelder ab  : 1. Sicherheit, 2. Governance, 3. Wirtschaft und Infrastruktur und 4. Sozialsystem. Nach Auffassung von Starlinger kann dieses Schema auf nahezu alle Konfliktgebiete – trotz ihrer Unterschiedlichkeiten – angewendet werden.68 Um die Kom66 Gross (2008), S. 9f. 67 Vgl. Starlinger, Thomas  : Operationalisieren des „Comprehensive Approach“ im Sinne des 3C-Ansatzes. In  : Feichtinger/Werther-Pietsch/Barnet (12/2010/S), S. 138. 68 Vgl. a.a.O., S. 139.

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plexität sicherheitspolitischer Herausforderungen in Krisenregionen strukturieren zu können, müsste ein CA für Starlinger die folgenden Hauptkriterien erfüllen. Kohärentes, koordiniertes und komplementiertes Vorgehen durch ein klares und aktuelles (Lage-)Bild inklusive Status (Bewertungssystem), das in der Lage sein muss, Duplizierung von Aktivitäten zu vermeiden. Ferner sind Prozesse zu vereinheitlichen, um die Entwicklung einer sogenannten „Sektorenstrategie“69 für die jeweiligen Entwicklungsfelder zu ermöglichen. Für ein 3C-Vorgehen ist auch eine kontinuierliche Aufzeichnung der aktuellen und geplanten Unterstützungen für die Bedarfsdeckung erforderlich. Einem umfassenden Ansatz sollte im Idealfall ein Aktionsplan zugrunde liegen, der eine Prioritätenreihung beinhaltet. Daneben ist ein Managementsystem, ein interoperables Berichtsverfahren und eine Schnittstelle zwischen lokaler Regierung und Entwicklungspartnern einzurichten.70 Der CABlueprint Mechanism ist quasi der „Fahrplan“ zur Umsetzung eines umfassenden Ansatzes, der vier Hauptbestandteile aufweist  :71 • Ein „Blueprint Document“ behandelt die vier oben erwähnten Entwicklungsbereiche, um die darin enthaltenen laufenden Projekte zu erfassen. Damit können Duplizierungen und Überlappungen vermieden werden. • Mithilfe von „Sektorenstrategien“ und einem entsprechenden Planungsverfahren soll der Bedarf auf regionaler Ebene unter Berücksichtigung der jeweiligen Länderstrategien Aufschluss über Prioritäten und erforderliche Aktionspläne geben. • Als Planungswerkzeug soll ein sogenanntes „Comprehensive Management System“ (CMS) als eine umfassende und permanent aktualisierte Wissensdatenbank fungieren. • Ein interoperables Berichtssystem zum Zwecke des einfachen Austausches von Informationen rundet CA-BM ab. Folgt man der „inhärenten Logik und Transparenz“72 des CA-BM, so wird die Interaktion zwischen den relevanten Akteuren im Sinne des sogenannten „Interacting Triangle of State/Peace Building“ unterstützt (siehe Tabelle).

69 Ebd. 70 Ebd. 71 A.a.O., S. 139–140. 72 A.a.O., S. 140.

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Wolfgang Braumandl-Dujardin

Interacting Triangle of State/Peace Building Transparenz

Was wird durch wen durchgeführt  ?

Eigentümerschaft

Wer ist für was verantwortlich  ?

Fortschritt

Wie viel ist bis dato erreicht worden  ?

Quelle  : Starlinger 12/2010/S, S. 140.

Der hier beschriebene Ansatz für eine Operationalisierung des CAs auf der Grundlage des 3C-Konzeptes wurde in der Praxis noch nicht angewendet. Die Überlegungen haben aber einen konkreten Bezug zur internationalen Friedensmission im Kosovo, wodurch eine gewisse Praxistauglichkeit abgeleitet werden kann.

Conclusio Ein umfassender Ansatz beschreibt ein strukturelles, fallbezogenes Konzept zur Bewältigung von fragilen Situationen mittels Politikkohärenz. Dieser Ansatz setzt den politischen Willen voraus, um erforderliche Mittel, Kapazitäten und Strukturen für ein gesamtheitliches Vorgehen etablieren zu können. Der politikwissenschaftliche Diskurs verdeutlicht die Komplexität eines koordinierten Prozesses unter den aktuellen politischen Realitäten von Globalisierung und Interdependenz. Multilaterale Organisationen können hier unter Rückgriff auf das Prinzip des Multilateralismus einen Minimalkonsens für einen umfassenden Ansatz generieren, aber auch hier ist der politische Wille von staatlichen Akteuren ausschlaggebend. Der politologisch-theoretische Grunddiskurs zeigt in diesem Zusammenhang sehr deutlich, wie schwierig eine gesamtheitliche Herangehensweise im Sinne eines CA ist. Über den Fachdiskurs können jene Gegenstände benannt werden, die über einen CA gemeinsam erreicht werden sollen (bspw. Aufbau einer Zivilgesellschaft, Förderung von lokalen NGOs, Stärkung von staatlichen Einrichtungen, Ausbildungsschwerpunkte etc.). Der wissenschaftliche und politische Diskurs hinsichtlich umfassender Ansätze hat sich in den vergangenen zwei Jahren dahin gehend konkretisiert, dass die Definitionsproblematik, die Herausforderungen in Bezug auf erforderliche Schnittstellen zwischen den verschiedenen Ebenen und die Probleme bei der Operationalisierung erkannt wurden. War davor der Begriff des Comprehensive Approach quasi konzeptwertig mit dem Anspruch einer operationalisierbaren Komponente für das IKKM, so ist heute über den wissenschaftlichen Diskurs ein 90

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strukturiertes Verständnis des CA entstanden (z. B. Definitionen, CA-Ebenen, Schnittstellenproblematik etc.). Daraus hat die internationale Gemeinschaft – insbesondere Staaten und nicht staatliche Akteure aus dem Umfeld der Vereinten Nationen – den 3C-Ansatz entwickelt. Der Ansatz hat zahlreiche äquivalente „Komplementärmodelle“, wie bspw. den 3D-Ansatz, die britische Stabilisation Unit73 oder die deutsche Vernetzte Sicherheit. Im Grunde verfolgen aber alle Modelle für mehr Politikkohärenz ein gemeinschaftliches Ziel  : die Stabilisierung fragiler Situationen. Internationale Sicherheit hängt heute stärker denn je von den Fertigkeiten zur Bewältigung von Machtdiffusion ab. Verantwortungsvoll handelnde demokratische Staaten tragen für das Funktionieren des internationalen Systems nach wie vor große Verantwortung. Dennoch müssen auch sie erkennen, dass ihr Gestaltungspotenzial mittlerweile von einer ausgeprägten netzwerkähnlichen Begleitkomponente (z. B. internationalen Konzernen, Social Web, Cyberaktivisten, organisierter Kriminalität, informellen Netzwerken etc.) mitbestimmt wird. Grundgedanke des umfassenden Ansatzes ist es, möglichst viele relevante Akteure einzubinden und gemeinsam eine Lösung für ein bestimmtes Problem zu finden. Dabei gibt es allerdings das Dilemma der multilateralen Diplomatie, alle relevanten Auffassungen beachten zu wollen und trotzdem zu einem raschen und brauchbaren Ergebnis zu kommen. Diese Herausforderung besteht besonders für die Bemühungen im Rahmen eines koordinierten, komplementären und kohärenten Vorgehens zur Bewältigung von fragilen Situationen.

73 Vgl. Teuten, Richard  : Civilian-Military Collaboration. The Stabilisation Unit Coming of Age  ? RUSI, London 2010.

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Zehn Jahre Krisenmanagement in Afghanistan – eine Bilanz Nach den Anschlägen des 11. September 2001 wurde schnell nachvollziehbar, dass Osama bin Laden und das Al-Kaida-Netzwerk gemeinsam mit dem sie beherbergenden Taliban-Regime dafür verantwortlich zu machen waren. Dass bin Laden damals nicht ausgeliefert wurde, kann als vergebene Chance und wesentlicher Grund für die am 7. Oktober 2001 begonnene Militärintervention Operation Enduring Freedom (OEF) der USA und ihrer Verbündeten bezeichnet werden. In der Folge wurden die Taliban rasch gestürzt, aus den Ballungsräumen vertrieben und Ausbildungsstätten der Al Kaida zerschlagen. Die internationale Staatengemeinschaft bemühte sich anschließend auf Basis eines Mandates der UNO, in Afghanistan für Sicherheit zu sorgen, den Aufbau eines funktionstüchtigen Staates zu unterstützen und die Ausbreitung von Terrorzentren im Grenzgebiet Afghanistan/Pakistan zu verhindern. Afghanistan wurde dadurch aus kritischer Sicht zu einem Experimentierfeld1 des Internationalen Konflikt- und Krisenmanagements (IKKM). Die Intervention hat mittlerweile Vietnam als längsten Militäreinsatz der USA abgelöst. Während amerikanische Truppen in Vietnam ca. neun Jahre im Einsatz standen, jährte sich ihr Einsatz in Afghanistan 2013 bereits zum zwölften Mal. Nach anfänglich positiven Entwicklungen konnte die Aufbruchsstimmung nicht genutzt werden. Ein Hauptgrund dafür ist – aus westlicher Sicht – der Mangel an Legitimität der Behörden durch ihre Verstrickung in Korruption.2 In weiten Teilen Afghanistans herrscht 2013 Krieg, der sich vor allem durch das graduelle Wiedererstarken der Taliban und in einer sich dramatisch verschlechternden Sicherheitslage manifestiert. Viele ehemals für zivile Helfer zugängige Gebiete sind zu verbotenen Zonen geworden. Der strikte Ausschluss nicht staatlicher, bewaffneter Gruppen von der Regierungsbeteiligung und die steigenden zivilen Opferzahlen stellen weitere Gründe für Unruhen in weiten Teilen des Landes 1 Vgl. Wagner, Jürgen  : Lackmustest Afghanistan. Der Hindukusch als Experimentierfeld für Zivilmilitärische Aufstandsbekämpfung und Neoliberalen Kolonialismus. IMI-Studie 11/2008. 2 Diese These wird oft bestritten. Die Korruption und Drogenökonomie grassieren, jedoch stellen sich die Zusammenhänge oft komplexer dar, als aus westlicher Sicht dargestellt.

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dar.3 Nur die Präsenz internationaler Streitkräfte kann eine Rückkehr militanter oppositioneller Kräfte (MOK) nach Kabul vorerst verhindern. Mehrere Teilprovinzen bzw. Distrikte des Landes können durch internationales Militär bzw. afghanische Sicherheitskräfte nicht (mehr) kontrolliert werden.4 Der Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF) macht die Grenzen für externes Engagement in Bereichen wie Sicherheit, Staatsaufbau und sozioökonomische Entwicklung besonders deutlich. Idealistische Bestrebungen zum Aufbau eines an „westlichen Werten“ orientierten Staates wurden von der Realität eingeholt. 2013 scheint Afghanistan in Gewalt und Korruption zu versinken und ist von der Drogenökonomie strukturell abhängiger als jeder andere Staat. 90 Prozent der weltweiten Opiumproduktion gehen auf Afghanistan zurück.5 Die Faktoren Zeit und Ressourcenknappheit sowie die europäische und amerikanische Schuldenkrise drängen auf eine Beendigung des Militäreinsatzes. Vor allem für das Streitkräfte-Budget der USA stellt Afghanistan einen (zu) hohen Kostenfaktor dar, der wesentlich zur Ankündigung des Truppenrückzuges für 2014 beigetragen hatte. Wie Präsident Obama verlautbarte, ließe sich durch die Beendigung der Kriege in Afghanistan und Irak eine Billion Dollar einsparen.6 Unabhängig von der Ressourcenfrage würde ein „Scheitern“ – z. B. nach einem möglicherweise zu schnellen Rückzug – nicht nur ein Scheitern der NATO bedeuten, sondern auch die Sinnhaftigkeit eines Staatsaufbaus von außen generell infrage stellen. Entscheidend für die NATO und vor allem die USA wird daher sein, ob und wie der militärische Einsatz ohne Gesichtsverlust auslaufen kann. Mit dem beabsichtigten Truppenrückzug entsprechen die Truppensteller jedenfalls der Stimmung in der jeweiligen Bevölkerung. Laut einer Umfrage vom Juni 2011 sind 56 % der US-Amerikaner für einen schnellstmöglichen Abzug der USTruppen – dies nicht zuletzt deshalb, da mit der Ausschaltung von Osama bin 3 Vgl. Hippler, Jochen  : Die neue Afghanistan-Strategie der Regierung Obama, Friedensgutachten 2010, Lit Verlag, Berlin 2010  ; weiterführend De Waal, Alex  : Mission without end  ? In  : International Affairs 85  :I (2009), S. 89–113. 4 Nach Angaben von US-Generalleutnant Mark Milley kontrollieren Aufständische 15–20 % des afghanischen Territoriums. Siehe Gady, Franz-Stefan  : „Das ist eine harte Truppe mit harten Leuten“. In  : Der Standard, 12.9.2013. 5 Vgl. Seifert, Thomas  : Wien als Zentrum im Kampf gegen afghanisches Opium. In  : Die Presse, 16.2.2012. 6 Vgl. Trotz Schuldenkrise nur zögernde Sparbemühungen  ? Die immensen US-Militär­ausga­ ben. (abgerufen am 1.2. 2012).

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Laden am 2. Mai 2011 eine wesentliche Begründung des Einsatzes für die USA weggefallen ist.7

1. Die Phasen der Intervention Die ISAF wurde im Dezember 2001 im Zuge der Petersberger Konferenz („Bonn I“) vom UN-Sicherheitsrat als friedensschaffende Mission (nach Kapitel VII der UN-Charta) ins Leben gerufen. Auf (entwicklungs-)politischer Ebene wurden seitdem bis 2011 insgesamt acht (Geber-)Konferenzen abgehalten, die den Wiederaufbau geordneter Strukturen in Abstimmung mit dem militärischen Engagement ermöglichen sollten.8 Das internationale Engagement in Afghanistan kann dabei in drei Zeitphasen gegliedert werden  : Die erste Phase (2001–2005) stand im Zeichen des Light Footprint-Ansatzes der UNO (Ideengeber  : Lakhdar Brahimi)  : So wenig Truppen wie möglich sollten präsent sein, um den Eindruck einer Besatzungsmacht wie zur Zeit der russischen Okkupation 1979–1989 zu vermeiden. Wie auch aus ihrem Namen „Assistance Force“ ersichtlich, war ISAF zunächst vor allem zur Unterstützung der afghanischen Regierung und Schaffung eines sicheren Umfeldes für zivile Kräfte gedacht. Ihre Truppenstärke umfasste anfangs weniger als 5.000 Soldaten. Das Mandat bezog sich lediglich auf den Raum Kabul, wo sie für Sicherheit sorgen und den Wiederaufbau unterstützen sollte. Die Idee war gut, beruhte aber im Nachhinein betrachtet auf einer Fehleinschätzung, da gerade in der ersten Phase mehr Personalressourcen (militärisch und zivil) nötig gewesen wären, um auch in den ländlichen Gebieten zügig nachhaltige Strukturen aufzubauen. Nach der Einsetzung einer afghanischen Übergangsregierung im Jahr 2002 übernahm die NATO 2003 das Kommando über die ISAF. 2004 wurde Hamid Karzai zum Präsidenten gewählt und 2009 in einer von Korruptionsvorwürfen überschatteten Wahl bestätigt. Der ISAF-Einsatz hatte das Ziel, durch Sicherheitsunterstützung einen bestimmten Zustand („End-State“) zu erreichen, brachte aber nicht die gewünschte Entwicklung. Mit zunehmenden Übergriffen von MOK und der damit einhergehenden Verschlechterung der Sicherheitslage konnte spätestens 2005 an der 7 Vgl. Obama to Announce Plans for Afghan Surge Pullout, New York Times, 20.6.2011. (abgerufen am 1.4.2012). 8 Die Konferenzen waren in Bonn 2001, Tokio 2002, Berlin 2004, London 2006, Paris 2008, London 2010, Kabul 2011 sowie in Bonn 2011. (abgerufen am 2.4.2012).

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klein dimensionierten Truppe nicht mehr festgehalten werden. Es erfolgte in dieser zweiten Phase (2006–2011) ein Strategiewechsel zu aktiver, umfassender Aufstandsbekämpfung (COIN) und einer damit einhergehenden massiven Truppenaufstockung (Surge) nach Vorbild des US-Engagements im Irak. Anfang 2011 erreichte ISAF mit ca. 150.000 stationierten Soldaten die höchste Truppenstärke, vergleichbar mit der sowjetischen Armeestärke in Afghanistan um 1985. Damit konnte ISAF sich zwar militärisch halten und die afghanische Regierung erhalten, aber keine grundlegende Änderung der Strukturen herbeiführen. 2010 kündigten die USA – ähnlich wie während der Besetzung des Iraks 2003– 2011 – einen graduellen Truppenabzug bis 2014 und die Übergabe an lokale Verantwortungsträger an. Die Abzugsphase (Transition Phase, Phase drei) seit Mitte 2011 stellt eine Zäsur im bisherigen internationalen Engagement in Afghanistan dar, weil nunmehr ein willkürlich gewähltes Datum unabhängig vom bisher Erreichten zur Vorgabe wurde – wie im Irak 2009. Im August 2013 waren noch ca. 87.000 ISAF-Soldaten in Afghanistan stationiert.9 Von der ursprünglichen Absicht, militärische Unterstützung bis zur Schaffung eines ausreichend funktionierenden Staates zu leisten, rückte man ab. Damit sind westliche Truppen, zivile Akteure und die afghanische Regierung lokal bzw. international unter Druck geraten, während sich MOK in einer gestärkten Position sehen, da die Zeit für sie arbeitet. Dazwischen steht die nach wie vor auf eine „Friedensdividende“ wartende und zunehmend desillusionierte afghanische Bevölkerung. Zentrale Frage ist, ob die afghanischen Sicherheitskräfte in der Lage sein werden, den Kampf gegen Aufständische anzuführen und sich langfristig durchzusetzen.

2. Mandate und Strategien für Afghanistan – eine Illusion in der Umsetzung  ? Es stellt sich nicht nur die Frage, welche Wege das IKKM in Afghanistan im letzten Jahrzehnt beschritten hat, sondern auch welche Irrwege eingeschlagen wurden. Die bitteren Lehren und kargen Ergebnisse der Intervention zeigen mangelnde Transformationsfähigkeit und Transformationswilligkeit afghanischer Strukturen. Der existierende Mix an internationalen Mandaten, Strategien und Interessen stellt sich als sehr komplex dar und wird durch unterschiedliche Ambitionen der beteiligten Akteure („politischer Wille“) beeinflusst. 9 Vgl. International Security Assistance Force (ISAF)  : Key Facts and Figures. Stand  : 1.8.2013. (abgerufen am 13.9.2013).

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Als einflussreichster Akteur verfolgen die USA in Afghanistan als (offizielle) strategische Ziele (1) die Verwehrung eines sicheren Zufluchtsortes für Al Kaida, (2) die Verbesserung der Legitimität der afghanischen Regierung in der Bevölkerung sowie (3) die Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte, sodass diese Führungsverantwortung übernehmen und an Wirkmöglichkeiten hinsichtlich des „KraftRaum-Zeit“-Kalküls gegenüber den Taliban gewinnen können. Für die Umsetzung dieser Ziele werden drei Faktoren als kritisch angesehen  : Ein militärischer Einsatz zur Verbesserung der Sicherheitslage und zur Schaffung von Bedingungen für eine erfolgreiche Übergabe der Verantwortung an afghanische Kräfte  ; eine Ergänzung des militärischen Einsatzes durch zivile Kräfte und Kapazitäten sowie eine effektive Partnerschaft mit Pakistan.10 Die Ziele der OEF, die durch kein direktes UN-Mandat legitimiert ist, erscheinen im Hinblick auf die Umsetzung der strategischen US-Zielsetzungen nachvollziehbar bzw. kohärent  : Verfolgung hochrangiger Taliban und Al-KaidaMitglieder  ; Zerschlagung militanter Führungskader und der Netzwerke von Taliban, Al-Kaida sowie den Gruppen um Gulbuddin Hekmatyar und Jalaluddin Haqqani  ; Bekämpfung der Drogenökonomie und des Banditentums. Gesicherte Informationen zur OEF sind nur schwer zu erhalten bzw. unterliegen der Geheimhaltung. Dies unterstreicht die zunehmende Bedeutung verdeckter Operationen sowie von Spezialeinsatzkräften und Geheimdiensten beim Einsatz in Afghanistan. ISAF wiederum führt gemäß Operationsplan in Partnerschaft mit der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft umfassende Counterinsurgency-Operationen (COIN) durch. Sie unterstützt den Aufbau staatlicher Institutionen, die Legitimität in der Bevölkerung genießen sollen, sowie den Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte und Infrastruktur, um den Einfluss Aufständischer zu neutralisieren, die Bevölkerung zu schützen und um ein ausreichendes Funktionieren der Institutionen sowie ein sicheres und stabiles Umfeld zu gewährleisten. Der Beitrag der ISAF zur Reform des Sicherheitssektors umfasst Mentoring, Training und Unterstützungsleistungen für die afghanische Armee und Polizei. Am Papier erscheinen die Ansätze von OEF und ISAF kohärent – die Praxis schaut etwas anders aus  : Zwar sind – zumindest in Zahlen – ausreichend Truppen vorhanden, jedoch die seit Beginn der Intervention praktizierte Doppelstrategie der Unterstützung von Stabilisierungsbemühungen durch die ISAF 10 Vgl. Report on Progress toward Security and Stability in Afghanistan. In  : Report to Congress, Washington 2010 (Übersetzung).

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bei gleichzeitiger Bekämpfung militanter oppositioneller Führungskader durch die OEF führte zu Abstimmungsproblemen, (völker)rechtlichen Unklarheiten und unterschiedlichen Einsatzmandaten der Truppensteller. Diese Umstände erschweren seit nunmehr zehn Jahren eine positive Transformation des Konfliktes. Es fehlt ein eindeutiges Mandat, mit dem sich alle beteiligten Kräfte identifizieren können. So dominieren Partikularinteressen und Counterinsurgency-Ansätze bzw. Operationspläne, die von Staat zu Staat unterschiedlich ausgelegt werden. Auf ziviler Seite existieren politisch geprägte Entwicklungsstrategien wie die Afghanistan National Development Strategy (ANDS), Strategiepapiere der Entsendestaaten oder Mandate der UNO. Die ANDS wurde von den Technokraten der Regierung Karzai zusammen mit der Weltbank-Gruppe und dem Internationalen Währungsfonds ausgearbeitet. Ziel der ANDS ist es, „den Privatsektor zu befähigen, Afghanistans Entwicklungen zu einer wettbewerbsfähigen, marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft anzuführen und die Drogenindustrie zu beseitigen“.11 Dabei spielt das in Wien ansässige UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) eine zentrale Rolle. Die ANDS sieht als Vision von Afghanistan im Jahr 2020 „eine stabile islamische konstitutionelle Demokratie, die in Frieden mit sich und ihren Nachbarn existiert“. Sie bezieht sich auf alle Bereiche, die ein funktionierender Staat umfassen sollte (acht Teilbereiche, siehe Grafik 1). Der Bereich Sicherheit umfasst den Aufbau von Armee und Polizei sowie die Programme zur Auflösung illegaler bewaffneter Gruppierungen, Minenräumung und die Bekämpfung der Drogenökonomie. Weiters steht neben guter Regierungsführung vor allem der sozioökonomische Entwicklungsbereich im Vordergrund. Es geht dabei um die Verbesserung ländlicher Strukturen (Landwirtschaft, Infrastruktur- und Arbeitskräfteaufbau) und (transparente) Kanalisierung von Hilfsgeldern, was positiv zu beurteilen ist. Kritisch betrachtet kann die ANDS jedoch auch als Versuch gesehen werden, eine nicht westliche Volkswirtschaft (bzw. Schattenwirtschaft) langfristig in ein globales Wirtschaftssystem zu integrieren, das wiederum von westlichen Wirtschaftsinstitutionen dominiert wird.12 Die UN-Mandatierung als Basis für die Aktivitäten des IKKM verlangt u. a. von den ISAF-Entsendestaaten, das Land beim Aufbau staatlicher Institutionen, in den Angelegenheiten der Drogenpolitik sowie dem Bereich guter Regierungsführung (siehe ANDS) zu unterstützen. Die UN-Resolution UNSCR 1974 (2011) aner11 Vgl. Maas, Citha  : Paradigmenwechsel in Afghanistan. Eigenverantwortung der afghanischen Regierung statt Geberprioritäten. In  : SWP-Aktuell 44. Berlin, Mai 2008, S. 2. 12 Vgl. Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. New York 1996.

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kennt, dass eine Stabilisierung der Situation nicht allein mit militärischen Mitteln erreicht werden kann, betont die Wichtigkeit des Local Ownership-Prinzips und bekräftigt die Rolle des Joint Coordination and Monitoring Board (JCMB)13 zur Koordination und Überwachung der Umsetzung des 2010 eingeleiteten Kabul Process. In diesem Kontext werden Transparenz, Verantwortlichkeit politischer Akteure und Förderung demokratiepolitischer Initiativen eingefordert.14 Grafik 1

 

Die Forderungen der UNO sind zum Teil auch in der US-Strategie, dem ISAFOperationsplan sowie in der ANDS enthalten. Vergleicht man die unterschied13 Das JCMB ist ein Gremium, das sich mit der strategischen Koordination und der Implementierung des Afghanistan Compact befasst. Es besteht aus sieben hochrangigen afghanischen Vertretern (v.a. Minister) und 21 internationalen Vertretern (militärisch und zivil). Den Vorsitz (Co-Chair) haben der „Senior Economic Advisor to the President of the GoA“ sowie der „Special Representative of the Secretary General for Afghanistan“ (SRSG/UNO). Vgl. (abgerufen am 1.6.2011). 14 Security Council Resolution 1890 (2009). Adopted by the Security Council at its 6198th meeting, on 8 October 2009. New York 2009.

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lichen Ansätze involvierter Staaten und Organisationen, so sind unterschiedliche politische Ambitionen bzw. Positionen der Akteure im Hinblick auf Afghanistan feststellbar. Während die Vorgaben am Papier relativ kohärent sind, liegen Anspruch und Einsatzrealität weit auseinander. ISAF hat die fast unlösbare Aufgabe, gleichzeitig Zivilisten zu schützen, militante Aufständische zu identifizieren und Aufstandsbekämpfung zu betreiben.15 Eine Abstimmung der Einzelstrategien im Sinne eines koordinierten Vorgehens ist unrealistisch bzw. politisch nicht gewollt. Dies zeigt sich anhand der politischen Mission United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA). UNAMA leistet u. a. wichtige Arbeit bei rechtsstaatlichen Initiativen, im Monitoring oder beim Schutz der Zivilbevölkerung. Trotzdem wird UNAMA international als wenig relevanter Akteur in Afghanistan wahrgenommen. Vielfach wird angeführt, dass diese Mission mit ihrer gemäß Mandat vorgesehenen Koordinationsrolle überfordert ist, was sich bereits intern manifestiert  : So haben UN-Funds, -Programme und -Sonderorganisationen ihre eigenen Mandate. ISAF wird als „nicht koordinierbar“ beurteilt und sieht sich in der Rolle „wir sind alleinverantwortlich  ; andere arbeiten uns zu“. Dass man Teil einer gemeinsamen Anstrengung sei, wäre nicht die Einstellung bei ISAF  ; so werde die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) eher als Zuarbeiter gesehen. Das ISAFSelbstverständnis als Hauptakteur übertrug sich sogar auf die Felder Governance und Entwicklung. Erst mit der Zeit erkannte man, dass ISAF auf diesen Feldern nur eine Nebenrolle spielt. Die Kapazitäten und Denkweisen sind dementsprechend sehr unterschiedlich, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss  : So arbeiten im ISAF-Hauptquartier allein 1.600 Soldaten, während das UNAMA-Hauptquartier über 205 internationale Mitarbeiter verfügt (Stand  : Anfang 2011).16

3. Krisen- und Konfliktmanagement im Kontext aktueller Entwicklungen 3.1 Der umstrittene Status von ISAF

Durch die verstärkte Ausrichtung der ISAF auf COIN in der zweiten Phase des Engagements wurde ihr Status zunehmend unklar. Es ist fraglich, ob dieser noch 15 Allard Wagemaker (Netherlands Defence Academy) im Gespräch mit dem Autor, 25.7.2011. Zur Thematik Aufstandsbekämpfung siehe auch Feichtinger, Walter/Dengg, Anton (Hg.)  : Kein Feind in Sicht. Konfliktbilder und Bedrohungen der Zukunft. Wien, Böhlau Verlag 2010. 16 Vgl. Nachtwei, Winni  : 13. Reisebericht  : Aufbau im Schatten von Guerillakrieg und Aufstandsbekämpfung. Kabul, Januar 2011.

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als friedensunterstützend („peace support“) oder vielmehr als kriegführend („belligerent“) bezeichnet werden kann. Hier stellt sich die Frage, ob es sich bei der Transformation der ISAF um eine wesentliche Veränderung völkerrechtlicher Natur handelt oder lediglich um die operationelle Weiterentwicklung im Rahmen des existierenden UN-Mandates. Es spricht vieles für eine Veränderung völkerrechtlicher Natur insoweit, als sich der Status der ISAF seit ca. 2007 immer mehr von einer (neutralen) Peace Support Mission entfernt hat. So ist die Mehrzahl der Truppensteller von ISAF auch an der OEF beteiligt, die von Beginn an (quasi als Kriegspartei) den Kampf gegen die Taliban, sonstige Aufständische und Terrorzellen aufgenommen hat. ISAF und OEF kooperieren intensiv und stehen in Afghanistan sogar unter einem gemeinsamen US-Kommando. Eine strikte Unterscheidung zwischen Terrorbekämpfungs- und Stabilisierungsmission ist daher in der Praxis kaum möglich, was für den kriegführenden Status der ISAF spricht. Weiters wurde Al Kaida – im Unterschied zur Taliban-Bewegung – bereits vor der Etablierung von ISAF als terroristische Organisation eingestuft. Al-Kaida-Mitglieder haben Kombattantenstatus, gelten als kriegführend und werden als solche von der (kriegführenden) OEF bekämpft. Somit kann ISAF als kriegführende Partei neben der OEF, den afghanischen Sicherheitskräften und den MOK wie den Taliban gesehen werden. Als Peace Support Operation im Sinne des UNO-Mandates kann ISAF faktisch nicht mehr bezeichnet werden.17 3.2 Die Sicherheitslage – ISAF zwischen Taliban und Milizenführer

MOK wie insbesondere die Taliban verfolgten nach ihrem Sturz 2001 das Ziel, die internationalen Akteure zum Rückzug zu bewegen, wobei sie teilweise erfolgreich waren (z. B. Rückzug internationaler Hilfsorganisationen oder Kontingente der Niederlande in der zweiten Phase). Sie gehen dabei asymmetrisch vor und wenden eine Zermürbungstaktik in Form von Sprengfallen entlang von Straßen, Autobomben, Selbstmordattentaten oder Entführungen an. Dazu kommen auch die seit 2010 zunehmenden Angriffe auf Tanklaster der ISAF in Pakistan und Afghanistan zur Störung der Versorgung. Eine neue Qualität der Anschläge zeigte sich in professionell geplanten Attacken auf bedeutende westliche Einrichtungen, hochrangige politische Entscheidungsträger und insbesondere auf afghanische Sicherheitskräfte.18 17 Vgl. Mortopoulos, Constantine D.: Could ISAF be a Peace Support Operation  ? In  : Journal of Conflict & Security Law (2010), Vol. 15, S. 573–587. 18 Dies zeigte sich z. B. in Anschlägen auf die US-Botschaft, diverse internationale Hotels in Kabul

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Die Taliban bekämpfen in loser Koalition mit den militanten Netzwerken der Milizenführer Jalaluddin Haqqani und Gulbuddin Hekmatyar medienwirksam einen gemeinsamen Feind – die afghanische Regierung, die Truppen der USA und den Rest der internationalen Kräfte. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verschlechtert sich insgesamt. Solche negativen Entwicklungen konterkarieren ISAFPressemeldungen, wonach sich die Sicherheitslage verbessert habe. ISAF-Sprecher Carsten Jacobson musste einräumen, dass sich die Zahl der zivilen Opfer 2011 deutlich erhöht hatte und sich die afghanische Bevölkerung nicht sicher fühlt.19 Hervorzuheben ist, dass die Taliban primär die eigene Bevölkerung von ihrer Sache überzeugen wollen. Das hindert sie aber nicht daran, gewaltsam gegen sie vorzugehen, was die Opferzahl unter Zivilisten erhöht. Hauptangriffsziel sind „Ungläubige“ und „Kollaborateure“, die z. B. für internationale Organisationen oder die ISAF arbeiten. Gefährliche Drohungen und Einschüchterungen dienen oft als Instrument, um die Afghanen von einer Zusammenarbeit mit der ISAF (z. B. bei der Meldung von Sprengfallen) abzuhalten. Vor allem in Gebieten, in denen die ISAF es nicht vermag, für Sicherheit zu sorgen, gewinnen die Taliban zunehmend an Einfluss und vermitteln dies auch in den Medien. So wurde im August 2010 die öffentliche Hinrichtung eines Paares wegen angeblichen Ehebruchs per Video in das Internet gestellt. Die brutale Steinigung, die in einem von Taliban dominierten Teil der Provinz Kunduz stattgefunden haben soll, zeigt die limitierten Einflussmöglichkeiten der ISAF und der afghanischen Regierung. Die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle hat sich deutlich erhöht. So war 2007– 2010 ein Anstieg gewalttätiger Zwischenfälle um 300 % zu verzeichnen.20 Hervorzuheben sind dabei vor allem die gezielten Angriffe der MOK auf die lokale Polizei und Personen, die der Kollaboration mit ISAF verdächtigt wurden. Auch die zivile Opferzahl, verursacht sowohl durch ISAF, OEF und private Sicherheitsund Militärfirmen wie auch durch Aufständische und gewöhnliche Kriminelle, stieg deutlich an. So sollen 2011 bereits 50 % der Todesopfer in Afghanistan Zivilisten gewesen sein, von denen wiederum 77 % durch MOK verursacht wurden.21 oder in einem Selbstmordanschlag auf einen ISAF-Bus mit 13 getöteten US-Soldaten im Oktober 2011  ; weiters ist die Ermordung des Politikers Burhanuddin Rabbani, von Präsident Karzais Bruder Walid Karzai, des Bürgermeisters von Kandahar oder des Gouverneurs von Kunduz anzuführen. 19 ISAF Violence Statistics and Analysis Media Brief, Sept. 29, 2011. (abgerufen am 18.4.2012). 20 Vgl. Cordesman, Anthony H.: Afghanistan  : The failed metrics of ten years of war. Washington 2012. 21 Vgl. Record Number of Afghan Civilians Died in 2011, Mostly in Insurgent Attacks, U.N. Says. In  : New York Times, 4.2.2012.

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Grafik 2

  Quelle  : World Bank, Afghanistan  : State Building, Sustaining Growth and Reducing Poverty. Country Economic Report, September 2004.

Auch Milizenführer (oft auch als „Warlords“ oder „Kriegsfürsten“ bezeichnet) haben auf die Sicherheitslage wesentlichen Einfluss. Es handelt sich dabei um konkurrierende Eliten, die unter Bedingungen eines fortschreitenden Staatsverfalls mittels privater Milizen die Kontrolle über den Sicherheitssektor gewinnen und das Land zur eigenen Bereicherung ausbeuten. Das Ziel von Kriegsfürsten ist jedoch nicht nur der Erwerb und Erhalt von Macht zur Selbstbereicherung, sondern auch Anerkennung und hoher sozialer Status in der Gemeinschaft. Aktionen der Milizenführer sind daher insbesondere von ihren gesellschaftlichen Interessen bestimmt, da sie der Bevölkerung auch Sicherheit anbieten. Zudem gehören Milizenführer zu den größten und am besten zahlenden Arbeitgebern ihres Machtbereiches, wobei sie ihren Einfluss oft durch die florierende Opiumwirtschaft vergrößern und absichern (siehe Grafik 2). Mächtige und bekannte Milizenführer sind u. a. Ismail Khan im Westen oder Rashid Dostum in der nördlichen Region (siehe Grafik 3).

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Grafik 3

  Quelle  : Grafik in Anlehnung an Conrad Schetter  : „Kriegsfürstentum und Bürgerkriegsökonomien in Afghanistan“. AIPA 3/2004

3.3 Die politische Situation im Kontext der Bevölkerung

Das UN-Mandat-gemäße Ziel, eine landesweit anerkannte afghanische Regierung mit einem arbeitsfähigen Parlament zu etablieren, konnte nicht realisiert werden. Das wesentliche Ziel der USA, den ihnen genehmen Präsidenten Hamid Karzai an der Macht zu halten, konnte 2001–2012 nur durch ständig steigende Truppenzahlen erreicht werden. Daraus wurde ein zivil-militärischer Langzeiteinsatz mit explodierenden Kosten und Opfern. Massive Wahlmanipulationen trugen zu seinem Obsiegen bei den Präsidentschaftswahlen 2009 und damit zur Verlängerung seiner Amtszeit, aber auch zu Karzais Diskreditierung bei. Neue, gemäßigte politische Akteure sind ebenso wenig auszumachen wie neue Verbündete für die USA. Ein Nachfolger für Präsident Karzai nach Ende seiner zweiten Amtsperiode 2014 ist nicht in Sicht. 104

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Trotz verstärkter Mentoring-Aktivitäten der ISAF und Unterstützung der afghanischen Regierungsstrukturen hat sich an den realen Machtverhältnissen wenig verändert. Milizenführer, ob mit Verbindungen zu den Taliban oder ohne, dominieren und versorgen ihre Klientel. Faktisch ist politische Macht in Afghanistan nach wie vor an die Fähigkeit von Entscheidungsträgern gekoppelt, über loyale Milizen kurzfristig ihren Einfluss geltend zu machen (siehe Grafik 3). Die Verantwortung für die ohnehin kaum vorhandene Sicherheit im Jahr 2014 weitgehend in (staatliche) afghanische Hände legen zu wollen und zu hoffen, dass es dann „besser“ wird, erscheint seitens der USA und ihrer Verbündeten illusorisch und gefährlich. Eine Zunahme der Gewalt nach dem internationalen Abzug ist deshalb zu befürchten. Aus afghanischer Sicht ist anzumerken, dass die hohen Erwartungen an die Schaffung tragfähiger politischer Strukturen weitgehend enttäuscht wurden. Vor allem der junge Teil der Bevölkerung ist der Ansicht, dass die Klientelwirtschaft in den letzen Jahren wieder einen Aufschwung erlebt hat. Monopolisierungstendenzen in Sektoren wie z. B. im Transportgewerbe lassen nur eine kleine Bevölkerungsschicht am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben und treiben Schutzgeldzahlungen in die Höhe. Bereits 2009 ergaben Umfragen, dass die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung gegen eine weitere Präsenz von internationalen Truppen ist.22 2013 ist die afghanische Bevölkerung mehr denn je mit ihren „Innenfeinden“ – Korruption, Kriminalität und bitterer Armut – konfrontiert.23 Die Alternativen sind zweifelhaft  : Entweder der Rückfall in Taliban-Strukturen oder die Akzeptanz einer nicht an der Konsolidierung des Gesamtstaats orientierten Herrschaft von Milizenführern. Die afghanische Bevölkerung traut dem gegenwärtigen politischen System Karzai keine Problemlösungs-Kompetenz zu ihren Gunsten zu. Aufforderungen Karzais an die USA, ihre Truppen aus Dörfern zurückzuziehen, können daran nichts ändern.24 Er wird nach wie vor als Marionette der USA gesehen, obwohl sich das Verhältnis zwischen USA und Karzai graduell verschlechtert hat.

22 Vgl. Cockburn, Patrick  : Victory (for a crooked, corrupt and discredited government). In  : The Independent, 3.11.2009. 23 Vgl. Laurent, Joachim  : Die Innenfeinde Afghanistans  : Korruption, Kriminalität und bittere Armut. In  : Telepolis, 26.1.2012. (abgerufen am 24.4.2012). 24 Kimball, Jack/Rob, Taylor  : Karzai asks NATO to leave Afghan villages  ; Taliban scrap talks. In  : Reuters, 15.3.2012.

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Im Vergleich dazu regieren die Taliban in den von ihnen dominierten Distrikten nicht nur durch Angst und Schrecken. Sie haben dort Schattenregierungen errichtet und bieten auch Sicherheit gegen ausbeuterische Staatsangestellte und Kriminelle an. Die Quetta-Shura, das angebliche politische Leitungsgremium der Taliban, hat Sharia-Gerichte und sogar Ombuds-Institutionen geschaffen, an die sich Bürger wenden können. Täter werden hart bestraft.25 Karzai hat den Wettbewerb mit seinen Gegnern um das Vertrauen der Bevölkerung in manchen Gebieten somit bereits verloren. Diese Entwicklung verstärkt sich, da die Regierung nicht jeden gleich behandelt. So hatte Präsident Karzai im Jahr 2009 fünf verurteilte Drogenhändler begnadigt, die als politisch einflussreich galten. Da der afghanische Staat bisher Bürger kaum gegen Gewalt und Ausbeutung schützte, konnte er nicht an Legitimität gewinnen. Die Etablierung eines legitimierten „Zentralstaates“ ist gescheitert.

4. Das entwicklungspolitische Umfeld Vorweg ist festzuhalten, dass „Entwicklungshilfe“ nicht ausschließlich mit der Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) gleichzusetzen ist. Ein substanzieller Teil der Aufbauarbeit in Afghanistan erfolgt über (staatliche) Regierungsorganisationen wie die GIZ oder die United States Agency for International Development (USAID). Geberkonferenzen (siehe auch Kapitel 1) haben hohe Summen in das Land gespült, die nicht immer nachvollziehbar waren. Die EU hat über ihre Ableger und Mitgliedsstaaten von 2002 bis 2010 rund acht Mrd. Euro an Hilfe zur Verfügung gestellt.26 Die Wirkung dieser Gelder im Sinne der Konfliktbearbeitung ist nur schwer nachvollziehbar, was jedoch generell für Investments in Konfliktregionen gilt. Das idealtypische Ziel von NGOs sowie Regierungsorganisationen ist letztendlich die Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung sowie Armutsbekämpfung. Dabei geht es sowohl um kurzfristige Leistung von Nothilfe (Disaster Relief) als auch um langfristig angelegte Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Einige NGOs beschäftigen sich mit diesen Agenden bereits seit den 1980er-Jahren (z. B. die Deutsche Welthungerhilfe oder das Swedish Committe for Afghanistan). Generell verfolgen NGOs im EZA-Bereich einen langfristigeren Ansatz als das 25 Vgl. Giustozzi, Antonio  : Negotiating with the Taliban. New York 2010, S. 4f. 26 Vgl. EU External Action Service  : EU Engagement in Afghanistan. Brussels, November 2011. (abgerufen am 11.04.2012).

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Militär im Rahmen von Wiederaufbaumaßnahmen. Dessen ungeachtet werden sie von Aufständischen als „weiche Ziele“ wahrgenommen, obwohl die Mitarbeiter um Neutralität bemüht sind und die Nähe zur Bevölkerung suchen.27 Auch versuchen NGOs vermehrt, Abstand zum Militär zu halten – schon aus rein pragmatischen Sicherheitsgründen. Jedoch bietet ein neutraler Status keinen Schutz vor Entführungen und Übergriffen. Wer eine langfristige Verbesserung der Lebensumstände der Menschen vor Ort zum Ziel hat, kann gerade aus diesem Grund angegriffen werden. Hier gelangen NGOs oft an die Grenze der Transformationswilligkeit der afghanischen Gesellschaft. Die Lehre daraus ist, dass ein langfristiger Ansatz, der die Nähe zur Bevölkerung anstrebt, die Transformationsfähigkeit der Gesellschaft eher begünstigt. Die Kooperation von NGOs mit den jeweiligen Provinzgouverneuren und Milizenführern wird – ähnlich wie bei ISAF – kritisiert  ; diese ist jedoch oft Voraussetzung, um überhaupt operieren zu können. Dass dabei Hilfsgelder fließen, ist Realität in einer Bürgerkriegsökonomie wie auch die Entscheidungsgewalt der lokalen Machthaber darüber, wer Hilfe erhält und wer davon ausgeschlossen bleibt. Dadurch können örtliche Entscheidungsträger – ob loyal zu Karzai oder nicht – mithilfe ausländischer Hilfsgelder ihren Machtbereich und ihre Patronage-Systeme weiter ausbauen. Auch wenn die Verteilung von Hilfsgeldern über Kabul erfolgt, werden durchschnittlich nur 40 % in konkrete Hilfsprojekte umgesetzt, der Rest versickert. Somit tragen nahezu alle internationalen Akteure (ob militärisch oder zivil) zwangsläufig zur Korruption im Lande bei. Einige Experten sind sogar der Ansicht, dass der immense Geldfluss nach Afghanistan mehr Konflikte (und Korruption) hervorgebracht als gelöst hat.28 Aufgrund der Verschlechterung des humanitären Umfeldes ist das Aktionsspektrum für NGOs in Afghanistan sehr limitiert. Um Projekte umzusetzen, ohne sich in Gefahr zu bringen, gibt es zwei Ansätze  : Erstens gilt es, das Vertrauen der jeweiligen Dorfgemeinschaft zu gewinnen, und zweitens, lokale NGOs im Sinne des Local Ownership-Prinzips in die Umsetzung einzubinden. Ein Beispiel dafür sind niederländische NGOs (wie TPO Healthnet), die sich im Gesundheitsbereich engagieren und sich dabei wesentlich auf afghanische NGOs abstützen. Militärische Einmischung wird dabei in der Regel strikt abgelehnt, weil dies ihrer Meinung nach die Sicherheit der Mitarbeiter gefährden kann.29 27 Vgl. Friederichs, Hauke  : Ohne Waffen durch den Krieg. In  : Die Zeit, 9.8.2010. 28 Vgl. Afghanistan  : Entwicklungshilfe – Nähe ist entscheidend. In  : Süddeutsche Zeitung, 9.8.2010 (Interview mit Maas, Citha). 29 Vgl. Gauster, Markus  : Comprehensive Approach – Anspruch und Realität am Beispiel Afgha-

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In unterschiedlichen Regionen sind positive Veränderungen für die Bevölkerung sichtbar und fühlbar, an denen auch zivile Organisationen einen wesentlichen Anteil haben. Menschenrechte – vor allem die Rechte der Frauen – konnten gestärkt und im Gesundheits-, Bildungs- und Medienbereich Fortschritte erzielt werden. Auch wirtschaftlich findet man punktuell verbesserte Rahmenbedingungen vor – so insbesondere in Kabul, wo ausländische Investoren (v.a. aus dem Iran, Indien, China und den USA) stärker als je zuvor präsent sind. Diese sind sich jedoch stets auch des Risikos eines Abzuges der internationalen Kräfte bewusst.

5. Ansätze und Versuche zur Stabilisierung 5.1 Comprehensive Approach und der Faktor Kohärenz

Der Konflikt in Afghanistan weist sicherheits-, gesellschafts-, kultur- und wirtschaftspolitische Dimensionen auf. Idealtypisch erfordert dessen Bewältigung einen abgestimmten Einsatz militärischer, polizeilicher, diplomatischer, humanitärer und entwicklungsbezogener Instrumente. Während die UNO mandatsgemäß Maßnahmen zum Staatsaufbau vorantreiben soll, ist die ISAF für die Schaffung eines sicheren Umfeldes zuständig und insbesondere die EU soll den wirtschaftlichen Aufschwung unterstützen. Hunderte weitere Akteure mit unterschiedlichen Interessen in Afghanistan erzeugen – ob beabsichtigt oder nicht, ob staatlich oder privat, ob humanitär oder militärisch, ob oppositionell oder nicht – unkoordinierte Aktionen mit oft unbeabsichtigten Effekten. Das Resultat sind Zielkonflikte und Parallelstrukturen im Einsatzraum, aber auch eine erschwerte Szenarienbildung und Voraussehbarkeit von Entwicklungen. Weil in Afghanistan positive Ergebnisse ausblieben, wurde von Staaten und Organisationen angestrebt, die Planung und Durchführung von Einsätzen auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene verstärkt abzustimmen und die Wirkung im Einsatzraum durch umfassende Ansätze (Comprehensive Approach/CA) zu verbessern. Weitere treibende Kräfte für den CA sind die allgemeine Budgetknappheit, verbunden mit der Hoffnung auf Einsparungsmöglichkeiten, die seit 2009 durch Staatsschuldenkrisen verstärkt wurde. Auch eine gegenseitige Abhängigkeit der Akteure im Einsatzraum, Synergieeffekte oder die Überwindung von nistan. In  : Braumandl-Dujardin, Wolfgang/Feichtinger, Walter/Gauster, Markus  : Comprehensive Approach  : Vom strategischen Leitgedanken zur vernetzten Politik. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 8/2011, S. 97ff.

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Einsatzvorbehalten einzelner Staaten stellen Argumente für einen CA dar. In der afghanischen Praxis hat jedoch das Streben nach umfassender Koordination und Kooperation seine Grenzen bzw. konterkariert sogar die Konfliktbearbeitung, wie sich an folgenden Beispielen darlegen lässt. Beispiel 1  : Auf operativer Ebene interagiert die ISAF oft nur dann, wenn es im Sinne des militärischen Auftrages notwendig ist  ; so z. B. mit NGOs. Koordination im Sinne eines Informationsaustausches über die jeweiligen Aktivitäten wäre wichtig, jedoch ist sich ISAF über mögliche Konsequenzen (z. B. bezüglich Sicherheit oder des Projekterfolges) eines Auftretens bei NGO-Projekten nach wie vor nicht voll bewusst. Beispiel 2  : Die Kooperation der ISAF mit Milizenführern, um mit diesen ein Sicherheitsabkommen zu schließen, mag zwar im Sinne des militärischen Auftrags sein, ignoriert aber oft die strategischen Auswirkungen. Milizenführer werden dadurch oft zusätzlich gestärkt, bekommen einen „Freibrief “ für ihr Drogengeschäft und somit zusätzliche Legitimation. Die Transformationsfähigkeit der Gesellschaft im Einflussbereich des Milizenführers wird auf diese Weise durch ISAF behindert bzw. eingeschränkt. Beispiel 3  : Auf politischer Ebene wird international verstärkt kooperiert, was grundsätzlich positiv zu beurteilen ist. So wurde im Juli 2010 das Joint AfghanNATO Intequal Board („Intequal“ heißt auf Dari und Paschtu Übergabe oder Transition) begründet. Unter gemeinsamer Leitung der afghanischen Regierung, der ISAF und des Hohen Zivilen Beauftragten der NATO soll entschieden werden, welche Landesteile aus der Verantwortung der ISAF entlassen werden können. Dieser Übergabeprozess wurde Anfang 2013 offiziell abgeschlossen und afghanische Sicherheitskräfte tragen die komplette Verantwortung für alle Operationen im Land.30 In der Praxis bedeutet das aber längst nicht, dass afghanische Sicherheitskräfte in der Lage sind, die betreffenden Provinzen ausreichend kontrollieren zu können. Es scheint, als ob das IKKM durch verstärkte politische Agreements die Transformationswilligkeit erzwingen will – die Erfolgsaussichten bleiben zweifelhaft. Beispiel 4  : Der Dialog zwischen der NATO und den Regierungen Afghanistans und Pakistans zur genaueren Überwachung der Grenzen wurde verstärkt, was als positiv zu beurteilen ist (Border Talks). Beispiel 5  : Mit MOK wird seit 2011 offiziell verhandelt (Peace Talks). Dabei zeigt sich, dass sich auch der Charakter lokaler Akteure im Zuge der Intervention 30 Vgl. NATO bekräftigt Verbleib in Afghanistan bis Ende 2014. In  : FAZ, 2.2.2012, sowie Gady, Franz-Stefan  : „Das ist eine harte Truppe mit harten Leuten.“ In  : Der Standard, 12.9.2013.

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verändert hat – offizielle Gespräche wären seitens der MOK in früheren Phasen der Intervention noch kein Thema gewesen. Es kann aus diesen Beispielen abgeleitet werden, dass Kooperations- und Koordinationsansätze in Afghanistan hochpolitische Instrumente sind, wobei Kooperationen auf unterer Ebene Auswirkungen auf strategischer Ebene haben können. Jedenfalls ist die Umsetzung eines Comprehensive Approach auf allen Ebenen mit Kompromissen und Machtzugeständnissen verbunden. Zudem hat sich während des gesamten Afghanistan-Einsatzes nichts daran geändert, dass staatliche Ambitionen und Interessen – Bündnisverpflichtung hin oder her – gemeinschaftlichen Interessen vorgehen. Daher ist ein umfassender Ansatz aller relevanten Akteure unrealistisch. Man kann aber auch argumentieren, dass die Kohärenz- und Dialogbestrebungen zumindest für eine Annäherung von internationalen Positionen gesorgt haben. 5.2 Provincial Reconstruction Teams (PRTs)

Im Rahmen der Aktivitäten des IKKM in Afghanistan übernahm ISAF v.a. in der ersten Phase neben militärischen Kernaufgaben zunehmend zivile Agenden (über Projekte wie z. B. der Errichtung von Brücken, Brunnen, Krankenhäusern oder Schulen). Dadurch überschnitten sich die Arbeitsfelder mit der Tätigkeit von zivilen Akteuren. Das führte seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes zu einer verstärkten Debatte über Legitimation, Grundsätze und Regeln der Aufgabenteilung im Rahmen der zivil-militärischen Interaktion. PRTs stehen seit 2003 als Modelle institutionalisierter zivil-militärischer Kooperation einzelner Entsendestaaten im Zentrum dieser Diskussion und sind damit Wegbereiter der ComprehensiveApproach-Philosophie. PRTs sind militärisch geschützte Einrichtungen mit an die jeweilige Sicherheitslage angepasster Bewaffnung und weisen eine Stärke von etwa 50 bis 500 Personen auf. Sie sind für Provinzen zuständig, die wie Badakhshan oder Herat oft mehr als 40.000 km² umfassen. Dieser Minimalansatz sollte im Sinne des LightFootprint-Ansatzes dazu dienen, Unterstützung beim Aufbau von Sicherheit und lokalen Verwaltungsstrukturen abseits von Kabul zu leisten. Ausschlaggebend für die rasche Zunahme der PRTs auf bis zu 27 Teams war das innovative Konzept, mit relativ geringen Kräften einen flächendeckenden Einsatz zu ermöglichen und gleichzeitig staatliche Ambitionen als PRT-Führungsnation relativ unabhängig von ISAF-Vorgaben verfolgen zu können. Dabei agieren die PRTs in drei Dimensionen  : Schaffung von Sicherheit, Bildung staatlicher Institutionen und Durchführung bzw. Ermöglichung von Wiederaufbau. Die Erreichung dieser 110

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langfristigen Ziele steht oft im Widerspruch zu politischen Absichten der PRTBetreiberstaaten.31 Im Feld zeigen PRTs Präsenz in Form von Patrouillen und sind als Vermittler, Netzwerkbildner, Unterstützer von Projekten, Armee- und Polizeiausbildner sowie als Informationsbeschaffer aktiv. Entwicklungs-, Innen-, Außen- und Landwirtschaftsministerien der Entsendestaaten sind neben der militärischen Komponente mit unterschiedlichen Befugnissen eingebettet und stellen ihre spezifische Expertise bereit. PRTs leisteten auch Beiträge zu den Entwaffnungsprogrammen, der Unterstützung von Wahlprozessen und dem Aufbau von Infrastruktur. Mehr als zehn Jahre nach der Etablierung der ersten PRTs ist festzustellen, dass diese vielfach auch staatliche Strukturen ersetzt oder zumindest Parallelstrukturen erzeugt haben, was kritisch zu beurteilen ist  : PRTs können gleichsam „Zeit kaufen“, bringen aber auf lange Sicht nicht unbedingt mehr Stabilität. Trotz aller Kritik können PRTs als Innovationstreiber bei der ressortübergreifenden Planung der Truppensteller bezeichnet werden – die Akteure rückten näher aneinander. Weiterhin können PRTs wichtig für eine einigermaßen geordnete Übergabe der Verantwortung (Transition) an afghanische Kräfte werden  : Im besten Fall könnten PRTs ganz auf ihre militärische Komponente verzichten (aktuelles Beispiel  : türkisches PRT in der Provinz Wardak) und in der Folge als administrative Zentren übergeben werden. 2013 wurden fast alle PRTs offiziell an die afghanische Regierung übergeben bzw. aufgelöst.32 5.3 Der Counterinsurgency-Ansatz (COIN)

Dieser Ansatz wurde u. a. aus der CA-Philosophie abgeleitet. Bei COIN wird die afghanische Bevölkerung zum Schlüsselelement bei der Bekämpfung von Aufständischen. Durch verbesserte Regierungsführung und Initiativen im wirtschaftlichen Bereich soll MOK die Unterstützung der Bevölkerung entzogen werden. Im Rahmen von COIN wurden 2009 von ISAF-Kommandant Stanley McChrystal acht Verhaltensnormen festgelegt, die den COIN-Ansatz prägen und gleichzeitig das aktuelle Konfliktbild in Afghanistan charakterisieren. Dabei geht es um eine genaue Analyse der Akteure, die Rolle des Erscheinungsbildes des Militärs, Schutz und Zusammenarbeit, Umfassende Kampfführung, Kenntnis des Um31 Vgl. Gauster, Markus  : Provincial Reconstruction Teams in Afghanistan. An innovative instrument of international crisis management being put to the test. Marshall Center Occasional Paper Series No. 16, Garmisch-Partenkirchen, January 2008, S. 7f. 32 Vgl. Polish PRT not closed, executed 157 projects. In  : The Frontier Post, 21.8.2013.

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feldes, wertorientiertes Handeln, Kommunikationsfaktoren, Teamfähigkeit und ständige Anpassung.33 General David Petraeus konkretisierte 2010 nach der Absetzung McChrystals als neuer ISAF-Kommandant dessen COIN-Ansatz. Neu hinzugekommen ist die gezielte Bekämpfung von Korruption und eine engere Zusammenarbeit (Partnering) mit den afghanischen Sicherheitskräften („live, eat, train, plan and operate together“). Dass die tatsächliche Wirkung von COIN in Afghanistan umstritten ist, zeigt sich durch die nach wie vor prekäre Situation für die afghanische Bevölkerung. Diese verschlechterte sich 2009–2011 nochmals  : Die Anzahl der (offiziell) getöteten Zivilisten stieg von 1.523 Personen im Jahr 2007 auf 2.777 Personen im Jahr 2010.34 5.4 Friedensgespräche mit militanten oppositionellen Kräften

Einige Experten wie auch Mitglieder der afghanischen Regierung sind der Ansicht, dass ein Stabilisierungsprozess nur unter Einbeziehung „moderater“ Taliban und anderer Gruppierungen möglich ist. Jedoch ist unklar, wer und was darunter zu verstehen ist. So erklärte u. a. Pakistans Ex-Präsident Pervez Musharraf, dass es „moderate“ Taliban gar nicht gebe. Im Endeffekt ist dieser Stabilisierungsansatz sehr kritisch zu betrachten, da die Masse an Aufständischen nicht mehr religiös motiviert ist. Es gibt Drogenhändler, die ungestört ihren Geschäften nachgehen wollen  ; Milizenführer, die mit der afghanischen Regierung nicht kooperieren wollen  ; paschtunische Clanchefs, die verhindern wollen, dass die „gottgegebene“ Gesellschafts- und Stammesordnung durch fremde Einflüsse untergraben wird  ; Angehörige von Kriegsopfern auf der Suche nach Rache  ; oder Afghanen, die sich ein paar Hundert Dollar als Söldner dazuverdienen wollen. „Taliban“ stellt 2012 nur mehr einen Überbegriff für MOK dar, die aus sehr heterogenen Gruppierungen bestehen.35 Zwei Faktoren einen diese Gruppen  : Das Ziel, ihr Land vom ausländischen Einfluss zu befreien, sowie die gleiche Auffassung vom Islam, welcher im paschtunischen Teil Afghanistans seit jeher sehr rigide interpretiert wird. Die strenge Religionsauslegung der Taliban entspricht jener der Bevölkerung. Verhandlungen 33 Vgl. Erstbeurteilung des ISAF-Kommandanten (COMISAF Initial Assessment) vom 30. August 2009 sowie Gärtner, Kurt  : Aufstandsbekämpfung in Afghanistan – acht Verhaltensnormen. In  : Der Soldat, Nr. 14, 21.7.2010, S. 3. 34 UNAMA  : Afghanistan Annual Report 2010. Protection of Civilians in Armed Conflict, S. 57. 35 Vgl. Staudinger, Martin  : Afghanistan. Das verlorene Land. In  : Profil 37/2008, 13.9.2008.

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mit „moderaten Kräften“, so diese an Friedensgesprächen teilnehmen, gestalten sich daher auch deshalb problematisch, weil diese für die Kerngruppierung der Taliban (Quetta Taliban Shura unter Mullah Omar) nicht repräsentativ sind. Dazu kommen zwei weitere Unsicherheitsfaktoren  : Werden anwesende Taliban mit ehrlicher Absicht verhandeln  ? Und  : Wird Pakistan offiziellen Gesprächen zustimmen  ? Die USA versuchen im Rahmen von Geheimdiplomatie seit Jahren, ihre Anstrengungen in diesem Kontext voranzutreiben. Aktuelle Aussagen eines Vertreters des militanten Haqqani-Netzwerkes bestätigen die Unwahrscheinlichkeit, dass individuelle Vertreter von Aufständischen zu Gesprächen kommen. Trotzdem werden Gespräche zwischen der Quetta Taliban Shura und den USA nicht generell verworfen  : Gefordert wird, dass die Gespräche unter der Führung der Taliban stattfinden, worauf sich die USA jedoch kaum einlassen werden. 5.5 Der Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte

Der quantitative und qualitative Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte (Polizei und Militär) bei gleichzeitigem Rückzug internationaler Truppen stellt das zentrale Element der internationalen Exit-Strategie dar. Im August 2013 verfügte Afghanistan offiziell über knapp 350.000 einheimische Sicherheitskräfte  ; davon rund 187.000 Soldaten.36 Was dabei fehlt, ist jedoch die Balance zwischen Quantität und Qualität. Nur 20 % der Sicherheitskräfte sind brauchbar ausgebildet, der Rest sind Platzhalter.37 Die afghanische Armee hatte 2013 unter schweren Verlusten zu leiden, führte aber nach US-amerikanischen Angaben landesweit im Schnitt bis zu 15 größere Operationen pro Woche auf Bataillonsebene und pro Tag an die 1.500 Patrouillen durch. Die Frage ist, wie lange sie diese Verlustraten aushalten können wird. Internationaler Unterstützungsbedarf besteht vor allem in den Bereichen Nachschub, Nachrichtenwesen und taktische Luftunterstützung.38 Der Auf- und Ausbau des Polizeisektors ist ein Bereich, der auch die EU massiv tangiert und gleichzeitig die wenig akkordierte Vorgangsweise der Akteure aufzeigt. Neben der NATO (NATO Training Mission Afghanistan/NTM-A) und 36 Vgl. NATO will Unterwanderung der Armee stoppen. In  : Der Standard, 3.2.2012, sowie International Security Assistance Force (ISAF)  : Key Facts and Figures, Stand 1.8.2013. 37 Round Table „Ten years Afghanistan“ des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK). Wien, 18.10.2011. 38 Gady, Franz-Stefan  : „Das ist eine harte Truppe mit harten Leuten.“ In  : Der Standard, 12.9.2013.

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der EU (EUPOL Afghanistan) sind auch die UNO, nationale Regierungen (wie das Deutsche Polizei-Projekt-Team) sowie weitere Akteure am Polizeiaufbau beteiligt. Dabei kommt es oft zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, die auch den mangelnden Koordinierungswillen aufzeigen. Insbesondere das vielfach als „rein politisch“ angesehene Engagement von EUPOL Afghanistan führte zu einer graduellen Übernahme der Agenden im Polizeiaufbau durch die USA und 2009 zur Gründung der NTM-A. Seit der Etablierung der NTM-A stehen sich zwei Polizeiaufbau-Modelle gegenüber  : Zum einen der auf rasche Ausbildung fokussierte Ansatz der USA, der militärisch dominiert ist und von Kritikern als „Police-Building Exercise“ bezeichnet wird.39 Zum anderen besteht ein zivil orientierter Ansatz der EU (EUPOL Afghanistan) zur Unterstützung des Aufbaus nachhaltiger und effektiver Polizeistrukturen in Afghanistan. Dadurch soll das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Polizei gestärkt werden. Die EU ist allerdings mit Ressourcenmangel und politischer Uneinigkeit konfrontiert. Fest steht, dass durch die Militarisierung der Ausbildung das Vertrauen der Bevölkerung, mit dem die Effektivität des Polizeiaufbaus steht und fällt, nicht (wieder)erlangt werden kann. Die Rekrutierung erweist sich 2013 als überaus schwierig, wurden doch alleine von März bis September 2013 1.792 afghanische Polizisten getötet.40 Ein nachhaltiger Aufbau des afghanischen Militärs und der Polizei kann nur dann erzeugt werden, wenn dieser über Jahrzehnte hinweg maßgeblich vom IKKM unterstützt wird. Dabei stellt sich die Frage, wer nach 2014 die Kosten dafür übernehmen wird.

39 Vgl. Friesendorf, Cornelius/Krempel, Joerg  : Militarized versus Civilian Policing  : Problems of Reforming the Afghan National Police. PRIF Reports Nr. 102. Hamburg 2011, S. 1. 40 Gady, Franz-Stefan  : „Das ist eine harte Truppe mit harten Leuten.“ In  : Der Standard, 12.9.2013.

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6. Bilanz des internationalen Engagements  : Bittere Lehren, karge Ergebnisse Tabelle41 10 Kriterien im Sinne der ­ oll-Vorgaben des Bonner S Abkommens von 2001 und der UN-Mandatierung

Ist-Zustand nach 10 Jahren internationalem Krisenmanagement in Afghanistan

Funktionierender Staat im Vergleich

Staatliches Gewaltmonopol und Institutionen

Faktisch nicht vorhanden  ; Schattenregime von Milizenführern bzw. Taliban-Gruppen dominieren  ; Steuerhoheit fehlt

gegeben

Verfügung über physische Gewaltmittel

Oft bei Milizenführern als Gewaltakteuren  ; begrenzte Kapazitäten bei Armee und Polizei

beim Staat konzentriert

Legitimität des Staates und Loyalität der Bürger zu ihm

Schlecht  ; Gewaltoligopol

hoch

Demokratiequalität

Niedrig  ; mehrere Wahlen stärkten zumindest das Demokratiebewusstsein der Bevölkerung

hoch

Sicherheitslage

2012 deutlich schlechter als nach dem Fall des Taliban-Regimes 2001

gut

Staatliche Kontrolle des Territoriums

Fehlt mehr oder weniger  ; in der Praxis ist die Kontrolle der Grenzen kaum möglich  ; internat. Gespräche über Grenzüberwachung laufen

gegeben

Korruption/Kriminalität

Extrem ausgeprägt  ; Parallelstrukturen  ; weiterhin massiver Export von Drogen

niedrig

Rechtsordnung

Unzuverlässig im westlichen Sinn  ; schwere Menschenrechtsverletzungen  ; Presse- und Medienfreiheit verbessert

Rechts-sicherheit gegeben

Wirtschaft

Schattenwirtschaft und Drogenökonomie  ; legale Wirtschaft in Teilbereichen verbessert  ; Truppenabzug lässt starken Rückfall erwarten

läuft überwiegend in legalen Bahnen

Demografische Umwälzungen

Groß und unkontrolliert  ; enorme Flüchtlingsströme in der Region betreffen auch die österreichische und europäische Sicherheits- und Migrationspolitik

gering und ­kontrolliert

41 Vgl. Tabelle „Die Eigenschaften starker und schwacher/zerfallener Staaten im Vergleich“ in Malek, Martin  : Restjugoslawien, Moldova, Afghanistan und die Erklärungsreichweite von „failed states“Theorien. In  : Feichtinger, Walter/Jurekovic, Predrag (Hg.)  : Internationales Konfliktmanagement im Fokus. Kosovo, Moldova und Afghanistan im kritischen Vergleich. Baden-Baden 2006, S. 62.

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Die Bestandsaufnahme (siehe Tabelle) fällt eindeutig negativ aus. Afghanistan ist ein Fall von fragiler Staatlichkeit geblieben, da die staatlichen Institutionen ihre Steuerungsfähigkeit in zentralen Aufgabenbereichen (Sicherheit, Wohlfahrt sowie Legitimität und Rechtsstaatlichkeit) nur unzureichend entwickeln konnten.42 Die Institutionen sind kaum in der Lage, elementare Leistungen gegenüber ihrer Bevölkerung zu erbringen, wofür auch die internationalen Akteure mitverantwortlich zu machen sind. Ohne ausreichende Prüfung der Erfolgsaussichten und Beachtung der historischen Fakten waren und sind die Aussichten für das IKKM, den fragilen Zustand zu durchbrechen, gering. Wie sich auch historisch oft gezeigt hat, bedeutet eine klare (internationale) militärische Überlegenheit keineswegs, Aufstände rasch beenden zu können. In praktisch keiner der umkämpften Provinzen und Distrikte ist die Lage so weit stabil, dass eine Reduktion internationaler Truppen keine Vorteile für die Taliban mit sich bringen würde. Die afghanische Armee und Polizei liegen im Zentrum der Anstrengungen für ISAF, befinden sich aber in einem sehr unbefriedigenden Zustand. Kein Provinzkommando der afghanischen Armee ist qualitativ in der Lage, längerfristig selbstständig Aufgaben von ISAF zu übernehmen. Die Armee und Polizei eines Staates brauchen „Herz und Seele“ sowie die Bereitschaft, im Extremfall auch für ihr Land zu sterben. Wegen dem etablierten Klientelsystem und spezieller Loyalitäten (siehe Grafik zur realen Machtverteilung) darf dies im Falle Afghanistans stark bezweifelt werden. Insgesamt ist daher zu erwarten, dass der angekündigte Abzug die Lage in allen Bereichen weiter verschärfen wird. Durch den fragmentarischen Charakter Afghanistans, in dem Loyalitäten von Tal zu Tal unterschiedlich sind, hatte ein zentral geführtes Regime faktisch nie Bestand – mit Ausnahme des föderalistisch regierenden Königs Sahir Schah (1933–1973). Daraus erklärt sich die Schwierigkeit bzw. faktische Unmöglichkeit für das IKKM, eine positive Konflikttransformation in Bereichen wie politischer Aussöhnung, Institutionenaufbau, Sicherheit und Entwicklung zu erreichen. Viele geben dem Light-Footprint-Ansatz die Schuld an der kritischen Situation wie auch der Tatsache, dass ab 2003 massive US-Ressourcen im Irak gebunden waren. Entsprechend wuchs mit den Jahren der Druck auf die Verantwortlichen, mehr Truppen als vermeintlichen „Lösungsansatz“ bereitzustellen. Jeder General, der von seinem Vorgänger die ISAF-Führung übernahm, sprach von einer „schwierigen Situation“, die er geerbt habe, und von einem „entscheidenden Jahr“, das nun auf Afghanistan zukomme. Kritische Stimmen gegen weitere Aufstockungen 42 Vgl. Schneckener, Ulrich (Hg.)  : Fragile Staatlichkeit. „States at Risk“ zwischen Stabilität und Scheitern. Baden-Baden 2006, S. 17.

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oder für innovative Ansätze (z. B. auf der lokalen Ebene) wurden kaum gehört. 2012 wurde eine nachhaltige Wirkung zusätzlich durch einen absehbaren Truppenabzug ohne einen klaren Plan für eine zukünftige Zusammenarbeit konterkariert. Nichtsdestotrotz hat sich die Bevölkerung v.a. in den Ballungsräumen in den zehn Jahren der Intervention deutlich verändert. Ausbildung, soziale Gerechtigkeit und Mitbestimmung sind Gesprächsthemen. Die Zivilgesellschaft ist stärker geworden, wobei Internet und Mobilfunknetz eine wesentliche Rolle spielen. Selbst wenn die Taliban zurückkehren, dürfte es schwierig für sie werden, neu gewonnene Freiheiten der Bevölkerung wie noch in den 1990er-Jahren einzuschränken. Bezeichnend für die prekäre Entwicklung in Afghanistan ist, dass sich internationale Akteure darüber uneinig sind, ob sich die Sicherheitslage verbessert hat  : Während die ISAF im September 2011 den negativen Trend der Vorjahre gebrochen sieht, konstatierte die UNO eine dramatische Verschlechterung der Lage. Demnach nahm die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle zwischen Jänner und August 2011 um 39 % gegenüber 2010 zu. Dies vertieft die Zweifel daran, ob Afghanistan bis Ende 2014 stabil und widerstandsfähig genug für einen Abzug der NATO-Kampftruppen sein wird. Mitverantwortlich für die negative Entwicklung in Afghanistan ist unter anderem auch die Isolation internationaler Diplomaten und Truppen, die sich in mangelndem Kontakt zur lokalen Bevölkerung und deren Kultur zeigt. Mit den zunehmenden Anschlägen wurden internationale Einrichtungen (Botschaften, Stützpunkte etc.) immer mehr zu Festungen, die einige gar nicht mehr verlassen, andere nur mit im Voraus bestellten Sicherheitsteams bzw. gehärteten Fahrzeugen. Die kurzen Rotationen von Soldaten und Diplomaten machen es schwer, Kontakte zu knüpfen, die Sprache zu lernen oder Wissen über die Region aufzubauen. Die Führung und Wirkung langfristig orientierter bzw. umfassender Militäreinsätze ist durch den Afghanistan-Einsatz jedenfalls infrage zu stellen  : Staaten werden sich militärisch kaum mehr an ein vergleichbares Experiment mit unsicherem Ausgang wagen. Die laufende EU-Schuldenkrise vermindert die ohnedies ausgezehrten Budgets von Streitkräften weiter. Ein strategisches Abkommen über den Verbleib von US-Truppen in Afghanistan auch nach 2014 wurde im April 2012 abgeschlossen. Der Status von permanenten US-Basen nach 2014 blieb dabei offen. Eine substanzielle Präsenz der USA über 2014 hinaus erscheint nicht zuletzt aufgrund ihrer globalpolitischen Zielsetzungen (siehe Kapitel 2) am wahrscheinlichsten. Somit wird das Kapitel Afghanistan für das IKKM noch lange nicht abgeschlossen sein. Möglich ist auch, dass die USA und andere Trup117

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pensteller die Mehrzahl an Truppen früher als angekündigt abziehen, was dem Betrieb ihrer Stützpunkte im Sinne der Verwehrung eines sicheren Hafens für Al Kaida nicht zuwiderlaufen würde. Eine Verbesserung der Legitimität der afghanischen Regierung ist neben einer effektiven Partnerschaft mit Pakistan sicherlich das strategische Ziel der USA, von dem sie am weitesten entfernt sind. Ein weitgehender Truppenabzug würde jedenfalls nicht nur innerafghanische, sondern auch überregionale Sicherheitsimplikationen (z. B. Migration) mit sich bringen. Für die meisten Afghanen wäre es das schlimmste Szenario und damit auch der größte „Irrweg“, wenn die internationalen Akteure das Land den Taliban überlassen würden. Für sie käme das einem Zurück in eine blutige und repressive Vergangenheit gleich. Es ist davon auszugehen, dass humanitäre Akteure auch nach einem militärischen Rückzug in Afghanistan präsent sein werden. Weiterhin sind Möglichkeiten und Wege vorhanden, Stabilität auf lokaler Ebene voranzutreiben. Notwendig wäre ein Überdenken kurzfristiger Kompromisse, damit sie langfristigen Zielen nicht zuwiderlaufen. Eine Aufgabentrennung von Polizei und Militär sollte Teil dieser Überlegungen sein. Die Versuchung für internationale Akteure ist groß, die Erreichung kurzfristiger Sicherheit vor die Reform von Institutionen zu stellen.43 Ob die zukünftige Sicherheit europäischer Staaten von einem weiteren Engagement in Afghanistan abhängt, wie zu Beginn der ISAF-Operation oft argumentiert, bleibt zweifelhaft. Die vor zunehmenden Problemen stehende Atommacht Pakistan erscheint auch für die EU von deutlich höherer sicherheitspolitischer Relevanz. Insgesamt ist in bzw. für Afghanistan weiterhin die Fortsetzung einer Interessenpolitik globaler Akteure zu erwarten, bei der eine Friedensdividende für die lokale Bevölkerung sekundär erscheint. Mit bisher über 3.000 gefallenen Soldaten geht die ISAF jedenfalls als verlustreichster und teuerster Einsatz in die NATO-Geschichte ein – die Ergebnisse wirken ernüchternd. Eine Weiterführung des internationalen Engagements in Afghanistan wird jedenfalls viel Geld und auch Menschenleben kosten und einen langen Atem erfordern.

7. Lehren für das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement • Am Beispiel Afghanistan (und Irak) hat sich gezeigt, dass militärische Interventionen zur Konfliktbearbeitung in der bisherigen Form nicht ausreichend 43 Vgl. Friesendorf, Cornelius  : Gefährliche Gemengelage. Polizei, Militär und Probleme in der Sicherheitssektorreform in Afghanistan. In  : HSFK Standpunkte 4/2009.

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Zehn Jahre Krisenmanagement in Afghanistan – eine Bilanz















funktionieren. Je umstrittener der geopolitische und -strategische Status einer Region ist, desto schwieriger wird es für das IKKM, lokale Strukturen positiv zu beeinflussen. Die Erzeugung von Stabilität bzw. ein wirksames Konfliktund Krisenmanagement rückt gegenüber geopolitischen (Präsenz-)Interessen in den Hintergrund. Unterschiedliche Ansätze der maßgeblichen militärischen Akteure ISAF und der OEF (Stichwort  : Doppelstrategie) zeigen das Risiko, mit unklaren Mandaten, divergierenden Interessen und unterschiedlichen Zielvorstellungen in Stabilisierungseinsätze zu gehen. Bei zivil-militärischen State-Building-Einsätzen kann nicht von kurzfristigen Ansätzen ausgegangen werden. Faktoren, die gegen zukünftige Langzeiteinsätze sprechen, bestehen staatlicherseits in den grassierenden Schulden- bzw. Staatshaushaltskrisen in der Mehrzahl der ISAF-Staaten, dem abnehmenden Verständnis der Bevölkerungen für friedenssichernde Einsätze und die Erzeugung von Parallelstrukturen im Einsatzraum. Generationen sind als Planungsgrößen einzukalkulieren. Ein langfristiger Ansatz, der die Nähe zur Bevölkerung anstrebt, begünstigt die Transformationswilligkeit und -fähigkeit der Gesellschaft. Ein Truppenabzug sollte in enger Abstimmung mit lokalen Strukturen und unter Einhaltung gewisser Bedingungen (z. B. eines gewissen Grades an Kampffähigkeit lokaler Sicherheitskräfte) erfolgen. Ein politisch akkordierter Plan für die Zeit nach dem Abzug internationaler Truppen ist unabdingbar. Die Abhaltung von Wahlen ist keine Garantie zur Stabilisierung von Krisenregionen. Am Beispiel Afghanistan zeigte sich, dass diese zwar das Demokratiebewusstsein stärkten, jedoch insgesamt nicht substanziell zur Verbesserung der Gesamtlage beitrugen. Internationale Hilfsgelder verstärkten die Korruption in Krisenregionen deutlich. Alle internationalen Akteure tragen dazu bei, ob gewollt oder unbeabsichtigt. Daher ist der Faktor Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Transfers kritisch. Unter Umständen können Geldtransfers mehr Konflikte hervorbringen als ursprünglich bestanden haben. Zivile und militärische Akteure sollten bedenken, dass die Förderung des politischen Dialogs zumindest die gleiche Relevanz für einen geordneten Rückzug von Truppen hat wie der Aufbau von Sicherheitskräften. Der Polizeiaufbau entwickelt sich immer mehr zum entscheidenden Faktor bei der Stärkung staatlicher Sicherheitsstrukturen. Sowohl ein ziviler (EU-) als auch ein militärischer (US-)Ansatz im Hinblick auf Institutionsaufbau, Ausbildung und Einsatztraining hat – abhängig von der Sicherheitslage – seine 119

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Berechtigung. Ohne Koordination und Abstimmung der unterschiedlichen (staatlichen) Einzelinteressen ist jedoch keine positive Transformation zu erzielen. • Lerneffekte sind nach einem Jahrzehnt der Intervention vorhanden, wurden aber vom IKKM kaum übernommen. Die Entwicklungsschiene konnte z. B. von staatlichen Akteuren nicht in geplantem Ausmaß verstärkt werden – Afghanistan macht dabei den Mangel an zivilen Experten bei Stabilisierungsmissionen deutlich. Doch sind es gerade sie, die langfristig eine Transformationsfähigkeit der Bevölkerung positiv beeinflussen können, wie es auch einzelne Akteure zeigten.44 • Auch lokale Mitarbeiter vor Ort können einen wesentlichen Multiplikator für Missionen darstellen, werden jedoch v.a. von staatlichen Akteuren des IKKM nur unzureichend eingebunden. Hier ist bei zukünftigen Missionen anzusetzen, wobei Erfahrungen von NGOs in der betreffenden Region für die Einbindung sehr wertvoll sein können.

44 Vgl. z. B. die NGO „Swedish Committee for Afghanistan“, die über 5.000 lokale Mitarbeiter beschäftigt, oder auch die UNAMA, die über 1.700 von ca. 2.200 Mitarbeitern lokal rekrutiert hat.

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Internationales Krisenmanagement in Afrika Der Fall des Eisernen Vorhangs ließ in der internationalen Gemeinschaft die Hoffnung aufkommen, dass viele Konflikte in Afrika beendet werden könnten, da die sogenannten Stellvertreterkriege der Ost-West-Konfrontation ebenfalls zu Ende wären. Diese Hoffnung hat sich nur zum Teil erfüllt. Nach 1989 gab es in Afrika einige erfolgreiche, aber auch weniger erfolgreiche UNO-Missionen. Mit Stichtag 31. Juli 2013 haben seither 31 Missionen stattgefunden, wobei 22 bereits abgeschlossen wurden.1 Unterstützungen zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte waren sowohl historisch als auch gegenwärtig die Ausnahme. Gewaltsame Auseinandersetzungen wurden vielmehr innerhalb der Staaten ausgetragen. Auch die jüngste Mission der UNO in Mali (MINUSMA) wurde aufgrund eines innerstaatlichen Konfliktes notwendig. Aber nicht nur die UNO hat sich im Krisenmanagement betätigt, auch die Afrikanische Union (AU) und die Europäische Union (EU) sowie mehrere andere Regionalorganisationen waren aktiv.2 Eine Beschreibung aller Missionen mit ihren positiven und negativen Aspekten würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Aus diesem Grund wurden auf Ebene der Organisationen die UNO, die AU und die EU ausgewählt und innerhalb der Organisationen wieder differenziert. Die dargestellten UNO-Missionen repräsentieren Scheitern (Somalia), Versagen (Ruanda), Erfolg (Mosambik) und rezente Entwicklungen (Sudan und Südsudan sowie Mali und Demokratische Republik Kongo). Die Wahl von EUFOR Tchad/ RCA als Beispiel für EU-Missionen erfolgte aufgrund der starken österreichischen Beteiligung an dieser Mission, während bei den Missionen der AU einerseits das Konzept der Hybridmissionen und andererseits „african ownership“ im Vordergrund standen.

1 Missionen wie UNAVEM I bis III wurden jeweils einzeln gezählt. Eine umfassende Darstellung sämtlicher UN-Missionen ist unter zu finden. 2 Das Engagement der Regionalorganisationen, wie z. B. der Southern African Development Community (SADC) sowie der Economic Community of West African States (ECOWAS), wird in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht dargestellt.

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Das Krisenmanagement der UNO Von den 22 UN-Missionen, die bereits abgeschlossen sind, sollten lediglich die United Nations Aouzou Strip Observer Group (UNASOG), die United Nations Observer Mission Uganda-Rwanda (UNOMUR) sowie die United Nations Mission in Äthiopien and Eritrea (UNMEE) zwischenstaatliche Konflikte verhindern bzw. zur Konflikttransformation beitragen. Aufgabe von UNASOG war die Verifikation des Abzugs der libyschen Administration aus dem Aouzou-Streifen, der vom Internationalen Gerichtshof dem Tschad zugesprochen worden war. UNOMUR war geschaffen worden, um zu überwachen und zu verifizieren, dass keine militärische Unterstützung die Grenze passieren konnte. Aufgrund der Ereignisse in Ruanda im April 1994 wurde UNOMUR nie vollständig implementiert. Waren UNASOG (9 Militärbeob­ achter und 6 zivile internationale Beobachter) und UNOMUR (81 Militärbeobachter) reine Beobachtermissionen, reflektierte die autorisierte Anzahl von 4.200 Personen bei UNMEE den gänzlich anderen Charakter dieser Mission. UNMEE bleibt die bisher einzige größere, abgeschlossene zwischenstaatliche Mission.3 Unter jenen neun UN-Missionen, die nach wie vor im Feld präsent sind, trifft die Etikettierung „zwischenstaatlich“ lediglich auf die United Nations Interim Security Force for Abyei (UNISFA) zu. Analytisch schwieriger einzuordnen ist die UN Mission for the Referendum in Western Sahara (MINURSO), die je nach Interpretation des Status der Westsahara entweder zwischenstaatlich (Marokko und Republik Westsahara) oder innerstaatlich (Marokko) gesehen werden kann. Alle anderen Missionen, abgeschlossen oder laufend, beschränken sich auf einen Staat und innerstaatliche Konflikte. Die Vereinten Nationen haben mit ihrem Krisen- und Konfliktmanagement eine gemischte Erfolgsbilanz  : als der Misserfolg schlechthin gilt das Engagement in Somalia, als großer Erfolg Mosambik. Die Entlassung von Nelson Mandela aus der Haft und das damit verbundene Ende der Apartheid in Südafrika hatten auf mehrere Staaten im südlichen Afrika politische Auswirkungen. Den revolutionären Gruppierungen in Angola (Unita) und Mosambik (Renamo) fehlte die politische und militärische Unterstützung. Während eine endgültige Konflikttransformation in Angola erst nach dem Tod von Jonas Savimbi (Führer der Unita) im Jahr 2002 möglich wurde, ist die United-Nations-Operation in Mosambik (ONUMOZ)4 als eine der erfolgreichsten Missionen der UNO zu werten. 3 Auf UNMEE sowie die noch laufende zwischenstaatliche United Nations Interim Security Force for Abyei (UNISFA) wird weiter unten im Text noch ausführlicher eingegangen. 4 Mosambik – ONUMOZ  : , abgerufen am 17.4.2012.

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Internationales Krisenmanagement in Afrika

Die UNO in Somalia5 Seit dem Sturz von Diktator Siad Barré 1991 verfügt Somalia über keine Zentralregierung, die ihre Autorität über das gesamte Staatsgebiet ausüben kann. Die Zeit um den Dezember 1991 wird von den Somalis als „burbur“ (Katastrophe) bezeichnet. Bei Kämpfen verschiedener Klans starben Schätzungen zufolge alleine in Mogadischu 25.000 Menschen, 1,5 Millionen verließen das Land, 2 Millionen wurden zu Binnenflüchtlingen. Dürre, zerstörte Infrastruktur, Klansäuberungen und die Behinderung von Lebensmittellieferungen führten zu einer Hungersnot mit ca. 250.000 Toten. Die internationale Gemeinschaft engagierte sich nur zögerlich, da der Zerfall Jugoslawiens und der Krieg in Kuwait die meiste Aufmerksamkeit auf sich zogen. Die UNO reagierte vorerst nur mit einem Waffenembargo gegen alle Bürgerkriegsparteien. Nach einem Waffenstillstandsabkommen der wesentlichsten Bürgerkriegsparteien startete die UNO ihre erste Mission in Somalia (UNOSOM I)6, deren Aufgabe in der Überwachung des Waffenstillstandes und der Schaffung eines sicheren Umfeldes für die Verteilung von Hilfsgütern bestand. Da UNOSOM I nicht den gewünschten Erfolg brachte, wurde das Mandat erweitert und durch die Unified Task Force (UNITAF) unterstützt.7 Die US-geführte UNITAF war vom Sicherheitsrat ermächtigt, in der Operation „Restore Hope“ notfalls auch Gewalt anzuwenden (Kapitel-VII-Einsatz). Als Ziele galten die Sicherung der humanitären Hilfe, die Überwachung des Waffenstillstandes, die Entwaffnung der Rebellen und die Herstellung eines sicheren Umfeldes. UNITAF stellte allerdings nur eine Überbrückungsmission dar. Sie sollte der UNO Zeit verschaffen, um eine größere Mission aufzubauen und deren Ausgangsbedingungen zu verbessern.8 Da sich die USA im Verlauf der Operation verstärkt auf die Bekämpfung von Warlord Mohammed Farah Aideed konzentrierten, büßten sie ihre Unparteilichkeit ein und wurden zunehmend in Kämpfe mit dessen Milizen verwickelt. Die 5 Der Text basiert auf Hainzl, Gerald/Feichtinger, Walter  : IFK aktuell. Piraten und Islamisten. Wen interessiert Somalia  ? In  : Info aktuell zur Sicherheitspolitik 1/10. S. 4ff. 6 Resolution 751 (1992). Adopted by the Security Council at its 3069th meeting, on 24 April 1992, , abgerufen am 30.4.2012. 7 Resolution 837 (1993). Adopted by the Security Council at its 3229th meeting, on 6 June 1992, , abgerufen am 30.4.2012. 8 Pabst, Martin  : Internationales Krisenmanagement in Somalia. In  : Feichtinger, Walter/Hainzl, Gerald (Hg.)  : Somalia. Optionen – Chancen – Stolpersteine. Wien 2011.

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„Schlacht von Mogadischu“ am 3. und 4. Oktober 1993 führte zu einer bitteren Niederlage und dem raschen Abzug der US-Truppe.9 UNOSOM II10 wurde im März 1993 vom UNO-Sicherheitsrat beschlossen und blieb bis März 1995 in Somalia. Die Aufgaben umfassten die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität sowie die Unterstützung einer nationalen Versöhnung mit dem Ziel des Aufbaus demokratischer, wirtschaftlicher, politischer und sozia­ ler Institutionen. Das Engagement in Somalia muss als klarer Misserfolg gewertet werden. Somalia gilt als gescheiterter Staat und die UNO konnte seit 1991 keinen wesentlichen Beitrag zur Änderung der Situation leisten. Erst durch das Engagement mehrerer Organisationen (AU, UNO, EU, …) gibt es seit 2011 nach zwei verlorenen Jahrzehnten positive Anzeichen, die zu einer Stabilisierung führen könnten. Seit 3. Juni 2013 berät die United Nations Assistance Mission in Somalia (UNSOM) sowohl die Regierung in Mogadischu als auch die African Union Mission in Somalia (AMISOM) im Bereich Friedens- und Staatsaufbau in den Feldern Regierungsführung, Sicherheitssektorreform, Rechtsstaatlichkeit, Entwicklung eines föderalen Systems (inklusive Vorbereitung der Wahl 2016) und in der Koordinierung der Unterstützung von internationalen Gebern. Das Versagen in Ruanda Ruanda gilt gemeinsam mit Srebrenica als eines der dunkelsten Kapitel der UN-Missionen. In nur 100 Tagen wurden zwischen 500.000 und einer Million Menschen bzw. ca. 20 % der ruandischen Bevölkerung mehr oder weniger vor den Augen der Weltöffentlichkeit ermordet.11 Im Zeitraum des Genozids war die UNO mit der United Nations Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR) vor Ort,12 konnte aber nicht entscheidend zur Verhinderung der Gewalt beitragen. Im Oktober 1993 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 872 (1993) und etablierte damit UNAMIR.13 Ziel der Mission war es, die Konfliktparteien in   9 Bowden, Mark  : Black Hawk Down  : A Story of Modern War. Berkeley 1999. 10 Resolution 814 (1993). Adopted by the Security Council at its 3188th meeting, on 26 March 1992, , abgerufen am 30.4.2012. 11 Des Forges, Alison  : Leave No One to Tell the Story  : Genocide in Rwanda. Human Rights Watch 1999. 12 Ruanda – UNAMIR. United Nations Assistance Mission in Rwanda, , abgerufen am 26.4.2012. 13 Resolution 872 (1993), Adopted by the Security Council at its 3288h meeting, on 5 October 1993, , abgerufen am 29.4.2012.

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Ruanda bei der Implementierung des Arusha Peace Agreements zu unterstützen. Das Mandat sah vor, zur Sicherheit in der Hauptstadt Kigali beizutragen und das Waffenstillstandsabkommen zu überwachen. Darüber hinaus sollte die Sicherheitssituation während der letzten Phase der Übergangsregierung vor Wahlen überwacht werden. Weitere Aufgaben umfassten die Unterstützung beim Minenräumen – vorwiegend durch Ausbildung –, die Untersuchung im Falle der Nichteinhaltung des Arusha Peace Agreements, Überwachung der Repatriierung von Flüchtlingen und intern Vertriebenen sowie Verifikation der ordnungsgemäßen Durchführung, Unterstützung bei der Koordination von humanitären Aktivitäten, Untersuchung der Vorfälle – betreffend die Aktivitäten von Gendarmerie und Polizei –, und zu berichten. Mit Resolution 912 (1994)14 versuchte der Sicherheitsrat am 20. April 1994, auf die Entwicklungen zu reagieren, und adaptierte das Mandat. UNAMIR sollte im Lichte der Entwicklungen als Vermittler zwischen den Konfliktparteien auftreten und versuchen, deren Zustimmung zu einem Waffenstillstand zu bekommen. Zusätzlich war es Aufgabe der Mission, die Wiederaufnahme der humanitären Hilfsoperationen zu unterstützen, soweit dies machbar wäre, sowie die Entwicklungen in Ruanda zu überwachen und zu berichten, inklusive der Entwicklung der Sicherheit der Zivilisten, die bei UNAMIR Zuflucht gesucht hatten. Die maximale autorisierte Stärke waren ca. 5.200 Soldaten sowie 320 Militärbeobachter und 120 Zivilpolizisten. Das Mandat versetzte die Mission aber nicht in die Lage, den Genozid zu verhindern bzw. den Ereignissen adäquat zu begegnen. Es steht jedoch außer Streit, dass eine Kapitel-VI-Mission in keiner Weise geeignet war, den Problemen mili-tärisch adäquat zu begegnen. Die sehr enge Auslegung von Kapitel VI trug zusätzlich dazu bei, dass die UNO, obwohl informiert, nichts gegen die Planungen des Genozids unternahm.15 Nach der Ermordung von zehn belgischen Soldaten wurde die UNO-Truppe drastisch reduziert. Dieser Truppenabzug ließ Tausende Ruander schutzlos zurück und ermöglichte den Tätern die Fortsetzung des Völkermordes. Erst nachdem sich die Lage beruhigt hatte, kehrte die UNO zurück.

14 Resolution 912 (1994), Adopted by the Security Council at its 3368h meeting, on 21 April 1994, , abgerufen am 29.4.2012. 15 Vgl. hiezu Des Forges, Alison  : Leave No One to Tell the Story  : Genocide in Rwanda. Human Rights Watch 1999, sowie Dallaire, Roméo  : Shake Hands with the Devil. The failure of Humanity in Rwanda. New York 2003.

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Der Erfolg in Mosambik Nachdem Anfang Oktober 1992 der Präsident von Mosambik, Joaquim Alberto Chissano, und der Vorsitzende der Resistencia Nacional Moçambicana (Renamo) nach einem 14-jährigen Bürgerkrieg ein Friedensabkommen (General Peace Agreement) unterzeichnet hatten, wurden vom Sicherheitsrat ein interimistischer Special Representative sowie die Entsendung von bis zu 25 Militärbeobachtern autorisiert.16 Nach mehreren schweren Verletzungen des Waffenstillstandes konnten die beiden Konfliktparteien im Rahmen informeller Treffen politische Mechanismen entwickeln, die künftige gewaltsame Auseinandersetzungen verhindern sollten. Im Dezember 1992 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 797 (1992)17 und erteilte ONUMOZ ein Mandat, das folgende Aufgaben beinhaltete  : • neutrale Unterstützung der Implementierung des Friedensabkommens, • Überwachung und Verifizierung des Waffenstillstandes, der Truppenentflechtung und deren Demobilisierung sowie die Sammlung, Lagerung und Zerstörung von Waffen, • Überwachung und Verifizierung des vollständigen Abzugs ausländischer Kräfte und Herstellung der Sicherheit in den Transportkorridoren, • Überwachung und Verifizierung der Auflösung von privaten und irregulären bewaffneten Kräften, • Autorisierung von Sicherheitsabkommen für wichtige Infra-struktur, • Herstellung von Sicherheit für die UN und andere internationale Akteure, die den Friedensprozess unterstützen, • technische Unterstützung und Überwachung des gesamten Wahlprozesses, • Koordinierung und Überwachung der humanitären Unterstützungsoperationen, im Besonderen jener, die sich um Flüchtlinge, intern Vertriebene, demobilisiertes militärisches Personal und die betroffene Bevölkerung kümmern. Die UNO übernahm wesentliche Punkte des Friedensabkommens. Das Mandat beinhaltete ein politisches, ein militärisches und ein humanitäres Element sowie 16 Resolution 782 (1992). Adopted by the Security Council at its 3123rd meeting, on 13 October 1992, , abgerufen am 18.4.2012. 17 Resolution 797 (1992). Adopted by the Security Council at its 3149th meeting, on 16 December 1992, , abgerufen am 23.4.2012.

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ein Element zur Unterstützung der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen. Von Beginn an war das Zusammenwirken aller vier Elemente geplant  : „… the operational concept of ONUMOZ was based on the strong interrelationship between those four components, requiring a fully integrated approach and coordination …“18 Gleichzeitig wurde klargestellt, dass keine Wahlen durchgeführt würden, bis die militärischen Aspekte des Friedensabkommens voll umgesetzt wären. Die autorisierte Stärke der Mission waren 6.625 Mann und 354 Militärbeobachter. 355 internationale wurden von 506 lokalen Mitarbeitern unterstützt. Zusätzlich wurden während der Wahlen von ONUMOZ ca. 900 Wahlbeobachter eingesetzt.19 ONUMOZ musste im ersten Halbjahr 1993 mehrere Rückschläge hinnehmen. Dazu gehörten nicht nur Zeitverzögerungen, sondern auch Schwierigkeiten bei der Implementierung des Friedensabkommens. In seinem Bericht an den Sicherheitsrat vom 2. April 1993 stellte der UNO-Generalsekretär daher fest, dass viele der Zeitpläne unrealistisch waren. Vor allem ging die Demobilisierung der Truppen aufgrund von gegenseitigem Misstrauen der Konfliktparteien langsamer vonstatten als erhofft, ebenso die Verlegung von UNO-Truppen aus den gleichen Gründen.20 Im Februar 1994 wurde eine zivile Polizeikomponente (1.144 Mann Stärke) autorisiert,21 während die Reduktion des Militärs um 2.000 Mann im April desselben Jahres begann.22 Der Übergang von militärischen Kräften zu Polizeikräften weist auf eine Verbesserung der Sicherheitslage und auf das Vertrauen hin, das sich zwischen den politischen Akteuren in Mosambik und der UN-Mission gebildet hatte. Nachdem also die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden worden waren, konnten im Oktober 1994 Präsidenten- und Parlamentswahlen stattfinden. Mit dem Zusammentreten des neuen Parlaments und der Inauguration des Präsidenten endete ONUMOZ formal im Dezember 1994 als eine der erfolgreichen UNO-Missionen in Afrika. 18 Mosambik – ONUMOZ  : , abgerufen am 17.4.2012, S. 3. 19 Mosambik – ONUMOZ  : , abgerufen am 17.4.2012, S. 16. 20 Vgl. 8. The situation in Mozambique, , abgerufen am 23.4.2012 21 Resolution 898 (1994). Adopted by the Security Council at its 3338th meeting, on 23 February 1994, , abgerufen am 25.4.2012. 22 Mosambik – ONUMOZ  : , abgerufen am 17.4.2012, S. 16.

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Das Engagement im Sudan/Südsudan23 Zwei Jahrzehnte nach ONUMOZ schuf der Sicherheitsrat mit der United Nations Interim Security Force for Abyei (UNISFA) im Sudan nicht nur eine weitere Mission in Afrika, sondern auch im Sudan. Diese reiht sich in eine Anzahl von Missio­nen ein, die im Sudan und Südsudan von der UNO und der AU in unterschiedlichen Regionen implementiert worden waren.

Von UNAMIS über UNMIS zu UNMISS Am 11. Juni 2004 beschloss der Sicherheitsrat der UNO mit der Resolution 1547 (2004) die Installierung der United Nations Advance Mission in the Sudan (UNAMIS)24, um jenen politischen Prozess im Sudan zu unterstützen, der letztendlich zum Comprehensive Peace Agreement (CPA) geführt hat. Aufgrund der Eskalation der Situation in Darfur erhielt UNAMIS bereits am 30. Juli mit der Resolution 1556 (2004) zusätzliche Aufgaben. Im Jänner 2005 empfahl der Generalsekretär der UNO eine multidimensionale Peacekeeping-Operation, die am 24. März 2005 mit der Resolution 1590 (2005) vom Sicherheitsrat beschlossen wurde. Aus UNAMIS wurde UNMIS (United Nations Mission in the Sudan)25, eine Mission, die unter Kapitel VII der UN-Charta folgende Aufgaben hatte  : • Unterstützung bei der Implementierung des CPA, • Unterstützung und Koordinierung der freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen und intern Vertriebenen, • Unterstützung der Parteien des CPA durch Hilfe bei der Ent-minung, technische Unterstützung und Koordination, • Beitrag zu den internationalen Anstrengungen zum Schutz und der Förderung der Menschenrechte im Sudan sowie die Koordinierung internationaler An23 Die Beschreibungen der Missionen wurden aus Hainzl, Gerald/Feichtinger, Walter  : IFK aktuell. Scheidung auf Sudanesisch. Gegeneinander – Nebeneinander – Miteinander  ? In  : Info aktuell zur Sicherheitspolitik 2/11. S. 5f. übernommen und aktualisiert. 24 Resolution 1547 (2004), Adopted by the Security Council at its 4988th meeting, on 11 June 2004, , abgerufen am 27.4.2012. 25 Resolution 1590 (2005), Adopted by the Security Council at its 5151st meeting, on 24 March 2005, , abgerufen am 27.4.2012.

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strengungen zum Schutz von Zivilisten, wobei besonders verletzlichen Gruppen wie Flüchtlingen, intern Vertriebenen, Frauen und Kindern besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Da wesentliche strittige Punkte zwischen dem Sudan und dem Südsudan (Grenzziehung, Staatsbürgerschaft, …) nicht geklärt werden konnten, war es für UNMIS schwierig, den politisch wichtigsten Punkt des Mandates, die volle Implementierung des CPA, zu erreichen. Dies lag allerdings weniger an UNMIS als vielmehr am CPA und den beiden Konfliktparteien. Da das CPA praktisch eine Auseinandersetzung mit einer Zweistaatenlösung vor dem Referendum im Jänner 2011 ausschloss, konnten im Vorfeld keine weitreichenden zwischenstaatlichen Abkommen zwischen den beiden Landesteilen verhandelt werden, da zumindest die theoretische Möglichkeit bestand, dass sich die Bevölkerung des Südens für einen gemeinsamen Staat ausspräche. Aber auch die Zeit zwischen dem Referendum und der Ausrufung des neuen Staates Südsudan verstrich weitgehend ungenutzt. Mit der Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli endete das Mandat von ­UNMIS, da der Sudan (Khartoum) einer Verlängerung des Mandats von ­UNMIS bzw. einem neuen Mandat nicht zustimmte. Aus diesem Grund beschloss der Sicherheitsrat zur Konsolidierung von Frieden und Sicherheit im Südsudan am 8. Juli 2011 (Resolution 1996/2011) die Entsendung der United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS).26 UNMISS soll gemäß Mandat folgende Aufgaben erfüllen  : • Unterstützung der Konsolidierung des Friedens und langfristigen Staatsaufbaus und Förderung der ökonomischen Entwicklung, • Unterstützung der Regierung des Südsudan in den Bereichen Konfliktprävention, ‑entschärfung und -lösung sowie Schutz der Zivilbevölkerung, • Unterstützung der Regierung bei der Entwicklung von Kapazitäten, um Sicherheit zur Verfügung zu stellen, Rechtsstaatlichkeit zu etablieren und den Sicherheits- und Justizapparat zu stärken. Dies soll in Übereinstimmung mit den Prinzipien der nationalen Selbstbestimmung und in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern erfolgen. UNMISS agiert wie schon vorher UNMIS unter Kapitel VII der UNO-Charta. Personell sind bis zu 7.000 Militärpersonen, inklusive Verbindungs- und Stabsof26 Resolution 1996 (2011), Adopted by the Security council at its 6576th meeting, on 8 July 2011, , abgerufen am 27.4.2012.

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fizieren, sowie bis zu 900 Personen Polizeikräfte, inklusive formierter Einheiten, mandatiert. Darüber hinaus spricht die Resolution 1996 (2011) von einer angemessenen Anzahl einer zivilen Komponente, ohne jedoch die genaue Zahl zu spezifizieren. Vorerst wurde UNMISS ein Mandat für ein Jahr erteilt. Die Formulierungen in der Resolution lassen jedoch den eindeutigen Schluss zu, dass die UNO von einem längeren Zeitraum ausgeht, in dem sie den Südsudan unterstützen wird. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Sudan und Südsudan haben auch Auswirkungen auf die Möglichkeiten von UNMISS. Möglicherweise wird nach allfälligen Friedensverhandlungen die Mission mit anderen Aufgaben neu aufgestellt. Mit UNMISS hat die internationale Gemeinschaft nämlich eine Mission geschaffen, die vor allem der Gefahr eines Zerfalls des Südsudans entgegenwirken soll, da viele Kommentatoren den Südsudan bereits von Beginn an als gescheiterten Staat eingestuft haben. Mit den Aufgaben, die UNMISS durch das Mandat übertragen bekommen hat, sollen fehlende südsudanesische Strukturen vorerst kompensiert und während der Dauer des Einsatzes aufgebaut werden. Zwischenstaatliche Probleme werden vom Mandat nicht erfasst.

UNISFA (United Nations Interim Security Force for Abyei) Eine Woche, nachdem Sudan und Südsudan in Addis Abeba einer Friedensmission der äthiopischen Streitkräfte unter UNO-Mandat zugestimmt hatten, autorisierte der Sicherheitsrat mit der Resolution 1990 (2011) UNISFA (United Nations Interim Security Force for Abyei).27 Die Aufgaben der 5.326 Mann starken Truppe,28 die unter Kapitel VII der UNO-Charta agiert, umfassen unter anderen die Beobachtung und Verifizierung des Abzugs der sudanesischen Streitkräfte sowie der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) oder ihrer Nachfolgeorganisation. Die Bevölkerung und das UN-Personal sollen vor physischer Gewalt geschützt werden. Darüber hinaus einigten sich National Congress Party (NCP) und Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) auf eine demilitarisierte Puf27 Resolution 1990 (2011), Adopted by the Security Council at its 6567th meeting, on 27 June 2011, , abgerufen am 27.4. 2012. 28 Resolution 2104 (2013), Adopted by the Security Council at its 6970th meeting, on 29 May 2013, , abgerufen am 10.9.2013.

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ferzone, die jeweils zehn Kilometer in den Süden und den Norden reichen soll. Die äthiopischen Kräfte haben seit Beginn der Verlegung in das Einsatzgebiet am 8. Juli 2011 eine begrenzte Anzahl von Kontrollpunkten errichtet. UNISFA konnte zwar bisher gewaltsame militärische Zusammenstöße in Abyei verhindern, aber sehr wenig zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Der Schutz vor physischer Gewalt sowie die Einhaltung einer demilitarisierten Pufferzone können noch am ehesten als positiv bezeichnet werden, wenngleich sie nur notdürftig und unzureichend sind. In Bezug auf die Entwicklungen östlich und westlich von Abyei konnte UNISFA jedoch keinen positiven Einfluss ausüben. Nach wie vor wäre eine international unterstützte Überwachung der gesamten gemeinsamen Grenze, zumindest jedoch umstrittener Grenzabschnitte, die wahrscheinlich zweckmäßigste Lösung, bis die Frage der Grenzziehung endgültig geklärt sein wird.

UNAMID Neben den Friedensmissionen der UNO, die den Konflikt zwischen dem Sudan und dem Südsudan betreffen, ist in Darfur eine weitere Mission im Einsatz. Die African Union/United Nations Hybrid Operation in Darfur (UNAMID)29 ist eine Hybridmission von Afrikanischer Union und UNO. Nachdem 2003 in Darfur Kämpfe zwischen bewaffneten Rebellengruppen und Khartoum-treuen Milizen ausgebrochen waren, engagierte sich die internationale Gemeinschaft, um diesen Bürgerkrieg zu beenden. Bereits 2004 erhielt UNAMIS auch Aufgaben in Darfur zugewiesen. Die AU sandte im April 2004 eine kleine Beobachtermission in den Sudan, nachdem sie einen Waffenstillstand zwischen der sudanesischen Regierung und Rebellen vermittelt hatte (Humanitarian Ceasefire Agreement). Da sich die Gewalt gegen die Bevölkerung allerdings fortsetzte, wurde die African Union Mission in Sudan (AMIS) im Oktober 2004 auf ca. 3.200 Personen aufgestockt. Möglich wurde dies nur, da sich die Europäische Union bereit erklärt hatte, AMIS finanziell zu unterstützten.30 Das Mandat von AMIS umfasste die Überwachung des Humanitarian Ceasefire Agreement sowie einen Beitrag zur Sicherung der 29 Resolution 1769 (2007), Adopted by the Security Council at its 5727th meeting, on 31 July 2007, , abgerufen am 27.4. 2012. 30 Siehe unter Afrikanische Union.

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humanitären Hilfe sowie von zurückkehrenden Flüchtlingen und intern Vertriebenen. Bereits am 28. April 2005 wurde auf Beschluss des Peace and Security Councils der AU die Gesamtstärke von AMIS auf etwa 6.200 Soldaten und 1.560 Polizisten erhöht.31 Da sich Khartoum weigerte, das Mandat von UNMIS auch auf Darfur auszudehnen, wurde von der UNO als Alternative AMIS gestärkt. Nachdem der internationale Druck auf die sudanesische Regierung permanent verstärkt wurde, willigte diese schließlich ein, einer gemeinsamen Friedensoperation von AU und UNO zuzustimmen. Am 31. Juli 2007 erhielt United Nations Hybrid Mission in Darfur (UNAMID) vom Sicherheitsrat der UNO unter Kapitel VII der UNOCharta mit der Resolution 1769 (2007) ein Mandat für 19.555 Militärpersonen und 3.772 Zivilpersonen. Mit Stichtag 31. Mai 2013 waren 19.148 Soldaten, 342 Militärbeobachter und 4.721 Polizisten im Einsatz sowie fast 1.100 internationale zivile Mandatsträger, 2.924 lokale Mitarbeiter und etwa 480 UN-Freiwillige. Die Aufgaben von UNAMID sind folgendermaßen definiert  : • Schutz des Personals, der Einrichtungen, Anlagen sowie der Ausrüstung und die Sicherstellung der Sicherheit und Bewegungsfreiheit des eigenen Personals sowie der humanitären Mitarbeiter, • Unterstützung in der raschen und effektiven Implementierung des Darfur Peace Agreements, Verhinderung der Unterbrechung der Implementierung sowie bewaffneter Angriffe und Schutz von Zivilisten ohne ein Präjudiz bezüglich der Verantwortung der Regierung des Sudans. Die massive Präsenz internationaler Kräfte hat – neben den Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen – sicherlich dazu beigetragen, dass das Gewaltniveau 2011 stark abgenommen hat und in den Jahren davor eine Eskalation verhindert. Eine volle Umsetzung der Ziele scheiterte dennoch am mangelnden Friedenswillen der Konfliktparteien. Ab 2012 haben sich im Sog der Konflikte zwischen Sudan und Südsudan negative Tendenzen weiterentwickelt und führten 2013 in Darfur zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen.

31 Detaillierte Informationen über AMIS siehe Ekengard, Arvid  : The African Union Mission in Sudan (AMIS). Experiences and Lessons Learned. Stockholm 2008, , abgerufen am 26.4.2012.

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Die UNO in Mali Das Eingreifen Frankreichs in Mali im Rahmen der Operation Serval gemeinsam mit der African-led International Support Mission (AFISMA) erforderte eine umfassendere Antwort der internationalen Gemeinschaft, um eine langfristige nachhaltige Stabilisierung zu gewährleisten. Am 25. April 2013 schuf daher der Sicherheitsrat der UNO mit der Resolution 2100 (2013) die UN Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA). Das internationale Krisenmanagement in Mali ist somit für die nächsten Jahre festgelegt. Der Sicherheitsrat autorisierte bis zu 12.640 Uniformierte (11.200 Soldaten und 1.440 Polizisten). Das Mandat sieht folgende Aufgaben vor  : • die Unterstützung der malischen Behörden bei der Stabilisierung von wichtigen Bevölkerungszentren und der Wiederherstellung der staatlichen Autorität im gesamten Land, • die Unterstützung politischer Prozesse sowie von Wahlen, • den Schutz von Zivilisten und Personal der UNO, • die Unterstützung bei der Förderung und Schutz von Menschenrechten und humanitärer Hilfe • sowie bei nationaler und internationaler Rechtsprechung.32 Die längerfristige Präsenz von MINUSMA kann, wie die Präsidentenwahlen gezeigt haben, einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Stabilisierung leisten. Allerdings wird vonseiten der UNO ein ebenso großer und langfristiger Beitrag zum Staatsaufbau notwendig sein.33

Die Europäische Union als Akteur in Afrika Nach einem Jahrzehnt von UN-dominiertem Krisen- und Konfliktmanagement traten im neuen Jahrtausend zwei weitere Akteure auf den Plan  : die Europäische Union (EU) und die AU. Das Engagement der EU in Afrika im Rahmen der Europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik begann im Jahr 2003 in der Demokratischen Republik 32 Hainzl, Gerald  : Mali nach der Operation Serval. IFK Monitor, August 2013. 33 Mail & Guardian  : UN mission seeks to stabilise Mali, , abgerufen am 26.8.2013.

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Kongo (DRC).34 Die Operation ARTEMIS sollte dazu beitragen, die humanitäre sowie die Sicherheitslage in der Provinz Ituri zu verbessern, und die DRC blieb seit diesem Zeitpunkt, gemessen an der Anzahl der Missionen, ein Schwerpunkt der EU. 2005 starteten die bis dato laufende European Union Security Sector Reform Mission in the Democratic Republik of the Congo (EUSEC RD Congo) sowie bis 2007 EUPOL Kinshasa zum Aufbau einer Integrierten Polizeieinheit in Kinshasa. EUPOL Kinshasa wurde 2007 von der nach wie vor aktiven EUPOL RD Congo abgelöst. 2006 unterstützte die EU mit EUFOR RD Congo zeitlich begrenzt im Umfeld der Wahlen die UN-Mission MONUC (Mission de l’Organisation des Nations Unies en République Démocratique du Congo) militärisch. 2005 und 2006 unterstützte die EU die African Union Mission in Sudan (AMIS II), von 2008 bis 2009 lief EUFOR Tchad/RCA als Überbrü-ckungsmission bis zur Übergabe der Verantwortung an eine UN-Mission. Einen weiteren Schwerpunkt der EU bildet Somalia. Seit 2008 patrouilliert die European Union Naval Force Somalia (EU NAVFOR Atalanta) die internationalen Gewässer vor Somalia, um Piraterie zu bekämpfen, während mit der European Union Somalia Training Mission (EUTM Somalia) versucht wird, zur Stabilisierung Somalias beizutragen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die EUTM die somalischen Militärs nicht in Somalia, sondern in Uganda ausbildet. EUFOR Tchad/RCA war mehr oder weniger einer regionalen Konfliktdynamik geschuldet. Einerseits hatte der Darfur-Konflikt zu diesem Zeitpunkt eine starke Stellvertreterrolle für den Sudan und Tschad. Daneben führten Gerüchte und Repressionen im Tschad und der Republik Zentralafrika zu zigtausenden intern Vertriebenen, die neben den Flüchtlingen aus Darfur in Flüchtlingslagern lebten und ebenso wie diese stark von internationaler humanitärer Hilfe abhängig waren. Aufgrund von Sicherheitsproblemen durch Milizen bzw. Banditen und kriminelle Gruppen waren Mitarbeiter humanitärer Organisationen des Öfteren gezwungen, sich aus einer Region zurückzuziehen bzw. ihr Engagement drastisch einzuschränken. Aus diesem Grund entschied der UN-Sicherheitsrat, die Mission MINURCAT im Tschad und der Republik Zentralafrika mit einer Polizeikomponente einzusetzen. Zur raschen militärischen Unterstützung der Mission wurde von der EU EUFOR Tchad/RCA entsandt. EUFOR war als sogenannte „bridging mission“ geplant, mit der Idee, die Verantwortung einer größeren UN-Mission, 34 Für einen Überblick über die ESVP/GSVP-Missionen siehe , abgerufen am 3.2.2012.

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MINURCAT II, nach einem Jahr zu übertragen. Da Frankreich den europäischen Einsatz maßgeblich vorantrieb und bereits seit Jahren eine bilaterale militärische Präsenz im Tschad hatte, argumentierten einige EU-Mitgliedsstaaten, dass die EU nicht für nationale Interessen instrumentalisiert werden sollte. Mit diesem Wissen im Hintergrund entschied der Rat der EU zwar für die Entsendung einer EUFOR-Operation, aber mit einem sehr beschränkten Mandat.35 Eine politische Zielsetzung beinhaltete das Mandat nicht. Aus diesem Grund und wegen der kurzen Dauer der Mission konnte EUFOR Tchad/RCA weder auf die strukturellen Gründe der Konflikte einwirken noch zu einer Transformation des politischen Systems im Tschad selbst beitragen. Allerdings reduzierte die Anwesenheit von EUFOR Rebellenangriffe und die militärische Bedrohung für Präsident Idriss Déby. Für die humanitären Organisationen hatte EUFOR positive Effekte, wenngleich es keine Polizeimission war  : durch den Schutz der EUFORTruppen konnten sie in Regionen wieder tätig werden, aus denen sie sich zuvor aus Sicherheitsgründen hatten zurückziehen müssen.36 Gemessen am Mandat hat EUFOR Tchad/RCA seine Aufgaben erfüllt. Im Osten des Tschad konnte die Gewalt gegen Zivilisten eingedämmt werden, die Sicherheit von intern Vertriebenen und Flüchtlingen konnte erhöht und die Sicherheitsvoraussetzungen für die Arbeit der humanitären Organisationen verbessert werden.37 Eine etwas kritischere Sichtweise ist bei der Funktion von EUFOR Tchad/RCA als „bridging mission“ angebracht. Der Stellvertretende Kommandant von MINURCAT, der irische General Gerald Aherne, äußerte sich zur Übergabe der Verantwortung kritisch  : „The transfer of authority (TOA) from EUFOR to MINURCAT Force on 15 March was a possible accident waiting to happen.“38 Dass die Übergabe dennoch funktionierte, macht General Aherne an folgenden Umständen fest  : Es wechselten genügend Soldaten der truppenstellenden Nationen von EUFOR unter das Kommando von MINURCAT (rehatting) und gewährleisteten eine notwendige Kontinuität  ; es gab in beiden Kommanden jeweils kleine Gruppen engagierter und kompetenter Offiziere, die die Führung allen Widrigkeiten zum Trotz sicherstellen konnten  ; eine relativ ungefährliche 35 Hainzl, Gerald/Feichtinger, Walter  : EUFOR Tchad/RCA Revisited – A Synopsis. In  : Feichtinger, Walter/Hainzl, Gerald (Hg.)  : EUFOR Tchad/RCA Revisited. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, 3/2011/S, Wien, S. 7–18, hier S. 7f. 36 Hainzl, Gerald/Feichtinger, Walter  : EUFOR Tchad/RCA Revisited, S. 9ff. 37 Hainzl, Gerald/Feichtinger, Walter  : EUFOR Tchad/RCA Revisited, S. 11ff. 38 Aherne, Gerald  : From EUFOR to MINURCAT Force – A MINURCAT Force Headquarters Perspective. In  : Feichtinger, Walter/Hainzl, Gerald (Hg.)  : EUFOR Tchad/RCA Revisited. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, 3/2011/S, Wien, S. 141–153, hier S. 141.

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Sicherheitslage im Operationsgebiet zum Zeitpunkt der Übergabe, „and, above all, luck“.39 Da die EU die Ausbildungsmission in Somalia als erfolgreiches Unterfangen beurteilte, folgte nach der französischen Intervention in Mali (1. Halbjahr 2013) eine weitere EU-Trainingsmission. EUTM Mali soll in Übereinstimmung mit der EU-Strategie für Entwicklung und Sicherheit im Sahel, die malischen Streitkräfte stärken und an internationale Standards heranführen. Die Ausbildung erfolgt in den Bereichen Führung, Logistik und Personalwesen, internationalem humanitären Recht sowie Schutz von Zivilpersonen und Menschenrechten.40

Das Engagement der Afrikanischen Union (AU) Die Afrikanische Union hat seit ihrer Gründung im Jahr 2002 vier wesentliche Missionen am Kontinent durchgeführt. 2003 begann mit der African Union Mission in Burundi (AMIB) die erste Operation, die von Mitgliedsstaaten der AU angestoßen, geplant und durchgeführt wurde.41Ab 2004 engagierte sich die AU mit der African Union Mission in Sudan (AMIS) in Darfur und seit 2007 mit der African Union Mission in Somalia (AMISOM) in Somalia sowie mit der African Union Electoral and Security Assistance Mission (MAES) 2007/8 auf den Komoren. An den vier Missionen lässt sich die Weiterentwicklung des Krisenmanagements der AU ablesen. AMIB hatte die Aufgabe, in Burundi jene Bedingungen zu schaffen, die eine Friedensoperation der UNO ermöglichen sollten. Mit Ablauf des Mandats hatte AMIB in den meisten Provinzen, abgesehen von der Region um die Hauptstadt Bujumbura, einen relativen Frieden als Voraussetzung für Peacebuildingmaßnahmen geschaffen. Durch die Anwesenheit von AMIB konnten zwar nicht alle Sicherheitsprobleme gelöst werden, aber nach Murithi jene Stabilität erreicht werden, die eine Überleitung von AMIB zur Opération des Nations Unies au Burundi (ONUB) ermöglichte. Die Soldaten der AMIB wurden in ONUB übernommen.42 39 Aherne, Gerald  : From EUFOR to MINURCAT Force, S. 141. 40 Hainzl, Gerald  : Mali nach der Operation Serval. IFK Monitor, August 2013. 41 Murithi, Tim  : The African Union’s evolving role in peace operations  : the African Union Mission in Burundi, the African Union Mission in Sudan and the African Union Mission in Somalia. In  : African Security Review, vol. 17 no. 1/March 2008, S. 70–82, hier S. 75. 42 Murithi, Tim  : The African Union’s evolving role in peace operations  : the African Union Mission in Burundi, the African Union Mission in Sudan and the African Union Mission in Somalia. In  : African Security Review, vol. 17 no. 1/March 2008, S. 70–82, hier S. 75.

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Eine ähnliche Entwicklung nahm die Mission der AU im Sudan, wenngleich zusätzlich zur UNO auch die EU als maßgeblicher Akteur auftrat und sich nicht nur dadurch im internationalen Krisenmanagement in Afrika eine neue Dimension auftat. Im Juli 2004 entsandte die AU 60 Militärbeobachter sowie 310 Soldaten zu deren Schutz, um politische Initiativen zur Beendigung der Konflikte zu unterstützen. Die Aufgabe der African Union Mission in Sudan (AMIS) war die Überwachung des Waffenstillstandsabkommens für Darfur, das im April 2004 abgeschlossen worden war.43 In weiterer Folge wurde AMIS mehrfach aufgestockt und erreichte ein Jahr später eine Stärke von 7.000 Mann. Die Finanzierung von AMIS II war jedoch durch die AU alleine nicht zu bewerkstelligen. Einem neuen politischen Ansatz und dem neuen Imperativ „Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“44 folgend, richtete die Europäische Union eine Friedensfazilität für Afrika ein  : „Die EU beteiligt sich an der für die Überwachung der Einhaltung der Waffenruhe zuständigen AU-Mission und finanziert diese über die Friedensfazilität für Afrika mit.“45 Die Zielsetzung der AMIS-EU-Unterstützungsmission war „die Gewährleistung einer wirkungsvollen und rechtzeitigen EU-Unterstützung bei der Aufstockung von AMIS II. Die EU achtet und unterstützt den Grundsatz der afrikanischen Eigenverantwortung, und die Unterstützungsaktion der EU besteht darin, die AU und ihre politischen, militärischen und polizeilichen Anstrengungen zur Bewältigung der Krise in der Region Darfur in Sudan zu unterstützen.“46 Mit dieser Unterstützung konnte AMIS II durchgeführt werden und wurde im Juni 2007 Teil von UNAMID. UNAMID als Hybridmission zweier Organisationen stellt sowohl für die UNO als auch für die AU Neuland dar, könnte aber für künftige Missionen durchaus als Modell dienen. Für die AU scheint es nämlich auch in nächster Zukunft kaum möglich zu sein, Friedensmissionen vollständig 43 UNMIS Background  : , abgerufen am 23.2.2012. 44 Die im März 2004 vom damaligen britischen Premierminister Tony Blair eingesetzte Commission for Africa, die ein Jahr später die 400-Seiten-Studie „Our Common Interests“ präsentierte, folgte diesem Grundtenor, der sich mehr und mehr auch in sicherheitspolitischen Diskursen festsetzte und wie im Fall von AMIS II in konkreter Politik manifestierte. 45 GEMEINSAME AKTION 2005/557/GASP DES RATES vom 18. Juli 2005 betreffend die zivil-militärische Unterstützungsaktion der Europäischen Union für die Mission der Afrikanischen Union in der Region Darfur in Sudan, , aufgerufen am 23.2.2012, hier (11). 46 GEMEINSAME AKTION 2005/557/GASP DES RATES vom 18. Juli 2005 betreffend die zivil-militärische Unterstützungsaktion der Europäischen Union für die Mission der Afrikanischen Union in der Region Darfur in Sudan, , aufgerufen am 23.2.2012, hier Abschnitt 1 Artikel 1.

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selbst zu finanzieren, und daher könnten Modelle wegweisend sein, die einerseits ein afrikanisches Engagement ermöglichen und anderseits die Finanzierung sicherstellen. Die AU leistete sowohl bei AMIB als auch bei AMIS einen wertvollen Beitrag zur Stabilisierung und signalisierte der internationalen Gemeinschaft ihren Willen, Verantwortung bei der Stabilisierung von Krisenherden zu übernehmen. Die Stabilisierung in Burundi sowie die Sicherung der Flüchtlingslager in Darfur stehen auf der Habenseite der AU. Beide Missionen offenbarten aber auch gravierende Defizite bei der Logistik und Ausrüstung sowie den strategischen Transportkapazitäten und in der Führung (Command and Control).47 Die African Union Mission to Somalia (AMISOM) wurde auf Grundlage der UNO-Sicherheitsratsresolutionen 1744 (2007)48 und 1772 (2007)49 geschaffen und operiert unter Kapitel VII der UNO-Charta. Die Aufgaben umfassen  : • die Unterstützung von Dialog und Versöhnung, • Schutz der Regierung und von Schlüsselinfrastruktur, Unter-stützung bei der Implementierung des National Security and Stabilisation Plan (NSSP), • technische Unterstützung bei der Entwaffnung und Stabilisierung, • Überwachung humanitärer Operationen • und der Rückkehr von Flüchtlingen • sowie den Selbstschutz der Mission. Die autorisierte Stärke liegt derzeit bei 17.731 uniformierten Personen (Soldaten und Polizisten).50 Der UN-Sicherheitsrat hat in der Resolution 2010 die Afrikanische Union aufgefordert, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die mandatierte Stärke zu erreichen. Gleichzeitig wurde eine Anhebung der Truppenstärke in Aussicht gestellt, sobald die Obergrenze erreicht sein sollte. Lange Zeit war die Mission nicht in der Lage, über den Großraum Mogadischu hinaus wirksam zu werden. Truppensteller fanden sich nur sehr zögerlich, ob47 Schmidt, Siegmar  : Die EU als Retterin der AU  ? Giga Focus 5/2008, hier S. 3. 48 Resolution 1744 (2007), Adopted by the Security Council at its 5633rd meeting, on 20 February 2007, , abgerufen am 29.4.2012. 49 Resolution 1772 (2007), Adopted by the Security Council at its 5732rd meeting, on 20 August 2007, , abgerufen am 29.4.2012. 50 Resolution 2036 (2012), Adopted by the Security Council at its 6718th meeting, on 22 February 2012, , abgerufen am 19.9.2013.

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wohl es mehrere Zusagen gab. Zu Beginn der Mission trug hauptsächlich Uganda die Last und wurde in weiterer Folge von Burundi unterstützt. Mit der Truppenentsendung von Dschibuti sollte ein weiteres Land seine Zusage erfüllen. Eine Dynamisierung der Entwicklungen entstand infolge der Überfälle und Entführungen durch somalische Kräfte, die der Al Shabaab zugerechnet werden, auf kenianischem Staatsgebiet. Kenia war dadurch nicht nur militärisch herausgefordert, sondern sah auch die wichtige Einnahmequelle Tourismus gestört. Da die Zahl der somalischen Flüchtlinge in Kenia zudem ständig anwuchs, entschloss sich die Regierung, militärisch in Südsomalia einzugreifen. Diese Maßnahme wurde international de facto im Nachhinein legitimiert, da Kenia als Teil von AMISOM an der Stabilisierung Somalias teilnimmt. Dies steht durchaus im Einklang mit dem Engagement der AU sowie der Inter-Governmental Authority on Development (IGAD), die als Regionalorganisation ihre vorhandenen Kapazitäten zu Stabilisierung Somalias ebenfalls entfalten möchte. Problematisch erscheint jedoch aufgrund früherer Entwicklungen ein vermehrtes Engagement Äthiopiens, das sich aus somalischer Sicht dem Vorwurf der strikten Verfolgung nationaler Interessen ausgesetzt sieht. Nichtsdestotrotz sind auch äthiopische Truppen in Somalia im Einsatz. Das Krisenmanagement in Somalia hat durch regionale Akteure seit Beginn der zweiten Jahreshälfte 2011 deutlich an Fahrt gewonnen. Die Roadmap des Transitional Federal Government (TFG)51, die letztendlich zu einer Verfassung und zu demokratischen Wahlen führen soll, hat offensichtlich das Vertrauen der Regionalorganisationen und der Nachbarstaaten gefunden. Da die Al Shabaab jedoch militärisch nicht besiegt werden kann, sollte eine Einbindung wesentlicher Akteure in die Gestaltung der Zukunft Somalias überdacht werden. Diesbezügliche Forderungen afrikanischer Politiker sollten im Sinne einer gewaltfreien Konfliktlösung mit in Betracht gezogen werden. Die AU ist bei ihrem Engagement in Somalia auf externe Unterstützung angewiesen. Die EU trägt zu AMISOM ebenso wie zu AMIS II durch finanzielle Unterstützung mittels Peace Facility52 bei. Die African Union Electoral and Security Assistance Mission (MAES) auf den Komoren ist die vierte Mission der 51 Consultative meeting on the ending the transition in Somalia, Statement on Adoption oft he Roadmap. Mogadishu, 6 September 2011, , abgerufen am 29.4.2012. 52 European Commission  : Development an cooperation. , abgerufen am 20.07. 2012.

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AU. Nach politischen Wirren kam es zu Unruhen und Auseinandersetzungen zwischen Gendarmerie und Streitkräften. Die AU entsandte auf Ansuchen der Regierung der Komoren MAES, um die Lage zu stabilisieren und die Abhaltung von Wahlen zu ermöglichen.53 Allerdings war die Mission so konzipiert, dass nicht genügend Druck aufgebaut werden konnte. Daher musste die AU das Mandat von MAES von einer Sicherung der Wahlen auf Kapitel VII der UNO-Charta umwandeln. Gleichzeitig stellten Tansania, Senegal und Sudan der „Operation Democracy“ Truppen zur Verfügung. Das Mandat von MAES endete im Oktober 2008. Dass auf den Komoren wieder Demokratie hergestellt werden konnte, ist aber weniger MAES als vielmehr der „Operation Democracy“ geschuldet, da erst durch diese auch der nötige Druck ausgeübt wurde.54 Die AU hat nie erklärt, ob „Operation Democracy“ Teil von MAES war oder als eigenständig betrachtet wurde.

Jüngste Entwicklungen im Krisenmanagement in Afrika In der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) wurden neue Missionen gestartet, deren Hauptlast von Staaten der AU getragen werden soll. Mit der United Nations Intervention Brigade wurde in der DRC ein neues Kapitel im Internationalen Krisenmanagement der UNO aufgeschlagen. Die mit Sicherheitsratsresolution 2098 (2013)55 mandatierte Brigade soll auch unter Einsatz von Gewalt gegen Rebellengruppierungen vorgehen. Die Resolution spricht explizit von „Neutralizing armed groups through the Intervention Brigade“. Die Brigade wird von 3.069 Soldaten aus Südafrika, Tansania und Malawi gebildet und ist in drei Infanteriebataillone, eine Artillerieeinheit, Spezialeinsatzkräfte sowie eine Aufklärungskompanie gegliedert. Falls das Konzept erfolgreich sein wird, könnte es für künftige Missionen in Staaten mit mehreren nicht verhandlungsbereiten Gewaltakteuren Modellcharakter haben. 53 AU PSC  : Communique on the situation in the Comoros, PSC/MIN/Comm 1 (LXXVII), 9 May 2007. 54 Mays, Terry  : Historical Dictionary of Multinational Peacekeeping. Plymouth, 2010, S. 42, und Svensson, Emma  : The African Union’s Operations in the Comoros MAES and Operation Democracy, Stockholm, 2008, S. 20. 55 Resolution 2098 (2013), Adopted by the Security Council at its 6943rd meeting, on 28 March 2013, , abgerufen am 19.9. 2013.

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Mit 1. August 2013 wurde die Mission der Economic Community of Central African States (ECCAS) für die Friedenskonsolidierung in der ZAR (MICOPAX) in die African-led International Support Mission in the Central African Republic (AFISM-CAR) übergeführt. Die Mission wurde vom Friedens- und Sicherheitsrat der AU (Peace and Security Council) am 19. Juli 2013 geschaffen und soll für die Anfangsperiode von sechs Monaten folgende Aufgaben wahrnehmen  : • Schutz der Zivilbevölkerung und Wiederherstellung von Sicherheit und öffentlicher Ordnung durch angemessene Maßnahmen, • Stabilisierung des Landes und Herstellung der Autorität der Zentralregierung, • Reform und Restrukturierung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors, • Schaffung von Bedingungen, welche die Bereitstellung von humanitärer Hilfe für die Bevölkerung ermöglichen. Die Stärke von AFISM-CAR soll 3.652 Personen umfassen  : 2.475 Soldaten, 1.025 Polizisten und 152 Zivilpersonen.56

Abschließende Bemerkungen Aus den oben angeführten Beispielen lassen sich wesentliche Erkenntnisse ableiten  : • Die UNO kann nur so gut sein, wie es die Konfliktparteien zulassen. • Die Einbindung aller Akteure sollte für eine dauerhafte Lösung in Betracht gezogen werden. • Gewaltsame Konflikte, die sich über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut haben, bedürfen in ihrer Bearbeitung einer ebenso großen Zeitspanne. Friedensmissionen sollten diesem Umstand Rechnung tragen. • Die AU kann die Last ihres Engagements nicht alleine tragen und bedarf externer Unterstützung, sei es wie bei UNAMID mit Hybridmissionen oder wie bei AMIS II bzw. AMISOM durch finanzielle Beiträge. Die EU könnte dabei ein verlässlicher Partner sein. 56 Communiqué of the Peace and Security Council oft he African Union (AU), at its 386th meeting on the Situation in the Central African Republic, , abgerufen am 18.9.2013.

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• Hybridmissionen und finanzielle Unterstützung sind aber nur ein Faktor, der eine Zusammenarbeit notwendig erscheinen lässt. Auch die steigende Komplexität der Missionen wird künftig ein Job-/Burdensharing wahrscheinlicher machen. • Ein zusätzlicher Effekt von Hybridmissionen ist der Transfer von institutionalisiertem Wissen von der UNO an die AU.

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Konfliktmanagement im Vorderen Orient: Negativer Frieden als Ultima Ratio? Internationales Konfliktmanagement als Opfer und Garant politischen Unwillens

Solange noch im Herzen eine jüdische Seele wohnt und nach Osten hin, vorwärts, ein Auge nach Zion blickt, solange ist unsere Hoffnung nicht verloren, die Hoffnung, zweitausend Jahre alt, zu sein ein freies Volk, in unserem Land, im Lande Zion und in Jerusalem  ! Auszug aus Ha-Tikwa (dt. = die Hoffnung), der israelischen Nationalhymne

1. Einleitung Das Jahr 1989, geprägt durch seinen politischen Paradigmenwechsel in Osteuropa, führte in Bezug auf den Nahen Osten und Nordafrika zu der oft wiederholten und als Schlussfolgerung in den Raum gestellten Behauptung, die arabische Welt habe den Zug in Richtung Demokratie und Pluralismus verpasst. Freilich befindet sich die arabische Region, damals wie heute, in einer grundlegend verschiedenen Akteurskonstellation als die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion in Europa, wenngleich die jüngsten Umbrüche zur Änderung einiger relevanter Parameter geführt haben. Das im Jahre 1989 einsetzende Ende des Kalten Krieges und das zwei Jahre danach erfolgte Ende der Sowjetunion hatten für die arabische Region keine unmittelbaren Folgen bezüglich ihrer Ausrichtung an den ehemaligen Großmächten. Die Allianzen mit den USA und der Sowjetunion hatten sich bereits seit einiger Zeit stark zugunsten Ersterer verschoben, wobei zum damaligen Zeitpunkt nur noch Syrien relativ fest im sowjetischen Einflussbereich verankert war. In jenem historischen Jahr geopolitischer Veränderung befand sich der israelisch-palästinensische Konflikt in einer neuen Eskalationsphase, die sich durch die anhaltende ‚Auflehnung‘ (arab. = Intifâda) gegen die israelische Besatzungsmacht sowie die Korruption der eigenen politischen Elite auszeichnete. Wichtiger als der Ausbruch und Verlauf dieses Aufstandes war jedoch die Grundsatzent143

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scheidung des Palestinian National Council (PNC) im Jahr davor, eine Zweistaatenlösung zu befürworten. Der PNC (die gesetzgebende Institution der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO) hatte sich bei seinem Gipfeltreffen in Algier im Jahr 1988 nach heftigen Debatten dazu durchgerungen, den Konflikt mit den Israelis dahin gehend zu entschärfen, dass sich Yassir Arafat für die Existenz eines palästinensischen Staatswesens auf einem Bruchteil des ehemaligen britischen Mandatsgebietes Palästina aussprach. Dieser prinzipiell konstruktive und deeskalierende Zugang zu einer Konfliktlösung (ganz im Sinne der ursprünglichen UN-Resolution 181 des Sicherheitsrates und somit indirekt auch die Akzeptanz des israelischen Staatswesens bestätigend) wurde jedoch von der unilateralen Staatsausrufung eines palästinensischen Staates begleitet, was wiederum zu Unstimmigkeiten und Spannungen führte. Die in den 1990er-Jahren allgemein einsetzende Tendenz im IKKM zur humanitären Intervention und zum Staatenaufbau hatte auch greifbare Auswirkungen auf die Krisenregion Naher und Mittlerer Osten. Als Meilensteine sowie als Wendepunkte in den Bemühungen, den Palästina-Konflikt friedlich beizulegen, können die Madrider Konferenz vom Herbst 1991 sowie das Oslo-Abkommen von 1993 (Grundsatzerklärung) betrachtet werden, welche den Versuch darstellten, eine Etappe auf dem Weg zur palästinensischen Eigenstaatlichkeit zu konkretisieren. Streng genommen kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht einmal ansatzweise von „post-conflict statebuilding“ gesprochen werden, da der Vorgang der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) inmitten des Spannungsfeldes zahlreicher weiterhin ungelöster Konfliktkomponenten erfolgte – die bis heute nicht nur einer Lösung, sondern selbst einer Erörterung bei offiziellen Gesprächen harren.1 Die frühen 1990er-Jahre waren in der Region weiters durch den zweiten Golfkrieg bestimmt, in dem neben Kuwait und Saudi-Arabien auch Israel vom Irak angegriffen wurde. Der darauf folgende massive Gegenschlag einer Allianz unter Führung der US-Streitkräfte, welcher nicht zuletzt aufgrund der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen im Zuge der begonnenen Auflösung der Sowjetunion gelang, stellte eine bedeutende Etappe auf dem Weg zur forcierten Demokratisierung eines konzeptuellen „Broader Middle East“ dar. Die politisch inhärent instabilen Regionen Nordafrika und Naher Osten beheimaten bereits seit mehreren Jahrzehnten eine breite Palette an Missionen und Operationen der internationalen Krisen- und Konfliktbearbeitung. Der Bogen spannt sich programmatisch von friedenserhaltenden Maßnahmen (Peacekee1 Vgl. Kepel, Gilles  : Fitna – Guerre au cœur de l’islam. Paris  : Gallimard, 2004, S. 23–68.

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ping) über diplomatische oder geheime Vermittlungstätigkeiten (Mediation) zu umfassenderen friedensschaffenden Maßnahmen (Peacebuilding) sowie geografisch von der Westsahara (MINURSO – United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara) über die rezente UNSMIL (United Nations Support Mission in Libya) in Libyen und die MFO (Multinational Force and Observers) am Sinai hin zu den zahlreichen UN- und EU-Aktivitäten (z. B. UNRWA, EUPOL COPPS2) in der Levante im engeren Sinn bis zur jüngst beendeten NATO-Präsenz (NATO Training Mission, NTM-I) im Irak. Beobachtung von Waffenstillständen, Überwachung von Pufferzonen oder Grenzübergängen, humanitäre Unterstützungsmaßnahmen, fachspezifische Ausbildungen, Sicherheitssektorreform, Aufbau von staatlichen Institutionen und Flüchtlingsbetreuung ergänzen oder überlappen einander, bewirken jedoch bestenfalls ein Einfrieren der Konflikte, ohne in der Regel zu einer grundlegenden Lösung der Konflikte, gepaart mit einer für alle Konfliktparteien erstrebenswerten Friedensdividende, zu führen.3 Bemerkenswert dabei erscheint, dass die Arabische Liga (AL) als Regionalorganisation nicht als eigenständiger Akteur des Krisenmanagements in Erscheinung getreten ist, sondern sich vielmehr außerregionale, internationale Organisationen dem Krisenmanagement verschrieben haben. Diese zurückhaltende Haltung der AL hat sich erst mit der neuesten Transformationsphase verändert (gemeinsamer Versuch der AL und der UN im syrischen Konflikt zu vermitteln), in welcher auch der Golfkooperationsrat (GKR) durch eine eigenwillige Interpretation seiner Sicherheitsinteressen im Rahmen eines militärischen Einsatzes (in Bahrain) als Krisenmanager in Erscheinung getreten ist. Bislang bildeten lediglich der Libanon (Abkommen von Taif) sowie die Arabische Friedensinitiative (API) Betätigungsfelder der AL und sie konnte teils erfolgreich deeskalierend wirken.4 Trotz einer verstärkten Hinwendung zum Staatsaufbau in den besetzten palästinensischen Gebieten bleiben langwierige Konflikte (protracted conflicts) dennoch die Regel. Krisenmanagement im Sinne von Eindämmung (containment) scheint im Nahostkonflikt der von beiden Parteien bevorzugte Modus Vivendi zu sein. In Ermangelung der israelischen Bereitschaft, vertrauensbildende Maßnah2 United Nations Relief and Works Agency (UNRWA)  ; EU Co-ordinating Office for Palestinian Police Support (EUPOL COPPS). 3 Vgl. Ehrhart, Hans-Georg/Johannson, Margret (Hg.)  : Herausforderung Mittelost  : Übernimmt sich der Westen  ? Baden-Baden  : Nomos, 2005. 4 Vgl. Körber-Stiftung (Hg.)  : Konfliktmanagement im Nahen Osten – Regionale Lösungen für regionale Probleme  ? Bergedorfer Gesprächskreis Beirut. Hamburg, 2009.

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men (Stichwort Siedlungsstopp) zu setzen, sowie aufgrund der utopischen Position der palästinensischen Seite – zumindest im veröffentlichten Diskurs –, am Recht auf Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge (inklusive deren Nachkommen) festzuhalten, kann die Grundvoraussetzung zur Beilegung des Konflikts, nämlich die Etablierung gegenseitigen Vertrauens, nicht erlangt werden. Der zunehmend kalte Frieden zwischen Israel und Jordanien einerseits sowie Ägypten und Israel andererseits und die rezenten Entwicklungen in Syrien führen jedoch zu der Annahme, dass die Region in Ermangelung politischer Fortschritte zwischen den Streitparteien weiterhin ein hochrelevantes Operationsgebiet des Internationalen Krisenmanagements in all seinen Facetten bleiben wird.

2. Elemente regionaler Instabilität  : politische Legitimitätsdefizite und irredentistische Diskurse Die eingangs erwähnte regionale Instabilität setzt sich aus einem komplexen Bündel lokaler, nationaler, regionaler und internationaler Parameter zusammen, welche deren nachhaltige, konstruktive und friedensstiftende Entwirrung erheblich erschwert. Dieses Gemenge an Faktoren ist derartig konfliktträchtig, dass im Allgemeinen von der „Krisenregion Nahost“ gesprochen wird. Der geopolitische Paradigmenwechsel von 1989 und das Ende des Kalten Krieges hatten auf diesen Schauplatz allerdings keine nennenswerten unmittelbaren Auswirkungen, da weder tief liegende Konfliktursachen dadurch berührt, noch etwaige Konfliktlösungen erleichtert worden wären. Das Internationale Krisenmanagement konnte jedoch auch unter den insgesamt veränderten geopolitischen Vorzeichen seine langjährigen, stabilitätsfördernden Missionen fortführen. Dysfunktionale Gesellschaftsverträge

Eine Hauptursache für regionale Instabilität auf Staatsebene sind wacklige, da unerfüllte und gleichzeitig exklusive Gesellschaftsverträge. Diese gehen bis auf die frühe postkoloniale Phase zurück und konnten bis heute trotz ihrer Einbettung in diverse ideologische Diskurse (wie etwa Pan-Arabismus, arabischer Sozialismus, Nationalismus, Baathismus)5 ihre Wohlstands- und Entwicklungsversprechen nicht erfüllen. Daraus resultierte mangelnde Legitimität, verlorene Glaubwürdig5 Vgl. Ajami, Fouad  : The Arab Predicament – Arab Political Thought and Practice since 1967. Cambridge  : Cambridge University Press, 1992.

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keit und verspielte Popularität der jeweiligen Regime. In Algerien, das trotz seiner außerordentlichen Ressourcenausstattung und sozialistischer Diskurse nicht in der Lage war, für eine zufriedenstellende Umverteilung zu sorgen, kulminierte die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten bereits in den 1990er-Jahren mit einer Protestwahl zugunsten des politischen Islam. Externe Einflussnahme

Bedingt durch ihre geostrategische Lage bieten einige arabische Staaten die besten Voraussetzungen für die Einflussnahme externer Akteure.6 Die Hauptanliegen dieser Akteure hängen zusammen mit dem freien Fluss von Handelsgütern (so durch die Meerenge von Hormuz am Persischen Golf, das Bab el-Mandab und den Sueskanal am Roten Meer) und dem Vorhandensein essenzieller Rohstoffe. Diese strategischen Interessen werden ergänzt durch die einseitige westliche Parteinahme zugunsten Israels, welches im Windschatten dieser Protektion und unter bewusstem Ignorieren völkerrechtlicher Normen das Besiedlungsprojekt im besetzten Cisjordanien vorangetrieben hat. Weiters trugen die Bedeutung der regionalen Rohstoffreserven, deren Qualität und die Verfügbarkeit oder -machung entweder zur Bildung von strategischen Allianzen (USA – Saudi-Arabien) bei oder wirken wie im Falle des Irak (und jüngst Libyens) interventionsbestimmend. Auch spielen historische koloniale Bindungen nach wie vor eine Rolle. Jüdisches Kolonialprojekt

Das junge „Eretz Israel“, ein jüdisches nationalstaatliches Kolonialprojekt mit historischer Referenz zu den hebräischen Staatswesen der Antike,7 hat Ende der 1940er-Jahre zu einem geopolitischen Paradigmenwechsel in der Levante geführt. Nicht nur verursachten die kriegerischen Auseinandersetzungen um Palästinas Territorium massive Flüchtlingsströme, sondern sie trugen darüber hinaus zu erheblichen, anhaltenden bilateralen Spannungen mit den Nachbarländern bei. Mehrere Unterfangen der internationalen Staatengemeinschaft (UNTSO, 6 Vgl. Bilgin, Pinar  : Regional Security in the Middle East – A Critical Perspective. London  : Routledge, 2005. 7 Vgl. Strafor (Hg.)  : The Geopolitics of Israel  : Biblical and Modern. Auf  : http://www.stratfor.com/ analysis/geopolitics-israel-biblical-and-modern?utm_source=freelistf&utm_medium=email& utm_campaign=20120305&utm_term=engage2&utm_content=link2&elq=9b1eb9b92922481a84 64008806c9ed1b (Zugriff am 20. März 2012).

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UNDOF, UNIFIL, MFO etc.) konnten durch Pufferzonen nur eine Scheinstabilisierung, meist sogar ohne bilaterale Friedensabkommen, lediglich auf Grundlage von Waffenstillstandsabkommen, erwirken. Islamistische Opposition

Ein weiteres bedeutsames Element der regionalen Instabilität ist die Rolle der – bis vor Kurzem – im politischen Prozess marginalisierten Bewegungen des politischen Islam. Die als Muslimbruderschaft bekannten „Al-Ikhwân al-Muslimûn“ stellen eine gesellschaftliche und politische Alternative zu den in Bausch und Bogen abgelehnten, als „verwestlicht“ oder westlich verbrämten Herrschaftsmodellen der arabischen Regime dar. Es bleibt nun abzuwarten, ob die im Zuge der Umbrüche an die Macht gekommenen islamistischen Bewegungen zur Stabilität – und auch Legitimität – der sich verändernden Ordnungssysteme beitragen können. Radikal-islamische Revolutionäre iranischer, schiitischer Prägung hingegen befinden sich zwar nicht unmittelbar in dem für diese Untersuchung relevanten Raum. Dennoch wirkt diese Denkschule über die Aktivitäten der libanesischen Hisbollah auch in den levantinischen Raum hinein.8 Nicht staatliche Akteure

Für gewöhnlich dienen nicht staatliche Akteure auch als Mittel zur externen Interessenprojektion. Dabei treten diese häufig als Störfaktor (Spoiler) auf, wenn Konfliktparteien versuchen, auf dem Verhandlungsweg eine Beilegung zu erlangen und sie durch ihre Aktivitäten diese Bemühungen untergraben. Die Hamas machte sich als militante Widerstandgruppe einen Namen, indem sie durch Terroranschläge in Israel den Friedensprozess erheblich torpedierte und die Verhandlungsposition der Fatah und der PLO auf diesem Weg konsequent untergrub. Die Hamas, als nationale Widerstandsbewegung des sunnitischen politischen Islam, stellt insofern einen Sonderfall dar, als sie durch ihre Machtübernahme im Sommer 2007 in Gaza vom nicht staatlichen zum quasi-staatlichen Akteur avancierte. Für das Konfliktmanagement stellt die libanesische Hisbollah aber eine nicht minder große Herausforderung dar, da sie durch ihre militärische Stärke und ihre physische Verankerung im Operationsgebiet der UNIFIL jeder8 Cf. H.E. Chehabi (Hg.)  : Distant Relations  : Iran and Lebanon in the last 500 years. London  : I.B. Tauris, 2006.

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zeit ein starkes, destabilisierendes Störpotenzial gegenüber der UN-Friedensmission entfalten kann.9 Der arabische Frühling

Abschließend sollte noch die Frage erörtert werden, inwiefern sich die Umbrüche in der arabischen Welt seit Ende 2010 auf die regionale Stabilität und die Rahmenbedingungen für das Internationale Krisenmanagement ausgewirkt haben. Die derzeit laufende „Reform von unten“, verleiht den bislang von politischer Partizipation Ausgeschlossenen eine Stimme, deren Unterdrückung Teil der bisherigen Stabilisierungslogik war. Fraglich bleibt daher, ob und gegebenenfalls wie eine derartige Veränderung zur Stabilität beitragen kann. In Anbetracht der zahlreichen anderen Komponenten regionaler oder einzelstaatlicher Instabilität, von denen nach wie vor einige aufrecht bleiben, scheinen die Bedingungen für eine nachhaltige innenpolitische oder gar länderübergreifende Stabilisierung vorerst nicht gegeben. Als Voraussetzung für Stabilität sind neben der neu erworbenen Möglichkeit zur politischen Partizipation auch realistische Möglichkeiten zur Veränderung der neopatrimonialen Wirtschafts- und Umverteilungslogik nötig. Solange das bestehende Patronagesystem für ökonomische Perspektivlosigkeit vieler sorgt und eine als ungerecht empfundene Umverteilung favorisiert, bleibt die gesellschaftspolitische Lage gespannt. Die Gefahr für bestehende Konfliktherde besteht hier vor allem darin, dass aus politischem Opportunismus der neuen politikbestimmenden Kräfte eine Konfrontation gesucht wird – und so das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement erneut gefordert wäre.

3. Die Rolle multilateraler Friedensmissionen  : der Nahe Osten als Wiege des UN-Peacekeeping Als sich der Staub nach dem ersten arabisch-israelischen Konflikt der Jahre 1948/1949 legte, schritten die Vereinten Nationen erneut ein, um die Folgen der UN-Resolution 181 durch friedenserhaltende Maßnahmen zu ergänzen. Die Lausanner Konferenz (1949) stellte einen ersten Versuch dar, eine Einigung zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Israel beharrte auf einer Gesamtlösung, welche die Flüchtlingsfrage inkludierte  ; die arabische Seite hingegen bestand auf der Rück9 Vgl. Küpeli, Ismail  : Erklärungskraft und Grenzen des spoiler-Konzeptes am Fallbeispiel der Hisbollah. Grin Verlag, 2008.

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kehr der Flüchtlinge als Vorbedingung für Verhandlungen zu den anderen strittigen Punkten. Die während dieser Konferenz an den Tag getretenen Differenzen konnten im Endeffekt bis heute nicht überwunden werden und bleiben in Ermangelung einer friedlichen Beilegung Garant für ein Fortdauern diverser UN-Missionen, die in Summe eine strategische Pufferzone um das Kernland Israel bilden. Zeitleiste der EU- und UN-Missionen in der MENA-Region 1990–2012

  Grafik  : Christian Wurzer, IFK

Darüber hinaus muss betont werden, dass die Vereinten Nationen mit einer Vielzahl von Aktivitäten in der Levante präsent sind, die einander teilweise logisch ergänzen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) erwähnt, die ebenfalls eine Folge der gescheiterten Konferenz von 1949 darstellt. Die des Öfteren vorgebrachte Kritik, UN-Missionen in der Levante seien zu „traditionell“ und nicht „entwicklungsfähig“, kann dahin gehend entschärft werden, dass sie erstens spezifische, politisch erwünschte 150

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und von den Streitparteien geforderte Agenden wahrnehmen und zweitens ihr Aufgabenbereich durch eine Vielfalt komplementärer Aktivitäten ergänzt wird, was ihnen in Summe den Charakter integrierter Missionen verleiht.10 3.1 UNTSO – forever and a day  ?

1948 war ein Schicksalsjahr für die gesamte Levante, markierte es doch für Israel die Erlangung staatlicher Unabhängigkeit und die Behauptung derselben gegen den gemeinsamen Angriff einiger arabischer Staaten. Für die arabischen Länder und in erster Linie die Palästinenser hingegen markiert das Jahr „an-Nakba“, die „katastrophale Niederlage“, und die Flucht großer Teile der Bevölkerung aus Palästina, deren Nachkommen bis heute in Flüchtlingslagern leben.11 Auch für die UN stellt 1948 ein zentrales Jahr dar, wurde doch mit der Resolution 50 des Sicherheitsrates erstmalig eine Mission ins Leben gerufen. Die heute noch bestehende und in Bezug auf Aufgabenspektrum sowie Mandat auch ursprünglichste friedenserhaltende Missionen der Vereinten Nationen  : United Nations Truce Supervision Organisation (UNTSO). Ihre Entstehung ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten, macht doch die UN-Charta keine Aussagen darüber, wie die Mission zur Unterstützung des Palästina-Vermittlers aufzustellen war. Auch der Sicherheitsrat sprach lediglich von einer „ausreichenden Anzahl von Militärbeobachtern“, ohne deren Zusammensetzung zu bestimmen. Es wurde improvisiert. Die Beobachter wurden von den Mitgliedsstaaten der Waffenstillstandskommission gestellt, Stabsoffiziere von Schweden, dem Heimatland des Vermittlers für Palästina (der durch die jüdische Terrorgruppe Lechi 1948 ermordete Folke Bernadotte), Unterstützungspersonal durch die USA und Sicherheitspersonal (das eigentlich zur Bewachung des UN-Hauptquartiers vorgesehen war) durch den UN-Generalsekretär. Das Mandat der UNTSO ist das einer rein passiven Beobachtermission, ihre Angehörigen sind unbewaffnet und sollen die Einhaltung der Waffenstillstände durch die beteiligten Staaten überwachen und an das UN-Hauptquartier berichten.12 Das Mandat selbst wurde bis heute nicht verändert, wenngleich die wiederholten Waffengänge und veränderten Waffenstillstandslinien und auch 10 Vgl. International Peace Academy (Hg.)  : The Middle East  : Fragility, Crisis, and New Challenges for Peace Operations. IPA – Vienna Seminar, 2007. 11 Vgl. Pappe, Ilan  : Die ethnische Säuberung Palästinas. Frankfurt  : Zweitausendeins, 2006. 12 Vgl. Breitwieser, Thomas  : Konfliktlösung der Vereinten Nationen. In  : Naher Osten – Wegweiser zur Geschichte. Potsdam  : Schönigh, 2007.

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Friedensverträge das Umfeld der UNTSO neu definierten. Heute sind die 151 Militärbeobachter der UNTSO neben Israel in dessen vier Nachbarstaaten (auch in Ägypten und Jordanien, welche mit Israel Friedensverträge geschlossen haben) eingesetzt. Im Libanon und auf den Golanhöhen ist UNTSO in die lokalen Missionen UNIFIL und UNDOF eingebunden und unterstützt diese. Eine wichtige Rolle spielt UNTSO bis heute auch als schnell einsetzbare Personalreserve, um neue UN-Missionen in der Region rasch etablieren zu können. So auch im Falle der UNDOF (United Nations Disengagement Observer Force), deren erstes Kontingent aus UNTSO-Angehörigen zusammengesetzt wurde, bevor die regulären Kontingente eintrafen. Änderungen sind nicht zu erwarten und UNTSO wird in dieser Form wohl weiterhin bestehen bleiben, bis eine umfassende Lösung der Konflikte im Nahen Osten möglich wird. Der ältesten UNMission scheint somit weiterhin eine lange Dauer garantiert. 3.2 UNDOF13

Eingesetzt durch die VN-Sicherheitsratsresolution 350 (1974) besteht die zentrale Aufgabe von UNDOF (United Nations Disengagement Observer Force) darin, Israel und Syrien an der Demarkationslinie auf den Golanhöhen zu trennen. So besetzt UNDOF als einzig erlaubte militärische Präsenz eine an ihrer engsten Stelle gerade einen Kilometer breite demilitarisierte Zone auf den Golanhöhen. Aus dieser heraus überwachen UNDOF-Angehörige die Befolgung des Waffenstillstandes und die Einhaltung der militärischen Beschränkungen der beiden Konfliktparteien in den an die Pufferzone anschließenden Bereichen. Über die Jahre eine ruhige Grenze, an welcher sich beide Seiten an die Vereinbarungen hielten, kam es jedoch 2011 an den Naqsa- und Nakba- Gedenktagen14 zu Demonstrationszügen an der Demarkationslinie, um diese in Richtung Israel zu überwinden. Die israelischen Streitkräfte agierten gemäß ihrer „Doktrin der Abschreckung“ mit einem gewaltsamen Stopp des Vordringens, wobei einige Demonstranten zu Tode kamen. Ein Zusammenhang mit den zu diesem Zeitpunkt

13 Anmerkung des Autors  : Die Originalfassung dieses Textes wurde vor dem Abzug der österreichischen Truppen aus der UNDOF-Mission Mitte 2013 abgeschlossen, weshalb die Diskussion und Einordnung dieses Schrittes an anderer Stelle erfolgen wird. 14 Nakba und Naqsa (Katastrophe und Rückschlag) bezeichnen im kollektiven Gedächtnis der Araber, insbesondere der Palästinenser, die militärischen Niederlagen gegen Israel 1948 und 1967 und sind verknüpft mit der Flucht Hunderttausender Palästinenser aus dem vormaligen Mandatsgebiet und der Kontroverse über ihre etwaige Rückkehr sowie jene ihrer Nachkommen.

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bereits ausgebrochenen Unruhen in Syrien scheint naheliegend und die Vorfälle als eine „Warnung“ des syrischen Regimes vor Instabilität nach seinem Sturz. Die aktuelle Entwicklung in Syrien macht zukünftige Prognosen schwierig. Aus Israel jedoch wurden Stimmen laut, welche die syrische Bereitschaft, sich weiterhin an bestehende Abmachungen zu halten, generell infrage stellten. Die Situation bleibt gespannt und UNDOF muss sich, gleich ob das syrische Regime überleben wird oder nicht, möglicherweise auf unruhigere Zeiten einstellen. 3.3 UNIFIL

Die Entstehungsgeschichte der dritten UN-Mission in der Levante, UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon), ist verbunden mit der ersten israelischen Invasion des Südlibanon (1978) bis auf die Höhe des Litani-Flusses. Der Sicherheitsrat verurteilte diese Invasion in der Resolution 425 (1978) und rief UNIFIL mit der Aufgabe ins Leben, den vollständigen Rückzug der israelischen Armee zu überwachen, in diesen Gebieten die Kontrolle zu übernehmen, Frieden und Sicherheit wiederherzustellen sowie den libanesischen Staat zu unterstützen, die Souveränität über sein Territorium zurückzuerlangen. Bedeutsam ist, dass das Recht der UNIFIL zur bewaffneten Selbstverteidigung auch auf den „Widerstand gegen gewaltsame Versuche, [sie] an der Auftragserfüllung nach dem Mandat des Sicherheitsrates zu hindern“, ausgedehnt wurde (UNSCR 426/1978). Erneut wurden die ersten Einheiten von UNIFIL aus Teilen von ­UNTSO wie auch UNDOF gebildet, um eine rasche Stationierung zu ermöglichen. Die Erfüllung des Mandats gestaltete sich für UNIFIL schwierig, übertrug Israel doch bei seinem Rückzug die Kontrolle über eine „Sicherheitszone“ nicht an UNIFIL, sondern an die „Südlibanesische Armee“ (SLA), eine von der regulären libanesischen Armee abgespaltene Gruppe, welche de facto als israelischer Stellvertreter agierte.15 Auch im Rest des Einsatzraumes war der Erfolg der Mandatserfüllung bescheiden, war doch der libanesische Staat, dessen Souveränität UNIFIL unterstützen sollte, bereits in den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs versunken. Dessen ungeachtet konnte UNIFIL das Gebiet unter ihrer Kontrolle weitgehend stabil und vergleichsweise gewaltfrei halten, bis 1982 die zweite israelische Invasion Libanons erfolgte, wodurch der Einsatzraum von UNIFIL hinter den israelischen Linien zu liegen kam. Erst mit dem überraschenden und auch überhasteten israelischen Rückzug im Jahr 2000 wurde eine Tätigkeit UNIFILs 15 Barak, Oren  : The Lebanese Army – A National Institution in a Divided Society. New York  : SUNY Press, 2009.

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zur Erfüllung ihres Mandats wieder möglich, wenngleich die Schwäche des libanesischen Staates zur De-facto-Machtübernahme der Hisbollah in der Region und 2006 zum (vorerst) letzten großen Waffengang Israels im Libanon führte.16 Diese Auseinandersetzung zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah-Miliz war gleichzeitig Auslöser für die enorme Ausweitung des Mandats ­sowie der Stärke von UNIFIL, sodass heute oftmals auch von UNIFIL II die Rede ist. UNSCR 1701 (2006) dehnte UNIFIL auf bis zu 15.000 Soldaten aus und ergänzte das Mandat neben der Überwachung des Endes der Feindseligkeiten um die Begleitung der libanesischen Armee bei ihrem Vormarsch in das Gebiet des Südlibanon, um das staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen und jede weitere bewaffnete Präsenz zu beenden. Ebenso gehört zu den Aufgaben von ­UNIFIL die Ausweitung der humanitären Unterstützung und Hilfe für die Bevölkerung sowie die Unterstützung der libanesischen Regierung in der Sicherung ihrer Grenzen, um die Einfuhr von Waffen zu unterbinden, wobei sie ihre Vorgehen mit den Armeen und Regierungen Libanons und Israels zu koordinieren hat. Gleichzeitig wurde UNIFIL zum Einsatz aller nötigen Mittel ermächtigt, um zu verhindern, dass das Einsatzgebiet für feindselige Aktivitäten benutzt wird, und erhielt weiters, als erste UN-Mission überhaupt, eine maritime Komponente zur Sicherung der libanesischen Seegrenze gegen Waffenschmuggel. Durch die tägliche Arbeit, welche insbesondere in der Grenzdemarkation und der akribischen Aufnahme jedes Vorfalls und jeder Grenzverletzung liegt, hat sich UNIFIL weitestgehend Respekt verschafft und zu einer Beruhigung der Situation beigetragen, die von Ausnahmen abgesehen, allgemein stabil bleibt. Man könnte somit ins Treffen führen, dass UNIFIL ihre Feuerprobe im Jahr 2006 bestanden hat und zur Stabilität in der Region beiträgt. Die weitere Entwicklung der Mission und insbesondere ihre Rolle bei einem (jederzeit möglichen) Wiederaufflammen des Konflikts Israel vs. Hisbollah oder auch einer möglichen innerlibanesischen Auseinandersetzung bleibt jedoch offen.

4. Demokratieförderung, Staatsbildung und Sicherheitssektorreform  : von der Irak-Invasion zu „Westbank-First“ Das westliche Interesse an Stabilität, Planbarkeit und Vorhersehbarkeit im arabischen Raum17 wurde und wird einerseits durch das Tolerieren autokratischer 16 Achkar, Gilbert  ; Warschawski, Michel  : La guerre des 33 jours. Paris  : textuel, 2006. 17 Vgl. Gross-Stein, Janice  : From Bipolar to Unipolar Order  : System Structure and Conflict Resolu-

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Herrscher, anderseits durch die vermehrte Tendenz in den 1990er-Jahren, demokratisch-partizipative Herrschaftsmodelle zu unterstützen, umgesetzt. Dieser nicht nur scheinbare Widerspruch untergrub die Glaubwürdigkeit des Westens in den Augen der arabischen Bevölkerung zunehmend. Auch, und nicht minder von Bedeutung, stellen die aktuellen partizipativen Experimente in der arabischen Welt diese ramponierte Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratisierungsvorhaben erneut auf die Probe. Denn mit forcierten interventionistischen Projekten wie etwa in Irak (ab 2003) oder jenem auf halbem Weg abgebrochenen in Westbank-Gaza (2006) konnte die Verlässlichkeit westlicher Zusagen in Bezug auf die viel gepriesenen Vorzüge der Demokratie bislang nicht schlüssig unter Beweis gestellt werden. Zudem ist eine von externen Akteuren nahegelegte Abhaltung von Wahlen weder ein Gradmesser demokratischer Gepflogenheiten an sich, noch können diese demokratische Grundwerte ersetzen. In Ergänzung zu diesen Vorhaben, die politischen Systeme im perzipierten Eigeninteresse zu beeinflussen, setzten EU und NATO auf nation- und state-building, so geschehen im Irak und seit 2009 wieder in Cisjordanien, mit dem sogenannten „Westbank-First“ Ansatz. Die nach dem Oslo-Abkommen ab 1994 anfänglich lukrierte Friedensdividende, beschränkte sich auf ökonomische Aspekte, ohne im Politikfeld greifbare Fortschritte für die Palästinenser zu generieren. Die Entstehung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) war dennoch ein dezidierter erster Schritt in Richtung state-building. Nachdem die Grenzen der Machbarkeit dieses Projektes in einem internationalen, politisch nicht förderlichen Umfeld zutage traten, setzte sich in der seit 2007 Fatah-dominierten Westbank sukzessive eine Amalgamierung aus Counterinsurgency (COIN), Sicherheitssektorreform (nach dem Motto „security first“) und Institutionenaufbau durch. Die Beiträge der EU zum Konfliktmanagement im Nahen Osten teilen sich in drei Bereiche  : Konfliktmanagement in engerem Sinn im Rahmen der GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik), Krisenmediation und Konfliktlösung. Zum ersten Bereich gehören die zivilen Missionen EUPOL COPPS und EUBAM Rafah. Zum zweiten zählen Vermittlungstätigkeiten (oft von einzelnen EU-Mitgliedsstaaten) wie bei Gefangenenaustausch und im Feld der Konfliktlösung die Teilnahme der EU im Nahostquartett.18 tion. In  : International Intervention in Local Conflicts – Crisis Management and Conflict Resolution since the Cold War. London  : I.B. Tauris, 2010. 18 Vgl. Asseburg, Muriel und Ronja Kempin (Hg.)  : The EU as a Strategic Actor in the Realm of Security and Defence  ? A Systematic Assessment of ESDP Missions and Operations. SWP Research Paper 14, 2009.

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Die Wirksamkeit europäischer Vorhaben zum regionalen Krisen- und Konfliktmanagement wird nicht nur aufgrund divergierender außenpolitischer Interessen von EU-Mitgliedsstaaten regelmäßig infrage gestellt. Dennoch kann festgehalten werden, dass sich das europäische Engagement nicht nur ehrgeizige Ziele gesetzt hat, sondern auch in der Umsetzung professionell agiert und die Standards der PA, etwa im Bereich der Exekutive, durchaus gehoben hat. So verfügt die seit Jänner 2006 laufende Mission EUPOL COPPS neben der Ausbildung und Professionalisierung der palästinensischen Sicherheitskräfte auch über eine Komponente zur Reformierung der Justiz. Erschwert wurde das Umfeld der Mission durch die politische und territoriale Fragmentierung der Gebiete der PA, wodurch ca. zwei Drittel der geplanten Kapazitäten (jene in Gaza) nicht mehr ausgebildet werden können.19 Auch wenn aufgrund der Fortschritte die Sicherheitskooperation mit Israel wieder funktioniert, so bleibt doch das Dilemma, Sicherheit – insbesondere jene Israels durch Bekämpfung palästinensischer Terrorzellen – ohne genuine politische Perspektive herstellen zu wollen. Denn dieser Ansatz führt einerseits zu einem Imageproblem der palästinensischen Sicherheitskräfte in der eigenen Bevölkerung und andererseits zur schwierigen Situation für die EU, eine in Ermangelung politischer Legitimation vermehrt autoritäre Züge aufweisende PA zu unterstützen. Die infolge des AMA-Abkommens (Agreement on Movement and Access) im November 2005 gestartete Mission EUBAM Rafah (European Union Border Assistance Mission) zur Grenzüberwachung im südlichen Gazastreifen ist seit der putschartigen Machtübernahme der Hamas im Jahr 2007 ausgesetzt. Die vormals umfangreich besetzte Mission kontrollierte den Personenverkehr am Grenzübergang zwischen dem palästinensischen und dem ägyptischen Stadtteil von Rafah. Seit ihrer Sistierung verbleibt ein Personal von 15 Mitarbeitern im israelischen Aschkelon, um einen eventuellen Neustart rasch umsetzen zu können. Die Hamas-Führung in Gaza hat die Reaktivierung der Mission in ihrem bisherigen Format wiederholt abgelehnt  ; zusätzlich wurde auch vonseiten der Ägypter, der Israelis und der Europäer eine durch Hamas-Sicherheitskräfte abgewickelte Grenzkontrolle infrage gestellt. Ein Relikt aus der kurzen Phase der Friedensabkommen zwischen Israel und der damals entstandenen PA Anfang der 90er-Jahre ist die „Vorrübergehende internationale Präsenz in Hebron“ (engl. TIPH).20 Sie wurde in ihrer derzeitigen 19 Vgl. Asseburg, Muriel  : EU Crisis Management in the Arab-Israeli conflict. In  : European Involvement in the Arab-Israeli Conflict. EU ISS, Chaillot Paper, 2010. 20 Vgl. Aggestam, Karin  : From Theory to Practice  : Temporary International Presence in Hebron (TIPH). In  : Cambridge Review of International Affairs 14 (2001), S. 53–69.

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Form 1997 durch ein Abkommen abgesegnet, welches seitens der Palästinenser durch Saeb Erakat, wohlgemerkt im Namen der PLO – und nicht der PA – unter­ zeichnet wurde. Im Gegensatz zu den UN- oder EU-Missionen zeichnet sich TIPH durch die Kooperation mehrerer beteiligter Nationen aus, deren zivile Teilnehmer nicht durch politische Entscheidungen dieser Organisationen gebunden sind.

5. Schlussfolgerung In einer Weltregion, die sich regelmäßig durch gewalttätig ausgetragene Konflikte, die andauernde politische Bedeutung antagonistischer Identitäten und massive, interessengesteuerte Einflussnahme externer Akteure auszeichnet, stellt jedes Unterfangen des internationalen Konfliktmanagements an sich eine enorme Herausforderung dar. Das Fortdauern inhärenter Instabilität und eingefrorener Konflikte, begleitet durch entsprechende Langzeitmissionen und nicht zuletzt der zunehmend dezidierte, aber durch die regionalen Umstände erschwerte Versuch der Europäischen Union, an der Schnittstelle zwischen soft-power und hard-security als politisch relevanter Akteur in Erscheinung zu treten, zeichnet die Lage im Nahen und Mittleren Osten aus. In Bezug auf so manche friedenserhaltende UN-Mission im Nahen Osten kann die Rede über ein zeitliches Ausufern der Missionen (mission creep) als sympathischer Euphemismus eingestuft werden. Und auch der Versuch der EU, als sicherheitspolitischer Akteur in Erscheinung zu treten, führte bislang zu einer gemischten Bilanz. Die vormals existierende Friedensdividende von Oslo wurde mittlerweile durch Resignation und Hoffnungslosigkeit auf palästinensischer Seite sowie Abschottungstendenzen und Misstrauen auf israelischer Seite abgelöst. Ohne grundlegendes Vertrauen in die andere Seite,21 ohne ein Ende der zunehmenden gegenseitigen Isolierung und vor allem ohne genuinen politischen Willen der Streitparteien zur Konfliktlösung wird nicht nur der latente Konflikt der arabischen Staaten mit Israel perpetuiert, sondern einem kontinuierlichen Krisenmanagement als Modus Vivendi Vorschub geleistet und die nötige „exit strategy“ der kostspieligen Missionen bis auf Weiteres vertagt. 21 Vgl. Kelman, Herbert C.: Looking Back at My Work on Conflict Resolution in the Middle East. In  : Peace and Conflict, 16 (2010), S. 361–387.

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Predrag Jureković

Vom Staatszerfall Jugoslawiens zum EU-Engagement auf dem Westbalkan 20 Jahre Konflikt- und Krisenmanagement mitten in Europa

1. Allgemeine Merkmale und Phasen Die internationalen Interventionen auf dem Gebiet der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) stellen besonders lehrreiche Fälle im Rahmen des Krisenmanagements dar. Vier Kriege auf dem Territorium der zerfallenen SFRJ und ihrer Nachfolgestaaten1 führten 1991–1999 zu großflächigen Flüchtlingsbewegungen, schweren Kriegsverbrechen und teilweise komplizierten Staatsbildungsprozessen. Der gesamte „Werkzeugkasten“, welcher der internationalen Gemeinschaft im Krisen- und Konfliktmanagement zur Verfügung steht, kam in den verschiedenen Phasen des Jugoslawien-Kriegs und in den anschließenden Friedensprozessen zum Einsatz.2 Er umfasst(e) humanitäre Unterstützung und Maßnahmen des Peacekeeping ebenso wie militärische Friedenserzwingung und Konfliktprävention sowie die Mitwirkung beim Staatsaufbau und bei der Rekonstruktion multiethnischer Gesellschaften. Alle internationalen Schlüsselorganisationen – UNO, OSZE, NATO und EG/ EU – waren vom Beginn der Jugoslawien-Krise in unterschiedlichen Missionen und Operationen in das dortige Krisen- und Konfliktmanagement involviert. Für die UNO und die NATO wurden ihre Balkan-Einsätze zu einer Bewährungsprobe, die ihr Selbstverständnis nachhaltig beeinflusste  : Während des Bosnien-Kriegs hatte die UNO große Probleme dabei, sich mit einem unpassenden Mandat für eine Peacekeeping-Mission in einem äußerst brutalen Umfeld zurechtfinden zu müssen (Stichwort Srebrenica-Genozid). Es ist 1 Slowenischer 10-Tage-Krieg (Juni/Juli 1991), Kroatien (Frühjahr 1991–August 1995), Bosnien und Herzegowina (April 1992–Dezember 1995) und Kosovo (Frühjahr 1998–Juni 1999). 2 Vgl. Schmunk, Michael  : 15 Years of Peace-, State- and Nation-Building  : Basic Lessons from the Balkan Lab. In  : Felberbauer, Ernst M./Jureković, Predrag (Hg.)  : 15 Years of Peace-Building in the Western Balkans – Lessons Learnt and Challenges. Study Group Information, Dezember 2010, Wien, S. 17–39.

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Predrag Jureković

plausibel anzunehmen, dass ihre eigene, teilweise stark kritisierte Rolle in diesem Krieg die UNO nachher zu einem besonderen Fürsprecher für präventive Maßnahmen in anderen Konflikten gemacht hat. Von Beginn an bestand für die internationalen Akteure auf dem Westbalkan generell die Diskrepanz zwischen ihren eigenen Interventionsabsichten, ihren tatsächlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten, den völkerrechtlichen Voraussetzungen durch ein mehr oder weniger eindeutiges Mandat und den tatsächlichen Erfordernissen durch die Lageentwicklung vor Ort. Für die NATO stellten ihre Luftangriffe auf serbische Stellungen in Bosnien-Herzegowina (1994/95) und später in Serbien und Kosovo (1999) die ersten Kampfeinsätze seit der Gründung der Allianz im Jahre 1949 dar. Weitere Interventionen in anderen Krisenregionen – zuletzt in Libyen – folgten. Der Schutz der Menschenrechte gewann als Grundlage für die Legitimierung solcher Operationen immer mehr an Bedeutung. Gegner der NATO-Kampfeinsätze kritisieren allerdings die ihrer Meinung nach ungenügende völkerrechtliche Mandatierung durch den UNO-Sicherheitsrat. Das Profil der EU als pro-aktiver außenpolitischer Akteur entwickelte sich durch die Auseinandersetzung mit den Balkankriegen in den 1990er-Jahren. Überließ die EU das Krisenmanagement in den Zerfallskriegen wegen fehlender außenpolitischer Instrumente noch weitgehend der NATO und den USA, trägt die Stabilisierungspolitik der Nachkriegszeit hauptsächlich ihre Handschrift. Die integrationspolitischen Maßnahmen der EU gegenüber dieser Postkriegsregion stellen sicherlich einen Sonderfall im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement dar, der den Nachfolgestaaten der SFRJ gegenüber anderen Konfliktgebieten bessere Bedingungen im Friedensprozess verschafft hat. Durch ihre LowRisk-Einsätze in Bosnien-Herzegowina und Kosovo konnte die EU seit 2003 erste Erfahrungen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sammeln. Ihr außenpolitisches Profil als Akteur mit „soft power“ wurde durch die Operationen und Missionen auf dem Balkan sichtbar weiterentwickelt. Geht es der EU mit ihrem Balkan-Engagement u. a. auch darum, ein gemeinsames Handeln in schwierigen außenpolitischen Situationen unter Beweis zu stellen, wurden die Balkan-Missionen auch für die OSZE eine Bewährungsprobe für ihre neue Identität. Nach dem Ende des Kalten Krieges stand die 1994 von „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) in „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ umbenannte Organisation symbolisch für einen Neubeginn in den internationalen Beziehungen. Zu ihren wichtigsten Zielen zählen die Etablierung eines Systems der kooperativen Sicherheit durch vertrauensbildende Maßnahmen und die Förderung demokratischer und menschenrecht160

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licher Standards. Die ehemaligen Kriegsschauplätze des Balkans boten der OSZE ausreichend Möglichkeiten, in ihren Kernbereichen aktiv zu werden. Charakteristisch für die verschiedenen internationalen Interventionen in dieser Region ist, dass sie in sehr komplexen Prozessen der Konflikttransformation stattfanden, in denen es einschneidende Zäsuren gab. Um diese Veränderungen für den Leser möglichst nachvollziehbar zu machen, erfolgt die Analyse entlang von drei unterschiedlichen Konfliktphasen  : Die erste Phase, 1991–1995, war durch die – zunächst wenig erfolgreichen – Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft charakterisiert, die Gewalteskalation als Folge des Staatszerfalls und der Bildung neuer Staaten zu beenden. Phase 2 umfasste den Zeitraum 1995–1999. In diesem Stadium des Konflikts traten konträre Entwicklungen auf. Einerseits waren in Bosnien und Herzegowina Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft feststellbar, den fragilen Frieden zumindest militärisch abzusichern. Anderseits eskalierte 1998/99 in einem anderen Balkan-Gebiet, im Kosovo, der militärische und ethnische Konflikt zwischen Serben und Albanern. Die NATO-Luftoperation „Allied Force“ (März–Juni 1999) beendete die Präsenz serbischer Sicherheitskräfte im Kosovo. Eine internationale Übergangsverwaltung unter Leitung der UNO unterstützte den Aufbau autonomer politischer Institutionen in der früheren serbischen Provinz. Als 1999/2000, nach dem Tod Franjo Tudjmans und der politischen Entmachtung von Slobodan Milošević, in Kroatien und Serbien ein politischer Neubeginn möglich wurde, begann in diesem Teil Südosteuropas die dritte Phase im internationalen Konfliktmanagement. Sie steht unter dem Vorzeichen, insbesondere durch eine Anreiz- und Konditionalitätspolitik der EU die regionale Kooperation und Versöhnung zu fördern. Ungelöste territoriale und ethnische Fragen sowie generelle Schwierigkeiten, die im Zuge der Staatsbildungsprozesse auftreten, stellen aber weiterhin Risiken für die regionale Sicherheit dar.

2. Das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement in der Hauptkriegsphase (1991–95) 2.1 Scheitern des politischen Krisenmanagements

Der teilweise chaotisch verlaufene und gewaltsame Zerfall der SFRJ überforderte die internationalen Schlüsselakteure in Bezug auf ihre damaligen Fähigkeiten, deeskalierend auf die Konfliktakteure einzuwirken. Die KSZE und NATO befanden sich kurz nach dem Ende des Kalten Krieges noch mitten im Prozess der Definierung ihrer neuen Rolle für die europäische und internationale Sicherheitsarchitektur. Vermittlungsbemühungen der EG wurden durch die noch fehlenden 161

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gemeinsamen außenpolitischen Instrumente erschwert. Es fehlte den EG-Mitgliedsländern zunächst auch eine gemeinsame Beurteilung, wie mit dem Wunsch der Slowenen und Kroaten nach nationaler und staatlicher Selbstbestimmung umgegangen werden sollte. Unterstützern ihres Unabhängigkeitswunsches (insbesondere Deutschland) standen innerhalb der EG vehemente Kritiker (Frankreich, Großbritannien) gegenüber.3 Bis die EG Ende Dezember 1991 zu einem gemeinsamen Standpunkt in dieser Frage fand, war im Kroatien-Krieg der Höhepunkt der Hauptkriegsphase schon überschritten. Die von Serbien instrumentalisierte Jugoslawische Volksarmee (JVA) hatte ihr Ziel nicht erreicht, Kroatien militärisch zu bezwingen. Mit Unterstützung der JVA war es serbischen Rebellen aber zunächst gelungen, 25–30 % des kroatischen Gebiets unter ihre Kontrolle zu bringen. Der von der UNO im Jänner 1992 vermittelte Waffenstillstand zwischen den bewaffneten kroatischen Kräften und serbischen Rebellen bzw. der JVA entsprach in dieser Phase den Interessen beider Konfliktparteien und war deshalb nicht in erster Linie auf das Verhandlungsgeschick der internationalen Vermittler zurückzuführen. Die Kroaten benötigten Zeit, um eine schlagfertige Armee aufzubauen, und die Krajina-Serben waren damit zufrieden, dass sie zumindest die serbischen Mehrheitsgebiete sowie das Gebiet im Osten Kroatiens entlang der Grenze zu Serbien kontrollierten.4 Im Zuge der Konflikteskalation agierte die UNO sehr reaktiv. Viele ihrer Initiativen wirkten verspätet und entsprachen oft nicht mehr der tatsächlichen Lageentwicklung im Konfliktgebiet. Die komplizierte Konsensbildung im Sicherheitsrat hatte darauf entscheidenden Einfluss. Als sich die UNO im September 1991 im Rahmen des Krisenmanagements zu engagieren begann, war Slowenien schon längst kein Kriegsschauplatz mehr. In Kroatien tobte schon seit drei Monaten ein mit äußerster Brutalität geführter Krieg, dessen Hauptopfer in dieser ersten Phase die Bewohner kroatischer Städte waren, die von der JVA unter Beschuss genommen wurden, sowie Zehntausende von den Krajina-Serben vertriebene kroatische Flüchtlinge.5 Das von der UNO im September 1991 gegen alle jugoslawischen 3 Vgl. Trautmann, Günter  : Das hilflose Europa. Illusionen und Realitäten internationaler Krisenpolitik. In  : Furkes, Josip/Schlarp, Karl-Heinz (Hg.)  : Jugoslawien  : Ein Staat zerfällt. Der Balkan – Europas Pulverfass. Hamburg 1991. 4 Vgl. Redaktion Vreme  : Od Karingtona do Ahtisarija  : Raspadanja do Kosova [Von Carrington bis Ahtisaari  : Zerfallsprozesse bis Kosovo] (08.02.2007). , abgerufen am 09.02.2012. 5 Vgl. Anklagepunkte des International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia im Fall Milan Martić (05.09.2003). , abgerufen am 24.02.2012.

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Konfliktparteien verhängte Waffenembargo begünstigte die serbische Seite, die die weitgehende Kontrolle über die Waffenbestände der JVA besaß. Ethnische Vertreibungen, insbesondere in der ersten Phase des Bosnien-Krieges, wurden dadurch erleichtert. Des Weiteren reduzierte das Waffenembargo die serbische Bereitschaft, bei den diversen Jugoslawien-Friedenskonferenzen, die von der EG und UNO organisiert wurden, einem für alle Seiten akzeptablen Abkommen zuzustimmen. Diese Schieflage in der Behandlung der Kriegsparteien wurde durch ein Wirtschaftsembargo, das der Sicherheitsrat im Mai 1992 gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) verhängte, etwas verringert.6 Miloševićs Interesse an der Beendigung des Krieges vergrößerte sich analog zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Serbien. Die negative Kehrseite davon stellte allerdings die Entstehung einer mafiös-kriminellen Struktur in Serbien dar. Sie besitzt nach Einschätzung des serbischen Journalisten und Romanciers Dragan Velikić auch in der Nachkriegsphase noch so viel Macht, dass sie positive politische Prozesse ernsthaft behindern kann.7 2.2 Lehren aus der UNPROFOR-Problematik

Das wichtigste Instrument für das Krisenmanagement der UNO während des Kroatien- und Bosnien-Kriegs war die „United Nations Protection Force“ (UNPROFOR). Ihr operatives Peacekeeping-Mandat wurde grundsätzlich durch die SR-Resolution 743 vom 21. Februar 1992 festgelegt, jedoch bis 1995 durch zahlreiche weitere Resolutionen erweitert bzw. abgeändert. Die UNPROFOR sollte nach Erreichung eines stabilen Waffenstillstandes im Kroatien-Krieg durch ihre Hauptpräsenz in den dortigen Kriegsgebieten und in den anderen jugoslawischen Republiken die Sicherheitsbedingungen verbessern und damit die Chancen für eine politische Lösung bei der Jugoslawienkonferenz erhöhen. Cyrus Vance, Sonderbeauftragter der UNO, entwarf einen Friedensplan für Kroatien. Demzufolge sollte die JVA aus Kroatien abziehen. Die Kriegsgebiete sollten demilitarisiert und unter der Kontrolle von 14.000 Blauhelmen sollten dort sogenannte „United Nations Protected Areas“ (UNPAs) errichtet werden, in denen die Sicherheit aller Bewohner garantiert würde.8 6 UN Departement of Public Information  : Former Yugoslavia – UNPROFOR (September 1996). , abgerufen am 08.02.2012, S. 1 u. 4. 7 Vgl. Velikić, Dragan  : Der letzte Zug nach Brüssel. In  : Neue Zürcher Zeitung, 24.02.2012, S. 21. 8 Redaktion Vreme  : Od Karingtona do Ahtisarija  : Raspadanja do Kosova [Von Carrington bis Ahtisaari  : Zerfallsprozesse bis Kosovo].

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Vances Peacekeeping-Konzept für Kroatien scheiterte, weil beide Konfliktparteien nicht bereit waren, seinen Friedensplan vollständig umzusetzen. Die politische Führung der Krajina-Serben lehnte die Demilitarisierung der UNPAZonen ab. Paramilitärische Gruppen, die unter ihrer Kontrolle standen, setzten auch nach der Installierung der UNPROFOR die Misshandlung, Vertreibung und Ermordung von Nicht-Serben fort. Weil die Krajina-Serben Verhandlungen über eine friedliche Reintegration kategorisch ablehnten, missachtete auch die kroatische Seite das UNPA-Regime.9 In mehreren Militäroperationen, die zwischen 1992 und 1995 stattfanden, eroberte die kroatische Armee sukzessive Gebiete von den Krajina-Serben zurück. Von den Armeen beider Konfliktparteien wurden bei diesen Auseinandersetzungen Kriegsverbrechen begangen.10 Infolge der Operation „Sturm“, mit der Kroatien im August 1995 den Großteil seines Staatsgebiets wieder unter seine Kontrolle brachte, wurden 150.000 Serben – je nach kroatischer oder serbischer Interpretation – Opfer eines kollektiven Exodus oder ethnischer Vertreibungen.11 Diesen Entwicklungen konnte die UNPROFOR, die im März 1995 in Bezug auf ihr kroatisches Einsatzgebiet in „United Nations Confidence Restoration Operation“ (UNCRO) umbenannt wurde, nur tatenlos zusehen. Sie besaß kein Mandat des UN-Sicherheitsrats, den Friedensplan notfalls mit Gewaltanwendung durchzusetzen oder abzusichern. Wie die negative Erfahrung der UNPROFOR in den UNPA-Gebieten Kroatiens gezeigt hat, kann eine Peacekeeping-Operation ohne die Bereitschaft der Konfliktparteien, ihre Bedingungen zu respektieren, und ohne eine Identifikation mit ihren Zielen nicht erfolgreich sein. Noch schwieriger als in Kroatien gestaltete sich für die UNPROFOR ihre Operation in Bosnien und Herzegowina. Während sich im Kroatien-Krieg zumindest ab 1992 zwei Hauptkonfliktparteien entlang eines relativ klaren Frontverlaufs gegenüberstanden, erschwerten im Bosnien-Krieg (April 1992–Dezember 1995) das chaotische Konfliktbild sowie die kaum noch zu steigernde Brutalität der Kriegsführung den UNPROFOR-Einsatz zusätzlich. Am Höhepunkt des Krieges standen sich bis zu vier Kriegsparteien in wechselnden Militärallianzen gegenüber. Zirka 2,2 Millionen Menschen, die Hälfte der bosnisch-herzegowinischen Vorkriegsbevölkerung, wurden entweder zu „Internally Displaced Persons“ oder verließen als Flüchtlinge ihr Land. Nach den Untersuchungen des Documenta  9 Vgl. UN Departement of Public Information  : Former Yugoslavia – UNPROFOR, S. 7f. 10 Ebd., S. 11f. 11 Ausführlich zu den Folgen der Operation „Sturm“ siehe Hrvatski helsinški odbor (Kroatisches Helsinki Komitee)  : Vojna operacija Oluja [Die Militäroperation Sturm], Zagreb 2001.

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tion and Research Center aus Sarajevo forderte der Krieg ca. 100.000 Todesopfer. Die meisten Todesopfer hatte die bosniakisch-muslimische Bevölkerungsgruppe zu beklagen.12 Als sich der Hauptfokus des Jugoslawien-Kriegs in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 von Kroatien nach Bosnien und Herzegowina verlagerte, war die UNPROFOR zunächst für folgende Aufgaben zuständig  : Sicherung des Flughafens von Sarajevo und Ermöglichung des Flugverkehrs, Verteilung humanitärer Hilfe und Schutz von Konvois des Roten Kreuzes, Überwachung der Waffenstillstände sowie Überwachung des Flugverbots für militärische Flugzeuge.13 Zur Durchsetzung der No-Fly-Zone bediente sich die UNPROFOR ab dem März 1993 der Einsätze von NATO-Kampfflugzeugen. Schon bei dieser Form der Unterstützung durch die NATO zeigte sich die Problematik der Gleichzeitigkeit einer Peacekeeping-Operation und eines Krisenmanagements, das wegen der eskalierenden humanitären Situation auch auf Instrumente der Friedensdurchsetzung (Peace enforcement) zurückgreifen musste.14 Für die Serben, gegen die die NATOLuftoperation hauptsächlich gerichtet war, stellten die Soldaten der UNPROFOR keine neutrale Partei dar. Insbesondere in der Endphase des Krieges wurde die Geiselnahme von UNPROFOR-Soldaten von serbischer Seite sogar als legitimes Kriegsmittel angesehen, um NATO-Luftangriffe zu verhindern. Auf der anderen Seite kritisierte die bosniakische Konfliktpartei die ihrer Meinung nach zu geringen Anstrengungen der UNO, die ethnische Vertreibung der Bosniaken durch die Serben zu beenden.15 Ihre bis 1994 bestandene militärische Überlegenheit benutzte die serbische Kriegspartei dazu, die von ihr beanspruchten Gebiete ethnisch „zu säubern“. Im Jahr 1993 gab diese Kriegsführung den Ausschlag für mehrere UN-SR-Resolutionen, durch die Srebrenica (SR-Resolution 819, April 1993) sowie Sarajevo, Tuzla, Žepa, Goražde und Bihać (SR-Resolution 824, Mai 1993) zu „Safe Areas“ erklärt wurden. Diese Gebiete sollten demilitarisiert und die serbischen Angriffe eingestellt werden. Der UN-Sicherheitsrat ermächtigte die UNPROFOR, sich im Falle von Angriffen auf die „Safe Areas“ zu verteidigen und bei der NATO bei 12 Research and Documentation Centre Sarajevo  : Ljudski gubici u BiH 1991–95 [Die Opfer in BiH 1991–95] , abgerufen am 27.02.2012. 13 UN Departement of Public Information  : Former Yugoslavia – UNPROFOR, S. 5f. 14 Gustenau, Gustav E.: Die Rolle der NATO im südosteuropäischen Krisenraum. Möglichkeiten und Grenzen von Friedensoperationen. In  : Reiter, Erich (Hg.)  : Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999. Hamburg u. a., S. 724–740, hier S. 725ff. 15 UN Departement of Public Information  : Former Yugoslavia – UNPROFOR, S. 13.

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Gefahr um Luftunterstützung anzusuchen. So sehr dieser Beschluss des UNOSicherheitsrats aus einem moralischen und menschenrechtlichen Blickwinkel gerechtfertigt erschien, führte er den UNPROFOR-Einsatz als „Peacekeeping“Operation vollends ad absurdum. Konsequenterweise hätte zur Durchsetzung der „Safe Areas“ der UNPROFOR-Einsatz beendet werden müssen. An seiner Stelle wäre eine eindeutige Peace-Enforcement-Operation, etwa der NATO, notwendig gewesen. Die starke Verzahnung der UNPROFOR, deren Gesamtstärke phasenweise sogar 38.000 Soldaten erreichte, mit den Soldaten der Konfliktparteien hätte aber einen schnellen Abzug behindert. Es fehlte auch der politische Konsens im UN-Sicherheitsrat für eine Operation der Friedenserzwingung. Der hybride Charakter des UNPROFOR-Einsatzes in Bosnien und Herzegowina (teils Peacekeeping, teils Peace-Enforcement) blieb deshalb bis Kriegsende mit den damit verbundenen Schwierigkeiten bestehen. Am konsequentesten wurde das „Safe-Area“-Konzept in der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo durchgesetzt. NATO-Luftangriffe gegen serbische Stellungen bewirkten im Kriegsjahr 1994 den Rückzug der schweren Waffen aus einer 20-km-Zone um das Stadtgebiet. Die Lebensbedingungen der eingeschlossenen Bevölkerung Sarajevos verbesserten sich dadurch spürbar.16 In den anderen, im Osten Bosnien und Herzegowinas gelegenen, „Safe Areas“ zögerte das Kommando der UNPROFOR (mit Ausnahme von Goražde), die NATO um Luftunterstützung zu ersuchen. Die Begründung dafür dürfte die Sorge um die UNPROFOR-Soldaten gewesen sein, die insbesondere in Ostbosnien sehr eng mit den serbischen Truppen verzahnt gewesen waren. Das Dilemma für die UNO, ob im Falle der „Safe Areas“ die Prinzipien des Peacekeeping oder des PeaceEnforcement anzuwenden sind, mündete im Juli 1995 in der Katastrophe von Srebrenica. 7.000–8.000 männliche Jugendliche und Männer aus der bosniakischen Volkgruppe wurden nach der Eroberung Srebrenicas durch die Armee der bosnisch-herzegowinischen Serben in den umliegenden Wäldern getötet und in Massengräbern verscharrt.17 Das in dieser Phase in Srebrenica eingesetzte niederländische UNPROFOR-Kontingent lieferte den serbischen Eroberern bosniakische Männer aus und sah sich deshalb später Vorwürfen ausgesetzt, am Genozid mitschuldig geworden zu sein. Der Kommandant der Niederländer, Oberstleutnant 16 Ebd., S. 22 u. 33. 17 Siehe z. B. die Anklagepunkte des International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) gegen Radislav Krstić, der 2004 wegen seiner Mitwirkung am Srebrenica-Genozid zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist  : , abgerufen am 27.02.2012.

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Thomas Karremans, beteuerte, keinen anderen Ausweg gesehen zu haben. Seine Ersuchen an das UNPROFOR-Kommando, Luftunterstützung zu schicken, wären mehrfach abgelehnt worden.18 Tabelle 1  : Überblick über das internationale Krisenmanagement 1991–95 Militär/Polizei

Justiz

September 1991  : UNWaffenembargo (begünstigt die serbische Kriegspartei)

Politik/Diplomatie

Humanitäre Hilfe

Februar 1992–Dezember 1995 UNPROFORFriedenstruppe  ; insgesamt bis zu 38.000 Soldaten

Februar 1993  : Einsetzung des UNO-Kriegsverbrechertribunals ICTY (Bedeutung vergrößert sich in der Nachkriegszeit)

1991–94  : Jugoslawien„Friedenskonferenzen“ der EG und UNO (geringer Erfolg)

Mai 1992  : Wirtschafts­embargo gegen Serbien und Montenegro (beein­ flusst Serbiens ­Bosnien-Politik)

UNPROFOR/UNCRO in Kroatien  : Peacekeeping-Mandat wird von beiden Konfliktparteien missachtet

November 1995  : Dayton-Abkommen beendet den Krieg in B.-H. zwischen den Südslawen (USVermittlerrolle, militärische Pattsituation)

Ökonomie

UNPROFOR B.-H.: Wichtige humanitäre Unterstützung  ; große Probleme wegen der Vermischung von Peacekeeping u. Peace- Enforcement („safe areas“)  ; NATO in komplizierter Unterstützungsfunktion für die UNO

Das Fehlen klarer politischer Ziele, die starke Rücksichtnahme auf die Interessen von Drittstaaten und auf deren Sorge um ihre UNPROFOR-Soldaten sowie die bei den UNPROFOR-Kommandanten dominierenden Peacekeeping-Vorstellungen hatten das Scheitern der „Safe Areas“ und insbesondere die SrebrenicaTragödie zur Folge. Die NATO blieb während des Bosnien-Kriegs lange Zeit ein „Gefangener“ der komplizierten Entscheidungsmechanismen der UNO und ihrer Verflechtung mit der UNPROFOR. Als die NATO im August/September 1995 in der Operation „Deliberate Force“ schließlich schwere Luftangriffe gegen Stel18 Vgl. Redaktion BBC News  : Srebrenica report blames UN, 16.11.1999. , abgerufen am 27.02.2012.

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lungen der serbischen Kräfte durchführte, wurde die militärische Offensivkraft der Serben geschwächt. Entscheidend für die serbische Zustimmung zu einem Friedensabkommen im amerikanischen Dayton im November 199519 war aber die – durch amerikanische Vermittlung – erneuerte kroatisch-bosniakische Militärallianz. Sie brachte im Sommer 1995 die serbische Konfliktpartei an mehreren Frontabschnitten in Bosnien und Herzegowina ernsthaft in Bedrängnis.20

3. Vom Dayton-Abkommen zum Kosovo-Krieg (1995–99) On Kosovo, let me be quite clear that NATO will not stand idly by. We will not allow a repeat of the situation of 1991 in Bosnia. (NATO-Generalsekretär Javier Solana am 14. 6. 1998)21

Das Ende des Krieges in Bosnien und Herzegowina leitete die erste Phase der Konfliktnachsorge im exjugoslawischen Raum ein. Die Möglichkeiten für ein präventives Konfliktmanagement, um neue Fälle der Konflikteskalation zu verhindern, wurden von den internationalen Akteuren aber nur zum Teil genutzt. Ansätze dafür stellten UNO-Missionen und -Operationen im Osten und Süden Kroatiens (1996–98 bzw. 1996–2002) sowie im Grenzbereich zwischen Mazedonien und Serbien/Kosovo (1995–99) dar. Die Kosovo-Problematik behandelte die internationale Seite bis zum Aktivwerden der „Kosovo-Befreiungsarmee“ (UÇK) 1997/98 überwiegend als humanitäres Problem innerhalb von Serbien. Diese Ignoranz sollte sich als schwerwiegender Fehler erweisen, der in eine Radikalisierung des serbisch-albanischen Konfliktes und letztlich 1999 in einen neuen Krieg unter Beteiligung der NATO mündete. 3.1 Die internationale Rolle in Bosnien und Herzegowina in den ersten Nachkriegsjahren

In Bosnien und Herzegowina konzentrierten sich die internationalen Schlüsselakteure im Rahmen ihres Konfliktmanagements bis 1997 hauptsächlich auf die Implementierung des militärischen Teils des Friedensabkommens. Im Vergleich dazu fristete der zivile Teil in den ersten Nachkriegsjahren ein Schattendasein. 19 Die formelle Unterzeichnung des Friedensabkommens fand im Dezember 1995 in Paris statt. 20 Vgl. Gustenau  : Die Rolle der NATO im südosteuropäischen Krisenraum, S. 728f. 21 Siehe , abgerufen am 20.04.2012.

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Die institutionelle Absicherung der Menschen- und Bürgerrechte, die Ermöglichung der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen sowie die Funktionsfähigkeit eines aus zwei Entitäten zusammengesetzten multiethnischen Gesamtstaates zählten zunächst nicht zu den internationalen Prioritäten in Bosnien und Herzegowina. Eine Auseinanderentwicklung zwischen dem militärischen und dem politischen Verlauf des Friedensprozesses, der von Konfliktforschern als Zustand des „negativen Friedens“ bezeichnet wird, war die Folge davon. Die militärischen Stabilisierungsmaßnahmen der unter NATO-Kommando gestandenen internationalen Friedenstruppe Implementation Force (IFOR) verliefen sehr erfolgreich. Eine Truppenstärke von bis 60.000 Militärpersonen war ausreichend, um sehr rasch eine militärische Entflechtung der Konfliktparteien herbeizuführen.22 Unterstützt durch vertrauensbildende Maßnahmen wurde unter der Ägide der OSZE ein subregionaler Rüstungskontrollprozess eingeleitet. An diesem beteiligten sich neben den Konfliktparteien aus Bosnien und Herzegowina auch Kroatien und die Bundesrepublik Jugoslawien. Bei der Vernichtung von überschüssigen Waffen arbeiteten die IFOR und die OSZE eng zusammen.23 Die Kleinwaffenproblematik blieb aber genauso wie insbesondere die Minenproblematik bis heute ein Risiko für die Sicherheit der Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina.24 Nach dem Abzug der UNPROFOR engagierte sich die UNO vor allem durch die Installierung der International Police Task Force (IPTF) im Rahmen des Konfliktmanagements in Bosnien und Herzegowina. Zu den Aufgaben der IPTF gehörte insbesondere die Überwachung des Reformprozesses der im Krieg diskreditierten Polizeikräfte.25 22 Vgl. Džihić, Vedran  : Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina  : Staat und Gesellschaft in der Krise. Baden-Baden 2009, S. 205ff. 23 Siehe Vetschera, Heinz  : Military Stabilization and Arms Control in Bosnia and Herzegovina Five Years after the Dayton Agreement (Part I). The Agreement on Confidence- and Security-Building Measures in Bosnia and Herzegovina. In  : Österreichische Militärische Zeitschrift, 3/2001, S. 311– 318. Ders.: Military Stabilization and Arms Control in Bosnia and Herzegovina Five Years after the Dayton Agreement (Part II). The Agreement on Sub-Regional Arms Control („Art. IV/Florence Agreement“) and Implementation and Verification, 4/2001, S. 465–472. 24 Die Zahl der durch Antipersonen-Minen belasteten Orte wurde 2011 vom „Bosnia and Herzegovina Mine Action Centre“ mit ca. 10.900 angegeben. Vgl. European Commission  : IPA National Programme 2011 for Bosnia and Herzegovina. , abgerufen am 09.03.2012, S. 4. 25 Siehe dazu  : International Crisis Group  : Policing the Police in Bosnia  : A further reform agenda. Balkans Report N°130, Mai 2002, Sarajevo/Brüssel.

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Anders als im Sicherheitsbereich konnte das internationale Konfliktmanagement bei der Implementierung der zivilen Friedensziele bis 1998 keine wirklichen Erfolge verzeichnen. Die unter Patronanz der UNO und OSZE zu früh, im September 1996, abgehaltenen, ersten Nachkriegswahlen stellten einen schwerwiegenden politischen Fehler dar. Dadurch wurde die Macht nationalistischer Kräfte auch nach Kriegsende einzementiert. Anstatt demokratischen, nicht nationalistischen Parteien ausreichend Zeit zu geben, sich als positive Alternative zu den Nationalisten zu profilieren, beharrte die internationale Seite auf einer möglichst frühzeitigen Abhaltung der Wahlen. Formaldemokratischen Zielen wurde somit der Vorzug vor demokratischer Substanz gegeben.26 Den nationalistischen Parteien in Bosnien und Herzegowina kam diese, den zivilen Friedenszielen wenig förderliche internationale Politik sehr entgegen. Im Dayton-Vertrag enthaltene widersprüchliche Prinzipien begünstigten ebenfalls die Fortsetzung der „Kriegspolitik mit friedlichen Mitteln“. Der im Friedensvertrag vorgesehene Schutz individueller Menschen- und Bürgerrechte auf dem gesamten Territorium von Bosnien und Herzegowina kontrastiert sehr stark mit ethnischen Gruppenrechten und ethnischem politischen Proporz. Die im Dayton-Vertrag festgelegte umfangreiche Autonomie der beiden Entitäten, der serbisch dominierten Republika Srpska und der von Bosniaken und Kroaten dominierten Föderation Bosnien und Herzegowina, erschwert den Schutz individueller Rechte durch den Gesamtstaat. Wegen der negativen Bilanz in Bezug auf die Umsetzung der zivilen Ziele des Dayton-Abkommens setzte Ende 1997 ein Umdenken auf internationaler Seite ein. Der für die Kontrolle des Dayton-Abkommens zuständige High Representative (HR) der Staatengemeinschaft wurde vom Peace Implementation Council (PIC) mit Sonderbefugnissen, den sogenannten „Bonn Powers“, ausgestattet. Mit diesen Vollmachten kann der HR bosnisch-herzegowinische Amtsträger entlassen und Gesetze oktroyieren, falls dies der Friedensprozess erfordert.27 Die „Bonn Powers“ des HR und seine daraus entstandene Vorrangstellung innerhalb der zivilen Präsenz in Bosnien und Herzegowina verringerten auch die bis dahin bestandene Überlappung von Kompetenzen und den Konkurrenzkampf unter den internationalen Akteuren. Das chaotisch anmutende Erscheinungsbild der internationalen Gemeinschaft stellte in den Anfangsjahren des Friedensprozesses – neben der Obstruktionspolitik bosnisch-herzegowinischer Akteure – ein ernsthaftes Problem für die Umsetzbarkeit der Friedensziele dar.28 26 Vgl. Džihić, Vedran  : Ethnopolitik in Bosnien und Herzegowina, S. 209ff. 27 Ebd., S. 220ff. 28 Auf das Problem diffuser internationaler Strukturen in komplexen Friedensprozessen weist u. a.

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Die 1998–2006 von den verschiedenen HRs oftmals eingesetzten „Bonn Powers“ hatten in dieser Phase den Umbau von Bosnien und Herzegowina in ein SemiProtektorat der (westlichen) Staatengemeinschaft zur Folge gehabt. Insbesondere von serbischen Politikern aus Bosnien und Herzegowina, die ihre separatistischen Ziele durch die „Bonn Powers“ gefährdet sahen, aber auch von westlichen Thinktanks wurde massive Kritik an dieser „undemokratischen Form“ der internationalen Intervention ausgeübt.29 Im Kontext der Beurteilung des Nutzens der „Bonn Powers“ für die friedenspolitischen Ziele erscheint diese Kritik nicht gerechtfertigt zu sein. Ohne Anwendung der „Bonn Powers“ wären viele wichtige friedenspolitische Maßnahmen, die allen Bürgern von Bosnien und Herzegowina zugutekamen, sehr wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Dazu gehörten u. a. die Erleichterung der Bewegungsfreiheit durch die Einführung einheitlicher Autokennzeichen, die Durchsetzung der Rückgabe von im Kriege entwendeten Eigentums sowie die Einführung gesamtstaatlicher Dokumente und gemeinsamer bosnisch-herzegowinischer Symbole.30 Die aktivere internationale Rolle im Friedensprozess schlug sich auch auf das Mandat der internationalen Friedenstruppen nieder. Anders als die IFOR, deren Aufgabe hauptsächlich in der Überwachung der Trennung der militärischen Konfliktparteien bestand, war ihre Nachfolgeoperation, die Stabilisation Force (SFOR), stärker in einen politischen Kontext eingebettet. Die SFOR (1997– 2003) agierte als militärischer Garant für die Umsetzung der politischen Ziele des Dayton-Abkommens. So erleichterte die Mitwirkung der SFOR bei der Festnahme von Kriegsverbrechern aus Bosnien und Herzegowina die Rückkehr von Kriegsvertriebenen.31

Senada Šelo Šabić in ihrer sehr ausführlichen Studie über die ersten Jahre des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina hin  : Šelo Šabić, Senada  : State Building under Foreign Supervision  : Intervention in Bosnia-Herzegovina 1996–2003. Study Group Information, Mai 2005, Wien/Zagreb, S. 179ff. 29 Der Thinktank European Stability Initiative kritisierte die „Bonn Powers“ als eine Gefahr für die junge Demokratie in Bosnien und Herzegowina. Vgl. Knaus, Gerald/Marcus, Cox  : Bosnia and Herzegovina  : Europeanisation by decree  ? In  : Batt, Judy (Hg.)  : The Western Balkans  : moving on. Chaillot Paper n°70, Oktober 2004, Paris, S. 55–68. 30 Vgl. Ebner, Christian  : The Bonn Powers – Still Necessary  ? In  : Jureković, Predrag/Labarre, Frederic (Hg.)  : From Peace Making to Self Sustaining Peace. International Presence in South East Europe at a Crossroads  ? Study Group Information, Mai 2004, Wien, S. 119–151, hier S. 124ff. 31 Vgl. NATO Press Releases  : Statement by the Secretary General of NATO, Dr Javier Solana, on SFOR’s Action Against an Indicted War Criminal (09.01.1999). , abgerufen am 19.04.2012.

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3.2 Erfolgreiche Beispiele präventiver Missionen in Kroatien und Mazedonien

Im Unterschied zur UNPROFOR, die während des Kroatien-Krieges letztlich scheiterte, weil ihr Peacekeeping-Mandat weder von der kroatischen noch der serbischen Konfliktpartei akzeptiert und unterstützt wurde, zählt die „United Nations Transitional Administration in Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium“ (UNTAES) zu den erfolgreichen Missionen der UNO im exjugoslawischen Raum. Das Schicksal der nach der Militäroperation „Sturm“ größtenteils aus Kroatien geflüchteten Krajina-Serben vor Augen, stimmte die politische Führung der Serben aus Ostkroatien im November 1995 der friedlichen Reintegration in den kroatischen Staat zu. Auch die kroatische Seite war in dieser Phase an einer friedlichen Lösung interessiert. Eine internationale Friedensmission hatte deshalb gute Erfolgsaussichten. In dem von beiden Konfliktparteien unterzeichneten Abkommen von Erdut wurde festgelegt, dass eine internationale Übergangsverwaltung die Reintegration Ostkroatiens vorbereiten sollte. Die UNTAES-Mission dauerte von Januar 1996 bis Januar 1998. Sie setzte sich aus einem amerikanischen Missionsleiter, einem zivilen Stab, bis zu 5.000 Militärpersonen und ca. 450 zivilen Polizeibeamten zusammen. Zu ihren Aufgaben gehörten die Überwachung der Entmilitarisierung, die Ermöglichung der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen, der Aufbau einer zivilen, nach rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden Verwaltung und Polizei sowie die Durchführung von demokratischen Wahlen.32 Ein wichtiger Hinweis für den Erfolg der UNTAES-Mission ist der Umstand, dass die Serben aus Ostkroatien im Unterschied zu den Krajina-Serben ihre Heimat nach dem Zusammenbruch der „Serbischen Republik Krajina“ nicht verlassen haben. Auch viele kroatische Flüchtlinge kehrten in dieses Gebiet zurück. Die Umsetzung des Erdut-Abkommens hat zumindest ein friedliches Nebeneinander der verschiedenen Volksgruppen ermöglicht.33 Dass auch personell kleine Operationen wichtige Beiträge für den Frieden leisten können, wenn sie über ein passendes Mandat verfügen und dieses auch noch von den unterschiedlichen Konfliktparteien unterstützt wird, wurde 1996–2002 32 Vgl. UN Department of Public Information  : Croatia UNTAES (21.10.1997). , abgerufen am 01.03.2012  ; Ders.: Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium. Brief Chronology. , abgerufen am 01.03.2012. 33 Zu den Herausforderungen im Erdut-Friedensprozess, auch nach Beendigung der UNTAES-Mission, siehe Bujišić, Gordana  : Interethnic Relations in Eastern Slavonia – A Balance Ten Years after the Erdut Agreement. In  : Jureković, Predrag/Labarre, Fred (Hg.)  : International Peace Plans for the Balkans – A Success  ? Study Group Information, September 2006, Wien, S. 19–26.

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durch die „United Nations Mission of Observers in Prevlaka“ (UNMOP) demonstriert. Nur 28 UN-Militärbeobachter kontrollierten den Demilitarisierungsprozess auf dieser strategisch wichtigen kroatischen Halbinsel entlang der Grenze zur Bundesrepublik Jugoslawien/Montenegro. Im Jahr 2002 führte das verbesserte politische Klima zwischen den früheren Konfliktparteien zur Einstellung der Operation.34 Neben der UNTAES hatte vor allem die an der mazedonischen Grenze zu Serbien/Kosovo und Albanien eingesetzte „United Nations Preventive Deployment Force“ (UNPREDEP) eine explizit präventive Ausrichtung. Die UNPREDEP löste im März 1995 als eigenständige Operation die in Mazedonien eingesetzten Militärbeobachter der UNPROFOR ab. Die etwa 1.100 Soldaten setzten sich hauptsächlich aus einem nordischen Bataillon und einer US-Task-Force zusammen. Wichtigste Aufgabe der UNPREDEP war die Kontrolle sensibler Grenzabschnitte. 26 internationale Polizisten bildeten die zivile Komponente des präventiven Einsatzes. Durch die Präsenz der UNPREDEP konnte in einer sicherheitspolitisch sehr sensiblen Phase ein Übergreifen der Konflikte der Nachbarländer auf das multiethnische Mazedonien (25 % Albaner) zunächst verhindert werden. Sowohl die bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Albanien 1997 als auch die Radikalisierung des serbisch-albanischen Konflikts im Kosovo, die sich im selben Jahr abzuzeichnen begann, besaßen das Potenzial, auch die Stabilität von Mazedonien zu gefährden. UNPREDEP ist ein Lehrbeispiel dafür, dass eine erfolgreiche präventive Operation nicht beendet werden sollte, bevor die Sicherheitsrisiken signifikant reduziert wurden. Wegen der diplomatischen Anerkennung Taiwans durch die mazedonische Regierung weigerte sich China im Februar 1999, im UNO-Sicherheitsrat einer Verlängerung der Operation UNPREDEP zuzustimmen.35 Im Kontext der Eskalation des Kosovokonflikts verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen an der mazedonischen Grenze zu Serbien/Kosovo. Zahlreiche Waffen wurden nach Mazedonien geschmuggelt. Als Spätfolge musste die internationale Gemeinschaft 2001 im bewaffneten Konflikt zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und albanischer Guerilla „präventiv“ vermitteln, um einen Bürgerkrieg in Mazedonien zu verhindern. 34 Vgl. UN Department of Public Information  : Prevlaka Peninsula – UNMOP – Facts and Figures (2002). , abgerufen am 05.03.2012. 35 Vgl. UN Department of Public Information  : United Nations Preventive Deployment Force (16.03.1999). , abgerufen am 05.03.2012.

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3.3 Internationales Krisenmanagement im Kontext der Eskalation des Kosovo-Konflikts

Die Eskalation des Kosovo-Konflikts 1997–99 verdeutlichte, dass Konfliktprävention in den späten 1990er-Jahren noch nicht das dominierende Interventionsverhalten der internationalen Akteure im exjugoslawischen Raum darstellte – ungeachtet einiger positiver Beispiele in Kroatien und Mazedonien. Der Kosovo-Konflikt gab zwar 1989 den Startschuss für den Prozess des Zerfalls Jugoslawiens, dennoch gehörten die Kosovo-Albaner zu den „Vergessenen von Dayton“. Ihre Forderung nach Selbstbestimmung wurde lange Zeit von westlichen Politikern ignoriert. Sie setzten nach Beendigung des Bosnien-Kriegs mehrheitlich wieder auf Milošević als regionalem „Stabilitätsfaktor“. Die Chance, dessen Wunsch nach politischer Akzeptanz durch die westliche Welt von seinen Zugeständnissen in der Kosovo-Frage abhängig zu machen, wurde von internationaler Seite nicht ausreichend genutzt. Das Resultat war die Entmachtung von Ibrahim Rugova, der die friedliche kosovarisch-albanische Unabhängigkeitsbewegung lange Zeit angeführt hatte, durch die radikale albanische Guerilla UÇK.36 Anschläge der UÇK auf serbische Polizisten und Polizeistationen sowie ihr Versuch, im Kosovo „befreite Gebiete“ auszurufen, führten 1997–99 zu serbischen Vergeltungsschlägen gegen die albanische Zivilbevölkerung und – letztlich doch – zur Internationalisierung des Konflikts.37 Der internationalen Seite kam ihre jahrelange Passivität in der Kosovo-Frage teuer zu stehen. Angesichts der sich gegenseitig aufschaukelnden Eskalationsstrategien des Milošević-Regimes und der UÇK erfolgte das 1997/98 eingeleitete politische Krisenmanagement der EU, der USA und Russlands zu spät. Ein vom USUnterhändler Richard Holbrooke mit Milošević im Oktober 1998 ausgehandeltes Abkommen über eine OSZE-Verifikationsmission und NATO-Luftüberwachung zur Kontrolle des serbischen Teilabzugs und der Flüchtlingsrückkehr wurde hauptsächlich von der UÇK obstruiert. Sie benutzte den serbischen Teilabzug,

36 Vgl. Petritsch, Wolfgang/Pichler, Robert  : Kosovo-Kosova. Der lange Weg zum Frieden. Klagenfurt u. a. 2005 (2. erweiterte Auflage), S. 124ff. 37 Ausführlich zur Gewalteskalation im Kosovo-Konflikt und zum politischen Krisenmanagement siehe Feichtinger, Walter  : Die militärstrategische und operative Entwicklung im Konfliktverlauf. In  : Reiter, Erich (Hg.)  : Der Krieg um das Kosovo 1998/99. Mainz 2000, S. 93–135. Jureković, Predrag  : Die politische Dimension des Krieges im Kosovo und in der BR Jugoslawien  : Konfliktentwicklung, politische Initiativen der Staatengemeinschaft, Auswirkungen auf das Umfeld. In  : Reiter, Erich (Hg.)  : Der Krieg um das Kosovo 1998/99. Mainz 2000, S. 39–80.

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um in diese Gebiete vorzurücken.38 Andererseits scheiterte der letzte politische Vermittlungsversuch an der serbischen Ablehnung. Im französischen Rambouillet wollten die EU, USA und Russland im Februar und März 1999 die Konfliktparteien für die Annahme eines Friedensplans gewinnen. Dieser sah eine umfangreiche politische Autonomie für den Kosovo und die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe vor. Miloševićs Unterhändler lehnten den Rambouillet-Plan ab.39 Tabelle 2  : Überblick über das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement 1995–99 Politik /Diplomatie

Ökonomie

Militär/Polizei

Kroatien  : Kroatisch-serbisches ErdutAbkommen (friedliche Reintegration Ostkroatiens, UN-Übergangsverwaltung UNTAES)

Kroatien  : Wiederaufbauhilfe

Kroatien  : 5.000 Militärpersonen und 450 Polizeibeamte im Rahmen der UNTAES  ; UN-Militärbeobachter-mission zur Demilitarisierung der Halbinsel Prevlaka (UNMOP)

B.-H.: Sondervollmachten für den High Representative der Staatengemeinschaft zur Durchsetzung politischer Ziele des Dayton-Abkommens

B.-H.: Wiederaufbauhilfe

B.-H.: International Police Task Force der UNO (Polizeiaufbau u. -kontrolle) Friedenstruppen Implementation Force (1996) u. Stabilisation Force (ab 1997)

Serbien/Kosovo  : (zu späte) Vermittlungstätigkeit und (zu später) Druck im Kosovokonflikt  ; Scheitern der Friedenskonferenz von Rambouillet (März 1999)

Serbien/Kosovo  : (Wiedereinführung der) Wirtschaftssanktionen gegen Serbien  ; humanitäre Hilfe für Kosovo-Albaner

Serbien/Kosovo  : Überprüfung des Teilabzugs serbischer Sicherheitskräfte (Verifikationsmission der OSZE und NATO  ; scheitert wegen der Verstöße der UÇK)  ; NATO-Luftoperation „Allied Force“ (Serbischer Totalabzug aus dem Kosovo) Mazedonien  : UN Preventive Deployment Force (UNPREDEP)  ; zu früh eingestellt

38 Petritsch/Pichler  : Kosovo-Kosova, S. 278. 39 Prochazka, Martin  : Die Grenzen der Konfliktprävention – Der Fall Kosovo. In  : Feichtinger, Walter/Jureković, Predrag (Hg.)  : Konfliktprävention zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, 16/2007, Wien, S. 63–77, hier S. 71.

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Angesichts Hunderttausender albanischer Flüchtlinge und signifikanter Anzeichen für systematische ethnische Vertreibungen und Tötungen durch serbische Sicherheitskräfte und vor allem Milizen begann die NATO im März 1999 einen völkerrechtlich umstrittenen Luftkrieg gegen Serbien. Dieser dauerte bis Juni 1999 und endete mit der Niederlage der serbisch-montenegrinischen Armee, die den Kosovo vollständig verlassen musste. Dem Vorwurf, ohne ein klares Mandat des UN-SR ein souveränes Land angegriffen zu haben, begegneten die NATOStaaten mit dem Argument, aus moralischen Gründen zu einer humanitären Intervention verpflichtet gewesen zu sein.40 Das Peace-Enforcement der NATO durch die Luftoperation „Allied Force“ bedeutet auf jeden Fall eine entscheidende Zäsur im Kontext des Internationalen Krisen- und Konfliktmanagements. Der erste wirkliche Präzedenzfall für eine humanitäre Intervention – mit all ihren positiven und negativen Aspekten – war gegeben.

4. Komplexe Friedensprozesse und europäische Integration (2000–2013) Das Jahr 2000 war in mehrfacher Hinsicht ein „Wendejahr“ im Prozess der Konflikttransformation in der exjugoslawischen Region, für die die EU die Bezeichnung „Westbalkan“ einführte. Ihre im Kosovo-Konflikt 1998/99 – erneut – erkennbar gewordene Abhängigkeit vom Krisenmanagement der USA bewirkte in der EU den Durchbruch einer pro-aktiven Politik gegenüber dieser Region. Sie wurde zur ersten wirklichen Bewährungsprobe für die noch sehr junge Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union. Schon die etwas künstlich anmutende Bezeichnung Westbalkan, in der Kroatien, Serbien und Montenegro (inklusive Kosovo), Bosnien und Herzegowina, Mazedonien sowie das ebenfalls krisengeschüttelte Albanien fortan zusammengefasst wurden, zeigte eine neue Qualität in der Balkan-Politik der EU. Innerhalb der Union vergrößerte sich – aus den negativen Erfahrungen der 1990er-Jahre heraus – das Verständnis dafür, dass eine effiziente Stabilisierungspolitik einen regionalen Ansatz erfordert und ein Ad-hoc-Krisenmanagement keinen konsolidierten Frieden schaffen kann. Mit dem Angebot an die Länder dieser Postkriegsregion, in einem eigens für sie konzipierten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP) schrittweise an die Mitgliedschaft in der EU herangeführt zu werden, verbindet die Union das Ziel 40 Einblicke in die Ende der 1990er-Jahre sehr kontroversiell geführte Debatte für oder gegen die NATO-Intervention  : Schirrmacher, Frank (Hg.)  : Der westliche Kreuzzug. 41 Positionen zum Kosovo-Krieg. Stuttgart 1999.

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der Verbesserung der regionalen Beziehungen.41 Das Ableben des halbautoritären kroatischen Präsidenten Tudjman (Dezember 1999) und die Entmachtung von Milošević in Serbien (Oktober 2000) erhöhten in zwei Schlüsselstaaten der Region die Chancen auf demokratische Reformen und eine verbesserte regionale Kooperation. Mit der „demokratischen Wende“ in Kroatien und Serbien verband die EU ab 2000 auch die Hoffnung auf einen positiveren Verlauf der Friedensprozesse in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo. Für das internationale Konfliktmanagement und Friedensengagement – speziell der EU – waren in den folgenden 13 Jahren der Postkriegsperiode vor allem folgende Merkmale charakteristisch  : a) Die Aufgaben militärischer und polizeilicher Operationen und Missionen veränderten sich analog zur Reduktion des Risikos für neue kriegerische Auseinandersetzungen. Der Trend geht weg von der Abschreckungsfunktion hin zur Unterstützung politischer Friedensziele. b) Zivile Missionen der internationalen Gemeinschaft begleiten und kontrollieren die schwierigen Staatsbildungsprozesse in der Region. c) Mithilfe des SAP, ihrer Konditionalitäts- und Erweiterungspolitik, versucht die EU, zwischen den ehemaligen Konfliktparteien gemeinsamen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen. 4.1 Militärisches und polizeiliches Peacebuilding im Wandel

Auch im Jahr 2013 stellen prekäre Staatlichkeit in Teilgebieten des Westbalkans, noch immer spürbare „ethnische“ Konflikte sowie schmerzhafte und auch durch Gewalt gekennzeichnete Rückschläge in den Friedensprozessen ein Hindernis für einen konsolidierten Frieden dar. Trotzdem gilt die Kriegsoption wegen der Veränderung der zuvor beschriebenen politischen Rahmenbedingungen bei den relevanten politischen Akteuren in der Region – nicht aber an den extremistischen Rändern – als diskreditiert. Militärische und polizeiliche Friedensoperationen und -missionen sollten – das zeigt die bisherige Balkanerfahrung sehr deutlich – mit den Trends in den politischen Friedensprozessen kompatibel sein. So gibt es am Westbalkan mehrere Beispiele dafür, dass militärische Operationen zur Entflechtung und Entwaffnung der Konfliktparteien, zur Waffenvernichtung und Verhinderung des Ausbruchs neuer Kämpfe durch Operationen abgelöst wurden, die vor allem ein sicheres Umfeld für die Umsetzung politischer Frie41 Zu den Instrumenten der EU auf dem Westbalkan siehe Calic, Marie-Janine  : Strategien zur Europäisierung des Westlichen Balkans. Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess auf dem Prüfstand. In  : Südosteuropa, 1/2005, S. 1–37. Altmann, Franz Lothar  : EU und Westlicher Balkan. Von Dayton nach Brüssel  : ein allzu langer Weg  ? SWP-Studie, Januar 2005, Berlin.

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densziele gewährleisten sollen. Charakteristisch für die Veränderung der militärischen Aufgaben war die Ablöse der NATO-Operationen durch Operationen unter EU-Kommando, als zumindest der „negative Friede“ den internationalen Interventionsmächten als gesichert erschien. Dieses Muster wiederholte sich z. B. in Mazedonien sowie in Bosnien und Herzegowina. In Mazedonien konnte im Sommer 2001 das Übergleiten der Kämpfe zwischen der dortigen albanischen Guerilla und mazedonischen Sicherheitskräften in einen Bürgerkrieg noch rechtzeitig durch das sogenannte „Ohrid Framework Agreement“ (OFA) verhindert werden. Alle wichtigen internationalen Organisationen, auch die NATO, hatten sich bei der Vermittlung dieses Abkommens, welches den Status der Albaner verbessern sollte, engagiert und waren erfolgreich gewesen.42 Die NATO führte im Herbst 2001 in Mazedonien die Operation „Essential Harvest“ durch. In Analogie zur Entwaffnungsoperation der NATO im Kosovo in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 sollten auch die UÇK-Kämpfer in Mazedonien entwaffnet werden. Dies gelang teilweise. Zahlreiche Kleinwaffen blieben aber im Umlauf. Auch in den ersten, im Hinblick auf die Sicherheitsgefährdung noch als „sensibel“ einzustufenden Post-Ohrid-Jahren half die NATO, im Rahmen der Operationen „Amber Fox“ und „Allied Harmony“ den Frieden zu stabilisieren. Als dieser halbwegs konsolidiert schien, löste sie die EU im März 2003 durch ihre erste militärische Operation „Concordia“ ab. Im Dezember 2003 trat die EU-Polizeimission „Proxima“ an die Stelle von „Concordia“. Diese Mission, welche bis Dezember 2005 andauerte, leistete einen wichtigen Beitrag dazu, dass durch vertrauensbildende Maßnahmen und die Bildung gemischtnationaler Polizeieinheiten sich die Sicherheitslage in den ehemaligen albanischen Rebellengebieten verbesserte. An „Proxima“ schloss die Mission des „EU Police Advisory Team“/EUPAT (Dezember 2005–Juni 2006) an. Zirka 30 Polizisten aus der EU berieten die mazedonische Polizei bei der Einführung europäischer Standards in der Polizeiarbeit.43 Eine ähnliche Entwicklung hin zur Umsetzung eines „Soft-Power“-Ansatzes der EU im militärischen und polizeilichen Peace-Building war von internationaler Seite auch in Bosnien und Herzegowina beabsichtigt. Die EU übernahm im Dezember 2004 von der NATO das Kommando über die militärische Frie42 Über die Hintergründe des OFA siehe International Crisis Group  : Crisis Group Briefing N°21, Macedonia  : War on Hold, 15. August 2001. 43 Von König, Florian  : Die EU und Mazedonien  : Die Integrationsperspektive als Mittel zur Konfliktbeilegung und Stabilisierung. In  : Feichtinger, Walter/Jureković, Predrag (Hg.)  : Konfliktprävention zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, 16/2007, Wien, S. 79–89, hier S. 84ff.

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densmission. EUFOR ALTHEA startete mit 6.300 Militärpersonen und lag damit knapp unter den 7.000 Soldatinnen und Soldaten, die zuletzt für die SFOR im Einsatz waren.44 Über ein Jahr zuvor, zu Jahresbeginn 2003, hatte die EU schon die Verantwortung für die Polizeimission von der UNO übernommen. Zusammen mit dem HR, der zwischen 2002 und 2011 auch in der Funktion des EU Special Representative in Bosnien und Herzegowina agierte, befanden sich ab 2005 in diesem Land alle wichtigen Agenden des zivilen und militärischen Konfliktmanagements unter der überwiegenden Kontrolle der EU. Die Installierung von EUFOR ALTHEA ereignete sich nur ein Jahr vor dem Zeitpunkt, als die EU und andere relevante internationale Akteure im PIC offiziell die Eigenverantwortlichkeit der bosnisch-herzegowinischen Entscheidungsträger als zukünftige politische Leitlinie beschlossen haben.45 Das de facto seit 1997 bestehende internationale Protektoratssystem sollte abgeschafft werden. Parallel dazu war mittelfristig geplant, dass die EUFOR zu einer Mission umgewandelt wird, die Bosnien und Herzegowina auf Basis einer Einladung seiner Regierung bei den Sicherheitsreformen unterstützen sollte. In den ersten zwei bis drei Jahren der EUFOR-Präsenz schien dieser Plan tatsächlich umsetzbar. Im Jahr 2005 wurden die Streitkräfte der beiden Staatsteile aufgelöst und ein kleineres, gemeinsames Berufsheer des Gesamtstaates gegründet. Die Sicherheitslage konsolidierte sich so weit, dass 2007 die EUFOR auf eine Stärke von ca. 2.500 Militärpersonen reduziert werden konnte. Der zwischen 2003 und 2006 feststellbare positive politische Trend hielt aber nicht an. Nach einer knapp gescheiterten Verfassungsreform im Frühjahr 2006, die Bosnien und Herzegowina sehr wahrscheinlich in einen funktionaleren Staat transformiert hätte, nahm der Nationalismus wieder spürbar zu. Die Protektoratsvollmachten des HR wurden deshalb vom PIC formal aufrechterhalten. EUFOR ALTHEA war Mitte 2013 mit nur noch 600 Militärpersonen eine weiter verkleinerte Friedenstruppe. Anders als ursprünglich geplant, kam sie aber noch immer auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta zum Einsatz, d. h. mit dem Mandat militärischer Gewaltanwendung im Falle der Gefährdung des Friedens. Immer weniger europäische Staaten sind bereit, den mühsamen bosnisch-herzegowinischen Friedensprozess „auszusitzen“. Dieser Umstand schlägt sich im Abzug ih44 Vgl. die Informationen über die Chronologie der Operation EUFOR Althea unter , abgerufen am 18.04.2012. 45 Vgl. Peace Implementation Council  : Communiqué by the PIC Steering Board – Time to Meet the Ownership Challenge, 07.12.2006. < http://www.ohr.int/print/?content_id=38641>, abgerufen am 18.04.2012.

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rer Soldatinnen und Soldaten aus Bosnien und Herzegowina nieder. So bleibt die Hoffnung aufseiten der EU, dass die politische Vernunft in diesem Land letztlich obsiegt und ein Peace-Enforcement-Szenario nicht mehr eintreten wird. Für Sarah Reichel stellt in ihrer umfangreichen Studie über Anspruch und Wirklichkeit der EU-Krisenbewältigung der Westbalkan einen interessanten Testfall dar  : Die EU könne in dieser Region im Rahmen ihrer GSVP Krisenmanagement üben, ohne befürchten zu müssen, wirklich in eine gefährliche Situation zu geraten. Mit der Fokussierung auf „Soft Power“ würde von der EU auch im militärischen und polizeilichen Bereich sehr erfolgreich eine Nische besetzt werden. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Erfahrungen der EU seit 2003 bei militärischen und polizeilichen Einsätzen auf dem Westbalkan bleibt, so Reichel, die Antwort auf eine zentrale Frage aber offen. Nämlich jene, ob die Union in einer akuten Krise mit hohem Gewaltpotenzial ihre verfügbaren Instrumente „kohärent und wirksam“ einsetzen könnte.46 Solchen gefährlichen Situationen war die unter NATO-Kommando stehende Friedenstruppe KFOR im Kosovo zwischen 1999 und 2013 schon mehrfach ausgesetzt gewesen. Manchmal schien sie überfordert, wie im März 2004, als Tausende albanische Extremisten serbische Häuser und Kirchen niederbrannten. Insbesondere unterschiedliche „Rules of Engagement“ der gemischtnationalen Truppe waren damals ausschlaggebend für das chaotisch anmutende Erscheinungsbild der KFOR.47 In den meisten Fällen gelang es der KFOR aber, die Sicherheitslage nach nationalistischen Ausschreitungen rasch wieder zu beruhigen. Zuletzt wurde sie Ende 2011 durch gewalttätige serbische Demonstranten herausgefordert. Sie errichteten im Norden des Kosovo Barrikaden, um die Stationierung kosovarischer Zöllner zu verhindern.48 Auch wenn es im Kosovo noch immer die NATO und nicht die EU ist, die für ein sicheres Umfeld zu sorgen hat, ist auch in diesem Einsatzgebiet die Tendenz erkennbar, von der Friedensdurchsetzung zur Friedensunterstützung überzugehen. Hauptsächlich amerikanische und britische KFOR-Offiziere unterstützen den Aufbau der Kosovo Security Force, der De-factoArmee des Kosovo seit seiner vom Parlament im Februar 2008 ausgerufenen Un-

46 Vgl. Reichel, Sarah  : Anspruch und Wirklichkeit der EU-Krisenbewältigung  : Testfall Balkan. Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik, 78/2010, Baden-Baden, S. 310. 47 Zur Kosovo-Krise im März 2004 siehe International Crisis Group  : Collapse in Kosovo. Report, 22.04.2004. 48 Vgl. Redaktion B92  : KFOR uklanja barikade [KFOR beseitigt Barrikaden], 20.11.2011. , abgerufen am 21.10.2011.

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abhängigkeit.49 Viele der früheren Sicherheitsaufgaben der KFOR werden mittlerweile von der Kosovo Police ausgeführt, darunter fällt auch der Schutz der meisten serbisch-orthodoxen Klöster im Kosovo.50 Dass die KFOR, die 1999 noch mit fast 50.000 Militärpersonen im Kosovo präsent war, ihre Kräfte bis Mitte 2013 auf eine Gesamtstärke von knapp 5.000 Soldatinnen und Soldaten reduzieren konnte, ist vor allem auf Fortschritte im zivilen Bereich des Friedensprozesses zurückzuführen.51 Die „europäische Integrationsagenda“ gilt sowohl Belgrad als auch Priština/Prishtina als gemeinsames Interesse, auch wenn sonst kaum Übereinstimmungen zwischen den beiden Seiten feststellbar sind. Sicherheitspolitische Risiken, das zeigt die Entwicklung am Westbalkan sehr gut, können durch eine attraktive politische und ökonomische Stabilisierungsstrategie intervenierender Mächte signifikant reduziert werden – wenn sie beiden Seiten Vorteile bringt. Die Erfahrungen am Westbalkan zeigen allerdings auch, dass Friedensprozesse nicht linear und kurzfristig verlaufen, sondern dass es sich um langfristige Prozesse handelt, in denen Interventionsmächte auf Rückschläge vorbereitet sein sollten. So bestehen am Westbalkan noch immer zahlreiche Risiken, die von nicht konsolidierter Staatlichkeit und weiter existierenden interethnischen Problemen ausgehen. 4.2 Fragile Staatlichkeit und die internationale Rolle … it’s a disgrace for the international community that we have allowed so many conflicts to become frozen, and we are not making a serious effort to solve them. (Internationaler Vermittler und Nobelpreisträger Martti Ahtisaari am 10. 10. 2008)52

Aus der Perspektive von 2013 kann am Westbalkan nur Kroatien als wirklich konsolidierter Staat ohne größere territoriale und ethnische Probleme bezeichnet werden. Das frühere Kriegsgebiet hatte nach dem Ende der Ära Tudjman – 49 Vgl. Brajshori, Muhamet  : KSF’s Kastrati says Kosovo ready to contribute to security abroad. In  : Southeast European Times, 05.01.2012., abgerufen am 18.04.2012. 50 Vgl. Redaktion Hannoversche Allgemeine Zeitung  : KFOR-Truppe zieht von Kosovo-Klöstern ab, 05.08.2010. , abgerufen am 19.04.2012. 51 Vgl. die Information über die KFOR-Entwicklung in , abgerufen am 19.04.2012. 52 Siehe , abgerufen am 20.04.2012.

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trotz größerer Probleme mit politischer Korruption – eine insgesamt sehr positive demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung vollzogen und ist im Juli 2013 als erstes Westbalkanland der EU beigetreten. Auch in den anderen Westbalkan­ ländern sind generell positive Entwicklungen bei der Übernahme europäischer Standards feststellbar, sie tragen aber schwerer am Erbe der jugoslawischen Zerfallskriege. Bosnien und Herzegowina leidet permanent am Fehlen einer gemeinsamen Staatsvision seiner drei konstitutiven Völker. Serbien hat auch in der Post-Milošević-Ära große Schwierigkeiten, sich vom Ballast der Kosovo-Frage zu befreien. In der großteils zu Serbien gehörenden Region Sandžak/Sandschak, mit mehrheitlich muslimisch-bosniakischer Bevölkerung, erhalten Autonomieforderungen im Kontext des dort stärker werdenden Islamismus einen immer radikaleren Unterton. Auch die politischen Repräsentanten der multiethnisch zusammengesetzten Bevölkerung der Vojvodina im Nordwesten Serbiens bedrängen Belgrad mit Autonomieforderungen. Die albanische Bevölkerung des südserbischen Preševotals wiederum besitzt eine stärkere Affinität zu Priština/Prishtina als zu Belgrad. Der junge Staat Kosovo ist auch nach seiner Unabhängigkeit mit der serbischen Frage konfrontiert. Im hauptsächlich von Serben bewohnten Norden des Kosovo werden die staatlichen Institutionen des Kosovo vehement abgelehnt. In Montenegro zeigt sich die serbische Bevölkerung (ca. 30 %) unzufrieden mit ihren nationalen Rechten. In Mazedonien, das allgemein als gelungenes Beispiel für ein präventives internationales Konfliktmanagement gilt, hat der Ohrid-Prozess die Gräben zwischen Mazedoniern und Albanern (25 %) bisher nicht völlig schließen können. Die gemeinsame Staatsidentität bleibt schwach. Eine nachhaltige Konfliktnachsorge – mit Beiträgen auch von internationaler Seite – wäre notwendig, um das Risiko eines Rückfalls in die frühere Konfliktbeziehung zu verhindern. Insbesondere eine schnelle Lösung für den leidigen Namensstreit zwischen Skopje und Athen wäre notwendig. Dieser blockiert den NATO-Beitritt Mazedoniens seit 2008 und verhindert den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Die beiden Integrationsziele werden sowohl von mazedonischen als auch von albanischen Politikern in Mazedonien geteilt.53 Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo nehmen in der Nachkriegsphase für die internationale Gemeinschaft wegen ihrer direkten Einflussnahme im Rahmen der komplexen Staatsbildungsprozesse eine Sonderstellung ein. Mit den „Bonn 53 Über die Bilanz des Ohrid-Prozesses 2001–2011 und aktuelle Entwicklungen in Mazedonien siehe International Crisis Group  : Macedonia  : Ten Years after the Conflict. Europe Report N°212, 11.08.2011.

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Powers“ gelang es den verschiedenen HRs in Bosnien und Herzegowina bis 2006, die gesamtstaatlichen Institutionen zu stärken und dem Ziel der Etablierung eines funktionalen Staates, der den europäischen Standards folgt, näher zu kommen. Die Mitglieder des Friedensimplementierungsrates PIC haben allerdings 2006 den Fehler begangen, zu früh die „Bonn Powers“ für nicht mehr notwendig zu erklären. Dieser taktische Fehler mündete wegen des Fehlens einer ausreichend gefestigten politischen Konsenskultur in Bosnien und Herzegowina in einen Rückfall in eine nationalistische Politik. Insbesondere im serbisch dominierten Staatsteil trägt sie separatistische Züge. Die „Bonn Powers“ bestehen zwar noch formal weiter, allerdings nur noch als Sicherheitsnetz. Sie werden vom HR kaum noch eingesetzt.54 Bei der EU hat sich die Einschätzung durchgesetzt, dass sich durch ihre Integrationspolitik gegenüber Bosnien und Herzegowina die interne Zusammenarbeit in diesem Westbalkanland verbessern wird. Diese optimistische Projektion übersieht aber einen wesentlichen Faktor  : Politiker in den Nachkriegsökonomien des Westbalkans – und wahrscheinlich gilt dies auch für viele andere Postkriegsgesellschaften – gestalten in erster Linie ihre Politik nach eigener, individueller, oft durch Korruption bestimmter Interessenlage. Die objektiven Interessen der Staatsbürger sind zumeist nur von zweitrangiger Bedeutung. Aus der Perspektive von Mitte 2013 blieb unklar, ob Bosnien und Herzegowina sich auch mit internationaler Hilfe in naher Zukunft als Staat konsolidieren wird. Die auch aus Sicht der EU negative Alternative zu einem funktionalen Staat Bosnien und Herzegowina wäre die Vergrößerung des Risikos des Staatszerfalls. Dieser würde wegen der nicht bewältigten Kriegsvergangenheit in Bosnien und Herzegowina sehr wahrscheinlich nicht friedlich verlaufen. In einem solchen Fall würde in einem kleinen und monoethnischen Restbosnien der traditionell sehr tolerante bosnische Islam durch ein Erstarken islamistischer Bewegungen in Gefahr geraten. Um ein solches negatives Szenario zu verhindern, ist nicht nur die Etablierung einer politischen Konsenskultur in Bosnien und Herzegowina notwendig, sondern auch ein wirtschaftlicher Aufschwung. Zwischen 1996 und 2000 unterstützte die internationale Gemeinschaft mit ca. 5 Mrd. USD sehr großzügig den Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina. Ein Teil dieser Gelder soll in dunklen Kanälen versickert sein.55 Im Rahmen ihrer Stabilisierungs- und Assoziierungspolitik stellte die EU 2000–2012 Bosnien und Herzegowina ca. 1 Mrd. Euro zur Verfü54 Zu den negativen Trends in Bosnien und Herzegowina seit 2006 siehe Džihić  : Ethnopolitik in Bosnien und Herzegowina, S. 412ff. 55 Vgl. Redaktion Der Spiegel  : Hilfsgelder in Milliardenhöhe verschwunden, 18.08.1999 (online). ,abgerufen am 19.04.2012.

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gung.56 Mit diesen Geldern sollten aber vor allem Reformvorhaben und die regio­ nale Kooperation unterstützt werden. Weil Bosnien und Herzegowina politisch entlang ethnischer Trennlinien gespalten ist, fehlt ein gesamtstaatliches Konzept, um genügend attraktive Investoren ins Land zu holen. Die daraus resultierende hohe Arbeitslosigkeit von 28 % der Erwerbsfähigen57 erhöht das Misstrauen vieler Bürger gegenüber ihrem Staat und erzeugt eine pessimistische Grundstimmung. Noch schlechter als in Bosnien und Herzegowina stellt sich die soziale und ökonomische Situation im Kosovo dar. Die frühere serbische Provinz war zwischen 1999 und 2008 ein Protektorat der UNO, bis Kosovo im Februar offiziell und mit Unterstützung der USA sowie dem Großteil der EU-Staaten von seinem Parlament zu einem unabhängigen Staat ausgerufen wurde. Die noch vom alten Jugoslawien geerbten strukturellen Probleme seiner Wirtschaft setzen sich auch in der Phase der Eigenstaatlichkeit fort. Mit (offiziell) 45 % ist die Arbeitslosigkeit im Kosovo die höchste in der gesamten Region.58 Arbeitslose Jugendliche bilden ein großes Reservoir für die Rekrutierung durch kriminelle und politisch extremistische Gruppen. Der unter EU-Vermittlung zwar etwas abgemilderte, dennoch weiter fortgesetzte politische Konflikt mit der serbischen Regierung um seinen völkerrechtlichen Status hält ausländische Investoren davon ab, sich im Kosovo stärker zu engagieren. In dieser Phase des UNO-Protektorats wurden der institutionelle Aufbau bewältigt und demokratische Prozesse eingeleitet. Im Unterschied zur internationalen Rolle in Bosnien und Herzegowina schreckten die UNO-Protektoren aber davor zurück, die organisierte Kriminalität konsequent zu bekämpfen und darin involvierte Politiker zu entmachten.59 Ein weiterer, von internationaler Seite begangener, schwerwiegender Fehler war es, den Sonderweg des serbisch dominierten Nordkosovo als „kosovarisches Transnistrien“ so lange zu tolerieren. Die 56 Vgl. European Commission  : Bosnia and Herzegovina – Financial Assistance. , abgerufen am 16.04.2012  ; European Commission  : Financial Statistics per country 2000-2006. , abgerufen am 17.04.2012. 57 Vgl. Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche  : Bosnien und Herzegowina (Stand  : 19.04.2012). , abgerufen am 19.04.2012. 58 Angaben von Lawrence Meredith, Mitarbeiter des DG Enlargement der Europäischen Kommission, im Rahmen einer am 12. März 2012 stattgefundenen Kosovoveranstaltung an der Wiener Diplomatischen Akademie. 59 Vgl. Džihić, Vedran/Kramer, Helmut  : Der Kosovo nach der Unabhängigkeit. Hehre Ziele, enttäuschte Hoffnungen und die Rolle der internationalen Gemeinschaft. Internationale Politikanalyse der FES, September 2008, Bonn, S. 12f.

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serbische Volksgruppe im Kosovo wurde dadurch zweigeteilt  : In die Gemeinschaft der Serben südlich des Flusses Ibar, die aus Pragmatismus mit den Kosovo-Behörden kooperiert, und in die Gemeinschaft der Serben im Nord-Kosovo, die zu keinerlei Kontakten mit Priština/Prishtina bereit ist. Diese Teilung der Serben erschwert die Umsetzung jener internationalen Bedingungen, die Kosovo in Bezug auf den Volksgruppenschutz im Unabhängigkeitsprozess gestellt wurden. Für den jungen Staat selbst bedeutet der faktische Sonderstatus des Nordens, dass er keine Sicherheit über die Grenzen seines Territoriums besitzt.60 Umgekehrt fördert die Obstruktionspolitik radikaler Serben aus dem Nordkosovo separatistische Tendenzen bei radikalen Albanern im südserbischen Preševotal. Das dadurch weiter bestehende Sicherheitsdilemma erschwert die Normalisierung der serbisch-albanischen Beziehungen.61 Die Rolle der EU im Kosovo hat seit 2008 im Friedens- und Staatsbildungsprozess an Bedeutung signifikant zugenommen. Mit der Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX implementiert die Union ihre bisher größte zivile Mission im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Zirka 2000 Richter und Staatsanwälte sowie Polizei- und Zollbeamte sollen durch ihre Unterstützung die Institutionen des Kosovo näher an europäische Standards bringen.62 Ihre Stellung ist aber keine einfache und es zeigt sich an ihrem Beispiel die Problematik ambitionierter und teurer internationaler Missionen. Kritisiert werden vor allem ihr unklares Mandat – als eine Folge uneinheitlicher Positionen der EU-Staaten gegenüber der Unabhängigkeit des Kosovo –, die mit 165 Mio. Euro pro Jahr sehr hohen Missionskosten und eine zu geringe Effizienz bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption.63 Die Kosovo Steering Group, eine Art internationaler Lenkungsausschuss für den Staatsaufbau im Kosovo, hat im Januar 2012 beschlossen, dass die internationale Aufsicht über den Kosovo zu Jahresende beendet werden soll. Dieser Beschluss betrifft nicht die EU-Präsenzen, sondern das International Civilian Office (ICO).64 Das ICO fungiert seit 2008 als eine Art internationale Kontrollbehörde 60 Zur Nordkosovo-Problematik siehe International Crisis Group  : North Kosovo  : Dual Sovereignty in Practice, Europe Report N°211, 14. März 2011. 61 Eindrücke des Autors von mehreren Gesprächen mit albanischen Politikern aus Südserbien. 62 Zur Struktur und den Zielen der EULEX-Mission siehe . 63 Vgl. Bajrami, Selvije  : The Rule of Law in Kosovo  : Mission Impossible  ? In  : Balkan Insight, 17.11.2011. , abgerufen am 19.04.2012. 64 Redaktion Die Presse  : Kosovo verliert bis Jahresende den „Aufpasser“. In  : Die Presse, 25.01.2012, S. 7.

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und war bisher dafür zuständig, die Umsetzung der Bedingungen für die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo zu garantieren. Diese sind im sogenannten AhtisaariPlan aus 2007 festgelegt und betreffen vor allem den Schutz der serbischen und anderer nicht albanischer Volksgruppen im Kosovo.65 Ungeachtet der noch vorhandenen großen Baustellen im kosovarischen Staatsaufbau (schwierige Nordkosovo-Frage etc.) wollen die westlichen Förderer des Kosovo dem Prinzip des Local Ownership zum Durchbruch verhelfen. Und obwohl sich im Nordkosovo die Sicherheitslage zwischen Juli und Dezember 2011 signifikant verschlechtert hat, wird die Beendigung des Protektorats als kalkulierbares Risiko eingestuft. Ähnlich wie in Bosnien und Herzegowina hofft man auf internationaler Seite auch im Falle des Kosovo, dass die Integration des Westbalkans in die EU helfen wird, die noch ungelösten Konflikte zu lösen. In einem seit März 2011 unter Vermittlung der EU stattfindenden technischen und seit Herbst 2012 auch politischen Dialog zwischen Belgrad und Priština/Prishtina konnten kleine Fortschritte in den wechselseitigen Beziehungen und hinsichtlich der Nordkosovo-Frage erzielt werden. Das Misstrauen zwischen den beiden Seiten ist aber noch nicht beseitigt. Es stellt sich die Frage, ob die EU-Vermittlungstätigkeit und -Integrationspolitik ausreicht, um in diesem Teil des Westbalkans eine anhaltende positive Konflikttransformation zu erreichen. 4.3 Integration als Stabilitätsfaktor

Zwei wesentliche Faktoren unterscheiden das internationale Konfliktmanagement am Westbalkan von den internationalen Maßnahmen in den Konfliktgebieten des Kaukasus, Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens  : erstens das massive Eingreifen externer Akteure in Staatsbildungsprozesse – außerhalb des Westbalkans wurde Ähnliches in den vergangenen 20 Jahren nur in Afghanistan versucht  ; zweitens der Versuch der westlichen Interventionsmächte, die durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen regionalen Beziehungen durch die Integration der ehemaligen Konfliktparteien in die EU und NATO zu verbessern. Was das Wechselspiel zwischen den Integrationsprozessen und der regionalen Kooperation betrifft, so ist die bisherige Bilanz durchaus erfolgreich. Durch Unterstützung des 1999 gegründeten „Stability Pact for South East Europe“ und seiner 2008 ins Leben gerufenen Nachfolgeorganisation „Regional Cooperation Council“ (RCC) entstanden zahlreiche regionale Initiativen. Sie vertiefen bzw. erneuern die Zu65 Vgl. The Comprehensive Proposal for Kosovo Status Settlement. , abgerufen am 20.04.2012.

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sammenarbeit der südosteuropäischen Länder im politischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Bereich. Vor allem in Hinblick auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die militärische Konfliktverhütung hat sich die regionale Kooperation seit 2000 vorbildlich entwickelt. So könnten regionale Initiativen wie das „Regional Arms Control Verification and Implementation Centre“ (RACVIAC) sowie das „South Eastern and Eastern Europe Clearinghouse for the Control of Small Arms and Light Weapons“ (SEESAC) auch für andere Postkriegsregionen als Modell dienen.66 Für die wirtschaftliche Kooperation zwischen den südosteuropäischen Ländern hat das „Central European Free Trade Agreement“ (CEFTA) an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 1992 als wirtschaftliches Kooperationsforum von Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen gegründet, zielt die CEFTA heute vor allem darauf ab, Handelsbarrieren zwischen den Westbalkanländern abzubauen. Neben den regionalen Beziehungen haben sich auch die bilateralen Beziehungen am Westbalkan signifikant verbessert. Mit Ausnahme des noch immer sehr schwierigen Verhältnisses zwischen Serbien und Kosovo pflegen alle Westbalkanstaaten reguläre diplomatische Beziehungen. Kroatien hat als einziges Westbalkanland die Beitrittsverhandlungen mit der EU abgeschlossen und trat im Juli 2013 der Union als 28. Mitglied bei. Für die anderen Kandidatenländer (Mazedonien, Montenegro, Serbien) und potenziellen Kandidaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina) wird der Weg in die EU noch viele Jahre dauern. Die EU unterstützt inzwischen wichtige Reformschritte in den Kandidatenländern durch das „Instrument for Preaccession“ (IPA). Kosovo hat wegen der Uneinigkeit der EU-Mitglieder zur Frage seiner Unabhängigkeit bisher noch nicht einmal ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU abgeschlossen. Dieses garantiert u. a. den Abbau von Handelsbarrieren und ist die Voraussetzung dafür, dass das Westbalkanland ein Beitrittsansuchen an die EU stellen kann.67 Die Langzeitigkeit der Integrationsperspektive sowie die durch finanzielle Probleme einzelner EU-Mitglieder abnehmende Attraktivität der Union stellen ein Risiko im Stabilisierungsprozess dar. Nur eine selbst konsolidierte EU ist im66 Zu den zahlreichen regionalen Initiativen, die seit 2000 auf dem Westbalkan entstanden sind, siehe Delević, Milica  : Regional cooperation in the Western Balkans. Chaillot Paper n°104, Juli 2007, Paris. 67 Über den Grad der Beziehungen zwischen den Westbalkanländern und der EU informiert sehr ausführlich die Internetseite der Europäischen Kommission zum Thema „Enlargement“. .

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stande, ihre Konditionalitätspolitik effizient in der Region durchzusetzen. Schneller als der EU-Beitrittsprozess verläuft die Integration in die NATO, die das Risiko für den Ausbruch neuer Kriege in der Region signifikant reduziert. Albanien und Kroatien sind 2009 der Nordatlantischen Allianz beigetreten. Mit Ausnahme von Serbien und Kosovo besitzen alle anderen Westbalkanländer gegenüber der NATO den Status eines Beitrittskandidaten. Tabelle 3  : Überblick über das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement 1999/2000–2013 Politik/Diplomatie

Ökonomie/finanzielle Unterstützung

Militär/Polizei

B.-H.: Unterstützung des Staatsaufbaus Protektoratselemente („Bonn Powers“)

B.-H.: EU-Unterstützung durch die Programme CARDS und IPA  ; Kreditunterstützung durch Internationale Finanzinstitutionen

B.-H.: Seit 2003 EU Police Mission Dez. 2004 Ablöse der SFOR durch EUFOR Althea

Kosovo  : UNO-Protektorat (1999–2008) Februar 2008 teilweise int. staatliche Anerkennung Kosovos auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans  ; seit 2008 EU-Unterstützung für den Institutionenaufbau

Kosovo  : Unterstützung beim Aufbau wirtschaftlicher Strukturen im Rahmen des Protektorats  ; EU-Unterstützung durch die Programme CARDS und IPA

Kosovo  : Seit Juni 1999 unter NATOKommando stehende KFOR  ; seit 2008 Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX

Mazedonien  : Das Ohrid-Abkommen beendet im August 2001 die bürgerkriegsähnlichen Unruhen.

Mazedonien  : EU-Unterstützung durch die Programme CARDS und IPA  ; Kreditunterstützung durch Internationale Finanzinstitutionen

Mazedonien  : Waffeneinsammlung durch NATO-Operation „Essential Harvest“ (August–Sept. 2001)  ; NATO-Operationen „Amber Fox“ u. Allied Harmony (Sept. 2001–März 2003)  ; EU-Militäroperation „Concordia“ (März–Dez. 2003)  ; EU-Polizeimission „Proxima“ (Dez. 2003–Dez. 2005)  ; EU-Polizeimission „EUPAT“ (Dez. 2005–Juni 2006)

Gesamtregional  : Seit 2000 Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess der EU auf dem Westbalkan

Gesamtregional (2000–2013)  : 9,5 Mrd. Euro Unterstützungsgelder der EU für Reformvorhaben im Rahmen der Programme CARDS und IPA

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5. Lehren für das Internationale Krisen- und Konfliktmanagement • Das internationale Krisenmanagement war während der Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegowina nicht ausreichend imstande, eine Deeskalation zu bewirken. Ein zu spätes Reagieren auf Konfliktabläufe, zu komplizierte Entscheidungsprozesse (UNO), das Fehlen adäquater Instrumente (EG) sowie unterschiedliche Beurteilungen und Parteilichkeit behinderten das internationale Krisenmanagement in der Hauptkriegsphase 1991–95. • Die Lehre aus der gescheiterten Operation UNPROFOR und UNCRO (1992– 95) in Kroatien war, dass eine Peacekeeping-Operation nur dann sinnvoll ist, wenn beide Konfliktparteien kein Interesse an neuen Kampfhandlungen haben, sich großteils mit den Missionszielen identifizieren und bereit sind, sie zu unterstützen. Diese Voraussetzungen waren bei den beiden positiven Gegenbeispielen, der UNTAES in Ostkroatien (1996–98) sowie der UNO-Militärbeobachtermission UNMOP auf der kroatischen Halbinsel Prevlaka (1996– 2002), grundsätzlich gegeben. • Der äußerst schwierige UNPROFOR-Einsatz in Bosnien und Herzegowina (1992–95) hat das Risiko unklarer Mandate und unklarer militärischer Einsatzprofile im Rahmen von Krisenmanagement-Operationen aufgezeigt. Die Vermischung von Peacekeeping- und Peace-Enforcement-Elementen im gemeinsamen UN-NATO-Einsatz und das Fehlen eindeutiger politischer Ziele haben der Operation schweren Schaden zugefügt. Die unklaren Einsatzbedingungen der UNPROFOR beim Schutz der „Safe Areas“ begünstigten die Verbrechen von Srebrenica. • Von der internationalen Gemeinschaft wurden in der ersten Phase nach Ende des Bosnien-Kriegs (1995–99) in der Region durchaus Ansätze für eine präventive Stabilisierungspolitik entwickelt. Beispiele dafür waren die Missionen UNTAES und UNMOP. Andererseits wurde durch das zu frühe Ende der UNPREDEP-Mission in Mazedonien, in einer für dieses Land gefährlichen regionalen Situation, das noch unterentwickelte internationale Verständnis für eine anhaltende präventive Stabilisierungspolitik erkennbar. • Das Fehlen einer präventiven internationalen Politik führte 1996–99 zur Radikalisierung des Kosovo-Konflikts. Die Lehre aus der Eskalation dieses Konflikts ist, dass nach dem Übergang von einer gewaltlosen Krise in eine gewaltsame Krise68 internationale Friedensinitiativen nur noch geringe Chancen 68 Diese Unterscheidung verschiedener Krisenintensitäten ist aus dem Heidelberger Forschungsansatz des „Conflict Information System“ (CONIS) entnommen. Vergleiche dazu Schwank, Nicolas/

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besitzen, von beiden Konfliktparteien mitgetragen zu werden. So scheiterten die OSZE- und NATO-Verifikationsmissionen an der Obstruktion der kosovarischen UÇK und der in Rambouillet offerierte internationale Kosovo-Friedensplan an der serbischen Ablehnung. Ohne eine rechtzeitige Konfliktprävention – so die Kosovo-Erfahrung von 1998 und 1999 – ist man auf internationaler Seite gezwungen, auf Mittel der Friedenserzwingung zurückzugreifen, sofern man massive Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos geschehen lassen will. Wie die Nachkriegsentwicklung in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo zeigt, ist ein gelungenes Zusammenspiel aus politischen, ökonomischen, polizeilichen und militärischen Stabilisierungsinstrumenten eine Voraussetzung für Fortschritte im Friedensprozess. Werden Wahlen in Postkriegsgebieten sehr früh abgehalten, wird zwar einem formaldemokratischen Ziel Genüge getan. Die Chancen auf eine substanzielle demokratische Entwicklung und die Etablierung rechtsstaatlicher Standards verringern sich aber dadurch. Protektoratsstrukturen sind zwar undemokratisch, können aber für die Garantierung menschenrechtlicher Mindeststandards und die Zurückdrängung nationalistischer Kräfte legitim sein. Die zu frühe Aufgabe der Protektoratsinstrumente zugunsten einer von Nationalisten getragenen Local Ownership kann – wie das Beispiel von Bosnien und Herzegowina verdeutlicht – ein Fehler sein. Aus dem bisherigem Engagement der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina sowie in Kosovo ist erkennbar, dass eine Entscheidung für eine umfassende Unterstützung von Friedens- und Staatsbildungsprozessen eine Entscheidung mit langfristigen Auswirkungen sein kann. Bei Konfliktmanagement-Operationen, die über dem Anforderungsprofil von Peacekeeping-Einsätzen liegen, sollten ihre Langfristigkeit, die hohen Kosten und der hohe Personalbedarf bedacht werden. Nicht nur das Konfliktgebiet selbst, sondern auch das internationale Engagement ist im Zuge eines längeren Friedensprozesses mehrfach einer Veränderung ausgesetzt. Ist der militärische Frieden soweit abgesichert, rückt die Soft-Power-Komponente in den Vordergrund, und zwar auch bei sogenannten Kapitel-VII-Operationen. Diese „natürliche“ Entwicklung kann zu einem ProTrinn, Christoph  : Muster und Entwicklungstrends politischer Konflikte im Spiegel des Conflict Information System (CONIS) Heidelberg. In  : Feichtinger, Walter/Dengg, Anton (Hg.)  : Kein Feind in Sicht. Konfliktbilder und Bedrohungen der Zukunft. Wien u. a. 2010, S. 65–87, hier S. 72ff.

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blem werden, wenn die Sicherheitslage sich kurzfristig verschlechtert, was z. B. im Kosovo 1999–2013 schon mehrmals der Fall war. • Ein konsequent implementierter Soft-Power-Ansatz, wie die Integrations- und Konditionalitätspolitik der EU auf dem Westbalkan, kann die Normalisierung der regionalen Beziehungen unterstützen, wenn er für die Konfliktparteien ausreichend attraktiv ist. Andererseits zeigen aber z. B. die im bosnisch-herzegowinischen Staatsbildungsprozess auftretenden Probleme auch seine Grenzen.

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Konflikt und Krisenmanagement im Pazifik Das Beispiel Bougainville, Papua-Neuguinea

1. Rahmenbedingungen einer Großregion Die Großregion Ozeanien innerhalb des Pazifiks, allgemein als Pazifische Inselwelt bezeichnet und aus den Subregionen Melanesien, Mikronesien und Polynesien bestehend, kann räumlich zwischen den sogenannten Pacific-Rim-Staaten, den Ländern an den Rändern des Pazifischen Ozeans, verortet werden. Nördlich bzw. nordöstlich von Australien sowie östlich des insularen Südostasiens, zu dem die Schnittstellen überlappend und daher nicht immer eindeutig sind, ist die Großregion durch zwei Faktoren gekennzeichnet  : extrem kleine Landflächen im Vergleich zu extrem großen Wasserflächen zwischen den einzelnen Inseln. Begrenzte demografische Tragfähigkeit aufgrund der Limitiertheit von Grund und Boden, generelle Ressourcenarmut sowie schwierige Nutzungsbedingungen der häufig korallinen und daher höchst unfruchtbaren Böden charakterisieren die Bedingungen vor Ort. Kulturelle Vielfalt führte dazu, dass heute Ozeanien zu jenen Weltregionen zählt, welche eine der größten Sprachendichten aufweist, da viele ethnische Gruppen in relativer Isolation bzw. naturräumlich bedingter Abgeschiedenheit lebten und leben. Dies betrifft sowohl abgelegen liegende Außeninseln als auch große Gebiete im zerklüfteten und schwer zugänglichen Hochland Papua-Neuguineas (PNG). Bestimmendes Kennzeichen der gesellschaftlichen und politischen Strukturierung ist die relative zahlenmäßige Kleinheit der Gruppen. Sowohl in den Inlandgebieten der größeren Inseln als auch an den Rändern derselben sowie auf vielen kleineren Inseln sind die Größen von zusammenhängenden Gruppen überschaubar. Diese verstehen sich jeweils als durch Klan-, Stammes- oder Dorfzugehörigkeit zusammengeschweißte soziale Entitäten, wobei die jeweiligen Affilierungen so vielfältig und unterschiedlich sind, dass es in jedem Einzelfall einer Bestimmung jener identitätsstiftenden Elemente bedarf, welche diese Gruppen formen. Ähnlich vielfältig sind die gesellschaftlichen und politischen Organisationsformen in der Region. Während die heutigen Gesellschaften durch eine mehrere Jahrhunderte dauernde Kontaktsituation mit europäisch-amerikanischen 193

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Konzepten und einer meistens rund hundertjährigen Periode der Kolonisierung so geprägt sind, dass traditionelle, überlieferte Normen, Wertvorstellungen und gesellschaftliche Strukturierungen unwiderruflich drastische Veränderungen erfuhren, so sind heute nach Entkolonisierung und mehreren Jahrzehnten eigenständiger Verantwortung und Entwicklung auch wieder starke Rückbesinnungstendenzen im Sinne eines „revival of tradition“ allerorten sichtbar.1 Die späte Entlassung der meisten pazifischen Inselstaaten in die Unabhängigkeit hat sowohl zu strukturellen Problemen als auch zu Identitätsproblemen in den jungen Staaten geführt, welche Ursachen für rezente Konflikte sind. Zu den strukturellen Problemen zählen der an westlichen Modellen orientierte Aufbau der Verwaltungsapparate und Regierungsinstitutionen sowie deren nachgeordnete Stellen, die, nur bedingt auf spezifische lokale und regionale Bedürfnisse eingehend, in ihrer Reichweite, Durchsetzungsfähigkeit und aufgrund fehlender Kontrollmechanismen nur in urbanen und semiurbanen Räumen ihre volle Funktion entfalten können und massiver Korruption, Kollusion und Nepotismus ausgesetzt sind. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass die meisten der Staaten in Grenzen entstanden, welche koloniale Aufteilungen widerspiegeln und den Umstand ignorieren, dass in voreuropäischer Zeit kein überlokales bzw. überregionales Zusammengehörigkeitsgefühl existierte, von zentraler Bedeutung für die Erklärung gegenwärtiger Konflikte. In PNG gab es bereits im Vorfeld der 1975 vollzogenen Unabhängigkeit Versuche der Bewohner der Insel Bougainville, sich von dem in Gründung befindlichen Staat abzulösen. Nur durch Zugeständnisse und Drohung mit Intervention der zur selben Zeit neu gegründeten Armee von PNG konnte ein Verbleib Bougainvilles bei PNG sichergestellt werden – gleichwohl sollte sich diese Vorgeschichte als mitbestimmender Effekt bei dem im Folgenden dargestellten Fallbeispiel des Bougainville-Konfliktes entscheidend niederschlagen.2

2. Bougainville – Die Genese eines Konfliktes Mit der Unterzeichnung des Konnou-Agreement am 29. November 2011 im Dorf Mongoroi auf Bougainville durch den Präsidenten von Bougainville, John Momis, 1 Mückler, Hermann  : Kolonialismus in Ozeanien. Kulturgeschichte Ozeaniens Band 3, Wien 2012. 2 Dinnen, Sinclair  : Law and Order in a Weak State. Crime and Politics in Papua New Guinea. Pacific Islands Monograph No. 17, Honolulu 2001  ; Bainton, Nick/Cox, John  : Parallel States, Parallel Economies  : Legitimacy and Prosperity in Papua New Guinea. State, Society and Governance in Melanesia, Discussion Paper 2009/5, Canberra 2009.

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Konflikt und Krisenmanagement im Pazifik

und Vertretern mehrerer rivalisierender Fraktionen, fanden ein fast zwölfjähriger Bürgerkrieg und eine daran anschließende rund elfjährige Phase der Konsolidierung und des Versuchs einer Rückkehr zu Stabilität und Frieden ihren vorläufigen Abschluss. Das Dorf Mongoroi wurde deshalb gewählt, weil aus diesem der Anführer der letzten noch gewalttätigen Widerstand leistenden Gruppe aus der Region Konnou, Damian Koike, stammt, der sich nun als Letzter ebenfalls zu Verhandlungen bereit erklärt hatte und damit dem bewaffneten Kampf abschwor. Neben einem offiziellen Dokument, welches es zu unterzeichnen gab, sollten vor allem traditionelle rituelle Handlungen mit Symbolwert im Vordergrund stehen, um die besondere Bedeutung dieses historischen Ereignisses festzuhalten. Dazu gehörten ein großes Festessen und die gegenseitige Überreichung von Geschenken. Präsident John Momis, ein ehemaliger Priester, der Mitte der 1990er von der damaligen Bougainville Revolutionary Army (BRA) im Ort Tinputz entführt, mit dem Tod bedroht und mehrere Monate lang gefangen gehalten worden war, kehrte das erste Mal nach 21 Jahren wieder nach Panguna, an den Ort des Beginns des Konfliktes, zurück. Doch der Konflikt um Bougainville kennt mehrere Stadien und dies ist der vorläufig letzte Akt eines weit über 20 Jahre dauernden Konfliktes, der viele Facetten der Eskalation und Konfliktaustragung sowie zahlreiche Versuche der Deeskalation und Konfliktbeilegung erlebt hat. Grundsätzlich kann man die Krise, den (Bürger-)Krieg und die Anstrengungen zur Lösung des Konfliktes in vier Phasen teilen  : Vorgeschichte und schrittweise Eskalation in den Jahren 1972–1989, offener Konflikt und Bürgerkrieg in den Jahren 1989–1999, Versuche der Konfliktbeilegung 1989–2001 und schließlich Maßnahmen zur dauerhaften Deeskalation und Versöhnung 2001–2011. Die Insel Bougainville steht damit für den am längsten dauernden Bürgerkrieg in der Region. Es ging und geht dabei um den Kampf gegen äußere Einflussnahme, ungenügende Entschädigung und ökologische Folgewirkungen für exzessive Ressourcenausbeutung und um die immer wieder von Teilen der Bevölkerung Bougainvilles angestrebte, aber bisher nicht erreichte Unabhängigkeit Bougainvilles vom Staat PNG. Die Konfrontationen zwischen den politischen und militärischen Vertretern PNGs einerseits und den Vertretern der verschiedenen Interessengruppen Bougainvilles andererseits hatten alle Bewohner der Insel in der Zeit von 1989 bis Ende der 1990er-Jahre in einen Strudel gewalttätiger Ereignisse gestürzt. Tausende Menschen fielen diesem Krieg unmittelbar zum Opfer, in dessen Folge Zehntausende zur Flucht gezwungen wurden und der letztlich zur weitgehenden Zerstörung der vorhandenen Infrastruktur führte. Das Friedensabkommen von 2001 muss im Kontext der 32 Abkommen und Verein195

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barungen gesehen werden, die in den Jahren davor nicht oder nur bruchstückhaft zur Umsetzung gelangten. Allen vorangegangenen Abkommen war gemeinsam, dass sie bald nach der Unterzeichnung wieder hinfällig waren. Dieser Umstand zeigt, dass die Rückkehr zu stabilen Verhältnissen auf Bougainville von zahlreichen Rückschritten geprägt war und ist. Zusammengefasst handelt es sich bei den Ursachen und Wurzeln des Konfliktes um zwei Themen, die jedoch eng miteinander verschränkt sind  : 1. das Verhältnis der Bewohner Bougainvilles zum Staat PNG bzw. seiner Regierung und das damit verbundene Streben nach Unabhängigkeit  ; 2. die Auswirkungen des Minenbetriebs von Panguna mit allen ökonomischen, ökologischen, politischen und sozialen Folgen für Anrainer, Minenarbeiter, Betreiber und den Gesamtstaat. 2.1 Der unmittelbare Auslöser  : Panguna

Vordergründiger Ausgangspunkt für die Ausweitung des Konfliktes um die politische Oberhoheit über die Insel waren die unmittelbaren Ereignisse um die Kupfermine Panguna. Noch heute, viele Jahre nach Schließung der Mine, wird um eine für die Betroffenen zufriedenstellende Abwicklung der Folgen des exzessiven Ab- bzw. Raubbaus gerungen. Das Kupferbergbauprojekt Panguna auf Bougainville hatte großflächig die Landschaft im Umfeld der Mine geschädigt. Ganze Dörfer sowie riesige Flächen an tropischem Regenwald wurden dauerhaft vernichtet, Berghänge abgetragen und die ökologischen Rahmenbedingungen durch eine Verseuchung der umliegenden Gewässer, vor allem des Jaba-Rivers, mit Schwermetallen und chemischen Substanzen drastisch beeinträchtigt. Panguna, der Name der Kupfergrube, die mit einem Durchmesser von zwei Kilometern und einer Tiefe von 600 Metern zur Zeit ihres Betriebes die größte Tagebau-Kupfergrube der Welt war, steht in Melanesien heute synonym für die größte ökologische und politische Krise, welche diese Weltregion nachhaltig erschütterte. Die Anrainer und unmittelbar Betroffenen des Minenbaus, die durch den schrittweisen Abbau in Mitleidenschaft gezogen wurden, sind anfangs nur ungenügend entschädigt worden. Zuerst wurden ihnen nur Entschädigungszahlungen für die verloren gegangenen Landflächen und Anbauflächen zugesagt  ; erst später wurden sie an den Gesamteinnahmen prozentuell beteiligt. Bereits 1960 hatte die australische Conzinc Rio Tinto, die sich zu 85 % im Besitz der in London registrierten Rio Tinto-Zinc Corporation Ltd. (RTZ) bzw. Conzinc Rio Tinto of Australia Ltd. (CRA), einem der weltweit größten Berg196

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baukonzerne, befand, mit Schürfungen begonnen und große Mengen minderwertigen Kupfers auf Bougainville gefunden. Neue Förderungstechnologien und ein stetig steigender Bedarf am Weltmarkt führten dazu, dass man den Bau einer Mine mit einer projektierten Nennleistung von 80.000 Tonnen pro Tag ins Auge fasste. Mit Inbetriebnahme im April 1972 wurde die Panguna-Mine der Bougainville Copper Ltd. (BCL), wie sich das Unternehmen zwischenzeitlich nannte, zum größten Industrieunternehmen in PNG. Mit einem geschätzten Erzvorkommen von rund 900 Millionen Tonnen schien eine langfristige Nutzung der Mine gesichert. Die Regierung erhielt 61,5 % der erwirtschafteten Einnahmen im Zuge von Dividenden und Steuern, die Provinzregierung 4,3 % und die Landbesitzer 1,4 % der Gesamtsumme. Die durch die Minenbetreiber vor Ort aufgebaute Infrastruktur machte die Region um Panguna und Arawa zum drittgrößten urbanen Zentrum des Landes. Von 1972 bis 1988 war die Bevölkerung Arawas von 5.000 auf 15.000 angestiegen. 17 Jahre lang war die Panguna-Mine das größte produktive Minenprojekt und Industrieunternehmen in PNG. In dieser Zeit sind rund drei Millionen Tonnen Kupfer, 304.412 Kilogramm Gold und 780.875 Kilogramm Silber gefördert worden. Hauptabnehmer waren Japan, Deutschland, Spanien und die südostasiatischen Staaten. Mit der sukzessiven Verbreiterung und Vertiefung der Mine nahmen die Belastung der Umwelt und die schrittweise Zerstörung der Umgebung und damit die Beeinträchtigung der lokalen Bevölkerung drastisch zu. Insgesamt zahlten die Minenbetreiber in den Jahren des Minenbetriebs mehr als 500 Millionen Euro an Steuern und rund 150 Millionen Euro Dividende an den Staat PNG. Rund 20 Millionen Euro wurden an Kompensation und weitere drei Millionen Euro an Pachtgebühren an die Landbesitzer gezahlt (wobei die Feststellung der Landbesitzer und die Verteilungsschlüssel wiederum Auslöser für Konflikte waren – ein Umstand, der noch zur Sprache kommt). Weitere 30 Millionen Euro wurden an die Regierung als Pacht- und Lizenzgebühren gezahlt. Die Minenbetreiber bauten zwei Städte, einen Hafen, ein Elektrizitätswerk und boten 3.500 Menschen Arbeit. Mehr als 17.000 technische Zertifikate wurden an graduierte Absolventen des mineneigenen Trainings-College sowie technischer Schulungseinrichtungen in Übersee vergeben. Letztlich erwirtschaftete PNG rund 45 Prozent seiner Export-Einnahmen mit der Mine. Dies erklärt die Abhängigkeit des Staates von der Mine und das daraus resultierende brachiale Verhalten der Regierung in Port Moresby gegenüber den Gegnern des Betriebs. Konflikte und Diskrepanzen zwischen Einheimischen und Zugewanderten haben sich parallel zum Minenbetrieb verstärkt. Viele zugewanderte Arbeitskräfte aus allen Teilen PNGs haben die ethnische Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung Bougainvilles nachhaltig verändert. Gravierend für den Konflikt um Panguna hatte 197

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sich die Tatsache erwiesen, dass jene australischen Beamten, die bereits Mitte der 1960er-Jahre die Titelhalter von Grund und Boden („title holder“) zu eruieren und in Listen zu erfassen versucht hatten, um eine Grundlage für Kompensationszahlungen zu bekommen, den Umstand ignorierten, dass Grund und Boden überwiegend unter Kontrolle der Frauen standen, z. B. bei den Nasioi, bei denen Land von der Mutter einer landbesitzenden Gruppe an die jeweils älteste Tochter weitergegeben wird. Die Beamten verhandelten jedoch meistens mit Männern. Daraus entstanden interne Konflikte in den betroffenen Dörfern, die sowohl entlang geschlechtsrelevanter Zuständigkeiten verliefen als auch den Vorwurf der Frauen an die Männer, dass diese sich kaufen hätten lassen, beinhalteten. Umsiedlungen und Landverlust hatten jene fünf ethnischen Gruppen zu erdulden, die im Umfeld der Mine lebten  : die östlich an der Küste lebenden Nasioi, die entlang der Küste nördlich von Kieta lebenden Rorovanas, die Uruwan in der Nähe von Arawa, die Nagovisi westlich von Panguna und die Küstenbewohner des Jaba Flusses, die Banoni. Hinzu kamen die ökologischen Belastungen, die für die Betroffenen ein Ausmaß erreichten, welche die ursprünglichen Vorstellungen bei Weitem übertrafen. Der Verlust der Jagdgründe und das Verschwinden bestimmter Tierarten wurden direkt auf den Einfluss der Mine zurückgeführt. Die jeden Tag anfallenden Tausenden Tonnen Abraum verwandelten das Umfeld der Mine in eine Gesteinswüste. Schlamm und Schwermetalle gelangten in die Flüsse, die dadurch ihre Funktion als Frischwasserreservoirs und Fischfangplätze verloren.3 Die Minenbetreiber reagierten mit der Einsetzung einer Untersuchungskommission, welche eine Überprüfung der Umweltveränderungen durchführen sollte. Weiters sollten Maßnahmen zur Wiederbegrünung der Abraumhalden erarbeitet und eine 31 Kilometer lange Pipeline gebaut werden, um die Erzabfälle direkt zur Bucht befördern zu können. Schließlich sollten Entschädigungszahlungen für Verluste durch die Mine an die Bevölkerung gezahlt werden. Dazu musste das Land von indigenem zu privatem umgewidmet werden, um nicht nur der Regierung, sondern auch Einzelpersonen eine Pachtgebühr zusätzlich zu den Schadenszahlungen für Bäume, Pflanzen und Gebäude auszahlen zu können. Rund 850 festgeschriebene Landbesitzer und Titelhalter organisierten sich innerhalb der PLA, der Panguna Landowners Association. Landbesitzer wurden in den Jahren nach 1974 für tatsächlichen und möglichen Schaden an ihrer Ernte, ihren Waldprodukten sowie ihrem Bedarf an Fischen etc. entschädigt. Ein Anschluss an das Elektrizi3 Seib, Roland  : Papua-Neuguinea  : Zwischen isolierter Stammesgesellschaft und weltwirtschaftlicher Integration. Hamburg 1994.

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täts- und Straßennetz war ein weiterer Anreiz, um die betroffenen Anrainer zu beruhigen. Potenzielle Schadenersatzforderungen wurden durch ein standardisiertes System von Entschädigungen aufgefangen. Ab Ende 1974 wurden insgesamt jährlich rund 820.000 AUD (Austr. Dollar) von der Minengesellschaft für Pacht, Entschädigungen etc. bezahlt. Registrierte Landbesitzer, die eine jährliche Pacht einfordern konnten, erhielten durchschnittlich 590 AUD, einige aber bis zu 60.000 AUD (vgl. Oliver 1991  : 147). Insgesamt 53 Dörfer partizipierten an den Zahlungen.4 Neuverhandlungen der Kompensationszahlungen im Jahre 1974 hatten zur Grundlage, dass die Kupferweltmarktpreise hoch standen und somit die Gewinne aus der Mine weit über dem Durchschnitt lagen. Im Bougainville Copper Agreement wurde eine Überprüfung der Vereinbarungen alle sieben Jahre im Sinne gegenseitiger Fairness vereinbart. Aufgrund der Unzufriedenheit mit der „alten“ PLA wurde 1987 von Pepetua Serero und Francis Ona eine „neue“ PLA gegründet, die New Panguna Landowners Association, die aber von den Minenbetreibern nicht anerkannt wurde. Serero wurde Vorsitzende und Ona, der noch eine bedeutende Rolle spielen sollte, Generalsekretär. Immer neue und höhere Forderungen der Landbesitzer führten zu einem Klima der Konfrontation. Neben mehr Geld, weiteren Infrastrukturprojekten und einer Einbeziehung der Landbesitzer in zukünftige Planungen war die Forderung nach einer Umfunktionierung der BCL in einem fünfjährigen Zeitraum in eine lokale Gesellschaft, die den Landbesitzern bzw. der Bevölkerung Bougainvilles gehören sollte. Die Unannehmbarkeit dieser Forderungen verschärfte die Gegensätze, die durch einen zwischenzeitlich vorliegenden Umweltbericht und dessen Aussagen zur Mine als Verursacher des ökologischen Desasters angereichert wurden. 2.2 Papua-Neuguinea – der ungeliebte Staat

Bereits die Unabhängigkeitserklärung des Staates PNG am 16. September 1975 war von Diskussionen und Verhandlungen um die Rolle Bougainvilles im neuen Staat geprägt. Einer Eskalation der Situation hatte der damalige designierte Premier Michael Somare im Vorfeld zu begegnen versucht, indem er dem Distrikt Bougainville die Gründung eines Bougainville Special Political Committee (BSPC) in Aussicht stellte, welches tatsächlich bereits 1973 unter Vorsitz von Leo Hannett, einer engagierten Führungspersönlichkeit von Bougainville, installiert wurde. Dessen Aufgabe war es, Modalitäten zu evaluieren, welche die Gratwande4 Oliver, Douglas L.: Black Islanders, A Personal Perspective of Bougainville 1937–1991. Honolulu 1991, S. 174.

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rung zwischen begrenzter Autonomie und einem Verbleib bei dem im Entstehen begriffenen Staat PNG erleichtern sollte. Die langwierigen Verhandlungen vor der Unabhängigkeit PNGs blieben jedoch erfolglos und hatten zu einer überraschenden unilateralen Unabhängigkeitsdeklaration seitens der Vertreter Bougainvilles am 1. September 1975 geführt, also zwei Wochen vor der Unabhängigkeit PNGs – eine Handlung, die zweifelsohne auch mit dem Wunsch verbunden war, mehr und besser von dem zwischenzeitlich erfolgreich etablierten Minenprojekt profitieren zu können. Die „Republic of the North Solomons“ existierte von 1. September 1975 bis 9. August 1976. Ihr Premier war in dieser Zeit Alexis Sarei, ein Mann aus Buka, der ursprünglich Priester war, bevor er in die Politik ging und eine Zeit lang District Commissioner für Bougainville war. In den darauffolgenden Verhandlungen versuchte man, Bougainville von der weder von PNG noch international anerkannten Sezession durch finanzielle Zugeständnisse und Entwicklungsperspektiven abzubringen. Das Organic Law on Provincial Government aus dem Jahre 1977, welches die Grundlage für die Gründung der 19 Provinzen PNGs war, wurde einer Revision unterzogen und die Machtaufteilung zwischen der nationalen und den Provinzregierungen neu definiert, sodass „semi-autonome Regierungen“ entstanden. Bei diesen hatte die nationale Regierung zwar das grundsätzliche Recht, diese außer Kraft zu setzen, aufzuheben und zu intervenieren, aber gleichzeitig galten sie als Symbol für eine Dezentralisierungspolitik in PNG. Vor allem die Diskussion um eine schrittweise Einführung verhältnismäßig autonom agierender Provincial Governments in allen Landesteilen PNGs hatte die Entwicklung in den vorangegangenen Jahren bestimmt. Vor allem auch aufgrund der Schwierigkeiten bezüglich Bougainville waren die bereits festgelegten, entsprechenden gesetzlichen Grundlagen im Juli 1975 aus der Verfassung PNGs gestrichen worden. Dies war ein Punkt, der die kurzeitige Sezession gefördert hatte. Erst 1977 begann man auf Druck von Vertretern anderer Landesteile, eine Neuregelung ins Auge zu fassen. Das Scheitern der Provincial Governments geht auf das Scheitern einer Einigung über die Aufteilung der Geldmittel zurück sowie auf die Unbeweglichkeit der zentralen Stellen in Port Moresby, Kompetenzen abzutreten. Ab ca. 1983 nahmen Korruption, finanzielle Inkompetenz und Misswirtschaft in einigen Teilen PNGs so dramatische Formen an, dass in der Folge mehrere Provinzregierungen suspendiert wurden. Eine Restrukturierung der nationalen Verfassung und des Systems der Provinzregierungen kam nach langjährigen Verhandlungen erst 1995 zu einem Abschluss. Seither hat der Staat PNG wieder, durch eine Aufwertung der nationalen Regierung, größere Kompetenzen und ein verbessertes Durchgriffsrecht der zentralen Stellen verfassungsmäßig verankert. 200

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2.3 Bürgerkrieg und die Suche nach einer Lösung

Straßensperren, physische Attacken und die Drohung der neuen PLA, die Mine zu schließen, führten ab 17. Mai 1988 zu einem ersten Höhepunkt der Gewalt. Zunehmend kristallisierte sich eine Persönlichkeit als zentrale Figur in der Lenkung der Ereignisse heraus  : Francis Ona, Minenarbeiter und in der Folge Anführer einer Widerstandsbewegung. Nach der Bekanntgabe des Umweltberichts hatte er gekündigt, engagierte sich im Widerstand und ging schließlich in den Untergrund.5 Ona agierte zuerst als Sprecher der neuen PLA, die weitere Boykottmaßnahmen beschlossen hatte. Blockierte Straßen, gesprengte Masten und gelegte Brände kennzeichneten die Situation, die von der anderen Seite mit einer Verstärkung der Polizeitruppen beantwortet wurde. Ende 1988 und Anfang 1989 wurde mit Einbruch der Dunkelheit eine Ausgangssperre verhängt. Rund 400 Polizisten bewachten die Mine. Die weiteren Stufen der schrittweisen Eskalation  : Ein von der Regierung angebotenes Bougainville Peace Package wurde von den zunehmend militanten Aktivisten abgelehnt. Im Jänner 1989 bildete sich die Bougainville Revolutionary Army (BRA), deren Forderungen zunehmend auch die völlige Unabhängigkeit der Insel beinhalteten. Aufgrund der nicht mehr gewährleisteten Sicherheit der Minenarbeiter musste die Mine ab 15. Mai 1989 schrittweise geschlossen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Mine seit ihrer Errichtung (1972–1989) rund drei Millionen Tonnen Kupfer, 306 Tonnen Gold und 484 Tonnen Silber in konzentrierter Form produziert.6 Endgültig war mit Februar 1990 das gesamte Personal abgezogen worden. Francis Ona galt in Teilen der Bevölkerung als „local folk hero“. Mit der Ausrufung der „Republic of Bougainville“ im April 1989 steigerte sich noch seine Popularität.7 Im November 1989 wurden, angeführt von Ona, mehrere Minenarbeiter niedergeschossen. Die Regierung entsandte daraufhin ein Kontingent Soldaten der PNGDF (Papua-New Guinea Defence Forces), mit dem Ziel, die „Rebellen“, wie sie nun genannt wurden, aus den Bergen und Wäldern im Umfeld der Mine zu vertreiben. Die militärische Struktur der BRA geht zu einem Gutteil auf den Einfluss von Sam Kauona zurück, der sie 5 Oliver, Douglas L.: Black Islanders, A Personal Perspective of Bougainville 1937–1991. Honolulu 1991, S. 209. 6 Vulum, Sam (1997)  : Mine ready to negotiate. Haiveta reveals government plans for takeover at Sandline inquiry. In  : Pacifc Islands Monthly, June, Suva 1997, S. 13. 7 May, R.: The Situation on Bougainville  : Implications for Papua New Guinea, Australia and the Region. Current Issues Brief 9, 1996–97, Canberra 1997a, S. 3.

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entsprechend organisierte und auch interne Aufsplitterungstendenzen zu verhindern wusste. Zeitweilig wurde er als Nachfolger bzw. Rivale von Ona gesehen. Ex-Leutnant Kauona, aus einem Dorf nahe dem Kongara-Gebiet am oberen Ende des Bovo-Tals, war kein Landbesitzer. Er hatte in der Armee PNGs gedient und noch kurz vor seinem Ausstieg und der Rückkehr nach Bougainville eine Ausbildung für Sabotagemaßnahmen in Australien erhalten. Er hatte somit neben den Führungsqualitäten als Militärstratege auch die technischen Kenntnisse, Sprengungen und andere Sabotagemaßnahmen präzise auszuführen. Die von ihm aufgebaute BRA setzte sich vor allem aus jungen Männern zusammen, deren Verhalten in den Medien oftmals mit demjenigen der „raskals“ verglichen wurde. Mit raskals bzw. raskols werden die kriminellen Jugendbanden in den urbanen Gebieten PNGs bezeichnet. Es gelang Kauona jedoch, Disziplin und zielgerichtetes Handeln zu forcieren und die BRA somit zu einem ernst zu nehmenden Gegner für die Armee PNGs aufzubauen. Versuche der Regierung, in Port Moresby mit den Rebellen in Verbindung zu treten und zu einer Verhandlungslösung zu kommen, scheiterten mehrmals. Obwohl mit einigen Landbesitzern im Oktober 1989 noch eine Friedenszeremonie unter Teilnahme zahlreicher hochrangiger Politiker PNGs abgehalten wurde, konnte dies aufgrund der fehlenden Teilnahme von Mitgliedern der BRA keine echte Beruhigung der Situation bewirken. In der Zwischenzeit wandten sich die Gewaltakte auch gegen „redskins“, ursprünglich aus PNG stammende Menschen, von denen bereits im Mai 1989 über 500 zur Flucht gezwungen worden waren. Ende 1989 waren bereits 4.000 Menschen aus der Region auf der Flucht. Die Schließung der Mine hatte weitreichende Folgen für PNG. Der Einkommensverlust für den Staat machte rund 44 Prozent der gesamten Wirtschaftsleis­ tung aus, was unmittelbar zu einer höheren Arbeitslosigkeit im Land führte. Bilaterale Konfliktverhandlungen zwischen der Regierung und der BRA schlugen wiederholt fehl. Nach einem gescheiterten Versuch im November 1989 kam es im Februar 1990 erstmals zu konkreten Schritten einer Lösung des Konfliktes. Der überwiegende Teil der Polizeitruppen wurde abgezogen und der anerkannte schwedische Konfliktexperte Professor Peter Wallenstein wurde als Mediator ins Spiel gebracht. Sein Erfolg lag im Zustandebringen eines Waffenstillstands, der mit dem Abzug der Regierungsstreitkräfte bis auf 70 Soldaten verbunden war. Dies war eine De-facto-Räumung Bougainvilles, die mit dem Kollaps der staatlichen Institutionen vor Ort verbunden war. Der Anfang März 1990 in Kraft getretene Waffenstillstand, im Zuge dessen irrtümlicherweise alle Truppen abgezogen wurden, brachte der BRA kurzfristig die völlige Kontrolle über die Insel. Die Position der militanten Führung auf Bougainville änderte 202

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sich jedoch in den folgenden Verhandlungen nicht  : die Forderung einer Sezession blieb nun fester Bestandteil aller Gespräche. Dieser Umstand erschwerte jeden Fortschritt, da PNG bei allen potenziell vorstellbaren und möglichen Zugeständnissen für eine weitreichende Autonomie nie einer völligen Loslösung Bougainvilles zustimmen würde. Neben der ökonomischen Komponente spielte dabei die Vorbildwirkung, die Bougainville für andere Landesteile haben konnte, eine entscheidende Rolle. Mit einer neuerlichen Ausrufung der Unabhängigkeit am 17. Mai 1990 und der Gründung der Republic of Me(e)kamui durch die Führung der BRA war die Schaffung eines politischen Arms der BRA, des sogenannten Bougainville Interim Government (BIG), verbunden.8 Die Unabhängigkeitserklärung wurde von der nationalen Regierung in Port Moresby für illegal und verfassungswidrig erklärt. Führer des BIG wurde Francis Ona, dem in der BRA Sam Kauona zur Seite stand. Zu den Motiven für die Gründung des BIG zählte der Umstand, dass innerhalb der BRA, aber auch in der Bevölkerung Bougainvilles Diskussionen um die weitere Vorgangsweise entbrannt waren, die zu einer Schwächung des Vertrauens in die BRA geführt hatten. Zunehmende Rechtlosigkeit und die Unfähigkeit der BRA, eine Stabilisierung der Insel im ökonomischen und politischen Bereich zu erreichen, führte die Separatisten Mitte 1990 wieder an den Verhandlungstisch zurück. Auf Initiative von Neuseeland wurde auf dem neuseeländischen Kriegsschiff HMSNZ Endeavour vor Kieta ein Abkommen unterzeichnet, das sogenannte Endeavour Accord, welches die Wiederherstellung der Infrastruktur und Serviceleistungen garantieren sollte. Misstrauen und Missverständnisse verhinderten aber in der Folge die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen, da zur Wiederherstellung der Ordnung landende Polizeikräfte PNGs von den Separatisten als Vertragsbruch angesehen wurden. Darauf folgende Gespräche in Honiara, der Hauptstadt der Salomonen-Inseln, führten nach langen Verhandlungen zur sogenannten Honiara Declaration on Peace, Reconciliation and Rehabilitation on Bougainville, die den Weg zu einer dauerhaften Rückkehr zum Frieden ebnen sollte, obwohl weder Ona noch Kauona bei den Verhandlungen anwesend waren.9 In den eigentlichen Verhandlungen, die durch dieses Ereignis fast gescheitert wären, wurde die Frage nach der Zukunft der Panguna-Mine ausgeklammert. Kompensationszahlungen wurden vereinbart, aber keine genauen Termine für die Wiedererrichtung infrastruktureller Maßnahmen gesetzt. Darin 8 Waiko, John Dademo  : A Short History of Papua New Guinea. Melbourne 1995, S. 240. 9 Siemers, Günter  : Neue Verhandlungen mit Sezessionisten von Bougainville. In  : Südostasien Aktuell, 1/91, Hamburg 1991, S. 43–44.

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lag der Keim des Scheiterns bereits begründet, da in der Folge Enttäuschung über die praktische Umsetzung des Abkommens auf Bougainville schnell um sich griff. Im Jänner 1991 wurde das Embargo aufgehoben. Zwischenzeitlich hatte sich auf Buka die sogenannte Buka Liberation Front (BLF) gebildet. Sie stand in Opposition zur BRA und teilte nicht deren Wunsch nach einer Sezession von PNG. Bereits im Oktober 1990, zur Zeit ihrer Gründung, hatte die BLF die Rückkehr der Sicherheitskräfte gefordert und in einem Memorandum of Understanding mit der nationalen Regierung in Port Moresby wurde explizit der Forderung nach einer Sezession vonseiten der BLF eine Absage erteilt. Aus dieser Entwicklung ließ sich ablesen, dass die BRA ihre ursprüngliche Stärke, zumindest teilweise und regional begrenzt, eingebüßt hatte. Schätzungen, die von einer Anhängerzahl von rund 20.000 Mann ausgingen, wurden revidiert  ; Gerüchte über Teilungstendenzen innerhalb der BRA nahmen zu. Dies wiederum ermunterte jene Kräfte in der Regierung und den Sicherheitskräften PNGs, die eine Lösung des Problems in der nun offensichtlich leichter möglichen endgültigen militärischen Niederschlagung der BRA suchten. 2.4 Rückschläge und Fortschritte

Die Wahlen zur Jahresmitte 1992 führten in PNG zu einem Regierungswechsel. Paias Wingti wurde Premierminister anstelle von Rabbie Namaliu. Neue Hoffnungen auf eine Beilegung des Konfliktes wuchsen, nachdem Abgesandte der Regierung das Gespräch mit einem in Honiara ansässigen BIG-Vertreter, Martin Miriori, suchten. Auch die Bildung eines Peace-Committees der Buka Interim Authority mit Repräsentanten der interimistischen Autoritäten Nordund Süd-Bougainvilles und der Kirchen, die mit den BIG-Führern und Häuptlingen (Chiefs) aus Zentral-Bougainville in Verhandlungen traten, nährten die Hoffnung auf Frieden. Die Regierung von PNG kam international unter Druck, nachdem sie in einem Bericht der UN Human Rights Commission zur Wiederherstellung von Frieden und Ordnung auf Bougainville aufgerufen worden war. Grenzverletzungen durch Mitglieder der PNGDF trugen dazu bei, die nationale Regierung in Bedrängnis zu bringen. Ein geplantes Pan-Bougainville-Meeting wurde aufgrund einer solchen Grenzverletzung, bei der zwei Solomon-Islanders getötet wurden, abgesagt. Bei einem Treffen aller nationalen Parlamentsabgeordneten der Provinzen und rund 50 traditionellen Führern der interimistischen Autoritäten auf Provinzebene auf der Insel Buka berieten diese einen BIG-Friedensplan. Im Anschluss daran wurde ein North Solomons Peace Negotiating and Monitoring Committee gegründet, welches sich 1993 in Honiara zu Beratungen 204

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traf und ein Peace and Ceasefire Agreement produzierte. Mangelnde Aufmerksamkeit und Unterstützung seitens der nationalen Regierung in Port Moresby verhinderten die Effizienz all dieser Maßnahmen. Die Regierung war durch ihre angestrebte Reform des Provinz-Regierungs-Systems derart in Anspruch genommen, dass in dieser Zeit zu wenig Augenmerk auf die Bougainville-Angelegenheiten gelegt wurde. Die Regierung versuchte gegen den Widerstand der meisten Provinzen, deren Autonomie in Bezug auf die Verwendung öffentlicher Gelder drastisch einzuschränken, nachdem durch Korruption und Misswirtschaft mehrere provincial governments von der Zentralregierung suspendiert werden mussten. Enttäuschte Bougainvilleans forderten den Rücktritt des Ministers for Bougainville Affairs, Michael Ogio, und des Administrators of Bougainville, Sam Tulo. Bis April 1994 wurden keine weiteren Fortschritte gemacht. Erst infolge des Besuchs einer australischen Parlamentsdelegation verlautbarte Paias Wingti eine Stellungnahme, in der er zur Zusammenarbeit der BIG/BRA mit der Regierung zur Beendigung der Krise einlud. Kurz darauf schlug der Anfang 1994 neu ernannte Vizepremier Sir Julius Chan die Einsetzung einer multinationalen South Pacific Peacekeeping Force (SPPKF) vor, welche die Einhaltung aller getroffenen Vereinbarungen als unabhängiges Gremium überwachen sollte. Obwohl dies als ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung schien, kam es trotz der auf allen Ebenen wieder aufgenommenen Verhandlungen zu keinen Fortschritten. Sir Julius Chan wurde am 30. August 1994 zum neuen Premierminister PNGs gewählt. Neuerliche Anläufe für eine Friedenskonferenz fanden ihren Anfang in weiteren Verhandlungen in Honiara, an denen auch der Kommandeur der BRA, Sam Kauona, teilnahm, und gipfelten in der Durchführung der sogenannten Arawa Peace Conference. Unter Einschaltung der SPPKF, welche die Sicherheit aller Delegationsteilnehmer gewährleisten sollte, trafen sich Vertreter aller involvierten Parteien in Arawa, der Provinzhauptstadt Bougainvilles, im Oktober 1994. Die Gespräche waren aber von vornherein zum Scheitern verurteilt und eine Vereinbarung, das sogenannte North Nasioi Agreement, das Papier nicht wert, auf dem es unterzeichnet wurde, da die Schlüsselpersonen Ona, Kauona und Kabui nicht daran teilnahmen. Die Gründe dafür waren in deren Befürchtung vor Anschlägen begründet sowie in falschen Informationen, welche die BIG/ BRA-Mitglieder über die Intentionen der Vereinten Nationen in dieser Angelegenheit hatten. Vermutungen gehen heute davon aus, dass bei einer möglichen längeren Dauer der Konferenz und einer damit verbundenen längeren Präsenz der SPPKF vor Ort eine Teilnahme der genannten Personen einen Erfolg ermöglicht hätte. Zur selben Zeit wurden auch Konsultationen zur zukünftigen Struk205

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tur von Dorf- und Regionalhäuptlings-Versammlungen geführt sowie Verhandlungen mit dem BIG/BRA aufgenommen.10 2.5 Die Sandline-Affäre

Treffen im September und Dezember 1995 in Cairns sollten weitere Schritte auf dem Weg zur Normalisierung setzen. Unter Aufsicht Australiens und unter Vorsitz der Generalsekretäre der Vereinten Nationen und des Commonwealth nahmen am zweiten Treffen auch Kauona und Kabui teil. Dabei wurde vereinbart, dass die UNICEF und andere Hilfsorganisationen nach Bougainville kommen sollten. In der sogenannten Operation High Speed II wurde in der Folge von der Armee PNGs unter Einsatz von Hubschraubern und Patrouillenbooten eine massive Offensive gegen die BRA geführt. Der Erfolg blieb aus. Der Versuch, die BRA mittels einer Zangenbewegung im Gebiet der Panguna-Mine einzukesseln, misslang. Schwere Kämpfe im Küstentiefland mit hohen Verlusten auf beiden Seiten führten schließlich zum Abbruch der Aktion. Das sogenannte Kangu Beach Massacre am 11. September 1996 führte dazu, dass eine Einheit der PNGDF von der BRA überrannt wurde, zwölf Soldaten getötet und zahlreiche weitere als Gefangene genommen wurden. Mit diesem Vorfall galt die Operation High Speed II endgültig als fehlgeschlagen. Schätzungen gingen Mitte August desselben Jahres von rund 67.000 Flüchtlingen aus, die aus den unmittelbar betroffenen Kriegsgebieten Zuflucht in sogenannten „care centers“ gesucht hatten. Die Ermordung des Premiers des zwischenzeitig eingerichteten BTG, des Bougainville Transitional Governments, Theodore Miriung, am 8. Oktober 1996 im Dorf seiner Frau im Süden Bougainvilles verschärfte die Situation dramatisch. Miriung, der als Hoffnungsträger für eine friedliche Lösung des Konfliktes gegolten hatte, war in seiner Rolle als Vermittler zwischen der Zentralregierung und der BIG/BRA erfolgreich gewesen  ; seine Vorschläge für eine weitgehende Autonomie Bougainvilles im Rahmen des papuanischen Staatsverbandes hatten unter der Bevölkerung große Unterstützung gefunden (Böge 1997a  : 10). Die Aussichtslosigkeit der Situation und der Verlust des Vertrauens in eine Verhandlungslösung veranlassten Sir Juius Chan, eine radikale militärische Lösung zu suchen. Die Anheuerung ausländischer Söldner, die als Profis und unter Einsatz moderns10 Vgl. dazu auch Mückler, Hermann  : Bougainville – Ein Anfang, der das Ende bedeuten könnte. In  : ders.: Melanesien in der Krise, Wiener Ethnohistorische Blätter Band 46, Wien 2000, S. 105–138, und Quodling, Paul  : Bougainville. The Mine and the People. Pacific Papers No.3 St. Leonards 1991.

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ter Waffen erfolgversprechender agieren könnten, schien die gesuchte Alternative zu sein. Die in der Folge als „Sandline-Affäre“ in die Geschichte PNGs eingehenden Ereignisse nahmen mit Geheimverhandlungen ihren Anfang, die von Regierungsvertretern PNGs mit dem britischen Söldnerunternehmen Sandline (International) geführt worden waren.11 Bereits im Februar 1996 hatte es erste Kontakte zwischen dem Verteidigungsminister PNGs, Mathias Ijape, und dem Direktor von Sandline, Tim Spicer, gegeben. Das Unternehmen wurde beauftragt, ein Konzept für die Beendigung der Bougainville-Krise auszuarbeiten. Im April kam es zu einem Treffen mit dem Kommandeur der PNGDF, Jerry Singirok, bei dem ein entsprechender Vorschlag unter dem Decknamen Project Contravene präsentiert wurde, der von Kosten von USD 36 Millionen für Personal und militärische Geräte sowie logistische Planung ausging. Formuliertes Ziel war die Ausschaltung und Zerschlagung der BRA, die Führung der BRA zu töten und die Panguna-Mine freizukämpfen. Anfang 1997 wurden nach Unterzeichnung des Vertrages in Etappen Söldner und militärische Ausrüstung nach PNG gebracht.12 Parallel dazu ließ Premierminister Chan vom Department of Provincial and Local Government Affairs eine neue Bougainville Peace Strategy ausarbeiten. Mit einer Coverstory der australischen Zeitschrift Weekend Australian am 22. Februar wurde die Präsenz von Söldnern in PNG publik. Chan dementierte umgehend die Vermutungen, dass diese direkt in den Konflikt involviert seien, und erklärte, die Söldner seien nur zu „Trainingszwecken“ der PNGDF im Land. Lokale und internationale Kritik an der Vorgangsweise und den angestrebten Zielen sowie die Frage nach der Finanzierung der Aktion setzte ein und verstärkte sich fast stündlich. Das Individual and Community Rights Advocacy Forum (ICRAF), eine lokale NGO, sah einen Verfassungsbruch in der Vorgangsweise Chans. Politiker, Vertreter der Kirchen und schließlich die PNGDF selbst verstärkten ihre Kritik. Jerry Singirok forderte Premierminister Chan sowie den Verteidigungsminister Mathias Ijape und den Finanzminister Chris Haiveta zum Rücktritt auf. Die schlecht ausgerüsteten und unterbezahlten Soldaten der PNGDF sahen in der geplanten Söldneraktion nicht nur ihre Kompetenz und ihr Ansehen infrage gestellt, sondern sich auch finanziell gegenüber den Söld11 Vgl. dazu Dorney, Sean  : The Sandline Affair. Politics and mercenaries and the Bougainville crisis. Sydney 2001, sowie O’Callaghan, Mary-Louise  : Enemies Within. Papua New Guinea, Australia, and the Sandline Crisis  : The Inside Story. Sydney 1999. 12 Dinnen, Sinclair/May, Ron/Regan, Anthony J. (eds.) (1997)  : Challenging the State  : the Sandline Affair in Papua New Guinea. Pacific Policy Paper No. 30, Regime Change/Regime Maintenance Discussion Paper No. 21, Canberra 1997.

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nern benachteiligt. Die Armee forderte den Abzug der Söldner und setzte im Rahmen der Operation Rausim Kwik 61 Söldner und deren Kommandeure fest. Die unzureichende Versorgung der und die katastrophalen Bedingungen für die Soldaten der PNGDF, die gleichzeitig auf Bougainville in einem nicht zu gewinnenden Krieg verheizt wurden, hatten die Stimmung auf einen Siedepunkt gebracht. Chan reagierte mit der umgehenden Absetzung Singiroks. Die darauf einsetzenden Tumulte und Unruhen in allen größeren Orten des Landes, die partielle Loyalität der PNGDF mit Singirok, aber auch das Bekanntwerden weiterer Details des Deals mit Sandline destabilisierten in den letzten Februartagen und den ersten Märzwochen schrittweise das gesamte Land. Mit Demonstrationen in allen größeren Städten Papua Neuguineas, der zögerlichen Zustimmung Chans zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, der Festsetzung der Söldner und der Verhaftung von Tim Spicer, durch einsetzende Plünderungen und die Notwendigkeit, Ausgangssperren zu verhängen, geriet die Situation zunehmend außer Kontrolle. Am 18. März war Singirok als Kommandeur der PNGDF abgesetzt und Colonel Aikung zu seinem Nachfolger ernannt worden. Am 25. März tagte das Parlament von PNG in einer Dringlichkeitssitzung. Eine wütende Menschenmenge blockierte die Zugänge zum Parlament. Das Militär übernahm daraufhin die Kontrolle des Zugangs zum Parlament und Befürchtungen wurden laut, dass die Armee die Kontrolle im Land übernehmen könnte. Nur mit Mühe „entkamen“ die führenden Politiker aus dem Parlamentsgebäude. Tags darauf, am 26. März, gaben Premier Chan sowie Haiveta und Ijape ihren vorläufigen Rückritt bekannt. Die in den Tagen und Wochen folgenden Untersuchungen machten die Ziele der geplanten und nicht umgesetzten Söldneraktion öffentlich. 2.6 Die Suche nach einer Verhandlungslösung

Neue Verhandlungen in Burnham, nahe dem neuseeländischen Christchurch, an denen Francis Ona nicht teilnahm, brachten bezüglich Bougainville trotzdem konkrete Ergebnisse und die Unterzeichnung eines Abkommens zur vorläufigen Waffenruhe – der sogenannten Burnham Declaration – am 18. Juli. In der Folge wurden von der BRA als Zeichen guten Willens fünf Soldaten der Regierungstruppen, die im vorangegangenen September gefangen genommen worden waren, freigelassen. Ein Besuch des neuseeländischen Außenministers McKinnon auf Bougainville Ende August galt als weiteres Signal einer Entspannung. Die Insel war dadurch wieder frei zugänglich. Zur selben Zeit kam es zu einer neuen Gesprächsrunde, die als Burnham II bezeichnet wurde, bei der eine 90-tägige Waffenruhe und der Einsatz einer regionalen Friedenstruppe vereinbart wurden. 208

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Bei diesen neuerlichen Gesprächen kamen rund 100 Delegierte aller involvierten Konfliktparteien (BRA, Resistance Forces, der Oberbefehlshaber der PNGDF) inklusive Vertretern der Salomonen-Inseln zusammen.13 Am 24. Oktober schließlich hob die Armeeführung alle Beschränkungen gegenüber Bougainville auf. Das sogenannte Lincoln-Agreement, welches an der gleichnamigen Universität (nahe der neuseeländischen Stadt Christchurch) nach schwierigen Verhandlungen in der Zeit von 18. bis 23. Januar 1998 am letzten Tag abgeschlossen werden konnte, sah das Inkrafttreten eines permanenten und unwiderruflichen Waffenstillstandes mit 30. April des Jahres vor. Dieser sollte die Waffenruhe ablösen. Die sogenannte Truce Monitoring Group (TMG), der 300 Personen aus Neuseeland, Australien, Fidschi und Vanuatu angehörten, war seit dem Abkommen Burnham II auf Bougainville eingesetzt  ; sie sollte mit Beginn des Waffenstillstands durch eine internationale Beobachtertruppe ersetzt werden.14 Dazu wurde auf Ersuchen PNGs hin das sogenannte United Nations Political Office Bougainville (UNPOB) gegründet. Dieses Büro wurde 2004 in UNOMB (United Nations Observer Mission Bougainville) umbenannt und garantierte die Überwachung der TMG bzw. später der PMG-(Peace Monitoring Group-)Aktivitäten. Weiters einigte man sich auf freie und demokratische Wahlen für eine neue „Regierung der Versöhnung“ (Bougainville Reconciliation Government, BRG) bis Ende des Jahres 1998. Diese neue Regierung sollte anstelle der BIG und BTG treten. Die TMG wandelte sich nun zur sogenannten PMG. Teile der Inselbewohner feierten das Friedensabkommen mit Festen und traditionellen Zeremonien, an denen auch Vertreter der umliegenden involvierten Staaten teilnahmen. Insgesamt umfasste die Peace Monitoring Group 306 Frauen und Männer, davon 247 aus Australien, 30 aus Neuseeland, 15 aus Fidschi und 14 aus Vanuatu, die unter dem Namen Operation Bel Isi zum Einsatz kamen. Hauptstützpunkte waren Arawa und Loloho sowie sogenannte „team sites“ in Arawa, Buin, Tonu und Wakanui. Zu ihren Aufgaben gehörte bei den Patrouillenfahrten neben dem Angebot logistischer und medizinischer Hilfestellung auch die Verteilung einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift, der sogenannten Nius Blong Peace. Das Bedürfnis nach Information in der Bevölkerung war nach Jahren ohne Zugang zu aktuellen Nachrich13 Böge, Volker  : „Bougainville – Silberstreif am Horizont“ Waffen schweigen – Kriegsparteien reden wieder miteinander. In  : Rundbrief, Forum für Mitglieder und Freunde des Pazifik-Netzwerkes e.V., Nr. 36/97, Neuendettelsau 1997, S. 10–14. 14 Vgl. dazu Adams, Rebecca, (ed.)  : „Peace on Bougainville. Truce Monitoring Group“ Gudpela Nius Bilong Peace. Wellington 2001, sowie Wehner, Monika/Denoon, Donald (eds.)  : Without a Gun. Australians’ Experiences Monitoring Peace in Bougainville, 1997–2001. Canberra 2001.

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ten groß. Inhaltlich wurden vor allem die Entwicklungen des Friedensprozesses thematisiert. In Arawa wurden wöchentlich 16.000 Stück von Nius Blong Peace gedruckt, davon 15.000 in Pidgin und 1.000 in englischer Sprache. Die Reichweite betrug rund 60.000 LeserInnen. Die zunehmend problematische, weil starre Rolle, die Francis Ona bei diesen Veränderungen und in den politischen Prozessen spielte, führte zur Spaltung innerhalb der BRA. Sein Fernbleiben von den Verhandlungen und das Einberufen einer Gegenveranstaltung am 17. April 1998 im Dorf Pakia, bei dem aber nur rund 200 Gefolgsleute Onas, nicht aber Kabui und Kauona erschienen waren, zeigten seinen Widerstand gegen die getroffenen Vereinbarungen. Francis Ona hatte bei einem Treffen von rund 700 Gefolgsleuten, darunter vielen Häuptlingen vor allem aus dem Süden und dem Zentrum der Insel, im Dorf Guava bei Panguna in der Zeit von 28. bis 31. Juli 1998 beklagt, dass im BIG und in der BRA zu viele machthungrige Politiker seien, welche die wahren Ziele (nämlich die Unabhängigkeit) für persönliche Vorteile verraten hätten. In Abgrenzung zu den seiner Ansicht nach korrumpierten Gremien schuf und benannte er eine neue Fraktion, Mekamui National Chief ’s Assembly, und einen damit korrespondierenden militärischen Arm, die sogenannte Mekamui Defense Force. Der Begriff „Mekamui“ heißt so viel wie „Heiliges Land“ und fand sich bereits im Namen der Republic of Mekamui (auch Meekamui). Damit scharte er seine Gefolgschaft erfolgreich um sich, festigte aber die (Ab-)Spaltung gegenüber der BIG/BRA und deren Vertretern. Die sogenannte Buin Declaration of the Pan-Bougainville Leaders Congress, die nach dreitägigen Verhandlungen von 20. bis 22. August 1998 in Buin (im Süden Bougainvilles) unterzeichnet worden war, brachte eine Weiterführung und den Ausbau der in den vorangegangenen Abkommen festgelegten Maßnahmen. Im Jänner 1999 nahm eine Bougainville Constituent Assembly die Arbeit auf. Die Umsetzung der getroffenen Abmachungen kam jedoch in den folgenden Monaten nicht in Schwung. Dafür waren beide Seiten verantwortlich. Die zunehmende politische Instabilität der Regierung PNGs auf der einen Seite und interne Streitigkeiten auf der anderen Seite sowie ein nach wie vor bestehendes Misstrauen der Bevölkerung Bougainvilles gegenüber exekutiven Maßnahmen PNGs verhinderten schnelle Erfolge. Ein wesentlicher Erfolg war jedoch das – nur von kleineren Unstimmigkeiten unterbrochene – Halten des Waffenstillstands. Dies war – zusammen mit der teilweise wieder instand gesetzten Infrastruktur, die auch durch massive ausländische Hilfe (EU, AusAID, Internationales Rotes Kreuz, „Ärzte ohne Grenzen“etc.) zustande kam – ein entscheidendes stabilisierendes Kriterium am Weg zum Frieden. Bei Verhandlungen von 20. bis 22. April 1999 210

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im neuseeländischen Rotorua, bei denen Bill Skate und Repräsentanten der Regierungsgegner anwesend waren, wurden weitere positive Schritte vereinbart. Im sogenannten Matakana and Okataina Understanding wurde erstmals ernsthaft an Modalitäten einer Entwaffnung der an den früheren Kämpfen beteiligten Personen gearbeitet. Ende Mai 1999 kam es auf Bougainville zur Bildung des Bougainville Peoples Congress (BPC), der auf breiter Basis unterschiedliche, überwiegend gewählte Interessenvertreter beinhaltete und die Mehrheit Bougainvilles repräsentierte. Im BPC vereinigten sich die Vertreter des BIG, der BRA, des BTG und der Resistance Forces. Nicht vertreten waren die BRA-Fraktion um Ona, das Leitana Council of Elders (LCOE) mit ihrem Führer Joel Banam aus Buka, der für einen Verbleib bei Papua-Neuguinea war und John Momis, der sich um seinen Job als Gouverneur des BPG, des Bougainville Provincial Governements, gebracht sah.15 Präsident des BPC wurde Joseph Kabui. Als Leitlinie für weitere Verhandlungen mit der Regierung PNGs legte er die weitgehende Autonomie als Übergangslösung und die Unabhängigkeit als Endziel fest. Kabuis Bestrebungen, auch alle nicht direkt im BPC vertretenen Kräfte nach Möglichkeit in eine gemeinsame Vorgangsweise einzubinden, hatte Erfolg. Die als Nehan Resolution am 29. Oktober 1999 verabschiedete Festlegung auf die weitere Vorgangsweise wurde von allen Kräften auf Bougainville mitgetragen.

3. Probleme bei der Rückkehr zu Stabilität Der Rücktritt von Bill Skate und die Ernennung von Mekere Morauta zum neuen Premierminister hatte im Mai 1999 eine neue Ausgangssituation geschaffen. Morauta bemühte sich primär um eine ökonomische Konsolidierung Papua-Neuguineas. Dazu suchte er die Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, um ein Strukturreformprogramm zu implementieren sowie auf diplomatischer Ebene eine sensiblere Vorgangsweise als sein Vorgänger an den Tag zu legen. Morauta gilt als in wirtschaftlichen Belangen erfahrener Experte. In den ersten zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit hat er eine Fülle an Reformen eingeleitet. Anpassungen an diese Politik haben sich auch in Veränderungen innerhalb der Regierungsmannschaft niedergeschlagen. Er hatte bereits in den ersten Monaten seiner Amtszeit flexibel in einem Umfeld reagiert, in dem der Seiten15 Böge, Volker  : Bougainville  : Friedensprozeß im Schneckentempo. In  : Rundbrief, Forum für Mitglieder und Freunde des Pazifik-Netzwerkes e.V., Nr. 44/00, Neuendettelsau 2000, S. 13.

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wechsel führender Politiker häufig vorkam und damit die permanente politische Instabilität prolongiert wurde. Mit Morauta war auch eine klarere Linie der Regierung in der Behandlung der Bougainville-Frage deutlich geworden. Der Abschluss des Loloata Understanding hatte letztendlich eine indirekte Zustimmung zur Abhaltung einer Volksabstimmung über die Zukunft Bougainvilles erbracht. Die Aussagen eines Führers von East New-Britain im September 2000, die Autonomie als eine für alle Provinzen PNGs vorteilhafte Lösung anzusehen, waren als ein Signal zu verstehen, dass sich die zentrifugalen Tendenzen im Land grundsätzlich verstärkten, dass man aber mit der Gewährung weitgehender Autonomie ein echtes Losbrechen vom Staatsverband auffangen wollte. In der Vergangenheit hatte es wiederholt Abspaltungswünsche in verschiedenen Regionen des Landes gegeben. Bougainville hatte und hat somit eine nicht zu unterschätzende Sprengkraft für die Zukunft des Gesamtstaates PNG, die zwar in der Vergangenheit erkannt wurde (deshalb der Widerstand der Regierung gegen eine Unabhängigkeit und auch gegen eine weitreichende Autonomie innerhalb des Staates), aber aufgrund der Schwäche bzw. Instabilität der Zentralregierung nicht entschärft werden konnte. Joseph Kabui, Präsident des Bougainville Peoples Congress (BPC), stellte im Dezember 2001 die Einführung regionaler Regierungen (regional governments) mit weitreichenden Kompetenzen im Rahmen der Schaffung eines föderalen Staatssystems als mögliche Alternative für die Zukunft PNGs in Aussicht. Die Unterzeichnung des Bougainville Peace Agreements im Herbst 2001 (nach mehrmaligen Verzögerungen, bedingt durch Uneinigkeit über die Abwicklung der Waffenabgabe) eröffnete nicht nur eine langfristige Perspektive für Bougainville, indem die weitere Vorgangsweise Schritt für Schritt geregelt wurde und 1. die Abgabe der Waffen aufseiten der Bougainville-Kämpfer im Rahmen eines dreistufigen Planes, 2. Maßnahmen für eine weitreichende politische Autonomie und 3. für ein Referendum innerhalb von 10–15 Jahren nach Bildung der Autonomieregierung verbindlich vereinbart wurden. Es bedeutete auch die Initialzündung für die grundsätzliche Debatte, wie PNG den zentrifugalen Tendenzen im Land zukünftig begegnen sollte. Demobilisierung und Reintegration, die Wiedereingliederung von (Ex-)Kombattanten, der komplexe Prozess der Versöhnung, die Frage nach der Herstellung von Gerechtigkeit, der Umgang mit begangenen Menschenrechtsverletzungen während des Krieges, die juristische Aufarbeitung im Sinne eines Täter-Opfer-Ausgleichs und die Debatte um Sinn und Notwendigkeit einer Wahrheitskommission16 – dies und noch einige andere zentrale Punkte 16 Böge, Volker  : Konfliktpotentiale und Gewaltpotentiale im Südpazifik. Optionen für den Zivilen Friedensdienst. Arbeitspapier Nr. 1, Hamburg 2001, S. 17.

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stehen in ihrer Umsetzung noch aus und werden zum Prüfstein für Frieden auf Bougainville, aber auch für den Umgang mit Entwicklungen in anderen Landesteilen PNGs. Über 30 Abkommen sind in den Jahren 1989 bis 2001 geschlossen worden, um den Konflikt zu beenden. Die meisten von ihnen erwiesen sich als nicht durchsetzbar und einige waren bereits bei ihrer Unterzeichnung durch neue Ereignisse überholt. Die Vielzahl der Lösungsversuche spiegelt die Tatsache wider, dass es (außer in der Zeit von 1991 bis 1994) fast kontinuierlich Bestrebungen zur verhandlungsmäßigen Beilegung des Konfliktes gegeben hat. Und auch zwischen den Vereinbarungen hatten zahllose informelle und halboffizielle Treffen der verschiedensten Interessengruppen unter Vermittlung und Monitoring von PMG bzw. UNOMB stattgefunden. 3.1 Neue Strukturen

Bereits während der Unabhängigkeitsbestrebungen Bougainvilles im Vorfeld der Unabhängigkeit PNGs und danach, also in der Zeit von 1974 bis 1977, hatte es bereits Anstrengungen gegeben, autonome Verwaltungsinstitutionen (sogenannte autonomous Bougainvillean government institutions) zu gründen, deren wichtigste der Versuch der Gründung der bereits erwähnten provincial governments war. In diese Zeit fielen aber gleichzeitig auch Bestrebungen, traditionelle Autoritäten in lokale Verwaltungen einzubinden  ; anders ausgedrückt  : eine Verschmelzung traditioneller (erblicher) Autoritäten in sogenannten village governments, wie ebenfalls bereits erwähnt wurde. Mit der Schaffung von beratenden Versammlungen (councils) mit gewählten Mitgliedern auf der Ebene von sogenannten community governments, einer (Zwischen-)Lösung, welche die Vorgaben Port Moresbys besser berücksichtigte, artikulierte sich so eine Rivalität zwischen „traditionellen“ Häuptlingen einerseits und jüngeren und besser ausgebildeten Vertretern einer neuen, im Entstehen begriffenen Politikergeneration, die sich an anderen, europäischen Vorbildern und für Bougainville neuen Formen politischer Entscheidungsfindungsprozesse orientierte.17 17 Peasah, J.: Local-level Government in Papua New Guinea. A Study in Change and Continuity in the Development of Liberal-democratic Self-determination at the Local Level. NRI (National Research Institute) Monograph No. 31, Port Moresby 1994, S. 183–188  ; Connell, John  : The decline of local government councils and the rise of village government. In  : Connell, J. (ed.)  : Local Government Councils in Bouganville. Bougainville Special Publication No. 3. Christchurch 1977, S. 132–174.

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Im Zuge des Bürgerkriegs gewann die Frage nach der Rolle traditioneller Autoritäten neues Gewicht und die folgenden Ausführungen beziehen sich auf eine diesbezügliche Erörterung von Anthony Regan.18 Mit dem Rückzug der Truppen PNGs aus Bougainville im März 1990 waren auch jede Form von zentraler Autorität und alle diese repräsentierenden Verwaltungsinstitutionen zusammengebrochen. Dieser Kollaps reichte bis auf die lokale Ebene. Die BRA war zu diesem Zeitpunkt weder darauf vorbereitet, noch war es ursprünglich von ihr geplant, hier einen entsprechenden Ersatz gewährleisten zu müssen. In vielen Gebieten kam es daher zu einem Bedeutungsgewinn der lokalen „Chiefs“. Dort, wo sich lokale BRA-Kommandeure der Autorität der Häuptlinge unterordneten, war deren Machtgewinn plötzlich und signifikant. Andererseits gab es aufseiten der BRA meistens junge Kommandeure, die ihren neu gewonnenen Einfluss und ihre Macht nicht mehr teilen wollten, wodurch eine Konfliktebene entstand  : „local“ Chiefs gegen örtliche Befehlshaber. Gleichzeitig hatte sich die BRA von Anbeginn als eine Bewegung definiert, der es um den Erhalt, die Wiedererlangung und den Ausbau traditioneller Autoritäten ging. Es gab im BRA Senior Command und dem BRA Civilian Government, dem BIG, großes Interesse an einer Stärkung der Häuptlinge, von der man sich eine Stabilisierung der Situation erhofft hatte. Dies führte zur Schaffung eines Systems von „Councils of Chiefs“. In vielen von der BRA dominierten Gebieten wurde ein „three-tiered system“ auf Basis eines Versuchsmodells aus Zentral-Bougainville etabliert, welches aus folgenden Instanzen bzw. Gremien bestand  :19 Clan Councils of Chiefs (CCC), Village Councils of Chiefs (VCC) und Area Council of Chiefs (ACC). Mit der Namensgebung innerhalb dieses Dreisäulenmodells war im Wesentlichen der jeweilige Zuständigkeitsbereich definiert. Mit der Rückkehr der PNG-Truppen, häufig auf Einladung besser qualifizierter Persönlichkeiten und auch auf Einladung von Chiefs, die sich in ihren lokalen Konflikten Unterstützung erhofft hatten, kam es zu zahlreichen örtlichen Konflikten um Zuständigkeiten. Die fortgeschrittene Fragmentierung in BRA und ehemalige BRA-Angehörige (sogenannte Resistance Forces), in oppositionelle Gruppen (teilweise die Chiefs unterstützend, teilweise eben gegen diese auftretend) und schließlich die PNGDF, die vorgab, die Chiefs zu unterstützen, de facto aber die „Macht“, wo es möglich war, wieder an sich riss, machte die Situation unübersichtlich. Faktisch hatten Häuptlinge in BRA18 Regan, Anthony J.: „Traditional“ Leaders and Conflict Resolution in Bougainville  : Reforming the Present by Re-Writing the Past  ? Manuscript  ; Canberra 1999, S. 6. 19 Regan, Anthony J.: „Traditional“ Leaders and Conflict Resolution in Bougainville  : Reforming the Present by Re-Writing the Past  ? Manuscript  ; Canberra 1999, S. 3.

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kotrollierten und in abgelegenen Gebieten mit einer nur eingeschränkten Wiederherstellung staatlicher Macht – wo die BRA und die Resistance Forces diese respektierten – häufig mehr Macht als je zuvor. Außerdem konnten sie „custom“legitimiertes Entscheidungsverhalten ohne Rücksicht auf verfassungsmäßig artikulierte Gesetze bzw. „Einschränkungen“ umsetzen. Obwohl die Häuptlinge ihre Möglichkeiten als „traditionell“ verkauften, war das Dreisäulenmodell der Versammlungen eine neue Einführung und nicht traditionell. Gleichwohl hatte ihr Verhalten entscheidende Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung und trug zu einer schrittweisen Stabilisierung in weiten Teilen Bougainvilles bei. Dazu gehörte die entspannende Vermittlung im Konflikt zwischen der BRA und den Resistance Forces, die so weit gehen konnte, dass diese in eine defensive Rolle gedrängt wurden. Die Einbindung der Häuptlinge in den „reconciliation process“ gewann so an Bedeutung. Mit der Etablierung des Bougainville Transitional Governments (BTG) im April 1995 hatte dessen erster Premier Theodore Miriung explizit das Ziel des BTG formuliert, auch als Brücke zwischen den verfeindeten Fraktionen innerhalb Bougainvilles zu dienen, und dabei sollten die Häuptlinge eine große Rolle spielen. Miriung galt als Vertreter einer Stärkung „traditioneller“ Autoritäten und forcierte soziale Entwicklung auf Basis kultureller Wurzeln Bougainvilles. Mit den damit verbundenen internen und mit den Autoritäten PNGs geführten Diskussionen um die Ausweitung der Möglichkeiten im legislativen und exekutiven Bereich für die zu schaffenden Versammlungen von Häuptlingen wurden auch richterliche Zuständigkeiten ins Auge gefasst, wenn es um Fälle ging, die nach „customary ways“ behandelt werden könnten. „The BTG envisaged negotiating for at least a high level of autonomy where Bougainville would control police, courts and criminal laws and so could define Chiefs’ roles in relation to such matters.“ Schließlich wurde ein Zweisäulenmodell für die rund 600 registrierten Dörfer Bougainvilles ins Auge gefasst  : Jedes Dorf sollte eine entsprechende Dorfversammlung besitzen, die für lokale Sicherheit, Regelung lokaler Dispute sowie Aussöhnung zuständig sei. Darüber hinaus sollten sich einige Dörfer zu sogenannten Councils of Elders (COEs) zusammenschließen. Man ging von rund 70 solcher COEs aus. Diesen Versammlungen sollten überwiegend Chiefs, aber auch andere kompetente Führungspersönlichkeiten angehören können. Diese Versammlungen hatten formelle Zuständigkeit für die Gerichtsbarkeit im Sinne von Village Courts. Die Auswahl der daran Teilnehmenden war auf Dorfebene sowohl durch Wahl als auch durch Ernennung im Rahmen traditioneller und örtlich variierender „custom“-Richtlinien möglich. Ende 1998 waren über 30 dieser COEs bereits etabliert, die zwar aufgrund von konstitutionellen Verzögerungen noch nicht als Dorfgerichte arbeiten, aber bereits eine entschei215

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dende Rolle auf dem Weg zur Rückkehr zu Stabilität spielen. Mit der Auflösung des BTG im Jänner 1999 und der Schaffung von sogenannten Interim Governmental Arrangements ist eine neue Phase eingeleitet worden. Die Vertreter Bougainvilles forcieren einen Fortbestand und die Ausweitung des COE-Systems, der die Rolle der Häuptlinge erhalten würde – auch aus dem Grund, dass außerhalb der wenigen urbanen Zentren kaum Institutionen staatlicher Gerichtsbarkeit existieren, die eine flächendeckende Rechtsprechung gewährleisten könnten. Verschiedene Autoren haben diese Entwicklung kommentiert und sie, wie R. May, als Tendenz „towards authoritarian forms of social control“ interpretiert.20 Der Wunsch vonseiten vieler Bewohner Bougainvilles nach starken Führungspersönlichkeiten als Stabilitätsgarantie steht hinter dieser Sichtweise. Lamont Lindstrom und Geoffrey White setzten diesen Trend in Beziehung zu dem „micronationalist withdrawal“, der in vielen Teilen PNGs in den vergangenen Jahren beobachtet werden konnte, als Konsequenz des Vertrauensverlustes in die Problemlösungskapazitäten des Staates und der Besinnung auf Formen regionaler Identität gegenüber nationaler Identität.21 Auch die Rivalität zwischen Häuptlingen und einer ausgebildeten jungen und unternehmerischen Generation mag hier eine Rolle im Ringen um Verknüpfung traditioneller und moderner Formen politischer Repräsentation spielen. Spätestens mit der Etablierung kolonialer Mächte war es auf Bougainville (und ebenso im Rest PNGs) zu Autoritätsalternativen gekommen, die seither nebeneinander und gegeneinander existieren. Dabei gelang es den Häuptlingen in der Mehrheit der Fälle, ihre Autorität zu bewahren. Vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass viele Versuche, regional und lokal Verwaltungseinheiten zu etablieren, nur von bedingtem nachhaltigen Erfolg gekrönt waren. Die Stärkung der Chiefs ist in ihren langfristigen Konsequenzen noch nicht absehbar. Dies könnte langfristig auch zu einer Steigerung von Spannungen zwischen den Häuptlingen führen und geht grundsätzlich auf Kosten anderer Autoritätsformen. 3.2 Die Rolle der Frauen

Die gesellschaftliche Position der Frauen spielt hier eine entscheidende Rolle. Durch die Bürgerkriegsereignisse haben sie, obwohl anfangs in durchaus tra20 May, R.: (Re)Discovering chiefs  : traditional authority and the restructuring of local-level government in Papua New Guinea. Regime Change and Regime Maintenance in Asia and the Pacific Discussion Paper No. 18. Canberra 1997b. 21 Lindstrom, Lamont/White, Geoffrey  : Introduction  : chiefs today. In  : White, G./Lindstrom, L. (eds.)  : Chiefs Today  : Traditional Leadership and the Postcolonial State  : Stanford 1997, S. 1–18.

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gender Rolle wie beispielsweise Pepetua Serero als Gründerin der Panguna Landowners Association (PLA) involviert, an Bedeutung verloren. Der bewaffnete Kampf wurde überwiegend von Männern ausgetragen. In großen Teilen Bougainvilles waren und sind aber Landbesitz und Landübertragung matrilinear organisiert. Das Ignorieren dieses Umstands durch die Bergwerksbetreiber bei den Verhandlungen um Landabtretung für die Panguna-Mine in den 1960erund 1970er-Jahren, bei denen die australischen Vertreter des Bergwerkskonzerns ausschließlich mit Männern verhandelten und die tatsächlich zuständigen landbesitzenden Frauen der lokalen matrilinearen Gesellschaften ausgegrenzt blieben, hat zur Konfusion und zur Erodierung von deren Position in der Gesellschaft beigetragen. Die Rolle der Frauen bei der Rückkehr zu stabilen Verhältnissen ist nicht zu unterschätzen  ; Faktum ist, dass sie die Hauptlast der negativen Auswirkungen des Konfliktes zu tragen hatten. Einer Einbindung der Frauen in den Friedensprozess wurde von den Garantiemächten des Friedensabkommens insofern Rechnung getragen, als nun auch Frauen als unbewaffnete Hilfspolizistinnen, sogenannte Community Police Officers (CPOs), ausgebildet werden. Ihre Zahl und ihr Wirkungskreis sowie ihre Durchsetzungsfähigkeit haben schrittweise zugenommen. Als Beispiel seien hier die Aktivitäten der Missionsschwester der Congregation of the Sisters of Nazareth (CSN) Lorraine Garasu und Koordinatorin des Bougainville Inter-Church Women’s Forum (BICWF) genannt, deren vielfältige Aktivitäten bereits noch während der Kampfhandlungen zur Konfliktbeilegung in den Jahren danach dazu führten, dass sie u. a. ein sogenanntes Trauma-Center, das Nazareth Center for Rehabilitation in Tsiroge gründete. In diesem werden vom Krieg traumatisierte Männer, Frauen und Kinder aufgenommen und können dort neue Lebensperspektiven gewinnen, indem sie verschiedene Ausbildungen durchlaufen können, die ihnen neue Chancen eröffnen. Der Autor dieser Zeilen konnte sich im Februar 2011 vor Ort im Norden von Bougainville von diesen neuen Initiativen selbst ein Bild machen. In drei Phasen bzw. durch drei Komponenten wurden Maßnahmen für eine Stabilisierung der Gesellschaft unter dem Projektnamen „Rethinking Human Security, Resilience, Reconstruction and Reconciliation in Bougainville“ unternommen  : 1. Component 1  : Reduction on violence against women and children (2006– 2011). 2. Component 2  : Men and Boys engage in building non violent peace (redesigned from community based trauma and peace building 2008–2011  ; bis 2010 von UNDP unterstützt). 217

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3. Component 3  : Community Mobilization for Building Safe, Secure and a Just Society. (2005–2011).22 Die entsprechenden Initiativen hatten im Wesentlichen 2003 mit der Bougainville Women’s Vision for the Future Programm „From Village to Parliament“ ihren Ausgangspunkt genommen. Frauen begannen schrittweise, das gegenüber den Männern während des Krieges verloren gegangene Terrain wiederzuerobern und sie partizipierten auch bei den 2005 stattgefundenen Autonomous Government Elections.23 Daneben engagierten sich die Frauen um Schwester Lorraine Garasu auch in medizinischen und schulischen Ausbildungsprogrammen und unterstützen beispielsweise eine inselweite HIV/AIDS-Kampagne. Weiters werden Dörfer betreut, die durch Umsiedlungen aus den während des Krieges umkämpften Gebieten im Süden Bougainvilles in den Norden verlegt bzw. dort neu gegründet worden waren, wie z. B. Romsua. Diese Zusammenarbeit geschah und geschieht in enger Kooperation mit den lokalen, vor allem katholischen Kirchen. Dadurch kommt es auch zu einer Redefinition der Rolle der traditionellen Chiefs auf Bougainville, wie sie in den Jahren 2001–2011 zu beobachten war. Mit der Rückkehr zu Stabilität wird die Identitätsfrage unter Umständen ihre zentrale Bedeutung verlieren und damit ein größerer Wettbewerb um die Macht und eine eventuelle Restriktion der Bedeutung der Häuptlinge verbunden sein. Dies wird von der Rolle der staatlichen Autorität und der Gestaltung der Autonomie für Bougainville abhängen. Chiefs könnten so in die Rolle von Vermittlern zwischen dem Staat und ihren Gefolgsleuten wachsen, bei gleichzeitiger Gefahr, sich zwischen zwei Stühle zu setzen. Es sind somit bei einer Betrachtung des Bougainville-Konfliktes neben den offensichtlichen Konfliktebenen zwischen der Zentralregierung in Port Moresby und den Vertretern einer Autonomie bzw. Unabhängigkeit Bougainvilles auch die internen Bruchlinien und Interessenkonflikte innerhalb der Bougainville-Gesellschaften zu beleuchten. Die Frage nach der Legitimität der im Zuge der jüngsten Vereinbarungen geschaffenen Gremien und Institutionen, die Rolle von Einzelakteuren und die Zuerkennung von Bedeutungsgewinn für einzelne Gruppen werden für die nähere Zukunft Bougainvilles von entscheidender Bedeutung sein. Die Aussichten auf einen tragfähigen und dauerhaften Frieden haben sich in den vergangenen Jahren schrittweise verbessert. Immer mehr Fraktionen und immer 22 Garasu, Lorraine, CSN  : Powerpoint-Folien, 2011. 23 Garasu, Lorraine, CSN  : Weaving Peace through the Hearts, Minds and Hands of Women. In  : Dossier Nr. 86 der Pazifik Informationsstelle, Neuendettelsau 2008, S. 56–61.

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größere Teile der Bevölkerung hatten eine Sehnsucht nach Rückkehr zu geordneten Verhältnissen. Dadurch war der lange Widerstand leistende Frank Ona immer mehr in eine isolierte Rolle geraten. Sein Verhalten wurde mit der Zeit immer erratischer, obwohl er nach wie vor in Teilen der Bevölkerung, insbesondere im Süden Bougainvilles, nach wie vor Sympathien, wenn auch schnell schwindende, genoss. Am 17. Mai 2004 hatte er sich zum „König von Bougainville“ erklärt und sich mit dem Namen „King Francis Dominic Dateransy Domanaa, head of state of the Royal Kingdom of Me’ekamui“ „krönen“ lassen. Dies hatte einen gewissen Einfluss auf die Wahlen zur autonomen Regierung des Jahres 2005, da dadurch letztlich weniger Menschen an den Wahlen teilnahmen als prognostiziert worden war. Ona wurde als in enger Verbindung zu Noah Musingku gesehen, der eine zwielichtige Rolle beim Pyramidenspiel „U-Vistract“ gespielt und viele Leute um ihr Vermögen gebracht hatte. Die Ereignisse um das Pyramidenspiel „U-Vistract“ (einem von mehreren Spielschemen, bei denen sich nach dem Lawinenprinzip durch permanent hinzukommende Mitspieler die Anteile der Spieler unrealistisch vermehren sollten) schlugen auch außerhalb Bougainvilles Wellen. So waren die meisten Geschädigten aus anderen Landesteilen PNGs, die dem skrupellosen Geschäftsmann Noah Musingku und seinen Versprechungen auf Renditen von 100 Prozent gefolgt waren. Musingku musste 2002 fliehen, um dem drohenden Arrest zu entgehen, und gesellte sich zu Ona in der No-Go-Zone um die Panguna-Mine. Mit der Ausrufung eines „Kingdom of Papala“ (zum selben Zeitpunkt, als Ona „sein“ Königreich ausrief) versuchte Musingku, Immunität zu erlangen und damit der Strafverfolgung aufgrund der Klagen dreier zu kurz gekommener ehemaliger Mitspieler zu entgehen. Ona und Musingku verkündeten ein „twin kingdom agreement“. Diese Ereignisse zeigen, dass damals irrationalen Entwicklungen durch die allgemeine Unsicherheit Tür und Tor geöffnet wurde. In PNG wurde damals um das Jahr 2000 herum auch auf nationaler und institutioneller Ebene mit dem Kollaps des National Provident Fund, bei dem rund die Hälfte aller Einlagen von Arbeitnehmern und -gebern aus der Privatindustrie spurlos verschwanden, das Vertrauen in solche Veranlagungsformen nachhaltig erschüttert und vor allem eine sich bildende urbane Mittelschicht geschädigt.24 Das alles, Onas Bedeutungsverlust durch seine starre Haltung sowie auch sein Kontakt mit umstrittenen Persönlichkeiten wie Musingku, verringerte seinen Einfluss. Dennoch gelang es ihm, das Gebiet um die PangunaMine als No-Go-Zone zu behaupten. Sie war das Rückzugsgebiet jener, welche sich bis zuletzt einer Verhandlungslösung widersetzten. 24 Callick, Rowan  : The battle to remove the corruption burden. How people were frustrated by a rot at top. In  : Islands Business, No. 9, Svua 2000, S. 22–24.

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Ona verstarb am 24. Juli 2005 an Malaria in seinem Heimatdorf Guava. Damit ging eine Ära zu Ende, aber gleichzeitig ermöglichte dies ein Abschließen eines Kapitels in der konfliktreichen Geschichte Bougainvilles. Bereits davor waren entscheidende Schritte auf dem Weg zur Rückkehr in die Normalität gesetzt worden  : Im Februar 2003 war der erste Entwurf einer Verfassung für Bougainville von der Bougainville Constitutional Commission veröffentlicht worden. Im Monat April desselben Jahres verließen die letzten PNGDF-Truppen Bougainville. Die im Mai 2005 abgehaltene erste allgemeine Wahl für das Autonomous Bougainville Government (ABG) machte Joseph Kabui zum gewählten Präsidenten. Dennoch blieben Unsicherheiten und Herausforderungen. Musingku schien mithilfe von fünf im Oktober 2005 ins Land gekommenen fidschianischen Soldaten einen Putsch gegen das ABG geplant zu haben, der jedoch nicht zur Umsetzung gelangte. Vier der fünf Fidschianer wurden 2007 arrestiert und in Buka für ein Jahr für verschiedene Vergehen in Gewahrsam gehalten. Mit dem Tod von Joseph Kabui im Juni 2008 folgte diesem James Tanis nach, auf den wiederum John Momis 2011 nachfolgte. Mit der Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding zwischen dem Autonomous Bougainville Government, Vertretern der ursprünglich von Ona 1998 ins Leben gerufenen Me’ekamui-Regierung sowie Vertretern des davon abgespaltenen Me’ekamui Government of Unity (MGU) wurde am 17. März 2010 ein Abkommen zur friedlichen Beilegung der noch ausstehenden Konfliktpunkte unterzeichnet.

4. Lehren und Erkenntnisse Aus heutiger Sicht (2013) kann die derzeitige Situation als ruhig bezeichnet werden und die Richtung, in die sich die Bevölkerung Bougainvilles bewegt, als eine günstige bewertet werden. Es gibt Überlegungen, den seit den Kampfhandlungen gesperrten Flughafen von Arawa wieder für regelmäßigen Zivilflugverkehr zu öffnen, Infrastrukturprojekte wie der Bau von Brücken auf der Strecke Tinputz– Arawa, finanziert durch japanische Hilfsgelder, verbessern die Erreichbarkeit und verbinden wieder den Norden und den Süden der Insel. Derzeit wird intensiv und kontroversiell eine Wiedereröffnung der Panguna-Mine diskutiert. Sowohl „linke“ pro-sezessionistische Anhänger als auch „rechte“ Gegner einer vollständigen Lösung Bougainvilles von PNG diskutieren dabei darum, ob und wie viel eine Wiedereröffnung der Mine für eine Rückkehr der Insel zur Prosperität beitragen kann. Voraussetzung dafür wäre, dass ein möglichst großer Teil der zukünftigen Einnahmen in Bougainville selbst verbleibt. Eine kurzfristige Wiederaufnahme des Bergbaus ist sowieso nicht möglich, da praktisch die gesamte dafür notwen220

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dige Infrastruktur zerstört ist und erst kostspielig wiederhergestellt werden muss. Potenzielle Interessenten an einem Einstieg – das betrifft insbesondere die die Rechte an der Mine haltende BCL – führen diese Investitionen ins Treffen, um zu hohe Abschlagszahlungen an die lokale Regierung von Bougainville möglichst hintanzuhalten. Derzeit (2013) sind mehrere Feasibility-Studien in Auftrag gegeben, von denen einige bereits erkennen lassen, dass sich die Wiederaufnahme des Minenbetriebs rentieren würde. Zwischenzeitig fanden insgesamt vier Treffen, die sogenannten „Mining Forum on Panguna Mine Negotiations“ in der Stadt Arawa statt. Tatsächlich haben sich die Inhaber der Grundstücksanteile, auf denen sich die Mine befindet und die bei einer Wiederinbetriebnahme der Mine Abschlagszahlungen in beträchtlicher Höhe erwarten können, im Juni 2013 beim vierten und vorerst letzten Treffen dafür ausgesprochen, die Mine wieder zu eröffnen. Es ist derzeit weniger eine Frage, ob die Mine wieder eröffnet werden soll, sondern nur wann. Einige favorisieren eine Eröffnung nach Erreichung der Unabhängigkeit, die frühestens nach einem einschlägigen Referendum, welches nun für 2016 geplant ist, umgesetzt werden könnte. Andere – und zwar die Mehrheit der Vertreter der drei betroffenen Distrikte von Central Bougainville (Wakanui, Panguna und Kieta) – meinen, die Mine sollte schon vor so einem Referendum in Betrieb gehen, um der Region einen ökonomischen Aufschwung zu ermöglichen. Dass Bewegung in die Angelegenheit gekommen ist, wird auch dadurch ersichtlich, dass im August 2013 chinesische Arbeiter in Panguna angetroffen wurden, die als Mitarbeiter einer US-amerikanischen Firma mit Vorerhebungen für eine mögliche Wiedernutzung der Anlagen vor Ort die Dinge sondierten. Mehrere Faktoren charakterisier(t)en den Konflikt  : 1. Kennzeichnend für den Konflikt und die Konfliktlösungsversuche war die Vielzahl der Akteure auf beiden Seiten. Diese fraktionierte Situation eines „multiparty conflicts“, oftmals mit sehr losen und schnell wechselnden Koalitionen, erschwerte und bestimmte die Herangehensweise an Lösungsversuche. 2. Der gesamte Konflikt und dessen Lösungsprozess wurden weitgehend von lokalen und regionalen Akteuren initiiert und kontrolliert, sodass die internationale Community über weite Strecken nur eine unterstützende und vermittelnde Rolle spielte. 3. Eine von mehreren partizipierenden Staaten mitgetragene internationale Intervention, die sich vor allem als regionale „Koalition der Willigen“ darstellte und nur von wenigen UN-Beobachtern unterstützt wurde, konnte eine entscheidende Rolle beim Bougainville-Friedensprozess spielen. Eine militärische Komponente wurde von Anfang an nicht in Betracht gezogen. 221

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4. Die gesamte Intervention kann als „light footprint“-Intervention bezeichnet werden, sowohl was die Zahl der involvierten Akteure als auch die Einflussnahme auf lokale Strukturen betrifft. Das heißt, dass mit einer relativen Behutsamkeit die Berücksichtigung und Einbindung lokaler Praktiken und Interessen betrieben wurde bei gleichzeitiger Minimierung desintegrierender und damit zerstörerischer äußerer Einflussnahme durch Implementierung „fremder“ Strategien. Das reduzierte gleichzeitig Kosten aufseiten der Interventionskräfte. Der limitierte Umfang der Intervention („limited weight of intervention“) ist auf den kontextuellen Faktor des „mutual hurting stalemate“25 zurückzuführen, der alle opponierenden Fraktionen des Konflikts betraf. Die Erwartungshaltung der potenziellen Interventionskräfte folgte einer realistischen Einschätzung und war daher vor überzogenen und nicht einhaltbaren Maßnahmen gefeit. Die angestrebten und zur Umsetzung gelangten Praktiken beschränkten sich auf die Schaffung von atmosphärischen und realen Verhandlungsräumen und einem entsprechenden günstigen Verhandlungsklima, um den Konfliktparteien Gelegenheiten zur Kommunikation zu bieten. 5. Die geopolitische Situation Bougainvilles mit einer limitierten Diaspora-Population und der Lage in einem relativ isolierten peripheren Gebiet PapuaNeuguineas und Melanesiens sowie beschränkten internationalen Verbindungen, reduzierte den strategischen Impact des Konfliktes. Die Einmischung außerregionaler geopolitischer Akteure war somit auf ein Minimum reduziert, was der Konfliktlösung zuträglich war. Australien und Neuseeland agierten abwechselnd als Hauptvermittler, wobei Australien dabei seine Beziehungen zu PNG insgesamt im Auge behalten musste, während Neuseeland als gänzlich unbeteiligter Partner größeren Bewegungsspielraum und Akzeptanz bei den Konfliktparteien erringen konnte. 6. Für Vertreter der internationalen Gemeinschaft waren Einschätzung und Risikoabwägungen für ein Engagement von Vergleichen mit ähnlich gelagerten Vergleichsbeispielen geprägt. Die Regierung von PNG wiederum war einem internationalen Engagement gegenüber skeptisch eingestellt, da dies eine stärkere Involvierung Australiens bedeutete, des traditionell engsten Partners, von dem man sich aber zugleich immer abzugrenzen versucht und dem gegenüber man auf die eigene Souveränität pocht. Vonseiten PNGs wurde daher eine Internationalisierung des Konflikts weitgehend zu verhindern versucht. 25 Regan, Anthony J.: Light Intervention. Lessons from Bougainville. Perspectives Series, Washington 2010, S. 163.

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7. Von besonderer Wichtigkeit bei der Konfliktlösung waren die Beachtung und der Miteinbezug regionaler und lokaler überlieferter Konfliktlösungsmechanismen, wie sie sich in der traditionellen melanesischen Kultur finden. Die Bereitschaft der Interventionskräfte, diese Praktiken zu berücksichtigen, half entscheidend, ein Klima der Bereitschaft zur Konfliktbeilegung unter den Konfliktparteien zu schaffen. 8. Viele der zivilen Schlüsselpersonen in administrativen Positionen aufseiten der Vermittler kannten sich und die Vertreter der Konfliktparteien bereits über einen langen Zeitraum und konnten so bereits auf einer Vertrauensbasis bei ihren Gesprächspartnern aufbauen. 9. Gegen die Vorschläge eines Teils der australischen mit dem Konflikt befassten Bürokratie, welche eine aktivere und „agenda-setting international intervention“ favorisierten (insbesondere Angehörige des australischen Militärs), gelang es Vertretern des australischen Department of Foreign Affairs and Trade mit langfristigen Erfahrungen zu Bougainville, eine behutsamere Herangehensweise durchzusetzen. 10. Die Verteilung von Verantwortlichkeiten innerhalb der an der Krisenintervention Beteiligten (Vertreter verschiedener pazifischer Inseln sowie Australier und Neuseeländer) erwies sich als vorteilhaft, ebenso die gänzliche Unbewaffnetheit der vor Ort agierenden Protagonisten. 11. Die Einbindung der Frauen in den Konfliktlösungsprozess erwies sich als notwendig und zielführend. Obwohl in der Anfangsphase der Konfliktlösungsmaßnahmen die Interventionsakteure vor allem mit Männern verhandelten und die traditionell starke Rolle der Frau in den partiell von M ­ atrilinearität geprägten Gesellschaften ignorierten, wandelte sich dies schrittweise im Laufe der Fortdauer der Verhandlungen. Erst die volle Einbindung der Frauen konnte eine nachhaltige Konfliktbeilegung günstig beeinflussen. 12. Die Definition von Zwischenschritten und Etappenzielen sowie die Ausklammerung des endgültigen Status von Bougainville (Verbleib bei, weitreichende Autonomie oder Unabhängigkeit von PNG) erleichterte die Deeskalation, die Voraussetzung für eine Verhandlungslösung war. Der Prozess des Konfliktes sowie die einzelnen Schritte zur Beruhigung und Befriedung der Situation wurden zwischenzeitig Gegenstand mehrerer Studien.26 26 Z. B. Howley, Pat  : Breaking Spears & Mending Hearts. Peacemakers & Restorative Justice in Bougainville. London 2002, und Regan, Anthony J.: Light Intervention. Lessons from Bougainville. Perspectives Series, Washington 2010  ; zu beachten sind aber auch ältere Studien, die bereits wäh-

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Tatsächlich kann vor Ort eine schrittweise Verbesserung der ökonomischen Situation festgestellt werden, wenngleich es in vielen Bereichen, insbesondere bei grundlegenden infrastrukturellen Notwendigkeiten, beispielsweise im Spitalswesen, nach wie vor schwere Mängel gibt. Im Oktober 2011 konnte der Papua New Guinea Post-Courier dennoch verkünden  : „Peace brings Prosperity to Bougainville.“ Man darf nun auf das für 2016 festgelegte Referendum über den endgültigen Status Bougainvilles und die weitere Entwicklung gespannt sein.

rend des Konfliktes entstanden, z.B  : Joint Standing Committee on Foreign Affairs, Defence and Trade  : Bougainville  : The Peace Process and Beyond. Canberra 1999.

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Gerald Hainzl · Predrag Jureković

Lehren und Ableitungen aus den Fallstudien für das internationale Krisen- und Konfliktmanagement Internationale Rolle in der Phase des Konfliktaufbaus und der Konflikteskalation Grundlegendes

Gewaltsame Konflikte lassen sich nicht generell über verschiedene Regionen hinweg vergleichen, da die Grundbedingungen wie Akteurskonstellationen zu unterschiedlich sein können. Allerdings gibt es einige Parameter, die sehr wohl allen Konflikten immanent sind. In den 1990er-Jahren setzte im internationalen Krisenmanagement ein allgemeiner Trend zu humanitären Interventionen und zum Staatsaufbau ein. Akteure des internationalen Krisenmanagements (UNO, EU, NATO, OSZE und Regionalorganisationen) können nur im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen die Konfliktparteien lassen, ihre Wirksamkeit entfalten. Davon ist letztendlich der Erfolg oder Misserfolg von Friedensinitiativen wesentlich abhängig. Interessen externer Akteure tragen zur Bildung von strategischen Allianzen bei und haben einen großen Einfluss darauf, ob und wie interveniert wird. Je umstrittener der geopolitische und geostrategische Status einer Region ist, desto schwieriger wird es für internationale Akteure, lokale und regionale Konflikte positiv zu beeinflussen. In vielen Fällen kann sich ein wirksames Konflikt- und Krisenmanagement wegen der geopolitischen Interessen regionaler und größerer Mächte erst gar nicht entwickeln. Planungsabläufe bei den zur Konfliktintervention bereiten internationalen Akteuren haben einen entscheidenden Einfluss auf die Eskalation bzw. Deeskalation des Konflikts  : So behindern ein zu spätes Reagieren auf Konfliktabläufe, zu komplizierte Entscheidungsprozesse, das Fehlen adäquater Instrumente sowie unterschiedliche Beurteilungen und Parteilichkeit das internationale Konfliktund Krisenmanagement.

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Gerald Hainzl · Predrag Jureković

Welche Intervention  ?

Die Durchführung einer Peacekeeping-Operation erscheint nur dann sinnvoll, wenn beide Konfliktparteien kein Interesse an neuen Kampfhandlungen haben, sich großteils mit den Missionszielen identifizieren und bereit sind, diese zu unterstützen. Zu vermeiden wären – wegen des erhöhten Risikos des Scheiterns der Operation – unklare Mandate und unklare militärische Einsatzprofile im Rahmen von Krisenmanagement-Operationen. Die Vermischung von Peacekeeping- und Peace-Enforcement-Elementen – z. B. im Rahmen einer gemeinsamen Operation der UNO und der NATO – kann einer internationalen Intervention ebenso großen Schaden zufügen wie das Fehlen präziser politischer Ziele. Eindeutige Einsatzbedingungen sind insbesondere im Kontext einer humanitären Intervention – wie z. B. bei der Errichtung von „Safe Areas“ – eine unbedingte Voraussetzung für eine Deeskalation. Konfliktprävention

Das Fehlen einer präventiven internationalen Politik begünstigt die Eskalation von regionalen Konflikten. Insbesondere nach dem Übergang von einer gewaltlosen Krise in eine gewaltsame Krise besitzen internationale Friedensinitiativen nur noch geringe Chancen, von allen Konfliktparteien mitgetragen zu werden. Ohne eine rechtzeitige Konfliktprävention ist die internationale Seite gezwungen, auf Mittel der Friedenserzwingung zurückzugreifen, sofern massiven Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zugesehen werden soll. In den wenigen Fällen, in denen von internationaler Seite präventiv vorgegangen wurde, fehlt es oft an einem längerfristigen Engagement. Dadurch erhöht sich mittelfristig das Risiko eines Rückschlags im Friedensprozess.

Herausforderungen für das internationale Engagement in Friedensprozessen Grundlegendes

Wenn es gelungen ist, einen gewaltsamen Konflikt zumindest militärisch zu deeskalieren, reicht der Bogen der Interventionsmöglichkeiten von friedenserhaltenden Maßnahmen (Peacekeeping) über Vermittlungstätigkeiten (Mediation) bis zu umfassenden friedensschaffenden Maßnahmen (Peacebuilding). Dabei werden unter anderem die Beobachtung von Waffenstillständen, Pufferzonen und 226

Lehren und Ableitungen aus den Fallstudien für das internationale Krisen- und Konfliktmanagement

Grenzübergängen sowie die Unterstützung von Sicherheitssektorreformen und Institutionenaufbau als Mittel eingesetzt. Allerdings können Konflikte nicht immer in eine positive Richtung transformiert werden, sondern gelten als eingefroren („frozen conflicts“) oder langwierig („protracted conflicts“). In diesen Fällen kann nur von einer Scheinstabilisierung gesprochen werden. Parameter der Konflikttransformation

„Religion und Ethnizität werden dazu verwendet, um Menschen zu motivieren, einen Konflikt gewaltsam auszutragen.“1 Andere Phänomene sind weniger die Ursachen von Konflikten, sondern eher die Wirkungen bzw. Auswirkungen der gewaltsamen Durchsetzung von Machtansprüchen. Um die Grundvoraussetzung einer nachhaltigen Konflikttransformation, nämlich gegenseitiges Vertrauen der Konfliktparteien, zu erreichen, sind vertrauensbildende Maßnahmen zwingend notwendig. Für Fortschritte im Friedensprozess sind die Berücksichtigung der Interessen aller Konfliktparteien sowie deren verbindliches Engagement erforderlich. Als Voraussetzung für eine nachhaltige, stabile Veränderung ist nicht nur eine Beendigung von gewaltsamen Auseinandersetzungen, sondern auch eine Transformation der Gesellschaft insgesamt notwendig. Jene, die sich marginalisiert bzw. ausgeschlossen gefühlt haben, sollten in einem partizipatorischen System eine Stimme haben. Gewaltsame Konflikte, die sich über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut haben, bedürfen einer sehr großen Zeitspanne zur Bearbeitung und Transformation. Internationale Missionen zur Friedensunterstützung sollten diesem Umstand Rechnung tragen. Das Zusammentreffen verschiedener nationaler und internationaler Akteure und Parameter erschwert eine konstruktive und nachhaltige Friedenskonsolidierung. Den Konfliktparteien, aber auch den intervenierenden Akteuren muss die Chance zu einer wechselseitigen Annäherung gegeben werden. Eine hohe Anzahl an Konfliktparteien mit sehr losen und schnell wechselnden Koalitionen und Allianzen erschwert Lösungsversuche. Nicht staatliche Akteure können als Störfaktoren („Spoiler“) auftreten. Diese können sowohl von innen wirken als auch von externen Kräften gezielt eingesetzt werden. Unerfüllte und exklusive Gesellschaftsverträge, die das Versprechen von Wohlstand und Entwicklung nicht erfüllen können (Friedensdividende), führen zu 1 Hainzl, Gerald  : Afrikanische Konflikte – Konflikte in Afrika. In  : Feichtinger, Walter  : Afrika im Blickfeld. Kriege – Krisen – Perspektiven. Baden-Baden 2004, S. 9–17, hier S. 17.

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einem Mangel an Popularität, Glaubwürdigkeit und letztendlich zu einem Zweifel an ihrer Legitimität. Ein solches Verhalten nationaler und internationaler Akteure würde den Prozess der Konflikttransformation negativ beeinflussen. In einer Konfliktregion sollte daher neben der Gewährleistung der Sicherheit auch die Wirtschaft aufgebaut werden, um die Menschen dauerhaft mit Jobs zu versorgen. Die Bereitschaft von Interventionskräften, regional und lokal überlieferte Konfliktlösungsmechanismen mit einzubeziehen, kann das Klima für eine Konfliktbeilegung entscheidend verbessern. Auch hat sich die Einbindung von Frauen in den Konfliktlösungsprozess als notwendig und zielführend erwiesen. Die Definition von Zwischenschritten und -zielen und eine Nicht-Festlegung auf den endgültigen Status kann in manchen Fällen die Konfliktreduktion erleichtern. Außerdem sollte die Erwartungshaltung realistischen Einschätzungen folgen und keine überzogenen und nicht einhaltbaren Maßnahmen beinhalten. Regionales Peacebuilding und „light footprint“

Im Idealfall kann eine international getragene Intervention als regionale „Koalition der Willigen“ durch wenige Beobachter den Friedensprozess vorantreiben, ohne dass eine große militärische und/oder zivile Mission internationaler Organisationen als notwendig erachtet wird. Eine solche „light footprint“-Intervention sollte die Zahl der intervenierenden Akteure ebenso gering halten wie die Einflussnahme auf lokale Strukturen. Die Berücksichtigung und Einbindung lokaler Praktiken und Interessen kann gleichzeitig negative Aspekte der Einflussnahme von „fremden“ Strategien sowie die Kosten der Interventionskräfte reduzieren. Die Internationalisierung eines Konfliktmanagements sollte nur dann angestrebt werden, wenn lokale und regionale Mechanismen zur Konfliktbearbeitung nicht ausreichen. Burdensharing und Hybridmissionen

Ein gelungenes Zusammenspiel aus politischen, ökonomischen, polizeilichen und militärischen Stabilisierungsinstrumenten stellt auf internationaler Seite eine Voraussetzung für eine substanzielle Unterstützung des Friedensprozesses dar. Die zunehmende Komplexität von Missionen lässt in Zukunft ein Job-/Burdensharing verschiedener internationaler Partner notwendig erscheinen. Falls Regionalorganisationen willens sind, Konfliktmanagement zu betreiben, aber alleine nicht über die notwendigen Mittel (z. B. Finanzen, Kapazitäten etc.) verfügen, können Hybridmissionen oder finanzielle Beiträge die Last gleichmäßiger verteilen. Wichtig ist, dass externe Geber als verlässliche Partner auftre228

Lehren und Ableitungen aus den Fallstudien für das internationale Krisen- und Konfliktmanagement

ten. Hybridmissionen haben den zusätzlichen positiven Effekt, dass es zu einem Transfer von institutionellem Wissen kommen kann. Falls die Übergabe der Verantwortung von einer Organisation zu einer anderen geplant ist (z. B. von der EU an die UNO), sollte dies bereits in der Planungsphase mitgedacht werden, um etwaige Reibungsverluste zu minimieren. Prioritätensetzung

Sollte das internationale Engagement im Postkriegsgebiet auch Unterstützungsleistungen im Rahmen des Statebuilding umfassen, sind Stabilisierungsziele im Hinblick auf die Prioritätensetzung und zeitliche Abfolge genau abzuwägen. Werden z. B. Wahlen in Postkriegsgebieten sehr früh abgehalten, wird zwar einem formaldemokratischen Ziel Genüge getan. Die Chancen auf eine substanzielle demokratische Entwicklung und die Etablierung rechtsstaatlicher Standards verringern sich aber dadurch. Protektorat und „local ownership“

Die Nachhaltigkeit einer Konflikttransformation kann gesteigert werden, wenn die Lösungsprozesse lokal und regional initiiert und gesteuert werden. In diesem „best case“ kann die internationale Gemeinschaft eine unterstützende und vermittelnde Rolle spielen. Protektoratsstrukturen sind zwar undemokratisch, können aber als Garant menschenrechtlicher Mindeststandards und die Zurückdrängung nationalistischer Kräfte für eine zeitlich begrenzte Periode legitim und notwendig sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn multiethnische Gesellschaften im Krieg schweren Schaden erlitten haben. Die zu frühe Aufgabe der Protektoratsinstrumente zugunsten eines von Nationalisten getragenen „local ownership“ kann ethnische Konfliktlinien wieder aufbrechen lassen. Zeitfaktor und Perzeption durch die Bevölkerung

Eine Entscheidung internationaler Akteure für eine umfassende Unterstützung von Friedens- und Staatsbildungsprozessen ist in der Regel eine Entscheidung mit langfristigen Auswirkungen für den Entsendestaat. Bei KonfliktmanagementOperationen, die über dem Anforderungsprofil von Peacekeeping-Einsätzen liegen, sollten ihre Langfristigkeit, die hohen Kosten und der hohe Personalbedarf bedacht werden. Staats- und Institutionenaufbau sind langwierige Prozesse, die vor allem eines brauchen  : Zeit. 229

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Das abnehmende Verständnis der Bevölkerung sowohl in den Entsendestaaten als auch im Konfliktgebiet für die Stabilisierungsziele ist bei länger dauernden Friedenseinsätzen als Planungsgröße einzukalkulieren. Ein kooperatives und kommunikatives Verhalten der intervenierenden Kräfte gegenüber der Bevölkerung im Einsatzgebiet erhöht deren Bereitschaft, Stabilisierungsziele anzunehmen und zu unterstützen. Anderenfalls könnten antiwestliche Haltungen und Vorurteile zunehmen und zu einem Angebot an gesellschaftlichen und politischen Alternativen führen. „Soft Power“ im internationalen Konfliktmanagement

Nicht nur das Konfliktgebiet selbst, sondern auch das internationale Engagement ist im Zuge eines langfristigen Friedensprozesses mehrfach einer Veränderung ausgesetzt. Ist der militärische Friede so weit abgesichert, rückt die Soft-PowerKomponente in den Vordergrund, und zwar auch bei sogenannten Kapitel-VIIOperationen gemäß der UNO-Charta. Diese „natürliche“ Entwicklung kann zu einem Problem werden, wenn sich die Sicherheitslage kurzfristig verschlechtert. Internationale Friedenstruppen dürfen deshalb nicht in eine Routine verfallen und sollten auf mögliche negative Sicherheitsentwicklungen vorbereitet sein, wenn der politische Friedensprozess Rückschläge erleidet. Ein konsequent implementierter Soft-Power-Ansatz, wie z. B. eine konstruktive Konditionalitätspolitik internationaler Akteure im Rahmen von politischen und wirtschaftlichen Integrationsprozessen, kann die Normalisierung der regionalen Beziehungen in einem Postkriegsgebiet unterstützen. Allerdings kann ein solcher Ansatz, der auf die Generierung gemeinsamer Interessen früherer Gegner abzielt, eine Auseinandersetzung mit den Konfliktursachen nicht ersetzen. Finanzhilfe und Entwicklungszusammenarbeit

Nach dem „Gießkannenprinzip“ verteilte internationale Hilfsgelder verstärken die Korruption in Krisenregionen deutlich. Alle internationalen Akteure tragen gewollt oder ungewollt dazu bei. Unter schlechten Umständen können internationale Geldtransfers sogar Konflikte noch verstärken, wenn die Transparenz und Nachvollziehbarkeit nicht gegeben ist. Im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit fällt der noch immer häufig auftretende Mangel an zivilen Experten auf. Insbesondere in Konfliktgebieten, in denen ein Großteil der Bevölkerung seine grundlegenden materiellen Lebensbedürfnisse nicht befriedigen kann, ist diese Personengruppe – wie auch die „loka230

Lehren und Ableitungen aus den Fallstudien für das internationale Krisen- und Konfliktmanagement

len“ Mitarbeiter – ein wichtiger Multiplikator für das internationale Konfliktmanagement, der die „Transformationsfähigkeit und Transformationswilligkeit“ der betroffenen Bevölkerung positiv beeinflussen kann. Sicherheitsreformen und Abzug internationaler Kräfte

Insbesondere in Konfliktgebieten, in denen auch nach Beendigung der Hauptkriegsphase größere Sicherheitsprobleme bestehen, stellt die internationale Unterstützung für die Ausbildung und das Training der neu aufzubauenden Armee und Polizei ein Schlüsselelement im Rahmen des Konfliktmanagements dar. Intervenierende Staaten können dabei unterschiedliche Prioritäten verfolgen und sich deshalb entweder auf die Unterstützung des Polizei- oder des Armeeaufbaus konzentrieren. Um sicherzustellen, dass von außen unterstützte Sicherheitsreformen in ihren „Philosophien“ nicht zu sehr voneinander abweichen, wäre eine möglichst enge Abstimmung der einzelstaatlichen Interessen erforderlich. Der Abzug internationaler Friedenstruppen aus einem sicherheitspolitisch noch nicht konsolidierten Konfliktgebiet sollte nur in enger Abstimmung mit den betroffenen politischen, militärischen und polizeilichen Strukturen im Einsatzgebiet erfolgen. Außerdem wäre darauf zu achten, dass gewisse Grundvoraussetzungen im Sicherheitsbereich gegeben sind, wie z. B. die grundsätzliche Fähigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte, das Gewaltmonopol durchzusetzen zu können. Ein politisch gut abgestimmter Plan für die Zeit nach dem Abzug internationaler Truppen ist unabdingbar.

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Und was kommt jetzt  ? Überlegungen zur Zukunft des Internationalen Konflikt- und Krisenmanagements

Ich weiß, dass das nicht populär ist. Aber wir haben uns mit dem Einsatz im Tschad Kompetenz erarbeitet. Ich würde nicht zögern, ein erneutes Engagement in Afrika zu vertreten. Norbert Darabos, ehemaliger Verteidigungsminister Österreichs1

1. Beginn einer neuen Ära  ? Die Diskussionen über internationale Friedens- und Stabilisierungseinsätze werden seit einiger Zeit vom bereits eingeleiteten Abzug aus Afghanistan bestimmt. Manche Experten werfen die Frage auf, ob damit die Ära des Interventionismus beendet wäre – so auch der Titel einer Tagung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr Ende Juni 2012 in Berlin.2 Aber abgesehen davon, dass es am Ende dieser Veranstaltung keine klare Antwort gab, ist festzuhalten, dass die Zukunft internationaler Friedensbemühungen von vielen Parametern abhängt, die wohl identifizierbar sind, in ihrem Zusammentreffen und Zusammenwirken aber bestenfalls in Ansätzen erahnt werden können. Oder, wie Graham Herd im Hinblick auf eine US-Bedrohungsanalyse aus 2002 festgestellt hat  : „While each constituted a distinct strategic threat, the sum impact was more than their parts.“3 Eine der zentralen Fragen wird dabei wohl sein, wer angesichts veränderter geopolitischer Machtverhältnisse in Zukunft über Art und Ausmaß internationaler Friedenseinsätze entscheiden und sie operativ durchführen wird. Dazu kommt der Aspekt der Unprognostizierbarkeit – eine wesentliche Erkenntnis nach 1989 und ein prägendes Phänomen des sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels. 1 Interview in  : Die Presse am Sonntag, 20.06.2012, S. 3. 2 “The Armed Forces  : Towards a post-interventionist era  ?” 3 Herd, Graeme P.: Great Powers. Towards a “cooperative competitive” future world order paradigm  ? In  : Herd, Graeme P. (ed.)  : Great Powers and Strategic Stability in the 21st Century. Oxon/ New York 2010, S. 193–208, hier S. 201.

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Denn die wesentlichen Auslöser der umfangreichsten Friedensmissionen – wie der kriegerische Zerfall Jugoslawiens, die Terroranschläge vom September 2001 oder die Umbrüche im arabischen Raum – wurden weder vorhergesagt, noch waren ihre Folgen erkennbar. Will man sich daher mit zukünftigen Friedensmaßnahmen auseinandersetzen, so stehen drei Fragen im Vordergrund  : 1. Welche Umstände können eine Gefahr für den Frieden und die globale Sicherheit darstellen und zu einem internationalen Engagement führen  ? (Auslöser) 2. Wer wird auf strategischer und operativer Ebene agieren  ? (Akteure) 3. Welche Parameter können dabei maßgeblich sein  ? (Einflussfaktoren)

2. Drei Fragen – drei umfangreiche Komplexe 2.1 Zukünftige Auslöser für Friedenseinsätze

Wie der Rückblick auf die Entwicklung nach 1989 zeigte, erfolgte Internationales Krisen- und Konfliktmanagement (IKKM) zumeist im Gefolge bewaffneter innerstaatlicher Konflikte (z. B. ehemaliges Jugoslawien), vor dem Hintergrund scheiternder oder gescheiterter Staaten (siehe Somalia), aus Gründen der Selbstverteidigung (z. B. Afghanistan) oder zum Schutz strategischer Interessen (vergleiche den Marineeinsatz am Golf von Aden). Friedensmissionen zur nachhaltigen Absicherung von Friedensvereinbarungen zwischen Staaten (z. B. Zypern) binden zwar noch viele Kräfte, stehen aber nicht im Vordergrund. Humanitäre Interventionen zum Schutz bedrohter Bevölkerungsteile geben verstärkt Anlass zu völkerrechtlichen Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen, normative Überlegungen gewinnen an Bedeutung. Werden diese Auslöser auch hinkünftig ein Einschreiten der internationalen Gemeinschaft bewirken oder zeichnen sich zusätzliche Ursachen ab  ? 2.1.1 Innerstaatliche Konflikte erfordern vermehrt IKKM

Die Konflikttrends deuten darauf hin, dass die vorwiegend innerstaatlichen Konflikte eher wieder zunehmen könnten. So war 2011 nach mehreren Jahren erstmals ein deutlicher Anstieg der begrenzten Kriege und Kriege auf insgesamt 38 (2010  : 28) zu verzeichnen, 2012 waren es sogar 43.4 Regionale Schwerpunkte sind 4 Conflict Barometer 2011 und 2012. Heidelberger Institute for International Conflict Research No.

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Und was kommt jetzt  ?

der Mittlere Osten, der Maghreb und die Subsahara-Region. Es lässt sich derzeit nicht absehen, welche sicherheitspolitischen Auswirkungen die Umbrüche im arabischen Raum haben werden und wieweit internationale Unterstützung oder ein stabilisierendes Einschreiten erforderlich sein wird. In diesem Zusammenhang bleibt ebenso abzuwarten, ob es noch in anderen veränderungsunwilligen autoritären oder totalitären Staaten zu Aufständen kommt, falls auch dort die allgemeine Unzufriedenheit und der Verlust der Zukunftsperspektive dazu führen, dass die Furcht vor den Herrschern und ihren Unterdrückungsapparaten abgelegt und offener Widerstand ausgeübt werden. Die Gefahr von Überschwappeffekten und regionaler Destabilisierung etwa durch Massenflucht, Ausweichen von Widerstandskämpfern, Waffen-, Menschen- und Drogenschmuggel oder das Entstehen unkontrollierter Gebiete, in denen sich kriminelle und extremistische Elemente festsetzen, können internationales Engagement zwingend erforderlich machen. Wie bisherige Erfahrungen zeigen, ist internationales Einschreiten oft unerlässlich, um einerseits die Einstellung von Kampfhandlungen zu bewirken und andererseits die Umsetzung von Abkommen zu gewährleisten und zu unterstützen. 2.1.2 Schwache und scheiternde Staaten – beständige Herausforderung

Angesichts der anhaltenden Finanzkrisen, steigender Lebensmittelkosten, negativer Umwelteinflüsse (Wasserstress, Verlust agrarischer Anbauflächen, Überflutungen u.Ä.) und der durchwegs geringen Widerstandskraft betroffener Staaten, die hauptsächlich der sogenannten Dritten Welt angehören, ist mit einer Zunahme staatlicher Schwäche im Sinne von Problemlösungsunvermögen zu rechnen. Der damit einhergehende Verlust an innerer und äußerer Sicherheit wird unzweifelhaft eine permanente Herausforderung für die internationale Gemeinschaft darstellen. Wie das Beispiel Malis 2012 belegt, können „revolutionäre Kräfte“ relativ rasch und einfach den De-facto-Zerfall eines Staates herbeiführen und diesen zu einem Krisenherd mit grenzüberschreitenden Effekten werden lassen. Dabei zeigt sich, dass selbst „junge“ Staaten, die in den letzten Dekaden mit internationaler Unterstützung entstanden sind – so etwa Haiti, Bosnien-Herzegowina, Kosovo oder Südsudan – noch lange auf internationale Unterstützung angewiesen sein werden. Im Falle weiterer Staatsgründungen infolge von Zerfalls20 und 21, S. 2. Begrenzter Krieg ist dabei die Vorstufe zum Krieg, weist also weniger quantitative und qualitative Merkmale auf.

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prozessen ist somit nicht a priori von deren voller Eigenständigkeit auszugehen  ; vielmehr wäre zu erwarten, dass sich die internationale Gemeinschaft umfassend und langfristig zu engagieren hat, um staatliche Schwächen und Defizite auszugleichen und ein umfassendes Staatsversagen zu verhindern. 2.1.3 Kampf gegen den transnationalen Terrorismus als Unterstützungs- und Selbstverteidigungsmaßnahme

Hatte man noch vor wenigen Jahren aus westlicher Perspektive den Eindruck, dass mit dem Sturz der Taliban in Afghanistan und dem Tod des Al-Kaida-Führers Osama bin Laden der Krieg gegen den Terrorismus großteils beendet wäre, so stellt sich die Situation 2013 ganz anders dar. Der steigende Einfluss von AlKaida-Ablegern im Maghreb oder im Jemen deutet darauf hin, dass islamistischer Terrorismus nicht nur für den Westen, sondern auch für die unmittelbar betroffenen Staaten weiterhin eine signifikante Bedrohung darstellen wird, der langfristig nur durch eine Verbesserung der Lebensumstände der lokalen Bevölkerungen begegnet werden kann. Dabei können externe Maßnahmen wie die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der Sicherheitskräfte vor Ort oder auch Evakuierungen kurz- und mittelfristig dominieren. 2.1.4 Schutzverpflichtung gewinnt weiter an Bedeutung

Auch wenn bisher nur wenige militärische Einsätze zum Schutz unterdrückter und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedrohter Personen erfolgten, sollte die zukünftige Bedeutung dieser normativen Begründung von Interventionen nicht unterschätzt werden. Es zeichnet sich zwar keinesfalls ein Automatismus ab, der bei Zutreffen bestimmter Umstände zwangsläufig ein auch gewaltsames Einschreiten von internationaler Seite bewirken würde. In einer globalisierten und interaktiven Welt ist aber zu erwarten, dass unmittelbar betroffene Bevölkerungen, ihre Angehörigen im Ausland wie auch Menschrechtsgruppen und Massenmedien vermehrt Handlungsdruck auf politische Führungen zum Einschreiten erzeugen können. Gerade die internationale Luftoperation in Libyen, wo das Zusammenwirken mit lokalen Kräften am Boden den Sturz des Diktators brachte, könnte hier die Grundlage für zukünftige Erwartungen und Forderungen bilden.

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Und was kommt jetzt  ?

2.1.5 Strategische Interessen als Auslöser von IKKM

Das Offenhalten strategischer Kommunikationslinien, der Transfer von Energieträgern und der Zugang zu Rohstoffen stellen primäre strategische Interessen dar, die ein direktes oder indirektes Engagement auch im Rahmen des internationalen Konflikt- und Krisenmanagements als wahrscheinlich erscheinen lassen. Wie der Anti-Piraterie-Einsatz im Golf von Aden belegt, ist es für Staaten und internationale Sicherheitsorganisationen nur eine Frage der Zeit, wann sie wirksam werden (müssen). Entscheidend dabei ist, in welchem Ausmaß ihre strategischen Interessen betroffen sind, wie hoch also der Handlungsdruck ist. Ungehinderte und ungefährdete Seefahrt auf den wichtigen internationalen Transportrouten steht dabei ganz oben auf der Interessenliste. Im Falle Somalias sind dabei aus westlicher Sicht ein direkter und ein indirekter Ansatz zu erkennen  : So werden die Schiffe im Golf von Aden durch mehrere Marineoperationen unmittelbar geschützt, während gleichzeitig eine Friedensoperation der Afrikanischen Union zur Lösung der ursächlichen Probleme am Festland unterstützt wird. 2.2 Akteure und geopolitische Konstellationen 2.2.1 Multipolare Welt reduziert Handlungsfähigkeit

Das mühsame Ringen auf VN-Ebene um das Vorgehen gegenüber dem syrischen Regime Bashar al Asads seit Mitte 2011 kann als Indikator für künftige politische Auseinandersetzungen um internationales Konflikt- und Krisenmanagement gesehen werden. Denn diese Spannungen reflektieren nicht nur die divergierenden Ansichten bezüglich staatlicher Souveränität und der Schutzverpflichtung innerhalb des Sicherheitsrats. Mit dem starken Auftreten Katars und Saudi-Arabiens im Falle Syriens wird auch offenbar, dass immer mehr zusätzliche Akteure in Erscheinung treten, die akkordierte Ansätze zur Herstellung von Frieden und Sicherheit erschweren bis unmöglich machen. Die unterschiedlichen Gesprächsund Verhandlungsformate, die besonders im Fall Syriens zutage treten (Kofi Annan bzw. Lakhdar Brahimi als Sondervermittler der Vereinten Nationen [VN] und Arabischen Liga [AL], die Gruppe der „Freunde Syriens“, türkische, französische, russische und andere einzelstaatliche Initiativen), legen die Vermutung nahe, dass Friedensgespräche von manchen Akteuren zunehmend auch als politische Inszenierung und Bühne gesehen werden, was Problemlösungen allerdings eher erschweren als erleichtern dürfte. All das kann einerseits dazu führen, dass die Hürde für ein konsensuales und abgestimmtes Einschreiten der Weltgemeinschaft immer höher wird, oder ande237

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rerseits bedeuten, dass einzelne Staaten oder Staatengruppen sich genötigt sehen, zunehmend auch ohne Zustimmung oder gegen den Willen des Sicherheitsrats zu agieren. In beiden Fällen wäre wohl zumindest kurzfristig mit einer Eskalation der zugrunde liegenden Gewaltkonflikte und vermehrter „Handlungsfreiheit“ für lokale Friedensbrecher zu rechnen. Die Mandatierung von Gewaltanwendung zur Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit wird aber weiterhin den VN vorbehalten bleiben. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil nicht nur de facto alle westlichen Staaten – vielleicht mit Ausnahme der USA und Großbritanniens – für Friedensoperationen ihrer Streitkräfte eine Resolution des Sicherheitsrates (SR) zur Bedingung machen. Auch die neuen starken Akteure wie China, Indien, Brasilien oder die wiedererstarkte Großmacht Russland beharren auf einer VN-Resolution als Conditio sine qua non internationaler Intervention. 2.2.2 Zunehmende Bedeutung (sub-)regionaler Sicherheitsorganisationen

Wie das Beispiel Afrikas zeigt, können (sub-)regionale Organisationen einen wesentlichen Beitrag zum IKKM leisten, selbst wenn der Aufbau von Strukturen und Kapazitäten mühsam und langwierig ist. Auch in anderen Weltregionen gewinnen sie zunehmend an Akzeptanz und Relevanz. „Regionale Lösungen für regionale Konflikte“ kann daher in Zukunft sowohl als Programm wie auch als Lösungsansatz verstanden werden. Arrivierten und etablierten Sicherheitsorganisationen wie der NATO oder ebenso zunehmend der EU fällt dabei die entscheidende Aufgabe zu, den Aufbau von Friedenstruppen und zivilen Elementen materiell und durch Know-how-Transfer zu fördern und Einsätze z. B. logistisch zu unterstützen. Auf operativer Ebene stellte bislang der Einsatz von VN-Friedenstruppen häufig die einzige Möglichkeit dar, wenn auf regionaler Seite entweder die Kapazitäten und/oder der entsprechende Wille fehlten. Hier kann es allerdings zu Änderungen kommen, sollten sich europäische Staaten nach ihrem Rückzug aus Afghanistan oder dem Westbalkan dazu entschließen, zumindest Teile dieser Kontingente den VN zur Verfügung zu stellen. Das steigende Engagement Chinas in VN-Friedenseinsätzen mag auch anderen aufkommenden Mächten als Vorbild dienen und damit VN-Missionen zusätzliches Gewicht und Umfang verleihen. Der Ausbau regionaler und subregionaler Kapazitäten, v.a. in Afrika, wird vermutlich noch viele Jahre in Anspruch nehmen und daher VN-Einsätze weiterhin erforderlich machen.

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2.2.3 Humanitäre und nicht staatliche Organisationen nicht mehr wegzudenken

Humanitäre und zivile Einrichtungen nehmen mittlerweile eine unverzichtbare Rolle im IKKM ein. Allerdings sind seit 1989 auch die Grenzen ihrer Wirkungsmöglichkeiten deutlich erkennbar geworden, insbesondere im Bereich politischer Transformationen. Grenzen wurden zudem bei der Kooperationswilligkeit gegenüber staatlichen Einrichtungen, v.a. Streitkräften, sichtbar. Obwohl es auf operativer Ebene im Felde häufig zu pragmatischen Annäherungen kam, kann nicht erwartet werden, dass sich zivile Helfer und Organisationen in Zukunft in ein Korsett systematischer Kooperation zwängen lassen. Es wird eher ein grundsätzliches Misstrauen auf allen Seiten gegenüber den Zielen und dem Handeln der „anderen“ Akteure bestehen bleiben, umfassende Ansätze unter Einbeziehung aller Kräfte (Comprehensive Approach) werden daher großen Einschränkungen unterliegen. 2.3 Weitere Einflussfaktoren zukünftiger Friedensbemühungen

Neben den möglichen Auslösern und Akteuren gilt es, zusätzliche Parameter für ein zukünftiges IKKM zu identifizieren. Hier sind insbesondere individuelle oder kollektive Erfahrungen aus bisherigen Engagements, technologische Neuerungen und finanzielle Rahmenbedingungen zu erwähnen. Bisherige Erfahrungen, die in diesem Band ausführlich beleuchtet werden, haben gewissermaßen zu einer Ernüchterung geführt, was die Möglichkeiten und Grenzen des IKKM betrifft. Man könnte sagen, dass nach der „Yes we can-Phase“ in der Zeit von 1995 bis etwa 2006 eine „Eye opener-Phase“ oder eine Phase der Besinnung eingetreten ist. Vor allem im Bereich des Staatsaufbaus, der Verbesserung der Alltagssituation für die Masse der Betroffenen, gemeinsamer Vorstellungen von der Gestaltung der Zukunft und somit des Transformationsvermögens und -willens vor Ort wurden die Grenzen externer Wirkungsmöglichkeiten schonungslos aufgezeigt. Der Abzug aus Afghanistan wird hier noch zusätzliche Einblicke liefern. Es wird sich also in absehbarer Zeit eine gewisse Zurückhaltung bei manchen (westlichen) Staaten hinsichtlich ihrer Mitwirkung an internationalen Friedensbemühungen einstellen. Mit der militärischen Intervention aus der Luft in Libyen wurde aber möglicherweise bereits eine dritte Phase („selective engagement“-Phase) im IKKM nach 1989 eingeleitet. Wenn Libyen auch kein politischer Modellfall werden wird – ein Mandat des SR für eine Intervention wird es wohl so schnell nicht wieder geben –, so kann es doch im operativen Bereich eine Vorlage für zukünftige Einsätze darstellen, da die Operation gemeinhin als Erfolg 239

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gewertet wird. Entscheidend ist dabei das Vorhandensein lokaler oppositioneller Widerstandskräfte am Boden, die mit internationaler Unterstützung aus der Luft eine militärische Entscheidung und einen Machtwechsel herbeiführen können. Auch wenn sich die Lust auf anspruchsvolles militärisches Krisenmanagement sehr in Grenzen hält, so ist doch zu bemerken, dass sich sowohl die Streitkräfte wie auch die politische und gesellschaftliche Ebene in Europa in zunehmendem Maße darauf eingestellt haben. Aus militärischer Sicht ist dies nicht besonders verwunderlich, denn Streitkräfte haben sich mangels anderer Vorgaben immer auf den „vorigen Krieg“ vorbereitet. Der Umbau der Streitkräfte zu Interventionsarmeen ist daher nur folgerichtig. Erstaunlicher ist vielmehr, dass auch in Politik und Gesellschaft ein gewisser Grundkonsens über ein Auslandsengagement bis hin zu Interventionen entstanden ist.5 So führt etwa Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung als erste Aufgabe für die Bundeswehr nach 2014 die Bereithaltung eines Truppenkontingents zur Verhinderung von Völkermord an  !6 Als zweite Aufgabe nennt er den klassischen Einsatz zur Bewahrung des Friedens (wie in Zypern und auf den Golanhöhen) und erst an dritter Stelle kommt die Bündnisverteidigung, wobei es insbesondere um die Sicherheitsbedürfnisse der osteuropäischen Partner geht. Fortschritte im technologischen Bereich könnten die grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme am IKKM weiter stärken. So kann etwa mit unbemannten Flugsystemen nicht nur Aufklärung betrieben, sondern auch punktgenau Waffenwirkung erzielt werden. Präzisionsgesteuerte Raketen und Marschflugkörper sind heute bereits Standard in westlichen Arsenalen, sie sind außerdem dazu geeignet, die Gefahr sogenannter Umgebungsschäden und die Gefährdung der eigenen Kräfte erheblich zu reduzieren. Ein Zusammenwirken von Staaten oder Allianzen mit Hochtechnologiesystemen und fest entschlossenen, bis zur eigenen physischen Vernichtung kämpfenden lokalen Kampfelementen kann somit ein realistisches Szenario für zukünftige Interventionen zur Verhinderung von Völkermord und ähnlichen Verbrechen darstellen. Nicht zu vergessen ist dabei der Einsatz von Spezialkräften, die das Zusammenspiel koordinieren und für eine optimale Waffenwirkung sorgen (sogenannte „Force Multiplier“). Aus heutiger Sicht wird die weltweite Finanzkrise einschneidende Konsequenzen für das IKKM haben, denn die bisher zur Verfügung stehenden Res5 Das ist eine wesentliche Erkenntnis, die der Autor anlässlich der Tagung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr vom 26. bis 28. Juni 2012 in Berlin gewinnen konnte. 6 Müller, Harald  : Truppen nur noch bei Genozid. In  : Loyal, Magazin für Sicherheitspolitik 06/2012, S. 27.

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sourcen werden eine deutliche Reduktion erfahren. So ist bereits jetzt in Europa der Ruf nach einer weiteren Friedensdividende, also Einsparungen bei den Verteidigungsausgaben zugunsten von Sozialausgaben, zu hören. Negativ betrachtet könnte das zu einer drastischen Reduktion des Engagements einzelner Staaten im IKKM führen. Positiv gesehen wäre es aber ebenso möglich, dass Sparzwänge einen Kooperationszwang bewirken, Synergieeffekte genutzt und Ressourcen zielgerichteter eingesetzt werden, ohne dabei an Gesamtkapazität zu verlieren. Es gibt zwar erste Anzeichen in diese Richtung (Stichworte „smart defense“, „pooling & sharing“), aber auch Signale Richtung Renationalisierung und damit schrumpfender Gesamtpotenziale. Ein Staatsbankrott insbesondere schwacher Staaten, aber selbst innerhalb Europas könnte hingegen auch einen Staatskollaps hervorrufen, der in weiterer Folge internationales Einschreiten zur Herstellung von Frieden und Sicherheit erforderlich macht. Angesichts bisheriger Erfahrungen besteht derzeit in Europa große Skepsis, ob die Zusammenarbeit und Integration im Sicherheitsbereich vertieft und somit auch hinkünftig maßgebliche Potenziale und Fähigkeiten für das IKKM bereitgestellt werden können.

3. Resümee 3.1 Gemeinsames Vorgehen wird schwieriger

Allen relevanten Akteuren auf globaler Ebene scheint klar zu sein, dass infolge der unzähligen Interdependenzen globaler Frieden und Sicherheit für den eigenen Fortschritt und Wohlstand von herausragender Bedeutung sind. Aus dieser allgemeinen Erkenntnis sowie aus sonstigen nationalen Interessen wird daher das IKKM an Bedeutung gewinnen. Dass es dabei aufgrund divergierender bis konkurrierender Anschauungen immer schwieriger sein wird, den auf VN-Ebene erforderlichen Konsens herzustellen, liegt auf der Hand. Auf politischer Ebene stellt sich somit die Frage, ob es in Zukunft zu verstärkter Kooperation, Konkurrenz oder Konfrontation im Umfeld des IKKM kommen wird. Die unterschiedlichen Akteure und Interessen lassen darauf schließen, dass es kein klares Bild geben, sondern in bestimmten Situationen zu unterschiedlichen Akteurskonstellationen (Interessengemeinschaften) kommen wird. Diese werden sowohl auf politischer Entscheidungsebene als auch beim operativen Engagement ihr Vorgehen abstimmen, was als selektiver Kooperationsmodus gewertet werden kann.

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3.2 Geografische Konzentrationen erwartbar

Die geografische Nähe und das (potenzielle) Ausmaß der nationalen Betroffenheit von Ereignissen werden bei internationalen Interventionen weiterhin eine bestimmende Größe bleiben, was auch auf eine geografische Aufteilung von Aufgaben zwischen den einzelnen Akteuren, seien es Staaten oder Sicherheitsorganisationen, hinauslaufen könnte. Eine wesentliche Frage betrifft das Friedensengagement in Räumen allgemeinen Desinteresses oder mit konkurrierenden Interessen. Im ersten Fall werden wohl weiter die VN in vorderster Reihe stehen, hier ist vorrangig an Konfliktregionen in Afrika zu denken. Im Falle konkurrierender Interessen ist weltweit mit dem Auftreten aller relevanten Akteure und vermehrt mit politischen Blockadesituationen oder beispielsweise offener bzw. verdeckter Unterstützung von Konfliktparteien im Mittleren Osten und Nordafrika zu rechnen. In beiden Vorgangsweisen werden die Signale gegenüber den Konfliktparteien, z. B. Sanktionen oder Aufruf zu Verhandlungen, nicht einheitlich sein, was Lösungsansätzen höchst abträglich ist. Derzeit ist das im Falle Syriens zu beobachten, eine ähnliche Situation wäre auch im Südkaukasus oder in der Kaspischen Region denkbar. Noch kritischer könnte es im Südchinesischen Meer werden, wo die USA, China und Japan dabei sind, ihre Interessensphären zu festigen oder auszubauen sowie kleinere Staaten starke Sicherheitspartner suchen. Das IKKM könnte dabei zu einem Instrument jeweiliger Machtpolitiken werden, die nicht mehr primär an Frieden und Sicherheit, sondern mehr an Einfluss orientiert sind. So mag eine Unterstützungsleistung der NATO für die USA im Südchinesischen Meer aus heutiger Sicht als Utopie abgetan werden – ein ranghoher NATO-Vertreter meinte aber in diesem Zusammenhang bei einer internationalen Tagung im Mai 2012 in Genf, dass die NATO nach 2014 in der Lage sein sollte, militärische Einsätze auch in asiatischen Regionen durchzuführen. 3.3 Alles bleibt möglich – vom Kapazitätsaufbau bis zur Intervention

Militärische Interventionen in Erfüllung der Schutzverpflichtung stellen die oberste Ebene möglicher Ambitionen dar. Sie werden zwar nicht angestrebt, sind aber – vorrangig aus westlicher Perspektive – auch nicht auszuschließen. Allerdings werden dabei eigene Bodentruppen keine besondere Rolle mehr spielen, die Machtprojektion erfolgt aus der Luft und dem Cyberspace. Friedenssichernde Einsätze, die bislang den Großteil der eingesetzten Ressourcen verbrauchten, werden aufgrund ihrer begrenzten Wirksamkeit wohl 242

Und was kommt jetzt  ?

gründlich zu überdenken und viel stärker im Zusammenhang mit umfassenden Transformations- und Aufbaukonzepten zu sehen sein. Dabei dürfte der Trend in Richtung kürzerer, vielleicht sogar umfangreicherer militärischer Einsätze (Herstellung von Sicherheit) bei gleichzeitig langfristigem zivilen Ansatz zur nachhaltigen Entwicklung gehen. Ziviler Expertise kommt deshalb noch mehr Bedeutung zu als bisher, während sich das Militär rascher zurückziehen können sollte. Allerdings werden die Ambitionen in mehrfacher Hinsicht eine Revidierung erfahren. Maximale Vorstellungen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung werden genauso kritischen Überprüfungen unterliegen wie die eingesetzten Mittel. Minimalistische Ansätze („good enough-governance“) oder zeitlich befristete Engagements und die Einforderung sowie Gewährung lokaler Verantwortung könnten dabei zu neuen Leitlinien des IKKM werden. Dabei wird es vor allem darum gehen, auf den jeweiligen Bedarf abgestimmte Ansätze zur Konflikttransformation zu entwickeln und zu etablieren. Denn Friedenssicherung ohne Konfliktlösung kommt auf Dauer zu teuer. Konfliktprävention wird weiterhin die größte politische Herausforderung darstellen, obwohl sie sehr schwierig umzusetzen ist, da Kontrahenten oft uneinsichtig sind. Vor allem bei konkurrierenden Interessenlagen von Großmächten – wie oben angesprochen – dürfte sie von vorneherein nur geringe Erfolgsaussichten haben. Allerdings wird echte oder vorgeschobene Konfliktprävention vermehrt als politische Bühne genützt werden. Eine präventive Stationierung von Friedenstruppen zur Eindämmung von Konflikten klingt vielleicht illusorisch, könnte aber in manchen Konfliktlagen wieder möglich werden. Dies kann auch als Maßnahme einer Regionalorganisation erfolgen, da keine robusten Operationen erforderlich sind. Eine Ausweitung des Mandats durch den SR der VN wäre dabei im Falle von Konflikteskalationen denkbar.

4. Ableitungen aus europäischer Perspektive 4.1 NATO, VN und EU – mühsame Abstimmung

Der Rückzug aus Afghanistan und vom Westbalkan wird zu einer Neuorientierung der meisten Staaten bei der Mitwirkung und Gestaltung des IKKM führen. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach der institutionellen Mitwirkung. Das heißt für die meisten Staaten  : weiterhin primär Beteiligung an NATO-Einsätzen, differenzierte Mitwirkung auch bei VN-Friedenseinsätzen oder vermehrte Beteiligung an EU-Operationen und Missionen. Es kann aber auch ein Rückzug auf nationale Ansätze erfolgen, indem Staaten versuchen, Nischen bewusst zu 243

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suchen, zu besetzen und verschiedenen Sicherheitsorganisationen ihre Dienste anzubieten. Dabei ist offen, wo und in welchem Umfang die NATO hinkünftig wirksam werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass der Wunsch der USA nach einem weltweiten Engagement immer mehr greift und aus dem geografisch begrenzten Verteidigungsbündnis ein globales kooperatives Sicherheitsbündnis wird. Wahrscheinlicher ist aber, dass die NATO zur Abdeckung von Sicherheitserfordernissen in der weiteren europäischen Umgebung, vom arabischen Raum bis zur Subsahara-Region oder auch in Richtung Zentralasien, wirksam werden wird. 4.2 Ambitionsniveau europäischer Staaten

Infolge der Sparzwänge und mangels europäischer Visionen wird der bisherige Trend zur Verkleinerung und Verschlankung der Streitkräfte anhalten. Der fokussierte Aufbau zivil-militärischer Kapazitäten im Sinne eines gesamtstaatlichen Beitrags zum IKKM erscheint dabei wenig wahrscheinlich, weil sicherheitspolitische Überlegungen keine Priorität haben. Es ist nicht auszuschließen, dass politisches Krisenmanagement – etwa in Form von Verhandlungsmissionen – wieder vermehrt auf nationaler Ebene stattfinden und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der EU weiter zurückgedrängt werden wird. Im operativen Bereich sind auf absehbare Zeit keine größeren Einsätze wie etwa in Bosnien-Herzegowina, Kosovo oder Afghanistan zu erwarten. Das kann sich allerdings rasch ändern und infolge größerer Instabilitäten wieder Bedarf an robusten, umfangreichen Operationen entstehen. Von höherer Wahrscheinlichkeit sind jedoch Einsätze im Zusammenhang mit Umweltkatastrophen wie dem Tsunami 2004 oder dem Erdbeben in Haiti 2010, die auch militärisches Engagement erforderlich machten. Ein großes und dauerhaftes Aufgabengebiet besteht bereits im Bereich Ausbildung, Training und Unterstützung, wenn es um den Aufbau regionaler Kapazitäten v.a. in Afrika geht. Aufgaben dieser Art finden auch große Unterstützung in den Entsendestaaten, sie bergen geringes Risiko und sind damit auch politisch leichter tragbar. Militärische Interventionen hingegen werden – trotz geringer Wahrscheinlichkeit – weiterhin den entscheidenden Maßstab für die Neuausrichtung der Streitkräfte darstellen, hier wird auch der größte Technologieschub erfolgen und die Zusammenarbeit vorangetrieben werden. Eine systematische Abstimmung und Zusammenführung europäischer militärischer Kapazitäten innerhalb der NATO und EU und zwischen den beiden für Einsätze im IKKM wäre zwar angebracht, steckt aber noch in den Kinderschuhen. 244

Und was kommt jetzt  ?

Trotz des enormen Spardrucks in allen Ländern dürfte hier in absehbarer Zeit kein wesentlicher Durchbruch zu erzielen sein. 4.3 Überraschungseffekte erwartbar, aber darauf vorbereitet

Wie die Zeit nach 1989 zeigte, waren die für das IKKM maßgeblichen Ereignisse weder vorhersehbar, geschweige denn planbar. Es wird wohl wieder vieles anders kommen als erwartet. Der wesentliche Unterschied sollte jedoch nunmehr darin bestehen, dass das erstarrte strategische Denken aus der Zeit des Kalten Krieges einem kreativen Zugang zu neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gewichen ist. Einsätze zum Erhalt oder Herstellen von Frieden und Sicherheit sind dabei ein starker Indikator, wie weit das Prinzip der präventiven und langfristigen Gestaltung an Boden gewinnen kann. In Europa sind sowohl das Wissen wie auch die Kapazitäten für umfassende Ansätze vorhanden, gerade die EU verfügt unverändert über einen komparativen Mehrwert. Ob dies alles zum Tragen kommt, wird wiederum vom politischen Gestaltungswillen abhängen. Dabei steht zu erwarten, dass die Ambitionen europäischer Staaten zur Mitwirkung am IKKM in absehbarer Zeit qualitativ und quantitativ deutlich hinter das bisherige Engagement zurückfallen werden. Überraschende Entwicklungen, die Gefahren für Europa bringen oder strategische Interessen massiv betreffen, können jedoch Auslöser für umfassende Einsätze auch im militärischen Bereich bis hin zur Intervention darstellen. Wir reden gerne über Menschrechte in aller Welt, und deswegen ist es auch Teil unserer Rolle in der Welt, als eine Führungsmacht in Europa internationale Verantwortung wahrnehmen zu können – nicht zu müssen. Thomas de Maizière, Verteidigungsminister Deutschlands7

7 Interview mit MDR-Hörfunk, zitiert in Süddeutsche Zeitung am 02.07.2012, S. 5.

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Anhang Abkürzungsverzeichnis ABG ACC AFISMA AFISM-CAR AL AMA AMIB AMIS AMISOM ANDS API AU AusAID BCL BICWF BIG BLF BM BMLVS BPC BPG BRA BRG BSPC BTG CA CA-BM CARDS CCC CEFTA CMCO

Autonomous Bougainville Government Area Councils of Chiefs African-led International Support Mission to Mali African-led International Support Mission in the Central African Republic Arabische Liga Agreement on Movement and Access African Union Mission in Burundi African Union Mission in Sudan African Union Mission in Somalia Afghanistan National Development Strategy Arab Peace Initiative Afrikanische Union Australian Agency for International Development Bougainville Copper Ltd Bougainville Inter Church Woman’s Forum Bougainville Interim Government Buka Liberation Front Blueprint Mechanism Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport Bougainville Peoples Congress Bougainville Provincial Government Bougainville Revolutionary Army Bougainville Reconciliation Government Bougainville Special Political Committee Bougainville Transitional Governments Comprehensive Approach Comprehensive Approach-Blueprint Mechanism Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation Clan Council of Chiefs Central European Free Trade Agreement Civil-Military Co-ordination

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Anhang

CMS COEs COIN CONIS CPA CPCC CPO CRA CSN DIMES

Comprehensive Management System Council of Elders Counterinsurgency, Aufstandsbekämpfung Conflict Information System Comprehensive Peace Agreement Civilian Planning and Conduct Capability Community Police Officer Conzinc Rio Tinto of Australia Congregation of the Sisters of Nazareth Diplomatic, Informational, Military, Economic/Financial, and Societal/Cultural Demokratische Republik Kongo Economic Community of Central African States Economic Community Of West African States Europäische Gemeinschaft(en) Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäische Union European Union Border Assistance Mission European Union Force Militärmission der Europäischen Union in Bosnien-Herzegowina

DRC ECCAS ECOWAS EG ESVP EU EUBAM EUFOR EUFOR Althea EUFOR Tchad/RCA Militärmission der Europäischen Union im Tschad EUFOR RD Militärmission der Europäischen Union in der Congo Demokratischen Republik Kongo EULEX European Union Rule of Law Mission EU NAVFOR Atalanta European Union Naval Force Somalia EUPAT EU Police Advisory Team EUPOL European Union Police EUPOL European Union Police Co-ordinating Office for Palestinian COPPS Police Support EUSEC RD European Union Security Sector Reform Mission in the Congo Democratic Republic of the Congo EUTM Mali European Union Training Mission Mali EUTM Somalia European Union Training Mission Somalia EZA Österreichische Entwicklungszusammenarbeit GAO Governmental Accountability Office GIZ Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GKR Golfkooperationsrat GoA Government of Afghanistan

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Abkürzungsverzeichnis

GSVP HG2010 HR ICO ICR ICRAF ICTY IFK IFOR IGAD IKKM IM IPA IPTF ISAF JCMB JVA KFOR KI KSZE LCOEs MAES MDGs MFO MGU MICOPAX MINURCAT MINURSO MINUSMA MINUSTAH MoD MOK MONUC

NATO NGO NSSP NTM-A

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Headline Goal (2010) High Representative International Civilian Office International Civilian Representative for Kosovo Individual and Community Rights Advocacy Forum International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia Institut für Friedensforschung und Konfliktmanagement Implementation Force Inter-Govermental Authority on Development Internationales Krisen- und Konfliktmanagement Integrated Mission Instrument for Preaccession International Police Task Force International Security Assistance Force Joint Coordination and Monitoring Board Jugoslawische Volksarmee Kosovo Force Kategorischer Imperativ Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Leitana Council of Elders African Union Electoral and Security Assistance Mission Millenium Development Goals Multinational Force and Observers Me’ekamui Government of Unity Mission for the Consolidation of Peace in the Central African Republic United Nations Mission in the Central African Republic and Chad United Nations Mission for the Referendum in Western Somalia United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali United Nations Stabilization Mission in Haiti Ministry of Defence Militante Oppositionelle Kräfte Mission de l’Organisation des Nations Unies en République Démocratique du Congo (Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo) North Atlantic Treaty Organization Non-governmental Organisation/Nichtregierungsorganisation National Security and Stabilization Plan NATO Training Mission Afghanistan

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Anhang

NTM-I NATO Training Mission Iraq OEF Operation Enduring Freedom OFA Ohrid Framework Agreement ONUB Opération des Nations Unies au Burundi ONUMOZ United Nations Operation in Mozambique OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa PA Palestinian Authority PIC Peace Implementation Council PLA Panguna Landowners Associations PLO Palestinian Liberation Organisation PMG Peace Monitoring Group PNC Palestinian National Council PNG Papua-Neuguinea PNGDF Papua New Guinea Defence Force PoC Protection of Civilians PRT Provincial Reconstruction Team R2P Responsibility to Protect RACVIAC Regional Arms Control Verification and Implementation Centre RCC Regional Cooperation Council RENAMO Resistência Nacional Mocambicana (Nationaler Widerstand Mosambiks) RTZ Rio Tinto-Zinc Corporation Ltd. S&R Stabilisation and Reconstruction (Stabilisierung und Wiederaufbau) SADC Southern African Development Community SAP Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess SEESAC South Eastern and Eastern Europe Clearinghouse for the Control of Small Arms and Light Weapons SFOR Stabilisation Force SFRJ Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien SPPKF South Pacific Peacekeeping Force SR Sicherheitsrat SRSG Special Representative of the Secretary-General TFG Transitional Federal Government TIPH Temporary International Presence in Hebron TMG True Monitoring Group TOA The transfer of authority UÇK Ushtria Çlirimtare e Kosovës (dt. Befreiungsarmee des Kosovo) UN United Nations UNAMA United Nations Assistance Mission in Afganistan UNAMID African Union/ United Nations Hybrid Operation in Darfur UNAMIR United Nations Assistance Mission for Rwanda

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Abkürzungsverzeichnis

UNAMIS UNASOG UNCRO UNDP UNDOF UNICEF UNIFIL UNISFA UNITA UNITAF UNMEE UNMIS UNMISS UNMOP UNO UNODC UNOMB UNOMUR UNOSOM UNPA UNPOB UNPREDEP UNPROFOR UNPROFOR UNSCR UNRWA UNSMIL UNTAES USAID VCC VN WoGA WoNA WoSA ZAR 3C 3D

United Nations Advance Mission in the Sudan United Nations Aouzou Strip Observer Group United Nations Confidence Restoration Operation United Nations Development Program United Nations Disengagement Observer Force United Nations Children´s Fund United Nations Interims Force in Lebanon United Nations Interim Security Force for Abyei União Nacional para a Independência Total de Angola (Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas) Unified Task Force United Nations Mission in Ethiopia and Eritrea United Nations Mission in the Sudan United Nations Mission in the Republic of South Sudan United Nations Mission of Observers in Prevlaka United Nations Organization United Nations Office on Drugs and Crime United Nations Observer Mission Bougainville United Nations Observer Mission Uganda Rwanda United Nations Operation in Somalia United Nations Protected Area United Nations Political Office Bougainville United Nations Preventive Deployment Force United Nations Protection Force United Nations Protection Force in Bosnia – Herzegovina B.-H. United Nations Security Council Resolution United Nations Relief and Works Agency United Nations Support Mission in Libya United Nations Transitional Administration in Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium United States Agency for International Development Village Councils of Chiefs Vereinten Nationen Whole of Government Approach Whole of Nation Approach Whole of System Approach Zentralafrikanische Republik Coordinated, Complementary and Coherent Diplomacy, Defence and Development

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Five Years after the Dayton Agreement (Part II). The Agreement on Sub-Regional Arms Control (“Art. IV/Florence Agreement”) and Implementation and Verification, In  : Österreichische Militärische Zeitschrift, 4/2001, S. 465–472. Vulum, Sam  : Mine ready to negotiate. Haiveta reveals government plans for takeover at Sandline inquiry. In  : Pacifc Islands Monthly, 6/1997. Wagner, Jürgen  : Lackmustest Afghanistan. Der Hindukusch als Experimentierfeld für Zivil-militärische Aufstandsbekämpfung und Neoliberalen Kolonialismus. IMI-Studie 11/2008. Waiko, John Dademo  : A Short History of Papua New Guinea. Melbourne 1995. Wehner, Monika/Denoon, Donald  : Without a Gun. Australians’ Experiences Monitoring Peace in Bougainville, 1997–2001. Canberra 2001. Wellmann, Arend  : Konflikt, Gewalt und Krieg in der „gewaltfreien Konfliktbearbeitung“ – Anmerkungen aus kritischer Perspektive. In  : Vogt, Wolfgang R. (Hg.)  : Gewalt und Konfliktbearbeitung. Befunde – Konzepte – Handeln. Baden-Baden 1997, S. 116–130. Werther-Pietsch, Ursula/Roithner, Anna Katharina  : Die Zusammenarbeit staatlicher und nicht-staatlicher Akteure in fragilen Situationen. Thesen und Prinzipien der Wiener 3C-Konferenz. In  : Feichtinger, Walter/Werther-Pietsch, Ursula/Barnet, Günther (Hg.)  : Koordiniert, komplementär und kohärent agieren in fragilen Situationen – Die Wiener 3C-Konferenz. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, Wien, 12/2010, S. 39–47. Werther-Pietsch, Ursula/Roithner, Anna Katharina  : The interaction of state and non-state actors in fragile situations. Findings and principles of the Vienna 3C Conference. In  : Feichtinger, Walter/Werther-Pietsch, Ursula/Barnet, Günther (Hg.)  : Koordiniert, komplementär und kohärent agieren in fragilen Situationen – Die Wiener 3C-Konferenz. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, Wien, 12/2010, S. 47–71. Werther-Pietsch, Ursula  : Sicherheit und Entwicklung. Zwei Pfeiler eines Systems  ? Sonderpublikation der Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie und DCAF. Wien, Genf 2/2009. Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche  : Bosnien und Herzegowina (April 2012). , abgerufen am 19.04.2012. Wilder, Thornton  : Die Alkestiade. [org.: The Alcestiad, or, A Life in the Sun] (Schauspiel). Frankfurt/Main 1960. Wilson, Edward O.: Biologie als Schicksal. Frankfurt/Main 1980. World Bank  : World Development Report 2011. Overview. Conflict, Security, and Development. Washington 2011, S. 5. World Bank  : World Development Report 2011. Overview. World Bank Washington 2011. Zoll, Ralf  : Friedens- und Konfliktforschung als Studiengang. In  : Zoll, Ralf/Imbusch, Peter (Hg.)  : Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung mit Quellen, Friedens- und Konfliktforschung, Band 1, Opladen 1996, S. 162–174.

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Autoren- und Herausgeberverzeichnis

Autoren- und Herausgeberverzeichnis Wolfgang Braumandl-Dujardin, Dr., geboren 1973, ist wissenschaftlicher Mitar-

beiter an der Landesverteidigungsakademie in Wien des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport. Zu seinen Forschungsfeldern gehören  : Intelligence Studies, Terrorismusforschung, Comprehensive Approach und Privatisierung von Sicherheit. Er ist Koautor der Studie „Nachrichtendienstliche Kooperation der EU im Kampf gegen den Terrorismus“ (gemeinsam mit Christian Desbalmes, 2007), Mitherausgeber des Buches „Private Sicherheits- und Militärfirmen – Partner – Konkurrenten – Totengräber  ?“ (2008), Koautor der Informationsbroschüre IFK Aktuell „Private Militärfirmen – Geschäft mit dem Krieg“ (II/2008) sowie Mitarbeit an zahlreichen internen Fachpublikationen. Vorträge zu den oben genannten Themenbereichen an unterschiedlichen Forschungsinstituten und Bildungseinrichtungen in Österreich und im Ausland. Absolvent von Kursen der NATO School und des ESDC Pilot Course on Peacebuilding. Auslandseinsatz im Rahmen von KFOR. Walter Feichtinger, Brigadier, Mag. Dr., geboren 1956  ; seit 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie Wien. Offiziersausbildung an der TherMilak Wiener Neustadt, Panzeroffizier, zuletzt Verwendung des Panzerbataillons 10. Studium der Politikwissenschaft und Publizistik, 2002 Promotion zum Dr. phil  ; 2001 bis 2002 sicherheits- und verteidigungspolitischer Berater im Bundeskanzleramt, Mitglied des Kuratoriums Europäisches Forum Alpbach, Lektor und Beiratsmitglied an der Donau-Universität Krems und Mitbegründer der International Society of Military Sciences. Zahlreiche Publikationen, Vorträge und Medienauftritte zu sicherheitspolitischen Themen und Aspekten des internationalen Krisenmanagements, Herausgeber der Reihe IFK-Aktuell sowie Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement (Böhlau-Verlag), Mitherausgeber von Sicherheit und Frieden (Nomos-Verlag). Markus Gauster, Mag., geboren 1969  ; Studium der Rechtswissenschaften an den

Universitäten Graz und Wien sowie Lehrgang für Fernsehjournalismus an der Donau-Universität Krems. Privatwirtschaftliche Tätigkeit in den Bereichen Marketing, Journalismus und Filmproduktion. Seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie in Wien  ; Offizier des Reservestandes. Forschungsfelder  : Konflikttransformation in Afghanistan, zivil-militärische Interaktion so267

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wie innovative Konzepte im internationalen Konflikt- und Krisenmanagement. Aufenthalte in Afghanistan unter anderem als Langzeit-Wahlbeobachter für die EU  ; Verfasser mehrerer Publikationen und Artikel. Gerald Hainzl, Mag. Dr., geboren 1970, ist seit 2004 am Institut für Friedenssi-

cherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie Wien  ; Forschungsschwerpunkte  : Konflikte in Afrika  ; Afrikanische Sicherheitspolitik und ihre Institutionen  ; Konfliktmodelle. Studien- und Forschungsaufenthalte in Tansania, Botswana, Südafrika, Äthiopien, Somaliland und Ghana  ; Mitglied in mehreren internationalen Forschungsnetzwerken  ; 2013 Gastforscher am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP)  ; zahlreiche Publikationen und Vorträge sowie Lehrveranstaltungen an tertiären Bildungseinrichtungen im In- und Ausland. Predrag Jureković, Mag. Dr., geboren 1969, ist seit 2003 Leiter des Referats Kon-

fliktanalyse im Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie Wien  ; Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien, 1997 bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Militärwissenschaftlichen Büro bzw. im Büro für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung. Ständiger Mitarbeiter der Österreichischen Militärischen Zeitschrift, österreichischer Co-Chair in der Studiengruppe „Regional Stability in South East Europe“ des PfP-Consortium of Defense Academies and Security Studies Institutes, regelmäßige Forschungsaufenthalte in den Balkanländern  ; zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen zum Thema Konfliktverlauf und Friedensprozesse in Südosteuropa. Hermann Mückler, Mag. Dr., geboren 1964, ist Professor für Kultur- und Sozial­

anthropologie an der Universität Wien mit regionaler Fokussierung auf den asiatisch-pazifischen Raum und auf allgemeine Forschungs- und Lehrschwerpunkte zu den Themen Friedens- und Konfliktforschung, Politische Ethnologie, Geopolitik sowie auf (ethno-)historische Fragestellungen. Er ist Präsident der Anthropologischen Gesellschaft Wien und der Österreichisch-Fidschianischen Gesellschaft (ÖFiG) sowie Vizepräsident des Dachverbandes aller österreichischausländischen Gesellschaften – PaN und des Instituts für Vergleichende Architekturforschung. Zu seinen jüngsten Buch-Publikationen zählen „Kolonialismus in Ozeanien“ (2012) und „Entkolonisierung und Konflikte der Gegenwart in Ozeanien“ (2013).

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Autoren- und Herausgeberverzeichnis

Wolfgang Mühlberger, MMag., geboren 1970, Nahostexperte am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie Wien  ; Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Arabistik/Islamwissenschaft/Afrikanistik. Bakkalaureat in Tunesien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Syrien, Jemen und Marokko. Tätigkeiten als Director Government Relations MENA der Economist Intelligence Unit und als Political Officer im Österreichischen Vertretungsbüro in Ramallah. Gastforscher am INSS (Institute for National Security Studies) in Tel Aviv sowie am NATO Defense College in Rom. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte  : israelisch-arabischer Konflikt, Syrien, Libyen, Krisenmanagement im Nahen Osten, islamistische Bewegungen & progressive islamische Reformdenker.

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INTERNATIONALE SICHERHEIT UND KONFLIKTMANAGEMENT HERAUSGEGEBEN VON WALTER FEICHTINGER

BAND 2 WALTER FEICHTINGER, WOLFGANG BRAUMANDL, NIEVES-ERZSEBET KAUTNY (HG.) PRIVATE SICHERHEITS- UND MILITÄRFIRMEN KONKURRENTEN – PARTNER – TOTENGRÄBER? 2008. 327 S. BR. | ISBN 978-3-205-77742-7

BAND 3 WALTER FEICHTINGER, GERALD HAINZL (HG.) KRISENMANAGEMENT IN AFRIKA ERWARTUNGEN – MÖGLICHKEITEN – GRENZEN 2008. 217 S. BR. | ISBN 978-3-205-78222-3

BAND 4 WALTER FEICHTINGER, CARMEN GEBHARD (HG.) GLOBALE SICHERHEIT – EUROPÄISCHE POTENZIALE HERAUSFORDERUNGEN – ANSÄTZE – INSTRUMENTE 2010. 330 S. ZAHLREICHE TAB. BR. | ISBN 978-3-205-78419-7

BAND 5 WALTER FEICHTINGER, ANTON DENGG (HG.) KEIN FEIND IN SICHT KONFLIKTBILDER UND BEDROHUNGEN DER ZUKUNFT 2009. 209 S. 28 TAB. U. GRAF. BR. | ISBN 978-3-205-78481-4

BAND 6 WALTER FEICHTINGER, GERALD HAINZL (HG.) SOMALIA OPTIONEN – CHANCEN – STOLPERSTEINE 2011. 299 S. 5 TAB. UND 18 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-78582-8

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