Was ist Wirtschaft?: Von der Politischen Ökonomie zur Ökologischen Ökonomie 9783495818497, 9783495482148


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Table of contents :
Inhalt
Autoren und Koautoren
Vorwort zur 2. Auflage
Dank
Teil 1: Grundlagen der Politischen Ökonomie
1. Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«
1.1 Einleitung
1.2 Allokation und Distribution, Mengen und Werte
1.3 Das Wissen in der Wirtschaft und das Wissen über die Wirtschaft: Die Innenperspektive und die Außenperspektive
1.4 Der Ursprung der Wissenschaft von der Wirtschaft: Die Politische Ökonomie
1.4.1 Die Herkunft der Idee einer Politischen Ökonomie als Wissenschaft
1.4.2 Zur Geschichte des Begriffs Politische Ökonomie
1.4.3 Welche Eigenschaften sollte ein Politischer Ökonom besitzen?
1.5 Von der Kunst der Politischen Ökonomie zur Idee einer reinen Lehre von der Wirtschaft
1.6 Das Menschenbild der Wissenschaft von der Wirtschaft: Der Homo oeconomicus
1.7 Von der unsichtbaren Hand zum Pareto-Optimum
1.8 Die zwei Hauptsätze der Wohlfahrtstheorie
1.9 Die Neue Politische Ökonomie oder Public Choice Theorie
1.10 Schlussbemerkung
2. Der Ursprung der Ökonomik als Bestimmung und Begrenzung ihrer Erkenntnisperspektive
2.1 Krisensymptome in der gegenwärtigen Ökonomik und die Frage nach ihrem Ursprung
2.2 Ökonomik, Naturwissenschaften und Philosophie
2.2.1 Die Ablösung der Naturwissenschaften von antiken und mittelalterlichen Traditionen
2.2.2 Theorie, Natur und Technik
2.2.3 Das Verhältnis zwischen Individuen, Gesellschaft und Staat als Spannungsfeld der entstehenden Ökonomik
2.3 Festlegung der ökonomischen Sichtweise und ihres Gegenstandes bei Adam Smith
2.4 Ökonomik als »Naturwissenschaft« vom menschlichen Glück? Der Utilitarismus
2.5 Zusammenfassung, Kritik und Ausblick
3. Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitliches Menschenbild
3.1 Einleitung: Thema und Inhalt
3.2 Der Homo oeconomicus der modernen Wirtschaftstheorie – seine Bedeutung und seine Grenzen
3.3 Adam Smiths Werk und Weltbild
3.4 Ebenen des Menschseins bei Smith
3.5 Der Mensch als Lebewesen
3.6 Der Mensch und die Wirtschaft
3.6.1 Vorbemerkungen
3.6.2 Die Wirtschaftssphäre als untergeordneter Bereich bei Aristoteles
3.6.3 Wirtschaftliches Handeln als menschliches Tun
3.6.4 Der Homo oeconomicus als soziales Wesen
3.6.5 Wirtschaftliches Handeln und menschliche Glückseligkeit
3.7 Der Mensch, die Gesellschaft und der Staat
3.7.1 Die Naturanlage zur Gesellschaftlichkeit: Smiths Konzept der Sympathie
3.7.2 Der Repräsentant der Gemeinschaft im Innern des Menschen: der unparteiische Zuschauer
3.7.3 Der Mensch als bewusstes Glied der Gemeinschaft: Homo politicus
3.8 Der Mensch, das Weltganze und sein Ursprung
3.8.1 Die gesellschaftliche Funktion von Religion
3.8.2 Der Gehalt der wahren Religion
3.9 Abschließende Bemerkungen
4. Homo politicus und Homo oeconomicus
4.1 Einleitung
4.2 Das politische Handeln und seine Akteure
4.3 Staat und Individuum in der Public Choice
4.4 »Konstitutionelles Interesse« und »ökologisches Interesse«
4.4.1 Das konstitutionelle Interesse
4.4.2 Das ökologische Interesse
4.5 Das konstitutionelle Interesse als das Interesse an der Gemeinschaft: Der Homo politicus
4.5.1 Der Begriff des Homo politicus
4.5.2 Homo politicus und Öffentlichkeit
4.5.3 Das Gemeinwohl und der Begriff der Gerechtigkeit
4.6 Gerechtigkeit, Homo politicus und Homo oeconomicus
4.6.1 Die Gerechtigkeit des Homo politicus
4.6.2 Die Gerechtigkeit des Homo oeconomicus
4.7 Die Bedeutung des Homo politicus für die Verfassung der Freiheit und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen
4.7.1 Homo politicus und konstitutionelles Interesse
4.7.2 Homo politicus und ökologisches Interesse
4.8 Die empirische Relevanz des Homo politicus
4.9 Abschließende Bemerkungen
5. Wirtschaft und gutes Leben
5.1 Einleitung
5.2 Das gute Leben bei Adam Smith
5.2.1 Wirtschaft und Praktische Philosophie bei Adam Smith
5.2.2 Smiths Bild eines guten Lebens
5.2.3 Wirtschaft und gutes Leben bei Smith
5.2.4 Die allgemeine Idee des guten Lebens und die individuelle Freiheit – ungelöste Spannungen im Denken von Smith
5.3 Das gute Leben in der Wirtschaftstheorie nach Smith – die Neoklassik und der Marxismus
5.3.1 Das gute Leben als Verwirklichung individueller Freiheit in der Marktwirtschaft bei den Neoklassikern
5.3.2 Die kapitalistische Wirtschaft als Sphäre der Unfreiheit und die Idee eines guten Lebens bei Marx
5.4 Das gute Leben – in oder jenseits der Wirtschaft
5.4.1 Die Ökonomisierung der Frage nach dem guten Leben
5.4.2 Ist eine Wiedergewinnung der Frage nach dem guten Leben außerhalb der Wirtschaft möglich?
5.4.3 Ausblick: Die Freiheit von der Wirtschaft und vom Wirtschaftlichen
6. Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit
6.1 Einleitung
6.1.1 Der Ausschluss wirtschaftlicher Kategorien aus Kants Bestimmung der Würde des Menschen
6.1.2 Grundformen wirtschaftlicher Beziehungen in der Theorie von Ronald Coase
6.2 Wirtschaft als Feld von Herrschaftsbeziehungen: Hauswirtschaft und Sklaverei bei Aristoteles
6.2.1 Die politische Gemeinschaft und ihre Interaktionen als Feld der Würde des Menschen
6.2.2 Wirtschaft als Sphäre der Abwesenheit von Würde
6.2.3 Der Sklave als Prototyp des wirtschaftenden Menschen
6.2.4 Sklavische Gesinnungen bei freien Bürgern
6.2.5 Die unvermeidliche Unmenschlichkeit einer menschlichen Sphäre
6.3 Der andere Blick auf die Wirtschaft: Hebräische Bibel und Neues Testament
6.4 Wirtschaft als Feld symmetrischer Beziehungen: Marktwirtschaft und Homo oeconomicus bei Adam Smith und seinen Nachfolgern
6.4.1 Individuelle Freiheit und private Glückssuche als Voraus—setzungen der Wirtschaft
6.4.2 Der Markt als eine Sphäre von Menschlichkeit bei Adam Smith
6.4.3 Das Streben nach privatem Vorteil und seine Folgen
6.4.4 Der Riss zwischen Markt und Produktionssphäre
6.4.5 Moderne Sichtweisen: Homo oeconomicus und Humankapital
6.5 Die Anerkennung der Abhängigkeit
7. Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion
7.1 Von der ökonomischen Krise zur Frage nach der Gerechtigkeit
7.2 Die Gerechtigkeit und das gute Leben – Sens Konzepte der Verwirklichungschancen
7.3 Die Bedeutung der Gemeinschaft für das gute Leben
7.4 Gemeinschaft, Abhängigkeit und Wirtschaft
7.5 Homo oeconomicus und Homo politicus
7.6 Religion und Gerechtigkeit
Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie
8. Nachhaltige Entwicklung – wissenschaftliches Konzept oder ethisch-politische Herausforderung?
8.1 Einleitung
8.2 Was bedeutet und woher stammt der Begriff ›nachhaltige Entwicklung‹ ?
8.3 Nachhaltigkeit als wissenschaftlich-technisch-ökonomisches Konzept – Substitution oder Erhaltung?
8.4 Der wirtschaftswissenschaftliche Zugang zur nachhaltigen Entwicklung
8.5 Grenzen der wissenschaftlich-technischen-ökonomischen Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung
8.6 Regeln für nachhaltiges Wirtschaften – Naturgesetze oder Pflichten?
8.7 Der Wille zur Nachhaltigkeit: Fairness zwischen den Generationen
8.8 Nachhaltigkeit und Nichtsättigung
8.9 Wie wollen wir leben?
9. Zurück zu Aristoteles?
Vorbemerkung
9.1 Einleitung
9.2 Die aristotelische Konzeption von Wirtschaft
9.3 Aristoteles’ Hauswirtschaft versus Smiths Marktwirtschaft
9.4 Die Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft
10 Die Geschichte der Soda-Chlorchemie
10.1 Einleitung
10.2 Von der Textilindustrie zur Soda-Chlorchemie
10.3 Vom reinen Chlor zu den FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffen)
10.4 Kuppelproduktion und Verantwortung
10.5 Abschließende Überlegungen
11. Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit
Vorbemerkung
11.1 Nachhaltigkeit, Wissen und Unwissen
11.2 Nachhaltigkeit als operationales Konzept und Nachhaltigkeit als Ideal
11.3 Das Ideal der Nachhaltigkeit und die Bedeutung des Konsenses
11.4 Die Bedeutung des Glaubens
11.5 Zukunftsfähigkeit oder Zukunftswürdigkeit
Teil 3: Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie
12. Knappheit und Maß. Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie
Vorbemerkung
12.1Einleitung
12.2 Ökonomie, Natur und Maß bei Aristoteles
12.3Ökonomie, Knappheit und Wahl
12.3.1 Wahl und Knappheit
12.3.2 Relative und absolute Knappheit
12.3.3 Knappheit und Maß
12.4 Ökologie
12.4.1 Der Ansatz der Ökologie
12.4.2 Allgemeine und spezielle Grundlagen der naturwissenschaftlichen Ökologie
12.4.3 Ökologie und Ökonomie
12.4.4 Exkurs: Ökologie und menschliche Freiheit
12.5Ausblick
13. Produktion, Konsum und Dienste in der Natur
13.1 Einleitung
13.2 Produktion, Konsum und Dienstleistungen in der Natur
13.2.1 Natürliche Produktion und natürlicher Konsum in absoluter Betrachtung
13.2.2 Natürliche Produktion und natürlicher Konsum in relationaler Betrachtung
13.2.3 Die Dienlichkeit des Natürlichen
13.3 Produktion, Konsum und Dienen aus der Perspektive des einzelnen Lebewesens: eine teleologische Betrachtung
13.3.1 Allgemeine Bemerkungen zur Teleologie
13.3.2 Die drei Tele
13.3.2.1 Erläuterungen zum ersten Telos
13.3.2.2 Erläuterungen zum zweiten Telos
13.2.1.3 Erläuterungen zum dritten Telos
13.4 Produktion, Konsum und Dienen aus der Perspektive der natürlichen Lebensgemeinschaft: Die Theorie der Fonds
13.4.1 Lebensgemeinschaft, Art und Individuum
13.4.2 Der Begriff ›Fonds‹ – Definition und Erläuterung
13.4.3 Lebendige Fonds
13.4.4 Das Zusammenspiel der Fonds und ihre Beziehung zu den drei Tele
13.5 Natur, Mensch und Wirtschaft
13.5.1 Sammler- und Jägerkulturen sowie agrarische Kulturen
13.5.2 Die Verwendung von Fonds als Vorräte
13.5.3 Die Freiheit und die drei Interessen der Menschen
14. Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie: Drei Perspektiven auf Mensch und Natur
14.1 Einleitung
14.2 Das Menschenbild der Umweltökonomie
14.2.1 Öffentliche Güter und externe Effekte
14.2.2 Ökonomische Instrumente zur Lösung von Rohstoff- und Umweltproblemen
14.2.3 Umweltökonomie, Wohlfahrtstheorie und Public Choice
14.3 Das Menschenbild der Nachhaltigkeitsökonomie
14.3.1 Das Konzept der Nachhaltigkeit
14.3.2 Die optimale Ressourcennutzung im Sinne der Nachhaltigkeitsökonomie
14.3.3 Nachhaltigkeit, Ethik und das Interesse an der Menschheitsgattung
14.3.4 Probleme der Ethik in einer Nachhaltigkeitsökonomie
14.3.5 Das moralische Subjekt der Nachhaltigkeitsökonomie
14.4 Ökologische Ökonomie
14.4.1 Die Fragestellung der Ökologischen Ökonomie im Gegensatz zur Fragestellung der Nachhaltigkeitsökonomie
14.4.2 Terminologische und methodische Probleme einer Ökologischen Ökonomie
14.4.3 Die Problematik des Menschenbildes der Ökologischen Ökonomie
14.5 Ausblick: Aufmerksamkeit und Dankbarkeit gegenüber der Natur als vorbereitende Haltungen für eine Ökologische Ökonomie
15. Malthus und Wordsworth
15.1 Einleitung
15.2 Malthus: Der Gegensatz von Mensch und Natur als Wille Gottes
15.3 William Wordsworth: Die ursprüngliche Einheit von Natur und Mensch in einem gemeinsamen göttlichen Ursprung
15.4 Malthus und die Naturgesetzmäßigkeit der liberalen Ökonomie
15.5 Wordsworths Entdeckung eines inhärenten Widerspruchs zwischen der modernen Ökonomie und der Natur
15.6 Folgerungen aus der Gegenüberstellung dieser beiden Perspektiven für die Ökologische Ökonomie
15.6.1 Das Malthusianische in der Ökologischen Ökonomie und seine konzeptionelle Tragweite
15.6.2 Wordsworths Denken als ideengeschichtliche Quelle für die Ökologische Ökonomie
15.6.3 Die Bedeutung einer Grundlagenreflexion für die Ökologische Ökonomie
15.6.4 Abschließende Bemerkungen
Literaturverzeichnis
Detaillierte Gliederung
Personenregister
Sachregister
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Was ist Wirtschaft?: Von der Politischen Ökonomie zur Ökologischen Ökonomie
 9783495818497, 9783495482148

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Malte Faber Reiner Manstetten

Was ist Wirtschaft? Von der Politischen konomie zur kologischen konomie

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495818497

.

B

Malte Faber / Reiner Manstetten Was ist Wirtschaft?

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über dieses Buch: Ein grundsätzliches Fragen nach der Wirtschaft ist notwendig, wenn man die ökonomischen und ökologischen Probleme unserer Zeit verstehen will. Gemäß dieser These stellt das Buch nicht nur eine Einführung in das wirtschaftswissenschaftliche Denken dar, sondern führt zu Untersuchungen über die anthropologischen, ethischen, politischen und ökologischen Zusammenhänge, in die die Wirtschaft eingebettet ist. Basierend auf einem individualistischen Menschenbild hat die Neue Politische Ökonomie des 20. Jahrhunderts (Public Choice) radikalliberale Staats- und Gesellschaftskonzepte entwickelt. Auf dem Weg einer Kritik an dieser Politischen Ökonomie geht es in Teil 1 darum, unter Rückgriff auf Aristoteles und Adam Smith die Fragen nach der Gerechtigkeit, der Gemeinschaft und dem guten Leben für das Verständnis der Wirtschaft zurückzugewinnen. Dass diese Fragen angesichts gravierender Rohstoff- und Umweltprobleme eine neue Bedeutung angenommen haben, ist Gegenstand der Teile 2 und 3. Die Ökologische Ökonomie, deren Grundlagen dort systematisch untersucht werden, zeigt, dass zu einem guten Leben einerseits die Vorsorge für zukünftige Generationen gehört, andererseits aber »die Ehrfurcht vor dem Leben« (Albert Schweitzer), auch in seinen pflanzlichen und tierischen Formen. Der Autor:

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Malte Faber und Reiner Manstetten

Was ist Wirtschaft? Von der Politischen Ökonomie zur Ökologischen Ökonomie In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen, Christian Becker, Olaf Hottinger, Kirsten Hertel und Frank Jöst

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper 2., aktualisierte Auflage 2014 Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2007 www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise Föhren Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten ISBN Buch 978-3-495-48214-8 ISBN PDF-E-Book 978-3-495-81849-7

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Inhalt

Detaillierte Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Autoren und Koautoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

Teil 1: Grundlagen der Politischen Ökonomie . . . . . . . .

21

1. 2. 3.

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?« . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

Der Ursprung der Ökonomik als Bestimmung und Begrenzung ihrer Erkenntnisperspektive . . . . . . . . .

50

Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitliches Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . .

74

In Zusammenarbeit mit Olaf Hottinger

4.

Homo politicus und Homo oeconomicus. Die Neue Politische Ökonomie, die Verfassung der Freiheit und die Reformfähigkeit der Gesellschaft . . . . 113 In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen

5.

Die Wirtschaft und das gute Leben. Praktische Philosophie und Politische Ökonomie bei Adam Smith und seinen Nachfolgern . . . . . . . . . . 147

5 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Inhalt

6.

Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

7.

Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion . . . . . . . . . . . . . 188 In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen

Teil 2: Grundlagen der Ökologischen Ökonomie . . . . . . 8.

203

Nachhaltige Entwicklung – wissenschaftliches Konzept oder ethisch-politische Herausforderung? . . . . . . . . 204 In Zusammenarbeit mit Frank Jöst

9.

Zurück zu Aristoteles? Die Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

10. Die Geschichte der Soda-Chlorchemie. Kuppelproduktion und Verantwortlichkeit . . . . . . . . 240 11. Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit. Glaube und Suche nach Gerechtigkeit als Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung . . . . 256

Teil 3: Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Knappheit und Maß. Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie

277

. . . . . 278

13. Produktion, Konsum und Dienste in der Natur. Eine Theorie der Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 14. Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie. Drei Perspektiven auf Mensch und Natur . . . . . . . . 344

6 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Inhalt

15. Malthus und Wordsworth. Ein Beitrag zum Menschenbild der Ökologischen Ökonomie . . . . . . . 382 In Zusammenarbeit mit Christian Becker und Kirsten Hertel

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

7 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Autoren und Koautoren

Autoren Malte Faber war von 1973 bis 2004 Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie am Alfred-Weber-Institut der Universität Heidelberg. Von 1998 bis 2004 war er Mitglied des Direktoriums des Interdisziplinären Institutes für Umweltökonomie. Seit 2004 ist er Emeritus Professor. Seine Forschungsgebiete sind Kapitaltheorie, Politische Ökonomie und Ökologische Ökonomie. Seit 2007 ist er im Auftrag der GIZ Berater von Regierungsstellen in China. ([email protected]) Reiner Manstetten ist Philosoph und Privatdozent am Alfred-WeberInstitut der Universität Heidelberg. 2003 erhielt er den ErnstBloch Förderpreis der Stadt Ludwigshafen. Seit 2004 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Seine Forschungsgebiete umfassen philosophische Mystik, praktische Philosophie, Wirtschaftsethik und Ökologische Ökonomie. Seit 2014 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Institut der Universität Heidelberg. ([email protected]) Koautoren haben mit substanziellen Beiträgen zu einem oder zwei Kapiteln die Argumentation und den Inhalt des Buches wesentlich mitgeformt. Thomas Petersen ist Privatdozent für Philosophie an der Universität Heidelberg. Er hat an mehreren Universitäten Lehrstühle für Philosophie vertreten. ([email protected]) Christian Becker hat Mathematik, Germanistik und Volkswirtschaftslehre studiert und in Volkswirtschaftslehre promoviert. Er ist Mitglied der Forschungsgruppe Ökologische Ökonomie an der Universität Heidelberg. ([email protected]) 9 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Autoren und Koautoren

Kirsten Hertel hat in Anglistik promoviert und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Anglistischen Seminar der Universität Heidelberg. ([email protected]) Olaf Hottinger hat Diplome in katholischer Theologie und Volkswirtschaftslehre. Nach seiner Promotion in Volkswirtschaftslehre begann er 1997, bei der Allianz Lebensversicherungs-AG zu arbeiten. ([email protected]) Frank Jöst ist Privatdozent für Volkswirtschaftslehre am AlfredWeber-Institut der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg. ([email protected])

10 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Vorwort zur 2. Auflage

Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchungen sind die Wirtschaftswissenschaften. Ihre grundlegenden Ansätze werden kritisch reflektiert und unter der Perspektive der Praktischen Philosophie und der Naturphilosophie betrachtet. Ziel ist ein umfassendes Verständnis der Wirtschaft, ihrer langfristigen Entwicklungstendenzen und ihrer Bedeutung für Mensch und Natur. Dieses Vorgehen kann ungewöhnlich erscheinen. Wer als Nicht-Ökonom die anthropologischen, ethischen, politischen und ökologischen Themen dieses Buches betrachtet, mag sich fragen, warum sie gerade von einem wirtschaftswissenschaftlichen Ausgangspunkt aus untersucht werden. Ökonomen könnten dagegen befremdet sein, dass ihr Ansatz relativiert wird, indem er in Horizonte außerhalb ihrer Erkenntnisperspektive eingebettet wird. Gleichviel wie kritisch man die heutige Wirtschaftsweise betrachten mag – der ökonomische Blick auf die Welt ist für das gegenwärtige Bewusstsein vielfach prägend. Ein Verständnis davon ist unverzichtbar, wenn man die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart, ihre Potenziale und ihre Gefahren verstehen will. Jedoch kann die Perspektive der Ökonomik nur in Verbindung mit anderen, nicht-ökonomischen Perspektiven die Wirklichkeit angemessen erfassen. Wird sie verabsolutiert, kann nicht einmal die Wirtschaft verstanden werden. Wir thematisieren die Wirtschaftswissenschaften zunächst unter dem Begriff der Politischen Ökonomie. Eine Politische Ökonomie wurde bereits vor über zwei Jahrhunderten von Adam Smith (1776) konzipiert, der sie als ›Wissenschaft des Staatsmannes und Gesetzgebers‹ bestimmte. Eine ›Neue Politische Ökonomie‹ wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Denkern wie Friedrich von Hayek, James Buchanan und Peter Bernholz entworfen, die ihren Liberalismus nicht auf die Wirtschaftssphäre beschränkten, sondern ihn als paradigmatisch für das Konzept der ›Verfassung der Freiheit‹ 11 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Vorwort zur 2. Auflage

ansahen. Es ist die Intention dieser Neuen Politischen Ökonomie, wirtschaftliche und politische Strukturen zu konzipieren, in denen Menschen jeweils nach ihren individuellen Vorstellungen und Interessen ihre Freiheit entfalten können. Im Gefolge dieser Intention ist der Homo oeconomicus der Wirtschaftswissenschaften zum Paradigma auch des politisch handelnden Akteurs geworden. Die Neue Politische Ökonomie hat zu einem vertieften Verständnis des Spannungsverhältnisses von Wirtschaft und Staat geführt. Aber zugleich enthält ihr Bild des Menschen ebenso wie ihre Auffassung von Staat und Gesellschaft einseitige Züge. So trägt das Konzept des Homo oeconomicus zwar nicht unwesentlich zum Verständnis von Abläufen in Wirtschaft und Politik bei, aber wenn es nicht um Konzepte wie z. B. das des Homo politicus ergänzt wird, werden entscheidende Aspekte ausgeblendet, ja, werden politische Prozesse und soziale Zusammenhänge in ihrem Wesen verkannt. Dies betrifft insbesondere Fragen der Gerechtigkeit. Im 19. Jahrhundert ist durch das Werk von Karl Marx der Begriff ›Kritik der Politischen Ökonomie‹ prominent geworden. Wenn auch wir unser Vorgehen als eine Kritik der Poltischen Ökonomie verstehen, knüpfen wir über Marx hinaus an Immanuel Kant an. Das kritische Projekt Kants versteht Kritik im ursprünglichen Sinn der Scheidung: So wie die »Kritik der reinen Vernunft« die Ansprüche der Vernunft auf Erkenntnis der Wahrheit prüft, so sehen wir die Aufgabe einer Kritik der Politischen Ökonomie heute darin, nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Grenzen der Wirtschaftswissenschaften in Bezug auf die Erkenntnis der Wirtschaft aufzuzeigen. Wenn Ökonomen nicht wissen, wo die Grenzen ihres Ansatzes liegen, werden ihre Resultate und die darauf beruhenden Empfehlungen für die Politik irreführend oder belanglos. Denn selbst für Probleme der Art, ob und inwieweit Wirtschaftswachstum erforderlich ist oder wie Arbeitsmärkte geregelt werden sollten, ist ein rein ökonomischer Blick nicht hinreichend. Erst recht bedarf es für den Umgang mit Rohstoff- und Umweltproblemen, Arbeitslosigkeit oder Bevölkerungswachstum und für die Gestaltung des Gesundheitssystems neben der ökonomischen Sachkompetenz der Mitwirkung von Ethikern, Juristen, Psychologen, Soziologen, Politologen und Naturwissenschaftlern ebenso wie der Beteiligung von Praktikern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie von interessierten und engagierten Staatsbürgern. Eine Kritik der Politischen Ökonomie darf nicht dabei stehen12 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Vorwort zur 2. Auflage

bleiben, eine Negativliste der Themen zu erstellen, zu denen Ökonomen nur unzulängliche Aussagen machen können. Denn die entscheidende Herausforderung besteht darin, es besser zu machen. Es geht darum, das, was von den Wirtschaftswissenschaften nicht adäquat erfasst werden kann, angemessener zu begreifen. Wenn das geschieht, dann kann auch der eigentliche Zugang der Wirtschaftswissenschaften zu seinem Recht kommen. Dieser Herausforderung stellen wir uns in diesem Buch, indem wir die Wirtschaftswissenschaften an die Frage nach dem ›guten Leben‹ zurückbinden. Die beiden Denker, deren Überlegungen zur Wirtschaft hier in besonderer Weise fruchtbar gemacht werden, nämlich Aristoteles und Adam Smith, haben gemeinsam, dass im Zentrum ihres ethisch-politischen Ansatzes die Frage nach dem guten Leben steht. Mit ihnen verstehen wir diese sowie die mit ihr zusammenhängenden Fragen nach Gerechtigkeit, Gemeinschaft und Politik nicht primär als Themen der Wirtschaftswissenschaften, sondern als solche der Praktischen Philosophie. Das bedeutet, dass eine Kritik der Politischen Ökonomie die innere Verbundenheit von ökonomischen Fragen mit den großen Themen der Praktischen Philosophie zu erweisen hat. Mit einer derartigen Aufgabenstellung beschäftigen wir uns vor allem in Teil 1 unseres Buches. In den Teilen 2 und 3 geht es um das Verhältnis der Wirtschaft zur Natur. Die Wirtschaftswissenschaften seit Adam Smith haben bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts so gut wie keinen eigenen Bezug zur Natur entwickelt. Das gute Leben der wirtschaftenden Menschen erscheint in ihnen als ein Leben, für das Natur nahezu irrelevant ist. In dieser Form spiegeln sie einen allgemeinen Zug des Naturverhältnisses in den industrialisierten Ländern der Neuzeit wider: Bis vor wenigen Jahrzehnten konnte es scheinen, als sei Natur ›gratis‹ da. Die öffentliche Diskussion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der Frage nach dem guten Leben eine völlig neue Wendung gegeben, die die Wissenschaften vor neue Herausforderungen gestellt hat. Aufgrund der zunehmenden Rohstoff- und Umweltprobleme geht es darum, das Verhältnis wirtschaftlicher Tätigkeiten zu den natürlichen Grundlagen des Lebens zu untersuchen, grundsätzliche Problemstrukturen zwischen Wirtschaft und Umwelt sichtbar zu machen und Lösungswege aufzuzeigen. Als Antwort auf diese Herausforderungen wurde Ende der achtziger Jahre die Richtung der Ökologischen Ökonomie gegründet. Sie erinnert daran, dass zu einem guten Leben die Vorsorge für die zu13 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Vorwort zur 2. Auflage

künftigen Generationen und die »Ehrfurcht vor dem Leben« (Albert Schweitzer) gehört, die das nichtmenschliche, tierische und pflanzliche Leben mit einschließt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie Natur in ihrer Bedeutung für die Wirtschaft und darüber hinaus in ihrer Bedeutung für ein gutes Leben der Menschen angemessen konzipiert werden kann. Das erfordert Nachdenken über die Lebensgrundlagen der Menschheit. Begriffe wie nachhaltige Entwicklung (sustainability) werden einer Grundlagenreflexion unterzogen, die ihre ethischen und politisch-philosophischen Aspekte hervorhebt. Jedoch gehen wir über die Idee der nachhaltigen Entwicklung hinaus. Denn diese ist anthropozentrisch angelegt, so dass in ihrem Rahmen Natur nur als Natur für den Menschen thematisiert werden kann. Im Zusammenhang mit der Vorstellung des guten Lebens jedoch beinhaltet der Begriff der Natur die Annahme eines Eigenwertes der Natur jenseits ihrer Funktion als Lebensgrundlage für Menschen. Eine Ökologische Ökonomie, die der Würde der Natur gerecht werden will, bedarf eigenständiger naturphilosophischer Überlegungen. Diese führen zu Grenzen nicht nur des wirtschaftswissenschaftlichen, sondern des diskursiven Denkens überhaupt. Daher lassen wir in unserem abschließenden 15. Kapitel neben dem Ökonomen Robert Malthus, der vergleichsweise früh die Lebensgrundlagen der Menschheit problematisierte, den Dichter William Wordsworth zu Wort kommen. Seine Verse zeigen, dass der Mensch die Natur nur dann als Heimat erfahren kann, wenn er sie nicht als bloße Lebensgrundlage behandelt, sondern sie als Leben selbst erlebt, das Teil seines Lebens ist, so wie er Teil ihres Lebens ist. Wenn es um Perspektiven für die weitere Entwicklung der Ökologischen Ökonomie geht, ist unserer Überzeugung nach die Dimension des Religiösen von Bedeutung. Sie wird vor allem in Teil 3 thematisiert, aber auch an anderen Stellen, insbesondere in den Kapiteln 3 und 7, angesprochen. Damit soll daran erinnert werden, dass die Fragen nach der Wirtschaft, dem guten Leben und der Natur zurückverweisen auf die Fragen nach dem Ganzen der Welt, dem Sinn des menschlichen Lebens und dem Ursprung von Welt und Mensch. Es ist nicht Aufgabe unserer Untersuchungen, solchen Fragen weiter nachzugehen. Wohl aber gehört es zu ihren Aufgaben, sie zu formulieren, wo immer sie aus dem Gegenstand der Untersuchung hervorgehen. Die Argumentationsweise und der Ton der Darstellung in verschiedenen Kapiteln unterscheiden sich deutlich. Die Kapitel 2 und 4 14 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Vorwort zur 2. Auflage

beispielweise, ursprünglich zur Publikation in wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften bestimmt, tragen einen anderen Charakter als etwa Kapitel 6, das in einer philosophischen Zeitschrift veröffentlicht wurde, oder als die Kapitel 7 und 11, die in ihren Erstfassungen als Vorträge gehalten wurden. Das vorliegende Buch hat bewusst etwas von diesen Charakterzügen beibehalten, weil damit der Text zugänglicher und lebendiger wird. Obwohl wir die Anordnung der Kapitel gemäß ihrer inneren Systematik vorgenommen haben, können sie auch in einer anderen Reihenfolge gelesen werden. Der einfachste Zugang geht über die Kapitel 7, 9 und 10. Daran anschließen könnte eine Lektüre der ersten beiden Kapitel, gefolgt von den Kapiteln 8, 12 und 14. Damit hat der Leser bereits eine gute Grundlage, um je nach Interesse weiter fortzuschreiten. Dieses Buch, das hier in der 2. Auflage erscheint, basiert auf Aufsätzen und Vorträgen, die bis 2007 in nahezu zwei Jahrzehnten der Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Universität Heidelberg entstanden sind und an verschiedenen Stellen veröffentlicht wurden. Die Gemeinsamkeit aller dieser Texte, die für dieses Buch z. T. stark überarbeitet wurden, besteht darin, dass in ihnen leitmotivisch die Themen Natur, Gerechtigkeit und Zeit wiederkehren. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass Überlegungen zur nachhaltigen Entwicklung oder zur Ökologischen Ökonomie, in denen nicht alle drei Gesichtspunkte zentral berücksichtigt werden, zu kurz greifen. Unser Buch ist unverändert aktuell, vielleicht sogar aktueller als früher. 1 Denn die Umweltpolitik verliert sich immer mehr in Einzelheiten und geht immer weniger an das Grundsätzliche heran. Als Berater im umweltpolitischen Tagesgeschäft erleben die Autoren häufig, dass Schwierigkeiten und ungeklärte Fragen zu wenig in ihren grundsätzlichen Dimensionen gesehen werden und dass entscheidende Begriffe und Konzepte nicht durchdacht, sondern je nach Interesse bald so, bald anders verwendet werden. Folgerichtig werden

In der Zeit seit 2007 haben wir einige Themen, die sich aus der Problemstellung des Buches ergaben, weiterverfolgt. Wer sich für die weitere Entwicklung unserer Überlegungen interessiert, sei hingewiesen auf die Monographien: »Karl Marx und die Philosophie der Wirtschaft« (Petersen/Faber 2014), »Die Kunst, langfristig zu denken. Wege zur Nachhaltigkeit« (Klauer/Manstetten/Petersen/qSchiller 2013) sowie den Aufsatz »Endangering the natural basis of life is unjust. On the status and future of the sustainability discourse« (Becker/Ewringmann/Faber/Petersen/Zahrnt 2012).

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Vorwort zur 2. Auflage

schnelle Lösungen gesucht und gefunden, von denen sich jedoch bald herausstellt, dass sie zu kurz greifen. »The hope that there is no fundamental conflict between economic growth and environmental protection – that a winwin situation can always be achieved – has turned out to be an illusion: even enduring ›green‹ growth will endanger the natural basis of life. We need the honesty to fully recognize and address the conflicts between economic growth and environmental protection.« (Becker/Ewringmann/Faber/Petersen/Zahrnt 2012: 6) Die Gesellschaft muss sich dem stellen, nicht nur nebenbei und kurzfristig, sondern mit allem Ernst, mit aller Mühe und Sorgfalt des begrifflichen Denkens und mit langem Atem. Heidelberg, Frühling 2014

Malte Faber und Reiner Manstetten

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Dank

Bei der Abfassung dieses Buches im Laufe der letzten zwanzig Jahre haben uns viele Freunde und Kollegen mit Rat und konstruktiver Kritik geholfen. Dafür sind wir dankbar: John Barry, Stefan Baumgärtner, Christian Becker, Peter Bernholz, Hans Christoph Binswanger, Wolfgang Dunz, Jens Faber, Brigitte Falkenburg, Hans-Joachim Gericke, Bernd Hansjürgens, Olaf Hottinger, Jörg Hüfner, Klaus Jacobi, Frank Jöst, Bernd Klauer, Hartmut Kliemt, Monika Kloth-Manstetten, Henrike Koschel, Mi-Yong Lee-Peuker, Karl-Geert Malle, Marco Lehmann-Waffenschmidt, Günter Liesegang, Thilo Löwe, Peter Michaelis, Georg Müller-Fürstenberger, Wolfgang Neuser, Horst Niemes, Hans Georg Nutzinger, Thomas Petersen, Andreas Polk, John Proops, Martin Quaas, Winfried Reiß, Till Requate, Johannes Schiller, Armin Schmutzler, Dieter Schulz, Jürgen Siebke, Gunter Stephan, Joachim Weimann, Wolfgang Wieland, Ralph Winkler, Ulrich Witt. Wir danken für Korrekturlesen und für redaktionelle Hilfe in vielfacher Art: Ute Beckel-Faber, Rosa Huhn, Felix Kermisch, Paula Manstetten, Julia Pirschl vom Alber-Verlag und Johanna Spratte. Für einen Zuschuss zu den Druckkosten danken wir dem HelmholtzZentrum für Umweltforschung Leipzig. Wir danken den folgenden Institutionen für die Erlaubnis, frühere Veröffentlichungen hier wieder zu verwenden: Kapitel 1: Faber, M. (1999) »Was ist Wirtschaft? Was ist die Wissenschaft von der Wirtschaft?«, Dialektik – Enzyklopädische Zeitschrift für Philosophie und Wissenschaften 1999/3: 13–41. Kapitel 2: Faber, M./Manstetten, R. (1988) »Der Ursprung der Volkswirtschaftslehre als Bestimmung und Begrenzung ihrer 17 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Dank

Erkenntnisperspektive«, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, Heft 2: 97–121. Kapitel 3: Manstetten, R./Hottinger, O./Faber, M. (1998) »Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitliches Menschenbild«, Homo Oeconomicus XV(2): 127–168. Kapitel 4: Faber, M./Manstetten, R./Petersen, T. (1997) »Homo oeconomicus and homo politicus. Political economy, constitutional interest and ecological interest«, Kyklos 5, Heft 4: 457–483. Kapitel 5: Manstetten, R. (1999) »Die Wirtschaft und das gute Leben. Praktische Philosophie und Politische Ökonomie«, Dialektik – Enzyklopädische Zeitschrift für Philosophie und Wissenschaften 1999/3: 43–62. Kapitel 6: Manstetten, R. (2004) »Wirtschaft und Menschenwürde«, studia philosophica, Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft hrsg. von Angehrn, E./Baertsch, B.: 189–210. Kapitel 7: Faber, M./Manstetten, R./Petersen, T. (2006) »Wirtschaft – Politik – Religion. Über die Grenzen der Wirtschaftswissenschaften«, Glaube und Lernen. Theologie interdisziplinär und praktisch. 21, Heft 1: 44–57. Kapitel 8: Faber, M./Jöst, F./Manstetten, R. (1995) »Limits and perspectives of the concept of a sustainable development«, Economie Appliquée 48: 231–249. Kapitel 9: Faber, M./Manstetten, R. (2004) »Zurück zu Aristoteles? Wirtschaft und Philosophie«, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 5, Heft 2: 159–168. Kapitel 10: Faber, M./Manstetten, R. (2003b) »Die Geschichte der Soda-Chlorchemie. Wirtschaftsphilosophische Überlegungen«, in: Wider die Natur. Sammelband der Vorträge des Studium Generale der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg., Wintersemester 2001/2002. Heidelberg: 93–108. Kapitel 11: Manstetten, R. (1996) »Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit – Philosophische Bemerkungen zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung«, GAIA 5, Nr. 6: 291–298. Kapitel 12: Manstetten, R. (1995) »Die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie«, GAIA 4, Nr. 1: 40–51. Kapitel 13: Faber, M./Manstetten, R. (1998) »Produktion, Konsum und Dienste in der Natur – Eine Theorie der Fonds«, in: Selbstorganisation, Jahrbuch für Komplexität in den Natur-, Sozialund Geisteswissenschaften, hrsg. von Schweitzer, F./Silberberg, 18 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Dank

G., Evolution und Selbstorganisation in der Ökonomie, Bd. 9: 209–236. Kapitel 14: Manstetten, R./Faber, M. (1999) »Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie. Drei Perspektiven auf Mensch und Natur«, in Beckenbach, F. u. a. (Hrsg.) Jahrbuch Ökologische Ökonomie, Bd. 1, Zwei Sichtweisen auf das Umweltproblem: Neoklassische Umweltökonomie versus Ökologische Ökonomie. Marburg: 53–97. Kapitel 15: Becker, C./Faber, M./Hertel, K./Manstetten, R. (2005) »Malthus vs. Wordsworth: Perspectives of humankind, nature and economy. A contribution to the history and the foundations of ecological economics«, Ecological Economics 53: 299–310. Malte Faber und Reiner Manstetten

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

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1. Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

1.1 Einleitung In seiner »Metaphysik der Sitten« bemerkt Immanuel Kant (1797/ 1968: 336), die Frage »Was ist Recht?« möchte den Rechtsgelehrten ebenso in Verlegenheit setzen wie die Frage »Was ist Wahrheit?« den Logiker. In gleicher Weise wird die Frage »Was ist Wirtschaft?« bei Wirtschaftswissenschaftlern Irritationen hervorrufen. Denn Fragen dieser Art gehen in der Regel über die Kompetenz der jeweiligen Fachwissenschaftler hinaus. Zwar enthalten die Rechts- bzw. die Wirtschaftswissenschaften in gewisser Weise schon Antworten auf die Fragen »Was ist Recht?« bzw. »Was ist Wirtschaft?«, zwar setzen Rechtsgelehrte ebenso wie Wirtschaftswissenschaftler mit ihren Aussagen, Theorien und Resultaten immer dort, wo sie die Begriffe »Recht« bzw. »Wirtschaft« gebrauchen, ein bestimmtes Verständnis davon voraus, aber es geschieht nur sehr selten, dass sich Juristen und Ökonomen Rechenschaft darüber geben, woher sie ihr Verständnis von Recht bzw. Wirtschaft nehmen. Zumindest für die Wirtschaftswissenschaften gilt: Was Wirtschaft ist, wird in ihnen zwar implizit vorausgesetzt, aber kaum je explizit gemacht. Für eine fundierte und umfassende Explikation ihres Wirtschaftsbegriffes müssten sich Ökonomen gleichsam neben sich selbst und ihre Arbeit stellen und ihre Begriffe, Axiome und Methoden, statt mit ihnen zu operieren, von außen betrachten. Denn da Wirtschaft ein Grundbegriff der Wirtschaftswissenschaften ist, kann er nicht mit den von ihm abgeleiteten Begriffen und Sätzen untersucht werden. Die Betrachtung von Grundbegriffen in einer Wissenschaft erfordert, auf die eigenen Begriffe, Axiome und Methoden in gewisser Weise Verzicht zu leisten. Statt als Mittel einer Erkenntnis werden sie nämlich als Gegenstand einer Untersuchung behandelt. Erst eine solche Untersuchung kann ihre eigentümliche Bedeutung und Leistung, ihre Reichweite und Grenzen aufzeigen. Bezüglich des Ver22 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

ständnisses des Grundbegriffs Wirtschaft ermöglicht es eine solche Untersuchung, Fragen zu stellen, die im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften nicht gestellt werden können, da sie diesen Rahmen selbst in seiner Gesamtheit zum Problem machen. Dazu gehört insbesondere die Frage, ob Wirtschaft, wird sie ausschließlich innerhalb des Rahmens wirtschaftswissenschaftlicher Forschung aufgefasst, in ihrem Wesen und in ihren potentiellen Wirkungen hinreichend bestimmt ist. Sollte dies nicht der Fall sein – und dass dies nicht der Fall ist, wird in den folgenden Kapiteln dieses Buches verschiedentlich gezeigt – so muss weiter gefragt werden, was Wirtschaft jenseits der Erkenntniswege der Wirtschaftswissenschaften ist und wie Wirtschaft in einem Sinn, der außerhalb des Rahmens der Wirtschaftswissenschaften liegt, vernünftig und nachvollziehbar thematisiert und erforscht werden kann. Aus den hier angeführten Gründen überschreitet eine solche Untersuchung den Rahmen einer wirtschaftswissenschaftlichen Qualifikation. Traditionell ist die Untersuchung von Grundbegriffen eine Aufgabe der Philosophie. Wenn Kant die Untersuchung der Frage »Was ist Recht?« als eine Aufgabe der praktischen Philosophie ansah, so hätte er ebenso auch die Untersuchung der Frage »Was ist Wirtschaft?« als eine philosophische Aufgabe bestimmen können. Was das Recht angeht, so ist die Rechtsphilosophie ein zwar kleines, aber durchaus angesehenes Forschungsgebiet am Rande des Bereichs der Rechtswissenschaften. Ihr sind die Grundsatzfragen anvertraut, die Juristen mit ihren Gutachten, Entscheidungen und Kommentaren als beantwortet voraussetzen, ohne sie selbst klären zu können. Rechtsphilosophen benötigen philosophische Kompetenz, um zu wissen, wie und in welchem Rahmen man Grundbegriffe sinnvoll klären und Methoden angemessen diskutieren kann; sie benötigen zugleich aber juristische Fachkompetenz, um zu verstehen, wovon die Rede ist und worum es geht, wenn Kategorien der Rechtswissenschaften gebraucht werden. Eine der Rechtsphilosophie vergleichbare Wirtschaftsphilosophie als universitäre Teildisziplin gibt es bis heute nicht; Beiträge zu wirtschaftsphilosophischen Fragen, die sich in ihrem Umfang und ihrer Reputation mit dem vergleichen lassen könnten, was heute die Rechtsphilosophie hervorbringt, gibt es ebenfalls nicht. Nicht häufiger als in den Wirtschaftswissenschaften wird man in der Praktischen Philosophie der Gegenwart Untersuchungen über 23 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

das Wesen der Wirtschaft antreffen. 1 Angesichts der komplexen und mathematisch oft anspruchsvollen Theorien der modernen Sozialund Wirtschaftswissenschaften sehen sich heutige Philosophen aus guten Gründen kaum in der Lage, über deren Bedeutung, Reichweite und Grenzen zu urteilen. An diesen Theorien vorbei einen eigenständigen Begriff der Wirtschaft zu entwerfen, wäre jedoch naiv. Wenn aber weder Wirtschaftswissenschaftler noch Philosophen in genügendem Maße bereit sind oder sich imstande sehen, die Frage »Was ist Wirtschaft?« zu untersuchen, so bedeutet dies, dass sich für diese Frage niemand so recht als zuständig ansieht. In letzter Konsequenz wird damit die Frage »Was ist Wirtschaft?« aus der seriösen wissenschaftlichen Diskussion herausgenommen. Das müsste Befremden erregen; denn angesichts der ungeheuren Bedeutung, die die moderne Wirtschaft für das Leben der Menschen angenommen hat und angesichts der unabschätzbaren Auswirkungen, die sie auf das Leben auf diesem Planeten insgesamt ausübt, könnten Untersuchungen über das Wesen der Wirtschaft von großem allgemeinem Interesse sein. Die Frage »Was ist Wirtschaft?« zieht sich als ein Leitthema durch die Ausführungen dieses Buches. Dabei wird sich zeigen, dass es eine eindeutige Definition von Wirtschaft nicht gibt; möglich ist es indes, Aspekte dessen, was unter Wirtschaft sinnvoll verstanden werden kann, einander zuzuordnen und in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen. Eine besondere Rolle für die Klärung dieser Frage spielen die modernen Wirtschaftswissenschaften. Denn die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft kann nicht ohne eine gründliche Kenntnis ihrer Positionen angegangen werden, wenn sie auch aus einer kritischen Distanz dazu in philosophischen Horizonten untersucht werden muss. Die zweite Frage im Titel dieses Kapitels »Was ist die Wissenschaft von der Wirtschaft?« muss also gestellt werden, wenn es um das Wesen der Wirtschaft geht, da man, ohne sie zu klären, nicht Zur Entstehungszeit der Wirtschaftswissenschaften, die damals »Politische Ökonomie« genannt wurde, war das anders. Adam Smith (1723–1790) war noch Professor für Moralphilosophie. Der letzte, der sich innerhalb eines Entwurfs Praktischer Philosophie mit der Wirtschaft beschäftigte, war Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). Es gibt zwar auch heute von philosophischer Seite Versuche, Erhellendes zum Verständnis der Wirtschaft (vgl. etwa Kambartel 1998) beizutragen, aber in der Regel bestätigt ihr mangelndes Wissen über ökonomische Argumentationen die Unzuständigkeit der Philosophie für die Wirtschaft.

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Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

kompetent über Wirtschaft reden kann. Mit der Beantwortung dieser Frage ist die Frage nach der Wirtschaft jedoch keineswegs hinreichend beantwortet. In diesem, wie auch in dem folgenden Kapitel beschäftigen wir uns primär mit der Frage »Was ist die Wissenschaft von der Wirtschaft?« Unser Blick auf die Wirtschaftswissenschaften wird aber bereits in diesen Kapiteln wesentlich geprägt durch die Frage »Was ist Wirtschaft?«, wie sie in späteren Teilen dieses Buches ausführlich thematisiert wird. Im Abschnitt 1.2 dieses Kapitels führen wir einige für jeden Zugang zu wirtschaftlichen Phänomenen grundlegende Unterscheidungen ein. Vor diesem Hintergrund wollen wir in Abschnitt 1.3 zwei verschiedene Formen des Wissens von der Wirtschaft unterscheiden: Ein Wissen aus der Innen- und eines aus der Außenperspektive: Ersteres ist das Wissen der Handelnden in der Wirtschaft, letzteres das Wissen über die Wirtschaft. Da beide Perspektiven für die Entstehung der Wirtschaftswissenschaften von zentraler Bedeutung waren, wird in den Abschnitten 1.4 und 1.5 die Herausbildung der Idee einer Wissenschaft von der Wirtschaft aus der »Politischen Ökonomie« erläutert. Während die Politische Ökonomie des späten 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die beiden genannten Perspektiven kombinierte, ist der Übergang von der Politischen Ökonomie zur reinen Wissenschaft von der Wirtschaft, der am Ende des 19. Jahrhunderts stattfand, charakterisiert durch eine Gewichtsverschiebung zugunsten der Außenperspektive, die bis heute die Wissenschaft von der Wirtschaft prägt. In den Abschnitten 1.6 bis 1.8 werden wesentliche Aussagen und Zusammenhänge des heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Ansatzes auf der Basis einer für fast alle Vorgehensweisen geltenden Grundannahme entwickelt. Es handelt sich um die Annahme, der wirtschaftende Mensch sei als egoistischer rationaler Nutzenmaximierer, als Homo oeconomicus, zu beschreiben. Gleichzeitig sollen die drei folgenden Fragen beantwortet werden: (i) Was leistet der ökonomische Ansatz, (ii) wo sind seine Grenzen, und (iii) wo müsste er durch andere Vorgehensweisen ergänzt werden, um dem jeweiligen Problem gerecht zu werden. Die Grenzen des vorherrschenden Paradigmas haben zu verschiedenen neuen wirtschaftswissenschaftlichen Entwicklungen geführt. Neben der Spieltheorie, die ursprünglich aus der Mathematik stammt (vgl. z. B. Leonard 1995), ist insbesondere die in den fünfziger Jahren entstandene Public Choice (Neue Politische Ökonomie) zu erwähnen, deren Grundfragen auf 25 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

Hobbes (1588–1679) und Locke (1662–1704) zurückgehen. Annahmen und Resultate der Public Choice werden in Abschnitt 1.9 skizziert. Inhärente Erklärungsgrenzen dieses Ansatzes bezüglich der Existenz demokratischer Staaten sowie des langfristigen Erhalts der Umwelt lassen es sinnvoll erscheinen, das Konzept des Homo oeconomicus, das in der Public Choice wie auch sonst in den modernen Wirtschaftswissenschaften verwendet wird, zu ergänzen. Diese Ergänzung wird nicht im Rahmen dieses Kapitels stattfinden; sie ist Gegenstand der Ausführungen in Kapitel 4.

1.2 Allokation und Distribution, Mengen und Werte Wenn man eine Wirtschaft phänomenologisch betrachtet, so wird man zunächst auf äußerlich sichtbare Abläufe aufmerksam. Dazu gehören: Förderung von Rohstoffen, Herstellung von Vor- und Zwischenprodukten, von Kapitalgütern und Konsumgütern, der Transport all dieser Güter, ihr Verbrauch in Produktion und Konsum, die damit einhergehenden Umweltbelastungen einschließlich des dabei entstehenden Abfalls. Es geht hier um Prozesse auf der Ebene der Materie und der Umwandlung von Materie mit Hilfe von Energie. Alle damit zusammenhängenden Fragestellungen werden unter dem Mengenproblem zusammengefasst; denn es werden nur Bestände und Bewegungen von Mengen betrachtet. Damit Bewegung und Transformation von Materie als wirtschaftliche Phänomene anzusehen sind, muss ein wesentlicher Gesichtspunkt hinzukommen. Diese Phänomene müssen Resultate des menschlichen Wirtschaftens sein. Damit ist gemeint: Ihnen müssen Entscheidungen zugrunde liegen, mit denen Menschen ihre Ziele festlegen und die Mittel bestimmen, die zu ihrer Erreichung erforderlich sind. Nur im Schlaraffenland muss man nicht wirtschaften und ist von der Last befreit, Entscheidungen darüber zu fällen, wie man im Verein mit anderen sein Leben erhält, welche Bedürfnisse man in welchem Ausmaß erfüllt und welche Tätigkeiten welche Personen zu welchen Zeiten verrichten. Aber schon auf der Stufe einer Sammler- und Jägergesellschaft treten elementare Formen der Arbeitsteilung auf: Es muss bestimmt werden, sei es durch Tradition oder Überlegung, wer Beeren und Körner sammelt, wer für die Vorratshaltung, wer für die Herstellung der dafür notwendigen Gefäße zuständig ist, wer jagen soll, wer die Jagdwaffen herstellt, wer für 26 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

Dienstleistungen wie die Nahrungszubereitung, das Aufziehen von Kindern oder den Schutz vor Tieren und Feinden verantwortlich ist usw. Neben diesen produktiven Tätigkeiten müssen darüber hinaus die hergestellten und erworbenen Verbrauchsgüter in irgendeiner Weise auf die Mitglieder der Familie oder Gruppe verteilt werden. In diese Verteilung gehen, explizit oder implizit, Gerechtigkeitsüberlegungen ein. In der Sprache der Ökonomen nennt man die mit der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen verbundenen Fragestellungen das Allokationsproblem und die mit der Aufteilung verbundenen das Distributionsproblem. Der genannte Gesellschaftstyp weist bereits ein typisches Charakteristikum des Wirtschaftens auf: Es werden Bestände an dauerhaften Produktionsmitteln, wie Gefäße und Waffen, und an dauerhaften Konsumgütern, wie Bekleidung und Behausung, angefertigt. In ökonomischer Terminologie handelt es sich hierbei um Kapitalgüter. Dies sind Güter, die für die Produktion oder den Konsum Dienstleistungen bereitstellen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Kapitalgütern und den Strömen an Dienstleistungen, die diese im Laufe der Zeit liefern: Kapitalgüter ermöglichen es, für die Zukunft vorzusorgen. Dies ist eine wesentliche Weise, wie durch wirtschaftliche Tätigkeiten Gegebenheiten zu unterschiedlichen Zeiten miteinander verknüpft werden. Je verschiedenartiger und umfangreicher die Kapitalgüterbestände für die Produktion sind, desto besser kann die Gesellschaft mit Konsumgütern ausgestattet werden. Mit dem Wachstum von Kapitalgüterbeständen einer Gesellschaft werden aber auch die damit verbundenen Tätigkeiten vielfältiger und zugleich müssen sie in zeitlicher Hinsicht genauer koordiniert werden. So muss in einer Agrarwirtschaft das Pflügen, Säen, Wässern, Ernten, Dreschen in zeitlich abgestimmter Abfolge geschehen. Allerdings bringen die Vielfalt der Kapitalgüter und die in zeitlicher Hinsicht aufeinander abgestimmte Nutzung ihrer Dienstleistung eine Gefahr mit sich. Wird z. B. durch eine Unwetterkatastrophe das Bewässerungssystem zerstört oder der Bestand an Saatgut für das nächste Frühjahr durch Brand vernichtet, so wird es zu Hungersnöten kommen, falls nicht Vorsorge getroffen wurde. Seitdem Menschen angefangen haben, Mengen von Gütern bzw. Dienstleistungen zu tauschen, müssen bei der Betrachtung einer Wirtschaft auch die Verhältnisse berücksichtigt werden, in denen diese Mengen getauscht werden. Das Tauschen ermöglicht es, auf27 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

grund der erhöhten Arbeitsteilung sowie aufgrund der in regionaler Hinsicht unterschiedlichen Produktionsbedingungen, die Güterproduktion für alle Beteiligten zu erhöhen. Der Tausch erfolgte zuerst als Naturaltausch. Später ging man zum Warengeld über, indem eine besondere Ware als Tauschmittel gewählt wurde, das gegen alle anderen Waren eingetauscht werden konnte. Diese Ware konnte als Recheneinheit verwendet werden. Dadurch war es möglich, die Zahl der Austauschverhältnisse der n Waren sehr stark zu verringern (nämlich von (n-1) n/2 auf n-1), was zu einer großen Verringerung der Informationserfordernisse führte. Auch konnte das Warengeld nun als Wertaufbewahrungsmittel verwendet werden. Insbesondere konnte man den Verkauf einer Ware sowohl in regionaler als auch in zeitlicher Hinsicht voneinander trennen. Dadurch war es möglich, die Zeit pro Tausch wesentlich zu verringern und aufgrund eines einheitlichen Preises das gewünschte Gut zu einem günstigeren Preis zu erhalten. In der Sprache der Ökonomen bedeutet dies, dass die Transaktionskosten 2 durch die Einführung des Warengeldes gesenkt wurden. Mit der Benutzung von Geld in Form von Münzen wurde dieser Prozess weiter vorangetrieben. Dies führte zu einer Ausdehnung des Handels: Kleinräumige Wirtschaften wurden nun Teile von Großräumen, die Zahl der Güter vermehrte sich, die Spezialisierung in den Wirtschaften wuchs und die Komplexität der intertemporalen Entscheidungen nahm zu. Damit wurde eine Dynamik ausgelöst, die dazu führte, dass Wirtschaften nicht mehr als ein stationärer, immer gleichbleibender Ablauf erschien, sondern als ein sich fortlaufend verändernder Prozess. Mit dem Naturaltausch tritt ein wichtiges Moment des Wirtschaftens in Erscheinung, dass ohne den Tausch häufig nur implizit bleibt: das Moment des Bewertens, Kalkulierens und Entscheidens. Es müssen das zu verkaufende und das zu kaufende Gut bewertet werden, d. h. der Wert einer bestimmten Menge des einen Gutes muss in einer bestimmten Menge des anderen Gutes ausgedrückt werden, es muss in einem Vergleich dieser beiden Größen der eigene Vorteil kalkuliert werden und es muss schließlich unter Berücksichtigung allgemeiner Unsicherheit und insbesondere der Vertrauenswürdigkeit des Tauschpartners entschieden werden, ob der Tausch tatsächlich durchgeführt werden soll. Zwar spielen auch bei Transaktionskosten sind die Kosten, die im Rahmen der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Tauschakten entstehen.

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Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

Entscheidungen über die Allokation und Distribution innerhalb einer Sammler- und Jägergesellschaft Bewertungen und Kalküle eine Rolle. Aber man erkennt, dass solche Entscheidungen innerhalb gleichbleibender oder sich nur wenig verändernder Strukturen sehr viel einfacher sind, als die Entscheidungen bei Tauschakten, bei denen sich die Bedingungen dauernd ändern. Folglich gewinnen die Tätigkeiten des Bewertens, Kalkulierens und Wählens sowie ihre Auswirkungen in einer dynamischen Geldwirtschaft sprunghaft an Bedeutung. Aufgrund dieser Zusammenhänge hat sich eine Struktur herausgebildet, bei der sich das Vergleichen, Bewerten und Kalkulieren von den Bewegungen und Transformationen der Materie abgelöst hat: das Preissystem. Innerhalb dieses Systems kommen die Rohstoffe, Hilfs-, Zwischen- und Kapitalgüter, die Export- und Importgüter, die Konsumgüter und Dienstleistungen nur in ihrer bewerteten Form, also in Preisen, Kosten, Zinsen, Gewinnen, Dividenden, Renten, Umsätzen etc. vor. Diese Art des Bewertens ist von der Struktur her die gleiche beim einfachen Naturaltausch wie bei einer der komplizierten Transaktionen auf den heutigen Finanzmärkten. Alle damit zusammenhängenden Fragestellungen werden unter dem Wertproblem zusammengefasst. Neben der Einführung von Geld wurden im Laufe der Zeit weitere institutionelle Änderungen zur Senkung der Transaktionskosten des Tausches erfunden. Dies betrifft insbesondere die Kreditwirtschaft. So ermöglicht der Zins und später der Wechsel, einen Tausch zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorzunehmen: Der Borgende bzw. Käufer erhält eine Summe Geld bzw. die Ware und zahlt diese Summe bzw. die Ware mit Zins zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Damit treten intertemporale wirtschaftliche Verflechtungen aufgrund von finanziellen Transaktionen auf. Mit der Einführung der Banken, des Kreditwesens und der Buchhaltung nahm diese Art von wirtschaftlicher Tätigkeit zu. Wie der exponentiell wachsende Umfang der Finanztransaktionen der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt hat 3 , ist diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Bei der Untersuchung des Wertproblems wird ein wesentlich höherer Abstraktionsgrad gefordert als beim Mengenproblem. Dies So beträgt das weltweite Tagesvolumen der finanziellen Abschlüsse weit mehr als das Tausendfache des Wertes der täglichen Weltproduktion.

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

ist einer der Gründe, warum wirtschaftliche Zusammenhänge nicht wirtschaftswissenschaftlich ausgebildeten Menschen häufig schwierig zu vermitteln sind. Beispiele dafür sind Spekulationen auf den Finanzmärkten oder die Vergabe von Lizenzen für CO2 -Emissionen, die dem Besitzer das Recht einräumen, die Umwelt zu belasten. Für die Wirtschaftswissenschaften, die sich insbesondere mit dem Wertproblem beschäftigen, ist die Analyse der Grundlagen der Bewertung von zentraler Bedeutung. Auf diese Grundlagen wird in Abschnitt 1.6 eingegangen werden.

1.3 Das Wissen in der Wirtschaft und das Wissen über die Wirtschaft: Die Innenperspektive und die Außenperspektive Betrachtet man die Wirtschaft, so muss man die beiden in der Überschrift genannten Formen des Wissens unterscheiden. Ersteres ist das Wissen der Wirtschaftssubjekte. Es gehört in die Innenperspektive einer Wirtschaft: Die Wirtschaft wird von innen betrachtet, aus der Sicht der Beteiligten. Folglich existiert die Innenperspektive nur im Plural, nämlich in ihren individuellen Ausprägungen. Dennoch gibt es dabei einen Wissensbestand, der einer größeren Anzahl von Wirtschaftssubjekten gemeinsam ist. So wissen Landwirte in der Regel gut über Boden, Saatgut und Klimabedingungen Bescheid. Ähnliches gilt für Handwerker und Unternehmer. Zu diesem Wissen gehört auch die Kenntnis sozialer Regeln, wie etwa die Art, mit Mitarbeitern und Kunden umzugehen, das Einhalten von Verträgen, die Zahlung von Steuern usw. Dieses Wissen innerhalb der Wirtschaft ist kein theoretisches Wissen, das man in Lehrbüchern nachlesen kann, es ist vielmehr ein Handlungswissen oder ein Praxiswissen, das unmittelbar mit wirtschaftlichen Tätigkeiten verknüpft ist, häufig so eng, dass es unabhängig von diesen gar nicht vorhanden ist. So kann dieses Wissen oft auch nicht in Worte gefasst werden. Bittet man z. B. einen Töpfer, die Fertigung eines Gefäßes zu erklären, dann antwortet er stattdessen meist, man möge ihm doch zuschauen. Ähnlich können viele Unternehmer wichtige Entscheidungen letztlich nicht begründen, da sie diese intuitiv getroffen haben. Das Praxiswissen in der Innenperspektive der Wirtschaft ist darüber hinaus seiner Natur nach weder wertfrei noch objektiv. Es ist nämlich mit einem personenbezogenen, 30 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

manchmal auch mit einem gemeinschafts- und kulturgebundenen Interesse verknüpft. Das Wissen innerhalb der Wirtschaft wird immer in einem bestimmten Kontext verwendet, sei es der Kontext der eigenen Lebensgestaltung, der eigenen Bedürfnisbefriedigung, der Ausschaltung eines Konkurrenten zur Erzielung höherer Gewinne, der Übervorteilung eines Kunden oder der Erschließung eines neuen Marktes – sei es aber auch der Kontext sozialer oder religiöser Regeln, die einem sagen, dass man dieses tun und jenes lassen soll. Somit ist das Wissen in der Wirtschaft stets mit einem besonderen Gesichtspunkt verbunden, nämlich dem Gesichtspunkt desjenigen, der es einsetzt. Neben dem Praxiswissen der Beteiligten, das aus der Innenperspektive hervorgeht, gibt es das Wissen unbeteiligter Beobachter, die gegenüber dem wirtschaftlichen Geschehen eine Außenperspektive einnehmen. Sie beobachten die Förderung von Rohstoffen, die Art der Herstellung und Verteilung von Gütern, ihren Verbrauch, die mit der Produktion und dem Konsum einhergehende Umweltverschmutzung, das Handels-, Kredit- und Bankensystem, das Steuersystem, die Wirtschaftsgesetze und viele andere Institutionen. Darüber hinaus sammeln sie Informationen über die Gesamtwirtschaft, etwa über die Zahl der Beschäftigten und der Arbeitslosen, die Höhe des Sozialproduktes und der Investitionen usw. All dies umfasst Wissen, das zwar die an der Wirtschaft selbst direkt Beteiligten im Rahmen ihrer Tätigkeit häufig gar nicht für nötig halten, das aber für alle diejenigen, die eine Übersicht über größere wirtschaftliche Zusammenhänge etwa im Rahmen eines Territorialstaates gewinnen wollen, von größter Bedeutung sein kann. Das Praxiswissen der Innenperspektive ist immer Gebrauchswissen, das Wissen über die Wirtschaft der Außenperspektive ist seiner Idee nach nicht notwendig für den Gebrauch bestimmt. 4 Das schließt allerdings nicht aus, dass gerade das Wissen über die Wirtschaft sich als besonders brauchbar erweisen kann, etwa für Maßnahmen der Wirtschaftspolitik. So kann es politische und wirtschaftliche Interessen geben, derartiges Wissen zu erwerben und zu vergrößern. Diese Interessen entstehen besonders dann, wenn die an einer Wirtschaft beteiligten Akteure, Haushalte, Unternehmer oder Wirtschaftspolitiker erkennen müssen, dass ihr in der Innenperspektive

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Vgl. zu dieser Unterscheidung Wieland (1982).

31 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

gewonnenes Wissen nicht mehr ausreicht, um sich in der Komplexität wirtschaftlicher Abläufe zu orientieren.

1.4 Der Ursprung der Wissenschaft von der Wirtschaft: Die Politische Ökonomie 1.4.1 Die Herkunft der Idee einer Politischen Ökonomie als Wissenschaft Die Idee einer Wissenschaft von der Wirtschaft hat zwei Wurzeln. Die eine Wurzel, die Idee einer objektiven, wertfreien Wissenschaft, hat ihren Ursprung in der Antike, gewann aber ihre einzigartige Form in der europäischen Neuzeit, die eine Universal-Wissenschaft als durchgängig konsistentes System von Erkenntnissen anvisierte. Die andere Wurzel ist wesentlich älter und lässt sich in allen größeren politischen Einheiten finden. Dies ist die Idee, das Gedeihen des Gemeinwesens zu fördern, modern gesprochen: die Idee der Wirtschaftssteuerung. In jedem auch nur einigermaßen geordneten Gemeinwesen haben sich Regierende die Frage gestellt: Was können wir tun, um das Wohlergehen unseres Landes, unseres Reiches wiederherzustellen, zu bewahren oder zu steigern? Diese Frage, obgleich gelegentlich nur dem Eigeninteresse der Regierenden entsprungen, kann durchaus ein Interesse am Gedeihen des Ganzen bekunden, etwa in Fällen sozialer Unruhen aufgrund wirtschaftlicher Not vieler Bürger. Zur Steuerung einer Wirtschaft reicht das Wissen in der Wirtschaft häufig nicht aus. In solchen Fällen muss nämlich nach der ganzen Wirtschaft, ihrer Verfasstheit und ihren Entwicklungstendenzen gefragt werden, d. h. die Innenperspektive muss durch die Außenperspektive ergänzt werden. Der Weg von dem Wunsch, das Gedeihen des Gemeinwesens zu fördern, zu einer Wissenschaft von der Wirtschaft war allerdings sehr weit. Dazu war es erforderlich, das Praxiswissen innerhalb der Wirtschaft im Rahmen einer Außenperspektive zu sammeln, von seiner Personenbezogenheit und seinen kulturellen Kontexten abzulösen, auf Begriffe zu bringen und systematisch zu ordnen. Erst dieses geordnete Wissen versprach langfristig erfolgreiche Anwendungen in der Realität.

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Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

1.4.2 Zur Geschichte des Begriffs Politische Ökonomie Die Versuche einer wissenschaftlichen Darstellung der Wirtschaft wurden vom 17. bis ins 19. Jahrhundert als Politische Ökonomie bezeichnet. Im Deutschen war noch bis zu den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Ausdruck »Nationalökonomie« üblich. In beiden Begriffen kommt neben der Wirtschaft die Politik bzw. die Nation vor. So lautet auch der Titel des Hauptwerkes des Begründers der Volkswirtschaftslehre Adam Smith: »Der Wohlstand der Nationen« (1776). Für ihn ist die Politische Ökonomie eine »Lehre für den Staatsmann und Gesetzgeber« (Smith 1776/1978: 347). Will man nicht in der partikulären Innenperspektive verweilen, dann kann man über eine ganze Wirtschaft nur sprechen, wenn man den Staat sowohl als Adressaten wie auch als Mitakteur wirtschaftlicher Abläufe und wirtschaftlicher Rahmengebung mitberücksichtigt. Für Adam Smith erscheint die Politische Ökonomie vor ihm, insbesondere die des 17. Jahrhunderts, als ein ungeordnetes Konglomerat von Lehren. Er dagegen möchte Politische Ökonomie als Wissenschaft betreiben. Wirtschaftliche Phänomene treten dem Laien als zusammenhangloses Chaos entgegen. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft (science), »Ordnung in das Chaos der Erscheinungen zu bringen« (Smith 1776/1978: 347). Smith geht davon aus, dass man wirtschaftlichen Abläufen am besten gerecht wird, wenn man die Fülle der wirtschaftlichen Phänomene in einem sich selbst organisierenden ›System‹ beschreibt. Diese Art der Beschreibung einer Wirtschaft ist für die auf Smith folgende ökonomische Klassik paradigmatisch geworden. 5 Smith verschränkt in seinem »Wohlstand der Nationen« vielfach Innen- und Außenperspektive. So beschreibt er ausführlich wirtschaftliche Tätigkeiten wie etwa die Herstellung der Wolljacke eines Tagelöhners (Smith 1776/1978: 14 f.) oder die Fabrikation von Nägeln (ibid.: 9–14), wobei er sein Augenmerk auf das Wissen der Produzenten richtet. Von zentraler Bedeutung ist für ihn außerdem Hegel (1821/1970: 346 f.) hat darin die eigentliche Leistung der Wissenschaft von der Wirtschaft seiner Zeit gesehen. So bemerkt er in seiner Rechtsphilosophie: »Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft, die … die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und Verwicklung darzulegen hat. … Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke (s. Smith, Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet.«

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das Wissen, das die Wirtschaftssubjekte benötigen, um Tauschakte erfolgreich durchzuführen. Aus der Betrachtung dieses konkreten und partikulären Handlungswissens gewinnt Smith jedoch Einsicht in abstrakte und allgemeine Prinzipien und Gesetze, die, wie er glaubt, das gesamtwirtschaftliche System bestimmen. Diese Einsicht ist die Basis einer wissenschaftlichen Beschreibung der Wirtschaft in der Außenperspektive. 6 Die Politische Ökonomie ist bei Smith zwar als Wissenschaft von der Wirtschaft konzipiert, aber wesentlich durch zwei politischpraktische Aspekte geprägt, die sie mit der Praktischen Philosophie des 18. Jahrhunderts verbinden. (i) Die Politische Ökonomie spricht den Staatsmann an, um nützliche Erkenntnisse für seine politischen Entscheidungen bereitzustellen. Das Ziel der Politischen Ökonomie ist jedoch nicht, wie bei Smiths Vorgängern, die Mehrung des Staatsschatzes, sondern die Erhöhung der Einkommen der Bevölkerung und damit die Steigerung ihres Lebensstandards. Damit geht es nicht mehr um das ›gute Leben‹ des Landesherrn, sondern um das Wohl der Mitglieder des von ihm beherrschten Territoriums. (ii) Das gute Leben der Mitglieder der Gesellschaft aber ist nicht ein Ziel, das der Landesherr durch eigenes Handeln erreichen soll, so wie ein Vater für das gute Leben seiner Kinder sorgt. Er kann nur dadurch zu diesem Ziel beitragen, dass er wirtschaftliche Freiheitsrechte für mündige Wirtschaftssubjekte gewährt. Demgemäß schreibt Smith, die Aufgabe der Politischen Ökonomie sei es zu untersuchen, »wodurch der Einzelne in die Lage versetzt werden kann, beides (reichliches Einkommen und Lebensunterhalt, d. V.) für sich selbst zu beschaffen« (Smith 1776/1978: 347). Der Staatsmann soll die Wirtschaftenden und die Wirtschaft als Ganzes aus dem Gängelband des Staates entlassen, den Individuen genügend Freiraum gewähren und sie damit in den Stand versetzen, selbst für sich zu sorgen. Mit diesen Gedanken will Smith die Freiheit des Einzelnen, selbst über seine wirtschaftlichen Handlungen zu entscheiden, verstärken. Größtmöglicher Wohlstand und größtmögliche Freiheit für Die heute verwendete Bezeichnungsweise ›Wirtschaftswissenschaften‹ umfasst sowohl die Volkswirtschaftslehre als auch die Betriebswirtschaftslehre. Bei ersterer wird die Volkswirtschaft als Ausgangspunkt gewählt, bei letzterer der Betrieb. Da aufgrund der Globalisierung zunehmend beide Sichtweisen verwendet werden müssen, nimmt die Schnittmenge zwischen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre ständig zu.

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den Einzelnen sind die beiden normativen Postulate, die der Politischen Ökonomie von Smith und seinen Nachfolgern zugrunde liegen. Für Smith ist die Wirtschaft somit ein System, dessen Funktion für das politische Ganze am besten gewährleistet wird, wenn man dem Selbstinteresse darin weitgehend freien Lauf lässt. Denn nur auf diese Weise ist es möglich, das gesamte, vielfältige personale Handlungswissen in der Wirtschaft für das Wohl der Mitglieder der Wirtschaft und für das Wohl der ganzen Gesellschaft nutzbar zu machen. Smith bezeichnet dieses System als »System der natürlichen Freiheit«. Dieses System wird in Kapitel 3 Abschnitt 3.6.1 näher erläutert. 1.4.3 Welche Eigenschaften sollte ein Politischer Ökonom besitzen? Als Politische Ökonomie stellt die Wissenschaft von der Wirtschaft Fragen, die sie nur in Verbindung mit der Praktischen Philosophie beantworten kann, während umgekehrt die Praktische Philosophie an Realitätsgehalt gewinnt, wenn sie die Erkenntnisse der Politischen Ökonomie berücksichtigt. Solche Fragen lauten: Wie gedeiht eine Gesellschaft am besten? Welchen Beitrag kann die Wirtschaft zu diesem Gedeihen leisten? Welche Ratschläge sollten gute Ökonomen geben, damit der Staat das Richtige für die Wirtschaft tut und das Falsche unterlässt? Welche Rolle spielen Märkte, welche Privilegien, Regelungen und Deregulierungen, welche der Außenhandel? Wo in der Wirtschaft wird das Sozialprodukt gebildet (Allokationsproblem) und wie wird es auf die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden verteilt (Distributionsproblem)? Zu der Beantwortung dieser Fragen ist es erforderlich zu wissen, welche Ursachen wirtschaftliche Phänomene haben, wie diese zusammenhängen, sowie wo und wie man in die Wirtschaft eingreifen kann, um bestimmte Wirkungen zu erreichen; man muss m. a. W. wissen, wie die Wirtschaft funktioniert. Aber der Politische Ökonom im Sinne von Smith muss jenseits dieses Wissens noch ganz andere Fähigkeiten besitzen, Fähigkeiten, die auf die Felder der Praktischen Philosophie und der Politik verweisen: (i) Der Politische Ökonom, der Ratschläge für ein gutes Leben geben will, muss Kriterien für das angeben können, was ein gutes Leben ist. Er wird sich u. a. mit folgenden Fragen konfrontiert sehen: 35 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Lebt man nur dann gut, wenn man den Geboten einer Religion gehorcht? Oder gibt es allgemeine Regeln der Vernunft, deren Befolgung ein gutes Leben sichert? Oder besteht ein gutes Leben darin, dass man möglichst viel erwirbt, möglichst viel ausgibt, möglichst viel Spaß hat, möglichst große Macht erlangt? Lässt sich überhaupt etwas Allgemeines über das gute Leben aussagen, oder kann bzw. muss letztlich jeder einzelne selbst entscheiden, was ein gutes Leben ist? In der Geschichte des Denkens hat man, je nachdem, wie man dazu Position bezog, auch die Frage, welches die beste Güterverteilung im Sinne des guten Lebens sei, unterschiedlich beantwortet, beginnend bei Platon und Aristoteles mit ihren Ausführungen über das ›gute Leben‹ bis hin zur modernen Wohlfahrtsökonomik mit ihrer Idee des ›besten Lebens‹ (s. u. Kapitel 2). Ökonomen wie Adam Smith und später James Stuart Mill haben eigenständige philosophische Ethiken konzipiert und waren dadurch fähig, für derartige Probleme begründete Lösungen vorzuschlagen (vgl. z. B. Hottinger 1998). (ii) Die großen Denker der Politischen Ökonomie haben sich nicht damit begnügt, Aussagen über das gute Leben zu formulieren, sondern sie haben es auch als ihre Aufgabe angesehen, ihre Kenntnisse und Einsichten der Öffentlichkeit zu vermitteln und sie dort zu vertreten. Der Politische Ökonom muss also bereit sein, an politischen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Vielfach wird er viele Jahre für seine Ideen in der Öffentlichkeit kämpfen müssen, um einen Konsens zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist John Stuart Mill, der sich nach dem Hungerwinter in Irland 1847 intensiv gegen ein zu weitgehendes »Laissez Faire« und für staatliche Sozialfürsorge einsetzte; zu diesem Zwecke ließ er sich sogar in das Parlament wählen. (iii) Neben der Vertrautheit mit Argumentationen der Praktischen Philosophie und dem politischen Engagement benötigt der Politische Ökonom eine Fähigkeit, die sich am besten mit dem Ausdruck Urteilskraft bezeichnen lässt: Diese kann sich nur vor dem Hintergrund der Innenperspektive des Praxiswissens bilden. Wie Wieland (1998) erläutert, zeichnet sich ein guter Richter dadurch aus, dass er ein Gespür für den zu behandelnden Fall hat, dass er etwas sieht, was in keinem Paragraphen und keinem Lehrbuch steht. Ein solches Wissen braucht auch derjenige, der kompetent Ratschläge zur Wirtschaft erteilen will. So muss der Politische Ökonom, der seine Ideen in politischen Prozessen zur Wirkung bringen will, ein Gespür für die Macht von Interessengruppen entwickeln und überlegen, wie er seine Vorstellungen mit oder auch gegen diese Gruppen 36 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

durchsetzen kann. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die Politische Ökonomie noch bis ins 19. Jahrhundert nicht als Wissenschaft (science), sondern als Kunst (art) aufgefasst wurde. Hierzu gehört auch ein bestimmtes Können, über das zum Beispiel ein Unternehmer verfügen muss, will er sich in der Praxis bewähren. Berücksichtigt man diese drei Aspekte, so überrascht es nicht, dass die Politische Ökonomie im Sinne von Adam Smith (1723– 1790) und seinen Nachfolgern bis ungefähr 1870 und in vielen Ländern noch weit darüber hinaus als eine Sozialwissenschaft, eine Wirtschaftswissenschaft im Kontext konkreter, in einer Gesellschaft bestehender Probleme und Aufgaben angesehen wurde: »Die Kritik des Adam Smith an seiner zeitgenössischen Gesellschaft und ihren Einrichtungen … bedeutete nichts anderes als eine in das Herrschaftsgefüge eingreifende Wissenschaft … Politische Ökonomie im Sinne von Adam Smith ist kritische Sozialwissenschaft, oder über Smiths Zeit hinausweisend mit den Worten Edgar Salins: ›Alle ökonomische Wissenschaft ist Sozialwissenschaft, ist Staatswissenschaft und darum immer … politische Ökonomie‹« (Bürgin 1993: 389). Man betreibt Wirtschaftswissenschaft, um der Gesellschaft zu nützen, indem man vernünftige und der Situation angemessene politische und soziale Empfehlungen gibt.

1.5 Von der Kunst der Politischen Ökonomie zur Idee einer reinen Lehre von der Wirtschaft Mit Smiths »Wohlstand der Nationen« beginnt die ökonomische Klassik, zu deren bedeutendsten Vertretern Thomas Robert Malthus (1766–1834), David Ricardo (1772–1823), John Stuart Mill (1806– 1873) und Karl Marx (1818–1883) gehören. Dabei teilten insbesondere Mill und Marx, trotz ihres gegensätzlichen Verständnisses von Geschichte und Gesellschaft, die umfassende sozialwissenschaftliche und praktische Ausrichtung der Politischen Ökonomie. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann indes in den angelsächsischen Ländern sowie in Frankreich, Italien und Österreich eine Auffassung an Einfluss, die die Leistung der Politischen Ökonomie der Klassik nicht mehr darin sah, dass sie sich als umfassende, an bestimmte zeitgenössische Adressaten gerichtete Sozialwissenschaft darstellte. Die Klassik, so deutete man es nun, hatte zu einem entscheidenden Schritt angesetzt, dem Schritt, der von bloßer 37 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Kunst zu strenger Wissenschaft führte. Diesen Schritt wollten verschiedene Ökonomen, die zu Beginn der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts hervortraten, u. a. Leon Walras (1834–1910), Stanley Jevons (1835–1882) und Carl Menger (1842–1921), vollenden, indem sie eine reine Wissenschaft von der Wirtschaft entwarfen, deren Erkenntnisse zeitlose Gültigkeit beanspruchen sollten. In dieser reinen Wissenschaft unterliegen wirtschaftliche Prozesse einer eigenen, vom kulturellen, politischen und sozialen Kontext idealiter vollständig ablösbaren Gesetzmäßigkeit. Für diese neue Sicht wurde der Ausdruck ›Politische Ökonomie‹ als Bezeichnung für die Wissenschaft von der Wirtschaft missverständlich, da er, jedenfalls in der Zeit nach Smith, gleichermaßen den Versuch, wirtschaftliche Prozesse in gegebenen Situationen wirtschaftspolitisch zu steuern, und die wissenschaftliche Erfassung sich selbst überlassener Wirtschaftsabläufe bedeuten konnte. Diese Mehrdeutigkeit führte dazu, dass die Wissenschaft von der Wirtschaft statt als Politische Ökonomie im angelsächsischen Bereich als economics (Ökonomik) bezeichnet wurde. Die reine Wissenschaft von der Wirtschaft, die Ökonomik, ist ganz aus der Außenperspektive konzipiert. Sie fragt danach, wie eine Wirtschaft unter idealen Umständen, d. h. unter Absehung von allen Änderungen nicht-wirtschaftlicher Gegebenheiten abläuft und sich entwickelt. Dabei setzt man voraus, dass die Wirtschaft isoliert von natürlicher Umwelt, Politik, Kultur und Religion betrachtet werden kann als ein aus allen Kontexten ablösbares System. Will man die Abläufe einer derart idealisierten Wirtschaft erklären, so kann man sich nicht darauf beschränken, einzelne Teilbereiche, wie die Produktion, die Nachfrage, die Einkommensverteilung, die staatlichen Tätigkeiten oder den Arbeitsmarkt zu beobachten, sondern man muss die Gesamtwirtschaft einschließlich aller wesentlichen Prozesse sowohl während einer Periode als auch im zeitlichen Ablauf untersuchen. Erst diese Voraussetzung ermöglicht es, strenge Gesetzmäßigkeiten im Wenn-dann-Sinn zu formulieren und damit eine Ökonomik als strenge Wissenschaft zu etablieren. Es ist nicht mehr notwendig, die Wirtschaft zu verstehen, indem man sich mit dem Wissen und den Zielen der Wirtschaftssubjekte innerhalb ihrer Innenperspektive beschäftigt, es genügt vielmehr, die Gesetze zu kennen, denen das Handeln der Wirtschaftssubjekte unterliegt. In dieser Entwicklung gingen praktisch-philosophische, politische und auch ökologische Dimensionen mehr und mehr verloren. 38 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Nicht wenige Ökonomen erklärten sich für die praktisch-philosophischen Momente der Politischen Ökonomie ebenso unzuständig wie für die politische Realisierung ihrer Ideen im Tagesgeschäft. Gewonnen wurde mit der reinen Ökonomik auf der anderen Seite jedoch ein theoretisches Instrumentarium von solcher analytischen Schärfe, wie es die ökonomischen Klassiker sich nie hätten vorstellen können.

1.6 Das Menschenbild der Wissenschaft von der Wirtschaft: Der Homo oeconomicus Das Vorgehen der modernen Wirtschaftswissenschaften ab dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, das der Neoklassik, orientiert sich an den mathematischen Naturwissenschaften, insbesondere der Physik. 7 Auf der Basis weniger Axiome werden Modelle mit mathematischer Symbolik und Methode formuliert. Alle Bewertungen innerhalb einer Wirtschaft, damit alle Kosten, Preise, Zinsen etc. müssen in den heute üblichen wirtschaftswissenschaftlichen Modellen auf die an der Wirtschaft beteiligten Individuen zurückgeführt werden. Gesamtwirtschaftliche Größen ergeben sich aus aggregiertem individuellem Verhalten, individuelles Verhalten aber folgt konsequent aus individuellen Bewertungen. Eine grundlegende, vielleicht die zentrale Annahme ist die des Homo oeconomicus. 8 Sie bildet in den Wirtschaftswissenschaften die zentrale Grundlage für wirtschaftliche Bewertungen und damit für das Wertproblem. Der Homo oeconomicus gilt als ein egoistischer rationaler Nutzenmaximierer (vgl. z. B. Mueller 1995: 1 ff.). Er ist bestens informiert über sich selbst und die Welt, denn er kennt (i) seine Bedürfnisstruktur (in der Sprache der Ökonomik: seine Präferenzordnung), aus der seine Bewertungen hervorgehen, (ii) sein ihm zur Verfügung stehendes Einkommen und (iii) alle verfügbaren Handlungsmöglichkeiten. Daher ist er aufgrund seiner Rationalität stets in der Lage, die für ihn optimale ökonomische Entscheidung zu treffen. Was aber ist das Kriterium einer optimalen Entscheidung? Für Vgl. z. B. Mirowski (1984). Eine ausführliche Darstellung des Homo oeconomicus als eines grundlegenden Verhaltensmodells der Wirtschaftswissenschaften bietet Kirchgässner (1991). Für eine kritische Würdigung dieses Modells vgl. Manstetten (2000). Ein wichtiger Beitrag zu den Ursprüngen des Homo oeconomicus ist die Untersuchung von Hottinger (1998). S. auch u. Kapitel 3 u. 4 des vorliegenden Buches.

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den Homo oeconomicus ist es die optimale Befriedigung seiner Bedürfnisse gemäß den Wertungen, die ihm zu Eigen sind. Man geht nun davon aus, dass der Homo oeconomicus beliebige Werte, Interessen und Bedürfnisse haben kann, altruistische und egoistische, normale und krankhafte. In dieser allgemeinsten Fassung erlaubt die Annahme des Homo oeconomicus allerdings keine brauchbaren Vorhersagen. Für konkrete Modelle wird ein inhaltlich spezifizierter Homo oeconomicus benötigt. So wird ihm in der Regel ›Nicht-Sättigung‹ unterstellt. Das bedeutet: Der Homo oeconomicus will immer mehr von mindestens einem Gut haben, als er tatsächlich hat. Des Weiteren wird meistens angenommen, dass sein Wohlbefinden nicht von dem Wohlbefinden anderer Menschen beeinflusst wird. Das bedeutet: Neid und Mitleid sind dem Homo oeconomicus fremd. Die Annahmen der Nichtsättigung und der Unabhängigkeit der Bedürfnisse werden nicht nur aufgrund ihrer tatsächlichen oder unterstellten empirischen Relevanz verwendet, sondern häufig auch, weil sie zu wünschenswerten Lösungseigenschaften der betreffenden mathematischen Modelle führen, mit denen das Entscheidungsverhalten der Homines oeconomici erfasst werden soll. Alle diese Annahmen werden unterstellt, um das wirtschaftliche Verhalten der Menschen alleine aus der Außenperspektive beschreiben zu können. Denn so erscheint das wirtschaftliche Handeln ganz von Gesetzen bestimmt und berechenbar. Die hier vorgestellte Auffassung vom wirtschaftenden Menschen wird von nichtökonomischer Seite häufig entweder als unrealistisch oder als unmoralisch kritisiert. Allerdings ist »die Eigenschaft, sich selbst der Nächste zu sein, … phänomenologisch bei vielen Menschen anzutreffen. Die Annahme, dass Wirtschaftssubjekte vorrangig ihre eigenen Interessen verfolgen«, wobei sie auch u. U. unmoralisch agieren, soweit ihnen daraus kein erkennbarer Nachteil entsteht, »kann daher aussagekräftige Erklärungen ökonomischer Abläufe liefern« (Manstetten/Faber 1997: 123; s. auch Kapitel 14, Abschnitt 14.2.3). Überdies dient sie auch dazu, politische Empfehlungen zu begründen. So hat z. B. die Erhöhung der Abfallgebühren während der letzten zwei Jahrzehnte dazu geführt, dass Haushalte und Unternehmen für den Müll, den sie produzieren, mehr zahlen müssen als vorher. Damit lag es in ihrem Eigeninteresse, ihre Abfälle zu reduzieren. Eine solche Indienstnahme des Eigeninteresses ist häufig wirkungsvoller als moralische Appelle (Faber/ Stephan/Michaelis 1989). 40 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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1.7 Von der unsichtbaren Hand zum Pareto-Optimum Aufgrund der Homo-oeconomicus-Annahme können Ökonomen insbesondere plausibel machen, dass das aggregierte Verhalten vieler Homines oeconomici in vielen Fällen zu einem wirtschaftlich und gesellschaftlich wünschenswerten Ergebnis führt. Unter bestimmten Bedingungen kann man sogar sagen: Gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt kommt automatisch aufgrund des eigennützigen Handelns der Individuen zustande, ohne dass diese die positiven gesellschaftlichen Konsequenzen ihres Tuns beabsichtigen. Vereinfacht kann man diese ökonomische Argumentation in zwei Schritten darstellen: 1. Die Ökonomen trauen den Individuen genügend Verstand und Urteilskraft zu, um selbst in verschiedenen Tauschakten ihre eigenen Interessen am besten wahrnehmen zu können. Das bedeutet: Lässt man alle Individuen in einer Rechtsordnung so gewähren, wie sie sind, so werden sie im Rahmen ihrer Innenperspektive auf wirtschaftliche Vorgänge die besten Mittel und Wege herausfinden, um jeweils für sich ihren größten Nutzen zu erreichen. M. a. W. die Menschen sind in dieser Sicht nicht nur mündig genug, für sich selbst zu sorgen, sie können es aufgrund ihres eigenen Wissens besser als es irgend ein Vormund wie Kirche, Staat oder Partei u. a. ihnen vorschreiben könnte. Indem die Ökonomie die Freiheit des Individuums voraussetzt, knüpft sie an bedeutende philosophische und politische Theorien des 18. und 19. Jahrhunderts an. Dabei geht man davon aus, dass der Tausch von Seiten aller Beteiligten ein freiwilliger Akt ist. Egoistische Akteure werden nur dann tauschen, wenn sie davon überzeugt sind, nachher zumindest nicht schlechter dazustehen als vorher. Jeder der Akteure bewertet das, was er im Tausch erlangt, gleich oder höher als das, was er dafür gibt. Obwohl jeder beim Tausch nur an seinen eigenen Vorteil denkt, zeigt das Zustandekommen des Tausches, dass alle Beteiligten sich (subjektiv) besser, zumindest aber nicht schlechter stellen. 2. In einem zweiten Schritt lassen sich die am einzelnen Tauschakt gewonnenen Erfahrungen verallgemeinern und auf alle ökonomischen Prozesse beziehen. Das (vereinfachte) Resultat dieser Verallgemeinerung lautet: Die unabhängigen wirtschaftlichen Handlungen eigennütziger Akteure führen ohne deren Absicht zu einem gesamtwirtschaftlich optimalen Zustand. Die Individuen glauben, nur ihren eigenen Nutzen zu maximieren, aber sie werden gleichsam von einer unsichtbaren Hand dazu geführt, den Wohlstand der Ge41 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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sellschaft zu steigern. Dieses aus der Außenperspektive entwickelte Konzept der »Unsichtbaren Hand«, das durch Adam Smith prominent geworden ist (s. u. Kapitel 3, Abschnitt 3.8.2), basiert wesentlich auf dem Wettbewerb: Um seinen Nutzen zu maximieren, muss man Nützliches für andere produzieren, die ihrerseits aber frei sind, auch bei einem Konkurrenten einzukaufen. Damit besteht für jeden ein beständiger Anreiz, möglichst besser zu sein als die anderen – die Resultate dieses Bemühens aber kommen (idealerweise) allen zugute. Ökonomen, die in dieser Weise argumentieren, haben das ungeheure Potential an Kreativität bei Wissenschaftlern, Unternehmern und Ingenieuren hervorgehoben. Dieses Potential ist für die Wirtschaftsentwicklung von größter Bedeutung. Es wird am einfachsten aktiviert, wenn Kreativität sich rentiert. Die Freisetzung des Eigeninteresses führt zu technischem Fortschritt, zu anhaltendem Wirtschaftswachstum und bewirkt somit, dass immer mehr Bedürfnisse in immer höherem Ausmaße befriedigt werden können. Da das Konzept der Unsichtbaren Hand das Herzstück der meisten ökonomischen Theorien über soziale Wohlfahrt in diesem Jahrhundert darstellt, haben Wirtschaftswissenschaftler versucht, es auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Dies geschieht im Rahmen der Theorie des Allgemeinen Gleichgewichtes, dem Paradigma der modernen Ökonomie. 9 Hier wird in stringenter Weise auf der Grundlage weniger Axiome gezeigt, dass – in der Sprache der Ökonomie – unter der Annahme, dass die Konsumenten ihren Nutzen und die Unternehmer ihre Gewinne maximieren, die Wirtschaft zu einem optimalen Zustand gelangt. Optimal heißt hier, dass es nicht möglich ist, einem Individuum mehr zu geben, ohne ein anderes damit zu benachteiligen. Dieser Zustand wird als ein Pareto-Optimum bezeichnet, so benannt nach dem italienischen Soziologen und Ökonomen Vilfredo Pareto (1848–1923). Der Begriff des Optimums, wie er in dieser Aussage verwendet wird, hat deutlich normative Implikationen, die auf Momente einer sowohl individuell wie sozial relevanten Idee des guten Lebens verweisen. Aufgrund der Annahme der Nichtsättigung wird von ÖkoDie moderne Theorie des Allgemeinen Gleichgewichts (vgl. etwa Debreu 1959), das Kernstück der modernen Wirtschaftstheorie, wurde vor allem im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts entwickelt. Nicht wenige Wirtschaftswissenschaftler vertreten heute allerdings die Ansicht, dass die Spieltheorie das vorherrschende Paradigma der Wirtschaftswissenschaften sei (vgl. z. B. Leininger 1995).

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nomen nämlich unterstellt, dass aus der Sicht des Homo oeconomicus, d. h. aus der Perspektive der Individuen und damit aus mikroökonomischer Sicht, ein höheres Maß an Bedürfnisbefriedigung besser ist als ein geringeres. Nicht selten wird darüber hinaus auch aus gesamtwirtschaftlicher, d. h. makroökonomischer Sicht angenommen, dass es für eine Gesellschaft ›gut‹ ist, wenn möglichst viele Menschen möglichst viele Bedürfnisse, gleich, um welche es sich handelt, in einem möglichst hohen Maße befriedigen können. Dies ist eine eindeutig normative Annahme, die oft zur Basis von wirtschaftspolitischen Empfehlungen gemacht wird. Dass allerdings ein höherer Grad an Bedürfnisbefriedigung für Individuen und Gesellschaft, unabhängig davon, um welche Bedürfnisse es sich handelt, besser ist als ein geringerer, wird in der ökonomischen Theorie als selbverständlich angenommen und nicht begründet.

1.8 Die zwei Hauptsätze der Wohlfahrtstheorie Die zentralen Ergebnisse der Gleichgewichtstheorie werden in den sogenannten zwei Hauptsätzen der Wohlfahrtstheorie zusammengefasst. Der erste Hauptsatz ist quasi der wissenschaftliche Beweis der Lehre von der unsichtbaren Hand. Er besagt: Gibt es Märkte für alle Güter mit vielen Akteuren, die vollständig über ihre Handlungsmöglichkeiten informiert sind und von denen keiner die Preise beeinflussen kann, d. h. herrschen die Bedingungen vollkommener Konkurrenz, dann verhalten sich alle Haushalte und alle Unternehmen derart, dass das Resultat ihrer unabhängigen, eigennützigen Handlungen zu einem gesellschaftlichen Optimum führt. Allerdings knüpft der erste Hauptsatz die Wirkungsweise dieser unsichtbaren Hand an äußerst restriktive, in der Realität nur selten annähernd, wenn überhaupt gegebene Bedingungen. Ist eine dieser Bedingungen nicht gegeben, so zeigt die ökonomische Analyse, dass das aggregierte Handeln der Homines oeconomici gerade nicht zu einem gesamtwirtschaftlichen Optimum führt. Dies ist u. a. der Fall, wenn externe Effekte auftreten. Externe Effekte sind Auswirkungen wirtschaftlicher Handlungen auf die Wohlfahrt anderer Menschen, die nicht in das Kalkül der Produzenten und Konsumenten eingehen. Da Phänomene wie die Verschmutzung des Wassers durch Abwässer, die Veränderung des Klimas durch CO2 sowie die gewaltigen Mengen an Abfällen, die eine Verknappung des Deponieraumes zur Folge 43 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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haben, bis heute in den Bewertungen und Kalkulationen der Wirtschaftssubjekte nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden, stellen sie aus ökonomischer Sicht negative externe Effekte dar. Die von ihnen Betroffenen (jetzt lebende oder künftig lebende Individuen) erfahren eine Nutzenminderung, insofern sie in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt sind, ohne dafür entschädigt zu werden. Aus ökonomischer Sicht handelt es sich bei externen Effekten um ein theoretisch leicht zu lösendes (Allokations-) Problem. Sofern die Verursacher der Abfälle, Abwässer, der Treibhausgase, Dioxine etc. für die Kosten ihrer Handlungen aufkommen, sind die externen Effekte »internalisiert«. Dies wird erreicht, indem Abfällen, Abwässern etc. von staatlicher Seite Preise zugeordnet werden, d. h., wer Umweltschäden verursacht, muss dafür zahlen. Die wirtschaftstheoretischen Grundlagen für derartige Maßnahmen werden mit dem zweiten Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie gelegt. Dieser lautet: Zu jedem gewünschten gesellschaftlich optimalen Zustand können Preise und Einkommensumverteilungen gefunden werden, so dass die Konsumenten aufgrund ihrer eigennützigen Nutzenmaximierung und die Unternehmer aufgrund ihrer Gewinnmaximierung sich so verhalten, dass dieser optimale Zustand auch durch den Markt erreicht wird. Mit anderen Worten: Der Staat beschränkt z. B. sein umweltpolitisches Handeln darauf, die »richtigen« Einkommensumverteilungen und die »richtigen« Preise für die negative externe Effekte bewirkenden Güter wie Abfälle, Abwässer etc. zu berechnen, und sorgt dafür, dass diese Preise auch tatsächlich erhoben werden – in Form von Steuern, Abgaben und Lizenzen etc. Ein Beispiel dafür ist die staatliche Vergabe von Zertifikaten für die Emission von Kohlendioxyd (CO2). Die Lösung der Umweltprobleme scheint also aus wirtschaftstheoretischer Sicht einfach. Allerdings täuscht diese Einfachheit. Will man als Ökonom wissenschaftlich-politische Beratung auf Ebene der Länder, des Bundes sowie international durchführen, so stellt man schnell fest, dass die ökonomische Theorie zwar einen wichtigen, insgesamt gesehen aber nur kleinen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme leisten kann. Vertreter einer Ökologischen Ökonomie 10 sind sogar der Ansicht, dass die herkömmliche ökonomische

Diese Richtung hat sich seit der Ende der achtziger Jahre gebildet. Ihre international bekannteste Zeitschrift ist »Ecological Economics«, die 1989 gegründet wurde. Zur Be-

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Theorie bei der Diagnose und Therapie der Umweltkrise wesentlich zu kurz greift (vgl. Baumgärtner 2000). Ein wesentlicher Grund dafür besteht darin, dass die Begrifflichkeit der externen Effekte dazu verführt, Umweltprobleme zu verharmlosen. Das Problem der externen Effekte wird, so sagen Ökonomen, dadurch gelöst, dass man diese Effekte internalisiert, d. h. die Wirkungen der externen Effekte müssen sich in den Preisen der Güter widerspiegeln und dadurch in den Bewertungen und im individuellen Nutzenkalkül der Haushalte und Unternehmen berücksichtigt werden. Dieser Satz verbirgt jedoch Implikationen, die theoretisch wie praktisch größte Schwierigkeiten bereiten. Zwei davon wollen wir erläutern. (i) Um das Ausmaß der externen Effekte zu erforschen, sind umfassende naturwissenschaftliche Messungen hinsichtlich der Auswirkungen von Produktion und Konsum erforderlich (vgl. etwa Georgescu-Roegen 1971). Dabei ergibt sich, dass die qualitative Fülle und die Menge der Stoffe, die externe Effekte bewirken, so umfangreich sind, dass dies kaum in die Bewertungsstrukturen realer Märkte eingehen kann, ohne diese Märkte gänzlich umzuwälzen (Baumgärtner/Faber/Schiller 2006). (ii) Die Internalisierung externer Effekte setzt eine geeignete Instanz voraus, die dies politisch durchzusetzen vermag. In der traditionellen Wirtschaftspolitik wird dieses Problem in zwei Schritten behandelt: (a) Unparteiische Beobachter, Wissenschaftler und Berater messen die Kosten der externen Effekte und entwickeln Instrumente zu ihrer Internalisierung. (b) Wohlwollende Politiker, die lediglich am Wohle aller interessiert sind und ihre eigenen egoistischen Interessen völlig außer Acht lassen, sorgen dann dafür, dass diese Instrumente tatsächlich angewandt werden und die Wirtschaft ihr Optimum erreicht. Man benötigt also in der Theorie die Figuren des unparteiischen Beobachters sowie des wohlwollenden Politikers zur Verwirklichung umweltpolitischer Maßnahmen, die auf dem zweiten Hauptsatz basieren. Die Unterstellung, dass der wissenschaftliche Berater und der Politiker im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft, die egoistisch und rational ihren Nutzen maximieren, uneigennützig handeln, ist aus ökonomischer Sicht jedoch problematisch, griffsbestimmung der Ökologischen Ökonomie vgl. insbesondere Kapitel 14, s. außerdem Faber/Manstetten 2003a, insb. Kapitel 3, sowie Faber/Manstetten/Proops 1996.

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

insofern uneigennütziges Handeln in der Wissenschaft von der Wirtschaft allenfalls akzidentiell vorkommen kann. Der zweite Wohlfahrtssatz fordert hingegen zwingend uneigennütziges Handeln bei den Beobachtern der Wirtschaft und den Wirtschaftspolitikern.

1.9 Die Neue Politische Ökonomie oder Public Choice Theorie Die grundsätzlichen konzeptionellen Schwierigkeiten dieser Vorgehensweise sind von einer kleinen, aber sehr artikulierten Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern seit Anfang der sechziger Jahre erkannt worden. Es handelt sich dabei um die sogenannte »Neue Politische Ökonomie«, die im angelsächsischen Bereich Public Choice (s. z. B. Mueller 1995, Bernholz/Breyer 1984) genannt wird. Die Public Choice macht mit Recht darauf aufmerksam, dass der zweite Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie die Grenze der Homo-oeconomicus-Annahme überschreiten muss, ohne dass die Annahmen dafür eine konzeptionelle Rechtfertigung bieten. Denn Unparteilichkeit der Beobachtung und Wohlwollen im Handeln kann dem Homo oeconomicus allenfalls zufällig zukommen. Die Wohlfahrtstheorie operiert mit der Unparteilichkeit und dem Wohlwollen als notwendige Eigenschaften von Instanzen außerhalb des Marktes. Die Public Choice weist demgegenüber darauf hin, dass die egoistische Verfolgung von Eigeninteressen nicht an den Grenzen der Wirtschaft halt macht, sondern auch in den Sphären der Wissenschaft und Politik zu finden ist. Sie hat deswegen einen anderen Ansatz als die Wohlfahrtstheorie entwickelt. Instanzen wie der Staat, die einen Rahmen für den Markt setzen und gegebenenfalls in ihn eingreifen, müssen ebenso aus der maximalen Nutzenmaximierung (d. h. den Annahmen der Eigennützigkeit des Handelns) hergeleitet werden wie die Transaktionen des Marktes selbst. Die konzeptionelle Grundlage der Public Choice ist der sogenannte methodologische Individualismus: Alle Institutionen einer Gesellschaft werden aus der egoistischen Nutzenmaximierung der Individuen abgeleitet. Das bedeutet, dass auch eine durchgreifende Umweltpolitik konzeptionell auf das aggregierte Nutzenkalkül von Individuen zurückgeführt werden müsste. Damit wird der Homo-oeconomicus-Ansatz radikalisiert und totalisiert: Der Homo oeconomicus ist nicht mehr bloß der wirtschaftende Mensch, sondern der Mensch schlechthin. Hier begibt sich ein neuer Zweig der Öko46 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

nomik in einen Bereich, der traditioneller Weise der Politischen Philosophie zuzurechnen ist. 11 Diese Vorgehensweise ist philosophisch deswegen interessant, weil Philosophen von Aristoteles bis Hegel immer wieder die Politik als die Sphäre angesehen haben, in der der Mensch als ganzer Mensch in seiner Menschlichkeit hervortritt. Als radikal demokratischer Ansatz macht die Public Choice Theorie geltend, dass alles staatliche Handeln letztlich als Handeln von Individuen formuliert werden muss. Der Staat ist demgemäß nichts anderes als ein Instrument der Homines oeconomici, um einen höheren Nutzen zu erreichen. Jedes staatliche Handeln hat allein den Zweck, die aus privatem Handeln entstehenden Kosten zu senken. Zu solchen Kosten gehören auch die mit der Wirtschaft verbundenen Umweltschäden. Aus dieser ökonomischen Sicht ist staatliches Handeln nur legitim, wenn es zu Nutzenzuwächsen für alle Beteiligten führt. 12 Vertreter der Public Choice wie Buchanan (1975) und Bernholz (1978, 1991, 1995) haben allerdings in einem Gedankenexperiment gezeigt, dass eine Demokratie, in der alle Individuen konsequent als egoistische rationale Nutzenmaximierer handeln, in einen paternalistischen Staat mit überproportional hohem Staatsanteil und ineffizienten bürokratischen Strukturen übergeht, so dass »der Raum, innerhalb dessen die Homines oeconomici egoistisch und rational ihren Nutzen maximieren können, immer mehr schrumpft und schließlich zu verschwinden droht. Das bedeutet, dass als Folge des aggregierten Verhaltens der Homines oeconomici im Bereich des Politischen die Handlungsfreiheit jedes einzelnen Homo oeconomicus immer mehr eingeschränkt wird« (Manstetten/Faber 1997: 127). Aus der Handlungslogik der Homo-oeconomicus-Annahme folgt also, sofern alles menschliche Handeln dieser Annahme entsprechend konzipiert wird, dass die politischen Grundlagen dieses Handelns, nämlich liberale Demokratie und freie Marktwirtschaft, gefährdet werden. Das gleiche gilt auch für die natürlichen Grundlagen menschlichen Handelns. Die Homo-oeconomicus-Annahme lässt es zwar als denkbar erscheinen, dass alle diejenigen Umweltprobleme gelöst werden, bei denen die Schäden unmittelbar spürbar und messbar 11 Für eine ausführliche Darstellung aus ökonomischer und politisch-philosophischer Sicht siehe Petersen (1996). 12 Die Ausführungen dieses Abschnittes zur Public Choice, ihren Leistungen und Grenzen, werden weitergeführt und vertieft in Kapitel 4 dieses Buches.

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

sind. Denn hier werden die Geschädigten als Nutzenmaximierer dafür sorgen, dass solche Nutzeneinbußen entweder unterbleiben oder kompensiert werden. Anders hingegen steht es, wenn die Ursachen der Umweltschäden und ihre Auswirkungen zeitlich weit auseinander liegen. Das ist besonders beim Klimaeffekt der Fall. Hier ist es auf der Basis der Homo-oeconomicus-Annahme kaum denkbar, dass Menschen sich für eine Verbesserung der Umweltqualität einsetzen. Denn sie müssen dafür jetzt die Kosten tragen, während der Nutzen erst für spätere Generationen gegeben ist (vgl. Kapitel 14). Gemäß der Logik der Public Choice, die den Menschen nur als Homo oeconomicus sieht, sind die modernen Demokratien sowohl aus politischer als auch aus ökologischer Sicht zum Untergang verurteilt (s. u. Kapitel 4, Abschnitt 4.3). Ob diese Logik zwingend ist bzw. ob es zu ihr Alternativen gibt, wird im Kapitel 4 des vorliegenden Buches weiter untersucht.

1.10 Schlussbemerkung Die Wissenschaft von der Wirtschaft hat in ihren Hauptströmungen, wie sie hier in starker Vereinfachung gezeichnet wurden, eine anspruchsvolle Intention verfolgt, nämlich zu zeigen, dass rational handelnde Menschen, ohne besonders tugendhaft, heroisch oder heilig zu sein, in der Lage sind, die für sie beste aller möglichen Welten zu errichten. Wenn etwa John Maynard Keynes (1883–1946) in seinem Essay »Economic possibilities for our grandchildren« aus dem Jahre 1930 das Kommen des ökonomischen Heils (»economic bliss«) (Keynes 1930) versprach, das im Jahre 2000 Wirklichkeit geworden sein sollte, dann trat er als der Verkünder einer frohen Botschaft auf, die wissenschaftlich untermauert schien. Diese frohe Botschaft ist keineswegs nur Angelegenheit einer mehr oder weniger großen Anzahl von Wirtschaftswissenschaftlern. Vielmehr drückt sie die Wünsche vieler Menschen aus; Keynes spricht gleichsam als Stimme einer nachreligiösen Gesellschaft, die das Heil aus sich selbst heraus produzieren möchte. In der bisherigen Argumentation wurde gezeigt, dass sich diese frohe Botschaft auf der Basis der Homo-oeconomicus-Annahme nicht aufrechterhalten lässt, sondern sogar in eine Katastrophenbotschaft umzuschlagen droht. Wenn man indes zumindest konzeptionell die Möglichkeit offen halten will, dass politische und ökologische 48 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?«

Probleme, wie sie im vorangegangenen Abschnitt angesprochen wurden, umfassend und grundsätzlich gelöst werden können, muss man annehmen, »dass es Menschen gibt, die sich in entscheidenden Situationen an Maximen orientieren, die einer anderen Sphäre als der Ökonomie angehören« (Manstetten/Faber 1997: 128). Man muss vielleicht sogar noch weitergehen: In einer Umkehrung der Denkhaltung der Ökonomik, die mit der ihr eigenen Außenperspektive auch außerökonomische Bereiche menschlichen Handelns wie die Politik zu erklären sucht, kann man fragen: Besteht die Notwendigkeit einer angemessenen Berücksichtigung der Innenperspektive nicht auch für das Verständnis der Wirtschaft selbst? Setzt daher die Beantwortung der Frage »Was ist Wirtschaft?« nicht auch eine Neubestimmung der Wissenschaft von der Wirtschaft voraus?

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2. Der Ursprung der Ökonomik als Bestimmung und Begrenzung ihrer Erkenntnisperspektive

2.1 Krisensymptome in der gegenwärtigen Ökonomik und die Frage nach ihrem Ursprung Wurde die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts von zuweilen glaubenskriegähnlichen Auseinandersetzungen zwischen liberalen und sozialistischen, protektionistischen und freihändlerischen, historischen und analytischen Ansätzen geprägt, so schienen die Wirtschaftswissenschaften zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem sicheren Boden eines unbezweifelbaren wissenschaftlichen Vorgehens angekommen. Es war vor allem die Mathematisierung ihrer Vorgehensweise, die ihnen eine einheitliche Zugangsweise zu ihrem Gegenstand, dem wirtschaftlichen Handeln der Menschen, ermöglichte. Bereits Léon Walras hatte »mit seinen Éléments d’économie politique pure (1874) das ausdrückliche Ziel verfolgt, eine reine theoretische Ökonomik als naturwissenschaftlich-mathematische Disziplin wie die Mechanik oder die Hydrodynamik zu entwickeln« (Vanberg 2004: 21); nicht einmal hundert Jahre später war die von Walras inaugurierte ›neoklassische Ökonomik‹ dem Anschein nach definitiv an diesem Ziel angekommen. So schrieb Paul Samuelson (Samuelson 1961: 242) in der 5. Auflage seines Lehrbuches »Economics«: »… ›neoclassical economics‹ is accepted in its broad outlines by all but a few extreme left-wing and right-wing writers.« 1 Dass die Wirtschaftswissenschaften in ihrer Reputation hinter Naturwissenschaften wie der Physik oder der Biologie nicht mehr

Paul Samuelson hat mit seinen zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen maßgeblich die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. 1970 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Sein oben zitiertes Buch wurde in über 120 Sprachen übersetzt.

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Der Ursprung der Ökonomik

zurückstehen mussten, wurde durch die Stiftung eines Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahre 1968 eindrucksvoll bestätigt. Aber schon in der 1985 erschienenen (gemeinsam mit Nordhaus herausgegebenen) 12. Auflage seines Lehrbuches gelangte Samuelson zu einer völlig anderen Einschätzung bezüglich des Zustandes seiner Disziplin: »In recent years, economists have developed a reputation for being a querulous lot who can’t agree on anything … The major disagreements among economists … lie in the normative area … A reasonable summary of the state of disagreement would be: Economists are quite divided on central issues of macroeconomics, particularly on the role of money. A substantial amount of accord is seen in microeconomic theory of prices and markets. But on the broad political and ethical issues of economics, economists are divided as their parents or cousins« (1985: 7). Nur wenige Jahre zuvor war unter dem Titel »Die Krise in der Wirtschaftstheorie« eine Sammlung von Beiträgen namhafter Wirtschaftswissenschaftler erschienen, die Samuelsons Diagnose weitgehend teilten. In der Einleitung schrieben die Herausgeber (Bell/ Kristol 1981/1984: XIII): »Die zwölf hier vorgestellten Theoretiker akzeptieren alle die Tatsache, dass der Konsens in der Wirtschaftstheorie zerbrochen ist.« Wenn Viktor Vanberg in einem jüngst erschienenen Aufsatz von der »Krise der Ökonomik« spricht (Vanberg 2004), so kann er auf hoch angesehene Vertreter seiner Disziplin, darunter auch Nobelpreisträger (u. a. Ronald Coase und Wassily Leontief) verweisen, die mit ihm darüber einig sind, dass der Zustand der Wirtschaftswissenschaften Anlass zur Besorgnis gibt. Er (Vanberg 2004: 22) zieht folgendes Resümee: »In der Tradition von Walras ist die neoklassische, mathematische Ökonomik mit dem Anspruch angetreten, eine am Vorbild der mathematischen Naturwissenschaften orientierte ›streng wissenschaftliche Disziplin‹ zu sein. Nach mehr als einem Jahrhundert seit der Verkündigung dieses Anspruchs und nach Jahrzehnten exzessiver Anstrengungen erscheint der Erfolg dieses Projektes höchst zweifelhaft, zumindest wenn man ›Wissenschaftlichkeit‹ nicht an der bloßen Komplexität des analytischen Instrumentariums misst, sondern am substantiellen Erkenntnisbeitrag zur Erfahrungswirklichkeit …«. Die These, die Wirtschaftswissenschaften in ihrer neoklassi51 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

schen Form seien in eine Krise geraten, fußt auf zwei grundlegenden Kritiken: a) Man wirft ihnen vor, sich allzu sehr mit der Entwicklung ihres formalen Instrumentariums zu beschäftigen und dabei die konkreten Anwendungen aus dem Blick zu verlieren: So schreibt der Ökonom Mark Blaug (Blaug 1998: 4): »Wirtschaftswissenschaften, wie sie heute an den angesehenen Universitäten gelehrt werden, sind mehr und mehr mit rein formalen Techniken befasst … Um den Titel eines populären Musicals zu paraphrasieren: ›No Reality, Please. We’re Economists‹.« Damit aber stellt sich die Frage, ob die Resultate wirtschaftswissenschaftlicher Forschung denjenigen nutzen, bei denen ein Bedarf an Wissen über wirtschaftliche Abläufe besteht: »As the economy became the paramount political issue in country after country, economists gained notoriety and lost their compass. The business company, a principal consumer of economic forecasting, became increasingly skeptical about the ability of economists to tell the turns in the economy. Governments found economists urging politically suicidal austerities« (Kuttner 1986: 65). b) Seltener zu hören, obgleich vermutlich tiefer zum Kern des Problems vordringend ist eine zweite Kritik: Man wirft den Wirtschaftswissenschaften vor, mit unklaren Grundbegriffen und in ihren Implikationen unverstandenen Annahmen zu operieren: »There is a profound weakness at the core of neoclassic economies. It can’t answer the most basic questions. What is the price? What is money? What has killed full employment? What is the boundary between economics and politics, or society? It has become like medieval theology« (Heilbronner, zit. nach Kuttner 1986: 71). Besonders fragwürdig erscheinen die Annahmen über den wirtschaftenden Menschen, den Homo oeconomicus, die den meisten mathematischen Modellen der Ökonomik zugrunde liegen. 2 Man könnte die beiden Kritikpunkte so charakterisieren: Der erste betrifft die Ökonomik als eine anwendungsorientierte Wissenschaft und misst sie an ihrer Funktionstüchtigkeit. Der zweite betrifft sie als reine Theorie, an die ein Anspruch auf durchsichtige Begrifflichkeit, Stimmigkeit und letztlich auf Wahrheit gestellt wird. Um das Gewicht derartiger Kritiken richtig einschätzen zu können, soll in den folgenden Ausführungen die Frage untersucht werden, wie die modernen Wirtschaftswissenschaften auf ihre Gegen2

Vgl. hierzu insbesondere Kapitel 3 und Kapitel 4 des vorliegenden Buches.

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Der Ursprung der Ökonomik

stände blicken und wo die Herkunft dieses Blickes aufzusuchen ist. Auf dem Weg einer Selbstbesinnung der ökonomischen Wissenschaften soll die Eigenart ihrer Erkenntnisperspektive herausgearbeitet werden. Wir wollen zeigen, dass das Eigentümliche dieser Perspektive eine Konzeption von Wirtschaft ist, die sie als Bereich erscheinen lässt, wo die der Ethik entspringende Frage nach dem guten Leben der Menschen eine quasi-naturwissenschaftliche Antwort erhält. Darin stecken Probleme, die im Ursprung neuzeitlicher Wissenschaftsauffassung generell sowie speziell im Ursprung der Wissenschaft von der Wirtschaft angelegt sind. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser Perspektive zeigt, welche Fragen in ihr auf eine fruchtbare Weise entdeckt und verfolgt, welche Probleme und Gesichtspunkte andererseits verdeckt und vernachlässigt wurden. Das kann klären helfen, was diese Perspektive zu leisten vermag und was nicht. Licht und Schatten vom Ursprung der neuzeitlichen Volkswirtschaftslehre her so zu würdigen, dass Grenzverschiebungen zwischen Erhelltem und Unerhelltem denkbar werden, ist das Vorhaben der folgenden Überlegungen. Indem wir den Blick auf einige geschichtsphilosophische Hintergründe methodischer Entscheidungen richten, die den Kurs der Wirtschaftstheorie bis in die Gegenwart beeinflusst haben, wollen wir Potentiale und Defizite gegenwärtiger Theoriebildung, die sich diesen Entscheidungen verdanken, sichtbar machen. Insbesondere beabsichtigen wir: – Veränderungen in der Naturauffassung sowie damit einhergehende Probleme in der Ethik des 17. und 18. Jahrhunderts aufzuzeigen, die die Grundlage für die Entstehung der spezifisch ökonomischen Sicht auf das menschliche Handeln bilden (Abschnitt 2.2); – die Eigenart dieser Sicht anhand der Lehre von Adam Smith zu bestimmen (Abschnitt 2.3); – die Einengung dieser Sicht in bestimmten noch heute wirksamen Ausprägungen der neoklassischen Theorie darzustellen (Abschnitt 2.4); – mit einigen thesenhaften Folgerungen eine Forschungsperspektive zu skizzieren, in deren Horizont die gegenwärtige Wirtschaftswissenschaft Fragestellungen aus ihrer ursprünglichen Problematik für ihren Fortgang fruchtbar machen könnte (2.5). Diese Forschungsperspektive wird in großen Linien in den weiteren Kapiteln des vorliegenden Buches ausgeführt. 53 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

2.2 Ökonomik, Naturwissenschaften und Philosophie Wirtschaftswissenschaften haben es mit der Wirtschaft als einem Feld des menschlichen Handelns zu tun. Auch die neoklassische Ökonomik bestimmt als ihren Gegenstand das menschliche Verhalten, wenngleich unter besonderen Bedingungen 3 (Robbins 1932). Da sich die Ökonomik jedoch in Anlehnung an die neuzeitlichen Naturwissenschaften (17. bis 19. Jahrhundert) entwickelt hat, von denen sie ihre Methodik und das Ideal der Exaktheit entlehnte, geriet sie in einen bis heute kaum überbrückbaren Gegensatz zu den meisten anderen Sozial- und Geisteswissenschaften. Die Naturwissenschaften, wie sie sich seit dem 17. Jahrhundert, und die Wirtschaftswissenschaften, wie sie sich seit dem späten 18. Jahrhundert herausbildeten, drückten gemeinsam eine Deutungshaltung gegenüber Natur und Mensch aus, die auf der einen Seite völlig neuartig gegenüber allem Vorangegangenen erschien, andrerseits aber den Anspruch stellte, das Erbe vorhergehender Weltdeutungen anzutreten. Es waren vor allem Philosophie und Theologie, von denen bestimmte Problemstellungen übernommen, deren Konzepte aber durch bessere abgelöst werden sollten. Man kann sich das Verhältnis der aufkommenden Wirtschaftswissenschaften zu den anderen Wissenschaften an einem Bild deutlich machen: Die Ökonomik ist gleichsam das jüngste, die Physik das älteste Kind innerhalb einer Familie, in der die Eltern Philosophie und Theologie heißen. Die Eltern hielten in Antike und Mittelalter die Herrschaft in Händen, die Kinder übernahmen sie in der Neuzeit und setzten die Eltern aufs Altenteil. Nehmen wir an, dass Kinder, erwachsen geworden, alles besser wissen und machen wollen als die Eltern, nehmen wir zugleich an, dass die Kinder den Eltern ähnlicher sind, als sie es selbst wahrhaben wollen, dass also auch Kinder, die sich in ferne Länder und neuartige Tätigkeitsfelder begeben, als Kinder ihrer Eltern erkennbar sind; nehmen wir darüber hinaus an, dass die Kinder von ihren Eltern nützliche und unnütze Dinge erben und lernen müssen, das Erbe recht zu gebrauchen, nehmen wir schließlich an, dass erfolgreiche ältere Geschwister die jüngeren zur Nachahmung reizen, dann haben wir eine bildhafte Vorstellung der Thesen, die im Folgenden gedanklich entwickelt werden sollen. Verkürzt ausgedrückt, besteht das Ideal der vorneuzeitlichen 3

Vgl. hierzu Kapitel 1.

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Der Ursprung der Ökonomik

Wissenschaft in der Weltbetrachtung, der Theorie (das altgriechische Wort theoria heißt eigentlich »Schau«), die ihren Gegenstand seinem Wesen nach erkennen will. Theorie ist ein eigenständiger, sich selbst genügender, keinen Zwecken unterzuordnender Weltzugang. Frei steht sie neben der Praxis, dem Handeln der Menschen gemäß ihrer spezifisch menschlichen Begabung und gemäß der Eigenart der Gegenstände. Theorie und Praxis sind im Denken von Platon und Aristoteles jeweils für sich bestehende Ordnungen, wenn es aber ein Zuordnungsverhältnis zwischen beiden gibt, dann ist die Praxis um der Theorie willen da: die Praxis soll einen Raum dafür schaffen, dass die Weisen sich ungestört der Schau widmen können. 4 Das Ideal der neuzeitlichen Wissenschaft aber ist in gewisser Weise zweigeteilt: Seine eine Seite ist die Idee der Wissenschaft als eines abstrakten Systems der Erkenntnisse, seine andere Seite ist die Idee der Wissenschaft als Grundlage technischer Naturbeherrschung. Die Idee einer Wissenschaft als eines abstrakten Systems von Erkenntnissen hat die Nachfolge der antiken theoria angetreten, insofern sie wertfrei und um ihrer selbst willen entwickelt wird. Im abstrakten System der Erkenntnisse vollzieht sich die Auflösung aller Gegenstände in letzte, nicht mehr weiter teilbare Bestandteile und mathematische Gesetze, die die Bewegungen dieser Bestandteile regieren. Das abstrakte System kann jedoch oft als Grundlage für die Entwicklung von Techniken verwendet werden, die die in ihm niedergelegten Erkenntnisse zur Beherrschung der Gegenstände in der Praxis nützlich machen. Vielfach erfordert sogar die Beherrschung realer Abläufe die Entwicklung eines abstrakten Systems von Erkenntnissen, um die umfassende und langfristige Ausübung dieser Beherrschung zu sichern. Damit hat sich die Auffassung über das Wesen von Wissenschaft verschoben. Echte Erkenntnis wird zunehmend daran gemessen, ob sie ihre Wahrheit in erfolgreicher Anwendung bewähren kann. DementAristoteles sagt, dass Muße das Ziel aller Arbeit sei: »Wir opfern unsere Muße, um Muße zu haben« (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: 1177b 5). Der Sinn der Muße besteht für Aristoteles in der Theorie, der betrachtenden Tätigkeit: »Man sieht klar, dass in dieser (der betrachtenden, d. V.) Tätigkeit, soweit es menschenmöglich ist, die Autarkie, die Muße, die Freiheit von Ermüdung und alles, was man sonst noch den Glücklichen beilegt, sich finden wird« (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: l177b 21 ff.). Der Glanz, den das Ideal der Muße, die die Zeit für reine Theorie schenkt, in den Augen von Denkern wie Platon und Aristoteles annimmt, ist allerdings gewiss auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass in der auf Sklaverei basierenden Gesellschaft des antiken Athen die Muße das Privileg einiger weniger war.

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sprechend wird das antike Ideal des von der Welt distanzierten und zugleich in ihr Wesen sich versenkenden Weisen abgelöst. An seine Stelle tritt in der Neuzeit das Ideal des Tatmenschen 5 , des Erfinders, Ingenieurs, Managers und Unternehmers etc., dem das nach wie vor weiterbestehende Ideal des abstrakten Denkers und des weltfremden Tüftlers und Bastlers deutlich untergeordnet ist. 2.2.1 Die Ablösung der Naturwissenschaften von antiken und mittelalterlichen Traditionen Die Ablösung der überlieferten Auffassung von Welt und Mensch durch eine neue wird manifest in Äußerungen von Francis Bacon (1561–1626). Zu Anfang des 17. Jahrhunderts äußerte er scharfe Kritik an der Wissenschaft seiner Zeit, die auf einer von aristotelischen und scholastischen Gedanken geprägten Weltdeutung beruhte: »Leichtgläubigkeit …, Widerwille gegen den Zweifel, Unbesonnenheit im Antworten, Prahlerei mit Bildung, Scheu zu widersprechen, Interessiertheit, Lässigkeit in eigener Forschung, Wortfetischismus, Stehenbleiben bei bloßen Teilerkenntnissen: dies und Ähnliches hat die glückliche Ehe des menschlichen Verstandes mit der Natur der Dinge verhindert, und ihn stattdessen an eitle Begriffe und planlose Experimente verkuppelt: die Frucht und Nachkommenschaft einer so rühmlichen Verbindung kann man sich leicht vorstellen« (Bacon, zit. nach Horkheimer/Adorno 1971: 7). In Bacons Äußerungen drückt sich eine Aufbruchstimmung aus, wie sie für das Entstehen der neuzeitlichen Wissenschaft kennzeichnend ist. Gegenüber einem erstarrten Schulwissen geht es um das Recht zu zweifeln, das Recht zu genauer Prüfung, zugleich aber um die Bereitschaft, in der Forschung nirgends auf halbem Weg stehenzubleiben, es geht schließlich um Bescheidenheit und Besonnenheit in der Einschätzung der Ergebnisse. Allerdings ist es fraglich, ob die von Bacon im obigen Zitat anvisierte »Ehe« zwischen der »Natur der Dinge« und dem »menschlichen Verstand« wirklich für beide Teile »glücklich« sein kann: die »Natur der Dinge« ist der unselbstständige, potentiell unterdrückte

Vgl. hierzu Binswanger (1985) über den Typus »des faustischen Menschen«, sowie Binswanger/Faber/Manstetten (1990); Faber/Manstetten (2003a: Kapitel 7).

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Partner; überlegen ist ihr das Erkenntnisvermögen des Menschen. Diese Überlegenheit hat zwei bedeutsame Aspekte. Der erste Aspekt besteht darin, dass von der »Natur der Dinge« nur diejenigen Momente übrigbleiben, die das menschliche Erkenntnisvermögen aufzunehmen imstande ist: verfangen sie sich nicht im Netz seiner Fragen, bleiben sie unberücksichtigt. Diesen Aspekt hat, ganz im Sinne Bacons, vielleicht am deutlichsten Kant in der »Kritik der reinen Vernunft« ausgesprochen: »Die Vernunft muss mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in der einen Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen lässt, was der Lehrer will, sondern eines bestellten Richters, der die Zeugen nötigt, auf ihre Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt« (Kant 1787/1977: 23). Der zweite Aspekt betrifft die Praxis, die eine solche Erkenntnishaltung begleitet: Die Möglichkeit, gewisse Zusammenhänge der Natur zu erkennen, führt zu einer zwar nur partiellen, aber tendenziell wachsenden Beherrschung der Naturgewalten. Das Glück in der von Bacon gerühmten Ehe zwischen Natur und Verstand ist somit dem letzteren vorbehalten, der in der Natur ein bloßes Mittel sieht: »Macht und Herrschaft des menschlichen Geschlechts über die Gesamtnatur« (Bacon, zit. nach Meyer-Abich 1986: 136) ist das höchste Ziel des Menschen. Mit dem Wort »Herrschaft« wird ein zentrales Problem der neuzeitlichen Wissenschaft angesprochen. 2.2.2 Theorie, Natur und Technik Betrachten wir nun, wie sich das Herrschaftsinteresse der neuzeitlichen Wissenschaft auf ihren Gegenstand, die Natur, und auf ihre Theoriebildung auswirkt. Ermöglicht wird die Herrschaft durch das Wissen, in dem sich die »Überlegenheit des Menschen« manifestiert (vgl. Horkheimer/ Adorno 1971: 7); realisiert wird sie durch die Technik. Wissen und Technik aber wurzeln in den Naturwissenschaften, deren Erfolg darin liegt, dass sie die Natur als einen den mathematischen Gesetzen gehorchenden Mechanismus darstellen und dieses Konzept jederzeit 57 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

experimentell bestätigen können (vgl. hierzu Faber/Manstetten/Proops 1998: Kapitel 12). Die Theorie, die sich in den Naturwissenschaften des 17. bis 19. Jahrhunderts darstellt, ist im Vergleich zu allem Vorangegangenen von besonderer Art: Die den Menschen früherer Epochen einerseits bedrohlich entgegentretende und andererseits als in sich sinnvolle Ordnung erscheinende Natur wird sinnleer und berechenbar, und wer ihre Gesetze kennt, der kann sie seinen Zwecken dienstbar machen. »Heute beherrschen wir die Natur in unserer bloßen Meinung und sind ihrem Zwange unterworfen; ließen wir uns jedoch von ihr in der Erfindung leiten, so würden wir ihr in der Praxis gebieten« (Bacon, nach Horkheimer/Adorno 1971: 7). Mit anderen Worten: eine besondere Art von Theorie, von Betrachtung der Natur, bietet uns die Möglichkeit, unseren Zwecken gemäß in natürliche Abläufe einzugreifen. Dadurch haben sich im Vergleich zur Antike (a) die Konzeption der Theoriebildung und (b) der Begriff der Natur geändert. Zu (a): Die Theorie wird aus einem absichtslosen Betrachten zunehmend in ein Mittel in der Hand von Menschen verwandelt, die bestimmte Zwecke verfolgen: »Wissenschaft tritt in den Dienst der Praxis, sie ist nicht mehr – als Theorie – deren Ziel« (Spaemann 1983c: 44). Dabei mögen diejenigen, die Wissenschaft betreiben, durchaus »wertfrei« forschen wollen; in der Tat liefern sie mit ihren Ergebnissen Material für beliebige Zwecke derer, die mit diesen Ergebnissen in der Praxis operieren. Es mutet fast symbolisch an, dass Galilei seine Versuche im Arsenal von Venedig vornahm, wissend, dass seine »wertfrei« entdeckten Fallgesetze geeignet waren, die Flugbahn von Kanonenkugeln genau zu bestimmen (vgl. Elias 1984: 89): Die Herrschaft über die Natur konnte ein Mittel sein für verstärkte Herrschaft von Menschen über Menschen. Die neue Form von Theorie im Dienste der Praxis ermöglichte aber auch die Perspektive einer Verbesserung der Lebenssituation für die gesamte Menschheit. Pointiert drückt dies ein Satz aus, den Brecht in seinem »Leben des Galilei« der Hauptfigur in den Mund legt (in Wirklichkeit drückt er eher die Haltung Bacons als die Galileis aus): »Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern« (Brecht 1967: 1340). Zu (b): Die Natur, die der zweckfreien Theorie der Antike ent58 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Der Ursprung der Ökonomik

sprach, wurde verstanden als »Natur von etwas« – einer Sache, eines Lebewesens oder einer geistigen Struktur. »Naturgemäß« und »natürlich« war das, was der Sache, dem Lebewesen oder geistigen Struktur zukam, wenn sie sich jeweils »von selber« entwickeln konnten, d. h. so, wie es den in ihnen angelegten Potenzen entsprach, »unnatürlich« war alles, was eine anlagengemäße Entwicklung hinderte oder von ihrer Richtung ablenkte. Demgemäß war Natur durch eine innere Gerichtetheit und Zweckhaftigkeit gekennzeichnet, die der aristotelische Begriff »Entelechie« bezeichnet. Damit war gemeint, dass jeder Sache, insbesondere allem Lebendigen und Geistigen, ein Zweck (griechisch: »Telos«) innewohne, der »natürliche« Tendenzen in einer der Sache entsprechenden Richtung, »natürliche« Abneigungen in andere Richtungen im Gefolge habe. Diese Sicht ist für Bacons Interesse eher hinderlich: »Es gibt jene Natur nicht, die vor irgend etwas eine Abneigung hat. Hinter dieser neuen Sicht stand ein mächtiges Interesse, das Interesse uneingeschränkter Naturbeherrschung. Gemessen an diesem Herrschaftsinteresse ist die aristotelische Entelechie in der Tat, wie Bacon sagt, ›unfruchtbar wie eine Gott geweihte Jungfrau‹« (Spaemann 1983b: 22). Mit der Veränderung der Erkenntnisperspektiven hat sich auch der Erkenntnisgegenstand verändert: Die Natur ist für die Menschen nicht dieselbe geblieben. Allerdings ist sie als Folge der Konzepte der klassischen Mechanik zweideutigen Wesens. Zwar gelten dieselben Gesetze der Natur im All und auf der Erde: Auf der Erde aber erzeugen sie immer wieder blinde Naturprozesse, wie sie uns in Naturkatastrophen schreckenerregend entgegentreten, Prozesse, die erst durch menschliches zweckmäßiges Eingreifen kontrolliert oder sogar nutzbar gemacht werden können; im All hingegen zeigen sie uns das erstaunliche Gleichgewicht der Bewegungen des gestirnten Himmels, ein Gleichgewicht, das die Sterne immerfort unwissend, gezogen allein von mechanischen Kräften, beibehalten. 2.2.3 Das Verhältnis zwischen Individuen, Gesellschaft und Staat als Spannungsfeld der entstehenden Ökonomik Die neue Sicht auf die Natur mit der zu ihr gehörigen Technik hat zur Folge, dass die Bereitstellung neuer Mittel immer neue Zwecke am Horizont des menschlichen Wollens erscheinen lässt. Die Expansion 59 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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der Mittel bringt eine ungeheure Erweiterung des menschlichen Handlungsspielraumes mit sich. Zum Problem aber wird derjenige, der in diesem Spielraum handelt: der Mensch. In diesem Abschnitt wird gezeigt, wie parallel zur neuzeitlichen Naturauffassung die Frage nach der »Natur des Menschen« sich wie ein Abgrund auftut, dessen Schauer vor allem Thomas Hobbes gefühlt hat. In den beiden folgenden Abschnitten 2.3 und 2.4 wird gezeigt werden, wie die Wissenschaft der Ökonomie sich entwickelt hat als ein Angebot, über diesen Abgrund hinwegzukommen. Zunächst untersuchen wir, wie die neuzeitliche Naturauffassung, für die die Natur von immanenten Zwecken leer geworden ist, sich auf Ethik und politische Philosophie auswirkt. Ethik ist bei Aristoteles, ihrem eigentlichen Begründer, »Lehre vom rechten Handeln, von Tugend und von der Haltung« (Ritter 1970: 61). Aristoteles sieht unter der Vielfalt menschlicher Zwecke in all den verschiedenen Betätigungsfeldern ein einziges leitendes Motiv und zugleich Ziel am Werk: »So scheint also die Glückseligkeit das vollkommene und selbstgenügsame Gut zu sein und das Endziel des Handelns« (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: 1097b 19). Jedes Handeln zielt für Aristoteles auf ein Gut; dieses Gut kann Selbstzweck oder Mittel zum Zweck des Erwerbs von anderen Gütern sein; Glückseligkeit aber zeichnet sich dadurch aus, dass sie Selbstzweck ist. Die Frage nach der Glückseligkeit ist ein zentrales Problem der Ethik; auch die in der Neuzeit entstandenen Glücks- und Nutzenkonzepte der Utilitaristen sind Versuche, auf diese Frage eine Antwort zu finden, wie wir in Abschnitt 2.4 zeigen werden. Was Aristoteles unter Glückseligkeit versteht, expliziert er im Ausgang von seinem Begriff der Natur. Natur wird bei ihm als »Natur einer Sache« verstanden. Im Bereich des Lebendigen ist die Natur das Wesen dieses Lebendigen, wie es sich in seinen Entwicklungsphasen entfaltet. Daher ist der im vorigen Abschnitt angeführte Begriff der Entelechie besonders geeignet, diese Natur anzusprechen: Jede Lebensphase hat Tendenzen, die erst in der folgenden ganz offenbar werden, das ganze Leben eines Lebewesens ist zweckmäßig darauf angelegt, dass es seine ihm eigentümlichen Daseinsmöglichkeiten realisiert. Das gilt auch für den Menschen. Nur wenn der Mensch seiner Natur gemäß lebt, kann er Glückseligkeit erlangen: Von Natur aber ist der Mensch ein Gemeinschaftswesen (vgl. Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: 1097b 11) und ein staatenbildendes 60 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Der Ursprung der Ökonomik

Lebewesen (Aristoteles, Politik: 1253a 6). Daher ist wahre Glückseligkeit für jeden Einzelnen nur im Einklang mit dem Gemeinwesen, dem Staat, möglich, der »auf das unter allen bedeutendste Gut« zielt (Aristoteles, Politik: 1252a 7). Wer also den Staatszweck (das »gute Leben« des ganzen Gemeinwesens) zu seinem eigenen macht, fördert somit seine eigene Glückseligkeit mehr als derjenige, der sie auf privatem Wege sucht: »… mag nämlich auch das Gute dasselbe sein für den Einzelnen und den Staat, so scheint es doch größer und vollkommener zu sein, das Gute für den Staat zu greifen und zu bewahren, erfreulich ist es zwar schon bei einem einzigen Menschen, schöner und göttlicher aber für Völker und Staaten« (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: 1094b 7 ff.). Dementsprechend fasst Aristoteles auch die Ökonomik anders, als es heute üblich ist: Als Lehre von der Hausverwaltung ist sie auf ein gutes Leben im Hause (im Rahmen des guten Lebens in der Polis) beschränkt und leistet somit nur indirekt einen Beitrag für das Gemeinwesen. Zur Ökonomik gehört auch die Kunst, Reichtum zu erwerben. Wie Aristoteles die Bedeutung des Reichtums innerhalb seiner Vorstellung von Glückseligkeit einordnet, wird aus dem folgenden Zitat deutlich: »Wer hindert uns, glücklich denjenigen zu nennen, der gemäß vollendeter Tugend wirkt und über die äußeren Güter in ausreichender Weise verfügt, nicht eine flüchtige Zeit, sondern ein ganzes Leben« (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: 1101a 14–16; 1098a 16). Äußere Güter müssen »in ausreichender Weise« gegeben sein, damit ihre Abwesenheit uns nicht von unserem eigentlichen Glück, dem Wirken »gemäß vollendeter Tugend« abhält: Besitz ist nur ein Mittel zum Zweck solchen Wirkens. Die Ethik des Aristoteles (und mit ihr seine Politik und seine Ökonomik) war bis über das Mittelalter hinaus Ausgangspunkt für die meisten Konzeptionen des menschlichen Zusammenlebens. Sie musste indes problematisch oder gar im ganzen Ansatz verfehlt erscheinen, wenn eine ihrer Voraussetzungen hinfällig wurde; wenn man die Annahme verwarf, dass der Mensch von Natur her auf ein sinnvolles Ziel, auf das »gute Leben« in einem Gemeinwesen, ausgerichtet sei. Der Naturbegriff etwa im Sinne Bacons eignete sich nicht, eine solche Ausrichtung zu begründen. Nahm man diese neue Sicht auf die Natur mit ihrer Konsequenz, dass der Zweckbegriff auf Natur nicht anwendbar sei, ernst und wendete sie auch auf die Natur 61 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

des Menschen an, dann erschienen die vielen nicht mehr sinnvoll einander zugeordneten Zwecke und Ziele der Einzelnen sogar als Quelle der Gefährdung jeder Ordnung des menschlichen Zusammenlebens, da man ihnen keine natürliche Tendenz auf eine Ordnung zusprechen konnte. Sie wirkten willkürlich, und ihr unkontrollierter Zusammenprall konnte, so war zu befürchten, ein Chaos hervorrufen. Thomas Hobbes (1588–1679), ein Landsmann von Bacon, nahm die Herausforderung durch die neue Problemkonstellation an. Gemäß der Theorie von Hobbes ist die Annahme des Aristoteles, »dass der Mensch von Natur aus ein zur Gesellschaft geeignetes Wesen sei, falsch. Damit entfällt die Möglichkeit, Gesellschaft, politische Institutionen und Staat als Erfüllung und Verwirklichung eines metaphysischen Guten oder der Wesensnatur des Menschen zu begreifen« (Ritter 1972: 771). Hobbes, in einer Zeit lebend, in der die »natürliche« Ordnung der griechischen Polis ebenso wie die »gottgewollte« Ordnung der mittelalterlichen Reiche durch Bürgerkriege und Religionsspaltung an Plausibilität verloren hatte, zog den Schluss, dass unsere »natürlichen Leidenschaften« jeder Art von Gemeinschaftsbildung zuwider seien (vgl. Hobbes 1651/1976: 131). Hobbes hebt somit unfügsame Momente und Konfliktpotentiale in der menschlichen Natur hervor, wo Aristoteles natürliche Harmonie postuliert. 6 Zugleich aber sieht sich Hobbes vor ein für Aristoteles nicht vorhandenes Problem gestellt: Wie kann die Natur des Menschen, die seiner Auffassung nach eine »Wolfsnatur« ist (»Homo homini lupus«), so gezähmt werden, dass Menschen friedlich, d. h. unter Verzicht auf Gewaltanwendung, zusammenleben können? Hobbes’ Antwort läuft darauf hinaus, dass die Menschen, über ihren »Naturzustand«, den »Krieg aller gegen alle«, verzweifelnd, aufgrund vernünftiger Überlegung ihre jeweils eigene Gewalt abgeben an eine Macht, die ihre Leidenschaften zügelt. Gegen ihre Natur lassen sich die Menschen durch diese Macht, die ihrer Vernunft entspringt, in eine künstliche Ordnung zwingen. Der Gegensatz von Vernunft und Natur, der bei Bacon die optimistische Perspektive der Herrschaft des Menschen über die Natur eröffnete, erscheint bei Eine Antizipation seiner Sicht sah Hobbes bereits in der Antike gegeben: im Geschichtswerk des Thukydides; in der Tat wirken Welt- und Menschenbild bei Thukydides eher dem Pessimismus eines Hobbes verwandt als den Auffassungen eines Platon oder Aristoteles.

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Der Ursprung der Ökonomik

Hobbes als eine Spaltung innerhalb des Menschen. Nur die Vernunft kann unter Einsatz von Gewalt gegen die Natur des Menschen die Voraussetzungen für ein Zusammenleben gewährleisten, die man gewöhnlicherweise »natürlich« nennt, obwohl sie von Natur aus nicht gegeben sind: »Denn die natürlichen Gesetze wie Gerechtigkeit, Billigkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit, kurz, das Gesetz, andere so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen, sind an sich, ohne die Furcht vor einer Macht, die ihre Befolgung veranlasst, unseren natürlichen Leidenschaften entgegengesetzt, die uns zu Parteilichkeit, Hochmut, Rachsucht und Ähnlichem verleiten« (Hobbes 1651/1976: 131). Hobbes vertrat die Ansicht, eine solche Macht könne als »Zwangsgewalt«, als starker, im Extremfall absolutistischer Staat, wenigstens die Abwesenheit von Bürgerkrieg garantieren, indem sie die kriegerische »Wolfsnatur« der Untertanen in Schranken hielte. Immerhin schränkte er dabei auch den Machtbereich des Staates ein: Die Untertanen sollten, vom Staat unbehelligt, egoistische Zwecke verfolgen dürfen, so weit diese den Frieden im Staat nicht gefährdeten. Damit berühren sich die Gedanken von Hobbes mit einer ihnen scheinbar entgegengesetzten geistigen Strömung, die in seinem Jahrhundert ihren Anfang nahm: es handelt sich um den Liberalismus.

2.3 Festlegung der ökonomischen Sichtweise und ihres Gegenstandes bei Adam Smith Das Problem, das sich im 17. und 18. Jahrhundert auf dem Felde der politischen Ethik stellte, war die Diskrepanz zwischen der, wie man annahm, prinzipiell berechenbaren und beherrschbaren Natur außerhalb des Menschen und der mehr und mehr in ihrer Besonderheit hervortretenden, anscheinend ungeselligen, schwer beherrschbaren Natur des Menschen. War starker Zwang seitens einer diese »Wolfsnatur« bekämpfenden Vernunft nötig, um die Folgen dieser Andersartigkeit abzumildern (Hobbes), oder aber gab es in dieser Natur nicht doch irgendeine auf Ordnung und Gemeinschaft gerichtete »natürliche« Tendenz? Mussten die von Hobbes ohne Beschönigung und Verharmlosung dargestellten »natürlichen Leidenschaften«, die das von keinem Staat gezähmte Glücksverlangen des Menschen darstellten, notwendig zum »Krieg aller gegen alle« führen? War es 63 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

nicht möglich, ein gutes Leben der Gemeinschaft herzustellen, ohne die Individuen mit der Forderung zu belasten, sie müssten das private Glücksstreben dem Zweck der Gemeinschaft (etwa nach Art der Konzeption des Aristoteles) unterordnen? Adam Smith (1723–1790), als Moralphilosoph mit ethischen Fragestellungen innigst vertraut, glaubte weder an die von Hobbes konstatierte fundamentale Nichtübereinstimmung von individuellem Zweck und Interessen der Gemeinschaft noch an die aristotelische Konzeption des Menschen als eines gemeinschaftsbezogenen Lebewesens. Vielmehr war er davon überzeugt, dass die Verfolgung rein privat erscheinender Zwecke durch die Individuen einen nützlichen Beitrag zum Gelingen des menschlichen Zusammenlebens leisten könne, ohne dass man die Individuen auf irgendwelche übergeordneten Zwecke der Gemeinschaft verpflichten müsse. Smith und seine Nachfolger fassten den Markt als eine Sphäre auf, in der Individuen auf je eigene Weise ihr Glück suchen, ohne dauernd auf Vorgaben eines Staates Rücksicht nehmen zu müssen; trotz, ja gewissermaßen sogar wegen dieser »Rücksichtslosigkeit« befördern sie auf ganz »natürliche« Weise (s. u.) das Wohl aller und erweisen sich als nützliche Glieder der Gemeinschaft. Zur Begründung dieser Konzeption konnte Smith auf unsere alltägliche Erfahrung zurückgreifen: »It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self love, and never talk to them about our own necessities but of their advantages« (Smith 1776/1976: 26 f.). Die drei Gegensatzpaare »benevolence/regard for one’s own interest«, »humanity/self love«, »advantages of the others/one’s own necessitiess« zeigen, worauf Smith hinauswill: Das Wohl der Gemeinschaft, verstanden als Wohlstand jedes einzelnen, wird weder durch eine unmittelbare naturgemäße Ausrichtung jedes einzelnen auf dieses Wohl (im Sinne des Aristoteles), noch durch eine gewaltsame Zähmung der Bestrebungen der Individuen (wie Hobbes sie vorsah), sondern (falls bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sind) gerade durch den Egoismus eines jeden einzelnen gewährleistet. Der Egoismus, wie Smith ihn konzipiert, ist allerdings nicht der rücksichtslose zerstörerische Egoismus, der die Menschennatur bei Hobbes im »Krieg aller gegen alle« kennzeichnet, sondern stellt sich dar als das reflektierte Eigeninteresse von Individuen, die wissen, dass sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nach Besitz und Ansehen essen64 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Der Ursprung der Ökonomik

tiell auf andere angewiesen sind. Infolgedessen suchen sie ihr jeweils eigenes Wohl zu steigern, indem sie ihre Produkte mit den Produkten anderer auf dem Markt austauschen. Wenn jeder in dieser Weise sein größtmöglichstes Wohl zu verwirklichen sucht und in dieser Suche von den Bestrebungen der anderen unabhängig ist, wird auch das größtmögliche Wohl des Gemeinwesens erreicht. So folgt, dass die Begegnung der egoistischen Interessen auf dem Markt kein Chaos, kein regelloses Durcheinander, sondern eine sich selbst regulierende Ordnung erzeugt, die, insofern sie sich unwillkürlich und nicht als geplante Konsequenz der Verfolgung eigennütziger Interessen von Individuen einstellt, eine quasi-natürliche Ordnung ist. Mit dieser Betrachtungsweise brachte Smith einen wesentlichen Aspekt der neuzeitlichen Naturauffassung ins Spiel, der für Hobbes in seiner Staatstheorie ohne Bedeutung geblieben war: die harmonische Seite der Natur, wie sie sich im Sonnensystem mit seinen Planetenbewegungen darstellt. Dies hat bereits Hegel bemerkt; er sah in der Marktsphäre, wie Smith und seine Nachfolger sie konzipiert hatten, »eine Ähnlichkeit mit dem Planetensystem, das immer dem Auge nur unregelmäßige Bewegungen zeigt, aber dessen Gesetze doch erkannt werden können« (Hegel 1822/1970: 347). Die Analogie zwischen Wirtschaft und Planetensystem zeigt, dass Smith den neuzeitlichen Naturbegriff produktiv weiterentwickelt hat. Die, wie oben in Abschnitt 2.2 erläutert wurde, zwecklose, aber gesetzmäßige Natur wird zum Analogon einer Sphäre menschlicher Interaktion. Nicht weil die Menschen bewusst Gesetzen gehorchen oder weil sie immerfort um das Gute bemüht sind, stellt sich das Gleichgewicht auf dem Markt her; es ist einzig die unbeabsichtigte Resultierende aus den Kreuzungslinien der scheinbar unendlichen Mannigfaltigkeit privater Zwecke. Durch diese Konzeption gelingt es Smith, für den Bereich der Wirtschaft eine Art von »natürlicher« Ethik aufzustellen: Unbelastet von moralischen Vorschriften, nur der »Schwerkraft« ihrer »natürlichen Leidenschaften« folgend, stellen Menschen in ihrem Wirtschaften eine Ordnung her, gleich jener der Planeten, die die Harmonie des Sonnensystems jederzeit verwirklichen, ohne sie zu beabsichtigen, nur aufgrund der Gesetze der Schwerkraft. Diese Ethik, paradox formuliert, eine Ethik ohne Ethik, könnte man als eine Ethik des Gewährenlassens bezeichnen. Was Smith mit diesem Konzept leisten wollte, war ein Entwurf des guten Lebens, der in einem bestimmten Lebensbereich, nämlich dem der Wirtschaft, auf vollständiges Wissen und Planung ebenso wie auf 65 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

ethische Normen verzichten konnte und stattdessen den bei Ethikern und Theologen in schlechtem Ansehen stehenden Egoismus mit seinem jeweils individuellen, begrenzten Bewusstsein frei gewähren ließ. Gegenüber jeglichem moralischem Rigorismus lehrt Smith (und mit ihm der klassische Liberalismus): Nicht die Menschen, wie sie sein sollen, sondern die Menschen, wie sie nun einmal sind, haben die notwendigen Eigenschaften, die für ein gutes Leben erforderlich sind. All das gilt nicht uneingeschränkt für das gesamte Gemeinwesen, für das Smith sehr wohl die Notwendigkeit ethischer Normen und zwischenmenschlicher Dispositionen in Form von Tugenden postuliert, es gilt nur für eine Sphäre innerhalb dieses Gemeinwesens, und zwar für diejenige, die sich vor allem durch die »Ethik des Gewährenlassens« auszeichnet: Dabei handelt es sich um den Markt mit den auf ihm stattfindenden Interaktionen. Diese Sphäre ist ein zentraler Gegenstandsbereich der Volkswirtschaftslehre. Er konstituiert sich nach Art einer Natur, wie sie durch die neuzeitliche Naturwissenschaft konzipiert wurde: Nicht nach Art derjenigen Naturprozesse hier auf Erden, die erst durch ein über ihnen stehendes, sie beherrschendes Subjekt in eine geregelte Form gelangen, sondern nach Art der Ordnung des Sonnensystems, die sich, ohne äußere Eingriffe, von selbst erhält. Dabei zeigt sich: Beide Ordnungen sind als solche unbeabsichtigt – das Sonnensystem aber besteht allein aufgrund mechanischer Gesetze, während die absichtslose Ordnung des Marktes gleichsam als »Nebenwirkung« des absichtlichen Handelns zweckgerichteter Individuen entsteht: Das Zusammentreffen vieler Absichten führt also weder zu einem beabsichtigten Gesamtergebnis noch zu einem gesetzlosen Chaos, sondern zu einem Dritten: der zweckfreien Gesetzlichkeit der Marktsphäre. Diese allerdings trägt auf ihre Weise bei zu dem Zweck eines guten Lebens der Menschen.

2.4 Ökonomik als »Naturwissenschaft« vom menschlichen Glück? Der Utilitarismus Recktenwald (s. Smith 1776/1978: XXXVII) hat darauf hingewiesen, dass Smith von Thomas v. Aquin beeinflusst war und dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem von Smith eingeführten Begriff der »Unsichtbaren Hand«, die den Markt ordnet, und der Vorsehung, die gemäß den Theologen auch durch die Sünden der Individuen hin66 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Der Ursprung der Ökonomik

durch ihre Zwecke erreicht. 7 Dieser Hinweis hilft uns, die Leistung von Smith einzuschätzen: Seine Theorie war methodisch anders geartet als die damaligen Naturwissenschaften, auch wenn sie bestimmte Analogien zur klassischen Physik aufwies; ebenso wenig schaffte sie die Ethik oder die Politische Philosophie ab, um sich an ihre Stelle zu setzen – sie entlastete nur einen Bereich menschlicher Interaktion von ethischen Vorgaben, und für diese Entlastung war es zweckdienlich, die Sphäre der Ökonomie in vorsichtiger Parallelstellung zur Natur, wie sie die Naturwissenschaften sahen, zu konzipieren. 8 Beginnend mit David Ricardo (1772–1823) und Jean-Baptiste Say (1767–1832) kam es indes bald nach Smith zu Präzisierungen, aber auch Einschränkungen ökonomischer Fragestellungen. Gleichfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam die für die spätere Neoklassik bedeutsame Vorstellung auf, ethische Probleme ließen sich nach dem Vorbild der klassischen Mechanik lösen. So schreibt Gossen, ein bedeutender Vorläufer der Neoklassik, bereits 1854 (Gossen 1927: V): »Was einem Kopernikus zur Erklärung des Zusammenseins der Welten im Raum zu leisten gelang, das glaube ich für die Erklärung des Zusammenseins der Menschen auf der Erdoberfläche zu leisten. Ich glaube, dass es mir gelungen ist, die Kraft, und in großen Umrissen das Gesetz ihrer Wirksamkeit, zu entdecken, welche das Zusammensein der Menschen möglich macht und die Fortbildung des Menschengeschlechts unaufhaltsam bewirkt. Und wie die Entdeckungen jenes Mannes es möglich machten, die Bahnen der Weltkörper auf unbeschränkte Zeit zu bestimmen; so glaube ich mich durch meine Entdeckungen in den Stand gesetzt, dem Menschen mit untrüglicher Vgl. Hesse (1979: 57–62, 211, 261–263) zum Thema »Deismus« bei Smith; s. auch Kapitel 3, Abschnitt 3.8.2. 8 Auf die von späteren Ökonomen zu wenig beachteten ethischen Erwägungen im Werk von Smith geht Sen (1987: 27–28) ein, der zu Recht bemerkt: »The misinterpretation of Smith’s complex attitude to motivation and markets, and the neglect of his ethical analysis of sentiments and behaviour, fits well into the distancing of economics from ethics that has occurred with the development of modern economics. Smith did, in fact, make pioneering contributions in analysing the nature of mutually advantageous exchanges, and the value of division of labour, and since these contributions are perfectly consistent with human behaviour sans bonhomie bind ethics, references to these parts of Smith’s work have been profuse and exuberant. Other parts of Smith’s writings on economics and society, dealing with observations of misery, the need for sympathy, and the role of ethical considerations in human behaviour, particularly the use of behaviour norms, have become relatively neglected as these considerations have themselves become unfashionable in economics.« Siehe auch unten Kapitel 3. 7

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Sicherheit die Bahn zu bezeichnen, die er zu wandeln hat, um seinen Lebenszweck in vollkommenster Weise zu erreichen.« Dazu bedarf es allerdings einer Umformulierung der Frage nach dem Glück bzw. der Glückseligkeit. Schon zuvor war die antike (aristotelische) Konzeption der Glückseligkeit, die sich am Allgemeinen orientierte – als absichtslose Schau des Wesens oder Betätigung im Staat – privatisiert worden; wenn, wie in Voltaires »Candide«, das höchste Glück darin besteht, seinen Garten zu bebauen, ist Glück nichts anderes als das Wohl des Einzelnen. Als Wohl des Einzelnen verstanden, wird das Glück für die Volkswirtschaftslehre im Sinne von Smith von Bedeutung; wird das Wohl wiederum als Nutzen konzipiert, der sich mengenmäßig oder zumindest qualitativ in mathematischen Größen erfassen lässt, so führt das noch einen Schritt weiter: Mirowski (1984, insbes. 364 ff.) hat darauf hingewiesen, dass der Begriff des Nutzens bei neoklassischen Ökonomen wie Jevons, Walras und Edgeworth in strikter Analogie zum Begriff der Energie in der Physik des 19. Jahrhunderts konzipiert worden ist. Es war vor allem Georgescu-Roegen (1971: siehe z. B. 1 ff., 40 f., 334), der zeigte, wie stark die neoklassische Vorgehensweise durch die der klassischen Mechanik beeinflusst worden ist (siehe auch Thoben 1982: 292–296). Mit ihr hatte man die Möglichkeit, das ewige Glücksverlangen des Menschen in einer quantifizierbaren Form als Streben nach maximalem Nutzen zur Grundlage ökonomischer Berechnungen zu machen. Eine solche Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften wurde möglich nur durch die Unterstützung einer bestimmten Theorie der Ethik: den Utilitarismus. 9 Was ist unter Utilitarismus zu verstehen? Der letzte der großen klassischen Utilitaristen, H. Sidgewick, gibt folgende Definition: »By Utilitarianism is … meant the ethical theory, that the conduct which, under any given circumstances, is objectively right, is that which will produce the greatest amount of happiness on the whole; that is, taking into account all whose happiness is affected by Der Utilitarismus entstand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im angelsächsischen Raum. Als bedeutende Vertreter dieser philosophischen Theorie sind zu nennen: der Philosoph Jeremy Bentham, der Philosoph und Ökonom James Mill sowie dessen Sohn John Stuart Mill. Der Utilitarismus gehört heute zu den wichtigsten Theorien der Ethik. Vor allem im angelsächsischen Raum ist der Utilitarimus das dominante Paradigma der Ethik: »During the past hundred years or so the most influential of the secular moral doctrines has unquestionable been Classical Utilitarianism« (Dasgupta/Heal 1979: 260. Für eine Kritik siehe Höffe 1981).

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the conduct« (Zit. nach Dasgupta/Heal 1979: 260; siehe auch 260– 281 sowie Schumpeter (1954: 407–411, 1053–1073) und Sen (1970: 1975, 27–30, 34–35) zum Thema »Utilitarismus«). Eine solche ethische Theorie lässt sich, im Unterschied zu traditionellen ethischen Konzeptionen, auf folgende Weise in eine Wirtschaftstheorie eingliedern, die nach dem Vorbild der klassischen Mechanik formuliert worden ist: 10 Wenn man das Glück der Menschen rein quantitativ (als »amount of happiness«) bestimmt und als messbar betrachtet, kann man eine sogenannte kardinale Nutzenmessung vornehmen, die dazu führt, dass man die jeweilige Befindlichkeit einer Person, d. h. ihr größeres oder geringeres Glücksempfinden, in Nutzeneinheiten und damit in zahlenmäßigen Ausdrücken angeben kann. Wenn man weiterhin diese Quantität des Glücks nur aufgrund der Momente erfasst, die im Austauschprozess auf dem Markt in Erscheinung treten, wenn man also, mit anderen Worten, das Glück nur im eigenen Nutzen und diesen primär im Besitz und Genuss von Gütern sieht, die sich in Mengen von anderen Gütern ausdrücken lassen, dann ist die Wissenschaft der Ökonomie ein Mittel, das Glücksverlangen der Menschheit präzise zu erfassen. Eben durch diese quantitative Erfassung wird es aber auch operational: Weiß man präzise, was die Menschen wollen, so kann man sich in rein volkswirtschaftlichen Erwägungen Schritte überlegen, wie sich größtmögliches Glück für eine größtmögliche Anzahl von Menschen verwirklichen lässt. Zusammen mit den Naturwissenschaften, die uns über die Technik die Möglichkeit geben, die Glücksgüter herzustellen, sorgt idealerweise die Volkswirtschaftslehre, indem sie die optimale Verteilung der Güter aufgrund der »Naturgesetze« des Marktes konzipiert, dafür, dass die Menschheit jederzeit das Maximum an verfügbarem Glück realisiert. Diese extreme Version des Utilitarismus macht ethische Vorschriften und religiöses Verlangen nach Seligkeit überflüssig: der ungreifbare Lohn der guten Tat und die Belohnun-

10 Diese Eingliederung war nicht unbedingt im Sinne der Utilitaristen. Bell (1981/1984: 60) merkt hierzu an: »Aber es war keineswegs selbstverständlich – wie Henry Sidgewick, der große Moralphilosoph aus Cambridge, in seinen ›Ethics‹ gezeigt hat –, dass Egoismus und Utilitarismus so einfach vereinbar wären ›wenn nicht in der Tat durch Religion‹ oder dass als offensichtliche Wahrheit zu gelten hatte, dass ›das Interesse aller zugleich das Interesse jedes einzelnen ist‹. Die Volkswirtschaftslehre nach Marshall entfernte sich von ihrem utilitaristischen System und befasste sich hauptsächlich mit den egoistischen Interessen des einzelnen.«

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gen im Jenseits scheinen dem berechenbaren Glück auf Erden Platz gemacht zu haben. So ist die sich von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an herausbildende Schule der Neoklassik zumindest während ihrer Gründungszeit nach dem Vorbild der klassischen Mechanik konzipiert worden. 11 Wie Naturwissenschaft und Volkswirtschaftslehre damit die Überwindung von Philosophie (zumindest der Ethik) und Theologie prätendierten, wird in einer Äußerung von Vilfredo Pareto deutlich: »Strange disputes about predestination, about the efficacy of grace, etc, and in our day incoherent ramblings on solidarity show that men have not freed themselves from these daydreams which people have gotten rid of in the physical sciences, but which still burden the social sciences … Thanks to the use of mathematics, this entire theory, as we develop in the Appendix, rests on no more than a fact of experience, that is, on the determination of the quantities of goods which constitute combinations between which the individual is indifferent. The theory of economic science thus acquires the rigor of rational mechanics …« (Pareto, zit. nach Mirowski 1984: 364). Die Auseinandersetzungen über »predestination« und »efficacy of grace« betreffen das Gebiet der Theologie, »ramblings on solidarity« finden auf dem Boden der Ethik statt: für Pareto sind solche Auseinandersetzungen »strange«, da sie im wissenschaftlichen Zeitalter bloße »daydreams« darstellen und zur Erklärung der Realität nicht beitragen. An ihre Stelle tritt eine Theorie der Wirtschaft mit der rationalen Strenge der klassischen Mechanik. Das Entscheidende an Paretos Argumentation ist nicht so sehr, dass er eine Wirtschaftswissenschaft nach Art der »rational mechanics« für möglich hält, sondern dass er ihr zutraut, theologische und ethische Fragestellungen in ihren Erklärungen gänzlich außer Acht lassen zu können. Die extreme Version des Utilitarismus, bei der es um eine PsyVgl. dazu Georgescu-Roegen (1971), Hesse (1979: 278, 283) Thoben (1982), Mirowski (1984), Proops (1985), die das mit Zitaten von Jevons, Walras, Edgewarth, Pareto, Fisher belegen. Häufig wird in diesem Zusammenhang eine Äußerung von Jevons erwähnt, der die Ökonomik als »mechanics of utility and self-interest« entwickeln wollte (Georgescu-Roegen 1971: 40). Schließlich sei erwähnt, dass Samuelson (1980/1981: 20) in der 11. Auflage seines Lehrbuches »Economics« schreibt: »Nobelpreise werden seit einem Jahrhundert für besondere Leistungen in Physik, Chemie, Medizin und Physiologie, seit der Jahrhundertwende für den Frieden vergeben. Im Jahre 1969 wurde ein Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft eingeführt – womit in gewisser Weise die Verwandtschaft der Volkswirtschaftslehre zur Naturwissenschaft unterstrichen wurde.«

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chologie der Werte ging, wurde sehr bald, insbesondere von den Österreichern Menger, Wieser und v. Böhm-Bawerk, aber auch anderen (Schumpeter 1954: 1058), durch eine Logik der Werte ersetzt. Verschiedene Autoren (Sen 1970: 98 Anm. 15; vgl. auch Schumpeter 1954: 1059, 1057 Anm. 2), haben allerdings auf die Schwierigkeit hingewiesen, sich von der Vorstellung ganz frei zu machen, dass der in der Volkswirtschaftslehre verwendete Nutzenbegriff notwendigerweise ein Maß des Glücks im Sinne Benthams ist. Dasgupta/Heal (1979: 260) bemerken dazu: »It is remarkable the extent to which people are given to using some variants of Utilitarian arguments without acknowledging it or indeed in many instants being aware of it.«

2.5 Zusammenfassung, Kritik und Ausblick Zur Signatur der Neuzeit gehört die Idee, Wissenschaft in ein umfassendes Projekt der Beherrschung der Natur und der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen einzuspannen. Natürliche sowie wirtschaftliche Abläufe sollen so kontrolliert und gesteuert werden, dass sie den größtmöglichen Nutzen für die Menschen erbringen. 12 Dazu muss die Natur gezähmt und kontrolliert werden durch Technik, die von planenden Menschen gehandhabt wird, die Abläufe der Wirtschaft müssen jedoch, abgesehen von einer formalen Rechtsordnung, von niemandem beherrscht werden, da sie durch die blinde Instanz des Marktes in eine nützliche Richtung geleitet werden, effektiver, als jeder Plan es vermöchte. Hinsichtlich der physikalischen Natur wie hinsichtlich des Marktes ist der Mensch Herrscher und Beherrschter: Er ist den Naturgesetzen unterworfen und kann sie doch zu seinem Nutzen anwenden; er ist den Marktgesetzen unterworfen und kann doch durch sie Nutzen und Glück für sich steigern. Weiterhin zeigen Natur- und Wirtschaftswissenschaften einerseits, dass der Mensch als Natur- und Gesellschaftswesen determiniert ist durch Natur- und Marktgesetze. Andererseits aber versprechen sie ihm größtmögliche Freiheit: Frei von den Zwängen der endlich bezwungenen Natur, frei von den Normen der entbehrlich gewordenen Ethik und insbesondere von den Forderungen eines Staates, der sich zu Unrecht für das Glück der Menschen zuständig fühlte, kann der Mensch »auf seine Fasson« 12

Vgl. Lothar Schäfer (1993).

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

als Nutzenmaximierer selig werden. Die Frage nach der Glückseligkeit, die die Ethik des Aristoteles formulierte, scheint eine exakte naturwissenschaftliche Antwort gefunden zu haben. Es ist ein mächtiger ethischer Impuls, der die Theorien der Klassiker und der Neoklassiker auf den Weg gebracht hat; die Menschheit von überflüssiger Moral zu verschonen, ist eine Ethik, die die Mühsal des Lebens erleichtern kann; das Gewährenlassen der »natürlichen Leidenschaften« auf dem Markt hat den beeindruckenden Standard der Güterausstattung in den westlichen Gesellschaften hervorgebracht und die Kreativität vieler Individuen gefördert. Und plausibel wirkt auch die Anweisung an den Staat, sich nicht unnötig in die Belange seiner Bürger einzumischen; er ist nicht zuständig für ihre Glückseligkeit, sondern er kann allenfalls dazu beitragen, einen Raum zu schaffen, in dem seine Bürger, jeweils auf eigene Weise, ihre Glückseligkeit ungestört suchen. Man könnte in diesem Zusammenhang die Wissenschaft der Ökonomie als den Versuch auffassen, die politische und geistige Position des Liberalismus wissenschaftlich zu untermauern. Vielleicht liegt aber ein Problem strenger ökonomischer Wissenschaft darin, dass bedeutende Ökonomen sich nicht über die Grenzen des Gültigkeitsbereiches ihrer Theorie im Klaren waren: Ihre Perspektive stellt sich, ansatzweise schon bei Denkern wie Ricardo, insbesondere aber bei Walras, Jevons, Pareto und anderen Neoklassikern, nicht in genügendem Maße als eine Teilperspektive auf Mensch und Gesellschaft dar (Georgescu-Roegen 1971: 1; Thoben 1982: 294–295). Als eine solche Teilperspektive, die in einer Konstellation von Perspektiven etwa neben ethischen, soziologischen, politischen und theologischen Perspektiven ihren eigenen Ort hätte, leistet die neoklassische Theorie einen wesentlichen Beitrag zur Erkenntnis von Mensch, Gesellschaft und der Interaktion zwischen Mensch und Natur. Aber sie tendiert häufig zu dem Anspruch, die anderen Gesichtspunkte zurückzudrängen. Die mangelnde Besinnung auf die Grenzen ihrer Erkenntnisperspektive hat wesentlichen Anteil an dem, was zu Beginn dieses Kapitels als die Krise der Wirtschaftswissenschaften bezeichnet wurde. In einer solche Besinnung würde Wirtschaftswissenschaftlern etwas klar werden, was sie innerhalb der Grenzen ihrer Disziplin kaum wahrnehmen können: Ihre Angewiesenheit auf Erkenntnisse, die sie mit Hilfe ihres eigenen Instrumentariums unmöglich gewinnen können. Mit der Anerkennung dieser Abhängigkeit von anderen Arten 72 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Der Ursprung der Ökonomik

des Wissens, sei es wissenschaftliches Wissen oder Praxiswissen, würden sich Wirtschaftswissenschaftler zugleich aber auch in besonderer Weise als Gesprächspartner für einen Dialog zwischen den Disziplinen und zwischen Wissenschaft und gesellschaftlicher Praxis anbieten.

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3. Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitliches Menschenbild In Zusammenarbeit mit Olaf Hottinger

3.1 Einleitung: Thema und Inhalt Die Theorie des Allgemeinen Gleichgewichtes, 1 das Kernstück der gegenwärtigen Wirtschaftstheorie, kann für eine idealisiert dargestellte Volkswirtschaft folgende Aussage in mathematischer Form beweisen: Unter der Voraussetzung, dass (innerhalb einer Rechtsordnung) jedes Wirtschaftssubjekt seinen größtmöglichen privaten Nutzen zu erreichen sucht, entstehen Gleichgewichtszustände, in denen alle Wirtschaftssubjekte in den gegebenen Umständen ihre Pläne optimal realisieren. Damit wird nicht nur die individuell, sondern auch die volkswirtschaftlich maximal mögliche Bedürfnisbefriedigung erreicht. Eine solche Darstellung der Resultate des Wirtschaftsprozesses hat in drei Hinsichten ihre Wurzeln in der Lehre von Adam Smith. Dieser sah (i) die Wirtschaft als ein nach eigenen Gesetzen ablaufendes System an, das (ii) voraussetzt, dass die einzelnen Wirtschaftssubjekte ohne Beachtung des Gemeinwohls im Rahmen der Rechtsordnung frei ihre eigenen Interessen verfolgen können und das (iii) durch eine unsichtbare Hand dazu geführt wird, den größtmöglichen Wohlstand für alle Wirtschaftssubjekte und damit auch für die Gemeinschaft hervorzubringen. Obwohl Smiths Lehre daher als Basis der modernen Wirtschaftstheorie angesehen werden kann, beruht sie, bei aller Nähe zur modernen Theorie, auf einem Welt- und Menschenbild, dessen Voraussetzungen nur wenig mit den methodischen Grundlagen der gegenwärtigen Wirtschaftstheorie zu tun haben. Im Folgenden wird gezeigt, dass Smiths Auffassung von Welt und Mensch durch die moderne Wirtschaftstheorie keineswegs überholt wurde. Durch seine Darstellungsweise und die Einbettung seiner Wirtschaftstheorie 1

Vgl. Kapitel 1, Abschnitt 1.7 sowie Fußnote 9.

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Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitl. Menschenbild

in ein umfassendes Weltbild gewinnt Smith eine Offenheit für die mit der Wirtschaft und dem wirtschaftenden Menschen zusammenhängenden ethischen und anthropologischen Fragen, wie sie in heutigen Theorien selten geworden ist. 2 Das Interesse, das die folgende Untersuchung leitet, ist nicht rein historischer Art. Vielmehr wird gezeigt, dass Smiths Menschenbild insbesondere die gegenwärtige Homo-oeconomicus-Diskussion in einem neuen Licht erscheinen lassen kann. Daher werden wir uns zunächst in Abschnitt 3.2 mit dem Menschenbild der gegenwärtigen Wirtschaftstheorie, dem Homo oeconomicus, auseinandersetzen. In Abschnitt 3.3 stellen wir zuerst das Werk von Adam Smith vor. In den Abschnitten 3.4 bis 3.9 gehen wir auf Smiths mehrdimensionales Menschenbild ein und zeigen dabei, dass zum einen die Dimension des Homo oeconomicus von Smith nicht in der heutigen Weise aufgefasst werden darf und dass zum anderen die Dimension des Homo oeconomicus nur im Zusammenhang mit weiteren Dimensionen des Menschseins sinnvoll verstanden werden kann.

3.2 Der Homo oeconomicus der modernen Wirtschaftstheorie – seine Bedeutung und seine Grenzen Die Wirtschaftstheorie operiert seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts mit mathematischen Modellen, denen bestimmte Annahmen über den wirtschaftenden Menschen zugrunde liegen: Der Homo oeconomicus wird als ein egoistischer rationaler Nutzenmaximierer (Mueller 1995: 1) angesehen. Er kennt seine Bedürfnisstruktur, formuliert auf ihrer Basis Präferenzen, die er in einer Präferenzordnung hierarchisch strukturiert, und versucht, seine Bedürfnisse optimal zu befriedigen. Überdies wird ihm Nicht-Sättigung unterstellt. Das bedeutet, dass er immer mehr haben will, als er tatsächlich hat. Schließ-

Für die Ausprägung des Menschenbildes der gegenwärtigen Ökonomik ist weniger die Lehre Smiths als vielmehr die utilitaristische Theorie Jeremy Benthams paradigmatisch gewesen, der den Menschen als ein am eigenen Wohl orientiertes, ständig seinen Nutzen kalkulierendes Wesen auffasste. Vgl. hierzu Hottinger (1997). Unter den neueren dogmengeschichtlichen Untersuchungen zu der Frage, wie sich das ökonomische Menschenbild seit seiner Grundlegung durch Mill entwickelt hat und welche Modifikationen an ihm vorgenommen wurden, sind u. a. die Arbeiten von Persky (1995), Frambach (1996) und Morgan (1997) hervorzuheben.

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lich wird meist angenommen, dass sein Wohlbefinden nur vom eigenen Nutzen, nicht aber von dem seiner Mitmenschen abhängt. Der Homo oeconomicus ist ein Konzept, das vor allem deskriptiv, d. h. im Sinne einer möglichst wertfreien Beschreibung wirtschaftlicher Abläufe verwendet wird. Allerdings hat es auch normative Implikationen. 3 Zum einen wird unterstellt, dass ein höheres Maß an Bedürfnisbefriedigung besser ist als ein geringeres. Daher sind wirtschaftspolitische Empfehlungen von Ökonomen in der Regel so gehalten, dass sie einen möglichst hohen Grad an Bedürfnisbefriedigung für möglichst viele Individuen zum Ziel haben. Zum anderen scheint dieses Konzept zu implizieren, es entspreche der Natur des Menschen, sich egoistisch zu verhalten. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, dass Egoismus ein Grundprinzip alles Lebendigen darstelle, dem auch der Mensch unterworfen sei. 4 Somit wird ein solches Verhalten in gewisser Weise stillschweigend legitimiert. Auf der Basis der Homo-oeconomicus-Annahme werden seit einigen Jahrzehnten nicht nur im landläufigen Sinne wirtschaftliche Handlungen, sondern auch Handlungen im politischen und selbst im privaten Bereich beschrieben. So erklärt die Neue Politische Theorie mit dieser Annahme die Entstehung demokratisch verfasster Rechtsstaaten, während die Schule des Nobelpreisträgers G. S. Becker auch private Beziehungen ökonomisch beschreibt, indem sie etwa häusliche Handlungsmuster wie Eltern-Kind-Beziehungen auf egoistische Nutzenkalküle zurückführt (Becker 1982). Wenn man diesen Weg weiterverfolgt, scheint es, als lasse sich alles menschliche Handeln auf den Kalkül des Homo oeconomicus zurückführen. 5 Man kann dagegen allerdings kritisch fragen: Ist dieses Modell hinreichend, um menschliches Verhalten in allen möglichen Handlungsfeldern zu erklären, oder wird mit diesem Modell nur eine Di»Many economists would maintain that questions of positive economics – of how economies actually function, of what the consequences of policies will be – are entirely distinct from questions of normative economics – of what values economic arrangements should promote and of what policies should be adopted. … But … the fact is that one often finds positive and normative concerns intermingled in economics« (Hausman/ McPherson 1993: 677). Eine ausführliche Diskussion dazu findet sich in Manstetten (2000). 4 Demgemäß sieht die Verhaltensbiologie Egoismus vielfach als eine Fundamentaleigenschaft alles Lebendigen an (vgl. Dawkins 1978). 5 Seit einiger Zeit gibt es sogar Versuche, einen Verhaltensansatz, der in wesentlichen Zügen dem Homo-oeconomicus-Modell ähnelt, auch auf andere, nicht-menschliche Lebewesen anzuwenden (vgl. Tietzel 1993). 3

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mension der menschlichen Natur angesprochen, die durch andere Dimensionen zu ergänzen ist, wenn man menschliches Verhalten umfassend verstehen will? Wir wollen im Folgenden für die zweite Seite der Alternative und damit für eine differenziertere Sicht des Menschen plädieren, die auch für die ökonomische Wissenschaft von Belang ist. Denn es ist unseres Erachtens eher die Ausnahme als die Regel, dass menschliches Verhalten ausschließlich von egoistischen Nutzenkalkülen geleitet wird. Das gilt sogar für wirtschaftliche Tauschsituationen. 6 Hier liegt allerdings die Frage nahe, welche Dimensionen des Menschseins außer der Dimension des Homo oeconomicus für das Verständnis des menschlichen Handelns zu berücksichtigen wären. Diese Frage soll in unseren folgenden Ausführungen untersucht werden, indem wir die Umrisse eines mehrdimensionalen Menschenbildes nachzeichnen, wie sie sich im Werk von Adam Smith finden. Smith war nicht nur Ökonom, sondern er verfolgte einen umfassenden geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansatz. Sein Werk ist als eine »Trias von Ethik, Ökonomik und Politik konzipiert« (Bürgin 1993: 377). Das Anliegen dieses Werks bestand darin, verschiedene menschliche Handlungssysteme – darunter auch das wirtschaftliche – in ihrer internen Logik voneinander abzugrenzen und zugleich in ihrem Zusammenwirken zu betrachten. Dieser Versuch setzt einen umfassenden Blick auf den Menschen in den verschiedenen Dimensionen seines Verhaltens voraus.

3.3 Adam Smiths Werk und Weltbild Adam Smith (1723–1790) vertrat an der Universität Glasgow das Gebiet »Moralphilosophie«. Dazu gehörten an den schottischen Universitäten der damaligen Zeit vier große Bereiche: Theologie, Ethik, Rechtsphilosophie und Politische Ökonomie. Diese Bereiche sah Smith als zusammengehörig an. Er verband sie im Rahmen eines philosophischen Entwurfs, der den Menschen innerhalb des Ganzen der Welt thematisiert. Dieser Entwurf ist allerdings nur unvollstänSo spricht Kirchgässner (1996: 224) von »ethischen oder moralischen Grundvoraussetzungen …, ohne die eine Markt- oder Tauschwirtschaft nicht auskommen kann. Freiwilliger Tausch ist ohne ein bestimmtes Grundvertrauen in den (bisher unbekannten) Tauschpartner kaum durchführbar.«

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dig überliefert, da Smith in seinem letzten Willen die Verbrennung zahlreicher Manuskripte anordnete. Dennoch lassen sich die Umrisse und viele Hauptlinien seines Welt- und Menschenbildes aus den heute zugänglichen Texten erschließen. Neben sechs Essays, u. a. zur Theorie der Sprache und zur Geschichte des wissenschaftlichen Denkens, und überlieferten Vorlesungsskripten zur Rechtslehre aus dem Jahre 1764 (»Lectures on Jurisprudence«; im Folgenden abgekürzt: Smith 1764/1928) sind hier vor allem zwei Werke zu nennen: (i) Auf dem Gebiet der Politischen Ökonomie, deren Gegenstandsbereich, Methodik und Zielsetzung im 17. und 18. Jahrhundert gewaltige Veränderungen erfuhr, veröffentlichte Smith seine Abhandlung über den »Wohlstand der Nationen« (»Wealth of Nations«; Smith, 1776/1976; deutsch: Smith, 1776/1978), das die moderne Volkswirtschaftslehre begründete. Adam Smith war der erste, der ihr eine wissenschaftliche Form gab. 7 Erstmalig wurden hier Probleme wie Arbeitsteilung, Kapitalbildung, Marktgeschehen und ein vom Staat weitgehend unabhängiges Wirtschaftssystem in das Zentrum ökonomischer Untersuchungen gerückt und in einen systematischen Zusammenhang gestellt. (ii) Vor dem Hintergrund der Ethik seiner Vorgänger, insbesondere Hutcheson und Hume, verfasste Smith die »Theorie der ethischen Gefühle« (»Theory of Moral Sentiments«, deutsch: Smith 1759/1985), die eine anthropologische Grundlage für das Verständnis und die Beschreibung ethischer Handlungen und Urteile liefern sollte. Dieses Werk, obwohl weniger bekannt als der »Wohlstand der Nationen«, wird nicht nur von Ökonomen in der letzten Zeit wieder studiert und für die aktuelle ökonomische Debatte fruchtbar gemacht (vgl. etwa Nutzinger 1993), sondern es spielt ebenso in der philoso-

»Mit dem Moralphilosophen Adam Smith, … gewann die ›économie politique‹ oder die ›political economy‹, wie Smith seine Wissenschaft nannte, die Qualifikation einer Lehrstuhldisziplin. Die Kunst, ›un art‹, wie noch Montchretien die ›économie politique‹ verstand, wandelte sich zur ›science‹, zur Wissenschaft, wie Smith es auffasst« (Bürgin 1993: 366 f.). Man darf dabei indes nicht übersehen, dass Smith unter »Politische Ökonomie« keineswegs eine reine Wissenschaft im Sinne der klassischen Physik oder im Sinne der heutigen mathematischen Ökonomik verstand. Er definierte sie vielmehr als »branch of the science of a statesman or legislator« (Smith 1776/1978: 347). »Science« ist in diesem Zusammenhang wohl nicht als »Wissenschaft«, sondern eher als systematisch organisiertes Praxiswissen zu verstehen. Das bedeutet, dass für die Politische Ökonomie neben einem wissenschaftlichen Fundament insbesondere das Urteilsvermögen des Staatsmannes gefordert ist.

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phischen Auseinandersetzung über Ethik eine wichtige Rolle (vgl. Tugendhat 1993). Beide Werke sind durch eine Auffassung von der Welt im Ganzen verbunden, die untergründig überall präsent ist und an verschiedenen Stellen auch deutlich artikuliert wird. Für Smith stellt sich das Universum als ein in sich sinnvoll und zweckmäßig organisiertes Ganzes dar. Oberstes Ziel aller Teile dieses Ganzen ist die Glückseligkeit. In diesem Sinne sagt Smith, dass »die Werke der Natur … alle dazu bestimmt scheinen, Glückseligkeit zu fördern und gegen Elend zu schützen« (Smith 1759/1985: 251). Menschliche Erkenntnis hat die Aufgabe, diese sinnvolle Organisation des Ganzen intellektuell zu rekonstruieren. Insofern Erkenntnis jeden Teil der Welt im Hinblick auf seine Zweckmäßigkeit für das Ganze zu begreifen hat, ist das Weltbild von Smith teleologisch: »In jedem Teil des Universums beobachten wir, dass die Mittel auf die genaueste und kunstvollste Weise den Zwecken angepasst sind, die sie hervorzubringen bestimmt sind, und wir bewundern es, wie in dem Mechanismus einer Pflanze oder eines tierischen Körpers alles so ausgedacht ist, dass es die zwei Hauptabsichten der Natur, die Erhaltung des Individuums und die Fortpflanzung der Gattung, befördert« (Smith 1759/1985: 129). Alle Abläufe der Natur können also auf zwei Hauptabsichten zurückgeführt werden. Diese aber verweisen auf einen weise vorsorgenden Weltenschöpfer: »So oft wir durch natürliche Triebe dazu bestimmt werden, jene Zwecke zu fördern, die eine verfeinerte und aufgeklärte Vernunft uns anempfehlen würde, dann sind wir sehr geneigt, jener Vernunft als der wirkenden Ursache die Gefühle und Handlungen zuzurechnen, durch die wir jene Zwecke befördern, und uns einzubilden, dasjenige sei die Weisheit von Menschen, was in Wirklichkeit die Weisheit Gottes ist« (Smith 1759/1985: 130). Weil sich in allem Natürlichen die Weisheit Gottes zeigt, geht Smith davon aus, dass die Natur gut ist. Dieses Vertrauen auf die gute Natur ermöglicht es Smith zum einen, eine Morallehre zu entwerfen, die sich allein aus der Beschaffenheit der Menschennatur herleiten lassen soll, sowie zum anderen, ein System der Wirtschaft zu konzipieren, das weitgehend auf dem Gewährenlassen der Menschen basieren soll, wie sie von Natur aus sind. Wie vielschichtig Smith indes vor diesem gedanklichen Hintergrund die Natur des 79 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Menschen konzipierte, möchten wir in den folgenden Abschnitten zeigen.

3.4 Ebenen des Menschseins bei Smith Wenn Smith dem Menschen seinen Ort im Rahmen einer teleologischen Weltauffassung zuzuweisen sucht, steht er damit in einer langen philosophischen Tradition. Die Wurzeln seiner Sicht finden sich im teleologischen Weltbild des Aristoteles. Dieser ging davon aus, dass alles, was ist, auf ein Ziel oder einen Zweck hingeordnet sei. Das spezifisch menschliche Ziel bestand für ihn in der Glückseligkeit. Aristoteles sah den eigentümlichen Ort des Menschen zwischen zwei Extremen: Der Mensch steht zwischen Tier und Gott, mit beiden Extremen durch bestimmte seiner Eigenschaften verbunden. Dem Göttlichen und Unsterblichen nähert sich der Mensch mit seiner Vernunft und Weisheit, aber als von materiellen Bedingungen abhängiges, bedürftiges Lebewesen (griechisch: zoon) ist er ebenso wie die Tiere in den Kreislauf von Geburt, Fortpflanzung und Tod eingebunden. Während aber das Tier und der Gott für sich leben können, verwirklicht der Mensch sein Menschsein, indem er als Gemeinschaftswesen handelt: In der Mitte zwischen Tier und Gott stehend, ist der Mensch ein Zoon politikon, ein auf die Gemeinschaft des Stadtstaates, die Polis, bezogenes Lebewesen (Aristoteles, Politik: 1253a 2). Alle menschlichen Anlagen gelangen gemäß der aristotelischen Tradition zu ihrer höchsten Realisierung in der Sphäre des Politischen. Glückseligkeit findet der Mensch in der Ausübung der Tugend, im Tätigsein im Sinne der staatlichen Gemeinschaft. Für Smith gibt es ähnliche Extreme: Menschsein steht in der Mitte zwischen einer rein biologischen Ebene und einer rein geistigen Ebene, die auch als göttlich angesehen werden kann. Wir werden die biologische Ebene im nächsten Abschnitt 3.5, die göttliche Ebene in Abschnitt 3.8 ansprechen. In der Mitte zwischen diesen Ebenen liegt für Smith der Raum des eigentlich Menschlichen. Dieser ist allerdings nicht mehr nur der Raum der politisch verfassten Gemeinschaft, die für Aristoteles den Sinnhorizont allen menschlichen Tuns bildet. Vielmehr kann Smith das eigentlich Menschliche in drei Hinsichten ansprechen: In der Sphäre der Wirtschaft (Abschnitt 3.6), der Sphäre der Politik (Abschnitt 3.7) und der Sphäre der Religion bzw. der universellen Moral (Abschnitt 3.8). Dementsprechend ist der 80 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitl. Menschenbild

Mensch zwischen den Extremen von Tier und Gott wahrhaft Mensch, wenn er zugleich Homo oeconomicus, Homo politicus und Homo religiosus ist.

3.5 Der Mensch als Lebewesen Entsprechend den im vorigen Abschnitt genannten beiden »Hauptabsichten der Natur« sind auch dem Menschen von der Natur die zwei entsprechenden Ziele zugewiesen: seine Selbsterhaltung und sein Beitrag zur Erhaltung seiner Gattung, d. h. also seine Fortpflanzung: »Die Menschen sind nun mit einem Verlangen nach jenen Endzwecken und mit einer Abneigung gegen ihr Gegenteil begabt: mit einer Liebe zum Leben und Furcht vor Auflösung; mit einem Verlangen nach beständiger Fortdauer der Art und mit einer Abneigung gegen den Gedanken ihres völligen Erlöschens« (Smith 1759/1985: 113–114). Auf dieser grundlegenden Ebene seiner Existenz erscheint der Mensch als ein Lebewesen neben vielen anderen nichtmenschlichen Lebewesen. Als ein solches, als ein Homo biologicus, wird er durch Fähigkeiten und Triebe bestimmt, die nicht spezifisch menschlich sind, sondern auch beispielsweise den Tieren zukommen. Das Verhalten des Menschen ist auf dieser Ebene nicht rational, sondern instinkthaft. Im Anschluss an das obige Zitat von den »Endzwecken« des Menschen fährt Smith fort: »Obwohl wir aber so mit einem sehr starken Verlangen nach jenen Endzwecken begabt sind, ist es doch nicht den langsamen und ungewissen Entschließungen unserer Vernunft überlassen worden, die schicklichen Mittel ausfindig zu machen, um sie zu verwirklichen. Die Natur hat uns durch ursprüngliche und unmittelbare Instinkte die Richtung auf diese Mittel – oder doch auf die meisten derselben – gegeben. Hunger und Durst, die Leidenschaft, welche die beiden Geschlechter eint, die Liebe zur Lust und die Furcht vor Schmerz, treiben uns an, jene Mittel um ihrer selbst willen zu gebrauchen« (Smith 1759/1985: 114). Die rechtzeitige Wahrnehmung der elementaren Bedürfnisse des Menschen (»natural wants«; Smith 1764/1928: 115), Nahrung, Kleidung und Wohnung wird auf diese Weise bereits auf der vor81 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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rationalen Ebene, der Ebene des Homo biologicus, des instinktiv geleiteten Menschen, gesichert: »Die Begierden des Hungers und des Durstes, die angenehmen oder unangenehmen Empfindungen von Lust und Unlust, von Hitze und Kälte usw. kann man als die Lektionen betrachten, die ihm (dem Individuum, d. V.) durch die Stimme der Natur selbst erteilt werden, und die ihm vorschreiben, was es zu diesem Zweck (der Selbsterhaltung, d. V.) wählen und was es meiden soll« (Smith 1759/1985: 360). Obwohl andere im Folgenden anzusprechende Dimensionen die instinktive Ebene überlagern, darf sie aus einer Betrachtung des menschlichen Handelns nie ausgeschlossen werden. Auch wenn der Mensch zu rationalem Handeln begabt ist, gibt es immer die Möglichkeit, dass die instinktive Ebene in irrationaler Weise durchbricht (vgl. Smith 1759/1985: 33–35).

3.6 Der Mensch und die Wirtschaft 3.6.1 Vorbemerkungen Die Wissenschaft der Wirtschaft, die Smith begründet, hat ihren Kern in der Auffassung der Wirtschaft als ein System, das nicht einfach ein Teilbereich der politischen Ordnung ist, sondern einer eigenen Logik folgt. Dieses System bezeichnet er als »System der natürlichen Freiheit«. Seine entscheidende Voraussetzung spezifiziert er wie folgt: »Solange der Einzelne nicht die Gesetze verletzt, lässt man ihm völlige Freiheit, damit er das eigene Interesse auf seine Weise verfolgen kann und seinen Erwerbsfleiß und sein Kapital im Wettbewerb mit jedem anderen oder einem anderen Stand entwickeln oder einsetzen kann« (Smith 1776/1978: 582). Die anthropologischen Voraussetzungen dieses Systems lassen sich, wie im Folgenden gezeigt wird, keineswegs auf die Legitimation einer rationalen Verfolgung des Eigeninteresses reduzieren. Smiths Auffassung des wirtschaftenden Menschen unterscheidet sich allerdings nicht nur von der Vorstellung des Homo oeconomicus der gegenwärtigen Wirtschaftstheorie, sondern auch von dem Bild des wirtschaftenden Menschen, wie es bis in seine Zeit von Aristoteles geprägt wurde. Smith würdigt den wirtschaftenden Menschen in seiner Menschlichkeit, im Gegensatz zu Aristoteles, für den das Wirt82 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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schaftliche sozusagen nur eine Erweiterung des Tierischen, des Homo biologicus, ist. Zum besseren Verständnis der Sicht Smiths auf den wirtschaftenden Menschen soll zunächst die Auffassung von Aristoteles skizziert werden. 3.6.2 Die Wirtschaftssphäre als untergeordneter Bereich bei Aristoteles Aristoteles untersuchte wirtschaftliche Phänomene im Rahmen seiner Betrachtung der Ökonomik, der Kunst der Hausverwaltung. Dort geht es wesentlich um Bedürfnisbefriedigung (Aristoteles, Politik: 1252b 15). Aber da die Bedürftigkeit den Menschen mit den Tieren verbindet, ist der Mensch, solange die Befriedigung seiner Bedürfnisse den Mittelpunkt seines Lebens ausmacht, für Aristoteles noch nicht richtig Mensch. Zwar sieht Aristoteles klar die Notwendigkeit, Güter herzustellen, auszutauschen und zu beschaffen. Aber ein Mensch, der vor allem an diese Notwendigkeit gebunden ist, ist für Aristoteles unfrei, da er nicht seine spezifisch menschlichen Anlagen entfalten kann. Frei ist der Mensch nur da, wo er sich über das Wirtschaftliche erheben kann, als Homo politicus, der im Sinne des Gemeinwesens denkt und handelt: »Wer es sich also leisten kann, sich nicht selbst (mit wirtschaftlichen Dingen, d. V.) abzumühen, bei dem übernimmt ein Verwalter dieses Amt, und die Herren selbst treiben Politik oder Philosophie« (Aristoteles, Politik: 1255b 37). Alles, was mit dem Wirtschaftlichen zusammenhängt, ist für Aristoteles allenfalls ein unvermeidliches Übel. Am besten ist es für den Menschen, seine Bedürfnisse auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen: Das Immer-mehr-haben-Wollen, die Unersättlichkeit (griechisch: pleonexia) ist nicht, wie die Nicht-Sättigung der modernen Ökonomik, etwas Natürliches und moralisch Indifferentes, sondern vielmehr der Kern der Ungerechtigkeit (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik: 1130a 19). Verwerflich ist insbesondere das Streben nach immer mehr Geld (Aristoteles, Politik: 1257b 40 ff.). Die Notwendigkeit des Wirtschaftlichen wird von Aristoteles zwar gesehen, begründet aber kein Feld eigentlich menschlicher Tätigkeit. Wirtschaftliche Betätigung ist eher der Tribut, den der Mensch an seine tierische Seite zahlen muss, als ein seiner Bestimmung gemäßes Handeln. Daher kann es bei Aristoteles keinen Homo 83 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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oeconomicus geben, der im vollen Sinne Mensch wäre. In dieser Vorstellung liegen die Wurzeln für die berüchtigte Rechtfertigung der Sklaverei, die Aristoteles aus seiner Sicht der Ökonomik herleitet (Aristoteles, Politik: 1254a 17–1255b 40). In einer Sphäre, in der gemäß Aristoteles das Tierische, die Abhängigkeit von materiellen Umständen, ausschlaggebend ist, haben alle Tätigkeiten etwas Sklavisches. Wer zu nichts anderem als zu derartigen Tätigkeiten fähig ist, kann daher, wie Aristoteles meint, als »Sklave von Natur aus« angesehen werden (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 6, Abschnitt 6.2.3). Die Unfreiheit dieser Sphäre tangiert sogar den Hausverwalter, der die Sklaven in ihren ökonomischen Tätigkeiten anleitet. Wer sich mit unedlen Wesen abgibt, wie es die Sklaven sind, nimmt nach Aristoteles in gewisser Weise selbst unedle Züge an. Daher betont Aristoteles, dass die Hausverwaltung als »die Wissenschaft, … die Sklaven zu verwenden … nichts Großes und Edles an sich« habe (Aristoteles, Politik: 1255b 30–34). Somit ist das Haus, die Sphäre der Ökonomik, für Aristoteles kein wahrhaft menschlicher Handlungszusammenhang. Gewiss ist diese Auffassung des Wirtschaftlichen bereits durch das Christentum entscheidend verändert worden, in dessen Rahmen die Mühe um das »tägliche Brot« keineswegs den Beigeschmack des Ehrenrührigen, den Aristoteles ihr verlieh, beibehält (s. u. Kapitel 6). Theoretisch ist es aber, trotz vieler Vorläufer von Hobbes (1588– 1679) über Locke (1632–1704) und Montesquieu (1689–1755) bis zu Hutcheson (1694–1774) und Hume (1711–1776), eine eigene Leistung von Smith, dem wirtschaftenden Menschen systematisch einen Ort in der Bestimmung des Menschseins zugewiesen zu haben. 3.6.3 Wirtschaftliches Handeln als menschliches Tun Im Einklang mit der philosophischen Tradition sieht Smith Sprache und Rationalität als wesentliche Unterscheidungsmerkmale an, durch die das spezifisch Menschliche gekennzeichnet ist. Darüber hinaus aber hebt Smith hervor, dass der Mensch schon dadurch menschlich ist, dass er im Gegensatz zum Tier nicht bei der Befriedigung elementarer Bedürfnisse (vgl. Faber/Manstetten 2003: 183–184) stehen bleibt. Seine Bedürfnisstruktur ist komplexer (vgl. ibid.: 184–189). Der menschliche Geist liebt die Abwechslung und wird von der Uniformität gelangweilt. Es besteht daher das Bedürf84 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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nis, die unmittelbar gegebenen Güter der Natur nach dem individuellen Geschmack zu bearbeiten und zu verfeinern (Smith 1764/1928: 115–116). Zugleich stellt der Mensch fest, dass er nicht in der Lage ist, alle Güter, die er gerne zu besitzen wünscht, selbst herzustellen. Die Gründe dafür können in mangelnden persönlichen Fähigkeiten oder auch in fehlender Zeit liegen. In Verbindung mit der Fähigkeit, mittels der Sprache in eine differenzierte und rationale Kommunikation mit anderen Individuen einzutreten, kommt es somit zur spezifisch wirtschaftlichen Interaktion der Menschen: zur zwischenmenschlichen bzw. gesellschaftlichen Verständigung über Tauschgeschäfte und Arbeitsteilung. Wenn Aristoteles (Aristoteles, Politik: 1253a 2–10) den Menschen als staatenbildendes und vernünftiges Lebewesen vom Tier abgrenzte, so betont Smith, dass der Mensch sich auch als wirtschaftendes Lebewesen vom Tierreich abhebt. Smith sieht gerade die Verschiedenheit der individuellen Fähigkeiten als wesentlich für das Menschsein an. Denn durch den Vollzug eines ursprünglichen wirtschaftlichen Aktes, des Tausches, der die verschiedenen Fähigkeiten verschiedener Menschen zugleich voraussetzt und ausgleicht, unterscheidet sich der Mensch nach Smith fundamental vom Tier. Die Gesellschaft von Menschen kann dadurch Möglichkeiten realisieren, wie sie jedem Verband von Tieren verschlossen sind. Dies illustriert Smith am Beispiel von Hunden: Die »verschiedenen Hunderassen sind einander kaum von Nutzen, obwohl sie alle zur gleichen Gattung gehören. … Da ihnen die Fähigkeit oder Neigung zum Handeln und Tauschen fehlt, können Talente und Anlagen der verschiedenen Hunderassen sich weder gegenseitig ergänzen, noch im geringsten das Leben der Gattung verbessern helfen. … Im Gegensatz hierzu nützen unter Menschen die unterschiedlichsten Begabungen einander« (Smith 1776/1978: 18– 19). Das Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit ist also das Erreichen eines besonderen Vorteils (advantage) für alle, die an dieser Tätigkeit beteiligt sind. Für Smith ist der Begriff des Vorteils dabei eng mit dem Begriff des Eigeninteresses (self-interest) verbunden. Vom Eigeninteresse spricht er als »jenem Grundprinzip, das die Handlungen aller Menschen bestimmt, und das die Menschen dazu führt, in gewisser Weise aus Gesichtspunkten des Vorteils (advantage) zu handeln« (Smith 1764/1928: 168; vgl. Smith 1776/1978: 279 u. 669). Das Eigeninteresse ist ein zentrales Prinzip in der Smithschen 85 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Wirtschaftstheorie. Es bildet den Dreh- und Angelpunkt seiner Konzeption einer liberalen Wirtschaftsordnung, des »Systems der natürlichen Freiheit«. Erwägungen aus »Interesse« stellen die Triebfeder wirtschaftlichen Handelns dar. Wenn also Tauschvorgänge zum gegenseitigen Nutzen bzw. Vorteil stattfinden, dann liegen sie demnach im beiderseitigen Interesse der beteiligen Handelspartner: »Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlägt vor: Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst. … Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen« (Smith 1776/1978: 17). Der wesentliche Inhalt des Eigeninteresses der meisten Menschen besteht in dem persönlichen Ziel der »Verbesserung der Lebensbedingungen«. Dieses Ziel, die eigentliche Triebfeder des wirtschaftenden Menschen, nötigt ihn zum einen zu arbeiten. Zum anderen muss er einen Teil seines Einkommens als Ersparnis akkumulieren. Um zukünftigen Konsums willen ist er genötigt, auf die Möglichkeit gegenwärtigen Konsums zu verzichten: »So ist die Begierde nach augenblicklichem Genuss Grund für spontane Geldausgabe. So heftig und unwiderstehlich diese Passion gelegentlich auch sein mag, gewöhnlich ist sie nur von kurzer Dauer. … . Das Motiv zum Sparen liegt hingegen in dem Wunsch, die Lebensbedingungen zu verbessern …. . Die meisten Menschen sehen in der Vergrößerung ihres Vermögens einen Weg, um ihr Los zu verbessern … . Um Vermögen zu bilden, muss man sparen« (Smith 1776/1978: 282). Der wirtschaftende Mensch hat nach Smith also Interessen, die er rational verfolgt. Diese Interessen beziehen sich auf eine ständige Steigerung der vorhandenen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. In diesem Zitat treffen wir auf Wesenszüge des Homo oeconomicus, wie er in der neoklassischen Wirtschaftstheorie gesehen wird: In rationaler und eigennütziger Weise entscheidet er sich zwischen Konsum und Sparen, zwischen Arbeit und Freizeit. Und ebenso wie auf den Homo oeconomicus trifft auf den wirtschaftenden Menschen bei Smith die Annahme der Nicht-Sättigung zu: Er möchte mehr haben, als er aktuell hat. Smith sieht ein solches eigennütziges wirtschaftliches Streben – etwa im Gegensatz zu Aristoteles – als etwas durchaus dem Menschen Gemäßes an: »Die Rücksicht auf unser eigenes Glück und auf unseren persön86 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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lichen Vorteil erscheint … in zahlreichen Fällen … als ein sehr lobenswertes Prinzip des Handelns. Charaktergewohnheiten wie Wirtschaftlichkeit, Fleiß, Umsicht, Aufmerksamkeit, geistige Regsamkeit, werden nach allgemeinem Dafürhalten aus eigennützigen Beweggründen gepflegt, und doch hält man sie zugleich für sehr lobenswürdige Eigenschaften« (Smith 1759/1985: 506). 3.6.4 Der Homo oeconomicus als soziales Wesen Der Mensch in der Sphäre der Wirtschaft, wie Smith ihn sieht, unterscheidet sich durch die Struktur seiner Interessen in einer Hinsicht wesentlich vom Homo oeconomicus der gegenwärtigen Wirtschaftstheorie. Letzterer ist dadurch gekennzeichnet, dass die Selbsteinschätzung seines Nutzens nicht von dem Nutzen anderer Wirtschaftssubjekte abhängig ist. Dagegen streben nach Smith viele Menschen vor allem deswegen nach Reichtum, weil sie sich dadurch von anderen Menschen abheben können. Denn Reichtum erleichtert in den Augen vieler nicht nur das Leben, er begründet darüber hinaus gesellschaftliches Ansehen. Menschen schätzen also ihren Nutzen nach Smith immer relativ zu dem ein, was andere haben. Denn sie wissen, dass großer Reichtum sie aus der Mehrzahl der anderen heraushebt und deren allseitige Bewunderung auf sich zieht. Smith spricht in diesem Zusammenhang von einer »eigentümlichen Sympathie« 8 für Reiche und Große (Smith 1759/1985: 73). Das Verlangen nach Reichtum bezieht sich also vor allem auf den Wunsch, die eigene Position relativ zu den anderen zu verbessern und damit die von Smith angesprochenen Sympathien auf sich zu ziehen. Auf diese Weise wird Reichtum zum ›Traum vom Glück‹, der die Menschen erfasst und zuweilen auch gänzlich beherrscht. Smith spricht hier die Erfahrung an, dass in der Gesellschaft vielfach mehr nach den äußeren als nach den inneren Werten geurteilt wird. Wer besitzt, was andere nicht besitzen (können), gewinnt an sozialem Prestige: »[S]o können wir doch nicht lange in der Welt leben, ohne desSympathie hat bei Smith einen etwas anderen Sinn als im heutigen Sprachgebrauch. Es handelt sich um die Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen mitzufühlen, wobei dieses Mitgefühl sowohl auf freudvolle als auch auf leidvolle Gefühle bezogen sein kann (vgl. auch Abschnitt 3.7.1).

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sen inne zu werden, dass die Achtung, die wir bei den uns Gleichgestellten genießen, dass unser Ansehen und unser Rang in der Gesellschaft, in der wir leben, sehr stark davon abhängt, wie viel wir von jenen Vorteilen (der Wohlstandsgüter; d. V.) besitzen, oder wie viel man wenigstens glaubt, dass wir von ihnen besitzen« (Smith 1759/ 1985: 361). Das Ziel der »Verbesserung der Lebensverhältnisse« beruht letztendlich auf dieser Erfahrung, wie sehr Reichtum und gesellschaftliches Ansehen verknüpft sind: »[W]elches sind die Vorteile, die wir bei jenem großen Endziel menschlichen Lebens, das wir ›Verbesserung unserer Verhältnisse‹ nennen, im Sinne haben? Dass man uns bemerkt, dass man auf uns Acht hat, dass man mit Sympathie, Wohlgefallen und Billigung von uns Kenntnis nimmt … Es ist die Eitelkeit, nicht das Wohlbefinden oder das Vergnügen, was uns daran anzieht« (Smith 1759/1985: 71). Das Bedürfnis nach immer mehr und auch besonders exklusiven Gütern steht hiermit im Zusammenhang. Was exklusiv und demgemäß in den meisten Fällen auch relativ teuer ist, trägt nämlich nicht unwesentlich zur (weltlichen) Unterscheidung der Menschen bei. Das Interesse an materiellem Wohlstand resultiert also im Wesentlichen aus einem Interesse an gesellschaftlichem Ansehen. Die Präferenzordnung des Smithschen Homo oeconomicus ist somit – im Gegensatz zu den vereinfachten Modellen der neoklassischen Wirtschaftstheorie – nicht unabhängig von dem Wohlbefinden anderer Menschen. Vielmehr bestehen soziale Interdependenzen (s. z. B. Bernholz/Breyer 1993: 131–138 u. Kirchgässner 1996). Um nun von der Ebene des Handelns einzelner Wirtschaftssubjekte zur Ebene des Wirtschaftssystems zu gelangen, nimmt Smith einen methodisch folgenreichen Schritt vor. Er trennt die individuellen Handlungsmotive und -ziele von den sozialen Handlungsfolgen. 9 Das ermöglicht es ihm, die Wirtschaft als ein System zu konzipieren, das sich weitgehend abgekoppelt von den Intentionen der einzelnen Wirtschaftssubjekte entwickelt. Für dieses System ist es nun gemäß Smith charakteristisch, dass die individuellen Motive, Reichtum zu erlangen, zwar häufig negativ, ihre volkswirtschaftlichen Auswirkungen aber in der Regel positiv eingeschätzt werden können. Denn die mit Reichtum verbundenen Glückserwartungen stellen eine entZur Vorgeschichte einer derartigen Trennung von individuellen Bestrebungen und sozialen oder politischen Auswirkungen vgl. Hirschman (1987).

9

88 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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scheidende Ursache wirtschaftlichen Wachstums dar, der allen Mitgliedern der Gesellschaft zu Gute kommt. Das Ziel der Akkumulation von materiellen Gütern, von Luxus und Reichtum führt zu individuellen Anstrengungen, zum Bemühen, das Beste zu geben, um auf diese Weise – je nach wirtschaftlichem Status – einen hohen Lohn, Gewinn oder eine entsprechende Bodenrente zu realisieren. Arbeitsteilung und Handel erfahren auf diese Weise eine besondere Stimulation. Sie sind vernünftig und finden prinzipiell zum Vorteil aller am arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess Beteiligten statt. Die arbeitsteilige Handelsgesellschaft mit ihren verschieden spezialisierten, ehrgeizigen Wirtschaftssubjekten unternimmt die Verbesserung herkömmlicher agrarwirtschaftlicher Methoden und sorgt für Innovationen nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in Handwerk, Gewerbe und Manufakturwesen. Produktivitätszuwächse sind die Folge. Der Mensch macht sich die Natur auf immer systematischere Weise dienstbar. Und dies ist nach Smith – angesichts eines rasanten Bevölkerungswachstums im Großbritannien der damaligen Zeit 10 – gut so (Smith 1759/1985: 315). Insgesamt konkretisiert sich in der Ökonomie die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Zusammenlebens, das Smith für die bürgerliche Gesellschaft als charakteristisch ansieht: Es beruht in erster Linie auf den individuellen Nutzenerwägungen. »Die Gesellschaft kann zwischen einer Anzahl von Menschen – wie eine Gesellschaft unter mehreren Kaufleuten – … aus einem Gefühl ihrer Nützlichkeit heraus, ohne gegenseitige Liebe und Zuneigung bestehen bleiben; … so kann die Gesellschaft … durch eine Art kaufmännischen Austausches guter Dienste, die gleichsam nach einer vereinbarten Wertbestimmung geschätzt werden, aufrechterhalten werden« (Smith 1759/1985: 127–128). Eine derartige Gesellschaft bezeichnet Smith als »kommerzielle Gesellschaft« (commercial society). Diese nur aus Homines oeconomici (im Sinne von Smith) bestehende Gesellschaft kann also ›funktionieren‹. Dazu bedarf es als einer wesentlichen Voraussetzung allerdings der Gerechtigkeit (Smith 1759/1985: 128–129). Gerechtigkeit muss das Prinzip sein, das die Rahmenbedingungen der verschiedenen kommerziellen Akte prägt. Denn in einem – wie auch immer – weitgehend vertraglich geregelten Gemeinwesen wird die Einhal10 Alleine in England stieg die Bevölkerung von 1700 bis 1800 von fünf auf acht Millionen Menschen (Haan/Niedhardt 1993: 71–72).

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tung der einzelnen Kontrakte zur zentralen Überlebensfrage. Dies betrifft auch die Sicherstellung der persönlichen Freiheiten der Wirtschaftssubjekte, soweit sie andere Mitglieder des Gemeinwesens nicht in deren fundamentalen Rechten beeinträchtigen. Gerechtigkeit selbst überschreitet aber den Horizont der Nutzenkalküle wirtschaftender Menschen. Gerechtigkeit als die Voraussetzung für das Bestehen einer Gesellschaft von Menschen, die in ihren Handlungen allein von einem Gefühl der Nützlichkeit motiviert sind, kann selbst nicht aus Nützlichkeitserwägungen hergeleitet werden (Smith 1759/1985: 131–137). Dass der Sinngehalt von Gerechtigkeit aus ihrem Nutzen für die Gesellschaft bestimmt werden könne, ist eine Ansicht, die schon Platon, wenngleich kritisch, referiert (Politeia Buch II) und die von Hobbes, Hume (1751/1972), den Utilitaristen und heute etwa von Buchanan vertreten wird. Alle diese Denker (mit Ausnahme Platons) hatten aufgrund ihrer Herleitung der Gerechtigkeit Schwierigkeit, Menschsein in Dimensionen zu thematisieren, die über die Nützlichkeit hinausweisen. Smith ist hingegen überzeugt, dass die Betrachtung des Menschen als rein eigennütziges Wesen, als Homo oeconomicus im Sinne der modernen Theorie, für das Verständnis wichtiger menschlicher Handlungsfelder zu kurz greift. Diese Gedanken werden seit zwei Jahrzehnten auch von Vertretern der Neuen Politischen Ökonomie diskutiert (Buchanan 1975, Bernholz 1991, Kirchgässner 1996, Petersen 1996, Faber/Manstetten/Petersen 1997 bzw. Kapitel 4 des vorliegenden Buches). 3.6.5 Wirtschaftliches Handeln und menschliche Glückseligkeit Der Homo oeconomicus mag zwar vielfach in Wohlstand leben, ›richtig glücklich‹ wird er aber nach Smiths Ansicht nicht. Denn mit Arbeit und Sparsamkeit allein gelingt es dem Homo oeconomicus nicht, einen Zustand der Glückseligkeit (happiness) zu erreichen. Smith hebt hervor, dass der Mensch vielfach Güter anzuhäufen sucht, von denen er nie genug haben kann, weil sie auf die Befriedigung gleichsam unersättlicher Bedürfnisse, also solcher, die per Definition nicht befriedigt werden können, abzielen – wir begegnen hier der Nichtsättigungshypothese der modernen Ökonomik: »[D]as Bedürfnis nach Annehmlichkeiten und Verzierungen von Gebäuden, nach Kleidung und Hausrat scheint grenzenlos zu 90 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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sein. … Was nicht für begrenzte Bedürfnisse benötigt wird, wird für solche Bedürfnisse ausgegeben, die nicht befriedigt werden können, sondern insgesamt endlos erscheinen« (vgl. Smith 1776/1978: 143; unsere Übersetzung). Das Individuum erwirbt demgemäß vielfach Güter, die letztendlich als »überflüssig« (Smith 1759/1985: 71) und nutzlos zu bezeichnen sind (Smith 1759/1985: 315). Der Mensch, der Reichtum zu erwerben sucht, hängt für Smith einem Traum vom vermeintlichen Glück nach. Dass Reichtum jedoch keine entscheidende Komponente menschlicher Glückseligkeit darstellt, entdeckt der Mensch erst, wenn er selbst reich geworden ist. Dies ist für ihn umso bitterer, als der Weg zum angestrebten Ziel ein dornenreicher war, der vielfach nur unter größten Mühen begangen werden konnte. Auf diesem Weg lebt der Mensch disharmonisch – und zwar sowohl sich selbst als auch seinen Mitmenschen gegenüber: »Um die Bequemlichkeiten zu erlangen, die … (Reichtum und Größe, d. V.) gewähren, unterwirft er sich allein im ersten Jahr, ja schon im ersten Monat seiner Bemühungen … größeren körperlichen Anstrengungen und größeren seelischen Beschwerden, als er sein ganzes Leben hindurch infolge des Mangels jener Bequemlichkeiten hätte erdulden können. … Zu diesem Zweck macht er aller Welt den Hof; er erweist denjenigen Dienste, die er hasst, und ist denjenigen gegenüber unterwürfig, die er verachtet. Sein ganzes Leben hindurch jagt er hinter dem Bilde einer gewissen künstlichen und vornehmen Ruhe her, die er vielleicht niemals erreichen wird, und der er eine wirkliche Seelenruhe opfert, die zu erwerben jederzeit in seiner Macht steht« (Smith 1759/1985: 311). Für das ›wahre Glück‹ des Menschen stellt eine ausreichende materielle Versorgung nach Smith zweifellos eine Voraussetzung dar. Dies ist aber etwas anderes als Reichtum oder überflüssiger Luxus. Um zu einer angemessenen Vorstellung von menschlicher Glückseligkeit (happiness) zu gelangen, muss man nach Smith noch andere Aspekte des Mensch-Seins als nur den des Homo oeconomicus in den Blick fassen. Diese werden wir im Folgenden diskutieren.

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3.7 Der Mensch, die Gesellschaft und der Staat 3.7.1 Die Naturanlage zur Gesellschaftlichkeit: Smiths Konzept der Sympathie Dass Smith bei seiner Betrachtung der Wirtschaft vor allem die rationale Verfolgung des eigenen Interesses hervorhebt, bedeutet keineswegs, dass er den Menschen als ein wesentlich auf sich selbst bezogenes Wesen ansieht. Denn der Bezogenheit auf das eigene Ego, wie sie sich im Verfolgen des Eigeninteresses manifestiert, geht für Smith eine fundamentale Bezogenheit auf andere voraus. Für Smith realisiert sich Menschsein vor allem in der sozialen Dimension: »So wurde der Mensch, der nur in Gesellschaft bestehen kann, von der Natur jener Situation angepasst, für die er geschaffen war« (Smith 1759/1985: 127). Dass der Mensch nur in Gesellschaft bestehen kann, lehrt Smith im Einklang mit der philosophischen Tradition der Antike und des Mittelalters: Wie Aristoteles sieht auch er den Menschen wesentlich als Gemeinschaftswesen. Allerdings ist diese Gemeinschaft weitaus differenzierter als der Stadtstaat der Antike, die Polis, die Aristoteles als die natürliche Gemeinschaft ansieht. Smith hat die beginnende moderne Gesellschaft mit ihren vielfältigen Bezugssystemen vor Augen. Wirtschaft, Politik und Religion sind Bereiche der Gesellschaft, die jeweils einer eigentümlichen Logik unterliegen und jeweils verschiedene menschliche Verhaltensmuster ausprägen. Soziale Harmonie bedeutet, dass diese Bereiche, ohne durch einen übergeordneten Plan zusammengehalten zu werden, gemäß ihrer eigenen Logik zu einem glücklichen sozialen Leben beitragen. Was Smith aber von Aristoteles und der gesamten mittelalterlichen Tradition unterscheidet, ist eine Aufgabenstellung, die in dem eben zitierten Gedanken angesprochen wird: Er will zeigen, mit welchen Mitteln die Natur den Menschen »jener Situation angepasst« hat, »für die er geschaffen war« (nämlich dem Leben in der Gesellschaft). Die Gesellschaft ist damit für Smith nicht, wie für Aristoteles, eine ursprüngliche Tatsache. Smith stellt für sich vielmehr den Anspruch, die Gesellschaftsfähigkeit aus der Natur der Individuen zu erklären. Es geht ihm darum, von bestimmten Grundannahmen über die Natur des Menschen, von der Introspektion und der Beobachtung des Verhaltens anderer ausgehend ein Verständnis des moralisch handelnden und urteilenden Menschen zu erreichen, ethische 92 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Grundsätze herzuleiten und soziale Institutionen kritisch daraufhin zu überprüfen, ob sie der (von ihm angenommenen) Natur des Menschen gemäß sind. Wodurch hat die Natur den Menschen »gesellschaftsfähig« gemacht? Nach Smith ist jeder Mensch ursprünglich mit der Fähigkeit der Sympathie ausgestattet. Sympathie ist das Vermögen, sich in die Gefühle und Vorstellungen anderer hineinzufühlen und hineinzudenken. Durch Sympathie kann ein Mensch Freude und Leid anderer Menschen nachvollziehen. 11 Zugleich weiß er, dass die anderen aufgrund der gleichen Fähigkeit auch seine Gefühle und Vorstellungen nachvollziehen können. Somit kann er sich ein Bild davon machen, wie die anderen ihn sehen. Sympathie lehrt also den Menschen nicht nur, die inneren Regungen anderer nachzuvollziehen, sondern auch, sich selbst im Spiegel der anderen zu sehen. Die Sympathie ist für Smith eine Eigenschaft, die noch ursprünglicher ist als das Interesse und die Reflexion auf den Nutzen. Durch die Begabung des Menschen mit Sympathie hat die Natur den Menschen von vornherein auf seine Mitmenschen bezogen und ihm damit einen starken Antrieb zur Gemeinschaftsbildung mitgegeben. Die Sympathie, verbunden mit der natürlichen Ausstattung des Menschen mit Sprache und einer von Smith ebenso als »natürlich« angesehene Neigung zum Tausch, führt zur Bildung eines Gemeinwesens, in dem Arbeitsteilung und Tausch Platz greifen (Smith 1776/ 1978: 16–19) und in dem die Menschen gemäß ihrer Interessen handeln können. Gerade die Verfolgung des Eigeninteresses setzt aber eine in der Sympathie gegebene ursprüngliche Bezogenheit auf die Gemeinschaft voraus, die dem Homo oeconomicus der modernen Theorien fehlt. Bürgin (1993: 379) bemerkt daher mit Recht, dass die Präferenzen des Homo oeconomicus gegenwärtiger Theorien in

11 Für Smith ist die Sympathie jedoch nicht ein unmittelbares mitschwingen mit den Gefühlen der Anderen. Vielmehr beruht sie auf der Kenntnis der Ursachen der jeweiligen Gefühle. Sie entspringt also nicht unmittelbar dem Gefühl des Anderen, sondern vielmehr »… aus dem Anblick der Situation, die den Affekt auslöst« (Smith 1759/ 1985: 6). Das bedeutet, dass Sympathie auf einem Urteil über die Situation beruht. Wir empfinden also denjenigen Affekt des anderen, den er in seiner Situation haben sollte, den er faktisch aber möglicherweise gar nicht hat. Die entscheidende Voraussetzung für die Fähigkeit der Sympathie ist daher die für Smith die Einbildungskraft. »Vermöge der Einbildungskraft versetzen wir uns in seine Lage … und werden gewissermaßen eine Person mit ihm« (Smith ibid.: 2).

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einem »gesellschaftslosen Raum« aufgefasst werden können und fährt unter Bezugnahme auf Smith fort: »Interessen kann man nur bewusst, d. h. in einem gesellschaftlichen Rahmen verfolgen, dessen Vielgestaltigkeit Wahlmöglichkeit zulässt. Nur eine differenzierte gesellschaftliche Umgebung mit ihren vielfältigen Bezügen von Ansprüchen, Besitz- und Handlungsrechten lässt ein Individuum entstehen, das Individualinteressen im Sinne von Smith verfolgen kann.« 3.7.2 Der Repräsentant der Gemeinschaft im Innern des Menschen: der unparteiische Zuschauer Die Gesellschaft ist für Smith keineswegs eine bloß äußerliche Umwelt, sondern hat ihre Verankerung in der Innenwelt des Menschen, in der Sympathie. Aus der Sympathie aber geht nach Smith eine innere Institution hervor, die die Gesellschaft sozusagen in der Seele des Individuums repräsentiert. Es handelt sich um den »unparteiischen Zuschauer«. Smith unterstellt nämlich jedem Menschen die Fähigkeit, seine Handlungen und die Handlungen seiner Mitmenschen nicht nur vom Standpunkt des Eigeninteresses heraus zu betrachten, sondern sie auch aus der Perspektive eines »vorgestellten unparteiischen und wohlunterrichteten Zuschauers« zu beurteilen (Smith 1759/1985: 194). Das Individuum fragt sich bei der Beurteilung der Handlungen, die von ihm selbst oder von anderen ausgehen, wie ein solcher unparteiischer Zuschauer sie ansehen würde. So versucht es, von einem objektiven Standpunkt aus zu einem ethischen Urteil zu gelangen. »Objektiv« heißt hier nicht, dass ein derartiger Standpunkt außerhalb der Subjekte in der Außenwelt existiert. »Objektiv« bedeutet hier nur die Fähigkeit des Subjekts, sich von seinen Privatbedingungen, insbesondere von seinen eigenen Interessen, zu distanzieren. Sein Urteil ist nur in diesem Sinne objektiv. Auch wenn somit verschiedene Individuen unterschiedliche Vorstellungen darüber haben können, wie ein unparteiischer Zuschauer ihre Handlungen beurteilen würde, weil die Vorstellung dieses Zuschauers weiterhin subjektiv ist, ist damit ein bedeutender Schritt getan. Denn nun können sich die Individuen über ihre ethischen Vorstellungen auf der Basis verständigen, dass jeder von seinen Eigeninteressen absieht und sich statt dessen auf seine innere Vorstellung des unparteiischen Zuschauers bezieht. Diese Verständigung hat Chancen zu gelingen, 94 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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wenn die Diskurspartner sich darüber einig sind und sich gegenseitig vertrauen können, dass sie von ihren Privatbedingungen absehen. Der Versuch, die unterschiedlichen vorgestellten unparteiischen Zuschauer im Gespräch einander anzugleichen, kann schließlich zur Herausbildung eines Gemeinsinnes oder Gemeingeistes (public spirit, s. u. Abschnitt 3.7) führen. Auch wenn das Individuum dem Urteil des vorgestellten unparteiischen Zuschauers nicht immer folgt, wird dieses Urteil zumindest nicht ohne Einfluss auf sein Handeln bleiben. Nach Smith handelt es sich bei diesem Vorgang um die Gewissensentscheidung, deren Ablauf er folgendermaßen darstellt: »Wir stellen uns selbst als die Zuschauer unseres eigenen Verhaltens vor und trachten nun, uns auszudenken, welche Wirkung es in diesem Lichte auf uns machen würde« (Smith 1759/1985: 170). Eine solche auf Objektivität zielende, nicht von den Interessen einzelner Individuen beeinflusste Sichtweise ist die Grundlage für Smiths Verständnis der Tugend. Smith entwickelt den Begriff der Tugend vor dem Hintergrund seiner Konzeption des vorgestellten unparteiischen Zuschauers. Als tugendhaft erscheinen bei Smith jene Verhaltensweisen, die in den Augen eines unparteiischen Zuschauers zu einer Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst und einer Harmonisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens beitragen. Dabei erscheinen die Klugheit, die Gerechtigkeit und das Wohlwollen als die drei wesentlichen Tugenden. Smith erkennt allerdings an, dass Liebe und Wohlwollen nur in begrenztem Maße in der Gesellschaft anzutreffen sind und dass darüber hinaus die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Sympathie vielfach relativ schwach ausgeprägt ist. Darum ist es für Smith eine Forderung der Klugheit, sich – unter Beachtung der ethischen Normen – mit großer Sorgfalt vor allem um die eigenen Belange zu kümmern. Von daher erfährt der Eigennutz auch aus Erwägungen über den Gesamtzustand der Gesellschaft eine gewisse Rechtfertigung. Zudem ist es sogar eine Pflicht der Gerechtigkeit, im Rahmen des Möglichen für das eigene Wohl zu sorgen und die anderen dadurch von Fürsorgemaßnahmen zu entlasten.

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3.7.3 Der Mensch als bewusstes Glied der Gemeinschaft: Homo politicus Wie verhalten sich nun die individuellen Interessen zum gesellschaftlichen Interesse? Dieses Verhältnis kann unter zwei Aspekten betrachtet werden, nämlich aus der Perspektive des Eigeninteresses (i) und aus der Perspektive des Interesses der Gemeinschaft (ii). Nicht nur die erste, sondern auch die zweite Perspektive kann von den Individuen eingenommen werden. (i) Wer über den Bereich der Politik nachdenkt, kommt zu dem Ergebnis, dass die Realisierung der individuellen Interessen oftmals die Realisierung gesellschaftlicher Interessen zur Voraussetzung hat. Und er wird aus diesem Grunde zur Realisierung dieser Interessen beitragen helfen. Es geht hier also um eigennützige individuelle Beiträge zur Gemeinschaft. Im Interesse der Individuen liegt offenkundig der Erhalt des Rechtsstaates, in dem die persönlichen und vertraglichen Rechte jedes Bürgers ausreichend geschützt sind (Smith 1759/ 1985: 132; Smith 1764/1928: 8). Darin eingeschlossen ist auch die Schaffung äußerer Sicherheit gegenüber fremden Nationen. Denn nationale Souveränität stellt eine Voraussetzung für die Gewährleistung der Rechtssicherheit für die Bürger dar. (ii) Der Mensch kann aber auch über den Horizont des Eigeninteresses hinausschauen und sich und seine Mitmenschen aus der Perspektive der Gemeinschaft betrachten und demgemäß handeln. Man muss sich klarmachen, dass es sich bei einer solchen Perspektive keineswegs um Altruismus handeln muss, der dem Egoismus des wirtschaftenden Menschen entgegenzusetzen wäre. Den Gesichtspunkt der Gemeinschaft einzunehmen, ist im Sinne von Smith vielmehr eine Art zu denken und zu handeln, die jenseits der Disjunktion von Egoismus und Altruismus liegt. 12 Will man eine Disjunktion konstruieren, die Smiths Grenzziehung zwischen Ökonomie und Politik auf den Punkt bringt, so kann diese vielleicht am besten durch die von ihm selbst verwendeten Begriffe commercial spirit (kommerzielle Gesinnung) (Smith 1764/1928: 168) und public spirit (gemeinschaftliche Gesinnung, Gemeinsinn, Gemeingeist) (Smith 1759/ 1985: 317–320; 393–395) bezeichnet werden. Die kommerzielle Gesinnung, die auf die Verfolgung des Eigeninteresses beschränkt ist, Vgl. hierzu u. Kapitel 4, worin das Verhältnis zwischen der Perspektive des Eigeninteresses und der Perspektive der Gemeinschaft ausführlich diskutiert wird.

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hat ihre eigentümliche Sphäre in der Wirtschaft, während die gemeinschaftliche Gesinnung, die sich auf die Interessen der ganzen Gesellschaft bezieht, in der Sphäre der Politik den commercial spirit zumindest ergänzen muss. Das Problem einer nur kommerziellen Gesinnung ist für Smith weniger ihre Ichbezogenheit als vielmehr ihre Enge und Einseitigkeit, wie sie insbesondere in Gesellschaften mit einem hohen Grad an Arbeitsteilung zutage tritt. Smith sagt von dieser Gesinnung, »dass sie den Blick der Menschen verengt« (Smith 1764/1928: 168). Die Gefahr einer solchen Gesinnung besteht, so Smith, darin, dass sie die Menschen borniert und »stumpfsinnig« (stupid) macht, dass in ihrem Gefolge die Bildung der Gesellschaft vernachlässigt wird (vgl. Smith 1764/1928: 169–170) und dass die Menschen träge, untüchtig und feige werden (Smith 1764/1928: 170). Dieser Gefahr kann nur durch einen ausreichenden Gemeinsinn begegnet werden. Ein solcher findet sich nach Smith bei dem Patrioten, dem Menschen, der durch die Liebe zu seinem Land (Smith 1759/1985: 392) gekennzeichnet ist. Der Patriot muss kein Altruist sein: Was ihn bewegt, ist eher der Eifer für das Ganze seines Staates als die Zuneigung zu jedem einzelnen seiner Bürger (Smith 1759/1985: 317). Der Antrieb des Patrioten ist »public spirit« (in der Übersetzung als »Gemeingeist« [Smith 1759/1985: 317–320]) oder »Gemeinsinn« [Smith 1759/1985: 393– 395] wiedergegeben). Smith stellt fest, dass »public spirit« und »Menschenfreundlichkeit« keineswegs verbunden sein müssen (Smith 1759/1985: 318), wenngleich er für den idealen Patrioten beides fordert. Der Unterschied ist, dass der »public spirit« sich auf das Ganze der Gemeinschaft, Mitmenschlichkeit immer auf einzelne Individuen bezieht. Wenn man den Menschen, der in der Sphäre der Wirtschaft tätig ist, als Homo oeconomicus bezeichnet, so kann man den Menschen, der vom Eifer für die Gemeinschaft bewegt ist, als den Homo politicus 13 bezeichnen. Zwei Prinzipien machen den Homo politicus nach Smith aus: »… erstens eine gewisse Achtung und Verehrung für jene Regierungsform, welche augenblicklich tatsächlich besteht, und zweitens der ernste Wunsch, die Lebensbedingungen unserer Mitbürger so erträglich zu machen als wir können« (Smith 1759/ 1985: 392). 13

Vgl. u. Kapitel 4.

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Smith betont dabei, dass man von jedem Staatsbürger die Einhaltung des ersten Prinzips fordern muss, denn nur auf seiner Grundlage ist Gerechtigkeit möglich. Eine kommerzielle Gesellschaft von Homines oeconomici setzt also voraus, dass ihre Mitglieder zumindest insofern Homines politici sind, als sie die Verfassung nicht nur einhalten, sondern sogar achten und ehren. Jeder Bürger eines Staates muss, damit der Staat langfristig bestehen kann, wenigstens soviel vom Homo politicus an sich haben, dass er diese Achtung vor der Verfassung entwickelt. Smith unterscheidet weiterhin vom bloßen Bürger den »guten Bürger« (Smith 1759/1985: 392). Dieser ist nicht nur Homo politicus im Sinne der Minimalanforderungen, die in der Einhaltung des ersten Prinzips bestehen, sondern setzt sich aktiv im Sinne des zweiten Prinzips ein, hegt also den Wunsch, »mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote stehen, die Wohlfahrt der ganzen Gemeinschaft seiner Mitbürger zu fördern« (Smith 1759/1985: 392). Der gute Bürger stellt also die Perspektive des Homo politicus im Konfliktfall über die Perspektive des Homo oeconomicus, der »public spirit« bewegt ihn mehr als die Verfolgung des Eigeninteresses. Ein Extremfall des »guten Bürgers« ist der vaterlandsliebende Soldat. Er ist sogar bereit, sein Leben zu opfern, wenn dies der staatlichen Gemeinschaft dient (Smith 1759/1985: 328). Eine derartige Tugendhaftigkeit zumindest einiger der Gesellschaftsmitglieder hat wesentlichen Einfluss auf das Zusammenleben. Denn damit ein Staat bestehen kann, muss er nicht nur an alle Bürger die Anforderungen einer »Minimalmoral« (vgl. Kirchgässner 1996) stellen, sondern auch von einem nicht unbeträchtlichen Teil dieser Bürger Eigenschaften erwarten, die über ihr rationales Eigeninteresse hinausgehen. Eine solche tugendhafte Haltung einer gewissen Anzahl von Bürgern ist unabdingbar für das Gedeihen eines Gemeinwesens. In diesem Sinne bezeichnet Smith die Tugend als »die feine Politur an den Rädern der Gesellschaftsmaschine«, während »das Laster wie der schlechte Rost ist, der schuld ist, wenn die Räder knarren und ständig aneinander reiben« (Smith 1759/1985: 526). Aus diesem Bild geht Smiths Auffassung von der Bedeutung der Tugend für ein gelingendes soziales Leben klar hervor. Im Gegensatz zu radikalen Protagonisten der Französischen Revolution wie Robespierre hält er die Tugend keineswegs für den Treibstoff der ›Gesellschaftsmaschine‹, sondern er weist ihr gleichsam die Funktion des Maschinenöls zu: Eine vergleichsweise geringe »Quantität an Tugend« reicht bereits aus, damit das soziale Leben gut funktioniert. 98 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Auf der anderen Seite aber ist es lebenswichtig für eine Gesellschaft, diese geringe Quantität an Tugend tatsächlich zu besitzen und durch Erziehung und andere Maßnahmen dafür zu sorgen, dass sie nicht verloren geht. 14 Erziehung gehört für Smith zu den öffentlichen Aufgaben, die man nicht dem Markt überlassen darf. Denn gerade in hochspezialisierten Gesellschaften ist, so Smith, aufgrund der extremen Einseitigkeit der meisten menschlichen Tätigkeiten damit zu rechnen, dass sich Untugenden wie Feigheit und Dummheit in weiten Kreisen der Gesellschaft entwickeln (Smith 1776/1978: 662–668). Dem muss die vom Staat überwachte Erziehung in Richtung auf den Homo politicus entgegensteuern. Sie hat zwei Ziele, die man mit den Begriffen Tapferkeit (im Sinne der Bereitschaft, sich für die Gemeinschaft einzusetzen) und Urteilsfähigkeit (im Sinne des Vermögens, das Gute für die Gemeinschaft klar zu erkennen) bezeichnen kann. Unter Berufung auf diese beiden Ziele fordert Smith die Förderung einer soldatischen Haltung 15 bei allen (männlichen) Bürgern (Smith 1776/ 1978: 666–667) und eine umfangreiche allgemeine Schulpflicht (Smith 1776/1978: 667), die dazu beitragen könne, die Achtung vor der Verfassung zu fördern. Die Förderung der Urteilskraft hält Smith essentiell für eine Gemeinschaft freier Bürger: »In freien Gemeinwesen, in denen der Bestand einer Regierung weitgehend von dem zustimmenden Urteil abhängt, welches sich die Bevölkerung über ihre Politik bilden mag, muss es ganz sicher von äußerster Wichtigkeit sein, dass die Menschen nicht dazu neigen sollten, politische Entscheidungen voreilig oder launenhaft zu beurteilen« (Smith 1776/1978: 668). Zusammenfassend lässt sich sagen: Der ideale Homo politicus bei Smith ist geleitet von den Prinzipien der Achtung für die Verfassung und der Liebe zur Gemeinschaft. Die Tugenden, die ihn dazu befähigen, diesen Prinzipien zu folgen, sind Tapferkeit und Urteils14 »Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass das (markt-)wirtschaftliche System, in dem nach Smiths bahnbrechender Entdeckung menschliche Eigenliebe zum allgemeinen Besten gelenkt werden kann, nur dann und so lange erfolgreich funktionieren kann, wie es in eine geistige und kulturelle Welt eingebettet ist, in der auch Philanthropie, Nächstenliebe und Altruismus ihren Platz haben« (Nutzinger 1993: 385). 15 Eine solche Haltung hat nichts mit Militarismus zu tun. Es geht hier einzig um die Bereitschaft, sein Leben zum Schutze des Lebens der anderen Gemeinschaftsmitglieder einzusetzen.

99 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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vermögen. Wenngleich in der Realität nicht davon auszugehen ist, dass der Normalbürger dem Idealbild des Homo politicus entspricht, ist es von essentieller Bedeutung für einen Staat, dass die Dimension des Homo politicus auch aus dem Leben der Durchschnittsmenschen zumindest nicht völlig ausgeblendet wird und dass zumindest einige Menschen ihre wesentliche Betätigung in dieser Dimension suchen. 16

3.8 Der Mensch, das Weltganze und sein Ursprung Der Mensch, der, vom Gemeingeist bewegt, die Liebe zu seiner Gemeinschaft zur Orientierung seines Handelns macht, agiert nach Smith immer noch im Horizont partikulärer Interessen und Gesichtspunkte. In diesem Sinne formuliert er: »Die Liebe zu unserem eigenen Volke macht uns oft geneigt, das Wohlergehen und das Wachstum eines anderen, benachbarten Volkes mit einer äußerst böswilligen Eifersucht und mit starkem Neid zu betrachten« (Smith 1759/1985: 388). Smith erkennt, dass das »edle Prinzip der Liebe zum eigenen Lande« oft die Grundlage für »das niedrige Prinzip des nationalen Vorurteils« (Smith 1759/1985: 388) ist. Daher unterscheidet er auch klar die Liebe zum eigenen Lande von der »Liebe zur Menschheit« und betont, dass beide Formen der Liebe aus unterschiedlichen Quellen zu stammen scheinen (Smith 1759/1985: 389). Die Liebe zur Menschheit, die allein fähig ist, Neid und Missgunst zwischen Völkern und Nationen zu überwinden (Smith 1759/1985: 389), hat für Smith religiöse Wurzeln. Um ihren Platz in der Anthropologie Smiths zu würdigen, müssen wir uns seinen Gedanken zur Religion zuwenden. Smith glaubt, dass wir, obwohl unser Wirkungsbereich sich »nur sehr selten auf einen größeren Kreis von Menschen erstrecken (kann, d. V.) als auf denjenigen unseres eigenen Landes« (Smith 1759/1985: 397), als erkennende und wollende Wesen den Horizont des Eigeninteresses und des Gemeinschaftsinteresses überschreiten Aus heutiger Sicht wäre hinzuzufügen, dass das Fehlen der Dimension des Homo politicus eine Gesellschaft vor allem in Krisenzeiten anfällig für totalitäre Regimes machen kann. Egoistische Nutzenkalküle fördern nicht unbedingt die Zivilcourage und den Gemeingeist, dem Terror solcher Regimes entgegenzutreten.

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können. Wenn der Mensch sich in das Ganze des Universums eingebunden und an seinen Ursprung zurückgebunden ansieht, ist er religiöser Mensch, Homo religiosus. 17 Denn Religion bedeutet für Smith, wie wir zeigen werden, die Bezogenheit des Menschen auf das Ganze der Welt und seinen Ursprung. Dergestalt nimmt sich der Homo religiosus jenseits der Abhängigkeit von seinen Bedürfnissen (Homo oeconomicus) und der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft (Homo politicus) wahr. Befürworter der Religion neigen dazu, ihre Gegner der Indifferenz gegenüber den wesentlichen Fragen des Lebens zu zeihen, Gegner der Religion werfen ihren Befürwortern meist Dogmatismus bzw. Intoleranz vor. Smith versucht, beides zu vermeiden. Dass er als liberaler Denker Dogmatismus und Intoleranz aufs schärfste kritisiert (Smith 1776/1978: 680–683), muss kaum erwähnt werden. Bedeutsamer ist, dass er keineswegs indifferent gegenüber der Religion ist. Es ist für ihn nicht beliebig, ob Menschen Religion ausüben oder nicht. Zwar ist die Wahl einer Religion Sache jedes Einzelnen, und Smith fordert strenge Gleichbehandlung aller Kirchen und Sekten in einem Lande von Seiten der Regierung. Aber das bedeutet keine Geringschätzung der Religion, im Gegenteil: Religion ist essentiell für den Menschen, der ein erfülltes Leben sucht, und für den Zusammenhalt einer Gesellschaft (Smith 1776/1978: 673–674). Smiths Gedanken zur Religion als einer essentiellen menschlichen Dimension kann man unter zwei wesentlichen Gesichtspunkten untersuchen: (i) Die gesellschaftliche Funktion von Religion und (ii) der Gehalt der wahren Religion. 3.8.1. Die gesellschaftliche Funktion von Religion Im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion stellt die Religion nach Smith einen kaum zu überschätzenden Machtfaktor innerhalb der Gesellschaft dar. Er kann sowohl zum Gedeihen als auch zur Zerstörung der sozialen Ordnung in erheblichem Maße beitragen. Was Smith der Kirche von Schottland seiner Zeit zuschreibt, die Kraft, die »Einheit des Glaubens, tiefe Frömmigkeit, Gemeinsinn (eigentlich: Ordnungssinn, ›spirit of order‹ im engl. Original, d. V.), Be17 Dieser Ausdruck findet sich nicht bei Smith. Wir haben ihn gewählt, weil es um den Menschen in einer Dimension geht, die Smith mit »Religion« bezeichnet.

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ständigkeit und strenge Moral in der Masse des Volkes« (Smith 1776/1978: 692) aufrechtzuerhalten, ist für ihn eine Leistung, die er von jeder Religion erwartet, sofern diese sich in den ihr gemäßen Schranken entwickelt. Insbesondere ist die Religion der einzige Faktor, der Menschen, die aus ihren angestammten sozialen Verhältnissen entwurzelt sind und, in die Anonymität der modernen Großstadt verschlagen, zu »jeder Art Liederlichkeit und Laster« neigen, einen sicheren Halt geben kann. In Zeiten großer sozialer Mobilität garantiert allein die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft den für eine Gesellschaft notwendigen moralischen Mindeststandard (Smith 1776/1978: 675). Die Religion verleiht den Tugenden, die die Gemeinschaft erhalten, die nötige Intensität: »Die Vorstellung, dass wir, mögen wir auch der Beobachtung der Menschen entgehen oder infolge unserer hohen Stellung jeder menschlichen Bestrafung entrückt sein, doch immer unter den Augen Gottes handeln und den Strafen Gottes, des großen Rächers allen Unrechts, ausgesetzt sind, das ist ein Beweggrund, der fähig ist, die hartnäckigsten Leidenschaften im Zaume zu halten, wenigstens bei allen jenen Menschen, die sich durch ständiges Nachdenken mit diesem Gedanken vertraut gemacht haben. Auf diese Weise pflegt die Religion dem natürlichen Pflichtgefühl stärkere Kraft zu verleihen; und daher kommt es, dass die Menschen im Allgemeinen geneigt sind, großes Vertrauen auf die Rechtschaffenheit jener Menschen zu setzen, die ein tiefes religiöses Empfinden besitzen« (Smith 1759/ 1985: 258). Andererseits kann die Religion aber auch die gesellschaftliche Ordnung gefährden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es zwischen Kirche und Regierung zu Auseinandersetzungen hinsichtlich von »Glaubensfragen« kommt. Diese fallen »ganz offensichtlich nicht in die Zuständigkeit eines weltlichen Herrschers (›temporal sovereign‹ im Original, d. V.), der zwar durchaus befähigt sein mag, das Volk zu beschützen, es aber selten zu belehren vermag« (Smith 1776/ 1978: 678): 18 Smith ist hier letztlich der Zwei-Reiche Lehre Luthers (Luther, 1900; vgl. Folkers 1995: 255 ff.) verpflichtet, die die Differenz zwischen politischer und religiöser Sphäre in einer bis dahin unbekannten Schärfe herausarbeitete und die Geltungsbereiche von Staat und Religion gegenüber der Antike und dem Mittelalter in völlig neuer Weise definierte.

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»Sollte ein Landesherr so unklug sein, auch nur den unbedeutendsten Teil ihrer (der Geistlichen, d. V.) Doktrin scheinbar zu verlachen oder zu bezweifeln, … so fühlt sich eine Geistlichkeit, die von ihm völlig unabhängig ist, in ihrer empfindlichen Ehre sofort herausgefordert, den Souverän als eine gottlose Person zu verurteilen und allen Schrecken und Terror der Religion aufzubieten, um das Volk dahin zu bringen, dass es seine Ergebenheit einem Fürsten zuwendet, der orthodoxer und gehorsamer ist« (Smith 1776/1978: 677). Wenn sich in einem Staate religiöse Lehren durchsetzen, die »das Ansehen des Landesherrn untergraben«, so kann sich dieser auf Dauer dagegen nicht behaupten (Smith 1776/1978: 677–678). Nicht nur seine »eigene Sicherheit«, sondern auch die »öffentliche Ruhe« können daher »häufig von den Lehren abhängig sein, welche der Klerus über solche Dinge zu verbreiten für richtig hält« (Smith 1776/1978: 678). Religion ist also für Smith häufig ein wesentlich stärkerer Motivationsfaktor als die Anordnungen der Regierungen. Wenn sich dieser Faktor gegen den Staat wendet, kann er viele Menschen fanatisieren. Somit ist religiöser Fanatismus (Smith 1776/ 1978: 673) ein besonders gefährlicher Feind jeder staatlichen Ordnung. Smith erkennt das Dilemma, dass bestimmte Tugenden, die die Gemeinschaft benötigt, auf dem Boden der Religion entstehen, einem Boden also, der dem Zugriff dieser Gemeinschaft entzogen ist, infolgedessen aber auch gemeinschaftsschädigende Entwicklungen nähren kann. Angesichts dieser Diagnose befürwortet Smith einerseits ausdrücklich eine religiöse Erziehung von Kindern und Jugendlichen 19 und fordert die Gewährung religiöser Freiheit; andererseits aber verlangt Smith vom Staat die Förderung der Wissenschaften und Künste, um die Ansprüche der Religion in Schranken zu halten. Kunst und Wissenschaft sind nach Smith im Stande, ein Klima zu schaffen, das die Menschen gegen Intoleranz und Fanatismus immunisieren kann (Smith 1776/1978: 676). Smiths Ideal des religiösen Lebens in einem Gemeinwesen ist die Existenz einer Vielzahl von Religionsgemeinschaften, in denen jeder Mensch die ihm gemäße religiöse Bindung findet und deren Glaubenseifer zugleich durch die Notwendigkeit, mit anderen Konfessionen auskommen zu müssen,

19 Er begründet dies damit, dass die Religion den menschlichen Geist öffne, indem sie ihm »Stoff zum Nachdenken und Überlegen« (Smith 1764/1928: 170) liefere.

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auf das sozial wünschenswerte Maß gedämpft wird (Smith 1776/ 1978: 672–674). 3.8.2 Der Gehalt der wahren Religion Glückseligkeit als Ziel der Schöpfung Eckstein (1985: XLIX) meint, »dass Smith wenigstens in späterer Zeit jeder Kirchenglaube fern lag.« Auf der anderen Seite hat sich Smith gerade aufgrund seiner Religiosität offensichtlich in »einem gewissen Gegensatz zu Hume« (Eckstein 1985: L, Anmerkung) befunden, dem er ansonsten die größte Hochachtung entgegenbrachte. 20 Was aber macht für Smith den Kern der Religion aus? Smith selbst spricht bei seiner Vorstellung von einem friedlichen Miteinander vieler Religionsgemeinschaften davon, die Mehrzahl von ihnen könnte »mit der Zeit … zu jener echten und vernünftigen Religion (gelangen, d. V.), die von jeder Beimischung an Ungereimtheit, Unwahrheit oder Fanatismus so frei wäre, wie sie weise Menschen zu allen Zeiten zu sehen wünschten« (Smith 1776/ 1978: 673). Diese »echte und vernünftige Religion« wird vielfach mit dem in der Aufklärungszeit üblichen Deismus 21 gleichgesetzt (Eckstein 1985: XLIX u. LI Anmerkung), der Offenbarungen überhaupt ablehnte und insbesondere den Dogmen der Kirche verständnislos gegenüberstand, so dass Eckstein (1985: LI Anmerkung) meint, in Smiths Gedanken zur Religion könne man nicht mehr als einen »letzten Rest religiösen Empfindens« wahrnehmen. Aber unabhängig von einer den Rahmen dieser Ausführungen sprengenden Untersuchung der Frage, ob Smiths Bestimmung von Religion hinreichend ist, lassen sich einige Aspekte herausarbeiten, die für sein VerständDieser Gegensatz kommt vermutlich auch in einer Reaktion Smiths auf eine Bitte Humes zum Ausdruck: Hume wollte das Manuskript seiner »Drei Dialoge über natürliche Religion«, die »die Überzeugung von der Existenz einer allmächtigen und gütigen Gottheit« erschütterten (Eckstein 1985: L f.), seinem Freunde Smith überlassen, damit dieser es nach seinem Tode veröffentlichte. Smith lehnte dieses Ansinnen jedoch ab, vermutlich, weil er mit dem Inhalt dieser Schrift nicht einverstanden war. 21 Der Deismus geht davon aus, dass die Welt nach Art einer Uhr von einem weisen, allwissenden Gott konstruiert wurde. Am Anfang der Schöpfung wurde die Weltmaschine in Gang gesetzt, wie man eine Uhr aufzieht, um dann von selbst, ohne Eingreifen des Konstrukteurs, nach den von Gott festgelegten, aber auch für ihn unveränderlichen Naturgesetzen abzulaufen. 20

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nis des Menschen und für seine Vorstellung des Wirtschaftsprozesses wesentlich sind. Der Gesichtspunkt, der Smith zur Religion führt, ist zunächst ein fortschreitendes Aufbrechen von Horizonten, wie es überhaupt für seine Deutung des Menschen typisch ist. So wie der Horizont des Eigeninteresses in der Liebe zum eigenen Land überschritten wird, so muss dieser in der »Liebe zur Menschheit« (Smith 1759/1985: 389) seinerseits überschritten werden. Während aber die Vaterlandsliebe immer noch von Nutzenerwägungen, seien diese auch indirekter Natur, geleitet werden könnte, fallen diese bei der Liebe zur Menschheit weg. Diese speist sich vielmehr aus einer religiösen Quelle, nämlich dem Glauben an die Schöpfungsabsicht Gottes: »Die Glückseligkeit der Menschen wie die aller anderen vernunftbegabten Geschöpfe scheint das ursprüngliche Ziel gewesen zu sein, das dem Schöpfer der Natur vorschwebte, als er diese Wesen ins Dasein rief« (Smith 1759/1985: 250–251). Aus dieser religiösen Vorstellung folgt aber für den Menschen eine Aufgabe, die man geradezu als den Schöpfungsauftrag Gottes bezeichnen könnte, die Aufgabe, selbst nach Kräften auf die Glückseligkeit aller Menschen hinzuarbeiten: »Indem wir … den Geboten unseres moralischen Vermögens gemäß handeln, gebrauchen wir gerade das wirksamste Mittel, um die Glückseligkeit der Menschen zu befördern, und man kann also in gewissem Sinne von uns sagen, dass wir Mitarbeiter der Gottheit sind, und dass wir, soweit es in unserer Macht steht, die Pläne der Vorhersehung ihrer Verwirklichung näher bringen« (Smith 1759/ 1985: 251). Ein Leben gemäß den Geboten des moralischen Vermögens ließe sich im Sinne dieser Äußerung als ein »göttliches Leben« bezeichnen. Wie für Kant ist auch für Smith nicht die Beherrschung und Kontrolle der äußeren Natur, sondern das moralische Vermögen dasjenige, was den Menschen über die übrige Natur erhebt. Zwar ist Smith zufolge bei der großen Mehrheit der Menschen die moralische Natur zu schwach und unvollkommen (vgl. Smith 1759/1985: 243), als dass von ihrem Denken und Handeln in einem solchen Sinne gesprochen werden könnte. Aber ein weiser Mensch sollte sich nach Smith aus einer derartigen religiösen Einstellung heraus über die eigenen persönlichen Grenzen und die Grenzen der ihn umgebenden Gemeinschaft hinaus auf die »große Gemeinschaft der Menschheit« richten. 105 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Auf einem solchen Standpunkt weiß der Mensch nicht nur, dass sein Verhalten, wie immer auch die Mitmenschen dazu stehen mögen, mit der Forderung seines Gewissens übereinstimmt, sondern er vertraut auch darauf, dass es von Gott selbst gebilligt werde. Daraus entspringt für Smith die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, die unsere gebrechliche Natur die Widrigkeiten der diesseitigen Welt gelassener ertragen lässt: »So hängt unsere Glückseligkeit in diesem Leben in vielen Fällen ab von der demütigen Hoffnung und Erwartung eines künftigen Lebens; einer Hoffnung und Erwartung, die tief verwurzelt ist in der menschlichen Natur, die allein … die traurige Aussicht auf das beständig näher rückende Sterben erhellen und ihre Heiterkeit unter den schwersten Plagen aufrecht erhalten kann, denen sie infolge der Verwirrung und Ordnungslosigkeit dieses Lebens manchmal ausgesetzt sein mag« (Smith 1759/1985: 196). Das universale Wohlwollen Aber selbst die gesamte Menschheit kann immer noch als ein begrenzter, ebenfalls zu überschreitender Horizont angesehen werden – nämlich aus einer Haltung heraus, die Smith mit dem Begriff des »universalen Wohlwollens« (Smith 1759/1985: 397–398) bezeichnet. Dieses Wohlwollen bezieht sich »auf … alle Bewohner des Universums, die geringsten ebenso wie die höchsten« (Smith 1759/1985: 398) und scheint sich somit nicht nur auf die menschliche, sondern auch auf die außermenschliche Natur zu erstrecken. Smith sieht in ihm eine »Quelle eines festgegründeten Glückes«, sofern es sich aus der Überzeugung nährt, dass alle Bewohner des Universums »unter der unmittelbaren Fürsorge und dem Schutze jenes großen wohlwollenden und allweisen Wesens stehen, das alle Bewegungen der Natur lenkt« (Smith 1759/1985: 398). Nun weiß der erkennende Mensch, dass er durch die Selbst- und Arterhaltung, die nicht nur die Hauptzwecke der Menschen, sondern zugleich auch anderer Lebewesen sind, als Homo biologicus also (s. o. Abschnitt 3.5), mit der gesamten Natur verbunden ist. Diese Verbundenheit kann aber erst dann für sein Leben eine tiefere Bedeutung gewinnen, wenn der Mensch sie als Homo religiosus thematisiert. Denn erst als religiöser Mensch kann er in sich und in allen »Werken der Natur« (Smith 1759/1985: 251) das »Interesse des Universums« erkennen, das »Interesse jener großen Gemeinschaft aller fühlenden 106 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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und verstandesbegabten Wesen 22 , in der Gott selbst den unmittelbaren Verwalter und Leiter darstellt« (Smith 1759/1985: 398–399). Im Horizont des »Interesses des Universums« hat insbesondere das Leiden einen anderen Charakter als im Horizont einer partikulären Einstellung. Niemand kann dem Leiden entgehen, aber nur der religiöse oder weise Mensch kann Leiden, das als sinnloses Schicksal erlebt wird, frei auf sich nehmen: »Wenn er von der festen und vollen Überzeugung tief durchdrungen ist, dass dieses wohlwollende und allweise Wesen (nämlich Gott, d. V.) in dem großen System seiner Herrschaft in keinem Teil ein Übel zulassen könnte, das nicht für das Beste des Ganzen notwendig wäre, dann muss er alle die Unglücksschläge, die ihn oder seine Freunde oder seine Gemeinschaft oder sein Land treffen mögen, als für das Gedeihen des Ganzen notwendig betrachten und deshalb als Ereignisse ansehen, denen man sich nicht nur mit Ergebung unterwerfen soll, sondern als Ereignisse, die er selbst, wenn er alle Zusammenhänge und gegenseitigen Abhängigkeiten der Dinge gekannt hätte, aufrichtig und innig hätte herbeiwünschen sollen« (Smith 1759/1985: 399). 23 Der Plan Gottes und die Möglichkeiten menschlicher Planung: Die Bedeutung der unsichtbaren Hand Es gehört zum Glauben von Smith, dass »die Werke der Natur … alle dazu bestimmt scheinen, Glückseligkeit zu fördern und gegen Elend zu schützen« (Smith 1759/1985: 251). Dies ist ihm gewiss, »trotz der Unordnung, in welcher alle Dinge in dieser Welt zu liegen scheinen« (Smith 1759/1985: 251). Der Glaube an die gute Natur, deren Güte sich ihrem guten Schöpfer verdankt, ist nun bei Smith mit einer vergleichsweise skeptischen Einschätzung menschlicher Handlungs22 In Smith (1759/1985: 250) unterscheidet Smith zwischen der »Menschheit« und »allen anderen vernunftbegabten Geschöpfen (rational creatures)«. Im obigen Zitat geht es demnach nicht nur um die Gemeinschaft der Menschen. 23 Smith sieht deutlich, dass eine solche Einstellung letztlich Sache des Glaubens ist und nicht etwa durch Gottesbeweise hervorgebracht wird. Dem »Verdacht«, von dem er im folgenden Zitat spricht, läßt sich nur der Glaube, nicht aber wissenschaftliches Wissen entgegenstellen: »Für dieses universale Wohlwollen muss … der Verdacht, dass diese Welt vaterlos sei, die trübsinnigste von allen Erwägungen sein, denn man müsste ja dann daran denken, dass alle die unbekannten Gegenden des unendlichen und unvorstellbaren Weltraumes möglicherweise mit nichts anderem erfüllt seien als mit endlosem Elend und Jammer« (Smith 1759/1985: 398).

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möglichkeiten verbunden. Zwar gibt es Bereiche in der Welt, die der Mensch vielfach beeinflussen und bestimmen möchte, doch fehlen ihm dazu die Fähigkeiten: »Der natürliche Lauf der Dinge kann durch die ohnmächtigen Bemühungen des Menschen nicht gänzlich beherrscht werden; der Strom ist viel zu rasch und zu stark, als dass der Mensch ihm Einhalt gebieten könnte« (Smith 1759/1985: 255). In diesem Zusammenhang erwartet Smith gerade von den Menschen eine Haltung, die ihrerseits religiöse Wurzeln hat: Demut. Es bedarf der Demut, um zu akzeptieren, wie eng der Wirkungskreis des Menschen ist. Überheblichkeit wäre es, wenn sich der Mensch die Aufgabe aufbürden würde, für alle Lebewesen zu sorgen: »Die Verwaltung des großen Systems des Universums, die Sorge für die allgemeine Glückseligkeit aller vernünftigen und fühlenden Wesen, ist indessen das Geschäft Gottes und nicht das des Menschen. Dem Menschen ist ein weit niedrigerer Arbeitsbezirk zugewiesen, aber einer, der der Schwäche seiner Fähigkeiten und der Enge seiner Fassungskraft weit angemessener ist« (Smith 1759/1985: 400–401). In der Verfügungsgewalt des Menschen steht bis zu einem gewissen Grade (Smith 1759/1985: 400–401) »die Sorge für seine eigene Glückseligkeit, für die seiner Familie, seiner Freunde und seines Landes«. Aber auch für diese Verfügung gibt es nach Smith Grenzen. Insbesondere die Sorge für die Glückseligkeit der Gesellschaft darf nicht in umfassende Sozialplanung und Sozialtechnologie ausarten. Bereits vor der Französischen Revolution betont Smith, dass der »man of system« scheitern müsse, wenn er die Gesellschaft gleichsam als Schachspiel auffasse, worin die Bewegungen der einzelnen Figuren von ihm beherrscht werden könnten (Smith 1759/1985: 395–396). Will ein Gesetzgeber Erfolg haben, so muss er im Schachspiel der Gesellschaft die Eigenbewegungen der Figuren berücksichtigen und seine Absichten mit diesen Eigenbewegungen in Einklang bringen, um etwas auszurichten (Smith 1759/1985: 396). Vor diesen Eigenbewegungen aber muss man keine Furcht haben, denn in ihnen ist die gute Natur, in der der religiöse Mensch Gottes Hand spürt, am Werk: »Jene Weisheit, welche das System der menschlichen Neigungen und Gefühle ebenso erfunden hat wie jeden anderen Teil der Natur, scheint der Überzeugung gewesen zu sein, dass der Vorteil jener großen Gemeinschaft der Menschheit dann am besten gefördert werden würde, wenn sie die Aufmerksamkeit eines jeden Indivi108 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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duums in erster Linie gerade auf jenen Teil derselben lenkte, der am meisten innerhalb des Bereiches seiner Fähigkeiten ebenso wie seines Verständnisses gelegen ist« (Smith 1759/1985: 389–390). Indem die Menschen innerhalb ihres begrenzten Horizontes tätig sind, fördern sie gemäß diesem Gedanken den »Vorteil jener großen Gemeinschaft der Menschheit«. Es ist die Kunst des Gesetzgebers, dafür zu sorgen, dass ein Individuum sein Tätigkeitsfeld genau »innerhalb des Bereiches seiner Fähigkeiten ebenso wie seines Verständnisses« findet. Das kann vielfach den Abbau von Regulierungen und Institutionen, soweit diese nicht den Individuen gemäß sind, erfordern, kann aber auch, angesichts der von Smith klar gesehenen Folgen der Arbeitsteilung in Form geistiger und seelischer Verkümmerung (Smith 1776/1978: 662–663), durchaus staatliches Eingreifen sinnvoll machen. Vor diesen Hintergründen ist auch die berühmte Lehre von der unsichtbaren Hand zu verstehen. 24 Es sind insbesondere drei Aspekte des Denkens von Adam Smith, die in sie eingehen: (i) Sein Pessimismus bezüglich der Planungsmöglichkeiten des menschlichen Verstandes; (ii) sein Realismus bezüglich menschlichen Verhaltens sowohl, was die Macht einer Motivation aus Eigeninteresse, als auch, was die Bedeutung anderer Dimensionen des Menschseins angeht; (iii) sein religiös fundierter Optimismus gegenüber den guten Absichten der Natur (wozu auch die individuelle und soziale Natur des Menschen gehört), die Gott ihr eingepflanzt hat. Es sind vor allem die Bedeutung des dritten Aspektes und die Bedeutung der über das Eigeninteresse hinausweisenden Momente des zweiten Aspektes, die in der Smith-Rezeption oft unterschätzt werden. Denn die gute Natur sorgt, so glaubt und hofft Smith, dafür, dass nie alle Menschen im Sinne des Homo oeconomicus der modernen Wirtschaftstheorie handeln werden. Mag es nur wenige Menschen geben, die sich für ihr Land einsetzen oder gar aufopfern, wichtig ist, dass es sie gibt; mag es nur wenige Politiker geben, die, wenn sie überhaupt Gemeingeist besitzen, »etwas anderes im Auge (haben, d. V.) als das Interesse ihrer eigenen Länder«, entscheidend ist, dass es sie gibt. Indem Smith (Smith 1759/1985: 390) Beispiele für Staatsmänner nennt, die als Träger einer wohlwollenden Liebe zu den Menschen verstanden werden können, drückt er stillschweigend die Hoffnung aus, dass es sie immer wieder geben wird. 24

Zum Begriff der »Unsichtbaren Hand« vgl. ausführlich Hottinger (1997: 157–167).

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Schließlich ist bei Smiths Lehre von der unsichtbaren Hand zu berücksichtigen, dass sie eine Antwort ist auf die Tatsache, dass es Menschen gibt, die, indem sie nicht »den Geboten … [ihres] moralischen Vermögens gemäß handeln«, bereit sind, willentlich oder unwillentlich »den Plan gewissermaßen zu durchkreuzen, den der Schöpfer der Natur zur Herbeiführung der Glückseligkeit und Vollkommenheit der Welt entworfen hat« (Smith 1759/1985: 251). Gelingt es, die Aktivitäten solcher Menschen auf die Wirtschaftssphäre zu beschränken und im Rahmen der Rechtsordnung zu halten, dann sind diese sozusagen wieder in den Weltenplan integriert. Allerdings ist die Wirtschaftsgesellschaft, also die kommerzielle Gesellschaft, die darauf beruht, dass egoistische rationale Individuen unbewusst und unfreiwillig, gesteuert von einer ihrem begrenzten Eigeninteresse unbekannten unsichtbaren Hand, die soziale Harmonie fördern, für Smith keineswegs der beste denkbare soziale Zustand. Denn in einer ausschließlich von kommerziellen Gesichtspunkten geprägten Gesellschaft, in der Wohlwollen für andere keine Rolle spielt, leben die Menschen nicht in Harmonie mit sich (vgl. Smith 1759/1985: 127): Ihre Einstellung, den eigenen Nutzen dem Glück aller anderen Wesen vorzuziehen, steht im Widerspruch zu dem Interesse des Universums, alle Wesen glücklich zu machen. Smith betont demgemäß, dass eine Gesellschaft »ohne Wohltätigkeit«, wenngleich er sie für überlebensfähig hält, sich nicht in einem »besonders guten und erfreulichen Zustand befindet« (Smith 1759/ 1985: 128). Einer auf dem jeweils eigenen Nutzen basierenden Gesellschaft stellt Smith das Ideal eines Gemeinwesens gegenüber, das von tugendhaftem und wohlwollendem Verhalten geprägt ist. Im Gegensatz zur Möglichkeit des bloß ›nützlichen‹ Zusammenhalts spricht Smith hier explizit von der »glücklichen« (happy) Gesellschaft: »Wo jener notwendige Beistand aus wechselseitiger Liebe, aus Dankbarkeit, aus Freundschaft und Achtung von einem Mitglied dem anderen gewährt wird, da blüht die Gesellschaft und da ist sie glücklich« (Smith 1759/1985: 127). Geglücktes menschliches Zusammenleben hat also offensichtlich damit zu tun, dass die Individuen nicht nur an ihren eigenen Nutzenerwägungen interessiert sind, sondern dass man die Person des Nächsten in ihrer Würde akzeptiert und ihr mit Wohlwollen und Vertrauen begegnet. Eine solche glückliche Gesellschaft aber kann nur dort auftreten, wo die Menschen wissen, dass sie in der 110 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Wirtschaftssphäre zwar gewisse materielle Voraussetzungen für ihr Glück, nie aber dieses selbst finden können. Glücklich wird der Mensch nach Smith nur, wenn er tugendhaft handelt. Denn nur dann ist es möglich, dass sein eigenes Verhalten von seinem Gewissen, dem vorgestellten inneren und unparteiischen Zuschauer, gebilligt wird. Nur der tugendhafte Mensch ist des Lobes seiner Mitmenschen wert und der Liebe seiner Nächsten würdig. Ein solcher Mensch lebt im Einklang mit sich und weiß, dass er von seiner Seite aus alles tut, um zur sozialen Harmonie beizutragen. Daraus erwächst nach Smith eine tiefe »Seelenruhe«, die den Kern menschlichen Glücks ausmacht (Smith 1759/1985: 171–176; 223– 224).

3.9 Abschließende Bemerkungen In seinem Werk »Leidenschaften und Interessen« charakterisiert Hirschman (1987: 120 f.) Gehalt und Wirkung der Theorie Smiths folgendermaßen: Smith »lässt … die nicht-ökonomischen Neigungen, so mächtig sie sein mögen, allesamt in die ökonomischen einmünden und diese nur verstärken, wodurch er ihnen ihre einst unabhängige Rolle nimmt« (Hirschman 1987: 118). »[S]eine These und die aus ihr abgeleitete Doktrin erfüllten (damit; d. V.) … eine … Voraussetzung für ein erfolgreiches Paradigma: Obwohl sie eine großartige Verallgemeinerung darstellten, bedeuteten sie doch eine erhebliche Einengung des Forschungsfeldes, auf dem das gesellschaftstheoretische Denken sich bis dahin frei bewegt hatte, und das ebnete der intellektuellen Spezialisierung und Verfachlichung den Weg« (ibid.: 121). Hirschmans Rezeption ist symptomatisch für die Art und Weise, in der Smith bis heute weitgehend verstanden wird. In unseren Ausführungen haben wir gezeigt, dass dieses Verständnis den Intentionen und dem Gehalt der Theorie von Smith kaum gerecht wird. Gewiss ist es eine bleibende Leistung von Smith, die Stärke der ökonomischen Neigungen erkannt zu haben und sein »System der natürlichen Freiheit«, das bis heute die konzeptionelle Grundlage einer liberalen Marktwirtschaft ist, ganz auf der rationalen Verfolgung des Eigeninteresses zu basieren. Aber individuelles Nutzenstreben ist für Smith ein menschliches Motiv unter anderen. Man sollte es nicht, wie dies die philosophische Tradition der Antike und des 111 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Mittelalters weitgehend tat, unterschätzen oder verteufeln, man sollte es aber auch nicht, wie dies vielfach in der modernen Ökonomik geschieht, isoliert sehen und verabsolutieren. Smiths Ansatz in seiner Mehrdimensionalität ist darin aktuell, dass er auch dem Eigenrecht der nicht-ökonomischen Neigungen seine wesentliche systematische Stelle gibt und sich somit der heute weit verbreiteten »intellektuellen Spezialisierung und Verfachlichung« entgegenstellt.

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4. Homo politicus und Homo oeconomicus Die Neue Politische Ökonomie, die Verfassung der Freiheit und die Reformfähigkeit der Gesellschaft In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen

4.1 Einleitung Von den Gemeinwesen und Staaten anderer Epochen und Kulturen unterscheiden sich die modernen Staaten des Westens dadurch, dass sie als freiheitliche Rechtsstaaten angelegt sind. Freiheitliche Rechtsstaaten haben zur Grundlage ihrer Verfassung das Recht. Sie gewährleisten größtmögliche Freiheit der Individuen unter der Bedingung, dass die Ausübung dieser Freiheit nicht die Freiheit anderer Individuen einschränkt. Zu den weiteren Aufgaben freiheitlicher Rechtsstaaten gehört die Durchsetzung des geltenden Rechtes, die Ermöglichung der Partizipation der Staatsbürger am politischen Leben, die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Verteidigung, Rechtswesen, Wissenschaftssystem etc., aber auch die Sicherung von Lebensgrundlagen für die gegenwärtig lebenden Individuen und für die kommenden Generationen. Letztere Fragestellungen werden heute vielfach unter dem Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability, s. u. Kapitel 8 und 11) diskutiert. Zu den Lebensgrundlagen gehören nicht nur diejenigen, die das Überleben der Menschen sichern, sondern auch diejenigen, die Menschen die Möglichkeit verschaffen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Neben den wirtschaftlichen Lebensgrundlagen – etwa den verschiedenen Kapitalgütern, der Energieversorgung oder dem Verkehrssystem – sind insbesondere soziale Lebensgrundlagen hervorzuheben: Bildung, Kultur, medizinische Versorgung, Unterstützung von sozial Schwachen und Arbeitslosen. Sowohl das Überleben der Menschen als auch ihre Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, hängt entscheidend ab vom Dasein und vom Zustand der natürlichen Lebensgrundlagen: Die Rohstoffe und die Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt sind die Basis für alle wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen und damit notwendige Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben. Darüber hinaus tragen sie wesentlich zur Lebensqualität bei: 113 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Wenn Luft, Wasser und Boden in einem guten Zustand sind und Raum geben auch für eine Vielfalt nicht-menschlichen Lebens, so wirkt sich dies auf das Lebensgefühl der Menschen positiv aus. In den meisten reichen industrialisierten Ländern erscheinen – selbst bei noch fortdauerndem Wachstum der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen – sowohl (i) die sozialen als auch (ii) die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig bedroht. Zu (i) Während die Staatsverschuldung zunimmt, scheinen gleichzeitig die Kosten für soziale Grundsicherung, Gesundheitsfürsorge, Alterssicherung und Umweltschutz ins Unermessliche anzuwachsen. Die steigenden Kosten dafür, die letztlich von den Bürgern aufgebracht werden müssen, schränken deren individuelle Handlungsspielräume ein. Grundlegende und fortdauernd wirksame Reformen sind notwendig. Zu (ii) Gleichzeitig werden mehr und mehr nichterneuerbare Rohstoffe verbraucht, gehen immer mehr biologische Arten verloren, Luftschadstoffe gefährden unser Klima und Wasser und Böden werden in weiten Teilen der Erde zunehmend verschmutzt. Es ist offensichtlich, dass die weltweit vorherrschende Wirtschaftsweise nicht nachhaltig (vgl. u. Kapitel 8) ist. Die Ökonomik ist in diesem Zusammenhang als Wissenschaft von der Wirtschaft aufgefordert, kosteneffiziente Lösungen vorzuschlagen. Allerdings geht es in diesen Lösungen nicht nur um Effizienz, sondern es sind auch wesentliche Fragen der Gerechtigkeit angesprochen. Auf diesen normativen Aspekt beziehen sich die Ausführungen dieses Kapitels. Sie beschäftigen sich mit der Frage, was es bedeutet, wenn man – wie dies etwa in der Public Choice, die im Deutschen als Neue Politische Ökonomie bezeichnet wird, geschieht – Probleme der Gerechtigkeit sowie Probleme der Formation langfristiger politischer Interessen ausschließlich auf der Basis des Homo oeconomicus theoretisch zugänglich machen will. Mit anderen Worten, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Homo-oeconomicus-Modells sind zu prüfen, wenn es darum geht, die Chancen moderner Gesellschaften einzuschätzen, sich nachhaltig und gerecht zu entwickeln. Weiterhin aber geht es um Alternativen: Wenn im vorigen Kapitel gezeigt wurde, dass Adam Smith aus guten Gründen den Menschen nicht nur als Homo oeconomicus, sondern auch als Homo politicus und Homo religiosus auffasste, so soll hier gezeigt werden, dass der Homo politicus eine unverzichtbare konzeptionelle Grundlage für alle Entwürfe 114 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Homo politicus und Homo oeconomicus

einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung moderner Gesellschaften ist und dass somit der Homo oeconomicus für die Fundierung solcher Entwürfe nicht ausreicht. Das schließt jedoch nicht aus, dass dabei auch der Homo oeconomicus eine nicht unwesentliche Bedeutung hat; ja, die Intention auf Freiheit, die diesem Konzept von den Politischen Ökonomen der Public Choice zugesprochen wird, muss auch ein maßgeblicher Bestandteil des Homo politicus sein. Die Ausführungen dieses Kapitels gliedern sich in folgender Weise: Wir werden im Abschnitt 4.2 Wesenszüge des politischen Handelns und notwendige Anforderungen an seine Träger, die politischen Akteure, vorstellen. In Abschnitt 4.3 geht es um die Intentionen der staatstheoretischen Ansätze von Buchanan und Tullock (1962) sowie von Buchanan (1975). Buchanan und Tullock (1962) haben zum ersten Mal aus dem Prinzip des »methodologischen Individualismus« das Modell einer demokratischen Verfassung hergeleitet. In Abschnitt 4.4 befassen wir uns mit dem von Theoretikern der Public Choice entwickelten Begriff des »konstitutionellen Interesses«, d. h. des Interesses, die Verfassung der Freiheit zu schützen bzw. sie gegebenenfalls wiederherzustellen. Ausgehend von diesem Begriff führen wir den Begriff eines »ökologischen Interesses« ein. Konstitutionelles und ökologisches Interesse können die Interessen der Individuen sowohl an der Erhaltung der demokratischen Verfassung wie an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erklären und begründen. Werden diese Interessen ausschließlich auf den Homo oeconomicus als ihren Träger bezogen, ergeben sich allerdings Schwierigkeiten, die innerhalb des Modells individueller Nutzenmaximierung nicht zu beheben sind. In Abschnitt 4.5 werden wir einen Weg aufzeigen, wie diese Schwierigkeiten überwunden werden können. Dabei werden wir auf die Tradition des politischen Liberalismus zurückgreifen, in der sich Buchanan selbst sieht, und das in Kapitel 3 anlässlich der Theorie von Adam Smith vorgestellte Konzept des Homo politicus ausführlich erläutern. Anhand eines für diese Konzeption zentralen Begriffes, der Gerechtigkeit, werden wir in Abschnitt 4.6 die beiden Konzepte Homo politicus und Homo oeconomicus an der Art unterscheiden, wie sie diesen Begriff auffassen. Abschnitt 4.7 wird zeigen, inwiefern der Homo politicus für die Wiederherstellung der Verfassung der Freiheit und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen eine unverzichtbare Kategorie ist. In Abschnitt 4.8 fragen wir nach der empirischen Relevanz des Homo politicus und zeigen, dass damit nicht ein bestimmter Typus Mensch, sondern eine 115 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

Dimension des Menschseins bezeichnet wird. In Abschnitt 4.9 geht es um die Aufgabe der Gesellschaft, Bedingungen dafür zu schaffen, dass Menschen sich selbst wesentlich in der Dimension des Homo politicus wahrnehmen.

4.2 Das politische Handeln und seine Akteure Grundlegende Veränderungen in einer Gesellschaft, sei es, dass sie sich auf soziale Systeme erstrecken, sei es, dass sie auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen abzielen, können in einem eminenten Sinne als politische Handlungen angesprochen werden. An ihnen zeigt sich, mehr als an den administrativen und durch bestehende Verordnungen und Maßgaben festgelegten Abläufen des Tagesgeschäftes, was politisches Handeln im Gegensatz zu wirtschaftlichem oder bürokratischem Verhalten ist. Denn grundlegende Reformen erfordern Änderungen der rechtlichen Regeln des Zusammenlebens, die sich bis auf die Ebene der Verfassung erstrecken. In diesem letzt genannten Fall werden sogar die Grundlagen des Zusammenlebens in einer Gesellschaft in Frage gestellt. Grundlegende Veränderungen einer Gesellschaft verlangen in besonderem Maße politisches Handeln. Unter politischem Handeln wollen wir solche Entscheidungen und Handlungen im Bereich der Politik verstehen, die nicht gänzlich durch gesetzliche Regeln und administrative Vorgaben präformiert sind. In diesem Sinne kann von politischem Handeln nur da gesprochen werden, • wo die Aufgabenstellungen von Relevanz für das Ganze der politischen Gemeinschaft sind, • wo der Ausgang offen ist, • wo verschiedene Alternativen zur Wahl stehen, von denen man im Vorhinein nicht sicher sagen kann, welche die richtige ist und • wo eine gewisse Kreativität in der Gestaltung der jeweiligen Alternativen gegeben ist. Beispiele für politisches Handeln sind inhaltlich die Neugestaltung des Sozialstaates oder die Einrichtung einer nachhaltigen Wirtschaft; formal gehören dazu Verfassungsänderungen ebenso wie weitreichende Umgestaltungen von bestehenden Gesetzen. Politisch handeln in diesem Sinne können nicht nur Amtsträger, wie Bundeskanzler, Ministerpräsidenten sowie Minister, und politische Körperschaften, wie Parlament und Gemeinderäte, sondern 116 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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auch jeder Bürger des Staates sowie Verwaltungen und ihre Mitglieder. 1 Die Fragestellung dieses Kapitels lautet: Wie muss das Handlungssubjekt des politischen Handelns gedacht werden – als Homo oeconomicus, als Homo politicus, oder als eine Kombination aus beidem? Zur Klärung dieser Frage wollen wir zunächst einige Kriterien für das formulieren, was wir unter politischem Handeln verstehen. Dabei ist zu beachten, dass politische Entscheidungen in einem demokratischen Staat kaum je die bloße Implementierung einer von Wissenschaftlern vorgefertigten rein theoretischen Lösung sein können. Meist gibt es eine Fülle von theoretischen, angeblich wissenschaftlich abgesicherten Lösungsvorschlägen – welche Lösung tatsächlich gewählt wird, hängt vom eigentlich politischen Prozess ab. Das impliziert Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Akteuren, öffentliche Diskussionen, Austausch von Informationen und Argumenten, Überzeugungsarbeit, bis schließlich daraus eine definitive Entscheidung hervorgeht. Anfänglich zur Diskussion gestellte Lösungsvorschläge durchlaufen dabei in der Regel beträchtliche Änderungen. Somit kann man die Reform einer Gesellschaft in politischem Handeln als einen offenen evolutionären Prozess bezeichnen (Petersen/Faber/Schiller 2000). Das Ergebnis eines solchen Prozesses ist im Vorhinein unvorhersagbar – alle Lösungsvorschläge und Szenarien sind selbst Teile der Prozessdynamik und gehen in das Für und Wider der Auseinandersetzungen ein. Soweit es sich um langfristig angelegte Veränderungen handelt, kommt hinzu, dass Erfahrungen bei der Realisierung der Reformen Anlass zu Korrekturen und weiteren Veränderungen geben. Allgemein kann man jedoch an Lösungsvorschläge im Rahmen des politischen Handelns die folgenden drei Anforderungen stellen: 4.2(i) Sie sollten sachgemäß sein, was insbesondere bedeutet, dass alles gegenwärtig verfügbare Wissen bezüglich der zu verhandelnden Probleme in ihnen berücksichtigt wird. 4.2(ii) Sie sollten flexibel sein, so dass sie im Licht neuer Erfahrungen korrigiert werden können. 4.2(iii) Sie sollten konsensfähig sein, das bedeutet: die ihnen Das wird ausführlich am Beispiel der deutschen Umweltverwaltung gezeigt in Petersen/Faber 2000.

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entsprechenden politischen Handlungen müssen prinzipiell geeignet sein, die langdauernde Zustimmung einer großen Anzahl von Staatsbürgern der entsprechenden Gesellschaft zu finden. Für die politischen Akteure, die solche Lösungen diskutieren und letztlich über sie entscheiden, lassen sich ebenfalls drei Kriterien formulieren. 4.2(iv) Sie müssen offen sein, d. h. sie müssen aus Erfahrung lernen können, so dass sie nicht nur ihre Entscheidungen, sondern möglicherweise sogar ihre Ziele und Maßstäbe aufgrund ihrer Erfahrungen ändern. 4.2(v) Sie müssen ein grundlegendes Interesse an allgemein politischen Fragen und an angemessenen Lösungen haben. Das bedeutet insbesondere, dass sie ihre Positionen in der Auseinandersetzung über diese Fragen und ihre Lösungen deutlich von ihren privaten Neigungen und Interessen abtrennen können. 4.2(vi) Sie müssen bereit sein, zu ihren Entscheidungen zu stehen, solange neue Erfahrungen ihnen nicht widersprechen. Mit anderen Worten, die Offenheit und Flexibilität bedarf komplementär der Willenskraft, Geduld und Ausdauer bei der Verfolgung weitreichender politischer Ziele. Das schließt insbesondere die Bereitschaft ein, zugunsten eines als richtig erkannten allgemeinen Interesses auch im Laufe der Zeit auftretende persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen.

4.3 Staat und Individuum in der Public Choice Der Homo oeconomicus wird in der neoklassischen Ökonomik ursprünglich nur zur Erklärung menschlichen Verhaltens im Rahmen wirtschaftlicher Abläufe verwendet. Aber schon vor der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Grundlagen für eine Verwendung des Homo-oeconomicus-Konzeptes in Bereichen außerhalb der Wirtschaft gelegt. Es ist vor allem Public Choice, die den Bereich der Politik untersucht und Analyse und normative Bewertung politischer Abläufe mit dem Instrumentarium der Ökonomik vornimmt. Die Public Choice fordert, alles staatliche Handeln letztlich als aggregiertes Wahlhandeln von Individuen unter Knappheitsbedingungen zu konzipieren. Einer der bedeutendsten Vertreter der Public Choice, James Buchanan, formuliert als Leitfrage seiner Untersuchungen: »Warum sollte ein Individuum, wenn es die Möglichkeit hätte, (darüber frei 118 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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zu befinden, d. V.), sich jemals dafür entscheiden, von einer Mehrheit seiner Mitmenschen regiert zu werden?« (Buchanan 1979: 44). Hinter dieser Frage steckt eine Beobachtung, die Buchanan als das paradox of being governed bezeichnet. Erklärungsbedürftig erscheint ihm, warum ein Mensch sich – wie dies in demokratischen Staaten selbstverständlich ist – freiwillig den Entscheidungen der Mehrheit seiner Mitmenschen unterwirft, auch wenn diese Mehrheit etwas beschließt, was seinen eigenen Präferenzen nicht entspricht. Die Antwort auf diese Frage liefert die Public Choice als Theorie der Begründung einer Staatsverfassung. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Public Choice in diesem Sinne normativ. Die oberste Norm ist die Freiheit der Individuen. Legitim ist eine Verfassung und staatliches Handeln nur dann und nur insoweit, als dadurch letztlich die Freiheit der Individuen erhalten oder gefördert wird. Vor diesem Hintergrund wird in dem für die Public Choice grundlegenden Buch »The Calculus of Consent« von James Buchanan und Gordon Tullock (1962: 3) formuliert: »We are not directly interested in what the State or a State actually is, but propose to define quite specifically, … what we think the State ought to be« (Buchanan/Tullock 1962: 3). Methodische Grundlage der Public-Choice-Theorie ist der methodologische Individualismus. Auf der Basis der Annahme, menschliches Verhalten lasse sich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch auf dem Feld der Politik als Handeln des Homo oeconomicus erklären, können sich hier gemeinsame Interessen nur als aggregierte Interessen egoistischer rationaler Nutzenmaximierer ergeben. Sofern die Interessen der Individuen und ihre Mittel, diese zu realisieren, gegeben sind, können mit Hilfe mathematischer Modellierung die individuellen Handlungen und die sich daraus ergebenden optimalen Ergebnisse berechnet werden. Will man das Verhalten des Homo oeconomicus beeinflussen, so muss dies durch äußere Anreize geschehen, die unerwünschtes Verhalten kostspielig machen, erwünschtes Verhalten aber als lohnend erweisen. Auch der Staat wird in der Public-Choice-Theorie folglich als ein Instrument individueller Nutzenmaximierung gedeutet. Dieses Instrument kommt überall da zum Einsatz, wo die Kosten, die die Individuen in Ermangelung des Staates tragen müssten, höher sind als die Kosten, die ihnen durch staatliches Handeln entstehen. 2 So2

Unter Kosten im Sinne der Ökonomik sind dabei nicht nur monetäre Ausgaben zu

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fern unkoordiniertes Handeln der Individuen für die einzelnen Individuen zu einem geringeren Nutzen führt als koordiniertes Handeln im Rahmen staatlicher Institutionen, werden sich nutzenmaximierende Individuen dafür entscheiden, in einem Staat zu leben. Das gilt selbst dann, wenn der Staat im Einzelfall gegen ihre Interessen handelt, solange sichergestellt ist, dass insgesamt der Nutzen, der sich aus der Existenz des Staates gibt, größer ist als der Nutzen, der sich ohne Staat erreichen ließe. So wird ein Homo oeconomicus es lieber hinnehmen, dass in einzelnen Rechtssachen entgegen seinen Interessen entschieden wird, als dass er ganz ohne Rechtsordnung leben würde. Der Nutzen der Rechtssicherheit insgesamt ist so hoch, dass dadurch die Kosten des Einzelfalls weit überwogen werden. Auf der Basis derartiger Überlegungen wird im »Calculus of Consent« (Buchanan/Tullock 1962) dargelegt, dass ein der individuellen Nutzenmaximierung entsprechender Staat eine konstitutionelle Demokratie sein muss. Regeln für dieses politische Handeln werden auf der sogenannten Verfassungsebene festgelegt. Im Modell wird die Verfassung nach der Einstimmigkeitsregel beschlossen, da sie so ausgestaltet ist, dass sich jeder im staatlichen Zustand besser stellt als in der Abwesenheit desselben. Folglich handelt es sich bei der Staatskonstitution um einen Pareto-superioren Vertrag, da sich alle dabei besser stellen. Die Verfassung stellt sich als ein System von Regeln über die Bereiche und das jeweilige Ausmaß des kollektiven Handelns dar. Im »Calculus of Consent« wird ohne weitere Begründung unterstellt, dass die Individuen auf der konstitutionellen Ebene bereits mit bestimmten Rechten ausgestattet sind. Dieses Modell wird in Buchanans »Limits of Liberty« (1975) erweitert. Dort legt der »konstitutionelle Vertrag« auch die Rechte der Individuen fest (Buchanan 1975, Kapitel 4). Buchanan interpretiert diese Rechte als Eigentumsrechte, als Verfügungsrechte über Ressourcen. Mit dem konstitutionellen Vertrag wird ein »Rechtsschutzstaat« konstituiert, der die beschlossene Rechtsordnung garantiert und durchsetzt. Dieser Rechtsschutzstaat entspricht den judikativen und exekutiven Staatsgewalten der klassischen Lehre von der Gewaltenteilung. Zugleich entsteht daneben der »Leistungsstaat«, ein Entscheidungssystem insbesondere zur

verstehen, sondern auch alle Arten von Aufwand an Zeit, Mühe und Leid, die man, wenn man die Wahl hätte, vermeiden würde.

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Bereitstellung öffentlicher Güter, die der Legislative entspricht (Bernholz/Faber 1986). Auch im Modell der »Limits of Liberty« entsteht durch den »konstitutionellen Vertrag« eine konstitutionelle Demokratie. Da bei diesem Vertrag die Rechte der Individuen nicht vorgegeben sind, sondern erst durch ihn festgelegt werden, können sie prinzipiell auch neu definiert werden – durch eine Änderung des konstitutionellen Vertrages, die ihrerseits allerdings wieder als Verfassungsänderung einstimmig sein muss. Was das bedeutet, lässt sich etwa an Umweltproblemen zeigen. Umweltprobleme, wie die Übernutzung von Rohstoffen und von natürlichen Aufnahmekapazitäten für Schadstoffe, werden in der Umweltökonomik vielfach als Folge einer unzureichenden Definition von Eigentumsrechten interpretiert. Umweltmedien wie Luft und Wasser wurden und werden vielerorts noch heute als »freie Güter« behandelt, die kostenlos benutzt – und eben auch übernutzt – werden können. Da der »konstitutionelle Vertrag« zu jedem Zeitpunkt neu geschlossen oder erweitert werden kann, lässt er auch die Möglichkeit zu, dass Eigentumsrechte an bisher freien Gütern neu definiert werden; Buchanan (1975: 179 f.) spricht von »The Creation of Rights«. Damit wird die Theorie der Tatsache gerecht, dass im Laufe der Zeit immer wieder bisher unbekannte Probleme wie z. B. Umweltprobleme plötzlich und unerwartet auftreten. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Festlegung solcher Rechte letztlich im Interesse der Individuen liegt. Die Frage, ob politisches Handeln auf der Basis des Homo oeconomicus konzipiert werden kann, ist für die bisher genannten (allerdings stark idealisierten) Fälle eindeutig zu bejahen. Das liegt insbesondere daran, dass keine Notwendigkeit besteht, über die Privatinteressen der an diesem Handeln beteiligten Individuen hinaus ein allgemeines Interesse anzunehmen. Denn die Neufestlegung von Eigentumsrechten führt zu Nutzengewinnen für alle Beteiligten.

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4.4 »Konstitutionelles Interesse« und »ökologisches Interesse« 4.4.1 Das konstitutionelle Interesse Der Ansatz der Public Choice hat allerdings in den Augen einiger seiner Vertreter ein intrinsisches Dilemma (Buchanan 1975; Bernholz 1978, 1995). Er kann zwar die Entstehung einer konstitutionellen Demokratie auf der Grundlage des methodologischen Individualismus erklären, aber nicht ihr Fortbestehen in der Zeit begründen. Nutzenmaximierende Individuen können sich nämlich Sondervorteile verschaffen, indem sie an den Staat ständig weitergehende Ansprüche stellen, deren Kosten die Allgemeinheit trägt, deren Nutzen aber nur ihnen und einem (geringeren oder größeren) Teil der Staatsbürger zugute kommen werden. In der Folge tendiert, gemäß der Analyse von Buchanan (1975), eine konstitutionelle Demokratie dazu, sich zu einem paternalistischen bürokratischen Apparat zu entwickeln, der sein Budget auf Kosten seiner Bürger zunehmend aufbläht. 3 Dabei ist diese Entwicklung dem nutzenmaximierenden Verhalten einer Vielzahl eben dieser Bürger geschuldet. De facto aber geben die Bürger damit Handlungsmöglichkeiten an den Staat ab. Einen solchen Staat, der die Zuständigkeit für die Wohlfahrt seiner Bürger weitgehend an sich zu ziehen sucht, bezeichnet Buchanan als Wohlfahrtsstaat. 4 Indem der Wohlfahrtsstaat den Bereich des kollektiven Handelns ständig ausdehnt und zugleich den des privaten Handelns einschränkt, engt er die Freiheit des Einzelnen systematisch ein und beschneidet eben diejenigen Rechte, für deren Sicherung und Erweiterung die Verfassung eingerichtet wurde. Darüber hinaus hat die Public-Choice-Theorie gezeigt, dass die Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates zu wachsenden Ineffizienzen führt. Die Einengung der Freiheit und die Beschneidung der Rechte des Einzelnen stellt eine Veränderung der im konstitutionellen Vertrag einstimmig beschlossenen Verfassung dar. Aufgrund dieser negativen Entwicklung einer konstitutionellen Vgl. Mueller (1995, Kapitel 14, 16 u.17). Was Buchanan »Wohlfahrtsstaat« (welfare state) nennt, muss streng unterschieden werden von einem Staat, der soziale Aufgaben übernimmt wie z. B. die Bereitstellung bestimmter Gesundheitsleistungen u. ä. Für den Staat in diesem Sinne verwendet Buchanan den Begriff »productive state« (was man mit »Versorgungsstaat« übersetzen kann – vgl. Bernholz/Faber 1986: 36 f., 43 ff.).

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Demokratie plädiert Buchanan (1975: 1993) für eine fundamentale Reform des zu wohlfahrtsstaatlicher Expansion neigenden demokratischen Staates. Wegen ihres grundlegenden Charakters bezeichnet er diese Reform als »konstitutionelle Revolution«. Dabei geht es um die Wiederherstellung der durch den Wohlfahrtsstaat beschnittenen individuellen Freiheit, die Reduzierung der übermäßig angewachsenen Staatskompetenzen und die Beseitigung der staatlichen Ineffizienzen. Die konstitutionelle Revolution kann als prominentes Beispiel für das, was wir in Abschnitt 4.2 als politisches Handeln definiert haben, herangezogen werden. Voraussetzung für die Realisierung einer solchen konstitutionellen Revolution ist allerdings die Bereitschaft prinzipiell aller Individuen, sich als politische Akteure im Sinne der in Abschnitt 4.2 aufgestellten Kriterien 4.2(iv)–4.2(vi) zu verhalten. Denn sie müssen auf – aus dem Wohlfahrtsstaat resultierende – Sondervorteile verzichten und zugleich die Kosten der entsprechenden politischen Aktivität auf sich nehmen. Das aber ist in der Perspektive der ökonomischen Theorie kaum zu erwarten. Da die Degeneration des freiheitlich verfassten Staates zu einem Wohlfahrtsstaat nämlich nur stattfinden kann, wenn eine Mehrheit eigennütziger Individuen aus diesem Wohlfahrtsstaat zumindest kurzund mittelfristig Sondervorteile zieht, ist schwer einzusehen, warum diese Individuen auf das, was sie haben, verzichten sollen, und für das, was sie nicht haben – die konstitutionelle Revolution – Zeit und Mühe investieren sollen, ohne ganz sicher sein zu können, dass die konstitutionelle Revolution gerade für sie persönlich insgesamt einen Nutzengewinn bringen wird. Das Interesse an einer konstitutionellen Revolution steht also in einem offensichtlichen Gegensatz zu den unmittelbaren Interessen der Individuen im Wohlfahrtsstaat. Im Unterschied zu diesen unmittelbaren Interessen, den »compliance or operational interests« (Vanberg/Buchanan 1988: 139), wird das Interesse an der Erhaltung oder Wiederherstellung der demokratischen Verfassung als »constitutional interest« (ibid.) bezeichnet. Das konstitutionelle Interesse wird als ein Langzeitinteresse (»long term interest«, Brennan/Buchanan 1985: 139 ff.) aufgefasst. Buchanan, Brennan und Vanberg versuchen in ihren (teils in Koautorenschaft verfassten) Arbeiten, das konstitutionelle Interesse aus langfristigen individuellen Nutzenerwägungen abzuleiten. Dieser Versuch ist jedoch nicht überzeugend. Der Grund dafür ist eine Asymmetrie zwischen kurz- und langfristigen Interes123 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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sen. Während die Reduzierung des Wohlfahrtsstaates mit Sicherheit zum Verlust kurzfristiger Vorteile führt, sind die hieraus resultierenden Gewinne unsicher. Deshalb kann man nicht erwarten, dass sich der Homo oeconomicus für eine Reduktion des Wohlfahrtsstaates entscheidet und sich somit als politischer Akteur im Sinne des konstitutionellen Interesses einsetzt. Somit kann der Homo oeconomicus, so wie er üblicherweise in der gegenwärtigen Forschung konzipiert wird, nicht als der Träger des politischen Handelns im Rahmen von konstitutionellen Interessen angesehen werden, denn er erfüllt offensichtlich nicht die Kriterien 4.2(v) und 4.2(vi). 5 Diese inhärenten Schwierigkeiten sind auch von führenden Public-Choice-Theoretikern erkannt worden. Buchanan (1975: 2–3) hat vorgeschlagen, das Prinzip des methodologischen Individualismus selbst normativ zu interpretieren, derart, dass die individuelle Freiheit zum »alles überragenden Ziel jeder Gesellschaftspolitik« gemacht wird. Als den politischen Akteur, der diesem Ziel gemäß agiert, führt Buchanan (1977) die Kunstfigur des »Contractarian« ein, der sich dieses konstitutionelle Interesse definitionsgemäß zu eigen macht. Bernholz (1978: 99), der die These vertritt, eine freiheitliche Verfassung müsse auf einem »postulate of a free society« beruhen, fordert aus methodischen Erwägungen eine lexikographische Präferenz für die Freiheit bei der überwiegenden Mehrheit der Staatsbürger (Bernholz 1991: 278; 1995: 247). Eine solche lexikographische Präferenz für die Freiheit bedeutet, dass in jeder Entscheidungssituation die Freiheit als höchstes Gut angesehen wird, das um jeden Preis angestrebt und somit allen anderen Alternativen vorgezogen wird. Eine solche Präferenz betrachtet Bernholz als normatives Postulat. Denn: »Given individual preferences, as we know them empirically, it would be irrational for the individual to strive for liberty under all conditions, not to speak of that of others« (Bernholz 1995: 247). 6 Nicht nur Smith (s. o. Kapitel 3), sondern auch J. St. Mill standen einer Übertragung des Prinzips egoistisch-rationaler Nutzenmaximierung auf die Sphäre des Politischen skeptisch gegenüber. So schreibt Mill, der eigentliche Begründer des Konzepts des Homo oecnomicus: (Mill 1836/1967: 321): »What is now commonly understood by the term ›Political Economy‹ … does not treat of the whole of man’s nature by the social state, nor of the whole conduct of man in society. It is concerned with him solely as a being who desires to possess wealth, and who is capable of judging of the comparative efficacy of means for obtaining that end.« Vgl. auch Persky (1995). 6 Auf derartige Ansätze lässt sich eine kritische Anmerkung Kirchgässners (1991: 144, 5

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Mit derartigen Argumentationen verlassen Buchanan und Bernholz allerdings den Boden der Homo-oeconomicus-Annahme: Gilt für diese die Zulässigkeit aller möglichen Präferenzen (Arrow 1963: 24) und wird in der Regel die Dominanz privater Interessen angenommen, so schreiben Buchanan und Bernholz aus normativen Erwägungen Präferenzen fest, die denen des gewöhnlich unterstellten Homo oeconomicus geradezu entgegenlaufen und überdies einen Aspekt der Ökonomik beseitigen, der sie in den Augen vieler ihrer Vertreter besonders attraktiv macht: Die Hoffnung, dass der Mensch so egoistisch sein kann, wie er immer sein mag, und dennoch dank der unsichtbaren Hand unwissend zum Gemeinwohl beiträgt (vgl. Kapitel 1, Abschnitt 1.7 und Kapitel 3, Abschnitt 3.6 und Abschnitt 3.8.2), gilt nicht für Entwicklungen von der Art, wie sie Buchanan und Bernholz darstellen. 4.4.2 Das ökologische Interesse Der dauerhafte Bestand jeder Gesellschaft ist von der Erhaltung ihrer notwendigen natürlichen Lebensgrundlagen abhängig. Ressourcen dürfen nicht übernutzt, biologische Arten müssen geschützt, Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt müssen bewahrt, Emissionen fester, flüssiger und gasförmiger Stoffe müssen derart begrenzt werden, dass absehbare Schäden für Natur und Mensch nicht nur in der Gegenwart, sondern auch bis in die fernste vorstellbare Zukunft vermieden werden. Diese Forderungen implizieren Einschränkungen der Handlungsmöglichkeit gegenwärtig lebender Individuen – zugunsten ihrer Mitmenschen, zugunsten kommender Generationen, zugunsten der außermenschlichen Natur. Um diese Einschränkungen rechtswirksam zu machen, ist politisches Handeln erforderlich: Festlegung von Eigentumsrechten, Reform von Institutionen, Änderungen in Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten. Die Lebensweise in modernen Gesellschaften würde sich dadurch beträchtlich ändern. Damit aber ist letztlich die Verfassung moderner Rechtsstaaten angesprochen, die stellenweise fundamental umgestaltet werden müsste. Das Interesse an der Erhaltung der na164) beziehen. Dieser warnt davor, das Homo-oeconomicus-Modell durch heterogene Annahmen zu erweitern, weil es dadurch jede empirische Bedeutung verlieren und inhaltsleer werden würde. Schließlich werde der Homo oeconomicus zu einer bloßen Tautologie.

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türlichen Lebensgrundlagen wollen wir im Folgenden als ökologisches Interesse bezeichnen. Wenn wir uns fragen, ob dem Homo oeconomicus ein ökologisches Interesse zugeschrieben werden kann, sind wir mit allen den methodischen Schwierigkeiten konfrontiert, die im vorigen Abschnitt anhand des konstitutionellen Interesses dargestellt wurden. Es muss indes eine zusätzliche Schwierigkeit genannt werden, die den Zeithorizont der beiden Interessen betrifft. Das konstitutionelle Interesse erstreckt sich auf Zeiträume, die vielfach innerhalb der Lebenszeit der beteiligten und betroffenen Individuen liegen werden. Der Abbau der Auswüchse eines wuchernden Wohlfahrtsstaates und die Wiederherstellung einer »Verfassung der Freiheit« mögen kurzund mittelfristig den beteiligten Individuen hohe Kosten auferlegen – es besteht die Möglichkeit, dass sie noch zu ihren Lebzeiten davon profitieren. Der Einsatz für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen kommt hingegen vielfach erst zukünftigen Generationen zugute. Das ökologische Interesse hat mit dem konstitutionellen gemeinsam, dass seine Realisierung politische Handlungen erfordert, die dem menschlichen Verhalten Grenzen auferlegen. Allerdings gilt dies für das ökologische Interesse in weitaus höherem Maße. Denn hier geht es nicht nur, wie beim konstitutionellen Interesse, um Grenzen gegenüber anderen lebenden Individuen, sondern dazu kommen Grenzen, die sich der Respektierung des Daseinsrechtes künftiger Generationen oder der Respektierung der außermenschlichen Natur verdanken. Der methodologische Individualismus erfordert es, dass auch das ökologische Interesse von der freiwilligen Zustimmung und Anteilnahme der Mehrheit der beteiligten Individuen getragen wird. Damit stellt sich verstärkt die Frage, ob es denkbar ist, den Homo oeconomicus als Träger eines solchen Interesses im Sinne der Kriterien 4.2(iv)–4.2(vi) zu konzipieren. Dagegen spricht, dass im Modell des Homo oeconomicus die Nutzenmaximierung nur durch äußere Restriktionen beschränkt wird, nicht aber aufgrund eines internen, von allen Individuen als verbindlich anerkannten Kriteriums. Deswegen ist die Nutzenmaximierung des Homo oeconomicus prinzipiell grenzenlos. Der Homo oeconomicus ist also so angelegt, dass ihm ein verbindliches inneres Maß allenfalls zufällig zugesprochen werden könnte. Es müsste sich um ein Ausnahmeexemplar mit ungewöhnlichen Präferenzen handeln. Dass sich aber alle Individuen auf ein solches Maß verpflichtet wissen, ist aber gerade durch die Idee 126 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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des konstitutionellen Interesses gefordert, und es ist mindestens ebenso gefordert durch den Gedanken des ökologischen Interesses. Denn es ist offensichtlich, dass maßloser Konsum eine wesentliche Ursache ökologischer Probleme ist. In der ökonomischen Forschung gibt es keine nennenswerte Auseinandersetzung über die Fundierung eines ökologischen Interesses. Infolgedessen wird auch das Problem, ob und wie man ein solches Interesse auf individuelle Präferenzen zurückführen kann, kaum gesehen. Autoren 7 aus dem Bereich der ökologischen Ökonomie, die sich, meist am Rande der gängigen ökonomischen Theorien, mit ökologischen Fragen beschäftigen, neigen ebenso wie die wohlfahrtstheoretischen Richtungen der Umweltökonomie dazu, die sich aus dem ökologischen Interesse ergebenden Einschränkungen für die Verfolgung individueller Präferenzen als extern gegeben zu unterstellen. Sie nehmen also ein solches Interesse an, fragen aber nicht, woher es kommt. Damit setzen sie sich indes der berechtigten Frage der Public Choice aus: Wie sind solche Einschränkungen zu legitimieren? Woher nehmen die einschränkenden Instanzen ihre Autorität? Die Berechtigung dieser Anfragen erweist sich besonders gegenüber Ansätzen, die davon ausgehen, dass angesichts festgefahrener umweltschädlicher Produktions- und Konsumgewohnheiten ein Strukturwandel im Sinne eines ökologischen Interesses nur im Rahmen autoritärer oder diktatorischer politischer Verhältnisse möglich sei (vgl. Hannon 1985, Bergström 1993, Berrens und Polasky 1995). Wer annimmt, dass eine gewaltsame Einschränkung individueller Freiheit eine notwendige Voraussetzung gelingender Umweltpolitik sei, setzt sich indes zwei Einwänden aus: (a) Autoritäre und diktatorische Lösungen für Umweltprobleme sind nur in Verhältnissen möglich, die wenig oder gar nichts mit den menschenrechtlich fundierten freiheitlichen Rechtsstaaten unserer Zeit gemeinsam haben. Ist nicht die Preisgabe der Verfassung der

Ansätze in dieser Richtung finden sich bei Daly and Mayor (1986), Abbot and Brady (1990), Horbach (1992), Mixon (1995). Die geringe Aufmerksamkeit der Public Choice für Umweltprobleme heben auch Frey und Schneider (1996: 14, Fn. 5) hervor. Eine allgemeine Kritik an der Perspektive, die die Public Choice gegenüber Umweltthemen einnimmt, bietet O’Neill (1995). – Im Bereich der Ökologischen Ökonomik wird diese Problematik seit einigen Jahren im Rahmen einer Diskussion über das Menschenbild behandelt (Söderbaum 1999; Nyborg 2000; Gintis 2000; Jager/Jansen/De Vries/De Gref/Vlek 2000; Siebenhüner 2000, 2001; Faber/Petersen/Schiller 2002).

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Freiheit ein viel zu hoher Preis für die Lösung von Umweltproblemen? (b) Einschränkungen der Freiheit der Individuen gegen die Zustimmung eben dieser Individuen laufen Gefahr, wirkungslos zu bleiben. Es ist denkbar, dass autoritäre Verhältnisse, sollten sie zur Durchsetzung des ökologischen Interesses etabliert werden, eben dieses Ziel verfehlen, weil die Menschen nicht mitmachen. Somit scheint sich ein Dilemma zu ergeben: Die langfristige Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist an ein ökologisches Interesse gebunden, wie es die Vertreter der ökologischen Ökonomie und der Wohlfahrtsökonomik thematisieren, aber die Durchsetzung dieses Interesses widerspricht der Freiheit der Individuen, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Wenn man aber, wie die Public Choice, die Freiheit der Individuen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht, gelangt man auf der Basis des methodologischen Individualismus nicht zur Formulierung eines wirksamen ökologischen Interesses. Damit begegnen wir in verschärfter Form einem Problem, auf das wir bereits oben bei der Begründung des konstitutionellen Interesses gestoßen sind. So bleibt uns folgende Frage: Wie können wir konstitutionelle und ökologische Interessen denkbar machen, die auf den freien Entscheidungen der Individuen basieren? Im Folgenden werden wir diese Frage beantworten, indem wir auf unsere Begriffe des politischen Handelns und des politischen Akteurs (s. o. Abschnitt 4.2) zurückgreifen. Wir werden theoretisch nachweisen, dass soziale Reformen und weitreichende Umweltpolitik durchaus unter den Bedingungen eines freiheitlichen Rechtsstaates durchgesetzt werden können, ja, mehr noch, dass freiheitliche Verhältnisse eine notwendige Voraussetzung für langfristig erfolgreiche Umweltpolitik sind. Demgemäß halten wir an der ursprünglichen Intention der Public Choice fest, letztlich auf die Interessen und die freie Entscheidung der Individuen zu rekurrieren. Wir versuchen, eine theoretische Grundlage zu entwerfen, auf der das konstitutionelle Interesse und das ökologische Interesse als ein Interesse der Individuen gedacht werden kann.

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4.5 Das konstitutionelle Interesse als das Interesse an der Gemeinschaft: Der Homo politicus 4.5.1 Der Begriff des Homo politicus Wir haben festgestellt, dass der Homo oeconomicus nicht als Träger von Langzeitinteressen nach Art des konstitutionellen oder ökologischen Interesses gedacht werden kann, da er nicht die Kriterien 4.2(v) und 4.2(vi) erfüllt. Allerdings stellen wir in der Realität fest, dass, wenigstens gelegentlich, in freiheitlichen Rechtsstaaten weitreichende soziale und ökologische Reformen stattfinden. Langzeitinteressen sind, entgegen dem Resultat von ausschließlich den Homo oeconomicus voraussetzenden Überlegungen, nicht chancenlos. Um diese Beobachtung auch theoretisch zu fundieren, ergänzen wir daher das methodologische Prinzip des Homo oeconomicus durch ein weiteres methodologisches Prinzip. Das soll nicht die Bedeutung des Homo oeconomicus für das Verständnis politischer Abläufe mindern. Gesagt wird hier nur, dass dieser nicht hinreicht, um die Eigenart politischer Abläufe zu erfassen. In der Regel wird das Verhalten des Homo oeconomicus als vorhersagbar angesehen, sofern man seine Präferenzordnung und die gegebenen Restriktionen kennt. Politisches Handeln hat demgegenüber den Wesenszug des Spontanen. Da der politische Prozess offen und evolutionär ist, müssen politische Akteure in einem dynamischen, sich oft schnell verändernden Umfeld handeln, d. h. sie müssen spontan und flexibel agieren und reagieren können (Petersen/Faber/Schiller 2001). Gemäß unserer Beschreibung des politischen Handelns in Abschnitt 4.2 muss ein politischer Akteur fähig sein, im Sinne dessen zu agieren, was er (subjektiv) als das Gemeinwohl erkannt hat, unabhängig von äußeren Anreizstrukturen und privaten Gewohnheiten und Präferenzen. Damit aber muss er in der Lage sein, in einer Weise zu handeln, die für andere – ja gelegentlich sogar für ihn selbst – unvorhersehbar ist. Aber nicht nur das politische Handeln eines Individuums ist unvorhersehbar, sondern auch das Ergebnis eines solchen Handelns auf der Ebene der Gemeinschaft oder Gesellschaft. Denn während man den Homo oeconomicus in vielen Standardtheorien als ein repräsentatives Individuum ansieht, wo eine Person für alle anderen stehen kann, lässt sich von der Individualität des jeweils politisch Handelnden nicht absehen: politisch Handelnde sind verschieden, und diese Verschiedenheit prägt ihre 129 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Handlungen. Die Interaktion derartiger politischer Akteure führt dazu, dass das gemeinsame Resultat ihrer Handlungen grundsätzlich unvorhersehbar ist. Eben deshalb erweist sich politisches Handeln als ein offener evolutionärer Prozess. Wir bezeichnen den politischen Akteur, d. h. das Individuum, das an politischem Handeln mitwirkt und die Kriterien 4.2(iv) bis 4.2(vi) erfüllt, als Homo politicus. 8 Mit diesem Konzept knüpfen wir an eine Tradition der Politischen Philosophie an, die im klassischen Liberalismus des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte: Dort wurde dem eigentlichen Staatsbürger, dem Citoyen, der nur seine Privatinteressen verfolgende Bourgeois gegenübergestellt. Homo politicus ist ein Prinzip zur Erklärung politischen Handelns gemäß unserer Definition in Abschnitt 4.2. Politisches Handeln, obwohl es weder irrational noch altruistisch ist, folgt dennoch einer eigenen Logik, die es von der Struktur wirtschaftlichen Handelns deutlich absetzt. Um die Differenz beider Handlungstypen – und zugleich die Differenz der Träger der jeweiligen Handlungen – herauszuarbeiten, werden wir Homo politicus und Homo oeconomicus zunächst als reine methodologische Postulate ansehen. Die Frage, ob dem Homo politicus empirische Relevanz zukommt, wird uns unten in Abschnitt 4.8 beschäftigen. Hier geht es also um die theoretischen Implikationen des Homo politicus. Dabei wird allerdings unterstellt, dass das Konzept des Homo politicus, ebenso wie das des Homo oeconomicus, wichtige Züge an der Realität moderner Gesellschaften verdeutlichen kann. Welche Eigenschaften kennzeichnen den Homo politicus? Abgesehen von den allgemeinen Kriterien 4.2(iv) bis 4.2(vi) handelt der Homo politicus gemäß der beiden folgenden spezifischen Bedingungen: Er ist darauf ausgerichtet, in der Öffentlichkeit oder in Bezug auf die Öffentlichkeit zu handeln, in Gemeinschaft und AusDer Begriff des Homo politicus ist in Deutschland durch Ralf Dahrendorf (1958/1964: 13), zuvor im angelsächsischen Sprachraum durch Anthony Downs (1957) in die Diskussion eingeführt worden. Dieser Begriff hat aber in der Regel keinen bestimmten Sinn und wird häufig ganz unspezifisch gebraucht, wie z. B. von Gerhardt (1990: 229). Meistens wird als Homo politicus der Mensch verstanden, insofern er sich im Bereich politischer Institutionen bewegt. So auch von Downs, wobei es Downs’ These ist, dass der Mensch sich auch dort als rationaler Nutzenmaximierer verhält. Nach dieser Deutung fällt der Homo politicus mit dem Homo oeconomicus zusammen. In diesem Sinne meint auch Kirchgässner (1991: IX): »Der Homo politicus … hat sich inzwischen als weitgehend identisch mit dem Homo oeconomicus erwiesen«.

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einandersetzung mit Anderen, und er hat das Ziel, das Wohl seiner Gesellschaft zu fördern. Diese beiden Bedingungen wollen wir im Folgenden näher betrachten. 4.5.2 Homo politicus und Öffentlichkeit Die Motivation des Homo politicus muss sich nicht notwendig von der des Homo oeconomicus unterscheiden. Politisch Handelnde entwickeln häufig politischen Ehrgeiz, sie streben nach Zustimmung, nach Macht und auch nach Ämtern und schlagen die materiellen Vorteile, die damit verbunden sind, keineswegs aus. Derartiges Handeln mag man als eine Form der Nutzenmaximierung des Homo oeconomicus zu deuten geneigt sein. Aber im Gegensatz zum Homo oeconomicus agiert der Homo politicus öffentlich. In der Öffentlichkeit jedoch kann ein politisch Handelnder nicht mit seinen privaten Präferenzen argumentieren. Die Form der öffentlichen Debatte zwingt ihn dazu, für die Position, die er vertritt, das Gemeinwohl geltend zu machen. Unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht: Der politische Akteur ist genötigt, im Namen des Gemeinwohles zu argumentieren. 9 Wer öffentlich handelt, kann es gar nicht vermeiden, sich auf andere einzulassen, mit ihnen in Gemeinschaft zu treten. Das schließt ein, dass er oder sie sich auf Argumentationen und Diskurse einlässt, in denen er oder sie gegebenenfalls eigene Positionen aufgegeben oder zumindest korrigieren muss. Aus diesem Grund sind öffentliche Diskurse immer darauf angelegt, schließlich eine Einigung der Beteiligten herbeizuführen. 10 In öffentlichen Debatten hanIn diesem Zusammenhang unterscheidet Sagoff (1988: 8) zwischen »consumer« und »citizen«: »As a consumer … I concern myself with personal or self-regarding wants and interests.« »As a citizen, I am concerned with the public interest, rather than my own interest; with the good of the community, rather than simply the well-being of my family«. 10 Unsere Konzeption des Homo politicus weist Berührungspunkte mit Habermas’ Konzeption einer »deliberativen Politik« (1992: 349 ff.) auf, in der das Streben nach Zustimmung und Verständigung im Mittelpunkt steht. Allerdings fordert Habermas, dass alle Beteiligten eines »kommunikativen Handelns« ausschließlich und »vorbehaltlos« solche Ziele verfolgen, die an einer Verständigung orientiert sind (1981, I: 397). Eigennützige Zwecke haben in diesem Rahmen keinen Platz. Mit dieser normativen Konnotation erscheint der Begriff des kommunikativen Handelns zur Beschreibung wirklicher politischer Prozesse kaum tauglich (vgl. Kirchgässner 1991: 182, 184 f.; 9

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delt der Homo politicus also mit dem Ziel, andere von seiner Auffassung zu überzeugen und ihre Zustimmung zu gewinnen. Das kann ihm aber nur dann dauerhaft gelingen, wenn seine Zuhörer darauf vertrauen, dass das, was ihnen vorgetragen wird, nicht aus den privaten Präferenzen des Redners entspringt, sondern ein gemeinschaftliches oder allgemeines Interesse reflektiert. Damit aber muss der Homo politicus zweierlei leisten: Er muss zunächst fähig sein, essentielle Probleme der Gesellschaft zu erkennen, und er muss weiterhin in der Lage sein, Vorschläge zur Lösung zu unterbreiten, die dem Problem adäquat erscheinen. Überdies aber muss er sich schließlich für das, was er für richtig hält, öffentlich einsetzen. Durch sein Engagement in der Öffentlichkeit unterscheidet sich der Homo politicus deutlich vom Homo oeconomicus. Dahinter steht ein anderes Verhältnis zu den jeweiligen Mitmenschen; denn der Homo oeconomicus verhält sich zu seinem Mitmenschen neutral (Kirchgässner 1991: 46). In ihrer Gemeinschaft untereinander sind Homines oeconomici charakterisiert durch ihre »wechselseitige desinteressierte Rationalität« (Kirchgässner 1991: 47). Dahinter steht die Erfahrung, dass Homines oeconomici als Marktteilnehmer ihre wechselseitigen Handlungen tolerieren, solange diese legal sind. In Fällen von Marktversagen sehen sich dann auch Homines oeconomici gezwungen, in öffentliche Debatten miteinander einzutreten. Aber diese Debatten sind für sie nichts anderes als Kosten, Zeit, die zur Verfolgung der eigenen Privatinteressen unwiederbringlich verloren ist. Für den Homo politicus hingegen ist die öffentliche Debatte nicht nur kein Kostenfaktor, sondern gleichsam sein Lebenselement. Diese Art menschlichen Handelns und Verhaltens ist in der Politischen Philosophie einschließlich des klassischen Liberalismus immer wieder beschrieben worden. Sie wurde bereits von Aristoteles, der zu Recht als der Begründer der Politischen Wissenschaft angesehen wird und wohl der größte Empiriker unter allen antiken Philosophen ist, im athenischen Stadtstaat, der Polis, beobachtet und in seinen Schriften analysiert. Die athenischen Bürger sahen im Überzeugen Frey/Kirchgässner 1994: 36). Wenn Habermas weiterhin die Rationalität kommunikativen Handelns nur als Kohärenz verständigungsorientierten Argumentierens fasst, blendet er den Handlungserfolg aus. Im Gegensatz dazu sehen wir bezüglich des politischen Handelns einen engen Zusammenhang zwischen der Rationalität und dem Erfolg einer Handlung (s. u.).

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und Überreden anderer sowie im öffentlichen Handeln ihre eigentliche Tätigkeit als Bürger oder die eigentlich politische Tätigkeit. Aristoteles zog aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass der Mensch ein politisches Lebewesen sei und dass die Fähigkeit zum politischen Handeln den Menschen vor anderen Lebewesen auszeichne (Aristoteles, Politik 1253a 2; MacIntyre 1988: 34). Im Gegensatz zum Homo oeconomicus ist der Homo politicus somit nur als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen, und er versteht sich selbst auch nur als Teil einer Gemeinschaft. Insofern der Mensch Homo politicus ist, handelt er ausschließlich im Rahmen der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft. Er tut dies auch, wenn er die wirklich existierende Gemeinschaft kritisiert und verändern will. Der Mensch ist somit nicht schon dadurch Homo politicus, dass er sich in der politischen Sphäre bewegt, also Wähler, Mitglied von Parteien, Parlamenten oder Regierungen ist, sondern er ist Homo politicus nur dann, wenn er das Ganze der Gemeinschaft in seinem Fokus hat. 11 Die Gemeinschaft des Homo politicus ist vielmehr eine Gemeinschaft des Urteilens, weil wir nur in einer Gemeinschaft, in Rede und Gegenrede, in Zustimmung und Ablehnung, zu einem Urteil gelangen können, das kritischer Prüfung standhält. Sie ist deshalb weder eine beliebige Art von Sozialität, etwa im Sinne einer ethnischen oder religiösen Gruppe, noch ist sie eine Gemeinschaft der Not, der das Individuum nur deswegen angehört, weil es auf die Dienste anderer angewiesen ist. 12 4.5.3 Das Gemeinwohl und der Begriff der Gerechtigkeit Die Public Choice hat richtig erkannt, dass das Gemeinwohl nicht als etwas objektiv Gegebenes angesehen werden kann. Wäre es dies, so 11 Einige wesentliche Züge des Homo politicus finden sich in der von Frey/Kirchgässner (1994: 13 f., 451–470) vorgestellten Konzeption des »wirtschaftspolitischen Beraters«. Von diesem wird erwartet, dass er »über den kurzfristigen und interessengebundenen Forderungen« steht (455). Wenn in der Motivation des wirtschaftspolitischen Beraters auch das Eigeninteresse an Einkommen, Anerkennung und Einfluss eine wichtige Rolle spielen mag, so schließen die Autoren doch die Möglichkeit einer intrinsischen Motivation nicht aus, die sich auf das »allgemeine Wohl« bezieht (14). 12 So ist nach Smith (1776/1978: 16) die Grundlage der Gesellschaft darin zu suchen, dass »der Mensch ständig und in hohem Maße auf die Mitarbeit und Hilfe anderer angewiesen« ist.

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wäre es eine Angelegenheit von Wissenschaftlern und Experten, dieses Gemeinwohl herauszufinden. Das angemessene politische Handeln wäre demgemäß nicht Sache einer Willensbildung freier Bürger bzw. ihrer Repräsentanten, sondern Resultat einer wissenschaftlichen Politik, die von einer Elite betrieben würde. Darin aber liegt ein Charakteristikum totalitärer Regimes, dass sie behaupten, es gäbe ein objektiv feststellbares Gemeinwohl, und es sei Sache der jeweils Regierenden – gestützt auf wissenschaftliche Autorität – die richtigen Wege dahin zu bestimmen. Freie Gesellschaften sind hingegen dadurch gekennzeichnet, dass das, was als Gemeinwohl erscheint, als Resultat aus einer öffentlichen Debatte hervorgeht, an der sehr verschiedene Menschen, darunter in der Regel auch einige Experten, teilnehmen. Die Teilnehmer dieser Debatten, so unterschiedlicher Ansicht sie sein mögen, betrachten jedoch das, worum es geht, das Gemeinwohl, kaum je als etwas Arbiträres. Vor allem stellen sie den Anspruch, dass das, was als Gemeinwohl gelten soll, von ihnen als gerecht angesehen werden kann. Welche Anforderungen sind an den politischen Prozess und seine Teilnehmer zu richten, damit seine Resultate nicht als arbiträr gelten müssen, sondern als gerecht anerkannt werden können? Die erste Anforderung besteht darin, dass allen Mitgliedern der Gesellschaft, die ihr Interesse am politischen Prozess artikulieren, die Möglichkeit zur Teilnahme gewährt werden muss. Weiterhin müssen die Teilnehmer wechselseitig die Freiheit aller anderen achten, und schließlich müssen sie einander zutrauen können, sachlich kompetent und an einem gerechten Ergebnis interessiert zu sein. Diese drei Charakteristika wollen wir nun im Einzelnen betrachten. Die Gemeinschaft des Homo politicus setzt die Freiheit der Rede und des öffentlichen Auftretens voraus. Damit wird sichergestellt, dass die Mitglieder der Gemeinschaft ihre Kreativität in den politischen Prozess tragen und in einen Wettbewerb um die besten Lösungen eintreten können. Ein solcher Wettstreit ist für Homines politici kein Kostenfaktor, sondern ist ein Stimulus für Engagement und Einfallsreichtum. 13 Kant (1786/1977, »Was heißt sich im Denken orientieren?«: 280) rechtfertigt die Freiheit der öffentlichen Meinung folgendermaßen: »Allein, wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, dächten!« Und ähnlich bemerkt Madison (zit. nach Arendt 1994: 334), »wie unsicher und vorsichtig die Vernunft des Menschen und der Mensch selbst sei, solange sie nur auf sich selbst angewie-

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Weiterhin müssen die Teilnehmer einander wechselseitig unterstellen, ein kompetentes und qualifiziertes Urteil über den in Frage stehenden Problembereich fällen zu können – und dies im Sinne des Interesses der Gemeinschaft. Das bedeutet keineswegs, dass sie am Anfang oder selbst am Ende des Prozesses alle derselben Meinung sein werden. Wohl aber müssen sie einander bei allen sachlichen Differenzen Sachverstand und Urteilsfähigkeit zutrauen, da andernfalls ein echter Dialog und eine ernsthafte Auseinandersetzung unmöglich sind. Kompetenz und Urteilsfähigkeit setzen den freien Zugang zu allen relevanten Informationen und Interpretationen bezüglich des jeweiligen Problems voraus. Somit gehört zum Homo politicus wesentlich die Urteilskraft im Sinne Kants, und zu einer Gemeinschaft von Homines politici gehört es, dass jeder dem anderen diese Urteilskraft unterstellt. Schließlich müssen die Teilnehmer des politischen Prozesses wechselseitig davon überzeugt sein, dass es ihnen um gerechte Lösungen geht. Ein Lösungsvorschlag kann nur dann als gerecht gelten, wenn derjenige, der ihn einbringt, das begründete Zutrauen hat, dass dieser Vorschlag die Zustimmung aller Beteiligten und Betroffenen finden könnte. Gerechtigkeit ist eine zentrale Kategorie der Politischen Philosophie (vgl. Höffe 1989), und das Streben nach Gerechtigkeit ist einer der entscheidenden Wesenszüge des Homo politicus. Aufgrund der Schwierigkeiten, die der Begriff der Gerechtigkeit bereitet, werden wir diesen Begriff im folgenden Abschnitt ausführlich erörtern. Wie bereits weiter oben bemerkt (Abschnitt 4.5.2), sind private Motive und Interessen aus politischen Auseinandersetzungen keineswegs ausgeschlossen. Aber in solchen Auseinandersetzungen müssen sie in einer solchen Weise umformuliert werden, dass sie als öffentliche Interessen erscheinen, die das Kriterium der Gerechtigkeit erfüllen. Wer in einer öffentlichen Debatte einen Vorschlag macht, der seinen privaten Nutzen fördert, muss plausibel machen, dass er dies nicht im eigenen Interesse tut, sondern im Interesse der Gemeinschaft, mit anderen Worten, er muss seinen Vorschlag als gerecht darstellen. Kurzfristig wird man oft nicht unterscheiden können, ob ein als gerecht etikettierter Vorschlag nur eine Verkleidung rein privater Zielsetzungen ist oder nicht. Die Geschichte zeigt indes, sen sind, und wie er an Festigkeit und Selbstvertrauen proportional zu der Anzahl derer, die mit ihm einstimmig sind, gewinne«.

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dass eine solche Verkleidung in der Regel nicht von Dauer ist. Wenn also politisches Handeln immer wieder von Motiven des Homo oeconomicus durchsetzt sein mag, so zeigt sich das eigentlich Politische dieses Handelns doch daran, dass der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit der entscheidende ist. Daher kommt es darauf an, etwa das Handeln eines Politikers oder einer Gruppe von Individuen, die nach politischem Einfluss nur um persönlicher Vorteile willen streben, vom Handeln derjenigen zu unterscheiden, die möglicherweise solche Vorteile zwar auch wollen, jedoch darüber hinaus Lösungen politischer Probleme entwickeln, die auch im Urteil der Nachwelt Bestand haben und als gerecht angesehen werden können. Während das Verhalten der Erstgenannten hinreichend mit dem Modell des Homo oeconomicus erklärt werden kann, kommt bei den Letztgenannten die Dimension des Homo politicus hinzu.

4.6 Gerechtigkeit, Homo politicus und Homo oeconomicus Die Unterscheidung von gerecht und ungerecht ist für unser Konzept des Homo politicus unerlässlich. Das schließt nicht aus, dass diese Unterscheidung auch für den Homo oeconomicus relevant ist. Allerdings hat Gerechtigkeit für den Homo oeconomicus nicht die Bedeutung, die sie für den Homo politicus hat. Wir werden im Folgenden nachweisen, dass nur für den Homo politicus die Gerechtigkeit ein inneres Maß für das Handeln darstellt. Dadurch hat der Homo politicus nicht nur selbst ein Maß, sondern kann auch dem Homo oeconomicus ein Maß setzen. Gelingt uns dieser Nachweis, dann sind wir in der Lage, eine Selbstbeschränkung des Menschen in seiner Präferenzverfolgung zu denken, ohne uns dem Vorwurf der Arbitrarität bezüglich der Einschränkung von Präferenzen auszusetzen. Aus diesem Grunde sind die folgenden Überlegungen zentral für die Formulierung des konstitutionellen sowie des ökologischen Interesses. 4.6.1 Die Gerechtigkeit des Homo politicus Beim Homo politicus unterscheiden wir zwischen objektiver und subjektiver Gerechtigkeit. Objektive Gerechtigkeit besteht für den Homo politicus in der Ordnung derjenigen Gemeinschaft, in der er 136 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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überhaupt als Homo politicus existieren kann. Folgende Anforderungen gelten für diese Ordnung. 4.6(i) Die Gemeinschaft muss demokratisch verfasst sein. Das bedeutet, dass jeder Bürger politische Freiheit besitzt und damit an den öffentlichen Angelegenheiten der Gemeinschaft teilhaben und ihre politischen Prozesse beeinflussen kann. 4.6(ii) Die Freiheit der Rede und des öffentlichen Auftretens muss gewährleistet sein (diese beiden Kriterien wurden bereits in Abschnitt 4.5.2 erwähnt). 4.6(iii) Allen Mitgliedern der Gemeinschaft müssen gleiche Rechte gewährleistet werden. 4.6(iv) Allen Mitgliedern der Gemeinschaft müssen elementare Individualrechte zukommen. Diese Rechte schützen eine private Sphäre individueller Freiheit, in der jedes Individuum unabhängig von der Gemeinschaft handeln kann. Hierzu gehören u. a. der familiäre, der ökonomische und der religiöse Bereich. 14 4.6(v) Zwischen konkurrierenden Interessen, die sich in dieser privaten Sphäre ergeben, muss ein fairer Ausgleich möglich sein. Grundlegende Regeln der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung müssen ebenso wie Grundlagen für Regulierungen der Beziehung zwischen Gesellschaft und Umwelt in Gesetzen festgelegt werden. Dazu gehört auch, dass der Staat eine Sphäre sichert, in der der Mensch als Homo oeconomicus frei und unabhängig handeln kann. Aus dieser Sphäre zieht sich die Politik zurück, erkennt sich aber zugleich für ihren Schutz und Fortbestand zuständig. Andererseits muss der Staat diese Sphäre in ihre Schranken verweisen. So sollte er dafür sorgen, dass niemand durch wirtschaftliche Not an der Teilnahme am politischen Leben gehindert wird. 15 Sind diese fünf Voraussetzungen erfüllt, so bezeichnen wir die Ordnung der Gemeinschaft als gerecht. 16 Der Homo politicus ist 14 Daher wäre es verfehlt anzunehmen, dass die Dimension des Homo oeconomicus der des Homo politicus in jeder Hinsicht unterzuordnen wäre. 15 So sahen die Väter der Amerikanischen Revolution das politische Problem der Armut darin, dass die Armen aufgrund der Zwänge, denen ihr Leben unterliegt, vom öffentlichen Leben ausgeschlossen seien (vgl. Arendt 1994: 85 ff.). Auf der anderen Seite kann auch allzu großer Reichtum, wie Toqueville (1976: 227) feststellt, blind machen für öffentliche und allgemeine Belange. 16 In diesem Sinne sagt Aristoteles (Die Nikomachische Ethik 1972: 1129b): »So nennen wir denn in einem Sinne gerecht, was in der staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und deren Teile hervorbringt und bewahrt.« (Vgl. auch Petersen 1997).

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folglich nicht nur auf die Gemeinschaft überhaupt, sondern auf die gerechte Gemeinschaft angewiesen. 17 Diese fünf Kriterien, die wir als objektive Gerechtigkeit des Homo politicus bezeichnen, kann man als Institutionen auffassen. Sie sind objektive Eigenschaften der Verfassung, sie bestimmen nicht das Handeln des Homo politicus, sondern bilden den dafür notwendigen Rahmen. In der Sprache von Hayek (1960/1971), Buchanan und Bernholz kann man diesen Rahmen als die Verfassung der Freiheit bezeichnen. Im Gegensatz zur objektiven Gerechtigkeit des Homo politicus drückt sich die subjektive Gerechtigkeit des Homo politicus in einem Handeln aus, das die Verfassung der Freiheit oder die gerechte Gemeinschaft, d. h. die objektive Gerechtigkeit, erhält oder gegebenenfalls erneuert. Durch diese Art des Handelns verwirklicht der Homo politicus das oben in Abschnitt 4.5 erläuterte Interesse an der Gemeinschaft, das für ihn charakteristisch ist. Wie kann dieses Handeln näher bestimmt werden? Der Mensch als Homo politicus beschränkt sich nicht auf ein bloßes Einhalten von Gesetzen. Darüber hinaus handelt er stets für die Gemeinschaft und zwar für die gerechte Gemeinschaft (s. o. Abschnitt 4.5). Dabei wird er immer darauf achten, ob sein Handeln mit dem Geist der Verfassung übereinstimmt. Das impliziert insbesondere die Bereitschaft, auf Verfassungsänderungen hinzuwirken, um bei Degenerationserscheinungen die ursprüngliche Verfassung der Freiheit wieder herzustellen, wie sie durch die Kriterien 4.6(i) bis 4.6(v) charakterisiert ist. Die subjektive Gerechtigkeit des Homo politicus wird durch verschiedene Haltungen gekennzeichnet, die die Grundlagen seines politischen Handelns im Sinne persönlicher Dispositionen darstellen. 4.6(vi) Dem Homo oeconomicus vergleichbar, handelt auch der Homo politicus rational. Das Handlungsprinzip des Homo politicus können wir jedoch, im Gegensatz zur egoistischen Nutzenmaximierung des Homo oeconomicus, als ein Streben nach der Gerechtigkeit bezeichnen. Die Rationalität des Homo politicus besteht darin, in Die fünf genannten Forderungen finden sich sowohl in der Politischen Philosophie des Aristoteles wie auch in der Immanuel Kants – mit Ausnahme der Voraussetzung 4.6(iv), die bei Aristoteles keine besondere Rolle spielt. Vgl. dazu Aristoteles (Politik 1973: 1261a – der Staat als Gemeinschaft von Freien und Gleichen) und Kant (1797/ 1968: 432 ff.; 1793/1960: 161 u. 1795/1960c: 233 (zur Öffentlichkeit)).

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diesem Streben im Rahmen des Möglichen erfolgreich zu sein. 18 Da die Kriterien 4.6(i) und 4.6(ii) Freiheit der politischen Diskussion und gleiche politische Freiheit für jeden beinhalten, wird der Homo politicus nicht gewaltsam oder mit List (by force, or wiles; Hobbes 1651/ 1973: 64) handeln; stattdessen wird er seine Auffassung von der Gerechtigkeit offen zur Diskussion stellen. Er ist zwar zum Streit bereit, versucht aber einen Konsens mit allen anderen zu erreichen. 19 4.6(vii) Der Homo politicus braucht Urteilskraft, um im einzelnen Fall erkennen zu können, was der Verfassung entspricht und damit gerecht ist. Aristoteles (Die Nikomachische Ethik 1972: 1140a f.) bezeichnet diese Fähigkeit als phronesis, d. h. als sittliche Einsicht oder sittliche Klugheit. 4.6(viii) Um in der öffentlichen Auseinandersetzung seine Auffassung vertreten zu können, braucht der Homo politicus Mut oder Tapferkeit (Aristoteles 1972: 113 ff., Arendt 1981: 36 f.) bzw., in der Ausdrucksweise unserer Zeit, Zivilcourage. 4.6(ix) Der Homo politicus kann nur gerecht urteilen, handeln und damit dauernden Erfolg haben, wenn er sich dabei nicht von seinen Leidenschaften, von persönlichen Neigungen oder Abneigungen beherrschen lässt. Aristoteles bezeichnet diese Fähigkeit als Tugend der Besonnenheit (sophrosyne). Diese vier Fähigkeiten, die der Mensch, wie Aristoteles annimmt, nur zusammen entwickeln und besitzen kann, machen die subjektive Gerechtigkeit bzw. das gerechte Handeln des Homo politicus aus. Da diese Fähigkeiten erworben, ausgebildet und willentlich geübt werden müssen, sind sie auf die Gemeinschaft angewiesen, die durch Tradition, Gewohnheiten und Erziehung dafür Sorge zu tragen hat, dass sie erhalten bzw. immer wieder erneuert werden. 4.6.2 Die Gerechtigkeit des Homo oeconomicus Wie der Homo politicus hat auch der Homo oeconomicus, wie ihn die Public Choice auffasst, Ziele, die er nur gemeinsam mit anderen erreichen kann. Zu diesem Zweck konstituieren sich die Individuen zu Zu dieser Konzeption von Rationalität vgl. MacIntyre (1988: bes. 30–46, 123). Dies entspricht Kants Idee des »moralischen Politikers«, der stets das »Rechtsprinzip« befolgt und nicht wie der »politische Moralist« in seinem Tun »die Grundsätze dem Zweck unterordnet (d. i. die Pferde hinter den Wagen spannt)« (Kant 1795/1964, »Zum ewigen Frieden«, 11: 239). 18 19

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einem Kollektiv und geben sich eine Verfassung. Das Kriterium für die Ausgestaltung dieser Verfassung ist die Pareto-Effizienz. Damit werden zugleich Regeln festgelegt, die bestimmen, was gerecht und was ungerecht ist. Die Verfassung selbst kann hingegen nicht als gerecht oder ungerecht qualifiziert werden, da es jenseits der verfassunggebenden Individuen keine Instanz gibt, die darüber zu befinden hat. Mit diesem Modell folgt die ökonomische Theorie der Politik dem Vorbild der Staatstheorie von Thomas Hobbes. Für Hobbes beruht der Staat auf einem Vertrag seiner Mitglieder. Dieser Gesellschaftsvertrag ist aus Hobbes’ Sicht nützlich, kann jedoch selbst nicht als gerecht oder ungerecht bezeichnet werden; denn gerechtes oder ungerechtes Handeln kann es nur aufgrund von Verträgen geben. Gerecht ist das Einhalten, ungerecht das Brechen von Verträgen (Hobbes 1651/1973: 74, Petersen 1996: 20 f.). Nach der Festlegung der Verfassung kann aus der Sicht des Homo oeconomicus der Public Choice in zweierlei Bedeutung von Gerechtigkeit gesprochen werden: (i) Gerecht sind zum einen Gesetze, insofern sie verfassungskonform sind. Ungerecht sind Gesetze, wenn sie nicht verfassungskonform sind, z. B. wenn sie verfassungsmäßig garantierte Eigentumsrechte verletzen. Dies bezeichnen wir als objektive Gerechtigkeit bzw. objektive Ungerechtigkeit des Homo oeconomicus. (ii) Gerecht ist zum anderen individuelles Handeln, sofern es nur die Rechtsordnung einhält, also legal ist. Ungerecht dagegen ist es, wenn es die Rechtsordnung verletzt, also illegal ist. Dies nennen wir subjektive Gerechtigkeit bzw. subjektive Ungerechtigkeit des Homo oeconomicus. Die subjektive Gerechtigkeit, d. h. legales Verhalten, kann jedoch der Intention der Verfassung der Freiheit zuwiderlaufen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist gerade der Wohlfahrtsstaat. So weist Buchanan (1975: 158) darauf hin, dass keineswegs nur korrupte, sondern ebenso auch gesetzeskonform handelnde Politiker, getragen von den artikulierten Interessen ihrer Wähler, eine Ausweitung der staatlichen Tätigkeit über die von der Verfassung gezogenen Grenzen hinaus betreiben. Das aber bewirkt im Sinne des Homo politicus objektive Ungerechtigkeit, da damit die wesentlichen Bedingungen für sein Handeln außer Kraft gesetzt werden. Zusammenfassend können wir sagen: Der Homo oeconomicus hat kein Interesse an der politischen Gemeinschaft um ihrer selbst 140 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Homo politicus und Homo oeconomicus

willen und kein Interesse an der Gerechtigkeit als solcher. Wie die politische Gemeinschaft und die Verfassung ist für den Homo oeconomicus auch die Gerechtigkeit nur ein Mittel zur besseren Erreichung seiner individuellen Ziele. 20 Die beiden Arten der Gerechtigkeit des Homo politicus sind den entsprechenden des Homo oeconomicus in Figur 4.1 gegenübergestellt. Gerechtigkeit des Homo oeconomicus

objektive

subjektive

Homo politicus

verfassungskonforme Gesetze

Verfassung nach Rechtsprinzipien 4.6(i) – 4.6(v)

Einhaltung der Rechtsordnung

Handeln gemäß den Fähigkeiten 4.6(vi) – 4.6(ix) der: (1) Gerechtigkeit, (2) Klugheit, (3) Tapferkeit, (4) Besonnenheit

Figur 4.1: Gerechtigkeit des Homo oeconomicus und des Homo politicus

4.7 Die Bedeutung des Homo politicus für die Verfassung der Freiheit und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen 4.7.1 Homo politicus und konstitutionelles Interesse Unsere Formulierung der subjektiven Gerechtigkeit des Homo politicus ermöglicht uns, das konstitutionelle Interesse mit dieser Gerechtigkeit gleichzusetzen. Die fünf Kriterien der objektiven Gerechtigkeit des Homo politicus bilden genau den Gehalt des Interesses an 20 Eine Variante dieser Auffassung von Gerechtigkeit ist die Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls (1971/1975). Für Rawls kann jedoch auch die politische Verfassung selbst gerecht oder ungerecht sein. Eine gerechte Verfassung ist die, welche die Individuen in einem fiktiven Urzustand festlegen würden, worin sie von allen ihren besonderen Fähigkeiten, Neigungen, Besitzständen und von ihren individuellen Zukunftserwartungen absehen. Von diesem Unterschied abgesehen, betrachtet aber auch Rawls den Menschen als Homo oeconomicus (Höffe 1985: 172). Auch für Rawls (1992: 268) verfolgen die Individuen den »eigenen rationalen Vorteil«.

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der Erhaltung der Verfassung der Freiheit; denn wenn sie erfüllt sind, dann ist die politische Gemeinschaft ein freiheitlicher Rechtsstaat. So ist die individuelle Freiheit durch Voraussetzung 4.6(iv) gesichert, 4.6(i) und 4.6(ii) garantieren die politische Freiheit in der Demokratie, wohlfahrtsstaatliche Fehlentwicklungen sind durch die Kriterien 4.6(iii) bis 4.6(v) ausgeschlossen. Die subjektive Gerechtigkeit des Homo politicus, die in den Fähigkeiten 4.6(vi) bis 4.6(ix) zum Ausdruck kommt, ist die Verwirklichung des konstitutionellen Interesses. Denn sie drückt den Willen und die Bereitschaft aus, sich für die Erhaltung und Wiederherstellung der Verfassung der Freiheit, die durch die fünf Kriterien der objektiven Gerechtigkeit bestimmt ist, einzusetzen. Diese Erhaltung der Verfassung der Freiheit ist nicht nur ein Resultat des gerechten Handelns des Homo politicus. Vielmehr verwirklicht sich der Geist der Verfassung, wie es sich in den elementaren Kriterien der Rechtsgleichheit, der gleichen politischen Freiheit und der Freiheit der öffentlichen Rede darstellt, durch den Vollzug dieses Handelns selbst. Mit anderen Worten: Die Verfassung ist nur dann lebendig und wirkmächtig, wenn es Homines politici gibt, die sich für sie einsetzen. Die Vorteile der Konzeption des Homo politicus in der Frage des konstitutionellen Interesses bestehen aus unserer Sicht in zwei Punkten: (a) Dem Homo oeconomicus konnte das konstitutionelle Interesse nur zugeschrieben werden, indem auf arbiträre Weise seine Präferenzsouveränität beschränkt wurde. Im Gegensatz können wir aus dem Konzept des Homo politicus das konstitutionelle Interesse schlüssig herleiten. Denn der Homo politicus weiß, dass er als Homo politicus auf eine Gemeinschaft angewiesen ist, die die oben genannten Kriterien 4.6(i) bis 4.6(v) der objektiven Gerechtigkeit erfüllt. Daher kann man sagen, dass es geradezu das Wesen des Homo politicus ausmacht, Träger des konstitutionellen Interesses zu sein. 21 (b) Das Konzept der subjektiven Gerechtigkeit des Homo oeconomicus als regelkonformes Verhalten reicht nicht aus, um die Wahrnehmung des konstitutionellen Interesses zu beschreiben, denn subSind diese fünf Kriterien nicht gegeben, tritt der Homo politicus in der Regel als Revolutionär auf. So ging es den amerikanischen und den französischen Revolutionären im 18. Jahrhundert darum, öffentliche Freiheit (Kriterium 4.6(i)) und demokratische Selbstbestimmung (Kriterium 4.6(ii)) zu verwirklichen, damit sie überhaupt politisch Handelnde sein konnten. Diesen Punkt arbeitet besonders klar die Studie Hannah Arendts »Über die Revolution« (1994) heraus.

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Homo politicus und Homo oeconomicus

jektiv regelkonformes Verhalten muss, wie wir gezeigt haben, in der Politik nicht zu objektiv gerechten Gesetzen führen. Die subjektive Gerechtigkeit des Homo oeconomicus kann zur Korrumpierung der Verfassung führen, wie das Beispiel des modernen Wohlfahrtsstaates zeigt. Dagegen ist die subjektive Gerechtigkeit des Homo politicus gerade dadurch definiert, dass sie auf die Erhaltung der objektiven Gerechtigkeit, d. h. auf die Erhaltung der Verfassung der Freiheit zielt. 4.7.2 Homo politicus und ökologisches Interesse Das ökologische Interesse bezieht sich auf die Frage, ob sich umweltpolitische Forderungen in umfassender Weise, also insbesondere in Bezug auf das bisher ungelöste Problem der Nachhaltigkeit von modernen Wirtschaften, im politischen Prozess durchsetzen lassen. Wir haben oben in den Abschnitten 4.2 und 4.3 gezeigt, dass die Public Choice ein langfristiges Interesse an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht aus der Homo-oeconomicus-Annahme herleiten kann, so dass dem Homo oeconomicus ein ökologisches Interesses nicht notwendig zugeschrieben werden kann. Dies wird klar, wenn man bedenkt, dass insbesondere Maßnahmen, die langfristig die Erhaltung der natürlichen Umwelt fördern, vom Homo oeconomicus für die voraussichtliche Dauer seiner Lebenszeit in der Regel unter der Perspektive von Kosten wahrgenommen werden. Dies gilt verstärkt, wenn man bedenkt, dass eine erfolgreiche Umweltpolitik kaum ohne weitreichende Änderungen in der Einkommens- und Vermögensverteilung möglich sein wird. Solche Änderungen greifen derart tief in das Leben der Betroffenen ein, dass sie auf den Konsens aller angewiesen sind und somit auf der Verfassungsebene beschlossen werden müssen (vgl. Wicksell 1896: 110–138, insb. 123; Buchanan/Tullock 1962: 5 f.; Faber 1973). Die negativ Betroffenen, insoweit sie als Homines oeconomici agieren, werden solchen Änderungen in ihrer Mehrheit nicht zustimmen können. Somit führt die Homooeconomicus-Annahme bezüglich der Umweltpolitik zwangsläufig zu Pessimismus. Aber hat der Mensch als Homo politicus an der Festlegung eines Maßes zur Reduktion seines Naturverbrauches ein Interesse, wenn der Nutzen dieser Reduktion nicht ihm als bestimmtem Individuum zugute kommt? Dass er ein solches Interesse in der Tat hat, folgt aus 143 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

seinem Charakter als Gemeinschaftswesen. Denn wie gezeigt wurde, ist für den Menschen als Homo politicus das Interesse an der Gemeinschaft konstitutiv. Diese Gemeinschaft ist darauf angelegt, die in ihr lebenden Individuen zu überdauern. Ihre Fortdauer ist aber an natürliche Voraussetzungen gebunden. Aus diesem Grund wird der Mensch als Homo politicus ein Interesse an der Erhaltung der natürlichen Voraussetzungen der Gemeinschaft haben. Deshalb kann man dem Homo politicus ein ökologisches Interesse zuschreiben.

4.8 Die empirische Relevanz des Homo politicus Ist der Homo politicus ein rein theoretisches Konstrukt, das aus normativen Erwägungen hervorgeht, oder kann dieses Konzept beobachtbare Phänomene erhellen? 22 Zur Beantwortung dieser Frage beziehen wir uns auf unsere Definition des politischen Handelns, wie sie in Abschnitt 4.2 formuliert wurde. Gemäß dieser Definition wird dieser Begriff auf solche Entscheidungen und Handlungen im Bereich der Politik bezogen, die nicht gänzlich durch gesetzliche Regeln und administrative Vorgaben präformiert sind. 23 Denn nicht nur für die Analyse wirtschaftlicher Alltagssituationen, sondern auch für die Erklärung gewöhnlicher bürokratischer und administrativer Abläufe ist das Konzept des Homo oeconomicus hinreichend. Um die Bedeutung des Homo politicus zum Verständnis der Realität herauszuarbeiten, wollen wir drei Fälle unterscheiden. (a) Ist es möglich, politisches Handeln, wie es in der Realität stattfindet, ausschließlich mit dem Konzept des Homo politicus zu erfassen? Das würde bedeuten, dass alle Menschen, die an politischen Handlungen beteiligt sind, vorwiegend am Wohl der Gemeinschaft interessiert sind, so dass sie ihre privaten Interessen ihrem Streben nach Gerechtigkeit unterordnen. Dagegen spricht die Erfahrung. (b) Ist es möglich, politisches Handeln, wie es in der Realität stattfindet, ausschließlich mit dem Konzept des Homo oeconomicus zu erfassen? Das würde, wie wir in Abschnitt 4.5 gezeigt haben, bedeuten, dass die an diesem Handeln beteiligten politischen Akteure Zur Kritik unseres Konzeptes des Homo politicus siehe Bernholz (1997). Für Untersuchungen von Bürokratie und Administration hat sich der Homo oeconomicus als ein geeignetes Instrument der Analyse erwiesen (Vgl. z. B. Downs 1967, Niskanen 1971).

22 23

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Homo politicus und Homo oeconomicus

ihre privaten Interessen als öffentliche Interessen verkleiden. Dass dies häufig geschieht, wissen wir aus Erfahrung. Würde dies aber zum Regelfall der Politik werden, so müsste daraus eine Atmosphäre des allgemeinen Misstrauens resultieren, worin jeder jeden als potentiellen Heuchler und Lügner behandeln würde. Das würde schon bald zu einer völligen Degeneration politischer Auseinandersetzungen und damit des Bereiches der Politik selbst führen. Die Folge wäre ein fundamentaler Pessimismus bezüglich des Bestandes der Verfassung, der Freiheit der Individuen und damit der demokratischen rechtsstaatlichen Verhältnisse, wie wir sie in vielen Ländern des Westens kennen. Es gäbe keinerlei Grundlagen für die Verwirklichung des konstitutionellen oder gar des ökologischen Interesses. (c) In Wirklichkeit sind Menschen weder als reine Homines politici noch als reine Homines oeconomici adäquat zu erfassen. So bezeichnen die Begriffe Homo oeconomicus und Homo politicus nicht Typen von Menschen, sondern Dimensionen des Menschseins, an denen jeder Mensch in unterschiedlichem Maße teilhat. Wie die Public Choice zeigt, spielt die Dimension des Homo oeconomicus auch im Bereich des Politischen eine große Rolle. Aber entscheidende Aspekte politischen Handelns werden mit der Rückführung auf die individuelle Nutzenmaximierung des Homo oeconomicus nicht berücksichtigt. Zwar werden politische Handlungen immer auch Motive des Homo oeconomicus enthalten, aber das eigentlich Politische an ihnen ist gerade dasjenige, worin der Horizont des Privatinteresses überschritten und die Perspektive des gemeinschaftlichen Interesses eingenommen wird. Beispiele hierfür sind die von Konrad Adenauer verfolgte Politik der Westintegration der Bundesrepublik Deutschland und die »Neue Ostpolitik« Willy Brandts. Hinsichtlich der Umweltpolitik wird man die Entstehung und Entwicklung »grüner« Bewegungen und Bürgerinitiativen zumindest teilweise nicht ohne Rückgriff auf den Homo politicus erklären können – ohne Motivationen des Homo oeconomicus ausschließen zu müssen. 24 Somit ist der Homo politicus nicht das Ideal eines neuen Menschen, sondern ein Konzept, mit dem sich tatsächlich beobachtbares Handeln theoretisch erfassen lässt. 24 In Petersen/Faber 2000 (siehe auch Faber/Petersen/Schiller 2002) wird gezeigt, dass im Gegensatz zur Theorie der Neuen Politischen Ökonomie (Public Choice) deutsche Ministerialbeamte im Bereich der Umweltpolitik die Interessen der Allgemeinheit an einem wirksamen Schutz der Umwelt in kompetenter Weise wahrgenommen haben. Insofern können diese Ministerialbeamten als Homines politici angesehen werden.

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

4.9 Abschließende Bemerkungen Die Kategorie des Homo politicus macht darauf aufmerksam, dass ein Pessimismus, wie er aus der ausschließlichen Verwendung der Homo-oeconomicus-Annahme hervorgehen kann, eine einseitige Sicht darstellt. Zwar löst die Einführung dieser Kategorie keineswegs die realen Probleme im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Ökonomie und Politik, aber sie führt zu einer differenzierteren Sicht auf die Wirklichkeit und ihre Veränderungsmöglichkeiten. Denn mit dem Begriff des Homo politicus wird das Potential von Menschen angesprochen, im Sinne der Freiheit, der Gerechtigkeit und der langfristigen Erhaltung der Lebensgrundlagen erfolgreich zu handeln. Dieses Potential kann einem Blick, der Menschen nur als rationale Nutzenmaximierer sieht, leicht entgehen. Empirisch lässt sich die Größe und Wirksamkeit dieses Potentials nur schwer abschätzen. Aber das Ringen um Freiheit und Gerechtigkeit in den westlichen Gesellschaften seit über zweihundert Jahren zeigt, dass immer wieder Menschen auftreten, die sich für das engagieren, was sie als Wohl ihrer Gemeinschaft ansehen, und deren Horizont nicht durch ihre Privatinteressen begrenzt wird. In ähnlicher Weise lehrt die Erfahrung der letzten vier Jahrzehnte, dass es eine Bereitschaft von Menschen gibt, mit öffentlichem Engagement für die Schonung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen und für die Erhaltung von Tier- und Pflanzenarten einzutreten. Betrachtet man Menschen in der Dimension des Homo politicus, so traut man ihnen zu, erfolgreich für die Verfassung der Freiheit und für die Durchsetzung des ökologischen Interesses einzutreten. Für das langfristige Bestehen freiheitlicher Rechtsstaaten kommt es entscheidend darauf an, die Möglichkeiten der Menschen, als Homines politici zu handeln, zu fördern. Dazu müssten Erziehung und Bildung so gestaltet werden, dass die Menschen von Jugend an ein Verständnis für umfassende Interessen von der großen Bedeutung und der Wichtigkeit des konstitutionellen Interesses und des ökologischen Interesses entwickeln können. Zudem müssten sie Formen und Praktiken eines gemeinschaftlichen Lebens kennenlernen, in denen sie üben können, als freie Individuen mit freien Individuen unter Achtung der individuellen Verschiedenheiten zum Wohl der Gemeinschaft zu kooperieren.

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5. Wirtschaft und gutes Leben Praktische Philosophie und Politische Ökonomie bei Adam Smith und seinen Nachfolgern

5.1 Einleitung Gemäß einer bis auf Platon und Aristoteles zurückgehenden Tradition der Praktischen Philosophie lässt sich der letzte Referenzpunkt menschlicher Zwecksetzungen als das »gute Leben« bezeichnen. Was aber ein gutes Leben sei, ist umstritten. Gibt es eine objektiv vorgegebene Idee des guten Lebens für alle Menschen, oder besteht das gute Leben gerade darin, dass verschiedene Menschen in Freiheit unterschiedliche Vorstellungen über ein gutes Leben verfolgen können? Ist man bereit – über prinzipielle Positionen hinaus – für die Klärung dieses Problems Erfahrungen aus verschiedenen menschlichen Interaktionsfeldern heranzuziehen, wird man der Sphäre der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen, und dies aus drei Gründen: (i) Eine zumindest ausreichende Güterversorgung gilt in der Regel als Voraussetzung für ein gutes Leben. (ii) Die Marktwirtschaft neuzeitlicher Gesellschaften stellt ein Paradigma für eine Interaktionsform frei handelnder Menschen dar, innerhalb derer unterschiedliche Vorstellungen eines guten Lebens friedlich koexistieren. (iii) Die Dynamik der heutigen Wirtschaften durchdringt Leben und Bewusstsein der Menschen in einem Maße, dass der Anschein entstehen kann, die obersten Gesichtspunkte eines guten Lebens seien heute von wirtschaftlicher Art. In den ersten drei Abschnitten der folgenden Ausführungen wird die Beziehung der Sphäre der Wirtschaft zu einer wie auch immer gearteten Idee des guten Lebens betrachtet. Es wird gezeigt, dass in der Lehre Adam Smiths zwischen dem Postulat individueller Freiheit und einer inhaltlich bestimmten Idee des guten Lebens eine unauflösliche Spannung besteht (Abschnitt 5.2), die dazu führt, dass in der darauffolgenden Ökonomie diese beiden Momente auseinander treten: die Neoklassik verzichtet auf jegliche inhaltliche Bestimmung 147 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

des guten Lebens zugunsten des Postulats der individuellen Freiheit, während der Marxismus die Idee des guten Lebens so bestimmt, dass kein Raum für individuelle Freiheit bleibt (Abschnitt 5.3). Als Resultat dieser Überlegungen ergibt sich, dass sowohl für die Neoklassik als auch für den Marxismus die Idee des guten Lebens bis in ihren Kern ökonomisch geprägt ist. In einem Ausblick wird die Frage gestellt, ob nicht die Idee des guten Lebens angesichts ihrer weitgehenden Ökonomisierung im Gegenzug so zu formulieren wäre, dass sie ihrerseits eine Infragestellung des Ökonomischen an sich ermöglichen würde. Ansätze zu einer solchen Infragestellung finden sich vor allem auf dem Boden der Religionen, für die beispielhaft das Christentum angeführt wird (Abschnitt 5.4).

5.2 Das gute Leben bei Adam Smith 5.2.1 Wirtschaft und Praktische Philosophie bei Adam Smith Die beiden Hauptwerke von Adam Smith, der 1776 erschienene »Wohlstand der Nationen« (Smith 1776/1978), und die 1759 in erster Auflage veröffentlichte »Theorie der ethischen Gefühle« (Smith 1759/1985), sind im Rahmen einer praktisch-philosophischen Fragestellung konzipiert worden: Was ist ein gutes Leben und wie lässt es sich erreichen? Beide Werke Smiths haben gemeinsam, dass sie sich insbesondere mit den Voraussetzungen eines guten Lebens beschäftigen: persönlichen Dispositionen, sozialen und politischen Institutionen sowie materiellen Mitteln zur Erhaltung und Entfaltung des menschlichen Daseins. Es ist der letztgenannte Gesichtspunkt, der den Philosophen Smith mit einer gewissen Folgerichtigkeit zu Betrachtungen über die Wirtschaft – als der Sphäre der Produktion, des Tausches, der Verteilung und der Verwendung materieller Mittel – geführt hat. Zu den Aufgaben des Philosophen, wie Smith ihn versteht, gehört es, ein Bild eines für Menschen möglichen guten Lebens zu entwerfen – auf der Basis seiner Einsicht in die Natur des Kosmos und in die Natur des Menschen – und Voraussetzungen für die Realisierung seines Entwurfes zu benennen. Inwieweit aber ein solches Bild Wirklichkeit wird, hängt zu einem nicht geringen Teil von politischem Handeln ab: Indem Smith (1776/1978: 347) die Politische Ökonomie als »eine Lehre für den Staatsmann oder Gesetzgeber« definiert, geht 148 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

er davon aus, dass die Aufgabe der Politik darin besteht, das gute Leben des Gemeinwesens, wie es von den Verständigen erkannt worden ist, nach Möglichkeit zu fördern. Demgemäß muss in der Politik auch – auf der Basis eines angemessenen Verständnisses der Realität sowie aufgrund normativer praktisch-philosophischer Erwägungen – überlegt und entschieden werden, welche Ordnung der wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten die beste ist. Aber weder die richtige Einsicht des Philosophen noch das rechte Handeln der Politiker sind hinreichende Bedingungen für ein gutes Leben einer ganzen Gesellschaft. Denn selbst die beste Politik kann, so Smith, das gute Leben einer Gesellschaft nicht herstellen, sie vermag bestenfalls einen klug ausgedachten Rahmen für die freie Selbstorganisation der Gesellschaft zu setzen. Die Idee eines guten Lebens aber bedarf, damit sie wirklich werden kann, des Willens der Mitglieder der Gesellschaft. Somit sind weder hinreichende Voraussetzungen für ein gutes Leben noch gar dieses selbst machbar, solange die Gesellschaftsmitglieder nicht selbst dieses Leben wollen. Ihre freien Aktivitäten entscheiden letztlich darüber, ob und inwieweit ein gutes Leben Wirklichkeit wird. Ja, im Sinne des Republikaners Smith wird man wohl sagen dürfen, dass ein gutes Leben ohne Freiheit, d. h. ohne einen institutionell abgesicherten Bereich, innerhalb dessen Individuen ökonomisch und politisch eine Wahl treffen können, kein gutes Leben ist. Wie immer man also ein gutes Leben inhaltlich bestimmt, seine Inhalte müssen Gegenstand des freien Willens der Individuen einer Gesellschaft sein. Bevor wir die Spannungen betrachten, die aus diesem Gedanken folgen, wollen wir zunächst Smiths Entwurf eines guten Lebens in einigen Grundzügen darstellen. 5.2.2 Smiths Bild eines guten Lebens Smiths Ideal eines guten Lebens für das Individuum orientiert sich an der gelassenen Seelenruhe des Weisen stoischer Prägung: Wahrhaft gut lebt, wer in Übereinstimmung mit sich selbst, seinen Mitmenschen und dem Weltganzen ist. Ökonomisch bedeutet dies, dass der Weise mit wenigen Gütern sein Genügen findet. Im Gegensatz zur Stoa aber betont Smith, dass der Mensch als Einzelner nicht einmal im Idealzustand autark sein kann. Sowohl der Verfasstheit seines Seelenlebens als auch seiner unaufhebbaren Bedürftigkeit wegen ist er fundamental auf seine Mitmenschen angewiesen. Zum Seelenle149 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

ben des Menschen gehört neben dem Affekt der Selbstliebe als nicht weniger ursprüngliche Regung das Gefühl der Sympathie, das den Menschen zur Anteilnahme am Leben der anderen führt (Smith 1759/1985: 1 u. 4). Smith leitet aus dieser ursprünglichen Anlage seine Ethik her, die von einer guten Handlung fordert, dass ein vorgestellter wohlunterrichteter und unparteiischer Zuschauer ihr zustimmen können muss (Smith 1759/1985: 194). Darüber hinaus erwägt Smith auch soziale Bedingungen und ökonomische Voraussetzungen, die für eine möglichst weitgehende Annäherung an dieses Ideal günstig sind. Hinsichtlich der sozialen Bedingungen unterscheidet Smith nun zwischen (a) dem Ideal eines guten sozialen Lebens einerseits und (b) einem sozialen Zustand mit Minimalanforderungen für ein erträgliches Leben andererseits. Zu (a) Das Ideal eines guten sozialen Lebens wird folgendermaßen formuliert: »Alle Mitglieder der menschlichen Gesellschaft bedürfen des gegenseitigen Beistandes, und andererseits ist auch jedes von ihnen den Beleidigungen des anderen ausgesetzt. Wo jener notwendige Beistand aus wechselseitiger Liebe, aus Dankbarkeit, aus Freundschaft und Achtung von einem Mitglied dem anderen gewährt wird, da blüht die Gesellschaft und da ist sie glücklich. Alle ihre Mitglieder sind da durch die schönen Bande der Liebe und Zuneigung verbunden und gravitieren gleichsam zu einem Zentrum gegenseitiger guter Dienste« (Smith 1759/1985: 127). Zu (b) Während dieses Ideal zwar ersehnt und gewünscht, aber nicht durch individuelles moralisches Engagement oder politische Maßnahmen herbeigeführt werden kann, muss es das Interesse jedes vernünftigen Menschen und somit Hauptziel aller Politik sein, dass wenigstens ein Zustand mit Minimalanforderungen für ein erträgliches Leben erreicht werde. Dieser Zustand wird wie folgt dargestellt: »Mag aber auch der notwendige Beistand nicht aus solchen edlen und selbstlosen Beweggründen gewährt werden, mag auch zwischen den verschiedenen Gliedern der Gesellschaft keine wechselseitige Liebe und Zuneigung herrschen, so wird die Gesellschaft zwar weniger glücklich und harmonisch, sie wird sich aber deshalb doch nicht auflösen müssen. Die Gesellschaft kann zwischen einer Anzahl von Menschen – wie eine Gesellschaft unter mehreren Kaufleuten – auch aus einem Gefühl der Nützlichkeit heraus, ohne gegenseitige Liebe und Zuneigung bestehen bleiben, und mag auch kein Mensch in dieser Gesellschaft einem anderen verpflichtet sein, so kann die 150 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

Gesellschaft doch noch durch eine Art kaufmännischen Austausches guter Dienste, die gleichsam nach einer vereinbarten Wertbestimmung geschätzt werden, aufrechterhalten werden« (Smith 1759/ 1985: 127). Damit das wechselseitige Desinteresse der Menschen aneinander nicht zur Auflösung der Gesellschaft führt, muss allerdings, wie Smith hervorhebt, neben dem jeweils auf das Privatwohl bezogenen Gefühl der Nützlichkeit (sense of utility) bei den Individuen ein Interesse an einer Gerechtigkeit vorhanden sein, die sich auf Gedanken- und Religionsfreiheit, Schutz von Leib, Leben und Eigentum sowie die Gewährung freier wirtschaftlicher Aktivität erstreckt. Dieses Interesse darf seinerseits nicht durch private Nutzenerwägungen gefärbt sein. Der wesentliche Unterschied zwischen dem unter (a) formulierten Ideal eines guten sozialen Lebens und dem unter (b) dargestellten Zustand der Minimalbedingungen eines erträglichen sozialen Lebens besteht darin, dass die Individuen im Ideal gemeinsame positive Vorstellungen über ein gutes soziales Leben und damit über die soziale Harmonie teilen und zu realisieren suchen, während sie im Zustand (b) im Rahmen einer vergleichsweise blassen Vorstellung über Gerechtigkeit nach Möglichkeit jeweils ihre privaten Vorstellungen von dem verfolgen, was ihnen als ein gutes Leben erscheint. 5.2.3 Wirtschaft und gutes Leben bei Smith Für seine Konzeption der Politischen Ökonomie hat Smith denjenigen sozialen Zustand (b) vorausgesetzt, der nicht mehr als die Minimalanforderungen für ein erträgliches Leben erfüllt. Denn Politiker, die über wirtschaftspolitische Maßnahmen beschließen, sollten von den Menschen keine höheren Eigenschaften erwarten als diejenigen, die ein guter Menschenkenner bei der Mehrzahl seiner Mitmenschen für realistisch halten würde. Dazu mag man ein Minimum an Rechtlichkeit sowie einen gewissen Sinn für den eigenen Nutzen zählen, kaum aber die im Idealzustand überall anzutreffenden Tugenden der »Liebe … Dankbarkeit … Freundschaft … Achtung« (ibid.). Das Projekt des »Wohlstand der Nationen« will plausibel machen, dass Gesetzgeber und Politiker die Wirtschaft einer Gesellschaft, in der die Menschen einander gleichgültig sind, so wie es Zustand (b) unterstellt, getrost sich selbst überlassen können – als ein »System der 151 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

natürlichen Freiheit« (Smith 1776/1978: 582; vgl. hierzu auch o. Kapitel 3, Abschnitt 3.6). Denn wenn die Einzelnen im Rahmen der Rechtsordnung in eigennütziger Weise ihre Vorstellungen eines guten Lebens verfolgen, so stellen sie damit, wie von einer unsichtbaren Hand (invisible hand; vgl. Smith 1776/1978: 371; Smith 1759/1985: 316; vgl. hierzu o. Kapitel 3, Abschnitt 3.8.2) geführt, die materiellen Mittel für ein gutes Leben des Gemeinwesens bereit. Dabei wird allerdings unterstellt, dass bei den jeweils privaten Vorstellungen über ein gutes Leben bei den meisten Menschen das Erwerbsstreben, die Bemühungen, materiellen Reichtum zu erlangen, zu bewahren und zu vermehren, eine entscheidende Rolle spielt. Smiths wirtschaftliches Werk zielt nicht nur darauf, die wirtschaftliche Dynamik seiner zeitgenössischen Gesellschaft von den Fesseln veralteter Regelungen zu befreien. Denn hinter der Überzeugung, die seine Politische Ökonomie trägt, dass nämlich Menschen mit durchschnittlichen Eigenschaften hinreichen, um mit ihrer Eigeninitiative den wirtschaftlichen Wohlstand der Gesellschaft zu steigern, scheint immer wieder sein Ideal des guten sozialen Lebens durch. Dieses Ideal macht ihn sensibel sowohl (1) für individuelle als auch (2) für soziale Defizite, wie sie aus der sich selbst überlassenen Wirtschaftsgesinnung (commercial spirit) seiner Gesellschaft entspringen (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.7.3). Zu (1): Vielen Menschen erscheint ihr gegenwärtiges Leben nicht als ein gutes Leben, zumindest ist es ihnen nicht gut genug. Ihre Lebensführung wird durch den Wunsch bestimmt, ihre Lage zu verbessern. Zu diesem Zweck versuchen sie, ihr Vermögen nach Kräften zu vergrößern (vgl. Smith 1776/1978: 282). Indem sie diesem durchaus eigennützigen Interesse folgen, tragen sie zwar (unabsichtlich) zur Vermehrung der materiellen Mittel der Gesellschaft bei und fördern insoweit die Voraussetzungen für ein gutes Leben, aber zugleich laufen sie Gefahr, das gute Leben für sich selbst zu verfehlen. Denn wer stets mehr begehrt, als er hat, wird niemals zufrieden. Aber »Bestrebungen, die unersättlich sind« (which cannot be satisfied – Smith 1776/1978: 143), sind eine starke Motivation für das Handeln der meisten Menschen: »Was man nicht für den begrenzten Bedarf benötigt, wird für die Erfüllung von Wünschen verwendet, die scheinbar allesamt ohne Grenzen sind« (ibid.). Zu (2): Das bekannteste Beispiel für soziale Defizite, wie sie aus einer sich selbst überlassenen Wirtschaft hervorgehen können, ist Smiths Darstellung der Arbeitsteilung im fünften Buch des »Wohl152 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

stand der Nationen«. Wird die Arbeitsteilung im ersten Buch dieses Werkes ausschließlich aus der Perspektive ihrer wachstumsfördernden Wirkungen betrachtet, so wird sie im fünften Buch in ihren Auswirkungen auf den menschlichen Geist und die menschliche Lebensgestaltung dargestellt. Smith sieht in den Folgen der Arbeitsteilung des frühen Industriezeitalters eine Gefährdung für die Grundlagen eines erträglichen Lebens der Gesellschaft: »Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand zu üben. … So ist es ganz natürlich, dass er verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. Solch geistige Trägheit … stumpft ihn auch gegenüber differenzierteren Empfindungen, wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte ab, so dass er selbst vielen gewöhnlichen Aufgaben und Pflichten seines Privatlebens gegenüber unfähig wird, sich ein angemessenes Urteil zu bilden« (Smith 1776/1978: 662). Während Smith für die Aufgabe, den materiellen Wohlstand einer Gesellschaft zu steigern, einen sicheren Lösungsweg anzubieten scheint, kann er für die Behebung individueller und sozialer Defizite im Zusammenhang mit seiner zeitgenössischen Wirtschaftsgesellschaft allenfalls vorsichtige Vorschläge machen, von denen er vermutlich selbst erkannt hat, dass sie dem Ausmaß der diagnostizierten Probleme kaum gerecht werden. Stattdessen drückt sein Werk immer wieder die von seinem teleologischen und religiösen Weltbild gestützte Hoffnung (vgl. u. in diesem Kapitel, Abschnitt 5.4.2; siehe auch o. Kapitel 3, Abschnitt 3.8) aus, die menschliche Gesellschaft – und mit ihr auch die Wirtschaft – strebe von selbst auf jenen vom Weltenschöpfer gewollten Zustand zu, in dem die Glückseligkeit aller fühlenden Wesen Wirklichkeit geworden ist (Vgl. Smith 1759/1985: 130 u. 251). 5.2.4 Die allgemeine Idee des guten Lebens und die individuelle Freiheit – ungelöste Spannungen im Denken von Smith In Smiths Werk werden die beiden Dimensionen Praktische Philosophie einerseits und Politische Ökonomie andererseits in unterschiedlicher Weise behandelt, und dies in zwei Hinsichten: (i) Die Intention Smiths ist durchgängig durch die Praktische 153 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

Philosophie bestimmt. Demgemäß ist seine Politische Ökonomie nicht mehr als ein unselbstständiges Teilgebiet der Praktischen Philosophie. (ii) Die Botschaft der Politischen Ökonomie Smiths lautet, die Wirtschaftsordnung sei nur als Rahmen für die freie Selbstorganisation der Wirtschaft anzusehen. Diese Botschaft ist weitaus schlagkräftiger formuliert als die Mahnungen seiner Praktischen Philosophie, gegen die schädlichen Folgen dieser Selbstorganisation vorzugehen. Der Politische Ökonom Smith glaubt sich im Besitze eines sicheren Rezeptes, die Produktion der materiellen Mittel des guten Lebens auf das höchste Niveau zu bringen, und dieses Rezept enthält insofern einen wesentlichen Aspekt des guten Lebens, als es auf der Freiheit der Individuen, ihr Glück zu suchen, basiert. Der Praktische Philosoph Smith sieht aber zugleich, dass andere Aspekte des guten Lebens sich demgegenüber viel schwerer operationalisieren lassen. Es resultiert dieses Ungleichgewicht aber weniger aus einem Konflikt zwischen dem Politischen Ökonomen Smith und dem Praktischen Philosophen Smith, als vielmehr aus Spannungen innerhalb seiner Idee eines guten Lebens. Denn worauf Smiths Praktische Philosophie zielt, ist nichts geringeres als eine bei aller Offenheit in Grundzügen verbindliche Idee eines guten Lebens für freie Wesen: Die inhaltliche Bestimmtheit und Verbindlichkeit dieser Idee, selbst wenn sie eher zurückhaltend in Anspruch genommen wird, scheint nun aber nicht mit dem Postulat zusammenzustimmen, jedes Individuum solle frei darüber bestimmen können, was es als gutes Leben wählt. Wer einerseits ein inhaltlich bestimmtes Bild eines guten Lebens hat, das Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erhebt und andererseits die Freiheit der Individuen fordert, selbst über das zu entscheiden, was ihr gutes Leben ist, muss sich fragen lassen: Wie passt das zusammen?

5.3 Das gute Leben in der Wirtschaftstheorie nach Smith – die Neoklassik und der Marxismus Smiths praktisch-philosophischer Entwurf des guten Lebens, der auf die Einheit von Ökonomie und Praktischer Philosophie unter den Vorzeichen letzterer zielte, ist in seinem überlieferten Werk Fragment geblieben. In der Rezeption seiner Politischen Ökonomie im 154 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

19. und 20. Jahrhundert (wenn man von Ausnahmen wie Hegel und Mill u. a. absieht) aber zerfällt Smiths einheitliche Idee eines guten Lebens in ihre verschiedenen Momente: die individuelle Freiheit einerseits (s. u. Abschnitt 5.3.1) und ihre inhaltliche Bestimmtheit andererseits (s. u. Abschnitt 5.3.2), wobei beide Momente ökonomisch akzentuiert werden. 5.3.1 Das gute Leben als Verwirklichung individueller Freiheit in der Marktwirtschaft bei den Neoklassikern In der neoklassischen Ökonomie wird die Möglichkeit des Individuums, im Rahmen gegebener Restriktionen selbst eine Wahl treffen zu können, welche der wählbaren Alternative der eigenen Idee des guten Lebens am meisten entspricht, häufig schon als solche mit dem guten Leben gleichgesetzt. Basis solcher Positionen ist das Menschenbild des Homo oeconomicus, des egoistischen rationalen Nutzenmaximierers: Alle möglichen Alternativen, mit denen er irgendwann einmal konfrontiert wird, kann er in dem Sinne ordnen, dass er eine der anderen vorzieht oder dass er indifferent zwischen beiden ist. Das setzt voraus, dass er sich über Art und Grad seiner Neigungen und Abneigungen völlig bewusst ist. Was sein Nutzen ist, ergibt sich aus seiner Präferenzordnung, die er annahmengemäß kennt und die er nicht ändert. Es ist dies kein Wissen, das man erlernen kann, sondern Wissen, wie es sich in Sätzen der Art ausdrückt: »Jemand weiß, was er mag« oder: »Jemand weiß, was er will« – wobei die heutige Ökonomik in der Regel diese beiden Sätze für bedeutungsgleich hält. Ein derartiges »Wissen« ist letztlich auf die Idee des guten Lebens, wie sie dem Homo oeconomicus erscheint, zurückzuführen. Der Homo oeconomicus kann also seine Vorlieben und Abneigungen im Horizont dieser Idee ordnen. Obwohl diese Idee für jeden außenstehenden Beobachter nicht einsehbar ist, da sie allein als Angelegenheit ihres jeweiligen Trägers gilt, wird in der Regel unterstellt, dass für den Homo oeconomicus Nichtsättigung gilt: Mehr ist besser. Der Homo oeconomicus strebt danach, zumindest von einigen Gütern mehr zu haben, weil er damit ein besseres Leben als das gegenwärtige führen könnte. Die Homo-oeconomicus-Annahme wird nicht selten auch normativ verwendet. Insbesondere zwei in der heutigen Theorie geläufige Postulate sind zu nennen. 155 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

(i) Dem ersten Postulat liegt das Pareto-Kriterium zugrunde, das einen bestmöglichen sozialen Zustand dadurch kennzeichnet, dass es, wenn dieser einmal erreicht ist, nicht mehr möglich ist, ein Individuum besser zu stellen ohne ein anderes schlechter zu stellen. Da »besser« und »schlechter« indes schwer zu qualifizierende Begriffe sind, werden diese in der Regel auf die Güterausstattung der Individuen unter der Annahme der Nichtsättigung bezogen: Somit lässt sich dieses Postulat so formulieren: Die Ordnung der Wirtschaft und der Gesellschaft ist so zu gestalten, dass sie zu einer Güterausstattung der Individuen führt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es nicht möglich ist, einem Individuum mehr von einem Gut zu geben, ohne einem anderen etwas von diesem Gut zu nehmen (Vgl. hierzu auch Bernholz/Breyer 1993: 20 f.). (ii) Obwohl nun gezeigt werden kann, dass unter bestimmten Voraussetzungen freie Märkte von selbst zu einem solchen Zustand, einem Pareto-Optimum, führen (vgl. Kapitel 1, Abschnitt 1.8), wäre es theoretisch denkbar, dass dieser Zustand eines im ökonomischen Sinne guten Lebens auch in Abwesenheit individueller Freiheit erreicht werden könnte. Daher muss in einem zweiten Postulat ausdrücklich die individuelle Freiheit Erwähnung finden. Die moderne Ökonomik unterstellt normativ, dass der einzige Maßstab für ein gutes Leben die Präferenzen des jeweiligen Individuums sind. Einen weitergehenden Begriff eines guten Lebens mit irgendeinem Anspruch auf Verbindlichkeit darf es nicht geben. Nur das je einzelne Individuum ist berechtigt, eine jeweils für sich verbindliche Idee eines guten Lebens zu entwickeln. Dabei darf niemand bevormundet werden (vgl. Sen 1970). Diese Einstellung drückt sich in der Annahme der Konsumentensouveränität aus: »Die Geschmäcker der Menschen gelten unter Ökonomen zwar als Gegenstand der Beobachtung, nicht aber als eine Angelegenheit, in die man etwa seine Nase hineinstecken dürfte. Urteile über Geschmäcker und Motivationen anderer Leute gelten unter Ökonomen als Eingriff in die Privatsphäre und als Attacke auf die Souveränität der Konsumenten. Mit derartigen Urteilen setzt man sich dem Vorwurf aus, besser als der Konsument zu wissen, was für ihn gut ist. Stattdessen unterstellen Ökonomen, dass der Konsument rational ist, in anderen Worten: Was immer er tut, muss für ihn das Beste sein, wenn sein Geschmack, die Marktsituation und die allgemeinen Umstände gegeben sind« (Scitovsky 1976: XI; unsere Übersetzung). Aus der Konsumentensouveränität ergibt sich als Postulat: Die 156 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

Ordnung der Wirtschaft und der Gesellschaft ist so zu gestalten, dass sie den Individuen größtmögliche Freiräume überlässt, ihren eigenen Nutzen aufgrund ihrer je eigenen Idee eines guten Lebens zu suchen 1 (vgl. hierzu auch Bernholz/Breyer 1993: 21 f.). Wohl gibt es innerhalb dieser Argumentation rechtliche und politische Grenzen der Freiheit der Individuen: Denn immer dort, wo aus dem Handeln des einen Individuums Wirkungen auf andere Individuen hervorgehen, denen diese nicht zugestimmt haben (Externalitäten), gibt es Bedarf an Regelungen. Aber diese Regelungen dürfen nicht auf eine inhaltliche bestimmte Idee des guten Lebens, sondern müssen auf die freie Zustimmung aller Betroffenen zurückgeführt werden. Diese normative Argumentation knüpft an Erfahrungen aus der Wirtschaftssphäre an, die sich an dem Phänomen des Marktes kristallisieren. Vorgänge auf Märkten scheinen – trotz der divergierenden Vorstellungen der Marktteilnehmer über die Inhalte eines guten Lebens – in der Regel friedlich abzulaufen und führen zudem – unter bestimmten, stark idealisierten Voraussetzungen – zu einem gesamtgesellschaftlich optimalen Zustand (im Sinne des Pareto-Kriteriums) (vgl. Debreu 1959). Aus dieser Sicht kann der Markt als das Paradigma einer Sphäre freier individueller Nutzenmaximierung angesehen werden. Diese Vorzüge des Marktes haben nicht wenige Ökonomen zu der Forderung veranlasst, auch andere Bereiche des sozialen Lebens entweder direkt marktmäßig oder wenigstens in Analogie zu Märkten zu organisieren. 5.3.2 Die kapitalistische Wirtschaft als Sphäre der Unfreiheit und die Idee eines guten Lebens bei Marx So alt wie die Idee einer sich selbst überlassenen Wirtschaft ist die Kritik an einer Vielzahl ihrer Folgen. Diese Kritik nahm in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Teil radikale Formen an. So hat Karl Marx die Marktsphäre als ganze in Frage gestellt. Marx trat dabei zugleich (a) als Kritiker der gegenwärtigen und (b) als revolutionärer Verkünder einer besseren künftigen Wirtschaft auf. Dass dieses Postulat über das Konzept des Homo oeconomicus hinausweist und die Einführung des Konzeptes des Homo politicus erforderlich macht, haben wir ausführlich in Kapitel 4 erläutert.

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Zu (a): Im Elend der Arbeiter, das für Smith an den Rändern der Wirtschaft stattfand, offenbarte sich für Marx das Wesen der zeitgenössischen kapitalistischen Wirtschaft. Wenngleich sowohl der Kapitalist, der über die Produktionsmittel verfügt, als auch der Arbeiter, der nichts als seine Arbeitskraft zu verkaufen hat, formell in gleicher Weise als freie Marktteilnehmer auftreten, trifft es den Kern ihres wirtschaftlichen Handelns nicht, wenn man es als die jeweils freie Verfolgung einer Idee des guten Lebens unter gegebenen Restriktionen beschreibt: Denn der Arbeiter hat keine andere Wahl, als seine Arbeitskraft zu verkaufen, sofern er leben will, und der Kapitalist als Charaktermaske des Kapitals hat sich der Tendenz des Kapitals verschrieben, das sich in einem maß- und grenzenlosen Prozess stets auf höherem Niveau zu verwerten sucht. Die formelle Freiheit der Marktsphäre verschleiert zudem, dass die Markttransaktionen kapitalistischer Gesellschaften eine Produktionssphäre voraussetzen, in der die Verhältnisse von Mitteln für ein gutes Leben und den Zwecken, die dieses Leben ausdrücken, verkehrt worden sind: »Der kapitalistischen Produktion … ist es gemeinsam, dass nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet« (Marx 1867/1972: 446). Dieser »dient der Maschine« (ibid.: 445), die seine »lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt« (ibid.: 446). Aufgrund einer solchen Sicht schließt Marx: Nicht als »System der natürlichen Freiheit«, (vgl. Kapitel 3, Abschnitt 3.4.1) in Bewegung gehalten von den auf ein gutes Leben gerichteten Interessen der Menschen, sondern als ein Zustand der »Anarchie der Warenproduktion«, getrieben vom rastlosen Streben des Kapitals nach Verwertung bis hin zum »absoluten Mehrwert«, muss die kapitalistische Wirtschaft gedeutet werden. Verallgemeinert heißt dies: Die Wirtschaft ist nicht eine Sphäre der Mittel für die Zwecke eines guten Lebens außerhalb dieser Sphäre, sondern sie ist eine Art Selbstzweck, dessen Dynamik sich alles sonstige menschliche Leben als bloßes Mittel einverleibt. Folgerichtig wird ein gutes Leben, das nicht von dieser Dynamik gezeichnet ist, kaum noch vorstellbar: »Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht wer158 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

den« (Marx/Engels 1848/1972: 465). Damit einher geht »die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung …« (ibid.: 465). Basis dieses Prozesses ist die »Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen« (ibid.: 466 f.). Zu (b): Für Marx ist die kapitalistische Marktwirtschaft, obwohl sie in gewisser Weise die notwendigen materiellen Grundlagen eines guten Lebens produziert, geradezu das Gegenbild des guten Lebens – erst ihre revolutionäre Beseitigung wird den Kommunismus als das Reich der Freiheit hervorbringen, einer Freiheit, die nicht zuletzt eine Befreiung von der Ausgeliefertheit an die Prozesse des Marktes ist. Gutes Leben setzt die gemeinschaftliche Teilhabe an einer objektiven Idee des guten Lebens voraus, auf deren Basis gesellschaftliche Abläufe nicht mehr blind von »Sachzwängen« des Kapitals getrieben, sondern planvoll von vernünftigen Entschlüssen »vergesellschafteter« Individuen gesteuert werden. Die revolutionäre Theorie von Marx ist in der wirtschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung eine Extremposition geblieben. Das liegt – jenseits der Einwände gegen wesentliche Strukturelemente der Marxschen Theorie wie die Arbeitswertlehre 2 – insbesondere daran, dass Marx nicht bereit war, dem Markt als der Sphäre der freien Verfolgung divergierender individueller Interessen ein Recht einzuräumen (so wie er auch die Politik nicht als Sphäre des notwendigen Streites um rechtes gemeinschaftliches Handeln anerkennen konnte). In der Theorie von Marx gibt es keine Begrifflichkeit, die divergierenden Entwürfen eines guten Lebens Raum zu gewähren ermöglicht. Dass freie Individuen etwas anderes wollen könnten als die durchsichtige Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse nach einem gemeinsamen Plan, ist im Denken von Marx nicht vorgesehen. Diese Sprachlosigkeit für jede Form von Freiheit, deren letzter Maßstab nicht über, sondern im Individuum liegt, hat sich in der Marxistischen Theorie fortgepflanzt, verstärkt und in den politischen Gesellschaften, die sich auf diese Theorie beriefen, verfestigt: Im MarxisVgl. z. B. Sweezy 1970; Bernholz/Faber 1970, 1972; Nutzinger/Wolfstetter 1974a, 1974b.

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mus-Leninismus, der herrschenden Ideologie dieser Gesellschaften, wurde von einer Elite, nämlich der Kommunistischen Partei, mit der politisch-ökonomischen Planung eine bestimmte Idee des guten Lebens fixiert und in totalitärer Weise den Individuen aufgezwungen. Dieses Verfahren ist konsequent, wenn eine objektive Idee eines guten Lebens für alle Menschen existiert, die von einer Elite erkannt und so realisiert werden muss, dass diejenigen, die diese Erkenntnis nicht haben, entweder zu ihrem Glück gezwungen oder aber, wenn dies nicht möglich ist, vernichtet werden müssen. Individuelle Freiheit im Sinne möglicher Abweichung von dieser Idee kann offensichtlich kein Teil einer solchen Idee sein. Folgerichtig ist in Gesellschaften, die auf dieser Idee gründen sollen, kein Platz für Märkte – ebenso wenig wie für politische Wahlverfahren.

5.4 Das gute Leben – in oder jenseits der Wirtschaft 5.4.1 Die Ökonomisierung der Frage nach dem guten Leben Wollen wir aus der Perspektive der Frage nach dem guten Leben über die Berechtigung bzw. Begrenztheit neoklassischer oder Marxscher Positionen befinden, so müssen wir zunächst festhalten: Obwohl sich die Marxsche Konzeption der Wirtschaft fundamental von der neoklassischen unterscheidet, teilen beide Konzeptionen die Annahme, über die Frage des guten Lebens werde in der Sphäre der Wirtschaft entschieden: Das gute Leben ist für viele neoklassische Ökonomen vor allem die Ermöglichung der von Nichtsättigung getriebenen Ausübung der Freiheit des Homo oeconomicus, und die inhaltliche Bestimmung der Idee des guten Lebens bei Marx (und vor allem im Marxismus) geschieht fast ausschließlich in ökonomischen Kategorien, da ja alle menschlichen Verhältnisse letztlich auf ökonomische Bedingungen zurückgeführt werden müssen. Man kann diesen Befund in zwei (einander nicht ausschließenden) Hinsichten deuten: entweder als Einengung des Horizonts der Frage nach dem guten Leben auf das Feld der Ökonomie oder aber als einen Reflex der Ausdehnung des Ökonomischen über alle menschlichen Interaktionsfelder. Beides führt dazu, dass man sich ein gutes Leben außerhalb ökonomisch beeinflusster Denk- und Lebensformen kaum noch vorstellen kann. So ist es nur konsequent, wenn Robbins (1932) die Inhalte von religiösen Begriffen wie »Paradies« und »Nir160 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

wana« mit rein ökonomischen Termini zu erfassen glaubt oder wenn einer der großen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Keynes (1963: 273), den wünschbaren Zustand der Menschheit, den seine Enkel um das Jahr 2000 herum erreicht haben könnten, mit dem Titel »economic bliss« versieht. 5.4.2 Ist eine Wiedergewinnung der Frage nach dem guten Leben außerhalb der Wirtschaft möglich? Dass Menschen, die ihr Leben unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisieren, selbst dann nicht unbedingt glücklich sind, wenn sie ihre Ziele erreichen, hat bereits Adam Smith bemerkt (s. o. Abschnitt 5.2.3). Allerdings ist es im Lichte der Frage nach dem guten Leben nicht eindeutig, welche Folgerungen aus dieser Beobachtung zu ziehen wären. Denn wenn ein gutes Leben im Rahmen des Wirtschaftlichen häufig verfehlt werden mag, heißt das ja nicht, dass es außerhalb des Wirtschaftlichen erreicht werden könnte. Wollen wir dieses Problem weiterverfolgen, müssen wir uns nach dem Ort fragen, von dem aus sich die Frage nach dem guten Leben überhaupt formulieren lässt. Wer das gute Leben ausschließlich ökonomisch interpretiert, hat keine Möglichkeit, das Ökonomische selbst – im Sinne einer Einschränkung der Geltung seiner Gesichtspunkte – in Frage zu stellen. Auch die Marxsche Kritik verlässt den Boden des Ökonomischen nicht. Marx nimmt zwar Abstand von der Wirtschaft seiner Zeit, er übt aber Kritik von der Warte eines zukünftigen Zustands aus, der als »Sozialismus« oder »Kommunismus« letztlich nur in seinen ökonomischen Momenten Konturen gewinnt. Der in seinen kritischen Anfragen an die Wirtschaft viel vorsichtigere Smith war möglicherweise radikaler als Marx. Denn Smith versuchte, einen Standpunkt außerhalb der Wirtschaft einzunehmen, von dem aus er seine Idee des guten Lebens so anzulegen trachtete, dass sie dem Wirtschaftlichen einen Platz – seinen ihm zugemessenen Platz – in der Weltordnung, in der der Mensch eine besondere Stellung einnimmt, zuweist. Worin aber gründet dieser Standpunkt? Wenn wir Smiths Standpunkt der Praktischen Philosophie zugerechnet haben (s. o. Abschnitt 5.2.1), so war diese Darstellung insofern verkürzt, als sie eine Dimension unerwähnt gelassen hat, die 161 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

noch hinter der Philosophie liegt. Smiths Idee des guten Lebens wird auf einem religiösen Fundament entwickelt. Gutes Leben ist für den Menschen die tätige Realisierung der Harmonie mit dem Weltganzen und mit seinem göttlichen Ursprung. (s. o. Kapitel 3, Abschnitt 3.8). Dieses harmonische Weltbild ist von Smith so angelegt worden, dass auch die Wirtschaft hineinpasst. Wir haben auf Spannungen im Werk von Smith verwiesen: Es lässt sich fragen, ob Smith nicht, vorschnell harmonisierend, die Verträglichkeit des Menschen, insofern er wirtschaftet und von wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt wird, mit dem Menschen, der ein wahrhaft gutes Leben führt, postulierte. Könnte es nicht sein, dass das gute Leben nicht nur jenseits der Wirtschaft, sondern sogar jenseits des Wirtschaftlichen, insofern es den entscheidenden Gesichtspunkt des menschlichen Handelns ausmacht, zu suchen wäre? Wäre nicht zu erwägen, ob die Möglichkeit guten Lebens nicht kritisch davon abhängt, dass es Formen menschlicher Freiheit gibt, die nicht Freiheit in der Wirtschaft, sondern Freiheit von der Wirtschaft oder gar Freiheit vom Wirtschaftlichen darstellen? 5.4.3 Ausblick: Die Freiheit von der Wirtschaft und vom Wirtschaftlichen In den vorliegenden Betrachtungen haben wir uns ausschließlich mit neuzeitlichen bzw. modernen Theoretikern beschäftigt. Im Folgenden soll versucht werden, der Frage, ob dem Menschen die Freiheit von der Wirtschaft oder gar die Freiheit vom Wirtschaftlichen möglich sei, wenigstens Konturen zu verleihen. Dafür wollen wir in einem Ausblick, der streng genommen den Rahmen der bisherigen Argumentation sprengt, geistige Positionen außerhalb der Neuzeit sprechen lassen. Platon und Aristoteles erachteten ein Leben unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichen als verfehlt: Ihre Kritik gilt der Pleonexia, dem Mehr-und-mehr-haben-Wollen, einer Haltung, die anzeigt, dass der Mensch unfähig ist, es sich an etwas genügen zu lassen. Diese Haltung, destruktiv für jedes Gemeinwesen, lässt auch den Einzelnen das gute Leben verfehlen. Pleonexia ist für Aristoteles die Voraussetzung für eine auf Gelderwerb ausgerichtete Lebensform, die als Form guten Lebens zu betrachten er ausdrücklich ablehnt: »Die kaufmännische Lebensform hat etwas Gewaltsames an 162 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Wirtschaft und gutes Leben

sich, und offensichtlich ist Reichtum nicht das gesuchte Gute. Denn er ist nur als Mittel zu anderen Zwecken zu gebrauchen« (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik 1972: 1096a 5 f.). Aristoteles ging davon aus, dass die intensive Beteiligung an wirtschaftlichen Interaktionen fast zwangsläufig derartige Einstellungen hervorruft. Daher sah er die Freiheit von allen wirtschaftlichen Handlungszusammenhängen als eine notwendige Voraussetzung guten Lebens an: freies Handeln in der Polis ist ebenso wie die müßige Betrachtung kosmischer Zusammenhänge nur möglich, wenn der Mensch der Sorge um die täglichen Bedürfnisse ledig ist (vgl. Aristoteles, Politik 1973: 1253b 37). Eine solche Freiheit kann allerdings nur die Freiheit desjenigen sein, der andere für sich wirtschaften lässt: die Betrachtung des Philosophen und das Handeln des Gerechten basieren auf der Arbeit der Sklaven und dem Erwerbsfleiß der aus dem Handeln der Polis ausgeschlossenen Metöken (Fremden ohne politische Rechte). Anders als Aristoteles adressieren die Autoren des Neuen Testamentes ihre Schriften gerade an die Armen, also an diejenigen, denen Freiheit von der Wirtschaft unmöglich war, sofern sie nicht durch Elend, Not und Krankheit daran gehindert waren, die Mittel für ihr Leben auf dem Markt zu erwerben. Die ersten Christen erlebten die Wirtschaft in der Regel als Sphäre der Abhängigkeit, als tägliche Mühe um Nahrung und Kleidung. Eine derartige Lage wird von den Betroffenen in der Regel als Unglück oder auch als Folge eigener Schwäche erfahren. Dass die Botschaft des Neuen Testamentes als eine frohe Botschaft, als Evangelium, erscheinen konnte, mag auch daran liegen, dass sie diese alltägliche Sicht aufnimmt, aber zugleich radikal verwandelt: So sehr das Bedürfnis nach dem täglichen Brot im Neuen Testament als gerechtfertigt erscheint – wenn die Sorge um die Mittel des Lebens das Leben so sehr beherrscht, dass sie seinen Zweck verdunkelt, kann es kein gutes Leben sein: Unfrei und letztlich unglücklich im Sinne der Verfehlung eines guten Lebens ist, wer in diese Sorge verstrickt ist und sein Leben unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichen deutet – sei er arm oder reich. Spätestens am Ende des Lebens wird dies offenbar, wie der folgende Text zeigen möchte: »Jesus sprach: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mann, dessen Feld hatte gut getragen. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. Und er sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, 163 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte, und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; hab nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! Aber Gott sprach zu ihm. Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott« (Lukas 12,15–21). Dem Homo oeconomicus, wie das Neue Testament ihn sieht, gerät das Leben nicht gut, weil seine Gegenwart stets von Sorge und Unruhe um die Zukunft verdeckt wird: Dass er seiner Seele zuspricht, in Zukunft Ruhe zu finden, zeigt, dass er der gegenwärtigen Unruhe seiner Seele im Augenblick nichts entgegenzusetzen hat. Sein Trachten macht ihn unruhig, denn es ist ständig auf das gerichtet, was er (wie er meint: noch) nicht hat. Das gute Leben aber ist für das Neue Testament ein Leben, worin die Menschen vom Wirtschaftlichen insofern frei sind, als sie ihm im Zentrum ihres Trachtens und ihrer Lebensgestaltung keine Macht gewähren. Die Botschaft des Neuen Testamentes ist, was diese Frage angeht, nicht primär eine moralische, sondern zielt auf Aufmerksamkeit, Einsicht und Dankbarkeit für das Leben in seiner Gegenwärtigkeit. Was aber wäre ein solches Leben? Auf einen Gegenentwurf zum Leben des reichen Mannes verweisen die Sätze Jesu, die unmittelbar an den oben zitierten Text anschließen. »Wer ist unter euch, der, wie sehr er sich auch darum sorgt, seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte? Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermögt, warum sorgt ihr euch um das andere? Sehet die Lilien an, wie sie wachsen: sie spinnen nicht, sie weben nicht. Ich sage euch aber, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras, das heute auf dem Feld steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wie viel mehr wird er euch kleiden, ihr Kleingläubigen! Darum auch ihr, fragt nicht danach, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, und macht euch keine Unruhe. Nach dem allen trachten die Heiden in der Welt, aber euer Vater weiß, dass ihr dessen bedürft. Trachtet vielmehr nach seinem Reich, so wird euch alles das zufallen« (Lukas 12, 25–31). Derartige Gedanken lösen nicht einmal theoretisch eines der Probleme, die der Zusammenhang von Wirtschaft und gutem Leben stellt. 3 Wenn man gar politische Empfehlungen für die Veränderun3

Dass das Neue Testament gleichwohl erhellende Gesichtspunkte zum Verständnis des

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Wirtschaft und gutes Leben

gen im Spannungsfeld Wirtschaft und Gesellschaft sucht, sind religiöse Texte wie das Neue Testament eher schlechte Ratgeber. Was etwa für die Versuche gilt, in islamischen Staaten ein Wirtschaftssystem nach Maßgabe des Korans zu installieren, träfe sicher analog zu, wenn man eine christliche Wirtschaft etablieren wollte: Die Sachlogik der Wirtschaftssphäre lässt solche Versuche als pure Heuchelei erscheinen, sofern sie nicht sogar wirklichen Schaden im Sinne fundamentaler Verschlechterung wirtschaftlicher Verhältnisse anrichten. Aber die provozierende Botschaft, dass dem Menschen nicht nur die – im Horizont des eben zitierten Textes – scheinhafte Freiheit des ständig berechnenden Nutzenmaximierers, sondern, wenn man so sagen darf, auch die Freiheit der Lilie, so zu sein, wie sie ist, ohne Wahl, ohne Sorge, möglich ist, drückt das Zutrauen aus, dass Menschen sich von innen heraus dem Druck und der Macht des Wirtschaftlichen entziehen können. Wenn Menschen das gute Leben außerhalb der Sorgen und Begierden der Wirtschaft finden, wenn sie fähig werden, sich nicht von der allgemeinen Nichtsättigung treiben zu lassen, die heute die Welt des Wirtschaftlichen mehr denn je prägt, und von der berechnenden Haltung abzulassen, die zunehmend auch die außerwirtschaftlichen Sphären durchzieht, dann könnte das dazu beitragen, dass sie vom Druck der Wirtschaft auf alles Menschliche, wie ihn Marx beschrieben hat, und vom heute nicht minder bedrohlichen Druck der Wirtschaft auf die außermenschliche Natur befreit werden.

Wirtschaftlichen enthält, wird im folgenden Kapitel 6, Abschnitt 6.3 angesprochenEine ausführliche Untersuchung zu wirtschaftlichen Aspekten des Lukasevangeliums bietet Lee-Peuker (2000).

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6. Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit

6.1 Einleitung Wirtschaft und Menschenwürde können in verschiedenen Konstellationen gedacht werden. Das vorliegende Kapitel zeigt, dass die Art und Weise, wie die Bedeutung der Wirtschaft im Ganzen des menschlichen Lebens aufgefasst wird, Implikationen für das Verständnis des Begriffs Menschenwürde hat. Ein Durchgang durch verschiedene Konzepte von Wirtschaft soll die Problematik der Menschenwürde unter dem Gesichtspunkt erhellen, dass zum Menschsein wesentlich die Abhängigkeit von der Natur, von anderen Menschen und von der Gemeinschaft gehört. Systematische Zentren dieser Untersuchung sind verschiedene Auffassungen von Wirtschaft, wie sie u. a. von Aristoteles, der jüdischen und christlichen Religion, Adam Smith und der modernen Wirtschaftstheorie entwickelt worden sind. 6.1.1 Der Ausschluss wirtschaftlicher Kategorien aus Kants Bestimmung der Würde des Menschen Was Würde ist, wird von Kant (1785/1977: 67) in seiner »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« in einer Weise bestimmt, die explizit auf die Sphäre der Wirtschaft Bezug nimmt. Würde kommt nur demjenigen zu, das nicht in wirtschaftlichen Kategorien verrechnet werden kann: »Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.« Demjenigen, das einen Preis hat, schreiben wir einen »bloß relativen Wert« zu, in demjenigen aber, das eine Würde hat, erkennen wir einen »inneren Wert« (Kant 1785/1977: 67). Dieser »innere 166 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit

Wert« ist die Bedingung dafür, dass, wie Kant es formuliert, etwas »Zweck an sich« sein kann. Zweck an sich aber kann etwas nur in einer derartigen Hinsicht sein, in der es nicht Mittel für weitere Zwecke ist. Gemäß dieser Bestimmung von Würde lässt sich Kants dritte Formulierung des Kategorischen Imperativs als die Forderung lesen, jeden Menschen als einen Träger von Würde zu behandeln: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jedes anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest« (Ibid.: 61). In den Worten von Ernst Tugendhat: »Instrumentalisiere niemanden« – auch nicht, so ist im Sinne Kants zu ergänzen, dich selbst (vgl. Tugendhat 1993: 80). Implizit geht daraus hervor, dass Menschenwürde ihrem Träger nicht mit der Selbstverständlichkeit einer natürlichen Eigenschaft zukommt, sondern erst dann wirkliche Bedeutung hat, wenn sie sich in den Beziehungen der Menschen untereinander in Formen wechselseitiger Anerkennung der Personen als Zwecke an sich praktisch manifestiert. Kant sagt nicht positiv, worin Würde und insbesondere Menschenwürde sich zeigt. Indes enthält seine Abgrenzung der Würde gegenüber dem, was sie nicht ist, eine direkte Anfrage an die Wirtschaft. Denn in bestimmten für die Wirtschaft typischen Beziehungen erscheint der Mensch bloß als Mittel für Zwecke, die nicht die seinen sind: So kann er ein Mittel sein etwa im Sinne der Produktivität und Effizienz von Produktionsprozessen oder der Erzielung eines Vorteils oder eines Gewinns. Ob und wie Menschenwürde in der Wirtschaft unter solchen Umständen ihre Stelle hat, bedarf einer genaueren Untersuchung. 6.1.2 Grundformen wirtschaftlicher Beziehungen in der Theorie von Ronald Coase Die Vielfalt wirtschaftlicher Beziehungen lässt sich mit dem Wirtschaftswissenschaftler (und Nobelpreisträger) Ronald Coase (1937) auf zwei verschiedene Grundformen zurückführen: (i) die Firma und (ii) den Markt. (i) Eine Firma – wozu Coase neben Unternehmen etwa auch Kirchen und Bürokratien rechnet – ist durch asymmetrische, nämlich hierarchische Beziehungsmuster zwischen Menschen ungleichen 167 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

Ranges gekennzeichnet, die innerhalb des Schemas Befehl/Gehorsam oder Anweisung/Befolgung ablaufen. (ii) Ein Markt ist durch symmetrische Beziehungsmuster zwischen freien Personen gekennzeichnet, deren Abläufe unter den Gesichtspunkten von Kommunikation, Verhandlung und freier Zustimmung bzw. Ablehnung stehen. Diese beiden Beziehungsmuster stellen keineswegs eine vollständige Disjunktion wirtschaftlicher Beziehungen dar, eignen sich aber als Pole, aus deren Betrachtung das Problem der Menschenwürde im Bereich der Wirtschaft deutlich gemacht werden kann. Vereinfachend lässt sich sagen, dass die geistesgeschichtlich bedeutsamsten Konzepte zum Thema Wirtschaft und Menschenwürde sich untergliedern lassen in diejenigen einerseits, die die Wirtschaft, wie etwa die Ökonomik des Aristoteles, in hierarchischen Beziehungsmustern auffassen, und diejenigen andererseits, die die Wirtschaft, wie etwa die Theorien von Adam Smith oder die moderne Wirtschaftstheorie, von den Interaktionsmustern der Märkte her analysieren. Eine Sonderstellung nehmen biblische Gedanken zur Wirtschaft ein, die diese Beziehungsmuster zwar kennen, aber aus einem gegenüber den genannten Wirtschaftstheoretikern und Philosophen gänzlich anderen Blickwinkel deuten (s. u. Abschnitt 6.3, wo diese Gedanken genauer erläutert werden).

6.2 Wirtschaft als Feld von Herrschaftsbeziehungen: Hauswirtschaft und Sklaverei bei Aristoteles 6.2.1 Die politische Gemeinschaft und ihre Interaktionen als Feld der Würde des Menschen Wenn man mit der Unterscheidung zwischen Firma und Markt an die Ökonomik des Aristoteles im ersten Buch seiner »Politik« herangeht, wird man feststellen, dass es für Aristoteles ein drittes, von Coase nicht erwähntes Beziehungsmuster ist, worin sich der Mensch in seiner eigentümlichen Würde, in dem, was ihn zum Menschen macht, manifestiert: die wechselseitigen Beziehungen freier Bürger in der Öffentlichkeit eines verfassten Gemeinwesens. 1 Für Aristoteles sind 1 Menschenwürde im Sinne Kants oder der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland kennt Aristoteles nicht. Für die Aussage »Die Würde des Men-

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Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit

es allein Beziehungen dieser Art, in denen Menschen in einer menschlichen Weise Erfüllung und Glück finden können. Der Mensch unterscheidet sich gemäß Aristoteles von den Tieren dadurch, dass ihm Denken, Begreifen und Aussprechen eigen sind (Aristoteles, Politik: 1253a 1–19), und er ist seinem Wesen gemäß tätig, wenn er sich als freier Bürger eines Gemeinwesens (griechisch: einer polis) mit freien Mitbürgern darüber auseinandersetzt, was nützlich und schädlich, gerecht und ungerecht im Sinne eines guten Lebens für die ganze Gemeinschaft ist. Beziehungen, in denen Menschen sich als Menschen manifestieren, sind für Aristoteles von politischer Art: ihr Horizont ist stets die Gerechtigkeit als Ordnung eines guten Lebens zwischen Freien und Gleichen. Im Sinne von Kants Definition kommt Würde bei Aristoteles nicht unmittelbar dem einzelnen Menschen zu, wohl aber der Polis, der Gemeinschaft der freien Bürger. Zur Würde gehört gemäß Aristoteles Unabhängigkeit, und diese besitzt allein die Polis, nicht das einzelne Individuum. Die Polis in ihrer Entfaltung ist, in den Worten Kants, »Zweck an sich« oder Selbstzweck (ibid.: 1252b 30 ff.): ihrer Erhaltung und Gestaltung sind alle anderen Zwecke, etwa die privaten Zwecke der einzelnen Bürger, als bloße Mittel untergeordnet. Nur insofern sie Teilhaber an diesem Selbstzweck sind, also als freie, am Leben der Gemeinschaft interessierte Bürger, können einzelne Menschen sich mittelbar wechselseitig als Zweck an sich behandeln und in ihrer Würde respektieren. Politische Züge tragen auch Beziehungen, die nicht an dem unabhängigen Leben der Polis partizipieren, aber etwas von seinem Charakter auch in außerpolitische Bereiche tragen: Dazu gehört das eheliche Verhältnis zwischen Mann und Frau, das Aristoteles in direkter Analogie zu politischen Umgangsformen sieht (ibid.: 1259b 1 f.); dazu gehören weiterhin Marktbeziehungen zwischen Menschen, die Güter austauschen, die Aristoteles in indirekter Analogie zu politischen Umgangsformen auffasst. Diese Beziehungen haben mit der eigentlich politischen Sphäre gemeinsam, dass es ihnen, wenigstens in abgeleiteter Form, um Gerechtigkeit geht (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik 1972: 1131b 24 ff.). 2 schen ist unantastbar« lässt sich keine Übersetzung ins Altgriechische denken, deren Sinn in der Zeit des Aristoteles verständlich gewesen wäre. Wohl aber hat Aristoteles klare Vorstellungen von dem, was man zu seiner Zeit als ein menschenwürdiges oder menschenunwürdiges Leben ansehen kann. 2 Es handelt sich um das, was im Mittelalter als iustitia commutativa bezeichnet wird.

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6.2.2 Wirtschaft als Sphäre der Abwesenheit von Würde Die eigentliche Verwendung des Begriffs Wirtschaft bei Aristoteles bezieht sich nicht auf die Verhältnisse des Marktes, sondern auf einen Bereich, dessen Signatur geradezu die Abwesenheit des Politischen ist: Abhängigkeit und alle daraus entspringenden menschlichen Ängste, Nöte, Mühen und Sorgen sind diesem Bereich eigen. Politische Beziehungen setzen voraus, dass der leitende Gesichtspunkt derer, die an ihnen teilhaben, nicht private Interessen wie die Sorge um den eigenen Leib oder die Sicherung und Vermehrung des eigenen Vermögens ist. Gleichwohl bleiben die Bürger bedürftige Wesen und benötigen zuweilen nicht geringe Reichtümer, um zur Machtstellung und Pracht der Polis beitragen zu können. Sollen sie selbst unabhängig von Sorgen und frei sein, so muss für alles, dessen sie bedürfen, bereits von anderer Seite vorgesorgt sein: Aus dem Bereich der Politik wird die Erfahrung von Bedürftigkeit, Abhängigkeit und Sorge abgewälzt auf das Hauswesen (Oikos) 3 . Ziel der klugen Verwaltung dieses Hauswesens, der Oikonomia, ist gemäß Aristoteles die Befriedigung von täglich wiederkehrenden Bedürfnissen (Aristoteles, Politik 1973: 1252b 15 f.), die Sorge um Nahrung, Kleidung und materiellen Besitz etc. Alle Aktivitäten im Rahmen des Hauses haben es an sich, dass ihre Ergebnisse sogleich oder in kurzer Zeit verschwinden oder aufgezehrt werden, ohne dass etwas bleibt. Dass solche Tätigkeiten verrichtet werden, ist zwar zum Dasein der politischen Beziehungen notwendig, sollte aber auf die Entwicklungen in der Polis keinen Einfluss haben. Mit Ausnahme der Verhältnisse von Ehe und Familie ist das Haus ein Bereich despotischer Herrschaftsverhältnisse (ibid.: 1253b 9). Es gehört damit in das Feld der hierarchischen Beziehungen, die nach Coase das Wesen der Firma ausmachen. Am Hauswesen, nicht etwa an Marktverhältnissen, liest Aristoteles die Eigenart dessen ab, was ihm als Wirtschaft gilt. Menschenwürde – im Sinne der Würde eines spezifischen menschlichen Wesens – ist daraus systematisch ausgeschlossen. Aufgrund der Bereitstellung von materiellen Lebensgrundlagen ist die Hauswirtschaft zwar in gewisser Weise ein Fundament der Polis – alles Das Haus ist eine patriarchalische Organisationsstruktur, die zugleich den Haushalt der Großfamilie und einen agrarischen oder gelegentlich auch handwerklichen Betrieb umfasst (vgl. Faber/Manstetten 2003: 30–38).

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menschliche Leben zwischen Geburt und Tod beruht darauf, dass Bedürfnisse gestillt sind, die Mensch und Tier gemeinsam haben. Wahrhaft menschlich aber ist das Leben der Menschen für Aristoteles erst da, wo es sich vom Leben des Tieres kategorial unterscheidet. Demgemäß bedarf zwar die Sphäre des Politischen der Wirtschaft, aber die Wirtschaft hat dennoch keinen Anteil an ihr; für sich selbst betrachtet ist die Wirtschaft vielmehr eine Sphäre der Unfreiheit. In ihr ist der Mensch abhängig von Bedingungen, in denen er in seiner Menschlichkeit, wie Aristoteles sie versteht, nicht in Erscheinung treten kann. 6.2.3 Der Sklave als Prototyp des wirtschaftenden Menschen Wenn das menschliche Leben in seiner Teilhabe an der verfassten Gemeinschaft der Polis Selbstzweck ist, so ist die Wirtschaft die Sphäre der Mittel, von denen das Dasein dieses Selbstzweckes abhängig ist. Zu dieser Sphäre gehören notwendig auch Menschen. Abgesehen von den Mitgliedern der Familie des pater familias gelten alle im Hauswesen tätigen Menschen, gleich dem Vieh und den verschiedenen Dingen und Geräten, als Besitz. Besitz ist der Inbegriff der Mittel, die einem Hauswesen zur Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehen. Wer im Rahmen des Hauswesens arbeitet, ist für Aristoteles Teil des beseelten oder belebten Besitzes (Aristoteles, Politik 1973: 1253b 23 ff.). Beseelte Werkzeuge sind – im Gegensatz zu den unbeseelten Dingen – dazu fähig, Befehlen zu gehorchen. Solche Werkzeuge zu sein, ist die eigentliche Bestimmung der Sklaven. Wesen des Sklaven ist es, nicht über sich selbst verfügen zu können, sondern einem anderen anzugehören, dessen Besitztum er ist (ibid.: 1254a 15). Der Sklave ist bei Aristoteles nicht nur ein rechtloser, zum Gehorchen gezwungener, zu einem bestimmten Preis veräußerbarer Mensch. Er ist vielmehr der Inbegriff dessen, als was der Mensch sich zeigt, wenn er in die Wirtschaftssphäre verstrickt ist: bloßes Mittel für Zwecke, die den gleichsam noch im Tierischen befangenen Horizont seines Lebens gänzlich übersteigen. Die Wirtschaft ist eine Sphäre des Funktionierens. In ihr ist jedes Ding und jeder Ablauf für anderes und andere da. Dieses Dasein ist aber zugleich stetiges spurloses Verschwinden, ein endloser Kreislauf von Mühe und Verzehr. Dazu gehört für Aristoteles notwendig der Typ eines Men171 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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schen, der ebenfalls in nichts für sich selbst da ist und da sein kann und dem es verwehrt ist, etwas Dauerndes jenseits dieses Kreislaufes zu hinterlassen. Die Polis bedarf der Wirtschaft, die Wirtschaft bedarf der Sklaven. Ein Leben, wie es einem Menschen als Menschen zukommt, ist ihnen verwehrt: Anteil am spezifisch menschlichen Glück lässt sich dem Sklaven nicht zusprechen (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik 1972: 1117a); die sinnliche Lust, die er empfinden kann, unterscheidet ihn nicht von den Tieren. Sklaverei bei Aristoteles wird in rein instrumentellen Kategorien vorgestellt. Wenn man von den Prinzipien wirtschaftlicher Vorgänge aus die dafür notwendigen Menschen konzipiert, so ergibt sich, dass dazu solche Menschen hinreichen, die sich als bloße Mittel für deren zweckmäßigen Ablauf verhalten. Nicht nötig ist es, dass sie den Sinn dieser Vorgänge für ein eigentlich menschliches Leben verstehen, nicht nötig ist es, dass sie sich überhaupt für etwas interessieren, das außerhalb der Abläufe liegt, die sie verrichten. Sklaverei ist für Aristoteles nicht die Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen, die eigentlich frei sein wollen. Sie ist vielmehr die Signatur einer Sphäre, die die Verhaftetheit des Menschen an die Mittel des Lebens ausdrückt. Für Verrichtungen rein instrumentellen Charakters sind solche Menschen am besten geeignet, die ganz darin aufgehen. Aristoteles hält es für offensichtlich, dass es solche Menschen gibt, d. h. Menschen, die imstande sind, ein Leben zu führen, in dessen gesamten Verlauf sie nie etwas anderes sein werden als ausführende Organe der Zwecke eines anderen. Solche Menschen sind von Natur aus Sklaven. 4 6.2.4 Sklavische Gesinnungen bei freien Bürgern Despotische Verhältnisse sind Beziehungen des wechselseitigen Nutzens: Herr und Sklave ergänzen einander: Fehlt dem Sklaven die VoAristoteles (1973) diskutiert die Frage, ob es Sklaven von Natur gibt, in seiner »Politik« (1254a 17 – 1255b 16). Natur muss für Aristoteles nicht notwendigerweise im Rahmen der Disjunktion von angeborenen/erworbenen Eigenschaften gefasst werden. Mit Hannah Arendt (1981) könnte man sagen: Sklave von Natur ist jeder, der es erträgt, Eigentum und Verfügungsmittel eines anderen Menschen zu sein, ohne gegen ein solches Dasein aufzubegehren und, falls nötig, lieber den Tod in Kauf zu nehmen als ein Leben in Unfreiheit. So muss man laut Aristoteles unterscheiden zwischen »Leuten, … die überall Sklaven, und solchen, die es nirgends sind« (ibid.: 1255a 33).

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rausschau, so dem Herrn die Leibeskraft. Indes haftet diesen Beziehungen ein Makel an. Indem er dem Sklaven Anweisungen gibt, verstrickt sich der Herr notwendigerweise in die instrumentelle Logik der Wirtschaftssphäre. Daher ist es für einen freien Menschen eine – zeitweise allerdings unumgängliche – Zumutung, sich als Herr über Sklaven mit den niederen Dingen der Wirtschaft abzugeben: »Diejenigen Herren daher, die es nicht nötig haben, sich selbst damit zu placken, überlassen ihren Haushofmeistern das Amt, während sie sich selbst mit der Politik oder der Philosophie beschäftigen.« (Aristoteles, Politik 1973: 1255b 37). Herrschaft über Sklaven kann anscheinend zu einer sklavenartigen Gesinnung beitragen. Geradezu verkehrt aber leben diejenigen Menschen, die, ohne dazu genötigt zu sein, in den Horizonten des Bereiches der Wirtschaft die eigentlichen Zwecke ihres Lebens sehen. Daraus erklärt sich die Schärfe der Kritik des Aristoteles an denjenigen Bürgern, die im Erwerb von Geld ihren Lebensinhalt finden, derart, dass sie stets mehr Geld haben wollen, als ihnen bereits zur Verfügung steht. Sie machen das Mittel zum Zweck. Obwohl ihre materielle Lage es ihnen möglich machen würde, an den freien Beziehungen der Politik teilzuhaben, sind sie freiwillig der Sphäre der Mittel verhaftet. Ihre Haltung, das Mehr-und-mehr-haben-Wollen (Pleonexia), ist für Aristoteles das Paradigma der Ungerechtigkeit schlechthin (Aristoteles, Die Nikomachische Ethik 1972: 1130a 24 ff.). Sie gehören zu denjenigen Menschen, die ein Leben wählen, das eine sklavische Gesinnung bezeugt: »Denn jeder Sinnengenuss hängt am Übermaß; und so trachten sie nach einer Kunst, die ihnen das Übermaß des Genusses verschafft … und wenden alle Fertigkeiten ihrer natürlichen Bestimmung zuwider zu diesem Zweck an … Jene Art von Leuten macht all dies (Tapferkeit, Kriegskunst und Heilkunst, d. V.) zu Mitteln des Gelderwerbs, als wäre dies der Zweck …« (Aristoteles, Politik 1973: 1258a 7 ff.). 6.2.5 Die unvermeidliche Unmenschlichkeit einer menschlichen Sphäre Aristoteles betrachtet die Wirtschaft als etwas Unmenschliches oder, vorsichtiger ausgedrückt, als etwas noch nicht Menschliches, das allerdings für die Menschen unvermeidlich ist. Wenn ihm daran gelegen ist, politische Beziehungen so sorgfältig von allem Wirtschaftli173 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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chen freizuhalten, mag sich darin auch eine gewisse Scheu, wenn nicht sogar ein Ekel vor dem ausdrücken, was man vielleicht als »Drecksarbeit« bezeichnen mag. Einbezogen darin sind diejenigen, die genügend roh, abgestumpft oder resigniert sind, um sich nicht dagegen zur Wehr zu setzen, tagtäglich derartige Arbeiten zu verrichten. Mitleid mit derartigen Menschen ist in der Welt des Aristoteles kein Thema. Als Denker jedoch, der in allen Verhältnissen des Kosmos und insbesondere in allem Menschlichen nach vernunftgemäßen Ordnungen sucht, behilft sich Aristoteles mit einer befremdlichen Lösung. Das Provozierende an seiner Lehre von der natürlichen Sklaverei ist wohl weniger, dass er, wie die meisten Denker seiner Zeit, Sklaverei für selbstverständlich hält, sondern eher, dass er eine Konstruktion der Wirtschaft im Horizont der Polis entwirft, die es notwendig macht, dass es Sklaven gibt: Wenn die Welt des Menschlichen so eingerichtet ist, dass es in ihr Bereiche gibt, in denen das Menschliche in seiner Würde nicht erscheinen kann, dann käme ein Riss in die natürliche Ordnung des Kosmos insgesamt, wenn es keine Menschen gäbe, die genau für diese Bereiche bestimmt sind und von ihrer Veranlagung her für das, was die eigentliche Würde des Menschen ausmacht, ohnehin nicht in Frage kommen. Allerdings vermeidet diese Konstruktion nicht einen anderen Riss: Die Bürger, die in der Welt des Politischen im hellen Licht der Öffentlichkeit, frei von den Sorgen des Alltags ihr Glück in der Hingabe an das Allgemeine finden, pflegen eine durchaus fragwürdige Form von Arbeitsteilung: Die Lasten des je privaten Daseins mit seinen Sorgen bürden sie anderen auf, ihr Glück bei der Verwirklichung der Menschlichkeit ist mit der Tatsache erkauft, dass andere dafür arbeiten, ohne es genießen zu dürfen oder zu können. Das Ringen der freien Bürger um Gerechtigkeit rechtfertigt für Aristoteles die Mühsal all derer, die die materiellen Voraussetzungen dafür schaffen. Das Glück in der Polis setzt die Rechtfertigung der Unmenschlichkeit der Wirtschaft voraus.

6.3 Der andere Blick auf die Wirtschaft: Hebräische Bibel und Neues Testament Trotz mancher Gemeinsamkeiten mit Aristoteles stellen die Auffassungen der Hebräischen Bibel und des Neuen Testamentes ein Ge174 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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genbild zu dessen Konzeption der Wirtschaft dar. Zwar warnt die Bibel mehrfach vor dem Mehr-und-mehr-haben-Wollen (Pleonexia – vgl. etwa Lukas 12,15), und ganz wie für Aristoteles ist auch für die biblischen Autoren die Wirtschaft gerade nicht der Bereich, worin der Mensch seine eigentliche Erfüllung findet (s. o. Kapitel 5, Abschnitt 5.4). Aber, anders als Aristoteles, sehen insbesondere die Verfasser der Schriften des Neuen Testamentes nirgends in der Welt einen Bereich für vollkommene Glückseligkeit. Diese Welt, wie sie den Sinnen und dem Verstand erscheint, ist insgesamt der wahren Bestimmung des Menschen nicht würdig, die darin besteht, zu erkennen, was »kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat« (1. Korinther 2,9). Aber wenn einer Lehre, die zwar gewiss ist, dass das Reich Gottes in uns ist (Lukas 17,21), aber zugleich sieht, dass es nicht von dieser Welt sein kann (Johannes 18,36), die Distanz zu allem Wirtschaftlichen entspricht, so lehrt sie gleichwohl nicht die Flucht davor. Wie die Sphäre der Wirtschaft in einer solchen Sicht erscheint, sei unter vier Aspekten angesprochen. (i) Die geduldige Erwartung des »Kommens unseres Herrn Jesus Christus« (2. Thessalonicher 2,1) erfordert eine gelassene Teilhabe an der Wirtschaft, auch an ihren niedrigsten Verrichtungen. Paulus sagt von sich selbst, er habe »nicht umsonst Brot von jemand genommen, sondern mit Arbeit und Mühe … Tag und Nacht gewirkt, … damit wir uns selbst euch zum Vorbild gäben, uns nachzufolgen. Denn … wenn jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen« (ibid.: 3,8–10). 5 In der Regel des Heiligen Benedikt erfüllen die Mönche den ihnen aufgetragenen Gottesdienst nicht nur im Ora, in den täglichen Zeiten des Gebets, sondern nicht weniger in der Mühsal des Labora, des Dienstes an der Gemeinschaft und am Mitmenschen. (ii) Der Sklave, für Aristoteles ein Menschentypus, mit dem ein vernünftiger und anständiger Mensch so wenig wie möglich gemeinsam haben möchte, verkörpert, was man – sei es auch nur in den eigenen Vorfahren – selbst einmal gewesen ist: »Denn du sollst daran denken, dass auch du Sklave in Ägyptenland warst und der Herr, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand« (5. Mose Eine verwandte Auffassung findet sich im rabbinischen Judentum: »Schön ist das Studieren der Weisung (Tora) und dabei einem Beruf nachgehen, denn die Bemühung um diese beiden lässt Verschuldung vergessen. Aber alles Weisunglernen ohne Handarbeit wird schließlich zunichte und zieht Verschuldung nach sich« (aus Mischna Awot I, 16 – II, 7, zitiert nach Mayer 1980: 369).

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5,15). Wenn es also auch in Israel und unter den ersten christlichen Gemeinden durchaus Sklaverei gegeben hat, so ist doch die Unterscheidung zwischen Sklaven und Freien nicht, wie bei Aristoteles, eine prinzipielle, sondern stellt einen vorläufigen und vergänglichen Zustand dar. Die Aufhebung derartiger Unterscheidungen im Reich Gottes ist ein mächtiger Antrieb des frühen Christentums: »Da ist nicht mehr Grieche, Jude, Beschnittener, Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alle und in allen Christus« (Paulus, Brief an die Kolosser 3,11). (iii) So wie Gott sein Wesen in der Liebe rückhaltlos an die Welt hingibt, so sollte auch das Ebenbild Gottes, der Mensch, nichts für sich behalten, sondern allen anderen Menschen in der Welt mit seinen Kräften und Fähigkeiten dienen, ohne dabei etwas für sich privat zu erwarten. Der Impuls des freiwilligen Verzichtes auf alles Eigene findet sich im rabbinischen Schrifttum 6 sowie im Neuen Testament. Als Armutsgebot setzte er sich durch das ganze abendländische Mönchstum hindurch fort. (iv) Ganz außerhalb des Gesichtskreises des Aristoteles liegt die Empörung über ungerechte wirtschaftliche Verhältnisse, die die Hebräische Bibel und das Neue Testament durchzieht. Für Aristoteles ist Pleonexia unfein und schädlich für die Beziehungen in der Polis, für die Propheten der Bibel ist sie jedoch Zeichen einer völlig verkehrten, mitleidlosen Welt: »So spricht der Herr: Um drei, ja um vier Frevel willen derer von Israel will ich sie nicht schonen, weil sie die Unschuldigen für Geld und die Armen für ein Paar Schuhe verkaufen … Darum, weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn, so sollt ihr in den Häusern nicht wohnen, die ihr von Quadersteinen gebaut habt, und den Wein nicht trinken, den ihr in den feinen Weinbergen gepflanzt habt« (Amos 2,6 u. 8; 5,11). Die Propheten lenken den Blick darauf, dass Wirtschaft eine besondere Bedeutung hat für die, die selbst nicht wirtschaften können. Ein Gemeinwesen, das nicht für die Bedrückten, die Witwen, Waisen, Vgl. Agus (2001: 96 f.): »Eine Quelle aus dem … Traktat (Avot 5, 13) (schreibt, d. V.): Vier Arten finden sich beim Menschen. (i) Derjenige, der sagt, meines ist meines und deines ist deines. Das ist (die) durchschnittliche Art – es gibt aber (welche, die) sagen: Dies ist die Art von Sodom. (ii) Meines ist deines, und deines ist meines. (So spricht der) Ungebildete. (iii) Meines ist deines, deines ist deines. (So spricht der) chassid. (iv) Deines ist meines, und meines ist meines. (So spricht der) Böse.« Die eigentliche Würde des Menschen drückt sich im chassid aus, für den, wie Agus (ibid.) anmerkt, das Paradigma gilt: »Besitz aufgeben ohne die geringste Hoffnung, etwas davon zurückzuerhalten«.

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Schwachen und Kranken sorgt, gilt ihnen als ganz und gar nichtswürdig. Umgekehrt: Gerechtigkeit ist erst da verwirklicht, wo man noch im scheinbar Ärmsten und Unwürdigsten den wahren Menschen sieht. Menschenwürde ist, biblisch gesehen, nicht etwas, was ein Mensch »hat«, sondern die Menschen empfangen sie immer wieder neu in der Hoffnung und bereits beginnenden Erfahrung der Gegenwart des Reiches Gottes und spenden sie einander innerhalb der Gemeinde. Nicht die selbstständige und unabhängige Polis des Aristoteles, sondern die Gemeinde, gänzlich abhängig von der Liebe Gottes und zugleich Ausdruck des unablässigen Dankes dafür, ist, biblisch gesehen, der Ort, an dem die Würde des Menschen sich offenbart. Allerdings kann das Bewusstsein von der Vorläufigkeit des irdischen Daseins auch dazu verleiten, vorgegebene Machtverhältnisse und soziale und wirtschaftliche Ungleichheit mit dem Argument zu zementieren, man habe auch die Verhältnisse in dieser Welt so hinzunehmen, wie sie nun einmal seien, da das Wesentliche nicht in dieser Welt stattfinde. Dafür bietet die Geschichte des Christentums zahlreiche Beispiele.

6.4 Wirtschaft als Feld symmetrischer Beziehungen: Marktwirtschaft und Homo oeconomicus bei Adam Smith und seinen Nachfolgern 6.4.1 Individuelle Freiheit und private Glückssuche als Voraussetzungen der Wirtschaft Sind bei Aristoteles die Menschen wesentlich ungleich, so betont die Bibel 7 , dass die Ungleichheit gemäß der Gesichtspunkte des Aristoteles akzidentiell und vergänglich ist: Damit aber gibt es keine allgemeinen Prinzipien, die eine dauerhafte soziale und wirtschaftliche Ungleichheit rechtfertigen können. An dieser Stelle setzt die Politische Ökonomie der Neuzeit an, deren erster Höhepunkt in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts liegt. Man kann sie, vereinfacht, als einen Versuch ansehen, die Aufwertung der Arbeit und die prinzipielle Gleichheit der Menschen, wie sie das Christentum lehrt, für Parallelen dazu lassen sich durchaus im Islam, aber auch etwa in bestimmten Ausprägungen des Buddhismus finden.

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eine Idee von Wirtschaft und Gesellschaft fruchtbar zu machen, deren Angelpunkt nicht ein Reich jenseits dieser Welt, sondern diese Welt selbst sein soll. Ein erfülltes Leben wird, wie bei Aristoteles, in der Zeitspanne zwischen Geburt und Tod gesucht. Jedoch gelten der Aufklärung nicht mehr übergeordnete Strukturen wie die Polis des Aristoteles als Quelle des menschlichen Glückes, vielmehr ist es die freie Selbstbestimmung des mündigen Individuums, die dazu führt. Vor diesem Hintergrund ist das Paradigma aller wirtschaftlichen Beziehung der Markttausch zwischen freien Tauschpartnern. Auch Aristoteles kennt den Markttausch und weiß um seine Bedeutung für die Wirtschaft. Aber für Aristoteles, für den das Wirtschaftliche innerhalb der Grenzen des Hauses beginnt und endet, ist der Tausch auf Märkten nur eine temporäre und vergängliche Öffnung dieser Grenzen. Wirtschaftliche Verhältnisse sind für Aristoteles Strukturen, in die man auf natürliche Weise hineinwächst und mit denen man im Normalfall über das ganze Leben verbunden bleibt. In der modernen, rechtsstaatlich verfassten Wirtschaftsgesellschaft gibt es für dieses Hauswesen kein Äquivalent. Durch die Verfassung wird jedem Individuum die Freiheit zugesichert, selbst zu bestimmen, wo und wie lange es in wirtschaftlichen Abläufen mitarbeiten will. Selbst wenn ein Mensch bis zum Ende seiner Teilhabe an der Wirtschaft nur in ein einziges Unternehmen eingebunden ist, so hat er diese Eingebundenheit selbst gewählt und hätte sie prinzipiell auch beenden können. Gewählt aber hat eine Person in dieser Art, weil sie diese Wahl unter den gegebenen Umständen für gut hält – oder wenigstens für die am wenigsten schlechte. Unterwerfung unter hierarchische Beziehungsmuster steht also stets unter dem Vorzeichen, dass zunächst in einer symmetrischen Beziehungsstruktur auf dem Arbeitsmarkt diese Unterwerfung akzeptiert wurde. 6.4.2 Der Markt als eine Sphäre von Menschlichkeit bei Adam Smith Für Aristoteles scheint der Mensch erst da ganz Mensch zu sein, wo er die Abhängigkeiten seiner leiblichen Natur hinter sich gelassen hat. Für Adam Smith, den Begründer der modernen Wirtschaftstheorie, ist es hingegen ein wesentlicher Zug des Menschseins, mit unvermeidlichen Abhängigkeiten frei umgehen zu können. Der 178 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Mensch zeigt seine Menschlichkeit bereits dadurch, dass er eine im Gegensatz zum Tier wesentlich differenziertere Bedürfnisstruktur aufweist, die sich im Laufe der Menschheitsentwicklung zusehends verfeinert. Zugleich erfährt jeder Mensch seit frühester Kindheit, dass sein Verlangen nach Bedürfnisbefriedigung ihn auf die Bereitschaft der anderen verweist, ihm zu überlassen, was er braucht. Im Verlaufe seiner Entwicklung muss er lernen, ihnen diese Bedürftigkeit in angemessener Weise mitzuteilen. Zugleich muss er lernen, Eigenes aufzugeben, um von anderen etwas zu erhalten. Marktbeziehungen als Austauschverhältnisse sind Ausdruck der menschlichen Fähigkeit, im wechselseitigen Geben und Empfangen zu kommunizieren. Marktbeziehungen setzen eine bestimmte Gebildetheit voraus. Wer an ihnen teilhat, muss auf Gewalt verzichten, auf Diebstahl, Raub oder Krieg. Damit achtet er die Freiheit des anderen, über das Seine zu verfügen. Darüber hinaus muss aber eine Person in jedem Tausch direkt auf die Wünsche und Interessen des Tauschpartners eingehen. Nicht der Blick auf den eigenen Nutzen und den eigenen Gewinn, sondern der Blick auf das, was den Tauschpartner interessiert und dessen er bedarf, ist gefordert, wenn man auf dem Markt erhalten will, was man benötigt. »Der Mensch ist fast immer auf Hilfe angewiesen, wobei er jedoch kaum erwarten kann, dass er sie allein durch das Wohlwollen der Mitmenschen erhalten wird. Er wird sein Ziel wahrscheinlich viel eher erreichen, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht. Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlägt vor: Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst« (Smith: 1776/1978: 17). Der Markt ist für Smith der Ort, an dem sich etwas zutiefst Menschliches offenbart: Die Angewiesenheit auf andere und die Notwendigkeit, einander Dienste zu leisten. Er schult seine Teilnehmer, den jeweils anderen in seiner Bedürftigkeit wahrzunehmen und zumindest zeitweise von den eigenen Bedürfnissen und Interessen abzusehen, gerade um ihrer Erfüllung willen. Damit kann er aufgefasst werden als ein Weg, den anderen Menschen achten zu lernen.

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6.4.3 Das Streben nach privatem Vorteil und seine Folgen Adam Smith, Inhaber eines Lehrstuhls für Moralphilosophie in Edinburgh, hat die Marktsphäre als Paradigma wirtschaftlicher Beziehungen auf der Folie eines Menschenbildes entworfen, das dem Menschen eine ursprüngliche Fähigkeit zuspricht, mit dem anderen zu fühlen und ihn in seiner Eigenart ernstzunehmen: Es ist ein Zusammenspiel aus Eigenliebe und Sympathie, aus dem alle menschlichen Strebungen entspringen. Während der eigentlich menschliche Umgang in der Gesellschaft gemäß Smith vor allem die Ausbildung der Sympathie erfordert, hat in der Sphäre der Wirtschaft durchaus das Eigeninteresse als Streben nach individuellem Vorteil sein besonderes Recht. Die Legitimation dieses Strebens ist es, die Konzeptionen wie die Smiths gleichermaßen von Aristoteles wie von biblischen Vorstellungen scheidet. Von Aristoteles bis Kant und darüber hinaus sind Philosophen dem gewöhnlichen Lustverlangen des Menschen mit größter Distanz begegnet. Wer sein Streben auf Genuss ausrichtet, führt gemäß derartiger Vorstellungen ein Leben, das eines Menschen nicht würdig ist: Noch Kant warnte in seiner »Kritik der Urteilskraft«: »Dass aber eines Menschen Existenz an sich einen Wert habe, welcher bloß lebt (und in dieser Absicht noch so sehr geschäftig ist), um zu genießen, sogar wenn er dabei anderen, die alle eben so wohl nur aufs Genießen ausgehen, als Mittel dazu aufs beste beförderlich wäre, und zwar darum, weil er durch Sympathie alles Vergnügen mit genösse: das wird sich die Vernunft nie überreden lassen« (Kant 1790/1990: 121). Demgegenüber sieht Smith in einer derartigen Lebensführung durchaus Züge des Menschlichen. Vor allem das Bestreben, die materiellen Grundlagen für einen langfristig gesicherten Genuss zu erwerben, wird von ihm positiv gewertet, weil es die Tugend der Sparsamkeit fördert. Diese Sparsamkeit aus Eigeninteresse erhöht den Reichtum der ganzen Gesellschaft. Denn indem jeder sein Eigeninteresse verfolgt, bewirkt er, ohne es zu wollen, maximalen Wohlstand für die Volkswirtschaft des ganzen Landes. Vor diesem Hintergrund ist Smiths Rede von der unsichtbaren Hand zu verstehen. Ganz im Sinne einer bis zu Platon und Aristoteles zurückreichenden Tradition hält auch Smith es für eine Täuschung, wenn man annimmt, Glückseligkeit sei durch materiellen Reichtum zu erlangen. Besonders die Reichen unterliegen dieser Täuschung, wenn sie nur an ihren eigenen Konsum denkend, maximale Erträge aus ihrem Besitz heraus180 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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zuholen trachten. Sie bewirken jedoch etwas, was keineswegs in ihrer Absicht liegt: »Sie verzehren wenig mehr als die Armen; trotz ihrer natürlichen Selbstsucht und Raubgier und obwohl sie nur ihre eigene Bequemlichkeit im Auge haben, obwohl der einzige Zweck, welchen sie durch die Arbeit all der Tausende, die sie beschäftigen, erreichen wollen, die Befriedigung ihrer eigenen eitlen und unersättlichen Begierden ist, trotzdem teilen sie doch mit den Armen den Ertrag aller Verbesserungen, die sie … einführen. Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustandegekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja, ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung. Als die Vorsehung die Erde unter eine geringe Zahl von Herren und Besitzern aufteilte, da hat sie diejenigen, die sie scheinbar bei ihrer Teilung übergangen hat, doch nicht vergessen und nicht ganz verlassen« (Smith 1759/1985: 316). Smiths Argumentation zeichnet das Streben nach individuellem Vorteil zweideutig. Er sieht darin auf Seiten der Individuen durchaus unwürdige Züge. Aber jenseits des Horizontes ihrer Intentionen gehen aus ihren Handlungen Verbesserungen für das Leben der ganzen Gesellschaft hervor, die letztlich auch und gerade den Benachteiligten zugute kommen werden. Wie bei Aristoteles ist auch bei Smith, wenn auch aus ganz anderen Erwägungen heraus, die Wirtschaft eine Sphäre, in der die Menschen nicht wissen, was sie tun. Aber gerechtfertigt wird die Wirtschaftssphäre, da sie ohne ausdrückliche karitative Ziele und ohne das Streben nach Gerechtigkeit seitens der Wirtschaftssubjekte zu jener Verteilung und Fürsorge beiträgt, die die Bibel dem ausdrücklichen Wollen der Gemeindeglieder auferlegt. 6.4.4 Der Riss zwischen Markt und Produktionssphäre Die Argumentation von Smith bezieht sich indes vor allem auf den Markt, während für den Bereich der Produktion zum Teil Gesichtspunkte von Bedeutung sind, die, auch in den Augen von Smith selber, die soeben wiedergegebene Argumentation zum Teil relativieren. Auch die niedrigsten Arbeiten werden in der Welt des Adam Smith von freien Menschen verrichtet. Sie haben auf Arbeitsmärkten ihre 181 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Arbeit für eine bestimmte Zeit verkauft, um dagegen mit dem entsprechenden Lohn die Zusicherung ihres Lebensunterhaltes einzutauschen. In den Abläufen der frühindustriellen Welt gab es Arbeiten und Arbeitszeitregelungen – im Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts nahmen sie sprunghaft zu – die schon damals jeder gebildete Mensch als unzumutbar angesehen hätte. Die Herrschaftsverhältnisse in den Betrieben dieser Zeit waren, schon aufgrund der Eigenart der Fertigungsabläufe, in der Regel weitaus rigider als in den Hauswesen des Aristoteles. Allerdings handelte es sich nicht um Sklaverei: Herrschaftsverhältnisse in modernen Gesellschaften stehen formal unter dem Vorzeichen, dass alle Beteiligten sich frei dazu entschieden haben, sich ihnen zu unterwerfen. Sind sie auch in diesen Abläufen so sehr Instrument derselben, dass, wie Marx bemerkt, eher der Arbeiter die Maschine als die Maschine den Arbeiter anwendet, 8 so muss dies ihrer Menschenwürde, je nachdem was man darunter versteht, nicht notwendig widersprechen: Noch die niedrigste und elendste Arbeit wird dadurch gleichsam geadelt, dass der Arbeiter sich als freie Persönlichkeit in einem freien Markttausch dazu bereit erklärt hat. Spürte bereits Smith, dass diese formale Lösung unbefriedigend ist (s. o. Kapitel 5, Abschnitt 5.2.3), so hielt Marx jede Beschreibung, die die Arbeitsverträge seiner Zeit als freie Tauschverhältnisse interpretierte, für eine bloße Farce: »Die Sphäre der Zirkulation oder des Warentausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angeborenen Menschenrechte … Beim Scheiden von dieser Sphäre … verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unserer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andere scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigene Haut zu Markte trägt und nun nichts anderes zu erwarten hat als die – Gerberei« (Marx 1890/1973: 189 f.). In der kapitalistischen Anwendung der Maschine »ist der Automat selber das Subjekt, und die Arbeiter sind nur als bewusste Organe seinen bewusstlosen Organen beigeordnet und mit denselben seiner zentralen Bewegungskraft untergeordnet … In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine … Aller kapitalistischen Produktion … ist es gemeinsam, dass nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet« (Marx 1890/1973: 442 u. 445 f.).

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6.4.5 Moderne Sichtweisen: Homo oeconomicus und Humankapital Wie Adam Smith legt auch die moderne Wirtschaftstheorie in ihren Hauptströmungen ihrem Bild der Wirtschaft den Markt als Paradigma zugrunde. Im Gegensatz zu Smith aber thematisiert sie in ihrer Vorstellung des wirtschaftenden Menschen kaum die Öffnung zum anderen. Dem Homo oeconomicus der vorherrschenden Modelle werden im Sinne dessen, was er für seinen Nutzen hält, alle Dinge und alle Personen zu möglichen Mitteln des Zweckes, seinen Nutzen zu maximieren (s. o. Kapitel 3 und Kapitel 4). Wenn es ihm in der Regel nicht gelingt, andere gänzlich zu instrumentalisieren, dann deswegen, weil die politische Ordnung, die den angenommenen Rahmen der Wirtschaft des Homo oeconomicus darstellt, in der Gewährung von Menschenrechten eine solche totale Instrumentalisierung verhindert. Die Wirtschaft selbst aber ist eine Sphäre, in der die Individuen, die als Nutzen- und Gewinnmaximierer nie genug haben, aneinander desinteressiert, sofern sie sich nicht brauchen, jeweils für sich ihren Vorteil suchen gemäß dem Prinzip: Mehr ist stets besser. Der Homo oeconomicus, eingesetzt als Analyseinstrument einer mathematisch strukturierten Sozialwissenschaft, braucht nicht auf die Problematik der Menschenwürde bezogen zu werden. Nicht selten aber wird von diesem Konzept auch ein offensichtlich normativer Gebrauch gemacht. Dies zeigt sich unter anderem in dem unter Wirtschaftswissenschaftlern weithin akzeptierten Postulat der Konsumentensouveränität (s. o. Kapitel 5, Abschnitt 5.3.1). Gegen alle religiösen und philosophischen Vorstellungen, es gäbe allgemeine Kriterien für ein gutes und gelingendes bzw. ein schlechtes und verfehltes Leben wird postuliert, der höchste Maßstab für das Leben des Individuums seien die Vorstellungen, die dieses Individuum selbst von seinem Leben hat (vgl. Scitovsky 1976: XI, s. o. Kapitel 5, Abschnitt 5.3.1). Die Würde des Menschen besteht gemäß dieser Vorstellung darin, dass er überhaupt Wünsche und Interessen hat, unabhängig von deren Inhalten, unabhängig auch davon, welche Art von Leben er führt. Damit gibt es nicht mehr, wie in allen Konzeptionen von Aristoteles bis Smith, gleichsam ein Gefälle zwischen den Bereichen, in denen sich Menschenwürde unmittelbar offenbart, und abgeleiteten oder vorgelagerten Bereichen wie der Wirtschaft. Es ist daher nur konsequent, wenn angesehene Ökonomen mit dem Bild des souverä183 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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nen Konsumenten auch andere Bereiche wie Politik, Familie, Religion etc. zu analysieren und zu beurteilen suchen. Allerdings hat die Souveränität des Konsumenten etwas Scheinhaftes, insofern sie mit universeller Abhängigkeit erkauft wird. Der souveräne Konsument wird als der egoistische Nutzenmaximierer vorgestellt, der auf Märkten als Subjekt der Marktnachfrage in Erscheinung tritt. Ihm gegenüber treten als Anbieter die Unternehmen, die im Interesse der Gewinnmaximierung nur anbieten können, was die Konsumenten verlangen. Aber eben diese souveränen Konsumenten sind zugleich diejenigen, die auf Märkten die Arbeit anbieten, die erfordert wird, damit die Unternehmen die von den Konsumenten nachgefragten Güter anbieten können. Analog der Unterscheidung des Aristoteles zwischen unbelebtem und belebtem Besitz unterscheiden die Unternehmen zwischen Sach- und Humankapital. Das Humankapital enthält gleichsam alle lebendigen und vernunftbegabten Produktionsmittel eines Unternehmens. Die so konzipierte Wirtschaftssphäre sieht auf der Angebotsseite die Menschen als bloße Instrumente an. Dennoch wird man nicht ohne weiteres sagen können, dass dies Menschenwürde im Sinne Kants ausschließt. Denn die Unternehmen insgesamt sind nach dieser Logik Instrumente der Wünsche der Konsumenten. Als Mitarbeiter in diesen Unternehmen aber sind diejenigen Menschen, die als Konsumenten souverän die Marktbewegungen lenken, selbst Instrumente ihrer eigenen Wünsche. Somit ist der Homo oeconomicus, der alle instrumentalisiert, selbst zugleich Instrument aller anderen. Bereits Rousseau hat etwas von dieser Logik gesehen, indem er die Freiheit der Marktsphäre zugleich als Inbegriff gänzlicher Abhängigkeit deutete: »Man musste sich um seines Vorteils willen anders zeigen als man wirklich war. Sein und Scheinen wurden zwei völlig verschiedene Dinge. Von dieser Unterscheidung stammen der aufsehenerregende Prunk, die täuschende List und alle Laster her, die deren Gefolge ausmachen. Auf der anderen Seite ist der Mensch, so frei und unabhängig er einst war, nunmehr durch eine ganze Reihe neuer Bedürfnisse sozusagen der ganzen Natur untertan, insbesondere seinesgleichen, deren Sklave er in gewissem Sinne wird: Ist er reich, so hat er ihre Dienste nötig, ist er arm, so hat er ihre Unterstützung nötig, und auch mäßiger Besitz setzt ihn nicht instand, ohne sie auszukommen. Er muss sie deshalb ständig für sein Schicksal zu interessieren suchen, und sie ihren Gewinn wirklich oder scheinbar darin finden lassen, für den seinen zu 184 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit

arbeiten. Das macht ihn spitzbübisch und arglistig gegenüber den einen, gebieterisch und hart gegenüber den anderen« (J. J. Rousseau 1755/1970: 221).

6.5 Die Anerkennung der Abhängigkeit Erst mit der modernen Wirtschaftstheorie scheint die Idee der Menschenwürde ganz in der Wirtschaft angekommen zu sein. Der wirtschaftende Mensch gilt bereits als solcher im vollen Sinne als Träger von Menschenwürde, er braucht dazu keine besonderen Interessen, Ziele, Einstellungen und Leistungen aufzuweisen. Insbesondere muss er sich, solange er die menschenrechtlich fundierten Gesetze eines modernen Verfassungsstaates respektiert, nicht für die Menschenwürde seiner Mitmenschen interessieren bzw. dafür, ob sie in Umständen leben, die eines Menschen würdig sind. Somit ist es im Rahmen dieser Theorie akzidentiell, wenn sich überhaupt jemand aktiv für Menschenwürde eines anderen einsetzt. Ja, der Ansatz legt eher nahe, dass ein solcher Einsatz allenfalls ausnahmsweise vorkommt. Wer aber garantiert die Würde des Menschen, wenn kaum jemand sich dafür interessiert? Man müsste sich zu diesem Zweck einen Rechtsstaat vorstellen, dessen Bürokratie, weitgehend indifferent gegenüber den Konsumenten, einer in Rechtsnormen, Gesetze und Verwaltungsvorschriften übersetzten Idee der Menschenwürde Geltung verschafft. Damit aber muss die Idee der Menschenwürde doch in irgendeiner Weise der Wirtschaft vorgelagert sein. Folgerichtig muss man über diese Sphäre hinausblicken, um dieser Idee ein Fundament in der Wirklichkeit zu verleihen. Die Wirtschaft im modernen Sinne, für sich betrachtet, setzt Menschenwürde voraus, ohne sie konstituieren und bewahren zu können. Sich selbst überlassen, würde sie eher zur Degeneration jeder Idee von Menschenwürde führen. Daher ist es auch durchaus fragwürdig, den souveränen Konsumenten als Paradigma für den Träger menschlicher Würde anzusehen. Wenn selbst dem Konsumenten im vollen Sinne Menschenwürde zuerkannt wird, dann nur deshalb, weil der Mensch mehr und anderes sein kann als Konsument. Wenn Menschenwürde innerhalb der Wirtschaft einen Ort hat, dann nur deshalb, weil sie aus Quellen außerhalb der Wirtschaft gespeist wird. Unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde ist Wirtschaft in 185 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

zweifacher Weise ein abgeleiteter und abhängiger Bereich: (i) Der Umgang der Menschen untereinander und insbesondere die Verteilung der Güter in ihr ist abhängig von den in Kultur, Religion und Politik überlieferten Vorstellungen über das, was ein gutes Leben ausmacht. (ii) Was aber die Wirtschaft an materiellen Lebensmöglichkeiten bereitstellt, ist wesentlich abhängig von den Vorgaben der Natur, von Klima, Landschaft, Ressourcen und der natürlichen Kapazität, Schadstoffe aufzunehmen, abhängig ist es weiterhin von den Tätigkeiten der Menschen in der Vergangenheit, wie sie sich in den gegenwärtig existierenden Kapitalgütern niederschlagen, abhängig ist es schließlich aber auch von dem Leben derer, die diese Möglichkeiten wahrnehmen, von ihrer gebrechlichen Leiblichkeit und ihrer unsteten Bedürfnisstruktur. Es ist diese Abhängigkeit, die, ausdrücklich in den religiösen Vorstellungen und weniger ausdrücklich in den oben dargestellten philosophischen Entwürfen, die Wirtschaft zu einer fundamentalen Herausforderung für jede wie auch immer geartete Idee von menschlicher Würde macht. Das wollen wir im Folgenden erläutern. Wer wirtschaften muss, erfährt, dass er wesentlich abhängig ist. Im Gegensatz zu rechtlichen Ansprüchen sind wirtschaftliche Ansprüche immer abhängig von Bedingungen, über die Menschen nie völlig verfügen können. Wirtschaft ist daher, wie Aristoteles erkannte, die von Unfreiheit durchzogene Basis aller menschlichen Freiheit, solange Freiheit als Verfügungsmacht über Andere und Anderes verstanden wird. Diese Unfreiheit, störend und skandalös empfunden seit den Anfängen der Philosophie, wird in den modernen Theorien gänzlich verdrängt. An sie zu erinnern bedeutet, im Gegensatz zu Aristoteles zu akzeptieren, dass Menschenwürde nur deswegen die Würde eines menschlichen Wesens und nicht etwa eines abstrakten Geistes ist, weil darin die Abhängigkeit von seinesgleichen und von der unverfügbaren Natur mit eingeschlossen ist. 9 Menschenwürde impliziert daher ein Ja auch zur biologischen und ökonomischen Abhängigkeit des Menschen, damit aber auch ein Ja zu einem unverfügbaren und unbeherrschbaren Grund, der als Träger des freien Menschseins selbst an der Menschenwürde partizipiert, auch wenn er an die Gebrechlichkeit des Daseins ihres Trägers mahnt. 10 Denn in Zum Thema Abhängigkeit vgl. MacIntyre (1999). Siehe auch u. Kapitel 7, Abschnitte 7.3 und 7.4. 10 Zu diesen Gedanken hat uns insbesondere die sogenannte Freiheitsschrift von Schelling (Schelling 1809/1997) angeregt. 9

186 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit

seiner Unbeherrschbarkeit kommt diesem Grund selbst auf eine gewisse Art so etwas wie Freiheit zu: Freiheit nicht im Sinne der vernünftigen Selbstbestimmung und rationalen Interessenbildung, sondern im Sinne des sich aller Macht und allem Kalkül Entziehenden. Dass die Natur immer anders kann, als es der Mensch von ihr mit der ganzen Macht seiner Technik fordert, darin zeigt sich ihr Eigenes. Menschenwürde wäre nichts Menschliches, wenn zu ihr nicht das Bemühen um ein freies Verhältnis zu diesem Grund gehören würde. Letztlich müsste daher die Frage der Menschenwürde, im Horizont der Wirtschaft konsequent weiterverfolgt, zur Frage nach der Würde der Natur führen. Die gedankliche Linie, die in der Frage nach Wirtschaft und Menschenwürde von Aristoteles bis zur modernen Wirtschaftstheorie gezogen werden kann, bezeichnet nicht notwendig einen Fortschritt des menschlichen Geistes. Eher verweist die in Bezug auf das Problem der Menschenwürde unbefriedigende Logik moderner Wirtschaftstheorie zurück auf Vorstellungen, die durch sie überwunden schienen. Entgegen dieser Logik ist Wirtschaft nichts Harmloses. Enthält sie, wie Smith sah, ihr eigenes Potential an Humanität, so enthält sie ganz offensichtlich auch bis heute kaum oder gar nicht gebändigte Potentiale der Unmenschlichkeit und Menschenfeindlichkeit. Angesichts extremen Elends, angesichts äußerst ungleicher Verteilung von Armut und Reichtum weltweit und angesichts globaler Naturzerstörung ist Wirtschaft nicht das Feld, auf dem Menschenwürde gegeben ist, sondern vielmehr ein solches, auf dem immer wieder neu darum gerungen werden muss, dass alle Menschen dazu befähigt werden, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Möglich ist dies aber nur im Geist der Aufmerksamkeit und Dankbarkeit gegenüber Bedingungen, die menschliches Dasein zwar ermöglichen, aber auch nie gänzlich in seinem Machtbereich aufgehen.

187 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

7. Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen

Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sind in einer Krise. Arbeit, Gesundheit, Altersversorgung, Bildung, Kultur, Kommunen, Kirchen – überall fehlt es an Mitteln; die Aussichten auf Besserung sind ungewiss: Grundlegende Reformen tun offenbar not. In einer solchen Lage fühlen sich die Ökonomen in besonderer Weise herausgefordert. Denn von ihnen will man hören, wie die Wirtschaft langfristig gedeihen kann. Wenngleich Lösungen nicht ohne ökonomische Kompetenz zu finden sind, glauben wir, dass das Wesentliche an unseren Problemen nicht in den wirtschaftlichen Kategorien von Wettbewerb, Wachstum und Effizienz erfasst werden kann. Andererseits sind diejenigen Begriffe, die wir als grundlegend für das Verständnis unserer gegenwärtigen Probleme ansehen, in unserer eigenen Disziplin, den Wirtschaftswissenschaften, nicht prominent. Es sind die Begriffe Gemeinschaft, Gerechtigkeit und gutes Leben. In den folgenden sechs Abschnitten werden wir auf diese Begriffe im Horizont unserer derzeitigen Lage eingehen.

7.1 Von der ökonomischen Krise zur Frage nach der Gerechtigkeit Lässt sich ernsthaft behaupten, die Bundesrepublik sei in einer Krise, wo es uns doch heute, verglichen mit dem Lebensstandard der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg, unendlich viel besser geht? Allerdings: So viele Wünsche und Bedürfnisse unsere Gesellschaft hat – was sie will, scheint sie nicht zu wissen. Ein Wille in dem Sinne, dass Handlungen auf einige umfassende Ziele hin gebündelt werden, fehlt in unserer Gesellschaft. Ob man Politiker, Wirtschaftler, Medien- oder Kirchenvertreter fragt oder sich im persönlichen Bekanntenkreis um188 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion

hört – man trifft entweder auf Perspektivlosigkeit und Resignation oder auf kurzatmigen Aktionismus. Das war ganz anders unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Die Menschen in Deutschland wussten bei all ihrem Elend, was zu tun war: Kurzfristig ging es um Nahrung und Wohnraum, auf längere Sicht ging es um Wohlstand und Arbeitsmöglichkeiten für alle. Die Ziele für Politik und Wirtschaft waren prinzipiell klar, streiten konnte man nur über die Wege. Das war die Stunde der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie von Ökonomen wie Walter Eucken, Alfred MüllerArmack und Ludwig Erhard propagiert wurde. Ihr Erfolg beruhte nicht nur darauf, dass der sozialistischen Planwirtschaft die Idee des Wettbewerbs entgegengesetzt wurde. Hinzu kam: Die Trümmerfrauen, die den Schutt wegräumten, die Kinder, die die Ziegel mit dem Hammer vom Mörtel befreiten, erlebten, dass ihre Arbeit einen Sinn hatte. Zugleich konnten sich die Bürger damals darauf verlassen, dass Ökonomen, die Privateigentum und freien Wettbewerb forderten, das Wohl der ganzen Gemeinschaft vor Augen hatten. Und so war es auch. Gemäß der Idee der Sozialen Marktwirtschaft ist die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit eine Angelegenheit der Gemeinschaft. Diese Vorstellung geht auf Adam Smith zurück, den Begründer der Volkswirtschaftslehre. Für Smith war die Freisetzung des Eigennutzes nur dann gerechtfertigt, wenn sich zeigen ließ, dass sie dem Wohlstand der ganzen Gemeinschaft diente. Die Denkweise der heutigen Ökonomie macht es schwer, unmittelbar an die damalige Soziale Marktwirtschaft anzuknüpfen. Der Ansatz der gegenwärtigen Wirtschaftswissenschaften wird als methodologischer Individualismus bezeichnet. Das dazu gehörige Menschenbild ist der Homo oeconomicus, der egoistische Eigeninteressen verfolgt. In diesem Menschenbild hat der Begriff der Gemeinschaft keinen systematischen Stellenwert mehr: Als letzter Zweck der Wirtschaft erscheinen die eigennützigen Interessen der Individuen. Damit lässt sich zwar die Wirtschaft angemessen modellieren, wenn sie gut funktioniert, nämlich wenn der Eigennutz des einen mit dem Eigennutz des anderen normalerweise nicht in Konflikt gerät. Anders ist es, wenn die Wirtschaft nicht gut funktioniert und wir uns nach Lösungen umsehen. Wenn wir ausschließlich im Horizont des individuellen Eigennutzes bleiben, kommen wir nicht weiter. Zwar sehen wir aus ökonomischer Sicht etwas Richtiges: Die Eigeninteressen von Einzelnen, von Verbänden und Parteien blockieren sich gegenseitig. Wie wir aber aus einer solchen verfahrenen Situation herauskom189 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

men, können wir nicht sehen, solange wir nur aus der Perspektive des Eigennutzes wahrnehmen. Wie aber sehen die Probleme in unserer Wirtschaft aus, wenn wir sie aus der Perspektive der Gemeinschaft betrachten? Es handelt sich, in ökonomischer Sprache, um Fragen der Einkommensverteilung, vor allem der Verteilung von Lasten und Einkommensverlusten. Wenn Lasten und Verluste verteilt werden müssen, haben Ökonomen dazu Wichtiges beizutragen. Aber in der Regel unterschätzen wir Ökonomen einen Gesichtspunkt, der für die Menschen eine überragende Rolle spielt: Die Gerechtigkeit. Bei Umverteilungen fordern alle, dass es gerecht zugeht. Zwar mag es zum Tagesgeschäft gehören, dass die Verlierer immer schreien, es sei ungerecht, und die Gewinner behaupten, es sei gerecht zugegangen. Langfristig aber haben viele Menschen durchaus ein Gespür dafür, ob für eine Reform der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit eine wesentliche Rolle spielt oder ob es nur darum geht, die Eigeninteressen mächtiger Gruppen zu bedienen. Für die politische Akzeptanz von Reformmaßnahmen ist die Gerechtigkeit die entscheidende Frage. Der Zusammenhalt einer Gemeinschaft erfordert es, dass in elementaren Fragen der Gerechtigkeit eine gewisse Einmütigkeit da sein muss. Mit anderen Worten: Gerechtigkeit verweist auf einen Konsens in der Gemeinschaft.

7.2 Die Gerechtigkeit und das gute Leben – Sens Konzepte der Verwirklichungschancen In der Öffentlichkeit wird Gerechtigkeit meist als Verteilungsgerechtigkeit verstanden: Wer kann mit welchem Recht Ansprüche auf welche Güter und Leistungen erheben? Auf dieser Ebene versuchen Individuen und Gruppen, ihre jeweils eigenen Ansprüche als gerecht auszuweisen. Die philosophische Tradition hat jedoch immer wieder die Frage nach der Gerechtigkeit über die Ebene der Verteilungskämpfe hinausgehoben. Sie stellt die Frage: »Welche Verteilung ist gerecht?« in den Horizont der viel grundsätzlicheren Frage: »Wie wollen wir leben?« Oder: »Was oder wer wollen wir sein?« Beide Fragen sind Fragen nach dem »guten Leben«. In der Sicht von Aristoteles ist das gute Leben nicht Privatsache, sondern geht die Gemeinschaft an. Für Aristoteles besteht das Wesen der besten Gemeinschaft darin, dass sie eine Gemeinschaft ist, die sich um das gute Leben bemüht. Das gemeinschaftliche Bemühen um Gerechtigkeit 190 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion

und gutes Leben macht für Aristoteles (Die Nikomachische Ethik 1972: 1129b) die Essenz der Politik aus. Gerecht ist, schreibt er, das, »was in der staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit hervorbringt und bewahrt.« Von Glückseligkeit in der staatlichen Gemeinschaft kann man nur sprechen, wenn bei den Bürgern über wesentliche Aspekte des guten Lebens ein Konsens besteht. Gegen diesen Gedanken des Aristoteles liegt aus heutiger Sicht folgender Einwand nahe: Die Idee des guten Lebens erscheint so unbestimmt, dass der Fundamentalist darunter einen Zustand verstehen mag, in dem alle dasselbe glauben und genauso leben wie er, während für viele Bürger moderner westlicher Gesellschaften ein gutes Leben darin besteht, dass sie sich nur um ihr privates Wohlergehen kümmern. Wenn aber die Vorstellungen über das gute Leben individuell so verschieden sind, wie soll man da zu einer verbindlichen gemeinschaftlichen Vorstellung gelangen? Es gehört zur Idee der Menschenrechte, dass jeder für sich selbst finden muss, was ein gutes Leben ist. Aber gerade wenn man für diese Idee plädiert, kommt man um die gemeinschaftliche Dimension nicht herum (vgl. Kapitel 6, Abschnitte 6.4.5 und 6.5). Denn die individuellen Bilder eines guten Lebens enthalten wesentliche Anteile, die von einem gemeinschaftlichen Bild des guten Lebens abhängen. Dies ist besonders gut von dem wirtschaftswissenschaftlichen Nobelpreisträger Amartya Sen (vgl. Sen 2002) herausgearbeitet worden, der sich seit Jahrzehnten mit dem Problem der Arbeitslosigkeit beschäftigt. Sen weist darauf hin, dass Arbeitslose nicht nur unter einem Verlust von Einkommen leiden, sondern mehr noch unter dem Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben. Er folgert daraus, dass das Wohl eines Menschen nicht nur abhängt von seiner Gesundheit, seinem Einkommen und der Freiheit, seine Interessen zu verfolgen. Denn zu einer menschlichen Existenz, die wir als befriedigend empfinden, gehört insbesondere die Teilhabe am Leben der Gesellschaft und die Anerkennung durch die anderen Mitglieder dieser Gesellschaft, zu der die eigene Arbeit wesentlich beiträgt. In Fragen der Gerechtigkeit geht es demgemäß nicht nur um die Verteilung von Einkommen und Besitz, sondern auch um das, was Sen (2002: 110– 129) »Verwirklichungschancen« nennt. Verwirklichen soll der Mensch danach jene Tätigkeiten, die ihn im vollen Sinne zu einem Menschen machen. Sen bezieht sich ausdrücklich auf Aristoteles, wenn er feststellt: Neben äußeren Mitteln und Einkommen verlangt ein befriedigendes menschliches Leben die Möglichkeit, bestimmte 191 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

Fähigkeiten entwickeln zu können. Dazu gehören z. B. berufliche Professionalität, Verständnis für Kunstwerke, Urteilssinn für politische Fragen, dazu gehören weiterhin charakterliche Dispositionen wie Gerechtigkeit, Besonnenheit, Zivilcourage und Klugheit. Damit ist der ganze Bereich der Erziehung, Ausbildung und Bildung angesprochen, Fragen, die für die Gemeinschaft von größter Bedeutung sind. Zudem muss die Gemeinschaft für die Menschen Möglichkeiten bereitstellen, bestimmte Dinge tun zu können: Möglichkeiten zu arbeiten, eine Familie zu gründen, ein gesellschaftliches Leben zu führen, an der Politik teilzuhaben und sich religiös zu betätigen. Damit ist das angesprochen, was wir im allerweitesten Sinn als Gesellschaftspolitik bezeichnen können. Der Begriff der Verwirklichungschancen setzt eine gemeinschaftliche Vorstellung darüber voraus, was für Menschen ein gutes Leben ist, im modernen Sprachgebrauch: ein menschenwürdiges Leben. Der Inhalt und die Verwirklichung eines solchen Lebens ist in wesentlichen Aspekten nicht Angelegenheit der einzelnen Individuen, sondern etwas, das nur in einer Gemeinschaft möglich ist. Was aber macht eine Gemeinschaft aus?

7.3 Die Bedeutung der Gemeinschaft für das gute Leben Der Begriff der Gemeinschaft ist heute belastet. Totalitäre Ideologien missbrauchten ihn, um die individuelle Freiheit zu unterdrücken. Man denke nur an die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft«. Außerdem wird eingewandt, eine gemeinschaftliche Idee des guten Lebens lasse sich in einer pluralistischen Welt nicht finden. Wir haben jedoch gesehen, dass zu diesem guten Leben jedes Einzelnen wesentliche Bedingungen gehören, die nur in einer Gemeinschaft des guten Lebens gewährleistet werden können. Was macht eine Gemeinschaft des guten Lebens aus? Wir möchten drei Aspekte hervorheben. Der erste Aspekt bezieht sich auf die geistigen Grundlagen der Gemeinschaft, der zweite auf den gemeinsamen Willen und die gemeinsamen Ziele, der dritte auf die konkreten Standards der Gemeinschaft. (i) Zu einer Gemeinschaft, in der die Individuen weitgehend ihr jeweils eigenes gutes Leben verwirklichen wollen, gehören substantielle Ideen, die allen Gemeinschaftsmitgliedern gemeinsam sind. In 192 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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diesem Sinn spricht man z. B. von der westlichen Wertegemeinschaft. Hier besteht bei den Mitgliedern ein Konsens über grundlegende Überzeugungen – die Achtung der Menschenrechte sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Diese Überzeugungen sind fundamentale Voraussetzungen unserer Gesellschaft, sie dürfen deswegen im politischen Prozess nicht zur Disposition gestellt werden. Dass diese Werte eine Form von Gemeinschaftlichkeit darstellen, wird in der Regel erst dann wahrgenommen, wenn sie in Krisenzeiten durch Fanatiker und Fundamentalisten bedroht werden. Erst dann erkennen wir, dass die Menschenrechte nur da gelten, wo sich eine Gemeinschaft tatkräftig für sie einsetzt. (ii) Zu einer Gemeinschaft des guten Lebens gehört es, dass ihre Mitglieder gemeinschaftliche Ziele haben. Das lässt sich an der elementarsten Form der Gemeinschaft zeigen, an der Familie. Sie orientiert sich an dem Ziel, das Leben ihrer Mitglieder zu erhalten und den Heranwachsenden dazu zu verhelfen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Zugleich ist die Familie ein Selbstzweck. Es gehört wesentlich zu ihrem guten Leben, dass alle für das Ganze der Familie denken und handeln und Mitgefühl für das Leid und die Freude der anderen haben. (iii) Zu einer Gemeinschaft des guten Lebens gehören bestimmte gemeinschaftliche Standards des Lebens. Schon Adam Smith (1776/1978: 747) betont, dass das, was wir als lebensnotwendige Güter bezeichnen, nicht nur von natürlichen Bedingungen abhängt, sondern auch durch gemeinschaftliche Standards geprägt wird. »Unter lebenswichtigen Gütern verstehe ich nicht nur solche, die unerlässlich zum Erhalt des Lebens sind, sondern auch Dinge, ohne die achtbaren Leuten, selbst der untersten Schicht, ein Auskommen nach den Gewohnheiten des Landes nicht zugemutet werden sollte.« Wie detailliert Smith solche Standards diskutiert, geht aus folgendem Beispiel hervor: »Ein Leinenhemd ist, genau genommen, nicht unbedingt zum Leben notwendig. Griechen und Römer lebten, wie ich glaube, sehr bequem und behaglich, obwohl sie Leinen noch nicht kannten. Doch heutzutage würde sich weithin in Europa jeder achtbare Tagelöhner schämen, wenn er in der Öffentlichkeit ohne Leinenhemd erscheinen müsste. Denn eine solche Armut würde als schimpflich gelten.«

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7.4 Gemeinschaft, Abhängigkeit und Wirtschaft Warum fällt den Wirtschaftswissenschaftlern der Begriff der Gemeinschaft so schwer? Die Ökonomik hat lange im einzelnen Menschen nichts anderes als einen unabhängig und selbstständig Handelnden gesehen. Damit folgt sie einem heute verbreiteten Lebensgefühl: Die meisten Menschen streben nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Dabei wird zu wenig beachtet, dass Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von vielen Faktoren abhängen, auf die die Einzelnen keinen Einfluss haben. Wir sind in vielfältiger Form abhängig: Wir sind abhängig in einem elementar physischen Sinn von unseren natürlichen Lebensgrundlagen (vgl. Kapitel 6, Abschnitt 6.5). Abhängig und hilflos sind wir in der Kindheit und im Alter sowie in der Krankheit. In schwierigen Situationen, in denen wir die Orientierung zu verlieren drohen, sind wir abhängig von anderen Menschen, insbesondere unserem Lebenspartner. Der anglo-amerikanische Philosoph Alasdair MacIntyre (1999: 1) bemerkt dazu: »Wir Menschen sind anfällig für eine Vielzahl von Beschwerden, und die meisten von uns erfahren manchmal gravierende Leiden. Wie wir zurechtkommen, ist nur in kleinem Maße von uns beeinflussbar. Wenn uns körperliche Krankheit und Verletzungen, schlechte Ernährung, Geisteskrankheit, sowie menschliche Aggression und Vernachlässigung widerfahren, verdanken wir unser Überleben, ganz zu schweigen von unserem Wohlergehen, meist anderen Menschen« (unsere Übersetzung). Wir sind aber darüber hinaus sogar in unseren selbstständigen Entscheidungen abhängig von anderen. Denn unsere Handlungsfähigkeit und unser Urteilsvermögen hängen in hohem Maße davon ab, welche Erziehung wir genossen haben, welchen Menschen wir uns verbunden fühlen und mit wem wir Umgang pflegen – kurz, von der Gemeinschaft, in der wir leben. Die Stärke einer guten Gemeinschaft besteht darin, dass aus der Erfahrung der wechselseitigen Abhängigkeit die aktive Fürsorge der Gemeinschaftsmitglieder untereinander hervorgeht. Ein Bereich, der uns unsere Abhängigkeit besonders klar vor Augen führt, ist die Wirtschaft. Denn in der Verfügung über Güter und Arbeitsmöglichkeiten sind wir davon abhängig, dass andere sie zur Verfügung stellen. Individuen oder Unternehmen, die in der Wirtschaft jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen, sind voneinander abhängig. Aber in der Wirtschaft besteht das besondere Problem, 194 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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dass sich in ihr Abhängigkeiten herausbilden, die sich von jeder Art Gemeinschaft abgekoppelt haben. Auf dem Markt sind die meisten Abhängigkeiten weitgehend anonym. Ergeben sich daraus negative Folgen, so können diese von der Wirtschaft als solcher nicht bewältigt werden. Nur durch Kräfte außerhalb des Marktes, etwa eine gute Politik, kann die Wirtschaft in gemeinschaftliche Bezüge gestellt werden. In Zeiten der Krise scheint dies äußerst schwierig. Das möchten wir an einem zur Zeit vordringlichen Problem zeigen: der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit wird häufig als ein reines Verteilungsproblem angesehen: Wer keine Arbeit hat, hat keine Möglichkeit, Einkommen zu erzielen. Die Wirtschaft und, wenn die Wirtschaft daran scheitert, die Politik hätten demgemäß die Aufgabe, für eine befriedigende Verteilung von Einkommen zu sorgen. Welche Problematik dahinter steckt, möchten wir an einem Beispiel illustrieren. Im Mai des Jahres 1996 meldete die Vulkanwerft in Bremen Konkurs an, nachdem sich ein Schuldenstand von 1,4 Mrd. DM aufgebaut hatte und 800 Mill. DM EU-Fördermittel wegen angeblicher Zweckentfremdung zurückgefordert wurden. Allein am Stammsitz Bremen waren Tausende von Beschäftigten betroffen. Monate lang waren der Bremer Senat, die Bundesregierung und sogar die EU Kommission in Brüssel mit dem Fall beschäftigt. Damals sagte uns ein Kollege, eigentlich wäre es das Beste, die Werft zu schließen und den Arbeitslosen, den ehemaligen Mitarbeitern, ihren Lohn weiter zu zahlen. Das sei billiger, als weiter die hohen Verluste durch den Staat zu finanzieren, bis irgendwann die Schließung doch unvermeidlich sein würde. In der Tat, über ein Jahr nach dem Konkursantrag war es so weit: Am 15. 08. 97 schloss die Vulkanwerft für immer ihre Tore, nachdem noch erhebliche öffentliche Fördergelder in den maroden Betrieb geflossen waren. Über den Vorschlag unseres Kollegen haben wir angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren nachgedacht. Warum haben nicht die Arbeiter selbst derartige Forderungen gestellt, obwohl sie sich doch scheinbar besser stellen, wenn sie für ihren Lohn nicht mehr arbeiten müssen? Produktionsstätten wie die Vulkanwerft sind in ihrer Region Teil des Lebens der Gemeinschaft. Für die Tausende von Mitarbeitern, die von einer Schließung betroffen sind, sowie für eine weitaus größere Anzahl von indirekt Betroffenen geht damit eine Lebensform verloren. Eben deshalb kann die Politik nicht ohne weiteres das anscheinend ökonomisch Vernünftige tun: Sie hat es mit Men195 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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schen zu tun, denen es nicht nur um ihr Einkommen geht, sondern um das, was sie als ihr gutes Leben ansehen. Darum kämpften die Arbeiter bei der Vulkanwerft so lange wie möglich für den Erhalt ihrer Arbeit. Wie beurteilen wir derartige Vorgänge vor dem Hintergrund dessen, was wir über Gemeinschaft und Gerechtigkeit gesagt haben? Wir sehen drei Ebenen der Beurteilung. (i) Argumentiert man auf rein ökonomischer Ebene, so spricht vieles dafür, dass der Versuch, marode Unternehmen durch staatliche Gelder zu erhalten, die anderswo erwirtschaftet werden müssen, für die Gesellschaft zu kostspielig ist. Gäbe es für Steuergelder nicht sinnvollere Verwendungen? (ii) Dass sich in der Gesellschaft der rein ökonomische Standpunkt nur selten durchsetzt, liegt an seiner Einseitigkeit. Zu vieles, was die Menschen ernsthaft betrifft, wird ausgeblendet, und daher ist er nur selten konsensfähig. Um zu realisierbaren Lösungen zu kommen, muss man auf die Forschung von Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft zurückgreifen. Hier erst können wir ernst nehmen, welche Vorstellungen eines guten Lebens bei den verschiedenen Akteuren – den Arbeitern an der Werft und ihrem Umfeld, bei den politisch Verantwortlichen in der Region und im Staat – sowie in der Gesellschaft gegeben sind und welche Interessen und Zielkonflikte daraus hervorgehen. (iii) Für praktische Lösungen wirtschaftlicher Probleme von der Dimension der Schließung der Vulkanwerft bedarf es darüber hinaus der Fähigkeit, die Erkenntnisse der Ökonomik und verschiedener anderer Wissenschaften einschätzen und sinnvoll auf die konkrete Lage vor Ort beziehen zu können. Diese Fähigkeit wird in der philosophischen Tradition als Urteilskraft bezeichnet. Urteilskraft besteht darin, Zusammenhänge und Regeln nicht nur zu wissen, sondern auch anwenden zu können. Urteilskraft in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten setzt Übung und Erfahrung voraus, aber auch ein Gespür für die politischen, sozialen und moralischen Dimensionen der anstehenden Fragen.

7.5 Homo oeconomicus und Homo politicus Ökonomisches Vorgehen, erweitert und vertieft durch interdisziplinäre Forschung, mit Urteilskraft angewendet auf den konkreten Fall 196 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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– das ist nötig, damit tragfähige Lösungen von Fällen wie der Vulkanwerft denkbar werden. Allerdings ist diese Forderung kaum je auch nur annähernd erfüllt. Und sollte sie doch erfüllt sein, so ist es noch eine ganz andere Frage, ob eine vernünftige Lösung auch realisiert wird. Denn dazu gehört ein Wille, jenseits der eigenen Interessen das gute Leben der Gemeinschaft in den Blick zu nehmen und nach seiner Verwirklichung zu streben. In Wirklichkeit geht ein Fall wie der der Vulkanwerft meistens so aus, dass im Nachhinein bei allen Beteiligten der Eindruck entsteht, dass keine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde. Angesichts derartiger Probleme hat das Bild, das die Wirtschaftswissenschaften vom Menschen zeichnen, der Homo oeconomicus, eine gewisse Anziehungskraft. Nicht wenige Ökonomen glauben, dass man den Menschen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auf allen Gebieten als einen egoistischen rationalen Nutzenmaximierer konzipieren sollte. Aber liegt nicht die Verfahrenheit unserer Gegenwart vielleicht gerade in der Sicht, dass in Fragen der Gerechtigkeit und des guten Lebens für die ganze Gesellschaft die Entscheidungsbefugnisse bei einer Vielzahl von Homines oeconomici liegen soll? Wie der Homo oeconomicus konstruiert ist, kann er nämlich diese Fragen nicht einmal verstehen, weil er nur seine Privatinteressen kennt. Wäre jeder von uns tatsächlich solch ein homo oeconomicus, ein egoistischer Nutzenmaximierer, dann befände sich unsere Gesellschaft in einer Lage, die die griechische Philosophie als aporia bezeichnet. Aporia ist ein Zustand, in dem nicht einmal rein gedanklich ein Ausweg möglich erscheint. Die Aporie wäre die folgende: Bei der Lösung unserer Probleme geht es um Gemeinschaft und Gerechtigkeit, aber es ist kein Mensch da, dem es um Gemeinschaft und Gerechtigkeit geht. Für die Lösung fehlen die Menschen. Nun ist der Homo oeconomicus, auch wenn er in der Wirklichkeit durchaus gehaltvoll ist, ein reines Theoriekonstrukt, dessen Gültigkeit unmittelbar nur in einer reinen Modellwelt gewährleistet ist. Wir sollten uns davor hüten, die anscheinende Ausweglosigkeit der Gegenwart noch durch ein theoretisches Fundament zu untermauern, das ursprünglich dafür gar nicht vorgesehen ist. Denn dann ist es nicht nur so, dass wir keine Lösungen finden, sondern wir berauben uns der Möglichkeit, Lösungen auch nur denkbar zu machen. Es gibt allerdings außerhalb der ökonomischen Modelle keine Notwendigkeit, den Menschen immer als Homo oeconomicus anzusehen. Aber wie müssen wir uns den Menschen denken, um ihm überhaupt 197 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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zuzutrauen, Fragen der Gemeinschaft und Gerechtigkeit sachgemäß anzugehen und zu lösen? Wenn wir wenigstens die Hoffnung auf eine theoretische Lösung behalten wollen, müssen wir den Menschen als Homo politicus betrachten (s. o. Kapitel 4). Der Homo politicus ist der Mensch, der – von einer Idee der Gerechtigkeit geleitet – mit Urteilskraft das Wohl der Gemeinschaft, in der er lebt, zu fördern sucht. Der Homo politicus ist verlangt, wenn es um die Lösung der Probleme von der Dimension der Arbeitslosigkeit geht. Angesichts der Verfahrenheit, die wir an so vielen Stellen in unserer Welt erleben, mag der Homo politicus nur als ein Gedankenkonstrukt erscheinen. Wir haben andere Erfahrungen gemacht. In empirischen Untersuchungen zu Abwasser- und Abfallfragen (Faber/Niemes/Stephan 1983b; Faber/Stephan/Michaelis 1989; Petersen/Faber 2000) konnte gezeigt werden, dass sich in der Ministerialverwaltung im Umweltbereich nicht nur eine wirksame Orientierung am Gemeinwohl findet, sondern vielfach auch die Fähigkeit, unter schwierigen Bedingungen und Interessengegensätzen dem Gemeinwohl Geltung zu verschaffen: Was die Reinheit des Wassers und den Umgang mit Abfall angeht, ist mehr erreicht worden, als man Mitte der siebziger Jahre zu hoffen gewagt hätte. Auf dem Weg dahin waren Ministerialbeamte im Einzelfall bereit, persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Ähnliches gilt nach unserer Erfahrung auch für Unternehmer und Manager in der Wirtschaft. Entgegen dem Bild, was aus manchen Vorständen an die Öffentlichkeit dringt, gibt es auch in der Wirtschaft eine nicht geringe Anzahl von Menschen, die nicht dem Bild des egoistischen rationalen Nutzenmaximierers entsprechen.

7.6 Religion und Gerechtigkeit Wenn wir über Wirtschaft im Horizont von Gemeinschaft, Gerechtigkeit und gutem Leben nachdenken, und wenn wir den Homo politicus dazu nehmen, der bereit ist, mit seiner Urteilskraft und seinem Handeln dafür einzustehen, so bleibt dies alles auf der konzeptionellen Ebene. Ob etwa die Vulkanwerft ein für die Betroffenen besseres Ende genommen hätte, wenn alle im Rahmen der oben erläuterten Konzepte nachgedacht hätten, ist fraglich. Wir halten es zwar für sehr nützlich, wenn man gelernt hat, die richtigen Fragen zu stellen 198 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion

– zur richtigen Lösung ist es dennoch ein sehr weiter Weg. Wenn wir versuchen, in der Gemeinschaft zu einem sinnvollen Bild des guten Lebens beizutragen, wenn wir versuchen, Gerechtigkeit zu verwirklichen, müssen wir bald erkennen, wie wenig wir wissen und wie wenig wir machen können. Das heißt nicht, dass alles, was wir machen, schlecht ausgehen muss, es heißt aber, dass Wesentliches nicht machbar ist: Auch ein Homo politicus mit den besten Absichten wird immer wieder erfahren, dass der Erfolg seines Handelns nicht in seiner Hand liegt und dass selbst auf den ersten Blick erfolgreiche Handlungen zu ganz anderen Resultaten führen können, als er gedacht hat. In gewisser Weise hat jede Realität etwas von der Aporia, der Aussichtslosigkeit, an sich, in Krisensituationen wird dies nur besonders deutlich. Angesichts anscheinender Ausweglosigkeit sollten wir nicht mutlos werden. Wenn wir keinen Ausweg sehen, heißt das nicht, dass es keinen Ausweg gibt. Daher sollten wir stets bereit sein zu gehen, und Möglichkeiten für kleine Schritte gibt es fast immer. Woher aber nehmen wir die Kraft und Zuversicht, noch da zu gehen, wo uns der Weg verborgen ist und das Gehen aussichtslos erscheint? Wir alle brauchen diese Kraft und Zuversicht, aber wie und in welcher Weise wir die Quelle von Kraft und Zuversicht erfahren und begreifen, ist eine zutiefst persönliche Angelegenheit. Wir möchten uns am Ende dieses Kapitels auf unvertrautes Terrain begeben und etwas aus unserer persönlichen Erfahrung wiedergeben. Seit über 25 Jahren ist für uns die Zen-Meditation ein wesentlicher Teil unseres Lebens geworden. Das Zen hat uns nicht zu Buddhisten gemacht; es hat uns aber gelehrt, auf die Weisheit der Religion zu hören. Auch zu dem, worum es in diesem Kapitel geht, hat die Religion Wesentliches zu sagen. Wir möchten eine Bemerkung aus dem Roman Tom Jones von Henry Fielding auf unser Thema beziehen. Dort heißt es: »… eine Seite des Evangeliums löst dieses Problem besser als alle Folianten der alten und neueren Philosophen« 1 . Das Evangelium kann uns keine Regeln einer gerechten Einkommensverteilung geben. Aber es kann uns an etwas erinnern, was wir in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft nicht ansprechen können: Wenn wir vorhin die theoretische Konzeption von Gerechtigkeit der Philosophie zuwiesen und die praktische Verwirklichung der Gerechtigkeit Im englischen Original heißt es: »… one page of the gospel teaches this lesson better than all the volumes of ancient and modern philosophers.«

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Teil 1 Grundlagen der Politischen Ökonomie

als Aufgabe der Politik bestimmten, so erinnert die Bibel daran, dass Gerechtigkeit darüber hinaus eine Dimension hat, die sich der Verfügung durch das menschliche Denken und Tun entzieht. Und gerade diese Dimension erscheint uns als die Quelle der Gerechtigkeit. Im 45. Kapitel, Vers 8, des Propheten Jesaja heißt es: »Taut, ihr Himmel, von oben,/ ihr Wolken lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor,/ sie lasse Gerechtigkeit sprießen.« Zur Gerechtigkeit, wie wir sie verstehen, gehört es, dass sie sowohl von unten wie von oben kommt. Von unten, aus der Erde, das bedeutet: Wir Menschen müssen uns mit allen Kräften der Vernunft und allem Einsatz unseres Herzens um Gerechtigkeit bemühen. Aber Gerechtigkeit kommt zuerst von oben, bevor sie unten in vernünftigen Vorstellungen gefasst werden kann. Von oben, d. h. aus einem Bereich, wo unser Machen und Tun nichts mehr vermag, kommt insbesondere die Kraft, die es uns ermöglicht, nach der Gerechtigkeit zu streben. Diese Kraft ist das Vertrauen. Aus der Quelle aller Religion kommt das Vertrauen und die Zuversicht, dass unser Tun, trotz aller Irrtümer und Versäumnisse und in aller Ausweglosigkeit, nicht vergeblich ist. Vertrauen benötigen wir, um Gerechtigkeit in unserem eigenen Handeln nach Möglichkeit wirksam werden zu lassen. Das Erkennen und Lösen der uns bedrängenden großen Probleme erfordert es, Wege jenseits der Disziplinen der Wissenschaften zu gehen. Als Wissenschaftler wissen wir jedoch nie, ob wir jenseits unserer Wissenschaft in der Realität festen Boden finden. Aus unserer Erfahrung gibt die Religion das Vertrauen, auch unter ungewissen Bedingungen gehen zu können. Das Matthäus-Evangelium hat dafür ein schlagendes, ja sogar provozierendes Bild gefunden, wenn es Petrus auf dem Wasser des Sees Genezareth Jesus entgegengehen lässt (Matthäus 14,22–33). In der Bibel finden wir in der Apostelgeschichte (4,32–35) das Bild einer Gemeinschaft des Vertrauens. Die Stelle, die wir zitieren, ist häufig als ein Hinweis auf kommunistische Strukturen in der frühchristlichen Gemeinde verstanden worden. Uns geht es bei dieser Stelle um etwas anderes. In dieser Geschichte wird klar gesagt, dass die Frage der Verteilungsgerechtigkeit nur gelöst werden kann, wenn die Gemeinschaft der Menschen nicht bloß eine Gemeinschaft der Interessen, sondern eine Gemeinschaft der Herzen ist. In dieser Gemeinschaft ist alle Abhängigkeit nur ein Anlass, wechselseitig füreinander da zu sein: 200 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion

»Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele. Auch sagte keiner von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung Jesu, und es war große Gnade bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte. Denn wie viele ihrer waren, die da Äcker und Häuser hatten, die verkauften dasselbe, und brachten das Geld des verkauften Gutes und legten’s zu der Apostel Füßen. Und man gab einem jeglichen, was er nötig hatte.« Das Entscheidende für uns an der Apostelgeschichte ist nicht die Gütergemeinschaft als solche, sondern das Vertrauen, das die Mitglieder in die Gemeinde und die Apostel selbst gesetzt haben. 2 – Vertrauen ist das Fundament jeder guten Gemeinschaft. Selbst die Wirtschaft kann nicht funktionieren, wenn die Wirtschaftssubjekte nicht einander vertrauen. Vertrauen ist ein Vorschuss, von dem man nie sicher weiß, ob man ihn zurückbekommt. Ist aber niemand bereit, ihn zu zahlen, dann gibt es keine Marktwirtschaft, vor allem aber gibt es keine Gemeinschaft. Vertrauen zwischen Wirtschaftssubjekten und Vertrauen in der Religion – das scheint etwas ganz Verschiedenes zu bedeuten, und das ist zunächst auch etwas Verschiedenes. Aber wenn in einer Gesellschaft das Vertrauen auf einer Ebene jenseits von Wirtschaft und Politik wegbricht, dann hat dies langfristig gefährliche Folgen für die Abläufe in Wirtschaft und Politik. Umgekehrt: Auch wenn das wesentliche Vertrauen, wie es nur die Religion gewährt, nicht in unserer Macht steht, wissen wir: Wann immer wir dieses Vertrauen erfahren und aus ihm heraus handeln, fällt die Resignation von uns ab. Der Grund für die Resignation, die heute unsere Wirtschaft und Gesellschaft an so vielen Stellen lähmt, ist eigentlich nur ein Mangel an Vertrauen. Unabhängig von Freude und Leid, unabhängig von Erfolg und Misserfolg ist Religion, wie wir sie erfahren, Einübung ins Vertrauen.

Wir wollen mit diesem Gedanken nicht sagen, dass das Vertrauen, das die Religion ermöglicht, zur Aufgabe des Privatbesitzes führen muss. Die moderne Wirtschaft beruht ja gerade darauf, dass all Wirtschaftsakteure Privatbesitzer sind. Vertrauen aber kann in der modernen Wirtschaft beispielsweise heißen, dass man der Organisation der Gemeinschaft, dem Staat, darin vertraut, dass er mit seinen Steuermitteln grundsätzlich sinnvoll umgeht. Das heißt, dass man Steuern nicht nur als eine Last betrachtet, die man versucht, mit allen Mitteln gering zu halten, sondern als einen legitimen Beitrag zum Leben der Gemeinschaft ansieht, was eine kritische Betrachtung des Umgangs mit Steuern keineswegs ausschließt.

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Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

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8. Nachhaltige Entwicklung – wissenschaftliches Konzept oder ethisch-politische Herausforderung? In Zusammenarbeit mit Frank Jöst

8.1 Einleitung In einer häufig zitierten Formulierung definiert Costanza (1991) Ökologische Ökonomie als »science and management of sustainability«. Der Erfolg dieser Definition verdankt sich der Tatsache, dass damit zwei Problemstellungen der gegenwärtigen Ökonomie zusammengeführt werden: die Frage nach dem Naturverhältnis menschlicher Wirtschaften (Ökologische Ökonomie) und die Frage nach ihrer langfristigen Fortdauer (sustainability – nachhaltige Entwicklung). Beide Problemstellungen sind nicht zwingend miteinander verknüpft, ja, es gibt gute Gründe, sie unabhängig voneinander zu betrachten (s. u. Kapitel 14). Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie im Rahmen der Paradigmen der Wirtschaftswissenschaften des 20. Jahrhunderts kaum adäquat begriffen werden können. Demgemäß nötigen sie dazu, die Grundlagen wirtschaftswissenschaftlicher Theoriebildung in einer neuen Weise zu untersuchen. Überdies sind Fragen der Nachhaltigkeit und Fragen der Ökologischen Ökonomie zumindest teilweise komplementär: Eine menschliche Wirtschaft, die einer Idee des guten Lebens entspricht, kann unmöglich einen gefühl- und respektlosen Umgang mit dem Dasein und Leben der außermenschlichen Natur praktizieren. Noch weniger aber kann den Menschen, die an einer solchen Wirtschaft teilhaben, das Dasein und die Lebensqualität zukünftiger Generationen von Menschen gleichgültig sein. In Teil 2 (Kapiteln 8 bis 11) werden Fragen behandelt, die sich auf den Umgang moderner Wirtschaften mit ihren Lebensgrundlagen beziehen (nachhaltige Entwicklung). In Teil 3 (Kapiteln 12 bis 15) geht es hingegen um Fragen der Ökologischen Ökonomie im engeren Sinne des Wortes. Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten wird eine Klärung des Begriffs Ökologische Ökonomie in Abgrenzung zu den Konzepten der Umweltökonomie und der Nachhaltigkeitsökonomie 204 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

in Kapitel 14 vorgenommen. Insgesamt aber versuchen alle folgenden Kapitel, gleichviel, ob sie sich primär auf Fragen der Nachhaltigkeit oder auf Fragen der Ökologischen Ökonomie beziehen, schrittweise die Beschränkungen und Engführungen zu überschreiten, die die Sicht der ökonomischen Standardtheorien des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Rückblickend wird dabei allerdings indirekt auch eine Stärke dieser Sicht deutlich. Die analytische Schärfe und die Operationalisierbarkeit der Grundkonzepte der mathematischen Ökonomik sind für die Konzepte der Nachhaltigkeitsökonomie oder der Ökologischen Ökonomie in absehbarer Zeit kaum zu erwarten. Somit werden operationale Vorschläge, die auf diesen Konzepten basieren sollen, noch auf lange Sicht auf Instrumentarien angewiesen sein, wie sie dem Umkreis der Theorie des Allgemeinen Gleichgewichtes oder ihrer spieltheoretischen Erweiterungen entstammen. In den Ausführungen des vorliegenden Kapitels wollen wir zum einen Gründe dafür untersuchen, warum es im Rahmen der gegenwärtigen Debatte schwierig, wenn nicht unmöglich ist, begrifflich eindeutige und methodisch klare Entwürfe für eine »nachhaltige Wirtschaft« zu entwickeln. Zum anderen wollen wir dazu beitragen, die wissenschaftlichen, politischen und die ethischen Fragen, die sich hinter dem Begriff der Nachhaltigkeit verbergen, sichtbar zu machen. Dabei werden wir den Begriff Nachhaltigkeit auf die natürlichen Lebensgrundlagen einer Wirtschaft beziehen, auf ihre Erhaltung und eventuelle Substitution durch Bildung von Kapitalgütern. Außer Betracht bleiben bewusst Fragen der Erweiterungen des Begriffs Nachhaltigkeit um soziale, politische und kulturelle Dimensionen. Denn mit diesen Erweiterungen ist die Gefahr gegeben, alles, was in einer Gesellschaft wünschenswert erscheint – von der Frauenförderung über die Erweiterung politischer Partizipation und die vernünftige Regelung der Einbürgerung bis zur Erhaltung kultureller Vielfalt – mit dem Etikett der Nachhaltigkeit zu versehen. Damit aber würde der Begriff Nachhaltigkeit jegliche Trennschärfe verlieren.

8.2 Was bedeutet und woher stammt der Begriff ›nachhaltige Entwicklung‹ ? Vor dem Hintergrund der Abnahme fossiler Rohstoffe und zunehmender Umweltzerstörung sind die Begriffe ›nachhaltige Entwick205 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

lung‹ oder ›Nachhaltigkeit‹ zu Schlüsselworten in der Debatte um eine Neuorientierung unserer Wirtschaft geworden. So haben die Vereinten Nationen dieses Jahrzehnt zur Dekade der »Bildung für nachhaltige Entwicklung« ausgerufen. 1 Statt zu klaren Konzepten zu führen, hat allerdings die Auseinandersetzung darüber, was damit gemeint sein könnte, häufig eher inhaltliche Verwirrung hervorgerufen. Das folgende Zitat scheint uns den gegenwärtigen Stand der Diskussion über das Thema Nachhaltigkeit zutreffend wiederzugeben: »Denn was ist nachhaltige Entwicklung? Wer könnte das leicht und kurz erklären? Wer kann es gedanklich begreifen, um es dann zu erläutern? Gleichwohl, was geht uns beim Reden leichter, vertrauter über die Lippen als nachhaltige Entwicklung? Beim Aussprechen des Begriffes verstehen wir, was er bedeutet, auch wenn andere ihn aussprechen. Was ist also nachhaltige Entwicklung? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.« Diese Sätze stammen von Augustinus (1980: 627; Confessiones Buch XI, 14,17). Allerdings haben wir das Wort ›Zeit‹ ersetzt durch die Wendung ›nachhaltige Entwicklung‹. Wir sind der Ansicht, dass in diesem verfremdeten Zitat etwas von den Schwierigkeiten heutiger Debatten über das Thema Nachhaltigkeit angemessen zum Ausdruck kommt. Viele von uns haben eine zutreffende Intuition über das Problem, das mit dem Begriff nachhaltige Entwicklung angesprochen wird. Formulierungen wie der Ausspruch, dass wir nicht so weiterwirtschaften können wie bisher, weil wir hierdurch unsere Lebensgrundlagen gefährden, drücken ein solches Problembewusstsein aus. Sie weisen allerdings nicht den Weg zu einem Konzept einer nachhaltigen Entwicklung, denn wir können nur schwerlich adäquat definieren, was Nachhaltigkeit ist. Bei dem Bemühen, das Problem zu verstehen, auf das der Begriff Nachhaltigkeit verweist, ist es hilfreich, sich kurz die Herkunft Am 20. Dezember 2002 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen auf Empfehlung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg, für die Jahre 2005 bis 2014 eine Weltdekade »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (Education for sustainable Development – ESD) auszurufen. Dabei wird das Ziel formuliert (vgl. www.dekade.org, o. J.), durch Bildungsmaßnahmen zur Umsetzung der in Rio beschlossenen und in Johannesburg bekräftigten Agenda 21, Kapitel 36, beizutragen und die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung weltweit in den nationalen Bildungssystemen zu verankern (siehe hierzu auch Faber/Manstetten 2003a: Kapitel 3).

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Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

dieses Begriffes zu vergegenwärtigen. Im Herbst 1983 beschloss die Generalversammlung der UNO auf ihrer 38. Sitzung die Einrichtung einer Kommission für Umwelt und Entwicklung. Im Herbst 1987 wurde der Abschlußbericht dieser Kommission unter dem Titel: »Our common future« auf der 42. Sitzung der UNO-Generalversammlung vorgelegt. In diesem Bericht wird die Forderung nach »sustainable development« für die heute lebenden und für alle zukünftigen Generationen formuliert. »Sustainable development« soll sicherstellen, dass die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen so befriedigt werden, dass hierdurch die Bedürfnisbefriedigung künftiger Generationen nicht gefährdet wird (Brundtland-Report 1987: 46). Diese Forderung beinhaltet eine neue Idee von wirtschaftlicher Entwicklung. Im deutschsprachigen Raum bürgerte sich bald die Wendung nachhaltige Entwicklung oder Nachhaltigkeit ein. Diese Ausdrücke sind ursprünglich aus dem traditionellen deutschsprachigen forstwirtschaftlichen Vokabular entlehnt. Dort spricht man von der nachhaltigen Entwicklung eines Waldes, die dann gegeben ist, wenn aus dem Wald langfristig nicht mehr Holz entnommen wird, als wieder nachwächst. Es bereitet konzeptionell keine Schwierigkeiten, diesen Begriff von der Waldwirtschaft auf die Bewirtschaftung regenerierbarer Ressourcen zu übertragen. So spricht man von einer nachhaltigen Fischereiwirtschaft ebenso wie von einer nachhaltigen Landwirtschaft. Weitaus größere, möglicherweise unüberwindbare Schwierigkeiten entstehen allerdings, wenn man das Konzept der Nachhaltigkeit auf alle derzeit genutzten Ressourcen und Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt anzuwenden versucht. Dabei ist zunächst jedoch eine Einschränkung zu machen: Heute wird der Begriff der Nachhaltigkeit häufig so verstanden, dass darin eine generelle Schonung, Erhaltung und Pflege der außermenschlichen Natur, etwa der Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten, mit eingeschlossen ist. Mit einem solchen Verständnis trifft man nicht die Intentionen des Brundtland-Reports (1987); denn in ihm ist Natur nur insoweit von Bedeutung, als sie Ressourcen der Bedürfnisbefriedigung für gegenwärtige und zukünftige Generationen enthält. Eine Erhaltung der Natur um ihrer selbst willen (und nicht um der menschlichen Lebensmöglichkeiten willen) ist damit nicht Gegenstand der Debatte über nachhaltige Entwicklung auf den Linien des Brundtland-Reports. Man kann diese Einschränkung kritisieren (s. u. Kapitel 14), sollte aber nicht übersehen, dass sie dazu beiträgt, den 207 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

Begriff nachhaltige Entwicklung im ökonomischen Sinne operational zu machen. Denn die Einschränkung auf menschliche Bedürfnisse erlaubt es, die wesentliche Anfrage in Bezug auf die Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Entwicklungen folgendermaßen zu formulieren: In welchem Maße ist der Gebrauch und Verbrauch natürlicher Ressourcen sowie der natürlichen Umwelt zulässig, wenn die menschliche Wirtschaft auf dieser Erde langfristig Bestand haben soll? Dieser Gesichtpunkt kann eine erste Orientierung für Modelle einer nachhaltigen Wirtschaft bieten. Wir sehen zwei Wege, diese Frage zu beantworten: der eine führt über die Wissenschaft, der andere Weg über den menschlichen Willen. Der erste Weg basiert auf wissenschaftlichen Überlegungen über die Tragfähigkeit (carrying capacity) der Erde. Hier geht es darum, aus wissenschaftlichen Einsichten über ökologische und ökonomische Systeme technische, politische und ökonomische Handlungsanweisungen zu formulieren. Daraus sollen sich die Rahmenbedingungen für die nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft ergeben. Der zweite Weg setzt bei ethischen Überlegungen an. Er geht davon aus, dass die Normen, Lebensgewohnheiten und Ansprüche (aus ökonomischer Sicht: Institutionen und Präferenzen) der Menschen in den heutigen westlichen Wirtschaften sich langfristig grundsätzlich ändern müssen, damit Menschen noch lange auf der Erde leben und wirtschaften können. Voraussetzungen einer solchen Änderung ist ein entschiedener Wille, der sich auch politisch artikuliert. Beide Wege stehen nicht im Widerspruch zueinander. Es ist aber aus methodischen Gründen sinnvoll, sie zunächst getrennt voneinander zu betrachten. Daher werden wir uns in den nächsten Abschnitten mit dem wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Weg beschäftigen, bevor wir uns anschließend dem ethischen Weg zuwenden.

8.3 Nachhaltigkeit als wissenschaftlich-technisch-ökonomisches Konzept – Substitution oder Erhaltung? Die bisher vorhandenen Modelle für eine nachhaltige Entwicklung einer Wirtschaft lassen sich anhand des Kriteriums unterscheiden, in welchem Maße sie Substitute für wesentliche Rohstoffe bzw. Schad208 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

stoffaufnahmekapazitäten unterstellen. 2 Idealtypisch kann man sich zwei extreme Formen von Modellen vorstellen, die wir im Folgenden als die »optimistische« und die »pessimistische« Perspektive der Nachhaltigkeit bezeichnen wollen. Die Optimisten gehen davon aus, dass es für alle (oder wenigstens für alle aus wirtschaftlicher Sicht unverzichtbaren) Funktionen der Natur, so weit diese als Rohstofflieferant und als Schadstoffempfänger angesehen wird, jeweils geeignete Substitutionsmöglichkeiten gibt. Das impliziert die Annahme eines sehr langen Zeithorizontes für die Wirtschaft: »Without this minimal degree of optimism, the conclusion might be that this economy is like a watch that can be wound only once: it has a finite number of ticks, after which it stops« (Solow 1992: 9). Was Solow zurückweist, ist die Befürchtung, dass »die Uhr einmal endgültig abgelaufen sein könnte«, mit anderen Worten, dass die Wirtschaft einmal für ihr Fortbestehen essentielle Ressourcen gänzlich aufgebraucht haben könnte. Es ist diese Befürchtung, die von den Pessimisten formuliert wird. In ihren Augen kann sich die Wirtschaft unmöglich so weit von der Natur als ihrer Lebensgrundlage abkoppeln, wie es die Optimisten annehmen. Vielmehr kann man ihr, so wie sie sich gegenwärtig entwickelt, nur einen endlichen und begrenzten Zeithorizont für ihr Fortbestehen zuschreiben, wobei dieses Ende in wenigen Jahrhunderten, ja vielleicht schon Jahrzehnten zu erwarten ist. Indem die Pessimisten die Möglichkeiten der Substitution für essentielle Ressourcen und Schadstoffaufnahmekapazitäten in Frage stellen, fordern sie: Eine an nachhaltiger Entwicklung orientierte Wirtschaft sollte die Natur nur in einem möglichst geringen Maße in Anspruch nehmen, um möglichst lange bestehen zu können. Sowohl der optimistischen als auch der pessimistischen Position kann ein Feld zugewiesen werden, wo sie jeweils eine gewisse Plausibilität besitzen. Manches spricht dafür, dass die Optimisten Recht behalten werden, was die natürlichen Ressourcen angeht, während andererseits die Anfragen der Pessimisten, was die natürliche Umwelt angeht, strukturell kaum befriedigend zu beantworten sind. Hinsichtlich der natürlichen Ressourcen könnten die Optimisten auf die bisherigen Erfahrungen aus der Geschichte verweisen: Zumindest die Gesellschaften des Westens haben in der VergangenEine ausführliche Diskussion dieser Probleme findet sich in Klauer (1998), siehe auch Faber/Jöst/Manstetten (1995).

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Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

heit ihre Ressourcenprobleme stets lösen können. So hat beispielsweise die zunehmende Holzknappheit im England des 18. Jahrhunderts einen starken Anreiz dargestellt, nach Substituten zu suchen. In der Tat wurde Holz nach und nach durch die reichlich vorhandene Kohle ersetzt. Dieser Substitutionsprozess ging einher mit zahlreichen Erfindungen und Innovationen, wie etwa der Erfindung und Einführung der Dampfmaschine (ursprünglich entwickelt zum Leerpumpen der tieferliegenden Stollen bei der Kohleförderung), die wiederum zum Ausgangspunkt für weitere Erfindungen und Innovationen wurde, die Technologien und Leben ganzer Gesellschaften umwälzten. Engpässe in der Versorgung mit essentiellen Ressourcen führten derart zur Entdeckung neuer Ressourcen und zu technischem Fortschritt. 3 Wer gegenüber dem Glauben an die grundsätzlichen Möglichkeiten der Substitution skeptisch ist, kann darauf hinweisen, dass für viele Umweltprobleme Lösungen nicht einmal denkbar, geschweige denn realisierbar erscheinen. Viele technische Lösungen dieser Probleme in den letzten Jahrzehnten hatten zur Folge, dass Umweltschädigungen von einem Umweltmedium auf ein anderes übertragen wurde (s. u. Kapitel 10). So löste die Papierindustrie ihre Abwasserprobleme durch die Errichtung von Kläranlagen, in denen große Mengen von toxischen Klärschlämmen anfielen. Diese mussten entweder in Sondermülldeponien aufwändig gelagert oder in besonderen Müllverbrennungsanlagen verbrannt werden. Derart mutierte das Problem von der Verschmutzung des Wassers zu einem Problem der Luftverschmutzung oder der festen Abfälle. Besonders gravierend erscheinen heute die aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe in Produktion und Konsum hervorgehenden Klimaprobleme, für die eine praktikable Lösung bisher nicht absehbar ist. Für die Entsorgung nuklearer Abfälle gibt es nicht einmal eine theoretische Lösung. Allerdings wird man vielfach aufgrund unseres Unwissens (vgl. Faber/Manstetten/Proops 1992 und 1996) im Vorhinein nicht angeben können, ob die Optimisten oder die Pessimisten im Recht sind. Auf der Basis unseres heutigen Wissens ist es häufig eine Sache des Ein weiteres Beispiel für die Substitution von Rohstoffen, den damit verbundenen technischen Fortschritt sowie die damit einhergehende Umweltschädigungen findet sich in Kapitel 10 im Zusammenhang mit Betrachtungen zu Umwälzungen der europäischen Textilindustrie im 18. Jahrhundert, die zur Entwicklung der Soda-Chlor-Chemie führten.

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Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

Glaubens, ob man sich der optimistischen oder der pessimistischen Position anschließt.

8.4 Der wirtschaftswissenschaftliche Zugang zur nachhaltigen Entwicklung Wirtschaftswissenschaftler, vor allem aus dem Bereich der Ökologischen Ökonomie, haben Konzepte entwickelt, in denen versucht wird, die optimistische und die pessimistische Perspektive zu operationalisieren (vgl. Klauer 1998). Für die optimistische Perspektive wurde das Kriterium der sogenannten schwachen Nachhaltigkeit aufgestellt (Pearce/Atkinson 1993; Turner/Pearce/Bateman 1994; vgl. Ott/Döring 2004). Gefordert wird dabei, dass jeder Verbrauch von natürlichem Kapital – gleichviel, ob es sich um erneuerbare oder nichterneuerbare natürliche Ressourcen oder um Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt handelt – durch eine zumindest entsprechende Menge an menschengemachtem Kapital ersetzt werden sollte. Anzumerken ist, dass diejenigen Forscher, die dieses Kriterium aufgestellt haben, sich darüber im Klaren sind, dass damit allenfalls eine notwendige, keinesfalls aber eine hinreichende Bedingung für nachhaltige Entwicklung formuliert wird. Demgegenüber fordert das Kriterium der starken Nachhaltigkeit, das aus einer pessimistischen Sicht heraus formuliert wurde, dass bestimmte Grenzen des Naturverbrauchs keinesfalls überschritten werden dürfen (vgl. Turner/Pearce/Bateman 1994: 56). Starke Nachhaltigkeit impliziert die Annahme, dass die Möglichkeit der Substitution von natürlichem durch menschengemachtes Kapital nur in begrenztem Umfang besteht. Wenn wir aber Konzepte nachhaltiger Entwicklung für eine ganze Wirtschaft aufstellen wollen, müssten wir die Frage, ob die Optimisten oder die Pessimisten recht haben, beantworten können. Dazu müsste Wissen über alle für die Wirtschaft wesentlichen Faktoren in Natur und Gesellschaft sowohl bezüglich der Gegenwart als auch bezüglich der Zukunft zur Verfügung stehen. Nur wenn dies der Fall wäre, könnten Wissenschaftler genaue Vorgaben für eine nachhaltige Wirtschaft liefern. Stellen wir uns vor, dieser Fall wäre gegeben. Wie könnten die Vorgaben der Wissenschaftler aussehen? Nehmen wir als Beispiel den Verbrauch fossiler Energieträger und die Folgen für die Umwelt, 211 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

insbesondere für das Klima (vgl. Proops/Faber/Wagenhals 1993; Jöst 1994). Unter der Annahme, dass alle wesentlichen Daten und Gesetzmäßigkeiten bekannt sind, könnte man sich folgenden Ablauf vorstellen: Die Geologen geben an, in welchen Mengen Öl, Kohle und Erdgas auf der Erde vorhanden sind. Ökologen und Klimaforscher legen fest, in welchem Umfang fossile Energieträger verbrannt werden dürfen, damit keine gravierenden Klimaänderungen eintreten und die Ökosysteme sich allmählich anpassen können. Die Ingenieure geben an, über welche Techniken wir verfügen und welche Verfahren zur Energieversorgung und -einsparung uns in Zukunft zur Verfügung stehen werden. Daraus können Wissenschaftler ableiten, wann die Substitution von nichterneuerbaren durch regenerierbare Ressourcen angebracht ist. Aus diesen Informationen können Politiker im Diskurs mit Naturwissenschaftlern und Ökonomen Grenzwerte für die Emissionen klimarelevanter Spurengase festlegen. Vor diesem Hintergrund werden sie entscheiden, durch welche ordnungsrechtlichen Instrumente (Emissionsgrenzen, Emissionsziele) oder ökonomischen Instrumente (Abgaben auf Emissionen, handelbare Lizenzen etc.) die Einhaltung dieser Grenzwerte gesichert werden soll. Innerhalb dieser vorgegebenen Grenzwerte können die Wirtschaftssubjekte ihre eigenen Pläne verfolgen. Zugleich haben sie die Sicherheit, dass sich daraus keine Übernutzung der Ressourcenausstattung und keine schädlichen Auswirkungen für die Umwelt ergeben. Indem sie diese Vorgaben einhalten, nehmen sie auch ihre Verantwortung für zukünftige Generationen wahr. Was hier am Beispiel des Verbrauchs fossiler Energie illustriert wurde, haben Umwelt- und Ressourcenökonomen zu verallgemeinern versucht: Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts geht es ihnen um Methoden, mit denen sich eine ganze Wirtschaft in Bezug auf die Nachhaltigkeit ihrer Entwicklung darstellen lässt. Als Nachhaltigkeitsindikator dient ihnen ein besonderer Begriff des Bruttosozialproduktes, der sich darin von den gängigen Konzepten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung unterscheidet, dass er um die Dimension nachhaltigkeitsrelevanter Größen erweitert wird. Dass diese Erweiterung sinnvoll ist, mögen zwei Beispiele illustrieren. Wird ein großer Fluss wie der Rhein so sehr verschmutzt, dass in seinem Wasser keine Fische mehr leben können und man darin nicht mehr schwimmen kann – geschweige denn, dass dieses Wasser als Trinkwasser verwendet werden könnte, so taucht diese Verschmutzung im Bruttosozialprodukt nach gängiger Messung 212 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

nicht als volkswirtschaftlicher Verlust auf. Die Verschmutzer der Vergangenheit konnten daher ihre Abwässer in den Fluss lange Zeit kostenfrei einleiten, 4 die Schäden, die daraus hervorgingen, wurden unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nirgendwo verbucht. Wohl aber schlugen die nun notwendig gewordenen Filteranlagen in den Wasserwerken längs des Rheines und die Kläranlagen, die die Verschmutzung weitgehend rückgängig machen sollten, in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechung positiv zu Buche. So hat – bei sonst identischem Output – auf dem Papier eine Gesellschaft, die einen sauberen Rhein besitzt, ein geringeres Bruttosozialprodukt als diejenige Gesellschaft, die durch umfangreiche und kostspielige Reinigungsmaßnamen eine vergleichbare Sauberkeit des Flusses erreicht. Ein weiteres Beispiel: Die über Deutschland niedergehenden Regenmengen tauchen im gängigen Bruttosozialprodukt nicht auf. Würde aber der Regen in Deutschland über mehrere Jahre hinweg ausfallen, so sähe schon aufgrund der Probleme der Wasserversorgung die Wirtschaft in Deutschland ganz anders aus. Trotz gelegentlich zerstörerischer Wirkungen von extremen Niederschlägen gehört ausreichender Regen zum Reichtum eines Landes, taucht gleichwohl aber nicht in den Rechnungen auf, in denen sich ein Land über seinen Reichtum und seine Entwicklung klar werden will. Ein weiterer Vorteil einer Diskussion über nachhaltige Entwicklung im Rahmen der Auseinandersetzungen über das Bruttosozialprodukt und seine Umweltkomponenten liegt darin, dass Argumentationen, die diesen Begriff verwenden, vergleichsweise leicht die Öffentlichkeit erreichen. So ungenau die Angaben, sein mögen, die Höhe und Veränderungen eines erweiterten Bruttosozialproduktes betreffen, sie könnten in jedem Fall dafür sorgen, dass neue und notwendige Fragestellungen in die öffentliche Diskussion über das Wirtschaftswachstum einfließen. »The clarity brought to the idea of sustainability could lift the policy debate to a more pragmatic, less emotional level« (Solow 1992: 19).

Hier brachte in der Bundesrepublik Deutschland erst die Abwassergesetzgebung der siebziger Jahre eine Wende.

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Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

8.5 Grenzen der wissenschaftlich-technischen-ökonomischen Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung Alle ökonomischen Modelle für eine nachhaltige Entwicklung beruhen auf starken Voraussetzungen, von denen zu fragen ist, inwieweit diese tatsächlich gegeben sind. Drei dieser Voraussetzungen wollen wir genauer erläutern. Die erste Voraussetzung betrifft allgemeine Aspekte des Umgangs mit zeitlichen Zusammenhängen, die zweite bezieht sich auf die Bedeutung von Komplexität, Unsicherheit und Unwissen für Konzeptionen einer nachhaltigen Entwicklung, die dritte erstreckt sich auf die Schwierigkeiten der politischen Durchsetzbarkeit von Konzepten der Nachhaltigkeit. 1. Zunächst setzen Modelle wie die im vorigen Abschnitt angeführten voraus, dass zwei wesentliche Fragen beantwortet sind: (i) Zum einen muss man entschieden haben, für wie viele zukünftige Generationen die Ressourcen und die Aufnahmefähigkeit der Umwelt für Schadstoffe ausreichen sollen. Hier geht es, in der Sprache der Ökonomen ausgedrückt, um die Bestimmung der Länge des Zeithorizontes. (ii) Zum anderen muss man entschieden haben, wie viel Verzicht man den gegenwärtig lebenden Menschen zugunsten zukünftiger Generationen zumuten kann. Diese Frage betrifft, ökonomisch gesprochen, die Zeitpräferenz bzw. die soziale Diskontrate (z. B. Lind 1982; Faber/Stephan/Michaelis 1989, Kapitel 6). Derartige Entscheidungen sind ihrer Natur nach nicht wissenschaftlich, sondern basieren auf ethischen Erwägungen. Schlaglichtartig lassen sich die Schwierigkeiten, die mit diesen Entscheidungen verbunden sind, an folgendem Beispiel verdeutlichen: Bei einer Auseinandersetzung über die langfristige Ausrichtung der Energiepolitik auf staatlicher Ebene sollten angesehene Experten die ihrer Ansicht nach angemessene Höhe der sozialen Diskontrate angeben: Die Vorschläge schwankten zwischen 2 % und 20 % (Lind 1982: 9). Je nachdem, welche Diskontrate man zugrundelegt, ergeben sich jedoch völlig unterschiedliche langfristige Entwicklungspfade für die Wirtschaft. – Man muss sich allerdings auch angesichts derartiger anscheinend unentscheidbarer Fragen für eine bestimmte Antwort entschieden haben, bevor man überhaupt daran denken kann, konkrete Modelle einer nachhaltigen Wirtschaft zu entwerfen. 2. Die Naturwissenschaften, Techniker und Ökonomen müssen, wie bereits angedeutet, jeweils alle wesentlichen Daten innerhalb ihrer Bereiche kennen. Dann könnten sie daraus ein intertemporales 214 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

Preissystem berechnen, das als Leitlinie für eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wirtschaft dienen könnte. Es ist klar, dass kein Wissenschaftler eine solche umfassende Anforderung an die Qualität seiner Daten erfüllen kann. Dies gilt besonders dann, wenn man die Umweltprobleme in ihrer zeitlichen Vernetzung sieht. Zwischen ihrer Verursachung (meist durch wirtschaftliche Aktivitäten) und ihrem Sichtbarwerden in der Wahrnehmung der Umwelt durch die Menschen besteht häufig ein großer zeitlicher Abstand. Dies gilt etwa für den sogenannten Treibhauseffekt: Das CO2 und andere klimawirksame Stoffe, die bei Produktion und Konsum entstehen, entfalten ihre klimarelevanten Effekte erst mit großer zeitlicher Verzögerung. Das erschwert die Wahrnehmung solcher Zusammenhänge. Dazu kommen Unsicherheit und Unwissen in Bezug auf Art und Größe der Schädigung, wie sie durch solche Stoffe verursacht wird. Unter diesen Umständen aber erscheint jede Festlegung von Grenzwerten beliebig. Das Klimaproblem zeigt, wie schwierig, wenn nicht unmöglich wissenschaftlich-technisch-ökonomische Lösungen von Umweltproblemen vielfach sind. Die Konsequenzen der gegenwärtigen Produktion und des gegenwärtigen Konsums über lange Zeit hinweg zu erkennen und angemessen zu bewerten, überfordert häufig unsere Erkenntnismöglichkeiten. Ressourcenprobleme scheinen im Gegensatz dazu wenigstens theoretisch leichter zugänglich, weil man sich bei ihrer Beschreibung auf vergleichsweise wenige Parameter beschränken kann und für viele Rohstoffe Märkte existieren. 3. Eine weitere implizite Annahme, die in wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Modellen nachhaltiger Entwicklung vorausgesetzt wird, geht davon aus, dass die Grenzwerte, die sie vorschlagen, im politischen Prozess akzeptiert und gesetzlich festgelegt werden. Dies ist aber keineswegs selbstverständlich. Denn selbst wenn man für die »richtigen« Grenzwerte die idealen technischen Lösungen theoretisch gefunden hätte, ist es fraglich, ob solche Lösungen politisch durchsetzbar wären. Alles spricht dafür, dass die Freiheit der Individuen, gemäß ihren Bedürfnissen zu leben, durch eine an nachhaltiger Entwicklung orientierte Wirtschaftspolitik stark eingeschränkt würde. Insbesondere ist zu erwarten, dass die Umstellung der Wirtschaft auf eine von der Naturwissenschaft als nachhaltig angesehene Entwicklung Eingriffe erfordern würde, die drastische Veränderungen in der bestehenden Einkommens- und Vermögensverteilung zur Folge hätten. Die Public Choice (vgl. Kapitel 4) hat mit guten Gründen darauf bestanden, dass für so weitreichende 215 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

Maßnahmen ein Konsens in der Gesellschaft erforderlich ist, weil andernfalls der Widerstand der negativ Betroffenen zu ihrem Scheitern führen würde. In diesem Zusammenhang braucht man nur an die Schwierigkeiten zu denken, für die Länder wie Japan oder Norwegen ein Walfangverbot durchzusetzen oder in der Bundesrepublik ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. Manches spricht dafür, dass viele Modelle nachhaltiger Entwicklung hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit stillschweigend die Annahme eines allmächtigen Staates treffen, der als unparteiischer und wohlwollender Diktator agiert. 5 Die bisherigen Überlegungen mögen, was die Verwirklichungschancen einer nachhaltigen Entwicklung angeht, einen eher pessimistischen Eindruck hinterlassen. Dieser Eindruck aber entsteht nur dann, wenn man sich ausschließlich auf den wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Weg zur Nachhaltigkeit fixiert. So unverzichtbar dieser Weg ist, er ist keineswegs hinreichend, um zu einer nachhaltigen Entwicklung zu gelangen. Auf der einen Seite hat das Vertrauen in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft Züge der Überheblichkeit – nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass Wissenschaft, Technik und Wirtschaft nicht wenig dazu beigetragen haben, dass die gegenwärtige Entwicklung nicht nachhaltig ist – auf der anderen Seite kann es für alle beteiligten Wissenschaftler, Techniker, Politiker, Unternehmer, Manager und sonstigen Staatsbürger eine enorme Belastung darstellen, ein so umfassendes Problem wie die Umstellung unserer Wirtschaft in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung ausschließlich durch wissenschaftlich-technisch-ökonomische Maßnahmen zu bewerkstelligen. Überheblich ist diese Vorstellung, weil sie unterstellt, dass die Wissenschaftler alles wissen, die Techniker, Unternehmer und Politiker alles tun können. Eine Last ist diese Vorstellung, weil sie gerade für die verantwortungsbewussten Entscheidungsträger eine strukturelle Überforderung darstellt. Unsere bisherigen Überlegungen zum wissenschaftlich-technischen-ökonomischen Konzept der Nachhaltigkeit zeigen, auf welche Grenzen der Versuch stößt, auf wissenschaftlich-technisch-ökonomische Weise im politischen Prozess einen Entwicklungspfad für eine nachhaltige Entwicklung festzulegen. Wir haben aber bereits darauf hingewiesen, dass es noch einen zweiten Weg gibt, sich mit dem Problem der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Dieser setzt Zu Problemen politischer Durchsetzbarkeit und Verfassungsfragen vgl. Buchanan/ Tullock (1962), Bernholz/Faber (1986) und Mueller (1995).

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216 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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bei ethischen Erwägungen an. Wir wollen ihn den Weg des Willens nennen.

8.6 Regeln für nachhaltiges Wirtschaften – Naturgesetze oder Pflichten? Hans Jonas (1985: 91) hat in Anlehnung an Kant einen »Kategorischen Imperativ« formuliert, das »ist der Imperativ, dass (kursiv im Original) eine Menschheit sei«, m. a. W. fordert er, dass es Menschen gibt. Daraus folgt »dass wir eine Pflicht zum Dasein (kursiv im Original) künftiger Generationen haben« (ibid.: 86). Wenn Jonas (ibid.: 36) formuliert: »Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden«, so sieht er darin eine Verpflichtung des Menschen, alles zu unterlassen, was die Permanenz menschlichen Lebens auf Erden gefährden könnte. Für die Ökonomie hat Solow (1992: 15) hervorgehoben, dass die Einsicht in die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens unserem wirtschaftlichen Handeln Pflichten auferlegt. Die Frage nach verbindlichen Pflichten als den Leitfaden menschlichen Handelns gehört in das Gebiet der Ethik. Pflichten haben nur dann Sinn und Bedeutung, wenn sie (i) als solche erkannt sind und wenn (ii) ein Wille wenigstens denkbar ist, dem es darum geht, sie einzuhalten. Im Gegensatz zum Begriff des Wunsches impliziert der Begriff des Willens die Bereitschaft, alles, was möglich ist, dafür zu tun, damit das Gewollte Wirklichkeit wird. Wo die Bemühung zur Verwirklichung fehlt, kann von einem Willen nicht die Rede sein. Auch Pflichten, die sich aus Erwägungen über eine nachhaltige Wirtschaft ergeben, appellieren an die Einsicht und den Willen des Einzelnen sowie an die Einsicht und den Willen der Gesellschaft, wie er sich in den Diskursen der Öffentlichkeit vorbereitet und im politischen Prozess artikuliert. Pflichten haben einen anderen Status als Naturgesetze, weil sie (iii) Handlungsfreiheit voraussetzen. Wir können dies an einem Beispiel demonstrieren. Das Fallgesetz ist ein Naturgesetz. Aus diesem Naturgesetz kann man u. a. herleiten, dass ein Mensch, der am Rande einer tiefen Schlucht steht, mit einer berechenbaren kinetischen Energie auf dem Talboden auftreffen wird, wenn er einen Schritt nach vorne tut. Ein Naturgesetz sagt aber weder etwas darüber aus, ob der Mensch diesen Schritt tun wird oder nicht, noch darüber, ob er 217 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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ihn tun darf oder nicht. Was der Mensch tun wird, sagt uns kein Gesetz mit hinreichender Sicherheit, was er tun darf, können wir nur aufgrund einer Norm bestimmen. Eine solche Norm könnte etwa besagen, dass ein Mensch sich nicht selbst töten darf. Aber selbst wenn diese Norm allgemein als Pflicht, sein Leben zu erhalten, anerkannt ist, ist damit nicht ausgeschlossen, dass ein Mensch sich unter bestimmten Umständen das Leben nimmt. Das Naturgesetz kann zwar eine Wenn-dann-Beziehung aufstellen, und die Pflicht kann beinhalten, dass ein bestimmter Fall »Wenn« nicht eintreten darf. Dennoch kann dieser Fall trotzdem eintreten, weil ein Mensch sich frei dazu entscheiden kann, die Pflicht zu übertreten. Zum Wesen der Pflicht gehört immer die Freiheit. Diese setzt die Möglichkeit voraus, dass man sich gegen das, was die Pflicht gebietet, entscheiden kann. Man kann dieses Beispiel auf das Problem der Implementierung naturwissenschaftlicher Grenzwerte übertragen. Naturwissenschaftler mögen aufgrund ihrer Kenntnis über Naturgesetze und aufgrund ihrer Einsicht in die entscheidenden Daten festgestellt haben: Wenn bestimmte Grenzwerte im Rohstoffverbrauch oder der Umweltnutzung überschritten werden, dann kann die menschliche Wirtschaft längerfristig nicht existieren. Diese Grenzwerte können in die Gesetzgebung übernommen werden. Aus solchen Grenzen ergeben sich bestimmte Pflichten für jeden Einzelnen. Die Verwirklichung solcher Pflichten ist aber zu einem großen Teil von der Bereitschaft der Einzelnen abhängig, sie einzuhalten. Zwar kann eine vereinzelte Übertretung sanktioniert werden. Wenn aber eine große Anzahl von Menschen nicht bereit ist, sich an die Gesetze zu halten, wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, ihre Einhaltung durch polizeiliche Maßnahmen durchzusetzen. Was für alle Gesetze gilt, gilt auch für Gesetze, die die Grenzwerte einer nachhaltigen Wirtschaft festlegen: Die Erfüllung der aus ihnen hervorgehenden Pflichten basiert letztlich immer auf dem Willen einer großen Mehrzahl der Mitglieder einer Gesellschaft, sie einzuhalten. Wir sind von dem hypothetischen Fall ausgegangen, dass Naturwissenschaftler und Techniker in der Lage sind, »objektive« Grenzwerte für eine nachhaltige Wirtschaft festzulegen. Wir haben jedoch oben bereits gezeigt, dass es in vielen Fällen vermessen wäre, eine konkrete Norm in Form von Grenzwerten aus den Erkenntnissen der Wissenschaft formulieren zu wollen. Die Wissenschaft kann bestenfalls Anhaltspunkte liefern. So bleibt ein großer Spielraum für politische und individuelle Entscheidungen. Die Entschiedenheit für 218 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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eine nachhaltige Wirtschaft hat insofern immer eine offene, nicht wissenschaftlich abgesicherte Seite.

8.7 Der Wille zur Nachhaltigkeit: Fairness zwischen den Generationen Im Rahmen der Diskussion über die Nachhaltigkeit ist es klar, dass der entschiedene Wille, den man fordert, ein Wille sein muss, hinsichtlich der Erhaltung der Lebensgrundlagen für künftige Generationen das Rechte zu tun und das Unrechte zu meiden. Der Wille, das Rechte zu tun und das Unrechte zu meiden, wird in der philosophischen Tradition ein guter Wille genannt. Wer aufgrund eines guten Willens handelt und zusätzlich die rechte Einsicht mitbringt, der handelt gerecht. In diesem Sinne ist auch die Forderung nach einer nachhaltigen Wirtschaft eine Forderung nach Gerechtigkeit in einem besonderen Feld. Der Inhalt der Gerechtigkeit in Bezug auf die Nachhaltigkeit ist nach Toman (1992: 4) »Fairness« zwischen den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen »… intergenerational fairness is a key component of sustainability.«. Ähnlich äußert sich Redclift (1993: 8), der in diesem Zusammenhang von »intergenerational equity« spricht. Die Forderung nach einer derartigen »Fairness« oder recht verstandenen Gleichheit wirkt einleuchtend. Allerdings ist zu fragen: Was ist »fair« zwischen aufeinanderfolgenden Generationen? Nach welchen Kriterien wird Gleichheit zwischen ihnen hergestellt? Eine Antwort auf diese Frage bietet Solow (1992: 15), indem er den Gehalt der »Pflicht« zur Nachhaltigkeit aufgrund des folgenden Kriteriums formuliert: »The duty imposed by sustainability to bequeath to posterity not any particular thing … but rather to endow them with whatever it takes to achieve a standard of living at least as good as our own and to look after the next generation similarly.« Fast alle Anhänger der Idee einer nachhaltigen Wirtschaft formulieren ähnliche Kriterien. Vielfach ohne es zu wissen, stehen sie damit in einer Tradition, die sich bis auf Aristoteles zurückführen lässt, der seinerseits Vorstellungen aufgriff, wie sie in fast allen Kulturen seiner Zeit existierten: Gerechtigkeit im Tausch orientiert sich an einer gewissen Gleichheit von Gabe und Gegengabe; man soll nicht weniger geben, als man empfangen hat (vgl. Aristoteles, Die 219 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Nikomachische Ethik: 1332b 12–20). Auch wenn es keinen direkten Austausch zwischen gegenwärtigen und künftigen Generationen gibt, scheint es doch angemessen zu sagen: Eine Wirtschaft ist nur dann nachhaltig, wenn sie der nächsten Generation nicht weniger Lebensmöglichkeiten weitergibt, als sie selbst von der vorausgehenden Generation empfangen hat.

8.8 Nachhaltigkeit und Nichtsättigung Dass Nachhaltigkeit Pflichten impliziert, sagt noch nichts Genaues über das, was daraus für das praktische Handeln folgt. Im Gegenteil, die Erläuterung der Pflicht zur Nachhaltigkeit, so einleuchtend diese Pflicht auf den ersten Blick scheint, konfrontiert uns mit nicht geringen Schwierigkeiten. Wenn man im Sinne von Solow (1992: 15) fordert, zukünftige Generationen müssten mit einem Lebensstandard ausgestattet werden, der so gut ist wie der unsere, so müssen vor der Erfüllung der Forderung u. a. folgende Fragen beantwortet werden: Wie gut ist unser Lebensstandard, und wann kann man somit einen bestimmten Lebensstandard als so gut wie den unseren bezeichnen? Geht es nur um die Ausstattung mit Ressourcen und Kapitalgütern, oder geht es auch um die Qualität von Lebensweisen und Umgangsformen, um Menschenrechte und politische Partizipation? Gehört es nicht auch zu unserem Lebensstandard, dass wir nach mehr Wohlstand streben in der begründeten Aussicht, es könnte uns in Zukunft noch besser gehen? Müssten wir nicht ohne eine solche Aussicht unseren Lebensstandard weitaus geringer einschätzen? Alle diese Fragen haben nicht unmittelbar mit dem Leben künftiger Generationen zu tun, aber dafür umso mehr mit unserem eigenen. In der Frage aber, ob nicht die Aussicht auf ein Wachstum des Wohlstandes mit zu unserem Lebensstandard gehöre, spiegelt sich ein zentrales Problem, das in einem zentralen anthropologischen Prinzip der gegenwärtigen Ökonomik ausgedrückt wird: Es handelt sich um die sogenannte Annahme der Nichtsättigung. Implizit wird diese Annahme angesprochen, wenn ökonomische Modelle davon ausgehen, dass für jede Person bestimmte Güter knapp sind (Alchian/Allen 1974: 21). Alchian und Allen (ibid.) illustrieren das Prinzip der Nichtsättigung in ihrem weitverbreiteten Lehrbuch folgendermaßen: »Despite work, we are unable to produce enough to satisfy 220 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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all the wants of all people all the time. Desires for more goods exceed known bounds. People prefer more. Even affluent America is a society of scarcity. Choices among opportunities are still required: better hi-fi equipment, wall-to-wall carpeting, walnut panelling, longer vacations. There are conflicting demands for more missiles, airplanes, hospitals, schools, highways and houses – and for more foreign aid to buy peace and influence and to foster foreign economic growth. Nature simply has not provided enough to satiate desires of every living being – not merely people but animals and plants, for they, too, are busily claiming all the earth«. Hildenbrand und Kirman (1976: 44) bemerken zur Nichtsättigungs-Annahme: »This is a strong assumption in that it says no matter what one’s level of consumption, a bundle with slightly more of anything is preferred to what one has. This amounts to saying that individuals are greedy and when we come to study the choices that individuals make, the significance of such an assumption will become clear«. Für moderne ökonomische Theorien ist die Annahme der Nichtsättigung von Individuen in der Regel selbstverständlich (Mueller 1995: 1; s. o. Kapitel 1, Abschnitt 1.6). Die ethischen Probleme, die hinter dieser Annahme verborgen sind, werden jedoch offensichtlich, wenn man sie aus einem anderen Blickwinkel als dem der modernen Welt betrachtet. Dann wird es möglich, in das Zentrum der ökonomisch-ethischen Fragen zu gelangen, die mit dem Problem der Nachhaltigkeit in Verbindung stehen. Schon immer waren Denker, die sich mit der Wirtschaft beschäftigten, der Ansicht, dass alles Wirtschaften in irgendeiner Weise auf das Problem der Bedürfnisbefriedigung zu beziehen sei. Die Theorien der Wirtschaft, die vor der Neuzeit entstanden, gingen davon aus, dass das Ziel des Wirtschaftens darin liege, das rechte Maß an Bedürfnisbefriedigung zu finden und dafür die nötigen Mittel zu liefern. Ein Zuviel an materiellen Gütern galt als ebenso schädlich wie ein Zuwenig. Dabei wurde für die menschlichen Bedürfnisse ein inneres Maß vorausgesetzt. Es wurde als eine ethische Aufgabe des Menschen angesehen, dieses natürliche Maß in sich zu finden; denn daraus ergab sich ebenso natürlich eine Grenze für den Bedarf an Gütern. Denker wie Aristoteles, die solche Gedanken lehrten, sahen das wirtschaftliche Handeln immer im Horizont eines umfassenden menschlichen Strebens nach Glückseligkeit (vgl. Aristoteles, Politik: 1252b 28–1253a 6). Eine gewisse Güterausstattung ist für ein gutes 221 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Leben zwar eine notwendige, keineswegs aber hinreichende Voraussetzung. Aristoteles sah indes, dass es Menschen gab, die sich nicht um ein gutes Leben in der Gemeinschaft bemühten, sondern ihr ganzen Streben darauf richteten, immer mehr Güter zu haben, als sie bereits hatten (vgl. Aristoteles, Politik 1257b 40–1258a 8). Eine solche Einstellung nannte Aristoteles Pleonexia (»Mehr-und-mehr-haben-Wollen«; Politik: 1257b 40–1258a 6). Eine Gesellschaft, in der die Individuen nicht fähig seien, ihre Bedürfnisse auf das Maß einzugrenzen, das für ein gutes Leben erforderlich sei, müsste, so nahm er an, notwendig untergehen. Im Gegensatz hierzu hält die neuzeitliche Ökonomik das Streben, immer mehr haben zu wollen, für ein Wesensmerkmal des Menschen. Freiwillige Selbstbeschränkung eines Menschen erscheint als Ausnahme von der Regel. Für neuzeitliche Ökonomen ist es eine selbstverständliche Annahme, dass Menschen in der Regel mehr wollen, als sie haben. Diese Annahme wird als Nichtsättigungsannahme formuliert. Aus der Perspektive der ganzen Wirtschaft erscheint ein solches Streben gemäß der modernen Ökonomik sogar als wünschenswert, denn es führt in seinen Resultaten zu einer sich ständig verbessernden Güterausstattung (Reich 1991: 18 und 40 ff.; s. o. Kapitel 1, Abschnitt 1.7 und Kapitel 5). Die Nichtsättigungsannahme hat allerdings eine Bedeutung, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Sie hat nämlich dazu geführt, dass sich die moderne Ökonomik nie das Problem des Willens und des gerechten Handelns stellen musste. Im Rahmen ökonomischen Handelns, wie es etwa die Theorie des Allgemeinen Gleichgewichts (Debreu 1959) oder die Spieltheorie (Kreps 1990) unterstellt, sind die Ziele der Akteure weder gerecht noch ungerecht. Sie drücken einzig neutrale Präferenzen von Individuen aus. Die einzige Verantwortlichkeit der wirtschaftlich handelnden Menschen besteht darin, den gegebenen rechtlichen Rahmen nicht zu überschreiten (s. o. Kapitel 4). Unser heutiger Lebensstandard hat zweifellos zur Voraussetzung, dass vergangene Generationen mit ihrem Lebensstandard nicht zufrieden waren und nach Mitteln suchten, ihn zu erhöhen. Eine wichtige Voraussetzung war dabei, dass die Natur in entsprechendem Ausmaße die notwendigen Ressourcen bereitstellte. Diese Voraussetzung wurde allerdings in der Vergangenheit von Ökonomen kaum thematisiert. Wenn man nun bedenkt, dass die Annahme der Nichtsättigung ein grenzenloses Wachstum der Bedürfnisse impliziert, so müsste diesen wachsenden Bedürfnissen, wenn sie auch 222 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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künftig stets in einem vergleichbaren Ausmaß erfüllt werden sollten, eine tendenziell grenzenlose Menge an Ressourcen (und Schadstoffaufnahmekapazitäten) entsprechen. Es war eine Leistung der modernen Ökonomik zu zeigen, dass Nichtsättigung der Individuen zu einem gesamtwirtschaftlich wünschenswerten Resultat führen kann – zu einem Gleichgewicht, das zugleich pareto-optimal ist (Debreu 1959: 74–97, s. o. Kapitel 1, Abschnitt 1.7, erster Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie). Wenn aber Ressourcen und Umwelt der Wirtschaft in die wirtschaftswissenschaftliche Betrachtung einbezogen werden, stellt sich das Problem der Nachhaltigkeit. In der Sprache der Wirtschaftswissenschaften handelt es sich um Fragen intertemporaler externer Effekte, vereinfacht ausgedrückt, um vom Markt nicht berücksichtigte zeitliche Wirkungen von Handlungen wirtschaftlicher Akteure. Es ist offensichtlich, dass jede Konzeption von Nachhaltigkeit, da sie die Begrenztheit von essentiellen Ressourcen und Schadstoffaufnahmekapazitäten der Umwelt berücksichtigt, in irgendeiner Weise das Einhalten von Grenzen impliziert. Selbst wenn man, wie die Optimisten, die Substitution aller erschöpfbaren durch erneuerbare Ressourcen erwartet, muss man für den Verbrauch der erneuerbaren Ressourcen Grenzen setzen: Von ihnen kann auf lange Sicht nicht mehr verbraucht werden als nachwächst. Man könnte nun versuchen, die Tatsache, dass ökonomisch handelnde Individuen sich auch unter der Annahme von Nichtsättigung an rechtlich gesetzte Grenzen halten, für die Einrichtung einer nachhaltigen Wirtschaft fruchtbar zu machen. Es hat den Anschein, als müsse man nur diese Grenzen derart ändern, dass man auf dem Wege der Gesetzgebung bestimmte naturwissenschaftlich fundierte Grenzwerte festschreibt, die ebenso verbindlich sind wie etwa die Pflicht, das Eigentum anderer nicht anzutasten. Dabei wird aber etwas Entscheidendes übersehen: Für Individuen in freiheitlichen Rechtsstaaten, die sich gemäß der Annahme der Nichtsättigung verhalten, ist die Einhaltung von Grenzen immer ein potentielles Problem, denn sie sind bestrebt, ihren Konsum möglichst zu erweitern. Daraus folgt aber: Wenn in unserer Ökonomie bei den wirtschaftlichen Akteuren eine Haltung der Nichtsättigung unterstellt wird und wenn Nichtsättigung zu einem maßlosen Ressourcen- und Umweltverbrauch führt, dann hat eine Begrenzung des Naturverbrauches zur Folge, dass ein Verhalten, das auf Nichtsättigung beruht, möglicherweise verschwinden muss. In diesem Fall stünde man somit in 223 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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einem Widerspruch zu einer wesentlichen Verhaltensannahme der Wirtschaftswissenschaften. Es ist also denkbar, dass Nichtsättigung und Nachhaltigkeit unvereinbar sind. Wenn dieser Gedanke zutreffen sollte, dann würden sich daraus weitreichende Folgen ergeben. Zum einen besteht die Möglichkeit, wie bisher in einer offenkundig nicht nachhaltigen Weise weiter zu wirtschaften. Als Alternative dazu könnte die Nichtsättigung rigoros unterdrückt werden, etwa durch eine Umwelt-Diktatur (vgl. z. B. Hannon 1985). Damit würden allerdings die Grundlagen moderner Gesellschaften erschüttert, wenn nicht zerstört werden. Denn Staat und Gesellschaft in der modernen Welt sind auf individuelle Freiheit gegründet. Wollte man gegen den Willen der Bürger die Nichtsättigung unterdrücken, so würde man damit zugleich die Freiheit der Individuen abschaffen. Die Geschichte des Staatssozialismus im ehemaligen Ostblock in Europa zeigt, dass mit der Freiheit der Menschen in der Regel auch die Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft beseitigt werden. Auch wirtschaftliche Entwicklung setzt langfristig Kreativität und Verantwortlichkeit auf Seiten der Individuen voraus, wozu wiederum Freiheit erforderlich ist. Mit solchen Überlegungen soll nicht gesagt werden, dass es unmöglich ist, ein Maß für den Umgang der Wirtschaft mit ihren natürlichen Lebensgrundlagen zu finden und zu realisieren. Es kommt aber alles darauf an, dass dieses Maß im Einklang mit dem Willen der Menschen gesetzt wird. Die Public Choice hat hervorgehoben, dass grundlegende Änderungen in den Spielregeln einer Gesellschaft – und dazu gehört auch die Einrichtung einer nachhaltigen Wirtschaft – auf der Ebene der Verfassung beschlossen werden sollten (vgl. o. Kapitel 5). Verfassungen aber drücken idealerweise den Konsens aller Gesellschaftsmitglieder aus, in der Realität spiegelt sich dies darin wieder, dass für Verfassungsänderungen in der Regel Mehrheiten weit jenseits der 50 % Grenze erforderlich sind (Wicksell 1886: 100–113; Buchanan/Tullock: 1962; Faber 1973; Buchanan 1975). Nachhaltige Entwicklung einer Wirtschaft im Rahmen der Institutionen einer rechstaatlichen und demokratischen Gesellschaft ist nur möglich, wenn die überwiegende Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder den entsprechenden Willen aufbringt – d. h. die Bereitschaft, alle zu erwartenden Friktionen und Härten zu ertragen, die mit den notwendigen Reformen einhergehen. 6 6

Unter dem Motto »Gut leben statt viel haben« werden in BUND/Misereor (1996) Ge-

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8.9. Wie wollen wir leben? Im Abschnitt 8.7 dieses Kapitels haben wir Solows Position (1992: 15) wiedergegeben, zur Pflicht eines nachhaltigen Wirtschaftens gehöre es, dass eine gegenwärtige Generation der jeweils folgenden die Möglichkeit hinterlasse, einen Lebensstandard zu erreichen, der nicht geringer sei als der der jetzt Lebenden. Vieles spricht dagegen, dass der Lebensstandard der westlichen Gesellschaft mit dem Umfang seiner Güterausstattung und dem Versprechen ihrer ständigen Verbesserung und Vergrößerung auch nur auf alle jetzt lebenden Menschen auf dieser Erde ausgedehnt werden kann – noch weniger wahrscheinlich ist es, dass er an zukünftige Generationen weitergegeben werden kann. Würde das bedeuten, dass Fairness zwischen unserer Generation und allen folgenden Generationen unmöglich wäre? Hinter dieser Frage verbirgt sich ein Problem, das in der Rede von einer nachhaltigen Entwicklung häufig verdeckt bleibt. In dieser Rede geht es, wie wir gesehen haben, darum, gegenwärtig erkennbare Lebensgrundlagen und Lebensmöglichkeiten gerecht zwischen der gegenwärtig lebenden und den zukünftigen Generationen zu verteilen. Implizit aber geht es auch um gegenwärtige Lebensgewohnheiten und Lebensstile und die Frage, inwiefern künftige Generationen Gelegenheit haben sollten, sich solche Gewohnheiten und Stile zu eigen zu machen. Bei alledem nimmt die gegenwärtige Generation ihre eigenen Standards (genauer: die Standards, wie sie in bestimmten meist reicheren Gesellschaften gelten) als Maßstab für die Zukunft und ihre Generationen. Die Tauschgerechtigkeit, die wir in Abschnitt 8.7 als Prinzip der Fairness zwischen den Generationen ansprachen, misst somit an der Gegenwart mit ihren begrenzten Perspektiven alle Möglichkeiten einer unabsehbaren Zukunft. Das ist nicht falsch, aber es ist ein Vorgehen, das um entscheidende Frageund Aufgabenstellungen verkürzt ist. Denn bevor wir uns um die Weitergabe der uns zur Verfügung stehenden Lebensgrundlagen und Lebensmöglichkeiten bemühen, sollten wir fragen: Wollen wir, wenn wir unser Leben vernünftig betrachten, überhaupt so leben, wie wir heute leben? Können oder müssen wir gar als vernünftige danken vorgetragen, die sich eng mit unseren Überlegungen berühren. Vgl. auch die Äußerungen von A. Zahrnt in http://www.zukunftsfaehig.de/ergebnis/1fzahrnt.htm und Petersen/Faber 2001.

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Wesen wollen, dass alle Menschen in aller Zukunft im Prinzip einen ähnlichen Lebensstil pflegen können wie den, der in heutigen westlichen Gesellschaften üblich ist? In anderen Worten: Ist unser Leben als ein gutes Leben zu bezeichnen? Denn nur insofern wir überzeugt sind, dass das Leben der gegenwärtigen Generation ein gutes Leben ist, haben wir die Aufgabe, auch kommenden Generationen die Grundlagen für ein solches Leben zu überliefern. Es ist kein Gegensatz zu allem, was bisher gesagt wurde, wenn wir die Frage nach der nachhaltigen Entwicklung in die Frage nach dem guten Leben überführen (s. o. Kapitel 5). Wohl aber treten damit neue Gesichtspunkte in den Horizont der Nachhaltigkeit. Denn so gesehen verlangt das Nachdenken über nachhaltige Entwicklung, dass wir zunächst, statt über die Zukunft nachzudenken, uns mit unserem gegenwärtigen Leben auseinandersetzen und ernsthaft prüfen, ob es sich als ein gutes Leben ansehen lässt. Im Horizont des guten Lebens sind an dieses gegenwärtige Leben die folgenden zwei Anfragen zu richten: 1. Was ist an unserem Lebensstil als wesentlicher Bestandteil eines guten Lebens anzusehen? Alles Gegebene, was wir als wesentlichen Bestandteil eines guten Lebens ansehen, sollte, soweit es in unserer Macht steht, auch kommenden Generationen zur Verfügung stehen. Dabei geht es nicht nur um die materiellen Grundlagen des Überlebens, sondern auch um die immateriellen Grundlagen des Lebens und insbesondere des guten Lebens. Wir sollten auch künftigen Generationen die Möglichkeit geben, in einer Welt zu leben, in der Prinzipien wie Freiheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Frieden und Achtung vor der Schöpfung in Geltung stehen, wir sollten auch künftigen Generationen die Möglichkeit geben, sich an kulturellen und geistigen Gestalten zu schulen, die unsere Entwicklung geprägt haben – Wissenschaft, Philosophie, Literatur, Musik, Bildende Kunst, Architektur und Religion. Mit dieser Frage wird eine Gesellschaft in den Horizont der Überlieferung gestellt. Gerade in Zeiten großer Umbrüche und schnellen technischen Fortschritts sind Fragen der Tradition und der Tradierbarkeit von Bedeutung – immer vorausgesetzt, dass geklärt ist, was wir zu tradieren verpflichtet sind. 2. Wenn wir wissen, was an unserem gegenwärtigen Leben wirklich gut ist und damit überlieferungswürdig bzw. überlieferungsnotwendig, stellt sich die Frage: Was folgt daraus für uns – auf der Ebene individueller Lebensführung ebenso wie auf den Ebenen 226 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Nachhaltige Entwicklung – Konzept oder Herausforderung

des Zusammenlebens in der Gesellschaft und der Entscheidungen in Politik und Wirtschaft? Beide Fragen liegen außerhalb der Sphäre wissenschaftlicher Untersuchungen. Aber ihre Klärung ist eine wesentliche Voraussetzung für wissenschaftliche Auseinandersetzungen zur nachhaltigen Entwicklung. Denn sie betreffen die Ebene der Zielfindung und Zielgebung. Über die Ziele muss entschieden sein, bevor Naturwissenschaftler, Techniker und Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Konzepte zu ihrer Realisierung entwerfen können. Von hier aus können wir auch sehen, welche Bedeutung der wissenschaftlich-technischeökonomische Weg für eine nachhaltige Wirtschaft hat. Wenn sich die Gesellschaft auf der Ebene des Willens über ihre Ziele klargeworden ist, wenn sie weiterhin in der Formulierung der Gesetze und im Verhalten der Individuen den Willen und die Bereitschaft bekundet, Grenzen einzuhalten, dann können Wissenschaftler und Techniker in Verbindung mit Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik Vorschläge machen, wie diese Grenzen im einzelnen zu setzen und zu gestalten sind. Fragen der nachhaltigen Entwicklung stoßen uns auf unser Unwissen bezüglich wichtiger Abläufe in Natur und Gesellschaft. Zugleich aber machen sie uns darauf aufmerksam, dass wir eines recht genau wissen: Sollen Menschen noch lange auf dieser Erde leben, muss die gegenwärtige Menschheit lernen, der Nichtsättigung Grenzen zu setzen. Vielleicht ist es gar nicht entscheidend, ob man auf wissenschaftlicher Basis genau angeben kann, wo und wie diese Grenzen festgelegt werden, wie hoch dieser oder jener Grenzwert angesetzt werden sollte etc. Wenn die Mehrheit der Mitglieder in einer modernen Gesellschaft schon so weit käme, freiwillig prinzipielle Grenzen ihrer Bedürfnisbefriedigung auf sich zu nehmen, so wäre dies schon ein bedeutsamer Wandel.

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9. Zurück zu Aristoteles? Die Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft

Vorbemerkung Die Ausführungen dieses Kapitels, das ursprünglich auf ein Vortragsmanuskript zurückgeht, berühren sich an einigen Stellen mit Überlegungen aus den vorangegangenen Kapiteln. Dennoch wiederholen sie nicht einfach bisher Gesagtes. Sie sind neu nicht nur aufgrund ihrer Präsentation in der (auch für die Veröffentlichung in diesem Buch weitgehend beibehaltenen) Vortragsform, sondern auch aufgrund einer im Vergleich zum Bisherigen andersartigen inhaltlichen Orientierung: Die Leitfrage dieses Kapitels lautet: Was tut die Menschheit ihren Lebensgrundlagen und sich selbst an, indem sie eine Wirtschaftsweise wie die moderne Marktwirtschaft hat aufkommen lassen – zunächst in Westeuropa und den USA, heute aber weltweit? Wissen wir, was wir tun, wenn wir in Produktion und Konsum an dieser Wirtschaft teilhaben? Vor dem Hintergrund solcher Fragen, die keineswegs rhetorisch gemeint sind, gewinnen die dem Leser schon aus den vorangegangenen Kapiteln bekannten Überlegungen des Aristoteles zu Autarkeia, Pleonexia und Sklaverei ebenso wie die Überlegungen zur Marktwirtschaft bei Adam Smith eine neue Bedeutung.

9.1 Einleitung Wenn wir nicht gerade mit wirtschaftswissenschaftlichen Kollegen sprechen, müssen wir immer damit rechnen, auf Menschen zu treffen, für die die gegenwärtige Wirtschaft trotz eines nie dagewesenen Wohlstands beängstigende, ja unheimliche Züge trägt. Wirtschaft bedeutet für sie: Abhängigkeit von undurchschaubaren Entwicklungen des Weltmarktes. Internationale Konkurrenz bedroht ganze Industrien. Aktienkurse schießen in die Höhe und stürzen ab. Jeder 228 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zurück zu Aristoteles?

Wohnort ist im Zeitalter der Flexibilität und Mobilität bloße Durchgangsstation; Bindungen, kaum gefunden, müssen aufgegeben werden. Schuld daran sei, so meinen nicht wenige, ein Wirtschaftssystem, das hemmungslosem Gewinnstreben Raum gebe. Ein aufmerksamer Beobachter sieht in der Gewinnsucht eine Verirrung der menschlichen Natur. Er sagt: »Die Ursache solcher Denkweise aber liegt darin, dass die meisten Menschen nur um das Leben und nicht um das vollkommene Leben sorgen, und da die Lust zum Leben ins Endlose geht, so trachten sie, auch die Mittel zum Leben bis ins Endlose anzuhäufen. … Jene Art von Leuten macht alles zu Mitteln des Gelderwerbs, als wäre dies der Zweck.«. Dieses Zitat stammt nicht von einem zeitgenössischen Kritiker der Globalisierung, sondern von Aristoteles (Politik: 1258a). Als wirtschaftspolitische Forderung wäre der Ruf »Zurück zu Aristoteles!« gewiss verfehlt. Dennoch sind wir der Überzeugung: Wer heute über Wirtschaft nachdenkt, sollte Aristoteles lesen. Wie vieles andere bei Aristoteles entspringen auch seine Vorstellungen zur Wirtschaft aus Phänomenen, wie sie einem unbefangenen Blick vor Augen stehen. Aber was stand Aristoteles vor Augen?

9.2 Die aristotelische Konzeption von Wirtschaft Zur Zeit des Aristoteles hatte die Stadt Athen, in der er lehrte, wirtschaftlich ihren Zenit überschritten, die Bevölkerung war seit der Ära des Perikles (um 490–429 v. Chr.) auf weniger als die Hälfte zurückgegangen. Von den 200.000 Einwohnern hatten nicht mehr als 20.000 Wahlrecht, nämlich die männlichen Bürger. Der Rest waren Frauen, Kinder, Metöken und Sklaven. Die Bürger gingen ins Theater, erhielten im Turnus eines der mehreren tausend politischen Ämter, machten Politik, entschieden über Krieg und Frieden und zankten sich vor Gericht. Arbeit und wirtschaftliche Aktivitäten delegierten sie nach Möglichkeit an Hausverwalter und Sklaven. Aristoteles teilt die Verachtung der antiken Griechen gegenüber der Wirtschaft: Am glücklichsten könnten die Menschen leben, wenn sie überhaupt nicht wirtschaften müssten. Ein erfülltes Leben bieten vor allem wissenschaftliche Betätigung und Politik, d. h. die Beschäftigung mit den Angelegenheiten des Stadtstaates, der Polis. In der 229 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

Wissenschaft betrachtet der Mensch die vollkommene göttliche Ordnung des Alls, in der Politik gestaltet der Mensch die menschliche Ordnung der Polis im Sinne eines möglichst vollkommenen Lebens. Ziel der Politik ist die Gerechtigkeit. Ein erfülltes Leben ist für Aristoteles ein politisches Leben in der Öffentlichkeit, worin die Menschen gemeinschaftlich nach Gerechtigkeit streben. In der Politik sind die Menschen frei, weil sie ihren eigentlichen Fähigkeiten gemäß leben. Allerdings weiß Aristoteles, dass der Mensch als Zóon politikón nicht allein aus dem »Politikón«, der Beziehung zur Politik, verstanden werden kann: er bleibt zugleich Zóon, d. h. Lebewesen. Als Lebewesen ist der Mensch wie die Tiere bedürftig und von materiellen Gütern abhängig. Für die Güterversorgung ist eine nicht-politische, nicht-öffentliche Sphäre zuständig, die Oikonomia, die Hauswirtschaft. In der Oikonomia geht es um die Verwaltung von Haus und Ländereien, den Erwerb und die Verwendung von Gütern, die Regelung von Familienverhältnissen und den Einsatz von Sklaven, Sklavinnen und Haustieren. Hauswirtschaft ist in der Sicht des Aristoteles unvermeidlich, aber lästig. Denn so weit Menschen sich in die Mühen der Besorgung materieller Mittel zum Leben verstricken, sind sie nicht eigentlich frei. In der Hauswirtschaft geht es den Menschen um das, was sie mit den Tieren gemeinsam haben: Um ihre Bedürftigkeit und Abhängigkeit vom Materiellen. Aufgrund dieser Abhängigkeit im Hause ist die Arbeit im Hause gewissermaßen mit einem Makel versehen. Weil Menschen in der Oikonomia ihre menschlichen Fähigkeiten nicht recht ausüben können, weil sie der nicht-menschlichen Natur am nächsten sind, kann es im Haus auch Herrschaftsverhältnisse geben, die nicht recht menschlich sind. Das gilt besonders für das Verhältnis von Herren und Sklaven. Aristoteles Rechtfertigung der Sklaverei (vgl. dazu insbesondere Kapitel 6) unterstellt, dass es Menschen gebe, denen bestimmte menschliche Eigenschaften fehlen: Unfähig, über sich selbst zu verfügen, können sie in völliger Abhängigkeit leben. Das sind die Sklaven von Natur – Menschen, die nur für die Hauswirtschaft taugen. Ihre eigentliche Leistung ist es, ohne eigene Einsicht auszuführen, was ihnen befohlen wird. Somit sind sie, wie Aristoteles sagt, »beseelte Werkzeuge«. Das Verhältnis Herr/Sklave bei Aristoteles lässt sich am prägnantesten mit den Worten Jesu aus dem Johannesevangelium charakterisieren: »Der Sklave« oder »der Knecht (das griechische Wort dou230 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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los bedeutet beides) weiß nicht, was sein Herr tut« (Joh. 15,15). Mit anderen Worten: Für die Sklaven ist die Hauswirtschaft eine Sphäre undurchschaubarer Herrschaftsverhältnisse. Aristoteles sieht darin anscheinend kein Problem: Sklaven dürfen despotisch regiert werden, weil sie gar nichts anderes sein können als Beherrschte. Im Gegensatz dazu können innerhalb der Polis die Bürger, die beherrscht werden, prinzipiell auch die Herrschenden sein. Politische Herrschaft ist im Wesen transparent, wirtschaftliche Herrschaft dagegen zumindest für die Beherrschten undurchsichtig. Jedoch färbt die Trübheit der despotischen Herrschaftsstruktur im Hause auch auf die Herrn ab. Herrschaft über Sklaven ist, so Aristoteles, erniedrigend: Für den richtigen Bürger fängt das gute Leben erst an, wenn er aus dem Dunkel des Hauses ins Licht der Öffentlichkeit tritt. Aufgrund ihrer Eigenart sollte die Oikonomia die Menschen nicht übermäßig beanspruchen. Dazu bedürfen sie eines Maßes für das, was sie brauchen. Ein Mindestmaß an Gütern ist für die Teilhabe am politischen Leben unentbehrlich. Auch die Polis benötigt ein Mindestmaß an Gütern, denn sie soll ihre Bedürfnisse im Großen und Ganzen mit eigenen Mitteln erfüllen. Darin drückt sich das Ideal der Selbstgenügsamkeit aus, griechisch Autarkeia. Für Aristoteles ist nur der autarke, der sich selbst genügende Staat frei, d. h. er ist nicht abhängig von anderen Staaten. Um ein Maß für die Bedürfnisse zu finden, benötigt man moralische Klugheit, griechisch Phronesis: Hat man zu wenig an Gütern, so verstellt die Sorge um das tägliche Brot den Blick auf die Belange der Polis, hat man zuviel, so zeigt man damit einen Mangel an Phronesis. Wer nicht erkennt, wann er genug hat, lebt an der menschlichen Natur vorbei. Unnatürlich handeln, so Aristoteles, vor allem diejenigen, die als Ziel der Wirtschaft die Geldvermehrung ansehen. Das griechische Wort für Gelderwerb ist Chrematistik. Wer aus allem den größten Gewinn schlagen will, treibt die Chrematistik ins Maßlose. Aristoteles bemerkt: »Denn die Tapferkeit ist nicht dazu da, Geld zu erzeugen, sondern Mut, und auch die Kriegs- und Heilkunst sollen nicht Geld erzeugen. Vielmehr soll die Kriegskunst den Sieg und die Heilkunst Gesundheit verschaffen. Jene Art von Leuten aber macht dies alles zu Mitteln des Gelderwerbs, als ob dies das Ziel wäre, auf das hin alles gerichtet werden müsste« (Aristoteles, Politik: 1258a 15). Der Arzt, dem es in erster Linie nicht um die Gesundheit der Patienten, sondern um sein Einkommen geht, zeigt eine Haltung, 231 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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die Aristoteles Habsucht, Pleonexia, nennt. Die Habsucht verkehrt das Verhältnis zwischen den Mitteln für das Leben und Leben selbst. Die Mittel für das Leben, Besitz und Geld, erscheinen dem Habsüchtigen als Zweck, alle Lebendigkeit aber wird aufgesogen in der Gier, immer mehr Mittel zu erwerben.

9.3 Aristoteles’ Hauswirtschaft versus Smiths Marktwirtschaft Die Sucht nach Mehr stellt für Aristoteles die Ungerechtigkeit schlechthin dar. Wenn Jesus im Lukasevangelium sagt: »Hütet euch vor aller Habsucht«, meint er damit wohl etwas Ähnliches (vgl. auch Lee-Peuker 2000). Aristoteles’ Konzeption von Wirtschaft erscheint uns zwar mit ihrer Rechtfertigung der Sklaverei fremd, aber sie kommt dem heutigen Unbehagen an der Gewinnsucht entgegen. Ist also Aristoteles als Apologet der Sklavenhaltung veraltet und als Kritiker der Habsucht aktuell? Stellen wir uns vor, Aristoteles taucht im Heidelberg von heute auf. Sollte er in eine Küche kommen, werden ihn mehr noch als Wasserleitung und Herd der Kühlschrank und die Kühltruhe faszinieren. Wie sicher und einfach ist die Versorgung mit Lebensmitteln, wenn man die Möglichkeit der Kühlung und der sicheren Lagerung hat! Um ihn zu überzeugen, dass wir es besser haben als seine Zeitgenossen, wären alltägliche Dinge wie Kühlschränke keine schlechten Belege. Denn die Lebensmittelversorgung war im Athen seiner Zeit ein nie ganz gelöstes Problem. Aristoteles mit seiner wissenschaftlichen Neugierde würde gewiss fragen, wie es möglich sei, dass es überhaupt Kühlschränke gibt und wie es möglich sei, dass sich jeder Haushalt einen leisten kann. Eine richtige Antwort müsste nicht nur auf die Leistungen moderner Wissenschaft und Technik, sondern insbesondere auf die Struktur der modernen Wirtschaft verweisen. Es ist ein funktionsfähiges marktwirtschaftliches System, das wir als Grundlage für das Wachstum der Wirtschaft in den entwickelten Ländern während der letzten zweihundert Jahre ansehen müssen. In Ländern mit längerer marktwirtschaftlicher Tradition ist materielle Armut weitgehend verschwunden, materielle Wohlfahrt für viele erschwinglich. Aristoteles würde angesichts dieser Erklärung zunächst fragen: 232 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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»Was ist Marktwirtschaft?« In der Tat lässt sich der Ausdruck Marktwirtschaft, wie wir ihn verwenden, nicht ins Altgriechische übersetzen. Zwar spielten Märkte im Athen zur Zeit des Aristoteles eine nicht geringe Rolle, aber das Paradigma wirtschaftlichen Handelns war, wie oben gezeigt wurde, nicht die Tauschhandlungen auf Märkten, sondern die Mitwirkung an den Versorgungsstrukturen des Hauses. Unser Verständnis von Marktwirtschaft ist entscheidend von Adam Smith geprägt (s. o. Kapitel 3), der in der Gesamtheit der Tauschhandlungen auf Märkten ein »System der natürlichen Freiheit« am Werk sah. Smith leitet die Eigenarten dieses Systems und damit der Wirtschaft nicht aus einem ganzheitlich aufgefassten Begriff des Staates her – zur Gerechtigkeit der Polis, die für Aristoteles so wesentlich ist, hat das System der natürlichen Freiheit keinen unmittelbaren Bezug – sondern aus der Freiheit der Individuen, nach eigenem Gutdünken Wohlstand und Glück zu suchen. Ein normales Individuum kann, wie Smith meint, für sich selbst am besten sorgen, jedenfalls besser, als es Autoritäten wie Kirche oder Staat ihm vorschreiben könnten. Wirtschaftliche Tätigkeit ist für Smith nicht notwendiges Übel, sondern Form der Selbstverwirklichung. Gerade das Gewinnstreben ist wesentliche Triebkraft einer Marktwirtschaft. Dass die Menschen ihre Lebensbedingungen verbessern wollen, bietet ihnen, so Smith, ständige Anreize zu wirtschaftlichen Aktivitäten. Mit Smith verlassen die Theorien über die Wirtschaft den Rahmen der Hauswirtschaft, der Oikonomia. Der neue Rahmen der Wirtschaft ist der Markt: Um seinen eigenen Nutzen zu mehren, muss man Nützliches für andere produzieren, die ihrerseits aber frei sind, auch bei einem Konkurrenten einzukaufen. Damit besteht ein beständiger Anreiz, möglichst besser zu sein als die anderen. Das ungeheure Potential an Kreativität bei Wissenschaftlern, Unternehmern und Ingenieuren wird gemäß dieser Argumentation am einfachsten aktiviert, wenn Kreativität sich für die Kreativen rentiert. Wenn der Westen in den siebziger und achtziger Jahren dem Ostblock in der Computertechnologie so weit überlegen war, so liegt dies nicht zuletzt daran, dass die sozialistischen Länder ihre kreativen Potenzen nicht mobilisieren konnten. Kreativität brachte allenfalls einen Orden als »Held der Arbeit« ein. Hingegen konnten diejenigen, die in Silicon Valley in Kalifornien Chips, Computer und Programme erfanden und produzierten, riesige Gewinne machen. Die Freisetzung des Gewinnstrebens führt also zu technischem Fort233 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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schritt, anhaltendem Wirtschaftswachstum und ständig gesteigerter Bedürfnisbefriedigung. Vergleicht man nun Smith und Aristoteles, so ergeben sich drei wesentliche Gegensätze: 1. Für Aristoteles gehörte es zur Natur des Menschen, dass jeder mit anderen in einer Gemeinschaft nach Gerechtigkeit strebt. Aus marktwirtschaftlicher Sicht erscheint es hingegen natürlich und nützlich, wenn Eigeninteresse und Gewinnstreben das menschliche Handeln leiten. 2. Die Vorstellung des Aristoteles, ein Staat müsse autark sein, ist unter den Bedingungen der globalen Wirtschaft wirklichkeitsfremd. Schon Smith hat demgegenüber die Bedeutung des Außenhandels für den Wohlstand einer Volkswirtschaft hervorgehoben. 3. Für Aristoteles erschien die Art der Güter einer Wirtschaft im Prinzip festgelegt und die Menge beschränkt. Das wirtschaftliche Gesamtprodukt einer Gesellschaft bestand bis zum Mittelalter zu weit über 90 % aus landwirtschaftlichen Produkten. Heute dagegen werden dauernd neuartige Güter hergestellt, und eine natürliche Schranke für ihre Menge ist nicht zu sehen. So hat Smith gezeigt, wie Arbeitsteilung und Spezialisierung die Produktivität menschlicher Arbeit fast unerschöpflich steigern. Zudem ist die Bedeutung der Landwirtschaft sehr zurückgegangen: Der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugung beträgt heute weltweit weniger als 10 % des Wertes aller Güter. Gleichzeitig ist die Menge viel höher als früher. Alle drei Punkte machen klar: Es ist nicht nur so, dass sich Aristoteles keinen Kühlschrank vorstellen kann. Für ihn ist nicht einmal eine soziale Welt denkbar, in der Kühlschränke erfunden und allgemein verbreitet werden können. Denn zu dieser Welt gehört die Freisetzung des Gewinnstrebens, der Abbau von Handelshemmnissen und der Glaube, jede anscheinende natürliche Schranke könne mit menschlicher Kreativität und genügenden Investitionen überwunden werden. Um die moderne wirtschaftliche Welt denkbar zu machen, musste man also die aristotelischen Vorstellungen wie eine Art Ballast abwerfen. Zu Beginn sprachen wir von den Menschen, denen die moderne Wirtschaft Angst macht. Ihr Unbehagen an einem maßlosen Gewinnstreben findet bei Aristoteles einen Anwalt. Allerdings hat sich gezeigt, dass Aristoteles für eine grundsätzliche Kritik an der moder234 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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nen Wirtschaft wenig geeignet ist: Etwas grob formuliert: Wer selbst Kühlschränke benutzt und zugleich die moderne Wirtschaft mit den intellektuellen Mitteln derer kritisiert, in deren Vorstellungswelt Kühlschränke prinzipiell ausgeschlossen sind, verhält sich widersprüchlich. Dennoch ist Aristoteles in einer eigenartigen Weise gegenwärtig: Wer unbefangen über Sinn und Zweck der Wirtschaft im menschlichen Leben nachdenkt, wird dies vermutlich in folgenden Gedanken tun: Wohlstand ist eine Voraussetzung für ein gelingendes Leben, aber nicht das gelingende Leben selbst. Gutes Wirtschaften ist nicht ohne moralische Klugheit, Phronesis, und Sinn für Gerechtigkeit denkbar. Menschliche Bedürfnisse mögen vielfältig sein, benötigen aber nur begrenzte Mittel für ihre Befriedigung. Die maßlose Verfolgung des Gewinnstrebens kann somit kaum zu einem gelingenden Leben führen. Habgierige Menschen sind uns eher unsympathisch. Wer so denkt, denkt in aristotelischen Gedankenfiguren. Mögen sie auch ungeeignet sein, um die moderne Wirtschaft verständlich zu machen, so sind sie doch in den Köpfen vieler Menschen fest verwurzelt. Selbst in den Köpfen von Wirtschaftswissenschaftlern sind sie zu finden, auch wenn sie durch elaborierte Theorien in den Hintergrund gedrängt sein mögen. Halten wir diese aristotelischen Gedanken gegen das Bild, das die moderne Wirtschaft bietet, so erleben wir eine tiefe Dissonanz. Uns scheint es wichtig, diese Dissonanz stehen zu lassen und sie nicht vorschnell in eine bestimmte Richtung aufzulösen. Dass sie nicht mit aristotelischen Rezepten zu lösen ist, versteht sich von selbst. Wer Profitstreben und Zins abschaffen will, wird etwas ganz anderes erreichen, als das, was er beabsichtigte – man denke nur an die staatssozialistischen Wirtschaften. Aber eine Aufklärungskampagne, die versuchen würde, die letzten Reste aristotelischer Vorstellungen aus den Köpfen der Menschen zu entfernen, wäre ebenfalls verkehrt. Selbst Vorstellungen des Aristoteles, die uns heute ferner liegen als seine Kritik am Gewinnstreben, haben es verdient, noch einmal betrachtet zu werden. Wir kommen dazu auf die Sklaverei zurück: Wirtschaft im Sinne des Aristoteles ist eine Sphäre von undurchschauter Abhängigkeit und Herrschaft. Aristoteles hält dies für unproblematisch. Für uns ist hingegen die Unmündigkeit, die er den Sklaven zuschreibt, nicht eine Natureigenschaft bestimmter Menschen. Vielmehr gilt es aus der Unmündigkeit einen Ausgang zu su235 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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chen und ihn anderen zu zeigen, die ihn nicht selbst finden können. Diesen Ausgang aus der Unmündigkeit können wir mit Kant »Aufklärung« nennen. Aber können wir uns überhaupt aufgeklärt zur Wirtschaft und in der Wirtschaft verhalten? Einer der großen Ökonomen des 19. Jahrhunderts sah in der Wirtschaft eine prozessuale Struktur wirken, die ihre eigene Undurchsichtigkeit stets neu produzierte. Karl Marx nannte dieses Struktur »Kapital«. Marx hat Aristoteles genau studiert und seine Passagen zur Oikonomia zum Teil selbstständig übersetzt. Marx sah die Wirtschaft als eine Sphäre, in der die Beteiligten ihr eigenes Tun in den Resultaten nicht wiedererkennen, sie durchleben damit eine grundlegende »Entfremdung«. Entfremdung manifestiert sich nicht so sehr auf dem Markt, also nicht da, wo die an Smith anknüpfende Ökonomie Wirtschaft thematisiert. Entfremdung ist dem Markttausch vielmehr vorgelagert: Für die Arbeiter in der Produktionssphäre, die, wie Marx (1890/1973) sich ausdrückt, die »Lohnsklaven« seiner Zeit seien, besteht Entfremdung darin, »dass nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet. In der Fabrik dient er der Maschine«. Marx konstatiert darin eine fundamentale Verkehrung von Mittel und Zweck: Zweck der Wirtschaft ist die maßlose Vermehrung des Kapitals, eine Art Pleonexia (Habsucht), die alle Lebenskräfte »beherrscht und heraussaugt«. Was bei Aristoteles den Sklaven ausmacht, nämlich dass er die Herrschaftsverhältnisse der Wirtschaft nicht durchschaut, überträgt Marx auf die Proletarier. Aus seiner Beschreibung der Lebensumstände englischer Arbeiter in seinem Hauptwerk »Das Kapital« geht hervor, dass diese Umstände die englischen Lohnarbeiter seiner Zeit zu dem machen, was bei Aristoteles die Sklaven von Natur schon immer sind: Zu Menschen, die unfähig sind, ein unabhängiges Leben zu führen und ein eigenständiges Urteil zu fällen. Für Marx wie für Aristoteles ist Wirtschaft die Sphäre undurchschauter Verhältnisse. Für Marx ist allerdings, im Gegensatz zu Aristoteles, Aufklärung der Proletarier möglich als Voraussetzung für eine revolutionäre Umgestaltung der Wirtschaft. Nun, die Welt der Marxschen Proletarier ist nicht mehr die unsere, und seine Revolutionstheorie ist gescheitert. Aber wenn wir von Aristoteles wie von Marx her kommen, können wir auf eine grundsätzliche Unverständlichkeit und Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft aufmerksam werden: 236 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Wenn die Wirtschaft Mittel für menschliche Bedürfnisbefriedigung bereitstellen soll, so ist es ein Rätsel, dass sich die Sphäre dieser Mittel zu verselbstständigen scheint und die Menschen in ihre Eigendynamik hineinzieht, so als sei der Mensch für die Wirtschaft da und nicht die Wirtschaft für den Menschen. Zugleich ist es ein Rätsel dieser Eigendynamik, dass sie, so sehr sie vielen von uns Unbehagen bereitet, doch einen Wohlstand ermöglicht, den wir auf andere Weise kaum erreicht hätten.

9.4 Die Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft Wenn wir abschließend diese Rätselhaftigkeit der Wirtschaft als etwas Unaufgelöstes ansprechen, entfernen wir uns gleichermaßen von Aristoteles, Smith und Marx: Aristoteles sah an der Hauswirtschaft nichts Rätselhaftes. Unerklärlich war allein das Gewinnstreben, das die Maße seiner Welt bedrohte. Adam Smith integrierte das Gewinnstreben in die Dynamik einer Wirtschaft, die allen ein besseres Leben ermöglichen sollte. Marx sah eine Perversion im Inneren dieser Dynamik – aber er hatte dafür seine revolutionäre Lösung. Wir möchten hingegen bei der Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft verweilen. Bis heute durchschauen wir nicht, was wir tun, wenn wir an der Wirtschaft teilhaben. Das lässt sich an ganz alltäglichen Phänomenen konkretisieren. Unser Beispiel ist eines von jenen Gebrauchsgütern, das so schlagend erweist, warum die moderne Wirtschaft jeder anderen überlegen ist: Wir meinen den Kühlschrank. Wer bis vor einem Jahrzehnt einen Kühlschrank kaufte, erwarb damit ein Produkt, für dessen Wirksamkeit eine bestimmte Sparte der chemischen Industrie eine ausschlaggebende Rolle spielte: Die Chlorchemie. 1 Die Chlorchemie, die in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts europaweit einen Anteil von ca. 60 % des Umsatzes der gesamten chemischen Industrie hatte, stellte jenen Stoff her, der bei allen Kühlschränken die Kühlung ermöglichte: FCKW, Fluorchlorkohlenwasserstoff. Stoffe von der Art der FCKWs wurden bereits Ende des 19. JahrVgl. dazu das folgende Kapitel 10, das sich ausführlich mit der Problematik der Chlorchemie und den FCKWs beschäftigt; siehe ausführlich dazu Müller-Fürstenberger (1995: 179–214).

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hunderts in Laboratorien hergestellt. 30 Jahre später begann ihre industrielle Produktion. Da sie weder brennbar noch giftig waren, erschienen sie als ideales Material für viele Zwecke, insbesondere aber für die Herstellung von Kühlschränken. 1974 wurden 750 000 Tonnen FCKW pro Jahr hergestellt. Im gleichen Jahr wurden bei der Produktion und Entsorgung FCKW-haltiger Geräte 350 000 Tonnen emittiert. In eben diesem Jahr wurde festgestellt, dass FCKW-Emissionen die Ozonschicht angreifen und zerstören. Die Ozonschicht ist diejenige Schicht der Atmosphäre, die uns vor gefährlichen UVStrahlen schützt. 2 Wir haben bereits gesagt, dass der aristotelische Zugang zur Oikonomia systematisch eine Wirtschaft verhindert, in der es Kühlschränke geben kann. Erst die Freisetzung des Gewinnstrebens setzte zugleich die Kreativität der Erfinder und die Risikobereitschaft der Unternehmer frei, die mit ihren Produkten unseren Alltag so angenehm macht. Heute sehen wir, dass wir mit dieser Dynamik zugleich Entwicklungen in Gang gesetzt haben und weiter in Gang setzen, deren Auswirkungen wir nicht kennen und kaum beherrschen können. In der Vergangenheit mochte man mit plausiblen Gründen glauben, dass derartige Auswirkungen früher oder später kontrolliert werden können. Bei der globalen Erwärmung der Erdatmosphäre, bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle, vermutlich auch bei der Anwendung der Gentechnologie haben wir bis heute keinerlei Indizien dafür, dass unsere Steuerungsmöglichkeiten ausreichen. Erst recht müssen wir an unseren Steuerungsmöglichkeiten zweifeln, wenn wir die Unberechenbarkeit der Menschen berücksichtigen. Die Dynamik unserer Wirtschaft führt dazu, dass wir alle an Prozessen beteiligt sind, deren Resultate wir nicht kennen. Wir können nur vermuten, dass wir viele dieser Resultate, würden wir sie kennen, nicht wünschen würden. Als die moderne Wirtschaftstheorie das Gewinnstreben von seiner moralischen Anrüchigkeit befreite, glaubte sie zu wissen, was sie tat. Angesichts der unkontrollierbaren Folgen unseres wirtschaftlichen Handelns ist zu sagen: Sie wusste nicht, welchen Geist sie aus der Flasche entließ. Wir wissen es bis heute nicht. Mit anderen Worten, das Rätsel des modernen wirtschaftlichen Lebens besteht darin, dass wir nicht wissen, was wir tun. Ausführlich werden diese Zusammenhänge dargestellt in Luhmann (2001), siehe auch Faber/Manstetten (2002) sowie Müller-Fürstenberger (1995).

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Wer über solche Dinge spricht, gilt oft als Unglücksbote, als eine Art Kassandra. Aber die Entwicklungen, die wir gerade angesprochen haben, sind vor allem dann bedrohlich, wenn wir sie nicht wahrhaben wollen. Philosophie im Sinne des Aristoteles kann uns hier Mut in der elementarsten Form vermitteln: Den Mut hinzusehen, den Mut, die Phänomene so anzunehmen, wie sie sich unserem möglichst unbefangenen Blick darbieten. In der Schulung eines unbefangenen Blickes sehen wir eine ursprüngliche Aufgabe der Philosophie. Die Einzelwissenschaften begrenzen unseren Blick. Sie heben mit ihren Theorien bestimmte Aspekte der Phänomene hervor und übergehen andere Aspekte. Die Philosophie versucht, das Problem der Ganzheit der Phänomene jenseits der Theoriegrenzen der Einzelwissenschaften zugänglich zu machen. Das hat seine Schwierigkeiten: Ein Ganzes, das als philosophisches Problem formuliert wird, entzieht sich dem Schema Problem und Lösung. Dieses Schema greift erst, wenn wir uns auf Teilaspekte beschränken. Daher ist die Philosophie mit ihrem Interesse an der Ganzheit nicht dazu da, Probleme zu lösen: In dem Augenblick, in dem ein Problem prinzipiell einer Lösung zugänglich erscheint, wird es aus der Philosophie entlassen und wird Bestandteil einer oder mehrerer Einzelwissenschaften. Die Philosophie aber lehrt uns, ein Ganzes als Problem wahrzunehmen, ohne an eine Lösung überhaupt nur zu denken. Von Aristoteles können wir den Blick lernen, der uns Wirtschaft als philosophisches Problem wahrnehmen lässt. Die Wirtschaftswissenschaften formulieren Probleme innerhalb der Wirtschaft, die sich mit ihren Begriffen erfassen und mit ihren Verfahren lösen lassen. Für die Philosophie aber ist die Wirtschaft in ihrer Ganzheit ein Problem.

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10. Die Geschichte der Soda-Chlorchemie Kuppelproduktion und Verantwortlichkeit

10.1 Einleitung Wie lebt eine menschliche Gesellschaft im Einklang mit der Natur? Stellen wir uns ein kleines Gemeinwesen vor, in dem die Menschen wechselseitig ihre Bedürfnisse befriedigen. Sie teilen die nötige Arbeit und tauschen ihre Produkte: Je nach Begabung betätigen sich Frauen und Männer als Bauern und Hirten, als Weber, Schuster, Töpfer, Schmiede und Baumeister, als Kaufleute, Krämer und Tagelöhner. In dieser kleinen Welt, die sich in einer spontanen Ordnung z. B. in Form von Märkten selbst organisiert, ist für Nahrung, Kleidung und Wohnung gesorgt. Man nährt sich von Gerstenbrei und Weizenbrot, erweitert die Speisekarte mit Salz, Kohl, Käse, Oliven und Feigen und trinkt manchmal Wein dazu. Es wachsen nicht mehr Kinder heran, als das Land ernähren kann. Dieses Bild einer Gemeinschaft, die mit der Natur, nicht gegen sie lebt, taucht auf in einer Diskussion, die in Platons Werk »Politeia« (der Staat) dargestellt wird. Platon lässt darin seine Brüder Glaukon und Adeimantos sowie seinen Lehrer Sokrates als Dialogpartner auftreten: Die Sätze über unser kleines Gemeinwesen hat Platon dem Sokrates in den Mund gelegt. Glaukon aber macht einen Einwand: »Und wenn du eine Stadt von Schweinen angelegt hättest, o Sokrates, könntest du sie wohl anders als so abfüttern?« (Platon, Politeia: 372c). Für Glaukon erscheint unsere kleine Stadt wirklichkeitsfremd. Fehlen nicht alle die Dinge, die das Leben im Athen des vierten Jahrhunderts vor Christus, dem Ort des Dialoges, angenehm erscheinen lassen? Ihm zwar erscheine diese Gemeinschaft als eine »gesunde Stadt«, entgegnet Sokrates, aber er wisse, »dass ihre Lebensart wohl Einigen nicht Genüge leisten wird; sondern es sollen außerdem Polster da sein und Tische und anderes Hausgerät und feine Beilagen und Salben und Räucherwerk und Freudenmädchen und Backwerk. Zu240 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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dem muss man die Malerei in Bewegung setzen und die bunte Weberei, und Gold und Elfenbein und alles dergleichen muss angeschafft werden«. Eine derartige Stadt müsse sich mit einem Haufen Volkes anfüllen, unter anderem mit Schauspielern, Malern, Musikern, Tänzern und Dichtern, aber auch mit Kammermädchen, Putzmacherinnen, Kochkünstlern und Feinbäckern. Auch Ärzte werde man weit häufiger heranziehen müssen als in der gesunden Stadt (Platon, Politeia: 372c-373d). Sokrates nennt diese zweite Art von Gemeinschaft die »üppige Stadt«. Er hält derartige Städte für strukturell gefährdet: Aufgrund der gesteigerten Bedürfnisse und der massiv gewachsenen Bevölkerung werde der verfügbare Boden stark übernutzt. Soll sie nicht verelenden, muss die üppige Stadt, wie Sokrates annimmt, Krieg führen. Denn sie muss den Nachbarn alle diejenigen von ihr benötigten Nahrungsmittel und Bodenschätze rauben, die ihr eigenes Territorium nicht hergibt. Die Nachbarn könnten allerdings ihrerseits wiederum versuchen, die üppige Stadt auszuplündern. Was aber geschieht, so könnten wir heute hinzufügen, wenn einmal die ganze Erde eine solche üppige Stadt geworden ist: Welche Nachbarn lassen sich dann noch berauben? Die Entwicklung zur Zerstörung von Lebensgrundlagen ist, wenn Sokrates richtig argumentiert, unausweichlich, sofern wir einer Einstellung Raum geben, die er Pleonexia nennt. Pleonexia ist, wie oben beschrieben, das Bestreben des Menschen, ohne Maß mehr und immer mehr haben zu wollen (vgl. hierzu insbesondere Kapitel 1, Abschnitt 1.6 und Kapitel 5, Abschnitt 5.4.3 und Kapitel 8, Abschnitt 8.8). Pleonexia ist das Wesen der üppigen Stadt, die gemäß Sokrates die »Grenzen des Notwendigen überschreitet und nach maßlosem Besitz strebt« (Platon, Politeia: 372d-e). Ein moderner Wirtschaftswissenschaftler wäre von der Argumentation des Sokrates keineswegs überzeugt. Er würde folgenden Einwand äußern: »In der sogenannten gesunden Stadt gibt es keine Entwicklung, die Bewohner bleiben träge und unwissend. Erst in der üppigen Stadt aber offenbart sich die Natur des Menschen in ihrer Dynamik, Vielseitigkeit und Kreativität. Daraus entspringt der wissenschaftliche, technische und ökonomische Fortschritt, der schließlich auf die Stufe unserer modernen Gesellschaften führt. Generell nutzen wir Ressourcen heute unendlich wirksamer als die Griechen der Antike. So können wir heute mit der gleichen Fläche an Ackerland wesentlich mehr Menschen ernähren als damals. Statt die Nachbarn zu überfallen, wird die üppige Stadt mit ihren eigenen Ressour241 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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cen viel besser wirtschaften als die Stadt der Getreidebreifresser. Was sie nicht selbst herstellt, erwirbt sie im Tausch mit anderen Staaten. Internationale Arbeitsteilung und freier Welthandel machen heute selbst kleine Staaten wohlhabend. Voraussetzung für all dies ist aber gerade die Pleonexia: Das Gewinnstreben von Unternehmern, die Einkommensmaximierung von Ingenieuren und Wissenschaftlern, die Verfolgung nie ganz zu stillender Bedürfnisse von allen – das macht die Dynamik einer entwickelten Wirtschaft aus und führt zu neuen Ideen, neuen Gütern, neuen Märkten, neuen Aktivitäten.« Vergleichen wir die Argumentation des Sokrates mit der des Ökonomen und beziehen sie auf die westlichen Gesellschaften der letzten zweihundert Jahre, so können wir fragen: Wer hat recht? Muss eine Gesellschaft mit ständig wachsender Wirtschaft und expandierenden Bedürfnissen ihre natürliche Ressourcenbasis übernutzen und in Verelendung oder Kriege geraten, oder hat sie nicht die besten Entwicklungsmöglichkeiten für ein gutes, menschenwürdiges Leben auf gesicherter wirtschaftlicher Basis? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir an einem Beispiel aus der modernen Wirtschaftsgeschichte Entwicklungslinien verfolgen, die uns etwas von der Dynamik unserer Bedürfnisse und der entsprechenden Dynamik der wirtschaftlichen Produktion und ihren Auswirkungen zeigen. Dieses Beispiel ist die Geschichte der SodaChlorchemie. Wir haben diese Geschichte in das Bild von der gesunden und üppigen Stadt eingebettet, um damit einen Horizont zu eröffnen, innerhalb dessen die Abläufe in Technik, Wirtschaft, Umwelt und Politik, von denen wir nun berichten, anschaulich werden können.

10.2 Von der Textilindustrie zur Soda-Chlorchemie 1 Die Entstehung der Soda-Chlorchemie ist untrennbar vom Aufkommen der Textilindustrie, die man auch als »die Mutter aller Industrien der Welt« (Rübbardt 1972) bezeichnet hat. Die Textilindustrie entstand in Europa in der Mitte des 18. Jahrhunderts aufgrund einer rasch wachsenden Nachfrage nach Textilstoffen, die im Rahmen vorindustrieller Produktionsweisen nicht mehr gesättigt werden konnte. Die Darstellung der Soda-Chlorchemie fußt vor allem auf der Arbeit von MüllerFürstenberger (1995); siehe auch Faber/Jöst/Manstetten/Müller-Fürstenberger (1996).

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Kennzeichnend für die Textilindustrie aber ist nicht nur, dass sie, wie Karl Marx einmal bemerkt, zu den »durch Wasser, Dampf und Maschinerie zunächst revolutionierten Industrien« (Marx 1890/1973: 315) gehört, sondern auch, dass sie ihre Rohstoffbasis innerhalb weniger Jahrzehnte weitgehend umwälzte. Das betraf vor allem die Einsatzstoffe, die zum Waschen und Bleichen der natürlichen Rohstoffe Baumwolle und Flachs benötigt wurden. Zwischen etwa 1700 und 1800 gelang es, die Bleichzeit von 6 bis 8 Monaten auf zwei bis drei Tage zu verkürzen (Müller-Fürstenberger 1995: 153). Dabei waren allerdings erhebliche Stoffsubstitutionen erforderlich: So musste man zum Beispiel Ersatz für die beim Bleichen bisher verwendete Alkalie Pottasche finden. Da nämlich die Herstellung einer Tonne Pottasche entweder 350 Tonnen Buchenholz oder 700 Tonnen Eichenholz oder 1 400 Tonnen Pappelholz erforderte, hatte der wachsende Bedarf zur Übernutzung vorhandener Wälder geführt. Als Ersatzstoff kam schließlich die Alkalie Soda zum Einsatz, die sich aus natürlichen Vorkommen gewinnen ließ. Allerdings war abzusehen, dass die Importmengen von Soda aus Ägypten oder Spanien mit der steigenden Nachfrage nach Textilien nicht Schritt halten würden. Da Frankreich von Lieferengpässen von Soda besonders betroffen war, schrieb die Französische Akademie 1775 einen Preis für die Erfindung eines synthetischen Verfahrens zur Sodagewinnung aus. Dieser wurde 1792 dem französischen Arzt und Chemiker Nicolas Leblanc zuerkannt. 2 Sein nach ihm benanntes Herstellungsverfahren für Soda fand schließlich dreißig Jahre später, also 1822, in England Eingang in die Massenproduktion. Das Leblanc-Verfahren machte die Wirtschaft von den natürlichen Sodavorkommen weitgehend unabhängig: Soda konnte praktisch in jeder gewünschten Menge hergestellt werden. Damit waren die Grundlagen für den gewaltigen Aufschwung der modernen Textilindustrie gelegt. Zu dieser Erfolgsgeschichte gehören allerdings noch andere Seiten. Zumindest erwähnen wollen wir an dieser Stelle die Arbeitsbedingungen bei der Textilbleiche: Noch 1860 arbeiteten etwa 12 Mädchen in sogenannten Trockenzimmern von etwa 10 Quadratmetern, die in der Mitte von einem großen Ofen ausgefüllt wurden, bei Raumtemperaturen von 35 bis 40 Grad Celsius von vormittags

Leblanc (1742–1801) war auch als Unternehmer tätig – wenngleich nicht erfolgreich. Er starb im Armenhaus.

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bis tief in die Nacht. 3 Aber hier geht es uns insbesondere um die Auswirkungen der Sodaproduktion auf die Umwelt. Nachdem 1822 die industrielle Sodaproduktion in England aufgenommen worden war, klagten die Anwohner in der Nähe der Produktionsanlagen bald über Atemnot, und die Landwirte entdeckten massive Schädigungen an ihren Anpflanzungen. Diese Schäden stammten von dem Gas Chlorwasserstoff, das bei der Sodaherstellung durch die Schornsteine in die Luft gelangte. Beim Leblanc-Verfahren ist nämlich die Produktion von 100 kg Soda chemisch gekoppelt an das Entstehen von 69 kg Chlorwasserstoff. Zwar legten die Fabrikanten medizinische Expertisen vor, die dem Einatmen von Chlorwasserstoff eine gesundheitsfördernde Wirkung zuschrieben (Müller-Fürstenberger 1995: 187), nach jahrzehntelangen Protesten der Betroffenen schritt jedoch schließlich die Politik ein. 1864 verabschiedete das englische Parlament das »Chlor-Alkali-Gesetz«, das die Hersteller verpflichtete, Chlorwasserstoff nicht mehr in die Luft abzuführen. Von da ab gelangte Chlorwasserstoff stattdessen in Form von Salzsäure in die Flüsse. Diese Problemlösung führte indes dazu, dass Schleusen und Schiffsrümpfe angefressen oder zerstört wurden. Wieder bedurfte es massiver staatlicher Zwangsandrohung, bis die Unternehmen 1874 ihr Verfahren aufgrund einer Innovation ergänzten. Der nach seinem Erfinder benannte Deacon-Prozess 4 im Jahre 1868 ermöglichte es, aus der schädlichen Salzsäure reines Chlor zu gewinnen. Damit beginnt die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der Chlorchemie: Reines Chlor wurde auf Märkten angeboten und fand eine schnell wachsende Nachfrage.

10.3 Vom reinen Chlor zu den FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffen) Chlor gehört auf sehr gegensätzliche Weise zum heutigen Alltag: Salz in Meeren und Salzstöcken, Salz als Speisewürze oder als Heilmittel in Solebädern – stets handelt es sich, chemisch gesehen, um eine Chlorverbindung, nämlich um Natriumchlorid, NaCl. Vor allem in Verbindung mit Metallen wie Natrium, Kalium und Calcium Vgl. Marx (1890/1973: 314 f.). Marx bezieht diese Informationen aus einem regierungsamtlichen Bericht der englischen Fabrikinspektoren vom 31. Oktober 1862. 4 Benannt nach dem englischen Chemiker Henry Deacon (1822–1876). 3

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kommt Chlor in unserer natürlichen Umgebung sehr häufig vor. Aber Chlor ist zugleich in einer ganz und gar nicht natürlichen Weise in unserem Alltag gegenwärtig. Man denke nur an das PVC (Polyvinylchlorid) in Fußböden und Fensterrahmen oder an die Desinfektion des Wassers in den Schwimmbädern, wo jeder von uns den Geruch von Chlor kennenlernt. Chlor findet sich überdies in Leitungsrohren und Kunststoffen, in Farben aller Art sowie in Kühlund Reinigungsmitteln. In all diesen Verwendungen muss Chlor aus seinen natürlichen Verbindungen gelöst worden sein, um als reines, oder – wie die Chemiker auch sagen – freies Chlor neue Verbindungen einzugehen. Freies Chlor ist für uns giftig: Es ist ein Gas, das bereits in großer Verdünnung die Atmungsorgane reizt. Aus freiem Chlor lassen sich aber äußerst stabile und ungiftige Verbindungen herstellen, die günstige Eigenschaften für viele Einsatzmöglichkeiten aufweisen. In der chemischen Industrie, einer Schlüsselindustrie der europäischen Wirtschaft, belief sich der Anteil der Chlorchemie am Umsatz in den achtziger Jahren auf mehr als die Hälfte. Damit leistet sie einen wesentlichen Beitrag zu unserem Lebensstandard. Angesichts dieser wirtschaftlichen Bedeutung der Chlorchemie muss es allerdings nachdenklich machen, dass nicht wenige Chemiker und Verfahrenstechniker die Ausweitung der Chlorchemie für eine der entscheidenden Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts halten, wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen 1990 feststellte. Diese Ansicht wird vielleicht verständlicher, wenn wir uns nun paradigmatisch mit einem der Stoffe der Chlorchemie ausführlicher beschäftigen. Es ist FCKW, Fluorchlorkohlenwasserstoff. Die FCKWs sind Auslöser eines der großen Umweltprobleme des 20. und 21. Jahrhunderts, nämlich der Zerstörung der Ozonschicht. 5 Es sei hier angemerkt, dass dieses Problem nicht verwechselt werden sollte mit dem sogenannten anthropogenen Treibhauseffekt, der Erwärmung der Erdatmosphäre aufgrund der Emission von Spurengasen. 6 Der Grund für die Produktion von FCKWs sind ihre günstigen Eigenschaften: Sie interagieren nicht mit anderen Stoffen, sind schwer brennbar und ungiftig. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begann ihre industrielle Produktion. Sie kamen unter anderem in Kühlschränken und Hitze-Isolatoren zum Einsatz und erDie Information zur Geschichte der FCKWs stammt aus Luhmann (2001a, 2001b). Indes sind FCKWs auch am Treibhauseffekt beteiligt, wenn auch nach Kohlendioxid und Methan erst an dritter Stelle.

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wiesen sich als ideales Lösungsmittel für viele organische Substanzen. Für die Haushalte erschienen die FCKWs als ein rechter Segen. Kühlschrank und Gefriertruhe funktionierten auf ihrer Basis. Damit wurden die FCKWs Teil einer Lebensform, die bis heute aus den entwickelten Gesellschaften nicht wegzudenken ist. Wir können uns unsere Ernährung ohne Kühlhäuser und Kühlwagen, ohne Kühlschrank und Gefriertruhe überhaupt nicht vorstellen. Die Massenproduktion von FCKWs begann in den USA 1947 und in der Bundesrepublik Deutschland 1953. 7 Jahrzehntelang wurden FCKWs ohne erkennbare negative Umweltwirkung verwendet. Hätte man 1965 eine konventionelle Risikoanalyse für FCKW durchgeführt, so wären keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Gesundheit erkennbar gewesen. Während der Jahre 1930 bis 1948 wurden insgesamt nur 30 000 Tonnen FCKW sukzessive in die Atmosphäre entlassen. 1974 wurden innerhalb eines Jahres in der Welt bei der Produktion und Entsorgung FCKW-haltiger Geräte hingegen 350 000 Tonnen emittiert. Nicht zuletzt aufgrund des Gebrauchs von Spraydosen hatte sich der Verbrauch drastisch erhöht. In eben diesem Jahr 1974 stellten amerikanische Wissenschaftler fest, dass FCKWs, wenn sie in die Atmosphäre entlassen werden, aufgrund ihrer Stabilität bis in die Stratosphäre gelangen. Das ist die Schicht der Atmosphäre, die sich von etwa 12 km über dem Meeresspiegel 8 aufwärts bis zu einer Höhe von 55 km erstreckt. In der praktisch wolkenfreien Stratosphäre aber verlieren die FCKWs ihre Stabilität. Durch photochemische Prozesse wird aus den FCKW-Molekülen Chlor herausgelöst. Die Wissenschaftler erkannten, dass dieses freigesetzte Chlor in die Bildungsund Abbauprozesse eines Stoffes eingreift, der in der Stratosphäre eine besondere Rolle spielt: Das Ozon. Ozon ist eine Form des Sauerstoffs mit der chemischen Formel O3. Es bildet sich vor allem in etwa 35 km Höhe durch die Einwirkung ultravioletter Strahlen. Die Ozonschicht macht nur einen sehr geringen Teil der Erdatmosphäre aus. Sie erfüllt aber eine wichtige Aufgabe: Sie stellt nämlich einen Schutz gegen schädliche UV-Strahlung dar. Die Entstehung des Lebens auf dem festen Land wäre vermutlich ohne die Vgl. zum Folgenden Farman (2001). Im Mai 1985 beschrieb der damals unbekannte britische Wissenschaftler Farman in Nature erstmals den dramatischen Schwund der Ozonschicht. Die Veröffentlichung dieses Artikels brachte den Stein ins Rollen. 8 8 km in den Polargebieten oder 17 km in den Tropen. 7

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Ozonschicht nicht möglich gewesen, da die Einwirkung des UV-Lichtes das Leben kaum hätte aufkommen lassen. Ungehindert auftreffende ultraviolette Strahlung ist generell bedrohlich für Lebendiges. Bei Menschen kann verstärkte UV-Strahlung zu Hautkrebs führen. 9 Unklar war noch 1974, zu Beginn der Debatte über das sogenannte Ozonloch, in welchem Umfang das Ozon zerstört wurde. So heißt es 1977 im US Clean Air Act, dem amerikanischen Luftreinhaltegesetz, »es gebe zwar keinen schlüssigen Beweis, jedoch vernünftige Erwartungen von schädlichen Effekten, so dass Handlungsbedarf vorliege«. 10 Im Gegensatz dazu empfahl der weltgrößte Hersteller von FCKWs, die amerikanische Firma Du Pont, eine Haltung des »Abwartens und Zusehens«. Anfang der achtziger Jahre schien sich die Gefahr des Ozonschwundes wieder reduziert zu haben; denn Computermodelle prognostizierten nur geringe langfristige Verringerungen der Ozonschicht. Diese Einschätzung änderte sich drastisch Mitte der achtziger Jahre. 1985 reichte der bis dahin unbekannte britische Wissenschaftler Joe Farman, Leiter einer Forschungsstation in der Antarktis einen Aufsatz bei der (hoch angesehenen) wissenschaftlichen Zeitschrift »Nature« ein. Dort berichtete er, dass die normalen Ozonwerte in der Stratosphäre über seiner Station im Oktober 1982, dem antarktischen Frühling, extrem gering seien. Weitere Messungen im Oktober 1984 zeigten, dass die Ozonwerte saisonal um über 40 % gesunken waren. Nur zwei Wochen nach der Veröffentlichung bestätigten Forscher der NASA, der amerikanischen Weltraumbehörde, dass Farmans Ergebnisse zutrafen: Bereits 1979 hatten Satellitenbilder ein Ozonloch gezeigt. Diese und spätere Bilder waren jedoch nie ernst genommen worden. Erst 1985, aufgrund der Veröffentlichung in »Nature«, wurden die bereits vorliegenden empirischen Messungen theoretisch ausgewertet und anerkannt. 1986 und 1987 wurden weitere Belege für die Existenz eines Ozonloches gefunden. Am 1. Januar 1989 wurde ein internationales Abkommen zur sukzessiven weltweiten Reduzierung der HerstelEnquete-Komission des 11. Deutschen Bundestages »Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre« (1989: 131). 10 Die folgenden Zitate sowie die Informationen zur Geschichte der wissenschaftlichen Untersuchung des Ozonloches sind entnommen aus Luhmann (2001a) sowie Farman (2001). 9

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lung von FCKWs im sogenannten Montrealer Protokoll verabschiedet, an dem im folgenden Jahrzehnt Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen wurden. Dieses Abkommen war für die Umweltbewegung ein großer Durchbruch gewesen und öffnete die Tür für die späteren CO2 -Verhandlungen. Auch Länder wie Indien, Korea und China, die weiterhin FCKWs produzierten, verpflichteten sich, die Produktion im Jahre 2002 einzustellen. Allerdings werden noch bis 2010 aus bereits existierenden Geräten FCKWs emittiert werden. So wird die Konzentration der FCKWs in der Atmosphäre noch bis zum Jahre 2020 steigen. Der Stand der Konzentration von 1970 wird erst nach dem Jahre 2050 wieder erreicht werden. Blicken wir noch einmal auf die Zeitstruktur dieser Abläufe zurück: Es dauerte seit Beginn der industriellen Produktion der FCKWs mehr als ein halbes Jahrhundert, bis man die gefährlichen Folgen entdeckte. Wieder verstrichen vier Jahre bis zur Unterzeichnung des Montrealabkommens und weitere 20 Jahre werden verstreichen, bis die Emissionen endgültig aufhören. Schließlich kann erst in der Mitte unseres Jahrhunderts damit gerechnet werden, dass die gröbste Gefahr vorbei ist. Zwischen dem Beginn der Produktion der Stoffe und der weitgehenden Beendigung der von ihnen ausgehenden Gefährdung liegen also fast anderthalb Jahrhunderte.

10.4 Kuppelproduktion und Verantwortung Die Geschichte der Soda-Chlorchemie, von der wir hier eine Seite vorgestellt haben, erscheint als eine Geschichte von Erfindungen, Entdeckungen, Produktionsverfahren einerseits, Umweltfolgen und politischen Regelungen andererseits. Darin liegt eine Dynamik, die zu neuen Erfindungen, Entdeckungen, Produktionsverfahren, Umweltfolgen und Regelungen führt. Hinter dieser Dynamik gibt es eine Antriebskraft: Die Nachfrage der Haushalte. Für die SodaChlorchemie ist es die Nachfrage nach Textilien, für die Chemie der FCKW-Produktion die Nachfrage nach Kühlgeräten und Spraydosen. Insgesamt ist die Geschichte der Soda-Chlorchemie typisch für eine Gesellschaft, in der Bedürfnisse nie an eine Grenze stoßen, da sie von der Haltung der Pleonexia, des Mehr-und-mehr-haben-Wollens, geprägt ist. Aber was bedeuten Abläufe wie die Geschichte der SodaChlorchemie für diese Gesellschaft? Auf der einen Seite finden wir dazu Positionen wie die des 248 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Sokrates: Eine Gesellschaft des Mehr-haben-Wollens gefährdet und zerstört langfristig ihre Ressourcen- und Umweltbasis. Wenn sie die ganze Erde ausgeplündert hat, wird sie untergehen. Auf der anderen Seite steht die Position der modernen Ökonomik. Für sie ist die Pleonexia ein ständiger Anreiz zu wirtschaftlichen Tätigkeiten. Die Konsumenten wollen immer mehr und immer bessere Güter und Dienstleistungen, die Produzenten, die Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer wollen ihr Einkommen und ihre Gewinne maximieren. Das kreative Potential einer Gesellschaft wird gemäß dieser Argumentation am einfachsten aktiviert, wenn Kreativität sich für die Kreativen lohnt. Sie lohnt sich am meisten, wenn die Produzenten ungehindert das produzieren dürfen, was die Konsumenten wollen. Das führt zu ständigem Wachstum der Wirtschaft. Somit ist die Pleonexia die eigentliche Triebkraft der modernen Marktwirtschaft und Motor des technischen Fortschritts. Anhand der Strukturen der Geschichte der Soda-Chlorchemie können wir nun den Versuch machen, beide Positionen gegeneinander abzuwägen. Dazu wollen wir zunächst überlegen, in welcher Weise unsere Gesellschaft, die auf dem Mehr-haben-Wollen basiert, tatsächlich »mehr hat«. Alle wollen mehr haben – was aber haben sie tatsächlich mehr bekommen? In jeder folgenden Periode unseres Wirtschaftslebens gibt es gegenüber der vergangenen ein Mehr an Gütern und ein Mehr an wissenschaftlich-technischem Wissen – wenn wir von Schwankungen und Krisen absehen. Aber es gibt noch auf andere Weise »Mehr«: Erinnern wir uns an die Herstellung von Soda im Rahmen des Leblanc-Verfahrens: Wenn die Gesellschaft 100 kg Soda mehr als vorher hatte – und dieses »Mehr« war jeweils gewollt, weil die Gesellschaft mehr und mehr Textilien wollte – so hatte die Gesellschaft zwangsläufig auch 69 kg Chlorwasserstoff mehr als vorher – und dieses »Mehr« wollte sie keineswegs. Wenn die Herstellung von »Mehr« einer bestimmten Art auch »Mehr« von etwas anderem bedeutet, wenn bei der Herstellung eines Produktes gleichzeitig zwangsläufig weitere Produkte mit hergestellt werden, spricht man in der Ökonomie von Kuppelproduktion. 11 Kuppelproduktion kann unproblematisch oder sogar erwünscht sein. So werden beispielsweise in der ge11 Zur Theorie der Kuppelproduktion siehe die ausführliche Monographie von Baumgärtner (2000); siehe auch Faber/Proops/Baumgärtner (1998), Baumgärtner/Dyckoff/ Faber/Schiller/Proops (2001) und Baumgärtner/Faber/Schiller (2006).

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sunden Stadt des Sokrates Schafe aufgezogen zur Herstellung von Wolle. Gleichzeitig aber erhält man Schafsmilch, Schafskäse und Schaffleisch als Kuppelprodukte. Agrarische Produktion ist in der Regel erwünschte Kuppelproduktion. Anders sieht es vielfach in unserer technisch-industriellen Welt aus. Beim Leblanc-Verfahren ist Chlorwasserstoff ein schädliches Kuppelprodukt des Soda. Auch die zusätzliche Einwirkung der UVStrahlung auf die Erde aufgrund des Ozonloches kann als ein schädliches Kuppelprodukt des Herstellungs- und Verwendungsprozesses von FCKWs aufgefasst werden. Drei weitere Beispiele mögen zeigen, in welchem Ausmaß bei uns schädliche Kuppelprodukte entstehen: 12 1. Ein Zwei-Personen-Haushalt benötigt pro Jahr etwa 4 000 Kilowattstunden (kWh) elektrischen Strom. Bei der Erzeugung dieser Strommenge durch Braunkohle werden gleichzeitig 6 000 l Wasserdampf, 21 600 Kubikmeter Abgase, 3 200 l Abwasser und 288 kg Asche hergestellt. 2. Hausmüll ist Kuppelprodukt unseres Konsums. 1996 fielen in der Bundesrepublik Deutschland 45 Millionen Tonnen Hausmüll an. Um eine Idee von der Größenordnung dieser Menge zu bekommen, muss man sich eine Müllhalde von 10 m Höhe und 100 m Breite vorstellen. Die gesamte Länge dieser Müllhalde würde 45 km betragen. 3. Das dritte Beispiel betrifft die jährliche Luftbelastung durch die deutsche Wirtschaft. Sie belief sich 1999 auf 259 000 t Staub, 831 000 t Schwefeldioxid, 1,64 Mio t Stickoxid, 4,95 Mio t Kohlenmonoxid und 859 Mio t Kohlendioxid. Würde man von einem anderen Stern aus die Materialströme auf der Erde beobachten, dann würde man vor allem die riesigen Mengen an schädlichen Kuppelprodukten sehen. Im Vergleich dazu machen die Mengen der Konsumgüter nur einen Bruchteil aus. So könnten außerirdische Lebewesen den Eindruck gewinnen, der eigentliche Zweck aller Produktion sei die Herstellung von Abfällen. Wirtschaftlich und ökologisch gesehen ist schädliche Kuppelproduktion eines der größten Probleme derjenigen Gesellschaft, die Sokrates als die üppige Stadt bezeichnet. Kuppelproduktion stellt auf zwei Ebenen eine Herausforderung dar: Auf der Erkenntnisebene ist zu fragen: In welcher Weise nimmt die Gesellschaft Kuppelproduk12

Die folgenden Daten stammen aus Institut der Deutschen Wirtschaft (2000).

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tion wahr? Auf der Handlungsebene ist zu fragen: Welche Instanzen sind dafür zuständig, schädliche Kuppelproduktion auf ein für Gesellschaft und Natur erträgliches Maß zu reduzieren? Was die Erkenntnisebene betrifft, so bieten sich drei Bereiche an, in denen Produktion mit ihren Folgen thematisiert werden kann: 1. der Markt, 2. die Wissenschaft, 3. die Öffentlichkeit und die Medien. Wie steht es nun mit der Wahrnehmung von Kuppelproduktion in diesen drei Bereichen? 13 Zu 1: Beginnen wir mit dem Markt. Kuppelproduktion zeigt, dass Produktion und Konsum stets in Verbindung mit denjenigen Abläufen zu sehen sind, die von den durch sie ausgelösten Kuppelprodukten betroffen sind. Eine solche Sicht erfordert eine ganzheitliche Wahrnehmung von Produktion und Konsum im sozialen und ökologischen Kontext. Eine derartige Wahrnehmungsweise kann allerdings kaum von den Marktteilnehmern, den Produzenten und Konsumenten, erwartet werden. Insofern diese Interessen verfolgen, wie sie auf dem Markt üblich sind, also Interessen der Einkommens-, Gewinn- und Nutzenmaximierung, sind sie strukturell an der Wahrnehmung schädlicher Kuppelproduktion nicht eigentlich interessiert. Die Konsumenten interessieren sich primär für ihre eigene Bedürfnisbefriedigung, nicht aber für die damit zusammenhängenden Folgen aufgrund von Kuppelprodukten – jedenfalls solange sie nicht selbst davon betroffen sind. Die Produzenten, die Naturwissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer, interessieren sich primär für den Erfolg der vorgesehenen Anwendung. Alles Produktions- und Anwendungswissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge, technische Anwendungen und ökonomische Vermarktung wird auf diesen Erfolg fokussiert. Der Markt tendiert somit dazu, die Menschen einseitig zu machen und ihnen den Blick für das Ganze zu nehmen. Zwar hätten ohne eine gewisse Einseitigkeit, ja eine Art Besessenheit, viele große Erfindungen und Entdeckungen gar nicht erst stattgefunden. In unserem Zeitalter der Spezialisierung erwartet man von Wissenschaftlern und Ingenieuren sogar, dass sie sich bewusst dafür entscheiden, eine einseitige Sicht einzunehmen – nämlich die oft hoch spezialisier13 Vgl. zum Folgenden Petersen/Faber (2004, 2005) sowie Baumgärtner/Faber/Schiller (2006: Teil 3).

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te Sicht ihrer besonderen Fachdisziplin oder Sparte. Aber die Einseitigkeit des Marktes drängt die Markteilnehmer oft geradezu systematisch in eine Rolle des Nicht-Sehen-Könnens, das immer auch ein Nicht-Sehen-Wollen ist. Alle Unternehmer, die das Leblanc-Verfahren im 19. Jahrhundert anwendeten, konnten wissen, dass bei der Herstellung von Soda aufgrund der chemischen Reaktionen zugleich auch Chlorwasserstoff 14 produziert wurde: Was das bedeutete, konnten sie in der Umgebung ihrer Fabriken mit jedem Atemzug erfahren. Daraus zogen sie jedoch keine Konsequenzen. Denn die Einführung eines Verfahrens wie des Leblanc-Verfahrens ist sehr kapitalintensiv und mit großen finanziellen Risiken für die Kapitalgeber verbunden. Eine Stillegung der entsprechenden Anlagen entwertet das gesamte eingesetzte Kapital und zieht häufig den Ruin des Unternehmers nach sich. Daher liegt es für die Beteiligten nahe, alles zu übersehen oder zu leugnen, was das Verfahren gefährden würde. Zu 2: Die Institutionen des Marktes sind also für die Wahrnehmung der Kuppelproduktion keineswegs förderlich: Wie steht es aber mit der Wissenschaft? Während bei der Soda-Produktion die Wissenschaft für die Wahrnehmung der Probleme eine eher geringe Rolle spielte, war die Wissenschaft ausschlaggebend für die Wahrnehmung des aus den FCKWs resultierenden Ozonloches. Strukturell ist die Wissenschaft somit zwar eine geeignete Instanz zur Wahrnehmung schädlicher Kuppelproduktion, aber diese Instanz unterliegt zwei Beschränkungen. 1. Der weit überwiegende Teil der wissenschaftlichen Forschung ist direkt oder indirekt an wirtschaftliche Interessen gebunden. Für die Wahrnehmung von Kuppelproduktion kommen vor allem Naturund Ingenieurwissenschaften in Frage. Diese Wissenschaften sind in besonderem Maße auf die Finanzierung ihrer großen Forschungsaufwendungen durch die Industrie angewiesen. 2. Alle Wissenschaft ist heute arbeitsteilig organisiert. Die Spezialisierung hat einen Grad erreicht, den es zuvor noch nie gegeben hat. Kuppelproduktion ist meist vielfältig, ihre Phänomene überschreiten in der Regel den Bereich einer bestimmten Wissenschaft. An der Produktion der FCKWs z. B. sind vor allem Chemiker und Ingenieure beteiligt, für die Untersuchung der Stratosphäre sind vor allem Meteorologen, Atmosphärenphysiker und -chemiker zuAuch fielen 68 kg Calciumsulfid und 83 kg Kohlendioxid an (Müller-Fürstenberger 1995: 182).

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ständig, für die Folgen für Natur und Mensch wiederum Biologen und Mediziner. Es kann, wie wir gezeigt haben, aufgrund der Arbeitsteilung sehr lange dauern, bis Wissenschaftler erkennen, wie die verschiedenen Bereiche ihrer Forschung miteinander durch Kuppelproduktion verbunden sind. Zu 3: Die Öffentlichkeit ist für die Wahrnehmung unerwünschter Kuppelproduktion nicht immer auf die Wissenschaft angewiesen. Dass der Chlorwasserstoff aus den Leblanc-Fabriken nicht bekömmlich war, erkannten die Anwohner der Sodawerke, indem sie ihn einatmeten. Allerdings ist die Öffentlichkeit an sich unstrukturiert und unartikuliert, sie hat keine eigene Stimme. Häufig bedarf es langer Zeit, bis die Medien die Probleme in der Öffentlichkeit aufgreifen, und noch einmal lange Zeit, bis diese Probleme ernstgenommen und politisch diskutiert werden. Gehen wir nun von der Erkenntnisebene zur Ebene des Handelns über. Schädliche Kuppelproduktion stellt in besonderer Weise das Problem der Verantwortung. Denn sie betrifft immer das, was die Beteiligten eigentlich nicht wollen, aber durch ihr Handeln – manchmal wissend, manchmal halbwissend, manchmal auch ohne die geringste Ahnung – in Kauf nehmen. Strukturen, wie wir sie in der Darstellung der Geschichte der Soda-Chlorchemie gezeigt haben, gelten generell: Ursächlich geht schädliche Kuppelproduktion nicht nur auf Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer zurück, sondern insbesondere auf die Verbraucher, die immer mehr und immer bessere Produkte nachfragen. Aber inwiefern sind die Verursacher die Verantwortlichen? Haben wir nicht gezeigt, dass die Wahrnehmung der Wirtschaftssubjekte sie strukturell daran hindert, auf Kuppelprodukte zu achten? Und gilt dies nicht verstärkt, wenn es darum geht, ob und in welchem Ausmaß durch gegenwärtiges Tun in ferner Zukunft unerwünschte Kuppelprodukte entstehen werden? Die individuelle Verantwortung scheint in solchen Strukturen kaum zulänglich. In solchen Fällen ist es vielfach die Politik, von der Lösungen erwartet werden. Wäre es nicht ihre Aufgabe, Institutionen einzurichten, die die Gesellschaft auf schädliche Kuppelproduktion aufmerksam machen? Aufgrund der Empfehlungen dieser Institutionen könnten Gesetze beschlossen werden, in denen die schädliche Kuppelproduktion verboten oder auf ein erträgliches Maß heruntergeschraubt würden und riskante Verfahren erst gar nicht zugelassen würden. Damit würde in die sich selbst überlassenen Märkte ein 253 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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politischer Schutzmechanismus eingebaut, der schädliche Kuppelproduktion in Gegenwart und Zukunft verhindern könnte. Wäre es damit nicht möglich, dass die Kombination aus Mehr-haben-Wollen und einseitigem Wissen, die die Antriebsmaschine unserer Wirtschaft ist, weiter laufen könnte – nur, wo es nötig ist, mit den richtigen Bremsen versehen? Aus der Geschichte der Soda-Chlorchemie könnte man versucht sein zu schließen: Sind die Probleme schädlicher Kuppelproduktion einmal erkannt, können sie von Wissenschaft, Politik, Technik und Wirtschaft gelöst werden. Sind nicht gerade die Reaktionen auf das Ozonloch ein Beleg dafür? Man kann eine solche Position nicht widerlegen. Allerdings kann man die Geschichte der FCKWs und des Ozonlochs auch anders erzählen. H. J. Luhmann (2001: 182) kommentiert sie mit dem Satz: »Wir sind noch einmal davongekommen.« Sieht man die Geschichte so, dann stellt sich auch die Frage nach der Verantwortung anders. Dann können wir nicht darauf vertrauen, dass Wissenschaft, Politik, Technik und Wirtschaft die Probleme schädlicher Kuppelproduktion rechtzeitig lösen. Denn wenn wir beim Ozonloch »noch einmal davongekommen sind«, müssen wir fragen: Was ist, wenn wir einmal nicht mehr davonkommen? Und weiter müssten wir fragen: Sind wir berechtigt, immer neue Prozesse in Gang zu setzen, bei denen wir darauf angewiesen sein könnten, dass wir »noch einmal davonkommen«? Oder müssten nicht Wissenschaft und Politik dafür sorgen, dass Technik und Wirtschaft solche Prozesse erst gar nicht in Gang setzen? Gegenwärtig initiieren wir, etwa in der Gentechnologie, neue Produktionsverfahren, von deren Kuppelprodukten wir kaum eine Vorstellung haben können. Seit den Erfahrungen mit den FCKWs und dem Ozonloch wissen wir aber, dass neue Verfahren mit Gefahren verbunden sein können, die man bei der Einführung des Verfahrens noch nicht kennt. Wir wissen also, dass wir unwissend sind über das, was wir tun. Durch dieses Wissen über unser Unwissen werden wir in gewisser Weise verantwortlich auch für Folgen unseres Tuns, die wir noch nicht kennen. Denn ein Tun, von dem man nicht weiß, ob es nicht langfristig gefährliche Folgen für Mensch und Natur nach sich zieht, muss nicht sein: Wir könnten darauf verzichten.

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10.5 Abschließende Überlegungen Wir wissen, dass unsere Gesellschaft nicht in den Stand der gesunden Stadt zurückkehren kann. Wir wissen, dass die Dynamik des Mehrhaben-Wollens in unserer Gesellschaft – einer Gesellschaft, die der üppigen Stadt entspricht – die Komplexität der Abläufe in Wissenschaft, Technik, Produktion, Konsum und Politik ständig steigert. Wir wissen, dass wir damit unsere Lebensgrundlagen gefährden. Wie sollen wir damit umgehen? Die zwei Antworten, die wir anzubieten haben, sind in gewisser Weise enttäuschend. Vielleicht ist das aber gut so, nämlich dann, wenn diese Enttäuschung dazu beiträgt, uns von Täuschungen zu befreien. Die erste Antwort ist, dass wir keine Antwort haben. Man hat schon viel begriffen, wenn man gegenüber übertriebenen Versprechungen von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft misstrauisch wird, wenn man sich von Verharmlosungen, es werde schon so schlimm nicht kommen, nicht mehr beschwichtigen lässt. Es erscheint uns als ein echter Erkenntnisfortschritt, wenn die Gesellschaft sich ihre Ratlosigkeit offen eingesteht. Es ist ein Zeichen von Klugheit, sich nicht für klüger zu halten, als man ist. Mit der Natur zu leben heißt in jedem Fall zu akzeptieren, dass wir in wesentlichen Hinsichten unwissend sind. Diese Einsicht in unser Unwissen sollte in unser Handeln eingehen. Die zweite Antwort passt nicht ganz zu den Problemen der schädlichen Kuppelproduktion und hängt doch eng mit ihnen zusammen. Eine Chance, derartige Probleme von der Wurzel her zu erfassen, hat eine Gesellschaft nur, wenn sie offen ist für die Frage und die Suche nach einem Verständnis des Ganzen. Bereits Platon hat erkannt, dass eine Gesellschaft, will sie langfristig in einer menschlichen Weise überleben, darauf angewiesen ist, dass in ihr der Blick für das Ganze geübt wird. Die Übung dieses Blickes wies Platon der Philosophie als ihre eigene Aufgabe zu. Zwar kann die Philosophie, wie sie heute gelehrt wird, kaum noch den Anspruch stellen, in einer besonderen Weise über die Erkenntnis des Ganzen zu verfügen. Gleichwohl müssen in unserer Gesellschaft Räume erhalten oder geschaffen werden, in denen frei von den Interessen der Wirtschaft und den Spezialisierungen der Wissenschaft ein ernsthaftes Suchen und Fragen nach dem Ganzen stattfinden kann. Diesem Suchen und Fragen Wege zu weisen, gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Philosophie. 255 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

11. Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit Glaube und Suche nach Gerechtigkeit als Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung

Vorbemerkung Die Diskussion über nachhaltige Entwicklung beschäftigt sich mit der Frage, ob unsere heutige Wirtschaftsweise mit ihrem Ressourcenverbrauch und ihren Auswirkungen auf die Umwelt zukunftsfähig ist. Kann in Zukunft so gewirtschaftet werden, wie wir es gewohnt sind, oder wird damit ein menschenwürdiges Dasein oder gar die physische Existenz zukünftiger Generationen von Menschen auf der Erde gefährdet? Wie hätte eine Wirtschaft auszusehen, die man als nachhaltig ansehen könnte? Obwohl über eine inhaltliche Bestimmung dessen, was unter ›nachhaltig‹ zu verstehen ist, und über die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Forderung nach einem nachhaltigen Wirtschaften keineswegs Einigkeit herrscht, ist es offensichtlich, dass jedes ernsthafte Nachdenken über das Problem der Nachhaltigkeit die Art und Weise, wie die Menschen in den reichen Ländern gegenwärtig ihre Produktion gestalten, ihre Bedürfnisse befriedigen und mit sich, ihren Mitmenschen und der Natur umgehen, fundamental in Frage stellt. Der Gedanke, von dem wir ausgehen, lautet: Das Nachdenken über Formen eines neuen Umgangs der Menschen mit sich selbst, den Mitmenschen und der ganzen Natur wäre auch dann sinnvoll, wenn wir nicht vor der Frage stünden, wie wir die Wirtschaft nachhaltig gestalten können. Nicht weil die Ressourcen unserer Wirtschaft auszugehen drohen und die Schadstoffe aus Produktion und Konsum die Qualität von Boden, Wasser und Luft möglicherweise unwiderruflich schädigen, sondern weil wir nicht gut leben, d. h. in Disharmonie mit uns selbst, den Nächsten und der Natur, haben wir allen Grund, nach einer grundsätzlichen Umgestaltung unseres Lebens zu trachten. Die gegenwärtigen Rohstoff- und Umweltprobleme, die Zerstörung tierischen und pflanzlichen Lebens und die Angst, zukünftiges menschliches Leben könnte durch unser gegenwärtiges 256 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

Wirtschaften unmöglich werden, sind nur Symptome dafür, dass viele Menschen sich in einer fundamentalen Nicht-Übereinstimmung mit sich selbst erfahren. Die vorliegenden Überlegungen wollen nicht direkt zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Nachhaltigkeit beitragen. Wir versuchen vielmehr, auf latente, häufig unbemerkt bleibende Dimensionen der Debatte über Nachhaltigkeit hinzuweisen und sie für die Weiterführung dieser Debatte fruchtbar zu machen. Die thesenartige Form dieses Versuchs ist beabsichtigt. Wenn wesentliche hier vorgestellte Gedanken als Behauptungen auftreten, die argumentativ nicht oder unzureichend abgesichert sind, so möchten sie als Anstöße zu einem Gespräch verstanden werden, dessen Ausgang offen ist. Vor allem dort, wo wir die Frage der Nachhaltigkeit mit dem Thema Religion in Verbindung bringen, ist uns Widerspruch erwünscht, sowohl von denen, die an Religion in ihren verschiedenen Gestalten interessiert sind, wie von denen, die jeder Religion fernstehen. Die folgenden Thesen 1 sind unter fünf verschiedenen Gesichtspunkten geordnet: 11.1 Nachhaltigkeit, Wissen und Unwissen; 11.2 Nachhaltigkeit als operationales Konzept und Nachhaltigkeit als Ideal; 11.3 das Ideal der Nachhaltigkeit und die Bedeutung des Konsenses; 11.4 die Bedeutung des Glaubens; 11.5 Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit.

11.1 Nachhaltigkeit, Wissen und Unwissen 1.

Wir wissen sicher, dass unsere gegenwärtige Wirtschaft nicht nachhaltig ist. Was aber eine nachhaltige Wirtschaft ist, wissen wir nicht. Aber selbst wenn wir es wüssten, so wüssten wir nicht, wie wir zu einer nachhaltigen Wirtschaft gelangen

Eine Kurzfassung dieser Thesen wurde am 18. 04. 1996 auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing vorgetragen, bei der die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland«, die vom Wuppertaler Institut für Klimaforschung im Auftrag vom B.U.N.D. und Misereor (BUND/Misereor 1997) erarbeitet worden ist, diskutiert wurde. Die dort vorgestellten »ökologischen Leitbilder« haben in der Öffentlichkeit große Resonanz gefunden. Offensichtlich spüren immer mehr Menschen, dass hinter der Diskussion über Nachhaltigkeit nicht nur die Sorge um das bloße Überleben der Menschheit steht, sondern dass es vor allem um ein gutes Leben für die Menschen geht, dessen Gehalt es zu entdecken gilt.

1

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Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

1.1

1.2

1.3

1.4

könnten. Wir wissen nur, dass wir nicht am gegenwärtigen Zustand festhalten dürfen. Wir wissen, dass die Folgen unserer gegenwärtigen Lebensweise die Lebensgrundlagen künftiger Generationen gefährden und das Dasein vieler Tier- und Pflanzenarten sowie das Gesicht der Erde an vielen Orten unwiderruflich zerstören. Auf welches Maß wir unseren Verbrauch an Ressourcen und Schadstoffaufnahmekapazitäten der Natur beschränken müssen, damit wir auch nur annähernd sicher sein können, nachhaltig zu wirtschaften, können wir aufgrund unseres prinzipiellen Unwissens über langfristige Prozesse in Natur und Wirtschaft nicht einmal größenordnungsmäßig in wissenschaftlich fundierter Weise angeben (Faber/Manstetten/Proops 1992). Alle Grenzwerte, die uns versprechen, dass wir bei ihrer Einhaltung nachhaltig wirtschaften würden, sind mit einem hohen Maß an Willkür behaftet (s. o. Kapitel 8). Aber selbst wenn wir uns eine solche Wirtschaft vorstellen könnten, so wüssten wir nicht, wie unsere Vorstellungen zu verwirklichen wären. Naturwissenschaftler, die die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wirtschaft zu kennen glauben und in der Öffentlichkeit präsentieren, berücksichtigen kaum, was wir über die Dynamik der Weltwirtschaft und das zu erwartende Bevölkerungswachstum wissen. Denn auf der Basis dieses Wissens lässt sich nicht vorstellen, auf welchen Entwicklungspfaden die Konzepte von einer nachhaltigen Wirtschaft friedlich – d. h. hier nicht mehr als: ohne kriegerische bzw. kriegsähnliche Auseinandersetzungen – verwirklicht werden könnten. So wenig wir wissen, was Nachhaltigkeit konkret bedeutet und wie sie zu erreichen wäre: Wir wissen, dass wir Grenzen ziehen müssen, was unseren Rohstoff- und Umweltverbrauch angeht, und daher wissen wir: Alle Maßnahmen, die insgesamt, also absolut gesehen (nicht pro Kopf), weltweit und langfristig zu einer Senkung des Rohstoff- und Umweltverbrauches führen, wirken in Richtung auf eine nachhaltige Wirtschaft. Das bedeutet: Eine Vielzahl von Schritten in Richtung zur Nachhaltigkeit ist denkbar, eine nicht geringe Anzahl solcher Schritte erscheint realisierbar. Ob wir uns allerdings mit diesen Schritten der Nachhaltigkeit nähern, wissen wir nicht: Es könnte sich

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Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

nämlich wie bei den Zahlen verhalten, wo die größere nicht näher bei Unendlich liegt als die kleinere.

11.2 Nachhaltigkeit als operationales Konzept und Nachhaltigkeit als Ideal 2.

Wir sehen einen grundlegenden Unterschied zwischen Nachhaltigkeit, insofern sie auf ein umfassendes Ideal für die Neugestaltung zukünftigen menschlichen Lebens verweist, und Nachhaltigkeit, insofern sie als ein Bündel operationaler Konzepte in bestimmten politischen und ökonomischen Kontexten angesehen wird. 2 2.1 Zu den operationalen Konzepten gehören auf der technischen Ebene zahlreiche Verfahren des produktionsintegrierten Umweltschutzes, auf der wirtschaftlichen Ebene Vorschläge wie der Abbau umweltschädlicher Subventionen, Anreize für schonende Technologien oder die Öko-Steuer. Diese operationalen Konzepte werden immer umstritten sein, sei es in wissenschaftlich-technischer, sei es in politisch-ökonomischer Hinsicht. 2.1.1 Wissenschaftlich-technisch-ökonomisch muss jedes Konzept, das den Anspruch stellt, nachhaltig zu sein, mit Kritiken und Gegenkonzepten rechnen, die – wenn man unsere Unsicherheit und unser Unwissen über wesentliche Prozesse in der Natur berücksichtigt – nicht weniger Plausibilität beanspruchen. Operationale Konzepte der Nachhaltigkeit sind theoretisch prinzipiell fehlbar. 2.1.2 Politisch-ökonomisch muss man mit dem Scheitern der operationalen Konzepte rechnen, da es in ihnen nicht selten um beträchtliche Umverteilungen von Einkommen und Vermögen geht, wo es Gewinner und Verlierer gibt. Es ist zu erwarten, dass potentielle Verlierer bei Maßnahmen in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft alle ihnen zur Verfügung stehenden ökonomischen und politischen Mittel einsetzen, um solche Maßnahmen zu verhindern. Operationale Konzepte der Nachhaltigkeit sind in der Praxis prinzipiell der Möglichkeit des Scheiterns ausgesetzt. Vgl. zu allen folgenden Ausführungen: Proops/Faber/Manstetten/Jöst (1996) sowie oben Kapitel 8.

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Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

2.1.3 Aus den beiden letztgenannten Gründen folgt weiterhin: Operationale Konzepte der Nachhaltigkeit sind selbst im günstigsten Fall nur mehrheits-, nicht aber konsensfähig. 2.1.4 Wenn wir bedenken, dass die gegenwärtige Weltwirtschaft nicht nachhaltig ist und dass möglicherweise sinnvolle operationale Konzepte der Nachhaltigkeit scheitern bzw. verfehlte operationale Konzepte der Nachhaltigkeit realisiert werden, wenn man weiter bedenkt, dass selbst im günstigsten Fall, d. h. wenn alle vernünftigen operationalen Konzepte der Nachhaltigkeit realisiert werden, die Möglichkeit besteht, dass das Resultat keineswegs eine als nachhaltig anzusehende Wirtschaft ist, so scheint aller Anlass zum Pessimismus zu bestehen. 2.1.4.1 Bei vielen, die sich lange mit Umweltfragen beschäftigen, lässt sich ein wachsender Pessimismus feststellen. Je mehr wir über den Ist-Zustand wissen, desto schlimmer erscheint uns die Lage der Welt und desto dringlicher erscheint uns eine weitgehende Umgestaltung der Gesellschaft, je mehr wir die Langwierigkeit und Zähigkeit des politischen Prozesses beobachten, desto hoffnungsloser sind wir bezüglich großer Veränderungen, und je mehr wir uns unserer eigenen Trägheit bewusst werden, desto mutloser werden wir, Schritte zu unternehmen. 2.1.4.2 Mit den folgenden Thesen möchten wir uns nicht gegen operationale Konzepte der Nachhaltigkeit wenden, im Gegenteil: Solche Konzepte werden gebraucht, und die Auseinandersetzung über ihre Realisierbarkeit ist dringend. Allerdings möchten wir davor warnen, sich an solche Konzepte zu klammern und folglich, wenn sie scheitern oder sich als verfehlt erweisen, zu resignieren. Denn die eigentlichen Fragen und Perspektiven der Nachhaltigkeit liegen nicht auf der Ebene operationaler Konzepte. 2.2 Nachhaltigkeit als Verweis auf ein Ideal bedeutet eine grundsätzliche Neuorientierung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens. 2.2.1 Jedes Ideal entspringt einer Idee. Unter Idee verstehen wir eine geistige Wirklichkeit, die allem menschlichen Denken, Vorstellen und Handeln vorausgeht. So sind Liebe, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit Ideen. 260 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

2.2.1.1 Ideen sind nicht eine Angelegenheit eines Wissens über Objekte, sie werden nicht denkend erschlossen, nicht im rationalen Diskurs vermittelt, denn sie sind vor allem Denken da. Alle Menschen haben diffus eine Ahnung von Ideen; aber nur selten werden sie manchen in Augenblicken plötzlicher Klarheit in einer inneren Gewissheit gegenwärtig. (Die Art der Gewissheit, in der Ideen erscheinen, lässt sich am besten mit der Wendung bezeichnen: Mir ist ein Licht aufgegangen). 2.2.1.2 Ideen selbst stehen außerhalb der Region diskursiven Wissens. Im Bereich des Wissens sind sie nicht als sie selbst, wohl aber als unausrottbare Anlässe zu rational unentscheidbaren Auseinandersetzungen gegenwärtig. 2.2.1.3 Die intellektuellen und lebenspraktischen Folgen von Ideen müssen der Kritik zugänglich sein. Denn durch die Kritik der Folgen aufgrund vernünftiger, allgemein einsichtiger Kriterien lassen sich zwar nicht Ideen selbst erkennen, wohl aber Ideologien ausscheiden. Andernfalls könnte man nicht zwischen der Ideologie des Nationalsozialismus von einer völkischen Gerechtigkeit und der wahren Idee der Gerechtigkeit differenzieren. Eine solche Differenzierung ist aber möglich, auch wenn wir nicht angeben können, was die wahre Idee der Gerechtigkeit ist; es genügt, dass wir wissen, was sie nicht ist. 2.2.2 Die Idee ist ewig. Das bedeutet nicht, dass sie von unendlicher Dauer ist. Ewig ist sie vielmehr, insofern sie außerhalb der Ordnungen der Zeit steht. 2.2.3 Ideen werden als solche nicht verwirklicht, denn sie sind selbst bereits Wirklichkeit. Keine äußere Wirklichkeit erschöpft den Gehalt einer Idee. Ideen werden daher auch nicht durch die äußere Wirklichkeit widerlegt, denn sie ist nicht ihr Ort. 2.2.4 Ideen werden wirksam in der Welt. Aus ihnen bilden sich Maßstäbe für die Kritik an ihrem Zustand und Anstöße zum Handeln, das in ihn eingreift. Wo Welt gestaltet wird, wirkt eine Idee; wo Welt verunstaltet wird, sind Ideologien am Werk. 2.3 Ideen drängen, wie alle inneren Wirklichkeiten, zur Mitteilung. Mitteilbar werden sie, indem sie sich zu Idealen bestimmen. Ideale sind in der Zeit wirkende Formulierungen von Ideen. 261 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

2.3.1 Ideale sind Lebensentwürfe; sie lassen sich als aus der Idee abgeleitete Antworten auf wesentliche Fragen einer Zeit verstehen. Ideale werden für eine bestimmte Dauer als Orientierungen für das Handeln in der äußeren Wirklichkeit anerkannt. 2.3.2 Historische Beispiele für Ideale sind das mittelalterliche Ideal des monastischen Lebens in der Lebensform der Klöster, das auf der Idee eines dem Dienst Gottes gewidmeten Lebens beruhte, oder das neuzeitliche Ideal des freien, selbstbestimmten, auf je eigene Weise sein Glück suchenden Menschen, das aus der Idee der individuellen Freiheit entsprungen ist. Dieses letztere Ideal ist die Grundlage des liberalen modernen Staates und seiner marktwirtschaftlichen Organisation. 2.3.3 Ideale können für eine lange Epoche gelten, aber sie sind vergänglich. Sie vergehen, wenn ihre Epoche vergeht. 2.4 Das Ideal, das in den gegenwärtig diskutierten Konzepten der Nachhaltigkeit verborgen ist, besteht in dem Versuch unserer Zeit, die Idee der Gerechtigkeit in wirksamer Weise neu zu fassen und sie in konkrete Lebensentwürfe zu überführen. 2.4.1 Die Schwierigkeit, die Bedeutung von Nachhaltigkeit zu spezifizieren und zu präzisieren, hängt damit zusammen, dass dieser Begriff in sich ein Ideal verbirgt, das aus der Idee der Gerechtigkeit entstammt. 2.4.2 Der Begriff Nachhaltigkeit ist als Bezeichnung für ein in der Idee der Gerechtigkeit gründendes Ideal problematisch: Denn aus diesem Begriff entspringen nicht Lebensentwürfe; allenfalls lassen sich aus ihm bestimmte Anforderungen an ein Ideal ableiten: Nachhaltigkeit impliziert eine gewisse zeitliche Ausdehnung. Demgemäß scheint dieser Begriff zu besagen, dass die Menschheitsgattung möglichst lange mit möglichst vielen Verfügungsmöglichkeiten über natürliche Rohstoffe und natürliche Schadstoffaufnahmekapazitäten auf der Erde existieren will. Das aber ist allenfalls ein Teilaspekt von Gerechtigkeit, insofern darin die Bereitschaft impliziert ist, zukünftigen Generationen ein gewisses Maß der Verfügung über die Schätze der Erde einzuräumen. – Trotz dieser Problematik werden wir den Begriff Nachhaltigkeit im Horizont der Diskussion eines Ideals weiterhin verwenden, weil er auf die Stelle im gegenwärtigen Diskurs verweist, wo unseres Erachtens ein Ideal verborgen liegt. Wenn wir im Folgenden vom Ideal der Nachhaltigkeit sprechen, so verstehen wir diese Wendung im Sinne 262 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

eines Platzhalters für ein Ideal, das zwar bis heute noch nicht in genügender Klarheit formuliert ist, aber sich im Verlauf der künftigen Auseinandersetzung über Nachhaltigkeit nach und nach deutlicher herausschälen könnte. 2.4.3 An ein Ideal, das aus dem Begriff der Nachhaltigkeit entwickelt wird, ist der Anspruch zu stellen, dass es sich nicht nur auf Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen bezieht, sondern auch auf Gerechtigkeit zwischen den gegenwärtig lebenden Menschen und auf Gerechtigkeit gegenüber nichtmenschlichem Leben, ja, eventuell gegenüber ganzen Lebensräumen.

11.3 Das Ideal der Nachhaltigkeit und die Bedeutung des Konsenses 3.

Ideen werden in der Zeit wirksam, wenn Menschen bereit sind, sich an den aus ihnen entspringenden Idealen zu orientieren. Ideale können die Welt aus der Idee neu gestalten, wenn sie in einem Prozess öffentlicher Auseinandersetzung allgemeine Zustimmung finden, die sich in Taten manifestiert. 3.1 Ein Ideal ist nur dann echt, wenn man an ihm gleichsam nicht vorbei kommt. Ein Ideal nötigt die Menschen, sich zu ihm zu verhalten. Die Entstehung und Verbreitung eines Ideals ist nur möglich, wenn die Menschen einer Zeit in ihm eine Antwort auf wesentliche Fragen ihres Lebens erkennen. Dabei ist vorauszusetzen, dass die Menschen gelernt haben, wesentliche Fragen zu stellen. 3.1.1 Die Zustimmung zu Idealen ist in ihrer Struktur paradox: Sie ist freiwillig, aber nicht in das Belieben des Einzelnen gestellt. Wer es für beliebig hält, wie er sich zu einem Ideal stellt, ist damit schon aus der Diskussion herausgetreten. 3.1.2 Es liegt im Wesen eines Ideals, dass es Zustimmung erfordert, weil es beansprucht, wirksame Form einer Idee zu sein, aber Zustimmung nicht erzwingen kann, weil es nie wissenschaftlich auszuweisen ist. Zum Ideal gehört daher die freie und offene Auseinandersetzung. 3.1.3 Ideale überzeugen, wenn sie den Menschen einer Zeit ihre Fragen bewusst machen und für ihr Suchen nach Antwort eine Richtung vorschlagen; zugleich müssen sie den Raum für je263 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

weils individuelle Formulierungen einer Antwort offenlassen. Letztlich wirken Ideale mehr durch exemplarische Lebenspraxis als durch Argumente. Verbreitet werden sie weniger durch konsistente Begründungen als durch glaubwürdige Erzählungen von einem im Sinne des Ideals geführten Lebens. 3.2 Die freie und allgemeine Zustimmung zu einem Ideal bezeichnen wir als Konsens. 3.3 Ein Konsens kann nur in einer offenen Gesellschaft auftreten, in der freie und öffentliche Diskussion möglich ist. In einer totalitären Gesellschaft oder einer Diktatur kann man nicht sinnvoll von einem Konsens sprechen. Unter Konsens wird häufig ein einstimmig gefasster Beschluss verstanden. In Wahrheit aber stellt sich ein Konsens nur selten – beispielsweise im Idealfall einer Verfassungsgebung – in einstimmigen Beschlüssen dar. Zumeist beinhaltet Konsens, dass in einer Gesellschaft über gemeinschaftliche Weltbilder, Aufgabenstellungen und Ziele soweit Einigkeit besteht, dass in der Öffentlichkeit kein ernstzunehmender Widerspruch dagegen auftritt. 3.4 Ein Konsens ist nicht Resultat eines Prozesses, sondern selbst ein Prozess. Er umfasst sowohl die Geschichte der Einigung als auch die Geschichte der Bewährung gesellschaftlicher Einigkeit im Handeln. 3.4.1 Im Ringen um einen Konsens kann eine Gesellschaft ihre Identität gewinnen. Ein Konsens bewährt sich gerade da, wo konkrete, vor dem Hintergrund des Konsenses beschlossene Maßnahmen sich in den Fangstricken des Alltags zu verfangen drohen. Die Kraft des Konsenses zeigt sich, wenn es erforderlich wird, mit dem unvermeidlichen Dissens bei der Ausführung von Entscheidungen umzugehen. Ein guter Konsens ist im Prinzipiellen fest, im Einzelnen flexibel und veränderlich. 3.5 Ideale sind prinzipiell konsensfähig. 3.5.1 Ideen sind nicht konsensfähig, weil sie zu unbestimmt, operationale Konzepte nicht, weil sie zu konkret sind. 3.6 Im Ideal der Nachhaltigkeit verdichten sich Lebensfragen der gegenwärtigen Menschheit. Daher dürfen wir auf einen Konsens hoffen. 3.6.1 Ein Konsens über Nachhaltigkeit als Ideal lässt sich nicht vorhersagen. Wohl aber kann er durch aktiven Einsatz gefördert werden. 264 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

3.6.2 Der Konsens über die Nachhaltigkeit wird, wenn er eintreten sollte, ein langer Prozess sein, da sein Ziel, die Änderung menschlichen Verhaltens, das Schwerste ist, was es gibt. Es ist leichter, Berge zu versetzen als Menschen zu ändern. Das erkennt jeder, der versucht, sich zu ändern. Wer aber nicht sich ändern will, wie sollte der die anderen ändern? 3.7 Ein Konsens über das Ideal der Nachhaltigkeit ist notwendig dafür, dass dieses Ideal für die Wirklichkeit bestimmende Bedeutung gewinnt. 3.7.1 Ist der Konsens stark, d. h. fließt das Ideal in Haltungen und Lebensformen ein, so ist ein Boden dafür bereitet, dass Nachhaltigkeit als gemeinschaftliche Aufgabe einer Gesellschaft formuliert werden kann. 3.7.2 Ist Nachhaltigkeit als gemeinschaftliche Aufgabe anerkannt, so ist ein Ausgangspunkt für die Formulierung kurz- und mittelfristiger operationaler Konzepte der Nachhaltigkeit gewonnen. Da der Konsens in einer Idee gründet und sich an einem Ideal orientiert, ist er nicht anfällig gegenüber Irrtümern, Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen auf der operationalen Ebene. Bildlich gesprochen: Zur operationalen Ebene gehört es, dass man sich verläuft, im Dickicht verfängt, stolpert und stürzt; die Orientierung am Ideal gibt die Kraft, aufzustehen, weiterzugehen und in jedem Augenblick neu nach dem rechten Weg zu suchen. Der Konsens über Nachhaltigkeit auf der Ebene des Ideals gibt also die Kraft, den Dissens, den Streit und den Kampf auf der Ebene der operationalen Konzepte auszutragen. Er ermöglicht es vor allem, Misserfolge im Operationalen auszuhalten. 3.8 Auf der Ebene der operationalen Konzepte scheinen die Fragen der Nachhaltigkeit von höchster Dringlichkeit: »Es ist bereits fünf nach Zwölf«. Unseres Erachtens trügt dieser Schein. Wenn das Ideal der Nachhaltigkeit kräftig ist, wird auch Kraft für große Änderungen auf der operationalen Ebene da sein. Wo aber Glaube und Zuversicht fehlt, entsteht Resignation. Daraus folgt: Nachhaltigkeit, die ja Langfristigkeit impliziert, bedarf der Geduld und Beharrlichkeit. Anders gesagt: Wer sich für Nachhaltigkeit einsetzt, muss viel Zeit haben – je schlimmer die Welt aussieht, desto länger muss der Atem derer sein, die sie ändern wollen. 265 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

11.4 Die Bedeutung des Glaubens 4. 4.1

4.2

4.2.1

4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1

4.3.2

Die Kraft, sich für das Ideal der Nachhaltigkeit einzusetzen und auf einen sozialen Konsens hinzuwirken, kommt aus dem Glauben. »Ich musste das Wissen aufheben, um für den Glauben Platz zu bekommen« (»Kritik der reinen Vernunft« 1787/1977: 33). Gemäß dieser Aufgabenstellung Kants ist es zweckmäßig, die operationale Seite der Nachhaltigkeit von dem Ideal der Nachhaltigkeit zu scheiden. Erstere betrifft Probleme des Wissens bzw. Unwissens, letztere berührt Fragen des Glaubens. Es gibt in der Nachhaltigkeitsdebatte eine latente, mit Wissenschaft nur verbrämte Theologie: Das Ideal der Nachhaltigkeit wird häufig mit der Intensität einer Heilslehre vertreten, während die Argumente dafür mit dem Anstrich wissenschaftlicher Autorität vorgebracht werden. Wir möchten versuchen, die latente Theologie offenzulegen und an die ihr gemäße Stelle zu rücken, indem wir im Zusammenhang der Nachhaltigkeitsdebatte über das Thema Glauben sprechen. Das Ideal der Nachhaltigkeit als solches, selbst wenn es klarer artikuliert wäre, als es zur Stunde ist, sollte nicht Gegenstand eines Glaubens sein. Denn das hieße, Nachhaltigkeit zu einer quasi-religiösen Wesenheit zu stilisieren. Wohl aber kann dieses Ideal dem Glauben Richtungen weisen – nach innen zur Idee der Gerechtigkeit und ihrem Ursprung, nach außen zu konkretem Handeln. Ein rein intellektueller Glaube ist kein Glaube. Im Glauben an die Gerechtigkeit ist die Idee der Gerechtigkeit bereits wirksam, auch wenn sie nicht klar artikuliert ist. Der Glaube wird lebendig, wo er über das Denken hinausgeht und nach der Gerechtigkeit als einer fraglosen und offenbaren Wirklichkeit strebt. Zum Glauben gehört der Zweifel an der Welt. Der glaubenden Person wird alles, was in der Welt für erlaubt, ratsam oder richtig gehalten wird, fragwürdig. Sie versteht die Welt nicht, weil sie in ihr die Gerechtigkeit nicht finden kann. Bisher finden sich Denk-, Erfahrungs- und Lebensformen, aus denen sowohl der lebendige Glaube als das, wonach er strebt, deutlich wird, nur in den Religionen bzw. in Lehren, deren Quellen sich aus den Religionen speisen.

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Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

4.3.3 Wird Gerechtigkeit als fraglose und offenbare Wirklichkeit, die in Raum und Zeit zu verwirklichen wäre, vorgestellt, so ist dies außerhalb und innerhalb der Religionen stets Ideologie, das bedeutet lebenspraktisch: Fanatismus. 4.4 Was fraglos und offenbar ist, ist nicht von dieser Welt. Wenn es sich manifestiert, so bricht es in diese Welt ein, stellt sie als Ganzes in Frage und erneuert sie in ihrer Ganzheit. 4.4.1 Gerechtigkeit wird in monotheistischen Religionen, im Judentum, Christentum und Islam als eine Selbst-Offenbarung eines schöpferisch wirkenden Gottes angesehen. Im Buddhismus verwirklicht sich in der Gerechtigkeit die Einheit der Lebewesen, die alle die Buddhanatur haben. 4.4.2 Das Suchen nach einer nachhaltigen Wirtschaft ist in seinen tiefsten Wurzeln religiös, insofern es dazu nötigt, das Ganze der heutigen Welt und den Ort des Menschen in ihr fundamental in Frage zu stellen. Aus buddhistischer Sicht verweist es auf das Ziel, die Einheit mit der allen Lebewesen eigenen Buddhanatur zu verwirklichen. Aus christlicher Sicht entspringt es dem Trachten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit (vgl. Matth. 6, 33), wenn man dabei im Auge behält: Ebenso wie die Idee der Gerechtigkeit transzendiert auch die Lehre von der Buddhanatur und die Botschaft vom Reich Gottes jegliches vergängliche Ideal, also auch das Ideal der Nachhaltigkeit. 4.5 Glaube ist eine Überzeugung nicht von Fakten, sondern von Existenzmöglichkeiten. 4.5.1 »Es ist aber der Glaube das feste Vertrauen auf das Erhoffte, ein Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht« (Hebräerbrief 11,1). 4.5.2. Glaube ist nicht ein privates oder kollektives Für-wahr-halten. Nur ein äußerliches Verständnis des Gehaltes von Judentum, Christentum oder Islam kann dazu führen, dass man Menschen abfordert, Unglaubliches wie die Auserwähltheit eines Volkes, die Auferstehung eines Menschen oder göttliche Verfasserschaft eines Textes im Sinne von Fakten der empirischen Welt hinzunehmen. 4.5.3 Es ist die Bedeutung der Glaubenssätze verschiedener Religionen, den Menschen ihr Leben in einem Licht zu zeigen, das seinen Ursprung jenseits der Beschränktheit dieses Lebens hat. Sie erinnern und mahnen die Gläubigen, dass sie aus einem 267 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

4.5.4

4.6 4.6.1

4.6.2

4.7 4.7.1

4.8 4.8.1

schlechten, den Gewohnheiten und Horizonten des Ego, der jeweiligen Gruppe, Nationalität oder Kultur verhafteten Leben herausgerufen sind in ein gutes Leben der Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe, dass sie und damit zugleich alle Dinge verwandelt werden können. Das, was wir hinter dem Streben nach einer nachhaltigen Wirtschaft nicht sehen, aber erhoffen, ist eine Lebensform, in der Gerechtigkeit geschieht und in der wir uns als fähig erkennen, Gerechtigkeit auszuüben – gegenüber uns selbst, unseren Mitmenschen, den kommenden Generationen und der Natur. Was wir nicht sehen, aber erhoffen, ist insbesondere, dass unsere eigene Trägheit, Resignation, Angst und Gier verwandelt werden kann. Glaube ist ein Sich-Anvertrauen jenseits des Bereichs unserer operationalen Konzepte und unseres Machens. Das Vertrauen, das den Glauben trägt, wird von keinem Intellekt erreicht; dennoch ist es nicht ein blindes Vertrauen: Glaube ist Hingabe, nicht Sich-Wegwerfen. Religion überschreitet das Denken, vernichtet es aber nicht. Wenn Glaube sich auf eine transzendente Dimension bezieht (in den theistischen Religionen auf Gott), dann bedeutet dies: Das Entscheidende wird nicht von uns gewirkt, wohl aber können wir es in uns und durch uns wirken lassen und im Einklang mit ihm mitwirken. Dies zu erkennen ist besonders wichtig im Hinblick auf den Einsatz für das Ideal der Nachhaltigkeit. Die Überzeugung, die den Glauben ausmacht, erweist sich als echt, wenn sie Haltung wird und sich in Taten manifestiert. Glaube manifestiert sich in einem verwandelten Leben. Im Christentum spricht man von der Metanoia, dem radikalen Umdenken, der völligen Umkehr aller Vorstellungen und Orientierungen. Die Aufgabe, die Bedeutung dieser Umkehr für uns zu entdecken, müssen, wie in jeder Zeit, auch wir Heutigen als Einzelne und Gemeinschaften neu stellen und beantworten. Glaube fällt nicht vom Himmel, er kommt auch nicht aus dem Nichts. Ebensowenig aber kann Glaube produziert werden. Glaube wird eingeübt, er ist ein Weg. Der Raum, Glauben einzuüben, findet sich bisher nur in der Religion. In der Religion zieht sich der Mensch aus der Welt, der Sphäre der Zerstreutheit, der Bedingtheit und Vergänglichkeit, zurück und sammelt sich in der Suche nach dem Unbe-

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Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

4.8.2

4.8.3

4.9.

4.9.1

4.9.2

dingten und Unvergänglichen. Von dorther aber gewinnt er die Kraft, gestaltend innerhalb des Bedingten zu wirken. Das Gebet und die stille Kontemplation in Judentum, Christentum und Islam, die schweigende Versenkung in östlichen Religionen (wie das Sitzen vor der leeren Wand im Buddhismus), das Studium heiliger Schriften, der Vollzug von Ritual und Liturgie bis hin zu Musik und Tanz (wie der Tanz der islamischen Sufis), schließlich die caritative Praxis im Sinne der Fürsorge für die Schwachen – all dies sind Formen, in denen der Glaube geübt und ins Leben hinausgetragen wird. Zu den Religionen gehören Lebensformen, die im Glauben vorweggenommene Verwandlung des Lebens tagtäglich neu einüben. Die Gemeinde, die Gemeinschaft der Gläubigen, die buddhistische Sangha, die Klöster in verschiedenen Religionen sind Gestalten, in denen – wie unvollkommen auch immer – das Verhältnis Mensch-Mensch und Mensch-Natur auf eine neue Grundlage gestellt wird. In den großen Zeiten des Judentums, des Christentums, des Islam, des Hinduismus und des Buddhismus ist innerhalb jeder dieser Religionen um die Welt gerungen worden. Religion ist nicht Weltflucht, sondern gleichsam die Übungsstätte für die Gestaltung der Welt. In allen Weltreligionen gibt es – neben anthropozentrischen Strömungen – starke Richtungen, in denen die Achtung vor dem Anderen, nicht nur vor dem anderen Menschen, sondern auch vor dem nicht-menschlichen Anderen, gelehrt wird. Dieser Andere kann, wie im Christentum, als Teil der Schöpfung gesehen werden, die, in den Worten von Paulus, »bis zur Stunde seufzt und in Wehen liegt«, die aber »in der Hoffnung (steht, d. V.), dass auch sie von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werde zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes« (Römer 8,19 und 20). Oder der Andere wird, wie im Buddhismus, als Manifestation der Buddhanatur erfahren. Dort sprechen die Gläubigen als erstes der vier Gelübde: »Die Lebewesen sind zahllos, ich gelobe, sie alle zu retten«. Daraus geht insbesondere die Pflicht hervor, kein Lebewesen zu töten. Heute, im Kern der Nachhaltigkeitsdebatte, geht es um die Umkehr von einer Welt, die mehr und mehr das Aussehen annimmt, als sei sie nur von Menschen für partikuläre Zwecke kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung zurechtgemacht, zu einer 269 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

Schöpfung, in der wir uns, unser Leben und unsere Mitwelt als Geschenk erfahren, dessen wir uns durch unser Handeln würdig zu erweisen haben. Erst diese Erfahrung befähigt zu gerechtem Handeln. 4.9.3 Nachhaltigkeit als Ideal, das im Glauben an die Gerechtigkeit wurzelt, verlangt Lebensformen, in denen das Ideal Gestalt annimmt. Diese sind nicht als etwas Objektives vorhanden, sie müssen aber auch nicht aus dem Nichts geschaffen werden. Mit den Religionen haben wir auf eine der Quellen hingewiesen, aus der wir solche Lebensformen neu schöpfen können. 4.10 Das Ideal der Nachhaltigkeit wird nicht durch Werbung oder politische Propaganda wirksam. Denn die Werbung presst das Ideal der Nachhaltigkeit – wie alle ihre Gegenstände – in eine ihren Medien gemäße Form. Dadurch macht sie es unwirksam. Der Konsens über die Nachhaltigkeit wird durch Glauben und gemeinschaftlich gestaltetes Leben erreicht werden. Der Glaube kann als Sauerteig wirken, der nach und nach alles durchdringt.

11.5 Zukunftsfähigkeit oder Zukunftswürdigkeit 5.

Weder kennen wir die Zukunft, noch können wir sie steuern. Wir können nur hoffen, uns in unserem Denken, Streben und Handeln einer guten Zukunft derart würdig zu erweisen, dass wir sagen können: Soweit das, was geschieht, auf uns zurückgeht, haben wir uns bemüht, es so gut geraten zu lassen, wie es uns möglich war. 5.1 Teilweise machen wir nicht, was geschehen wird, aber wir kennen es. Teilweise machen wir, was geschehen wird, und kennen, was wir machen. Teilweise machen wir, was geschehen wird, ohne es zu kennen. Teilweise machen wir nicht, was geschehen wird, und kennen es auch nicht. 5.1.1 Vieles, was ohne menschliches Zutun geschieht, ist durch wissenschaftliche Vorhersagen bereits im Vorhinein bekannt. 5.1.2 Vieles, was geschieht, wurde zuvor von Menschen gedacht und gewollt. Unter anderem sind Technik und Politik Versuche, was geschieht, schon im Vorhinein zu kontrollieren und zu steuern. 5.1.3 Gerade im Bereich der Umwelt gilt: Mehr und mehr von dem, was geschieht, wird sich, wenn es geschehen ist, als ungewollte 270 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

5.1.4 5.1.5

5.1.6

5.2

5.2.1

Folge menschlichen Handelns erweisen. Das aber bedeutet: Solange es nicht eintritt, ist es unbekannt. Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, Erdbeben etc. finden statt, ohne dass Menschen dazu beigetragen haben. Es wächst allerdings die Sorge, dass Ereignisse, die als Naturkatastrophen erscheinen, durch menschliches Handeln ausgelöst sein könnten. Wirbelstürme galten bis vor kurzem als etwas Natürliches; gegenwärtig erscheint es denkbar, dass ihr gehäuftes Auftreten in den letzten Jahren auf anthropogene Klimaveränderungen zurückzuführen ist. Wie immer Menschen willentlich kommende Ereignisse lenken können: Das Wesentliche im menschlichen Leben trifft uns, ohne dass wir rational erschließen können, woher, warum und wozu es geschieht. Geburt, Liebe, glückliche Augenblicke, Leid, Krankheit und Tod behalten – trotz aller Versuche, darüber zu verfügen – ein essentielles Moment des Unverständlichen. Dass uns nur begegnet, was uns – sei es auch unbewusst – in irgendeiner Weise entspricht, ist eine Annahme des Glaubens; dass alles, was uns zustößt, Resultat blinder Naturkräfte ist, soweit diese uns nicht durch Planen, Wollen und Handeln dienstbar und in eine uns nützliche Richtung gelenkt worden sind, ist eine Vermutung der Spekulation. In der im neutestamentlichen Kanon des Christentums überlieferten Apokalypse endet die Heilsgeschichte zwar mit der neuen Schöpfung, aber zuvor ereignen sich die Schrecken der Endzeit. Auch diejenigen, die Gott treu sind, haben nicht die Macht, sie abzuwenden, sondern nur die Aufgabe, mitten in diesen Schrecken im Glauben auszuharren. Was die Apokalypse bedeuten soll, ist innerhalb der christlichen Auslegungstradition umstritten – immer wieder haben Epochen die Endzeit für unmittelbar bevorstehend gehalten, immer wieder ist es dann anders gekommen. Aber jenseits der Erwartung konkreter Ereignisse und jenseits ihrer Einbettung in die christliche Tradition kann die Apokalypse uns auf etwas Wesentliches hinweisen: Die Zukunft liegt nicht im Machtbereich des Menschen: Auch wenn wir das Rechte täten, könnten wir von Katastrophen heimgesucht werden, die Menschheit könnte untergehen, auch wenn wir alles unterlassen würden, was zu ihrem Untergang beiträgt. 271 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

5.2.2 Der Versuch der modernen Menschheit, Zukunft in ihren Machtbereich hineinzuziehen und möglichst viele Prozesse in Natur und Gesellschaft zum Nutzen des Menschengeschlechtes, zur Sicherung des vorhandenen und zur Erreichung eines immer höheren Wohlstandes zu lenken und zu kontrollieren, hat in die gegenwärtige globale Rohstoff- und Umweltkrise geführt. 5.3 Wir können durch Verzicht auf die illusorische Lenkung der Zukunft und durch die Hinwendung zum Leben der Gegenwart unseren Anteil zur Vermeidung einer schlimmen Zukunft beitragen. Damit ist nicht gemeint, dass wir Vorsorge für die Zukunft unterlassen sollten, wo sie möglich ist, aber wir sollten lernen, uns in den Grenzen des Möglichen zu bescheiden, insofern es um die Beherrschung der äußeren Welt geht, und neue Möglichkeiten zu entdecken, insofern es die Entfaltung unseres eigenen Lebens angeht. 5.3.1 Wenn wir nicht mehr die Welt beherrschen und die Zukunft für unsere Zwecke kontrollieren wollen, können wir eine andere Aufgabe sehen: Uns selbst so weit zu kontrollieren, dass wir nicht unkontrolliert unserer Gier und unserem Ärger, unserer Betriebsamkeit und unserer Trägheit, unserer Torheit und unserer Angst folgen. 5.3.2 Die Rohstoff- und Umweltprobleme gegenwärtiger Wirtschaften sind Symptome für eine Einstellung, die die je eigenen Ideologien, Begierden und Abneigungen, Wünsche, Bedürfnisse und Ängste zum Prinzip des Handelns macht. Es ist kein an sich erstrebenswertes Ziel, eine Wirtschaftsform zu erfinden, die die Spanne des Daseins der Gattung Mensch auf der Erde möglichst weit dehnt, gleichgültig, in welcher Weise die Menschen mit sich, ihren Mitmenschen und der außermenschlichen Natur umgehen. Wenn Nachhaltigkeit nur bedeuten würde, dass wir die ichbezogene Einstellung, die die gegenwärtigen Menschen des Westens charakterisiert, so modifizieren möchten, dass auch kommende Generationen mit der gleichen ichbezogenen Einstellung die Erde bevölkern können, dann lässt sich fragen: Warum sollten auf unsere Generation noch viele Generationen von Wesen, die in erster Linie an sich denken, folgen? Hat das Leben solcher Wesen im Leben der Erde irgendeine Notwendigkeit? Wenn wir eine nachhaltige Wirtschaft erreichen könnten, in der die bereits gegenwärtig weit 272 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

verbreitete Indifferenz gegenüber den Mitmenschen und Mitgeschöpfen zur dominanten Lebenseinstellung würde, hätten wir nichts erreicht. 5.3.2.1 »Dass aber eines Menschen Existenz an sich einen Wert habe, welcher bloß lebt (und in dieser Absicht noch so sehr geschäftig ist), um zu genießen, sogar wenn er dabei andern, die alle eben so wohl nur aufs Genießen ausgehen, als Mittel dazu aufs beste beförderlich wäre, und zwar darum, weil er durch Sympathie alles Vergnügen mit genösse: das wird sich die Vernunft nie überreden lassen« (Kant 1790/1990, »Kritik der Urteilskraft«: 121). 5.3.2.2 Wir haben nicht das Recht, irgendeinem menschlichen Dasein seinen Wert abzusprechen; wohl aber haben wir die Aufgabe, unser eigenes Dasein nach Kräften so zu gestalten, dass es sich des großen Geschenks des menschlichen Lebens als würdig erweist. 5.3.3 Zur Nachhaltigkeit im Sinne eines Ideals gehört: Wir übernehmen die Verantwortung für die Folgen unserer Bedürfnisse, Wünsche und Begierden und schränken uns ein, wo wir diese Verantwortung nicht übernehmen können. Damit lassen wir uns selbst und die Natur frei von unserer grenzenlosen Sucht nach Mehr. 5.4 Wir können etwas dafür tun, einer guten Zukunft nicht unwürdig zu sein. Zukunftswürdigkeit bedeutet: Wir sollten so wirtschaften und leben, dass ein vernünftiges Lebewesen, das uns betrachtet, sagen könnte: Der Verlust der Gattung Mensch wäre ein Verlust für die ganze Erde. Dann würde die Menschheit so leben, dass sie eines langfristigen Lebens auf der Erde würdig ist. 5.5 Das Ziel der Debatte über Nachhaltigkeit müsste darin bestehen, dass wir gemeinschaftlich nach einem guten Leben suchen. 5.5.1 An eine nachhaltige Wirtschaft wäre der Anspruch zu stellen, dass es in ihr möglich sein muss, in einer menschlichen Weise auf der Erde zusammen mit den nicht menschlichen Mitgeschöpfen zu leben. 5.5.2 Der Akzent in der Diskussion über Nachhaltigkeit sollte nicht auf der Frage liegen: Wieviel von dem, was wir jetzt haben, können wir behalten, auf wieviel müssen wir verzichten, um 273 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 2 Grundlagen der Ökologischen Ökonomie

5.5.3

5.6

5.6.1

5.6.2

5.6.3

ein langes Überleben der Menschen auf der Erde zu ermöglichen? Denn diese Frage setzt das gegenwärtige Konsumniveau als den Ausgangspunkt der Betrachtung an. Vielmehr sollten wir uns fragen: Was brauchen wir für ein menschliches Leben auf der Erde? (vgl. Kapitel 8, Abschnitte 8.8 und 8.9) Dann aber müssen wir zuvor geklärt haben: Was macht das eigentlich Menschliche am Lebewesen Mensch aus? Statt einer Diskussion über Verzicht innerhalb des vorgegebenen Feldes gegenwärtiger Konsumgewohnheiten geht es darum, jenseits dieses Feldes zu entdecken, worin ein gutes Leben bestehen könnte und welche Güter wir dazu benötigen. Gleichgültig, wie wir ein gutes Leben bestimmen und wie hoch wir, als Individuen oder auch in einem sozialen Diskurs, die Menge dessen, was wir für dieses Leben brauchen, veranschlagen: Wir wissen intuitiv genau, dass es weitaus weniger ist als dasjenige, was ein durchschnittlicher Bürger eines westeuropäischen Staates oder der USA verbraucht. Die Diskussion über Nachhaltigkeit sollte dazu beitragen, dass wir uns von dem lösen, was scheinbar unsere Freiheit, den Raum unserer Wahlmöglichkeiten ausmacht, was uns aber in Wahrheit mehr und mehr belastet. Was uns belastet, ist unser Reichtum, unsere Gier nach mehr Reichtum und unsere Angst, zu verlieren, was wir haben. Was uns belastet, sind die technischen, ökonomischen und politischen Strukturen, die Ausdruck unseres Reichtums, unserer Gier und unserer Angst sind. Die Strukturen in Wirtschaft und Politik, die zum exzessiven Ressourcenverbrauch und zur Umweltzerstörung beitragen, sind nicht, wie die Achtundsechziger im vorigen Jahrhundert glaubten, die Schuld eines anonymen Kapitals, sondern Manifestationen eines Zustandes der menschlichen Seele. Das gegenwärtige Verkehrssystem, die Industriestruktur, die Energieversorgung, das Wohnungswesen etc. sind Resultate von Planungen der Vergangenheit, die wiederum auf Vorstellungen und Wünsche zurückgehen, die Menschen in der Vergangenheit hatten (siehe hierzu Faber/Frank/Klauer/Manstetten/Schiller/Wissel 2005a, 2005b). Diese Strukturen sind auf uns gekommen, ohne dass wir sie gemacht haben. Mitschuldig an ihnen sind wir geworden, indem wir sie in unserer Trägheit wie natürliche Gegebenheiten hingenommen, uns an sie ge-

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Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit

5.7

wöhnt und sie zur Grundlage unserer Lebensformen gemacht haben. Wenn wir versuchen, uns aus der Gewöhnung an den gegenwärtigen Zustand zu lösen, also uns selbst, unsere Lebensformen und Gewohnheiten zu ändern und damit auf eine Änderung des Lebens auch bei unseren Mitmenschen hinzuwirken, um in Harmonie mit uns selbst, unseren Mitmenschen und der Natur zu leben, so ist damit die Hoffnung verbunden, dass für uns und die uns nachfolgenden Generationen genügend da sein wird von allem, dessen ein menschliches Leben bedarf, solange es Menschen geben wird.

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

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12. Knappheit und Maß. Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

Vorbemerkung Unter den Bereichen menschlicher Tätigkeiten steht die Wirtschaft in besonderer Weise mit den natürlichen Grundlagen des Lebens in Beziehung. Denn alles Wirtschaften beginnt mit der aktiven Umwandlung von Bedingungen, die vor aller Verfügungsmacht der Menschen bereits existieren. Dazu gehören Luft, Wasser, Boden und natürliche Rohstoffe. Alles Wirtschaften endet wiederum damit, dass bestimmte Resultate dieser Umwandlungsprozesse als Abluft, Abwasser und Abfall aus dem Verfügungsbereich der Menschen entlassen und in Luft, Wasser und Boden abgegeben werden. Wirtschaften ist nicht möglich ohne solche Umwandlungen. Zugleich aber sollten diese Prozesse so stattfinden, dass sie nicht zukünftiges Wirtschaften unmöglich machen. Diese Forderung entspringt aus dem Leitbild der Nachhaltigkeit (s. o. Kapitel 8). Demgemäß ist der Wirtschaft prinzipiell die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für die langfristige Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen zuzusprechen. Wenn zur Wirtschaft beispielweise Bodenbearbeitung oder Fischfang gehören, so sollte die langfristige Sicherung der Bodenfruchtbarkeit und der Fischbestände eine Aufgabe der Wirtschaft sein. Es wurde allerdings gezeigt (s. o. Kapitel 4), dass die Wirtschaft, sofern sie als Bereich des Homo oeconomicus angesehen wird, diese Verantwortlichkeit in wesentlichen Momenten nicht wahrnehmen kann: Eine nachhaltige Entwicklung ist nur als Folge von Eingriffen aus der Dimension des Homo politicus denkbar. Woran aber orientiert sich ein (idealer) Homo politicus, wenn er die Bewahrung der Lebensgrundlagen zu seinem überragenden Ziel macht? Welche Gesichtspunkte sind für ihn ausschlaggebend, aus welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen und welchen ethisch-politischen Reflexionen bezieht er sie? Diese Fragen werden uns in diesem und den 278 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

folgenden Kapiteln beschäftigen. In diesem Kapitel geht es dabei um das Verhältnis der Wissenschaft von der Wirtschaft, der Ökonomik, zur Wissenschaft von den Grundlagen des organischen Lebens, der Ökologie. Im Zentrum der Argumentation stehen dabei die Begriffe Maß, Knappheit, Beschränkung und Freiheit.

12.1 Einleitung Die natürlichen Grundlagen des Lebens sind Gegenstand der Wissenschaft der Ökologie. Als »Haushaltslehre der Natur« (Remmert 1980: 1) fragt sie nach den notwendigen Existenzbedingungen des Lebens der Organismen. Demgemäß sind auch die Lebensgrundlagen der Menschen, insofern diese Anteil am organischen Leben haben, Teil des Untersuchungsgegenstandes der Ökologie. Die Berücksichtigung ökologischer Erkenntnisse sollte somit zu den unverzichtbaren Voraussetzungen jeder ökonomischen Untersuchung gehören, in der es um die langfristige Sicherung der Lebensgrundlagen geht. Bis vor kurzem gab es jedoch für ökologische Erkenntnisse kaum einen Platz in den Wirtschaftswissenschaften. In der Art, wie diese von Adam Smith bis zur Entwicklung der Theorie des Allgemeinen Gleichgewichts hin (s. o. Kapitel 1) angelegt sind, ist für sie alles, was außerhalb des Bereichs menschlichen Herstellens und Handelns liegt, kein zentraler Forschungsgegenstand. Bertram Schefold, der sich in besonderer Weise um die Erforschung der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften verdient gemacht hat, stellt fest: »Als Herausgeber einer Reihe von hundert Klassikern der Nationalökonomie, deren Ende absehbar ist, bringe ich kein einziges Buch heraus, in welchem der Naturbezug der Nationalökonomie im Mittelpunkt stünde, und doch handelt es sich um einen Versuch, einen Kanon der für die Geschichte unserer Wissenschaft bedeutenden Werke aufzustellen« (Schefold 2001: 17). Seit dem Ende der achtziger Jahre hat sich die Forschungsrichtung der Ökologischen Ökonomie etabliert (Proops 1989; Costanza 1991; Faber/Manstetten/Proops 1996), die sich von allen bisherigen wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen dadurch abhebt, dass sie die Frage nach der Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen als ein Zentrum ihrer Forschungen ansieht. Allerdings ist die Ökologische Ökonomie bis heute weit von einem einheitlichen Paradigma und einer allseits anerkannten, konsistenten Methodik entfernt. Sogar die Be279 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

stimmung ihres Gegenstandsbereichs und ihrer Aufgaben ist bis heute umstritten. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Kapitel um Klärung von Begriffen, Ansätzen und Konzepten aus Ökonomie und Ökologie. Dabei wird zum einen gefragt, inwieweit zwischen beiden Wissenschaften Gemeinsamkeiten bzw. Unverträglichkeiten bestehen. Zum anderen aber wird gezeigt, dass die Paradigmen beider Wissenschaften angesichts der Frage nach der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen nur eine begrenzte Reichweite besitzen, so dass es notwendig wird, gleichermaßen über die Ökonomie als auch über die Ökologie in ihren jeweils vorherrschenden Paradigmen hinauszudenken. Diese Notwendigkeit wird noch deutlicher, wenn man die Frage nach den natürlichen Grundlagen des Lebens nicht nur in Bezug auf den Menschen, sondern in Bezug auf das Leben überhaupt stellt. An dieser Stelle sollen einige Linien der Argumentation dieses Kapitels vorgreifend angedeutet werden. In den Anfängen des ökonomischen Denkens, bei Aristoteles, war der Naturbezug der Wirtschaft noch offenkundig – allerdings auf der Basis von zwei Voraussetzungen, die später fallengelassen wurden. Wie in Abschnitt 12.2 gezeigt wird, ging Aristoteles zum einen davon aus, dass die gesamte Natur auf den Menschen zweckmäßig hingeordnet sei, um ihm zur Lebensgrundlage zu dienen. Zum anderen aber schloss er daraus, dass der Mensch gegenüber der Natur einem ›natürlichen‹ Maß zu gehorchen habe, wie es die Natur ihm zugewiesen habe. Das Verschwinden jeglichen Maßes gegenüber der Natur ebenso wie die Zwecklosigkeit der Natur in Bezug auf den Menschen kennzeichnen dagegen Ökonomie und Ökologie der Neuzeit. Die in Abschnitt 12.3 folgende Darstellung der Ökonomie der Neuzeit greift manches auf, was in diesem Buch schon an anderen Stellen gesagt wurde. In einem neuen Licht aber erscheint es, indem es auf das Konzept der Knappheit bezogen wird. Dieses Konzept impliziert, wie gezeigt wird, dass statt des inneren Maßes die äußere Schranke zur entscheidenden Voraussetzung und zugleich zur Grenze menschlicher Freiheit wird. Im Konzept der Knappheit ist der Naturbezug der Wirtschaft gleichsam versteckt, aber so, dass er doch innerhalb dieses Konzeptes aufgesucht werden kann. In der anschließenden Darstellung der Ökologie (Abschnitt 12.4), die sich sowohl auf ihre Gründungsdokumente in Gestalt der Werke von Darwin und Haeckel als auch auf heutige Darstellungen bezieht, erscheint Ökologie als Naturwissen280 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

schaft im Rahmen ihres durch die Biologie geprägten Ansatzes. Eine derartige Ökologie hat wesentliche Züge mit der neoklassischen Ökonomie gemeinsam – sowohl in ihrer Hervorhebung von Maximierungstendenzen als auch in der Fokussierung auf Knappheiten in Situationen der Rivalität bzw. des Wettbewerbs. Die Grenze und Einseitigkeit dieser Vorgehensweise für ein Verständnis der aktuellen Problematik der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen wird deutlich, wenn man sich fragt, wie der Mensch in der Ökologie wissenschaftlich thematisiert wird. Dass Ökologen häufig fordern, der Mensch solle die Natur um ihrer selbst willen schonen und pflegen, passt kaum zum Ansatz ihrer Wissenschaft, der dazu tendiert, den Menschen als ein Naturwesen wie andere Naturwesen darzustellen; denn wird der Mensch, insofern er Naturwesen ist, für den ganzen Menschen genommen, verschwindet die Möglichkeit, den Menschen als ein Wesen aufzufassen, zu dem es gehört, Maße zu suchen und Maße einzuhalten. Damit wird es unmöglich, menschliche Freiheit und Verantwortlichkeit denkbar zu machen, wie sie als Voraussetzung für das ökologische Interesse des Homo politicus (s. o. Kapitel 4) zwingend erforderlich sind. Die Frage, wie Ökonomie und Ökologie konzipiert werden müssten, um zu einer den Problemen der Gegenwart angemessenen Ökologischen Ökonomie zusammengeführt werden zu können, wird abschließend in Abschnitt 12.5 in einigen ihrer Implikationen formuliert, wird uns aber insbesondere in den Kapiteln 13 bis 15 beschäftigen.

12.2 Ökonomie, Natur und Maß bei Aristoteles In der Oikonomia (der Wirtschaft) des Aristoteles hat die Frage des Naturverhältnisses der Wirtschaft, anders als in neuzeitlichen Konzeptionen, einen systematischen Ort. Oikonomia ist die Kunst der Hausverwaltung. Es geht um die gerechte Verteilung der Güter im agrarisch geprägten, patriarchalisch organisierten Hauswesen und um die gerechte Zuteilung der verschiedenen Aufgaben und Verrichtungen. Aristoteles geht davon aus, dass ein Hauswesen eine weitgehend selbständige Ganzheit ist, die sich bis zu einem gewissen Ausmaß selbst erhalten kann. Im Zentrum einer guten Hauswirtschaft steht die Sorge um die Nahrung, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Hausbewohner. Hausverwaltungskunst soll zu 281 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

einem »genügenden Maß an Reichtum« führen (Aristoteles, Politik: 1256b 30). Dieses genügende Maß hat zwei Seiten, eine subjektive und eine objektive: (1) Genug kann nur haben, wer nicht weniger hat, als er braucht – das ist die objektive Seite. (2) Genug kann anderseits nur haben, wer ein inneres Maß dafür hat, was er wirklich braucht. Er muss fähig sein, an einer bestimmten Grenze des Besitzes sein Genügen zu finden. Wer nicht fähig ist, es sich ›an etwas genügen zu lassen‹, wird nie genug finden. Die Fähigkeit zur Genügsamkeit im Sinne des rechten Maßes der Bedürfnisse ist die subjektive Seite des Genug-Habens. Wo aber nimmt das Maß des Menschen seinen Ursprung? Die Antwort findet sich in den Überlegungen des Aristoteles zur sogenannten Erwerbskunst, der Lehre vom Erwerb von Rohstoffen und Gebrauchsdingen, die ergänzend zur Kunst der Hausverwaltung tritt. In ihrem Zusammenhang thematisiert Aristoteles ausdrücklich die Lebensgrundlagen des Menschen. Als Paradigma der Erwerbskunst führt er den Erwerb von Mitteln für die Nahrung an. Dabei sieht er den Menschen zunächst als ein Naturwesen unter anderen Naturwesen an: »Nun gibt es aber viele Arten von Nahrung und infolgedessen auch vielerlei verschiedene Lebeweisen bei Menschen und Tieren; denn da es unmöglich ist, ohne Nahrung zu leben, so sind es eben die Unterschiede der Nahrung, welche die Unterschiede der Lebensweisen bei den Lebewesen hervorgebracht haben« (Aristoteles, Politik: 1256a 20 f.). Nachdem Aristoteles darauf aufmerksam gemacht hat, wie unterschiedlich die Nahrung für unterschiedliche Lebewesen ist und wie auch die Menschen sich durch die Art der Nahrung und des Nahrungserwerbs in den verschiedenen Lebensformen – etwa der nomadischen und der agrarischen – unterscheiden, hebt er hervor, dass die Nahrung der Lebewesen jeweils zweckmäßig auf deren natürliche Lebensformen bezogen ist. Dann aber zieht er Folgerungen, die auf eine Sonderstellung des Menschen unter den Naturwesen verweisen: »Und daraus lässt sich … entnehmen, dass die Pflanzen um der Tiere willen und die Tiere um der Menschen willen da sind, die zahmen sowohl zum Gebrauch als auch zur Nahrung, und von den wilden, wo nicht alle, so doch die meisten zur Nahrung und zum sonstigen Lebensbedarf, um Kleidung und Gerätschaften von ihnen zu 282 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

gewinnen. Denn wenn die Natur nichts zwecklos und vergebens tut, so ist hiernach notwendig anzunehmen, dass sie selber alles dieses der Menschen wegen gemacht hat« (Aristoteles, Politik: 1256b 15 ff.). Aristoteles denkt die Natur und den Menschen in ihr teleologisch (vgl. Kapitel 13).Teleologie ist die Lehre von den Zwecken und Zielen. Natur ist bei Aristoteles dadurch gekennzeichnet, dass sie immanent auf Zwecke hin ausgerichtet ist. Der Zweck des Daseins aller anderen Lebewesen ist der Mensch. 1 Dass die Natur seiner Überzeugung nach zweckmäßig auf den Lebensunterhalt des Menschen hingeordnet ist, bedeutet für Aristoteles jedoch keineswegs, dass der Mensch mit ihr machen kann, was er will. Vielmehr muss der Mensch sein Sein und Handeln in die Zweckmäßigkeit der Natur einordnen und dabei sein ihm eigenes natürliches Maß im Umgang mit der Natur finden. Dies zeigt sich anhand der Diskussion der Frage, worin der Reichtum in Wahrheit besteht: »Nach diesem allen ist denn nun die eine Art von Erwerbskunst naturgemäß ein Teil der Hausverwaltungskunst, diejenige nämlich, deren Aufgabe es ist, einen Vorrat zu sammeln von Gegenständen, die notwendig zum Leben und nützlich für die staatliche und häusliche Gemeinschaft sind … In diesen Dingen scheint auch der wahre Reichtum zu bestehen. Denn das zu einem zweckentsprechenden Leben genügende Maß eines solchen Besitzes geht nicht ins Unendliche, … vielmehr ist hier wohl eine Grenze gesetzt« (Aristoteles, Politik: 1256b 27 ff.). Das Maß des Menschen ist seine eigene Natur als die Natur eines Wesens, das als Zoon politikon, als Lebewesen, das der Polis angehört (s. o. Kapitel 9), nicht für sich, sondern für die Gemeinschaft lebt. Diese eigene Natur des Menschen ist, so Aristoteles, darauf angelegt, in Harmonie mit sich selbst und mit den Möglichkeiten, die die äußere Natur bietet, zu leben. Der Begrenztheit der natürlichen Lebensgrundlagen entspricht ein menschliches Leben, das von sich aus die Grenzen der äußeren Natur als die seiner inneren Natur entsprechenden Maße anerkennt und bejaht. Anders als die Natur der anderen Lebewesen legt die Natur des Menschen den Menschen jedoch nicht gänzlich fest. Seine Natur ist Der Mensch ist gemäß Aristoteles gleichwohl nicht als letzter Zweck des Kosmos anzusehen. Denn auch der Mensch ist auf einen höheren Zweck hingeordnet: die Teilhabe am Leben des Geistes (nous).

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

ihm andererseits auch nie ein sicherer Besitz, er kann sie erreichen oder verfehlen. Dies zeigt sich insbesondere in den Irrwegen, auf die der Mensch laut Aristoteles geraten kann, wenn er sich im Rahmen der Erwerbskunst betätigt. Denn diese beinhaltet, wie der folgende Gedankengang zeigt, Tendenzen, die den Menschen dazu verleiten können, sein natürliches Maß zu verlieren. Notwendige Güter, die nicht im Hauswesen vorhanden sind, müssen, so Aristoteles »durch die Hausverwaltungskunst herbeigeschafft werden« (Aristoteles, Politik: 1256b 27 ff.). Dies kann durch den Naturaltausch oder aber über die Vermittlung des Geldes geschehen. Für den Erwerb von Geld gibt es nun eine eigene Kunst, die sogenannte Chrematistik, die Gelderwerbskunst. Sie wird vor allem von denen angewandt, die Geld nicht nur als Tauschmittel ansehen, sondern es um seiner selbst willen besitzen wollen. Die Chrematistik kann also dazu gebraucht werden, um Reichtum anzuhäufen, damit man stets noch reicher wird. Eine Kunst, der es um den Erwerb von Geld um seiner selbst willen geht, hat kein Ziel und keine Grenze, sondern ist maßlos. Ganz verkehrt ist die Ansicht derer, die »bei der Meinung verharren«, die Vermehrung des Reichtums »sei die Aufgabe der Hausverwaltung« und »der Geldbesitz müsse entweder bewahrt oder ins Unendliche vermehrt werden«. Solche Leute, schließt Aristoteles, handeln »gegen die Natur« (vgl. Aristoteles, Politik: 1258a 38 f.). Die egoistische Vorstellung eines ›guten Lebens‹ auf der Basis möglichst großer Reichtümer ist eine Täuschung, ein Verkennen der eigenen Natur. Mit der naturwidrigen Verwendung der Gelderwerbskunst wird die Zweckmäßigkeit der gesamten Natur, die auf den Menschen hingeordnet ist, aufgebrochen. Denn darauf, dass die Natur für ihn da ist, antwortet der Mensch nur dann angemessen, wenn er die Natur seinem inneren natürlichen Maß gemäß, also maßvoll gebraucht. Tut er dies nicht, verfehlt er seine eigene Natur und stört die Ordnung der Natur insgesamt.

12.3 Ökonomie, Knappheit und Wahl Für Aristoteles gehört es zur Freiheit des Menschen, sein natürliches Maß einzusehen und sein Leben ihm gemäß mit anderen Menschen in der Natur zu gestalten. Ganz im Gegensatz zur Auffassung des Aristoteles geht die neuzeitliche Wirtschaftsauffassung davon aus, 284 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

dass es für den Menschen, der als Homo oeconomicus konzipiert wird, keinerlei natürliches Maß gibt – sei es außen oder innen zu finden. Vielmehr wird angenommen, dass der Mensch Wünsche hat, die ins Grenzenlose gehen, und dass er gleichsam ›ganz natürlich‹ alles daran setzt, sie nach Möglichkeit zu erfüllen. Dabei stößt er jedoch immer wieder auf Schranken: was immer er erlangt hat, es ist weniger, als er gerne hätte. Anders als das Maß, das er einzuhalten sucht, reizt den Menschen jedoch die Schranke, auf die er trifft, dazu, über sie hinaus zu gelangen: der Dynamik der neuzeitlichen Wirtschaft scheint sogar ein gewisser Drang innezuwohnen, den Versuch des Überschreitens von Schranken immer wieder neu zu wagen. 2 Ja, es scheint oft nur eine Frage der Zeit zu sein, wann selbst eine anscheinend »natürliche« Schranke jeder Wirtschaft sich als ein nur temporäres Hindernis erweist, das schließlich doch überwunden wird – durch technischen Fortschritt und Innovation. Dennoch müssen alle, die sich mit dieser Wirtschaft beschäftigen, anerkennen, dass der wirtschaftende Mensch das Problem der Schranken nicht abschütteln kann. Auch die Konzeptionen des Homo oeconomicus der Wirtschaftswissenschaften berücksichtigen, dass dieser die Spanne seines Lebens nicht beliebig ausdehnen kann: Mag er auch kein Maß respektieren, so muss er doch mit dem Umstand leben, dass er in den Schranken von Geburt und Tod lebt und handelt. Lionel Robbins hat dies in seinem berühmten Essay (Robbins 1932) im Rahmen seiner Überlegungen zur Knappheit zum Ausdruck gebracht. Das wird in den nächsten Abschnitten erläutert. 12.3.1 Wahl und Knappheit Für die Konzeption der Knappheit in den Wirtschaftswissenschaften ist folgender Gedanke wesentlich: Wenn Güter und Leistungen nicht in den Mengen da sind, die hinreichen würden, um alle Wünsche der Nachfrager vollständig zu erfüllen, sind sie, in der Sprache der Ökonomie, knapp. Dieses Konzept der Knappheit steht in keinem direkten Zusammenhang mit Mangelsituationen – auf solche Situationen ist es nicht einmal in allen Fällen übertragbar (s. u.). Im ökonomischen Sinne ist An anderer Stelle haben wir diese Nötigung als Faustische Dynamik beschrieben. Vgl. Faber/Manstetten 2003a: Kapitel 7.

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

vielmehr alles, dessen Erwerb irgendetwas kostet, knapp, sei der Aufwand in Form von Geld, Arbeit, Ärger, Stress oder einfach nur in Form von Zeit zu beschreiben. Knappheit eines Gutes bedeutet also: wer es haben will, muss dafür auf etwas anderes Verzicht leisten. Auf Märkten stehen Anbieter und Nachfrager im Wettbewerb um knappe Güter und Leistungen. Der Grad der Knappheit eines Gutes reflektiert sich im Preis, der angibt, was man in welcher Menge hergeben muss, um das knappe Gut zu erhalten. Jeder Tauschakt spiegelt in den Verhältnissen der getauschten Gütermengen die jeweiligen Knappheiten. Die Mittel, die als Grundlage des Lebens eines Individuums erworben werden, sind knapp relativ zu den Bedürfnissen und Wünschen, die dieses Leben ausmachen. Gäbe es einen Menschen ohne Bedürfnisse, so gäbe es für ihn keine Knappheit. Wären andererseits alle Mittel des Lebens in unbegrenzter Menge jederzeit für einen Menschen verfügbar (inklusive der Lebenszeit), so gäbe es für ihn ebenfalls keine Knappheit. So schreibt Robbins (1932: 15, unsere Übersetzung): »Nirwana ist nicht einfach ein Glückszustand. Es ist lediglich die gänzliche Erfüllung aller Ansprüche … Wir sind aus dem Paradies vertrieben worden. Weder ewiges Leben noch unbegrenzte Mittel der Befriedigung stehen uns zur Verfügung. Wohin wir uns auch wenden, sobald wir ein Ding wählen, müssen wir andere Dinge oder Möglichkeiten aufgeben, von welchen wir unter anderen Umständen wünschen würden, dass wir sie nicht aufgegeben hätten. Es ist eine fast allgegenwärtige Bedingung menschlichen Verhaltens, dass Mittel, die zur Erfüllung von Zwecken von wechselnder Bedeutung dienen, knapp sind«. Ökonomische Knappheit in Marktsituationen setzt die Möglichkeit der Wahl voraus. 3 Nur Menschen, die wählen können, also freie Menschen, können die Knappheit erfahren, von der Robbins spricht. Freiheit wird dabei als Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen aufgefasst. Knappheit zeigt nun, dass Wählen immer auch ein Akt des Verzichtens ist. Jedes Wählen bedeutet, auf alles, was nicht gleichzeitig gewählt werden kann, also auf alles Nicht-Gewählte zu verzichten, zumindest für einen gegebenen Zeitraum, vielleicht aber auch für unabsehbare Zeiten oder gar für immer. Da unsere Mittel begrenzt und die Zahl unserer Lebenstage endlich sind, Darin besteht der fundamentale Unterschied zur Knappheit in der Ökologie, von der weiter unten die Rede sein wird.

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Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

kann jede Wahl zur Folge haben, dass das Nicht-Gewählte das Niemehr-Wählbare ist. Damit hat jede faktische Bedürfnisbefriedigung den Verzicht auf die Befriedigung anderer, ebenfalls nach Befriedigung drängender Bedürfnisse zur Folge. Derartige Wahlsituationen und ihre Analyse sind laut Robbins das Feld der Wirtschaftswissenschaften. In seiner klassisch gewordenen Definition bestimmt Robbins die Ökonomie als eine Theorie der Wahlhandlungen unter Knappheitsbedingungen: »Der Ökonom untersucht die Verwendung von knappen Mitteln. Er möchte verstehen, wie es aufgrund unterschiedlicher Grade der Knappheit unterschiedlicher Güter dazu kommt, dass sie in unterschiedlichen Verhältnissen untereinander bewertet werden, und er möchte herausfinden, wie Änderungen in den Umständen der Knappheit, gleichviel, ob sie von der Seite der Nachfrage oder von der Seite des Angebots kommen, diese Bewertungsverhältnisse beeinflussen. Die Wissenschaft der Ökonomik untersucht menschliches Verhalten unter dem Gesichtspunkt, wie Zwecke verfolgt werden, wenn die Mittel dazu knapp sind und auch für alternative Zwecke verwendet werden könnten« (Robbins 1932: 15, unsere interpretierende Übersetzung). Knappheit sagt als solche nichts über ihre Bedingungen und Hintergründe aus: Wenn der Ölpreis steigt, wenn also der Grad der Knappheit von Öl wächst, muss dies keineswegs bedeuten, dass die natürlichen Ölvorräte zur Neige gehen: diese Möglichkeit ist nur eine von vielen Erklärungen. Es kann auch etwa daran liegen, dass bei gleichbleibendem Angebot eine erhöhte Nachfrage nach Öl auftritt – der Grad der Knappheit ist eben auch davon abhängig, wie viele Nachfrager welche Mengen eines Gutes in ihre Verfügung bringen wollen. Um von den Preisen, die Knappheiten signalisieren, zur Frage der natürlichen Lebensgrundlagen zu gelangen, reicht es nicht aus, sich auf die Marktsphäre zu beschränken, sondern man muss sie überschreiten und Sachwissen über die entsprechenden Gegebenheiten erwerben. Ökonomische Knappheit kann, muss aber nicht mit der Problematik der natürlichen Lebensgrundlagen in Zusammenhang stehen. Allerdings kann die Problematik der natürlichen Lebensgrundlagen zu Situationen führen, in denen sich Fragen der Knappheit in einer gegenüber normalen Marktsituationen extrem verschärften Weise stellen, wie wir im nächsten Abschnitt erläutern werden. 287 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

12.3.2 Relative und absolute Knappheit 4 Der ökonomische Begriff der Knappheit beschreibt die Knappheit eines Gutes in drei Relationen: (i) in Bezug auf den wählenden Menschen, seine Wünsche und Bedürfnisse, (ii) in Bezug auf alle anderen mit verfügbaren Einkommen erreichbare Güter, zwischen denen die Wahl stattfindet und (iii) in Bezug auf einen bestimmten Zeitpunkt und einen bestimmten Ort. Knapp ist ein Gut stets relativ zu gegebenen Bedürfnissen (also im Hinblick auf (i)), ausgedrückt wird seine Knappheit immer in der quantitativen Relation zu anderen Gütern (also im Hinblick auf (ii)). Dass ein bestimmtes Gut im Verhältnis zu anderen Gütern betrachtet werden kann, ermöglicht die Wahl zwischen ihnen. Überdies verändern sich Knappheitsbedingungen je nach Ort und Zeit (also im Hinblick auf (iii)). In diesem Zusammenhang ist besonders die Rolle des technischen Fortschrittes hervorzuheben, der häufig bewirkt, dass ehedem seltene Güter zu einem späteren Zeitpunkt als Massengüter produziert werden können. Ökonomische Knappheit ist aus allen diesen Gründen in der Regel als relative Knappheit zu bezeichnen, und relative Knappheit ist die Voraussetzung für die Wahl des Menschen. Fällt allerdings die zweite Relation, die Relation zwischen den Gütern, zu einem bestimmten Zeitpunkt weg, so kann der Mensch nicht mehr wählen. In diesem Fall tritt die Situation einer absoluten Knappheit ein. Was das bedeuten kann, illustriert Robbins an einem Beispiel: »Das Manna, das vom Himmel fiel, mag knapp gewesen sein, aber wenn es unmöglich war, es für etwas anderes einzutauschen oder seinen Gebrauch aufzuschieben, war es nicht der Gegenstand einer Aktivität, die sich unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten lässt« (Robbins 1932: 13). Das Volk Israel in der Wüste, das nichts zu essen hatte, hatte keine Wahl, als das Manna vom Himmel fiel. Was seine Nahrung anging, war es mit einer absoluten Knappheit an Nahrung konfrontiert: Was immer sich als Nahrung anbot, musste konsumiert werden, wenn man überleben wollte. Wenn die ökonomische Analyse sich auf Wahlhandlungen erstreckt, bezeichnet der Begriff der absoluten Knappheit die Grenze dieser Analyse: Wir können ihn als einen Grenzbegriff der Wirtschaftstheorie ansehen, insofern er die Grenze ihres Anwendungsbereiches beschreibt. Das wäre eine formale Beschreibung der abso4

Vgl. zu diesem Abschnitt Baumgärtner/Becker/Faber/Manstetten 2006.

288 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

luten Knappheit. Aber dieser Begriff hat auch inhaltliche Implikationen: Er enthält Hinweise auf mögliche Entwicklungen in der Realität. Wenn nämlich absolute Knappheit bezüglich der notwendigen Lebensgrundlagen einer Wirtschaft eintritt, dann ist die Existenz dieser Wirtschaft und der an ihr partizipierenden Menschen gefährdet. Diese Gefahr bestand für das Volk Israel, von dem Robbins spricht, in der Wüste: Diesem Volk drohte der Hungertod. In dieser Situation hatte es praktisch keine Wahl – weder als die Nahrung fehlte, noch als sie täglich in Form von Manna vom Himmel regnete. Absolute Knappheit kann in Betrachtungen zu Fragen der Grundlagen des menschlichen Lebens eine bedeutende Rolle spielen. Absolute Knappheit könnte beispielsweise für Lebensmittel in einer belagerten Stadt oder für erschöpfbare Ressourcen auf der Erde gelten. Generell gilt: Ist absolute Knappheit bei denjenigen Ressourcen gegeben, die für das Überleben der Menschen unverzichtbar sind, so kann dies dazu führen, dass die Menschheit nicht überlebt. 5 An den Rändern der klassischen und neoklassischen Theorie haben sich Ökonomen wie Malthus (s. u. Kapitel 15) und Jevons mit Situationen beschäftigt, in denen der Raum der Wahlmöglichkeiten einer Wirtschaft systematisch schrumpft: Malthus sah die Möglichkeit, dass die Erweiterung der Nahrungsgrundlage einer Wirtschaft nicht mit dem Bedarf einer schnell wachsenden Bevölkerung Schritt halten könnte, Jevons (1866) untersuchte die Rolle der Kohle für die britischen Wirtschaft seiner Zeit und prognostizierte, dass die zu erwartende Erschöpfung dieser Ressource die Entwicklungsmöglichkeiten der britischen Wirtschaft entscheidend beschränken würden. Zusammenfassend können wir feststellen: Das Konzept der Knappheit verbirgt im Rahmen der ökonomischen Analyse die Frage des Naturbezuges der Wirtschaft, insofern es nichts über die HerIn der Realität lässt sich der Begriff der absoluten Knappheit selten, wenn überhaupt, direkt auf eine konkrete Situation anwenden. Selbst wenn in einer belagerten Stadt die Menge an Nahrung extrem gering ist im Vergleich zu den Bedürfnissen der Einwohner, die überleben wollen, kann sich ein Preis für Nahrung bilden – so dass Ökonomen weiterhin von relativer Knappheit sprechen können. In der Realität gibt es – zumindest für eine Gesellschaft – selten, wenn überhaupt, Situationen, in denen es überhaupt keine Wahl gibt. Wohl aber gibt es Entwicklungstendenzen oder Ereignisse, die Wahlmöglichkeiten dramatisch schrumpfen lassen. Für diese Fälle erweist sich der Begriff der absoluten Knappheit als fruchtbar: Er erinnert daran, dass Gütermengen, allen wirtschaftlichen Anstrengungen zum Trotz, in einer Weise limitiert sein können, dass das Überleben der Menschen – in einer Wirtschaft, oder sogar auf der ganzen Erde – nicht mehr gesichert ist.

5

289 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

kunft seiner Umstände verrät. Wenn man allerdings jenseits der ökonomischen Analyse nach der Herkunft der Umstände fragt, kann die Frage des Naturbezuges der Wirtschaft sehr wohl thematisch werden, nämlich immer dann, wenn sich erweist, dass die besonderen Knappheitsbedingungen auf Umstände verweisen, die außerhalb der Verfügung des Menschen liegen. Wir haben unsere Überlegung anhand von erschöpfbaren Rohstoffen wie Öl und Kohle erläutert, möchten aber darauf hinweisen, dass sie auch für erschöpfbare Ressourcen wie die Regenerationsfähigkeit von Gewässern oder des Klimasystems zutreffen; damit sind sie auch für den Umweltbereich gültig. 12.3.3 Knappheit und Maß Ökonomische Knappheit setzt Freiheit voraus, verweist aber zugleich auf die Grenzen dieser Freiheit: Denn diese Freiheit bedeutet nicht, dass man tun kann, was man will, sondern nur, dass auch innerhalb begrenzter Möglichkeiten eine Wahl stattfinden kann: man kann nie alles wählen, was man will, aber meistens einiges von dem wählen, was man will – innerhalb der Beschränkungen der gegebenen Möglichkeiten und Umstände. Auch für den Begriff des Maßes sind Grenzen bedeutsam, aber in charakteristisch anderer Weise als für den der Knappheit. Die Begriffe Knappheit und Maß haben zwar gemeinsam, dass sie auf Beschränkungen des Handelns aufmerksam machen. Dennoch bezeichnen sie keineswegs dasselbe: Zur Knappheit gehört die Grenze, auf die man stößt, die Schranke, die man niemals so überwinden kann, dass es keine Schranke mehr geben wird. Die Erfahrung der Knappheit macht man somit eher unfreiwillig. Ja, sogar die Überwindung der Schranken hat, wie sie in der ökonomischen Theorie thematisiert wird, etwas Unfreies: Denn in der Annahme der Nichtsättigung (s. o. Kapitel 8) wird dem Homo oeconomicus ein geradezu zwanghaftes Verhalten unterstellt: Er möchte immer mehr, und er kann nicht anders, er muss wesensgemäß stets mehr haben wollen. Fast alles aber, wovon er mehr möchte, ist für ihn knapp. Und dass es noch viele seinesgleichen gibt, sorgt dafür, dass sein Mehr-haben-Wollen eines bestimmten Gutes im Wettbewerb mit dem Mehr-haben-Wollen der anderen steht. Wird trotzdem eine bestehende Schranke überwunden, wird man auf neue Schranken stoßen – es bleibt bei alldem für den Homo oe290 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

conomicus wie ein naturgesetzlicher Sachverhalt die Tatsache, dass er weiterhin – gleichsam zwanghaft – mehr möchte. Knappheit wäre erst da beseitigt, wo es überhaupt keinen Anlass gibt, mehr zu wünschen, wo die Pleonexia (s. o. Kapitel 8 bis 10) ausgelöscht wäre. Demgegenüber gehört zum Begriff des Maßes die Vorstellung, dass man es einhält, obwohl man – technisch zumindest – die Möglichkeit hätte, es zu überschreiten. Maß impliziert immer eine freiwillige Selbstbeschränkung. Solange man gemäß den gegebenen Maßen agieren kann, wird man keine Knappheit erfahren. Damit zeigt sich, dass die Aussage von Robbins, Knappheit sei eine ubiquitäre Bedingung allen menschlichen Verhaltens und Handelns, nicht zwingend gilt. Sie gilt nur da, wo der Mensch mehr will und weiter strebt, als es ihm gegenwärtig möglich ist. Würde er die gegenwärtigen Beschränkungen als Maße akzeptieren, innerhalb derer er frei ein Leben nach seinen Vorstellungen entfalten kann, so wäre er dem Zwang der Knappheit enthoben.

12.4 Ökologie 12.4.1 Der Ansatz der Ökologie Das Konzept der ökonomischen Knappheit gilt nur für Menschen. Bestimmte Züge dieses Konzeptes sind jedoch so allgemein, dass sie nicht notwendig auf menschliche Interaktionszusammenhänge beschränkt werden müssen. Dies zeigt sich daran, dass das Konzept der Knappheit, wenngleich in anderer Form als in den Wirtschaftswissenschaften, auch in der Ökologie eine Rolle spielt. Wenn wir uns im Folgenden der Ökologie zuwenden, so geht es uns zunächst darum, Grundzüge der Vorgehensweise dieser Wissenschaft von den Lebensgrundlagen zu skizzieren. Anschließend aber fragen wir, welche Bedeutung diese Wissenschaft für die Wirtschaftswissenschaften und insbesondere für die Ökologische Ökonomie hat. Im Gegensatz zur Ökonomie beschäftigt sich die Ökologie ausdrücklich mit den Grundlagen des Lebens. Zugleich aber orientiert sie sich als Teilgebiet der Biologie an naturwissenschaftlichen Paradigmen, so wie es auf andere Weise auch die Ökonomie tut. Die Ökologie hat damit auch Teil am Entwicklungsprozess der Biologie, verwendet deren Grundbegriffe und Methoden, partizipiert an der Leistungsfähigkeit biologischer Paradigmen und teilt damit anderer291 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

seits auch alle Einseitigkeiten und Reduktionismen der biologischen Sicht auf Mensch und Natur. Remmert (1980: 1) bestimmt die Ökologie folgendermaßen: »Ökologie ist die Haushaltslehre von der Natur, wie sie Ernst Haeckel definiert hat. Sie ist eine strenge Naturwissenschaft, sie hat es jedoch wesentlich schwerer als Physiologie, Genetik oder Biochemie: sie muss mit einer Fülle verschiedener Parameter arbeiten, und damit werden Voraussagen unendlich schwer«. Begon/Townsend/Harper (1998: XXIII) betonen, dass »Laborsysteme und mathematische Modelle … für die Entwicklung der Ökologie von entscheidender Bedeutung« waren und es »auch in Zukunft sein« werden. An anderer Stelle (ibid. 152) heben sie hervor: »Der Wunsch, allgemeine ökologische Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, findet seinen Ausdruck oft in mathematischen oder graphischen Modellen … Dadurch können Ökologen die untersuchten Probleme oder Vorgänge besser erfassen, indem sie von komplexen Systemen das Wesentliche erfassen. Ein Modell bietet somit eine ›gemeinsame Sprache‹«. Der Gewinn ihrer Erkenntnisse ist für die Ökologie kein reiner Selbstzweck, sondern hat sich in der Anwendung zu bewähren. Daher beschäftigt sich die Ökologie mit dem, was man im Angelsächsischen Eco-System-Health – Gesundheit von Ökosystemen – nennt: Erkenntnisse der Ökologie sollen für die Kontrolle und Steuerung von Ökosystemen eingesetzt werden, sei es, um ihre langfristige Nutzung durch den Menschen zu sichern, sei es, um die schädlichen Folgen menschlicher Nutzung zu vermeiden, rückgängig zu machen oder zu mildern: »Ökologen versuchen oft auch vorauszusagen, was unter bestimmten Umständen mit einem Organismus, einer Population oder einer Lebensgemeinschaft geschehen wird. Auf der Grundlage solcher Voraussagen wollen wir diese dann regulieren oder nutzen« (Begon/Townsend/Harper 1998: XXIV). 12.4.2 Allgemeine und spezielle Grundlagen der naturwissenschaftlichen Ökologie Die Ökologie ist Teil der Biologie und bleibt an deren Begriffe und Methoden gebunden, auch wenn sie Termini und Fragestellungen einführt, die nur ihr selbst eigen sind. Somit werden Natur und Leben, wie sie in der Ökologie erfasst werden, längs der begrifflichen und methodischen Linien der Biologie konzipiert. 292 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

Das Vorgehen der Ökologie versteht sich (i) generell im Rahmen der Evolutionsbiologie im Gefolge Darwins und (ii) in seiner spezifischen Fragestellung im Gefolge der Definition der Ökologie von Haeckel und seinen Nachfolgern. Die Evolution des Lebendigen Zu (i): Indem es in der Ökologie um das Zusammenleben verschiedener Arten in einem System geht, wird die Lehre von der Entwicklung und Veränderungsdynamik der Arten vorausgesetzt, wie sie von Darwin begründet wurde. Wie lässt sich diese Veränderungsdynamik beschreiben? Nicht wenige Biologen der Gegenwart gehen für eine solche Beschreibung von der Annahme aus, dass das Prinzip der Dynamik des Lebendigen der Egoismus, der bestimmte Zielgrößen maximierende Eigennutz der Lebewesen, sei. 6 Andere Biologen nehmen die Population, die konkrete Fortpflanzungsgemeinschaft, als die zugrundeliegende Einheit der Veränderungsdynamik an. Der Eigennutz oder Egoismus einer Population besteht darin, dass sie die Anzahl ihrer Individuen zu maximieren strebt. 7 Aus dieser Perspektive konzipieren Begon/Townsend/Harper (1998: 5) in ihrem Lehrbuch die Dynamik der Evolution: »Alle Populationen haben das Potential, die ganze Erde zu besiedeln. Und sie würden es tun, wenn jedes Individuum überleben und die maximale Anzahl von Nachkommen produzieren würde …« Darin folgen sie Darwin (1872: 76): 8 »Es gibt keine Ausnahme von der Regel, dass jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise in einem so hohen Maße vermehrt, dass, wenn nicht Zerstörung einträte, die Erde bald von der Nachkommenschaft eines einzigen Paares bedeckt sein würde«. Dawkins (1994), der diese These im ersten Kapitel seines Werkes mit Hinweisen auf die entsprechende Literatur referiert, distanziert sich von ihr. Allerdings hält auch er Eigennutz für den Grundtrieb alles Lebendigen, vertritt allerdings die Ansicht, dass es konsequenter sei, den »Egoismus« den Genen zuzuschreiben, die er als »Grundeinheit« des Eigennutzes definiert (Dawkins 1994: 70). Dabei ist allerdings der Ausdruck »Egoismus« ungeschickt, denn dazu wird ein »Ego« vorausgesetzt. Ein »Ego« aber ist nur da gegeben, wo eine Einheit sich in irgendeiner Weise auf sich selbst bezieht und diese Beziehung auch manifestieren kann. Die Gene im Sinne von Dawkins können dies nicht – zumindest gibt er keinerlei Hinweise, wie sich Gene auf sich selbst beziehen. 7 Zur Debatte über die grundlegende Einheit der Evolution vgl. Levins/Lewontin (1985), siehe auch Faber/Proops (1998: Part II, insbesondere Seite 20). 8 Darwin hebt hervor, dass er zu seiner Theorie entscheidende Anregungen von dem Ökonomen Malthus empfangen hat (Darwin 1872: 16, 76). 6

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

Derartige Argumentationen setzen auf Seiten der Populationen eine Art Pleonexia voraus: In dieser Beschreibung will jede Population immer mehr Exemplare ihrer Art hervorbringen, als bereits da sind. Da jedoch offensichtlich nicht alle Nachkommen auch nur irgendeiner Population überleben, muss man fragen, ob es für die Auswahl der Überlebenden Kriterien oder Gesetzmäßigkeiten gibt. Darwins diesbezügliche Überlegungen, die strukturell – wenn auch dank der Vererbungslehre Mendels und ihrer Weiterentwicklung bis zur Genforschung heute auf ganz anderer Grundlage als zu seiner Zeit – heute noch die Ansicht vieler Biologen wiedergeben, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Bei jeder Reproduktion treten Lebewesen mit unterschiedlichen Eigenschaften auf; kein Individuum gleicht völlig einem anderen. Unter diesen Individuen findet nun eine Auslese (Selektion) statt. »Auslese« ist zunächst ein auf menschliche Zwecke bezogener Begriff: Jeder Tier- und Pflanzenzüchter lässt im Sinne der Zuchtwahl diejenigen Tiere und Pflanzen sich fortpflanzen, deren Eigenschaften ihm am besten erscheinen, und erwartet, dass diese sich in der nächsten Generation wiederfinden. Durch langjährige Auslese gelingt es ihm, die zur Verfügung stehenden Tiere und Pflanzen im Sinne der Zwecke der Zucht zu verbessern: Getreidesorten werden ertragreicher, Hühner legen mehr Eier, Kühe geben mehr Milch, Zugpferde werden kräftiger und ausdauernder, Rennpferde hingegen schneller und geschickter. Darwin übertrug diesen Gedanken auf die Natur. Die natürliche Umwelt der Lebewesen wirkt als Filter für die Auslese derjenigen Lebewesen, die so lange überleben, dass sie das Leben an eine folgende Generation weitergeben können. Denn die Umwelt enthält knappe Ressourcen, die bewirken, dass die Tendenz der Populationen, eine maximale Anzahl von Nachkommen zu produzieren, auf Schranken stößt. Im Konkurrenzkampf um diese Ressourcen ist es allen Lebewesen möglich, so lange zu überleben, wie sie sich noch fortpflanzen können. Jedoch ist die Natur keine zwecksetzende Instanz, die die Auslese nach bestimmten Kriterien mit Bedacht vornimmt. Auslese geschieht vielmehr ohne irgendjemandes Planung vermittels eines von selbst funktionierenden Mechanismus der Natur aufgrund der Tatsache, dass Lebewesen mit anderen Lebewesen um knappe Lebensgrundlagen konkurrieren. Die Umwelt wirkt als ein Filter der Selektion und führt zum, wie Darwin es in den Worten von Herbert Spencer ausdrückt, »survival of the fittest« (vgl. Darwin 1872: 74), 294 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

zum Überleben des am besten Angepassten. Fitness wird heute indes nicht einfach mit der Überlebensfähigkeit eines Individuums gleichgesetzt, sondern mit seiner Reproduktionskapazität in einer Umwelt mit knappen Ressourcen. »Die fittesten Individuen einer Population sind diejenigen, die im Vergleich zu den anderen Individuen die größte Anzahl an Nachkommen hinterlassen und somit den größten Einfluss auf die erblichen Merkmale dieser Population haben« (Begon/Townsend/Harper 1998: 6). Vererbt werden allerdings nur Eigenschaften, die in den Genen gespeichert sind, erworbene Eigenschaften, so wichtig sie als Voraussetzung für die Reproduktionsfähigkeit in Einzelfällen sein mögen, werden nicht weitergegeben. Zum Überleben und zur Weitergabe ihrer Erbanlagen sind in der wechselseitigen Konkurrenz nur diejenigen Lebewesen befähigt, die im Rahmen der Möglichkeiten ihrer Art die besten Eigenschaften hinsichtlich des Überlebens entwickelt haben. Die Qualität dieser Eigenschaften ist indes, wie moderne Forscher hervorheben, immer relativ zu den Gegebenheiten: »Die Evolution wirkt im Rahmen der tatsächlich vorhandenen Variationen. Deshalb ist es wenig wahrscheinlich, dass die natürliche Selektion zu perfekten, maximal fitten Individuen führt. Sie kann nur diejenigen fördern, die innerhalb der vorhandenen Vielfalt am fittesten sind. Dies kann unter Umständen eine sehr begrenzte Auswahl sein.« (Begon/Townsend/Harper/ 1998: 6). Man könnte, in Anlehnung an eine in der Ökonomie seit Smith oft verwendete Metapher, geradezu von einer unsichtbaren Hand der Natur sprechen, die dafür sorgt, dass in einer sich selbst überlassenen Natur aufgrund des Wettbewerbs automatisch, wenn nicht die denkbar Besten, so doch die möglichst Fitten überleben. Für diese unsichtbare Hand aber ist die Knappheit von Lebensgrundlagen eine entscheidende Voraussetzung. Ökologische Knappheit unterscheidet sich signifikant von der ökonomischen, insofern eine Wahl unterbleibt. Gemeinsam ist beiden Konzepten von Knappheit jedoch, dass eine Einheit, die stets mehr haben will, auf Schranken stößt: Während der Homo oeconomicus auf Schranken bei der Maximierung seines Nutzens stößt, stößt die Population auf Schranken bei der Maximierung der Anzahl ihrer Individuen. Daraus folgt: Auch die Natur der Ökologie kennt keine Maße – ebenso wie die Wirtschaft der modernen Wirtschaftswissenschaften.

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

Die Beziehungen des Lebendigen in der Ökologie Zu (ii): Schon Darwin nahm für seine Untersuchungen an den Galapagosfinken explizit die Verhältnisse eines gegenwärtigen Lebensraumes in Augenschein, um die Eigenart dieser Vögel, die sich erheblich von ihren Verwandten in anderen Gebieten unterschieden, verstehen zu lernen. Er erkannte, dass die Beziehung von Individuum und Art zur jeweiligen Umwelt eigenständiger Untersuchungen bedarf. Daher leitete sich bereits aus der Theorie Darwins die Forderung her, nicht nur die sukzessive Veränderung von Arteigenschaften über Generationen hinweg zu untersuchen, sondern auch die Beschaffenheit der jeweiligen Umwelt in Bezug auf die Art zu einem bestimmten Zeitpunkt. Demgemäß wurde die Beziehung des Organismus und der Art zur Umwelt zum Gegenstand einer besonderen Forschungsrichtung, die Haeckel (1866) »Ökologie« nannte und folgendermaßen charakterisierte: »Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ›Existenz-Bedingungen‹ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur … Zu den anorganischen Existenz-Bedingungen, welchen sich jeder Organismus anpassen muss, gehören zunächst die physikalischen und chemischen Eigenschaften seines Wohnortes, das Klima (Licht, Wärme, Feuchtigkeits- und Electricitäts-Verhältnisse der Atmosphäre) die anorganischen Nahrungsmittel, Beschaffenheit des Wassers und des Bodens etc. Als organische Existenz-Bedingungen betrachten wir die sämtlichen Verhältnisse des Organismus zu allen übrigen Organismen, mit denen er in Berührung kommt, und von denen die meisten entweder zu seinem Nutzen oder zu seinem Schaden beitragen« (Haeckel 1866: 286). Insbesondere geht es bei der Ökologie um »die Stellung, welche jeder Organismus im Naturhaushalte, in der Oeconomie des Natur-Ganzen einnimmt« (ibid. 287). Die Begrifflichkeit der Ökologie fügt zu derjenigen anderer Zweige der Biologie folgerichtig die besonderen Gesichtspunkte der Relation zwischen den Arten untereinander sowie zwischen ihnen und ihrer abiotischen Umwelt hinzu: Organismen und Arten beziehen sich in bestimmten Lebensräumen aufeinander in Räuber-BeuteVerhältnissen, als Parasit und Wirt oder in einer Symbiose zu einer Art wechselseitigen Nutzen, sie existieren zusammen in Lebensgemeinschaften, die sich als Ökosysteme erfassen lassen, sie ent296 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

wickeln sich miteinander in einer Koevolution 9 , worin die Veränderungen einer Art Rückwirkungen auf die Weiterentwicklung anderer Arten haben. Inhaltlich ist die Ökologie bis heute diejenige Wissenschaft, die in der Erforschung der Grundlagen des Lebens die führende Rolle spielt. Seit Haeckels Zeiten haben Ökologen ein ungeheures Wissen über ökologische Systeme zusammengetragen, und sie haben zugleich ein beeindruckendes Instrumentarium entwickelt, um Störungen in diesen Systemen zu diagnostizieren. Um den Zustand eines Teils der außermenschlichen Natur, eines Sees, eines Regenwaldes, einer Savannenlandschaft, zu erkennen, bedarf man ökologischer Erkenntnisse. Wieviel menschliche Eingriffe Ökosysteme ertragen, wann sie zu kollabieren drohen, mit welchen Maßnahmen ein drohender Kollaps zu verhindern ist – dies sind wesentliche Fragen jeder Auseinandersetzung über Lebensgrundlagen, zu deren Beantwortung Ökologen Wesentliches beizutragen haben. Grundsätzlich kann darüber hinaus auch das Konzept der Knappheit, wie es in der Ökologie verwendet wird, für die Ökonomie fruchtbar gemacht werden. Der Mensch ist eine Art, die im Laufe der Zeit die Anzahl der ihr zugehörigen Individuen so weit vermehrt hat, dass diese schließlich die ganze Erde besiedeln. So wie die Vermehrung anderer Arten durch die Knappheit bestimmter Lebensgrundlagen aufgehalten wird oder sogar ihren Trend in Richtung auf eine Verminderung der Exemplare dieser Art umkehren kann, ist dies auch beim Menschen möglich. Während die Knappheiten von anderen Gütern, die für die Lebensgrundlagen der Menschen nicht erforderlich sind, durch Änderungen in der Nachfrage oder Änderungen in der Produktionsweise vielfach verändert werden können und während technischer Fortschritt immer neue Ressourcen erschließt, bleibt dennoch die Möglichkeit bestehen, dass die Erde – die insgesamt unter Knappheitsgesichtspunkten betrachtet letztlich eine endliche Ansammlung von Ressourcen darstellt – der Vermehrung der Menschen Grenzen setzt oder dass sich sogar die bisherige Anzahl der Menschen aufgrund mangelnder Lebensmöglichkeiten verringert. 10 Siehe z. B. Thompson (1982); Faber/Proops (1998: 39–40). Dieser Gedanke ist in Grundzügen bereits von Robert Malthus formuliert worden (s. u. Kap. 15). Darwin hat ihn aus dem ökonomischen Kontext übernommen und auf die Entwicklung der Arten in der Biologie übertragen. Aus der Biologie ist er im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in die Ökologische Ökonomie zurückgekehrt (s. u. Kapitel 15). 9

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12.4.3 Ökologie und Ökonomie Kann die Ökologie der Ökonomie mit derartigen Einsichten und Konzepten bindende Vorgaben in Bezug auf den Umgang der Menschen mit ihren Lebensgrundlagen geben? Dazu kann folgender Gedankengang hilfreich sein: Wenn die Ökologie als strenge Naturwissenschaft im Rahmen der Biologie zureichend bestimmt ist, dann heißt das: Ökologie ist eine wertfreie Wissenschaft, die keine Normen setzt. Man kann z. B. ebenso gut alle Beziehungen des Organismus Schwalbe zu seiner Umwelt als auch alle Beziehungen des Organismus Mensch zu seiner Umwelt im Rahmen der so verstandenen Ökologie untersuchen. Dabei gilt prinzipiell: Es überleben auf der Grundlage jeweils knapper Ressourcen stets diejenigen Organismen, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Man kann daher nicht sagen: ein Lebewesen verhält sich »unökologisch«, allenfalls lässt sich sagen: es erweist sich als mehr oder weniger fit in Bezug auf die Lebensmöglichkeiten, die seine Umwelt bietet. Man muss darüber hinaus feststellen, dass der Mensch – wenigstens seit einigen zehntausend Jahren bis auf den heutigen Tag – in gewisser Weise besser an seine Umwelt angepasst scheint als die meisten anderen Lebewesen. Denn im Umgang mit knappen Ressourcen ist er momentan den meisten Arten überlegen: er hat sich bisher als findig genug erwiesen, immer wieder Grundlagen für das Leben, das er führen will, in hinreichendem Ausmaß bereitzustellen. Seine Fähigkeit zu wählen beinhaltet nämlich auch die Fähigkeit zur Substitution (s. o. Kapitel 8). Darüber hinaus kann der Mensch über das Dasein und Nicht-Dasein vieler Arten das letzte Urteil aussprechen und vollstrecken. Oft hat er es in der Hand zu entscheiden, ob Arten überleben oder nicht. Das Umgekehrte gilt kaum. Wenn wir etwa Löwen und Menschen vergleichen, so stellen wir fest, dass Löwen zwar innerhalb ihrer natürlichen Lebensräume angemessen mit knappen Ressourcen umgehen können, aber sie scheinen alternative Umgangsweisen damit, im Gegensatz zu Menschen, kaum zu erwägen. Überdies haben die Löwen sich schlecht oder gar nicht an einen wesentlichen Faktor ihrer Umwelt angepasst: Dieser Faktor ist der Mensch. Die Löwen haben sich als unfähig erwiesen, im Verlaufe ihrer Evolution den ständig verbesserten Waffen der Menschen etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Der Mensch aber hat sich ausgezeichnet an den Umweltfaktor »Löwe« angepasst, so sehr, dass es 298 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

fast in sein Ermessen gestellt zu sein scheint, ob, in welcher Anzahl und an welchen Orten Löwen existieren. Die Behauptung, der moderne Mensch sei ausgezeichnet an seine Umwelt angepasst, erscheint überraschend. Häufig wird darauf verwiesen, dass insbesondere der moderne Mensch schlecht an seine Umwelt angepasst sei, indem er langfristig seine Lebensgrundlagen zerstöre. In der Tat geht der Mensch mit seiner Umwelt anders um als die meisten anderen Arten. Im Unterschied zu ihnen gefährdet er vielleicht sogar durch sein Handeln auf Dauer seine eigene Existenz in seiner Umwelt. Aber eine streng naturwissenschaftliche Ökologie wertet solche Entwicklungen nicht, sie beschreibt sie nur. Als bloßes Naturwesen ist der Mensch im Verlauf der Evolution mit eben den Fähigkeiten ausgestattet worden, die er heute hat: Es ist das Schicksal vieler Tiere und Pflanzen, dass sie im Kampf ums Dasein mit dem Menschen momentan nur unzureichend mithalten können, so dass viele von ihnen, wie die Biodiversitätsforschung nachgewiesen hat, aussterben. So wie jede neue Art möglicherweise ihre Umwelt verändert, so tut dies auch der Mensch. Wenn er nun langfristig seine eigenen Lebensgrundlagen zerstören sollte, dann würde das nur zeigen, dass die zufällig entstandene evolutionäre Ausstattung der Spezies Mensch nicht hinreichend ist, um ihr ein lang andauerndes Dasein auf der Erde zu ermöglichen. Die Spezies Mensch würde dann das Schicksal vieler anderer ausgestorbener Arten teilen. Die naturwissenschaftliche Ökologie liefert keine Kriterien für ›ökologisch gut‹ oder ›ökologisch schlecht‹, ›ökologisch richtig‹ oder ›ökologisch falsch‹, sie erlaubt allenfalls zu sagen: Wenn ihr Menschen diesen oder jenen Eingriff in eurer Umwelt vornehmt, dann kann das diese oder jene Folgen haben – etwa die, dass ihr die Lebensgrundlagen eurer Kinder zerstört. Der Ökologe könnte an derartige Ausführungen allerdings die Frage anschließen: Wollt ihr das? Es ist allerdings fraglich, ob er diese Frage als Ökologe formulieren könnte. 12.4.4 Exkurs: Ökologie und menschliche Freiheit Eine wertfreie Ökologie kann Wenn-dann-Beziehungen im Umgang der Menschen mit der Natur erkennen und sie so ausdrücken, dass Menschen diese Erkenntnisse als Warnungen aufnehmen und beherzigen können. Allerdings muss die Ökologie darauf achten, dass sie sich nicht aufgrund der Eigenart ihres Ansatzes die Möglichkeit 299 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

nimmt, den Menschen als ein Wesen anzusehen, das dafür offen ist, solchen Warnungen Gehör zu schenken und angemessen darauf zu antworten. Der Mensch im Gesichtskreis der Ökologie ist ein Naturwesen, eine biologische Spezies unter anderen. Im Rahmen dieser Vorgehensweise wird der Mensch nicht in den Dimensionen begriffen, die seine Menschlichkeit ausmachen. Die Ökologie kann die in Bezug auf den Menschen beschränkte Reichweite ihrer Erkenntnisse nur anerkennen, wenn sie sich von bestimmten Strömungen der Biologie distanziert. Es geht um Auffassungen vom Handeln der Menschen, die heute von einer Reihe von Neurobiologen vertreten werden, aber schon wesentlich länger in der biologischen Debatte diskutiert werden. Es sind diejenigen Auffassungen, die die Freiheit des menschlichen Handelns prinzipiell bestreiten. In der Konsequenz der Argumentation bestimmter Gehirnforscher müsst man dann sagen: Die am Ende des letzten Abschnitts formulierte Frage, ob wir Menschen unsere Lebensgrundlagen zerstören wollen oder nicht, ist nur scheinbar Gegenstand einer bewussten Entscheidung, denn sie ist bereits im Gehirn entschieden. Für unsere Gedanken zur Ökologie ist nun nicht unbedeutsam, dass bereits der Begründer dieser Disziplin die Möglichkeit freien Handelns entschieden bestritten hat. Bei Haeckel (1866: 99) finden wir bezüglich der Willensfreiheit folgende Gedanken: Es »musste jede einigermassen aufrichtige und tiefer gehende Selbstprüfung zeigen, dass ein freier Wille nicht existiert (Hervorhebung von Haeckel, d. V.), und dass jede scheinbar freie Willenshandlung, auch die einfachste, das absolut nothwendige Resultat aus der höchst complicirten Zusammenwirkung zahlreicher verschiedener Factoren ist. Jeder dieser Factoren ist abermals ein absolut nothwendiges Resultat aus dem komplicirten Zusammenwirken vieler anderer Factoren (wirkender Ursachen) u. s. w. Wenn wir die unabsehbare Kette dieser mechanischen, mit Nothwendigkeit wirkenden Ursachen bis auf ihren ersten Ursprung zu verfolgen suchen, so gelangen wir endlich zu zweierlei verschiedenen Grundursachen, nämlich einmal den erblichen, d. h. den eigenen, der Materie des Organismus ursprünglich inhärenten, und sodann zu den fremden, welche der Organismus durch Anpassung, durch Wechselwirkung mit seiner Umgebung erworben hat«. 11 Dass Immanuel Kant fast ein Jahrhundert vorher diese Position in der Auflösung der dritten Antinomie in seiner »Kritik der reinen Vernunft« als bloßen Dogmatismus ohne

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Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie

Wenn aber Menschen nicht frei handeln können, sondern so wie die gesamte Natur gänzlich determiniert sind, ist nicht einzusehen, warum das Naturverhältnis des modernen Menschen und die mit der modernen Wirtschaft einhergehende Naturzerstörung irgendein Problem darstellen sollte. Alle Lebewesen, auch die Menschen, sind, wie sie nun einmal sind, determiniert durch ihr Gehirn und durch weitere innere und äußere Umstände, und alle Abläufe des Lebens laufen daher ab, wie sie nun einmal ablaufen: Die Möglichkeit eines vernünftigen Eingriffs in solche Abläufe ist somit nicht einmal denkbar. Es gibt jedoch keinerlei logische Notwendigkeit, die Ökologie im Rahmen eines allgemeinen biologischen Determinismus zu konzipieren, so wie dies Haeckel tat und seine Nachfolger bis heute tun. Für die Konzeption einer Ökologischen Ökonomie ist es vielmehr erforderlich, andere Wege zu gehen.

12.5 Ausblick Ökonomie und Ökologie enthalten gleichsam die Ingredienzien einer Ökologischen Ökonomie, aber sie enthalten weder deren Paradigma noch deren Begrifflichkeit. Zwar kann das Paradigma der Knappheit dazu verwendet werden, die Frage der natürlichen Lebensgrundlagen aus der Ökologie so zu formulieren, dass sie auch für die Ökonomie Bedeutung hat. Dennoch ist eine ausschließlich an Knappheiten orientierte Ökologische Ökonomie einseitig und greift in ihrer Fragestellung zu kurz. Diese These wird in den nächsten Kapiteln näher ausgeführt. An dieser Stelle soll jedoch bereits angedeutet werden, dass der Ausdruck Ökologie ein Versprechen enthält, das nicht in der Erforschung von Populationen, die angesichts knapper Ressourcen die Anzahl ihrer Individuen maximieren, aufgeht. Wenn man das Wort ›ökologisch‹ in außerwissenschaftlichen Kontexten hört, so assoziiert man damit Lebensformen, die sich einfügen in eine ihren eigenen Gang weitergehende Natur, Lebensformen, die sich als Teile eines in sich stimmigen Ganzen verstehen lassen. Eine von kurzfristigen Eigeninteressen getriebene, natürliche Ressourcen und Schadstoffkapazitäten verbrauchende menschliche Gesellschaft erscheint Beweiskraft durchschaut hat, wurde weder von Haeckel noch von seinen Nachfolgern bis heute zur Kenntnis genommen.

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uns so gesehen keineswegs als eine ökologische Lebensform, ebenso wenig wie eine Natur, in der alle Arten nur danach streben, die Erde für sich alleine zu bevölkern. Solche Konnotationen zum Begriff ›ökologisch‹ passen zwar nicht zu einer strengen Naturwissenschaft, sie haben aber doch ein gewisses Recht. Dieses Recht lässt sich aus dem Wort ›Ökologie‹ selbst heraushören. Ebenso wie das Wort Ökonomie enthält auch das Wort Ökologie den Bestandteil ›Oikos‹ (Haus). Für die Bestimmung des Feldes einer Ökologischen Ökonomie ist davon auszugehen, dass der Oikos der Ökologie die ganze Erde ist. Das ›Haus‹ derjenigen Ökologie, die uns heute beschäftigt, ist demnach nicht mehr eine besondere Umwelt, sondern die ganze Welt des Lebendigen, die wir Menschen erfahren können. Diese Welt erkennen wir als unser Haus und als das gemeinsame Haus alles Lebendigen und Nichtlebendigen. Wenn wir heute von Ökologie reden, ist damit über die Lebensgrundlagen des Menschen hinaus die Ordnung und Entwicklung der Welt angesprochen, in der wir gemeinsam mit allem Lebendigen und Nichtlebendigen existieren. Die Frage nach der Ordnung des Oikos ist implizit im zweiten Bestandteil des Begriffs ›Ökologie‹ enthalten: Logos. Was ist mit Logos gemeint? In Begriffen wie Biologie, Zoologie oder Physiologie steckt ebenso wie in Ökologie der Begriff ›Logos‹. Gemeint ist damit: Systematisch geordnetes Wissen über einen bestimmten Gegenstandsbereich. In seinem ursprünglichen Sinn aber heißt Logos unter anderem: Wort, Ordnung, geistige Verfasstheit oder Sinn. Wenn wir Logos in diesem Sinne verstehen, dann bedeutet das für unser heutiges Verständnis von Ökologie: Unser Haus, auf dem wir mit anderen Menschen, Tieren und Pflanzen, Bergen und Flüssen leben, hat einen inneren Sinn. Ein Logos, ein Sinn, liegt der Entfaltung alles Lebendigen zugrunde. Ökologisch leben hieße dann: gemäß diesem Logos leben und aus ihm heraus das Maß zu empfangen für das, was uns zusteht, und einsehen, wo unsere Grenzen sind. Die Voraussetzung für eine solche Forderung drückt ein Gedanke Platons aus: »Man muss sagen, dass dieser Kosmos durch des Gottes Fürsorge als ein in Wahrheit beseeltes und mit Vernunft begabtes Lebewesen entstand« (Platon, Timaios: 30b). Der ganze Kosmos wird von Platon als ein Lebewesen angesehen. Alle besonderen Lebewesen, also Menschen, Tiere und Pflanzen, aber auch die Sonne, der Mond und die Sterne, die den Griechen als belebt galten, sind nach dieser Auffassung nur Teile, gleichsam Or302 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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gane, dieses Gesamtlebewesens. Daher nennt der neuplatonische Philosoph Plotin (205–270) die Sonne und die Sterne unsere ›Brüder‹ (Plotin 1973: 128). Ähnliche Vorstellungen sind auch Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts nicht fremd, aber sie bleiben häufig unverbindlich. Erst wo solche Vorstellungen eine wirkliche Erfahrung ausdrücken, die das eigene Leben umfassend formt, können sie verbindlich werden. Solche Erfahrungen finden sich nicht nur in der antiken Philosophie, sondern vor allem auch in dem Bereich der Religionen, so auch im Christentum. Stellvertretend sei auf Franz von Assisi (1181– 1226) verwiesen, der in seinem Sonnengesang (1977: 104 f.) formuliert: »Gelobt seist Du, mein Herr,/ mit allen Deinen Geschöpfen,/ vornehmlich mit der edlen Herrin/ Schwester Sonne, die uns den Tag schenkt durch ihr Licht./ Und schön ist sie/ und strahlend in großem Glanze:/ Dein Sinnbild, Höchster!/ Gelobt seist Du, mein Herr,/ durch Bruder Mond und die Sterne;/ am Himmel schufst du sie/ leuchtend und kostbar schön./ Gelobt seist Du, mein Herr, durch Bruder Wind und die Luft,/ durch wolkig und heiter und jegliches Wetter,/ durch das Du Deinen Geschöpfen Gedeihen gibst./ … Gelobt seist Du, mein Herr,/ durch unsere Schwester/ Mutter Erde,/ die uns ernährt und erhält,/ vielfältige Frucht uns trägt/ und bunte Blumen und Kräuter«. Der philosophische Hintergrund für diese Einsicht in innige Verbundenheit alles Lebendigen findet sich in einem Gedanken Plotins (1973: 159). Mit dem Innersten unserer selbst, so sagt er, »berühren wir uns an der Stelle unseres eigenen Mittelpunktes mit dem Mittelpunkt aller Dinge«. Für unsere Frage nach der Ökologie folgt aus einer solchen Einsicht: Der Mensch, der in sich ein ursprüngliches Maß findet, das aus dem gleichen Ursprung entspringt wie die Maße und Ordnungen aller anderen Lebewesen, kann keinen Fehler gegenüber der Natur machen, wenn er sich an dieses innere Maß hält. Damit berühren wir die anfänglich wiedergegebenen Überlegungen des Aristoteles. Von Aristoteles her liegt es nahe zu sagen: der Mensch soll aus der rechten Einsicht in die Natur, in die zweckmäßige Ordnung, deren Teil er ist, das Maß für die Befriedigung seiner Bedürfnisse, ja, überhaupt für die Gestaltung seines Lebens schöpfen. Demgemäß sollte er auch wirtschaften. Dann wäre seine Wirtschaft Resultat einer Freiheit, die sich deutlich von der des Homo oeconomicus unterscheidet: Es ist eine Freiheit, die darin besteht, 303 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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nach dem rechten Maß zu suchen und zu der Einsicht zu gelangen, dass in der Einhaltung dieses Maßes die Erfüllung des eigenen Lebens besteht. 12 Wenn wir allerdings gesehen haben, dass die Naturauffassung der Ökonomie ebenso wie die Vorstellung vom Menschen in der (naturwissenschaftlichen) Ökologie zu kurz greifen und dass beide Auffassungen, sollten sie verabsolutiert werden, bewirken, dass die Fragestellung einer Ökologischen Ökonomie nicht angemessen formuliert werden kann, so ist angesichts der zuletzt wiedergegebenen Gedankengänge eine andere Gefahr zu benennen: Sie besteht darin, dass man meint, die Vorstellung einer ganzheitlichen Ökologie, wie sie den Ideen Plotins und Franz von Assisi entspricht, lasse sich in operationale Konzepte umsetzen. Demgegenüber ist festzuhalten: Das rechte Maß, wie es hier angesprochen wurde, ist nicht objektivierbar. Versuche, es zu operationalisieren, sind in der Regel nicht als wissenschaftlich anzusehen. Das heißt nicht, dass Maße unverbindlich sind. Es heißt aber, dass die Verbindlichkeit von Maßen nicht auf rein wissenschaftlichen Wegen festgestellt werden können. Die Frage des Maßes wird uns in den folgenden Kapiteln weiter beschäftigen.

Vgl. hiezu die unterschiedlichen inhaltlichen Bestimmungen der Freiheit des Homo politicus in Kapitel 4, Abschnitt 4.6.1 und die des Homo oeconomicus in Abschnitt 4.6.2.

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13. Produktion, Konsum und Dienste in der Natur Eine Theorie der Fonds

13.1 Einleitung Sowohl in der ökonomischen Klassik und Neoklassik 1 als auch in der heutigen Wirtschaftstheorie erscheint Wirtschaft als ein Prozess, dessen Abläufe letztlich auf den Zweck der Bedürfnisbefriedigung von Menschen ausgerichtet sind. In diesen Prozess gehen Rohstoffe ein, aus denen menschliche Arbeit und Kapital Güter und Dienstleistungen herstellen, welche zur Bedürfnisbefriedigung gebraucht und aufgebraucht werden, aus diesem Prozess gehen Schadstoffe hervor, die in Luft, Wasser und Boden abgegeben werden. Der Wirtschaftsprozess ist auf die Natur angewiesen. Natur wird als Aggregat nutzbarer Bestände vorausgesetzt: von der Rohstoffseite sind es Bestände aus nichterneuerbaren sowie erneuerbaren Ressourcen, von der Schadstoffseite her Bestände von Entsorgungskapazitäten für die Wirtschaft. Soll der gegenwärtige Wirtschaftsprozess seinen Zweck, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, auch in Zukunft erfüllen, d. h. soll die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig sein, 2 ergibt sich für die Wirtschaftstheorie die Aufgabe, Wege zu zeigen, wie nichterneuerbare Ressourcen im Maße ihres Abbaus entweder durch erneuerbare Ressourcen oder aber durch entsprechendes Kapital ersetzt werden und wie die für die Wirtschaft notwendigen Bestände an natürlichen erneuerbaren Ressourcen bzw. natürlichen Schadstoffbeseitigungskapazitäten entweder bewahrt werden oder ebenfalls durch Kapitalgüter substituiert werden können. Soweit eine nachhaltige Wirtschaft die Bewahrung, Schonung und Pflege natürlicher Ressourcen und Entsorgungskapazitäten erfordert, reicht es nicht hin, Natur als Aggregat von Beständen zu betrachten. Ergänzt werden muss eine solche Betrachtung durch eine 1 2

Vgl. hierzu Kapitel 2. Vgl. o. Kapitel 8.

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Untersuchung folgender Fragen: Was sind die natürlichen Gegebenheiten, die seitens der Wirtschaft als Bestände 3 erscheinen, wie entstehen sie, wie entwickeln sie sich, in welchen Zusammenhängen stehen sie, wie werden sie durch menschliche Eingriffe verändert? Denn ein pfleglicher Umgang mit den natürlichen Grundlagen der Wirtschaft erfordert es, die Eigenart des zu Bewahrenden und zu Pflegenden zu kennen und zu berücksichtigen. Somit ist es zunächst notwendig, Naturwissenschaftler in die Untersuchung der Bedingungen einer nachhaltigen Wirtschaft einzubeziehen, insbesondere Physiker, Chemiker, Mineralogen und Biologen. Weiterhin müssen Praktiker hinzugezogen werden, z. B. Land-, Forstwirte und Fischereifachleute etc., die Natürliches aus konkretem Umgang kennen. Schließlich sollten auch interessierte Laien aus solchen Untersuchungen nicht ausgeschlossen werden, weil gerade die Beobachtungen und Anregungen von Laien häufig der erste Anstoß sind, Probleme im Spannungsfeld Ökologie/Ökonomie zu diagnostizieren. Allerdings stößt ein solches multidisziplinäres Vorgehen an Grenzen: die Untersuchungsgegenstände, Grundbegriffe, Fragestellungen und Vorgehensweisen der Naturwissenschaften einerseits und der Wirtschaftswissenschaften andererseits sind so verschieden, dass die Probleme der einen Seite kaum in der Sprache der anderen formuliert werden können. Darüber hinaus sind wissenschaftliche Darstellungen natürlicher Zusammenhänge häufig gänzlich verschieden von alltagssprachlichen Zugängen der Laien. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Ausführungen zu verstehen: In ihnen wird davon ausgegangen, dass es selbst für rein wirtschaftliche Zwecke nicht hinreicht, Natur nur als ein Aggregat von Beständen für die Wirtschaft anzusehen. Aus einer solchen Sicht entsteht insbesondere eine einseitige und verkürzte Auffassung von den Problemen der Interaktion zwischen Natur und Wirtschaft. Für ein umfassenderes Verständnis dieser Probleme erscheint es uns notwendig, natürliche Gegebenheiten als Formen und Ordnungen eigener Art zu begreifen, deren Dasein differenzierte Produktions- und Konsumprozesse sowie ein komplexes Geflecht von Dienstleistungen innerhalb der außermenschlichen Natur voraussetzt. Natur, betrachtet unter dem Blickwinkel einer auf Produktion und Konsum, Dienstgabe und Dienstnahme beruhenden lebendigen und sich entwickelnZu den Grundlagen einer allgemeinen Theorie der Bestände vgl. Faber/Frank/Klauer/ Manstetten/Schiller/Wissel 2005a, 2005b.

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Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

den Formenvielfalt, erscheint als Prozessualität, die gewisse strukturelle Analogien zur menschlichen Wirtschaft aufweist. Der Aufweis und die begriffliche Erfassung solcher Analogien kann zugleich dazu beitragen, wesentliche Unterschiede zwischen Natur- und Wirtschaftsprozessen deutlich zu machen. Unsere Vorgehensweise orientiert sich an drei leitenden Gesichtspunkten: (i) Wir wollen auf die Selbstorganisation des Lebendigen aufmerksam machen, welche die Voraussetzung für alle Leistungen ist, die die Natur ohne menschliches Zutun immerfort neu bereitstellt (solange menschliche Eingriffe sie nicht daran hindern). Eine derartige Aufmerksamkeit ist die Voraussetzung für den Respekt vor der »Würde der Natur«, wie sie z. B. Huber (1990: 233) in Anlehnung an Kant einfordert. (ii) Wir unternehmen den Versuch, Grundlagen einer interdisziplinären Terminologie und Vorgehensweise für ein umfassendes Verständnis der Natur zu entwickeln. Damit soll es möglich werden, natürliche Prozesse in einer Sprache zu beschreiben, die offen ist für Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften. Zugleich aber soll diese Beschreibung so formuliert werden, dass ihre mögliche Relevanz für die Wirtschaft deutlich wird. (iii) Insbesondere aber soll der Ansatz, mit dem wir Produktion und Konsum, Dienstleistung und Dienstnahme in der Natur darstellen, entweder direkt auf vorwissenschaftliche Erfahrungen der erscheinenden Natur beziehbar sein, wie sie Laien machen, oder aber zu diesen Erfahrungen wenigstens nicht im Gegensatz stehen, so dass die folgenden Ausführungen auch als Beitrag zu einer Phänomenologie der Natur verstanden werden können. Diese drei Gesichtspunkte werden nicht nacheinander abgehandelt; vielmehr sind sie alle drei leitend für unsere Argumentation, wenn auch in einzelnen Abschnitten mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung.

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13.2 Produktion, Konsum und Dienstleistungen in der Natur 13.2.1 Natürliche Produktion und natürlicher Konsum in absoluter Betrachtung Produktion und Konsum werden in der Regel relational untersucht. Angesichts eines Produktes fragt man: Von wem geht seine Produktion aus, wer ist ihr Urheber, für wen findet sie statt, wer ist der Konsument des Produzierten? Bevor wir in den folgenden Abschnitten eine Betrachtung vornehmen, die Produktion und Konsum innerhalb der Natur in ihren Relationen und Kontexten thematisiert, wollen wir hier eine Sicht vorstellen, die Produktion und Konsum ›absolut‹ betrachtet, d. h. losgelöst von den Relationen und Kontexten, auf die sie kausal oder funktional beziehbar sind, losgelöst von ihren Entstehungs- und ihren Verwendungszusammenhängen. Wir wenden uns bei dieser ›absoluten‹ Betrachtung zunächst (i) der Produktion zu, und gehen dann (ii) zum Konsum über. (i) Produktion heißt Herstellung oder Hervorbringung. Entsprechendes bedeutet das griechische Wort pofflhsi@ (poiesis). Hervorgebracht wird etwas, das vorher nicht da war: Das Resultat eines jeden Produktionsvorganges ist gegenüber dem bisher Dagewesenen etwas Neues. 4 Besonders deutlich wird dies bei der handwerklichen Produktion: Jeder Tisch, der aus der Hand des Tischlers hervorgeht, ist als dieser besondere Tisch neu und noch nie da gewesen, selbst wenn er noch so sehr einem anderen Tisch gleicht. Das Gleiche gilt aber auch für ein Auto, das vom Band läuft, auch wenn die Ingenieure alles getan haben, damit es sich so wenig wie möglich von all den anderen Autos des gleichen Typs unterscheidet: Als dieses besondere Auto war es vorher nicht vorhanden. Während man in der Wirtschaft indes Produkte nur im Hinblick auf ihren Zweck, ihren Beitrag zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung, thematisiert, kann man, etwa in der Kunst, ein Hervorgebrachtes, ein Produkt, auch ausschließlich im Hinblick darauf anschauen oder anhören, dass es da ist und wie es da ist, ohne nach dem Woher und Wozu zu fragen. Dann erfährt man nicht, wie es für andere ist, die damit bestimmte Zwecke verbinden, sondern man schaut oder hört es in seinem reinen Dasein. »Denn was nur für irgend etwas Ursache wird, aus dem Nichtsein in das Sein zu treten, ist insgesamt Hervorbringung (Poiesis)« (Platon, Symposion (Das Gastmahl) 205 b) vgl. Heidegger (1978: 11).

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Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

Produktion in diesem Sinne ist nichts weiter als das Ins-DaseinBringen von etwas, was zuvor nicht da war. In einer absoluten Betrachtungsweise wird ein ›Etwas‹ dann als ein Produkt angesehen, wenn man nur sein Dasein hervorheben will: Es war zuvor nicht da und ist jetzt da. Produkte in diesem Sinn existieren nicht nur als Resultate menschlicher Tätigkeit: Alltagssprachlich verwenden wir Ausdrücke wie »Naturprodukt« und deuten damit an, dass wir die Natur als eine dem Künstler vergleichbare hervorbringende Instanz verstehen. Als Produkte der Natur lassen sich nämlich nicht nur die aus der Tätigkeit bestimmter Lebewesen hervorgehenden Werke ansehen: der Honig oder die Waben der Bienen, die Nester der Vögel, die Bauten der Termiten und Biber, die Netze der Spinnen und Häuser der Schnecken. Natürliche Produkte sind auch eigenständig erscheinende Teile von Lebewesen, die Blätter, Blüten und Früchte von Pflanzen und Bäumen, die Geweihe der Hirsche, die Federn der Vögel etc. In besonderem Maße aber lässt sich jedes Lebewesen selbst als ein Produkt, eine Hervorbringung der Natur ansehen, ein Produkt, das im Akt der Geburt sichtbar ins Dasein tritt und sich während seines Daseins immer wieder neu produziert. Jedes Lebewesen ist etwas bisher nicht Dagewesenes. Der Wissenschaftler mag nicht nur Lebewesen, sondern auch Arten oder ganze natürliche Lebensgemeinschaften (Ökosysteme) in einer absoluten Betrachtung als Produkte der Natur auffassen: Die Funde aus erdgeschichtlichen Phasen liefern ihm immer diskontinuierliche Momentaufnahmen, zwischen denen Jahrtausende und Jahrmillionen liegen; auf der späteren »Aufnahme« ist plötzlich eine Art oder eine ganze natürliche Lebensgemeinschaft da, wo vorher nichts dergleichen vorhanden war. (ii) Wenn wir zum Konsum in der Natur übergehen, so müssen wir bedenken, dass Produktion und Konsum Begriffe sind, die trotz ihrer wechselseitigen Verweisung im Rahmen gewöhnlicher Betrachtungen absolut gesehen nicht den gleichen kategorialen Status haben. Ein Indiz dafür ist bereits ein sprachlicher Befund: Für das Resultat der Produktion gibt es einen Ausdruck, nämlich ›Produkt‹, für das Resultat des Konsums fehlt ein derartiger Ausdruck. Dieser Mangel liegt in der Sache: Konsum bedeutet ursprünglich Verzehr. Der Begriff ist abgeleitet vom lateinischen ›consumere‹, das ›aufbrauchen‹, ›verzehren‹ oder ›zerstören‹ bedeutet. Im ursprünglichen Sinn ist der Konsum von etwas gleichbedeutend mit dem Prozess seiner Vernichtung bzw. seinem Aufgehen in dem Verzehrenden, sein Resultat ist das Verschwinden dessen, was verzehrt wird. In die309 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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sem Sinne führt Konsum letztlich zu einem Nicht-mehr-Dasein: Konsumiert-Werden bedeutet den Übergang zum Nicht-mehr-Dasein von etwas, das vorher da war. Somit ist Konsum ein Prozess, dessen Resultat vom Konsumierten aus gesehen gewissermaßen »nichts« ist. Das bedeutet zwar nicht, dass nach dem Konsum buchstäblich nichts übrigbleibt, aber was übrigbleibt, hat wenig, in der Regel sogar überhaupt »nichts« mit der Sache zu tun, die konsumiert wird. Konsum setzt notwendig Produktion voraus, während das Umgekehrte nicht zwingend gilt. Was vernichtet wird, muss vorher in Erscheinung getreten sein. Dagegen ist es nicht zwingend, dass etwas, das in Erscheinung getreten ist, vernichtet werden muss, auch wenn die Empirie es nahelegt, dass alles Bestehende einmal untergeht. Das bedeutet aber, dass die Betrachtung von Konsum immer die Betrachtung der Produktion voraussetzt. So wie die Produktion kann auch der Konsum in der Natur absolut betrachtet werden: Natürliches tritt nicht nur neu in Erscheinung, es wird auch aufgezehrt oder zerstört bzw. vergeht und verschwindet von selbst. Der Entfaltung neuer Blätter und Blüten folgt ihr Welken und Absterben, die Früchte werden verzehrt oder verfaulen, das neue Geweih, Fell oder Federkleid ist irgendwann alt und wird abgeworfen, auf die Geburt jedes neuen Lebewesens folgt sein Sterben und Tod. Solche Prozesse absolut zu betrachten bedeutet, von der Frage abzusehen, woher dieses Aufgezehrt-Werden bzw. Verschwinden kommt und wozu es dienlich ist. Die bloße Tatsache, dass etwas nicht ewig besteht, sondern endlich ist, bedeutet, dass es irgendwann »konsumiert« wird, d. h. nicht mehr dasein wird. So verstanden, drückt Konsum im absoluten Sinne eine ursprüngliche Erfahrung der Zeit aus: Jede Gegenwart wird zur Vergangenheit und wird mit allem, was nur ihr zugehört, gleichsam »von der Zeit aufgezehrt«. 5 Ein derartiger Begriff des Konsums kann, wie der der Produktion, auch auf Arten und natürliche Lebensgemeinschaften ausgedehnt werden: Auch Arten können aussterben und ganze Ökosysteme untergehen. Allerdings besteht hier eine Asymmetrie zwischen HervorVgl. Augustinus (1980), Confessiones (Bekenntnisse), Buch 11, übersetzt von Josef Bernhart, 4. Auflage, München: 631: »Denn inwiefern ist verflossene Zeit lang gewesen? Ist sie lang gewesen, als sie schon verflossen war, oder als sie noch Gegenwart war? Doch wohl nur damals konnte sie lang gewesen sein, als sie etwas war, das lang sein kann; einmal vergangen, war sie nicht mehr; also konnte auch nicht lang sein, was überhaupt nicht war«.

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gebracht-Werden und Verschwinden: Arten und natürliche Lebensgemeinschaften sind irgendwann einmal ins Dasein getreten, ohne dass wir sagen können, dass sie im Rahmen der Produktion und des Konsums innerhalb der Natur notwendig verschwinden müssen. Konsum, auch in dieser absoluten Betrachtungsweise, bleibt immer im Horizont der Produktion: Dem Untergang von einzelnen Arten und Ökosystemen in der erdgeschichtlichen Vergangenheit sind immer neue Erscheinungsformen des Lebens gefolgt, neue Arten und neue Ökosysteme sind an die Stelle der alten getreten. Man kann allerdings in Gedanken die absolute Betrachtungsweise des Konsums dahingehend weiterzutreiben versuchen, dass man sich einen Konsum vorstellt, der alles Produzierte und alle Produktionsmöglichkeiten betrifft, m. a. W. ein vollständiges Aufgezehrt-Werden alles Lebendigen, das selbst den Horizont jeder möglichen Produktion umfasst. Ein solcher totaler Konsum würde in seiner Vollendung nicht nur die Produktivität des Lebens und das Leben selbst, sondern damit zugleich sich selbst aufheben: Wenn die letzten Arten der Lebewesen untergehen, wenn das Leben selbst verschwinden sollte, würde damit nicht nur jegliche Produktion, sondern auch der Konsum selbst erlöschen. Wir haben in diesem Abschnitt ein bestimmtes Moment an den Begriffen Produktion und Konsum in einer ungewöhnlichen Weise akzentuiert: Zwar gehört zu jeder Produktion notwendig und wesentlich das Moment des in Erscheinung-Tretens und zu jedem Konsum das Moment des aus dem Bereich der Erscheinung Verschwindens, aber diese Momente werden in wissenschaftlichen Arbeiten zur Produktion und zum Konsum kaum beachtet; man untersucht vielmehr Relationen wie die Ursachen, die Art und Weise sowie den Zweck von Produktion und Konsum. Unsere Hervorhebung der Momente des Erscheinens und des Verschwindens bei den Begriffen Produktion und Konsum bezüglich der Natur, unter Absehung von den Relationen, in denen diese Begriffe normalerweise verwendet werden, soll auf eine vorwissenschaftliche Erfahrung aufmerksam machen, die für den unbefangenen Umgang des Menschen mit der Natur typisch ist. Wir alle erleben Natur vorwissenschaftlich als einen beständigen Wechsel von Erscheinen und Verschwinden, von Entstehen und Vergehen, ohne immer zu fragen oder gar zu wissen, woher das Entstandene kommt, wozu es dient, und warum und wozu es vergeht. Insbesondere aber führt die Vorstellung von Geboren- Werden und Sterben-Müssen bei uns und unseren Mitmenschen zu einer 311 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

solchen absoluten Betrachtung bzw. zu einer Formulierung der Frage: »Wozu?«, die sich nicht leicht durch eine Antwort auflösen lässt. 6 13.2.2 Natürliche Produktion und natürlicher Konsum in relationaler Betrachtung Bei der im vorigen Abschnitt vorgestellten absoluten Betrachtung von Konsum und Produktion gibt es in gewisser Weise keine Zeitordnung im Sinne temporaler Relationen. Produktion wurde angesprochen als das bloße »Da!«, wo vorher im Feld der Erscheinungen nichts war, Konsum als das bloße »Nicht-Da!«, wo vorher im Feld der Erscheinungen etwas war. Hier wurden nur Augenblicke oder Zeiträume betrachtet, innerhalb derer (bezüglich des Daseienden oder Nicht-Daseienden) nichts geschieht. Diese Betrachtungsweise muss jedoch ergänzt werden. Dem Da geht der Prozess der Entstehung des Daseienden, dem Nicht-Da der Prozess der Veränderung und des Vergehens des Daseienden voraus, und in der Natur laufen derartige Prozesse in einer ungeheuren Zahl gleichzeitig und nacheinander ab. Wenngleich wir Natürliches unmittelbar in seinem Dasein oder Nicht-mehr-Dasein ohne Vor und Nach erfahren können, werden wir auch vorwissenschaftlich angesichts eines natürlichen Gegenstandes oft nach seinem Woher und Wohin, nach seinem Warum und Wozu fragen. In der Wissenschaft werden diese Fragen in einer systematischen Form untersucht. Mit diesen Fragen kommen die Momente der Zeit (im Sinne der Veränderung), der Geschichte und der Kausalität ins Spiel. Damit werden Produktion und Konsum relational (und nicht nur absolut) betrachtet. Erst in der relationalen Betrachtung können Produktion und Konsum im eigentlichen Sinn als Prozesse angesehen werden. Dies gilt sowohl für die Betrachtung der Wirtschaft als auch für die Betrachtung der Natur. Wir wenden uns zunächst der Produktion zu: Die relationale Betrachtung von Produktionsprozessen in der Natur steht vorwissenschaftlich meist unter dem Gesichtspunkt: Zu welchen Resultaten führen sie, wem dienen sie, wem nützen sie? Dieser Gesichtspunkt gilt unmittelbar für die Resultate der Tätigkeit bestimmter LebeweVgl. Spaemann/Loew (1991), die sich ausführlich mit dieser Fragestellung beschäftigen.

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sen, die als nützlich für diese Lebewesen erscheinen: der Honig oder die Waben der Bienen, die Nester der Vögel, die Bauten von Termiten und Biber etc. sind Produkte, die von den Lebewesen für sich selbst zu ihrem Nutzen produziert werden. Ebenso mag man die Teile von Lebewesen auf ihr Wozu hin befragen: nicht nur die Blätter, Blüten und Früchte von Pflanzen und Bäumen, sondern auch die Gliedmaßen und Organe höherer Lebewesen scheinen im Dasein des Lebewesens, dem sie zugehören, eine Aufgabe zu erfüllen. Die Frage: in welcher Weise ist all dieses für das Lebewesen dienlich? kann hier den leitenden Gesichtspunkt für das Verständnis abgeben. Schließlich kann man auch die Lebewesen selbst relational als Produkte der Natur betrachten, insofern diese als Ganze anderen Lebewesen zu ihrem Dasein dienlich sind, indem sie etwa konsumiert werden. Eine solche relationale Betrachtung sieht ein Produkt immer als ein »Produkt für …«, also unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit. Komplementär zur Produktion kann der Konsum in der Natur relational betrachtet werden. Alle Lebewesen konsumieren, sei es Unlebendiges, seien es abgelöste oder ablösbare Teile von anderen Lebewesen, seien es schließlich solche Teile von anderen Lebewesen, deren Konsum den Tod des betroffenen Lebewesens voraussetzt oder zur Folge hat. Der Verzehr ist, relational gesehen, Verzehr, der von jemandem ausgeht, das Nicht-Dasein des Verzehrten ist das Resultat eines zweckmäßigen Prozesses, der zum Dasein des Verzehrenden beiträgt. In dieser Betrachtung ist Konsum immer »Konsum für …«, er ist zu verstehen nur in seiner Zweckmäßigkeit für dasjenige Lebewesen, das konsumiert. Dieser Konsum setzt Produktion in der Natur voraus. Darüber hinaus ist dieser Konsum selbst wieder Voraussetzung für die Produktion: In der Biologie wird aller Konsum als integraler Bestandteil von Stoffwechselprozessen betrachtet, die sowohl als Prozesse der Vernichtung eines Daseienden wie auch als Prozesse der Ermöglichung neuen Daseins angesehen werden können: Konsum und Produktion in relationaler Betrachtung bedingen einander weitgehend.

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

13.2.3 Die Dienlichkeit des Natürlichen Wenn wir bisher Natürliches sowohl absolut als auch relational nur unter der Begrifflichkeit von Produktion und Konsum betrachtet haben, so ist diese Betrachtung für den relationalen Aspekt unvollständig. Viele wesentliche Relationen innerhalb der Natur lassen sich mit dieser Begrifflichkeit zwar erfassen, andere aber nicht. Wir wollen dies am Beispiel der Wirtschaft erläutern. Die wirtschaftliche Nutzung oder der Gebrauch eines Produktes ist vielfach nicht gleichbedeutend mit seinem Konsum. So werden in der Sphäre der menschlichen Produktion Kapitalgüter wie Maschinen und Anlagen verwendet. Somit gehen Dienstleistungen von Maschinen und Anlagen in die Herstellung von Gütern ein, ohne dass diese Maschinen und Anlagen selbst konsumiert werden. Entsprechend gilt für die Haushalte, dass sie Kapitalgüter wie Wohnungen, Autos und Kühlschränke benutzen, indem sie Dienstleistungen dieser Güter in Anspruch nehmen. In derartigen Fällen gilt, dass die Kapitalgüter zwar abgenutzt, aber nicht selbst verbraucht, d. h konsumiert werden. Die Dienlichkeit von Kapitalgütern innerhalb der Wirtschaft besteht somit nicht darin, dass sie konsumiert werden, sondern geht aus den Diensten hervor, die sie leisten. Die Dienste ihrerseits können zwar in manchen Fällen von denen, die sie in Anspruch nehmen, konsumiert werden im Sinne ihrer Aufzehrung, in anderen Fällen trifft dies aber nicht zu. Somit ist es ungenau zu sagen, dass in der Wirtschaft Produktion ausschließlich auf den Konsum abziele. Zusammenfassend lässt sich somit formulieren: Ziel der Produktion in der Wirtschaft ist stets die Herstellung von etwas Dienlichem für den menschlichen Gebrauch; Konsum im Sinne der Aufzehrung des Dienlichen aber ist nur eine Art unter verschiedenen Arten seines Gebrauchs. Somit sind zwar alle Produkte in der Wirtschaft dienlich für den Gebrauch, aber sie sind nicht alle Konsumgüter oder zu konsumierende Dienstleistungen, sofern man Konsum als Verzehr versteht. 7 Daraus folgt: Eine Betrachtung, die als Ziel aller Der/die ökonomisch bewanderte Leser/in wird bemerken, dass wir den Begriff des Konsums anders verwenden, als er in der Volkswirtschaftslehre benutzt wird. Dort wird nämlich unter Konsum der Gebrauch von Gütern verstanden, die in materielle Güter und Dienstleistungen unterteilt werden. Als letztere gelten z. B. das Haareschneiden eines Friseurs, die Leistungen eines Gepäckträgers oder eine Taxifahrt. Aber auch ein Gemälde in einem Museum, eine Statue auf einem öffentlichen Platz oder eine schöne

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Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

Produktivität der Wirtschaft die Bereitstellung von Diensten ansieht, ist umfassender als eine Sicht, die als Ziel aller Produktion den Konsum auffasst. Eine analoge Betrachtung wollen wir für die Natur durchführen. Das Relationsgeflecht des Natürlichen in einem Ökosystem lässt sich nämlich nur unzureichend erfassen, wenn man es ausschließlich in Relationen der Produktion und des Konsums erfasst. Umfassend erscheint es vielmehr als eine Vernetzung von Diensten, die z. T. nicht unter dem Gesichtspunkt von Produktion und Konsum erfasst werden können. Derartige Dienste werden z. B. von Insekten geleistet, die zur Befruchtung von Obstbäumen beitragen, von Bäumen, deren Krone und Laubwerk Nistplätze für Vögel bietet, ja, selbst von Raubtieren, die durch ihre Jagd zwar das einzelne Lebewesen einer bejagten Art verzehren, damit aber die ökologische Fitness dieser Art fördern. Wir betrachten also die Dienlichkeit eines Produktes für den Konsum in der Natur als einen besonderen Fall von Dienlichkeit überhaupt. Demgemäß gilt: Jeder Gebrauch eines Produktes oder einer Dienstleistung in der Natur ist eine In-Dienstnahme, aber nicht jeder Gebrauch eines Produktes oder einer Dienstleistung ist Konsum. Somit lassen sich im Rahmen unserer ökonomischen Überlegungen zu Analogien zwischen Natur und Wirtschaft alle uns interessierenden Relationen innerhalb der Natur als Relationen von Diensten ansehen. Dies gilt auch für Produktions- und Konsumbeziehungen. Gleichwohl sollte dabei der Hintergrund der absoluten Betrachtungsweise von Produktion und Konsum in der Natur stets berücksichtigt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen: am Anfang und am Ende eines Lebewesens stehen Geburt und Tod, also Produktion und Konsum in absoluter Betrachtung. Das Dasein eines Lebewesens zwischen Geburt und Tod vollzieht sich jedoch in Relationen. Es versucht, das Konsumiert-Werden durch andere Lebewesen zu meiden, zugleich aber bedient es sich anderer Lebewesen – sei es ihrer ProFlusslandschaft kann Dienstleistungen abgeben, nämlich sofern dadurch dem Betrachter Wohlgefallen und Freude bereitet wird. In ökonomischer Terminologie werden auch die Dienstleistungen der schönen Landschaft durch den Betrachter konsumiert, in unserer Terminologie hingegen nicht – wobei wir nicht ausschließen, dass die Inanspruchnahme der schönen Landschaft durch eine große Anzahl von Touristen zwecks der Erweckung von Wohlgefallen sehr wohl zum »Verzehr« ihrer Schönheit beitragen kann.

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

dukte, sei es ihrer selbst – zu seinem eigenen Konsum, durch den es zugleich sein eigenes Leben immer wieder neu produziert. Das Leben eines Lebewesens beruht aber nicht nur auf dem Konsum (bzw. Flucht vor dem Konsumiert-Werden), sondern impliziert vielfältige andere Beziehungen des Dienst-Nehmens und Dienst-Gebens. In den folgenden Abschnitten wollen wir eine Sprache entwickeln, die uns Begriffe, Grundsätze und Horizonte bietet, die Relationen der Lebewesen deutlicher zu fassen und umfassender zu verstehen.

13.3 Produktion, Konsum und Dienen aus der Perspektive des einzelnen Lebewesens: eine teleologische Betrachtung 13.3.1 Allgemeine Bemerkungen zur Teleologie Eine relationale Betrachtung des Natürlichen in Zusammenhängen der Dienlichkeit orientiert sich vorwissenschaftlich in der Regel an der Frage: Wozu? Diese Frage ist als die Frage nach der Bestimmung, dem Zweck oder Ziel des Natürlichen eine teleologische Frage: Zweck, Ziel oder Bestimmung heißt im Griechischen tfflo@ (telos), die Lehre von der Ordnung und dem Zusammenhang der Zwecke oder Bestimmungen ist die Teleologie. Vorwissenschaftlich erscheint es als geradezu selbstverständlich, gegenüber Natürlichem die Frage: Wozu? zu stellen; die Antwort darauf ist immer ein Satzgefüge, in dessen Hauptsatz eine Tatsache festgestellt und in dessen mit »damit« beginnenden Nebensatz (bzw. mit »um zu« eingeleiteten erweiterten Infinitiv) der Sinn und Zweck dieser Tatsache angegeben wird: Die Obstblüte enthält Nektar, damit die Bienen und Hummeln angelockt werden (um Bienen und Hummeln anzulocken), der Eisbär hat einen dicken Pelz, damit er in den Polarregionen leben kann etc. Wissenschaftlich muss man indes fragen: Ist eine teleologische Betrachtung der Natur auch unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten zu rechtfertigen? Eine teleologische Betrachtung findet gewöhnlicher Weise angesichts planvoller menschlicher Handlungen statt. Dies gilt auch, wenn es um Produktion, Konsum und ganz allgemein um Dienste von Menschen im Rahmen der Wirtschaft geht. Denn bei allen wirtschaftlichen Handlungen kann man fragen: Welches Ziel wird damit verfolgt, welcher Zweck oder welche Bestimmung soll erfüllt werden? Diese Betrachtung basiert darauf, dass der Mensch ein Wesen 316 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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ist, das mit seinem Verhalten und seinen Handlungen, also auch mit Produktion und Konsum, Zwecke verfolgt. Alle Vorgänge in der Wirtschaft sind, soweit sie bewusst veranlasst werden, intentional, d. h. planvoll bezogen auf die Zwecke von Menschen. Das bedeutet auch: allen Dingen, die in der Wirtschaft verwendet werden, allen Prozessen, die in der Wirtschaft in Gang gesetzt werden, wird die Bestimmung auferlegt, menschlichen Zwecken zu dienen. Letzter Referenzpunkt aller Zwecksetzungen ist in heutigen wirtschafstheoretischen Betrachtungen immer der einzelne Mensch, das Individuum. Daher wird die Vorgehensweise der Wirtschaftstheorie auch als methodologischer Individualismus bezeichnet (vgl. z. B. Petersen 1996). Alle in der Wirtschaft verfolgten Zwecke werden in dieser Sicht auf die Bedürfnisbefriedigung oder das Nutzenstreben einzelner Individuen bezogen. Diese individualistische Teleologie muss sogar die Natur mit einbeziehen: Natürliches wird von der Wirtschaft aus auf seine Zweckdienlichkeit für die Produktion und den Konsum von Individuen hin betrachtet: Natürliches ist dann dafür da, vom Menschen produktiv und konsumtiv genutzt zu werden. Mit welchem Recht aber kann eine teleologische Betrachtung natürlicher Vorgänge stattfinden, wenn diese Vorgänge nicht auf den Menschen als zwecksetzende Instanz bezogen werden? Im Gegensatz zu einer teleologischen Betrachtung der Wirtschaft, die auf den Menschen bezogen ist, führt eine teleologische Betrachtung der Natur sofort zu dem Problem: Wer oder was sind die zwecksetzenden Instanzen in der Natur? Ist vielleicht die Natur selbst als eine solche Instanz aufzufassen? Wir orientieren uns bei der Lösung dieses Problems an der Philosophie Kants, wie sie in der »Kritik der Urteilskraft« entfaltet wird. Kant lehnt eine äußere Zweckmäßigkeit für die Beschreibung der außermenschlichen Natur ab: Das Gras ist nicht von Gott oder der Natur zu dem Zweck produziert worden, Schafe zu nähren. Ein solcher Zweck wäre dem Gras äußerlich. Kant plädiert aber dafür, eine innere Zweckmäßigkeit alles Lebendigen zu unterstellen. Ein Lebewesen muss seiner inneren Strukturiertheit nach teleologisch »als organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen« (Kant 1790/ 1990, »Kritik der Urteilskraft«: 322) aufgefasst werden. Dabei ergibt sich eine zirkuläre Struktur: Der Zweck der Tätigkeit der Organe eines Lebewesens ist die Erhaltung des ganzen Lebewesens in seiner Lebendigkeit, der Zweck des Lebewesens ist wiederum die Erhaltung der Funktionsfähigkeit seiner Organe. Diese beiden »Zwecke« sind 317 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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nichts anderes als zwei Perspektiven auf ein und dasselbe Phänomen: den Lebensvollzug eines Lebewesens. Für Kant ist Teleologie eine Heuristik. Das bedeutet: Es muss nicht unterstellt werden, dass die Lebewesen einen objektiven Zweck in sich haben (sei dieser theologisch oder kosmologisch begründet). Teleologische Beschreibungen rechtfertigen sich vielmehr damit, dass sie zu einfacheren Erklärungen führen als nicht-teleologische Beschreibungen. Die Verwendung teleologischer Gesichtspunkte in der Natur bedeutet somit für Kant: Natürliche lebendige Dinge werden aufgefasst, als ob sie ein inneres Ziel hätten, nämlich das Ziel, ihre Lebendigkeit in ihrer je eigenen Weise zu erhalten und zu entfalten. Dabei können wir es offen lassen, ob ein solches Ziel objektiv gegeben ist oder nicht. Kant sah die Fruchtbarkeit der teleologischen Sichtweise überall in der belebten Natur gegeben: Während in der unbelebten Natur mechanistische Erklärungen hinreichend seien, müsse man für die belebte Natur Prinzipien unterstellen, die Natürliches gemäß einer bestimmten Zweckmäßigkeit organisieren. Nur so könne man die Lebensvorgänge innerhalb eines Lebewesens sinnvoll miteinander in Beziehung setzen. 8 Wir werden die Sicht Kants für unsere Fragestellung erweitern: Nicht nur ein Lebewesen, sondern auch eine Art von Lebewesen und sogar eine natürliche Lebensgemeinschaft lässt sich als eine sich selbst organisierende Einheit auffassen, die sich über längere Zeiträume hinweg selbst organisiert, und ihr eigenes Dasein zum Ziel und Zweck hat. 9 Wir werden somit im Folgenden Teleologie im Sinne einer Heuristik verwenden, die es uns erlaubt, alle Verhältnisse des Dienens, somit auch alle relationalen Produktions- und Konsumverhältnisse im Bereich des Lebendigen in einer sehr allgemeinen Form darzustellen. Dabei werden wir indes in diesem Abschnitt das Die moderne Biologie teilt diese Auffassung von Kant in der Regel nicht. Sie stellt den Anspruch, Lebensprozesse ohne teleologische Implikationen darstellen zu können. Indes fällt auf, dass Naturwissenschaftler bis heute häufig unbemerkt mit Denkfiguren operieren, die sich kaum anders als teleologisch verstehen lassen. Um solche Denkfiguren zu rechtfertigen, hat Jacques Monod den Ausdruck der Teleonomie geprägt. Das bedeutet: bei der Beschreibung des Natürlichen darf man mit teleologischen Kategorien operieren, sofern man sich bewusst ist, dass alle anscheinend zweckmäßigen Strukturen letztlich auf Zufallsereignisse zurückzuführen sind. Eine Kritik an Monod findet sich bei Spaemann/Loew (1991). 9 Damit wird es möglich, die von Kant gerügte Annahme einer äußeren Zweckmäßigkeit der Dinge in dem Sinne zu reformulieren, dass sie heuristisch die innere Zweckmäßigkeit der Relationen innerhalb einer natürlichen Lebensgemeinschaft darstellt. 8

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einzelne Lebewesen (analog zum Individuum der Wirtschaft) als Referenzpunkt wählen, während der Referenzpunkt im Folgenden Abschnitt 13.4 das Ökosystem ist. 13.3.2 Die drei Tele Sowohl einzelne Lebewesen als auch Arten und ganze natürliche Lebensgemeinschaften können als sich selbst organisierende Einheiten aufgefasst werden 10 (Vgl. z. B. Faber/Proops 1998: 29–30). Diese drei Typen von Einheiten stehen indes nicht nebeneinander, sondern eine jeweils höhere umfasst die jeweils darunter liegende: Das Lebewesen ist in der Art, die Art ist im Ökosystem enthalten. Somit müssen Lebewesen, Art und natürliche Lebensgemeinschaft immer in ihrer wechselseitigen Verwiesenheit betrachtet werden. Eine solche gemeinsame Betrachtung kann wiederum vom einzelnen Lebewesen, von der Art oder von der natürlichen Lebensgemeinschaft ausgehen. Wir werden im Folgenden nur die beiden Extreme, die Perspektive des Lebewesens und die der Lebensgemeinschaft, bedenken, und beginnen mit dem Lebewesen als Ausgangspunkt. Ein Lebewesen lässt sich in drei Hinsichten beschreiben: 1. In seiner Einzigartigkeit, 2. in seiner Beziehung zu seiner Fortpflanzungsgemeinschaft, der Population und 3. in seiner Einbettung in die Ganzheit des Lebendigen bzw. in einen größeren Ausschnitt aus dieser Ganzheit, etwa eine natürliche Lebensgemeinschaft. Das einzelne Lebewesen ist also in drei Relationsfeldern zu betrachten. Bezüglich dieser drei Felder ergeben sich aus teleologischer Sicht drei Bestimmungen, die ein Lebewesen durch sein Dasein erfüllt. Wir bezeichnen diese drei Bestimmungen, um sie von den üblichen Verwendungen der Begriffe ›Zweck‹ und ›Bestimmung‹ abzuheben, im Folgenden als die drei Tele. 10 Die Gemeinschaft artgleicher Lebewesen innerhalb eines Ökosystems heißt in der Biologie Population. Wenn wir im Folgenden von ›Arten‹ im Zusammenhang mit natürlichen Lebensgemeinschaften reden, meinen wir stets die Art innerhalb der betrachteten Natürlichen Lebensgemeinschaft, also die Population. Art und Population bedeuten nur dann dasselbe, wenn man als natürliche Lebensgemeinschaft die ganze Erde meint. Eine Art ist die Gemeinschaft von Lebewesen, die sich untereinander vermehren.

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Erstes Telos: Die Selbsterhaltung und Selbstentfaltung. Dies ist das Telos, wodurch sich das Lebewesen auf sich selbst bezieht und sich selbst organisiert. Durch dieses Telos konstituiert sich der einzelne Organismus. Zweites Telos: Die Selbstwiederholung bzw. Selbsterneuerung durch die Fortpflanzung. Dies ist das Telos, wodurch sich das Lebewesen auf die Population bzw. Art bezieht und zur Selbstorganisation der Art beiträgt. Durch dieses Telos unter Voraussetzung des ersten Telos konstituiert sich die Art. Drittes Telos: Das Dienen, seine Entäußerung und seine Selbstentäußerung in Bezug auf andere Lebewesen. Dies ist das Telos, wodurch das Lebewesen auf die Lebewesen anderer Arten bezogen ist. Vermittels dieser Beziehung trägt das Lebewesen zur Entwicklung dieser Arten und letztlich zur Selbstorganisation der natürlichen Lebensgemeinschaft bei, der es angehört. Durch dieses Telos unter Voraussetzung des ersten und zweiten Telos konstituiert sich eine natürliche Lebensgemeinschaft. Nicht die beiden ersten Bestimmungen, wohl aber das dritte Telos mag problematisch erscheinen. Inwiefern kann es als Bestimmung eines Lebewesens erachtet werden, zu dienen oder gar sich selbst zu entäußern? Bei der Beantwortung dieser Frage ist im Folgenden ›Bestimmung‹ rein heuristisch zu verstehen. Ein Lebewesen kann, wie wir im Abschnitt 13.3.2.3 zeigen, unter der Perspektive aufgefasst werden, als ob es die Bestimmung hätte, sowohl im Vollzug seines Daseins als auch in der Entäußerung seines Daseins, im Tod, anderen Lebewesen zu dienen. Die Bedeutung des dritten Telos wird deutlich, wenn man eine ganze natürliche Lebensgemeinschaft, wie einen Regenwald, als ein sich selbst organisierendes Wesen betrachtet. Die Erhaltung und Entfaltung dieses Wesens setzt ein unendlich komplexes Geflecht von Diensten voraus. Vom einzelnen Lebewesen aus gesehen, können diese Dienste im Rahmen des dritten Telos dargestellt werden. 13.3.2.1 Erläuterungen zum ersten Telos Unter dem Gesichtspunkt des ersten Telos produziert sich das Lebewesen sozusagen selbst. Für das Verständnis dieser Art von Produktion ist bedeutsam, dass das Lebewesen als ein Organismus aufgefasst wird. Das heißt, es besitzt und verwendet körpereigene Organe (Werkzeuge), die seiner Erhaltung und Entfaltung dienen, 320 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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während andererseits die Erhaltung und Entfaltung des Lebewesens selbst nichts anderes ist als die Erhaltung und Entfaltung des Gesamtzusammenhanges seiner Organe. Zum ersten Telos gehört darüber hinaus ein Beziehungsgeflecht des Lebewesens zu seiner Umwelt. Um sich als Selbst zu produzieren bzw. zu erhalten, muss es vermittels seiner Organe Stoffe und Energie aus seiner Außenwelt, die von Lebendigem oder Nichtlebendigem stammen, direkt aufnehmen – und damit Formen zerstören –, während es andere Formen nur gebraucht, ohne ihre Integrität anzutasten. Der Prozess des Konsums zum Zwecke der Selbstproduktion ist nur in bestimmter Hinsicht, nämlich absolut gesehen, wirklicher Konsum: Die Form und die Eigenart des Konsumierten wird aufgezehrt, verschwindet; sein selbständiges Dasein ist nicht mehr gegeben. In der Sicht der Biologie hingegen wird dieser Konsum nicht als Verzehr der Form, sondern als Wechsel des Stoffes, als Stoffwechsel bezeichnet. Den Stoffen und der Energie, die das Lebewesen braucht, entspricht das, was das Lebewesen an Stoffen und Energie an seine Umwelt abgibt: nach dem Energieerhaltungssatz muss die Gesamtbilanz ausgeglichen sein. Darüber hinaus aber bedarf ein Lebewesen zu seiner Entfaltung bestimmter Verhältnisse des Lichtes, des Klimas und des Raumes, die es nicht konsumiert (aufbraucht), sondern sich dienlich macht, indem es sie in seinen Gebrauch nimmt. Vom ersten Telos aus lässt sich die ganze Umwelt eines Lebewesens unter ihrer Dienlichkeit für die Erhaltung und Entfaltung dieses Wesens betrachten. Dabei kann die Dienlichkeit auch negativ sein im Sinne von schädlichen Faktoren der Umwelt, wie sie etwa durch natürliche Feinde dargestellt werden, aber auch in ungünstigen Klimaverhältnissen etc. Im positiven Sinne ist dem Lebewesen alles dienlich, was seine Erhaltung und Entfaltung fördert. Sofern das Lebewesen dabei die Dienste anderer Lebewesen in Anspruch nimmt, etwa indem es sich von ihnen ernährt, ist es auf das dritte Telos dieser Lebewesen angewiesen. 13.3.2.2 Erläuterungen zum zweiten Telos Das zweite Telos unterscheidet sich vom ersten Telos dadurch, dass es nicht im Horizont eines Lebewesens, sondern im Horizont der Erhaltung und Entfaltung einer ganzen Population bzw. Art steht. Vom einzelnen Lebewesen bedeutet dieses Telos die Weitergabe seines Lebens (biologisch gesprochen seines Genpotentials) an ein oder meh321 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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rere andere Lebewesen. Somit realisiert ein Lebewesen in der Erfüllung des zweiten Telos sozusagen rückwärts die Tatsache, dass es selbst als Ganzes produziert ist. Sein Dasein setzt die Erfüllung des zweiten Telos durch die Eltern voraus. Die Realisierung des zweiten Telos ist die Voraussetzung für die Geburt eines oder mehrerer Nachkommen. In der Geburt des einzelnen Lebewesens manifestiert sich wohl am klarsten die Produktivität der Natur. Das neue Lebewesen ist nie die Wiederholung eines der beiden elterlichen Wesen, sondern ist Produkt im Sinne des einmaligen Daseins. Fortpflanzung ist somit nicht nur Reproduktion in dem Sinne, dass die Identität einer Art dadurch bewahrt bleibt, sie ist auch Neuproduktion in dem Sinne, dass neues Dasein auftritt, indem sich die ganze Art langsam, bei Mutationen auch sprunghaft, verwandeln kann. Vermittels des zweiten Telos der einzelnen Lebewesen produziert sich eine Art selbst, es ist damit der Hintergrund ihrer Evolution. Evolution bedeutet nicht nur, dass eine Art sich reproduziert und über lange Zeiträume verändert, sondern Evolution einer Art kann auch dazu führen, dass aus ihr verschiedene neue Arten hervorgehen, die es bisher nicht gab. Vom Lebewesen aus erscheint es naheliegend, seine auf Fortpflanzung gerichteten Tätigkeiten als Teil seiner Selbstentfaltung zu betrachten. Seine Leistung ist zwar die Erhaltung und Erneuerung der Art, sein Bestreben ist indes, so scheint es, nur die Entfaltung seiner selbst. In der Tat sind erstes Telos, produktive Erhaltung und Entfaltung des eigenen Selbst, und zweites Telos, produktive Wiederholung und Erneuerung dieses Selbst in einem anderen Wesen, verbunden. In der Blüte, der Befruchtung und der Ausbildung von Früchten entfaltet sich das Dasein einer Pflanze (erstes Telos). In dieser Art von Selbstentfaltung gründet aber zugleich die Weitergabe des Lebens an eine neue Generation (zweites Telos). Die Verschränkung von Selbstentfaltung und Weitergabe des Lebens zeigt sich in anderer Weise bei Tieren, die sich geschlechtlich fortpflanzen. Der Antrieb, sich mit einem Partner anderen Geschlechts zu vereinigen, ist in bestimmten Momenten eine der stärksten Impulse der Selbstentfaltung eines Lebewesens. Das zweite Telos, die Selbstwiederholung und Selbsterneuerung, scheint somit aus bestimmten Aspekten des ersten Telos ableitbar zu sein. Allerdings lassen sich die Aktivitäten eines Lebewesens, die im Rahmen des zweiten Telos bedeutsam sind, klar von anderen Tätig322 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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keiten seiner Selbsterhaltung und Selbstentfaltung abtrennen. Denn offenkundig ist das Lebewesen im Rahmen des zweiten Telos in irgendeiner Weise auf andere Lebewesen seinesgleichen gerichtet. Diese Gerichtetheit kann auf der elementarsten Ebene des Lebens eine bloße Disposition sein. So haben die einzelligen Lebewesen zwar die Fähigkeit, sich zu teilen und damit ein Lebewesen ihresgleichen hervorzubringen, aber diese Gerichtetheit scheint ihnen mehr zu geschehen, als dass sie ihnen im Sinne eines Bestrebens zu eigen wäre. Wenn aber eine Art von Lebewesen in zwei Geschlechtern auftritt, tritt neben die Disposition, Nachkommen hervorzubringen, ein auf ein andersgeschlechtliches Lebewesen der gleichen Art gerichtetes Streben. 11 Bei Tieren und insbesondere bei höheren Tieren müssen die Partner verschiedenen Geschlechtes einander suchen und finden, sie vollziehen teilweise bestimmte Rituale, bevor sie sich vereinigen. Im zweiten Telos dienen zwei Lebewesen in der Regel unmittelbar dem Verlangen des anderen. Dieses Dienen erscheint sozusagen als Nebenwirkung einer triebhaften Anlage. Bei manchen Tieren gibt es zudem eine direkte Gerichtetheit auf ihre Nachkommenschaft. Das beginnt damit, dass das Weibchen geeignete Plätze für die Eier sucht (wie z. B. bei Insekten wie Gallwespen und Schlupfwespen) und kann in nicht wenigen Fällen bis zur Aufzucht der Nachkommen gehen. Damit ergibt sich für das Verständnis des Lebens der meisten, vor allem der höher entwickelten Tiere: Unter dem Aspekt des ersten Telos erscheint das Leben eines Lebewesens ausschließlich in seiner Beziehung auf dieses selbst, unter dem Aspekt des zweiten Telos muss dieses Leben in seiner Beziehung zu mindestens einem Partner, dem Geschlechtspartner, und vielfach in seiner Beziehung zu den Nachkommen betrachtet werden. Dabei kann allerdings eine Asymmetrie zwischen männlichen und weiblichen Wesen einer Art vorliegen. Die Nachkommenschaft der Vögel und Säugetiere verzehrt schon im Leibe der Mutter Ressourcen, die ihr aus dem Leib

11 Bei verschiedengeschlechtlichen Pflanzen sehen wir ein solches Bestreben indes nicht; hier nehmen wir nur eine Geeignetheit zweier Lebewesen für die Fortpflanzung wahr, die sich nicht auf ihr Verhalten auswirkt. So sind solche Pflanzen, etwa die Weiden, aufeinander bezogen in dem Sinne, dass sie in geeigneter Entfernung zueinander stehen müssen, dass der Wind oder Insekten die Pollen der einen Pflanzen zu den Blüten der anderen transportieren können. Aber diese Pflanzen beziehen sich nicht aktiv durch ein erkennbares Verhalten aufeinander.

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der Mutter zugeführt werden, während der Vater daran unbeteiligt ist. Die Mutter dient unmittelbarer und in weit höherem Maße als der Vater. Wenn dann die Nachkommen eigenständige Lebewesen sind, werden sie nicht selten von den Eltern, wenigstens aber der Mutter versorgt und nehmen damit teilweise die Lebenskräfte der Eltern in Gebrauch. Gelegentlich werden Nachkommen sogar gegen Feinde verteidigt, auch wenn die Eltern dabei ihr Leben einsetzen. In diesem Fall umfasst das Dienen sogar die Hingabe des eigenen Lebens. Das zweite Telos enthält damit immer die Gemeinschaft in ihrer elementarsten Form, nämlich die Geschlechtsgemeinschaft, vielfach aber auch eine erweiterte Form der Gemeinschaft, nämlich die Familie. Gelegentlich finden sich auch größere Gemeinschaften von Tieren: Rudel, Herden, Schwärme oder Staaten bei Insekten. Allgemein lässt sich sagen: Die Verhaltensweisen der meisten Tiere sind im Rahmen des zweiten Telos von den beteiligten Lebewesen aus gesehen zumindest auf ein anderes Wesen gerichtet, nicht selten aber auch auf mehrere. Diese anderen Wesen, die Geschlechtspartner und die Nachkommen, werden in der Regel anders behandelt als die Lebewesen, die im Rahmen des ersten Telos konsumiert werden. Im zweiten Telos sind somit Selbstentfaltung und Dienen verschränkt. Mag man aus der Sicht des ersten Telos das zweite Telos als eine besonders intensive Form der Selbstentfaltung betrachten, so wird aus der Perspektive der Art sichtbar, dass das Lebewesen nicht nur für sich, sondern auch für andere da ist. Dasein für andere im Rahmen des zweiten Telos umfasst mindestens die geschlechtliche Vereinigung, geht aber häufig auch auf die Nachkommenschaft. Auf dieses Dasein für andere richtet es einen nicht geringen Teil seiner Ressourcen und seiner Lebenszeit. Das zweite Telos hat eine besondere Stellung in Hinblick auf die Produktivität der Natur. Während im ersten Telos nur die bereits vorhandenen Lebewesen sich erhalten und entfalten, wird im zweiten Telos die Entstehung der Lebewesen in ihrer Vielfalt und Vielzahl betrachtet, also die eigentliche Produktivität der Natur. Untersucht man diesen Entstehungsprozess über lange Zeiträume, so erkennt man die Evolution des Lebendigen als einen schöpferischen Prozess, dessen Kreativität schier grenzenlos erscheint. Dieser Prozess hat etwas quasi Spielerisches insofern, als man ihm ex ante keine bestimmte Richtung zuschreiben kann; er weist somit Analogien zur Entwicklung der Kunst auf, die ex ante ebenfalls unvor324 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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hersehbar ist. Demgemäß ist die Evolution in verschiedenen natürlichen Lebensgemeinschaften, die über lange Zeiträume voneinander getrennt waren, sehr unterschiedlich verlaufen. Man vergleiche z. B. die Entwicklung in Neuseeland, in Australien und auf dem eurasischen Kontinent. 13.3.2.3 Erläuterungen zum dritten Telos Im dritten Telos geht es um alle Dienste, die Lebewesen für Lebewesen anderer Arten bereitstellen. Diese Dienste müssen in der Regel anders aufgefasst werden als die im Rahmen des zweiten Telos geleisteten: Im zweiten Telos dienen die Lebewesen sozusagen freiwillig, d. h. ihr Trieb, ihr Instinkt oder ihre Genstruktur oder wie immer man die ihr Verhalten bestimmende Instanz benennen mag, motiviert sie zu ihrem Dienst an den eigenen Artgenossen. Bezüglich der Dienste an Lebewesen anderer Arten scheint dies allenfalls selten der Fall zu sein, nämlich dann, wenn solche Dienste im Rahmen des dritten Telos gleichsam entgolten werden. So stellen Blütenpflanzen häufig Nektar für Insekten bereit, die dies entgelten, indem sie Pollen übertragen. Damit ermöglichen sie den Blütenpflanzen die Realisierung des zweiten Telos. Ganz allgemein sind alle Formen von Symbiose als Formen solchen wechselseitigen Dienens zwischen mehreren Arten aufzufassen. Bei der Symbiose sind erstes und drittes Telos der beteiligten Lebewesen ineinander verschränkt. Im Fall des Kommensalismus werden Dienste für Lebewesen anderer Arten bereitgestellt, ohne dass die Bereitstellung den Dienstgebern einen Schaden zufügt. So bietet ein Baum Vögeln die Möglichkeit, Nester zu bauen; höhere Lebewesen bieten durch ihre Exkremente vielen Kleinstlebewesen und Insekten die Grundlage des Lebens. Häufig aber bedeuten Dienste, die ein Lebewesen für Lebewesen anderer Arten leistet, eine Schädigung oder Verletzung des Dienstgebers. Dass die Pflanze dem Pflanzenfresser zur Nahrung dient, bedeutet, dass ihre Integrität verletzt wird. Manche Pflanzen setzen sich gegen eine solche Verletzung zur Wehr, indem sie etwa wie die Disteln, Rosen und Brombeeren Stacheln tragen oder, wie die Brennnessel Giftstoffe abgeben. Bei einer derartigen Schädigung kann man annehmen, dass die Erfüllung des dritten Telos bei den dienenden Lebewesen gewissermaßen widerwillig stattfindet. Dieser Widerwillen gegen das Dienen für andere Arten manifestiert sich insbesonde325 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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re bei Tieren, die von anderen Tieren als Beutetiere verwendet werden können: Die Maus versucht, vor der Katze zu fliehen, der Igel signalisiert mit seinem Zusammenrollen seinen Feinden, ihn nicht zur Beute zu nehmen, die Schnecke flieht vor ihren Verfolgern ins Schneckenhaus, die Biene droht mit ihrem Stich. In diesen Verhaltensweisen kommt etwas zum Ausdruck, was im Rahmen der ersten beiden Tele allenfalls am Rande sichtbar wird: Lebewesen dienen häufig unfreiwillig, d. h. gegen die Strebungen, die aus ihrem Instinkt, ihrer Genstruktur etc. hervorgehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie mit ihrem eigenen Leben der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung anderer Lebewesen dienen. Aus den Flucht- und Abwehrreaktionen der Lebewesen muss man schließen, dass sie das Dienen im Rahmen des dritten Telos, soweit es ihr Leben verletzt oder zerstört, als Leid empfinden. Leid ist hier verstanden als ein Zustand, den ein Lebewesen zu vermeiden sucht. Das offensichtlichste Leid in der Natur scheint darin zu bestehen, konsumiert zu werden, denn Konsumiert-Werden ist es, was viele Lebewesen am heftigsten zu vermeiden suchen. Auf der anderen Seite können sehr viele Lebewesen ihr erstes Telos und damit auch das zweite Telos nur realisieren, indem sie andere Lebewesen oder lebenswichtige Teile von ihnen verzehren. Die Struktur der Produktions- und Konsumvorgänge in der Natur ist also so verfasst, dass zu ihr das Leid vieler Lebewesen unabdingbar zu gehören scheint. Zugleich aber scheint hier eine Art Ungerechtigkeit zu herrschen. Nicht alle Lebewesen werden von anderen Lebewesen konsumiert, und die Dienste erscheinen in der Regel nicht wechselseitig: Viele Pflanzen werden von Pflanzenfressern konsumiert, die wiederum von Fleischfressern verzehrt werden, welche wiederum vor größeren Raubtieren auf der Hut sein müssen. Die größeren Fleischfresser aber werden möglicherweise keine Feinde haben. Die Redensart, dass der Kleine dem Großen unterliege, scheint also in der Natur bestätigt zu werden. Eine solche Sicht, so naheliegend sie vom einzelnen Lebewesen her sein mag, ist dennoch einseitig. Wenn man nämlich statt eines einzelnen Lebewesens oder einer einzelnen Art eine natürliche Lebensgemeinschaft betrachtet, so erscheint der gleiche Sachverhalt, der aus der Perspektive des einzelnen Lebewesens Leid und Ungerechtigkeit darstellte ganz anders: Innerhalb einer natürlichen Lebensgemeinschaft manifestiert sich die Produktivität der Natur in den verschiedenen Arten nur aufgrund einer komplexen Verkettung von Diensten. In ihr ist nicht nur das 326 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Gefressen-Werden der Kleinen, sondern auch das Fressen der Großen ein Dienst. Um dies zu erkennen, muss man allerdings die Ebene des einzelnen Lebewesens verlassen und das Augenmerk auf die natürliche Lebensgemeinschaft mit ihren verschiedenen Arten richten. Bevor wir aber auf diese neue Betrachtungsebene übergehen, ist es wichtig, sich die unauflösliche Spannung von zwei Perspektiven vor Augen zu halten. Aus der Perspektive der einzelnen Lebewesen gibt es in der Natur Leid und Hinzufügen von Leid, Gewalt und Erleiden von Gewalt, Harmonie und Disharmonie. Aus der Perspektive der natürlichen Lebensgemeinschaften und der sie konstituierenden Arten verschwindet das Leid. Es verschwindet aber nicht deshalb, weil es nicht existiert, sondern nur, weil es auf dieser Ebene nicht mehr wahrnehmbar ist. Leid bezieht sich immer auf Individuen: Individuen leiden und können auch, jedenfalls bei höheren Lebewesen, mitleiden. Hingegen lässt sich der Begriff des Leidens nicht sinnvoll auf Arten und natürliche Lebensgemeinschaften beziehen. Betrachtet man also die Selbstorganisation einer solchen Gemeinschaft durch die einzelnen Arten hindurch, sieht man kein Leid. Dabei darf man indes nicht übersehen, dass eine derartige Betrachtung das Leiden von Individuen voraussetzt. Allerdings muss man sich schon auf der individuellen Ebene vor zwei Kurzschlüssen hüten. Zum einen ist die offensichtliche Ungerechtigkeit, dass der Kleine vom Großen, der Große hingegen von niemandem gefressen wird, nur die halbe Wahrheit. Im Allgemeinen hat ein auf die Jagd von Tieren spezialisiertes Lebewesen weitaus größere Schwierigkeiten bei der Nahrungsbeschaffung als das Beutetier: Kaninchen finden ihre Nahrung ohne große Anstrengung, der Fuchs dagegen muss das Kaninchen erst einmal fangen. Ein anderes Missverständnis wäre es, Leben einzig als einen Kampf ums Dasein aufzufassen, bei denen die Schwächeren durch die Stärkeren zum Dienen bis zur Selbstentäußerung gezwungen werden. Der Kampf ums Dasein ist nur ein Teilaspekt der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung der Lebewesen. Die Biologie zeigt mit den Konzepten der Symbiose und des Kommensalismus, dass viele Dienste, die Lebewesen an Lebewesen anderer Arten weitergeben, nicht gegen den Willen der gebenden Lebewesen stattfinden. Dennoch bleibt Leiden und Gewalt ein unabdingbarer Bestandteil des Lebendigen. Dass die Realisierung des dritten Telos häufig mit Leiden verbunden sein kann, zeigt, dass das dritte Telos einen anderen Status als die beiden ersten Tele hat. Den ersten beiden Tele kann man Struk327 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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turen im Inneren des Lebewesen zuordnen: In der Sprache der modernen Biologie sind sie aus der genetischen Struktur herzuleiten. Das dritte Telos scheint dagegen nicht im Inneren des Lebewesens verwurzelt, in vielen Fällen wird es ihm sogar von außen aufgezwungen. Zudem kann die Realisierung des dritten Telos, z. B. wenn das Lebewesen konsumiert wird, die Realisierung der ersten beiden Tele unmöglich machen. Von daher kann man fragen, ob es zulässig ist, so wie es hier getan wird, die drei Tele nebeneinander zu stellen. Ist nicht das dritte in gewisser Weise das Gegenteil der zwei anderen? 12 So berechtigt eine solche Anfrage aus der Perspektive eines Einzellebewesens scheinen mag, sie trifft doch nur einen Teilaspekt von dessen Leben. Denn das Einzellebewesen ist für seine Erhaltung und Entfaltung auf die natürliche Lebensgemeinschaft angewiesen. Innerhalb dieser Ganzheit leisten aber auch die Arten, die das Leben dieses Einzellebewesens potentiell gefährden, Dienste, die ihm letztlich zugute kommen. So ist es für das einzelne Kaninchen durchaus mit Leiden verbunden, von einem Fuchs gefressen zu werden. Für die überlebenden Kaninchen und für viele andere Lebewesen ist es hingegen günstig, dass die Füchse eine maßlose Vermehrung der Kaninchen verhindern; denn eine solche Vermehrung könnte zu einer Verknappung der Pflanzennahrung für alle Pflanzenfresser und damit auch für die Kaninchen selbst führen.

13.4 Produktion, Konsum und Dienen aus der Perspektive der natürlichen Lebensgemeinschaft: Die Theorie der Fonds 13.4.1 Lebensgemeinschaft, Art und Individuum Die im vorigen Abschnitt dargestellten drei Tele des Lebens setzten beim einzelnen Lebewesen an. Dieses wurde in der Beziehung zu sich selbst, der Beziehung zur Art und der Beziehung zur Lebensgemeinschaft betrachtet. In diesem Abschnitt gehen wir von der natürlichen Lebensgemeinschaft aus und fragen, was das Dasein einzelner LebeAus der Perspektive von Kants »Kritik der Urteilskraft« könnte man argumentieren, dass das dritte Telos eben jene äußere Zweckmäßigkeit des Natürlichen in Anspruch nehme, die Kant aus seinem Konzept der Teleologie ausdrücklich ausschließen wollte. Indes wird im Folgenden das dritte Telos der Lebewesen in einer Weise verwendet, die es als Aspekt einer inneren Zweckmäßigkeit der natürlichen Lebensgemeinschaft erscheinen lässt.

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wesen und das Zusammenspiel verschiedener Arten für die Entwicklung einer solchen Gemeinschaft bedeuten. Produktions- und Konsumbeziehungen zwischen den einzelnen Lebewesen erscheinen nun als Momente der Evolution einer solchen Ganzheit. Eine natürliche Lebensgemeinschaft lässt sich in drei Hinsichten beschreiben: 1. In ihrer Einheit als Struktur von Interaktionen verschiedener Arten, 2. in ihren einzelnen Teilen, den verschiedenen Arten und 3. in ihren Elementen, den einzelnen Lebewesen. Der Perspektivwechsel vom Lebewesen zur Lebensgemeinschaft hat einige wesentliche Implikationen, auf die wir kurz eingehen wollen. 1. Leid, Konkurrenz und Kampf zwischen einzelnen Lebewesen werden als Veränderungsprozesse gesehen, die notwendig zur Entwicklung der Ganzheit gehören. Sie sind quasi Stoffwechselprozesse dieser Ganzheit, die langfristig auch zu einem Formwechsel im Sinne des Verschwindens und Auftretens von Arten führen können. 2. Eine Lebensgemeinschaft kann als ein Organismus gedeutet werden, der sich in seiner Evolution selbst erhält und entfaltet. Die Deutung einer Lebensgemeinschaft als Organismus setzt indes voraus, dass man von den individuellen Erfahrungen von Leid, Konkurrenz und Kampf absieht. Daher steht die Interpretation einer natürlichen Lebensgemeinschaft als Organismus, wie wir sie im Folgenden durchführen, immer unter einem Vorbehalt: Eine ökologische Ganzheit ist kein Organismus, aber sie kann für begrenzte Erkenntniszwecke nach Art eines Organismus beschrieben werden. 13.4.2 Der Begriff ›Fonds‹ – Definition und Erläuterung Wir betrachten eine natürliche Lebensgemeinschaft als eine Einheit, die sich in der Vielzahl und Vielfalt des Lebendigen darstellt, das in ihr vorkommt. Sie ist ein Geflecht von Produktionsprozessen, indem sie immer neues Leben in sich evolutionär verändernden Formen hervorbringt, zugleich aber ist sie ein Geflecht von Konsumprozessen, indem sie Nicht-Lebendiges aufnimmt und Lebendiges aufbraucht. Wir wollen im Folgenden eine Begrifflichkeit entwickeln, 329 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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mit der sich wesentliche Produktions- und Konsumbeziehungen einer natürlichen Lebensgemeinschaft darstellen lassen. Wir bezeichnen natürliche Lebensgemeinschaften als ›nicht sterblich‹. Damit meinen wir nicht, dass solche Ganzheiten nicht zugrunde gehen oder vernichtet werden können. Aber im Gegensatz zu einem einzelnen Lebewesen kann man das Zuendegehen einer solchen Gemeinschaft nicht prognostizieren, es gibt für sie in der Regel keine normale Lebensdauer. Mit der Eigenschaft der ›Nicht-Sterblichkeit‹ wollen wir also auf folgenden Unterschied zwischen Lebewesen und natürlichen Lebensgemeinschaften aufmerksam machen: Lebewesen müssen sterben, Lebensgemeinschaften müssen nicht untergehen (auch wenn sie untergehen können). Was für Lebensgemeinschaften gilt, gilt auch für Arten. Arten sind im gleichen Sinne nicht sterblich wie die aus ihnen gebildeten Lebensgemeinschaften. Als Referenzpunkt für langfristige Betrachtungen von Produktion und Konsum innerhalb natürlicher Lebensgemeinschaften oder sogar auf der ganzen Erde erscheinen uns daher die Arten und nicht etwa die einzelnen Individuen geeignet. Wir bestimmen nun terminologisch Voraussetzungen für die Darstellung der langfristigen Erhaltung und Entfaltung der Arten innerhalb einer natürlichen Lebensgemeinschaft derart, dass diese Arten gleichzeitig zur Erhaltung und Entfaltung der Lebensgemeinschaft selbst beitragen. Der entscheidende Begriff für unsere Terminologie ist der Fonds. 13 Wir verstehen unter Fonds eine Quelle von Diensten für eine oder mehrere Arten von Lebewesen als Dienstnehmer. Die Einführung des Begriffs Fonds steht unter der Frage, welche Quellen von Diensten sind für die Erhaltung von Arten und Lebensgemeinschaften erforderlich? Bestimmte Fonds sind notwendige Lebensgrundlagen für alle Arten. So liefert die Sonne Dienste in Form von Wärme und Licht, die von den verschiedenen Lebewesen in unterschiedlicher Weise aufgenommen werden, aber für alle Lebewesen unverzichtbar sind. Weitere unentbehrliche Fonds können unter dem Sammelbegriff Wasser angesprochen werden. Der Wasserkreislauf Das Wort Fonds stammt vom lateinischen Wort fundus. Fundus bedeutet Grund und Boden, kann aber auch das Hauptstück einer Sache meinen, so dass man das Hauptgericht eines Menüs als fundus bezeichnen kann. – Die im Folgenden entwickelte Theorie der Fonds verdankt wesentliche Anstöße dem Kapitel 9 von Georgescu-Roegen (1971). Eine Zusammenfassung wichtiger Gedanken dieses Kapitels bietet Wodopia (1986: 188–191).

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Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

der Erde umfasst Meere, Luftfeuchtigkeit, Wolken, Gletscher, Wasserläufe, Seen, Grundwasser, Ausdünstungen von Böden und Pflanzen etc. Weitere Fonds, die für viele Lebewesen von Bedeutung sind, können unter den Begriffen Boden und Luft zusammengefasst werden. 14 Derartige Fonds haben gemeinsam, dass ihre Zeitdauer (für biologische Maße) nicht terminiert ist. So wie wir die Arten als nichtsterblich bezeichneten, wollen wir derartige Fonds als nicht-vergänglich bezeichnen in dem Sinne, dass sie – aus menschlicher Perspektive – nicht vergehen müssen. 15 Die Bedeutung der bisher genannten Fonds ist allerdings für verschiedene Arten unterschiedlich. Für manche Lebewesen sind diese Fonds oder einige von ihnen hinreichende, für andere Lebewesen nur notwendige Bedingungen ihres Daseins. So können sich Pflanzen auf dem Lande ausschließlich vom Boden und der Luft einschließlich des Sonnenlichtes ernähren. Andere Lebewesen, insbesondere die meisten Tiere, benötigen zu ihrer Ernährung andere Lebewesen. Aus der Perspektive der Arten können wir sagen, Arten, die auf Lebendiges angewiesen sind, benötigen lebendige Fonds. Lebendige Fonds sind nicht nicht-vergänglich im Sinne der unlebendigen Fonds. Wohl aber müssen sie die Eigenschaft haben, in dem oben genannten Sinne nicht-sterblich zu sein. Denn insofern sie für die Erhaltung und Entfaltung einer Art notwendig sind, müssen sie die gleiche Eigenschaft der Dauer haben wie die Art selbst. Damit ergibt sich aber, dass die lebendigen Fonds selbst Arten sind. Genauer gesagt, lebendige Fonds sind Arten, insofern sie als Dienstgeber für andere Arten anzusehen sind. Dabei kann es sich bei den Diensten um bestimmte Teile von Lebewesen handeln (etwa die Blüten, Blätter und Früchte einer Pflanze). Die Dienste können aber auch einzelne Lebewesen selbst sein, wenn sie zur Ernährung anderer Lebewesen dienen.

14 Gestirne und Mond sind ebenfalls als Fonds zu betrachten. So werden z. B. die Gezeiten durch den Mond hervorgerufen, die wiederum für gewisse Arten im Wattenmeer notwendig sind. 15 Die Begriffe Nichtsterblichkeit und Nichtvergänglichkeit sollen nicht ausschließen, dass eine kosmische Katastrophe die ganze Erde zerstören könnte. Gemeint ist nur: Eine Notwendigkeit und ein Zeitpunkt für ein Sterben oder Vergehen ist in näherer und fernerer Zukunft ex ante nicht abzusehen.

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13.4.3 Lebendige Fonds Lebendige Fonds unterscheiden sich in einigen wesentlichen Aspekten von nicht-lebendigen Fonds. Im Gegensatz zu nicht-lebendigen Fonds wie der Sonne haben die lebendigen Fonds kein dauerhaftes Substrat. Ihre Dauer liegt in der ständigen Erneuerung ihrer Elemente. Damit setzen die lebendigen Fonds das erste und zweite Telos der Lebewesen, also die Tele, durch die eine Art sich selbst produziert, voraus. Mit dem ersten Telos ist ein ständiger Durchlauf von Materie und Energie verbunden, mit dem zweiten Telos die Selbstreproduktion und die Selbsterneuerung. Letzteres gilt im Sinne der Änderung des Genbestandes. Aus unserer Terminologie folgt, dass man (fast) alle Arten sowohl als Fonds als auch als Dienstnehmer von Fonds betrachten kann. Betrachtet man sie als Dienstnehmer, so bezieht man sich vor allem auf das erste und, wenngleich in geringerem Maße, auf das zweite Telos der ihnen zugehörigen Lebewesen. Betrachtet man sie hingegen als Fonds, rückt das dritte Telos der Lebewesen in das Zentrum der Aufmerksamkeit, während erstes und zweites Telos bloße Voraussetzungen dafür sind. Dabei sind allerdings die Dienste mancher Arten nicht so unmittelbar erkennbar wie die Dienste anderer Arten. So sind die Dienste der Art Antilope für die Art Löwe unmittelbar sichtbar, nicht aber umgekehrt die Dienste der Löwen für die Antilopen. Aber von einer ganzen natürlichen Lebensgemeinschaft aus gesehen, etwa einer Steppe, ist es nicht leicht zu sagen, welche Dienste wichtiger und welche weniger wichtig sind. Häufig hindern die jagenden Tiere die unkontrollierte Ausbreitung der bejagten Art, die sich für alle anderen Arten und für die natürlichen Lebensgemeinschaft als ganze äußerst schädlich auswirken könnte. Es ist gerade das Zusammenspiel aller Arten innerhalb einer Verflechtung von Diensten, das in einem ökologischen Ganzen zu einem Gleichgewicht führt. Entfernt man einige Dienste aus einer solchen Lebensgemeinschaft, kann in anderen Teilen ein unkontrollierbares Wachstum ausbrechen oder es gehen Arten zugrunde; beides kann auch gleichzeitig stattfinden. Die Dienste lebendiger Fonds reichen viel weiter, als es den Anschein haben mag. Die Blätter und die Rinde von Bäumen, der Schatten, den sie spenden, sind Dienste für eine Vielzahl von Lebewesen. Insbesondere sind Dienste von Fonds hervorzuheben, die alles, was aus menschlicher Sicht als Abfall erscheinen könnte, wieder in natür332 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

liche Kreisläufe zurückführen. Die Exkremente von Tieren ebenso wie das Aas sind Lebensgrundlage einer Vielzahl von Lebewesen, die ihrerseits anderen Lebewesen zur Nahrung dienen. Bei der natürlichen Entsorgung spielen insbesondere eine große Anzahl unterschiedlicher Bakterien und Pilze eine Rolle. Die Bezeichnung ›Entsorgung‹ trifft dabei nicht ganz den hier gemeinten Zusammenhang, da es sich eigentlich um ein Recycling im Sinne eines vollkommenen Stoffkreislaufes handelt. Eine wie große Rolle das »Recycling« in der Natur spielt, wird daraus klar, dass die zu einem Zeitraum produzierte Menge an Biomasse, d. h. die Masse, die in Körpern von Lebewesen eingeht, eine annähernd gleich große Menge an zu »entsorgender« Masse korrespondieren muss (Zwilling 1993). Die Blätter, die ein Baum hervorbringt, wirft er ab, die Lebewesen, die einer Pflanzen- oder Tierart zugehören, sterben und bleiben als Kadaver bzw. als Pflanzenreste in der Natur, soweit sie nicht von anderen Lebewesen konsumiert werden. Dabei kann der Eindruck entstehen, dass die Natur vor allem Überfluss produziere. Dieser Eindruck verdankt sich einer zu engen Perspektive; denn letztlich geht alles, was in der Natur einmal produziert worden ist, in einen Kreislauf ein, in den es als Dienst aufgenommen wird. Alle Fäulnis- und Zersetzungsprozesse sind häufig selbst Lebensprozesse von Lebewesen oder werden wie bei der Verrottung von Pflanzen in Lebensprozesse zurückgeführt. Diese Vorgänge sind ihrerseits Voraussetzung für das Leben höherer Lebewesen. Geht man nicht vom einzelnen Lebewesen aus, sondern von einer Lebensgemeinschaft, dann kann man Produktion, Konsum und Entsorgung eigentlich nicht trennen. Als echtes Kreislaufsystem lässt sich jeder Produktions-, Konsum- und Entsorgungsvorgang in der Natur als notwendiges Element des jeweiligen anderen auffassen: Produktion impliziert Konsum und Entsorgung, Konsum impliziert Entsorgung und Produktion, Entsorgung impliziert Konsum und Produktion. In einer natürlichen Lebensgemeinschaft ist die Unterscheidung dieser Begriffe eine rein analytische, Realität gewinnt die Trennung von Produktion, Konsum und Entsorgung erst in der menschlichen Wirtschaft. Eine andere – aus menschlicher Sicht sehr wichtige – Trennung kann aus der Perspektive einer natürlichen Lebensgemeinschaft nicht einmal analytisch vorgenommen werden: Die Trennung zwischen positiven und negativen Dienstleistungen bzw. zwischen Dienstleistungen und Schadleistungen. Eine solche Trennung besteht zwar für das ein333 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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zelne Lebewesen aus der Perspektive ihres ersten Telos, nicht aber für eine Ganzheit, die längerfristig alles, was in ihr geschieht, zum Moment der eigenen Evolution machen kann. Ein weiteres Kennzeichen der Fonds in der Natur, sowohl der lebendigen als auch der unlebendigen, ist die Kuppelproduktion. In der Regel bringen nämlich Fonds mehr als einen Dienst gleichzeitig hervor (vgl. Faber/Proops/Baumgärtner 1998; Baumgärtner/Faber/ Schiller 2006). Wir haben schon das Beispiel des Baumes gebracht, der in der Realisierung der ersten beiden Tele notwendig Blätter und Früchte, Rinde und Schatten als Dienste für andere Lebewesen mitproduziert. Ein überaus wichtiger Dienst, der bei allen grünen Pflanzen als Kuppelprodukt bei ihrer Atmung anfällt, ist der Sauerstoff, den andere höhere Lebewesen zur Atmung benötigen. Manche natürlichen Lebensgemeinschaften, wie z. B. die Regenwälder, produzieren im Zusammenspiel ihrer Fonds sogar ihr Klima selbst. Folglich wird das Klima in der entsprechenden Region stark verändert, wenn ein dort wachsender Regenwald zerstört wird. 13.4.4 Das Zusammenspiel der Fonds und ihre Beziehung zu den drei Tele Die soeben entwickelte Perspektive ermöglicht es, ökologische Zusammenhänge aus der Perspektive einer Ganzheit und der sie konstituierenden Teile, nämlich der Arten, zu beschreiben. Damit sind wir in der Lage, dem Zusammenspiel von Produktion, Konsum und anderen Diensten in der Natur eine begriffliche klare Struktur zu unterlegen. Die analytische Leitfrage lautet dabei: Welche Fonds und welche Verflechtung von Diensten ermöglichen die Gestalt der jeweiligen natürlichen Lebensgemeinschaft mit der Vielzahl der zu ihr gehörenden Lebewesen? Unter dieser Leitfrage ist es möglich, alle Arten nicht nur wechselseitig als Fonds zu betrachten, sondern sie als Fonds für die Lebensgemeinschaft anzusehen, der sie zugehören. Die drei Tele der Lebewesen erscheinen dabei unter einem neuen Gesichtspunkt: Von den Lebewesen aus sind sie drei selbständige Prinzipien ihres Daseins, von der natürlichen Lebensgemeinschaft her sind sie bloße Voraussetzungen ihrer Selbstorganisation auf der Basis ihrer Fonds. Mit der Begrifflichkeit der Fonds wird man eine Vielzahl von Diensten relativ präzise quantifizieren können, während bei anderen 334 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

nur eine grobe Abschätzung möglich ist, wieder andere werden nur qualitativ benannt werden können und schließlich bleibt eine unbekannte Anzahl von Fonds und Diensten verborgen. (Viele Arten von Lebewesen sind bis heute nicht bekannt, bzw. werden auch nie bekannt werden, da sie vorher ausgerottet worden sind). Eine Betrachtung der Entwicklung natürlicher Lebensgemeinschaften über lange Zeiträume hinweg zeigt, dass diese keineswegs invariant sind. Wenn man indes die ganze Erde als eine natürliche Lebensgemeinschaft betrachtet, sieht man, dass dieses System bisher so stabil gewesen ist, dass es selbst gewaltige Schocks in Form von Meteoriten überdauern konnte. Zwar haben solche Einschläge, die im Abstand von vielen Millionen Jahren erfolgt sind, zu einem gewaltigen Artensterben geführt, was bedeutet, dass das Zusammenspiel der Dienste für die überlebenden Arten fundamental geändert wurde, aber für die Produktivität der Natur scheinen diese Schocks Anlässe gewesen zu sein, neue und komplexere Formen des Lebens zu entwickeln. In der Natur hat es also bisher eine Fähigkeit gegeben, exogene Schocks zu einem Element ihrer Evolution zu machen. Die Perspektive der natürlichen Lebensgemeinschaft mit ihren Arten und Fonds und die Perspektive der einzelnen Lebewesen mit ihren drei Tele ergänzen einander, sind aber nicht voll aufeinander abbildbar. Von der natürlichen Lebensgemeinschaft sind alle drei Tele nur Voraussetzungen für die Verflechtung der Dienste ihrer Fonds. Vom einzelnen Lebewesen her sind hingegen nur sein eigenes erstes und zweites Telos sowie das dritte Telos der von ihm genutzten Lebewesen von Bedeutung. Sein eigenes drittes Telos und das dritte Telos der von ihm nicht genutzten Lebewesen wird negativ bewertet bzw. erscheint als irrelevant. Diese Unterschiedenheit impliziert, dass sowohl die Perspektive der Lebensgemeinschaft als auch die des einzelnen Lebewesens für das Verständnis ökologischer Zusammenhänge notwendig sind. Wer die Natur mehr unter dem Gesichtspunkt der Harmonie, des Gleichgewichtes und der Ausgewogenheit betrachtet, nimmt in der Regel die Perspektive der Lebensgemeinschaft ein, wer sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Grausamkeit, des Kampfes, des Leides und der Konkurrenz betrachtet, nimmt die Perspektive des einzelnen Lebewesens ein. Man kann jeweils eine der Perspektiven von der anderen trennen und versuchen, von ihr aus alleine her Natur zu verstehen. Geht man vom einzelnen Lebewesen aus, so erscheint Natur als von Kampf, Gewalt und Leid in Bewegung gehaltenes Aggregat des Lebendigen, das aufgrund von Anpassungs- und 335 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Selektionsprozessen bestimmte Muster annimmt. Das ist der Gesichtspunkt, der Darwins Untersuchungen entscheidend prägte. Geht man von der natürlichen Lebensgemeinschaft aus, so kann man die Natur unter dem Gesichtspunkt der Selbstorganisation dieses Ganzen auffassen, wobei die Teile dieses Ganzen, die Fonds, durch dieses Ganze erzeugt werden und wiederum das Ganze erzeugen. Dieser zweite Gesichtspunkt kann mit der Begrifflichkeit der Fonds und Dienste für ganz konkrete ökologische Untersuchungen fruchtbar gemacht werden und damit einer darwinistischen Sicht zumindest ergänzend zur Seite treten.

13.5 Natur, Mensch und Wirtschaft 13.5.1 Sammler- und Jägerkulturen sowie agrarische Kulturen Wir haben bisher die Produktion, den Konsum und die Entsorgung in der Natur betrachtet, ohne den Menschen in seinen spezifisch menschlichen Eigenschaften gegenüber der Natur zu berücksichtigen, als ein Wesen, das sich seines Verstandes bedient und die außermenschliche Natur mit Werkzeugen und Maschinen für seine Zwecke umformt. Als bloßes Lebewesen kann der Mensch dem Schematismus der oben aufgestellten drei Tele unterworfen werden und in die Struktur einer natürlichen Lebensgemeinschaft als eine Art, die andere Arten als Fonds nutzt und selbst als Fonds für andere Arten dient, eingezeichnet werden. Als rationales Lebewesen, das sich der Natur gegenüberstellt, sie wissenschaftlich zu durchdringen und technisch zu nutzen sucht, kann der Mensch weder konzeptionell in den bisherigen Kategorien aufgehen, noch kann er sich praktisch in der Weise der anderen Arten in die Ordnungen einer natürlichen Gemeinschaft einfügen. Somit lässt sich sagen: Was hinreichende Bedingungen für die Beschreibung der Natur ohne den Menschen waren, sind notwendige Bedingungen für die Erfassung von Mensch und Natur. Dabei ist es sogar möglich, dass einige notwendig scheinende Bedingungen zumindest temporär außer Kraft gesetzt werden können. Die Sonderstellung des Menschen tritt im Verlauf der Evolution der Menschheit erst allmählich hervor. Eine Jäger- und Sammlerkultur mag sich in eine ökologische Ganzheit noch sehr weitgehend einfügen. Aber bereits ein hohes technisches Niveau der Jagdwaffen 336 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

kann dazu führen, dass der Mensch eine Art, die er bisher als Fonds nutzte, dezimiert oder sogar ganz ausrottet. Verstärkt wird eine solche Tendenz möglicherweise, wenn die Population des Menschen innerhalb der natürlichen Lebensgemeinschaft stark zunimmt. Dies wiederum geschieht dann, wenn der Mensch aufgrund seiner Technik einen stärkeren Zugriff auf andere Arten hat oder andere Arten daran hindert, Menschen als Fonds zu nutzen. Indem die Menschen sich aber vermehren und zu ihrer Selbsterhaltung die lebendigen Fonds in ihrem Bereich verstärkt nutzen, geschieht es, dass sie einzelne Fonds zerstören. Anlässlich der Zerstörung von lebenswichtig erscheinenden Fonds offenbart der Mensch eine Fähigkeit, die ihm in weit höherem Maße als die meisten Tiere auszeichnet: In dem Maße, in welchem er Fonds zerstört, die er für seine Selbsterhaltung verwendet hat, kann er diese substituieren, um bestimmte Dienste bzw. ihr Äquivalent zu erhalten. In agrarischen Kulturen zeigt die Menschheit sich gegenüber der außermenschlichen Natur in einer neuen Weise: Der Mensch fügt sich nicht mehr in vorhandene natürliche Lebensgemeinschaften ein, sondern schafft sich seinen eigenen ökologischen Raum. Innerhalb dieses Raumes, auf den für Gebäude, Gärten, Ackerbau und Viehzucht genutzten Flächen, werden bestimmte Fonds, Nutzpflanzen und Nutztiere, vom Menschen gezüchtet, während andere Arten, die dem Menschen nicht nützen oder sogar schädlich erscheinen, nach Möglichkeit ferngehalten werden. Damit gewinnt der Mensch Kontrolle über die lebendigen Fonds, die für sein Überleben notwendig sind. Es entsteht eine eigene Welt, die den Menschen und den von ihn genutzten Fonds vorbehalten ist. Die lebendigen Fonds des Menschen haben sich im Laufe der agrarischen Kultur sehr verändert. Ihre für den Menschen nützlichen Eigenschaften wurden gefördert, andere Eigenschaften, die für den Menschen entbehrlich sind, haben sich im Laufe der Zeit abgeschwächt. In der agrarischen Welt richtet sich die Aufmerksamkeit des Menschen vor allem auf die von ihm gehegten und gepflegten lebendigen Fonds. Eine entsprechende Aufmerksamkeit außerhalb des von ihm kultivierten Bereiches ist hingegen nicht notwendigerweise gegeben. So kann z. B. ein starkes Bevölkerungswachstum dazu führen, dass frei lebende Tierarten ausgerottet werden oder dass Wälder zum Zwecke der Gewinnung von Brenn- und Bauholz unwiderruflich abgeholzt werden. 337 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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13.5.2 Die Verwendung von Fonds als Vorräte Eine Umgangsweise mit Fonds, die durch eine Überbeanspruchung ihrer Dienste gekennzeichnet ist und damit zur Zerstörung ihrer Quelle, der Fonds selbst, führt, hat in der außermenschlichen Natur kaum Parallelen. In unserer bisherigen Terminologie haben wir keine Sprache für ein derartiges Verhalten. Zur Beschreibung eines Umgangs mit Fonds, der in der Zerstörung dieser Fonds resultieren kann, führen wir einen neuen Terminus ein: den Terminus Vorrat. Das einfachste Paradigma eines Vorrates sind nicht lebendige Fonds, sondern Bestände von unlebendigen Materialien in der Natur. Solche Bestände können sich nicht erneuern. Wir bezeichnen derartige Bestände dann als Vorräte, wenn sie für einen Dienstnehmer nützlich erscheinen. Den Vorgang der Verminderung derartiger Vorräte bezeichnen wir, sofern er von einem Nutzer vorgenommen wird, als Entnahme. Solcher Vorräte bediente sich der Mensch von Anfang an in Form von Feuersteinen in der Steinzeit, Kupfer, Zinn, Silber und Gold in der Bronzezeit; in der Eisenzeit wurden vor allem die Eisenerzvorräte bedeutend. Daneben wurden schon seit früher Zeit Vorräte an Schwefel, Quecksilber, Erdöl und Kohle verwendet. Kennzeichnend für derartige Vorräte ist, dass sie aufgrund menschlicher Nutzung nur abnehmen und allenfalls in marginalen, vernachlässigbaren Mengen neu gebildet werden. Derartige Vorräte sind nicht nur nichterneuerbar, sondern auch erschöpfbar. Diese einfachen Vorräte sind prinzipiell von den Fonds verschieden. In einer sehr umfassenden Betrachtung kann man sie letztlich auf Dienste vergangener bzw. kaum noch tätiger Fonds zurückführen. Aber für die Gegenwart ist entscheidend, dass die Bereitstellung neuer Dienste in keinem Verhältnis ihrer Entnahme steht. 16 Von daher ist die Fondsaktivität bezüglich derartiger Vorräte vernachlässigbar. Anders steht es dann, wenn Lebendiges als Vorrat behandelt wird. Eine solche Behandlungsweise liegt z. B. vor, wenn etwa aus einem See längerfristig mehr Fische entnommen werden, als neu hinzukommen, wenn aus einem Wald mehr Holz geschlagen wird, als nachwachsen kann, wenn aus einer Büffelherde mehr Tiere geSo werden z. B. auf der ganzen Erde jährlich ca. 15000 Tonnen an Kohle neu gebildet, während alleine in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2004 der Verbrauch an Steinkohle 13,4 Mio. Tonnen war und an Braunkohle 11,4 Mio. Tonnen (Institut der Deutschen Wirtschaft 2005: 90; Tabelle 8.10).

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Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

schossen als neu geboren werden. Werden Fonds als Vorräte genutzt, so bedeutet dies, sie werden als eine Art Bestand behandelt, der nach Art der unlebendigen Vorräte vermindert wird und dessen Tätigkeit als lebendiger Fonds langfristig vernachlässigbar ist. Ob Pflanzen- oder Tierarten (bzw. ein Verbund von Arten, wie im Falle des Waldes) von den Menschen als Fonds oder ob sie als Vorrat verwendet werden, hängt ausschließlich vom Verhalten des Menschen und damit von den Entscheidungen, die dieses Verhalten leiten, ab. Zu entscheiden ist dabei, ob ein lebendiger Fonds maßvoll, d. h. unter Beachtung seiner eigenen Reproduktionsrate, oder maßlos, d. h. über die Reproduktionsrate hinausgehend, genutzt wird. Damit ergibt sich aber ein spezifisches Problem des Menschen gegenüber der Natur. Während anderen Lebewesen bestimmte Maße gegenüber ihren Fonds durch ihre natürlichen Fähigkeiten der Nutzung, durch ihre Reproduktionsraten und auch durch ihr eigenes drittes Telos gegenüber anderen Arten weitgehend vorgegeben sind, kann der Mensch in biologisch gesehen relativ kurzen Zeiträumen seine technischen Fähigkeiten zur Nutzung anderer Fonds gewaltig steigern, wobei zugleich die Anzahl der Menschen enorm zunehmen kann und das dritte Telos, das Dienen des Menschen gegenüber anderen Arten, stark zurückgedrängt werden kann. Nur daher ist es dem Menschen möglich, bestimmte Fonds maßlos zu behandeln, d. h. sie zu Vorräten zu degradieren und zu zerstören. Diese Möglichkeit setzt voraus, dass bei der Art Mensch sowohl das erste als auch das zweite Telos enorm gesteigert worden sind. Im Verein mit der Tatsache, dass das dritte Telos beim Menschen stark zurückgedrängt worden ist, insofern, von Ausnahmen abgesehen, keine Art sich den Menschen als Fonds so dienstbar zu machen versteht, wie es der Mensch mit sehr vielen anderen Arten vermag, erklären sich die Probleme des Menschen mit der Natur. Bei dem Menschen hat im Verlaufe seiner Evolution eine starke Verlagerung vom dritten zu den ersten beiden Tele, im Westen auch vom zweiten Telos zum ersten stattgefunden. Indem der Mensch seine drei Tele so realisiert, wie es ihm möglich ist, bedroht er potentiell die gesamte außermenschliche Natur. Inzwischen schlägt diese Bedrohung auf die Grundlagen des menschlichen Lebens selbst zurück.

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13.5.3 Die Freiheit und die drei Interessen der Menschen Vergleicht man den Menschen mit den übrigen Lebewesen, so fällt auf, dass menschliches Verhalten in viel geringerem Maße vorhersagbar ist, als das Verhalten der meisten Tiere und Pflanzen. So können wir das Verhalten eines Löwen in der Regel recht genau charakterisieren unabhängig von der Zeit, in der er lebt, und unter weitgehender Absehung von seinen individuellen Eigenschaften. Dagegen ist menschliches Verhalten sehr verschieden je nach Epoche, Kultur, Raum und nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen Charaktereigenschaften. In der philosophischen Tradition hat man diesen Unterschied zwischen Mensch und den anderen Lebewesen folgendermaßen beschrieben: Tiere und Pflanzen sind durch ihre Natur bestimmt, der Mensch wird zwar durch seine biologische Natur beeinflusst, ist aber frei in dem Sinne, dass er ihren Einflüssen folgen kann oder nicht. Unabhängig von den metaphysischen Fragen, die sich an eine solche Aussage anknüpfen mögen, drückt sie einen phänomenologischen Sachverhalt klar aus. Tiere und Pflanzen sind uns als Gattungswesen weitgehend bekannt, Menschen bleiben uns in gewisser Weise unbekannt. Menschliches Verhalten ist offen in einer Weise, die in der Natur keine Parallele hat. In der Terminologie dieses Kapitels können wir sagen: Jede Tier- und Pflanzenart hat innerhalb einer gewissen Bandbreite eine ziemlich genau bestimmbare Art und Weise, die drei Tele auszuleben. Dabei kann man, von Ausnahmen abgesehen, von den artspezifischen Eigenschaften ohne weiteres auf individuelles Verhalten schließen. Ein solcher Schluss ist beim Menschen prinzipiell jedoch nicht möglich. Weder lassen sich die artspezifischen Eigenschaften in der Weise angeben, wie dies bei anderen Lebewesen der Fall ist, noch könnte man, würde man sie kennen, irgendeine sichere Aussage über das konkrete Individuum machen. Es lassen sich allenfalls allgemeine Verhaltensmuster angeben, die allerdings nicht für die ganze Menschheit, sondern nur für eine bestimmte Kultur, eine bestimmte Epoche und einen bestimmten Lebensraum gelten, und bezüglich des Individuums kann man bestenfalls Erwartungen bilden, in wieweit es diesen Verhaltensmustern folgt oder nicht. Das bedeutet aber konkret, dass man nicht allgemein eine für den Menschen spezifische Weise angeben kann, wie die drei Tele realisiert werden. Vielmehr sind diese Realisierungen je nach der Kultur, der Epoche, dem Lebensraum und den individuellen Ausprägungen verschieden. 340 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

Wir drücken das Verhältnis des Menschen zu den drei Tele aus, indem wir sagen, der Mensch kann zu allen drei Tele bis zu einem gewissen Grade in einen Abstand treten und sich entscheiden, in welchem Maße er eines oder alle drei verwirklicht oder nicht. Im ersten Telos erkennen wir beim Menschen die extreme Möglichkeit, sich selbst das Leben zu nehmen und damit die Selbsterhaltung außer Kraft zu setzen. Ein anderes Extrem sind alle Arten von Askese, die den Stellenwert des ersten Telos stark vermindern. Ebenso kann sich der Mensch entscheiden, das zweite Telos nicht zu realisieren. Dass die Verwirklichung des dritten Telos vom Menschen weitgehend zurückgestellt werden kann, wurde bereits gesagt. So wie der Mensch aber fähig ist, jedes Telos nur in einem geringen Grade zu verwirklichen, kann er sich andererseits auch um eine gesteigerte Realisierung jedes einzelnen der drei Tele bemühen. In dieser Fähigkeit, ein Telos entweder zurückzustellen oder ihm maßvoll zu folgen oder aber sich ihm maßlos anheimzugeben, sehen wir die menschliche Freiheit. Im Rahmen unserer Fragestellung wollen wir die menschliche Freiheit ausschließlich dahingehend betrachten, wie sie im Verhältnis zu den drei Tele in Erscheinung tritt. Der Mensch ist in dieser Sicht ein Wesen, das von den drei Tele zwar mitbestimmt wird, aber nicht ausschließlich determiniert ist. Vielmehr hat der Mensch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, und die drei Tele sind nicht mehr als ein Rahmen, innerhalb dessen die Selbstbestimmung stattfindet. Dabei ist nicht auszuschließen, dass dieser Rahmen durch die Selbstbestimmung verändert, in der Regel nämlich erweitert wird. Diese Freiheit gegenüber den drei Tele fassen wir mit dem Ausdruck Interesse. Die drei Tele der Lebewesen, die auch beim Menschen vorhanden sind, werden überformt und verwirklicht durch drei Interessen, drei freie Ausrichtungen. (1) Dem ersten Telos korrespondiert das Interesse am eigenen Selbst, das Interesse an der eigenen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung; (2) Dem zweiten Telos korrespondiert das Interesse an der Gemeinschaft, das Interesse an der Familie, der Gruppe, dem Staat etc., was immer die Erhaltung dieser Gemeinschaft mit einschließt und damit die Weitergabe des biologischen Lebens; (3) Dem dritten Telos korrespondiert das Interesse am Ganzen der Welt, seiner Erhaltung und Entfaltung. Die drei hier angegebenen Interessen sind nur ganz allgemeine Begriffe für drei fundamentale Klassen von Ausrichtungen, wie sie dem Menschen möglich sind. Jede dieser Ausrichtungen schließt 341 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung mit ein. Dabei ist es allerdings möglich, dass verschiedene Horizonte von Verantwortung, wie sie durch jedes der drei Interessen skizziert werden, zu Konflikten oder sogar tragischen Entscheidungssituationen führen können. Ein solcher Konflikt liegt etwa vor, wenn man um einer Gemeinschaft willen das Leben aufs Spiel setzt oder sogar opfert. Innerhalb des zweiten Interesses können tragische Situationen auftreten: So kann die Verantwortung gegenüber der Familie und gegenüber dem Staat zu unvereinbaren Forderungen führen, wie das Beispiel der Antigone zeigt. Innerhalb jedes dieser Interessen sind vielfache Spezifizierungen möglich. Insbesondere das zweite Interesse kann sehr verschiedene Gemeinschaften umfassen: Dabei ist es auch möglich, dass verschiedene Gemeinschaften in Konflikt oder kriegerische Auseinandersetzungen geraten. Dass dieses Interesse sich auf die ganze Art, d. h. auf die ganze Menschheit richtet, ist erstmalig in den Weltreligionen und den stoischen Theorien vom Weltbürgertum gedacht worden, d. h. es ist menschheitsgeschichtlich ein relativ junges Phänomenen. Aus ökologischer Sicht am wichtigsten ist das dritte Interesse. Dieses Interesse ist in seinen Wurzeln sehr alt. Alle Philosophie und alle Weltreligionen fragen nach der Bestimmung und Aufgabe des Menschen im Ganzen der Welt und im Angesicht ihres Ursprungs. Das dritte Interesse ist als philosophisches oder religiöses Interesse zunächst jenseits der zwischenmenschlichen Zusammenhänge und jenseits des Verhältnisses von Mensch und Natur. In der Philosophie entspricht ihm die Theorie im Sinne des Aristoteles, die reine und absichtslose Schau des ganzen Kosmos (die ›theoria‹), in der Religion drückt sich dieses Interesse in allen Formen des religiösen Rituals aus, in denen der Mensch sich als ein Geschöpf unter anderen erfährt, das aus einer allen Lebewesen gemeinsamen Quelle entsprungen ist. Heute hat dieses dritte Interesse indessen eine neue, nämlich praktische Dimension gewonnen. Denn während die überlieferten Ausprägungen des dritten Interesses davon ausgingen, dass der Mensch sich nur in eine bereits vorgegebene göttliche Ordnung einzufügen habe, erscheint es uns heute aus ökologischer Sicht so, als sei die vorgegebene Ordnung des Ganzen zumindest ge- oder sogar zerstört, vielleicht sogar unwiederbringlich. Der Mensch ist damit, nicht nur wie in früheren Theorien, für seine eigene Stellung in der Welt, sondern für die Gestalt der Welt selbst verantwortlich. Seit Bewusstwerdung der Rohstoffknappheit und der Umwelt342 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Produktion, Konsum und Dienste in der Natur

krise hat das dritte Interesse damit eine praktische Bedeutung. Diese praktische Bedeutung erstreckt sich auf die Verwendung neuer rohstoffsparender und umweltschonender Technologien und Güter. Weiterhin bezieht sie sich auf Konsumgewohnheiten, d. h. auf eine Modifikation des ersten Telos im Horizont eines neuen Verständnisses des ersten Interesses. Schließlich geht die praktische Bedeutung des dritten Interesses auch in die Politik ein: Nationale und internationale Institutionen werden zur Zeit gegründet und weitere müssen in der Zukunft geschaffen werden, damit Rohstoff- und Umweltprobleme umfassend angegangen werden können. 17 Wer heute das dritte Interesse wahrnimmt, ist zum Handeln aufgerufen. Allerdings kann das dritte Interesse nie in der Weise praktisch werden wie das erste und zweite Interesse. Denn während begrenzte Gemeinschaften wie auch individuelle Dispositionen immer zu überschaubaren Zielen führen, reicht das Ganze der Welt über alle menschenmöglichen Ziele hinaus. Wer also versucht, zur Erhaltung und Entfaltung dieses Ganzen beizutragen, muss sich immer darüber im Klaren sein, dass unsere Handlungsmöglichkeiten im Angesicht des Ganzen sehr beschränkt sind. Selbst wenn wir von der Gegenwart an gerechnet alles in unserer Macht stehende tun würden, damit die Rohstoffe für die nachfolgenden Generationen ausreichen und die Umweltqualität sich nicht verschlechtert, können wir letztlich nicht wissen und nicht steuern, wie das Ganze der Welt, in der wir leben, sich weiter entwickeln wird.

17 So hat Jonas (1985) auf das Prinzip der Verantwortung aufmerksam gemacht. Binswanger (1985) hat es im Rahmen seiner Interpretation von Goethes »Faust« problematisiert (vgl. auch Binswanger/Faber/Manstetten 1990). Faber/Manstetten/Petersen (1997) haben zur Analyse dieser Fragen das Konzept des ökologischen Interesses eingeführt; vgl. auch Petersen 2005; Baumgärtner/Faber/Schiller 2006.

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14. Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie: Drei Perspektiven auf Mensch und Natur

14.1 Einleitung Wer Diskurse in der deutschen Öffentlichkeit aus der Zeit vor 1989 und der Zeit danach vergleicht, kann den Eindruck gewinnen, dass vor 1989 die Lösung von Rohstoff- und Umweltproblemen als eine – wenn nicht die – vordringliche Aufgabe der Politik erschien, während seit 1989 andere Probleme – Wiederaufbau des Ostens, Arbeitslosigkeit, Umbau des Sozialstaates, Steuerreform u. ä. – diese Aufgabe weitgehend überlagert haben. Dieser Wandel lässt sich nicht allein auf die Folgen der Wiedervereinigung Deutschlands zurückführen, denn auch in anderen westlichen Ländern scheinen Rohstoffund Umweltprobleme immer weniger als politische Herausforderung gesehen zu werden. Ist dieser Befund darauf zurückzuführen, dass diese Probleme weitgehend gelöst sind, oder rührt er daher, dass sich die Einschätzung ihrer Bedeutung seit dem Ende der achtziger Jahre gewandelt hat? Dass die seit dem Ausgang der sechziger Jahre diagnostizierten Rohstoff- und Umweltprobleme heute gelöst sind, wird man schwerlich behaupten können. Zwar wurden seit dem Ende der siebziger Jahre gewaltige Investitionen in Maßnahmen der Energieeinsparung und des Umweltschutzes getätigt, aber eine Diagnose der Sachlage im Rohstoff- und Umweltbereich wird heute trotzdem nicht grundsätzlich anders aussehen als vor zwanzig Jahren. Nach wie vor gilt, dass ein zunehmender Landschaftsverbrauch für Förderstätten, Kraftwerke, Produktionsanlagen, Lagerhallen, Wohn- und Gewerbegebiete, Freizeitflächen, Verkehrswege und Entsorgungsgelände stattfindet, dass die globale Selbstreinigungskapazität der natürlichen Umwelt mehr und mehr durch Abfälle, Abwässer, Abgase und Abwärme aus Produktion und Konsum in Anspruch genommen wird, dass es keine sichere Entsorgung für atomare Abfälle gibt, dass sich die Erdatmosphäre bedrohlich erwärmt, dass Tier- und Pflanzen344 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

arten im Zusammenhang mit Rohstoffentnahmen, Produktions- und Konsumprozessen und dem damit verbundenen Schadstoffeintrag in die Umwelt weltweit aussterben. Und nach wie vor trifft es zu, dass alle diese genannten Tendenzen und Tatsachen letztlich auf das wirtschaftliche Verhalten von Menschen zurückzuführen sind. Wenn sich aber objektiv an der Tendenz des Ressourcenabbaus sowie an dem Zustand der Umwelt nichts Entscheidendes geändert hat, so muss man wohl seit Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine gewandelte Einschätzung der Öffentlichkeit gegenüber diesen Sachverhalten konstatieren. Vielleicht werden sie nicht mehr als Probleme angesehen, die der Lösung bedürfen, sondern als Gegebenheiten, die man hinnehmen kann oder hinnehmen muss – sei es, weil man sie nicht ändern kann, sei es, weil andere Aufgaben inzwischen vordringlicher erscheinen. Angesichts der starken Schwankungen, die wir bei der Einschätzung von Entwicklungen im Rohstoff- und Umweltbereich im Laufe der Zeit beobachten, könnte man fragen, welche dieser Einschätzungen richtig sei. Für eine Antwort auf diese Frage müsste man allgemeingültige Bewertungskriterien angeben. Aus der Sicht vieler Ökonomen aber kann die Beantwortung der Frage, ob wir in einer Wirtschaft leben, aus der gravierende Rohstoff- und Umweltprobleme hervorgehen, nicht aus objektiven Tatsachen und allgemeingültigen Kriterien hergeleitet, sondern nur aus den Bewertungen dieser Tatsachen durch die Individuen erschlossen werden. Wenn auch Rohstoffvorräte erschöpft werden sollten, wenn das Klima der Zukunft ganz anders als heute werden sollte, wenn tatsächlich Tiere und Pflanzen aussterben sollten, so folgt daraus keineswegs notwendig, dass alle diese Tendenzen für irgendjemanden, der heute lebt, sich als Problem, als eine zu bewältigende Aufgabe, darstellen müssen. Aus der Sicht des methodologischen Individualismus wäre vielmehr zu sagen, dass eine Tatsache nur dann ein Problem darstellt, wenn sie von Menschen als ein solches angesehen wird. Wenn die Menschen, in deren Welt eine Tatsache auftritt, darin kein Problem sehen, dann ist diese Tatsache kein Problem. In dieser Sicht hängt es ausschließlich von der Beurteilung und Bewertung von Tatsachen durch Menschen ab, was ein Problem ist und was nicht. Unabhängig davon, ob man die Sicht des methodologischen Individualismus, wie sie oben in Teil 1 entwickelt wurde, teilt oder nicht, wird man einräumen müssen, dass Sachverhalte, die nur durch kollektives soziales Handeln geändert werden können, von einer gro345 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

ßen Anzahl der Mitglieder einer demokratisch verfassten Gesellschaft als Probleme erkannt sein müssen, damit Lösungen möglich erscheinen. Dies gilt auch für Rohstoff- und Umweltprobleme. Sind sehr viele Menschen der Ansicht, dass es sich dabei nicht oder um allenfalls zweitrangige Probleme handelt, so sind größere Änderungen im Umgang der Gesellschaft mit ihren Lebensgrundlagen nicht zu erwarten. Mit derartigen Überlegungen werden wir somit bei der Betrachtung von Rohstoff- und Umweltfragen von objektiven Tendenzen und Zuständen der Außenwelt zurückverwiesen auf die Menschen, die diese Tendenzen und Zustände beurteilen, bewerten und daraus praktische Konsequenzen ziehen, wie sie sich insbesondere in ihrem wirtschaftlichen Verhalten und ihrem politischen Handeln manifestieren. In den folgenden Ausführungen untersuchen wir die Frage: Unter welchen Annahmen über die Menschen erscheinen bestimmte Dimensionen der Entwicklungen auf dem Rohstoff- und Umweltbereich als Probleme, an deren Lösung diese Menschen sich zu beteiligen aufgerufen sehen? Wie muss man die Annahmen über die Menschen und damit das Menschenbild jeweils ändern, damit andere Dimensionen dieser Tatsachen als Probleme wahrgenommen werden? Im Zuge des Versuches, zur Klärung dieser Frage beizutragen, werden wir mit den drei Begriffen »Umweltökonomie«, »Nachhaltigkeitsökonomie 1 « und »Ökologische Ökonomie« operieren und jeweils fragen: Welches Menschenbild wird für eine dieser Ökonomien jeweils vorausgesetzt? Wir werden die drei genannten Begriffe im Folgenden etwas anders verwenden als in der gängigen Forschung, in der sie z. T. als Synonyme erscheinen. In unserer Betrachtung stehen diese drei Begriffe hingegen für drei unterschiedliche Sichtweisen auf Umwelt- und Rohstofffragen mit unterschiedlichen normativen Implikationen. • In der Umweltökonomie, wie sie im Folgenden verstanden wird, gelten als Rohstoff- und Umweltprobleme nur solche Entwicklungen, von denen gegenwärtig lebende Menschen sich betroffen fühlen;

Der Begriff »Nachhaltigkeitsökonomie« ist in der Forschung unüblich. Stattdessen spricht man meistens von »nachhaltiger Wirtschaft«. Fragen der Nachhaltigkeit werden sowohl von Vertretern der Umweltökonomie, als auch der Ökologischen Ökonomie untersucht.

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Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie



in der Nachhaltigkeitsökonomie gelten auch Entwicklungen, mit denen erst künftig lebende Menschen konfrontiert werden, als Rohstoff- und Umweltprobleme; • in der Ökologischen Ökonomie schließlich werden auch solche Zustände und Tendenzen im Rohstoff- und Umweltbereich als Probleme angesehen, die ausschließlich (so weit sich das überhaupt erkennen lässt) die außermenschliche Natur betreffen. Die eigentliche Schwierigkeit der folgenden Ausführungen besteht indes nicht in der Unterscheidung dieser drei Konzepte von Wirtschaft, sondern in der Beantwortung der Frage: Wie muss der Mensch jeweils gedacht werden, damit man ihm unterstellen kann, dass er entsprechend zu diesen drei normativ bestimmten Ökonomien Entwicklungen im Rohstoff- und Umweltbereich als Probleme ansieht, die ihm zu lösen aufgegeben sind? Welche gedanklichen Schwierigkeiten sind mit dem jeweils verwendeten Menschenbild verbunden? Demgemäß werden wir im Abschnitt 14.2 das Menschenbild in der Umweltökonomie, in Abschnitt 14.3 das Menschenbild in der Nachhaltigkeitsökonomie und in Abschnitt 14.4 das Menschenbild in der Ökologischen Ökonomie untersuchen. In Abschnitt 14.5 geben wir einen Ausblick. Mit diesem Vorgehen versuchen wir, den Begriff der Ökologischen Ökonomie differenzierter darzustellen, als dies etwa in den Ausführungen von Kapitel 12 dieses Buches geleistet wurde. Während dort, entsprechend dem Vorgehen der überwiegenden Mehrzahl der Forscher, die Untersuchung der Lebensgrundlagen des Menschen als eine zentrale Frage der Ökologischen Ökonomie angesehen wurde, argumentieren wir hier in einer etwas anderen Richtung: Die Frage nach den Lebensgrundlagen des Menschen und ihrer langfristigen Erhaltung wird hier der sogenannten Nachhaltigkeitsökonomie zugerechnet, während die Ökologische Ökonomie das Miteinander von Mensch und nicht-menschlicher Natur zum Gegenstand hat. Diese Differenzierung zielt darauf ab, die Frage der langfristigen Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschen schärfer von der Problematik des Umgangs der Menschen mit ihrer nicht-menschlichen Mitwelt abzuheben (vgl. hierzu o. Kapitel 13, insbesondere Abschnitt 13.5 sowie Faber/Manstetten 2003: Kapitel 11 und 12). Das soll indes nicht daran hindern, dass in öffentlichen Diskussionen weiterhin der Begriff der Ökologischen Ökonomie sowohl für Fragen der Nachhaltigkeit als auch für Fragen des Verhältnisses Mensch/Natur gebraucht werden kann. Somit kann man zwischen einer Ökologischen 347 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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Ökonomie im weiteren Sinne und einer Ökologischen Ökonomie im engeren Sinne unterscheiden: Letztere beschäftigt sich mit dem Umgang von Mensch und Natur unter dem Gesichtspunkt des Miteinanders von menschlichem und nicht-menschlichem Leben, erstere enthält neben diesem Gesichtspunkt die Frage nach der langfristigen Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen.

14.2 Das Menschenbild der Umweltökonomie 14.2.1 Öffentliche Güter und externe Effekte Der Referenzpunkt vieler ökonomischer Untersuchungen ist eine ideale Marktwirtschaft, in der alle Wirtschaftssubjekte sich als Homines oeconomici verhalten: die Haushalte maximieren ihren Nutzen und die Unternehmen ihre Gewinne. Dabei gilt in der Regel die Annahme der Nicht-Sättigung. Eine solche Marktwirtschaft führt unter bestimmten Voraussetzungen ungeplant und ungesteuert zu einem Marktgleichgewicht, das pareto-effizient ist: Es besteht keine Möglichkeit, den Nutzen eines Individuums zu steigern, ohne den Nutzen mindestens eines anderen Individuums zu mindern (vgl. z. B. Debreu 1959; s. o. Kapitel 1, Abschnitt 1.7). In der Realität zeigt sich indes dass eine sich selbst überlassene Marktwirtschaft nicht zu einem pareto-effizienten Zustand führt. Ist dies der Fall, so spricht die Wirtschaftstheorie von einem »Marktversagen«. Marktversagen kann beispielsweise eintreten, wenn es (i) um die Bereitstellung öffentlicher Güter geht oder (ii) externe Effekte vorliegen. Auch Rohstoff- und Umweltprobleme werden in der Umweltökonomie im Rahmen der Theorie der öffentlichen Güter und der externen Effekte analysiert. Zu (i): Man kann zum einen Umweltgüter wie Luft, Wasser und Boden als öffentliche Güter betrachten. Eine für Umweltfragen relevante Charakterisierung öffentlicher Güter wird über das »NichtAusschluss-Prinzip« 2 vorgenommen. Öffentliche Güter in diesem Eine andere geläufige Definition eines öffentlichen Gutes bezieht sich auf die sogenannte »Nichtrivalität im Konsum«: Bei »der Anschaffung einer bestimmten Menge des öffentlichen Gutes durch ein Wirtschaftssubjekt (können, d. V.) alle anderen dieselbe Menge mit konsumieren, ohne dass der Konsum des ersten dadurch geschmälert wird« (Bernholz/Breyer 1984: 95). Das Kriterium der Nichtrivalität ist indes nur in seltenen Fällen gänzlich erfüllt.

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Sinn haben die Eigenschaft, dass von ihrer Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann. Dieses Prinzip ist für Umweltgüter von großer Bedeutung. Luft, Landschaft, Wasser, Klima etc. sind Güter, an deren Konsum in der Regel niemand gehindert werden kann, insofern es kaum oder gar nicht möglich ist, Eigentumsrechte festzulegen. Somit kann jeder sie (mehr oder weniger kostenlos) nach Gutdünken nutzen. Damit liegt es jedoch nahe, dass es zu einer Übernutzung kommen kann. Zu (ii): In einer anderen Beschreibung lassen sich Umweltschädigungen als externe Effekte darstellen. Dabei geht man von folgender Betrachtung aus: Individuen und Firmen können durch Produktion und Konsum bei anderen Individuen und Firmen Wirkungen verursachen, die nicht mit Preisen bewertet werden. Die Verursacher berücksichtigen diese Wirkungen bei ihren Entscheidungen nicht, da sie in ihrer Kalkulation nicht zu Buche schlagen. Derartige Wirkungen werden als externe Effekte bezeichnet. Auf dem Gebiet der Rohstoff- und Umweltnutzung sind externe Effekte in der Regel negativ. Denn mit der Extraktion von Rohstoffen, der Produktion, dem Konsum oder der Entsorgung bestimmter Güter können umweltbelastende Wirkungen verbunden sein, die sich als Schädigungen an Gesundheit oder Lebensqualität anderer Individuen äußern (vgl. o. Kapitel 10). Diese Schädigungen lassen sich ökonomisch als Kosten für die von ihnen Betroffenen, für Individuen, Firmen oder sogar Regionen oder Länder auffassen. Da diese Kosten nicht auf dem Markt abgegolten werden, bedeutet dies: Die Verursacher derartiger Kosten kompensieren die Geschädigten nicht. 14.2.2 Ökonomische Instrumente zur Lösung von Rohstoff- und Umweltproblemen Wirtschaftswissenschaftler haben Instrumente entwickelt, mit denen es möglich wird, negative externe Effekte der Rohstoff- und Umweltnutzung zu internalisieren. 3 Derartige Instrumente werden normalerweise nicht durch die spontane Ordnung des Marktes generiert.

Im Rahmen dieser Darstellung beschränken wir uns auf ökonomische Instrumente und gehen auf ordnungsrechtliche Instrumente nicht ein (vgl. zu diesem Thema Faber/ Manstetten 1989; Faber/Stephan/Michaelis 1989: Kapitel 7 und 12).

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Vielmehr werden sie von Wirtschaftswissenschaftlern konzipiert und bedürfen der Macht des Staates, um zum Einsatz zu gelangen. 4 Gegenüber ordnungsrechtlichen Instrumenten wie Geboten und Verboten haben ökonomische Instrumente den Vorteil, dass sie das Eigeninteresse der Verursacher von Umweltschäden fruchtbar zu machen suchen. Die Homo-oeconomicus-Annahme der Ökonomen legt es nahe, Verhaltensänderungen seitens der Wirtschaftssubjekte nicht von moralischen Appellen, sondern von ökonomischen Anreizen, etwa von Preissignalen, zu erwarten. Derartige Anreize sprechen die Verursacher von Umweltproblemen nicht als moralische Subjekte an, sondern treffen sie als Homines oeconomici, die die erhöhten Kosten für die Umweltnutzung, wenn möglich, vermeiden wollen und daher aus ihrem eigenen Interesse heraus nach Wegen suchen, die Umweltbelastung zu reduzieren. Ein Beispiel für ökonomische Anreize im Umweltbereich ist die Erhebung einer Abgabe auf in Flüsse oder Seen eingeleitete Abwässer (vgl. z. B. Faber/Niemes/Stephan 1983b). Die Gesellschaft versucht damit, die Kosten in Form einer Einbuße an Lebensqualität, die ihr durch den Verlust sauberer Gewässer und durch die Erstellung von Filtern für die Entnahme von Trink- oder Brauchwasser aus den verschmutzten Gewässern entstehen, den Verursachern aufzubürden. Diese können die Handlungen, die zu den negativen externen Effekten führen, unterlassen, indem sie z. B. durch den Einsatz neuer Technologien oder die Substitution von umweltschädigenden Produktionsfaktoren die Abwässer und damit die Abgabenlast vermeiden bzw. verringern. Vermeiden bzw. verringern können sie die externen Effekte und die damit verbundenen Kosten auch, indem sie die Abwässer durch eine nachgeschaltete Entsorgungsanlage klären oder die Produktion drosseln. Ist das nicht möglich, müssen sie die Abgabe entrichten. Es gibt wohl kaum einen wissenschaftlichen Ansatz, der in einer derart einfachen und zugleich zwingend überzeugenden Weise das Verursacherprinzip zur Geltung bringt, wie dies etwa in den von Ökonomen konzipierten Abgaben- und Zertifikatslösungen ge»Da Privateigentum an einzelnen Einheiten der Umweltmedien nicht möglich ist, scheidet der Markt als Allokationsmechanismus bei diesen Gütern von vornherein aus. Er kann hier nicht funktionieren. Auf Märkten erfolgt die Übertragung von Nutzungsrechten gegen einen Preis. Das ist bei Umweltmedien ausgeschlossen. Konventionelle Märkte kann es für sie nicht geben. Wie die Umwelt genutzt werden soll, muss durch staatliche Politik geregelt werden« (Cansier 1993: 21).

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Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

schieht. Gleichzeitig stellen diese Lösungen eine Alternative zu den planwirtschaftlichen- und ordnungsrechtlichen Ansätzen dar, indem sie Anreize für die Kreativität individueller wirtschaftlicher Akteure bieten, ihr Eigeninteresse im Sinne des Umweltschutzes zu verfolgen. So lässt sich zeigen, dass z. B. die Abwasserabgabe in einem für alle Beteiligten ungeahnten Ausmaße Innovationen und Anpassungsmaßnahmen (Brown/Johnson 1984, Faber/Stephan 1987) in Gang gesetzt hat. 14.2.3 Umweltökonomie, Wohlfahrtstheorie und Public Choice Die Umweltökonomie in der hier dargestellten Weise ist wohlfahrtstheoretisch ausgerichtet. In den meisten Fällen bedeutet dies: Man nimmt an, dass die Internalisierung externer Effekte nicht unmittelbar durch die Interaktion der beteiligten Wirtschaftssubjekte erfolgt, sondern dass eine unparteiische, mit Machtmitteln ausgestattete Instanz von außen eingreift und den ihr eigenes Interesse verfolgenden rationalen Nutzenmaximierern Anreize für ein umweltfreundlicheres Verhalten gibt. Diese Instanz ist der Staat. 5 Der idealisierte Staat, so wie die Wohlfahrtstheorie ihn in der Regel annimmt, kennt die Gesetze des wirtschaftlichen Handelns, und setzt ohne eigenes Interesse die ökonomischen Instrumente im Sinne einer Sozialtechnologie ein, um ein besseres gesamtwirtschaftliches Resultat dieses Handelns zu erreichen als dasjenige, was sich von selbst auf dem Markt einstellt. Eine Stärke des wohlfahrtstheoretischen Vorgehens liegt darin, dass dem Staat klare Handlungsempfehlungen gegeben werden können, die auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhen und deren Befolgung häufig ökonomische Effizienz sicherstellt. Solche Handlungsempfehlungen können sich nicht nur auf öffentliche Güter und externe Effekte beziehen, die die gegenwärtig lebenden Menschen betreffen, sondern sie können als Referenzpunkt auch das Wohl zukünftiger Generationen oder den Schutz außermenschlicher Natur haben. Von daher ist die wohlfahrtstheoretisch ausgerichtete Umweltökonomie prinzipiell kompatibel mit der von uns so genannIn der modernen Umweltökonomie verwendet man an Stelle des Begriffes Staat häufig den Ausdruck Regulator. Damit werden nicht nur nationalstaatliche Behörden, sondern auch supranationale Instanzen berücksichtigt.

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ten Nachhaltigkeitsökonomie und der Ökologischen Ökonomie (s. u. Abschnitt 14.3 und Abschnitt 14.4). Allerdings hat die Wohlfahrtstheorie insgesamt und damit auch die wohlfahrtstheoretische Umweltökonomie kein einheitliches Menschenbild. Der Homo oeconomicus wird nur als Empfänger von marktwirtschaftlichen Anreizen vorgestellt, er erscheint ihnen gegenüber rein reaktiv, nicht aber als ihr Urheber im wissenschaftlichen und politischen Prozess. Somit liegt eine Grenze des wohlfahrtstheoretischen Vorgehens darin, dass das menschliche Verhalten in der Sphäre des Politischen nicht mehr thematisiert werden kann. Damit bleibt der Staat in seiner Legitimität, seiner Machtausübung und insbesondere in der Eigendynamik seiner Akteure und Institutionen außerhalb der Analyse. Man unterstellt in wohlfahrtstheoretischen Argumentationen in der Regel vielmehr, dass der Staat von Wissenschaftlern, die ausschließlich an der Wahrheit interessiert sind, zutreffende Informationen über Wirtschaft und Umwelt erhält. Auf der Basis dieser Informationen agieren die Organe des Staates im Sinne eines wohlwollenden Diktators, der keine eigenen Interessen verfolgt und unparteiisch nichts anderes als die maximale Wohlfahrt der Wirtschaftssubjekte erzielen will (vgl. Kapitel 1, Abschnitt 1.9). In einer rechtsstaatlichen Demokratie hat der Staat allerdings nicht das Recht, weitreichende umweltpolitische Maßnahmen gegen den Willen der Mehrheit zu beschließen. Erfahrungsgemäß hat der Staat darüber hinaus nicht die Macht, solche Maßnahmen gegen genügend starke Minderheiten durchzusetzen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass bei staatlichem Handeln auch auf dem Umweltsektor unter dem Vorwand des Gemeinwohls häufig eigensüchtige Ziele von Politikern, Parteien oder Bürokratien verfolgt werden. Diese Gründe haben dazu geführt, dass alternativ bzw. ergänzend zum wohlfahrtstheoretischen Ansatz, der von der Umweltökonomie im großen und ganzen bis heute verfolgt wird, andere Vorgehensweisen entwickelt wurden, die das Paradigma des Homo oeconomicus über die Wirtschaft hinaus auf alle Sphären sozialen Handelns ausdehnen. In diesem Zusammenhang ist neben der Vorgehensweise von Coase 6 vor allem die Public-Choice-Theorie (s. o. Kapitel 4) zu nenCoase (1960) zeigte, dass in einer Welt ohne Transaktionskosten (d. h. Informations-, Entscheidungs- und Risikokosten, die mit Markttransaktionen verbunden sind) externe Effekte aufgrund von freiwilligen Verhandlungen derart internalisiert werden, dass es ohne staatliches Eingreifen zu einer pareto-effizienten Allokation kommt. Diese zen-

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nen. Die Public Choice geht davon aus, dass der Staat ein Aggregat von Individuen mit jeweils eigenen Interessen ist. Alle Mitglieder einer staatlichen Gemeinschaft, auch Wissenschaftler, Politiker und Bürokraten müssen demgemäß als Homines oeconomici aufgefasst werden, die eigensüchtige Ziele verfolgen (vgl. Bernholz/Breyer 1984: Kapitel 9–12). Aufgrund dessen kommt es durch staatliches Eingreifen häufig nicht, wie der wohlfahrtstheoretische Ansatz der Umweltökonomie unterstellt, zu einer pareto-effizienten Lösung von Umweltproblemen. Die positive Richtung der Public Choice macht auf mögliche Interessenkonstellationen und -konflikte aufmerksam, die den Umgang mit Umweltproblemen im politischen Raum beeinflussen. Die normative Richtung der Public Choice hält staatliches Handeln nur dann für legitim, wenn es als aggregiertes Handeln von Homines oeconomici aufgefasst und letztlich auf die Durchsetzung individueller Interessen zurückgeführt werden kann. Es sind nur die einstimmig verabschiedeten Resultate von Verhandlungen der Individuen untereinander, die staatlichem Handeln ein legitimes Fundament verleihen. Denn zumindest auf der Verfassungsebene müssen alle Individuen den Verfahren zustimmen, aufgrund derer politische Entscheidungen stattfinden. Auch umweltpolitische Maßnahmen müssen im Sinne der Public Choice, zumindest soweit es ihre Grundlegung in der Verfassung angeht, die Interessen aller Individuen einer Gesellschaft ausdrücken. Ist dies nicht der Fall, werden sie also gegen die Interessen der Individuen durchgesetzt, sind sie selbst dann abzulehnen, wenn sie aus wohlfahrtstheoretischer Sicht die Wohlfahrt der Gesellschaft steigern. Für die Sicht auf Rohstoff- und Umweltprobleme bedeutet dies: Im Gegensatz zur Wohlfahrtstheorie verzichtet die Public Choice auf die Unterstellung von (fiktiven) unparteiischen Instanzen, die diese Probleme objektiv wahrnehmen und die richtige Lösung dafür realitrale Hypothese ist unter dem Namen des Coase-Theorems in der ökonomischen Diskussion verbreitet (vgl. etwa Siebert 1995: 99 ff.; Stephan/Ahlheim 1996). Daraus lässt sich nun folgern: Nur aufgrund von in der Realität tatsächlich auftretenden Transaktionskosten kommt es zu relevanten pareto-ineffizienten Fehlallokationen. Durch geeignete Institutionen lassen sich Transaktionskosten verringern oder in seltenen Fällen vermeiden. Diese Institutionen können durch die unmittelbare Interaktion der beteiligten Individuen gebildet werden, ohne dass sie einen Staat voraussetzen müssen. In diesem Zusammenhang hat auch der Property-Rights-Ansatz (Dales 1968, vgl. Siebert 1995: 97 ff.) seine Stelle in der Umweltökonomie.

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sieren. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Rohstoff- und Umweltprobleme nur dort auftreten, wo Individuen sich von bestimmten Entwicklungen bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen negativ betroffen fühlen und überdies auch in der Lage sind, diese Betroffenheit den Urhebern zu vermitteln. Somit gelten Zustände und Tendenzen in der Realität nur dann als Rohstoff- und Umweltprobleme, wenn sich Individuen identifizieren lassen, deren Interessen davon negativ tangiert sind. Ist einmal anerkannt, dass Rohstoffund Umweltprobleme in diesem Sinne vorliegen, so können diese prinzipiell entweder durch direkte Verhandlungen zwischen den beteiligten Individuen oder aber durch Institutionen, die letztlich das Resultat aus Verhandlungen zwischen den Individuen sind, gelöst werden. Besonders relevant sind solche Ansätze für das Problem des länderübergreifenden Umweltschutzes, wo eine übergeordnete Instanz wie der Staat nicht existiert. Mit ihrer Universalisierung der Homo-oeconomicus-Annahme stellt sich die Public Choice in die Tradition des methodologischen Individualismus. Diese fordert, alle sozialen und politischen Prozesse aus dem Verhalten der beteiligten Individuen zu erklären. Statt objektive, allgemeingültige Bewertungen, unparteiische Instanzen und ausschließlich am Gemeinwohl orientierte Politiker vorauszusetzen, geht man davon aus, dass alle Bewertungen, alle Institutionen und alle Handlungen im Bereich des Politischen auf einen Vorteilskalkül der Individuen zurückzuführen sind. Von der Public Choice ausgehend lässt sich auch eine Umweltökonomie im Sinne des methodologischen Individualismus konzipieren. Wir wollen eine derartig konzipierte Umweltökonomie als »individualistische Umweltökonomie« bezeichnen. Wenn wir im Folgenden den Ausdruck »Umweltökonomie« (in Abgrenzung zu den Ausdrücken »Nachhaltigkeitsökonomie« und »Ökologische Ökonomie«) verwenden, meinen wir nicht die wohlfahrtstheoretische Umweltökonomie (die sich aufgrund ihres uneinheitlichen Menschenbildes nicht klar gegenüber den beiden anderen Ökonomien abgrenzen lässt), sondern stets die individualistische Umweltökonomie, die auf einem einzigen konsequent festgehaltenen Menschenbild beruht, nämlich dem des Homo oeconomicus. Allerdings haben Ökonomen der Public-Choice-Richtung deutlich gemacht, dass die Frage nach der Legitimation und der Realisierbarkeit umweltpolitischer Maßnahmen im Rahmen ihres Ansatzes zu großen konzeptionellen Schwierigkeiten führt. Insbesondere 354 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

muss man sich fragen: Unter welchen Umständen ist die Entstehung eines öffentlichen Interesses an der Durchsetzung von umweltpolitischen Maßnahmen denkbar, die einer mehr oder weniger großen Anzahl von Individuen als vorteilhaft erscheinen? Welche Individuen, Gruppen oder Institutionen lassen sich als die Träger eines solchen Interesses vorstellen? Mit welcher Macht muss man sich dieses Interesse im gesellschaftlichen Kräftespiel ausgestattet denken, damit es tatsächlich durchsetzbar erscheint? Wohlfahrtstheoretisch lassen sich diese Fragen nicht einmal formulieren, geschweige denn beantworten. Aber auch die von der Public Choice hierzu vorgelegten Ansätze führen in theoretische Schwierigkeiten. Denn diese Ansätze müssen davon ausgehen, dass es die Individuen sind, die letztlich auf freiwilliger Basis alle Umweltprobleme lösen, sei es durch Verhandlungen, sei es durch Abstimmungen oder sei es durch die Einrichtung von privaten und staatlichen Institutionen. Diese Individuen werden nun, gemäß den Grundannahmen der gängigen Wirtschaftstheorie, als Homines oeconomici gesehen, d. h. als egoistische rationale Nutzenmaximierer. Das bedeutet: Wer – mit guten Gründen – die Annahme eines unparteiischen und wohlwollenden Staates als Träger bestmöglicher Umweltpolitik verwirft, muss im Rahmen der Public Choice annehmen, dass die Individuen sich aus einem individuellen egoistischen Nutzenkalkül entschließen, durch direkte Verhandlungen oder (in einer Demokratie) indirekt, durch von ihrem Einverständnis getragene staatliche Institutionen, einen umweltpolitischen und umweltökonomischen Rahmen für wirtschaftliches Handeln zu erstellen, der den Zustand der Umwelt entscheidend verbessert (s. o. Kapitel 4). Denkbar ist dies nur, wenn wir eine Wirtschaft unterstellen, für die gilt, dass die Verursachung und die Wahrnehmung von Rohstoffund Umweltproblemen innerhalb relativ kurzer Zeitspannen auftreten. ›Kurz‹ bedeutet in diesem Zusammenhang: Die betrachteten Zeiträume überschreiten nicht wesentlich die Lebenszeit der Individuen. Das hängt damit zusammen, dass die von der Umweltökonomie im Rahmen der Public Choice thematisierbaren Umweltschäden den Nutzenkalkül von betroffenen Individuen tangieren müssen. Diese können sich nämlich zur Wehr setzen, während diese Umweltschäden entstehen oder kurz nachdem sie entstanden sind. Unter dieser Voraussetzung lässt es sich zumindest vorstellen, dass Verursacher und Geschädigte als Homines oeconomici in Verhandlungen eintreten, in denen sie beide ihren Ausgangszustand verbessern. In 355 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

diesem Fall gilt: Aufgrund der Betroffenheit vieler Individuen durch Umweltschädigungen kann ein wirksames Interesse an Umweltschutz angenommen werden. 7 Wie aber müssen diese Probleme formuliert werden, wenn Verursachung und Manifestation von Umweltproblemen zeitlich weit auseinander liegen? Diesem Fall werden wir uns nun zuwenden.

14.3 Das Menschenbild der Nachhaltigkeitsökonomie 14.3.1 Das Konzept der Nachhaltigkeit Wirtschaftliche Handlungen von Individuen einer gegenwärtigen Generation können Rohstoff- und Umweltprobleme verursachen, von deren Auswirkungen erst Individuen zukünftiger Generationen betroffen sind. Ein Beispiel dafür ist der Abbau fossiler Rohstoffe, der Individuen künftiger Generationen die Option nimmt, sich dieser Rohstoffe zu bedienen. Ein anderes Beispiel ist der Treibhauseffekt, der durch gegenwärtiges Handeln verstärkt wird, dessen Folgen in ihrem ganzen Ausmaß möglicherweise aber erst in vielen Jahrzehnten in Form von Klimaveränderungen, Anstieg der Weltmeere sowie Verschiebung von Vegetations- und Anbauzonen offenkundig werden. In diesem Fall sind Verhandlungen zwischen den Urhebern und den Betroffenen nicht vorstellbar, da die Geschädigten noch nicht geboren sind. Auch haben die Betroffenen nicht die Möglichkeit, politische Prozesse zu initiieren, die zu ihrer Besserstellung führen. Derartige mittel- und langfristige Probleme werden in der heutigen Diskussion unter dem Stichwort der Nachhaltigkeit (sustainWie weit wir allerdings auch heute noch von einer Welt entfernt sind, in der die meisten Individuen die von ihnen verursachten Umweltschäden als solche anerkennen und bereit sind, dafür Kompensationen zu zahlen oder aber ihr Verhalten zu ändern, mag, stellvertretend für viele, folgendes Zitat belegen. In einer Kritik an Maßnahmen der US-Regierung, die zu einer Senkung des Spritverbrauches führen sollen, schreibt Peters (1996: 6): »The arrogance of these types (gemeint sind die Umweltschützer, deren Lobby im amerikanischen Kongress die Corporate Average Fuel Economy standards durchsetzten) prevents them from recognizing that people spending their own money should have the right to buy the kinds of cars and trucks they … prefer. If that means powerful sport utility vehicles or fast and roomy familiar sedans, that shows it ought to be … But the government and its defenders … want to cram people into a U.S. Yugo or better yet, herd them into public transportation. Underneath it all lies a profound hatred of the privately owned automobile and of the individuality and freedom it represents«.

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Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

able development) diskutiert (vgl. Solow 1974, 1992, Faber/Jöst/ Manstetten 1995, Nutzinger/Radke 1995, Klauer 1998, Petersen/Faber 2001, s. auch o. Kapitel 8). Obwohl der Begriff Nachhaltigkeit zum Teil in sehr unterschiedlicher und nicht selten auch unwissenschaftlicher Weise verwendet wird, kann man generell sagen: Bei der Nachhaltigkeit geht es um das Problem, dass die Produktions- und Konsumweise der gegenwärtig lebenden Menschen aufgrund der Erschöpfung nichterneuerbarer, der Übernutzung erneuerbarer Ressourcen und der Überbeanspruchung von Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt die Bedürfnisbefriedigung oder sogar das Überleben zukünftiger Generationen gefährdet. Daran schließt sich die Frage, welche Folgerungen daraus für natur- und sozialwissenschaftliche Forschung, für die Entwicklung neuer Technologien, für politisches und wirtschaftliches Handeln sowie für die Art und Weise der menschlichen Bedürfnisbefriedigung zu ziehen seien. Eine Wirtschaftswissenschaft, die diese Probleme und Fragen behandelt, wollen wir, wie oben erläutert, als »Nachhaltigkeitsökonomie« (economics of sustainability) bezeichnen. Im Gegensatz zur individualistischen Umweltökonomie, in der idealerweise die Verursachung von Umweltproblemen (ungefähr) gleichzeitig mit ihrer Wahrnehmung durch die Betroffenen auftritt, ist für die Nachhaltigkeitsökonomie Zeit das entscheidende Problem. Damit ist gegenüber der individualistischen Umweltökonomie ein grundlegender Perspektivwechsel verbunden: Diese kann ihre Theorien auf der Basis des bloßen Eigeninteresses von Individuen formulieren. Eine Auseinandersetzung mit Problemen der Nachhaltigkeit muss sich hingegen auf ein Interesse beziehen, das weit über den Horizont individuellen Nutzenstrebens hinausgeht. 14.3.2 Die optimale Ressourcennutzung im Sinne der Nachhaltigkeitsökonomie Neoklassische Ökonomen, die sich mit Fragen langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung beschäftigen, können auf eine Tradition zurückgreifen, zu deren Begründung die bahnbrechenden Aufsätze von Frank Ramsey (1928) und von John von Neumann (1937) zurückgehen. Nachdem darin erstmals ein optimales, sich über viele Perioden erstreckendes Wachstumsmodell aufgestellt wurde, ist dieser Ansatz vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren wesentlich 357 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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ausgeweitet und verfeinert worden. Allerdings wurden als Produktionsfaktoren fast ausschließlich Arbeit und Kapital berücksichtigt. Rohstoffe und Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt wurden implizit als freie Güter angesehen. Anfang der siebziger Jahre jedoch wurde die Theorie des optimalen Wachstums derart erweitert, dass Rohstoff- und Umweltökonomen damit explizit Fragen der langfristigen Entnahme von Ressourcen und der fortdauernden Inanspruchnahme der Schadstoffaufnahmekapazitäten der natürlichen Umwelt untersuchen konnten (Solow 1974; Mäler 1974; Dasgupta/Heal 1979; Faber/Niemes/Stephan 1983a/1995). Allerdings muss dabei eine starke Annahme getroffen werden. Entweder muss vollkommene Voraussicht oder es muss die Existenz von vollkommenen Märkten für alle Güter in allen Perioden (sogenannte Zukunftsmärkte bzw. gegenwärtige Märkte für alle Güter und alle Perioden) angenommen werden (vgl. Stephan 1989: 27– 33). Diese Annahme wird einerseits umso problematischer, je länger der Zeithorizont der zu betrachtenden Fragestellung ist. Gerade bei Fragen der nachhaltigen Entwicklung geht es oft um Probleme, die in einem Horizont von Jahrzehnten, Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden erörtert werden müssen. Andererseits muss man bedenken, dass für viele Güter, nämlich für Bereiche des natürlichen Kapitals, nicht nur keine Märkte, sondern überhaupt keine klaren Bewertungsmaßstäbe vorliegen. Während die Preise für menschgemachtes Kapital sich durch den Markt bilden, ist keine Instanz zu erkennen, die einen Preis für Tier- und Pflanzenarten, Wasserläufe, Wälder oder gar das Klimasystem festsetzen könnte. 8 Trotz der Problematik dieser Annahme vor allem bei Fragen langfristiger Umweltschädigung, wo Unsicherheit und Unwissen eine wesentliche Rolle spielen, haben die Wirtschaftswissenschaften wichtige Beiträge für eine Nachhaltigkeitsökonomie geleistet. Das gilt insbesondere für das Gebiet der Ressourcenfragen. Hier ist als bedeutender Vorläufer zunächst Hotelling (1931) zu nennen, der Darin liegt das eigentliche Problem der Konzepte der sogenannten »weak sustainability« (vgl. etwa Pearce/Atkinson 1993). Sie zielen darauf ab, dass der Wert des aggregierten natürlichen und menschgemachten Kapitals konstant bleibt. Kritisch lässt sich dagegen einwenden, dass diese Konzepte den Unterschied zwischen Naturkapital und von Menschen hergestelltem Kapital nicht hinreichend deutlich machen. Insbesondere geben sie nicht an, woher die Bewertungsmaßstäbe für Naturkapital zu nehmen sind. – Eine gute Übersicht über »non-market valuation methods« bieten Hanley and Spash (1993).

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eine Regel für die optimale Nutzung nichterneuerbarer Ressourcen aufstellte. Die Bewirtschaftung regenerierbarer Ressourcen wurde seit Anfang der siebziger Jahre intensiv untersucht (vgl. z. B. die Lehrbücher von Fisher 1981, Dasgupta 1982 und Hartwick/Olewiler 1986). Diese Arbeiten enthalten Konzeptionen einer Nachhaltigkeitsökonomie bezüglich der Ressourcenbewirtschaftung. Dabei geht es um die Frage, wie man für derartige Ressourcen einen maximalen nachhaltigen Ertrag, »maximum sustainable yield«, errechnen könne. Als allgemeine Regel kann dabei formuliert werden: »Erschöpfbare Rohstoffe und Energieträger dürfen nur in Mengen verbraucht werden, wie simultan funktionsgleiche regenerierbare Ressourcen geschaffen werden« (Cansier 1995: 7). Ökonomisch gesehen kann die Substitution von nichterneuerbaren Ressourcen durch erneuerbare Rohstoffe durch ein Preissignal, nämlich eine Rente, die die zunehmende Knappheit der nichterneuerbaren Ressource indiziert, begünstigt werden: »Using an optimising neo-classical … approach, one can show that under competitive conditions the price of a resource is equal to its marginal cost of extraction plus an economic rent (royalty) … The royalty is the opportunity cost that the resource is used now and not later. It therefore is an indicator of the substitution cost which occur when switching to another resource« (Faber/Proops 1998: 164). Allerdings machen Faber/Proops (1993: 20–21) darauf aufmerksam, dass diese Rente in der Realität häufig zu niedrig angesetzt ist, so dass der Preis für die Ressource ebenfalls zu gering ist und eine gegenüber der optimalen Nutzung im Sinne der Nachhaltigkeit zu hohe Menge abgebaut wird. Was aber wäre eine optimale Nutzung? Hinter dieser Frage verbirgt sich eine weitaus fundamentalere, deren Beantwortung Voraussetzung ist für die Klärung dessen, was optimale Nutzung bedeutet: Wie soll das Wohlergehen zukünftiger Generationen in den Entscheidungen heutiger Generationen berücksichtigt werden? Ökonomisch gesprochen geht es hier um eine Frage der Vermögens- bzw. Einkommensverteilung zwischen den Generationen (intergenerative Verteilung). Dabei müssen die Konsummöglichkeiten der gegenwärtigen Generation gegenüber den Konsummöglichkeiten zukünftiger Generationen gewichtet werden. Ethisch gesprochen stellt sich hier das Problem der Gerechtigkeit im Sinne der gerechten Verteilung. Im Sinne unserer Frage nach dem Menschenbild stellt sich daran anschließend das Problem, wie Menschen, Institutionen, Gesellschaften und Staaten konzipiert werden müssen, da359 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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mit wenigstens theoretisch die Verwirklichung einer gerechten Verteilung zwischen den Generationen denkbar gemacht werden kann. 14.3.3 Nachhaltigkeit, Ethik und das Interesse an der Menschheitsgattung Die Frage der Nachhaltigkeit kann ethisch nur diskutiert werden, wenn man normativ von einer allgemeinen Verpflichtung der gegenwärtig lebenden Menschen gegenüber den zukünftig lebenden Menschen ausgeht (Solow 1992: 15). Positiv muss man fragen, was eine derartige normativ behauptete allgemeine Verpflichtung für die Wirklichkeit bedeuten kann (vgl. Petersen/Faber 2001). Wenn man nicht im Sinne der wohlfahrtstheoretischen Umweltökonomie unterstellen will, dass eine unparteiische Wissenschaft und ein wohlwollender diktatorischer Staat Institutionen erfinden und realisieren, die den Menschen Anreize geben, im Sinne dieser Verpflichtung zu handeln, so muss man die Frage stellen, woher ein politisch und ökonomisch wirksames Interesse der gegenwärtig lebenden Menschen entspringen soll, gemäß einer Verpflichtung gegenüber den zukünftig lebenden zu handeln. Realistisch ist dies nur denkbar, wenn es unter den gegenwärtig Lebenden eine genügend große Anzahl von Menschen gibt, die sich einer solchen Verpflichtung bewusst und die darüber hinaus bereit und fähig sind, ihr gemäß sowohl auf der individuellen als auch politischen Ebene zu handeln. Aus der Rationalität des Homo oeconomicus, wie sie in den gewöhnlichen Untersuchungen angenommen wird, lässt sich eine solche Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen normativ nicht ohne starke Zusatzannahmen herleiten, und positiv lässt sich nicht erwarten, dass das Bewusstsein einer solchen Verpflichtung die Präferenzordnungen einer größeren Anzahl von Homines oeconomici prägt. Abgesehen von in diesem Buch (vgl. o. Kapitel 4) vorgestellten Überlegungen ist aus wirtschaftstheoretischer Sicht Folgendes zu bedenken: Dem Homo oeconomicus wird in der Regel eine »Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse« (vgl. Koopmans 1960; Stephan 1995: 69–75; Hennings 1996: 117–123; Faber/Proops/Speck 1999: 71–73) zugeschrieben. Dies wird schon für seine eigenen zukünftigen Bedürfnisse unterstellt, wird aber in wesentlich stärkerem Maße für zukünftige Bedürfnisse anderer (sofern andere überhaupt 360 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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in seiner Präferenzordnung vorkommen) angenommen. Man kann also nicht einmal theoretisch erwarten, dass die spontane Ordnung eines idealen Marktes, der von Homines oeconomici getragen wird, eine solche Gewichtung zukünftiger Bedürfnisse generiert, die dem Lebensinteresse der zukünftigen Menschen Rechnung trägt. Das Menschenbild der Ökonomik macht somit die Möglichkeit, verantwortlich im Sinne einer eingesehenen Norm zu handeln, nur in eingeschränktem Maße denkbar (Petersen/Faber 2005). Wenn nämlich laut Annahmen der Mensch sich nur an sich selbst orientiert, wären alle Normen, deren Befolgung dem Individuum auch längerfristig keinen erkennbaren Vorteil bringt, bedeutungslos. Ethische Fragen der Einsicht und politisch-ökonomische Fragen der Realisierung gerechter Normen lassen sich von diesem Menschenbild her immer dann nicht adäquat stellen, wenn es um Gerechtigkeit gegenüber künftig lebenden Menschen oder um Gerechtigkeit gegenüber der Natur geht. 9 Somit ist zu fragen, ob wir an der Homo-oeconomicus-Annahme festhalten und damit die Möglichkeit nachhaltiger Entwicklung in demokratischen Rechtsstaaten von vornherein für unwahrscheinlich erklären müssen, oder ob uns diese Gedankengänge nicht zu einer Überprüfung der Homo-oeconomicus-Annahme im Sinne der Eingrenzung ihres Gültigkeitsbereiches veranlassen sollten. 10 Sehr pointiert hat Dryzek (1996: 33 f.) die These formuliert: »Without quite realizing it, microeconomic analysts of environmental issues have demonstrated that a world of rational egoists is environmentally unsustainable. Rational egoists exploit and deplete common property resources, be these resources land, lakes, rivers, fisheries, or the capacity of the ecosystems to assimilate pollutants, or stabilize climate. Rational egoists take free rides on the efforts of others in order to avoid contributing to public goods such as environmental quality. While rational egoists can be induced to conserve the commons and contribute to public good, only coercion and material incentives will work here. And the establishment of either coercion or incentives requires a government acting in the public interest – in other word, the kind of government which microeconomic public choice analysis tells us cannot possibly be operated, let alone created, by rational egoists, who, be they elected officials, voters or bureaucrats, see government just as another arena for the pursuit of their private interests. Rational egoists discount the future at market rates of interests, and so neglect environmental damage (even to themselves) to the degree that it will be felt later rather than sooner. In short, a world of rational egoists features externalities, public good problems, social dilemmas and the tragedy of the commons«. 10 Man könnte indes fragen, ob nicht auch auf der Basis der Homo-oeconomicus-Annahme Nachhaltigkeit denkbar gemacht werden könnte. So gäbe es die Möglichkeit, eine notwendige und allgemeine »Nachhaltigkeitspräferenz« zu postulieren. Das würde indes eine Unterscheidung zwischen akzidentiellen und notwendigen Präferenzen im9

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Nachhaltigkeit als ein von vielen Menschen getragenes und damit realisierbares Ziel ist nicht sinnvoll auf der Basis der gewöhnlichen Homo-oeconomicus-Annahme zu denken. Denkmöglich ist Nachhaltigkeit nur, wenn man den Menschen nicht nur als selbstinteressiertes Individuum, sondern auch als ein am Erhalt und der Fortentwicklung der Menschheit interessiertes Gemeinschafts- und Gattungswesen betrachtet. Damit wird der Mensch als ein Wesen angesehen, das die Fähigkeit hat zu wissen, dass es unter ethischen Verpflichtungen jenseits privater Nutzenkalküle steht. Weiterhin wird zumindest die Möglichkeit unterstellt, dass Menschen gemäß der eingesehenen Verpflichtungen zu handeln versuchen. Das Nachdenken über Nachhaltigkeit führt uns somit zu der Notwendigkeit, den Menschen als ein Wesen zu denken, das sich nicht nur für sich und bestimmte andere Menschen, sondern für die Menschheit interessiert. 11 Dieses Interesse muss so stark sein, dass es politisch, sozial und wirtschaftlich manifest wirksam wird und sich in der Setzung eines nachhaltigen ordnungspolitischen Rahmens niederschlägt. 12 Während die individualistische Umweltökonomie den Menschen

plizieren: Gegenüber den üblichen akzidentiellen Präferenzen ökonomischer Modelle – Vorlieben, die man haben kann oder auch nicht – bedeuten notwendige und allgemeine Präferenzen, dass alle Menschen bestimmte Gegenstände möglicher Wahl stets anderen Gegenständen vorziehen. Wenn man den Homo oeconomicus indes mit notwendigen und allgemeinen Präferenzen ausgestattet denkt, so verwässert man die ökonomische Präferenztheorie bis zur Unkenntlichkeit, denn dann verletzt man Arrows (1963: 244) Annahme der »unrestricted domain«, die besagt, dass die Präferenzen und ihre Rangordnung ganz und gar als Sache des Individuums anzusehen seien: Jede Präferenz und jede logisch zulässige Anordnungsmöglichkeit ist aus ökonomischer Sicht möglich: Nur so bleibt die ökonomische Analyse streng positiv. Fügt man notwendige und allgemeine Präferenzen hinzu, so stellt sich die Frage, warum der mit ihnen ausgestattete Mensch noch Homo oeconomicus heißen soll (vgl. auch Faber/Petersen/Schiller 2002). 11 Es ist keineswegs notwendig, dafür die Utopie eines neuen Menschen zu postulieren. So hat Adam Smith versucht (1756/1985), plausibel zu machen, dass die Natur des Menschen prinzipiell Anlagen enthält, den Menschen zum Mitleiden und Mitfühlen mit anderen geneigt zu machen, und dass diese Anlagen sich zu einer Liebe zur Menschheit und zu universellem Wohlwollen ausbilden können. Von Natur aus ist jeder Mensch nach Smith zumindest mit einem elementaren Gerechtigkeitsempfinden jenseits privater Nutzenkalküle ausgestattet (vgl. hierzu Hottinger 1998 und Manstetten/ Hottinger/Faber 1986; s. o. Kapitel 3, Abschnitt 3.7.1). 12 Konzeptionen einer Nachhaltigkeitsökonomie könnten durchaus wohlfahrtstheoretisch angelegt werden. Dann kann allerdings der Ursprung und die Wirkmächtigkeit des Willens, den wohlfahrtstheoretisch gesehen besten Rahmen für eine Nachhaltigkeitsökonomie zu setzen, nicht thematisiert werden.

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weitgehend ohne die ethische Dimension thematisieren kann, 13 spielt diese bei der Nachhaltigkeitsökonomie eine ausschlaggebende Rolle: Wenngleich in dieser der Mensch nicht als ein von Natur aus gutes Wesen gedacht werden muss, so muss er doch als ein solches Wesen gedacht werden, das sich unter überindividuellen Verpflichtungen stehend wissen kann. Zumindest gilt dies für alle Menschen, die an staatlichem Handeln in irgendeiner Weise – sei es als Wähler, sei es als Mitglied einer Partei, sei es als Politiker, sei es als Mitarbeiter einer staatlichen Verwaltung, sei es als kritische Kommentatoren in den Medien – beteiligt sind. Denn wenn in der Tat der Staat den ordnungspolitischen Rahmen für die Wirtschaft setzt, und wenn der Staat per se keine unparteiische, am Gemeinwohl interessierte Instanz ist, dann wird ein genuines Interesse an Nachhaltigkeit bei all denen erfordert, die sich an der ordnungspolitischen Rahmensetzung für die Wirtschaft beteiligen. Den hier formulierten Ansprüchen entspricht das vor allem in Kapitel 4 dieses Buches entwickelte Konzept des Homo politicus. Unsere bisher formulierten Überlegungen haben somit zu dem Resultat geführt, dass eine Nachhaltigkeitsökonomie nicht einmal theoretisch entworfen werden kann, ohne dass der Mensch als Homo politicus thematisiert wird. 14.3.4 Probleme der Ethik in einer Nachhaltigkeitsökonomie Wenngleich der Homo politicus konzeptionell unverzichtbar für eine Nachhaltigkeitsökonomie ist, heißt das nicht zwingend, dass umgekehrt der Homo politicus sich zwingend im Rahmen der Anforderungen einer Nachhaltigkeitsökonomie halten muss. Normativ lässt sich sogar zeigen, dass der Homo politicus im Handlungsfeld Wirtschaft/ Natur noch anderen Maßgaben als denjenigen der Nachhaltigkeitsökonomie folgen sollte. Denn das Menschenbild, zu dem uns das Nachdenken über Nachhaltigkeit zu nötigen scheint, ist, obwohl es wesentlich Züge des Homo politicus impliziert, nicht unproblema13 Allerdings teilen die umweltökonomischen Konzepte mit vielen anderen Konzepten die Voraussetzung, dass sie bei den Wirtschaftssubjekten das Vorhandensein einer »Minimalmoral« unterstellen müssen (vgl. etwa Kirchgässner 1996). Ansonsten aber gibt es in den Konzepten der Umweltökonomie neben wenigen, vergleichsweise blassen ethischen Vorstellungen in der wohlfahrtsökonomischen Richtung, keine anderen Werte als die subjektiven Bewertungen der jeweils betroffenen Individuen.

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tisch. Nachhaltigkeit zwingt uns nicht nur, wie viele traditionelle ethische Entwürfe, vom Menschen ein ursprüngliches Interesse an der Menschheit zu fordern, sondern sie verlangt, dieses Interesse in ganz besonderem Maße auf die zukünftige Menschheit zu beziehen. Damit wird postuliert: Die Menschen wissen sich verpflichtet, nicht nur den Wunsch, sondern auch den Willen auszubilden, das Wohl zukünftig lebender Menschen in ihrem Verhalten zu berücksichtigen (Petersen/Faber 2001). Die Realisierung einer Nachhaltigkeitsökonomie macht somit Menschen erforderlich, die sich nicht nur den Regeln der traditionellen Sittlichkeit verpflichtet wissen – was schon für sich eine hohe Anforderung wäre – sondern die bereit sind, wesentlich weitergehende Anforderungen an moralisches Handeln anzuerkennen. Selbst wenn wir eine politisch wirksame Möglichkeit unterstellen, dass Menschen bereit sind, nicht nur im Interesse der eigenen Person und der dieser Person Nahestehenden, sondern auch im Interesse der Menschheitsgattung zu handeln, führen uns Fragen der Nachhaltigkeit in schon rein gedanklich schwer zu lösende Probleme im Grenzbereich zwischen Normativem und Positivem. Das wichtigste Problem resultiert daraus, dass vom Gesichtspunkt traditioneller Moralvorstellungen aus die Nachhaltigkeitsökonomie eine Erweiterung in dem Sinne darstellt, dass der Kreis der Wesen, die bei ethischen Erwägungen berücksichtigt werden müssen, vergrößert wird. In traditioneller westlicher Moral – sei sie christlich begründet oder im Sinne der Aufklärung des 18. Jahrhunderts formuliert – geht es primär immer um die Menschheit, soweit sie sich im Antlitz gegenwärtig lebender Personen manifestieren kann. Um zukünftige Menschheit geht es nur, insofern diese schon als Potenz der Gegenwart zu ahnen ist, die im Begriff steht, sich personal zu aktualisieren. Es ist sozusagen eine in ihrem Nahen schon gegenwärtige Zukunft, die wie das bevorstehende Schicksal der eigenen Kinder und Enkel das Trachten der Gegenwart beschäftigt. Moral in diesem traditionellen Sinn ist zukunftsoffen, aber nicht zukunftszentriert wie die Nachhaltigkeitsökonomie. Der spezifische Gesichtspunkt einer Moral, die der Nachhaltigkeitsökonomie entspricht, ist die Dimension der Zeit im Sinne einer unendlichen Zukunft. Diese Erweiterung der Ethik um den Gesichtspunkt der Zukunft ist notwendig, aber problematisch. Die Handlungsorientierung im Sinne der Nachhaltigkeit beinhaltet das Problem, dass durch sie un364 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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ser Vorstellungsvermögen auf eine harte Probe gestellt wird. Die Aufgabe, Konsummöglichkeiten verschiedener Generationen zu gewichten, führt schnell zu Gedanken, die von keiner Vorstellung einzuholen sind. So hat etwa die Idee, einer in tausend Jahren lebenden Generation einen bestimmten Anteil des gegenwärtigen Wohlstandes zu opfern, einen starken Zug der Abstraktheit. Denn während der konkret leidende Mensch, der in meiner Nähe ist, entweder mein Mitleid und Erbarmen oder aber meinen Sinn für Pflicht unmittelbar ansprechen kann, während selbst der Leidende in einem anderen Teil der Welt, den ich nicht sehe, von mir noch konkret als ein in diesem Augenblick Hilfsbedürftiger vorgestellt werden kann, hat das Leiden eines Menschen, den es noch nicht gibt, immer etwas Unfassliches an sich. Etwas von dieser Unfasslichkeit kann man mit der Frage ansprechen: Für wie viele Generationen sind wir gehalten, Verantwortung zu übernehmen? Sollen es unendlich viele sein? Das ist gänzlich unvorstellbar. Wenn es aber endlich viele sein sollen, wo ist die Grenze anzusetzen? 14.3.5 Das moralische Subjekt der Nachhaltigkeitsökonomie Wenn der Kreis der Betroffenen unseres Tuns in der vorhin angesprochenen Weise erweitert wird, so führt dies zu zwei zusätzlichen Problemen für individuelles und politisches Handeln: (i) Der Grad der Informiertheit auf Seiten der Entscheidungsträger gewinnt eine ungeheure Bedeutung. (ii) Die ethische Entscheidung im Sinne der Nachhaltigkeit wird von jeweils einzelnen Individuen hinweg verlagert auf die Ebene von Gesetzen und Regelungen bzw. auf deren Urheber. Zu (i): Bei einer Ethik der Nachhaltigkeit sind die handlungsrelevanten Gesichtspunkte nicht allein allgemeine kulturelle Prägungen oder besondere Erfahrungen, Erkenntnisse und Einsichten, die dem Subjekt im Laufe seiner Lebensgeschichte zuteil werden, sondern es sind darüber hinaus vor allem Informationen, die es, ohne sie nachprüfen zu können, von Wissenschaftlern übernehmen muss. Mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse werden der Verantwortlichkeit des Menschen Handlungsfolgen zugerechnet, die ganz außerhalb dessen liegen, was er sich vorstellen kann. Was zu tun und was zu unterlassen geboten ist, wird entscheidend vom Erkenntnisstand der Wissenschaftler, der Spezialisten auf den betroffenen Fach365 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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gebieten, bestimmt. Wissenschaftliche Theorien und Messungen sind es, die dem Menschen immer wieder neu Informationen darüber liefern müssen, was die Realisierung seiner Handlungsmöglichkeiten über weite Räume und Zeiten hinweg bei anderen Menschen bewirkt und was er tun und lassen muss, um die im Sinne der Nachhaltigkeitsökonomie erwünschten Wirkungen zu erreichen und die unerwünschten zu vermeiden. Schon das Einholen derartiger Informationen, vor allem aber die Notwendigkeit, das eigene Handeln jeweils mit ihnen abzugleichen, überfordert selbst Individuen, die prinzipiell bereit sind, ihr eigenes Tun nicht nur am eigenen Nutzen, sondern am Kriterium der Nachhaltigkeit zu messen (s. o. Kapitel 8, Abschnitt 8.5). Zu (ii): Da also nicht von jedem Individuum erwartet werden kann, dass es die notwendigen Informationen über Nachhaltigkeit erwirbt und, selbst wenn es sie haben sollte, dementsprechend handelt, wird es notwendig, die ethischen Entscheidungen aus dem Bereich des handelnden Individuums herauszunehmen und sie den Politikern/innen aufzuerlegen: Nachdem diese das zum Handeln benötigte Wissen von den Wissenschaftlern/innen erlangt haben, erstellen sie in Form von Gesetzen und Verordnungen einen Rahmen, der die Nachhaltigkeit einer Wirtschaft sichern soll. Sollte dieser Rahmen richtig gesetzt sein, dann könnte gelten: Die meisten Mitglieder der Gesellschaft können zwar nicht selbst überprüfen, ob dieser Rahmen richtig gesetzt ist, aber sie können den Wissenschaftlern und Politikern trauen und sich somit darauf verlassen, ethisch korrekt zu handeln, wenn sie sich innerhalb der Grenzen dieses Rahmens halten. Individualethisch bleibt nur die Forderung, dass die Individuen das tun, was die Wissenschaftler und Politiker von ihnen erwarten: Mit einer solchen Argumentationsweise befinden wir uns wiederum in einer Gedankenkonstruktion, die wir bereits im Abschnitt 14.2 anlässlich einer wohlfahrtstheoretisch ausgerichteten Umweltökonomie angesprochen haben. Dort wurden die hypothetischen Figuren des unparteiischen Zuschauers und des wohlwollenden Diktators eingeführt, die benötigt wurden, um ein Maximum an sozialer und ökologischer Wohlfahrt zu sichern: Diese Figuren kehren im Rahmen unserer Überlegungen zur Nachhaltigkeit wieder: Als unparteiische Zuschauer benötigen wir die Wissenschaftler, die ohne eigenes Interesse Wissen über den Zustand aller Ökosysteme, die wahrscheinliche Entwicklung der Technologien, über die zahlenmäßigen Veränderungen der Weltbevölkerung und über die langfris366 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

tige Interaktion zwischen ökonomischen und ökologischen Systemen anhäufen. Darüber hinaus entwerfen sie alternative Szenarien zum Ist-Zustand der Wirtschaft, die realistisch erscheinen, und schlagen einen optimalen Entwicklungspfad vor. Dieses Wissen geben sie an die Politiker weiter, die als wohlwollende Diktatoren mit uneingeschränkter Macht und ohne Eigeninteresse die Geschicke der Gesellschaft lenken. Den anderen Individuen bleibt kaum mehr übrig, als kritiklos die Angaben der Wissenschaftler zu glauben und widerspruchslos die Gesetze und Verordnungen des Staates hinzunehmen. In dieser Weise unmündig gemacht, dürfen sie ansonsten – in einem perfekt nachhaltig ausgestalteten ordnungspolitischen Rahmen – als Homines oeconomici rational ihren Nutzen maximieren. Das aber würde dazu führen, dass den meisten Menschen ethisch richtiges Handeln nicht als freie autonome Entscheidung, sondern als Reaktion auf abstrakte, heteronome, von ihnen nicht überprüfbare Vorgaben erscheinen müsste. Zugleich wäre damit die Gefahr verbunden, dass die Urteilskraft der meisten Individuen, die Fähigkeit, einen wachen Sinn für die Besonderheiten der jeweiligen Situation zu entwickeln und zu erkennen, welche Norm im gegebenen Fall zur Anwendung kommen soll, verkümmern würde. 14 Hier scheint sich ein Dilemma aufzutun: Die Normen der Nachhaltigkeitsökonomie scheinen selbst im Gedankenexperiment zu ihrer Realisierung einen autoritären Umweltstaat oder eine Umweltdiktatur zu erfordern. Aber das Handeln von freien Homines oeconomici, deren Tun nicht durch einen ethisch im Sinne der Nachhaltigkeitsökonomie qualifizierten Rahmen eingeschränkt wird, führt andererseits, wenn es nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Fundierung und dem Vollzug der Politik unterstellt wird, zur langfristigen Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit. Das Dilemma scheint also zu lauten: Entweder autoritäre Rahmensetzung für die Wirtschaft und damit Sicherung der Lebensgrundlagen für die Zukunft oder wirkliche individuelle Freiheit und damit Gefährdung zukünftigen menschlichen Daseins (vgl. Hannon 1985). 14 Im Rahmen von Untersuchungen zu »Kants Rechtsphilosophie der Urteilskraft« macht Wieland auf die entscheidende, in der Ethik aber meist kaum beachtete Rolle aufmerksam, die der Urteilskraft im Zusammenhang mit den Problemen der Normenanwendung zukommt: »Zu ihrer Lösung bedarf es vor allem jenes Gebrauchswissens, das sich nicht vergegenständlichen und nicht objektivieren lässt, weil es nur dort sich zeigt, wo sich eine geübte Urteilskraft durch den Erfolg bewährt« (Wieland 1998: 22).

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Dieses Dilemma ist indes kein echtes Dilemma. Die erste der beiden Alternativen ist aus zwei Gründen unrealistisch: Zum einen besteht bezüglich ökologischer Fragen insbesondere langfristiger Art irreduzierbares Unwissen (Faber/Manstetten/Proops 1996: 216– 221): Denn so bedeutsam wissenschaftliche Forschung in diesen Fragen ist, so sehr muss man sich davor hüten, von Wissenschaftlern eindeutige Handlungsanweisungen für nachhaltiges Tun zu erwarten. Zum anderen erscheint es als ausgeschlossen, dass mit diktatorischen Vollmachten ausgestattete Staatsmänner einen größeren Beitrag zu einer Nachhaltigkeitsökonomie leisten als eine freie Gesellschaft. Die bisherigen Erfahrungen mit Diktaturen, insbesondere mit den ehemaligen Staaten des Ostblocks, deren Politik sich auf eine angeblich wissenschaftliche Theorie, den »wissenschaftlichen Sozialismus« stützte, sprechen im Gegenteil dafür, dass in Diktaturen die natürliche Umwelt weit mehr vernachlässigt wird als in demokratischen Rechtsstaaten. Aber wenn diese Diagnose richtig ist, so scheint die andere Alternative, nämlich die Zerstörung freier Natur und natürlicher Grundlagen menschlichen Lebens, wahrscheinlich zu sein. Dieses ist indes keineswegs der Fall. Denn wir haben bereits im vorigen Abschnitt 14.3.3 darauf hingewiesen, dass das Menschenbild des Homo oeconomicus für Fragen der Nachhaltigkeit nicht zwingend ist und durch die Dimension des Homo politicus ergänzt werden muss. Allerdings haben wir auch erkannt, dass, selbst wenn wir mit nicht unplausiblen Gründen dem Menschen ein gewisses Interesse an der Erhaltung der Menschheitsgattung und somit ein Streben nach Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen unterstellen dürften, eine eigene Ethik der Nachhaltigkeit eine systematische Überforderung dieses Strebens darstellt. Ethisch gesehen wird man von moralischen Subjekten zwar den Willen fordern müssen, zukünftiges Leben zu ermöglichen (Petersen/Faber 2001), aber dieser Wille, so wie er bisher thematisiert wurde, führt uns zu problematischen ethisch-politischen Konsequenzen. Die Frage nach dem Bild des Menschen in einer Nachhaltigkeitsökonomie hat uns also in noch nicht gelöste Probleme geführt. Wir sahen die Notwendigkeit einer Ethik der Nachhaltigkeit und sahen zugleich, dass deren Konsequenzen möglicherweise Grundlagen eigenverantwortlichen Handelns gefährden. Wer den Menschen nur als Homo oeconomicus im Sinne der individualistischen Umweltökonomie auffasst, neigt dazu, die Reichweite dieser Annahme zu über368 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

schätzen und das ethische Potential des Menschen zu unterschätzen. Wer den Menschen ausschließlich ethisch im Sinne der Nachhaltigkeitsökonomie denkt, neigt dazu, ihn entweder ethisch zu überfordern oder aber ihn zu entmündigen (indem die ethische Überforderung an Wissenschaftler und Politiker delegiert wird). Im Folgenden werden wir diese Probleme zwar nicht lösen, aber unter neuen Gesichtspunkten betrachten, indem wir die Ebene der Nachhaltigkeitsökonomie verlassen.

14.4 Ökologische Ökonomie Der Begriff »Ökologische Ökonomie« wird sehr unterschiedlich verwendet. Im Folgenden werden wir eine in der gegenwärtigen Forschung unübliche Unterscheidung vornehmen, indem wir in Abschnitt 14.4.1 Ökologische Ökonomie im engeren Sinne gegen die Nachhaltigkeitsökonomie abgrenzen. Daran anschließend werden wir in Abschnitt 14.4.2 den wissenschaftlichen Status der Ökologischen Ökonomie untersuchen. Vor diesem Hintergrund werden wir in Abschnitt 14.4.3 die Frage nach dem Menschenbild neu formulieren. 14.4.1 Die Fragestellung der Ökologischen Ökonomie im Gegensatz zur Fragestellung der Nachhaltigkeitsökonomie Die Auffassung, Ökologische Ökonomie sei »science and management of sustainability« (Costanza 1991), kann aus wissenschaftspolitischen Motiven durchaus sinnvoll erscheinen: Viel von der Reputation der Ökologischen Ökonomie verdankt sich der Tatsache, dass sie als ein Forschungsfeld angesehen wird, auf dem es um das langfristige Überleben der Menschheit geht. Gleichwohl verdeckt diese Auffassung das eigentlich Ökologische an der Ökologischen Ökonomie, insofern sie verbirgt, dass Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung (sustainability) und Konzepte einer im engeren und eigentlichen Sinne Ökologischen Ökonomie von ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten aus entworfen werden. Wenn bis heute in wissenschaftstheoretischen Betrachtungen Theorien der Nachhaltigkeit von Theorien der Ökologischen Ökonomie nicht klar unterschieden werden, so sehen wir darin eine terminologische Unschärfe, die dazu führen kann, dass auch in den Debatten, die unter dem Stichwort Ökologische Öko369 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

nomie geführt werden, die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur außermenschlichen Natur systematisch zu kurz kommt. Unser Verständnis des Begriffes Ökologische Ökonomie wollen wir schrittweise entwickeln, indem wir die Fragestellung einer Ökologischen Ökonomie im eigentlichen Sinne des Wortes von der einer Nachhaltigkeitsökonomie abgrenzen. Wir haben bereits festgestellt, dass sich Konzepte der individualistischen Umweltökonomie von Konzepten einer Nachhaltigkeitsökonomie dadurch unterscheiden, dass erstere ausschließlich auf der Basis des Eigeninteresses von Individuen entwickelt werden können, während letztere auf einem Interesse der Menschheitsgattung an ihrem Überleben zu fundieren sind, einem Interesse, das allerdings nur wirksam wird, sofern es sich in den Handlungen der Individuen artikuliert. Umweltökonomie und Nachhaltigkeitsökonomie haben jedoch gemeinsam, dass in ihrem Zentrum ein von Menschen getragenes, auf Menschen bezogenes Interesse steht. Das aber bedeutet, dass auch in der Nachhaltigkeitsökonomie Natur nur insofern vorkommt, als sie derartigen Interessen dienlich ist. Das hat wiederum Implikationen für die Gestalt einer nachhaltigen Wirtschaft (vgl. Faber/Manstetten 2003: Kapitel 12). Es könnte sich durchaus mit der Idee einer solchen Wirtschaft vertragen, wenn etwa in Deutschland weite Flächen mit Windrädern zugebaut würden oder wenn die Schweiz große, bisher weitgehend unberührte Tal- und Gletscherlandschaften der inneren Alpen in riesige Staubecken verwandeln würden, um damit für die eigene Wirtschaft, eventuell aber auch für die Wirtschaften angrenzender Länder, Energie aus erneuerbaren Ressourcen statt aus fossilen Brennstoffen bereitzustellen. Ebenso könnte man unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit gewaltige gentechnologische Veränderungen an Tieren und Pflanzen gutheißen, sofern gesichert wäre, dass damit die Nahrungsbasis und die Gesundheit für künftige Generationen verbessert würde. Das Leben der Menschen fände somit ausschließlich auf der Basis erneuerbarer Ressourcen statt. Erneuerbare Energien würden durch gewaltige Umgestaltungen natürlicher Lebensräume erschlossen (wie z. B. durch Produktionsanlagen für Wasser-, Wind- und Sonnenenergie), Ressourcen für Nahrung und Gesundheit durch neuartige Manipulationen zu maximaler Nützlichkeit für menschliche Zwecke präpariert (wie Nutztiere und Nutzpflanzen). 15 15

Da wir bisher rein konzeptionell vorgehen, haben wir die Frage außer acht gelassen,

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Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

Allgemein gesagt und wie oben bereits erläutert: Im Bereich der Nachhaltigkeitsökonomie operiert man mit Wissen über die gegenwärtigen Bestände an Ressourcen und an Schadstoffaufnahmekapazitäten, über die gegenwärtigen Technologien der Extraktion, der Güterproduktion und des Verkehrs, über die gegenwärtigen Konsummuster sowie über die Bevölkerungszahlen. Aus diesen Daten werden Entwicklungsmöglichkeiten extrapoliert und Szenarien zukünftiger Zustände entworfen. Normativ gesehen beinhaltet das Postulat der Nachhaltigkeit, den Ressourcen- und Umweltverbrauch der Gegenwart so zu gestalten, dass zukünftigen Generationen nicht weniger an Ressourcen und Schadstoffaufnahmekapazitäten zur Verfügung steht als der gegenwärtig lebenden. 16 Natur ist damit aber sowohl für die individualistische Umweltökonomie als auch für die Nachhaltigkeitsökonomie nichts weiter als die Lebensgrundlage für die Bedürfnisbefriedigung von Menschen. In jedem Fall wird also hier »… Natur primär als Inputlieferantin und damit das Ökosystem … als Teilbereich der Wirtschaft« (Nutzinger 2000: 83) angesehen. Selbst wenn mit gewaltigen Umgestaltungen von Landschaften oder massiven Eingriffen in das Erbgut von Tieren und Pflanzen kein Risiko und keine Unsicherheiten für gegenwärtige oder zukünftige Menschen verbunden wären, gibt es einen Gesichtspunkt, von dem aus derartige Handlungen problematisch erscheinen. Dieser Gesichtspunkt entspringt aus Antworten auf einen Komplex von Fragen, der weder in der Umweltökonomie noch in der Nachhaltigkeitsökonomie eine wesentliche Rolle spielt. Zu diesem Komplex gehört die Frage nach der Kreativität und Destruktivität heutiger Wirtschaften im Umgang mit ihrer natürlichen Umwelt, die zu der umfassenderen Frage der Stellung des Menschen in der Natur führt und in die Frage münden kann, ob und wie die Natur jenseits menschlichen Begehrens, Planens und Herstellens betrachtet werden kann. Derartige Fragen sollten unseres Erachtens Leitfragen einer Ökologiob eine solche nachhaltige Wirtschaft, in der die Natur kaum mehr die Möglichkeit hat, sich außerhalb der menschlichen Wünsche zu entwickeln, überhaupt denkbar ist. Es sei aber bereits hier darauf hingewiesen, dass es beispielsweise für Biologen eine Selbstverständlichkeit ist, auf die Notwendigkeit des Vorhandenseins von Wildpflanzen, die sich ohne menschliches Zutun entwickeln, zu verweisen. Solche Pflanzen stellen genetische Ressourcen auch und gerade für die Entwicklung von Nutzpflanzen dar. 16 Wie eine derartige Norm zu präzisieren oder gar zu operationalisieren ist, haben wir an anderer Stelle formuliert (vgl. Faber/Jöst/Manstetten 1995 bzw. o. Kapitel 8, Abschnitte 8.6 und 8.7).

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

schen Ökonomie sein. 17 Unter dem Begriff einer so verstandenen Ökologischen Ökonomie würden somit wichtige Aspekte gegenwärtiger menschlicher Wirtschaften erörtert, die sowohl in der individualistischen Umweltökonomie als auch in der Nachhaltigkeitsökonomie nicht hinreichend deutlich thematisiert werden können. Den Ideen zu einer Ökologischen Ökonomie liegen Vorstellungen von einer Wirtschaft zugrunde, die natürliche Ökosysteme nicht nur als ihre Lebensgrundlage ansieht, sondern als selbstständige Ganzheiten, die sich zugleich mit der Wirtschaft (und nicht nur für sie) entwickeln (vgl. o. Kapitel 13, Abschnitt 13.2.3). In deskriptiven Untersuchungen auf dem Feld einer derartigen Ökologischen Ökonomie wären gleichrangig die Bedeutung von natürlichen Ökosystemen für die Wirtschaft und die Bedeutung der Wirtschaft für natürliche Ökosysteme zu untersuchen. Normativ wäre Ökologische Ökonomie, in der Sprache der Biologie, die Lehre von einer Wirtschaft, die sich in die Eigendynamik des Naturhaushaltes einfügt, gleichsam eine Nische in ihm besetzt, seine Dynamik in gewissem Maße auch modifiziert, aber ihn nicht in seiner Eigenständigkeit bedroht. Man könnte auch sagen: Ökologische Ökonomie ist der Versuch, die Interaktion zwischen Wirtschaft und Natur unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass eine eigene »Würde der Natur« respektiert werden muss (Huber 1990: 233; vgl. Nutzinger/Radke 1995). Dass die Würde der Natur zu achten ist, könnte man als die wesentliche Norm einer Ökologischen Ökonomie jenseits der Nachhaltigkeitsökonomie bezeichnen. Begrifflich und methodisch führen sowohl die hier formulierte Norm der Nachhaltigkeitsökonomie als auch die Norm der Ökologischen Ökonomie in gewaltige Schwierigkeiten. Aber wie problematisch sowohl die Versuche der Nachhaltigkeitsökonomie als auch der Ökologischen Ökonomie sein mögen, Normen zu bestimmen und auf konkrete Inhalte zu beziehen, es lässt sich in jedem Fall klar sagen, worin sie sich unterscheiden: Die Norm der Nachhaltigkeit bezieht sich ausschließlich auf das Leben der Gattung Mensch. Wie die Natur gestaltet werden soll, hängt in der Nachhaltigkeitsökonomie, wenn die Norm der Nachhaltigkeit erfüllt ist, ausschließlich von den Vorstellungen der jeweiligen Menschen ab, die in dieser Natur leben. »One could say that ecological economics seeks to understand the human position in the world, where that world is being simultaneously created and destroyed by humans« (Proops 1989: 65).

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Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

Die Norm der »Würde der Natur« aber ist weitergehend und schließt ein eigenes Daseins- und Entfaltungsrecht der Natur ein, unabhängig davon, wie Menschen subjektiv Natur bewerten mögen. Zumindest als gedanklich zu konstruierendes Extrem ist die Idee einer nachhaltigen Wirtschaft vorstellbar, in der Menschen leben, ohne von einer freien, sich selbst überlassenen Natur umgeben zu sein; vom Standpunkt einer Ökologischen Ökonomie jedoch wäre eine solche Idee abzulehnen. Denn eine Ökonomie, die sich an der Norm einer »Würde der Natur« messen ließe, müsste das Ziel haben, das Bestehen und die Entfaltungsmöglichkeiten von Lebensräumen zu verteidigen und zu fördern, deren Entwicklung zumindest in gewissem Maße nicht von den Nutzenkonzepten der Menschen, seien es gegenwärtig oder zukünftig lebende, abhängt. 18 Zusammenfassend können wir die Unterschiede zwischen Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologischer Ökonomie folgendermaßen akzentuieren: Es handelt sich um zwei verschiedene Blickrichtungen auf das Verhältnis von Menschen zur außermenschlichen Natur. Um diese terminologisch klar zu unterscheiden, reservieren wir den Begriff »Ökologische Ökonomie« für Konzepte von Wirtschaften, in denen die eigenständige Entfaltung einer nicht gänzlich für Menschen daseiend gedachten Natur einen normativen Rang hat. Für Konzepte, in denen die Norm sich nur auf das langfristige Überleben der Menschheit bezieht, wählen wir den Begriff »Nachhaltigkeitsökonomie«. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass diese Konzepte, soweit es um eine kritische Bewertung gegenwärtigen Wirtschaftens und eine kritische Abstandnahme gegenüber den gegenwärtigen Wirtschaftswissenschaften geht, vielfach, wenn auch keineswegs in allen Fällen, zu denselben Resultaten gelangen. 14.4.2 Terminologische und methodische Probleme einer Ökologischen Ökonomie Der Ursprung der Idee einer Ökologischen Ökonomie ist nicht im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften zu suchen. Es waren zu18 Wenn man allerdings bedenkt, dass die Norm einer »Würde der Natur« in extremen Auslegungen zu Konzepten führen kann, in denen das Weiterbestehen der Gattung Mensch keine Rolle spielt (Lovelock 1979; vgl. Proops 1989), so besteht Anlass, darauf hinzuweisen, dass Ökologische Ökonomie die Frage des Fortbestandes der Menschheitsgattung mit einschließen muss, denn sonst wäre sie nicht »Ökonomie«.

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nächst vor allem interessierte Laien und Naturwissenschaftler, die mit dem Ausdruck »Ökologische Ökonomie« auf ihre unspezifische Erfahrung einer Wirtschaft reagierten, die sie als »nicht ökologisch« wahrnahmen (vgl. etwa Binswanger/Faber/Manstetten 1990). Mit »ökologisch« verbanden sie in der Regel Vorstellungen von einer umfassenden Harmonie, in der Menschen gemeinsam mit Tieren und Pflanzen »in der Natur« leben sollten. Obwohl kaum Klarheit über die Bedeutung dieser Harmonie bestand, waren sich die Verfechter einer Ökologischen Ökonomie einig in ihrer Kritik an der gegenwärtigen Wirtschaftsweise. Bis heute treffen in den Verwendungen des Begriffes Ökologische Ökonomie (soweit dieser Begriff nicht synonym mit Konzepten einer nachhaltigen Wirtschaft gebraucht wird) drei Aspekte zusammen, die nicht leicht miteinander vereinbar sind, nämlich (i) vorwissenschaftliche, (ii) wirtschaftswissenschaftliche und (iii) multidisziplinäre bzw. interdisziplinäre Gesichtspunkte. Zu (i): Der Begriff Ökologische Ökonomie ist eine vorwissenschaftliche Prägung in drei Hinsichten. a) Er umfasst Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich eines guten Zustands der außermenschlichen Natur. b) Er ist Reflex einer aus konkreten Beobachtungen entstammenden Erfahrung, die aufmerksame Laien in ihrer Umwelt machten (Funtowicz/Ravetz 1990). c) Er ist Ausdruck einer Suche nach Lösungen unspezifisch empfundener Probleme, die vor allem im politischen Raum wirksam wird. Zu (ii): Der Begriff Ökologische Ökonomie ist dabei, sich am Rande der Wirtschaftswissenschaften einen Platz zu verschaffen. Für diese Wissenschaften stellt er eine besondere Herausforderung dar. Denn er beinhaltet zugleich eine Kritik an gegenwärtigen Theorien und die Forderung nach einer neuen Theorie. Zu (iii): Der Begriff Ökologische Ökonomie greift mit seinen Implikationen auf sehr verschiedene Wissenschaftszweige über. Hinter ihm verbergen sich Probleme, die nicht dem Gebiet einer oder einiger weniger Wissenschaften zuzurechnen sind, sondern zwischen Physik und Biologie bzw. Philosophie und Theologie viele Natur- und Geisteswissenschaften betreffen (vgl. Faber/Manstetten/Proops 1996). Der Begriff Ökologische Ökonomie ist also keineswegs eindeutig (Proops 1989; Costanza 1991; Manstetten 1995). Wer als Wissenschaftler längere Zeit die Diskussionen verfolgt, die auf Tagungen, in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und insbesondere in der Öffent374 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

lichkeit unter dem Etikett einer Ökologischen Ökonomie geführt werden, stellt fest, dass die Diskussionsteilnehmer – häufig ohne es zu merken – damit ganz Verschiedenes meinen. Daher mag es naheliegend erscheinen, auf diesen Begriff ganz zu verzichten. Denn ist nicht der Wissenschaftler gehalten, auf allzu umfassende und unklare Begriffe zu verzichten und nur eindeutige sowie klar abgegrenzte Begriffe zu verwenden? Unter diesem Gesichtspunkt ist die Umweltökonomie ein wissenschaftlicher Ansatz, die Ökologische Ökonomie aber nicht. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Ökologische Ökonomie außerhalb aller Wissenschaft steht, im Gegenteil: Wir glauben, dass der Begriff Ökologische Ökonomie ein Feld fruchtbarer Überlegungen und Forschungen für Wissenschaftler verschiedener Disziplinen – von den Naturwissenschaften über die Sozialwissenschaften bis hin zu Philosophie und Theologie – bezeichnet. Untersuchungen auf diesem Feld gewinnen in der Regel, wenn die Wissenschaftler in einen echten interdisziplinären Dialog eintreten, der auch für Nicht-Wissenschaftler offen ist. 19 Von einer Ökologischen Ökonomie, die als Feld für einen Dialog jenseits der Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen aufgefasst wird, ist der Versuch zu unterscheiden, Ökologische Ökonomie als Paradigma einer Art Super-Wissenschaft zu konzipieren. Der Anspruch eines solchen Paradigmas besteht für seine Vertreter darin, natürliche, soziale und geistige Prozesse in einer einheitlichen Systemtheorie darzustellen. So wird etwa versucht, das Auftreten von Ordnungsmustern in ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen mit dem der Physik entlehnten Paradigma der Selbstorganisation zu erfassen. Auch wenn wir die mögliche Fruchtbarkeit solcher Versuche für die Entwicklung einer neuen Sichtweise auf Gesellschaft und Natur nicht in Abrede stellen wollen, scheint es uns notwendig, angesichts von Versuchen, eine Ökologische Ökonomie im Sinne einer allgemeinen Systemtheorie zu formulieren, vor der Gefahr von Analogieschlüssen zu warnen, in denen die spezifische Differenz von menschlichen und nicht-menschlichen Ordnungen verschliffen wird. Mit der Verschleifung dieser Differenz werden nämlich zugleich die wesentlichen ethisch-politischen, d. h. die handlungsrelevanten Fragen der Ökologischen Ökonomie beseitigt.

19 Eine Diskussion über Möglichkeiten und Gefahren einer Ökologischen Ökonomie findet sich in der Einleitung zu Faber/Manstetten/Proops (1996).

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14.4.3 Die Problematik des Menschenbildes der Ökologischen Ökonomie In der Ökologischen Ökonomie gehen wir von Menschen aus, die nicht nur nach der Natur für den Menschen und die Wirtschaft fragen, sondern primär nach dem Menschen und seiner Wirtschaft in der Natur fragen. Damit ist Natur nicht mehr, wie bei der Umweltökonomie und der Nachhaltigkeitsökonomie, ein Teilbereich der Wirtschaft, sondern es wird umgekehrt versucht, die Wirtschaft innerhalb der Entfaltung der Natur zu sehen (vgl. Faber/Manstetten/ Proops 1996; Faber/Manstetten 1998; 2003a). Das Ziel der Menschen in einer Ökologischen Ökonomie würde demgemäß darin bestehen, den Haushalt der Natur und den des Menschen in Einklang zu bringen (Ehrlich 1989). Diese Sicht wird von Daly (1992) als eine Art kopernikanische Wende unserer Auffassung von menschlichem Wirtschaften angesehen. Die Menschen in einer Ökologischen Ökonomie müssen dadurch gekennzeichnet sein, dass sie der Würde der Natur einen normativen Rang zusprechen und bereit sind, gemäß dieser Norm zu handeln. Während man in der Nachhaltigkeitsökonomie davon ausgeht, dass das Verhältnis von Mensch und außermenschlicher Natur ein Herrschaftsverhältnis ist, da hier der Mensch als ein Wesen vorgestellt wird, das über die Natur im Sinne des Lebens gegenwärtiger und künftiger Generationen von Lebewesen verfügt, wird in der Ökologischen Ökonomie das Verhältnis von Mensch und außermenschlicher Natur als ein (möglicherweise spannungsvolles) dialogisches 20 Miteinander konzipiert, worin die Natur Anspruch darauf hat, gehört zu werden. Wir haben bisher allerdings nichts darüber gesagt, wie eine derartige Konzeption von Ökologischer Ökonomie zu füllen wäre und Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Rede vom Dialog bezüglich der Natur voraussetzt, dass die Natur nicht nur Datenmaterial liefert, das Menschen registrieren und verarbeiten, sondern dass sie eine eigene Sprache spricht, die Menschen hören, lernen und verstehen könnten. Die Idee einer Natursprache findet sich bei so unterschiedlichen Denkern wie Jakob Böhme, Novalis, Henry David Thoreau und Walter Benjamin: Im Allgemeinen wird sie schöpfungstheologisch oder mystisch begründet (vgl. etwa Manstetten 1995; Becker 2003; Becker/Manstetten 2004; Becker/Faber/Hertel/Manstetten 2005). Obwohl die Idee einer Natursprache äußerst fruchtbar ist, insofern sie Horizonte des Denkens eröffnet, die man sonst kaum wahrnimmt, bedarf der Umgang mit ihr in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen größter Vorsicht, weil eine ideologische Verwendungsweise sehr naheliegend ist.

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Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

welche Bedeutung sie in der Wirklichkeit haben könnte. Damit setzen wir uns Einwänden aus, die sowohl aus (i) normativer als auch aus (ii) positiver Perspektive entspringen können. Zu (i): Es ist offen, wie und aufgrund welcher Kriterien man entscheiden kann, wann die Würde der Natur verletzt ist. Die Natur selbst hat keine Stimme und Sprache, um die Verletzung ihrer Würde einzuklagen. Es können nur Menschen sein, die im Dialog von Mensch und Natur als Sprecher und Anwälte der Natur auftreten; aber wenn sie dies tun, so können sie sich nicht darauf berufen, dass die Natur ihnen dafür ein Mandat gegeben hat. Ist nicht diese Norm, an der das Menschenbild der gesamten Ökologischen Ökonomie hängt, so weit es nicht in dem der Nachhaltigkeitsökonomie aufgeht, leer? Diese Frage muss bejaht werden, wenn man Norm im Sinne des Rechtes als eindeutige Anweisung auf gebotenes, erlaubtes und verbotenes Tun versteht. Zu (ii): Selbst wenn aus der Norm der Würde der Natur eindeutige Anweisungen zu gewinnen wären – wo gibt es Menschen, die bereit wären, diesen Anweisungen entweder unmittelbar zu folgen oder ihnen eine institutionalisierte Form zu geben, die ihnen Gesetzeskraft verleiht? Ist es nicht wirklichkeitsfern, in einer Zeit, wo in vielen Teilen der Welt nicht einmal die Würde des Menschen geachtet wird, Achtung vor der Würde der Natur zu postulieren? Und selbst wenn es einzelne Menschen gäbe, die zu einer solchen Achtung bereit wären und ein plausibles Verständnis für die Würde der Natur zeigen würden – jede Wirtschaft, auch eine Ökologische Ökonomie, ist eine Lebensform, die eine ganze Gesellschaft umgreift, sie kann nicht Sache einzelner Ausnahmegestalten sein.

14.5 Ausblick: Aufmerksamkeit und Dankbarkeit gegenüber der Natur als vorbereitende Haltungen für eine Ökologische Ökonomie Statt derartige Einwände im Detail zu untersuchen, möchten wir abschließend einen Weg ansprechen, der dem Bild des Menschen in einer Ökologischen Ökonomie zumindest in ersten Andeutungen Leben verleihen kann. Dieser Weg entspringt einer von Aristoteles begründeten Tradition von Ethik, wie sie in unserer Zeit etwa von MacIntyre (1984) aufgenommen wurde. Für diese Tradition sind die 377 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

Grundlagen der ethischen Orientierungen der Menschen nicht Normen, sondern Tugenden und die ihnen entsprechenden Haltungen. Dass man in der ethischen Diskussion heute eher über Normen und ihre Begründungen als über Tugenden und Haltungen spricht, liegt daran, dass Tugenden und Haltungen begrifflich schwer zu spezifizieren und kaum stringent zu begründen sind. Wenn wir trotz der unvermeidlichen Unschärfe im Folgenden über Haltungen sprechen, so liegt dies daran, dass wir glauben, damit eine Dimension der Fragen einer Ökologischen Ökonomie ansprechen zu können, die sich dem wissenschaftlichen Zugriff entzieht. Da nicht-wissenschaftliche Argumente nicht zwingend überzeugen können, sondern bestenfalls plausibel erscheinen mögen (vgl. Faber/Manstetten/Proops 1996: Kapitel 12), nehmen wir damit allerdings in Kauf, dass manche, vielleicht sogar nicht wenige Leser die folgende Argumentation kaum verständlich, wenn nicht sogar unklar finden werden. Unseres Erachtens gibt es Haltungen der Menschen zu sich selbst und zur Natur, die auf die Idee einer Ökologischen Ökonomie verweisen, Haltungen, die bereits jetzt, wenn auch unscheinbar, da sind. Es ist an der Zeit, sie in Erinnerung zu rufen, zu pflegen und zu fördern. Zwei miteinander verbundene Aspekte solcher Haltungen wollen wir hervorheben: Der eine ist die Aufmerksamkeit, der andere die Dankbarkeit. (i) Der Aufmerksamkeit bedarf die erscheinende Natur, um in ihrer eigenen Daseinsweise aufgenommen zu werden. Diese Aufmerksamkeit ist heute mehr denn je gefährdet – zum einen durch den Blick der Naturwissenschaften, dessen Aufmerksamkeit ausschließlich auf die durch unsere Erkenntnisapparate präparierte Natur gerichtet ist (vgl. Faber/Manstetten/Proops 1996: Kapitel 12, insbesondere 234–240), zum anderen aber durch eine technisch geprägte Umwelt, in der Natur jenseits des menschlichen Machens immer weniger erfahrbar wird. Dennoch ist es weiterhin möglich, solche Aufmerksamkeit zu pflegen. Besonders intensiv kann dies angesichts einer als schön wahrgenommen Natur gelingen. Dass Natur sich als schön zeigt, kann nur da geschehen, wo in ihr etwas zur Erscheinung gelangt, was nicht völlig von Menschen gestaltet und beherrscht ist. Das muss nicht Natur außerhalb aller menschlichen Gestaltung sein: Selbst eine moderne Großstadtlandschaft kann unter einem bestimmten Licht, das unversehens auf sie fällt, etwa unter dem Rot eines Abendhimmels, Aspekte des Naturschönen annehmen. Dennoch wird das Naturschöne am ehesten erfahren, wo dem 378 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

menschlichen Machen ein Anderes, nicht Machbares, komplementär entgegentritt, etwa in alten Kulturlandschaften wie der Toskana, Burgund oder der Lüneburger Heide, in denen das Tun des Menschen und die Entfaltung der Natur sich zu einem eigenständigen Bild verbinden. Aufmerksamkeit bedeutet geduldige, hingebungsvolle Hinwendung zu ihrem Gegenstand. Sie erfordert, von der eigenen Sorge, ja, in gewisser Weise selbst von den eigenen ethischen Vorstellungen Abstand nehmen zu können, so weit diese die dem Gegenstand entgegengebrachte Offenheit beeinträchtigen. Allerdings ist die Aufmerksamkeit, obgleich sie ein ursprünglicher Zugang des Menschen zur Welt und zu sich ist, nicht etwa selbstverständlich, quasi natürlich gegeben. Unter den Bedingungen unserer Gegenwart ist Aufmerksamkeit eine gefährdete Haltung. Zerstreutheit und Sensationsgier machen sie unmöglich. Aufmerksamkeit ist heute nicht einfach vorauszusetzen, sie muss eingeübt und gepflegt werden. Daher bedarf sie heute, obwohl sie in ihrem Wesen in wörtlichem Sinn »sorglos« ist, dennoch einer spezifischen Sorge in dem Sinne, das Menschen und Gesellschaften sich darum zu sorgen haben, dass der Weltzugang der Aufmerksamkeit erhalten bleibt. Aufmerksamkeit gegenüber der Natur muss darüber hinaus von einer weiteren Sorge begleitet werden, nämlich der Sorge um den Erhalt freier Natur. Aufmerksamkeit in diesem Sinne ist zwar eine Kategorie des Ästhetischen, hat als Haltung aber nichts mit Ästhetentum und Ästhetizismus zu tun, insofern für sie – im Gegensatz zur Interesselosigkeit, wie sie Kant in der »Kritik der Urteilskraft« postulierte – das Dasein des Objektes, nämlich der freien Natur, essentiell ist. Genauer gesagt, die Möglichkeit, freier Natur zu begegnen, muss erhalten werden. Daher kann diese Aufmerksamkeit auch praktisch werden – im Grenzfall sogar gegen ein einseitiges Verständnis von Nachhaltigkeit, das im Namen der Zukunftssicherung der Menschheit außermenschliche Natur zu zerstören erlaubt, ohne ausreichend nach Alternativen geforscht zu haben. Wenn wir vom Bild des Menschen in einer Ökologischen Ökonomie sprechen, müssen wir einen weiteren Aspekt von Aufmerksamkeit ansprechen: Aufmerksamkeit gegenüber uns selbst: Wirtschaftliches Handeln geht letztlich zurück auf Vorstellungen von einem guten Leben auf Seiten des Handelnden. So ginge es darum, sich darüber bewusst zu werden: Wie kommt Natur in diesen Vorstellungen vor? Hat sie dort überhaupt einen anderen Stellenwert als 379 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

den, Ressource unserer eigenen Bedürfnisbefriedigung oder – wenn wir über uns hinaus ethisch denken im Sinne der Nachhaltigkeit – menschlicher Bedürfnisbefriedigung überhaupt zu sein? Diese Aufmerksamkeit ist besonders wichtig, weil in einer ehrlichen Antwort auf die hier gestellte Frage sichtbar wird, ob wir nicht schon in der Anlage unseres Lebens die Norm einer Würde der Natur ausschließen. Häufig geschieht das unbewusst, indem wir gar nicht wahrnehmen, welche Folgen unser Verhalten auf die Natur hat. Viele Menschen haben zwar ein ursprüngliches Interesse am Dasein einer freien Natur, bemerken aber zu wenig, dass dieses Interesse mit anderen Interessen, die aus ihren Vorstellungen vom guten Leben resultieren, keineswegs widerspruchsfrei zusammengeht. Die ökologisch höchst problematische Flug- oder Autoreise zu einem Flecken unzerstörter Natur in fernen Ländern mag als Beispiel genügen. Es wäre somit viel gewonnen, wenn Menschen von sich sagen könnten, dass Natur in ihrer Vorstellung vom guten Leben und in ihrer praktischen Lebenseinstellung eine eigenständige Würde hat, selbst wenn sie damit jeweils Verschiedenes meinen. (ii) Noch unscheinbarer und zugleich noch gefährdeter als die Haltung der Aufmerksamkeit ist eine andere Haltung, die Menschen überhaupt erst fähig macht, eine wie immer bestimmte Würde der Natur zu respektieren: Die Dankbarkeit. Unser Dasein mit seinen Grundlagen haben wir nicht selbst gemacht, sondern empfangen. Auch wenn wir uns selbst und die Welt um uns zunehmend nach unserem Willen gestalten können, setzen wir nicht bei Null an. Sowohl uns selbst als auch die Voraussetzung für die Mittel zu unserer Gestaltung finden wir immer bereits vor. Die moderne Idee des Fortschrittes lässt indes das Vorgefundene nur als dasjenige erscheinen, von dem man möglichst weit weg, von dem man »fortschreiten« will. Angesichts der Bedrohtheit des Menschen durch Natürliches, durch Naturkatastrophen, Missernten, Seuchen etc. ist das relative Recht der Idee des Fortschritts – zumindest für die Vergangenheit – nicht zu bestreiten. Aber diese Idee hat dazu geführt, dass die Menschheit mehr und mehr vergisst, dass die Möglichkeit zum Fortschritt genau in demjenigen liegen muss, wovon sie fortschreiten will. Dieses Vergessen hat dazu geführt, dass wir achtlos aus der Natur genommen haben, was wir zu brauchen meinten, ohne uns daran zu erinnern, dass es uns gegeben wurde. Selbst unsere eigene Natur ist uns dabei so fremd geworden, dass wir versuchen, selbst die Grenzen unseres Daseins, Zeugung und Tod, menschlicher 380 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie

Verfügungsgewalt zu unterwerfen. Dankbarkeit im ursprünglichsten Sinne bedeutet, unser aufmerksames Denken dorthin zu richten, von wo uns etwas zuteil wird, und liebend anzunehmen, was uns zuteil wird. Diese liebende Annahme ist kein Fatalismus, kein bloßes Hinnehmen, sondern kann auch in einer freien Gestaltung des Angenommenen liegen, eine Gestaltung indes, die nie die Erinnerung an die Herkunft des Angenommenen tilgen darf. Für eine derartige Gestaltung finden sich in der Kunst immer wieder Beispiele. Dankbarkeit gegenüber der Natur wurzelt in der Aufmerksamkeit für die Quelle der Möglichkeiten unserer Lebensgestaltung. Allerdings gewinnt diese Aufmerksamkeit in der Dankbarkeit einen eigenen Akzent, einen Zug der liebenden Zuwendung und des SichVerpflichtet-Wissens, der über die reine Wahrnehmung hinausgeht. In früheren Zeiten, z. T. aber auch noch heute, war Dankbarkeit ein Kern religiöser Rituale: Der Dank für das empfangene Dasein wurde in der Gemeinschaft gefeiert. Die Dankbarkeit dafür, dass wir das, womit wir wirtschaften, woraus wir unser Leben gestalten, empfangen haben und immer wieder empfangen müssen, dass es uns also nicht vollständig zu eigen ist, wurde in vielen Religionen z. T. praktisch umgesetzt in ökonomisch relevanten Vorschriften, die die Nutzung und Beherrschung der Natur begrenzten – man denke etwa an das Sabbatjahr im alten Israel, in dem die Bestellung der Felder untersagt war. Alte Formen solcher Dankbarkeit wieder zu entdecken und, wo nötig, neue zu finden, Formen die zugleich menschliche Lebensformen sind und das Leben einer Gesellschaft prägen können, erscheint uns als eine wesentliche Aufgabe ökologischen Denkens. Eine ökologische Ökonomie im Zeichen der Aufmerksamkeit und Dankbarkeit gegenüber der Natur ist keine Wissenschaft. Sie könnte aber der Wissenschaft – den Naturwissenschaften wie den Sozialwissenschaften – vorausgehen im Sinne eines Ideals: die Wirtschaft selbst so zu gestalten, dass in ihren Formen die Dankbarkeit des Menschen gegenüber seiner Herkunft zum Ausdruck kommt.

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15. Malthus und Wordsworth Ein Beitrag zum Menschenbild der Ökologischen Ökonomie In Zusammenarbeit mit Christian Becker und Kirsten Hertel

15.1 Einleitung Ökologische Ökonomie ist der Name für eine noch junge Disziplin, die sich erst in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als eigenständige Forschungsrichtung etabliert hat. Im Gegensatz zum Mainstream der gegenwärtigen Wirtschaftswissenschaften hat die Ökologische Ökonomie bis heute keine einheitliche Fragestellung und kein einheitliches Paradigma (s. o. Kapitel 14). Bis heute ist es auch nicht gelungen, eine allen beteiligten Forschern gemeinsame Begrifflichkeit zu entwickeln. Dies muss keine Schwäche sein: In vielen Geistes- und Sozialwissenschaften ist der sogenannte Pluralismus der Methoden gang und gäbe, und er ist keineswegs per se ein Hindernis für den Gewinn wissenschaftlicher Erkenntnis. Allerdings erweist es sich auch in diesen Wissenschaften als hinderlich, wenn Ansätze bei aller Heterogenität nicht in ein Gespräch gebracht und in einer gemeinsamen Sprache verglichen und kritischer Reflexion unterzogen werden. Häufig nimmt ein unvoreingenommener Beobachter gleichsam ein buntes und unübersichtliches methodisches Allerlei wahr: Bestimmte Forschungs- und Diskussionszusammenhänge entwickeln eigene Sprach- und Kommunikationsmuster, die sogar für Außenstehende aus derselben Disziplin nicht verständlich sind. Damit geht die Möglichkeit verloren, die anscheinende Vielfalt der Paradigmen, Begriffe und Methoden so zu sichten und zu klären, dass die unter ihnen tatsächlich vorhandenen Gegensätze klar hervortreten können. Wenn dies geschieht, zeigt es sich häufig, dass sich die Vielfalt der Ansätze auf wenige echte Gegensätze in Annahmen und Paradigmen reduzieren lässt. Im Folgenden wollen wir zeigen, dass sich nicht wenige Debatten in der gegenwärtigen Ökologischen Ökonomie auf zwei gegensätzliche Sichtweisen auf den Menschen und seine Entwicklung zurückführen lassen, die weitaus älter sind als diese Disziplin. Wenn 382 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Malthus und Wordsworth

wir diese Muster mit zwei Namen versehen, denen von Thomas Robert Malthus (1766–1834) einerseits, von William Wordsworth (1770–1850) andererseits, so heißt das nicht, dass diese beiden Autoren Urheber dieser Muster sind; deren Ursprünge mögen vielmehr noch wesentlich weiter in die Vergangenheit zurückreichen. Wohl aber finden sich in den Überlegungen von Malthus und Wordsworth besonders klar ausgeprägt zwei grundsätzlich gegensätzliche Denkformen, in denen das Verhältnis von Mensch und Natur auf dem Feld der Wirtschaft thematisiert werden kann. Der überwiegende Teil der Publikationen innerhalb der Ökologischen Ökonomie lässt sich dem malthusianischen Vorgehen zurechnen, ein nicht geringer Teil weist Parallelen zu Wordsworth auf, und in nicht wenigen Veröffentlichungen werden beide Ansätze gemischt, gelegentlich so, dass den jeweiligen Verfassern ihre Gegensätzlichkeit nicht recht bewusst wird. Somit eröffnet die folgende Untersuchung zu Thomas Robert Malthus und William Wordsworth neue Einsichten in die Grundlagen der Ökologischen Ökonomie, insbesondere bezüglich des Verständnisses von Natur und Mensch, welches ökologisch-ökonomischer Forschung zugrunde liegt (vgl. Proops 1989: 60; Faber/ Manstetten/Proops 1996: 1 ff.; Costanza/Cumberland/Daly/Goodland/Norgaard 2001). 1 Der Bezug auf Malthus ist innerhalb der Ökologischen Ökonomie nicht neu. Diese beruft sich verschiedentlich darauf, in der Tradition der ökonomischen Klassik zu stehen (vgl. z. B. Christensen 1989; Spash 1999; Costanza/Cumberland/Daly/Goodland/Norgaard 2001) und schließt hierbei auch Malthus mit ein (Christensen 1989: 20, Daly 1996: 129 ff., Costanza/Cumberland/Daly/Goodland/Norgaard 2001: 32). Die Beziehung zu Malthus ist allerdings noch nicht ausführlich untersucht worden. Malthus veröffentlicht 1798 sein Hauptwerk »An Essay on the Principle of Population«, in dessen Zentrum seine These von der prinzipiellen Begrenztheit des Bevölkerungswachstums durch die Beschränktheit der natürlichen Lebensgrundlagen steht. Auf diese These beziehen sich auch verschiedene Beiträge der Ökologischen Ökonomie (vgl. Costanza/Perrings/Cleveland 1997). Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass Malthus’ ökonomisches Denken in einem spezifischen philosophischen und reliFür einen Überblick über die Ziele und grundlegenden Fragen der Ökologischen Ökonomie siehe auch Becker (2003: Kapitel 2).

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Teil 3 Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie

giösen Kontext steht und durch eine ganz bestimmte Auffassung von der Natur und vom Menschen gekennzeichnet ist (vgl. Abschnitt 15.2). Das Verständnis dieses Kontextes und seiner Bedeutung für Malthus ist notwendig, um sein ökonomisches Denken angemessen zu verstehen. Hieraus gewinnt jedoch zugleich auch die Frage nach der Beziehung ökologisch-ökonomischen Denkens zu Malthus eine neue Bedeutung. Um einen gegensätzlichen ideengeschichtlichen Horizont der Ökologischen Ökonomie aufzuzeigen, wird das Denken von Malthus im Folgenden mit dem eines Zeitgenossen kontrastiert: William Wordsworth. 2 Dieser veröffentlicht im selben Jahr 1798, in dem Malthus’ Hauptwerk erscheint, gemeinsam mit Samuel Taylor Coleridge (1772–1834) die Lyrical Ballads, die als Beginn der Englischen Romantik gelten. Wordsworth wird zugleich als einer der bedeutendsten Dichter dieser Geistesströmung angesehen. Wordsworth erlebt, wie Malthus, den Beginn modernen Wirtschaftens: Die industrielle Revolution und den liberalen ökonomischen Zeitgeist. Wordsworth beobachtet die gleiche ökonomische Wirklichkeit wie Malthus, liefert aber eine völlig andere Interpretation dazu. Dies resultiert daraus, dass Wordsworths Überlegungen zur Ökonomie in einem ganz anderen philosophischen Kontext 3 eingebettet sind als die von Malthus. Wordsworth sieht in der modernen Ökonomie einen inhärenten Widerspruch zwischen Mensch und Natur, der zu einer grundsätzlichen Gefährdung der Natur führt. Sein Denken verweist damit bereits am Ende des 18. Jahrhunderts auf mögliche Wurzeln der heutigen Umweltkrise. 4 Letztere ist nämlich gemäß seiner Sichtweise Hinsichtlich der durchaus komplexen Beziehung von Wordsworth zur Politischen Ökonomie seiner Zeit und zu Malthus im Besonderen sei auf Connell (2001) verwiesen. Eine Darstellung der Bezüge von Wordsworth zu Adam Smith findet sich auch in Becker (2003: 156 ff.). 3 Mit »philosophischem Kontext« sind hier Wordsworths grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Mensch, Natur und Gott gemeint, welche dieser auch nach eigenem Selbstverständnis als »philosophisch« charakterisiert: So bezeichnet er sein größtes literarisches Projekt »The Recluse« – von dem nur die Teile »The Prelude« und »The Excursion« vollendet wurden – als: »… a philosophical poem, containing views of Man, Nature and Society.« (Wordsworth Excursion: Preface 1814). 4 Im Zeitraum zwischen 1800 und 1850 haben verschiedene Dichter eine besondere Aufmerksamkeit für die neuartigen Entwicklungen in der Politischen Ökonomie und in der realen Wirtschaftsweise entwickelt – insbesondere für die hiermit verbundenen negativen Folgen für die Natur. Neben Wordsworth sind hier der deutsche Frühromantiker Novalis (1772–1801) und etwas später auch der Amerikaner Henry David Thoreau 2

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Malthus und Wordsworth

bereits in den Grundlagen der modernen Wirtschaft angelegt. Wordsworth liefert somit eine frühe ökologische Kritik der modernen Ökonomie. Im Hinblick auf die Ökologische Ökonomie stellen wir in diesem Kapitel folgende Fragen: (i) In welcher Hinsicht lässt sich von einem Bezug der Ökologischen Ökonomie zu Malthus’ Denken sprechen? (ii) Welche Bedeutung hat die Sichtweise von Wordsworth für die Ökologische Ökonomie? Ist seine Analyse des Verhältnisses von Wirtschaft und Natur und sein Naturbezug ein näher liegender ideengeschichtlicher Bezugspunkt der Ökologischen Ökonomie als das Denken von Malthus? (iii) Wie geht die Ökologische Ökonomie grundsätzlich mit dem philosophischen Kontext der Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Natur um? Im Folgenden werden in Abschnitt 15.2 die philosophischen und theologischen Überlegungen von Malthus zum Verhältnis von Natur, Mensch und Gott skizziert, in Abschnitt 15.3 entsprechend die grundlegenden Auffassungen von Wordsworth. In den Abschnitten 15.4 und 15.5 werden vor diesem Hintergrund jeweils die Überlegungen von Malthus und Wordsworth zur Ökonomie sowie zum Verhältnis von Ökonomie und Natur analysiert und gegenübergestellt. Schließlich wird in Abschnitt 15.6 die Bedeutung dieser beiden Perspektiven für Ideengeschichte und philosophische Grundlegung der Ökologischen Ökonomie diskutiert.

15.2 Malthus: Der Gegensatz von Mensch und Natur als Wille Gottes Der Ausgangspunkt von Malthus’ Überlegungen in seinem »Essay on the Principle of Population« ist »the general question of the future improvement of society« (Malthus 1798/1976: 15). Die Antwort, die Malthus auf diese Frage gibt, beinhaltet nicht nur gesellschaftspolitische und ökonomische Aspekte, sondern gründet wesentlich auf philosophischen und theologischen Reflexionen. Im Vordergrund seines »Essays« steht zunächst die Diskussion (1817–1862) zu nennen (vgl. Becker 2003; Becker/Manstetten 2004). Auch in Goethes »Faust« lassen sich wichtige Hinweise auf mögliche Wurzeln der modernen Umweltkrise finden (vgl. Binswanger/Faber/Manstetten 1990; Faber/Manstetten 2003a: Kapitel 7).

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und Begründung einer These, die später als das malthusianische Gesetz bezeichnet wurde: Nach Malthus liegen dem Wachstum der Bevölkerung und der Nahrungsmittelproduktion Naturgesetzlichkeiten zugrunde, die in sich die logische Notwendigkeit einer Knappheit der Nahrungsversorgung bergen und schließlich zu Elend und Armut führen. Denn die Bevölkerung wächst nach Malthus aufgrund natürlicher Gesetzmäßigkeit immer wesentlich schneller als der landwirtschaftliche Output: »I say, that the power of population is indefinitely greater than the power in the earth to produce subsistence for man. Population, when unchecked, increases in a geometrical ratio. Subsistence increases only in an arithmetical ratio« (Malthus 1798/1976: 20). 5 »Ich behaupte, dass die Vermehrungskraft der Bevölkerung unbegrenzt größer ist als die Kraft der Erde, Unterhaltsmittel für den Menschen hervorzubringen. Die Bevölkerung wächst, wenn keine Hemmnisse auftreten, in geometrischer Reihe an. Die Unterhaltsmittel nehmen nur in arithmetischer Reihe zu« (Malthus 1977: 18). Diese Gesetzmäßigkeit hat notwendig negative Konsequenzen für die Menschen und »the general question of the future improvement of society«: »This implies a strong and constantly operating check on population from the difficulty of subsistence. This difficulty must fall some where and must necessarily be severely felt by a large portion of mankind. … The race of plants and the race of animals shrink under this great restrictive law. And the race of man cannot, by any efforts of reason, escape from it. Among plants and animals its effects are waste of seed, sickness, and premature death. Among mankind, misery and vice« (Malthus 1798/1976: 20). »Dies bedeutet ein ständiges, energisch wirkendes Hemmnis für die Bevölkerungszunahme aufgrund von Unterhaltsschwierigkeiten, die unweigerlich irgendwo auftreten und notwendigerweise von einem beachtlichen Teil der Menschheit empfindlich verspürt werWir verwenden in diesem Kapitel durchgehend Originalzitate von Malthus und Wordsworth, um – insbesondere bei letzterem – die mit einer Übersetzung einhergehenden Verzerrungen der Einheit von Inhalt und ästhetischer Form zu vermeiden. Zudem existieren keine vollständigen Übersetzungen von Wordsworths Schriften ins Deutsche. Als Lesehilfe bieten wir jedoch für alle längeren Zitate Übersetzungsvorschläge. Die Übersetzungen zu Malthus Essay sind durchweg der Übersetzung von Christian Barth entnommen (Malthus 1977), die Übersetzungen der Zitate von Wordsworth sind eigene, sinngemäße Übersetzungen.

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den. … Die Pflanzen- und Tierarten schrumpfen unter diesem großen, einschränkenden Gesetz zusammen. Auch das Menschengeschlecht vermag ihm durch keinerlei Bestrebungen der Vernunft zu entkommen. Bei Pflanzen und Tieren bestehen seine Auswirkungen in der Vertilgung des Samens, in Krankheit und vorzeitigem Tod, bei den Menschen in Elend und Laster» (Malthus 1977: 18). Diese Überlegungen haben einen bedeutenden Einfluss auf Darwin ausgeübt (s. o. Kapitel 12, Abschnitt 12.4.2). Für Malthus ist indes relevant, dass er seine wesentlichen Gedanken in einen philosophischen und theologischen Kontext stellt, 6 in welchem ein bestimmtes Verständnis von Natur, Mensch und Gott zum Ausdruck kommt. Die Welt, wie sie ist, ist für Malthus letztlich Ausdruck göttlichen Willens. Darin eingeschlossen ist der unausweichliche Zwang, dem sich der Mensch angesichts der beschriebenen gesetzmäßigen Ordnung der Natur ausgesetzt sieht: »I should be inclined … to consider the world and this life as the mighty process of God, not for the trial, but for the creation and formation of mind, a process necessary to awaken inert, chaotic matter into spirit, to sublimate the dust of the earth into soul, to elicit an ethereal spark from the clod of clay. And in this view of the subject, the various impressions and excitements which man receives through life may be considered as the forming hand of his Creator, acting by general laws, and awakening his sluggish existence, by the animating touches of the Divinity, into a capacity of superior enjoyment. The original sin of man is the torpor and corruption of the chaotic matter in which he may be said to be born« (Malthus 1798/1976: 117 f.). »Ich bin geneigt …, die Welt und dieses Leben als einen machtvollen Prozess Gottes anzusehen, der nicht der Prüfung der Menschen, sondern der Schöpfung und Gestaltung des Geistes dient – Die Einbettung seiner Theorie in einen theologischen Kontext nimmt Malthus in den letzten beiden Abschnitten seines Essays vor, allerdings nur in der ersten Auflage von 1798. In den folgenden Auflagen lässt Malthus diese weg, unter Umständen, um einen Konflikt mit der Anglikanischen Kirche zu vermeiden, mit deren Lehre seine theologischen Überlegungen nicht vollständig im Einklang standen (vgl. Pullen 1981: 44 ff.). Der Umstand, dass der theologische und philosophische Kontext von Malthus’ Denken in den weiteren Auflagen des Essays nicht mehr deutlich herausgestellt wurde, mag dazu beigetragen haben, dass sein ökonomisches Denken und seine Bevölkerungstheorie in der Folgezeit oftmals isoliert wahrgenommen und damit teilweise auch nur unzureichend verstanden wurde (Pullen 1981: 39 ff.). Eine ausführliche Untersuchung von Malthus’ theologischem Denken und seiner Bedeutung innerhalb des Essays bieten Pullen (1981) oder Waterman (1983). 6

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ein notwendiger Prozess, um träge, chaotische Materie zum Geist zu erwecken, um Erdenstaub in Seele zu verwandeln, um dem Erdenkloß einen himmlischen Funken zu entlocken. Unter eben diesem Gesichtspunkt können die verschiedenen Eindrücke und Erschütterungen, die der Mensch sein Leben hindurch erfährt, als die gestaltende Hand seines Schöpfers betrachtet werden, der durch allgemeingültige Gesetze wirkt und des Menschen träger Existenz durch die belebenden Berührungen des Göttlichen die Fähigkeit höherer Freuden verleiht. Die Ursünde des Menschen besteht in der Trägheit und Verderbtheit der chaotischen Materie, der er entstammen soll« (Malthus 1977: 153). Malthus sieht die Schöpfung des Geistes (creation and formation of mind) aus der Materie als einen fortwährenden Prozess göttlichen Willens an, wobei der Geist das gottgewollte höhere Prinzip darstellt, das sich von der niedrigen Materie (der Natur) abhebt und im Menschen lokalisiert ist. Natur ist also für Malthus geistlos. Mit Geist ist wesentlich der menschliche Verstand gemeint, welcher in der Lage und dazu aufgerufen ist, die Gesetzmäßigkeit der göttlichen Ordnung und der daraus folgenden gesellschaftlichen Ordnung zu erkennen. 7 Hierauf beruht schließlich die Herausbildung aller geistigen Fähigkeiten und aller Tugenden des Menschen. Der Geist (mind) erhebt sich jedoch nicht von sich aus. Seine Vervollkommnung bedarf äußeren Druckes (excitements). Diesen erfährt der Mensch durch die Natur: Durch seine Bedürfnisse ist er gezwungen zu wirtschaften, und die naturgegebenen Prinzipien des Wachstums der Bevölkerung und der Nahrungsmittelproduktion verursachen ständige Notwendigkeit und ständigen Anreiz für die Anstrengung und Entwicklung des Geistes. In dieser Hinsicht stehen das von Malthus behauptete Naturgesetz des unterschiedlichen Wachstums der Bevölkerung und der Nahrungsproduktion sowie das daraus zwangsläufig resultierende Elend schließlich im Dienste des göttlichen Zieles der Vervollkommnung des menschlichen Geistes: »To furnish the most unremitted excitements … it has been ordained that population should increase much faster than food. This Mind ist nach Pullen (1981: 41) umfassend zu verstehen als »intellectual, moral, cultural, aesthetic, and spritual« Fähigkeiten bzw. Qualitäten des Menschen. Diese beruhen allerdings bei Malthus letztlich wesentlich auf der Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis der gesetzmäßigen Ordnung der Welt, also auf der Fähigkeit des Verstandes.

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general law … undoubtedly produces much partial evil, but a little reflection may perhaps satisfy us that it produces a great overbalance of good. Strong excitements seem necessary to create exertion, and to direct this exertion, and form the reasoning faculty, it seems absolutely necessary that the Supreme Being should act always according to general laws« (Malthus (1798/1976: 120). »Um die unablässigsten Anreize … zu bieten … ist es die göttliche Bestimmung, dass die Bevölkerung viel rascher zunehmen soll als die Nahrung. Dieses allgemeingültige Gesetz … ruft ohne Zweifel viele einzelne Übel hervor, doch vermag eine kleine Überlegung uns vielleicht zu beruhigen, dass nämlich das Gute, das es erzeugt, ein großes Übergewicht besitzt. Starke Anreize scheinen notwendig zu sein, um Anstrengungen zu bewirken; um diese zu steuern und die Vernunftfähigkeit herauszubilden, scheint es absolut notwendig, dass das Höchste Wesen stets nach den allgemeingültigen Gesetzen handelt« (Malthus 1977: 156). Geist (mind) und Natur sind bei Malthus als Gegensätze gedacht. Der Geist des Menschen geht aus »the torpor and corruption of the chaotic matter« (ibid. 117) hervor und es bedarf äußeren Druckes, damit der Mensch sich gemäß göttlicher Vorsehung so über diesen niederen Zustand der Natur erheben kann. Ohne solchen äußeren Anreiz bleibt der Mensch das, was er ursprünglich ist, »man as he really is, inert, sluggish, and averse from labour unless compelled by necessity« (ibid. 120). Natur ist also bei Malthus im Wesentlichen durch zwei Aspekte gekennzeichnet: Sie ist (i) ein geistloser, mangelhafter und negativer Zustand der Trägheit und Verdorbenheit, der zu überwinden ist, und sie zeigt (ii) eine gesetzmäßige Ordnung, welcher auch der Mensch notwendig unterworfen ist. Diese Sicht bedeutet eine Variante des neuzeitlichen Naturverständnisses. Mensch bzw. Geist und Natur bleiben bei Malthus wie schon bei Francis Bacon (1561–1626) oder René Descartes (1596–1650) zwei getrennte Entitäten, die sich gegenüberstehen, wobei der menschliche Geist in gewisser Weise ein höherwertiges Prinzip darstellt. Bei Bacon jedoch kann und soll sich der Mensch, vermöge seines Verstandes, die Natur aufgrund ihrer gesetzmäßigen Ordnung mit Hilfe von Wissenschaft und Technik untertan machen (vgl. Bacon 1990: 613). Dies beinhaltet letztlich die Idee einer vermöge Wissenschaft und Technik zu erreichenden vollständigen Befreiung des Menschen aus seiner Abhängigkeit von der Natur, und damit einer 389 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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endgültigen Überwindung von Elend wie Hunger oder Krankheiten (vgl. Schäfer 1993: 102 sowie Faber/Manstetten 2003a: 101). Malthus sieht dagegen die Gesetze der Natur nicht einfach als Möglichkeit zu deren Beherrschung oder gar Überwindung, sondern vielmehr zugleich und vor allem als unumgängliche Bedingung des menschlichen Seins. Der Mensch kann zwar die Gesetze der Natur erkennen und sich zu Nutze machen. Gerade dies fordert und schult seinen Verstand und ist ein notwendiger Anreiz für seine Entwicklung. Die Natur kann jedoch im Weltbild von Malthus prinzipiell nicht überwunden werden. Der durch das malthusianische Gesetz bestehende Zwang bzw. Anreiz muss notwendig ständig bestehen bleiben, um fortwährend Geist aus der trägen Materie hervorzubringen und den Menschen zur Weiterentwicklung seines Verstandes und zu tugendhaftem Verhalten anzuhalten. In dieser Hinsicht besteht für Malthus ein prinzipielles beständiges Gegeneinander von Natur und Geist, und die Natur bleibt eine letztlich nie überwindbare Beschränkung und Bedingung menschlichen Handelns. Die Natur, von der Malthus spricht, bringt den Menschen in eine Situation der Knappheit. Knappheit bei Malthus ist nicht mit derjenigen Knappheit gleichzusetzen, die für Robbins (1932) den Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften ausmacht (vgl. o. Kapitel 12, Abschnitt 12.3). Betont Robbins das Moment der Wahl, die Möglichkeit, in Knappheitssituationen auf Alternativen auszuweichen, was unterstellt, dass es für knappe Güter Substitute gibt, so akzentuiert Malthus eine gewisse Unausweichlichkeit, wie sie aus der Natur als einer letzten Schranke für alles menschliche Handeln hervorgeht. Es ist nicht Zufall, dass das Knappheitskonzept von Malthus vor allem bei Darwin und in der ihm folgenden Ökologie reüssierte: Malthus sieht den Menschen in letzter Instanz dem gleichen Zwang unterworfen, dem laut Darwin alle nicht-menschlichen Populationen unterstehen (vgl. o. Kapitel 12, Abschnitt 12.4.2). Ist dieser Zwang auch als Stachel für den menschlichen Geist anzusehen, so heißt das nicht, dass sich der Geist je aus seiner Abhängigkeit herauswinden kann. Warum aber soll sich der menschliche Geist anstrengen, sich von der Natur möglichst weit abzulösen? Ist es nicht diese Anstrengung selbst, die ihn noch tiefer in seine Abhängigkeit verstrickt? Diese kritische Anfrage kann man gegen Malthus richten, wenn man seine Lehre mit den Augen von Wordsworth sieht.

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15.3 William Wordsworth: Die ursprüngliche Einheit von Natur und Mensch in einem gemeinsamen göttlichen Ursprung Der Unterschied von Wordsworths Sicht auf das Verhältnis von Mensch, Natur und Gott zu den Positionen von Malthus lässt sich an ihrer jeweiligen Interpretation der Kindheit deutlich machen: Für Malthus ist der anfängliche, naturverhaftete Zustand des Menschen unbefriedigend und unvollkommen. Erst durch die Entwicklung seines Verstandes erreicht der Mensch eine wenigstens relative Loslösung von der Natur und einen ihm gemäßen Zustand. In diesem Sinne hält Malthus daher auch das Kind für noch unvollkommen. Der Geist bzw. der Verstand des Kindes ist noch nicht entwickelt; in einem Kind ist daher das eigentliche menschliche Potential noch unentfaltet, so dass die Kindheit sich insgesamt als ein Zustand darstellt, von dem sich der Mensch so weit wie möglich ablösen sollte: »It would be a supposition attended with very little probability to believe that a complete and full formed spirit existed in every infant, but that it was clogged and impeded in its operations during the first twenty years of life by the weakness, or hebetude, of the organs in which it was enclosed« (Malthus 1798/1976: 118). »Es wäre eine wenig wahrscheinliche Annahme, dass in jedem Kind ein abgerundeter, voll ausgeprägter Geist existiere, der nur in den ersten zwanzig Lebensjahren durch die Schwäche oder Stumpfheit der Organe, in denen er eingeschlossen war, in seinen Handlungen gehemmt oder behindert worden sei« (Malthus 1977: 153). Dieser negativen Bewertung des Kindes durch Malthus steht eine Hochachtung des Kindes bei Wordsworth gegenüber. Für letzteren zeigt das Kind noch die unmittelbare Nähe zum göttlichen Geist, der alle Natur durchwaltet und aus dem die Seele des Kindes hervorgegangen ist. Im Kind liegt daher für Wordsworth alle Wahrheit und dieser unmittelbare Bezug geht ihm erst im Laufe seiner Entwicklung verloren. Dies wird etwa in seiner Ode »Intimations of Immortality From Recollections of Early Childhood« deutlich: 8 »Our birth is but a sleep and a forgetting:/ The Soul that rises with us, our life’s Star/ Hath had elsewhere its setting,/ And cometh from afar:/ Not in entire forgetfulness,/ And not in utter nakedness,/ But trailing clouds of glory do we come/ from God, who is our Zur Bedeutung und Sichtweise des Kindes in Wordsworths Denken siehe weiter auch die Bücher I und II des »Prelude«.

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home:/ Heaven lies about us in our infancy!/ … The Youth … still is Nature’s Priest,/ And by the vision splendid/ Is on his way attended;/ At length the Man perceives it die away,/ And fade into the light of common day« (Wordsworth 1807/1936: 58–78). »Unsre Geburt ist nichts als ein Schlaf und ein Vergessen:/ Die Seele, die mit uns aufsteigt, unser Lebensstern/ Hatte woanders schon ihren Schauplatz,/ Und sie kommt von weit her:/ Nicht gänzlich ohne Erinnerung,/ Und auch nicht gänzlich nackt,/ Aber Glanz und Herrlichkeit mit uns bringend/ Kommen wir von Gott, unsrem Zuhause:/ Der Himmel umgibt uns in unserer Kindheit!/ … Der Jugendliche … ist noch immer der Natur Priester,/ Und wird von der herrlichen Vision/ Auf seinem Weg begleitet;/ Schließlich sieht der Mann sie schwächer werden,/ Und im Licht des gewöhnlichen Tags zerrinnen« (Wordsworth 1807/1936: 58–78; unsere Übersetzung). Wordsworth geht davon aus, dass ein göttliches, geistiges Prinzip Natur und Mensch gleichermaßen durchwaltet, welches beider Einheit begründet und mit dem die Seele des Kindes noch ganz unmittelbar verbunden ist. Dieses geistige Prinzip ist also nicht identisch mit dem menschlichen Verstand. Durch die Entwicklung des Verstandes entfernt sich der Mensch vielmehr zunächst von der anfänglichen Nähe zur ursprünglichen Wahrheit. Und erst in Erinnerung seiner Kindheit und im Austausch mit der Natur kann er sich dieser auf einer anderen Ebene der Reflexion wieder nähern. Das geistige Prinzip, das Mensch und Natur verbindet, zeigt sich in der Fähigkeit des menschlichen Geistes zur schöpferischen Produktivität, zur Hervorbringung von Neuem, von Erfindung oder Kunst. Diese schöpferische Fähigkeit findet sich zugleich in ursprünglicher Weise in der Natur, die selbst ein Ausdruck immerwährender Evolution, ständigen schöpferischen Hervorbringens, ist: »To every Form of being is assigned …/ An active Principle: – howe’er removed/ From sense and observation, it subsists/ In all things, in all natures; in the stars/ Of azure heaven, the unenduring clouds,/ In flower and tree, in every pebbly stone/ That paves the brooks, the stationary rocks,/ The moving waters, and the invisible air./ … from link to link/ It circulates, the Soul of all the worlds./ … and yet is reverenced least,/ And least respected in the human Mind,/ Its most apparent home« (Wordsworth »Excursion«: IX 1 ff.). »Jedweder Form des Daseins ist zugeteilt …/ Ein aktives Prinzip: – wie entrückt auch immer/ Dem Sinn und der Beobachtung, lebt 392 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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es/ In allen Dingen, in allen Naturen; in den Sternen/ Des blauen Himmels, den unbeständigen Wolken,/ In Blume und Baum, in jedem kiesligen Stein,/ Der die Bäche pflastert, in den festverankerten Felsen,/ Den bewegten Wassern, und der unsichtbaren Luft./ …, von einem Verbindungsglied zum anderen/ Zirkuliert es, die Seele aller Welten./ … und wird doch am wenigsten verehrt,/ Und am wenigsten respektiert vom menschlichen Geist,/ Seinem offenkundigsten Zuhause« (Wordsworth »Excursion«: IX 1 ff.; unsere Übersetzung). Die Fähigkeit zur schöpferischen Produktivität ist damit ein Ausdruck der ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur (vgl. ibid.). 9 Ihre vollkommene Verwirklichung bedarf allerdings nach Wordsworths Überzeugung notwendig eines engen wechselseitigen Bezuges von Mensch und Natur: »I seemed … to have sight/ Of a new world – a world, too, that was fit/ To be transmitted and made visible/ To other eyes, as having for its base/ That whence our dignity originates,/ That which both gives it being, and maintains/ A balance, an ennobling interchange/ Of action from within and from without:/ The excellence, pure sprit, and best power/ Both of the object seen, and eye that sees« (Wordsworth »Prelude« 1805, XII 370 ff.). »Ich schien … gewahr zu werden/ einer neuen Welt – einer Welt, die auch dazu geeignet war/ andren Augen vermittelt und sichtbar gemacht zu werden,/ denn ihre Grundlage ist/ das, wo unsre Würde ihren Ursprung hat,/ das, was ihr sowohl Leben gibt und was erhält/ eine Balance, einen erhebenden Austausch/ von innerem und äußerem Tun:/ Die Vorzüglichkeit, der reine Geist und die beste Kraft/ sowohl des gesehenen Objekts als auch des Auges, welches sieht« (Wordsworth »Prelude« 1805: XII 370 ff.; unsere Übersetzung). Wordsworth betont eine wichtige Seite des Menschen: Seine Möglichkeit zur Kreativität, zum schöpferischen Hervorbringen. Im Gegensatz zum Verstand, der als nur menschliches Vermögen gedacht wird, zeigt sich dieses schöpferische Vermögen auch in der Natur. Die schöpferische Kraft im Menschen und die in der Natur sich offenbarende Schöpfungskraft stehen in einem unaufhebbaren Bezug zueinander. Denn die menschliche Schöpfungskraft braucht eine Orientierung bzw. ein Maß. Sie ist keine göttliche, die aus sich selbst heraus schaffen kann, sondern sie braucht die Orientierung an bzw. 9

Vgl. hierzu ausführlicher Stallknecht (2000) oder auch Becker (2003: 128 ff.).

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den Austausch mit der Natur und der sich in dieser offenbarenden ursprünglichen (göttlichen) Schöpfungskraft (an ennobling interchange). Diese Orientierung der menschlichen kreativen Kraft ermöglicht dann eine Vollendung sowohl des Menschen als auch der Natur. Die Natur ist also für Wordsworth in diesem Sinne ein ursprünglicher Bezugspunkt für den menschlichen Geist, der ihm Orientierung gibt und – der pantheistischen Überzeugung des jungen Dichters gemäß – immer auch auf das göttliche Durchdrungensein, das ›one life‹, die göttliche Einheit alles Seienden verweist. Es besteht somit eine innere Gemeinsamkeit zwischen Natur und Mensch. Malthus und Wordsworth unterscheiden sich also deutlich in ihren philosophischen bzw. religiösen Grundüberzeugungen, in ihrem Verständnis des Menschen und der Natur sowie deren Beziehung. Hieraus resultieren schließlich auch jeweils sehr unterschiedliche Sichtweisen der Ökonomie sowie des Verhältnisses von Wirtschaft und Natur. Diesem Zusammenhang widmen sich die nächsten beiden Abschnitte 15.4 und 15.5.

15.4 Malthus und die Naturgesetzmäßigkeit der liberalen Ökonomie Für Malthus ist ein gewisser Gegensatz zwischen Mensch und Natur bereits in logischer und gottgewollter Gesetzmäßigkeit angelegt und vorhanden (vgl. Abschnitt 15.2). Ökonomisches Handeln sowie ökonomische Strukturen haben diesem gesetzmäßigen Gegensatz von Natur und Mensch Rechnung zu tragen. Die zeitgenössische liberale Ökonomie tut nach Malthus’ Auffassung genau dieses. Sie ist für ihn ein konsequenter Ausdruck der gottgewollten Ordnung. Die individualistisch-mechanistische Sicht des Wirtschaftsprozesses teilt Malthus ebenso mit Adam Smith wie den Glauben daran, dass sich hier eine gottgegebene gesetzliche Ordnung einstellt, analog zu den Gesetzen in der Natur, die ebenfalls als Ausdruck einer göttlichen Weisheit gesehen werden. Allerdings setzt Malthus dabei einen Akzent, der ganz anderes an dieser Ökonomie hervorhebt als diejenigen Züge, die der aufgeklärte Deist Adam Smith (s. o. Kapitel 3) wahrnahm. Während Smith hoffte, dass das Wirken der unsichtbaren Hand langfristig selbst den Armen ein erträgliches Los zuweisen würde, sah Malthus die Verelendung breiter Schichten als eine geradezu zwangsläufige Folge der Selbstorganisation der Wirtschaftsgesell394 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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schaft. Gleichwohl kommt er mit Smith darin überein, dass es – in der Regel – nichts Besseres gebe als das Gewährenlassen der quasi naturgesetzlichen Abläufe der Wirtschaft. Malthus sieht die gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen seiner Zeit als logischen Ausdruck bzw. natürliche Folge der von ihm behaupteten Gesetzmäßigkeit. Sie sind somit auch nicht einfach spezifischer Ausdruck der Zeit, in der Malthus lebt, sondern gelten seiner Ansicht nach quasi zeitlos. Wesentliche Elemente der zeitgenössischen Ökonomie ergeben sich gleichsam als Folge natürlicher Ordnung. Dies verdeutlicht Malthus in einer Kritik an William Godwins 10 Idee einer idealen Gesellschaft, die auf Basis menschlicher Vernunft errichtet ist und in der Gleichheit und Wohlwollen das Wohl aller ihrer Mitglieder gleichermaßen sicherstellen soll (vgl. Godwin 1793/1971). Malthus weist diese Idee als wider die Gesetze der Natur und somit unmöglich zurück: »And thus it appears that a society constituted according to the most beautiful form that imagination can conceive, with benevolence for its moving principle instead of self-love, and with every evil disposition in all its members corrected by reason and not force, would, from the inevitable laws of nature, and not from any original depravity of man, in a very short period degenerate into a society constructed upon a plan not essentially different from that which prevails in every known State at present; I mean, a society divided into a class of proprietors, and a class of labourers, and with self-love the main-spring of the great machine« (Malthus 1798/1976: 75). »Somit ist also klar, dass eine Gesellschaft, die auf der schönsten von der Vorstellungskraft je ersonnenen Verfassung begründet ist, in welcher Nächstenliebe statt Eigenliebe das bewegende Prinzip ist, wo bei sämtlichen Mitgliedern jede schlechte Anlage durch Vernunft und nicht durch Zwang verbessert wird, dass eine solche Gesellschaft infolge der unabdingbaren Gesetze der Natur – nicht jedoch wegen einer angeborenen Verderbtheit des Menschen – in ganz kurzer Zeit 10 Die Auseinandersetzung mit William Godwin (1756–1836) prägt die Kapitel X-XV von Malthus’ »Essay«. Malthus bezieht sich hier auf Godwins Abhandlung »An Enquiry Concerning Political Justice and its Influence on General Virtue and Happiness« (1793/1971). Godwin entwirft hier eine Sozialutopie, die davon ausgeht, dass auf der Basis der natürlichen Gleichheit und der Vernunft der Menschen eine gerechte und ideale Gesellschaft entstehen könnte, und dies nur durch die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen, insbesondere durch die Institution des Eigentums, verhindert würde.

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zu einer Gesellschaft entarten würde, die nach einem Muster eingerichtet wäre, das sich von dem in jedem bekannten Staat heutzutage herrschenden nicht wesentlich unterscheidet; das bedeutet eine Gesellschaft, die in eine Klasse der Eigentümer und eine Klasse der Arbeiter geteilt ist und in der die Eigenliebe die wichtigste Triebfeder der großen Maschine darstellt« (Malthus 1977: 96). Die gesetzmäßige Ordnung der Gesellschaft, die quasi wie eine große Maschine (great machine) funktioniert, mit dem Eigennutzen (self-love) als bestimmendem Antrieb menschlichen Handelns, ist logische Folge der unvermeidbaren Gesetze der Natur (the inevitable laws of nature). Dasselbe gilt für die Tatsache, dass es immer Arme und Reiche geben muss, und ein gewisses Maß an Elend der Armen unausweichlich ist (vgl. Malthus 1798/1976: 74; 115; 121). Nach Malthus sind also sowohl solche grundsätzlichen Ausprägungen der wirtschaftlichen Sphäre seiner Zeit als auch das Elend der arbeitenden Klasse zumindest prinzipiell kein Ausdruck menschlichen Irrtums oder gesellschaftlicher Fehlentwicklung, sondern vielmehr Ausdruck bzw. logische Konsequenz natürlicher und damit zugleich gottgewollter Gesetzmäßigkeit. 11

15.5 Wordsworths Entdeckung eines inhärenten Widerspruchs zwischen der modernen Ökonomie und der Natur Zu Malthus’ Denken und seinen Folgerungen hinsichtlich der zeitgenössischen Wirtschaft stehen Wordsworths Auffassungen in deutlichem Gegensatz. 12 Für Wordsworth ist die Ökonomie seiner Zeit keineswegs eine gottgewollte Ordnung, die sich aus natürlichen Gesetzen ergibt. Diese Ökonomie und ihre Folgen, insbesondere auch die in ihr bestehenden sozialen Ungleichheiten, sind ein von den Menschen selbst erzeugtes, spezifisches Charakteristikum der Zeit: »Alas! what differs more than man from man!/ – And whence Für eine weitergehende Darstellung von Malthus’ ökonomischen und gesellschaftstheoretischen Folgerungen siehe etwa Winch (1987), Sieferle (1990: 81–113) und Jöst (2002). 12 Wordsworth hat bereits die erste Auflage von Malthus’ »Essay« von 1798 gekannt (vgl. Wu 1993: 94; Connell 2001: 18 ff.). Obgleich Malthus nicht explizit genannt wird, können einige Stellen bei Wordsworth als ein unmittelbarer Bezug auf die Ideen von Malthus verstanden werden (vgl. etwa »Excursion«: IX 205–328 oder »Prelude« XII 85 ff.; vgl. hierzu weiter auch Connell 2001: 41 ff.). 11

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that difference? – Whence but from himself?« (Wordsworth »Excursion«: IX 206). »Ach! Was unterscheidet mehr sich als der eine Mensch vom andren!/ Und woher dieser Unterschied? Woher sonst als von ihm selbst?« (Wordsworth »Excursion«: IX 206; unsere Übersetzung). Wordsworth beobachtet die Veränderungen, die zu seiner Zeit im Rahmen der Industrialisierung stattfinden. Er sieht in diesen eine völlig neuartige, bisher noch nicht da gewesene Form menschlichen Wirtschaftens mit ungeahnten Auswirkungen: »An inventive Age/ Has wrought, if not with speed of magic, yet/ To most strange issues. I have lived to mark/ A new and unforeseen creation rise/ From out the labours of a peaceful Land/ Wielding her potent enginery to frame/ And to produce, with appetite as keen/ As that of war, which rests not night or day,/ Industrious to destroy!« (Wordsworth »Excursion«: VIII 87–94). »Ein erfinderisches Zeitalter/ hat, wenn auch nicht mit magischer Geschwindigkeit, so doch/ höchst seltsame Angelegenheiten herbeigeführt. Ich habe bereits/ eine neue und unvorhergesehene Schöpfung/ aus den Mühen eines friedlichen Landes erwachsen sehen,/ die ihre mächtige Maschinerie zum Entwickeln/ und zum Produzieren einsetzt, mit kräftigem Appetit,/ dem Appetit des Kriegs vergleichbar, der weder Tag noch Nacht ruht,/ arbeitsam, mit dem Ziel zu zerstören!« (Wordsworth »Excursion«: VIII 87–94; unsere Übersetzung). Drei Punkte hebt Wordsworth bei der Charakterisierung der Wirtschaft seiner Zeit hervor: (i) Die Geschwindigkeit, (ii) das Unvorhergesehene und Neuartige, sowie (iii) die ungeheuere Dynamik des umfassenden Wandels. Die Analogie zum Krieg bei der Beschreibung dieses Wandels weist darauf hin, dass er potentiell zerstörerische Wirkungen mit sich bringt. Woraus ergibt sich dieses zerstörerische Potential der modernen Ökonomie? Es ist für Wordsworth Folge einer Entfremdung des modernen ökonomischen Menschen von der Natur. Dadurch verliert dieser die für eine fruchtbare Entfaltung seines schöpferischen Handelns notwendige Orientierung. Maß dieser Orientierung wäre die Natur, wenn der Mensch nicht in seiner Entfremdung den Sinn für dieses Maß verloren hätte. Dies gilt insbesondere für sein ökonomisches Handeln. Seinem Wesen nach ist auch das ökonomische Handeln laut Wordsworth Ausdruck des schöpferischen, produktiven Vermögens des Menschen. Ist aber das Maß, der lebendige Bezug zur Natur ver397 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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loren, so wird ökonomisches Handeln zu einem maßlosen und haltlosen Hervorbringen von unbegrenzt neuen Gütern. Das Neue moderner Wirtschaft ist nach Wordsworth der Verlust eines natürlichen Maßes des Wirtschaftens (vgl. Kapitel 12). An die Stelle einer Orientierung an der Natur tritt eine Orientierung am Gewinn: »Men, maidens, youths,/ Mother and little children, boys and girls,/ Enter [the fabric], and each the wonted task resumes/ Within this temple, where is offered up/ To Gain, the master-idol of the realm,/ Perpetual sacrifice« (Wordsworth »Excursion«: VIII 180– 185). »Männer, junge Frauen, Jugendliche,/ Mutter und kleine Kinder, Jungen und Mädchen,/ Treten ein, ein jeder seine gewohnte Arbeit aufnehmend,/ in diesem Tempel, in welchem/ dem Gewinn, dem Meistergötzen des Reiches/ fortwährend Opfer dargeboten werden« (Wordsworth »Excursion«: VIII 180–185; unsere Übersetzung). Die fehlende Orientierung an der Natur und ihre Ersetzung durch eine Orientierung am Gewinn führen zu einem Verlust des inneren Maßes für das schöpferische bzw. produktive Handeln. Das Gewinnstreben wird grenzenlos. Aus einer Orientierung an diesem folgt grenzenloses Produzieren. Dieser Verlust an innerem Maß wird etwa deutlich in Wordsworths Beschreibung von London und dem dortigen Jahrmarkt: »… there, see/ A work that’s finished to our hands, that lays,/ If any spectacle on earth can do,/ The whole creative powers of man asleep./ … What a hell/ For eyes and ears, what anarchy and din/ Barbarian and infernal – ’tis a dream/ Monstrous in colour, motion, shape, sight, sound./ …/ All out-o’-th’-way, far fetched, perverted things,/ All freaks of Nature, all Promethean thoughts/ Of man – his dulness, madness and their feats,/ All jumbled up together to make up/ This parliament of monsters. Tents and booths/ Meanwhile – as if the whole were one vast mill –/ Are vomiting, receiving, on all sides,/ Men, women, three-years’ children, babes in arms … O, blank confusion, and a type not false/ Of what the mighty city is itself/ …/ To the whole swarm of its inhabitants –/ An undistinguishable world to men/ The slaves unrespited of low pursuits,/ Living amid the same perpetual flow/ Of trivial objects, melted and reduced/ To one identity by differences/ That have no law, no meaning, and no end –/ Oppression under which even highest minds/ Must labour, whence the strongest are not free« (Wordsworth »Prelude« 1805: VII 652–707). 398 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Malthus und Wordsworth

»… Du hast ein Beispiel hier zur Hand, ein Werk, das,/ wenn irgend ein Erdenschauspiel dies kann,/ die gesamten schöpferischen Kräfte des Menschen gänzlich lahmlegt,/ … Welch eine Hölle/ Für Augen und Ohren, welch Lärmen und anarchisches Getöse/ barbarisch und infernal – s’ ist ein Traum –/ in Farbe, Bewegung, Form, Aussehen und Klang monsterhaft./ … All dies ungewöhnliche, weit hergeholte, pervertierte Dinge,/ alle Launen der Natur, prometheische Gedanken/ des Menschen – sein Stumpfsinn, sein verrücktes Wähnen, seine Heldentaten,/ alles durcheinander gemischt, um dieses/ Parlament von Monstern zu bilden. Zelte und Buden/ unterdessen – als ob dies alles eine riesige Fabrik wär’ –/ erbrechen und empfangen allerseits,/ Männer, Frauen, dreijährige Kinder, Babies auf Armen, … Oh, sinnentleerte Wirrnis, von Art her nicht ungleich/ dessen, was die Großstadt selbst ist/ …/ dem gesamten Schwarm ihrer Einwohner –/ Eine nicht auszumachende Welt für Menschen,/ Sklaven unablässigen niederen Strebens,/ die inmitten des selben immerwährenden Flusses/ von trivialen Objekten leben, verschmolzen und reduziert/ zu einer einzigen Identität durch Unterschiede,/ die gesetzlos, sinnlos und ewig ziellos sind –/ Unterdrückung, unter der sich selbst große Geister/ quälen müssen, und von der auch die Stärksten nicht frei sind« (Wordsworth »Prelude« 1805: VII 652–707; unsere Übersetzung in Anlehnung an die Übersetzung des »Prelude« von 1850 von Fischer 1974). Wordsworth sieht hier die Maß- und Haltlosigkeit einer Produktivität, die keine Orientierung an der Natur mehr kennt. 13 Die moderne Ökonomie kann sowohl für den Menschen selbst als auch für die Natur zerstörerische Kräfte entfalten, wenn sie die menschliche Schöpferkraft nur an sich selbst bindet und sie an das ihr innewohnende Gewinnstreben fesselt. Der Mensch wird letztlich selbst zu einem passiven Werkzeug dieser Form des Wirtschaftens mit ihrer unbegrenzten Dynamik: »Our life is turned/ Out of her course, wherever man is made/ An offering, or a sacrifice, a tool/ Or implement, a passive thing employed/ As a brute mean, without acknowledgment/ Of common right or interest in the end;/ Used or abused as selfishness may 13 Vgl. hierzu auch den Vergleich zwischen Wordsworths Kritik an einer maßlosen städtischen Zivilisation und George Gissings »The Nether World« (1889) in Hertel (1997: 162 ff.).

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prompt./ Say, what can follow for a rational soul/ Perverted thus, but weakness in all good/ And strength in evil?« (Wordsworth »Excursion«: IX 113–122). »Unser Leben ist/ aus seiner Bahn geraten, wo immer der Mensch/ zu einer Gabe oder einem Opfer, einem Werkzeug gemacht wird,/ einem Gerät, einem passiven Ding, das eingestellt wird/ als rohes Mittel, ohne Anerkennung/ seiner wahren Rechte oder seines Interesses am Ziel;/ benutzt oder ausgenutzt wie der Eigennutz es auch immer vorgibt./ Sag, was kann sich für eine rationale, derart pervertierte Seele/ daraus ergeben, als Abwendung von allem Guten/ und Stärke im Bösen?« (Wordsworth »Excursion«: IX 113–122; unsere Übersetzung). Es ist aber zugleich auch die Natur – und es ist Wordsworths besondere Leistung, dass er diesen Zusammenhang erkennt – die hierdurch missachtet wird und potentiell gefährdet ist: »I grieve, when on the darker side/ Of this great change I look; and there behold/ Such outrage done to nature as compels/ The indignant power to justify herself;/ Yea, to avenge her violated rights,/ For England’s bane« (Wordsworth »Excursion«: VIII 151–156). »Ich traure, wenn ich die dunkle Seite/ dieser großen Veränderung betrachte; und dort/ solche Gräueltat an der Natur erkenne, die sogar/ die empörte Macht dazu zwingt, sich selbst zu rechtfertigen;/ ja, ihre verletzten Rechte zu rächen,/ zu Englands Fluch (Wordsworth »Excursion«: VIII 151–156; unsere Übersetzung). Wordsworth sieht in den ökonomischen Strukturen seiner Zeit einen unnatürlichen Gegensatz zwischen Mensch und Natur und damit verbunden die Ökonomie seiner Zeit als eine neuartige Form der Naturentfremdung. Im Gegensatz zu Malthus und der zeitgenössischen Politischen Ökonomie betrachtet Wordsworth die Natur nicht einfach nur als Rahmenbedingung menschlicher Entwicklung und ökonomischen Handelns, sondern thematisiert die wechselseitige Beziehung und schließlich die Einheit von Mensch und Natur in einem gemeinsamen göttlichen Ursprung. Ökonomie wird von ihm erst unter der Perspektive dieser Überlegungen zum Verhältnis von Mensch und Natur betrachtet. Diese Sichtweise ermöglicht es Wordsworth, die Auswirkungen der modernen Ökonomie auf den Menschen und auf die Natur in einer Weise zu thematisieren, die der Politischen Ökonomie dieser Zeit – insbesondere Malthus – so nicht möglich war. Wordsworth sieht dadurch nicht nur die bedrohliche Rolle der zeitgenössischen 400 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Malthus und Wordsworth

Ökonomie für das Leben der Menschen, sondern zugleich auch die damit verbundenen negativen Folgen dieser Form von Ökonomie für die Natur. Diese Einsicht beruht nicht auf der Beobachtung tatsächlicher Umweltschäden. Sie ergibt sich weitgehend aus Wordsworths Lebensgefühl, dem wachen Blick für Veränderungen in den sozialen Umständen und im Verhalten der Menschen und einer Analyse der Grundlagen und Strukturen der modernen Wirtschaft vor dem Hintergrund seines Verständnisses von Natur und Mensch. Gerade dieser Umstand gibt Wordsworths Denken eine besondere Relevanz für die Ökologische Ökonomie.

15.6 Folgerungen aus der Gegenüberstellung dieser beiden Perspektiven für die Ökologische Ökonomie Das Denken von Malthus und Wordsworth ist von sehr unterschiedlichen philosophischen bzw. theologischen Sichtweisen des Verhältnisses von Mensch, Natur und Gott geprägt. Auf diesem Unterschied beruht die Differenz in ihren jeweiligen Überlegungen und Folgerungen zur Ökonomie. Durch die Gegenüberstellung von Malthus und Wordsworth wird deutlich, dass eine Untersuchung zur Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Natur, die im Zentrum der heutigen Ökologischen Ökonomie steht, wesentlich von dem zugrundegelegten Verständnis des Menschen und der Natur abhängt. Während Malthus die zeitgenössische Wirtschaft als eine logische Folge der naturgesetzlichen Ordnung der Welt sieht, macht Wordsworth in der Ökonomie seiner Zeit ein innewohnendes Moment der Entfremdung des (wirtschaftenden) Menschen von der Natur aus. Dies lässt Wordsworths Überlegungen sowie sein Verständnis von Natur und Mensch als eine bedeutende ideengeschichtliche Quelle für eine Ökologische Ökonomie im eigentlichen Sinn (s. o. Kapitel 14) erscheinen. 15.6.1 Das Malthusianische in der Ökologischen Ökonomie und seine konzeptionelle Tragweite Ein gewichtiger Teil der heutigen Ökologischen Ökonomie basiert – und dies zumeist unreflektiert – auf einer Idee von der Natur und ihrer Bedeutung für den Menschen, welche man als malthusianisch 401 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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bezeichnen kann: Dies betrifft die für die Ökologische Ökonomie wichtige Diskussion um die Bedeutung der Thermodynamik für das Verhältnis von Wirtschaft und Natur. Im Anschluss an GeorgescuRoegen (1971) spielen in der Ökologischen Ökonomie die zwei Hauptsätze der Thermodynamik eine bedeutende Rolle. Hieraus wird eine notwendige Bedingtheit und Begrenztheit der wirtschaftlichen Prozesse durch naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit abgeleitet (vgl. Daly 1977, 1980, 1987, 1992, 1996; Kümmel 1980; Niemes 1981; Faber/Niemes/Stephan 1983a, 1995; Ruth 1993; Ecological Economics 22, 1997: Special Issue, Baumgärtner 2000; Baumgärtner/Faber/Schiller 2006). In diesen Überlegungen findet sich das Naturbild von Malthus in seinen Grundstrukturen insofern wieder, als auch hier die Natur als eine objektive, (natur)gesetzmäßige Struktur aufgefasst wird, der das menschliche Handeln und Wirtschaften notwendig unterworfen ist. 14 In diesem Sinne wird die Natur als eine absolute äußere Grenze gesehen, die dem wirtschaftlich handelnden Menschen entgegensteht (vgl. hierzu auch Isenmann 2003). Diese Einsicht ist sicherlich bedeutsam. Die Ökologische Ökonomie deckt hiermit eine notwendige Bedingtheit der Wirtschaft durch die Gesetze der Thermodynamik auf und formuliert damit einen wesentlichen Zusammenhang zwischen Ökonomie und Natur. 15 Dass ökonomische Aktivität den Gesetzen der Thermodynamik Rechnung tragen muss, ist eine notwendige Voraussetzung für eine langfristige Vereinbarkeit von Ökonomie und Natur. Zugleich macht diese Perspektive jedoch nur einen Aspekt des Verhältnisses von Wirtschaft und Natur sichtbar. Andere Aspekte bleiben in dieser Perspektive verborgen oder werden hierdurch unter Umständen sogar verstellt. Denn diese Betrachtungen basieren auf einem ganz spezifischen, eingeschränkten Verständnis der Natur: Diese wird als nur naturgesetzliche Struktur gesehen und als eine äußere Beschränkung der Wirtschaft. Die Frage nach einer Vereinbarkeit von Ökonomie und Natur kann so nicht umfassend betrachtet werden. Dies gilt insbesondere und verschärft, wenn zugleich der wirtschaftende Mensch als Homo Hierbei stützt man sich allerdings auf eine moderne naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit. Die Aussage ist daher insofern strenger begründet als bei Malthus, der seine Gesetzmäßigkeit aufgrund weniger Beobachtungen intuitiv herleitete. 15 Die thermodynamischen Überlegungen im Rahmen der Ökologischen Ökonomie können auch als eine wissenschaftliche Präzisierung der unspezifischen Sichtweisen des Club of Rome verstanden werden. 14

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Malthus und Wordsworth

oeconomicus, als selbstbezogener rationaler Nutzenmaximierer, verstanden wird. 16 Dann erscheinen die äußeren Beschränkungen durch die Natur ausschließlich als Schranke und Zwang: Der Homo oeconomicus muss sein Eigeninteresse, soweit diesem die Schranken der Natur als ein äußerer Zwang entgegenstehen, beschränken. Eine langfristige Vereinbarkeit von Wirtschaft und Natur scheint folglich nur denkbar, indem der Homo oeconomicus sich dem Zwang beugt, den die ihm entgegenstehende Natur auferlegt. Eine andere Form der Vereinbarkeit von Wirtschaft und Natur, etwa in Form einer Gemeinsamkeit und inneren Einheit von wirtschaftendem Menschen und Natur, lässt sich im Rahmen eines solchen Natur- und Menschenbildes nicht begründen. 17 15.6.2 Wordsworths Denken als ideengeschichtliche Quelle für die Ökologische Ökonomie Die in diesem Kapitel skizzierte Gegenüberstellung der philosophischen Sichtweisen von Malthus und Wordsworth verweist auf diesen Umstand. Sie zeigt, dass das in Abschnitt 15.6.1 skizzierte – an einer malthusianischen Perspektive orientierte – Verständnis von Natur, Mensch und Wirtschaft für die aktuelle Frage nach einer Vereinbarkeit von Ökonomie und Natur durchaus problematisch ist. Wordsworths Überlegungen machen deutlich, dass auf der Basis eines malthusianischen Natur- und Wirtschaftsverständnisses möglicherweise weder die Ursachen der heutigen Umweltprobleme verstanden, noch eine umfassende langfristige Vereinbarkeit von Wirtschaft und Natur erreicht werden kann. Wordsworth bietet zugleich eine andere Perspektive auf diese Fragen. Sein Denken weist darauf hin, dass für 16 Dies entspricht im Wesentlichen auch der Perspektive von Malthus. Zwar erscheint bei diesem der Mensch nicht als ein Homo oeconomicus im modernen Sinne, zeigt jedoch mit diesem eine deutliche Verwandtschaft. Denn auch Malthus sieht das Eigeninteresse als das wesentliche Moment des wirtschaftenden Menschen (vgl. Abschnitt 15.4). 17 Die Frage nach einem geeigneten Verständnis des Menschen wurde im Rahmen der Ökologischen Ökonomie verschiedentlich diskutiert und hierbei auch die Annahme des Homo oeconomicus problematisiert. Vgl. hierzu etwa Ecological Economics, Special Issue 2000: vgl. insbesondere die Aufsätze von Jager/Jansen/De Vries/De Graaf; Viek 2000; Gintis 2000; Siebenhüner 2000; s. auch Söderbaum 1999; Siebenhüner 2001; Faber/Petersen/Schiller 2002; für einen Überblick siehe Becker 2003: 59 ff. sowie Becker 2006.

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die Frage nach einer Vereinbarkeit von Natur und Wirtschaft ein anderes Verständnis der Natur und damit verbunden zugleich auch ein anderes Verständnis des Menschen und der Wirtschaft berücksichtigt werden muss. Bei Wordsworth erscheint die Natur als ein Maß für den Menschen, das ganz anders gedacht wird als die Schranken, die die Natur dem Menschen im malthusianischen Denken auferlegt: Nicht in der Abwendung und in der Distanz von der Natur findet der Mensch nach Wordsworth seine Erfüllung, sondern in der Hinwendung zur Natur und in der inneren Orientierung an ihr. Kern dieser Überlegungen ist die Idee einer ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur. In beiden findet sich ein geistiges Prinzip, eine kreative schöpferische Kraft, die sich im Menschen nur dann vollendet, wenn er sie auf die Natur zurückbezieht. Dies gilt insbesondere für sein ökonomisches Handeln, das als ein Ausdruck dieses schöpferischen Vermögens gesehen wird. Die Hinwendung zur Natur ist daher für Wordsworth wesentliche Bedingung für ein gutes Leben des Menschen. Dies setzt eine Begegnung mit der Natur und eine Achtung derselben voraus. Achtung der Natur und Orientierung an der Natur sind damit nicht durch äußere Normen oder durch eine nicht weiter begründete inhärente Würde der Natur (s. o. Kapitel 14) gesetzt, sondern sind mit der Würde und dem vollendeten Sein des Menschen selbst verbunden. Ein solches Selbstverständnis des Menschen, das die Achtung der Natur und die Orientierung an derselben unmittelbar mit dem vollendeten menschlichen Sein verbindet, könnte Teil eines geeigneten Verständnisses des Menschen im Rahmen der Ökologischen Ökonomie sein (vgl. Becker 2003: 265 ff., Becker 2006). Der wirtschaftende Mensch verstünde so die Natur als wesentliches Element seines guten Lebens. Natur ist in dieser Sicht nicht mehr einfach nur ein beliebiges nutzenstiftendes Gut oder eine physische Notwendigkeit menschlichen Wirtschaftens. Sie wird bei Wordsworth zur inneren Orientierung für den Menschen wie für sein ökonomisches Handeln. Dem ökonomischen Denken von Wordsworth kann nach dem bisher Gesagten eine wichtige Stellung im Rahmen einer Ideengeschichte der Ökologischen Ökonomie zugeschrieben werden: Wordsworth entwickelt eine Idee von einem natürlichen inneren Maß des Wirtschaftens. Eine solche Form der Orientierung wirtschaftlichen Handelns an der Natur verbindet sich seiner Ansicht nach mit einem guten Leben und mit der Freiheit des Menschen. 404 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Malthus und Wordsworth

Zugleich bedeutet seine Zugangsweise zum Verhältnis von Wirtschaft und Natur eine kritische Sicht auf das Wirtschaftsverständnis seiner Zeit. Er sieht in der modernen Wirtschaft spezifisch neue Strukturen, die eine inhärente Entfremdung des (wirtschaftenden) Menschen von der Natur verursachen: Individuelles und grenzenloses Gewinnstreben und primäre Orientierung am Eigeninteresse führen zu einer grundlegenden Krise im Verhältnis des Menschen zur Natur. Die Natur wird hierdurch nicht mehr als Maß und Orientierung wahrgenommen, sondern in den ökonomischen Prozess eingegliedert. Zugleich wird der Mensch halt- und maßlos und macht sich selbst ebenso zu einem Teil des ökonomischen Prozesses wie die Natur. Damit verliert seine Suche nach dem guten Leben ihre innere Ausrichtung: Der Mensch weiß nicht, was er sucht, was er braucht und wer er ist. Heilung verspricht sich Wordsworth von der Natur selbst, einer Natur, die der Mensch in seinem Inneren sucht und deren Äußerungen er in der erscheinenden Welt mit Achtung begegnet. 15.6.3 Die Bedeutung einer Grundlagenreflexion für die Ökologische Ökonomie In den angestellten Betrachtungen erweist sich ökologisch-ökonomisches Denken letztlich als entscheidend bedingt durch den philosophischen Rahmen, in dem es stattfindet. Grundsätzliche Fragen wie die nach dem Verständnis der Natur und dem Verständnis des Menschen haben ihrem Wesen nach eine philosophische Dimension. Daher sollten die Philosophie und die Geisteswissenschaften allgemein ein Bestandteil der Ökologischen Ökonomie sein – nicht in dem Sinne, dass sie die wissenschaftliche Untersuchung ersetzten, sondern in dem Sinne, dass sie den Kontext reflektieren, in dessen Rahmen die wissenschaftlichen Untersuchungen der Ökologischen Ökonomie sich bewegen. Die Ökologische Ökonomie sollte daher im Rahmen ihrer Zielsetzungen philosophische und insbesondere auch ethische Überlegungen umfassender einbeziehen. Sie sollte eine Wissenschaftsform darstellen, die die eigenen Grundlagen, insbesondere philosophische Vorentscheidungen, in besonderer Weise explizit macht und die einen Raum findet für eine kritische Reflexion solcher Vorentscheidungen. 405 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

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15.6.4 Abschließende Bemerkungen Die Frage nach dem Menschen, von Kant als Grundfrage der Philosophie bestimmt, durchzieht sowohl die Politische Ökonomie als auch die Ökologische Ökonomie. Der Mensch steht notwendig im Mittelpunkt jeder ökonomischen Betrachtung, auch und gerade dann, wenn es darum geht, die Natur in ihrer Selbständigkeit aufzufassen und ihr in ihrer Würde gerecht zu werden. Die Frage ist nur: welcher Mensch? Malthus und Wordsworth stellen gegensätzliche Extrempositionen dar, die doch Wesentliches gemeinsam haben: Der Mensch ist für sie nicht ohne die Natur zu denken. Mag er auch, wie vor allem bei Malthus, Züge dessen tragen, was später Homo oeconomicus genannt wird: Bei Malthus entlässt die Natur den Menschen nicht aus ihrer Gewalt, und früher oder später muss er sich, im Unterschied zum naturblinden Homo oeconomicus der Neoklassik, dieser Einsicht stellen. Bei Malthus unterwirft die Natur den Menschen einer Knappheit, die Ausdruck seiner geradezu metaphysischen Misere ist: Verstand und Tugend, die aufgrund dieser Misere beständig angeregt werden, erscheinen letztlich als ein schwacher Trost, denn auch das klügste und reinste Abmühen des Menschengeschlechts gleicht der Qual des Sisyphus, der von seinem Stein nicht frei werden kann: Stets von Neuem bemüht er sich um Befreiung, stets von Neuem gerät er in die Lage, aus der er sich befreien will. Wordsworth aber erinnert daran, dass der Mensch nicht nur dadurch mit der Natur verbunden ist, dass er als Population oder Art auf sie als beständige Schranke stößt. Wordsworth drückt ein Vertrauen aus, dass jenseits aller wissenschaftlichen Konzepte vom Menschen seinen Ursprung hat: Dass in uns eine nie aufgehobene, nie abgerissene Verbindung mit der Natur wirksam ist, die uns das Richtige treffen ließe, wenn wir nur auf sie hören würden: Wenn wir werden wie die Kinder, dann finden wir in uns die unangestrengte Schönheit der Lilien des Feldes und die Sorgenfreiheit der Vögel des Himmels (vgl. Math. 6,25–30). Nichts wäre allerdings gefährlicher als der Versuch, aus Wordsworth Konzepte einer ökologischen Wende der Wirtschaft herzuleiten. Wordworth zeigt der Kompassnadel die Richtung an: Wie der Weg aber im unwegsamen Gebiet der heutigen Wirtschaft zu gehen wäre, darüber muss er schweigen.

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Detaillierte Gliederung

Teil 1: Grundlagen der Politischen Ökonomie . . . . . . 1.

Die Wissenschaft von der Wirtschaft und die Frage »Was ist Wirtschaft?« . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Allokation und Distribution, Mengen und Werte . . . . 1.3 Das Wissen in der Wirtschaft und das Wissen über die Wirtschaft: Die Innenperspektive und die Außenperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Der Ursprung der Wissenschaft von der Wirtschaft: Die Politische Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die Herkunft der Idee einer Politischen Ökonomie als Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Zur Geschichte des Begriffs Politische Ökonomie . 1.4.3 Welche Eigenschaften sollte ein Politischer Ökonom besitzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Von der Kunst der Politischen Ökonomie zur Idee einer reinen Lehre von der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . 1.6 Das Menschenbild der Wissenschaft von der Wirtschaft: Der Homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Von der unsichtbaren Hand zum Pareto-Optimum . . . 1.8 Die zwei Hauptsätze der Wohlfahrtstheorie . . . . . . . 1.9 Die Neue Politische Ökonomie oder Public Choice Theorie 1.10 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.

21

22 22 26 30 32 32 33 35 37 39 41 43 46 48

Der Ursprung der Ökonomik als Bestimmung und Begrenzung ihrer Erkenntnisperspektive . . . . . . . . .

50

2.1 Krisensymptome in der gegenwärtigen Ökonomik und die Frage nach ihrem Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . .

50 425

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Detaillierte Gliederung

2.2 Ökonomik, Naturwissenschaften und Philosophie . . . . 2.2.1 Die Ablösung der Naturwissenschaften von antiken und mittelalterlichen Traditionen . . . . . . . . . 2.2.2 Theorie, Natur und Technik . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Das Verhältnis zwischen Individuen, Gesellschaft und Staat als Spannungsfeld der entstehenden Ökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Festlegung der ökonomischen Sichtweise und ihres Gegenstandes bei Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Ökonomik als »Naturwissenschaft« vom menschlichen Glück? Der Utilitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung, Kritik und Ausblick . . . . . . . . .

3.

Zur Aktualität von Adam Smith: Homo oeconomicus und ganzheitliches Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . .

54 56 57 59 63 66 71

74

In Zusammenarbeit mit Olaf Hottinger 3.1 Einleitung: Thema und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2 Der Homo oeconomicus der modernen Wirtschaftstheorie – seine Bedeutung und seine Grenzen . . . . . . 75 3.3 Adam Smiths Werk und Weltbild . . . . . . . . . . . . 77 3.4 Ebenen des Menschseins bei Smith . . . . . . . . . . . . 80 3.5 Der Mensch als Lebewesen . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.6 Der Mensch und die Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . 82 3.6.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.6.2 Die Wirtschaftssphäre als untergeordneter Bereich bei Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.6.3 Wirtschaftliches Handeln als menschliches Tun . . 84 3.6.4 Der Homo oeconomicus als soziales Wesen . . . . 87 3.6.5 Wirtschaftliches Handeln und menschliche Glückseligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.7 Der Mensch, die Gesellschaft und der Staat . . . . . . . 92 3.7.1 Die Naturanlage zur Gesellschaftlichkeit: Smiths Konzept der Sympathie . . . . . . . . . . 92 3.7.2 Der Repräsentant der Gemeinschaft im Innern des Menschen: der unparteiische Zuschauer . . . . . . 94 3.7.3 Der Mensch als bewusstes Glied der Gemeinschaft: Homo politicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.8 Der Mensch, das Weltganze und sein Ursprung . . . . . 100 3.8.1 Die gesellschaftliche Funktion von Religion . . . . 101 426 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Detaillierte Gliederung

3.8.2 Der Gehalt der wahren Religion . . . . . . . . . . 104 3.9 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 111

4.

Homo politicus und Homo oeconomicus. . . . . . . . . 113 Die Neue Politische Ökonomie, die Verfassung der Freiheit und die Reformfähigkeit der Gesellschaft In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

4.6 4.7

4.8 4.9

5.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das politische Handeln und seine Akteure . . . . . . . . Staat und Individuum in der Public Choice . . . . . . . . »Konstitutionelles Interesse« und »ökologisches Interesse« 4.4.1 Das konstitutionelle Interesse . . . . . . . . . . . 4.4.2 Das ökologische Interesse . . . . . . . . . . . . . Das konstitutionelle Interesse als das Interesse an der Gemeinschaft: Der Homo politicus . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Der Begriff des Homo politicus . . . . . . . . . . 4.5.2 Homo politicus und Öffentlichkeit . . . . . . . . . 4.5.3 Das Gemeinwohl und der Begriff der Gerechtigkeit Gerechtigkeit, Homo politicus und Homo oeconomicus . 4.6.1 Die Gerechtigkeit des Homo politicus . . . . . . . 4.6.2 Die Gerechtigkeit des Homo oeconomicus . . . . . Die Bedeutung des Homo politicus für die Verfassung der Freiheit und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7.1 Homo politicus und konstitutionelles Interesse . . 4.7.2 Homo politicus und ökologisches Interesse . . . . Die empirische Relevanz des Homo politicus . . . . . . . Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . .

113 116 118 122 122 125 129 129 131 133 136 136 139 141 141 143 144 146

Wirtschaft und gutes Leben. . . . . . . . . . . . . . . . 147 Praktische Philosophie und Politische Ökonomie bei Adam Smith und seinen Nachfolgern

5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Das gute Leben bei Adam Smith . . . . . . . . 5.2.1 Wirtschaft und Praktische Philosophie bei Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Smiths Bild eines guten Lebens . . . . . 5.2.3 Wirtschaft und gutes Leben bei Smith . .

. . . . . 147 . . . . . 148 . . . . . 148 . . . . . 149 . . . . . 151 427

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Detaillierte Gliederung

5.2.4 Die allgemeine Idee des guten Lebens und die individuelle Freiheit – ungelöste Spannungen im Denken von Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Das gute Leben in der Wirtschaftstheorie nach Smith – die Neoklassik und der Marxismus . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Das gute Leben als Verwirklichung individueller Freiheit in der Marktwirtschaft bei den Neoklassikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Die kapitalistische Wirtschaft als Sphäre der Unfreiheit und die Idee eines guten Lebens bei Marx 5.4 Das gute Leben – in oder jenseits der Wirtschaft . . . . . 5.4.1 Die Ökonomisierung der Frage nach dem guten Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Ist eine Wiedergewinnung der Frage nach dem guten Leben außerhalb der Wirtschaft möglich? . . 5.4.3 Ausblick: Die Freiheit von der Wirtschaft und vom Wirtschaftlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.

153 154 155 157 160 160 161 162

Die Wirtschaft als Feld von Menschenwürde und Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Der Ausschluss wirtschaftlicher Kategorien aus Kants Bestimmung der Würde des Menschen . . . 6.1.2 Grundformen wirtschaftlicher Beziehungen in der Theorie von Ronald Coase . . . . . . . . . . . . . 6.2 Wirtschaft als Feld von Herrschaftsbeziehungen: Hauswirtschaft und Sklaverei bei Aristoteles . . . . . . . 6.2.1 Die politische Gemeinschaft und ihre Interaktionen als Feld der Würde des Menschen . . . . . . . . . 6.2.2 Wirtschaft als Sphäre der Abwesenheit von Würde . 6.2.3 Der Sklave als Prototyp des wirtschaftenden Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Sklavische Gesinnungen bei freien Bürgern . . . . 6.2.5 Die unvermeidliche Unmenschlichkeit einer menschlichen Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Der andere Blick auf die Wirtschaft: Hebräische Bibel und Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

428 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

166 166 167 168 168 170 171 172 173 174

Detaillierte Gliederung

6.4 Wirtschaft als Feld symmetrischer Beziehungen: Marktwirtschaft und Homo oeconomicus bei Adam Smith und seinen Nachfolgern . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Individuelle Freiheit und private Glückssuche als Voraussetzungen der Wirtschaft . . . . . . . . . . 6.4.2 Der Markt als eine Sphäre von Menschlichkeit bei Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Das Streben nach privatem Vorteil und seine Folgen 6.4.4 Der Riss zwischen Markt und Produktionssphäre . 6.4.5 Moderne Sichtweisen: Homo oeconomicus und Humankapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Die Anerkennung der Abhängigkeit . . . . . . . . . . .

7.

177 177 178 180 181 183 185

Über die Grenzen der Politischen Ökonomie: Wirtschaft, Politik und Religion . . . . . . . . . . . . . 188 In Zusammenarbeit mit Thomas Petersen

7.1 Von der ökonomischen Krise zur Frage nach der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Die Gerechtigkeit und das gute Leben – Sens Konzept der Verwirklichungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die Bedeutung der Gemeinschaft für das gute Leben . . 7.4 Gemeinschaft, Abhängigkeit und Wirtschaft . . . . . . . 7.5 Homo oeconomicus und Homo politicus . . . . . . . . . 7.6 Religion und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

188 190 192 194 196 198

Teil 2: Grundlagen der Ökologischen Ökonomie . . . . . . . . 203 8.

Nachhaltige Entwicklung – wissenschaftliches Konzept oder ethisch-politische Herausforderung? . . . . . . . . 204 In Zusammenarbeit mit Frank Jöst

8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 8.2 Was bedeutet und woher stammt der Begriff ›nachhaltige Entwicklung‹ ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.3 Nachhaltigkeit als wissenschaftlich-technischökonomisches Konzept – Substitution oder Erhaltung? . 208

429 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Detaillierte Gliederung

8.4 Der wirtschaftswissenschaftliche Zugang zur nachhaltigen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Grenzen der wissenschaftlich-technischen-ökonomischen Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung . . . . . . . . 8.6 Regeln für nachhaltiges Wirtschaften – Naturgesetze oder Pflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Der Wille zur Nachhaltigkeit: Fairness zwischen den Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8 Nachhaltigkeit und Nichtsättigung . . . . . . . . . . . . 8.9 Wie wollen wir leben? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.

211 214 217 219 220 225

Zurück zu Aristoteles? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Die Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die aristotelische Konzeption von Wirtschaft 9.3 Aristoteles’ Hauswirtschaft versus Smiths Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Die Rätselhaftigkeit der modernen Wirtschaft

. . . . . . 228 . . . . . . 228 . . . . . . 229 . . . . . . 232 . . . . . . 237

10. Die Geschichte der Soda-Chlorchemie. . . . . . . . . . 240 Kuppelproduktion und Verantwortlichkeit 10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Von der Textilindustrie zur Soda-Chlorchemie 10.3 Vom reinen Chlor zu den FCKWs (Fluorkohlenwasserstoffen) . . . . . . . . . . 10.4 Kuppelproduktion und Verantwortung . . . . 10.5 Abschließende Überlegungen . . . . . . . . .

11. Zukunftsfähigkeit und Zukunftswürdigkeit.

. . . . . . 240 . . . . . . 242 . . . . . . 244 . . . . . . 248 . . . . . . 255

. . . . . . . 256

Glaube und Suche nach Gerechtigkeit als Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Nachhaltigkeit, Wissen und Unwissen . . . . . . . 11.2 Nachhaltigkeit als operationales Konzept und Nachhaltigkeit als Ideal . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Das Ideal der Nachhaltigkeit und die Bedeutung des Konsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 256 . . . 257 . . . 259 . . . 263

430 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Detaillierte Gliederung

11.4 Die Bedeutung des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . 266 11.5 Zukunftsfähigkeit oder Zukunftswürdigkeit . . . . . . . 270

Teil 3: Elemente und Perspektiven der Ökologischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 12. Knappheit und Maß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Über die Einheit und Unvereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Ökonomie, Natur und Maß bei Aristoteles . . . . 12.3 Ökonomie, Knappheit und Wahl . . . . . . . . . 12.3.1 Wahl und Knappheit . . . . . . . . . . . 12.3.2 Relative und absolute Knappheit . . . . . 12.3.3 Knappheit und Maß . . . . . . . . . . . . 12.4 Ökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Der Ansatz der Ökologie . . . . . . . . . 12.4.2 Allgemeine und spezielle Grundlagen der naturwissenschaftlichen Ökologie . . . . 12.4.3 Ökologie und Ökonomie . . . . . . . . . 12.4.4 Exkurs: Ökologie und menschliche Freiheit 12.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

278 279 281 284 285 288 290 291 291

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

292 298 299 301

13. Produktion, Konsum und Dienste in der Natur. . . . . . 305 Eine Theorie der Fonds 13.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Produktion, Konsum und Dienstleistungen in der Natur . 13.2.1 Natürliche Produktion und natürlicher Konsum in absoluter Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Natürliche Produktion und natürlicher Konsum in relationaler Betrachtung . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Die Dienlichkeit des Natürlichen . . . . . . . . . 13.3 Produktion, Konsum und Dienen aus der Perspektive des einzelnen Lebewesens: eine teleologische Betrachtung . . 13.3.1 Allgemeine Bemerkungen zur Teleologie . . . . .

305 308 308 312 314 316 316 431

https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Detaillierte Gliederung

13.3.2 Die drei Tele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2.1 Erläuterungen zum ersten Telos . . . . . 13.3.2.2 Erläuterungen zum zweiten Telos . . . . 13.3.2.3 Erläuterungen zum dritten Telos . . . . 13.4 Produktion, Konsum und Dienen aus der Perspektive der natürlichen Lebensgemeinschaft: Die Theorie der Fonds . 13.4.1 Lebensgemeinschaft, Art und Individuum . . . . 13.4.2 Der Begriff ›Fonds‹ – Definition und Erläuterung . 13.4.3 Lebendige Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.4 Das Zusammenspiel der Fonds und ihre Beziehung zu den drei Tele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Natur, Mensch und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . 13.5.1 Sammler- und Jägerkulturen sowie agrarische Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.2 Die Verwendung von Fonds als Vorräte . . . . . . 13.5.3 Die Freiheit und die drei Interessen der Menschen

319 320 321 325 328 328 329 332 334 336 336 338 340

14. Umweltökonomie, Nachhaltigkeitsökonomie und Ökologische Ökonomie: Drei Perspektiven auf Mensch und Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 14.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Das Menschenbild der Umweltökonomie . . . . . . . 14.2.1 Öffentliche Güter und externe Effekte . . . . 14.2.2 Ökonomische Instrumente zur Lösung von Rohstoff- und Umweltproblemen . . . . . . . 14.2.3 Umweltökonomie, Wohlfahrtstheorie und Public Choice . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Das Menschenbild der Nachhaltigkeitsökonomie . . 14.3.1 Das Konzept der Nachhaltigkeit . . . . . . . 14.3.2 Die optimale Ressourcennutzung im Sinne der Nachhaltigkeitsökonomie . . . . . . . . . . . 14.3.3 Nachhaltigkeit, Ethik und das Interesse an der Menschheitsgattung . . . . . . . . . . . . . 14.3.4 Probleme der Ethik in einer Nachhaltigkeitsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.5 Das moralische Subjekt der Nachhaltigkeitsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

432 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

. . 344 . . 348 . . 348 . . 349 . . 351 . . 356 . . 356 . . 357 . . 360 . . 363 . . 365

Detaillierte Gliederung

14.4 Ökologische Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Die Fragestellung der Ökologischen Ökonomie im Gegensatz zur Fragestellung der Nachhaltigkeitsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Terminologische und methodische Probleme einer Ökologischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Die Problematik des Menschenbildes der Ökologischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . 14.5 Ausblick: Aufmerksamkeit und Dankbarkeit gegenüber der Natur als vorbereitende Haltungen für eine Ökologische Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . .

369 369 373 376 377

15. Malthus und Wordsworth. . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Ein Beitrag zum Menschenbild der Ökologischen Ökonomie In Zusammenarbeit mit Christian Becker und Kirsten Hertel 15.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Malthus: Der Gegensatz von Mensch und Natur als Wille Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 William Wordsworth: Die ursprüngliche Einheit von Natur und Mensch in einem gemeinsamen göttlichen Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Malthus und die Naturgesetzmäßigkeit der liberalen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Wordsworths Entdeckung eines inhärenten Widerspruchs zwischen der modernen Ökonomie und der Natur . . . . 15.6 Folgerungen aus der Gegenüberstellung dieser beiden Perspektiven für die Ökologische Ökonomie . . . . . . . 15.6.1 Das Malthusianische in der Ökologischen Ökonomie und seine konzeptionelle Tragweite . . 15.6.2 Wordsworths Denken als ideengeschichtliche Quelle für die Ökologische Ökonomie . . . . . . 15.6.3 Die Bedeutung einer Grundlagenreflexion für die Ökologische Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . 15.6.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . .

382 385 391 394 396 401 401 403 405 406

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 433 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Personenregister

Abbot, A. F. 127, 407 Adenauer, K. 145 Adorno, T. W. 56 ff., 414 Agus, A. 176, 407 Ahlheim, M. 353, 421 Alchian, A. A. 220, 407 Allen, W. R. 220, 407 Aquin, T. v. 66 Arendt, H. 134, 137, 139, 142, 172, 407 Aristoteles 36, 47, 55 ff., 60–62, 80, 82 f., 92, 132 f., 139, 146, 162, 168– 188, 219, 228–255, 281 f., 285, 303, 342, 377, 407 Arrow, K. J. 125, 362, 407 Atkinson, G. 211, 358, 407, 418 Augustinus 206, 310 Ayres, L. W. 407 Ayres, R. U. 407 Bacon, F. 56–59, 61 f., 389, 407, 420 Bagiotti, T. 408 Barry, J. 17 Baumgärtner, S. 407, 412 Beckel-Faber, U. 17 Beckenbach, F. 420 Becker, C. 407 f., 431 Becker, G. S. 76, 408 Begon, M. 292 f., 295, 408 Bell, D. 51, 69, 338, 408 Bentham, J. 68, 414 Bergström, S. 127, 408 Bernholz, P. 17, 46 f., 88, 90, 121 f., 124 f., 138, 144, 156 f., 159, 216, 348, 353, 408 Berrens, R. P. 127, 408 Bieling, I. 414

Binswanger, H. C. 17, 56, 343, 374, 385, 408 Birnbacher, D. 418 Bizer, K. 419 Blach, S. 420 Blaug, M. 52, 409 Böhm-Bawerk, E. v. 71, 414 Börsch-Supan, A. 416 Bouillon, H. 408 Brady, G. L. 127, 407 Brandt, W. 145 Brecht, B. 58, 409 Brennan, G. 123, 409 Brett, R. L. 422 Breyer, F. 46, 88, 156 f., 348, 353, 408 Brown, G. M. 351, 409 Brudenmüller, G. 418 Bruggink, J. J. 411, 413, 419 Brunner, O. 409 Bruns, H. 408 Buchanan, J. M. 47, 90, 115, 118–125, 138, 140, 143, 216, 224, 409, 418, 422 Buchheim, L. 420 Bürgin, A. 37, 77 f., 93, 409 Campbell, R. H. 421 Cansier, D. 350, 359, 409 Carus, J. v. 410 Christensen, P. P. 383, 409 Cleveland, C. J. 383, 409 Coase, R. H. 51, 167 f., 170, 352 f., 409, 426 Coleridge, T. 384, 422 Connell, P. 384, 396, 409 Costanza, R. 204, 279, 369, 374, 383, 409–412, 420

434 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Personenregister Cumberland, J. 383, 410 Curtis, J. 410 Dahrendorf, R. 130, 410 Dales, H. D. 353, 410 Daly, H. E. 127, 376, 383, 402, 410 Darbishire, H. 422 Darwin, C. 280, 293 f., 296 f., 336, 387, 390, 410 Dasgupta, P. S. 68 f., 71, 358 f. , 410 Dawkins, R. 76, 293, 410 De Greef, J. 415 De Vries, H. J. M. 127, 403, 415 Debreu, G. 42, 157, 222 f., 348, 410 Demsetz, H. 410 Döring, R. 211, 418 Downing, P. B. 410 Downs, A. 130, 144, 410 Dryzek, J. S. 361, 410 Dunz, W. 17 Dupaquier, J. 422 Dyckhoff, H. 407 Eckstein, W. 104, 410, 420 Ehrlich, P. R. 376, 411 Eikler, G. 419 El Sarafy, S. 411 Elias, N. 58, 411 Engels, F. 159, 417 Eset, W. 408 Faber, J. 17 Faber, M. 407 f., 411 f., 417 ff. Falkenburg, B. 17 Farman, J. 246 f., 413 Faucheux, S. 412 Fischer, A. C. 413 Fischer, H. 399, 413 Folkers, H. 102, 413 Förstner, U. 413 Frambach, H. 75, 413 Franco, G. 408 Franz von Assisi 303 f., 413 Frey, B. S. 127, 132 f. , 409, 413 Fritsche, W. 422 Frosch, R. A. 413 Funtowicz, S. O. 374, 413

Gabisch, G. 413 Gallopoulos, N. E. 413 Georgescu-Roegen, N. 45, 68, 70, 72, 320, 402, 413, 414 Gerhardt, V. 130, 413 Gericke, H.-J. 17 Gigon, O. 407 Gintis, H. 127, 403, 413 Godwin, W. 395, 413 Goethe, J. W. 343, 385, 408 Goodland, R. 383, 410 Gool, W. v. 411, 413, 419 Gossen, H. H. 67, 413 Gowdy, J. 412 Grandmont, J. M. 413 Haan, H. 89, 413 Habermas, J. 131 f., 413 Haeckel, E. 280, 292 f., 296 f., 300 f., 413 Hagen, J. v. 416 Hanley, N. 358, 414 Hannon, B. 127, 224, 367, 414 Hansjürgens, B. 17 Harder, R. 419 Hardy, B. 408 Harper, J. L. 292 f., 295, 408 Hartwick, J. M. 359, 414 Haskell, B. D. 420 Hasslinger, E. 408 Hauff, V. 409 Hausman, D. M. 76, 414 Hayek, F. A. v. 138, 414 Heal, G. M. 68 f., 71, 292, 358, 410 Hegel, G. W. F. 24, 33, 47, 65, 155, 414 Heidegger, M. 308, 414 Held, M. 418 Hennings, K. H. 360, 414 Hertel, K. 2, 7, 9, 19, 376, 382, 399, 408, 414 431 Hesse, G. 67, 70, 414 Hicks, J. R. 414 Hildenbrand, W. 221, 414 Hirschman, A. 88, 111, 414 Hobbes, T. 26, 60, 62–65, 84, 90, 139 f., 414 Höffe, O. 68, 135, 141, 414 Horbach, J. 127, 414

435 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Personenregister Horkheimer, M. 56 ff., 414 Hotelling, H. 358, 414 Hottinger, O. 2, 5, 9 f., 17 f., 36, 39, 74 f., 109, 362, 414, 417, 424 Huber, W. 307, 372, 414 Hüfner, J. 17 Huhn, R. 17 Hume, D. 78, 84, 90, 104, 414 Hutchinson, T. 422 Isenmann, R. 402, 415 Jacobi, K. 17 Jager, W. 127, 403, 415 Jansen, M. A. 127, 403, 415 Jastrow, J. 420 Jennermann, D. L. 421 Jesus von Nazareth 163, 175, 200, 232 Jevons, W. S. 38, 68, 70, 72, 289, 415 Johannes (Evangelist) 175, 230 Johnson, R. W. 351, 409 Jonas, H. 217, 343, 415 Jones, A. R. 422 Jöst, F. 411, 415, 419, 427 Kambartel, F. 24, 415 Kant, I. 22 f., 57, 105, 134 f., 138 f., 166–169, 180, 184, 217, 236, 244, 266, 273, 300, 307, 317 f., 328, 367, 379, 406, 415, 422, 426 Kermisch, F. 17 Keynes, J. M. 48, 161, 415 Kirchgässner, G. 39, 77, 88, 90, 98, 124, 130–133, 363, 413, 415 Kirman, A. P. 231, 414 Klauer, B. 17, 209, 211, 274, 306, 357, 415 Kliemt, H. 17 Kloth-Manstetten, M. 17 Kolke, E. vom 408 Koopmans, T. C. 360, 415 Koschel, H. 17 Köstler, A. 415 Kristol, I. 408 Kubon-Gilke, G. 418 Kümmel, R. 402, 416 Kuran, T. 416 Kuttner, R. 52, 416

Lee-Peuker, M. 17, 165, 232, 416 Lehmann-Waffenschmidt, M. 17 Leininger, W. 42, 416 Leonard, R. J. 25, 416 Levins, R. 293, 416 Lewontin, R. 293, 416 Liesegang, G. 17 Lind, R. 214, 416 Lindtscheid, B. 419 Loew, R. 312, 318, 421 Lomasky, L. 409 Lovelock, J. E. L. 373, 416 Löwe, T. 17 Luhman, N. 416 Luhmann, H.-J. 238, 245, 247, 254, 416 Luther, M. 102, 416 MacIntyre, A. 133, 139, 186, 194, 377, 416 Madison, J. 134 Mäler, K. G. 358, 416 Malle, K.-G. 17 Maloney, M. T. 416 Malthus, T. R. 7, 19, 37, 289, 293, 297, 382–406, 416, 422, 431 Manstetten, P. 17 Manstetten, R. 407 f., 411 f., 416 f., 419 Mark, W. 419 Martinez-Alier, J. 417 Marx, K. 37, 157–161, 165, 182, 236 f., 243 f., 417, 426 Matthäus (Evangelist) 200 Mayer, R. 175, 417 McLormick, R. E. 416 McPherson, M. S. 76, 414 Meek, R. 421 Menger, C. 38, 71, 419 Meyer-Abich, K. M. 57, 417 Michaelis, P. 17, 40, 198, 214, 349, 412 Mill, J. 68 Mill, J. S. 36 f., 68, 75, 124, 155, 195, 414, 417 Minogue, K. R. 414 Mirowski, P 39, 68, 70, 417 Mixon, F. G. jr. 127, 417 Morgan, M. S. 75, 417 Morgenstern, O. 416

436 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Personenregister Mueller, D. 39, 46, 75, 122, 216, 221, 417 Müller, H. 419 Müller-Fürstenberger, G. 17, 237 f., 242 ff., 252, 411, 417 Murota, T. 419 Nair, I. 407 Neumann, J. v. 416 Neuser, W. 17 Nicolay, I. 412 Niedhart, G. 413 Niemes, H. 17, 198, 350, 358, 402, 417 Niskanen, W. 144, 417 Nordhaus, W. O. 51, 420 Norgaard, R. 383, 410 North, O. C. 417 Norton, B. G. 420 Nutzinger, H. G. 17, 78 f., 99, 159, 357, 371 f., 418, 420 Nyborg, K. 127, 418 O’Connor, M. 418 Olewiler, N. D. 359, 414 O’Neill, J. 127, 418 Ott, K. 211, 418 Paulus (Apostel) 175 f., 269 Pearce, D. 211, 358, 418 Perrings, C. 383, 409 Persky, J. 75, 124, 418 Peters, E. 356, 418 Petersen, T. 412, 418, 425, 427 Pigou, A. C. 419 Pillet, G. 419 Platon 36, 55, 62, 90, 147, 162, 180, 240 f., 255, 302 f., 308, 419, 422 Plotin 303 f., 419 Polasky, S. 127, 408 Polk, A. 17 Pommerehne, W. 409 Priddat, B. 419 Prigogine, I. 419 Proops , J. L. R. 407, 412, 419 Pullen, J. M. 387 f., 419 Quaas, M. 17 Quesnay, F. 419

Radke, V. 357, 372, 418 Radnitzky, G. 408 Ramb, B.-Th. 418, 421 Ramsey, F. 357, 419 Raphael, D. D. 421 Ravetz, J. R. 374, 413 Rawls, J. R. 141, 419 Recktenwald, H. 66, 419, 421 Redclift, M. 219, 419 Reich, H. 222, 419 Reiß, W. 17 Remmert, H. 279, 292, 419 Requate, T. 17 Ritter, J. 60, 62, 245, 419 Robbins, L. 54, 160, 285–289, 291, 390, 420 Rousseau, J. J. 184 ff., 420 Rübbardt, R. 242, 420 Ruth, M. 402, 420 Sagoff, M. 131, 420 Samuelson, P. A. 50 f., 70, 420 Schäfer, L. 71, 390, 420 Schaffmeister, D. 414 Schefold, B. 279, 420 Schelling, F. W. J. 186, 420 Schelsky, H. 419 Schiller, J. 407, 412, 418 Schleiermacher, E. 419 Schmutzler, A. 17 Schneider, F. 127, 413 Schulz, D. 17 Schumpeter, J. A. 69, 71, 420 Schweitzer, A. 2 Schweitzer, F. 18, 411 Selincourt, E. de 422 Sen, A. 67, 69, 71, 88, 124, 135, 156, 191, 313, 420 Siebenhüner, B. 127, 403, 420 Siebert, H. 353, 420 Siebke, J. 17 Sieferle, R. P. 396, 420 Skinner, A. S. 421 Smith, A. 33–38, 53, 63–68, 74–111, 147–162, 177–183, 189, 193, 232– 228, 279, 295, 361, 384, 394 f., 410, 414, 417, 419 ff. Söderbaum, P. 127, 403, 421

437 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Personenregister Sokrates 240 ff., 249 f. Solow, R. M. 209, 213, 217, 219 f., 357 f., 360, 421 Sousa Ferreira, K. de 410 Spaemann, R. 58 f., 312, 318, 421 Spash, C. L. 358, 383, 414, 421 Speck, S. 360 Spratte, J. 17 Stallknecht, N. P. 393, 421 Steeger, U. 411 Stein, P. G. 421 Stephan, G. 17, 353, 358, 360, 402, 412, 421 Streissler, M. 409 Strübel, M. 421 Sturm, R. 418 Tang, A. M. 414 Temper, R. 414 Thoben, H. 68, 70, 72, 421 Thomas, M. 410 Tietenberg, T. H. 421 Tietzel, M. 76, 418, 421 Tocqueville, A. 421 Todd, W. B. 421 Toman, M. A. 219, 421 Townsend, C. R. 292 f., 295, 408 Truger, A. 419 Tugendhat, E. 79, 167, 421

Tullock, G. 115, 119 f., 143, 216, 224, 409 Vanberg, V. 50 f., 123, 421 f. Viek, C. A. J. 403, 415 Wagenhals, G. 212, 419 Waterman, A. M. 387, 422 Weber, M. 422 Weigand, K. 420 Weimann, J. 17 Weischedel, W. 415 Welfens, P. J. J. 416 Westfield, F. M. 414 Westra, L. 422 Wicksell, K. 143, 224, 422 Wieland, W. 17, 31, 36, 367, 422 Winch, D. 396, 422 Winckler, C. 414 Winkler, R. 17 Witt, U. 17, 422 Wodopia, F. 330, 422 Wolfstetter, E. 159, 418 Wordsworth, W. 19, 382–386, 390– 394, 396–401, 403 f., 406, 421 f., 431 Worley, J. S. 414 Wright, G. 422 Wu, D. 396, 422 Zwilling, R. 333, 422

438 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Sachregister

Abgabe 44, 176, 212, 350 f. Akteur 31, 33, 41, 43, 115 ff., 196, 201, 222 f., 351 f. – politischer 118, 123 f., 128–131, 144, 425 Allokationsproblem 27, 35 Altruismus, altruistisch 40, 96, 99, 130 Angebot 60, 184, 287 Anreiz 119, 233, 259, 350 ff., 360, 389 Anthropologie 100 anthropologisch 75, 78, 82, 220 Arbeit 22, 35, 55, 86, 90, 163, 175, 177, 181 f., 188 f., 191, 195 f., 229 f., 234, 286, 305, 358, 398 Arbeitslosigkeit 191, 195, 198, 344 Arbeitsteilung 26, 28, 78, 85, 89, 93, 97, 109, 152 f., 174, 234, 242, 253 Arbeitswertlehre 159 Art (Pflanzen-, Tier-) 146, 258, 340, 358, 207, 333, 337, 339, 387 Aufmerksamkeit 87, 108, 127, 147, 164, 187, 307, 332, 337, 377–381, 384 Außenperspektive 25, 30–34, 38, 40, 42, 49, 423 Auslese, natürliche 294 Bedürfnis 26, 40, 43, 64, 75, 83, 88, 90 f., 101, 163, 170 f., 179, 184, 188, 207 f., 215, 221 f., 231, 235, 240 ff., 248, 256, 272 f., 282, 286–289, 303, 305, 360 f., 388 – elementares 81, 84 – -struktur 84, 179, 186 Bedürfnisbefriedigung 31, 43, 74, 76, 83, 86, 171, 179, 207, 221, 227, 234,

237, 251, 269, 287, 305, 308, 317, 357, 371, 380 Beobachter, unparteiischer 31, 45 f., 155, 229, 382 Bestand, Bestände 26 f., 30, 99, 125, 136, 145, 208, 226, 239, 313, 327, 339, 302, 305 f., 338, 371, 405 Bevölkerungswachstum 89, 258, 337, 383 Bewertung 29 f., 39, 44 f., 118, 287, 345, 354, 358, 363, 373, 391 Bibel 174–177, 181, 200 Bildung, Ausbildung 56, 67, 97, 113, 146, 180, 188, 192, 206, 322, 388 Biologie 50, 76, 281, 291 ff., 296 ff., 300, 302, 313, 318 f., 321, 327 f., 372, 374 Bliss, economic 48, 161 Brundtland-Report 207 Buddhanatur 267, 269 Bürokratie, bürokratisch 47, 116, 122, 144, 167, 185, 352 Chemische Industrie 237, 245, 428 Chlor 244 ff., 428 Chlorchemie 6, 18, 210, 237, 240, 242, 244 f., 248 f., 253 f., 428 Chrematistik 231, 284 Christentum 84, 148, 176 f., 267 f., 271, 303 Citoyen 130 Coase-Theorem 353 CO2 30, 43 f., 215, 248 Dank, Dankbarkeit 5, 17, 63, 110, 150 f., 164, 177, 187, 377 f. 380 f., 431 Deismus 67, 104

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Sachregister Demokratieprinzip 47 f., 120–123, 142, 193, 352, 355 Demut 108 Determinismus, determiniert 71, 301, 341 Institut der Deutschen Wirtschaft Köln 250, 338, 415 Dienen 316, 318, 320, 323–328, 339, 429 f. Dienlichkeit des Natürlichen 314– 317, 321, 429 Dienste 6, 18, 58, 89, 91, 133, 150 f., 179, 184, 305, 314 ff., 320 f., 325– 328, 330 ff., 334–338, 388, 429 Dienstleistungen 27, 29, 249, 305 f., 308, 314 f., 333, 429 Diktator, wohlwollender 216 Diktatur 224, 264 Disharmonie 256, 327 Diskontrate (soziale) 214 Distributionsproblem 27, 35 Dynamik 28, 147, 152, 158, 237 f., 241 f., 248, 255, 258, 285, 293, 372, 397, 399 Ecological Economics 19, 44, 372, 402 f., 410 Effizienz 114, 140, 167, 188, 351 Egoismus 64, 66, 69, 76, 96, 293 Ehrfurcht vor dem Leben 2 Eigendynamik 237, 352, 372, 399 Eigeninteresse, Selbstinteresse 32, 35, 40, 42, 46, 64, 82, 85 f., 92 ff., 96 ff., 105, 109 ff., 133, 180, 189 f., 234, 301, 350 f., 357, 367, 370, 403, 405 Eigenliebe 99, 179 f., 395 f. Eigentumsrecht 120 f., 125, 140, 349 Einkommen 34, 39, 86, 133, 191, 195 f., 231, 242, 249, 251, 259, 288 – -sverteilung 38, 44, 143, 190, 199, 215, 359 Energie 26, 68, 212, 217, 321, 370 – -einsparung 344 – -politik 214 – -träger 211 f., 359 – -versorgung 113, 212, 274 Enquete-Kommission des 11. Deutschen Bundestages 247

Entäußerung 320, 327 Entfremdung 195, 236, 397, 400 f., 405 Entelechie 59 f. Entsorgung, Entsorgungskapazitäten 210, 238, 246, 305 f., 336, 344, 349, 353 Ethik 53, 55, 60 f., 63, 65–68, 70 ff., 77 ff. 83, 137, 139, 150, 163, 169, 172 f., 191, 217, 220, 360, 363 ff., 367 f., 377, 430 Evolution 19, 293, 295, 298 f., 322, 324 f., 329, 334 ff., 339, 392 Externe Effekte 43 ff., 348 f., 351 f., 430 – intertemporale 223 Fairness 219, 225, 428 FCKWs, Fluorchlorkohlenwasserstoffe 246 ff., 250, 252, 254, 428 Familie 27, 54, 108, 170 f., 184, 192 f., 324, 341 f. Fonds 6, 18, 305, 328–332, 334 f., 336– 339, 429 f. – lebendige 331 f., 337, 339, 430 Fortschritt (technischer) 42, 187, 210, 226, 241, 249, 255, 285, 288, 297, 380 Geburt 80, 171, 178, 270, 285, 309 f., 315, 322, 392 Geduld 118, 175, 265, 379 Geisteswissenschaft 18, 54, 374, 405 Geld 28 f., 83, 173, 176, 196, 201, 229, 231 f., 284, 286 Gelderwerb 162, 173, 231 Gemeinschaftswesen 60, 80, 92, 144 Gemeinsinn 96 f., 101 Gemeinwohl, Wohl der Gemeinschaft 64, 125, 129, 131, 133 f., 144, 146, 198, 354, 363, 425 Generationen 219, 225, 272, 296, 359 f., 365, 428 – vergangene 222 – gegenwärtige 207, 359 – zukünftige 2, 48, 113, 125 f., 146, 204, 206 f., 212, 214, 217, 219 f., 225 f., 256, 258, 262 f., 268, 272, 275, 343, 351, 356 f., 359 f., 368, 370 f., 376

440 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Sachregister Gentechnologie 238, 254 Gerechtigkeit des Homo oeconomicus 139, 141 ff., 425 Gerechtigkeit des Homo politicus 136, 138, 141 ff., 425 Gesetzgeber 33, 108, 148, 151 Gesinnung 173 – gemeinschaftliche 96 f. – kommerzielle 96 f. – sklavische 172 f., 426 – Wirtschafts- 152 Gewaltenteilung 120 Gewinn 89, 179, 184, 231, 251, 292, 382, 398 Gewinnstreben 229, 233 ff., 237 f., 242, 398 f., 405 Gier 232, 268, 272, 274 Glaube 6, 18, 107, 234, 256, 265–270, 428 Gleichheit 177, 219, 395 Gleichgewicht 59, 65, 223, 332, 335 – Konkurrenz- 348 – Theorie des allgemeinen 42 f., 74, 205, 222, 279 Gleichbehandlung 101 Globalisierung, global 34, 187, 229, 234, 238, 272, 344 Glück 55, 57, 61, 64, 68–71, 86 f., 91, 106, 110 f., 154, 160, 169, 172, 174, 178, 233, 262, 424 – -ssuche 64, 177, 427 – wahres 90 f. Glückseligkeit 60 f., 68 f., 72, 79 f., 90 f., 104–108, 110, 137, 153, 175, 180, 191, 221, 424 Gott, Gottheit 59, 80 f., 104 f., 106 f., 109, 164, 175 f., 268, 271, 317, 384 f., 387, 391, 401 Grenzwerte 212, 215, 218, 223, 258 Habsucht 232, 236 Handel, internationaler 50, 84, 86 ff., 90, 130 Handeln, politisches 44, 47, 116–120, 123 ff., 128–131, 136, 144, 365 Harmonie 62, 65, 92, 110 f., 151, 162, 275, 283, 327, 335, 374

Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie 43– 46, 223, 316, 423 Haus 84, 170, 230, 302 – -wirtschaft 168, 170, 230–233, 237, 281, 426, 428 Helmholtz Zentrum f. Umweltforschung Halle 17 Heuristik 318 Hinduismus 269 Homo biologicus 81 ff., 106 Homo religiosus 81, 101, 106, 114 Humankapital 183 f., 427 Ideal 54 ff., 103, 110, 145, 149–152, 231, 257, 259, 261–268, 270, 273, 381, 428 Ideologie 160, 192, 261, 267, 272 Individualismus, methodologischer 46, 115, 119, 122, 124, 126, 128, 189, 317, 345, 354 Individuum, repräsentatives 41 f., 79, 82, 91, 94 f., 109, 118, 129 f., 133, 137, 143, 149, 154–157, 159, 169, 178, 183, 233, 286, 293–296, 317, 319, 328, 340, 348, 361 f., 366, 425, 430 Innenperspektive 30–33, 36, 38, 41, 49, 423 Innovation 89, 210, 244, 285, 351 Interesse – am Ganzen der Welt 341 – an der eigenen Selbstentfaltung 341 – an der Gemeinschaft 129, 138, 144, 341, 425 – konstitutionelles 115, 122, 140, 425 – langfristiges 143 – ökologisches 115, 126, 128, 143 f., 425 – Intertemporales 28 f., 214, 223 Interdependenzen, soziale 88 Jägerkultur und Sammlerkultur 26, 29, 336, 430 Kampf ums Dasein 299, 327 Kapital (s. auch Humankapital) 35, 82, 183 f., 236, 252, 274, 305, 358, 427

441 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Sachregister – natürliches 211, 358 – Sachzwänge des 159 Kapitalgüter 26 f., 29, 113, 158 f., 186, 205, 220, 305, 314 – Dienstleistungen von 27, 29, 249, 314 Kapitalismus 182 Kategorischer Imperativ 167, 216 Klassik, ökonmische 33, 37, 39, 279, 305, 383 Klima 30, 48, 103, 296, 321, 334, 349 – der Zukunft 345 – -problem 20, 114, 215 – -system 186, 290, 358 – -veränderungen 43, 212, 271, 356 – -verhältnisse 212, 321 Knappheit 6, 278–281, 284–287, 290 f., 295, 297, 301, 342, 359, 386, 390, 406, 429 – absolute 288 f. – relative 288 Kommensalismus 325, 327 Kommunismus 159, 161 Komplexität 18, 28, 32, 50, 214, 255 Konkurrenz 43, 228, 294 f., 329, 335 Konsens 36, 51, 139, 143, 190 f., 193, 216, 224, 257, 263–266, 270, 428 Konsumgewohnheit 125, 127, 274, 343 Konsum, natürlicher 308, 312, 429 Konsumentensouveränität 156, 183 Koran 165 Kosmos 148, 174, 283, 302, 342 Kosten 28 f., 39, 44 f., 47 f., 114, 119 f., 122 f., 126, 132, 143, 349 f. Kreativität 42, 72, 116, 134, 224, 233 f., 238, 241, 249, 324, 349, 371, 393 Kuppelproduktion 6, 40, 248, 250– 255, 334, 428 Leben, gutes 36 Lebensgemeinschaft, natürliche 292, 296, 309 ff., 318 ff., 325–330, 332– 337, 430 Lebensgrundlagen 15, 113 f., 146, 170, 204 ff., 228, 241, 255, 289, 291, 294 f., 297, 299, 330

– natürliche 113, 115 f., 125 f., 128, 141, 143, 194, 224, 278 f., 283, 287, 301, 367, 383, 425 – soziale 113, 219, 225, 258, 298, 300, 302, 346 ff. Lebensunterhalt 34, 182, 282 Legislative 121 Leid 93, 107, 120, 193 f., 201, 271, 326–329, 335, 365 Leidenschaften, natürliche 62 f., 65, 72, 102, 111, 139 Leistungsstaat 120 Liberalismus 62, 66, 72, 115, 130, 132 Liebe 81, 89, 95, 97, 99 f., 105, 109 ff., 150 f., 164, 176 f., 260, 268, 271, 358, 362 Malthusianisch 383, 386, 390, 401, 403 f., 431 Markt 44, 46, 64–67, 69, 72, 77, 99, 157, 159, 163, 167 f., 178 f., 181, 183, 195, 223, 233, 236, 251, 349 ff., 358, 427 Marktsphäre 65 f., 157 f., 180, 184, 287 Marktversagen 132, 348 Marktwirtschaft 47, 111, 147, 155, 159, 177, 189, 201, 228, 232 ff., 249, 262, 348, 351 f., 426 ff. Marxismus 148, 154, 426 Marxismus-Leninismus 160 Maß 6, 43, 71, 76, 83, 104, 126, 136, 158, 221 f., 224, 231, 241, 251, 253, 258, 262, 278–285, 290 f., 302 ff., 393, 396–399, 404 f., 429 Mehr-und-mehr-haben-wollen 162, 173, 175, 222, 248 Mengenproblem 26, 29 Menschenbild 2, 5, 11 – bei Adam Smith 18, 74 f., 77 f., 180, 424 – der Nachhaltigkeitsökonomie 347, 356, 359, 363, 368, 430 – der Neoklassik 155, 189 – der Ökologischen Ökonomie 7, 127, 347, 369, 376 f., 382, 431 – der Umweltökonomie 347 f., 352, 354, 403, 430 – der Wirtschaft 39, 62, 361, 423

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Sachregister Menschenrechte 182 f., 191, 193, 220 Menschenwürde 6, 18, 166 ff., 170, 177, 182–187, 226, 426 Metöken 163, 229 Minderschätzung 360 Minimalmoral 98, 363 Mitleid 40, 174, 176, 327, 362, 365 Montrealer Protokoll 248 Moral 68, 72, 78, 80, 102, 239, 364, 388, 430 Moralphilosophie 24, 64, 69, 77 f., 180 Muße 55 Mut 139, 164, 231, 239 Nachfrage 38, 242 ff., 248, 253, 285 ff., 297 Nachhaltigkeit 113, 143, 204–209, 212, 214 ff., 219 ff., 223 f., 226, 256– 260, 262–268, 270, 272 ff., 346 f., 356 f., 359–366, 368–372, 379 f., 427–430 – schwache 211 – starke 211 Nachhaltigkeit, Wille zur 219, 428 Nachhaltige Entwicklung 6, 18, 115, 204–209, 211, 213–216, 224- 227, 256, 278, 358, 361, 369, 427 f. Nachhaltigkeitsökonomie 6, 19, 204 f. Nächstenliebe 99, 395 Nationalökonomie 33, 279 Natur – beherrschbare 63 – berechenbare 58 – der Dinge 56 f. – des Menschen, menschliche 60, 62 f., 76, 92 f., 109, 148, 234, 241, 283, 362 – -gesetz 69, 71, 104, 217 f., 291, 386, 388, 394 f., 401 f., 428, 431 Naturbegriff 61 – neuzeitlicher 65 Naturbezug der Wirtschaft 279 f., 289 f., 385 Naturgesetze des Marktes 69, 71, 217 f., 428 Naturphilosophie, naturphilosophisch 15

Naturwissenschaft 39, 50 f., 54, 56 ff., 66 f., 69 f., 212, 214 f., 218, 227, 251, 258, 292, 298, 302, 306 f., 318, 374 f., 378, 381, 424, 429 Naturzustand 62 Neid 40, 100, 222 Neoklassik, neoklassische Theorie 19, 39, 50 f., 53 f., 67 f., 70, 72, 86, 88, 118, 147 f., 154 f., 160, 281, 289, 305, 357, 406, 426 Neue Politische Ökonomie 2, 5, 25, 46, 114, 423, 425 Neuzeit 15, 32, 54, 56, 60, 71, 162, 177, 221, 280 Nirwana 286 Nutzenmaximierer, Nutzenmaximierung 25, 39, 44, 46 ff., 72, 75, 115, 119 f., 122, 124, 126, 130 f., 138, 145 f., 155, 157, 165, 184, 197 f., 251, 351, 355, 403 Nichtsättigung 40, 42, 90, 155 f., 160, 165, 220–224, 227, 290, 428 Nutzenmessung 69 Öffentliche Güter 348, 351, 430 Öffentlichkeit 36, 130 ff., 138, 168, 174, 190, 193, 198, 213, 217, 230 f., 251, 253, 257 f., 264, 344 f., 425 Oikonomia 170, 230 f., 233, 236, 238, 281 Ökonomik, mathematische 51, 78 Ökonomik 5, 38 f., 49–52, 54, 59, 61, 70, 75, 77 f., 83 f., 90, 112, 114, 118 f., 125, 127, 155 f., 168, 194, 196, 205, 220, 222 f., 249, 279, 287, 361, 423 f. Ökologie 6, 18, 46, 146, 279 ff., 283, 291 ff., 295–306, 390, 429 – Definition der 293 Ökologische Ökonomie 2, 6, 9, 19, 204, 279, 291, 297, 301, 346 f., 354, 369 f., 372–375, 377, 381 f., 385, 401 ff., 405 f., 430 f. Ökosystem 212, 292, 296 f., 309 ff., 315, 319, 366, 371 f. Ordnung 33, 55, 58, 62 f., 65 f., 82, 101 ff., 136 f., 149, 156 f., 169, 174, 183, 230, 240, 261, 284, 302 f., 316,

443 https://doi.org/10.5771/9783495818497 .

Sachregister 336, 342, 349, 361, 375, 387 ff., 394, 401 – »gottgewollte« 62, 394, 396 – »natürliche« 165, 174, 387 Organismus 292, 296, 298, 300, 320, 329 Ozonschicht 238, 245 ff. Paradies 160, 286 Pareto-Optimum, Pareto-optimal, Pareto-superior 41 f., 70, 72, 120, 140, 156 f., 223, 348, 352 f., 423 Parteien 133, 189, 352 Person 26, 69, 93, 103, 110, 129, 167 f., 178 f., 183, 220, 250, 266, 364 Perspektive – optimistische 62, 209, 211 – pessimistische 209, 211 Pflicht 95, 217, 220, 223, 225, 269, 365 Philosophie 3, 17 f., 23 f., 35 f., 47, 54, 70, 83, 132, 135, 162, 173, 186, 197, 199, 216, 239, 255, 303, 317, 342, 374 f., 405 f., 424 f. – Politische 60, 67 – Praktische 5, 9, 18, 34 f., 147 f., 153 f., 425 Physik 39, 50, 54, 67 f., 70, 78, 306, 374 f. Planwirtschaft 189, 351 Pleonexia 83, 162, 173, 175 f., 222, 228, 232, 236, 241 f., 248 f., 291, 294 Pluralismus 382 Poiesis 308 Politiker 31, 45 f., 109, 136, 139 f., 149, 151, 188, 212, 216, 352 ff., 363, 366 f., 369 Polis 61 f., 80, 92, 132, 163, 169–172, 174, 176 ff., 229 ff. 233, 283 Politische Ökonomie (s. auch Neue Poltische Ökonomie) 9, 18, 24 f., 33 ff., 37 f., 77 f., 148, 152 ff., 177, 406 – Kritik der 13 f., 385 Population 292–295, 301, 319 ff., 337, 383, 385 f., 388, 390, 406 Präferenz 75, 93, 119, 124–127, 129, 131 f., 136, 156, 208, 222, 361 f. – lexikographische 124

Präferenzordnung 39, 75, 88, 129, 155, 360 f. Praxis 30, 37, 55, 57 f., 73, 259, 269 Preis 28 f., 39, 43 ff., 124, 128, 166, 171, 243, 286 f., 289, 349 f., 358 f. Preissystem 29, 215 Produktion 6, 18, 26 f., 31, 38, 45, 148– 154, 158 f., 181 f., 210, 215, 228, 238, 242, 244 ff., 248, 250 ff., 255 f., 305, 307–317, 321, 328, 330, 333 f., 336, 344, 349 f., 429 f. – natürliche 308, 312, 429 Produktionssphäre 158, 181, 236, 427 Produktivität 89, 167, 234, 315, 392 f., 399 – der Natur 311, 322, 324, 326, 335 Proletarier 236 Prozess, politischer 36, 117, 129, 131, 134 f., 137, 143, 193, 215 ff., 260, 352, 354, 356 Public Choice 2, 25 f., 46 ff., 114 f., 118 f., 122, 124, 127 f., 133, 139 f., 143, 145, 215, 224, 351–355, 361, 423, 425, 430 Public spirit 95–98 Rationalität 39, 84, 132, 138 f., 360 Recht 14, 22 ff., 30, 46, 54, 56, 67, 93, 113, 132, 159, 180, 190, 209 f., 273, 302, 317, 340, 352, 380 Rechtsphilosophie 23, 33, 77, 367 Rechtsstaatsprinzip 193 Recycling 333 Religion 6, 18, 36, 38, 69, 80, 92, 100– 105, 148, 151, 166, 184, 186, 188, 198–201, 226, 257, 266–270, 303, 342, 381, 412, 424 f., 427 Reproduktion 294 f., 322, 332, 339 Revolution, konstitutionelle 123 Schadstoff 121, 186, 214, 256, 305 – -aufnahmekapazität 113, 125, 207, 209, 211, 223, 258, 262, 301, 357 f., 371 Selbstbestimmung 142, 178, 187, 341 Selbstentäußerung 320, 327 Selbstentfaltung 320, 322 ff., 326 f., 341

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Sachregister Selbsterhaltung 81 f., 320, 323, 326 f., 337, 341 Selbsterneuerung 320, 322, 332 Selbstorganisation 18 f., 149, 154, 307, 320, 327, 334, 336, 375, 394 Selbstwiederholung 320, 322 Selektion 294 f. – Filter der 294 – -sprozesse 336 Sklave, Sklave von Natur 84, 163, 171–176, 184, 229 ff., 235 f., 399, 426 Soda-Chlorchemie 6, 18, 240, 242, 248 f., 253 f., 428 Sorge 108, 139, 163 ff., 170, 174, 231, 257, 271, 281, 379 Sozialismus 161, 224, 368 Sozialwissenschaft 10, 37, 227, 375, 381 f. Spieltheorie 25, 42, 222 Spurengase 212, 245 Staatsmann 33 f., 78, 148 Substitution 205, 208–212, 223, 298, 350, 359, 427 Symbiose 296, 325, 327 Sympathie 87 f., 92–95, 150, 180, 273, 424 System der natürlichen Freiheit 35, 82, 111, 158, 233 Tauschgerechtigkeit 225 Technologie 210, 259, 343, 350, 357, 366, 371 Teleologie 283, 316 ff., 328, 429 Telos (Bestimmung) 59, 316, 320–328, 332, 334 f., 339, 341, 343, 430 Thermodynamik 402, 407, 412, 418 ff. Theoria 55, 342 Tod 80, 104, 106, 171 f., 178, 271, 285, 289, 310, 313, 315, 320, 380, 387 Tragfähigkeit 208 Transaktionskosten 28 f., 352 f. Treibhauseffekt 215, 245, 356 Tugend 60 f., 66, 80, 95, 98 f., 102 f., 139, 151, 180, 378, 388, 406 Umverteilung 190, 259 Umweltökonomie 6, 9, 19, 127, 204,

346 ff., 351–355, 357, 360, 362 f., 366, 368, 370 ff., 375 f., 430 Umweltprobleme 2, 44 f., 47, 121, 127 f., 210, 215, 245, 256, 272, 343– 350, 353–357, 403, 430 Unparteilichkeit 46 Unternehmen 40, 43, 45, 167, 178, 184, 194, 196, 244, 260, 307, 348 Unsicherheit 28, 159, 214 f., 259, 358, 371 Unsichtbare Hand 74, 295 Unwissen 210, 214 f., 227, 254 f., 257 ff., 266, 358, 368, 428 Urteilskraft 36, 41, 99, 135, 139, 180, 196, 198, 273, 317, 328, 367, 379 Utilitarismus 66, 68 ff., 424 Verantwortung 212, 216, 248, 253 f., 273, 342 f., 365, 414 f., 418, 428 Verfassung der Freiheit 5, 113, 115, 126, 138, 140–143, 145 f., 425 Vernunft 13, 36, 57, 62 f., 79 ff., 134, 180, 200, 266, 273, 300, 302, 387 Verteilung 27, 31, 69, 148, 181, 186 f., 190 f., 195, 281, 359 f. Vertrauen 79, 102, 110, 200 f., 216, 254, 267 f., 406 Verwirklichungschancen 190 ff., 216, 427 Vorrat 164, 283, 338 f. Vulkanwerft 195–198 Wachstumsmodell 357 Wahl 101, 116, 120, 149, 155, 158, 165, 178, 284- 290, 390, 429 Warengeld 28 Warenproduktion, Anarchie der 158 Welthandel 242 Weltwirtschaft 258, 260 Wert 26, 28 f., 71, 87, 166 f., 180, 193, 234, 273, 358, 363, 423 Wertproblem 29 f., 39 Willensfreiheit 300 Wirtschaft (s. auch Marktwirtschaft und Planwirtschaft) – kapitalistische 157 f., 426 Wirtschaftsphilosophie 23

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Sachregister Wirtschaftstheorie 9, 42, 51, 53, 69, 74 f., 82, 86 ff., 109, 154, 166, 168, 178, 183, 185, 187, 238, 288, 305, 317, 348, 355, 424, 426 – Krise der 51 Wirtschaftswachstum 42, 213, 234 Wirtschaftswissenschaften 22–26, 30, 34, 39, 42, 51 f., 54, 68, 71 f., 189, 197, 204, 223 f., 239, 279, 285, 287, 291, 295, 306, 358, 373 f., 382, 390 – Geschichte der 50 f., 242 – Grenzen der 6, 18, 22, 24, 46, 188, 427 – Krise der 51, 72, 188, 195, 423, 427 – Leistungsfähigkeit der 13 Wissen 24 f., 30–34, 36, 38, 52, 57, 73, 107, 117, 155, 211, 228, 249, 254, 257, 266, 297, 302, 366 f., 371, 428 Wohlfahrt 41 ff., 98, 122, 232, 352 f., 366 Wohlfahrtssatz 46 Wohlfahrtsstaat 122 ff., 126, 140, 143 Wohlfahrtstheorie, Wohlfahrtsöko-

nomik 36, 43 f., 46, 127 f., 253, 351 ff., 355, 360, 362 f., 366, 423, 430 Wohlwollen 46, 86, 95, 106 f., 110, 179, 216, 352, 355, 360, 362, 366 f., 395 Würde – des Menschen 6, 18, 110, 166–170, 174, 176 f., 182–187, 226, 377, 404, 426 – der Natur 187, 307, 372 f., 376 f., 380 Zeit – -präferenz 214 – -horizont 126, 209, 214, 358 Zoon politikon 80, 283 Zuschauer, – unparteiischer 94 f., 111, 150, 366, 424 Zwangsgewalt 63 Zweck – -mäßigkeit 79, 283 f., 313, 317 f., 328

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