Was ist Residenz? 3447121319, 9783447121316

Spätantike römischer Residenzen sind seit langer Zeit ein wichtiges Thema in der wissenschaftlichen Diskussion. Der Verb

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German Pages 222 [214] Year 2023

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Inhalt
Torsten Mattern & Marcus Reuter: Was ist Residenz?
Die Residenz: Forschungsgeschichte und antike Bezeichnungen
Christian Witschel: Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘
Torsten Mattern: Repräsentation und Residenz
Die Residenz: Bauliche Gestaltung und urbanistische Einordnung
Klaus-Peter Goethert: Aula – Aula regia – Aula palatina: Überlegungen zur Genese und Benennung einer Bauform
Markus Trunk: Nobilitierung der Kaiserresidenz durch Spolientransfer? Überlegungen zu einigen Marmorkapitellen aus Trier
Michael Dodt: Die Bedeutung der Kaiserthermen für die neue Residenz Trier
Die Residenz und der ‚Hof‘
Werner Eck: Der Kaiser außerhalb Roms: Rechtsprechung und Administration während der Reisen der Herrscher in den Provinzen
Marcus Reuter: Wann wird ein kaiserlicher Aufenthaltsort zur Residenz? Beobachtungen und Überlegungen am Beispiel der Herrschaft Valentinians I.
Die Residenz als Ort von Repräsentation und Zeremoniell
Christian Rollinger: Pomp and Circumstance: Residenz, Hof und Zeremoniell
Die Residenz als Zentrum von Kultur, Kunst und Religion
Elisabeth Günther: Der schöne Stein? Ausstattungsluxus der Kaiserresidenzen im Spiegel der „Historia Augusta“
Wolfgang Spickermann: Römische Kaiserresidenzen und Kultanlagen
Yvonne Schmuhl: Die Verwendung von Porphyr in der Trierer Residenz
Die Residenz und die Auswirkungen auf die städtische Gesellschaft
Joachim Hupe: Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert für die letzte Ausbauphase in der Kaiserresidenz Trier
Korana Deppmeyer: Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand
Nach der Residenz
Audrey Becker: From imperial to royal palatia in the post-Roman kingdoms
Lukas Clemens & Marvin Seferi: Frühchristliche Inschriften auf Spolien: Ein Aspekt der Wiederverwendung von Natursteinen in der Kaiserresidenz und Bischofsstadt Trier
Winfried Peter Weber: Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins
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FSR 2

FORSCHUNGEN Z U S PÄT R Ö M I S C H E N R E S I D E N Z E N

2 Torsten Mattern & Marcus Reuter (Hrsg.)

Mattern & Reuter (Hrsg.) | Was ist Residenz? Harrassowitz

www.harrassowitz-verlag.de

WAS IST RESIDENZ?

Harrassowitz



Was ist Residenz?

© 2023, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-12131-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39484-0



Forschungen zu spätrömischen Residenzen 2

Herausgegeben im Auftrag des Verbunds zur Erforschung der antiken Kaiserresidenz Trier von Torsten Mattern und Marcus Reuter

2023 Harrassowitz

© 2023, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-12131-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39484-0



Torsten Mattern & Marcus Reuter (Hrsg.)

Was ist Residenz?

2023 Harrassowitz

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Umschlagbild: Blick von Süden auf die Kaiserthermen in Trier. „Bains romains à Trèves“. Kolorierter Stahlstich von Johann Poppel nach einer Zeichnung von Ludwig Lange; Foto: Rheinisches Landesmuseum Trier, Th. Zühmer.

Gefördert mit Mitteln des Rheinischen Landesmuseums Trier und der Wissenschaftsallianz Trier e.V.

wissenschafts allianz trier

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© 2023, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-12131-6 - ISBN E-Book: 978-3-447-39484-0

INHALT Torsten Mattern & Marcus Reuter Was ist Residenz?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Die Residenz: Forschungsgeschichte und antike Bezeichnungen Christian Witschel Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Torsten Mattern Repräsentation und Residenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Die Residenz: Bauliche Gestaltung und urbanistische Einordnung Klaus-Peter Goethert Aula – Aula regia – Aula palatina: Überlegungen zur Genese und Benennung einer Bauform . . . . . . . . 43 Markus Trunk Nobilitierung der Kaiserresidenz durch Spolientransfer? Überlegungen zu einigen Marmorkapitellen aus Trier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Michael Dodt Die Bedeutung der Kaiserthermen für die neue Residenz Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Die Residenz und der ‚Hof‘ Werner Eck Der Kaiser außerhalb Roms: Rechtsprechung und Administration während der Reisen der Herrscher in den Provinzen. . . . . . . . . . . 79 Marcus Reuter Wann wird ein kaiserlicher Aufenthaltsort zur Residenz? Beobachtungen und Überlegungen am Beispiel der Herrschaft Valentinians I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

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Inhalt

Die Residenz als Ort von Repräsentation und Zeremoniell Christian Rollinger Pomp and Circumstance: Residenz, Hof und Zeremoniell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Die Residenz als Zentrum von Kultur, Kunst und Religion Elisabeth Günther Der schöne Stein? Ausstattungsluxus der Kaiserresidenzen im Spiegel der „Historia Augusta“ . . . . . . . 111 Wolfgang Spickermann Römische Kaiserresidenzen und Kultanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Yvonne Schmuhl Die Verwendung von Porphyr in der Trierer Residenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Die Residenz und die Auswirkungen auf die städtische Gesellschaft Joachim Hupe Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert für die letzte Ausbauphase in der Kaiserresidenz Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Korana Deppmeyer Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Nach der Residenz Audrey Becker From imperial to royal palatia in the post-Roman kingdoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Lukas Clemens & Marvin Seferi Frühchristliche Inschriften auf Spolien: Ein Aspekt der Wiederverwendung von Natursteinen in der Kaiserresidenz und Bischofsstadt Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Winfried Peter Weber Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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WAS IST RESIDENZ?

In den letzten Jahren haben sich sowohl die althistorische als auch die archäologische Forschung vermehrt den Residenzen römischer Herrscher gewidmet, zumeist mit einem Fokus auf die Architektur. Bereits bei der Gründung des ‚Verbunds zur Erforschung der antiken Kaiserresidenz Trier‘ (VaKT) haben die Mitwirkenden zum Ausdruck gebracht, dass sie einen multidisziplinaren und multiperspektivischen Ansatz für notwendig halten, um das Phänomen der ‚Residenz‘ in seiner Ganzheit zu verstehen. Diesem Ansatz folgt auch der vorliegende Band, für den wir Autorinnen und Autoren gewinnen konnten, die ganz unterschiedliche Aspekte beleuchten. Beginnend mit der Frage nach der baulichen Gestaltung und urbanistischen Einordnung, dem Zusammenhang von Residenz und der kaiserlichen Verwaltung, Hof und Rechtsprechung und der Ausstattung von Residenzen werden diese auch als Zentren der Kunst und Kultur und deren Auswirkungen auf die städtische Gesellschaft untersucht. Im Zentrum steht zwar sehr oft die kaiserliche Residenz in Trier, doch sind diese Fragen natürlich nicht auf die Moselstadt zu beschränken. Erst im Vergleich mit anderen Residenzorten werden sowohl Verbindendes wie auch Besonderheiten sichtbar. Um das Phänomen ‚Residenz‘ zu verstehen, bedarf es mithin immer auch eines diachronen Vergleichs. Eine genuin ‚spätantike‘ Residenz gibt es nicht, sondern die Aufgaben, die eine Residenz im Rahmen von Verwaltung und Repräsentation zu erfüllen hatte, veränderten sich im Laufe der Zeit

immer wieder, auch in der Spätantike. Der Titel dieses Sammelbandes „Was ist Residenz?“ ist also programmatisch zu verstehen. Wir sind davon überzeugt, dass die Formulierung von Forschungsfragen jeden Aspekt in zeitlicher und räumlicher Hinsicht und seiner ganzen Breite – von der Architekturgeschichte über die Geschichte des Staats und des Kaisertums bis hin zu wirtschaftsgeschichtlichen und soziologischen Aspekten – abdecken muss, um sich in Zukunft einer Antwort auf diese vermeintlich einfache Frage annähern zu können. Das ist keine leichte Aufgabe, sondern wird die Beteiligung Vieler erfordern. In dieser Hinsicht verstehen wir neben dem vorliegenden Band die Reihe „Forschungen zu spätantiken Residenzen“ gemeinsam mit VaKT als Einladung an alle Interessierten, an diesem Thema weiter zu arbeiten! Wir bedanken uns bei allen, die mit uns an dieser Aufgabe arbeiten wollen, vor allem bei den Autorinnen und Autoren dieses Bandes. Der Band wäre aber nicht denkbar gewesen ohne die finanzielle Unterstützung der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz und der Wissenschaftsallianz Trier. Für die wirklich großartige Hilfe danken wir Dr. Peter Henrich, der die redaktionelle Bearbeitung übernommen hat – ohne ihn würde der Band nicht vorliegen. Und nicht zuletzt geht unser Dank an den Harrassowitz Verlag für den Satz und die verlegerische Betreuung. Torsten Mattern & Marcus Reuter

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Die Residenz: Forschungsgeschichte und antike Bezeichnungen

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SEDES IMPERII: ZEITGENÖSSISCHE BEZEICHNUNGEN FÜR SPÄTANTIKE ‚KAISERRESIDENZEN‘ von Christian Witschel

Einführung Dieser Beitrag blickt auf das ‚dezentralisierte‘ Römische Reich des späten 3. und 4.  Jahrhunderts, d. h. auf die Zeit von der tetrarchischen Epoche bis zum Tod des Kaisers Theodosius I. (284 bis 395 n. Chr.). Zu dieser Zeit gab es keine eindeutig bevorzugte ‚Reichshauptstadt‘ mehr. Die Herrscher waren vielmehr beständig in Bewegung (‚on the mov­e‘), vor allem in den militärisch gefährdeten Zonen des Reiches. Dadurch bildeten sich neue Zentren für die Aufenthalte der Kaiser und deren Repräsentation heraus, die in der modernen Forschung als ‚Kaiserresidenzen‘ bezeichnet werden, an denen sich die Herrscher jedoch nicht durchgängig aufhielten. Erst im frühen 5. Jahrhundert verfestigten sich die Verhältnisse wieder: Die zumeist sehr jungen Kaiser verließen nun den Palastbezirk kaum mehr und hielten sich im Osten fast ausschließlich in Constantinopolis, im Westen zunächst in Mailand, dann in Ravenna und im Laufe des 5. Jahrhunderts zunehmend auch wieder in Rom auf – erst jetzt gab es also wieder so etwas wie permanente ‚Reichshauptstädte‘. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob sich spezielle Namen oder Bezeichnungen für die ‚Residenzstädte‘ des 4.  Jahrhunderts ausmachen lassen. Bei einem genaueren Blick auf die einschlägigen Quellen ergibt sich aber eine – einigermaßen erstaunliche – Beobachtung, die hier bereits vorweggenommen sei: Es scheint nämlich keine spezifische, einheitliche und weit verbreitete Benennung für das zu gegeben zu haben, was wir als spätantike ‚Kaiserresidenzen‘ fassen (möchten).

Sedes imperii und verwandte Termini Das erstaunt deswegen, da man beim Blick in die moderne Sekundärliteratur sehr wohl den Eindruck gewinnen kann, es habe einen solchen antiken Ter-

minus gegeben, denn in diesem Zusammenhang wird häufig von den verschiedenen spätantiken sedes imperii gesprochen – also den „(Wohn-)­Sitzen der (kaiserlichen) Herrschaft“ oder im übertragenen Sinn den ‚Zentren des Reiches‘ bzw. kurz gesagt den ‚Kaiserresidenzen‘1. Welche Quellenbelege haben wir hierfür? Der in diesem Kontext stets angeführte locus classicus ist eine Passage aus einer Lobrede (Panegyricus) auf Kaiser Maximian, die im Sommer 291 vermutlich in Trier vorgetragen wurde2. Der unbekannte Redner thematisiert dabei zunächst die zahlreichen Reisen der beiden Herrscher Diocletian und Maximian, die häufig an unterschiedlichen Orten weilten und sich mitten im Winter des Jahres 289/90 zu einem Treffen nach Mailand begeben hatten – Diocletian aus Syrien bzw. Pannonien kommend, Maximian aus Gallien3. Sodann wird ausführlich der Ablauf des Mailänder Meetings geschildert: Die Kaiser zeigten sich den Untertanen sowohl im Palast (in Mediolanensi palatio) als auch in den Straßen von Mailand4. Schließlich wird die (zu diesem Zeitpunkt offenbar noch heikle) Frage angesprochen, wie Rom darauf reagieren würde, dass sich die Herrscher nicht mehr in der alten Hauptstadt trafen, sondern stattdessen Mailand bevorzugten5: „Sogar die Herrin der Völker selbst, Rom, ließ sich mitreißen von der unbändigen Freude

1 Ein häufiger Verweis auf den Begriff der sedes imperii findet sich sowohl bei Mayer 2002 als auch – schon im Titel – in der Arbeit von Jaeschke 2020a (die im Übrigen für unser Thema nur recht wenig erbringt). 2 Zur Datierung und zu den Vortragsorten der „Panegyrici“ vgl. den Kommentar von Nixon/Rodgers 1994. 3 Paneg. 11, 4, 1–2. 4 Paneg. 11, 11, 1–5. 5 Paneg. 11, 12, 1–2.

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Christian Witschel

über Eure Nähe und war bestrebt, von den Gipfelwarten ihrer Hügel her den Blick auf Euch zu richten […]. Sie hat nämlich die glanzvollen Spitzen ihres eigenen Senats (dorthin) entsandt und so der Stadt Mailand […] bereitwillig eine Aura der Majestät verliehen, die ihrer eigenen gleicht, so dass es damals schien, der ‚Sitz der Herrschaft‘ (sedes imperii) befinde sich dort, wo die beiden Kaiser hingekommen waren“. Mailand wird hier aber, wenn man es wörtlich nimmt, nur während des – ja auf wenige Tage bzw. Wochen (per eos dies) beschränkten – Aufenthaltes der Herrscher vor Ort als „Sitz der (kaiserlichen) Herrschaft“ angesprochen; die Stadt selbst bleibt in der Rede hingegen einfach die civitas Mediolanensium. In den übrigen in der Sammlung der „Panegyrici Latini“ überlieferten Lobreden, die zum größeren Teil in Trier vorgetragen worden sein dürften und somit einem spezifisch höfischen Milieu entstammen, gibt es hingegen nur wenige Hinweise auf die direkte Umgebung der kaiserlichen Residenz – diese war den Zuhörern ohnehin vertraut und musste daher nicht eigens thematisiert werden. Immerhin finden sich öfters Verweise auf das kaiserliche palatium, welches jedoch fast nie genauer benannt bzw. lokalisiert wird. So wird in einer Lobrede auf Konstantin aus dem Sommer 310 gesagt, er habe vor Jahren sacrum istum palatium betreten6 – da der Panegyricus mit hoher Wahrscheinlichkeit in Trier präsentiert wurde, sollte hiermit der Trierer Palast angesprochen sein. Das Setting einer solchen Rede wird in einem anderen Panegyricus imaginiert, welcher im Juni 311 zur Feier von Konstantins Quinquennalien vorgetragen wurde7: „Jetzt also, da in dieser Stadt hier [gemeint ist offenbar wiederum Trier], die bis heute gegenüber den anderen (Städten) den Vorzug Deiner [d. h. Konstantins] ständigen Anwesenheit (praesentiae tuae) genießt […], da hier also das gesamte Gefolge Deiner Freunde wie auch der ganze Apparat der kaiserlichen Herrschaft an Deiner Seite steht, da sich Menschen aus fast allen (gallischen) Gemeinden (civitates) hier befinden […]“.

Rede, die im April 289 vor Kaiser Maximian vermutlich in Trier gehalten wurde. Der Rhetor Mamertinus äußert hierin den Wunsch, die Herrscher möchten bald Rom besuchen (was dann erst Jahre später geschah), auf das Kapitol steigen und auf dem Palatin residieren (habitare Palatium)8. Wenn die Sicherheit des Reiches wiederhergestellt sei, solle sich Maximian endgültig in Rom niederlassen, aber auch weiterhin häufig die Provinzen besuchen und sie durch seine Anwesenheit beglücken9. Ein solche Kontrastierung einer neuen Residenz (in diesem Fall Trier) mit der alten Kapitale Rom findet sich ferner in einer Passage von Ausonius’ Gedicht „Mosella“, das Anfang der 370er-Jahre entstanden ist10: „Mächtige Roma, zeige Nachsicht, zeige sie! […] Den Sitz der Herrschaft (imperii sedem) hatten ja die Vorväter in Rom. [Nun aber:] Sei gegrüßt, große Erzeugerin sowohl von Früchten als auch von Männern, Mosella!“ – womit implizit ausgesagt wird, dass sich die sedes imperii nunmehr in Trier befand, wo ja Kaiser Valentinian I. seit 367 residierte. Ansonsten sind solche expliziten Benennungen einer kaiserlichen Residenz, gerade in der Wendung ‚sedes imperii‘, jedoch erstaunlich selten. Am nächsten kommen dem noch einige Passagen aus einer um die Mitte des 4. Jahrhunderts entstandenen, vornehmlich ökonomisch ausgerichteten ‚Weltbeschreibung‘, der „Expositio totius mundi“11. In dieser werden drei Städte direkt mit kaiserlichen Aufenthalten in Verbindung gebracht: Über Antiochia, das während der Abfassungszeit der Schrift häufiger als Quartier des Constantius II. diente, wird gesagt, es sei eine „königliche/kaiserliche Stadt“ (civitas regalis), „wo auch der Herr des Erdkreises residiert“ (ubi et dominus orbis terrarum sedet). In Antiochia gäbe es vielen Luxus, vor allem einen circus und die darin veranstalteten Wagenrennen. Als Grund hierfür wird benannt: „Weil dort der Kaiser residiert (imperator sedet); und all das ist notwendig wegen ihm“. Zu Pannonien wird ausgeführt, es sei eine reiche Region, in der sich einige bedeutende Städte wie Sirmium befänden; und sie zeichne sich insbesondere durch eine Eigenschaft aus: „Dort ist immerzu die Wohnstatt der Kaiser“ (semper habitatio imperatorum est).

Ein wichtiges Thema in den Panegyrici ist außerdem der schon angesprochene Bezug auf die alte Hauptstadt Rom, zu der die nun bevorzugten kaiserlichen Aufenthaltsorte in Konkurrenz traten. Angesprochen wird dies bereits in der ersten überlieferten

6 7

Paneg 8, 4, 1. Paneg. 5, 2, 1.

8 9 10 11

Paneg. 10, 13, 2–4. Paneg. 10, 14, 4. Auson., Mos. 374–383. Vgl. hierzu auch Hächler 2021.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

Schließlich ist zu Gallien zu lesen, es sei sehr groß und bedürfe (daher) stets eines (eigenen) Kaisers, den es auch tatsächlich „für sich“ (ex se) habe. Wegen dieser kaiserlichen Präsenz sei alles im Überfluss vorhanden. Die bedeutendste Stadt (civitas maxima) in Gallien sei Trier, „von der gesagt wird, dass dort auch der Herr (der Welt) wohnt“ (ubi et habitare dominus dicitur)12. Angemerkt werden muss jedoch, dass der Terminus sedes nicht nur für einen bestimmten Ort, sondern auch für einen weiteren geographischen Rahmen gebraucht werden konnte. So berichtet Lactanz über Kaiser Maximian13: „Denn weil er mit Italien das eigentliche Zentrum des Reiches in seiner Hand hielt (nam cum ipsam imperii sedem teneret Ita­ liam) […]“; und an einer anderen Stelle vermerkt er, dass sich Galerius nach seinem erfolglosen Vorstoß nach Italien im Sommer 307 „in seinen Herrschaftsbereich (ad sedes suas)“ zurückziehen musste14. Symmachus kommentiert in einem Panegyricus auf Valentinian I., den er im Jahr 368 in Trier vortrug, der Kaiser habe sich nach der Erringung der Herrschaft mit Gallien gerade jene Region als Einsatzort ausgesucht, die besonders gefährdet war15: „(Du hast) Deinen Sitz gewissermaßen in denjenigen Teil (des Reiches) verlegt (sedem […] in ea parte posuisti), wo der Untergang des gesamten Gemeinwesens drohte“. Letztlich ist festzuhalten, dass als sedes jeder Aufenthaltsort des Kaisers bezeichnet werden konnte, wie eine Episode aus dem Jahr 375 demonstriert. Kurz vor seinem Tod war Valentinian I. auf der Suche nach einem geeigneten Winterquartier16: „Und dann, als der Herbst sich dem Ende zuneigte, hielt er [Valentinian] sich (noch) in Aquincum auf und erkundete, wo er am besten sein Winterquartier aufschlagen könnte, in einer Region, die sehr strengem Frost ausgesetzt war. Und er konnte keinen anderen geeigneten Wohnsitz finden als Savaria (commoda quaerebat hiberna, nullaque sedes idonea reperiri praeter Sabariam poterat,), obwohl sich diese Stadt zu dieser Zeit in einem schlechten Zustand befand“. Tatsächlich verweilte Valentinian I. dann nur für kurze Zeit in Savaria, das ansonsten kaum je als

12 Expos. mundi 23 u. 32 (Antiochia); 57 (Pannonien und Sirmium); 58 (Gallien und Trier). 13 Lact., mort. pers. 8, 3. 14 Lact., mort. pers. 27, 7. 15 Symm., or. 1, 15. 16 Amm. 30, 5, 14.

kaiserlicher Aufenthaltsort diente, sondern brach rasch wieder an die Donau auf, wo er in Brigetio haltmachte und dort am 17.11.375 verstarb. Schließlich ist für den griechischsprachigen Bereich auf eine Passage bei Johannes Malalas hinzuweisen, der aus Antiochia stammte und um die Mitte des 6.  Jahrhunderts eine Weltchronik verfasste. In dieser ging er auch auf die Neugründung von Constantinopolis durch Kaiser Konstantin im Jahr 330 ein: Konstantin „übte seine Kaiserherrschaft (emeinen basileuōn) in Konstantinopel aus […]; er gab ihr [der Stadt] kraft seiner von Gott kommenden Macht das Recht des Herrschaftssitzes (dikaion basileias). […] Und die Stadt blieb von jenem [Konstantin] an glückhaft die kaiserliche (Haupt-)Stadt (basileuousa)“17. Sehr viel häufiger als solche konkreten Bezeichnungen für eine ‚Residenz‘ findet sich in den zeitgenössischen Quellen hingegen die Angabe, dass der Herrscher an einen bestimmten Ort zog, um dort mit seinem Gefolge „den Winter zu verbringen“ (hiemare bzw. cheimazein), wie wir es bereits im Fall von Savaria gesehen haben18. Hierin manifestiert sich ein durchaus typisches Bewegungsmuster im 4. Jahrhundert, gerade wenn sich der Kaiser in einer der Grenzprovinzen des Reiches aufhielt19: Die (kurze) Sommersaison verbrachte der Herrscher auf militärischen Operationen, während er sich im Rest des Jahres (d. h. von Oktober bis April/Mai) an einem festen Ort aufhielt, der ihm als Winterquartier diente. Exemplarisch demonstrieren dies die Jahre von 367 bis 375, in denen Valentinian I. in Nordgallien weilte: Den Winter über war er in Trier, von wo er praktisch jeden Sommer an den Rhein aufbrach, um dort Feldzüge durchzuführen oder Festungsbaumaßnahmen zu beaufsichtigen. Auch hierbei blieb er in Bewegung; so ist seine Präsenz an einer Reihe kleinerer Orte wie Altrip, Breisach und Robur bei Basel bezeugt. Welcher Ort in diesem Rahmen als Winterquartier gewählt wurde, diktierten neben den geographischen Gegebenheiten auch persönliche Vorlieben der Herrscher. So überwinterte Julian während seiner Zeit als Caesar in Gallien (von 355 bis 361) in Sens, zweimal in Vienne und sogar dreimal in Paris, auch wenn Letzteres noch nicht 17 Mal. 13, 10. Vgl. dazu auch u. Anm. 42. 18 S. o. Anm. 17. Nur zwei weitere Beispiele hierfür: Im Herbst 302 reiste Diocletian von Ägypten über Antiochia nach Nicomedia, um dort den Winter zu verbringen (Lact., mort. pers. 10, 6: Bithyniam venit hiematum). Im Spätherbst 356 zog Julian durch das Gebiet der Treverer in das für ihn geeignete Winterquartier in Sens (Amm. 16, 3,3: per Treveros hiematurus apud Senonas oppidum tunc opportunum abscessit). 19 Die Angaben zu den kaiserlichen Reisen und Aufenthaltsorten werden im Folgenden nicht im Einzelnen belegt. Alle erforderlichen Informationen hierzu finden sich bei Seeck 1919 und Barnes 1982, 47–87.

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Christian Witschel

einmal Provinzhauptstadt war. Hingegen mied er anscheinend Trier, obwohl dort alle benötigten Einrichtungen zur Verfügung gestanden hätten. Ähnlich im Osten: Bei seinen Feldzügen gegen die Goten an der unteren Donau diente dem Kaiser Valens die Stadt Marcianopolis, die ansonsten nur sehr selten von den Herrschern aufgesucht wurde, von 366/67 bis 370 als Hauptquartier. Sehr gut lässt sich das ferner an einem Vorgang aufzeigen, der sich im Frühjahr 363 ereignete: Als Kaiser Julian den Winter 362/63 in Antiochia verbrachte, bauten sich zwischen ihm und der städtischen Bevölkerung so schwerwiegende Konflikte auf, dass der Herrscher damit drohte, nach seiner Rückkehr von dem Perserfeldzug im Sommer nicht wieder nach Antiochia ziehen, sondern den Winter im kilikischen Tarsos zu verbringen20, wo die Kaiser zwar häufiger auf der Durchreise vorbeikamen, aber offenbar nur selten längere Zeit verbrachten. In der modernen Literatur kann man nun häufiger lesen, Julian habe angekündigt, seine Residenz von Antiochia nach Tarsos zu verlegen, aber das geben die zeitgenössischen Quellen, die hierüber berichten (in erster Linie Libanios, Ammian und Julian selbst), im Wortlaut so nicht her: Libanios, der den Kaiser in einer Rede zur Revision seines Planes überreden wollte, weist zunächst darauf hin, dass Antiochia seit alters her das „Winterquartier der Kaiser“ (palaion basileōn cheimadion) gewesen sei, ja dass es geradezu eine Regel für die Herrscher gegeben habe, hier zu überwintern, wenn Feldzüge gegen die ‚Barbaren‘ (Perser) durchzuführen waren21. Julian solle es nicht der Entscheidung der Untertanen überlassen, wo er den Winter verbringen könne, sondern sich dorthin begeben, wo er willkommen sei – er wolle nichts hören von „Vorbereitungen in Kilikien“22. Ähnliches lesen wir bei Ammian23: „Denn er [Julian] sagte, er habe beschlossen, nach Beendigung seines Feldzuges auf einem kürzeren Weg nach Tarsus in Kilikien zurückzukehren, um dort zu überwintern, und er habe an Memorius, den Statthalter [von Kili­ kien], geschrieben, um alles vorzubereiten, was er in dieser Stadt benötigen könnte“. Nur an einer Stelle spricht Libanios davon, dass die Antiochener aufgrund ihrer langen Erfahrung wünschten, der „Sitz/Thron des Kaisers“ (basileōs kathedra) solle bei ihnen verbleiben24.

20 So explizit Lib., or. 16, 53–54. Zu dieser Episode vgl. ausführlich Wiemer 1995, 189–246. 21 Lib., or. 15, 15 u. 17. 22 Lib., or. 15, 77 u. 86. 23 Amm. 23, 2, 3–5. 24 Lib., or. 15, 18.

Das letztgenannte Zitat kann nochmals demonstrieren, dass sich durchaus einige explizite antike Bezeichnungen für ‚Kaiserresidenzen‘ ausmachen lassen, diese aber insgesamt rar gesät sind. Insbesondere der Terminus sedes imperii, der im modernen Schrifttum häufig auftaucht, findet sich in dieser Form nur selten in der antiken Literatur. Wie steht es aber mit geographischen Werken der Spätantike – lassen sich hier systematische Zusammenstellungen oder Hervorhebungen von Städten finden, die häufig als Aufenthaltsorte der Herrscher dienten? Zunächst soll dabei ein Blick auf das wichtigste lateinische Geschichtswerk der Spätantike geworfen werfen, das Ammianus Marcellinus am Ende des 4.  Jahrhunderts verfasst hat. Im erhaltenen Teil der Schrift, welcher die Jahre zwischen 354 und 378 abdeckt, finden sich mehrere geographische Exkurse, in denen auch die bedeutendsten Städte der jeweils behandelten Region angesprochen werden. Nur in einem einzigen Fall wird hierbei jedoch ein Bezug zu den Aufenthaltsorten der Kaiser hergestellt: In seiner Beschreibung Galliens verweist Ammian auch auf die Provinz Belgica prima, deren wichtigste Städte für ihn Metz und Trier sind; zu Letzterem wird zudem angemerkt, dass es der „Wohnort der ruhmvollen Kaiser“ (domicilium principum clarum) sei25. In der Darstellung von Syrien kommt Ammian selbstverständlich auch auf seine (vermutliche) Heimatstadt Antiochia zu sprechen. Diese wird als „Stadt, die der gesamten Welt bekannt ist (mundo cognita civitas)“ sowie als „schöne Zierde des Ostens (Orientis apicem pulcrum)“ bezeichnet26. Auf die Rolle der Stadt als häufiger Aufenthaltsort der Kaiser während des 4. Jahrhunderts geht er in diesen allgemeinen Darstellungen hingegen nicht ein. Auch in Ammians zahlreichen Erzählungen über die Reisen der Herrscher lassen sich keine spezifischen Bezeichnungen für ‚Kaiserresidenzen‘ ausmachen. Als nächstes soll der Fokus noch einmal auf die „Expositio totius mundi“ gerichtet werden, nun aber im Gesamtkontext des Werkes. Wie wir schon gesehen haben, wird in der „Expositio“ eine Funktion als ‚Kaiserresidenz‘ explizit angesprochen für Antiochia, Sirmium bzw. Pannonien sowie Trier; Ähnliches gilt für Rom. Zudem wird ein palatium für Heraclea erwähnt. Eine herausragende Bedeutung weist die Schrift ferner einigen Städten zu, die anderweitig als häufige Aufenthaltsorte von Kaisern bekannt sind, ohne dass dies hier jedoch thematisiert würde; das trifft auf Nicomedia, Constantinopolis, Thessalonica, Aquileia, Mailand und Arles zu, während Serdica gar nicht genannt wird. Eine systematische Aussonderung bzw. Benennung der

25 Amm. 15, 11, 9. 26 Amm. 14, 8, 8 u. 22, 9, 14.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

des römischen Weltkreises (secundae arces Romani orbis)“ bezeichnet31, während Libanios in Bezug auf seine Heimatstadt Antiochia anmerkt32:

wichtigsten ‚Kaiserresidenzen‘ ist in dieser Schrift jedenfalls nicht zu erkennen. Ein weiteres in unserem Kontext wichtiges Werk ist eine „Rangordnung der bedeutenden Städte“ (Ordo urbium nobilium), welches der Dichter Au­ sonius, der sich lange am Kaiserhof in Trier aufgehalten hatte, um 390 verfasst hat27. Bei der Auswahl und Reihenfolge der 17 behandelten Städte folgte Ausonius offenbar nicht zuletzt seinen persönlichen Präferenzen, was etwa an der Klammer erkennbar wird, welche die aurea Roma an der Spitze und Bordeaux als Heimatstadt des Dichters am Ende bilden. Eine systematische Selektion nach Größe oder Funktion der Städte ist hingegen nur ansatzweise zu erkennen, etwa bei der ersten Sechsergruppe aus Rom, Constantinopolis, Carthago, Alexandria, Antiochia und Trier. Zu einigen Städten hat Ausonius nicht mehr zu bieten als eine Aufzählung hiermit verbundener mythischer Geschichten; bei anderen blickt er weit zurück in die hellenistische, republikanische und kaiserzeitliche Geschichte. Ein mehr oder minder stark ausgeprägter Gegenwartsbezug ist dagegen nur bei wenigen Orten auszumachen. So wird etwa bei Constantinopolis „sein frisches bzw. günstiges Schicksal“ hervorgehoben, was auf die Neugründung durch Konstantin verweist; und bei Aquileia wird auf die Beseitigung des Gegenkaisers Magnus Maximus in dieser Stadt im Jahr 388 Bezug genommen28. Nur bei den an 6. und 7. Stelle direkt aufeinander folgenden Städten Trier und Mailand wird auf ihre Funktion als ‚Kaiserresidenzen‘ angespielt: Ausonius nennt den „Thron der Stadt Trier (Trevericae urbis solium)“, der gefeiert wird, weil er die Kräfte des Reiches/der Herrschaft (imperii vires) ernährt, sie bekleidet und sie mit Waffen versieht29. Zu Mailand wird ein Katalog der wichtigsten Gebäude in der Stadt aufgeboten, unter denen sich auch die „Palatinischen Burgen“ (Palatinae arces) befinden, womit der Palast in Mailand gemeint ist30. Hierin erschöpfen sich aber bereits die Bezugnahmen auf die kaiserliche Präsenz an einzelnen Orten, zumal in dem Gedicht des Ausonius eine Reihe von Städten gänzlich fehlt, die wir als häufige Aufenthaltsorte der Herrscher im 4. Jahrhundert kennen; das gilt für Sirmium, Serdica, Thessalonica und Nicomedia. Auch im übrigen spätantiken Schrifttum finden sich immer wieder Hinweise auf die Beliebtheit solcher Städte-Rankings. So wird Constantinopolis in dem „Breviarium“ des Festus als „zweiter Hauptsitz

Schließlich soll noch ein Blick auf spätrömische Itinerare und Karten geworfen und danach gefragt werden, ob sich hier eine spezifische Klassifikation von ‚Residenzstädten‘ finden lässt. In dem wichtigsten römischen Straßenverzeichnis, dem „Itinerarium Antonini“, das um 300 noch einmal überarbeitet worden sein muss, gibt es eine Sektion, welche in groben Zügen die Straßenverbindung von Rom nach Alexandria umreißt. Als wichtigste Stationen auf diesem Weg werden genannt: Mailand, Aquileia, Sirmium, Nicomedia und Antiochia; nähere Bezeichnungen zu diesen Städten gibt es jedoch nicht34. Ein ähnliches Bild zeigt das Wegeverzeichnis einer Pilgerreise, welche im Jahr 333 von Bordeaux nach Jerusalem führte, das sogenannte „Itinerarium Burdigalense“. Hier werden jeweils größere Segmente der Strecke zusammengefasst und dazu die Entfernung zwischen den wichtigsten Orten auf der Reise genannt: Nach Bordeaux sind dies Arles, Mailand, Aquileia, Sir­mium, Serdica, Constantinopolis, Nicomedia, Ancyra, Tarsos und Antiochia35. Die Übereinstimmungen zwischen beiden Listen sind sicherlich nicht zufällig; vielmehr deutet sich hier eine ‚Spitzengruppe‘ innerhalb der Städtehierarchie der Spätantike an, welche jedoch nicht mit einer spezifischen Terminologie versehen werden. Nur an einer Stelle taucht im „Itinerarium Burdigalense“ ein palatium auf – in Daphne, einem Vorort von Antiochia36. Eine weitere Form der Städte-Rangordnung ist auf der spätantiken, nur in einer mittelalterlichen Kopie

27 Vgl. hierzu Gindhart 2008; Schwennicke 2022. 28 Constantinopolis: Auson., ordo 6 (fortuna recens); Aquileia: Auson., ordo 64–72. 29 Auson., ordo 28–34. 30 Zu dem Mailänder Palast s. o. Anm. 4; er hat somit schon im Jahr 290/91 existiert.

31 32 33 34 35 36

„Wir sind einer der Orte, der den beiden führenden Städten [gemeint sind offensichtlich Rom und Constantinopolis] am nächsten stehen“. In einer anderen Rede behauptet Libanios in Bezug auf Nicomedia33: „Welche Stadt war […] schöner als diese? An Größe blieb sie hinter anderen vier Städten zurück [gemeint sind damit Rom, Constantinopolis, Antiochia und Alexandria] […], aber in Sachen Schönheit übertraf sie einige dieser Städte und war den anderen gleich“.

Fest., brev. 9, 4. Lib., or. 15, 59. Lib., or. 61, 7. Itin. Ant. 123, 8–124, 5. Vgl. hierzu Elsner 2000 bes. 188f. Itin. Burd. 581, 7.

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überlieferten Gesamtkarte des Römischen Reiches, der „Tabula Peutingeriana“, auszumachen. Viele der hier aufgeführten Orte sind mit kleinen Vignetten versehen, unter denen zwei Gruppen herausstechen37: Zum einen sind sechs Städte (Ravenna, Aquileia, Thessalonica, Nicomedia, Nicaea und Ancyra) durch die Darstellung eines Mauerrings mit mehreren Türmen ausgezeichnet. Darüber hinaus sind die drei ‚Spitzenorte‘ Rom, Constantinopolis und Antiochia durch die etwas größere Darstellung einer Stadtpersonifikation noch einmal besonders hervorgehoben. Explizite Hinweise auf eine Funktion dieser Städte als kaiserliche Residenzen finden sich in der Karte jedoch nicht. Trotz der Beliebtheit von Ranglisten bekannter Orte in der Spätantike lässt sich somit auch in solchen Rankings (und insgesamt in der geographischen Literatur dieser Epoche) kein in sich geschlossener Katalog von anderweitig als ‚Kaiserresidenzen‘ bekannten Orten, die explizit als solche bezeichnet wären, ausmachen. Dieser Negativ-­ Befund bedeutet zudem, dass uns keine antike Klassifizierung derjenigen Städte vorliegt, welche den Zeitgenossen als ‚Kaiserresidenzen‘ galten; und dies wiederum erschwert es der modernen Forschung, auf diesem Feld klare Abgrenzungen vorzunehmen.

Wie lässt sich eine spätantike ‚Kaiserresidenz‘ definieren? Damit wären wir bei der – für die Gesamtproblematik durchaus bedeutsamen – Frage angelangt, was denn überhaupt als spätantike ‚Kaiserresidenz‘ gelten soll bzw. welche Orte unter eine solche (moderne) Definition fallen könnten38. Da uns die antiken Quellen hierbei, wie gerade gesehen, weitgehend im Stich lassen, weil sie keine einheitliche und weit verbreitete Terminologie für das Phänomen aufweisen, müssen wir uns diesem von einer anderen Seite her nähern. Dabei gilt es, mit Blick auf die Situa­ tion im späteren 3. und 4. Jahrhundert noch einmal kurz die bereits in der Einführung angesprochene Ausgangslage zu skizzieren: In dieser Zeit existierte keine zentrale ‚Reichshauptstadt‘ mehr wie im 1. und 2. sowie teilweise auch noch im 3. Jahrhundert, als die Kaiser ständig in Rom residierten bzw. auch bei längerer Abwesenheit immer wieder dorthin zurückkehrten39. Im 4. Jahrhundert wurde Rom hingegen nur noch sehr selten von den Herrschern auf-

37 Vgl. dazu Levi/Levi 1978, 108–138. 38 Grundsätzlich hierzu: Duval 1997; Mayer 2002; Jaeschke 2020a, 21–26; Jaeschke 2020b. 39 Zur Situation in Rom während des 3. Jahrhunderts vgl. Christol 1990.

gesucht – von 284 bis 395 lassen sich lediglich zehn kaiserliche Rombesuche (zumeist zu zeremoniellen Anlässen) sicher nachweisen, wenn man einmal von den Jahren 306 bis 312 absieht, als Rom unter dem Gegenkaiser Maxentius noch einmal permanente Residenzstadt war40. Die Stadt blieb zwar das ideel­ le caput mundi, war aber nicht mehr ein von den Herrschern häufiger aufgesuchter Ort und somit im praktischen Sinne auch nicht mehr ‚Hauptstadt‘ des Reiches; deshalb bleibt sie im Folgenden weitgehend außerhalb der Betrachtungen. Auch die von Kon­ stantin an der Stelle des alten Byzantium neu gegründete Stadt Constantinopolis konnte die Funktion als neue ‚Reichshauptstadt‘ zunächst nicht erfüllen, obwohl sie mehrfach als nea Romē oder „zweites Rom“ apostrophiert wurde41. Nachdem Konstantin sich am Ende seiner Regierungszeit tatsächlich fast durchgehend in Constantinopolis aufgehalten hatte, änderte sich dies unter seinen Nachfolgern erneut: Constantius II. und Valens kamen nur recht selten in die Stadt am Bosporus, sondern verweilten in anderen ‚Residenzen‘, insbesondere in Antiochia. Erst Theodosius I. war dann wieder über längere Zeiträume in Constantinopolis, das er und sein Sohn Arcadius entsprechend ausbauen ließen. Constantinopolis war somit über weite Strecken des 4.  Jahrhunderts lediglich eine ‚Kaiserresidenz‘ unter mehreren und keine (alleinige) ‚Hauptstadt‘ des (Ost-)Reiches42. Wegen seiner Sonderstellung, gerade auch in der späteren Überlieferung, wird es jedoch in diesem Beitrag nur am Rande mitbehandelt. Die Itinerare der zumeist in Bewegung befindlichen Kaiser im späten 3. und 4. Jahrhundert lassen sich einigermaßen genau nachzeichnen, auch wenn es hierbei quellenbedingt erhebliche Lücken und

40 Dazu Leppin/Ziemssen 2007. 41 Formuliert wurde dieser Anspruch etwa von Themistios in einer Rede vor dem gerade zum Augustus erhobenen Theodosius I. (Them., or. 14, 5): „Wenn Du aber, göttliches Haupt, solche Siegesmale für den Senat [von Constantinopolis] errichtest, dann wird die Stadt wahrhaftig ein zweites Rom (deutera Romē) sein“. Noch prägnanter wird das bei den Kirchenhistorikern des 5.  Jahrhunderts formuliert, welche die Konzeption auf Konstantin selbst zurückführten; siehe etwa Sozom., hist. eccl. 2, 3: „Er [Konstantin] beschloss, eine Stadt zu gründen, die seinen Namen tragen und Rom an Berühmtheit gleich sein sollte. […] Er nannte sie ‚Neues Rom‘ und ‚Constantinopolis‘ und machte sie zur kaiserlichen Hauptstadt für alle Bewohner des Nordens, des Südens, des Ostens und der Küsten des Mittelmeers“. Socr., hist. eccl. 1, 17 behauptet sogar, Konstantin habe per Gesetz befohlen, seine Neugründung „zweites Rom“ zu nennen. Die Frage bleibt aber, ob dieses Postulat wirklich von Anfang an in dieser Form bestand; vgl. Dagron 1974, 43–47. 42 Zur Entwicklung von Constantinopolis während des 4. Jahrhunderts vgl. Dagron 1974 bes. 77–92; Mango 1985; Mayer 2002, 91–97; 105–174; Croke 2010.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

methodische Probleme gibt. Die wichtigsten Hinweise finden sich in den Angaben zu den Ausgabeorten der Kaisergesetze, die vornehmlich im „Codex Theodosianus“ gesammelt sind, da die Konstitutionen in der Regel dort ausgegeben wurden, wo sich der Herrscher gerade befand. Allerdings sind diese Angaben zeitlich nicht gleichmäßig verteilt und müssen zudem häufig verbessert werden. Das führt dazu, dass wir die Länge des kaiserlichen Aufenthaltes an einem bestimmten Ort oftmals nicht genauer bestimmen können und uns für längere Zeiträume (gerade für das späte 3. und frühe 4.  Jahrhundert) Informationen hierzu sogar gänzlich fehlen43. Dennoch ist klar erkennbar, dass sich die Herrscher dieser Epoche fast ausnahmslos entlang einer Hauptachse bewegten, welche die militärischen Brennpunkte (insbesondere die gefährdeten Grenzregionen) des Reiches miteinander verband und die von Nordgallien im Nordwesten über das Rhône-­ Tal nach Norditalien, von dort über Pannonien und den nördlichen Balkanraum an den Bosporus, dann durch das Innere Kleinasiens und durch die Kili­k ische Pforte bis nach Nordsyrien führte. Bei Bedarf konnte diese Achse in beide Richtungen verlängert werden: im Nordwesten bis nach Britannien, im Südosten nach Palaestina und Ägypten. Dieses Bewegungsprofil hatte zur Folge, dass es im 4. Jahrhundert zur Ausbildung von ‚kaisernahen‘ und ‚kaiserfernen‘ Regionen kam. Letztere waren dadurch charakterisiert, dass sie die Herrscher trotz deren großem Bewegungsradius kaum jemals zu Gesicht bekamen. Hierzu zählten zum einen Südwestgallien, Hispanien und Africa – obwohl dies wirtschaftlich prosperierende Gebiete waren, gelangten die Kaiser praktisch nie dorthin, da es hier nur untergeordnete militärische Probleme gab, deren Lösung bei Bedarf erfahrenen Generälen übertragen werden konnte. Auch nach Italien südlich von Rom kamen die Herrscher nicht mehr, und ebenso wenig nach Dalma­ tien und Griechenland. Die städtereiche Region des westlichen Kleinasiens wurde ebenfalls nie von den Kaisern aufgesucht. Etwas anders stellt sich die Lage in Bezug auf Britannien sowie Ägypten (mit Palaestina als Durchzugsgebiet) dar: Für die tetrarchische und teilweise auch die konstantinische Epoche sind hier einige Herrscherbesuche zu verzeichnen, aber nach 308 bzw. 343 kam kein Kaiser mehr persönlich dorthin. Werfen wir nun einen Blick auf die ‚kaisernahen‘ Regionen: Entlang der oben vorgestellten Hauptachse(n) der kaiserlichen Bewegungen lassen sich zahlreiche Orte als zeitweilige Aufenthaltsorte der Herrscher benennen. Das lässt sich an zwei im Detail bekannten Kaiserreisen gut aufzeigen. Kaiser 43 Insofern sind die Synopsen bei Barnes 1982 zu den kaiserlichen ‚Residenzen‘ teilweise leicht irreführend.

Diocletian zog im Herbst 294 von Sirmium die Donau entlang nach Osten und dann durch Thrakien nach Nicomedia, wo er dann den Winter verbrachte44. Die Reise dauerte zweieinhalb Monate, und die einzelnen Etappen sind durch zahlreiche dort ausgegebene Gesetzestexte bezeugt. Hier sei lediglich eine Auswahl genannt: Singidunum, Viminacium, Ratiaria, Transmarisca, Durostorum, Marcianopolis, Develtus, Hadrianopolis, Heraclea, Byzantium, Pantichium. Der Aufenthalt an den einzelnen Orten kann jeweils nur wenige Tage, bisweilen auch nur eine Nacht gedauert haben. Die zweite Episode ereignete sich im Jahr 36445: Die kaiserlichen Brüder Valentinian I. und Valens waren seit Anfang März 364 in Constantinopolis, blieben dort bis Ende April und brachen dann mit ihrem Gefolge nach Westen auf. Bezeugte Stationen ihrer Reise sind Hadrianopolis (8.–13.5.), Philippopolis (24.5.), Bonamansio (27.5.), Serdica (30.5.), Mediana bei Naissus (8.–11.6.) und schließlich Sirmium (5.7.–4.8.). Dort trennten sich die beiden, nachdem sie ihren Hofstaat untereinander aufgeteilt hatten (diviso palatio)46. Valentinian zog von hier nach Norditalien weiter; am 25.8. ist er in Atrans bezeugt und am 28.8. in Emona. Es folgte ein etwas längerer Aufenthalt in Aquileia (belegt ist er dort vom 7.9. bis zum 27.9.); dann in Altinum (30.9. bis 8.10.), am 14./15.10. in Verona und dann ab Ende Oktober in Mediolanum, wo der Kaiser bis zum Frühherbst 365 blieb. Valens ist nach der Abreise aus Sirmium am 24.9. in Heraclea und dann am 16.12. in Constantinopolis belegt; dort verweilte der Kaiser bis Ende Juli 365. Es gab also zahlreiche Orte (darunter auch kleinere), welche die einzelnen Herrscher auf ihren Reisen zumindest kurzzeitig berührten, die aber insgesamt nur selten besucht wurden. Mehr oder minder zufällige Haltepunkte auf größeren Reisen konnten so für eine Weile zur ‚Kaiserresidenz‘ werden. Dazu zählten nicht zuletzt größere Villen, die von den Kaisern in den heißen Sommermonaten bisweilen aufgesucht wurden47. Daneben sind aber einige Orte auszumachen, an denen sich die Herrscher immer wieder und über längere Zeiträume aufhielten – diese lassen sich daher als die eigentlichen ‚Kaiserresidenzen‘ im engeren Sinne definieren. Um herauszufinden, welche Orte sich in diese

44 Vgl. die Angaben bei Barnes 1982, 53f. 45 Vgl. Seeck 1919, 215–219. 46 Amm. 26, 5, 4: Valentinianus Mediolanum, Constantinopolim Valens discessit. 47 So ist Valentinian I. im Hochsommer des Jahres 371 fünfmal an einem Ort namens Contionacum bezeugt (siehe  etwa CTh 2, 4, 3 vom 29.7.371), der höchstwahrscheinlich mit der ‚Kaiservilla‘ von Konz an der Saarmündung zu identifizieren ist (vgl. ferner Auson., Mos. 367–369: Die Saar wälze sich entlang sub Augustis […] muris); dazu Coşkun 2014/15.

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Kategorie einordnen lassen, hilft – da eine einheitliche Bezeichnung oder Klassifizierung hierfür in den Quellen, wie bereits gesehen, kaum aufzufinden ist – letztlich nur eine quantitative Analyse weiter, die danach fragt, welche Städte als kaiserliche Aufenthaltsorte so häufig genannt werden, dass sie als bevorzugte Residenzen erscheinen. Ganz klare Abgrenzungskriterien sind allerdings auch hierdurch nicht zu erreichen48, und daher müssen in gewissem Maße auch qualitative Argumente in die Untersuchung einbezogen werden. So ergibt sich zumindest an der Spitze doch ein recht klares Muster, denn es lässt sich eine Kerngruppe (‚1. Kategorie‘) von Städte herausfiltern, welche der oben genannten, engeren Definition einer ‚Kaiserresidenz‘ unzweifelhaft entsprechen: Im Westen sind dies Trier, Mailand und Sirmium; im Osten Constantinopolis, Nicomedia und Antiochia. Zwei weitere Orte, die in der Regel ebenfalls dieser Kategorie zugerechnet werden, werfen hingegen einige Probleme auf: Serdica, eine wichtige Station an der großen Straße durch den Balkan, war offenbar schon unter dem Caesar und späteren Augustus Galerius ein häufiger Aufenthaltsort des Herrschers (s. u.). Von erheblicher Bedeutung war es sodann in der mittleren Regierungszeit Konstantins, der hier zwischen 316 und 323 mindestens dreimal sein Winterquartier aufschlug und auch danach noch einige Male in die Stadt kam. Der Kaiser soll nach einer isoliert überlieferten Anekdote, deren Wahrheitsgehalt schwer einzuschätzen ist, so angetan von Serdica gewesen sein, dass er „zunächst daran dachte, die Regierung nach Serdica zu verlegen (ta demosia metagagein); und da er diese Stadt liebte, sagte er oft: ‚Serdica ist mein Rom‘“49. Nach Konstantins Tod scheint dann die Bedeutung von Serdica für (längere) kaiserliche Besuche erheblich zurückgegangen zu sein. Allerdings ist noch für das Jahr 343 die Existenz eines palatium in Serdica bezeugt50. Es ist jedoch bislang nicht gelungen, diesen Palast(bezirk) im Stadtgebiet des antiken Serdica, wo es im 4. Jahrhundert erhebliche Bauaktivitäten gab, sicher zu lokalisieren51. Genau umgekehrt stellt sich die Situation in Thessaloniki dar. Hier ist ein umfangreicher, an das Hippodrom angrenzender Palastbezirk des früheren 4. Jahrhunderts mittlerweile archäolo-

48 Insofern ist die vor allem von Noël Duval in zahlreichen Arbeiten (zusammengefasst in Duval 1997) geäußerte Skepsis gegenüber der vorschnellen Identifizierung von ‚Kaiserresidenzen‘ und ‚Palästen‘ durchaus gerechtfertigt; allerdings schlägt sie bei ihm bisweilen in eine zu weit gehende Hyperkritik um. 49 Petr. Patr. frgmt. F. 211 (ES 190 = Anon. Cont. F 15, 1; Müller FHG IV p. 199). Ähnliches berichtet Zon. 13, 3; ansonsten ist das der einzige Beleg für diese Episode. 50 Athanas., hist. Arian. 15, 4. 51 Vgl. De Sena 2014.

gisch recht gut bekannt52. Verbunden damit war ein Tetrapylon mit Reliefschmuck, welcher den erfolgreichen Perserkrieg des Caesar Galerius feierte, der sogenannte ‚Galeriusbogen‘. Man hat daher angenommen, dass Thessalonica dem Galerius zwischen 299 und 303 und dann nochmals zwischen 308 und 311 als ‚Hauptresidenz‘ gedient habe. Es gibt jedoch keine einzige zeitgenössische literarische Quelle, die Galerius mit Thessalonica in Verbindung bringt, und die hierfür herangezogene numismatische Argumentation, die sich auf die wechselnden Aktivitäten der Reichsmünzstätten Serdica und Thessalonica stützt53, hat an sich wenig Aussagekraft. Erst mittelbyzantinische Quellen sprechen von einem „Palast des Galerius“ in Thessaloniki54. So bleibt letztlich unklar, aus welchem Grund (und wann) der Galeriusbogen gerade hier errichtet wurde. Die wenigen aussagekräftigen Quellen, die wir für diesen Zeitraum besitzen, lokalisieren Galerius jedenfalls eher in Serdica55. Zu einem häufigeren Aufenthaltsort des Kaisers wurde Thessalonica erst unter Konstantin, der 323 und 324 für längere Zeit in der Stadt weilte, um einen Goteneinfall abzuwehren sowie die finale Auseinandersetzung mit Licinius vorzubereiten; er baute in diesem Kontext auch den dortigen Hafen aus56. Ähnliches wiederholte sich dann unter Theodosius I.: Im Kampf gegen die Goten auf dem Balkan bezog der neu ernannte Augustus im Som52 Zusammenfassend dazu vgl. Mayer 2002, 39–68; Duval 2003; Hadjitryphonos 2011; Spieser 2015. 53 Vgl. Sutherland/Carson 1967, bes. 5f.; daraus hat Barnes 1982, 61f. mit Anm. 71 geschlossen, Galerius habe seit seiner Ankunft im Donauraum 299/300 seine Residenz zunächst bis 303 in Thessalonica, dann bis 308/09 in Serdica und ab da bis zu seinem Tod wieder in Thessalonica aufgeschlagen. 54 Zitiert bei Mayer 2002, 39 Anm. 148. Dieser Quellenbefund wird in der modernen Forschung viel zu wenig beachtet, wo weithin unhinterfragt behauptet wird, der Palast sei mit der Präsenz des Galerius zu verbinden, und zwar „following his victory over the Persians and the proclamation of Thessalonike as his official residence in AD  299“ (so Hadjitryphonos 2011, 206). Siehe dagegen die skeptische Haltung von Duval 2003, 280f. 55 So insbesondere Origo Const. 8 zum November 308: tunc Galerius in Illyrico Licinium Caesarem fecit; deinde illo in Pannonia relicto, ipse ad Serdicam regressus, morbi ingenti occupatus sic distabuit […]. Hier wird der Eindruck erweckt, Galerius sei auch danach in Serdica geblieben, während von Thessalonica keine Rede ist; die anderslautende Darstellung bei Barnes 1982, 62 Anm. 72 ist daher nicht überzeugend. Galerius verstarb im Frühjahr 311 in Dardania (Chron. min. I p. 148), was sich eventuell ebenfalls auf Serdica beziehen lässt. Bestattet wurde der Kaiser an seinem Geburtsort Romuliana in der Provinz Dacia mediterranea (so Epit. Caes. 40, 16). Zum Aufenthalt des Galerius „im Illyricum“ (ohne genauere Spezifizierung) ab dem Jahr 299/300 siehe ferner Eutr. 10, 2 und Lact., mort. pers. 18, 6: in Illyricum, id est ad ripam Danuvii, relegatus. 56 Origo Const. 21; Zos. 2, 22, 1–8.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

mer 379 sein erstes Hauptquartier in Thessalonica57 und blieb dort auch über den Winter 379/80, bevor er sich im November 380 nach Constantinopolis begab. 387/88 war Thessalonica nochmals das Winterquartier des Theodosius I., der von hier aus zum Bürgerkrieg gegen Magnus Maximus in den Westen aufbrach. Diese Betrachtungen leiten über zu einer zweiten Gruppe von Orten, die zwar auch nicht selten von den Herrschern aufgesucht wurden, wo dies aber nicht in der Frequenz geschah wie bei den genannten Städten, so dass man hier vielleicht von ‚Kaiserresidenzen der 2. Kategorie‘ sprechen kann – die genaue Abgrenzung bleibt jedoch, wie gleich zu zeigen sein wird, schwierig. Kaum ein Fall vermag das besser zu demonstrieren als derjenige von Aquileia. Die Stadt an der wichtigen Verbindungsstraße von Norditalien nach Pannonien wurde in Italien nach Mailand am zweithäufigsten von den Kaisern besucht. Zudem ist hier schon für die Zeit um 300 ein palatium bezeugt58, und durch einen epigraphischen Fund ist nunmehr bekannt, dass Kaiser Konstantin mit dem Neubau einer großen Thermenlage in Verbindung stand, die deshalb als Felices thermae Constantiniae bezeichnet wurden59. Auch ansonsten ist für das späte 3. und frühere 4.  Jahrhundert in Aquileia eine erhebliche städtebauliche Dynamik auszumachen, und in der Stadt stand daher die für einen kaiserlichen Aufenthalt benötigte Infrastruktur in vollem Umfang zur Verfügung60. Gerade in der ersten Hälfte des 4.  Jahrhunderts war die Zahl der (gesicherten) Kaiserbesuche in Aquileia jedoch nicht allzu hoch: Maximian ist nur einmal hier bezeugt, Konstantin zweimal und sein Sohn Constans dreimal. Im späteren 4.  Jahrhundert kamen die Herrscher dann etwas häufiger nach Aquileia, gerade im Zuge der nicht seltenen Bürgerkriege; und so diente die Stadt zweimal für längere Zeit als Hauptquartier eines Gegenkaisers: 351/52 für Magnentius und 387/88 für Magnus Maximus. In diesem Fall fällt eine Entscheidung besonders schwer: Nach qualitativen Kriterien ist Aquileia die Funktion als ‚Kaiserresidenz‘ kaum abzusprechen, aber in quantitativer Hinsicht bleibt Aquileia doch um einiges hinter den Residenzen der 1. Kategorie 57 Zos. 4, 25, 1 u. 27, 1. 58 Der Palast von Aquileia wird erwähnt in Paneg. 7, 6, 2 (aus dem Jahr 307); das angesprochene Bild im Speisesaal des Komplexes könnte auf eine Episode referieren, die sich dort zwischen 293 und 296 ereignet hat: imago illa declarat in Aquileiensi palatio ad ipsum convivii posita adspectum. Die Lokalisierung des palatium im Stadtgebiet von Aquileia ist allerdings bis heute nicht mit letzter Sicherheit gelungen; vgl. Mian 2006; Tiussi/Villa 2017, 125–135. 59 AE 1996, 694 = AE 2001, 1008; dazu Rieß 2001; Witschel 2012/13, 43–48. Siehe ferner AE 2001, 1009. 60 Dazu zuletzt Tiussi/Villa 2017.

zurück, zumal der Ort nur recht selten als Winterquartier für einen Herrscher fungierte61. Als weitere (mögliche) ‚Kaiserresidenz‘ im Illyricum wird in der modernen Literatur häufiger Naissus genannt, das allerdings in der administrativen Hier­archie der Spätantike deutlich hinter Serdica und Sir­ mium zurückstand. Dafür hatte es das Privileg, die Geburtsstadt Konstantins zu sein, und dieser soll Naissus später „auf das Prächtigste ausgestaltet haben“62. Konstantin selbst war allerdings nur dreimal für kürzere Zeit in Naissus (319, 329 und 334); und die Behauptung, die Stadt sei zwischen 308 und 316/17 eine Art ‚Zweitresidenz‘ des Licinius gewesen, entbehrt jeglicher Quellengrundlage. Eine gewisse Rolle spielte Naissus dann unter den Söhnen Kon­ stantins. So hat Constans hier im Winter 339/40 sein Quartier aufgeschlagen, und Julian hielt sich bei seinem Zug nach Osten im Herbst 361 für längere Zeit in der Stadt auf, die in diesem Zusammenhang als copiosum oppidum beschrieben wird.63 Schließlich gelangten Valentinian und Valens im Juni 364 auf ihrer gemeinsamen Reise Richtung Sirmium nach Naissus, wo sie einige Tage blieben64: „Dort, in einer Vorstadt (in suburbano) namens Mediana, die drei Meilen von der Stadt entfernt liegt, teilten sie im Hinblick auf ihre baldige Trennung die hochrangigen Militärführer unter sich auf“. Das hier genannte Mediana hat man mit einer ausgedehnten Villenanlage (und zahlreichen Nebengebäuden) ca. 5 km östlich von Niš identifiziert, welches über die Infrastruktur verfügte, um auch ein größeres Gefolge aufzunehmen65. Eine weitere wichtige Station an der großen Fernstraße von der Donau zum Bosporus war Perinthos, das am Ende des 3. Jahrhunderts in Heraclea umbenannt wurde (eventuell auch zu Ehren von Diocletians Mitregenten Maximian, der als Herculius firmierte). Für diesen Ort sind von Diocletian bis Theodosius I. recht viele, wenn auch zumeist nur kurzzeitige Kaiserbesuche bezeugt – so blieb Heraclea auch nach der Neugründung von Constantinopolis von einiger Bedeutung als kaiserlicher Aufenthaltsort. Das wird dadurch unterstrichen, dass hier ab den frühen 290er-Jahren eine Reichsmünzstätte aktiv war; vor

61 Skeptisch bleibt daher beispielsweise Duval 1973, 155; abwägend hingegen Witschel 2012/13, 35–39. 62 Origo Const. 2: quod oppidum postea magnifice ornavit. Die Ausschmückung von Naissus durch Konstantin ist nur hier überliefert; bei Steph. Byz., s. v. ‚Naissos‘ wird allerdings sogar behauptet, die Stadt sei eine Neugründung (ktisma) des Kaisers gewesen. 63 Amm. 21, 10, 5; siehe auch Amm. 21, 12, 1 u. 21. 64 Amm. 26, 5, 1. 65 Vgl. Duval 1997, 131f.; Vasić 2007.

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allem aber durch die zweimalige Erwähnung eines Palastes (palatium/ta basileia), der noch von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert restauriert wurde66. Die Entscheidung, welche unter den Städten, die zwar mehrfach, aber nicht allzu oft von den Herrschern aufgesucht wurden, noch unter die Kategorie der ‚Kaiserresidenzen‘ gerechnet werden kann, ist nicht immer einfach vorzunehmen. Das zeigt ein besonders kontrovers diskutierter Fall, nämlich der des südgallischen Arelate. Arles hatte zwar bis zum frühen 5. Jahrhundert keine größere administrative Bedeutung, war aber eine prosperierende Metropole67, deren Zentrum im Laufe des 4.  Jahrhunderts einen erheblichen urbanistischen Ausbau erfuhr. Hinzu kommt, dass Arles, seit 313 Reichsmünzstätte und 314 Austragungsort eines größeren Kirchenkonzils, sowohl in der örtlichen Münzprägung des früheren 4. Jahrhunderts als auch in zwei Quellen des 5. Jahrhunderts als urbs Constantina bezeichnet wird68. Dieser Ehrenbeiname dürfte sich ursprünglich zunächst auf Constantinus II. (s. u.) bezogen haben, wurde dann aber im 5. Jahrhundert als Referenz auf Konstantin selbst verstanden. Auch ein palatium ist in Arles bezeugt, allerdings erst für die Zeit um 50069. All das hat zu der Annahme geführt, dass Arles bereits unter Konstantin zur zweiten gallischen ‚Kaiserresidenz‘ nach Trier aufgestiegen sei. Wenn man nun aber auf die sicher bezeugten Kaiserbesuche in dieser Stadt blickt, kommen gewisse Zweifel auf 70. Zwar könnte die Stadt zwischen 308 und 310 als eine Art ‚Nebenresidenz‘ des nach Gallien geflohenen Altkaisers Maximian gedient haben, aber entgegen Behauptungen in der modernen Forschung ist es unwahrscheinlich, dass sich Konstantin selbst zu dieser Zeit länger in Arles aufgehalten hat. Der einzige gesicherte Besuch Konstantins in der Stadt erfolgte – auf der Durchreise – im August 31671; immerhin wurde dort sein Sohn Constantinus II. geboren72. Dessen Bruder Constantius II. verbrachte dann als Kaiser den Winter 353/54 in Arles

66 Expos. mundi 50; Proc., aed. 4, 9, 14–16. 67 Siehe hierzu nur Expos. mundi 58; Auson., ordo 73–80. 68 Epist. Arel. 8 (MGH Epist. III p. 13–15) aus dem Jahr 418 und Epist. Arel. 12 (MGH Epist. III p. 17–20) aus dem Jahr 450: „Die Stadt wurde von Konstantin so sehr geehrt, dass sie neben dem Namen Arelate auch die Bezeichnung ‚Constantina‘ nach dem Namen des Kaisers erhielt“. 69 V. Caes. Arel. 1, 29. Möglicherweise deutet bereits Sidon., epist. 1, 11, 10 (bezüglich einer Einladung des Autors zu einem epulum durch Kaiser Maiorian anlässlich von ludi circenses in Arles im Jahr 461) auf die Existenz eines palatium in der Stadt hin. 70 Alle einschlägigen Belege hierfür werden diskutiert von Heijmans 2006. 71 Die Teilnahme Konstantins an der Synode von Arles im Sommer 314 ist trotz Eus., v. Const. 1, 44, 2 nicht gesichert. 72 CTh 11, 30, 5–6; Epit. Caes. 41, 4.

(Arelate hiemem agens Constantius). Er feierte hier seine Tricennalien und veranstaltete dazu aufwändige Spiele im Theater und im circus73 – das ist aber gleichzeitig der letzte überlieferte Kaiserbesuch in Arles während des 4.  Jahrhunderts. Als ‚Kaiserresidenz‘ diente Arles dann erst wieder unter dem Gegenkaiser Constantinus III. von 408 bis 411. Es fragt sich daher, ob das ausreicht, um Arles in die Gruppe der ‚Kaiserresidenzen‘ (der 2.  Kategorie) einzuordnen. An dieser Stelle ist noch ein weiteres Phänomen anzusprechen, denn Trier und Arles waren keineswegs die einzigen Orte in Gallien, die von den Kaisern aufgesucht wurden. So sind Kaiseraufenthalte (teilweise auch mehrfache) überliefert für Mainz, Reims, Boulogne, Beauvais, Amiens, Sens, Chalone-sur-Saône, Marseille und Valence. Für einige weitere Orte in Gallien sind darüber hinaus auch ‚Paläste‘ (palatia/regiae) bezeugt, so für Köln (wo sich die Kaiser öfters zur Bekämpfung der Franken aufhielten), Paris, Autun, Vienne und sogar für Rauracum (Kaiseraugst). Alle diese Orte erfüllten also für eine gewisse Zeit eine Funktion als kaiserliche Domizile, teilweise auch für einen ganzen Winter, aber es bleibt dennoch fraglich, ob man sie deswegen als ‚Kaiserresidenzen‘ im engeren Sinne bezeichnen darf.

Weitere (literarische) Quellen zu den ‚Kaiserresidenzen‘ Im Folgenden sollen die Quellenbelege zu den soeben definierten ‚Kaiserresidenzen der 1. Kategorie‘ untersucht werden, und zwar auf die Frage hin, ob sich hier spezielle Bezeichnungen ausmachen lassen, die ihre Funktion als häufige Aufenthaltsorte der Herrscher prägnant benannten. Hierzu wird zunächst die literarische Gattung des Städtelobes (in einem weiten Sinn) betrachtet. Nicht zu allen in Frage kommenden Orten liegen allerdings entsprechende Texte vor. Für Trier ist hier noch einmal auf das Werk des Ausonius zu verweisen74, und zwar auf eine Passage aus der „Mosella“, in welcher der Dichter diesen Fluss preist75: „Sei gegrüßt Strom, gelobt von den (fruchtbaren) Äckern, gelobt von den Bauern, dem die Belger die Stadt verdanken, welche der (kaiserlichen) Herrschaft würdig wurde“.

73 Amm. 14, 5, 1 u. 10, 1. 74 Siehe auch o. Anm. 30 zu dem von Ausonius verwendeten Ausdruck Trevericae urbis solium. 75 Auson., Mos. 23–24.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

Ein literarisch gestaltetes Stadtbild von Nicomedia findet sich in einer Trauerrede (‚Monodie‘), welche Libanios (der selbst zwischen 344 und 349 in Nicomedia als Rhetoriklehrer aktiv gewesen war) auf die von einem schweren Erdbeben am 24.8.358 zerstörte Stadt hielt. Die Residenzfunktion von Nicomedia wird in der Rede zwar nicht explizit angesprochen, wohl aber der – auch aus anderen Quellen bekannte76 – Palast sowie weitere bedeutende Gebäude, darunter die Bäder, die nunmehr zerstört seien77: „Wo sind die Badeplätze der Grazien und der Nymphen selbst, von denen das größte [Bad] seinen Namen von dem Kaiser hat78, der es vollendet hat, und das einer ganzen Stadt entspricht? […] Wo ist der Palast? Wo ist das Hippodrom, das mächtiger war als die Mauern von Babylon?“. Die weitaus umfangreichste literarische Darstellung einer spätantiken Residenzstadt bietet aber die Lobrede, die Libanios im Jahr 356 auf seine Heimatstadt Antiochia gehalten hat, der sogenannte Antiochikos79. Der erste Teil der Rede ist historischen Rückblicken gewidmet. Dabei wird vor allem die hellenistische Epoche der Stadt abgehandelt, während nur zwei Vorgänge des 4.  Jahrhunderts Erwähnung finden: Eine lediglich lokal bedeutsame Revolte unter Diocletian sowie die erst kurz zurückliegende Zeit der Perserkriege unter Constantius II., als sich der Kaiser zwischen 337/38 und 349 in den Wintermonaten fast ununterbrochen in Antiochia aufgehalten und die Stadt dadurch zu seinem militärischen Hauptquartier gemacht hatte. An dieser Stelle schiebt Libanios eine bemerkenswerte Aussage ein80:

76 Mehrfach wird der von Diocletian erbaute Palast von Nicomedia im Zusammenhang mit dem Beginn der Christenverfolgungen im Jahr 303 erwähnt: Lact., mort. pers. 12, 3 u. 14, 2–4 (palatium); Eus., hist. eccl. 8, 6, 6; Const., or. sanct. 25, 2 (basileia); Siehe ferner Lact., mort. pers. 17, 5 u. 47, 5 sowie Amm. 22, 9, 4–5 (regia). Die Palastanlage ist bislang im antiken Stadtgebiet von Nicomedia nicht sicher lokalisiert worden. Die spektakulären Funde (Opus sectile-Böden; Säulen einer aufwändigen Innenarchitektur, Skulpturen, zahlreiche Reliefplatten der tetrarchischen Epoche; dazu u. Anm. 106), die im Bezirk Çukurbağ der modernen Stadt İzmit (auf einem Hügel, der recht weit vom Meer entfernt liegt) gemacht worden sind, könnten Teil einer solchen Palastanlage gewesen sein, etwa in Form einer besonders reich ausgestatteten Aula mit vorgelagerter Treppenanlage; vgl. Şare Ağtürk 2021, 8–11; 18–23. 77 Lib., or. 61, 17. Vgl. zu dieser Rede des Libanios auch Franco 2016. 78 S. u. Anm. 154. 79 Vgl. hierzu den ausführlichen Kommentar von Fatouros/Krischer 1992. 80 Lib., or. 11, 179–180.

„Unsere Stadt hat eine der Größe des Kaisers ebenbürtige Leistung vollbracht […]. Daher ist denn auch unsere Stadt sozusagen die Geliebte des Kaisers, und wenn er unterwegs ist, gleichsam fern der Heimat, dann richtet er den Sinn auf sie und legt Eide ab, dass er wiederkommen werde […]. Er wandte sich nicht anderswohin, es sei denn, der Krieg zwang ihn dazu; sondern wahrhaftig wie in den Armen einer Geliebten genoss er es in vollen Zügen und verbrachte hier die schönsten Stunden seines Lebens“. Konventioneller ist dagegen das an anderer Stelle der Rede eingestreute Lob von Antiochia als „Metropole Asiens“81, das auf die Ehrentitel rekurrierte, welche die Städte im östlichen Teil des Imperium Romanum in den vorangegangenen Jahrhunderten in großer Zahl erworben hatten. Ähnliches gilt für die Ansprache von Nicomedia als Bithyniae urbium mater durch Ammian82. Es kann somit konstatiert werden, dass es in den Quellen durchaus einige Hinweise auf die Wichtigkeit der kaiserlichen Präsenz an den hier behandelten Orten gibt, denn diese war für die Gemeinden offensichtlich von hoher Relevanz. Gleichzeitig ist aber zu erkennen, dass keine einheitliche Terminologie hierfür entwickelt worden ist. Darüber hinaus liegen zu einigen der ‚Residenzen der 1. Kategorie‘ ausführlichere Beschreibungen spätantiker Autoren vor, welche darauf hinweisen, dass es hier so etwas wie ein Bauprogramm gegeben hat, um diese Städte für ihre Funktion als häufiger und über längere Zeiträume von den Herrschern aufgesuchte Orte entsprechend auszustatten und urbanistisch aufzuwerten83. Die entsprechenden Passagen seien aufgrund ihrer Bedeutung für unser Thema im Folgenden im Wortlaut zitiert. Zunächst zu Trier – in einer Lobrede auf Kaiser Konstantin, welche im Sommer 310 in Anwesenheit des Kaisers in Trier gehalten wurde, präsentiert der Redner eine Darstellung der städtebaulichen Situation im frühen 4. Jahrhundert84: „Ich sehe einen Circus maximus, konkurrierend mit demjenigen in Rom, wie ich glaube; 81 Lib., or. 11, 130 u. 187. 82 Amm. 17, 7, 1. Ammian verwendet im Übrigen genau dieselbe Bezeichnung auch für Nicaea, die große Rivalin von Nicomedia (Amm. 26, 1, 3). Zudem ist für Nicaea ebenfalls die Existenz einer kaiserlichen Palastanlage bezeugt, insbesondere im Kontext des großen Kirchenkonzils im Jahr 325, an dem Konstantin selbst teilnahm: Eus., v. Const. 3, 10, 1 u. 15, 1–2; Amm. 26, 10, 1; Sozom., hist. eccl. 1, 19, 1–5; Proc., aed. 5, 3, 1–3. 83 Vgl. zum Folgenden Mayer 2002 bes. 38f.; Witschel 2004/05, 224–237; Wulf-Rheidt 2007; ferner die nützliche Differenzierung von Rieß 2001, 275f. 84 Paneg. 6, 22, 5–6.

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ich sehe Basiliken und das Forum, weiterhin königliche/kaiserliche Bauwerke (opera regia) und den Thron der Gerechtigkeit (sedem iustitiae), welche sich in solche Höhen erheben, dass sie würdig der Gestirne und des Himmels sind und ihre Nachbarn zu sein verheißen. Dies alles sind gewiss Gaben, die Deiner Anwesenheit zu verdanken sind. Denn an den Orten, die Deine göttliche Hoheit durch sehr häufigen Besuch auszeichnet, erfahren alle Bereiche Wachstum an Bevölkerung, Bauwerken und Gunsterweisen“. Für Mediolanum liefert Ausonius in dem bereits angesprochenen Werk „Ordo urbium nobilium“ aus dem späten 4. Jahrhundert eine dichterische Beschreibung des zeitgenössischen Zustandes85: „Auch in Mailand ist alles wunderbar: Die Menge der Dinge, die unzähligen und gepflegten Häuser […] dann, mit doppelter Mauer erweitert, das Aussehen des Platzes und des Volkes Vergnügen: Der Circus und die keilförmig angelegte Masse des Theaters, die Tempel und die ‚Palatinischen Burgen‘ (Palatinae arces) sowie die reiche Münzstätte und diejenige Gegend, die durch die besondere Hervorhebung des ‚Herculeischen Bades‘ stark frequentiert ist; und die gesamten, mit marmornen Statuen geschmückten Säulengänge. […] Und dies alles ragt, gleichsam in großartig gestalteten Werken rivalisierend, heraus; und es wird nicht niedergedrückt durch die Nachbarschaft Roms“. Zu Nicomedia besitzen wir eine entsprechende Darstellung in dem Werk des Lactanz „Über die Todesarten der (Christen-)Verfolger“, die zwar als Kritik an Kaiser Diocletian angelegt und dementsprechend gehässig ist, aber dennoch die umfangreichen Baumaßnahmen in der Zeit um 300 gut erkennen lässt86: „Dazu kamen eine grenzenlose Baulust und eine nicht geringe Forderung an die Provinzen, Arbeiter, Künstler, Fahrzeuge, einfach alles zu stellen, was man für die Errichtung von Bauwerken braucht. Hier [in Nicomedia; s. u.] ließ er [Diocletian] Basiliken bauen, dort einen Circus, hier eine Münzprägestätte, dort eine Waffenfabrik, hier für seine Frau ein Haus, dort für seine Tochter. Plötzlich wird ein großer Teil der Stadt abgerissen [um Platz für die Neubauten zu schaffen]. […] So zeigte sich

85 Auson., ordo 35–45. 86 Lact., mort. pers. 7, 8–10.

sein ständiger Wahnsinn in dem Bemühen, Nicomedia auf eine Stufe mit der Stadt Rom zu stellen“. Zu Antiochia gibt es eine ausführliche Schilderung bei dem Chronisten Johannes Malalas aus dem mittleren 6.  Jahrhundert, dessen Angaben zwar nicht immer zutreffend sind, an dieser Stelle aber weitgehend Vertrauen verdienen87: „Diocletian selbst verblieb [während des Perserfeldzuges des Galerius im Jahr 296/97] in Antiochia. Und er erbaute dort einen großen Palast (palation mega); dabei fand er Grundmauern vor, die früher von Gallienus Lici­ nianus gelegt worden waren. Es erbaute dieser Diocletian aber auch ein öffentliches Bad in der Ebene beim alten Hippodrom, das er ‚Diocletianum‘ benannte. Er führte denn auch Getreidespeicher auf, um Getreide einzulagern […] Ferner erbaute er in Daphne [einem Vorort von Antiochia mit einem bedeutenden Heiligtum] ebenfalls einen Palast, damit die ankommenden Kaiser dort eine Bleibe hätten, denn zuvor errichteten sie im Hain Zelte und hielten sich dort auf. Er begründete aber auch Fabriken für die Waffenherstellung für das Heer […]. Er baute in Antiochia die Münze wieder auf, damit dort Geld geprägt werden dürfe […]. Ferner errichtete er auch ein Bad, das er ‚Senatorenbad‘ benannte; in gleicher Weise aber auch drei weitere Bäder“. Wenn man nun diese Darstellungen miteinander vergleicht, fallen die ziemlich großen Übereinstimmungen ins Auge, die durch weitere literarische, vor allem aber epigraphische und archäologische Quellen untermauert werden können. So wird eine Reihe von architektonischen Strukturen und Gebäuden immer wieder erwähnt. An erster Stelle ist dabei der (kaiserliche) ‚Palast‘ zu nennen , denn für praktisch alle ‚Kaiserresidenzen‘ der 1. (und auch der 2.) Kategorie ist die Existenz eines solchen palatium nachzuweisen. In der Regel wird auf dessen architektonische Gestalt in den literarischen Quellen jedoch nicht näher eingegangen. Die ausführlichste Beschreibung eines spätantiken Kaiserpalastes findet sich im „Antiochikos“ des Libanios88: „Der Palast [in Antiochia] selbst nimmt so viel von der Insel [im Orontes] ein, dass er ein Viertel des Ganzen ausmacht. Denn er reicht bis zur Mitte […], und dann erstreckt er sich bis zum äußeren Arm des Flusses, so dass

87 Mal. 12, 38. 88 Lib., or. 11, 206–207.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

die Mauer hier statt der Brustwehren Säulen trägt, einen Anblick bietend, wie er einem Kaiser gebührt, da unten der Fluss vorüberfließt und rings die Villen der Vorstadt das Auge erfreuen […]. [Der Palast] ist hinsichtlich der Schönheit unbezwungen und im Wettstreit der Größe besiegt er alle anderen, denn er hat so viele Gemächer und Kolonnaden und Hallen aufzuweisen, dass auch jene, die mit den Örtlichkeiten vertraut sind, sich verirren und von Tür zu Tür wandern“. Das bleibt ziemlich vage, und auch der archäologische Kenntnisstand zu den Palastanlagen ist nach wie vor recht ausschnitthaft, zumal die Lokalisierung des Palastbezirkes noch nicht an allen Orten überzeugend gelungen ist. Dennoch haben rezente Forschungen in verschiedenen Städten wichtige neue Einsichten erbracht, und zusammen mit weiteren schriftlichen Quellen lässt sich zumindest ein ungefähres Bild der Palastkomplexe erarbeiten89. Zunächst ist zu konstatieren, dass es sich bei dem ‚Palast‘ nicht um ein einziges größeres Gebäude gehandelt hat, sondern um einen größeren Bezirk mit verschiedenen Baustrukturen90: Der Palastbezirk war zumindest in Teilen von außen gut sichtbar, entweder durch einige alles überragende Bauten wie in Trier oder durch eine Art Schaufassade. Das wird etwa von Libanios in Bezug auf Nicomedia thematisiert, wenn er imaginiert, wie sich eine Gruppe von Menschen der Stadt nähert:91 „So zeigte man seinem Nachbarn den Palast, der bei der Bucht erstrahlte“. Die zweistöckige Fassade des Palastes von Antiochia zum Orontes hin, die Libanios (s. o.) beschreibt, spielt auch eine wichtige Rolle in einer Episode, die der Kirchenhistoriker Theodoret überliefert92: „Im Norden fließt der Orontes an der kaiserlichen Burg vorbei, auf der Mittagsseite ist eine sehr große Halle mit doppeltem Dach und hohen Türmen auf beiden Seiten an die Stadtmauer angebaut […]. [Auf der Straße vor dem 89 Zusammenfassende Literatur zu den einzelnen Palastbezirken – Trier: Kiessel 2012/13; Wulf-Rheidt 2014; D’Onza 2021; Mailand: Ceresa Mori 2018; Sirmium: Duval 1979; Popović 2007; Nicomedia: Şare Ağtürk 2021 (vgl. auch o. Anm. 77); Antiochia: Downey1961, 317–327 u. 393f.; Brands 2016 bes. 7–15. Vgl. ferner die Beiträge in Ruppienė 2021: außerdem o. Anm. 53 zu Thessalonica sowie Anm. 59 zu Aquileia. 90 Vgl. die Darstellung des Evagr., hist. eccl. 2, 12 zu dem Palastbezirk in Antiochia, wo neben dem „ersten und zweiten Gebäude (oikos)“ auch ein Bad erwähnt wird. 91 Lib., or. 61, 10. 92 Theod., hist. eccl. 4, 26, 1–2.

Palast geht ein heiliger Mann entlang:] Da erblickte ihn der Kaiser [Valens], der oben von der kaiserlichen Halle herabschaute“. Während also der Palastbezirk im Stadtraum gut sichtbar war, so war er doch nach außen abgegrenzt, so dass man ihn nur an bestimmten, kontrollierten Punkten betreten konnte93. Das zeigen etwa zwei Passagen bei Ammian in Bezug auf Mailand: Im Sommer des Jahres 354 kam ein Mann nach Mailand, wo sich Constantius II. gerade aufhielt. Er „betrat (sofort) den Palast (ingressus regiam)“ und wurde zum Kaiser vorgelassen94. Ein Jahr später erfuhr Constantius II., der immer noch in Mailand war, von einer Usurpation in Gallien. Er war sehr beunruhigt und berief daher mitten in der Nacht seinen Rat (consilium) ein95: „Da eilten all die führenden Männer in den Palast (properarunt in regiam). [Nun wurde der Name des Ursicinus ins Spiel gebracht:] und als dieser von dem magister admissionum [dem für den Zutritt zum Palast verantwortlichen Hofbeamten] herbeigerufen worden war […] und den Ratssaal (consistorium) betreten hatte, wurde ihm das (kaiserliche) Purpurgewand zum Kuss dargeboten“. Der Eingangsbereich zu dem Palastbezirk konnte besonders ausgestaltet sein, wie wir es insbesondere zu Antiochia erfahren. Hier führte von einem Tetrapylon eine prächtig ausgestattete Kolonnadenstraße zu dem Palast, wie Libanios berichtet96: „Die vierte Straße ist zwar kürzer, dabei aber umso viel schöner als sie kürzer ist, da sie zum nahegelegenen Kaiserpalast hinführt, ihm als Vorhalle dienend“. Dieser Straßenabschnitt wird daher bei Malalas Rhegia genannt97; und von Ammian erfahren wir, dass sich im Jahr 363 in Antiochia schlimme Vorzeichen ereigneten98: „Denn die Statue des Caesars Maximianus [gemeint ist Galerius], die in der Vorhalle des kaiserlichen Palastes (in vestibulo regiae) stand, ließ plötzlich die Bronzekugel in Form des Globus fallen, die sie in der Hand hielt, 93 Vgl. hierzu auch Amm. 14, 1, 6 zu Menschen, die in Antiochia latenter intromissi per posticas in regiam dem Caesar Gallus Bericht erstatteten. 94 Amm 15, 1, 2. 95 Amm. 15, 5, 18. 96 Lib., or. 11, 205. 97 Mal. 13, 19. 98 Amm. 25, 10, 2.

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und die Balken des Beratungssaales (consistorium) gaben ein schreckliches Knarren von sich“. Zu einem Palastbezirk gehörten also noch weitere Bauten, so eine große Audienzhalle (aula), die auch für Feierlichkeiten in Anwesenheit des Kaisers genutzt werden konnte; ein Beratungsraum (consistorium); eine oder mehrere Speisesäle für die kaiserlichen Gastmähler (convivia) sowie die Privatgemächer (domus) der kaiserlichen Familie. Zahlreiche Innenhöfe stellten eine Verbindung zwischen diesen einzelnen Elementen her. Aufgrund der häufigen Erwähnung von – sowohl zivilem wie auch militärischem – Palastpersonal sind zudem Unterbringungsmöglichkeiten für diese Menschen anzunehmen, etwa Kasernen für die Gardetruppen. Seine Wirkung entfaltete der ‚Palast‘ somit weniger in Form einer geschlossenen Gebäudestruktur als vielmehr durch seine Ausdehnung (oftmals in einem zuvor bereits bebauten Gelände) und die prachtvolle Ausstattung der einzelnen Komponenten. Kurz soll noch ein Blick auf die übrigen Gebäudetypen geworfen werden, die in den oben zitierten Quellen angesprochen werden. Regelhaft zur baulichen Ausstattung einer ‚Residenz‘ gehörte ein circus bzw. Hippodrom, der nicht zuletzt als Schauplatz der Interaktion zwischen Herrscher und Untertanen von großer Bedeutung war99. Eine Wagenrennbahn war in einigen der ‚Residenzstädte‘ schon zuvor vorhanden, in anderen musste sie neu erbaut werden. Letzteres war in Nicomedia der Fall; so berichtet Lactanz zum Herbst 304100: „Diocletian kam nach Nicomedia, als ihm die Krankheit schon ärger zusetzte; und obwohl er sich durch sie stark mitgenommen fühlte, ließ er sich dennoch in die Öffentlichkeit tragen, um den Circus, den er hatte erbauen lassen, einzuweihen“. In Sirmium ist der Neubau des circus im frühen 4.  Jahrhundert archäologisch nachgewiesen101. In der Regel wird angenommen, dass eine enge räumliche und auch architektonische Verbindung zwischen Palast und circus existierte. An einigen Orten war diese tatsächlich gegeben, aber sie ist weniger oft sicher nachzuweisen, als vielfach behauptet wird. Ein weiteres Kernelement der Ausstattung von ‚Residenzstädten‘ waren große Thermenanlagen; diese

99 Dazu Heucke 1994. 100 Lact., mort. pers. 17, 4. Der circus von Nicomedia wird auch in Expos. mundi 49 gelobt: Habet autem et circenses, structuram valde bonam in qua eminet circensium spectaculum diligentius spectatur. 101 Vgl. Popović/Ochsenschlager 1976.

waren vielfach nach den Herrschern benannt und zumindest in einigen Fällen kaiserliche Stiftungen102. An einigen Orten wurden die Stadtmauerringe erneuert oder erweitert – gerade Letzteres dürfte darauf hindeuten, dass es in den ‚Residenzen‘ vor allem in den Phasen der kaiserlichen Anwesenheit zu einem nicht unerheblichen Bevölkerungszuwachs gekommen ist. Hierauf zielte auch der Ausbau der Versorgungsinfrastruktur ab, insbesondere die Errichtung von Getreidespeichern (horrea) sowie die Instandsetzung von Fernstraßen und Häfen. In einem weiteren Zusammenhang kann auch die Etablierung von Münzprägestätten (monetae) und Waffenmanufakturen (fabricae) hierzu gerechnet werden. Für die zeremonielle Aufladung des Stadtraumes bedeutsam war die (Neu-)Einrichtung von Prachtstraßen und Platzanlagen, wie es etwa in Antiochia bei der Gestaltung des Valens-Forums geschah103. Der kaiserlichen Repräsentation dienten in diesem Kontext errichtete Denkmäler zu Ehren der Kaiser, also sogenannte ‚Staatsdenkmäler‘ wie Bogenmonumente mit Reliefs, Säulen, oder Statuen aus kostbaren Materialien wie Porphyr104. Eindrücklich haben dies zuletzt die Funde zahlreicher farbig gefasster Reliefplatten der tetrarchischen Zeit im Zentrum von İzmit, dem antiken Nicomedia, gezeigt, welche u. a. zwei Tetrarchen – wohl Diocletian und Maximian – in einer ‚Umarmungs-Szene‘ vorführen105. Im Laufe des 4.  Jahrhunderts kamen dann noch große christliche Kultstätten hinzu, die jedoch in den traditionellen Stadtbeschreibungen zumeist nicht erwähnt werden, auch wenn diese von Christen verfasst waren. An dieser Stelle ist noch auf einen häufig in den einschlägigen Quellen thematisierten Punkt hinzuweisen – die Konkurrenz der neuen Residenzen zu dem alten caput mundi Rom. Die oben angeführten Passagen zu Trier, Mailand und Nicomedia zeigen deutlich, dass die Bauprogramme an den nunmehr bevorzugten Aufenthaltsorten der Herrscher nicht zuletzt dazu dienten, Rom nachzueifern – diese imitatio Romae spielt auch in den literarischen Darstellungen eine wichtige Rolle. Zusätzlich lassen sich hier noch zwei Stellen anführen: Ammian beschreibt, wie Kaiser Julian im Frühsommer 362 102 Vgl. hierzu die Diskussion bei Witschel 2012/13, 46f. 103 Mal. 13, 30; dazu Mayer 2002, 97–105; Brands 2016, 19– 30. 104 Zusammenfassend hierzu vgl. Mayer 2002. 105 Dazu ausführlich Şare Ağtürk 2021. Es könnte zudem sein, dass die beiden Porphyrsäulen-Monumente, welche jeweils ein Tetrarchen-Paar im Hochrelief zeigten, später nach Constantinopolis verbracht und auf der nach ihnen ‚Philadelphion‘ genannten Platzanlage aufgestellt wurden, von wo sie schließlich in zersägtem Zustand nach Venedig (San Marco) gelangten, ursprünglich auf einem Platz in Nicomedia gestanden hatten; vgl. Niewöhner/Peschlow 2012.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

nach Nicomedia kam, das kurz zuvor durch ein Erdbeben zerstört worden war106: „Vordem war die Stadt berühmt und so sehr mit großen Aufwendungen früherer Kaiser erweitert worden, dass sie infolge der Menge privater und öffentlicher Gebäude von denen, die sie richtig kannten, für eine Region der Ewigen Stadt gehalten werden konnte“. Eine besondere Bedeutung hatte der Rom-Bezug bei Constantinopolis, das ja als ‚neues Rom‘ propagiert wurde. Johannes Malalas nennt unter den dortigen Aktivitäten Konstantins auch die folgenden107: „Er erbaute im Hippodrom eine kaiserliche Loge in Angleichung an diejenige, die sich in Rom befand. Er errichte zudem einen großen und schönen Palast, ebenfalls in Angleichung an denjenigen in Rom, und zwar in der Nähe des Hippodroms“. Es existierte also eine Art ‚Kanon‘ von Bauten und Gebäudekomplexen, der sich in der einen oder anderen Form (wenn auch nicht immer vollständig) an allen der oben genannten Orte nachweisen lässt108 – nicht zuletzt deswegen, weil sie häufig in literarischen oder epigraphischen Quellen Erwähnung finden. Das wiederholte Auftreten derselben Typen von Gebäuden, von denen viele zu Beginn oder im Verlauf der Spätantike neu errichtet wurden und die bestimmte Funktionen erfüllten, welche mit der Anwesenheit des Herrschers in Verbindung gebracht werden können (und nicht selten auch durch diesen initiiert oder finanziert wurden), ist sicherlich kein Zufall, sondern dürfte auf einen gezielten Ausbau bestimmter stark frequentierter Orte hinweisen, um hier eine geeignete Infrastruktur für den Kaiser und dessen Hofstaat bereitzustellen. Eine solche urbanistische Dynamik ist tatsächlich charakteristisch für einige wenige herausgehobene Orte im spätantiken Stadtgefüge, die als häufige Aufenthaltsorte der Kaiser bekannt sind und von diesen regelmäßig als Winterquartier genutzt wurden. Dennoch gab es auch für solche Städte keine Garantie dafür, dass die Herrscher tatsächlich regelmäßig und für längere Zeit dorthin kommen würden. So lassen sich für praktisch alle ‚Kaiserresidenzen‘ der 1. Kategorie längere Phasen nachweisen, in denen die Kaiser von ihnen fernblieben. Das gilt etwa für Mailand zwischen 365 und 380 und noch prägnanter für Trier in dem Zeitraum zwischen 345 und 367. Nicomedia verlor nach der Neugründung

106 Amm. 22, 9, 1–3. 107 Mal. 13, 7. 108 Ausführlich hierzu vgl. Jaeschke 2020a.

von Constantinopolis als Aufenthaltsort der Kaiser stark an Bedeutung, aber auch Constantinopolis selbst wurde unter Constantius II. und Valens nur recht selten als Residenz genutzt. Antiochia war von ca. 315 bis 335 weitgehend ‚herrscherfern‘; und dasselbe gilt für Sirmium zwischen 364 und 378. Solche längeren Unterbrechungen der kaiserlichen Präsenz lassen sich teilweise auch am archäologischen Befund vor Ort nachweisen. Wir wissen wenig darüber, ob solche Komplexe in Zeiten der kaiserlichen Abwesenheit mit einer Art personeller ‚Notbesetzung‘ ausgestattet waren, welche die Einrichtungen einigermaßen instand hielt. Immerhin belegen juristische Quellen des frühen 5.  Jahrhunderts, dass einige Palastkomplexe offenbar über längere Zeit leer standen und man sie in diesem Fall vor der Besetzung durch Privatleute schützen musste. So ordnete ein Gesetz aus dem Jahr 405 an109: „Niemand soll das Privileg haben, in unseren Palästen in irgendeiner Gemeinde oder an irgendeiner Raststation (intra palatia nostra in qualibet civitate vel mansione) zu übernachten. Die Statthalter der Provinzen […] haben die Aufgabe, die heiligen kaiserlichen Residenzen (sacrae domus) von der Usurpation durch Reisende freizuhalten, die sich daran gewöhnt haben, dort zu übernachten“. Zwei Jahre später wurde diese Regelung allerdings teilweise entschärft110: „Wenn sich Provinzstatthalter in Gemeinden aufhalten, die weit von der öffentlichen Straße entfernt sind und in denen es keine Statthalterresidenzen (praetoria) gibt, sollen sie das Gesetz nicht fürchten, das über die Paläste erlassen wurde [s. o.]; und sie sollen das Vorrecht haben, in diesen Gebäuden (aedibus) zu wohnen, auch wenn sie ‚Paläste‘ genannt werden (palatii nomine nuncupentur)“. Schließlich ist die Angst davor, dass der Herrscher einen bestimmten Ort über eine längere Zeit vernachlässigen oder sein Quartier an anderer Stelle aufschlagen könne, mehrfach in den Quellen zu greifen. Besonders prägnant zeigt sich dies in einer Lobrede auf Constantius II., die der aus Constantinopolis stammende Rhetor Themistios im Jahr 357 während des (einzigen) Besuchs des Kaisers in Rom hielt. Themistios versuchte darin den Herrscher davon zu überzeugen, Constantinopolis, die Neu-

109 CTh 7, 10, 1 pr. 110 CTh 7, 10, 2.

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gründung von dessen Vater Konstantin, nicht zu vernachlässigen111: „Die wichtigste Deiner Wohltaten besteht nun darin, dass Du, als beinahe alle Menschen glaubten, mit dem Tod Deines Vaters [Konstantin] finde die glückliche Zeit der Stadt [Constantinopolis] ihr Ende, dies in keiner Weise gestattet hast und sie nicht den Wandel hast spüren lassen […]. Du hast nämlich das väterliche Kapital nicht nur unversehrt bewahrt, sondern hast es vervielfacht und vermehrt. […] Deine Stadt […] hat sich nun in eine wahre und dauerhafte Pracht anstelle einer trügerischen und vergänglichen verwandelt“.

„Die kaiserliche Residenz (ta basileia) aber heißt Palatium (palation) – nicht, dass man jemals beschlossen hätte, ihr diesen Namen zu geben, sondern weil Caesar [Augustus] auf dem (Hügel) Palatinus wohnte und dort sein Hauptquartier (strategion) hatte“.

Zunächst muss hierbei noch einmal auf einen Baukomplex eingegangen werden, der bei den kaiserlichen Aufenthalten an verschiedenen Orten eine zentrale Rolle spielte, nämlich den ‚Palast‘. Im Lateinischen wurde dieser oftmals als palatium bezeichnet, was sich von der Kaiserresidenz in Rom herleitete, wie es Cassius Dio im frühen 3. Jahrhundert klar zum Ausdruck gebracht hat112:

An dieser Passage ist zudem zu sehen, dass im Griechischen neben der aus dem Lateinischen übernommenen Form palation vor allem der Terminus ta basileia gebraucht wurde. Synonym mit palatium wurde vielfach, etwa bei Ammian, der Begriff regia verwendet. Dieser konnte für den ‚Hof‘ stehen, wobei dies wiederum nicht selten in einem örtlichen Sinne verstanden wurde – und von da war der Schritt nicht weit zu der ebenfalls häufig anzutreffenden Bedeutung von regia als Palastanlage, die man betreten konnte. Eine ähnliche Bedeutungsbreite weist ein weiterer in unserem Zusammenhang zentraler Begriff auf – der comitatus. Als comitatus bezeichnet wurde zunächst einmal das – umfangreiche – Begleitpersonal (also die comites im weiteren Sinne) des mobilen Herrschers, und zwar sowohl das militärische als auch das zivile. Dieser gesamte Apparat reiste mit dem Kaiser mit und musste dann jeweils vor Ort untergebracht und verpflegt werden – erstaunlich bleibt, wie relativ schnell und über große Strecken sich die Herrscher trotz dieses umfangreichen Trosses bewegen konnten. Die Bezeichnung sacer comitatus für das Gefolge des reisenden Kaisers scheint spätestens zu Beginn des 3.  Jahrhunderts aufgekommen zu sein, d. h. in der severischen Epoche, als die Herrscher zahlreiche militärische Operationen durchführten und daher viel unterwegs waren113. Vor allem in der tetrarchischen Epoche wurde hiermit ferner eine Expeditions-Armee unter kaiserlicher Führung benannt. Ein besonders eindrückliches Beispiel für einen Soldaten, der in diesem Rahmen innerhalb von nur sechs Jahren fast das gesamte römische Reich durchquert hat, ist ein Grabstein aus dem phrygischen Kotiaion, der detailliert die militärische Laufbahn des Veteranen Aurelius Gaius auflistet114: Dieser wurde im Herbst 294 als optio comitum Imperatoris in den comitatus des Galerius aufgenommen und diente unter diesem in Ägypten und Mesopotamien sowie unter Diocletian an der unteren Donau und in Pannonien. Im Sommer 296 wechselte Gaius in den comitatus des Maximian und zog mit diesem über Gallien und Hispanien nach Africa. Nach der Rückkehr des Maximian nach Italien im Laufe des Jah-

111 Them., or. 3, 12–13. 112 Cass. Dio 53, 16, 5.

113 Vgl. Christol/Drew-Bear 2000. 114 AE 1981, 777 = SEG 31, 1116; dazu Drew-Bear 1981 und Wilkinson 2012 (dessen Rekonstruktion ich weitgehend folge).

Genutzt hat das allerdings wenig, denn in Wahrheit war Constantius II. während seiner langen Regierungszeit nur recht selten in Constantinopolis; viel häufiger hielt er sich in Sirmium, Mailand und insbesondere in Antiochia auf. Der Status einer Stadt als einigermaßen dauerhafte ‚Kaiserresidenz‘ war also keineswegs längerfristig gesichert, weil die Herrscher des 4. Jahrhunderts hierfür viel zu beweglich waren bzw. sein mussten. Dennoch ließen sich in diesen Städten mit ihrer vorhandenen, umfangreichen Infrastruktur die entsprechenden Anlagen offenbar sehr rasch wieder auf Stand bringen, wenn sich ein neuer Herrscheraufenthalt ankündigte. Es bleibt nun aber die Frage, ob sich durch die soeben diskutierten architektonischen und urbanistischen Phänomene die ‚eigentlichen Kaiserresidenzen‘ genauer definieren bzw. von anderen Städten abgrenzen lassen, die nicht so häufig von den Herrschern aufgesucht wurden. Wie abschließend zu zeigen sein wird, gelingt auch das nicht wirklich.

Das Problem der Abgrenzung der ‚echten Kaiserresidenzen‘ von anderen kaiserlichen Aufenthaltsorten

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

res 299 wurde Gaius vermutlich nochmals in den comitatus des Galerius versetzt und erfocht unter dem Caesar einen Sieg über die Sarmaten, bevor er als Christ aus dem Heeresdienst ausscheiden musste. Diese Inschrift ist gleichzeitig ein weiterer Beleg für die hohe Mobilität der Herrscher gerade im späten 3. und früheren 4.  Jahrhundert, welche vor allem durch die zahlreichen militärischen Opera­ tionen bedingt war. Comitatus wurde bald auch in einem abstrakteren Sinne verwendet, und zwar für den ‚Hof‘ im Allgemeinen. Es gibt zahlreiche Belege für Personen, die in diesem Rahmen tätig waren; hierfür müssen einige wenige Beispiele genügen. Zunächst noch einmal zu den Militärangehörigen: Eine Grab­ inschrift des frühen 4. Jahrhunderts aus dem untermoesischen Troesmis ist einem Soldaten gewidmet, der zunächst in einer Legion gedient hatte, dann als lanciarius in den sacer comitatus aufgenommen wurde und schließlich in das Elitekorps der protectores aufstieg115. Synonym hierzu konnte auch die Wendung in sacro palatio gebraucht werden, wie der Grabstein eines anderen Soldaten zeigt, der für mehrere Jahre in sacro palatio agierte und im Bürgerkrieg zwischen Konstantin und Licinius im Jahr 324 verstarb116. Eine gewisse Verdichtung solcher epigraphischer Belege ist für die ‚Residenzstädte‘ (im engeren Sinn) auszumachen, wie das Beispiel von Nicomedia zeigt: Hier wurde in einer städtischen Nekropole jüngst der Sarkophag eines Soldaten gefunden, der im frühen 4.  Jahrhundert seine militärische Laufbahn als protector divini lateris beendete117. Eine Reihe von spätantiken Grabinschriften aus Nicomedia und der engeren Umgebung bezeugt weitere protectores sowie Offiziere, die en tōi hierōi palatiōi gedient hatten118. Für die Zivilbeamten am Hof ist zunächst auf die juristischen Quellen zu verweisen: Ein eigenes Kapitel im „Codex Theodosianus“ ist den Privilegien derjenigen gewidmet, qui in sacro palatio militarunt. Das früheste dort aufgeführte Gesetz, das Konstantin im Oktober 314 in Trier erlassen hat, benennt die einzelnen Gruppen näher119:

115 CIL III 6194 = ILS 2781: lectus in sacro comit(atu) lanciarius deinde protexit; siehe ferner CIL III 11026 = RIU II 559 aus Brigetio. 116 AE 1995, 1338 = AE 1997, 1317. Fraglich bleibt, ob mit der Formulierung militavi[t] in sacro palatio hier bereits die scholae palatinae gemeint sind, die in konstantinischer Zeit aufkamen (siehe CTh 14, 17, 9); dazu Woods 1997. 117 Sami Öztürk/Dana 2021. 118 So TAM IV 1, 285 (Sarkophag aus Tuzla, ca. 3 km von Nicomedia entfernt); vgl. zusammenfassend Sami Öztürk/Dana 2021, 47–50. 119 CTh 6, 35, 1.

„Wir ordnen an, dass alle Belästigungen von den palatini ferngehalten werden, sowohl von denen, die ihre Pflichten in unserem persönlichen Dienst tadellos erfüllt haben, als auch von denen, die in unseren Büros tätig sind, d. h. von denen, die in den Büros der Denkschriften, der Korrespondenz und der Petitionen (id est memoriae, epistularum libellorumque) dienen“. Auch zu ihnen gibt es viele Belege, was hier am Beispiel von Trier demonstriert werden kann. Zunächst ist auf zwei literarisch überlieferte Episoden aus den 380er-Jahren zu verweisen: Ambrosius, der Bischof von Mailand, reiste 383 und 384/85 zweimal nach Trier, um im Auftrag von Valentinian II. mit dem Gegenkaiser Magnus Maximus zu verhandeln. Die zweite dieser Gesandtschaften hat er in einem Brief ausführlich beschrieben, in dem sich folgende Schilderung findet120: „Als ich nach Trier kam, ging ich an einem Nachmittag zum Palast (postridie processi ad palatium). Dort kam mir ein Mann namens Gallicanus entgegen, welcher der Vorsteher der Privatgemächer (des Herrschers) und kaiserlicher Eunuche (praepositus cubiculi, eunuchus regius) war“. Augustinus gibt in seinen „Confessiones“ die Erzählung eines Mannes wieder, den er um 386/87 in Mailand getroffen hatte, wo dieser Ponticianus praeclare in palatio militans war. Zuvor war er am Hof in Trier als agens in rebus tätig gewesen, und auf diese Zeit bezieht sich die hier referierte Episode121: Ponticianus ging mit drei Kollegen in den Gärten außerhalb der Mauern von Trier spazieren, und sie entdecken dort eine Hütte, in der Einsiedler nach dem Vorbild der Vita des Hl. Antonius leben. „Während [einer der Männer] noch las, wurde er von dem Gedanken ergriffen, auch ein solches Leben zu wählen, die weltliche Laufbahn zu verlassen (relicta militia saeculari) und Dir [Gott] zu dienen. Sie gehörten aber zu der Gruppe der Beamten mit (militärischem) Spezialauftrag am Hof (erant autem ex eis, quos dicunt agentes in rebus). [Er rief nun seine Gefährten an:] ‚Was wollen wir mit all unseren Mühen erreichen? Was suchen wir? Wozu stehen wir im (kaiserlichen) Dienst (cuius rei causa militamus)? Haben wir am Hof (in palatio) mehr zu erhoffen, als dass wir des Kaisers Gunst erlangen?‘“.

120 Ambr., epist. 30, 2. 121 Aug., conf. 8, 6, 14–15.

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Hinzu kommen einige epigraphische Zeugnisse aus Trier: Aus der Zeit um 300 stammt der Sarkophag eines „Verwalters/Vorstehers der (kaiserlichen) Weine/Weinvorräte“ (praepositus vinorum)122. In christlichen Grabinschriften sind ferner ein palatinus sowie zwei Männer, welche die Funktion eines a veste sacra versahen, belegt123. Schließlich hielten sich auch zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten am Hof auf. Zu diesen zählten in Trier Ausonius, der dort u. a. als Erzieher des jungen Augustus Gratian tätig war, und sein Freund Symmachus. Letzterer hatte sich im Auftrag des stadtrömischen Senats zu Valentinian I. nach Trier begeben, wo er von 368 bis 370 verweilte. In Trier war er erstmals persönlich mit Ausonius zusammengetroffen. In einem späteren Brief (verfasst um 379/80) blickte Ausonius auf diese Zeit zurück 124: „Und erfahren hast Du meine Treue in Gesinnung und Worten, während wir uns beide am Hof aufhielten (dum in comitatu degimus), in ungleichem Lebensalter […]. Am Hof (in comitatu) bin ich Dir gegenüber wahrhaftig geblieben […] am Hof, sage ich, der die Stirnen der Menschen offenlegt, die Gesinnungen verdeckt, hast Du gespürt, dass ich Dir sowohl Vater als auch Freund […] gewesen bin“. Damit kommen wir noch einmal auf das Wortfeld comitatus zurück: In einem noch weiter ausgedehnten Sinn konnte damit auch der jeweilige Aufenthaltsort des Herrschers, gleich wo sich dieser befand, bezeichnet werden. Allerdings ist es an vielen einschlägigen Stellen nicht einfach zu entscheiden, ob comitatus hier in erster Linie „den Hof “ oder „den Ort, an dem sich der Hof gerade aufhielt“ meint, etwa als im Frühjahr 365 alamannische Gesandte ad comitatum nach Mailand gesandt wurden, wo sich Kaiser Valentinian I. und sein Gefolge (explizit genannt wird der magister officiorum Ursatius) zu dieser Zeit befanden125; oder wenige Jahre zuvor, als Julian in Paris eine Nachricht empfing, die ebenfalls ad comitatum gelangte126. Einige Passagen weisen aber doch einen recht klaren räumlichen Bezug auf. Ein Beispiel hierfür sind die Erzählungen des Sulpicius Severus über den zweiten Besuch des Bischofs Martin von Tours in Trier, vermutlich im Jahr 386. Martin wollte dort bei dem Gegenkaiser Magnus Maximus in einem kirchenrechtlichen Streit gegen

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AE 1996, 1095. RICG I 148 sowie 37 u. 126. Auson., epist. 12 [ed. Dräger] = Symm., epist 1, 32. Amm. 26, 5, 7: legatis eorum missis ad comitatum. Amm. 20, 4, 11: quo textu ad comitatum perlato lectoque Iulianus contemplans […].

die in Trier (apud Treveros) versammelten Bischöfe Partei ergreifen127: „Unterdessen nötigten die vielen schwerwiegenden Anliegen der Bedrängten den Martin, an den Hof zu gehen (ad comitatum ire). [Die Ankunft Martins versetzte die anderen Bischöfe in Unruhe:] Sie hielten daher mit dem Kaiser Rat (consilium). Es wurde beschlossen, dem Martin Hofbeamte (officiales) entgegenzuschicken; diese sollten ihm verbieten, sich der Stadt zu nähern. [Martin konnte diese aber überreden und die Stadt bei Nacht doch betreten,] und er begab sich zu der Kirche, um dort zu beten. Am nächsten Tag ging er in den Palast (postridie palatium petit)“. In der „Vita Sancti Martini“ berichtet Sulpicius Severus zudem über ein Gastmahl, das der Kaiser veranstaltete und dem sich Martin zunächst verweigert hatte, um schließlich doch hinzugehen (ad convivium venit). Dabei imponierte er dann dem Kaiser und den versammelten Elitenangehörigen durch sein unabhängiges Auftreten so sehr, dass sich im gesamten Palast (per omne palatium) die Kunde hiervon verbreitete128. Einen weiteren Beleg bietet ein Papyrus des späten 3.  Jahrhunderts mit einer Verpflegungsanweisung für einen Mann namens Alogius, der als adiutor memoriae (Gehilfe in der Kanzlei des magister memoriae) im comitatus des Caesars Gale­rius mitreiste, als sich dieser im Spätherbst 293 nach Ägypten begab. Anfang Dezember befand sich der Tross im palästinensischen Caesarea maritima, wo Alogius krankheitsbedingt zurückbleiben musste, während der übrige comitatus bereits nach Ägypten weiterzog. Alogius sollte solange vor Ort versorgt werden129: „Gebt(?) […] dem Alogius in Caesarea [maritima] Rationen von drei Einheiten, bis er seine Gesundheit wiedererlangt hat und dann seine Reise […] zum göttlichen comitatus unseres Herrn Maximianus [Galerius], des edelsten Caesars, antritt; (und zwar) vom Tag vor den Iden des Dezembers bis zu dem Tag, an dem er den comitatus erreicht (in diem q[u]ọ ad comitatum venerit)“. Hier ist comitatus also durchaus im Sinne von „Aufenthaltsort des Hofes bzw. des Herrschers“ zu verstehen, auch wenn wir leider nicht erfahren, wo sich dieser gerade befand.

127 Sulp. Sev., dial. 3, 11–13. 128 Sulp. Sev., v. Mart. 20, 3–7. 129 SB 18, 13851; dazu Rea/Salomons/Worp 1985.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

Die zentrale Frage in unserem Kontext muss nun aber lauten, ob die Erwähnung eines palatium (oder eines ähnlichen Terminus) für einen bestimmten Ort dessen Status als kaiserliche ‚Residenzstadt‘ (im engeren Sinn) sichern kann. Hierbei zeigt sich allerdings rasch das Problem, dass situationsgebunden jedes Gebäude, das den Kaiser beherbergte, als palatium bezeichnet werden konnte. Das hat schon Cassius Dio klar zu Ausdruck gebracht, der an der oben zitierten Stelle fortfährt130: „So kommt es, dass auch in dem Fall, in dem der Kaiser irgendwo anders [als in Rom] seinen Aufenthalt nimmt (katalyei), diese seine Herberge (katagōgē) die Bezeichnung palatium trägt“131. Die Existenz verstreuter palatia im Römischen Reich während des früheren 4.  Jahrhunderts wird auch von Eusebios vorausgesetzt, der über Konstantin schreibt132: „In einigen Städten wurde er in den kaiserlichen Palastgebäuden (en autois de basileiois) an der Vorderseite des Eingangsbereichs in (dort) aufgestellten Porträtstatuen stehend dargestellt […]“. Tatsächlich sind für das 4.  Jahrhundert zahlreiche palatia (über 30) auch an teilweise eher unbedeutenden Orten bezeugt, die von den Kaisern nach Ausweis der vorliegenden, allerdings lückenhaften Quellen nur gelegentlich aufgesucht wurden. Ein Beispiel hierfür stellt das norische Poetovio dar. Im Sommer 354 gelangte der Caesar Gallus, aus dem Osten kommend, dorthin und wurde auf Befehl von Kaiser Constantius II. durch dessen Beauftragte gefangen gesetzt133: „Nunmehr führte man die Angelegenheit ohne jede Tarnung durch. Dort aber, wo der Palast außerhalb der Mauern liegt (qua palatium est extra muros), ließ ihn Barbatio mit Bewaffneten umstellen, und beim Einbruch der Dunkelheit betrat er das Zimmer des Caesars“.

der Redner an eine Szene während des Kaiserbesuches, bei der er selbst zugegen gewesen war134: „Denn ich wollte, heiligster Kaiser, Deiner Gottheit (eigentlich) schon in der Eingangshalle Deines Palastes [in Autun] (in illo aditu palatii tui) danken […]“. Einen kaiserlichen ‚Palast‘ scheint es im Frühjahr 361 (temporär) sogar in der Festungsstadt Rauracum (Kaiseraugst) gegeben zu haben, wenn wir an dieser Stelle Ammian trauen können, der berichtet, dass Julian nach Beilegung einer kritischen Situa­ tion „in die regia zurückkehrte“135. Relativ ausführliche und zeitgenössische Beschreibungen liegen zu dem ‚Palastgebäude‘ in Paris vor, das der Caesar Julian mehrfach als Winterquartier nutzte, und wo er im Frühjahr 360 zum Augustus ausgerufen wurde. Zum einen geht Ammian auf dieses Geschehen ein136: Julian traf die nach Paris strömenden Soldaten zunächst in suburbanis und lud die Offiziere zu einem Gastmahl ein. Das Militär ließ sich aber nur vorrübergehend beruhigen, und in der Nacht „eilten sie alle mit ungeheurem Lärm zum Palast (omnes petiverunt palatium) und umstellten ihn in seinem ganzen Umfang“. Schließlich wurde Julian gezwungen, aus dem Palast herauszukommen, wohin er sich später wieder zurückzog, und zwar „in verborgene Gemächer“. In diesem Moment verbreitete ein palatii decurio das Gerücht, Julian sei ermordet worden. Daraufhin eilten die Soldaten erneut zum Palast und besetzten diesen (milites occupavere volucriter regiam); das wiederum rief die Wachen (excubitores) auf den Plan, ebenso die tribuni sowie den comes domesticorum Excubitor, die dann aber flohen. Die Soldaten wollten nun in den Beratungssaal, das consistorium, vorgelassen werden, wo sie Julian „im Glanz seines kaiserlichen Gewandes“ sahen. Julian selbst hat die Vorkommnisse in seinem im Herbst 361 verfassten „Brief an die Athener“ so dargestellt137:

Bemerkenswert ist der Fall der mittelgallischen Stadt Autun, die nur einmal von Kaiser Konstantin, wohl im Herbst 310, aufgesucht wurde. In einem im Sommer 311 vorgetragenen Panegyricus erinnert

„Es war schon spät, um die Zeit des Sonnenuntergangs, als ich informiert wurde, und einen Augenblick später war der Palast (ta basileia) umringt. [Nun wurde eine Reaktion von ihm erwartet:] So ergab es sich, dass ich in den oberen Stock hinaufging, in ein Zimmer neben dem meiner Frau […]. Von dort aus (denn in der Mauer war eine Öffnung) bekniete ich da-

130 Cass. Dio 53, 16, 6. 131 Zum Folgenden vgl. die Diskussionen bei Millar 1977, 40–53 und Mayer 2002, 39–42. 132 Eus., v. Const. 4, 15, 2. 133 Amm. 14, 11, 19–20.

134 Paneg. 5, 1, 1–5. 135 Amm. 21, 5, 12: indeque reversus in regiam; zur Lokalisierung der Szene in Kaiseraugst siehe Amm. 21, 8, 1. 136 Amm. 20, 4, 12–22. 137 Hier zitiert nach der Zählung von Stöcklin-Kaldewey 2015, §11.

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raufhin Zeus. Als aber die Rufe stärker wurden und im Palast (en tois basileiois) alle in Unruhe gerieten [erbat Julian ein göttliches Zeichen und setzte sich schließlich den Halsring (Torques) auf den Kopf,] als ihn mir einer der Soldaten überreichte und in den Palast (eis ta basileia) kam. [Als nun ein Komplott der Anhänger des Constantius II. drohte, rotteten sich die Julian treue ergebenen Soldaten zusammen:] daraufhin gerieten die Soldaten in Rage und stürmten alle mit ihren Waffen in den Palast“. Auch in seiner satirischen Schrift „Misopogon“ aus dem Frühjahr 363 ging Julian noch einmal auf die Situation in Paris ein138: „Ich befand mich im Winterquartier in meinem geliebten Lutetia [beschrieben wird sodann eine größere Insel in dem Fluss (der Seine), welche von einer Mauer umgeben und durch hölzerne Brücken mit den Ufern verbunden war; dort befand sich offenbar auch das kaiserliche Quartier:] aber das Zimmer, in dem ich schlief, war nicht so geheizt, wie die meisten Häuser geheizt werden, ich meine durch eine Fußbodenheizung“. Das zeigt, dass das palatium auf der Île de la Cité lag, wohin sich der urbane Schwerpunkt des spätantiken Parisii verlagert hatte. Es war offenbar ein mehrstöckiges Gebäude, das aber nicht allzu luxuriös ausgestattet war. Bei den im Vorhergehenden besprochenen Strukturen dürfte es sich zumeist um lediglich temporär zu palatia umfunktionierten Gebäuden gehandelt haben. Anders stellt sich die Lage an den Orten dar, die zwar eher selten, aber doch in einiger Regelmäßigkeit von den Herrschern aufgesucht wurden. Hier müssen die entsprechenden Einrichtungen in irgendeiner Weise funktionsfähig gehalten worden sein. So berichtet Ammian über Kaiser Jovian, er habe im Spätsommer 363 nach seiner Ankunft im nordmesopotamischen Nisibis ein Lager außerhalb der Mauern aufgeschlagen, sei dann aber von der Bevölkerung aufgefordert worden, in die Stadt zu kommen und sich in das dortige palatium zu begeben „nach der Art der (früheren) Kaiser“139. Den organisatorischen Aufwand, der an solchen Orten betrieben werden musste, wenn wieder einmal ein Besuch des Herrschers mit seinem umfangreichen Gefolge anstand, verdeutlicht ein Papyrus

138 Jul., Mis. 340D–341A–D. 139 Amm. 25, 8, 17. Nisibis ist etwa fünfmal als kaiserlicher Aufenthaltsort bezeugt.

aus dem ägyptischen Panopolis140. Hier wurde im September des Jahres 298 der Besuch des Kaisers Diocletian erwartet, der gerade durch Ägypten tour­te. Insbesondere ging es dabei um die Bereitstellung von Lebensmitteln für die Soldaten, die den Herrscher begleiteten, sowie um die Herrichtung entsprechender Übernachtungsmöglichkeiten. Zu letzteren zählte auch das „palation im Tripheion [einem örtlichen Heiligtum]“. Über das Aussehen der ‚Paläste‘ an den genannten Orten haben wir kaum genauere Informationen. Ein Brief des Kaisers Julian zeigt aber, dass solche palatia teilweise recht bescheidene Strukturen waren: Im März 363 reiste der Kaiser von Antiochia aus zu seinem Feldzug gegen die Perser ab. Eine seiner ersten Stationen war der kleine Ort Batnae. Er residierte in der dortigen basileia, zu der er bemerkt141: „Die kaiserliche Residenz war alles andere als aufwändig, denn es war nur aus Holz und Lehm errichtet und wies keinerlei Schmuck­ elemente auf“. In Hierapolis Bambyke, das häufiger von den Kaisern aufgesucht wurde, nächtigte er hingegen – wie schon frühere Herrscher – bei einem Privatmann. Auch diese Form der kaiserlichen Unterbringung war also noch in der Spätantike geläufig. An einigen anderen Orten konnten bereits vorhandene Baustrukturen, insbesondere Statthalterresidenzen, vorübergehend als Quartier der Herrscher genutzt und dann als palatium oder regia bezeichnet werden; so etwa im Fall von Köln, wo sich die in spätantik-frühmittelalterlichen Quellen genannte (aula) regia142 wohl mit dem archäologisch gut bekannten praetorium der Statthalter der Germania secunda identifizieren lässt143. Ähnliches ist für Savaria anzunehmen, das Kaiser Valentinian I. im Herbst 365 ziemlich hastig als Winterquartier ausgewählt hatte; in diesem Kontext erwähnt Ammian auch ein „kaiserliches Badegebäude (regium lavacrum)“144. Im Zentrum von Savaria wurde im frühen 4.  Jahrhundert ein großer Baukomplex mit mehreren Trakten errichtet, unter denen eine prachtvolle Empfangshalle mit Mosaikböden und rückwärtiger Apsis sowie eine Badeanlage herausstechen145. Hierbei handelte es wahrscheinlich um die Residenz des Statthalters der Provinz Pannonia prima. In einer zweiten Bauphase kam es zu einer

140 P.Panop.Beatty 1, bes. Z. 259–261. Das ist der einzige belegte Besuch eines Herrschers in Panopolis. 141 Jul., epist. 98 (ed. Bidez/Cumont 1922). 142 Amm. 15, 5, 31 (regia; zum Jahr 355); Greg. Tur., v. patr. 6, 2 (aula regia; zum früheren 6. Jahrhundert). 143 Vgl. Schäfer 2014. 144 Amm. 30, 5, 16. 145 Dazu Tóth 2011.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

Erweiterung und Ausschmückung der Anlage; eventuell standen diese Maßnahmen mit dem erwarteten kaiserlichen Besuch in Zusammenhang. Im Kontrast dazu lässt sich nachweisen, dass es –  wie wir bereits gesehen haben – zumindest an einigen herausgehobenen Orten eigens für die spätantiken Herrscher konzipierte Palastkomplexe gab, die nicht mit den Amtssitzen der ebenfalls vor Ort residierenden Beamten identisch waren. Besonders klar ist das für Antiochia aufzuzeigen. In dieser Stadt hielten sich neben den Kaisern auch der praefectus praetorio Orientis (zumindest zeitweise) sowie der comes Orientis und der Statthalter der Provinz Syria, der consularis Syriae, auf. Im Jahr 354 kam der neu eingesetzte PPO Domitianus nach Antiochia, um den dort schon länger regierenden Caesar Gallus zu kontrollieren146: „Aber als er [Domitianus] in Antiochia angekommen war, fuhr er am Tor des (kaiserlichen) Palastes vorüber (praestrictis palatii ianuis), ohne den Caesar zu beachten, dem er doch hätte einen Besuch abstatten müssen. In feierlichem Aufzug gelangte er zu seinem Amtssitz, dem praetorium (ad praetorium cum pompa sollemni perrexit). Lange schützte er eine Krankheit vor und kam weder in den kaiserlichen Palast (nec regiam introiit) noch zeigte er sich der Öffentlichkeit. Vielmehr schmiedete er im Verborgenen viele Pläne zum Untergang des Gallus […]. Schließlich wurde er eingeladen und ins Beratungszimmer vorgelassen (admissus in consistorium). Ohne Umschweife sagte er unbesonnen und leichthin: ‚Reise ab, Caesar, wie Dir [von Constantius II.] befohlen worden ist. […] Wenn Du zögerst, werde ich die Einkünfte für Dich und Deinen Hofstaat (palatii tui) unverzüglich einstellen lassen‘“. Zum Amtssitz des consularis Syriae berichtet Malalas, dass sich dieser (zumindest ab dem 5. Jahrhundert) am Valens-Forum in einer ehemaligen, von Commodus errichteten Badeanlage befand147 – also in einiger Entfernung vom Kaiserpalast auf der Orontes-Insel. Nach dieser längeren Betrachtung der Quellen können wir einerseits festhalten, dass die Erwähnung eines spätantiken palatium in einer bestimmten Stadt zunächst einmal kein sicheres Indiz dafür ist, in dieser eine ‚Kaiserresidenz‘ im engeren Sinn zu sehen – dafür sind zu viele palatia auch an unbedeutenden und nur selten von den Herrschern aufgesuchten Orten belegt. Auch ein klar definier-

146 Amm. 14, 7, 10–12. Das praetorium praefecti erwähnt Ammian zudem in 14, 7, 15. 147 Mal. 13, 30.

ter Architekturtyp für solche ‚Paläste‘ lässt sich nicht ausmachen, zumal verschiedene Strukturen in dieser Funktion genutzt werden konnten. Andererseits hat es offensichtlich in einigen wenigen Städten durchaus größere, speziell für den Kaiser eingerichtete Palastbezirke gegeben, die über eine ganze Reihe unterschiedlicher Funktionsbauten verfügten. Solche Komplexe lassen sich, wie wir bereits gesehen haben, nur an recht wenigen Orten – vornehmlich archäologisch – nachweisen; und diese gehören wiederum fast ausnahmslos zu den oben definierten ‚Kaiserresidenzen der 1. (und 2.) Kategorie‘. Auch auf diesem Feld lassen sich jedoch keine festen ‚Regeln‘ formulieren, denn es gab solche Bauensembles auch an einigen anderen Orten, die nicht zu dieser Gruppe gehörten. Ein Beispiel hierfür ist Arles, dessen Status als ‚Kaiserresidenz‘ während des 4. Jahrhunderts strittig ist, da sich hier nur wenige Herrscherbesuche nachweisen lassen. Nichtsdestotrotz ist in jüngerer Zeit nachgewiesen worden, dass im Zentrum der spätantiken Stadt ein größerer Gebäudekomplex entstand, der ab dem frühen 4.  Jahrhundert sukzessive errichtet wurde (die genauen Datierungen sind allerdings nicht immer klar)148. Zu diesem gehörte eine große Thermenanlage, die nach Süden von einer Apsis gerahmt wurde. Hieran schloss sich ein Hallengebäude an, das sich als große Empfangshalle, vergleichbar der Palast-Aula von Trier, interpretieren lässt. Von dem südlich angrenzenden Gebäude hat sich nur der Rest eines seitlichen Turms erhalten. Schließlich folgte offenbar eine größere Platzanlage nördlich des Forums. Eine architektonische Verbindung zu dem bereits im 2.  Jahrhundert erbauten circus im Süden der Stadt bestand hingegen nicht. Die Deutung dieses Komplexes ist zwar nicht letztgültig gesichert; man hat aber wohl nicht ganz zu Unrecht an einen ausgedehnten ‚Palastbezirk‘ gedacht – dabei muss jedoch offenbleiben, für wen dieser Komplex eigentlich gedacht gewesen sein könnte. Noch ekla­ tanter ist der Fall von Corduba: In der Hauptstadt der Provinz Baetica wurde gegen Ende des 3. Jahrhunderts ein großes Bauprojekt umgesetzt, als man im suburbanen Bereich im Nordwesten der Stadt – eventuell in der Nähe eines schon vorhandenen circus – die gewaltige Palastanlage von Cercadilla errichtete149. Für welchen Zweck diese eindrucksvolle Repräsentations-Architektur bestimmt war, ist jedoch in der Forschung umstritten. Aufgrund des Fundes eines Inschriftenfragmentes mit Nennung der Caesares Constantius I. und Galerius sowie einiger vergoldeter Bronzebuchstaben hat man daran gedacht, dass das Gebäude für den Aufenthalt des Kaisers Maximian im Winter 296/97 errich-

148 Zusammenfassend dazu Heijmans 2004. 149 Vgl. Hidalgo 1996.

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tet worden sein könnte150. Dieser Besuch Maximians in Hispanien – der einzige eines Herrschers in der Region während des behandelten Zeitraumes – ist zwar in den Quellen nur schwach bezeugt, kann aber inzwischen als gesichert gelten151. Allerdings fehlen uns dazu sämtliche Details – so wissen wir nicht, wo genau sich Maximian länger aufgehalten hat; und das südliche Hispanien ist nur deshalb die wahrscheinlichste Option, weil der Kaiser im Frühjahr 297 nach Mauretanien übersetzte. Es bleibt die Frage, ob man wirklich für einen einzigen kaiserlichen Aufenthalt von wenigen Monaten eine solch aufwändige Anlage errichtet hätte – womöglich in der (vergeblichen) Hoffnung, es möchten weitere folgen. Jedenfalls blieb die Anlage erheblich länger in Benutzung; sie könnte daher auch dem praeses der Provinz Baetica als (luxuriöser) Amtssitz gedient haben. Wir können weiterhin fragen, ob es neben dem Palast andere Baustrukturen gab, die eng mit der Präsenz des Kaisers verbunden waren und sich daher möglicherweise hauptsächlich in den ‚eigentlichen Kaiserresidenzen‘ finden lassen. Das lässt sich am besten am Beispiel der großen Thermenanlagen diskutieren, denn der Neubau oder die großzügige Restaurierung von Bädern, die zumindest teilweise vom Herrscher finanziert wurden und dann häufig seinen Namen trugen, ist tatsächlich in fast allen ‚Residenzen der 1. Kategorie‘ nachzuweisen. So gab es in Mailand ein lavacrum Herculeum (benannt nach Maximian), in Aquileia die Felices thermae Constantiniae, in Sirmium die thermae Licinianae sowie in Antiochia ein öffentliches Bad, das nach seinem Erbauer loutron Diokletianon hieß152. In Nicomedia existierte mindestens eine große Thermenanlage, die thermae Antoniniae, die unter Diocletian auf eigene Kosten (sua pecunia) erneuert bzw. erweitert und dann „seinem Volk (populo suo)“ übergeben wurde, wie eine Inschrift bezeugt153. Gerade auf diesem Sektor ist also das kaiserliche Engagement für die von ihnen bevorzugten ‚Residenzstädte‘ besonders gut zu fassen. Nur: Nach Kaisern benannte oder von diesen erbaute bzw. restaurierte Thermenanlagen lassen sich – insbesondere im epigraphischen Befund – auch für eine Reihe von 150 CIL II²/7, 260a u. 596a; dazu Hidalgo/Ventura 1994; Haley 1994. 151 Die wesentlichen Quellen für den Aufenthalt des Maximian in Hispanien sind: Paneg 8, 18, 5; P. Argent. 480, 1 sowie die Inschrift des Veteranen Aurelius Gaius (s. o. Anm. 115), der im späten 3. Jahrhundert u. a. in Gallia, Spania und Mauretania gedient hatte. 152 Mailand: Auson., ordo 41; Aquileia: s. o. Anm. 60; Sirmium: CIL III 10107 = ILS 3458; Antiochia: Mal. 12, 38. 153 CIL III 324 = TAM IV 1, 29; siehe ferner Lib., or. 61, 16; Proc., aed. 5, 3, 7. Diese thermae Antoniniae müssen ursprünglich von einem Kaiser des späteren 2. oder frühen 3. Jahrhunderts errichtet worden sein.

Städten nachweisen, die den Herrscher kaum je oder gar nicht zu Gesicht bekamen. Dieses Phänomen ist gerade für die Regierungszeit Konstantins und seiner Söhne gut bezeugt; eine kurze Auflistung entsprechender Belege muss hier genügen: In Spoletium (Tuscia et Umbria) ließen Constantius II. und der Caesar Iulianus um 356 die Thermen sua largitate für die Bürger der Stadt restaurieren154; ähnliches geschah offenbar in Venusia (Apulia et Calabria) durch Kaiser Konstantin155. In Reims (Belgica II) hat derselbe Herrscher um 315 eine Badeanlage fisci sui sumptu neu errichtet und schenkte sie „in gewohnter Freigebigkeit seiner Stadt Reims“156. Recht zahlreich sind zudem die Belege für Thermenbauten, die nach Konstantin oder seinen Söhnen benannt waren: Ein Neufund bezeugt ein divinum opus ther[marum feliciu]m Constantinian[arum] in Minturnae (Campania)157. Thermae Constantinianae gab es auch in Trebula Balliensis (Campania)158 sowie Constantianae thermae im nordafrikanischen Limisa (Byzacena)159. In Ephesus, der wohlhabenden Hauptstadt von Asia, die aber offenbar von den Kaisern des 4.  Jahrhunderts nie aufgesucht wurde, ist das atrium thermarum Constantianarum, ein reich ausgestatteter Eingangsraum im Bereich der Hafenthermen, unter Constans und Constantius II. restauriert worden160. Und selbst für das lykische Tlos, das noch weiter abseits der kaiserlichen Routen lag, hat eine erst in jüngster Zeit gefundene Inschrift den Nachweis erbracht, dass hier ein Statthalter „die konstantinischen Thermen erneuert hat“161. Abschließend ist noch ein Blick auf die Benennung ganzer Städte zu richten, denn manche Gemeinden trugen in der Spätantike ebenfalls den Kaisernamen (als Haupt- oder als ehrenhaften Beinamen). Wir können nun fragen, ob diese Form der Distinktion auf Orte konzentriert war, welche von den Herrschern häufig aufgesucht wurden. Bei den ‚eigentlichen Residenzen‘ ist dieses Phänomen allerdings gar nicht so häufig zu belegen – neben dem offensichtlichen Fall von Constantinopolis162 ist hier auf Antiochia zu verweisen, über das Julian in einem Panegyricus auf Constantius II. behaupte-

154 CIL XI 4781 = ILS 739. 155 AE 1995, 348 = AE 2003, 364; die Inschrift ist allerdings stark ergänzt. 156 CIL XIII 3255 = ILS 703: civitati suae Remorum pro solita liberalitate largitus est. 157 AE 2017, 203. 158 CIL X 4559. 159 AE 2004, 1681. 160 CIL III 14195,28 = IEph 1314 = ILS 5704. 161 SEG 62, 1496. 162 Siehe Origo Const. 30: „Konstantin aber gab Byzantium in Erinnerung an seinen großartigen Sieg [über Licinius] seinen eigenen Namen: Constantinopolis“; ferner o. Anm. 42.

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te163: „Ich höre oft, dass selbst Antiochia sich jetzt bei Deinem Namen nennt“ (also wohl Constantia); und Arles wurde, wie bereits gesehen, als urbs Constantina benannt164. Auf diesem Feld ist jedoch erneut zu konstatieren, dass sich solche Bezeichnungen auch für Gemeinden nachweisen lassen, die nicht zu den bevorzugten Aufenthaltsorten der Herrscher gehörten. Dies ist gerade für die konstantinische Epoche gut zu belegen: So wurde der Stadt Hispellum (Tuscia et Umbria) von Konstantin Folgendes zugestanden165: „Denn wir haben der Stadt Hispellum auf ewig die Bezeichnung und die verehrungswürdige Benennung nach unserem Namen zugestanden, so dass in Zukunft die genannte Stadt Flavia Constans heißen soll“. Ähnliches geschah in Portus, das nun den Bei­ namen Flavia Constantiniana führte166, sowie im apulischen Luceria, das ebenfalls den Namen Constantiniana übertragen bekam167. In Gallien ist auf Autun zu verweisen, das von Konstantin begünstigt wurde, u. a. durch die Verleihung des Ehren­titels Flavia168. Bekannt ist schließlich der Fall der Stadt Cirta in Numidia, der von Konstantin, welcher selbst nie in Africa war, „nach ihrer Wiederherstellung und Ausschmückung der Namen Con­ stantina gegeben wurde“169. Weder bei der Verteilung von palatia im Imperium Romanum noch bei der Benennung von Bauwerken oder ganzen Städten haben sich also klare Abgrenzungen zwischen den häufig von den Herrschern aufgesuchten Orten und den zahlreichen Städten, die den Kaiser nur selten oder nie zu Gesicht bekamen, ergeben. Eine Exklusivität der (eigentlichen) ‚Kaiserresidenzen‘ ist auf diesem Feld jedenfalls nicht auszumachen.

Fazit Es hat sich gezeigt, dass sich in den zeitgenössischen Quellen kaum eine einheitliche Terminologie für das Phänomen ausmachen lässt, das wir unter dem Begriff der ‚Kaiserresidenzen‘ des späten 3. und 4.  Jahrhunderts fassen. Der in der modernen

163 164 165 166 167 168

Jul., or. 1, 40D–41A. S. o. Anm. 69. CIL XI 5265 = ILS 705. CIL XIV 4449. CIL IX 801 = AE 2014, 354. Paneg. 5, 1, 1 sowie 14, 5: nos tamen accepimus nomen tuum […] Flavia est civitas Aeduorum!. 169 So Aur. Vict., Caes. 40, 28; siehe ferner ILAlg II 1, 533 zu den Constantinianenses.

Literatur hierfür häufig verwendete Begriff sedes imperii ist zwar – in dieser oder einer verwandten Form – durchaus in einigen antiken Texten zu finden, bleibt aber insgesamt selten. Auch Kataloge oder Listen, in welchen die ‚Kaiserresidenzen‘ der Zeit systematisch und vollständig aufgeführt wären, sind trotz der Beliebtheit literarischer Städte-­ Rankings nicht vorhanden. Das wiederum stellt eines der wesentlichen Probleme für die Forschung dar, unter den zahlreichen bezeugten Aufenthaltsorten der spätantiken ‚Emperors on the move‘ die ‚echten Residenzen‘ herauszufiltern. Letztlich kann dies nur mithilfe quantitativer Kriterien gelingen, denn auch die Existenz etwa eines palatium ist kein zwingendes Indiz dafür. Dadurch lässt sich eine ‚Spitzengruppe‘ von Städten aussondern, welche die Herrscher häufig und über längere Zeiträume aufsuchten. Hier wurden zudem größere Bauprogramme durchgeführt, die einen erheblichen Widerhall in literarischen Stadtbeschreibungen gefunden haben. Typisch für diesen Kontext sind ferner Bauten, die mit dem Namen des Herrschers verbunden wurden – aber auch diese finden sich keineswegs exklusiv in den Residenzstädten, sondern auch an vielen anderen Orten. Letztlich verweisen alle diese Phänomene auf die hohe Mobilität der Herrscher und ihres Gefolges in dem dezentralisierten Reich des 4. Jahrhunderts.

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Sedes imperii: Zeitgenössische Bezeichnungen für spätantike ‚Kaiserresidenzen‘

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Christian Witschel

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REPRÄSENTATION UND RESIDENZ von Torsten Mattern

Residenz und palatium Definitionen und Kategorien kaiserlicher Residenzen sind seit längerer Zeit Gegenstand der Diskussion. Einen Ansatz bietet eine funktionale Gliederung, wie sie Inge Nielsen für hellenistische Paläste vorschlug. Sie unterschied neun Funktionen, denen sie jeweils architektonische Formen zuordnete, wobei sie aber auch betonte, dass deren Gewichtung variieren könne1. Spätantiken Residenzorten widmete sich dann zuletzt Verena Jaeschke. Sie definierte sie als mehrjährige oder einen längeren Zeitraum wiederholt genutzte Aufenthaltsorte des Kaisers in einem urbanen Zentrum mit bereits vorhandener zentralörtlicher, administrativer oder wirtschaftlicher Funktion, das sich in einer wichtigen strategischen Lage befindet und über eine imperiale Münzstätte und eine architektonische Monumentalisierung verfügt2. Christian Witschel betonte, dass es durchaus überzeugend sei, Residenzorte über die Reste von Palastanlagen zu identifizieren, zumal wenn es begleitende unabhängige Quellen gibt3, wobei freilich das Problem bestehen

1 Nielsen 1999, 14: Repräsentation und zeremonielle Funktionen, soziale Funktionen, religiöse Funktionen, Verteidigungsfunktionen, administrative Funktionen, Residenz für den König, seine Familie und seinen Hof, öffentliche Funktionen (z. B. Küchen, Magazine) und schließlich Erholungsfunktionen (Gärten, Parks, Bäder u. a.). 2 Jaeschke 2020, 21–22. Zum Begriff auch Hesberg 2006, 133 f. 3 „So richtig es aber grundsätzlich ist, beim Fehlen von eindeutigen Indizien methodische Vorsicht bei der Identifizierung von Palastanlagen walten zu lassen, so ist doch davor zu warnen, eine solche Position zu rigoros auszulegen. Wenn nämlich ein Ort aus anderen Quellen als relativ regelmäßiger Aufenthaltsort der Kaiser bekannt ist, in ihm ein palatium oder eine regia literarisch beziehungsweise epigraphisch bezeugt sind, zudem die mittelalterliche Toponomastik auf einen Palastbezirk hinweist und sich dann in der solchermaßen angezeigten Region Reste großzügig ausgestalteter und reich ausgestatteter Repräsentations- und Wohnarchitektur finden, scheint es

bleibt, Palastanlagen als solche im archäologischen Befund auch eindeutig zu erkennen. Einfacher als eine archäologische bzw. historische Definition von Palast und Residenzort ist eine terminologische Klärung, da in der Antike ‚pala­ tium‘ eine gängige Bezeichnung für den Ort war, an dem sich der Kaiser aufhielt. Der Begriff war aber schon im 2. Jahrhundert nicht mehr an den Hügel in Rom gebunden: „Die kaiserliche Residenz aber heißt Palatium, nicht daß man jemals beschloß, ihr diesen Namen zu geben, sondern weil Caesar auf dem Palatinus wohnte und dort sein Hauptquartier hatte; dabei gewann sein Haus eine gewisse Berühmtheit auch durch den Hügel im Ganzen, weil ja dort einstmals Romulus gewohnt hatte. So kommt es, daß, auch im Falle der Kaiser irgendwo anders seinen Aufenthalt nimmt, diese seine Wohnstätte die Bezeichnung Palatium trägt“4. Vielleicht bekam der Begriff, ähnlich wie ‚praetorium‘, auch die allgemeine Bedeutung als ‚Hauptquartier‘5. Der Begriff ‚Residenz‘ ist dagegen nicht antik6. Als Pompeianus den Kaiser Commodus mit den Worten zu beruhigen suchte, „Rom ist dort, wo

mir übertrieben, diese nicht als mögliche Teile der Kaiserresidenz in Betracht zu ziehen.“ (Witschel 2004/5, 231). 4 Cass. Dio 53, 16, 5f. (ed. Veh 1986), im Griechischen verwendet Cassius Dio „τὰ βασίλεια“. Zu ‚palatium‘ vgl.  auch Castritius 1990, 16; Klodt 2001, 20 f. Entsprechend hießen die am Hof Dienenden palatini (GroßAlbenhausen 2000). 5 Castritius 1990, 18, tatsächlich benutzt Cass. Dio 53, 16, 5 ebenfalls „στρατήγιον“. Zur Auffassung des Palastes als castrum und dem procurator castrensis vgl. Alföldi 1970, 164 f. 6 ‚Residenz‘ stammt von dem spätmittelhochdeutschen Begriff ‚residencie‘, der aus dem mittellateinischen ‚residentia‘ abgeleitet ist (Pfeifer 1989 Sp. 1416).

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der Kaiser ist“7 war dies nicht nur übertragen zu verstehen, sondern durchaus rechtlich begründet, denn in den Digesten wurde Verbannten aus eben diesem Grund der Aufenthalt in der gleichen Provinz verboten, in der sich auch der Kaiser aufhielt8. Durch die Lösung des Begriffs ‚palatium‘ von der ursprünglichen Topographie folgte man dem Umstand, dass die Kaiser nicht nur in festen Residenzen amtierten, sondern auch auf Reisen, von eigenen Villen oder anderen Orten aus, an denen sie sich nur zeitweilig aufhielten, handelten, ohne dass dies grundsätzliche administrative oder rechtliche Probleme bereitet hätte. Einen Anstoß hatten hierfür sicher die längeren Abwesenheiten von Tibe­ rius, Nero, Hadrian oder auch Marc Aurel von Rom gegeben. Die kaiserliche Regierung funktionierte grundsätzlich und problemlos von beliebigen Orten aus, die zum Teil von äußeren Umständen und nicht nur aus Gründen administrativer Praktikabilität vorgegeben wurden. Der Umfang der Reisebegleitung des Kaisers war sehr groß und entsprach vielleicht sogar dem Hof in Rom selber9. Hinzu kommt, dass der antike Hof auch an einem Residenzort nicht mit modernen Regierungsapparaten zu vergleichen ist, sondern in höherem Maße privat, das heißt nicht staatlich, organisiert war. Deutlich wird dies darin, dass Amtsträger offenbar ihre eigenen Paläste hatten10. Die kaiserzeitlichen Regierungsapparate waren in dieser Hinsicht flexibel, was wohl auch eine Tradition republikanischer Verwaltungspraxis darstellte. Dem Nachteil, dass so nicht überall ortsfeste administrative Strukturen ausgebildet wurden, stand der Vorteil einer größeren Flexibilität gegenüber. Wenn also das Regierungshandeln nicht an spezifische Gebäude gebunden war, dann stellt sich die Frage, wieso eine Residenz überhaupt benötigt wurde11. ‚Palatium‘ und Residenz sind also inhaltlich nicht deckungsgleich. Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen temporären und dauerhaften Aufenthaltsorten besteht darin, dass bei Letzteren die Möglichkeit gegeben war, einen architektonischen Rahmen zu gestalten. Da der funktionale Kern des Regierungshandelns davon aber nicht betroffen war, lag der Unterschied folglich vor allem darin,

7 Herodian 1, 6, 3–5 letztlich nach Lucan 5, 20–40 in der Tradition stehend, der Senat sei ‚Rom‘. 8 Vgl. Castritius 1990, 16. 9 Halfmann 1986, 92–110. 10 Vgl. den Beitrag von C. Rollinger in diesem Band. 11 Wenn auch legitimatorische Aspekte zu Beginn des Ausbaus der Herrschersitze auf dem Palatin eine Rolle gespielt haben mögen, nämlich der Palatin als ursprünglicher Wohnort des Romulus und Kern der ‚Roma Quadrata‘ (vgl. dazu Krause 2004, 47 f.), so haben diese später, z. B. in tetrarchischer Zeit, offenbar keinerlei Bedeutung mehr gehabt.

dass in einer Residenz andere Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Repräsentation gegeben waren. Unter Repräsentation ist das statusgemäße Auftreten einer Person, das der Verdeutlichung ihres Standes dient, zu verstehen. Auf Reisen gab es für den Kaiser nur die Möglichkeit zur performativen Repräsentation, also durch die Inszenierung seines persönlichen Auftretens, während der architektonische Rahmen kaum beeinflussbar war. Ein Bestandteil der performativen Repräsentation war die Inszenierung der Begegnung mit dem Kaiser. Ihre Gestaltung regelte das Hofzeremoniell, indem es, formell oder informell, das Verhalten von Personen gegenüber dem Kaiser vorgab und sie so in eine für alle sichtbare Hierarchie einordnete. Das Zeremoniell ist prinzipiell nicht ortsgebunden, es konnte in ähnlicher Weise im Feldlager, der villa eines Gastgebers oder im Palast eines Residenzorts gelten. Dies gilt vor allem für die Inszenierung der Person des Herrschers, etwa durch seine Begleitung von Militär, Amtsdienern oder Würdenträgern, aber auch durch die Heraushebung mittels besonderer Kleidung12. Eine andere Möglichkeit, die Besonderheit des Herrschers zu verdeutlichen, war die demonstrative Darstellung seiner äußeren und inneren Distanz gegenüber der Umwelt. Bei Ansprachen und Verhandlungen erfolgte dies durch die regelmäßig bei Tribunalszenen dargestellten Podien, die den Kaiser physisch aus der Menge heraushoben13. Die innere Distanz des Herrschers zu seiner Umwelt wurde dann seit dem späten 3. Jahrhundert durch das Statuenhaft-Unbewegte in seinem Auftreten verdeutlicht, hat aber, wie Hans Gabelmann zeigte, Wurzeln, die bereits in der Ikonographie des Kaisers auf der Marcus-Säule zu finden sind14. Die Distanz sollte demonstrieren, dass sich der Herrscher und seine Umgebung gewissermaßen in unterschiedlichen Sphären befanden. Die Variationen der performativen Repräsentation entwickelten sich im Laufe der ersten drei Jahrhunderte, doch gilt grundsätzlich, dass derartige Distinktionsmöglichkeiten zwischen dem Herrscher und den Übrigen nur in Residenzstädten auch baulich durch eine Architektur gerahmt werden konnten, die auf die performative Repräsentation abgestimmt war. Diese Erweiterung der kaiserlichen Repräsentationsmöglichkeit war für das Funktionieren des Regierungshandelns nicht notwendig, offenbar war sie aber wünschenswert15.

12 Zum kaiserlichen Ornat vgl. Alföldi 1970, 143–186; Kolb 2001, 49–54; 171–175. 13 Zur Einführung des suggestus oder auch Tribunal in der Ikonographie vgl. Gabelmann 1984, 122 f. 14 Durch die Frontalität der Darstellung (Gabelmann 1984, 221). 15 Hesberg 2006, 139 sprach in diesem Zusammenhang zu Recht von der Architektur als Medium, die die Distanz

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Repräsentation und Residenz

Angemessene Einheit von Inhalt und Form Die performative und die architektonische Repräsentation sind somit miteinander und vor allem mit dem Objekt, dem Status des Herrschers, verknüpft. Eine Bedingung für das Funktionieren von Repräsentation ist daher die Angemessenheit von äußerer Form und Inhalt. Ein Missverhältnis wäre in der Kommunikation irreführend, worin sich die kaiserliche Repräsentation aber nicht von anderen Gattungen unterscheidet. Vielmehr ist die Angemessenheit von Form und Inhalt in der antiken Kunsttheorie ganz allgemein eine grundlegende Forderung, die weit bis in die griechische Antike zurückreicht. Sie ist wenigstens seit dem platonischen Dialog Hippias Maior16 zu fassen, geht aber wohl bis auf die Kalokagathia archaischer Kouroi zurück, in der sich das sittlich Gute und die Schönheit der Gestalt entsprachen. Auch in anderen Gattungen kam die Angemessenheit von Form und Inhalt als Grundforderung vor, etwa in der Rhetorik17 und wahrscheinlich auch in der Musik18. Nicht zuletzt begegnet die Angemessenheit in der Architektur: So sollten Tempel nach Vitruv entsprechend dem jeweiligen Wesen der Gottheit gestaltet sein19. Die Ausgestaltung der cella durch kostbare Baumaterialien, aber auch durch Statuen, Bilder und Geräte unterstreicht daher die maiestas und die auctoritas der Gottheit20. Ihrer Besonderheit muss die Architektur mit ihrer Ausstattung folglich angemessen sein. Eine Inschrift des Juno-Tempels von Ardea überliefert diese Vorstellung mit der prägnanten Formulierung „Würdigen Würdiges“21. Tatsächlich ist die Angemessenheit einer der ästhetischen Grundbegriffe der Baukunst in der Vitruvschen Architekturtheorie22. Vitruv bezeichnete die Angemessenheit als

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zwischen dem Herrscher und den übrigen Menschen verdeutlicht. Plat., hipp. mai. 493e 7. Der Sokratische Dialog handelt von der Grundlegung der Schönheit. Neben dem Brauchbaren wird dabei das ‚Schickliche oder Angemessene‘ (τὸ πρέπων) aufgeführt. Zum Begriff vgl. Pohlenz 1965; Horn-Oncken 1967, 92–99; Speer 1996 Sp. 202; Büttner 2006, 41. Theophrast stellt die Angemessenheit als zweite Tugend neben die Deutlichkeit (Pohlenz 1965, 106–108). In die lateinische Rhetorik wird der Begriff als aptum von Quintilian übernommen und findet sich auch bei Cic., orat. 70 (Pohlenz 1965, 110 f.). Zu Kategorien von ‚Angemessenheit‘ bei Horaz vgl. Speer 1996 Sp. 204. Ein Fragment des Herakleides Pontikos bei Philodem bezeugt den Begriff des ‚Angemessenen‘ in der Musiktheorie (Schütrumpf 2008, Nr. 115b). Vitr. 1, 2, 5–7. Vgl. Mattern 2001. Plin., nat. 35, 115. Zu den bei Vitr. 1, 2, 1–5 aufgelisteten Grundbegriffen der Architekturästhetik ordinatio, dispositio, euryth-

decor und unterschied dann einerseits die Angemessenheit von Inhaber bzw. Funktion und äußerer Gestalt und anderseits eine Angemessenheit von Inhalt und Lage. Bei Tempeln muss deswegen, so Vitruv, die architektonische Gestalt dem Charakter des Kultinhabers entsprechen23. Doch nicht nur bei Sakralbauten ist die Angemessenheit ein wichtiger Begriff, sie ist auch der römischen Wohnarchitektur inhärent. Die Gestaltung eines Hauses erfordert bedarfsgerechte Bauformen und Raumkompartimente. Je nach sozialer Stellung des Bauherrn werden deswegen prächtige Vorhallen, Empfangssäle und Atrien notwendig – oder können eben auch entfallen24. Und schließlich: „Für mächtige Männer aber, durch deren Gedanken der Staat gelenkt wird, werden sie entsprechend dem Bedürfnis gebaut werden. Und im ganzen müssen die Einrichtungen der Gebäude immer den Bewohnern angemessen ausgeführt werden“25. Mag Vitruv hier auch noch eher Senatoren im Sinne gehabt haben als einen princeps, so gilt doch, dass eine Abstufung von Privatarchitektur hinsichtlich der sozialen Stellung der Hausherren erforderlich war. Erst recht gilt dies für den Kaiser, und zwar ausweislich der Domus Tiberiana und Domus Flavia bereits im 1. Jahrhundert, doch besonders muss es seit diokletianischer Zeit gelten, in der das Hofzeremoniell eine bedeutende Veränderung erfuhr. Die Stellung einer Person wurde in Rom durch eine angemessene und offiziell geregelte Statussymbolik repräsentiert26. Mit den offiziellen Statussymbolen, z. B. dem senatorischen latus clavus, einher gingen inoffizielle, wie Größe und Ausstattung des Hauses. Der Zusammenhang zwischen Leistung für die res publica, wirtschaftlichem Erfolg und Positionierung im gesellschaftlichen Gefüge führte zur Bedeutung von Wohnluxus als Ausweis gesellschaftlicher Stellung, vornehmlich außerhalb Roms27. Für Understatement gab es in der Antike dagegen kein Verständnis, ein nicht dem Status angemessenes Auftreten von Personen wird in der antiken Litera-

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mia, symmetria, decor und distributio vgl.  Schlikker 1940, 96–112 (der dem Begriff mit ‚Anstand‘ überträgt); Horn-Oncken 1967 (übernimmt Goethes Wortwahl des ‚Schicklichen‘); Knell 1991, 33; Büttner 2006, 154  f. Zur Identität von πρέπων und decor vgl. Pohlenz 1965, 136 f.; Horn-Oncken 1967, 99. Vitr. 1, 2, 5. Vitr. 6, 5, 1. Vitr. 1, 2, 9: … potentibus vero, quorum cogitationibus respublica gubernator, ad usum conlocabuntur; et omnino faciendae sunt aptae omnibus personis aedificiorum distributiones. (ed. Fensterbusch 1987). Zur Statussymbolik vgl. Kolb 1977. Vgl. dazu Tombrägel 2012, 202–208.

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tur zumeist kritisch gesehen und negativ als Geiz ausgelegt28. Dies gilt auch für den Kaiser, bei dem persönliche Bescheidenheit stets die Gefahr barg, bewusst missdeutet zu werden29, wobei hierin ein schwer auflösbarer Widerspruch zu dem antiken Ideal der modestia des Herrschers lag30. Die Person des Herrschers und ein seiner Stellung angemessenes Auftreten bedingten sich folglich gegenseitig, verstärkten sich wahrscheinlich sogar in der Entwicklung. Bescheidenheit war mithin keine Option für einen Kaiser.

Maiestas, auctoritas und Auratisierung Folgerichtig ist es notwendig zu fragen, was den Herrscher vor anderen hochgestellten Bürgern auszeichnete, womit nicht seine staatsrechtliche Funktion, sondern die seine Person auszeichnenden, unbestimmteren Begriffe auctoritas und maiestas und die Auratisierung des Herrschers im Fokus stehen. Der Begriff ‚maiestas‘ findet verschiedene Anwendung. Die maiestas imperii begründet eine bauliche Ausgestaltung der Stadt Rom, die der Würde des Reiches entsprechen sollte31. Sie findet sich bereits bei Vitruv32, aber auch bei Cassius Dio in einem fiktiven Gespräch zwischen Augustus, Maecenas und Agrippa: „Schmücke diese unsere Hauptstadt mit aller Pracht und schaff ihr Glanz mit Festlichkeiten aller Art! Denn es ist wohl angezeigt, daß wir, die Herren über zahlreiche Völker, alle Menschen in allen Dingen übertreffen, und Prunk solcher Art trägt auch dazu bei, unsere Bundesgenossen mit Ehrfurcht, unsere Feinde aber mit Schrecken zu erfüllen“33. Dass die bauliche Ausgestaltung des politischen Zentrums seiner Macht angemessen sein soll, entsprach nicht allein römischer Ansicht, sondern wurde wenigstens seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. thematisiert. So verwies Thukydides auf die auffallende Diskrepanz zwischen der politischen und 28 Ein Beispiel ist die Charakterisierung des Milo bei Apuleius, der zwar reich ist, aber in Hypata in einfachen Verhältnissen lebt (Apul., met. 1, 21). 29 Zum Beispiel das bescheidene Auftreten des Iulianus Apostata: „Auch die römische Elite der Spätantike erwartete den Kaiser nicht mehr als primus inter pares …“ (Kolb 2001, 20 f.). 30 Zur modestia principis vgl. Klodt 2001, 96–109. 31 Zur Kongruenz von maiestas imperii und baulicher Gestaltung der Hauptstadt vgl. Mattern 2017, 250; Mattern 2018, 283. 32 Vitr., praef. 1, 2. 33 Cass. Dio 52, 30, 1 (ed. Veh 1986).

militärischen Macht Spartas und der wenig eindrucksvollen baulichen Ausgestaltung der Stadt als Besonderheit34. Überträgt man dies auf die Person des Kaisers, dann war seine auctoritas mit einer angemessenen Umgebung verbunden, seine Stellung erforderte eine ihr entsprechende architektonische Rahmung. Residenzen aber sind sedes imperii, so wie es in der politischen Terminologie seit spätrepublikanischer Zeit Rom war35. Auftreten und die Inszenierung der Kaiser dienten der überpersönlichen Inszenierung des Reichs- und Herrschaftsgedankens und waren, neben anderen Faktoren, ein Bestandteil der inneren Stabilität des Reichs. Als weiterer Aspekt kann die Sakralisierung von Herrscher und Palast sprachlich nachvollzogen werden. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass entsprechende Begriffe wie z. B. domus divina, eine Sakralität von Palast und Hof evozierten36. Auch wenn im Einzelfall zu prüfen bleibt, ob diesen Begriffen auch eine wortwörtliche Bedeutung zukam oder hierin nicht vielmehr eine übertragen zu verstehende Formelhaftigkeit bestand, so zeigt der Sprachgebrauch doch gut, dass der Herrscher und sein Hof einer anderen Sphäre angehörten als die übrigen Menschen: Auch wenn der Herrscher selber vor seiner Divinisierung nicht im eigentlichen Sinne sakral war, so erfuhr er damit eine Auratisierung. Diese fügt sich gut zu anderen Formen der Distanzwahrung, etwa der bereits erwähnten statuarischen Unbewegtheit des Herrschers. Eine Auratisierung ist nicht ganz ohne Tradition, denn auch der Senat konnte schon immer in Tempeln tagen, wenn die Tagesordnung dies erforderte. Auch in diesem Falle wurde das Gremium durch die Sa­ kralität des Tagungsorts hervorgehoben. Wenigstens diese Art der Auratisierung konnte durch den dauerhaften, baulichen Kontext von Sakralgebäuden und dem Aufenthaltsort des Kaisers erreicht werden. Beispiele sind hierfür die Verbindung des Hauses des Augustus mit dem Apollon-Tempel oder der Domus Tiberiana mit dem Dioskuren-Tempel auf dem Forum Romanum durch Caligula. Aber auch temporär, wenn Kaiser Hadrian im Pantheon Gericht abhielt, ist der Kontext durch diese besondere Verbindung gegeben37. Mit der sprachlichen Exemtion des Herrschers, seines Wohnorts und seines Hofs aus der Sphäre der Normalen setzte seit Domitian eine zunehmende Distanzierung ein, der das Abschließen des Herrschers vor der Begegnung mit anderen folgte38. Seit

34 Thuk. 1, 10. 35 Zum terminus technicus vgl. Ceauşescu 1981, 349–350. 36 Zur Sakralisierung des Herrschers vgl. Kolb 2001, 35–37; Unruh 2003, 34. 37 Cass. Dio 69, 7, 1. 38 Zanker 2004, 98 f.

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Repräsentation und Residenz

dem 3. Jahrhundert kamen diese beiden Formen, die Auratisierung und die Exemtion, wohl zusammen. Während die Auratisierung am Anfang noch durch Zuschreibung erfolgte, wurde die Distanzierung durch die statuarische Unbewegtheit durch den Herrscher selbst körperlich ausgedrückt und im Habitus real. Es ist der Beginn seiner folgerichtigen und schrittweisen Entrückung, die bis zum princeps clausus führte. Hierbei handelte es sich nicht nur um die habituelle, sondern die physische Abgeschlossenheit des Herrschers von seiner Umgebung. In diese wirkte er zwar hinein, war für diese aber nicht mehr sichtbar, sondern befand sich nun unsichtbar tatsächlich in einer anderen räumlichen Sphäre. Wie Gottheiten war er nicht sichtbar, beeinflusste aber durch seine Macht das Leben der Menschen. Für diese Form der Inszenierung wurden bei Audienzen Vorhänge benötigt39. Die Darstellung von geöffneten Vorhängen, etwa in den Mosaiken von S. Apollinare Nuovo, zeigt dagegen sinnbildlich die Zuwendung des Kaisers. Sie sind daher Bildsprache und können toposhaft für Paläste werden, wie etwa im Vergilius Vaticanus, entstanden am Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr., bei der Darstellung des Palastes der Königin Dido40. Die Abschließung des Herrschers von seiner Umwelt durch Habitus und Zeremoniell, seine architektonische Entrückung und seine Betonung in der Apsis einer Aula, seine Hervorhebung mit Hilfe von Baldachinen41 und in Zweisäulennischen42 und schließlich seine Entrückung durch Vorhänge haben letztlich immer die gleiche Aussage: Der Herrscher ist kein Mensch wie andere. Dabei gab es während dieser Entwicklung durchaus kritische Stimmen, die an das umgänglichere und offenere Verhalten der ‚guten‘ Kaiser Trajan und Hadrian erinnerten, wie es angeblich Theodosius zu Honorius äußerte43 und ebenso Sy­ nesius44, der den Kern des ‚princeps clausus-Prinzips‘ zutreffend beschrieb, wenn er meinte, die Kaiser wollten nicht von den Menschen als Menschen erkannt werden45. Als ein möglicher weiterer Bestandteil des Zeremoniells, der aber in Quellen nicht gut belegt

39 Zu Vorhängen bei Audienzen vgl. Alföldi 1970, 37; Carile 2003, 27; Unruh 2003, 37 f. 40 Bibl. Apost. Vat., Ms Lat. 3225, Fol. 36v. (Embach 2022, 40 f.). 41 Zu Ciborien im Thronzeremoniell vgl. Alföldi 1970, 245; Unruh 2003, 38. Baldachine stammen wohl aus dem paganen Kult, wo sie Kultstatuen betonen und schützen. Vgl. dazu Cüppers 1963; Klöckner 2015–2016, 55 Anm. 31. 42 Alföldi 1970, 251 f. 43 Klodt 2001, 81 f. 44 Klodt 2001, 88. 45 Das dem Triumphator republikanischer Zeit vom Sklaven zugeraunte „Gedenke, dass du sterblich bist“ gilt für den Herrscher seit Augustus zunehmend weniger und seit Diokletian gar nicht mehr.

ist, ist Musik bei der Begegnung mit dem Kaiser in Erwägung zu ziehen. Musik war ein wesentlicher Bestandteil beim paganen Kult, da sie in der Lage ist, eigene Klangräume zu schaffen und das Besondere einer Situation hervorzuheben. Auch bei anderen öffentlichen Ereignissen, etwa im Theater oder im circus war sie gegenwärtig und wurde auch bei der Begegnung mit dem Kaiser eingesetzt, vor allem beim adventus oder der Akklamation46. Möglicherweise steht die musikalische Herrscherehrung in der Tradition der musikalisch begleiteten Ehrenprozessionen, die verdienten Personen gewährt wurden47. Der Theodosius-Obelisk in Konstantinopel zeigt tatsächlich auch Musikinstrumente und Tanz im Beisein des Kaisers. In einer knappen Zusammenschau bezeichnete Reinhold Hammerstein die hydraulis sogar als Machtzeichen des Kaisers48, die bei verschiedenartigen Auftritten zum Einsatz kam, gut illustriert vielleicht in dem Gedicht des Publius Porphyrius Optatianus aus dem Jahr 326 n. Chr., in dem Hofzeremoniell und Orgeleinsatz geschildert werden49. Nicht auszuschließen ist nun, dass Architektur und Musik in Kombination gebracht wurden, der Hall in großen Räumen wird in der Antike kaum verborgen geblieben sein50. Eine geeignete Architektur war also in der Lage, die Repräsentation des Herrschers zu unterstützen und bot damit Möglichkeiten, die auf Reisen nicht gegeben waren, während alle Funktionen der Administration auf Reisen unbeschadet möglich waren. Die normative Macht der Angemessenheit im Auftreten und Erscheinung geht so weit, dass auch ‚Privatheit‘ meines Erachtens keine angemessene Kategorie im Umfeld des Herrschers darstellt, so wie dies auch in anderen Epochen nicht der Fall ist51. Dies stellte auch Ulrike Wulf-Rheidt zum Palastbau des Domitian in Rom fest: „Nicht das Streben nach privatem Luxus, sondern der Wunsch nach einer städtebaulich höchst wirkungsvollen Inszenierung des gesamten Hügels als palatium, als Machtzen-

46 Alföldi 1970, 82 f.; Schuberth 1968, 18–55. 47 Schuberth 1968, 25–29. 48 Hammerstein 1986, 26–28. Berger 2006 befasste sich in einem Beitrag mit Orgeln und Automaten am Kaiserhof. Ihm zufolge waren Orgeln spätestens seit dem Beginn des 8. Jahrhunderts im oströmischen Kaiserzeremoniell unabdingbar 49 Schuberth 1968, 36–37. 50 In byzantinischer Zeit wurden klingende Automaten zur Begleitung der Audienz in Konstantinopel eingesetzt. Zur musikalischen Begleitung von Empfängen am byzantinischen Hof vgl.  Schuberth 1968, 68–71; Berger 2006. 51 Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Bettund Toilettenszenen des täglichen Zeremoniells am Hof Ludwigs XIV.

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trum des Römischen Reiches, stand offensichtlich im Vordergrund der Planung“52. In diesem Sinne ist auch eine Aufteilung der Residenz in einen privaten und einen repräsentativen Bereich, wie ihn Jaeschke für die kaiserliche Residenz von Serdica vorschlug, nachrangig53. Gleiches gilt für die oben genannten Palastfunktionen, die Nielsen auflistete54, auch wenn kaum geleugnet werden kann, dass auch der Kaiser nun einmal irgendwo schlafen musste und Mußezeit verbrachte. Aber der Wunsch, der Person des Herrschers näher zu kommen, indem man ‚Privatgemächer‘ und ‚Privatleben‘ zu identifizieren sucht, ist zwar menschlich verständlich, geht aber wohl an der antiken Realität vorbei. Die Individuen traten, wie auch in den Herrscherbildnissen, gegenüber dem Amt und ihrer Stellung in den Hintergrund, bis zum Extrem der Tetrarchenbildnisse55.

Angemessenheit der ‚Form‘ Wenn die Repräsentation die eigentliche Aufgabe war, die die domus imperialis gegenüber dem palatium auf Reisen auszeichnete, dann muss sie einen angemessenen äußeren Rahmen bilden. Dass Architektur geeignet ist, zeichenhaft Inhalte, Ansprüche und Bedeutungen zu transportieren, ist keine moderne Zuschreibung. So stellt Vitruv bei Gelegenheit des hermogeneischen Pseudodipteros heraus: Pteromatos enim ratio et columnarum circum aedem dispositio ideo est inventa, ut aspectus propter asperitatem intercolumniorum habeat auctoritatem …56. Geeignete Architekturelemente, um die Besonderheit des Orts herauszustellen, sind die Öffnung der Fassade, die Hervorhebung der Zugänge, Größe als

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Wulf 2004, 179. Jaeschke 2020, 141. S.o. Anm. 1 sowie Nielsen 2000 Sp. 176. Entgegen Demandt 1996, 23 liegt die Problematik nicht darin, dass die Individuen nicht über eigene Vorlieben und Rückzugsräume verfügt haben könnten, sondern dass diese ‚Realitäten‘ in der intentionalen Darstellung der Quellen keine Rolle spielten. In der bestehenden, von sämtlicher Ausstattung entblößten Resten kaiserlicher Palastarchitekturen sind Zuweisung von Raumfunktionen oftmals reine Spekulation. 56 Vitr. 3, 3, 9: „Das System nämlich der Seitensäulenhallen und die Anordnung der Säulen rings um das Gebäude ist deshalb erfunden worden, damit durch die Herbheit der Säulenzwischenräume der Anblick wirkungsvoll ist …“ (ed. Fensterbusch 1987).

Eigenwert, Kostbarkeit der Ausstattung sowie die Gestaltung der Begegnung mit dem Hausherrn. Die gegliederte und nach außen geöffnete Fassade ist ein Element, das sich bereits bei hellenistischen Palästen findet. Im Unterschied zu der eigentlich nach außen abgeschlossenen und nach innen orientierten Privatarchitektur, wie sie sowohl in Rom wie auch in Griechenland vorherrscht, war sie geeignet, die Besonderheit eines Gebäudes gegenüber seiner Umwelt zum Ausdruck zu bringen57 und nahm zugleich Elemente öffentlicher Architektur auf. Auch in der suburbanen römischen Villenarchitektur gab es derartige Schaufassaden. Reinhard Förtsch wies darauf hin, dass Luxus in Bau und Ausstattung schon für die nobiles ein wesentliches Mittel im Konkurrenzkampf war58. Bei der Charakterisierung der Villenlandschaft von Tusculum rekurrierte Strabo etwa explizit auf hellenistische basileia. Auch wenn die Konkurrenzsituation zwischen den nobiles außerhalb des politischen Zentrums freier ausgestaltet werden konnte als in Rom, sind doch an basileia erinnernde Privatvillen nicht nur außerhalb Roms zu finden, sondern auch in der Stadt gab es Häuser, die Elemente griechischer Paläste aufgriffen. Ein Beispiel dafür ist das Haus des Clodius auf dem Palatin, dessen Fassade zum Forum orientiert war59. Selbst wenn das Haus des Clodius dem, was seinem Status eigentlich angemessen gewesen wäre, offenbar nicht entsprach, so stand doch die domus imperatoris grundsätzlich zu derartigen Villen der nobiles in Konkurrenz. Tatsächlich sind für die Domus Flavia durch Münzbilder hohe Substruktionen und eine Schaufassade belegt. Sie bildete eine Ansichtsarchitektur, die in Richtung des clivus Palatinus ausgerichtet war. Als transitorisches Element kam den Eingängen in Heiligtümern in Form von freistehenden oder integrierten Propyla eine besondere Bedeutung zu. Ihre Hervorhebung erfolgte durch architektonische Mittel, wie die übergiebelte Säulenarchitektur. Bekannt ist die Hervorhebung des Eingangs durch Attribute, etwa zum Haus des Augustus durch einen Lorbeerkranz und Bäume. Ahnliches ist auch für den Palast des Claudius überliefert. Während sich der Giebel, ein ursprünglich aus dem sakralen oder doch wenigstens öffentlichen Bereich entlehntes Element, auch in der Privatarchitektur findet60, wiesen corona navalia und corona civica auf die besonderen Verdienste des Hausherrn hin61. Ob innerhalb

57 Brands 1996. Zu Schaufassaden vgl. auch Jaeschke 2020, 259–265. 58 Förtsch 1996, 240. 59 Krause 2004, 45. 60 Zum Beispiel in Ostia die Domus del Protiro oder die Horrea Epagathiana. 61 Zum Palasteingang des Claudius vgl. Suet., Claud. 17, 3 (dazu Krause 2004, 47). Zu Tetrapyla und Torbögen im

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der domus imperatoris dann auch die Wegeführung zum Kaiser besonders gestaltet war, um so die Besucher auf die Begegnung mit ihm, vielleicht entsprechend Hofordnung und Zeremoniell separiert, vorzubereiten, wurde zwar in der Forschung vorgeschlagen, bleibt aber letztlich spekulativ, da die Eingänge, Wege und die eigentlichen Begegnungsorte nicht mehr gesichert zu erschließen sind und streng geregelte Raumfolgen nicht bestehen62. Claudia Klodt konnte zeigen, dass Größe einen Wert an sich darstellte63. So wurde bei dem Besuch Constantius II. in Rom im Jahre 357 n. Chr. insbesondere seine Bewunderung des Trajansforums und der Größe der Platzanlage sowie der Basilica Ulpia hervorgehoben. Die Größe stellte auch der Panegyricus zu Trier heraus: „Ich sehe den riesigen Circus, konkurrierend mit dem römischen, wie ich glaube, ich sehe Basiliken und das Forum, königliche Bauwerke (opera regia), sowie den Thron der Gerechtigkeit in solche Höhe erheben, dass sie würdig der Gestirne und des Himmels und ihre Nachbarn zu sein verheißen. Dies alles sind gewiss Gaben, die deiner Anwesenheit zu verdanken sind“64. Libanios äußerte sich 356 n. Chr. in der Rede auf seine Heimatstadt ähnlich zu dem palatium in Antiochia, das alle anderen palatia hinter sich lasse: „…  während allenthalben jedwedes Bestehende entweder durch seine Größe berühmt ist oder um seiner Schönheit gepriesen wird, bleibt dieser Palast hinter den Bauwerken der einen Art nicht zurück und übertrifft die anderen bei weitem; ist er doch hinsichtlich der Schönheit unbesiegt und im Wettstreit der Größe besiegt er alle anderen, denn er hat so viele Gemächer und Kolonnaden und Hallen aufzuweisen, daß auch jene, die mit den Örtlichkeiten vertraut sind, sich verirren und von Tür zu Tür wandern“65.

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Vorfeld von Palastzugängen vgl. Jaeschke 2020, 255–258. Zum Eingang zum flavischen Palast in Rom vgl. WulfRheidt 2014, 9. Pflug 2014 versuchte eine Rekonstruktion am Beispiel der salutationes und convivia. Zu Wegeführungen in Palästen vgl. auch Jaeschke 2020, 265–274. Klodt 2001. Jaeschke 2020, 165 f. Libanios, or. 11, 207 (ed. Fatouros/Krischer 1992). Dazu auch Mayer 2002, 42.

Es ist eben diese Größe, die in Rom zum Beispiel auch im Bau der Maxentius-Basilika deutlich wird66. Die Größe als Eigenwert verbindet die Architektur mit der Auratisierung der Person des Herrschers, indem sie seine Größe und die der domus imperatoris außerhalb des Maßstabs anderer Menschen setzt. Eine ähnliche Absetzung erfolgt auch durch seine erhöht aufgestellten Bilder, den Säulenmonumenten mit kaiserlichen Statuen. „Der gesamte öffentliche Raum Konstantinopels war erfüllt von Ehrensäulen, in denen der Betrachter tagtäglich seine Unterordnung unter die kaiserliche Autorität erfuhr“67. Auf solche Art werden die Herrscher ebenfalls der Sphäre des Normalen entzogen. Als Weiteres schufen Materialreichtum68 und Ausstattungselemente eine besondere Sphäre, die die maiestas und auctoritas zum Ausdruck bringen sollte, wie auch bei den Tempelinnenräumen oben bereits hervorgehoben wurde. Den ‚Wunsch nach Exklusivität‘ in der domus imperatoris fasste Henner von Hesberg schon für die neronische Zeit zusammen „Insgesamt läuft es wohl nicht auf eine einfache Kontrastierung von öffentlicher und privater Sphäre hinaus, aber doch dahin, dass im persönlichen Umfeld des Kaisers ein anderer Stil herrschen sollte als in der Öffentlichkeit“69, womit auch die besondere Ausstattung mit Kunstwerken einbezogen ist70. Dies gilt auch für die Empfangssäle wie die aula regia in Trier. Gerade die Palastaula in Trier wird als Beleg für eine Sakralisierung des Kaisers angeführt, indem die Apsis eine tempelartige Wirkung evozieren würde71. Eine gewisse Entsprechung fand die Trierer Aula möglicherweise in dem consistorium

66 Döring-Williams 2004 und Mayer 2002, 184  f. folgten F.  P. Fiore und sahen in der Maxentius-Basilika einen Teil eines geplanten Maxentius-Forums, mit dem er sich in die Reihe der Kaiser des 1. und 2. Jahrhunderts stellen und als conservator urbis suae verstanden haben wollte, auch gegen die neuen sedes imperii. Innerhalb Roms stünde die Maxentius-Basilika insbesondere zu der noch von Constantius II. gelobten Basilica Ulpia in Konkurrenz. Zu den beiden Hauptbauphasen der MaxentiusBasilika, die ggf. mit einer Änderung der Nutzung als Audienzhalle einhergehen vgl.  Döring-Williams/Albrecht 2020. Zur Ausstattung Döring-Williams/Albrecht 2021. 67 Bauer 1996, 393. 68 Zum Materialreichtum vgl.  Ruppienė 2021 mit zahlreichen Beiträgen. 69 Hesberg 2004, 72. 70 Vgl. den Beitrag von E. Günther in diesem Band. Dagegen die unkritische und kontextlose Auflistung bei Demandt 1996, 131 f. 71 So Jaeschke 2020, 318. Zur Apsis-Architektur und einer Bedeutungssteigerung von der Vorhalle über die cella bis

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Konstantinopels72. Auch wenn die Frage nach der Genese derartiger Räume, die in Palästen wenigstens seit der Domus Flavia mit der berühmten aula regia nachgewiesen ist73, noch nicht abschließend geklärt ist, zeigt sich doch hierin die Intention, die Bedeutung der kaiserlichen Person durch die Größe des Raums hervorzuheben. Der Kaiser selbst wird in der Apsis der Trierer Aula mit dem gegenüber dem Hauptschiff erhöhten Boden gestanden haben, vielleicht noch durch Lichtführungen herausgehoben. War dem so, dann wird aber auch der Kaiser der Größe des Raumes unterworfen, wenngleich die Wandgliederungen mit den schwebenden Ädikulen und den großen Fenstern74 fokussierend wirkten. Damit aber nicht die pure Größe der Architektur alles bestimmte, sondern die Hauptperson überhaupt noch als solche wahrgenommen wurde, mag man einen Baldachin vermuten, der allerdings als fester Bestandteil nicht nachgewiesen ist75. Aber die Palastaulen können in dieser Form nur einen Zwischenstand darstellen, denn sie sind nicht wirklich mit dem Gedanken des princeps clausus des späteren 4. und 5. Jahrhunderts zu vereinbaren. Die Historia Augusta illustriert die Umgänglichkeit des Severus Alexander dadurch, dass die Vorhänge zurückgeschlagen gewesen seien, ihn also nicht verbargen76. Dies ist natürlich eine Rückprojektion aus der Entstehungszeit der Scriptores Historiae Augustae und sagt mehr über das Zeremoniell in der Spätantike aus als über das des frühen 3. Jahrhunderts. Die zahlreichen Darstellungen von Kolonnaden mit geöffneten Vorhängen zwischen den Säulen77, weisen aber darauf hin, dass Derartiges in den Palastaulen eben ohne Weiteres nicht möglich war, denn hier

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zur Apsis vgl. Ganzert 2004, 326 mit Hinweis auf weitere Literatur. Bolognesi Recchi-Franceschini 2003, 125 f. Hesberg 2006, 158 sieht keine Verwandtschaft zwischen den freistehenden und den intergierten Aulen wie in der Domus Flavia. Stattdessen vermutet er den Anfang in Nikomedia. Hier muss aber zwischen dem Architekturtypus der freistehenden Aula mit apsidialem Abschluss und vorgelagerter Querhalle und der Raumfunktion getrennt werden. Letztere, ein saalartiger Innenraum, der sich durch seine Größe deutlich von anderen Räumen absetzt und an prominenter Position innerhalb des Gebäudes errichtet wurde, ist dagegen sehr wohl vergleichund übertragbar. Ob eine wirkliche Inszenierung mithilfe von Licht intendiert war, ist allerdings fraglich, denn die Apsis der Trierer Palastaula ist nach Nord-Nord-Ost orientiert. Zur Lichtmetaphorik vgl. Kolb 2001, 41. Zum Baldachin s.o., zum kaiserlichen Thron vgl. Alföldi 1970, 242 f.; Alföldi 1970, 251 verwies auf frühbyzantinische Darstellungen, die den Kaiser in einer Bogennische zeigen. Im Zusammenhang mit dem Zeremonienbuch des Constantius II. Porphyrogenitus sah er hierin eine zunehmende Sakralisierung. SHA Alex. 4, 3. Zu Vorhängen vgl. Alföldi 1970, 37; Unruh 2003, 37 f.

fehlen entsprechende Einbauten. Stattdessen bedurften Vorhänge einer anderen architektonischen Rahmung, zum Beispiel arkadenartige Abtrennungen oder später sogar eigene Räume78. Dass es tatsächlich eine Architektursprache gab, die auf die Würde und maiestas des Herrschers ausgerichtet war und als solche von den Zeitgenossen auch verstanden wurde, wird am Beispiel der Domus Flavia auf dem Palatin deutlich, denn Nerva wird dafür gelobt, dass er dem domitianischen Bau „das Einschüchternde“ durch die nachträgliche Inschrift aedes publicis genommen habe79. Was natürlich keinesfalls wortwörtlich zu verstehen gewesen sein kann. Natürlich blieben Architekturformeln wie Größe, Ausstattung oder Schaufassaden bestehen, es handelte sich nur um eine Umetikettierung, deren tatsächliche Wirkung fraglich gewesen sein dürfte. Die Textstelle sagt stattdessen mehr über die Einstellung des Plinius zu Domitian aus, dessen Absichten, der senatorischen geprägten Geschichtsschreibung folgend, stets negativ ausgelegt werden. Die Architektur war also in der Lage, einer Repräsentation des Kaisers einen angemessenen Rahmen zu geben. Treibende Intention war die Übereinstimmung von äußerer Form und Bedeutung der Person des Herrschers und damit zugleich auch die Notwendigkeit zur Distinktion von den nobiles, von deren Villen sich die domus imperatoris vor allem graduell unterschied, denn mit Ausnahme des Porphyrs gab es keine allein dem Palast vorbehaltene Architektur oder ihm allein zustehendes Material80. Alle anderen Elemente waren auch in der übrigen Wohnarchitektur hochgestellter Kreise zu finden81. In den vier Jahrhunderten seit der Einführung des Prinzipats bis in die konstantinische Zeit veränderte sich der Charakter des Kaisertums signifikant, wobei vor allem die Regierungszeit Diokle­tians als ein entscheidender Wendepunkt angesehen wird. So wurde unter ihm die salutatio durch die adoratio mit der proskynese abgelöst82 und definierte jetzt das Verhältnis der Umwelt zu dem Kaiser. Entsprechend

78 Zum einem separierten Thronraum mit Vorhängen, den Flavius Cresconius (C/G)orippus 565 n. Chr. beschreibt, vgl. Carile 2003, 27. 79 Hesberg 2004, 61 zu Plin., paneg. 47, 3–49. 80 Die Nähe zu Circusanlagen entstand aus der Notwendigkeit zur Kommunikation mit dem Volk, sie stellt damit ein anderes Niveau als die Räume der Begegnung zwischen Patron und Klienten dar, wie sie auch in den Häusern der nobiles vorhanden waren. Zur Verbindung von Palast und Circus zuletzt Wulf-Rheidt 2014 und Jaeschke 2020, 288 f. Allerdings wird man sich auch die Frage stellen müssen, ob die Bedeutung der Kommunikation zwischen Kaiser und Volk z. B. in Trier die gleiche Bedeutung gehabt haben kann, wie dies in Rom oder Konstantinopel der Fall war. 81 So auch Witschel 2004/5, 230. 82 Zur Einführung der adoratio vgl. Kolb 2001, 39 f.

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den Veränderungen im Zeremoniell müssen daher seit der mittleren Kaiserzeit auch die baulichen Einrichtungen für öffentliche Begegnungen verändert worden sein. In dem Maße, in dem die salutatio83 der adoratio wich, waren etwa auch convivia zunehmend weniger vonnöten. Der architektonische Rahmen sollte diese Entwicklung widerspiegeln, doch muss berücksichtigt werden, dass dies gerade beim palatium in Rom nicht zu erwarten ist, denn dessen Baugeschichte reicht ja bis in das 1. Jahrhundert n. Chr. zurück und umfasst damit verschiedene Phasen des kaiserlichen Hofzeremoniells. Es ist daher kaum zu erwarten, dass der Palast in Rom dem (nach)diokletianischen Zeremoniell vergleichbar gut angepasst werden konnte84. Anders ist dies bei den tetrarchischen Palästen, die als Rahmen dem Zeremoniell des frühen 4. Jahrhunderts entsprachen. Wenn die Absonderung des Herrschers einen solchen entscheidenden Schritt vollzogen hat, dann waren in den tetrarchischen Palästen zum Beispiel auch die räumlichen Bedingungen für die im 1. Jahrhundert n. Chr. überlieferten kaiserlichen convivia nicht nur nicht mehr notwendig, sondern sie widersprächen geradezu dem zeitgenössischen Repräsentationsgedanken85. Damit dürfte auch die Bedeutung von Peristylen als Begegnungsorte abgenommen haben. Diese spielten im griechischen Palastbau noch eine bestimmende Rolle86 und Clemens Krause leitete auch die Gestaltung des Obergeschosses der Villa Jovis auf Capri noch von

83 Zu der kaiserlichen salutatio vgl. Zanker 2004, 96 f. 84 Gabelmann 1984, 107 arbeitete heraus, dass Darstellungen von Audienz- und Tribunalszenen in der Bildenden Kunst offenbar nicht dem tatsächlichen Zeremoniell entsprochen haben, da, wenigstens in den ersten beiden Jahrhunderten, die Kaiser in der bildlichen Fixierung Wert auf die Darstellung als Bürger legten. Es ist nicht auszuschließen, dass die Diskrepanz zwischen Zeremoniell und Ikonographie auch auf die Architektur ausgeweitet werden kann. Für die tetrarchischen Paläste würde dies auch bedeuten, dass diese Realitätslücke erst in nachdiokletianischer Zeit geschlossen wurde. Kerscher 2000, 31 f. dagegen schätzt im Mittelalter die Architektur wandlungsfähiger als das Zeremoniell ein. 85 Die Räume in dem domitianischen Palast fassten wohl Klinen für 100 Personen (Zanker 2004, 87) für kaiserliche convivia (Zanker 2004, 93). Nach Suet., Claud. 32 konnten kaiserliche convivia sogar bis zu 600 Personen umfassen, wobei nicht nur Senatoren und Ritter geladen wurden. Unruh 2003, 45 sieht in der Mitte des 1.  Jahrhunderts n. Chr. aber auch schon den Anfang zur Distanzierung des Kaisers. 86 Doch ist auch festzuhalten, dass die hellenistischen Monarchien auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Fundamenten standen und insbesondere das makedonische Königtum offenbar sehr stark auf persönliche Begegnung und Austausch zwischen dem Basileus und der Etaireia gründete. In den anderen Monarchien war dies zwar nicht so, doch unterschieden auch sie sich grundlegend vom spätantiken Staat.

diesen basileia ab87. Große Peristyle als Orte der Begegnung wurden auch von Eugenia Bolognesi Recchi-Francescini in spätantiken Palästen gefordert. Die von Gellius erwähnte area palatina war den salutationes des Kaisers vorbehalten, aber vermutlich handelte es sich nicht um einen Hof, sondern das Areal vor der Front des flavischen Palastes88. Im Verweis auf den Großen Hof des Kaiserpalastes in Konstantinopel sah sie hierin auch das Kernstück tetrarchischer Paläste, als den Ort, in denen die Versammlungen stattfanden und in denen der Kaiser zu seinen Ministern und Generälen sprach89. Folgerichtig nahm sie Ähnliches auch für Trier an. Doch sind die Ausmaße, wie von ihr seinerzeit angenommen, sicher zu groß für den Befund in Trier, weil sie Straßen und Strukturen im Bereich des Palastgartens nicht berücksichtigte. Wesentlicher aber ist ein struktureller Unterschied zu hellenistischen basileia: Hier ist die Begegnung in den Peristylen von großer Bedeutung. In den tetrarchischen Residenzen gibt es aber keinen Nachweis großer Peristyle. Die Begegnung mit dem Herrscher funktionierte grundlegend anders. Unterschiede zwischen spätantiken und frühkaiserzeitlichen Palästen gibt es aber vielleicht auch bei anderen Räumen. So sind Bibliotheken explizit im Haus des Augustus und der Domus Tiberiana90 bekannt. Bei den Palästen der Tetrarchenzeit werden Bibliotheken dagegen nicht mehr erwähnt und sind auch archäologisch bislang unbekannt. Sie mögen vielleicht existiert haben, waren aber nicht mehr von entscheidender Bedeutung und wurden deswegen auch nicht mehr besonders erwähnt. So zeichnen sich strukturelle Unterschiede zwischen den Erfordernissen der frühen, mittleren und späten Kaiserzeit ab, die sich zwischen den Palästen des frühen 4. Jahrhunderts und den späteren Anlagen in Konstantinopel fortsetzen, bei denen Franz Alto Bauer sogar die Inanspruchnahme der gesamten Stadt für das byzantinische Prozessionswesen wahrscheinlich machte91. Die tetrarchischen Paläste, insbesondere Trier, nehmen in dieser Entwicklung eine Zwischenposition ein. Die Palastaula, fertiggestellt in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, doch begonnen um die Jahrhundertwende, war für einen princeps clausus nicht geeignet, dagegen fokussierte die apsidiale Nische im Nordosten vermutlich auf die Person des

Im Vergleich mit Vergina (Krause 2003, 85 f.). Tomei 2004, 9. Bolognesi Recchi-Franceschini 2003, 123. Krause 2004, 53. Zur bibliotheca Palatina bzw. bibliotheca Apollinis als kulturpolitisches Zeichen innerhalb der kaiserlichen Paläste, mit denen Augustus an die Bibliotheken in hellenistischen Palästen anknüpfte und zugleich die Sibyllinischen Bücher vereinnahmte vgl.  Balensiefen 2002; Balensiefen 2004. 91 Bauer 1996, 393 f.

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Herrschers, entsprechend den Zweisäulennischen oder einer βασιλική κογχή, die in Konstantinopel überliefert ist92. Als Fazit bleibt, dass der entscheidende Unterschied, den die domus imperatoris in Residenzorten gegenüber dem palatium in wechselnden Aufenthaltsorten bot, darin bestand, dass sie eine der Repräsentation der Kaiser angemessene architektonische Rahmung ermöglichten. Die bislang bekannten kaiserlichen Paläste stellen dabei Schlaglichter in einer Entwicklung dar, die sich wohl zunehmend metaphorischer Zeichensysteme in der Architektur bediente. „Die Architektur des Palatium ist ein wahres Kaleidoskop an Symbolen und Zeichen der Wiedergeburt und der Transfiguration, die auf magische Weise mit der Kaisermacht als pacificus, pacator orbis, d. h. als magisches Ordnungsprinzip, verbunden ist: Sie wandelt das Unsichtbare, die Epiphanie des Kaisers, den eine heilige Person umgebenden transzendenten Luxus, das Initiationsmysterium des heruntergelassenen oder zurückgeschlagenen Schleiers und die sphärische Musik ins Dramatische, ins Dreidimensionale“93. Hofzeremoniell und (soweit formal vorhanden) Hof­ordnung normierten das Auftreten und Verhalten des Kaisers und seiner Umgebung gleichermaßen94. Der Herrscher trat als Individuum in den Hintergrund und übernahm eine Rolle, die seinem Amt und der damit verbundenen Würde entsprach. Die kaiserliche Architektur als ein Mittel der Kommunikation zwischen dem Herrscher und dem Volk unterstützt diese Selbstdarstellung in angemessener Weise, wie auch die übrige kaiserliche Bautätigkeit95, und führte letztlich zu der Auffassung von sacra palatia96. Die der Frage „Was ist Residenz?“ vorgelagerten Fragen müssen also lauten, was ist ‚kaiserliche Repräsentation‘, was ist ihr angemessen und worin unterscheidet sie sich von der Repräsentation anderer, gehobener Personen?

92 Dazu auch Alföldi 1970, 251 f. 93 Carile 2003, 27. 94 Neben Hofzeremoniell und Hofordnung führt Kerscher 2000, 27 am Beispiel der Papstpaläste auch ‚Habitus‘ ein und versteht darunter „im weitesten Sinne aber alles, was die Selbstdarstellung oder Repräsentation umfaßt.“ 95 Vgl. Mattern 2017 am Beispiel der Bautätigkeit Marc Aurels. 96 Unruh 2003, 34.

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Torsten Mattern

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Die Residenz: Bauliche Gestaltung und urbanistische Einordnung

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AULA – AULA REGIA – AULA PALATINA ÜBERLEGUNGEN ZUR GENESE UND BENENNUNG EINER BAUFORM

von Klaus-Peter Goethert

Ein langrechteckiger Raum, an dessen Schmalseiten einerseits häufig eine Portikus oder eine Vorhalle, andererseits eine meist halbkreisförmige Apsis anschließen, wird im Laufe des 3. Jahrhunderts n. Chr. zu einer beliebten Bauform. Zunächst wird dieser Baukörper ohne Portikus und Vorhalle in einen Baukomplex ohne herausragende Stellung inte­ griert, später jedoch zunehmend zum repräsentativen Bestand erhoben. Die wohl erste Zusammenstellung von Beispielen dieser Bauform nahm Ejnar Dyggve1 in seiner Studie „Aula sacra-aula sancta“ vor. Ihm folgte Karl M. Swoboda in seiner Untersuchung zu römischen und romanischen Palästen2. Seither mehren sich die Versuche, übersichtliche Gruppierungen der Verwendung der in Rede stehenden Raumfolge vorzunehmen, meist im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Villenanlagen3. Die Genese der Bauform hat Birgitta Tamm4 verfolgt und entsprechende Bauten bis in die Zeit Domitians zusammengestellt. Unter dem Titel „Forrunners to Domitian’s consilium hall. Apsed rooms“ fasst Tamm 27 Räume von unterschiedlichster Funktion in einer Liste zusammen. Aus dieser Liste ist die erste Nummer zu streichen, denn es liegt ein reiner Apsidialbau vor: ein rechteckiger Baukörper fehlt. Das gleiche gilt für die Exedra des Eumachia-­ Gebäudes in Pompeji. In die Aufzählung sind, wie Tamm zusammenfasst, nymphaea und musaea, „temple cellae“, „official buildings, burial chambers“ und „rooms in private houses“ aufgenommen, ohne eine Definition der untersuchten Raumform festzulegen, wann ein an der Schmalseite eines Rechteckraumes gelegener 1

Dyggve 1959, 8–24; die Bezeichnung der Gebäude bleibt unreflektiert. 2 Swoboda 1969, 285–305. 3 Zum Beispiel Balmelle 2001, 159–164. – Fuertes Santos 2005, 63–65. 4 Tamm 1963, 147–182.

gerundeter Baukörper als eine Nische und wann als Apsis anzusprechen ist. So ist z. B. die Apsis des Fortuna Augusta Tempels in Pompeji (Nummer 16 der Aufzählung) sicher besser als Nische zu bezeichnen, eine Ansprache, die die Autorin auch selbst wählt: „The apse seems to be an addition to the orig­ inal building. It is best described as a large niche (…)“5. Per Definition sollten nur Raumformen in die Betrachtung aufgenommen werden, bei denen die Apsis ein bestimmender Faktor ist. Aus der Liste der in Rede stehenden Autorin sind dies vor allem die Halle in Palestrina (Nr. 3), die in Tivoli (Nr. 5), der Venus Genitrix (Nr. 6) und der Mars Ultor Tempel (Nr.  10). Natürlich zählt auch das sogenannte Auditorium Maecenatis (Nr. 7) und der als Kern der Studie nicht in die Liste aufgenommene Saal im domitianischen Palast, der unter der Bezeichnung basilica in die Literatur eingegangen ist, dazu. Die Benennung der „absidal hall“ bleibt offen. In dem bekannten Sonderfall des Auditorium Maecenatis hält sie am modernen Namen fest, den der Saal der Stufenanlage verdankt, die sich in der Apsis befindet. Suggeriert wird die Richtigkeit der Verbindung von Baulichkeit und Wort durch die lange Einleitung, die Tamm dem Wortgebrauch in der lateinischen Literatur widmet. Sie kann jedoch keine Quelle aufzeigen, die tatsächlich eine Raumform beschreibt, die dem Nutzungsbegriff zugeordnet ist. Auffallend ist, dass die ältesten Raumformen jene sind, die in der wissenschaftlichen Literatur in ihrer Gesamtheit als „nymphaea“ angesprochen werden, obwohl ein Wasserspiel nur in der Apsis

5 Tamm 1963, 162. Als Apsis jedoch angesprochen von Hornbostel-Hüttner 1979, 124.

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Abb. 1: Hadria­ nischer Saal unter der Trierer Basilika.

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vorhanden ist6. Die Frage, ob diese Bezeichnung für die Raumgruppe ‚Apsis und Saal‘ in dieser Weise zutrifft, ist wohl nicht zu beantworten. Tatsächlich könnte man eine Verbindung zu den Thermen herstellen, weil die Apsis oft der Standort eines labrums ist, also wie bei den nymphaea eine Verbindung mit Wasser aufweist. Generell ist festzustellen, dass die Raumform in Thermenanlagen häufig anzutreffen ist, besonders bei den Caldarien und Frigidarien7. Auch in den Wohnhäusern tritt die Verbindung Apsis – Saal meist innerhalb der Badeanlagen auf, wobei die Apsis häufig eher als Nische angesprochen werden muss. Als Beispiele mögen die Bäder in der Casa del Citarista und in der Casa delle Nozze d’Argento zu Pompeji genügen8. In den Provinzen lässt sich diese Verwendung – zeitversetzt – ebenfalls aufzeigen. Auch hier ist die Fülle der Beispiele groß; nur zwei aus der Gallia Belgica seien genannt:

6 Zum Beispiel Neuerburg 1965, 123–114 Nr. 13; 249–250 Nr. 213 sowie Letzner 1990, 344–346 Nr. 152. 7 Es mag genügen, auf die Bäderlisten bei Krencker/Krüger 1929 und Yegül 1995 zu verweisen. Die Beispiele sind so zahlreich, dass sich eine Auflistung erübrigt. 8 Mygind 1924, 5–12; 16–25.

das Bad eines Wohnhauses in der Trierer Nordstadt9 und das der Villa von Nennig10. Verfolgt man die Verwendung der Raumgruppe weiterhin über die Zeit des domitianischen Palastes hinaus, so wird allerdings die Verbindung zu den Nymphäen, zum Wasserspiel, stetig schwächer, bleibt aber bis in die Spätantike bestehen11. Eine solche Nutzung zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit der hadrianische Vorgängerbau der Trierer Basilika: Der Estrich seiner Apsis liegt auf 137,84 m  üNN12, die Eingangsschwelle zum Saal bei 138,44 m üNN13. Die Apsis bildet folglich ein 0,60 m tiefes Becken. Drei Durchbrüche im Fundament des nördlichen Raumabschlusses bezeugen hölzerne Rohrleitungen. Dementsprechend ist dort in der letzten virtuellen Rekonstruktion von Frank Diessenbacher im Rahmen der Überarbeitung der Information zum

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Pfahl 1998, 48–49. Mylius 1924, 117–120. Zum Beispiel Letzner 1990, 344 Nr. 152. Planarchiv RLM Trier. Grabungsdokumentation Basilika 1950–1957 Blatt 57. 13 Planarchiv RLM Trier. Grabungsdokumentation Basilika 1950–1957 Blatt 76.

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Aula - Aula regia – Aula palatina

Grabungsbereich dieses Saales ein Springbrunnen zu sehen (Abb. 1)14. Im Bereich der kaiserlichen Architektur tritt die Raumgruppe monumental auch in der Hadriansvilla zu Tivoli als vermittelnde Bauform zwischen der Säulenhalle, die die Mittelterrasse (il Pecile) im Norden abschließt, und dem Teatro Marittimo auf. Es gibt dort keinerlei Hinweise auf eine Nutzung als Nymphäum. Sie wird daher als Bibliothek15 oder Empfangsraum gedeutet16. Eine Festlegung der Bauform als Ausdrucksform kaiserlicher Bautätigkeit erweist sich trotz des Auftretens im palatinischen Palastbereich und in der Villa Hadriana nicht als gegeben. Viel zu häufig erscheint sie im Kontext der Landhäuser, wie schon die von Swobada zusammengetragenen Beispiele zeigen17. Selbst wenig repräsentative Gebäude wie der Eingangsbau der Villa bei Otrang/Fließem besitzen einen Apsidensaal18. Das gleiche Bild liefert die schon zitierte Liste von Catherine Balmelle. Zunächst als Nebenraum konzipiert, wird der Apsidensaal zunehmend als Hauptraum verwendet, so bei den Villen von Westerhoven19 und Konz20. Das heißt, der Raum hat neben vielfältigen Funktionen auch einen repräsentativen Charakter. Dies zeigen besonders die Beispiele bei Balmelle und diejenigen, die für den Führer zu Cercadilla zusammengestellt wurden. Hinzu kommt noch die Liste von Giuseppina Pisani Sartorio in ihrer Veröffentlichung der Villa des Maxentius an der Via Appia21. Nachzutragen ist die Apsidenhalle des Galerius-­Palastes in Thessaloniki22, auf dessen Verwandtschaft mit der Trierer Basilika ich schon 1984 aufmerksam gemacht habe23. Tatsächlich ist also diese Raumform, die anfänglich verschiedene Nutzungen erfahren hat, in ihrer räumlich größten Variante zum kaiserlichen Repräsentationsraum aufgestiegen. Es stellt sich die Frage, wie sie in dieser Funk­tion anzusprechen ist. Balmelle spricht von „salles de recéption“24. Pisani Sartorio nennt die Halle im Maxentiuspalast „aula palatina“25 und folgt damit itali-

14 D’Onza/Breitner 2017, 90 ohne Erwähnung dieses wichtigen Befundes. 15 Aurigemma 1961, 64. 16 Schareika 2010, 84. 17 Schwoboda 1969, 134–150; 286–303. 18 Hoffmann 2004, 8 im Grundriss links. 19 Gebhardt 2006. 20 Cüppers 1990, 425–426. 21 Pisani Sartorio 1976, 124. 22 Athanasiou u. a. 2015, 87–113. 23 Goethert 1984, 139–143. 24 Balmelle 2001, 160–161. 25 Pisano Sartorio 1976, 124.

enischem Sprachgebrauch: Luigi Crema bezeichnet diese Gebäude ebenfalls als „aule palatine“26. Mit diesem Begriff „Aula Palatina“ benennt Wilhelm Reusch auch die schon erwähnte Trierer Basilika. 1953 führt er diese Wortgruppe kommentarlos zu ihrer Bezeichnung ein27. Dies scheint zunächst überzeugend, ist aber tatsächlich problematisch, denn er zieht die lateinische Sprache in Betracht und nicht die italienische. Dort sind diese Wörter die einzig möglichen, um den Begriff wiederzugeben, den das deutsche Wort „Palasthalle“ benennt. Die Wortgruppe ‚Aula Palatina‘ ist jedoch in der lateinischen Sprache unbekannt, lediglich aulae regiae ist überliefert, allerdings nur ein einziges Mal belegt und ist pluralisch angewendet als ‚Königspalast‘ zu übertragen28. Für das Wort aula liegen zwei Übersetzungsmöglichkeiten vor: 1. Topf als sprachlich ältere Form für olla29, und 2. Hof30, besonders Königshof, ein Gebäude, bei dem eine Raumfolge um einen Hof gruppiert ist. Damit erweist sich diese zweite Bedeutung als aus dem Griechischen übernommen. Dies geht auch aus der bereits erwähnten Verwendung bei Vitruv hervor, der aulae regiae nur beim Theaterbau erwähnt, einer aus dem griechischen Kulturraum übernommenen Bauform. Dennoch ist die Anwendung der Wörter ‚Aula‘ oder ‚Aula Palatina‘ bis heute völlig unreflektiert gängig, so spricht auch Hauke Ziemssen in seiner Untersuchung zum Rom des Maxentius ständig von ‚Aula‘ wohl nur als Synonym für ‚Halle‘31, obwohl sich bereits 1968 Tamm dieser Benennungs-­ Thematik ausführlich angenommen hat32. Nach einer kurzen Diskussion der geläufigen Bezeichnung des größten Saales des domitianischen Palastes als ‚Aula Regia‘ verfolgt sie systematisch das Wort zunächst in seiner griechischen Form αυλή durch die griechische Literatur von Homer bis Polybios, um sich dann der lateinischen Form anzunehmen. Nach gründlicher Diskussion, vor allem der lateinischen Dichter, gelangt sie zu dem Schluss, dass aula in keinem Fall als Raumbezeichnung zu bewerten ist33. Sie schränkt das Ergebnis zum Abschluss ihrer Ausführungen jedoch mit dem Hinweis ein, dass vielleicht in der Umgangssprache ‚aula‘ als Raumbezeichung verwendet und so der heutige Sprachgebrauch ermöglicht wurde. Anzeichen für diesen Deutungswandel innerhalb der Kaiserzeit sind jedoch nicht aufzuzeigen. Wann dieser Wandel

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Crema 1959, 578–584. Reusch 1953, 145 Vitruv 5, 7, 8. Hilgers 1969, 112–116 Nr. 43. Siehe in Lexika s.v. aula, so z. B. Klotz 1963, 625. Ziemssen 2011 besonders 279. Tamm 1968. Tamm 1968, 233–239.

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Auch wenn die Etymologie des Wortes mesauloe bei Vitruv falsch ist – es ist von αὐλός, „Röhre“ abzuleiten – ist der bauliche Zusammenhang korrekt geschildert: Ein Flur verbindet zwei Höfe. Aus diesem Satz geht auch hervor, dass die peristylia die aulae umgeben, denn beides ist in zweifacher Form vorhanden. Zwanzig Nachweise gibt der Index Vitruvianus37 für das Wort peristylium; der umbaute Freiraum wird nicht benannt. Nur unter den zahlreichen Anführungen der Portiken gibt es einen Hinweis: Media vero spatia, quae erunt subdiu inter porticus, adornada viridibus videntur, (…)38. Curt Fensterbusch überträgt: „Die Mittelräume, die zwischen den Säulenhallen unter freiem Himmel liegen werden, muss man, wie es scheint, mit Grünanlagen ausschmücken (…)“39.

Abb. 2: Der Palast von Aigai.

eingetreten ist, der im Italienischen zur Bedeutung ‚Halle‘ führte und auch die deutsche Sinngebung in diese Richtung änderte, scheint nicht untersucht34. Zum Missverständnis des lateinischen Wortes tragen auch Fehlübersetzungen in allen Lexika bei, gleichgültig, welche man zu Rate zieht. Ursprung dieser Fehler ist die Tatsache, dass zur Zeit ihrer Erstellung – Mitte des 19. Jahrhunderts – die Vorstellung vom griechischen Haus, insbesondere vom hellenistischen Palast völlig ungenügend war, was zur Gleichsetzung von aula und atrium führte35. Hinzu kommt, dass die Erwähnungen in der Dichtung36 keinen baulichen Zusammenhang erkennen lassen. Selbst bei dem Architekturschriftsteller Vitruv ist aula – αὐλή nicht definiert. Ohne den Zusatz regiae verwendet er das Wort pluralisch bei der Diskussion des griechischen Hauses: Inter duo autem peristylia et hospitalia itinera sunt, quae mesauloe dicuntur, quod inter duas aulas media sunt interposita; nostri autem eas andrones appellant.

34 Eine Recherche im Internet führte zu keinem Ergebnis. 35 Zum Beispiel Klotz 1963 s.v. aula. 36 Hier sei auf die Ausführungen von B. Tamm verwiesen.

Hier wird das Missverständnis fortgeführt: Aus einem offenen Zwischenraum wird ein Raum. Gemeint ist aber eine Fläche frei von Architektur. Spatium ist demnach das lateinische Wort für αὐλή, das eine Fläche frei von Architektur und begrenzt von Architektur bezeichnet. In diesem Sinne ist es eindeutig für den Palastbau verwendet: Die Räume eines griechischen Palastes umgeben einen oder mehrere Freiräume. Dieser architektonisch nicht gestaltete Platz ist dennoch namensgebend für das Ganze, auch für die gestalteten Bereiche. Mit einem entsprechend benannten Plan des Palastes von Aigai40 (Abb. 2) sei dies erläutert: Die Peristyle umgeben die Höfe, an diese schließen sich die Raumfluchten an. Die bekannte Nutzungsaufteilung in einen Männer- und einen Frauen­bereich erzwingt zwei Peristyle und somit zwei Höfe. Daher erklärt sich auch die pluralische Verwendung des Begriffes: αὐλαί. Der Zwiespalt bei der Benennung der in der spätantiken Architektur so häufig verwendeten Bauform der ‚rechteckigen Halle mit großer Apsis’ ist offensichtlich. Italienisch wird sie korrekt mit aula palatina bezeichnet; daraus kann die deutsche Form ‚Palastaula‘ abgeleitet werden. Die lateinische Ansprache ist falsch. Es stellt sich dennoch die Frage, ob es möglich ist, die Architekturform lateinisch zu benennen. Dabei ist zu bedenken, dass die Raumbezeichnungen stets Funktions-, Nutzungs- beziehungswei-

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Index vitruvianus 94 s.v. peristylion. Vitruv 5, 9, 5. Fensterbusch 1964, 239. Hoepfner 1992, 1–44.

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Aula - Aula regia – Aula palatina

se Möblierungshinweise geben, jedoch sehr selten die Bauform (rechteckig, quadratisch, rund) beschreiben. Zu den Ausnahmen gehören die fauces  –  „Schlund“. Der Begriff kennzeichnet den Raum als langrechteckig und schmal. Zur Benennung der hier erörterten Raumform müsste deren Funktion bei allen Verwendungen gleich sein, gleichgültig, ob sie bei der Villa von Löffelbach41 oder beim Trierer Palast vorgenommen wurde. Dies ist kaum möglich, da das erstgenannte Gebäude eher privaten Charakter besaß, das zweite eine öffentliche, politische Funktion erfüllte. Es ist daher offensichtlich, dass eine allgemeine, stets anwendbare Bezeichnung nicht gefunden werden kann.

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Klaus-Peter Goethert

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Abbildungsnachweis 1 Frank Diessenbacher, 2 Umzeichnung des Verfassers nach www.aigai.gr/aiges-h-basilikh-mhtropolith-ton-makedonon/gallery.

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NOBILITIERUNG DER KAISERRESIDENZ DURCH SPOLIENTRANSFER? ÜBERLEGUNGEN ZU EINIGEN MARMORKAPITELLEN AUS TRIER

von Markus Trunk

In seiner grundlegenden Untersuchung über „Die römischen Kapitelle des Rheingebietes“ hat Heinrich Kähler vor nun bereits über acht Jahrzehnten eine Gruppe aus Marmor gearbeiteter korinthischer und kompositer Kapitelle zusammengestellt, die er als „Kapitelle südlicher Herkunft“ bezeichnete1. Funde aus Trier bilden den Kern der Gruppe, sie sind zudem die einzigen Stücke, die aus spätantiken und nicht erst mittelalterlichen Kontexten stammen. Zugleich war es zu Recht für Kähler eindeutig, dass Typus und Stil der Trierer Kapitelle unmissverständlich auf einen früheren Entstehungszeitpunkt verweisen. Es handelt sich also um Spolien, die in der Spätantike wiederverwendet worden sind. Ziel der folgenden Ausführungen sind eine Revision von Kählers Überlegungen auf der Grundlage einiger der damals bekannten und seitdem hinzugekommener Funde, die Frage nach ihrer Herkunft sowie ihre Einordnung in die aktuelle Diskussion um Anspruch und Bedeutung ihrer Zweitverwendung. A  Kähler lässt seinen Katalog mit einem korinthischen Kapitell beginnen, das er besonders früh, in augusteische Zeit, datiert2. Bereits in den 1930er Jahren beklagte er allerdings dessen schlechten Erhaltungszustand. Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts lag das Stück ungeschützt in den Kaiserthermen (Abb. 1), seine Oberfläche hatte bis dato bereits weiter gelitten. Der „kaum gedrehte, leicht nach außen geneigte Caulis mit dem Strickknoten als Abschluss“ sowie der Abakusblütenstengel mit seinem Hüllblatt sind zwar noch erhalten, einige der auf der Abbildung bei Kähler noch gut erkennbaren Akan­ thusblätter der Hochblattreihe sind jedoch völlig

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Kähler 1939, 68–70; 82–86 Taf. 14–15. RLM Trier, Inv. 1914, 1107. Erh. H. 81 cm. Kähler 1939, 82; 85 Nr. 1 Taf. 14,1. Die Angabe Kählers, „gefunden um die Mitte des vorigen [19.] Jahrhunderts in der Trierer Basilika“, beruht offensichtlich auf einer Verwechselung.

verschliffen. Kähler sah enge Übereinstimmungen zu Kapitellen in der Folge des Augustusforums und des Castortempels in Rom3, wie sie sich in Südgallien etwa in Orange4 finden. Soweit beurteilbar, ist diese Einschätzung richtig. Selbst wenn, wie von Kähler vorgeschlagen, eine Datierung in augusteische Zeit nicht mehr verifiziert werden kann, haben wir doch zweifellos ein ursprünglich sehr qualitätvolles Kapitell vorflavischer Zeit, also wohl aus der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts, vor uns. B  Das am häufigsten besprochene Kapitell der Gruppe wurde 1851 in der Vorhalle der Basilika gefunden (Abb. 2)5. Bereits Felix Hettner wies auf die vielfältigen Bestoßungen des Stücks hin. Unerwähnt blieben bislang aber rechteckige Zapflöcher an den beschädigten rückseitigen Voluten und in der Mittelachse von einigen Kranz- und Hochblättern, deren einst überfallende Blattspitzen wohl bereits in der Antike abgebrochen waren. Auch wenn es sich nicht um die üblichen, aus der Kaiserzeit bekannten Reparaturspuren beschädigter korinthischer Kapitelle handelt, die in der Regel sehr viel größere Eintiefungen für die Aufnahme von verzapften Flickungselementen aufweisen6, kann es sich hier doch nur um spätantike Reparaturen handeln, die vor dem Neuversatz des Kapitells bei der Errichtung der Basilikavorhalle an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert vorgenommen worden

3 Heilmeyer 1970, 25–31; 123–125 Taf. 2; 3,2–4; 44,2; Leon 1971, 141–146 Taf. 61; 62,3–4. 4 Kähler 1939, 19–20; 85 Beil. 6,7.9. 5 RLM Trier, Inv. Reg. B 131. H. 79 cm. unt. Dm. 56 cm. Hettner 1893, 200 Nr. 522; Koethe 1937, 158–159 Abb. 3; Kähler 1939, 83 Nr. 3 Taf. 14,3; Goethert 1984, 146 Nr. 56 A; Fontaine 2003, 132–133 Abb. 4; Goethert/Kiessel 2007, 309 Abb. 5 Kat. I. 15. 44; Blin 2017, 259 Taf. 1,A; Goethert 2021, 26–30 Abb. 18; Ruppienė 2021b, 37–53; 44 Abb. 7a. 6 Bermúdez 2009.

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Markus Trunk



Abb. 1 (links): Korinthisches Kapitell A (RLM Trier Inv. 1914, 1107). Abb. 2 (Mitte): Korinthisches Kapitell B aus der Basilikavorhalle (RLM Trier, Inv. Reg. B 131). Abb. 3 (rechts): Korinthisches Kapitell C aus den Kaiserthermen (RLM Trier, Inv. 1929, 240).

sind7. Bei dieser Gelegenheit ist das Stück auf einem unkannelierten Säulenschaft aus Cipollino positioniert worden. Das Kapitell selbst muss in der Tat deutlich älter sein. Kähler arbeitete die flavischen Stilmerkmale des Stücks heraus, verwies bereits auf „die domitianischen Bauten auf dem Palatin in Rom“ und datierte es folgerichtig in flavische Zeit8. Obwohl sich die Dokumentationslage seit Kählers Ausführungen erheblich verbessert hat, bleiben seine Schlussfolgerungen unbestritten. Flavische Kapitellproduktion in Rom ist vor allem durch die rege Bautätigkeit Domitians belegt. Aus dem Kontext des Kaiserpalastes auf dem Palatin stammen in der Tat die engsten Parallelen zu dem Trierer Exemplar9. An stadtrömischen Stücken finden sich auch handwerkliche Gemeinsamkeiten wie die ausgeprägten vertikalen Bohrkanäle und die Reihen korrespondierender kleiner Bohrlöcher auf den Achsen der Akanthusblätter10, die als ein durch Rationalisierung des Werkprozesses entstandenes, schematisiertes Rudiment des Spreitensaums zu verstehen sind. C  In engstem Zusammenhang mit dem besprochenen Exemplar aus der Basilikavorhalle ist ein weiteres Kapitell zu sehen, das im Februar 1930 im Kellergang 36’ der Trierer Kaiserthermen gefunden wurde (Abb. 3)11. Es ist nur knapp 2 cm größer als

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Goethert 2021, 26–30 Abb. 18. Moderne Restaurierungen des Stücks nach 1851 sind jedenfalls nicht belegt. 8 Kähler 1939, 86. So zuletzt auch Goethert 2021, 26–30 (domitianisch). 9 Heilmeyer 1970, 133–140 Taf. 48–50; Leon 1971, 87–96 Taf. 29–32; Freyberger 1990, 5–40 Taf. 1–4; Iara 2015, 69–70 Abb. 34–35. Vgl. besonders domitianische Kapitelle aus der Kirche Santa Maria Antiqua: Romanelli 1964, 14 Taf. 5,A. 10 Siehe etwa Freyberger 1990, 15 Nr. 31 Taf. 3,b; Plattner 2002, 241 Abb. 7 (Domus Flavia); Leon 1971, 95–96 Taf. 32,3–4; Lupi 1984d; Lupi 1984e (Museo Nazionale Romano). 11 RLM Trier, Inv. 1929, 240. H. ca. 81 cm. Krüger 1930, 169–170 Taf. 4,1; Kähler 1939, 83 Nr. 4 Taf. 14,4.

das oben beschriebene Kapitell B12. Beide Stücke ähneln einander im Gesamtaufbau wie in einer ganzen Reihe genannter Details, so etwa den markanten paarweisen Punktbohrungen entlang der Blattachsen. Dünne Trennstege sind in den tiefen Bohrrillen stehengeblieben, die die einzelnen Blattlappen voneinander absetzten13. Kähler datierte das Stück, völlig zu Recht, ebenfalls in flavische Zeit. Die Fundsituation lässt leider keine klaren Schlüsse darüber zu, ob und wie genau das Kapitell am Ende des 3. Jahrhunderts in den Neubau der Kaiserthermen integriert wurde. D  Ein korinthisches Pilasterkapitell aus dem Innenraum der Basilika14 ist ebenfalls in spätflavisch/ frühtraianische Zeit zu datieren und erweitert damit die Statistik von Marmorarbeiten in Trier, die noch dem 1. Jahrhundert zuzurechnen sind. Der Blattschnitt dieses Stücks gleicht bis in die Details Gesimsfragmenten aus Lyon15, die im Areal des zentralen Heiligtums für den Kaiserkult der Tres Gal­ liae gefunden wurden und in denselben Zeitraum zu datieren sind.

12 Krüger 1930, 169 gibt die Höhe mit 80,5 cm an, Kähler 1939, 83 mit 81,5 cm. 13 Freyberger 1990, 16; 24 Taf. 6,d wertet diese Stege, die sich auch an domitianischen Arbeiten auf dem Palatin und in Castel Gandolfo beobachten lassen, als Zeichen dafür, dass der letzte Arbeitsgang der Ausarbeitung unterblieben ist. Der Blattschnitt des Trierer Kapitells ist indes gut vergleichbar mit Stücken aus der Forumsbasilika in Ostia (Freyberger 1990, 24–26 Taf. 7,a [domitianisch]). 14 Koethe 1937, 172 Abb. 12,5; 175; Deppmeyer/D’Onza 2019, 130 Abb.; Ruppienė 2021b, 48 Abb. 11,g. „Ebenfalls sicher nicht zur ursprünglichen Ausstattung der Basilika gehört das Fragment Inv. Nr. Rv 4, das zwar in der Basilka gefunden wurde, aber stilistisch erheblich älter ist; es dürfte aus flavischer Zeit und aus einer nichttrierischen Werkstatt stammen; seine Wiederverwendung beweist schon die Abarbeitung der Marmorplatte auf der rechten Seite“ (Koethe 1937, 175). 15 Fellague 2016, 206–207 Abb. 23.

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Nobilitierung der Kaiserresidenz durch Spolientransfer?

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Abb. 4 (links oben): Fragmente des korinthisierenden Kapitells E aus dem Areal des Circus (RLM Trier, EV 2000, 99 Nr. 639/940). Abb. 5 (links unten): Rekonstruktionsversuch von Kapitell E. Abb. 6 (rechts): Fragment (eines korinthisierenden Pilasterkapitells?) F.

E  Für Kähler noch unbekannt waren Fragmente eines oder mehrerer korinthisierender Kapitelle, die 1984 bzw. 2000 an der Ecke Gartenfeldstraße/Schützenstraße und damit im Areal des circus zu Tage gekommen sind (Abb. 4)16. Eine Vorstellung von dem ursprünglichen Aussehen des Stücks können Fragmente eines ähnlichen Exemplars aus Man­ deure (Doubs)17 vermitteln. Auf deren Grundlage wird hier eine Rekonstruktion versucht (Abb.  5). Wenn diese das Richtige träfe, so hätten wir hier ein ursprünglich ca. 90 cm hohes, korinthisierendes Kapitell mit Stengelvoluten18 vor uns. Auffallend ist bei dem Trierer Exemplar ein ausgeprägter kreisrunder scamillus auf der Oberseite des Abakus, der in seinem Durchmesser dem schlanken Kalathos des Kapitellkörpers entspricht. Offensichtlich sollte dadurch die frei gearbeitete und dadurch besonders fragile Volutenzone vor Druckkräften des Archi­ travs geschützt werden. Ein stadtrömisches Kapitell

16 RLM Trier, EV 1984, 114 (B. 22 cm); RLM Trier, EV 2000, 99 Nr. 639/940 (B. 44 cm). Clemens/Hupe 2005, 100–101 Abb; Blin 2017, 261 Taf. 2,A. 17 Marc/Blin 2010, 18–19 Abb. 7,2; Blin 2017, 261 Taf. 2,H; 263 Anm. 28. 18 Gans 1992, 9–15. Es könnte sich freilich auch um eine Variante der Gruppe von ‚Kapitellen mit Rankendekor im Kalathosfeld‘ gehandelt haben (Gans 1992, 88–141). Eine endgültige Entscheidung hierüber lassen die Fragmente nicht zu.

neronischer Zeitstellung vom Palatin19 ist ein typologischer Vorläufer des Trierer Stücks, welches allerdings später zu datieren ist. Aufgrund der tiefen Aufbohrungen der Blatt-, Blüten- und Rankenelemente wäre auch hier zunächst an die spätflavische Zeit oder spätestens den Beginn des 2. Jahrhunderts zu denken20. F Die genannten korinthisierenden Kapitelle lenken den Blick auf das Fragment einer Wandverkleidungsplatte aus Marmor mit Rankendekor (Abb. 6)21, das der Innenausstattung der Basilika zugerechnet wird. Erkennt man in dem erhaltenen Randprofil Kalathoslippe und zweiteiligen Abakus, so könnte es durchaus als Teil eines korinthisierenden Pilasterkapitells von ursprünglich knapp über 90 cm Höhe gedeutet werden. Es wird bislang in die Zeit der Errichtung des Baus und damit in die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts datiert. Im Vergleich zu den gesichert dieser Zeit angehörigen Ausstat-

19 Gans 1992, 10 Kat.-Nr. 8 Abb. 4; v. Hesberg 2006, 66–69 Abb. 96–98. 20 Gut vergleichbar sind etwa Fragmente von Kompositkapitellen aus Lyon (Fellague 2012, 227–228 Abb. 15–16). 21 H. 31 cm; B. 18 cm. Krencker 1929, 309 Abb. 473; Koethe 1937, 175–176 Abb. 12,1; Goethert 1984, 154 Nr. 56 C,  f; Ruppienė 2021b, 48 Abb. 11,a.

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Abb. 7: Korinthisches Kapitell aus den Kaiserthermen G (RLM Trier, Inv. 1914, 1099).

Markus Trunk

tungselementen22 ist das Relief des Fragments allerdings deutlich höher, tiefer aufgebohrt und weniger starr. Zwar scheint ihm die Lebendigkeit flavischer Arbeiten zu fehlen, eine Datierung spätestens in hadrianisch/frühantoninische Zeit23 ist aber einem Zeitansatz im 4. Jahrhundert vorzuziehen. G  Ebenfalls aus den Kaiserthermen stammt ein korinthisches Normalkapitell (Abb. 7)24. Kähler tendierte zu einem Zeitansatz in severische Zeit, jedenfalls aber nicht vor der Mitte des 2. Jahrhunderts25. Gut datierbare Parallelen aus Ostia (Neptunsthermen)26 und Tivoli (Villa Hadriana)27 ermöglichen allerdings konkretere Aussagen. Das Trierer Stück gehört demnach in hadrianisch/frühantoninische Zeit, also in das zweite Viertel des 2. Jahrhunderts n. Chr. Funde aus der hadrianischen Neustadt von Italica28 und aus Tarragona29, die jeweils zu Recht als Produkte stadtrömischer Handwerker gelten, bestätigen diesen Zeitansatz. Das Trierer Kapitell schließt an die genannten Arbeiten unmittelbar an. Der Marmor scheint in allen bislang genannten Fällen aus Luni/Carrara zu stammen30. Die besprochenen Kapitelle „südlicher Herkunft“ fanden sich in Bauzusammenhängen der spätantiken Residenz: in

22 Koethe 1937, 174–176 Abb. 13 („übrigens ist auch der Marmor anders, heller und feiner als bei den sicher für die Basilika gearbeiteten Stücken“); Goethert 1984, 150–151 Nr. 56 C. 23 Vgl.  hierzu Fragmente aus dem Traianeum von Italica (Ahrens 2005, 189–190 Nr. L 15-L16 Taf. 58,d; 59,a). Für weiterführende Überlegungen ist dieser Vorschlag zur Datierung des Fragments aber nicht belastbar. 24 RLM Trier, Inv. 1914, 1099. H 50 cm. Volute ergänzt. Gefunden 1913 in der Palästra der Trierer Kaiserthermen. Krencker 1929, 150–151 Abb. 189 („gefunden in Kanalgang 34“); Kähler 1939, 84 Nr. 8 Taf. 15,8 („gefunden 1913 in der Palästra der Trierer Kaiserthermen“); Grewe 2014, 352–353 Abb. 6,1; Schulze-Böhm 2021, 102 Abb. 40, unten links. 25 Kähler 1939, 85. 26 Pensabene 1973, 67–68 Nr. 262–266 Taf. 25; siehe auch Pensabene 1973, 69 Nr. 272 Taf. 26; Freyberger 1990, 26– 27 Taf. 7,c und 26,a hält bei einigen Stücken der Serie eine Datierung in domitianische Zeit bei späterer Wiederverwendung in dem hadrianischen Thermenbau für möglich. Dazu auch Pensabene 2007, 239–240 Taf. 67,8–9; 68,7–8. 27 Heilmeyer 1970, 163–164 Taf. 58,3–4; Leon 1971, 218–219 Taf. 88,2; 89,1; Pensabene 1973, Taf. B,1. 28 Ahrens 2005, 58–60; 152 Nr. E16–E18 Taf. 16,a–c (aus dem sog. Templo de Diana). 29 Gutiérrez 105 Nr. 437–438; Mar u. a. 2015, 148 Abb. 102. 30 Pensabene 2007, 240. Mar u. a. 2015, 148 gehen für das Stück aus Tarragona von prokonnesischem Marmor aus. Die angebliche Gewissheit, dass zumindest einige der Stücke aus Italica aus hispanischem Marmor (Almadén de la Plata oder Estremoz) gearbeitet seien, ist mit Vorbehalt zu betrachten. Siehe dazu Rodríguez 2004, 370–371 Abb. 20–21.

der am Ende des 3. bzw. Anfang des 4. Jahrhunderts errichteten Basilika (B, D, F), den spätestens Ende des 3. Jahrhunderts erbauten Kaiserthermen (C, G) und dem ebenfalls dem Palastbereich angehörigen circus (E)31. Alle genannten Stücke sind eindeutig beträchtlich früher entstanden als die Bauten, in denen sie gefunden wurden. Es handelt sich also um Spolien, die älteren architektonischen Kontexten entnommen worden sein müssen. Ein Stück (A) gehört noch in julisch/claudische Zeit (Abb. 1), vier weitere (B–E) sind in (spät)flavischer Zeit entstanden (Abb. 2–5), während lediglich ein hier diskutiertes Fundstück (G) bereits der hadrianisch/antoninischen Zeit (Abb. 7) angehören muss. Es scheint natürlich die Vermutung am naheliegendsten, die Stücke stammten aus Trierer Bauten des jeweiligen Zeitraums. Aber spiegelt sich dies in dem gegenwärtigen Kenntnistand um die Entwicklung der römischen Stadt? Nur bedingt! Die augusteische colonia entwickelte sich anfangs nur langsam32. Erst seit etwa der Mitte des 1. Jahrhunderts wuchs das Straßennetz über das sogenannte Gründungsraster hinaus33 und erst nach dem Bataveraufstand entstanden, etwa gleichzeitig mit der neuen flavischen Moselbrücke (71 n. Chr.), ein steinerner Ehrenbo-

31 Auch die Forumsbasilika weist nach Aussage ihrer Ziegelstempel eine Aus- oder Umbauphase auf, die gleichzeitig mit der Errichtung von Kaiserthermen und Basilika anzusetzen ist (Cüppers 1979, 240; Clemens/Löhr 1997, 374–381). Bezeichnend sind hier Funde „zahlreicher Marmor- und Porphyrbruchstücke, die von der Innenausstattung der spätantiken Marktbasilika herrühren“ (Clemens/Löhr 1997, 378). 32 Morscheiser-Niebergall 2009. 33 Trunk 2010, 196–198.

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gen34 und die erste Steinbauphase des Forums35. Weitere öffentliche Großbauten sind zunächst nicht nachweisbar, die Privathäuser waren überwiegend in Fachwerk- und Pisétechnik errichtet und das für das Rheingebiet für die neronische/flavische Zeit typische Kalkstein-Kapitell der „Form C“ ist in Trier bislang nur in zwei Exemplaren nachgewiesen36. Erst mit dem großen Bauprogramm des 2.  Jahrhunderts, das möglicherweise damit zu verbinden ist, dass Trier zur Hauptstadt der Provinz Gallia Belgica aufstieg37, änderte sich dies schlagartig. Der Vorgängerbau der Basilika, ein grundlegender Umbau des Forums, ein Neubau der Moselbrücke (144  n. Chr.), Amphitheater und Stadtmauer, neue Tempel, die sog. Viehmarkthermen, der circus  (?), vor allem aber die Barbarathermen entstehen seit späthadrianisch/antoninischer Zeit38. Während im Areal des Forums39 keine bedeutenden Marmorfunde zutage traten, ist die monumentale Badeanlage der Inbegriff des Marmorluxus in der kaiserzeitlichen Stadt: aufwändige Wandinkrustationen40 und eine exquisite Statuenausstattung41 der Innenräume kontrastierten offenbar mit einer einfacheren, von lokalen Handwerkern gefertigten Architekturdekoration aus Kalk- und Sandstein im Bereich der Außenanlagen42. Zur Innenausstattung gehörten auch marmorne Pilasterkapitelle der von Kähler so benannten „Form H“ mit ihrem charakteristischen „wiegenförmigen Kelch“ (Abb. 8)43, einer für Trier und Umgebung typischen Form des 2. und 3. Jahrhunderts. Die am weichen Sandstein entwickelten stumpfen Blattkonturen sind hier in Marmor übertragen und zu klar konturierten Blattformen mit effektvoller Bohrarbeit in den Zwickeln verändert

34 Das aus Kalkstein gearbeitete Kapitell des flavischen Ehrenbogens (Hettner 1893, 213–214 Nr. 595; Kähler 1939, 41–42 Taf. 5,1) ist eine lokale Arbeit. 35 Cüppers 1979, 249–252. 36 Eines ist bislang unpubliziert geblieben, das andere (H. 50 cm. RLM Trier, Digi-EV 2008, 195/1: Hupe 2012/13, 435 Abb. 41) stammt von der Ecke Südallee/Ostallee. 37 Goethert/Weber 2010, 11–12; Trunk 2010, 196–198. Auch in Köln ist zu beobachten, dass nicht die Erhebung zur colonia, sondern der neue Status als Hauptstadt der neu eingerichteten Provinz Germania inferior in domitianischer Zeit der Anlass großer Bauprogramme war (Schäfer 2017). Die Verwendung von Marmor blieb aber auch hier zunächst die Ausnahme. 38 Goethert/Weber 2010, 11–16. 39 Siehe allerdings oben Anm. 31 und unten Anm. 67–69. 40 Dodt 2014, 52–67. 41 Goethert/Weber 2010, 83–87. 42 Zu den Kalk- und Sandsteinkapitellen aus den Barbarathermen siehe Kähler 1939, 33–34 Nr. 1–5 Taf. 3 (Form D); 45–46 Nr. 3–9 (Form H). 43 RLM Trier, Inv. 6158. H. 44 cm. Hettner 1893, 211 Nr. 583 („gefunden 1881 in Trier in den Thermen“); Krencker 1929, 316 Abb. 510; Weber 1985, 31 Abb. 22 (nicht bei Kähler 1939).

worden. Die Grundform ist also in Trier entwickelt, die Ausarbeitung des Blattdekors ortsunüblich. Ob in diesen Fällen einheimische Handwerker in einem für sie ungewohnten Material (Marmor) gearbeitet haben, an Marmor geschulte Handerker ‚aus dem Süden‘ lokale Grundmuster umsetzten oder sich für das große Projekt Werkstätten mit Handwerkern unterschiedlicher Herkunft zusammengefunden haben, ist ungewiss44. Auch Marmorkapitelle aus dem Heiligtum am Irminenwingert folgen lokalen Grundmustern45. Die weitaus überwiegende Masse der Funde aus Trier ist jedoch aus lokalem Kalkund vor allem Sandstein gearbeitet und folgt einem Formapparat, der sich weit von stadtrömischen Vorbildern entfernt hat. Vor dem skizierten Hintergrund der Stadt- und Kapitellentwicklung Triers wird die besondere Exotik der beschriebenen Kapitelle (A–G) deutlich. Die Formen, die vor allem für das Kapitell aus der Basi-

44 Kähler 1939, 46–47; 52–54 Taf. 7 (weitere Pilasterkapitelle der Form H aus Marmor). „Möglicherweise waren die Materialentsendungen von Arbeitern aus dem Süden begleitet. Dennoch ist die Form auch dieser Kapitelle in allen Einzelheiten durchaus moselländisch und nur von den Kapitellen unseres Gebietes zu verstehen“ (Kähler 1939, 53). 45 Kähler 1939, 35 Nr. 12–14 Taf. 3 (Form D); Trunk 1989, 143–144 Abb. 1,b. Als Material der beiden Stücke aus dem Marsheiligtum wird immer „Marmor“ angegeben. Makroskopisch unterscheidet es sich aber signifikant von lunensischem oder prokonnesischem Marmor.

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Abb. 8: Korinthisches Pilasterkapitell aus den Barbarathermen (RLM Trier, Inv. 6158).

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Abb. 9: Vienne, korinthisches Kapitell aus dem Areal des Forums.

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likavorhalle (B) vorbildhaft waren46, scheinen weitgehend auf Rom und seine unmittelbare Umgebung beschränkt geblieben zu sein. Die stadtrömischen Grundmuster flavischer Zeit fanden im Westen der römischen Welt (Oberitalien, Gallien, Hispanien)47 nicht mehr so weite Verbreitung wie ihre Vorläufer früh- und mittelaugusteischer Zeit, die zu Vorbildern eigenständiger lokaler Weiterentwicklungen wurden. Der Einfluss stadtrömischer Kapitelle flavischer Zeit auf Kapitellarbeiten aus Kalk- und Sandstein48 und vereinzelt auch regional anstehenden Marmorsorten49 blieb somit gering. Dies gilt auch für die Gebiete an Rhein und Mosel, deren Kapitellentwicklung Kähler so vorbildlich untersucht hat50. Die ‚Handschrift‘ stadtrömischer Werkleute flavischer Zeit findet sich tatsächlich nur vereinzelt, etwa an Kompositkapitellen des hispanischen Tarragona (Tarraco)51 oder an korinthischen Kapitellen in Nîmes (Nemausus), die allerdings bereits in traianisch/hadrianische Zeit zu datieren sind52. Das Material blieb, soweit überprüfbar, überall weißer Marmor, der zunächst vor allem aus Carrara (Luni) stammte. Bereits in Oberitalien sind signifikante Funde, trotz der räumlichen Nähe zu diesen Brüchen, eher spärlich53. Bemerkenswert ist daher durchaus, dass auf der Rhône bis hinauf nach Vienne (Abb. 9)54 und Lyon (beide Auvergne-­ Rhône-Alpes)55 lunensischer Marmor auf dem Was46 Siehe oben Anm. 9. 47 Eine bemerkenswerte Ausnahme außerhalb dieses geographischen Rahmens bildet ein Kapitell in Ephesos (Plattner 2002, 237–241 Abb. 1–6; Plattner 2009, 399 Abb. 9). 48 Vgl. etwa Gutiérrez 1992, 97–103 (Hispanien); Pensabene 2020 oder die exemplarischen Untersuchungen von Tardy 1989 und 2005 für Saintes und Périgueux (Aquita­ nien). 49 Vgl.  hierzu die Überlegungen von Peña 2017, 205–207 und Barrera 2018, 131–136 zu Kapitellen in Mérida, die aus lusitanischem Marmor aus den Brüchen von Estremoz gearbeitet sind. 50 Kähler 1939. Es ist dabei zu betonen, dass der junge Heinrich Kähler mit seiner Dissertation ein Grundlagenwerk für die Erforschung der römischen Kapitellplastik, nicht nur des Rheingebietes, verfasst hat, das auch noch nach über 80 Jahren seit seinem Erscheinen höchsten Respekt und Anerkennung verdient. Seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen haben auch heute noch nichts von ihrer Richtigkeit eingebüßt und können nur in Nuancen aktualisiert bzw. modifiziert werden. 51 Gutiérrez 1992, 167 Nr. 730–734; Mar u. a. 2015, 114 Abb. 79; 124. 52 Trunk 1989, 146 Taf. 39,3; Gans 1990, 118–119 Taf. 30,3. 53 Flavische Kapitelle, die in Mailand in der Kirche Sant’Ambrogio verbaut worden sind (Belloni 1958, 41 Nr. 29 Abb.), gehören zu den wenigen eruierbaren Stücken in diesem Zusammenhang. 54 Trunk 1989, 145–146 Abb. 2. 55 Zur Verwendung von lunensischem Marmor in Vienne und Lyon siehe Pensabene 2015, 516–517 Abb. 87–89; Fel-

serweg in größerem Maßstab verhandelt wurde und mit dem Material offensichtlich auch geschulte Steinmetze und Bildhauer in diese Städte gelangten. Séverine Blin hat nun aber unlängst mit Verweis auf Funde aus Mandeure (Doubs), dem antiken Epomanduodurum56, Autun (Saône-et-Loire), dem antiken Augustodunum57 und auch einigen Stücken aus Trier darauf hingewiesen, dass auch nördlich der schiffbaren Rhône von italischen Handwerkern gefertigte Architekturdekoration aus Marmor durchaus bekannt ist und im Falle von Mandeure auch bereits in flavischer Zeit vor Ort entstanden sein muss58. In diesem Sinne tendierte auch Kähler dazu, das frühe Kapitell A (Abb. 1) bereits bei seiner Erstverwendung einem Trierer Bau zuzuweisen59.

lague u. a. 2015, 125–134 sowie Russel 2013a, 69 Abb. 3; 10. 56 Korinthisches Kapitell flavischer Zeit: Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie: Marc/Mougin/Blin/ André 2007, 404 Abb. 26; Blin 2017, 259 Taf. 1B; Pensabene 2020, 192 Abb. 1. Siehe auch das korinthisierende Kapitell: oben Anm. 17. 57 Olivier 1987, 66–69. Nr. 101,f-g. 58 Blin 2017, 257–268. 59 Kähler 1939, 85: „Auch bei dem Trierer Kapitell bleibt die Frage offen, ob das Kapitell im Süden oder in Trier entstanden ist. Auf jeden Fall war es kein rheinischer Handwerker, der das Kapitell gearbeitet hat. Das Kapitell wurde in der spätrömischen Basilika Triers gefunden [siehe dazu Anm. 2]. Es ist natürlich möglich, daß es erst für diese aus irgendeinem Bau Südfrankreichs oder Italiens

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Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie es mit Belegen für die Verwendung von Marmor im kaiserzeitlichen Trier aussieht. Das Fragment einer reliefierten Marmorplatte mit der Darstellung einer Eichenlaubgirlande, das 2006 in Zweitverwendung (umgedreht) als Bodenplatte einer spätantiken Hausarchitektur entdeckt worden ist, weist frappante stilistische und handwerkliche Ähnlichkeiten zu Funden aus Lyon auf, die in der Regel mit der dortigen ara Romae et Augusti in Verbindung gebracht und demzufolge auf das Jahr von deren Einweihung, 12 v. Chr., datiert werden60. Klaus-­Peter Goethert hat weitreichende Schlüsse aus diesem Fund gezogen61, die Zugehörigkeit der Girlande in Lyon zu dem dortigen Altar ist allerdings nicht gesichert62. Dennoch haben wir zweifellos, gefolgt von Kapitell A, einen besonders frühen Beleg von Marmordekoration im Kontext eines Bodenfundes aus Trier vor uns. Weitere Marmorfunde aus Trier weisen hingegen das von marmorarmen, im küstenfernen Binnenland gelegenen Regionen des römischen Westens gewohnte Bild sparsamer Marmorverwendung auf: Rund-, vor allem Porträtplastik ist häufiger aus kostbarem Marmor, die Architekturdekoration bleibt überwiegend aus einheimischen Materialien gearbeitet. Die frühesten datierbaren Belege in Trier sind zwei frühkaiserzeitliche Por­ träts, die noch in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts gehören (Livia und das Bildnis einer jungen Frau)63. Es folgt ein in der Forumsbasilika gefundener Porträtkopf Vespasians, der zweimal umgearbeitet worden ist: In der Erstverwendung des Marmorblocks handelte es sich um eine Gewandstatue, dann um ein Bildnis des Vitellius, schließlich um das um 70 n. Chr. entstandene Porträt des ersten flavischen Kaisers64. Ob sich die Versorgung mit italischem Marmor in der Folgezeit, in der die Kapitelle B–E entstanden sein müssen, verbessert hat, ist unklar. Nichts deutet jedenfalls auf Überfluss hin: Der Torso einer kolossalen weiblichen Sitzstatue, die wohl

nach Trier verschleppt worden ist. Doch es kann auch in Trier selbst einen augusteischen Bau geschmückt haben“. 60 Breitner/Goethert 2008, 7–13 Abb. 1. 61 Goethert 2010, 83–92. 62 Fellague 2019, 54–59 erwägt eine Zugehörigkeit der Lyoner Fragmente an das in tiberischer Zeit errichtete Amphitheater der Stadt: „Nous avons souligné l’incertitude de l’attribution des plaques de guirlandes à l’autel augustéen. Toute proposition qui se fonderait sur cette hypothèse fragile serait donc téménaire. Ainsi avons-nous de réserver quant à l’idée publiée en 2008 et 2010 (par Georg Breitner et Klaus-Peter Goethert) de l’éxistence à Trèves d’une copie de l’autel des Trois Gaules, datée de 12 avant notre ère, à partir de modestes fragments de feuilles de chène“ (Fellague 2019, 59). Vgl. unten Anm. 117. 63 Krier 2014, 25–31 Abb. 2–6 (Livia); Goethert 2002, 24 Abb. 20; 66–67 Nr. 2 (claudisch). 64 Goethert 2002, 36 Abb. 47; 77–97 Nr. 8.

in spätflavische Zeit gehört, ist daher aus Kalkstein gearbeitet, lediglich der Einsatzkopf und der erhaltene linke Fuß sind aus Marmor65. Erst in antoninischer Zeit, der Zeit des großen Stadtausbaus, finden sich Marmorporträts auch in größerer Anzahl66. Gemäß seiner Zeitstellung könnte lediglich Kapitell G (Abb. 7) einem Trierer Bau dieser Ausbauphase des 2. Jahrhunderts zugehört haben, bevor es in den Kaiserthermen wiederverwendet wurde. Nun sind zwischen Juli 2014 und September 2015 im Bereich zwischen der Forumsbasilika und den Kaiserthermen ca. 240 kleingeschlagene Architekturfragmente aus Marmor entdeckt worden, die wohl um die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert als Baumaterial verwendet wurden. Neben zwei Basenfragmenten aus weißem Marmor handelt es sich mehrheitlich um Säulenschäfte aus euböischem Cipollino mit einem oberen Säulendurchmesser von 38 cm67. Ähnliche Fragmente scheinen bereits im 19. Jahrhundert bei Grabungen im Bereich der Kaiserthermen entdeckt worden zu sein. Vielleicht nicht zufällig fehlen bislang Bruchstücke von Kapitellen, die selbstverständlich ebenfalls aus Marmor gewesen sein müssen. Der untere Durchmesser von Kapitell G entspricht, soweit feststellbar, recht genau dem der genannten Säulen. Joachim Hupe und Bruno Kremer vermuteten, dass „die Architekturglieder (…) zur Porticus einer repräsentativen Anlage der mittleren Kaiserzeit gehört haben, die im Zuge des Ausbaus Triers zur Kaiserresidenz (…) niedergelegt worden ist“68. Da die Forumsbasilika nachweislich in dieser Zeit einen größeren Umbau erfahren hat69, wäre durchaus eine Herkunft der Basen, Schäfte und Kapitell G aus diesem Umfeld, und zwar aus der zweiten Bauphase antoninischer Zeit, zu erwägen. Lediglich das korinthische Kapitell hätte dann eine neue, repräsentative Verwendung in den Kaiserthermen gefunden. Eine Entstehung und Erstverwendung des Kapitells in Trier, was immerhin an stadtrömischen Monumenten geschulte Handwerker für die Mitte des 2. Jahrhunderts in Trier belegen würde, ist also durchaus möglich, bleibt aber ähnlich hypothetisch wie die der Stücke A–F. Bei einigen weiteren Marmorkapitellen aus Trier handelt es sich hingegen eindeutig um importierte ‚Neuware‘ des 3. und beginnenden 4. Jahrhunderts: Ein korinthisch-kleinasiatisches Kapitell wurde 1882 in der damaligen Kaserne von St. Maximin gefunden (Abb. 10)70. Zu diesem fast vollständigen 65 66 67 68 69 70

Goethert 2002, 38–39 Abb. 53. Goethert 2002, 86–93 Nr. 12–15. Hupe/Kremer 2015, 71–73. Hupe/Kremer 2015, 73. Siehe oben Anm. 31. RLM Trier, Inv. PM 8161 H. 48 cm. unt. Dm. 32 cm. Hettner 1893, 204 Nr. 540; Kähler 1939, 89 Nr. 4 Taf. 16,4;

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Abb. 10: Korinthisches Kapitell, gefunden bei St. Maximin (RLM Trier, Inv. PM 8161).

Exemplar gesellen sich maßgleiche Fragmente aus den Kaiserthermen71, die hier offenbar gleichzeitig wie Spolienkapitell G (Abb. 7) versetzt worden sind. Bei diesen Stücken handelt es sich somit endlich um Arbeiten aus der Zeit der Kaiserresidenz, die aber nicht vor Ort gefertigt worden sind. Ihr charakteristischer Blattschnitt offenbart ihre Zugehörigkeit zur Gruppe der von Kähler so benannten „Kapitelle östlicher Herkunft“72. Ihr Marmor stammt eindeutig aus den Brüchen der Prokonnes. Sie finden sich auch in anderen Regionen im Westen der römischen Welt in fast unüberschaubarer Zahl. Ein eindeutiger Fundschwerpunkt liegt in Rom und Ostia73, ihre Fundstreuung reicht von der hispanischen Baetica (Italica74) im Süden bis nach Niedergermanien im Norden (Köln, St. Gereon75). Von der Prokonnes aus sind die im römischen Westen gefundenen Werkstücke als bossierte Halbfabrikate exportiert76 und dann in Rom und Ostia vollends ausgearbeitet und

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Kramer 1991, 314–315 Nr. 23 Abb. 13; 319. – Binsfeld 2003, 60–61 vermutete in diesem Areal das Mausoleum des 306 verstorbenen Constantius Chlorus. RLM Trier, Inv. K Th 1057. H. 18 cm. Kähler 1939, 89 Nr. 5 Taf. 16,5; Kramer 1991, 314 Nr. 24 (gefunden im Schutt von Gang 29 der Kaiserthermen, „Bruchstück eines Kapitells von gleicher Größe und von gleichem Typus wie Nr. 4“ (Kähler) und RLM Trier, Inv. 18965. H. 17 cm. Kähler 1939, 89 Nr. 5 Taf. 16,5. Gefunden 1892/93 hinter dem Landesmuseum. Kähler 1939, 86–92 Taf. 16. Kramer 1991, 303. Gutiérrez 1992, 147–151 mit weiteren Beispielen; Ahrens 2005, 95–98; 166–168 Nr. E86–E96 Taf. 32–33 Beil. 2,b-c; Rodríguez 2004, 366–371 Abb. 12–19. Kähler 1939, 89–90 Nr. 7–8 Taf. 16; Kramer 1991, 297–303 Abb. 1–5; 308–309 Abb. 1–2; 326; 329 Abb. 29. Toma 2014, 84–92 (mit weiterer Literatur).

weiterverhandelt77 oder bereits als Fertigprodukt78 verschifft worden. Jedenfalls finden sich im Westen keinerlei unfertige bzw. nicht vollends ausgearbeitete Stücke. Angesichts ihrer großen Anzahl ist ihre Existenz in spätantiken Großvillen und Residenzen (z. B. Sirmium79, Spalato80, Rom81, Piazza Armerina82, Mailand83, Aquileia84) nicht erstaunlich. Anfänge östlicher Kapitellarbeiten finden sich in Rom und dem römischen Westen bereits seit dem 2.  Jahrhundert85, das später typische Motiv von Rechtecken, Dreiecken und Rauten, die sich als Negativform dort bilden, wo sich die Blattspitzen zweier benachbarter Kranzblätter berühren, eta­ bliert sich allerdings erst ab dem 3. Jahrhundert. Die Feindatierung einzelner Stücke in den Zeitraum zwischen der severischen Zeit und der Mitte des 4. Jahrhunderts ist zwar teilweise umstritten86, ein Schwerpunkt der Produktion scheint jedoch am Ende des 3. und zu Beginn des 4. Jahrhunderts87 zu liegen. Damit sind auch die Trierer Funde deutlich früher anzusetzen als Kähler88 dies annahm, der überwiegend von einer Datierung an das Ende des 4. Jahrhunderts ausging und etwa die Fragmente aus den Kaiserthermen einer Umbauphase dieser Zeit zuwies. Sie können aber zwanglos der 1. Bauphase der Thermen am Ende des 3. Jahrhunderts zugewiesen werden89. Aus Trier sind weitere Exemplare von besonderer Bedeutung: Ein Kapitell unbekannten Fundorts mit Adlerdarstellungen anstelle der Abakusblüte90 weist unmittelbare motivische und stilistische Parallelen zu einem Stück aus Ostia

77 Kramer 1991, 303: „So zahlreich sind die Funde andernorts nicht. In beiden Orten [Rom und Ostia] waren die Steinmetzwerkstätten, auf die die Kapitelle zurückgehen, ansässig, und von hier aus sind viele von ihnen (…) exportiert worden. Es handelt sich um Bauteile, die offensichtlich serienmäßig in einer Werkstatt oder in mehreren, nebeneinander arbeitenden Werkstätten produziert wurden“. 78 Plattner 2009, 398–402. 79 Maver/Müller/Rižnar 2009, 123–126 Abb. 5–6. 80 Kähler 1939 Beil. 7,4; Kramer 1991, 314 Nr. 25. 81 Zum Beispiel Lupi 1984a; Lupi 1984b; Lupi 1984c; Iara 2015, 79–82 Abb. 43. 82 Kramer 1991, 306; 311 Abb. 12; Pensabene 2018, 155–157 Taf. 3,4–5 (gruppo D). 83 Belloni 1958, 47–54 Nr. 39–45; Sacchi 1990, 97. 84 Scrinari 1952, 38–40 Nr. 36–39. 85 Freyberger 1990, 125–129. 86 Ahrens 2005, 96–97 (3. bis Anfang 4. Jahrhundert); Rodríguez 2004, 367 Anm. 84; Plattner 2009, 402. 87 Kramer 1986; Kramer 1991, 315. 88 Kähler 1939, 90–91. 89 Kramer 1991, 314, der allerdings auch noch den Umbau unter Valentinian I. für die „mögliche Verwendung oder Bereitstellung des Kapitells“ erwägt. Zur besonderen Bedeutung von Thermenanlagen im Rahmen tetrarchischer Bauprogramme siehe Witschel 2004/2005, 226–227. 90 H. 45 cm. Kähler 1939, 87 Nr. 1 Taf. 16; v. Mercklin 1962, 222; 229 Nr. 560 Abb. 1054–1055.

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Nobilitierung der Kaiserresidenz durch Spolientransfer?

auf, das aufgrund seines Bauzusammenhanges in der Regierungszeit von Alexander Severus entstanden ist91. Zwei weitere, aus den Barbarathermen92, weisen hier vielleicht auf eine Reparaturphase im 3. Jahrhundert93 hin. Wie eingangs erwähnt, stammen aus Kählers Gruppe von Kapitellen „südlicher Herkunft“ nur die hier besprochenen Trierer Stücke aus spätantiken Fundzusammenhängen, die übrigen (aus Aachen94, Ingelheim95, Mainz96, Soest97 und Magdeburg98) hingegen aus mittelalterlichen Kontexten99. Die Bedeutung des zugrundeliegenden nachantiken Spolientransfers ist vielfach besprochen worden, wobei die Spolienverwendung in karolingischer Zeit überwiegend als Kennzeichen der Renovatio Romae und einer Translatio Imperii gewertet wird100. Wo aber liegen die Wurzeln dieser Vorstellungswelt? Die Anfänge von Wiederverwendung von Baugliedern in der römischen Antike reichen weit zurück. So wird etwa 173 v. Chr. der Censor Q.

91 Portico del Tempio Rotondo. Pensabene 1973 Taf. 33 Nr. 95; Nr. 336 (Comp. „sopratutto un esemplare da Treviri, con ali delle aquile aperte nella medesima posizione e anche con medesimo tipo d’acanto“); Freyberger 1990, 127–128 Nr. 306 Taf. 46,b: (zweites Viertel 3. Jahrhundert n. Chr.); Rieger 2004, 182–184 Abb. 159; 213; Pensabene 2007, 305 Taf. 96,1. 92 RLM Trier, Inv. S. T. 3005. H. 55 cm. Kähler 1939, 87 Nr. 2 Taf. 16,2 ohne Nr. H. 37 cm; Hettner 1893, 204 Nr. 539; Kähler 1939, 88–89 Nr. 3 Taf. 16,3. 93 Dodt 2013, 44–45. 94 Kähler 1939, 83 Nr. 5–6 Taf. 14,5–6; Mann 1965, 444–445 Nr. 602a-b; Schulze-Böhm 2021, 102–103 Abb. 40, unten rechts. 95 Kähler 1939, 68–70; 84 Taf. 15,13–15; Brandenburg 2000, 47–60 Taf. 10,2; 11–14; Boppert 2005, 119–122 Nr. 80–85 Taf. 51–54; Grewe 2014, 352–353 Abb. 6,2–4; Heinemann 2021, 95–119; Schulze-Böhm 2021, 97–117 Abb. 36–37; 43; 48; 58–60; 215–222. 96 Kähler 1939, 83–84 Nr. 7; 10–11 Taf. 14,7; 15,10–11; Frenz 1992, 86–88 Nr. 73–75 Taf. 42–45. Eines der Stücke wurde 1907 in der Johanniskirche verbaut gefunden. Im Falle der Kapitelle aus Ingelheim und Mainz hat die mutmaßliche Bestimmung ihres Materials als einheimischer (Asbacher) Marmor für Verwirrung gesorgt. Brandenburg 2000, 51–52 spricht sich für eine stadtrömische Provenienz der Stücke aus, Schulze-Böhm 2014, 46 erwägt hingegen, „dass die italischen Spolien beim Bau der Pfalz Ingelheim nicht direkt aus Italien importiert, sondern aus geographisch nahe liegenden römischen Ruinenstädten wie zum Beispiel Köln und Mainz, vor allem aber Trier entnommen sein könnten“. Ebenso Schulze-Böhm 2021, 103. 97 Trunk 1989, 141–142 Taf. 38,1–4; Schulze-Böhm 2021, 103 Abb. 41. 98 Kähler 1939, 84 Nr. 12 Taf. 15, 12; Meckseper 2001, 367– 380; Brandl/Forster 2011, 65–66 Nr. 4.1 Abb. 42–43; Kuhn 2014 (mit Lit.). 99 Hinzu kommt ein kleinasiatisches Stück in Essen (Horn 2015, 183–184 Taf. 1–2). 100 Siehe etwa Brandenburg 2000, 56–58; Brenk 2002, 149– 176; Jäggi 2013, 310–314 (mit Lit.).

Fulvius Flaccus gerügt, weil er marmorne Dachziegel des Iuno-Lacinia-Tempels in Kroton nach Rom bringen ließ, um damit den von ihm erbauten Fortuna Equestris-Tempel einzudecken (Livius 42, 1, 3)101. Bekanntlich hat sodann Sulla Säulen des allerdings unvollendeten Olympieion aus Athen für den Neubau des Capitolstempels nach Rom bringen lassen (Plinius, naturalis historia 36, 5, 45; Plutarch, Publicola 14–15)102. Hierbei ging es freilich nicht nur um Baumaterial, sondern auch um die symbolische Überführung von Elementen des athenischen Zeustempels an den stadtrömischen Haupttempel des Göttervaters. Bedeutungstransfer spielte ebenso eine wichtige Rolle bei der vielfach nachgewiesenen Neunutzung klassischer Bauelemente, vom Versatz einzelner Bauglieder bis zum Versetzen kompletter Bauten, im augusteischen Athen103. Gegen die häufige Verwendung von Spolien während der Kaiserzeit scheinen die im Codex Theodosianus unter dem Titel „de operibus publicis“ zusammengefassten spätantiken Baugesetze aus der Zeit seit etwa 320 n. Chr.104 zu sprechen. Wir hören hier von Verboten zur Entfernung von Marmor und Säulen aus alten Gebäuden sowie „der Ausfuhr aus einer Stadt, um damit andere, meist Metropolen oder sonstige berühmte Städte zu schmücken auf Kosten kleinerer oppida. (…) Hier fügt sich nahtlos ein Verbot des Transports von Spolien von einer Stadt oder Provinz zur anderen ein. (…) Hauptsache, der Schmuck bleibt in der Stadt und entfaltet hier, wenn auch an anderer Stelle, seine Schönheit“105. Die spätantike Baugesetzgebung ist allerdings als Reaktion auf eine durchaus gängige Praxis zu verstehen106, die wahrscheinlich gerade in der Zeit zuvor, seit den diokletianischen Provinzreformen, überhandgenommen hatte. Christian Witschel hat die Situation im römischen Westen treffend charakterisiert: Der Aufschwung und der Bauboom in den neuen Residenzstädten, in Gallien also Trier, waren keinesfalls ein Zeichen einer neuen allgemeinen Prosperität. Die „Ausprägung des Stadtbildes von Trier während des späten 3. und 4. Jahrhunderts [nahm] eine Aus-

101 Meier 2021, 15. Weitere antike Quellen bei Vecchi 2012. 102 Kaderka/Tucci 2021, 162; 173; 175. 103 Johr 2013, 63–68. 104 Meier 2005, 129–140. 105 Noethlichs 2013, 14–15. Siehe auch Meier 2005, 131. 106 Geyer 1993, 73: „Damit ist die beliebige Versetzbarkeit des Einzelelements längst etabliert und nicht – wie vielfach angenommen – ein spezielles Charakteristikum spätantiken Bauverhaltens. […] Die Übernahme kaiserzeitlicher Bauglieder in die in großer Zahl entstehenden Kirchenbauten des 4.–6. Jhs. im Westteil des Reiches bildet nur den Höhepunkt einer bereits in der frühen Kaiserzeit in gesetzesrelevantem Umfang einsetzenden Entwicklung, nämlich der systematischen Ausplünderung und Demontage älterer Gebäude zwecks Wiederverwendung kostbarer Bauteile (columnae, marmora)“.

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nahmestellung ein“ und ging teilweise sogar sehr zu Lasten anderer Orte. In diesen findet man häufig die gleichzeitige Errichtung eines stark reduzierten Mauerrings, wobei Architekturteile öffentlicher Gebäude außerhalb der neuen Befestigungen wiederverwendet oder abtransportiert wurden. Eine „massive Zunahme der Spolienverwendung im späten 3. Jahrhundert“ war die Folge107. Auch die zentrale Bedeutung von Lugdunum als Provinzhauptstadt der Gallia Lugdunensis und Sitz des Zentrums für den Kaiserkult der Tres Galliae brach am Ende des 3. Jahrhunderts schlagartig ab108. Eine Herkunft der hier besprochenen Kapitelle ist somit unklarer denn je. Im Prinzip stehen wir vor zwei Alternativen: (a) Die hier besprochenen Stücke  (A–G) stammen auch ursprünglich aus Trier oder (b) sie sind von anderen Orten für den spätantiken Stadtausbau herbeigeschafft worden. Im ersten Fall belegten sie Marmorimport und hochspezialisierte Handwerker bereits in julisch/claudischer (A), in größerem Maßstab dann in spätflavischer (B–F) und schließlich antoninischer Zeit (G). Der hiermit verbundene Aufwand (Marmortransport aus Luni/Carrara auf dem See-, Fluss- und Landweg, an stadtrömischen Vorbildern geschulte Steinmetze bzw. Bildhauer) ist aber nicht zu unterschätzen. Das Marmormaterial für die Kapitelle ist in Blöcken oder in Form von bossierten Kapitellrohlingen von den Häfen bei Luni/Carrara aus verhandelt worden109. Da die endgültige Ausführung des Dekors der marmornen Bauelemente zu dieser Zeit am Bauplatz, in der Regel sogar erst nach dem Versatz am Bau erfolgte110, ist hierfür die Präsenz von „marmorarii et lapidarii“111 an der Mosel erforderlich.

107 Witschel 2004/2005, 233; 237–239. Siehe auch Meier 2005, 130–131. Witschel sieht den massiven Einsatz von Spolien vor allem unter pragmatischen Aspekten, „da dies die einfachste und oft auch kostengünstigste Art war, notwendige Neubauten auszuführen“ (Witschel 2004/2005, 229). Er unterscheidet hierbei nicht zwischen rein materieller Verwendbarkeit (Baumaterial), wobei die älteren Bauten quasi als Steinbruch genutzt werden, und dem intentionellen Versatz von Dekorelementen, der in Trier zumindest in einem Fall (B) nachgewiesen ist. 108 Desbat/Lascoux 1999, 45–69; Fellague 2007, 17; Reynaud 2018, 309–344. 109 Schiffswrack mit Marmorblöcken aus Carrara: Beltrame/Lazzarini/Antonelli 2020, 1081–1094. Halbfabrikate korinthischer Kapitelle in den Brüchen von Carrara: Toma 2014, 91 Anm. 56; Wracks mit Marmorladung an der südfranzösischen Küste: Russel 2013b, 350–351 Abb.  6. Der ‚marble trade‘ mit lunensischem Marmor unterscheidet sich damit grundlegend von der später vorherrschenden Praxis mit normierten und fertig ausgearbeiteten Kapitellen aus prokonnensischem Marmor, die via Ostia bzw. Rom verbreitet wurden (siehe oben Anm. 77–78). 110 Mattern 2000, 181–182; Toma 2014, 93. 111 Russel 2013a, 204–207.

Die Vermutung, Trier sei bereits im späten 1.  Jahrhundert eine ‚Stadt aus Marmor‘ gewesen, ist zwar verlockend und auch nicht auszuschließen, aber nur bedingt plausibel. Sie setzt, neben dem Forum, die Existenz weiterer, noch unbekannter öffentlicher Bauten dieses Zeitraums voraus, die prachtvoll ausgestattet waren, so wie es ein halbes Jahrhundert später mit den Barbarathermen112 der Fall sein sollte. Diese Bauten hätten dann in der Spätantike demoliert und ausgeplündert worden sein müssen. Das Forum und seine Basilika wurden tatsächlich immer weiter ausgebaut, blieben aber, wie die Barbarathermen, bis in das 5. Jahrhundert hinein in Funktion113. Der Ausbau Triers im späten 3. und frühen 4. Jahrhundert erfolgte also offenbar nicht auf Kosten bestehender Bauten, die im Stadtbild dann als ihres Schmuckes beraubte Ruinen fortbestanden hätten. Jüngere Ansätze der Spolienforschung betonen nun gerade die Bedeutung des spatial turn. Es handelt sich um einen bifokalen Ansatz, der „die Herkunftsorte von Spolien gleichermaßen wie die Zielorte in den Blick [nimmt]. Nicht nur der Bedeutung der Spolie bei ihrer Wiederverwendung gilt die Aufmerksamkeit, sondern ebenso der Transformation des Herkunftsortes sowie Fragen des Transports und der Aufstellung“. Eine Grundvoraussetzung für jedwede inhaltliche Ausdeutung solcher Prozesse ist natürlich, dass „die Spolien von den Betrachtern auch als solche wahrgenommen“114 wurden. Handelte es sich um Bauglieder aus älteren öffentlichen Bauten Triers, so unterstriche das wiederverwendete Stück eine lokale Kontinuität und Tradition der kaiserlichen Residenz. Vor allem das prominent im Eingangsbereich der Basilika115 neu versetzte Kapitell B bietet sich in diesem Sinne als Bedeutungsträger an. Diese Bedeutung wäre allerdings eine ganz andere, wenn es ursprünglich gar nicht aus Trier stammte! Mögliche andere Herkunftsorte sind hier aufgezeigt worden. Öffentliche Bauten verarmter gallischer Städte und Heiligtümer standen zur Ver-

112 Siehe oben Anm. 40–41. 113 Vgl.  Alchermes 1994, 174: „Decoration and structural members could not be removed from public buildings, as long as the buildings were still in serviceable condition and constituted an adornment to the city“. 114 Meier 2021, 25–26 zu Altekamp/Marcks/Seiler 2013. 115 Goethert 2021, 26–30 Abb. 18. D und F scheinen hingegen nicht als Dekorelemente, sondern (mit ihrer glatten Rückseite?) als Teil der Wandinkrustation verwendet worden zu sein. Aus dem spätantiken Bau stammen nach den von Vilma Ruppienė durchgeführten Untersuchungen jedoch auch Werkstücke aus entfernteren Marmorbrüchen der römischen Welt, u. a. Fragmente einer attischen Basis aus pentelischem und von Säulenschäften aus hymettischem Marmor, die freilich nicht näher datierbar sind (Ruppienė 2021b, 40–44).

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Nobilitierung der Kaiserresidenz durch Spolientransfer?

fügung116, hierzu gehörte auch die einst blühende und nunmehr ihrer einstigen Bedeutung beraubte Metropole Lyon117. Gerade für das nun schon vielfach genannte Kapitell B ist aber auch eine bewusste Überführung aus dem caput mundi, der ehemaligen Hauptstadt Rom selbst und hier am ehesten aus den Kaiserpalästen auf dem Palatin, zu erwägen. Hier finden sich nicht nur die engsten Parallelen118, es ergäbe auch den klarsten Bedeutungszusammenhang. Logistisch stellte dies keinerlei Problem dar: Wie oben aufgezeigt, lief der Transport prokonnesischer Marmorkapitelle bis nach Trier im 3. und 4.  Jahrhundert ohnehin über Rom und seinen Hafen Ostia119. Der Import dieser normierten Bauglieder in einer globalisierten spätantiken Welt verlangte, ebenso wie der Versatz von Spolien, nicht mehr nach dem Einsatz spezialisierter Bildhauer an der Baustelle vor Ort. Andere, ältere Kapitelle wären also transporttechnisch nur eine ‚Beiladung‘ der aktuellen Neuware gewesen. Auch rechtlich stellte ein solcher Transfer in der Zeit vor 320 kein Problem dar, sondern entsprach gängiger Praxis, die in karolingischer Zeit nicht neu aufgekommen ist, sondern lediglich wieder aufgegriffen wurde120. Ohne das belastbare Zeugnis von Schriftquellen und eindeutigere archäologische Daten müssen die vorgetragenen Überlegungen vorerst freilich spekulativ bleiben, zumal die handelnden Akteure hinter dem vermuteten Spolientransfer unbekannt sind. Versteht man die hier besprochenen Kapitelle jedoch als ‚Spiegel‘ der Trierer Stadtgeschichte, so bleibt als alternative Interpretation lediglich die Annahme einer baulichen Blüte der Stadt bereits im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts, für die weitere archäologische Indizien und Befunde noch zu erbringen wären.

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Markus Trunk

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Nobilitierung der Kaiserresidenz durch Spolientransfer?

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Abbildungsnachweise 1–4. 6–9 Foto Markus Trunk, 5 Zeichnung U. Denis (Universität Trier), 10 nach Hettner 1893, 204 Nr. 540.

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DIE BEDEUTUNG DER KAISERTHERMEN FÜR DIE NEUE RESIDENZ TRIER von Michael Dodt

Alfred Schäfer zum 60. Geburtstag Die sogenannten Kaiserthermen bilden zusammen mit der Palastaula (Basilika) und dem Dom die drei repräsentativen Großbauten der unter dem Caesar Constantius Chlorus als Kaiserresidenz ausgebauten (Colonia) Augusta Treverorum (Trier)1. Alle drei prägen noch heute das Stadtbild Triers. Die Kaiserthermen liegen am Südende der von diesen Bauwerken gebildeten Nord-Süd-Achse. Trier wurde aufgrund der Entscheidung Kaisers Diokletian, eine auf mehrere Kaiser verteilte Herrschaft könne die Grenzen gegen die Einfälle im Norden (germanische Völker) und Osten (persisches Reich) besser sichern, zur Residenz erhoben; zum Nachteil der Hauptstadt des Imperiums, Rom, in der sich die Kaiser nur noch selten aufhielten2. Dies war jedoch für Kaiser Maximian, der zuerst Trier als Residenz wählte, kein Hinderungsgrund, im Namen seines Mitkaisers (Augustus) Diokle­ tians in Rom ‚ihren Römern‘ die größte Badeanlage des römischen Reichs in nur acht Jahren zu errichten3. Maximian, der seinem Caesar Constantius Chlorus kurz vor 293 n. Chr., nach dessen erfolgreichen Feldzügen, Trier als Residienzort überließ und nach Mailand umzog4, erbaute dort sowie in Kar-

1 Ein weiterer Großbau dieser Zeit waren die Speicher (horrea) in der Nähe der Mosel, deren Grundmauern unter St. Irminen erhalten sind. Diese waren jedoch reiner Funktionsbau. 2 Diokletian besuchte Rom nur einmal zu seinem zwanzigjährigen Regierungsjubiläum, Konstantin d. Gr. dreimal zum Sieg gegen Maxentius, sowie seinen zehn- und zwanzigjährigen Regierungsjubiläen. – siehe Riemer 2003, 14. 3 Zwischen 298 und 305/306 n. Chr.; neben zahlreichen anderen Bauten: siehe u. a. Bauer 2011, 70–72. – Zu den Umständen und der topographischen Einbindung siehe Yegül 1992, 163–169. 4 Rees 2012, 219.

thago weitere Thermen5. Der Ausbau Triers um 300 wird durch Constantius Chlorus und nach seinem Tod im Jahre 306 durch seinen Sohn und Nachfolger Konstantin d. Gr. erfolgt sein6, aber die Errichtung der Diokletiansthermen in Rom sowie der Herkules-Thermen in Mailand und Karthago lassen vermuten, dass Kaiser Maximian auch die Trierer Kaiserthermen initiiert hatte.

Das frühe Bad unter der palaestra der Kaiserthermen Bereits um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. besaß Trier eine öffentliche Badeanlage unter anderem im Bereich der späteren Kaiserthermen. Sie lag in der West-Ost ausgerichteten Mittelachse unter der palaestra der Kaiserthermen und war wahrscheinlich für die Wahl deren Platzes ausschlaggebend. Räume dieses zweiphasigen Bades wurden bereits im Jahre 1896/97 entdeckt und von 1912 bis 1914 sowie von 1960 bis 1966 erneut ausgegraben7. Sie bildeten eine größere, Ost-West ausgerichtete Badeanlage des Reihentyps mit frigidarium im Westen (Abb. 1a)  Bei den Ausgrabungen von 1960 bis 1966 wurde unter diesen Räumen ein älteres West-Ost orientiertes, mit einem runden laconium ausgestattetes Bad entdeckt (Abb. 1b)8. Die Rundform des la-

5 Zu den spätrömischen Thermen von Mailand (freundl. Hinweis von Maria D’Onza, Xanten): Ceresa Mori 1990, 100–101. – Niebuhr 1832. 6 Vgl. Fontaine 2001, 123–124. 7 Lehner 1898, 267–269; Krencker 1929, 137–138 Abb. 49–52. – Reusch/Lutz/Kuhnen 2012, 137–144 (Räume 429–431, 436–438 und 440–441). 8 Reusch/Lutz/Kuhnen 2012, 60–63 und 99–101 (Räume 329–333). – Das laconicum und eine zugehörige Wanne wurden nach der Ausgrabung konserviert und sind heute zugänglich.

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Michael Dodt

a

Abb. 1: Trier. Das Bad unter den Kaiserthermen: a) jüngere Bauperiode; b) ältere Bauperiode.

b conicum mit vier Nischen ist für Badeanlagen der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. charakteristisch und hat Parallelen bei den Villenbädern von Echternach und Ahrweiler. Nicht erst die Kaiserthermen, sondern bereits das ältere Bad überbaute eine West-Ost verlaufende Straße, die einen decumanus zwischen zwei insulae der Gründungsphase Triers bildete9. Die Badeanlage gehörte nicht zu der nördlich angrenzenden Stadtvilla (domus): Erstens wies sie einen Abstand bzw. eine eigene Mauer zur palastartigen domus unter der nördlichen Hälfte der palaestra auf. Zweitens besaß die domus eine eigene Badeanlage an ihrer Nordseite, die von den nörd-

9 Reusch 1970/71, 262–267 Abb. 7, Beilage 30. – Der decumanus wurde weiter westlich auch durch das Forum überbaut: Reusch 1970/71, 262–267 Abb. 7.

lichen palaestra-Randbauten stark zerstört, jedoch anhand einer beheizten Wanne eindeutig zu identifizieren war10. Drittens durfte der decumanus nur durch ein öffentliches Gebäude überbaut werden.

Die Trierer Barbarathermen Nach der Errichtung der ersten monumentalen Thermen beim Forum im letzten Viertel des 1.  Jahrhunderts n. Chr.11 wurde eine viel größere

10 Reusch/Lutz/Kuhnen 2012, 123. 11 Unruh 2001, 223–239. – Die Funktion des Gründungsbaus war eine Badeanlage. Eine Publikation des Autors gemeinsam mit M. Thiel ist hierzu in Vorbereitung.

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Die Bedeutung der Kaiserthermen für die neue Residenz Trier

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Abb. 2: Trier. Barbarathermen

Badeanlage, die sogenannten Barbarathermen, im ‚Kaisertyp‘ errichtet (Abb. 2). Sie waren mit ihrer Gesamtfläche von 240 m × 180 m die größten Thermen nördlich der Alpen und zur Zeit ihres Baus die zweitgrößten des Römischen Reiches nach den Trajans-Thermen in Rom. Eine zeitliche Einordnung in die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurde bisher im Zusammenhang mit dem Bau der Römer­brücke angenommen, da deren Straße an dem Haupt­ eingang der Barbarathermen vorbeiführt und die großen Steinblöcke ähnliche Marken aufweisen12. Fikret Yegül datiert jedoch aufgrund des ähnlichen Entwurfs der großen Thermen von Leptis Magna13 auch die Barbarathermen in hadrianische Zeit14.

12 Cüppers 1969, 154–157. – Man findet die Marken aber auch an der zwei Generationen später gebauten Porta Nigra und einem Becken aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. unter der palaestra der Kaiserthermen: Reusch/Lutz/ Kuhnen 2012, 155–158. 13 Krencker 1929, 216–219. 14 Noch genauer sieht er einen Entwurf des Apollodorus: Yegül 1992, 192.

Gegenüber den kleineren Thermen von Leptis Magna zeichnen sich die Barbarathermen durch 11 m × 20 m große piscinae calidae mit einer erhaltenen Tiefe von 1,30 m in dem großen Raum III aus. Diese großen Becken, die einen ganzen Raum ausfüllen, sind allgemein selten15. Allerdings kennt man zwei öffentliche, mit piscinae calidae ausgestattete Badeanlagen in Italica, der Vaterstadt Hadrians; das Ostbad aus trajanischer Zeit und das von Kaiser Hadrian gestiftete Westbad16. Die Barbarathermen heben sich von den Kaiserthermen durch ihren klar gegliederten Grundriss ab und weisen trotz ihrer späteren Nutzung als mittelalterliche Burg einige Reste der Badeeinrichtungen wie Wannen und Heizanlagen auf, die bei den Kaiserthermen anlässlich des spätrömischen Umbaus vollständig beseitigt wurden. Des Weiteren sind umfangreiche Reste der Ausstattung aus Marmorinkrustationen und römische Kopien hochklas-

15 Nielsen 1990a, 156. 16 Nielsen 1990b, 15 C.107 (Abb. 112) und C.108 (Abb. 115).

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sischer Skulpturen erhalten. Dieser Bau ist ein deutliches Zeichen für die Wertschätzung der Stadt, die der Sitz des Finanzprokurators der Belgica und der beiden Germaniae war17 und die daher als Kaiserresidenz gewählt wurde. Die Größe, der architektonische Entwurf (‚Kaisertyp‘) und die Marmorausstattung der Barbarathermen zeigen, dass die Augusta Treverorum im Römischen Reich bereits einen Rang hatte, der eine ähnliche Ausstattung mit Thermen erforderte. Es ist jedoch kaum denkbar, dass die Augusta Treverorum oder auch der Finanzprokurator sich den Bau einer derart großen Badeanlage leisten konnten. Wahrscheinlich hatte der Kaiser den Bau finanziell unterstützt oder ihn allein getragen18.

Die neuen Thermen der kaiserlichen Residenz von Trier, die sogenannten Kaiserthermen Da der Bau der Kaiserthermen mit dem Ausbau Triers zur kaiserlichen Residenz in Verbindung stand, wurde er auch vom Kaiser finanziert. Die Kaiserthermen bildeten die dritte bekannte monumentale Badeanlage Triers. Im Vergleich dazu sind für Rom in der „Notitia urbis“ hingegen elf große und 956 kleine Bäder, für Alexandria in der syrischen „Notitia urbis“ sogar 1561 Bäder genannt19. Für Trier fehlt jedoch eine entsprechende „Notitia“. Die topographische Lage verbindet die Kaiserthermen nicht nur in der Nord-Süd-Richtung mit der Palastaula und dem Dom, sondern auch über eine West-Ost-Straße (decumanus) mit den Barbarathermen, der Römerbrücke, dem Forum und dem Amphitheater20. Der Zugang zu den Kaiserthermen wird jedoch nicht von der Südseite in Betracht gezogen, sondern von der Nordseite in der Verbindungslinie mit dem Dom und der Palastaula21 angenom-

17 Zur Frage eines Trierer Statthaltersitzes: Haensch 1997, 130–133. 18 Vgl. Meusel 1960, 90–91. – In ähnlicher Weise hat Hans-Joachim Schalles Kaiser Hadrian als Finanzier des Baus der großen Thermen der Colonia Ulpia Traiana (Xanten) vermutet (Schalles 1995, 423–433). 19 Meusel 196, 18–19. 20 Dies erscheint auf den ersten Blick so. Auf dem Archäologischen Stadtplan von Trier von 2002 ragt jedoch die Nordfront der Barbarathermen in die Flucht der westöstlich verlaufenden Straße hinein und der Knick der von der Brücke kommenden Straße ist auf diese Front ausgerichtet (Dodt [im Druck]). 21 Zum Beispiel bereits nach der Ausgrabung von 1866 bis 1871: Seyffarth 1893, 1–17, hier Abb. 2.

men. Ein monumentales Portal ist hingegen an der Westseite archäologisch nachgewiesen22. Wie die Barbarathermen wurden auch die Kaiserthermen im ‚Kaisertyp‘23 errichtet. Im Unterschied zu den Barbarathermen, deren Hauptbaderäume von rechteckigen Höfen im Süden und Norden eingefasst sind, ragt der Badeblock der Kaiserthermen mit seinen zahlreichen runden Apsiden nach Osten vor, während die palaestra den westlichen Teil des Thermengeländes einnahm (Abb. 3). Nach Osten waren der Block der Hauptbaderäume und ein Wirtschaftshof von einer großen gerundeten Umfassungsmauer begrenzt, von der einzelne Abschnitte bei der Neuanlage der modernen Straße an der Ost- und Südseite der Kaiserthermen im Jahre 1973 dokumentiert wurden24. Die gerundete Abschlussmauer vor dem caldarium hat sie mit den Trajans-, den Diokletians- und den Konstantinsthermen in Rom gemeinsam. Jedoch nahm der Badeblock der Trierer Kaiserthermen die östliche Hälfte der gesamten Anlage ein, während der Badeblock der Diokletiansthermen losgelöst von den Umfassungsmauern in der Mitte des Thermenareals lag, umgeben von einem Park. Ihre relativ kleinen Palaestren waren in den Block der Baderäume integriert; hingegen nahm eine große, von Hallen und Portiken umgebene palaestra die westliche Hälfte der Kaiserthermen ein. Trotz der ähnlichen Gestaltung der Hauptbaderäume (caldarium, tepidarium und frigidarium) in der Mittelachse, d. h. zwei große, quer gelagerte Säle mit einem kleinen Rundraum in der Mitte, ist die Raumaufteilung bei den Diokletiansthermen streng an den rechtwinkligen Linien in der Breite orientiert, während bei den Trierer Kaiserthermen die Außenlinien mit herausragenden Rundräumen durch aufgelockerte Raum­ aufteilung in der Länge bestimmt sind; die Apsiden des caldarium sind größer und stärker betont. Die Ausrichtung der Kaiserthermen nach Osten entsprach allerdings nicht den Empfehlungen der antiken Baumeister. Sie war vermutlich von älteren topographischen Gegebenheiten bestimmt25. Anstatt auf den architektonischen Entwurf der Kaiserthermen, den bereits Daniel Krencker vorgelegt hat, weiter einzugehen, wird hier der Bauablauf beschrieben, soweit er sich an den erhaltenen Baubefunden ablesen lässt. Die Hauptbaumaterialien der Kaiserthermen sind Ziegel und Muschelkalkstein. Die Ziegel der Thermenerbauung in konstan-

22 1949/50 beim Bau von Leitungen unter der Weberbachstraße: Reusch 1958, 405 Abb. 46 (auf Grundlage der Pläne RLM Trier A577 und A579). – Vor kurzem sind weitere Reste des Eingangsbaus westlich der Weberbachstraße zum Vorschein gekommen: Hupe/Kremer 2015, 57–79. 23 Nach der Typologie Krenckers: Krencker 1929, 180–181. 24 „Kurvenmauer 629“: Reusch/Lutz/Kuhnen 2012, 195–197. 25 Auf die Nähe zum Altbachtal wurde oben hingewiesen.

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Die Bedeutung der Kaiserthermen für die neue Residenz Trier

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Abb. 3: Trier. Kaiserthermen

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tinischer Zeit lassen sich aufgrund der im 4. Jahrhundert n. Chr. zahlreich vorkommenden Stempel vier Großbetrieben zuweisen26. Im Unterschied zur Palastaula in Trier oder den Konstantinsthermen in Rom wurden die Kaiserthermen jedoch nicht vollständig in Ziegelbauweise errichtet. Ziegel sind kaum in den Fundamenten oder Kellergängen, allerdings jedoch fast ausschließlich in den Bögen von Fenstern und Rohbauöffnungen, d. h. der beim Rohbau gelassenen Öffnungen für Wasser- und Heizungsinstallationen, verwendet worden. Muschelkalkstein steht in der Umgebung (Mesenich, Gem. Langsur) an. Offensichtlich gab es während des Baus Lieferschwierigkeiten, so dass man für den Kellergang 23 auf den schlechten Rotsandstein von der anderen Moselseite bei Trier zurückgreifen musste. Neben Ziegeln und Muschelkalkstein fand Sintergestein Verwendung, das sich im frischgebrochenen Zustand leicht sägen lässt und damit besonders für Tür- und Fenstergewände geeignet ist. Der verwendete Mörtel ist im Gegensatz zu den Barbarathermen nicht homogen und wechselt sogar innerhalb einer Mauer. Die Mauern wurden in Lagen gesetzt (opus vittatum), nicht ‚gegossen‘. Die Steine für die Mauerschale sind an den Vorderkanten leidlich rechteckig zugehauen. Zwischen jeweils 3–5 Lagen Bruchstein wurden 1–2 Lagen – manchmal auch mehr – Ziegelplatten unterschiedlicher Formate eingefügt. Aufgrund ihrer tieferen Einbindung bewirkten sie eine bessere Anbindung der Schalensteine an den Mauerkern. Die Gewölbe sind aus Keilsteinen und Ziegeln mit viel Mörtel mit Hilfe von Lehrgerüsten gesetzt (opus caementicium). Die Abdrücke der Bretter dieser Lehrgerüste sind teilweise gut im abgebundenen Mörtel der Gewölbeunterseiten zu erkennen. Aus der Bauzeit der Kaiserthermen ist ein bemerkenswertes Detail erhalten: ein 52 cm großer und 30 cm hoher Mörtelkegel mit rundem Loch für die Aufnahme eines Fluchtstabs, der von den römischen gromatici als Festpunkt benutzt wurde. Er liegt etwa in der West-Ost-orientierten Hauptachse der Thermen in der Mitte des Scheitels der großen westlichen piscina des frigidarium27.

26 Schmidts 2021, 111–112. Dieselben Großbetriebe haben z. B. auch für den Bau des Kastells Divitia (Köln-Deutz) Ziegel produziert. – Zur Verwendung von Ziegel in Rom in der Zeit der Tetrachen: Bauer 2011, 24–25. 27 Reusch 1970/71, 244–246, Taf. 17–18. – Der angebliche Zirkelabdruck im Gewölbe des Ganges 19‘ ist nach neueren Erkenntnissen nicht der Abdruck eines Zirkels, sondern der eines gebrochenen Holzspans, der beim Setzen des Lehrgerüsts für das Gewölbe abgefallen ist: Dodt 2020/21, 368.

Für die Fundamente wurden die älteren Wohnbauten28 der vier insulae abgerissen; an einigen Stellen überbauten die Fundamente auch ältere Mauern. Die Fundamente wurden mit Hilfe von Gerüsten gesetzt, d. h. in offenen Baugruben gemauert. Die Fundamente der westlichen und östlichen Langseiten des frigidarium sind mit 5,25 m sehr breit und weisen damit auf eine Decke aus einem Tonnen- oder Kreuzgratgewölbe hin. Sie setzen sich nach Norden und Süden bis zu den seitlichen Räumen S fort und sind beidseitig von Gängen begleitet. Die zahlreichen Gänge im Untergeschoss der Kaiserthermen dienten wohl nicht allein der Kanalisation und der Bedienung der praefurnia29. 2,40 m breite, später zugesetzte Öffnungen in den Außenmauern der Gänge  34, die in der Flucht der von Westen kommenden Gänge 32 und 33 lagen, wurden von Krencker als Bauöffnungen für den Transport von Baumaterial in den Bereich des Badeblocks gedeutet30. Mit der Einwölbung dieser Gänge wurden die Transport­öffnungen geschlossen. Die Errichtung der Kellergänge bzw. ihre Einwölbungen gehören zu einem zweiten Bauabschnitt, der im ersten Bauabschnitt durch Absätze an den Fundamenten, auf denen die Ganggewölbe aufgesetzt wurden, vorbereitet wurde. Die Mauern auf den Außenseiten der Gänge sind weniger tief fundamentiert, d. h. ihre Unterkanten reichen nur so tief wie die Gangsohlen31. Die Konstruktion des aufgehenden Mauerwerks des Rohbaus bildet den dritten Bauabschnitt. Während des Hochmauerns einzelner Bereiche des Rohbaus entstanden Horizontalfugen, als der Bau an der jeweiligen Stelle für kurze Zeit unterbrochen wurde, um an anderen Stellen den Bau auf gleiche Höhe zu bringen. Als dann an der einen Stelle weitergebaut wurde, war der Mörtel des unteren Bauabschnitts abgebunden32. In der Nord-Ost-Ecke des caldarium wurden zwischen den Horizontalfugen Abstände von 5,90 m (20 römische Fuß) gemessen. Am Rohbau lassen sich Beschädigungen der Steinköpfe in Form von Vertiefungen und teilweise rötliche Verfärbungen feststellen. Die Vertiefungen sind mit Mörtel und Ziegelstückchen ausgefüllt. Bisher lässt sich keine bessere Erklärung finden, als dass beim Rohbau das hölzerne Gerüst abgebrannt 28 Die Bauten unter der palaestra haben aufgrund ihrer Ausstattung wohlhabenden Persönlichkeiten gehört: Reusch/Lutz/Kuhnen, 2012. – Die Baureste unter den Badesälen der Kaiserthermen sind noch nicht ausgewertet. 29 Dodt/La Torre 2014, 23. 30 Krencker 1929, 96–97. 31 Nagel 1932. – Wegen der Anlehnung der Kellergänge an die Fundamente der Hauptbaderäume wird hier von der 2014 (Dodt/La Torre 2014, 23) geäußerten Deutung der Kellergänge als Substruktionen Abstand genommen. 32 Die Fugen sind nicht immer leicht erkennbar, da sie durch Fugenverstrich verdeckt sind, wenn dieser erhalten ist.

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Die Bedeutung der Kaiserthermen für die neue Residenz Trier

war und dabei die Oberfläche der Wände beschädigt wurde33. Der letzte Bauabschnitt bestand in den Installationen der Heizungen sowie der Wasserzu- und -abläufe. Für die Heizung wurden die Wandplatten der Hypokausträume und die Hohlziegel der Wandheizung (tubuli) mit T-Nägeln an der Wand befestigt. Aufgrund einer weiteren Planänderung wurden die Heißwasserwannen (alvei) in den seitlichen Konchen des caldarium höher eingebaut als ursprünglich vorgesehen. Daher musste der Scheitel der Rohbauöffnung für den Wasserabfluss aufgestemmt werden34. Dies kann nur für den betriebsfertigen Ausbau der Thermen geschehen sein. Ein weiteres Argument für den Betrieb der Kaiserthermen bietet der Vergleich mit den genannten Bauzeiten der viel größeren Diokletians-Thermen (s.o.) sowie der Caracalla-Thermen in Rom35. Die bisher angeführten Belege für die „lapidar geäußerte Ansicht Krenckers“36, die Kaiserthermen seien nicht fertig gestellt worden, halten einer Überprüfung nicht stand37. Auch die von Wilhelm Reusch als Beleg angeführten Mörtelreste in den Abflusskanälen der großen piscina N‘ und die Erhaltung des Mörtelkegels für den Vermessungsstab lassen sich auf zu niedrig angesetzte Nutzungsniveaus zurückführen; bei der Korrektur der Höhen lässt sich das Argument der Mörtelreste entkräften. Problematisch ist auch die Annahme der Erhöhung des Umbau-Hofs38 gegenüber der Thermen-Palaestra, während das Nutzungsniveau des Thermen-Umbaus in den (ehemaligen) Baderäumen tiefer gelegt wurde. Das Palaestra-Niveau der Thermennutzung wird dem des Hofs des Umbaus entsprochen haben. Der Umbau ist in die valentinianische Zeit zu datieren39, als die Kaiser wieder häufiger persönlich in Trier residierten. Was Kaiser Valentinian dazu veranlasst hatte, die Thermen aufzugeben und das Gebäude umzunutzen – Bevölkerungsrückgang, Beeinträchtigung der Wasserversorgung oder Absicht,

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Dodt 2020/21, 370. Dodt/La Torre 2014, 22–23. Heinz 1983,128. Merten 2010/11, 254. Friedrich Drexel hat bereits 1930 in einer Rezension gefordert: „Doch müßten dafür schwerwiegendere Gründe vorgebracht werden, als das bis jetzt der Fall ist.“ (Drexel 1930, 43). – Vgl. Dodt/La Torre 2014, 20–25. 38 Der Ausdruck „Umbau“ wird bei den Trierer Kaiserthermen für den Zustand nach der Aufgabe als Badeanlage verwendet, dessen Funktion nicht sicher ist. Dieser Ausdruck stammt von älteren Untersuchungen. Um eine zu sperrige Umschreibung zu vermeiden, wird der Bauzustand auch hier ‚Umbau‘ oder ‚Thermen-Umbau‘ genannt. 39 Dodt 2015, 96–98. – Heimerl 2021, 111–112. – Die ‚Umbaukeramik‘ gehört allerdings in die Nutzungsphase nach dem Umbau und nicht in die Zeit des Umbaus der Kaiserthermen.

die Stadt durch einen Neubau prägen zu wollen – lässt sich nicht sagen. Bemerkenswert ist aber, dass am Standort der ehemaligen Thermen weiterhin ein kleines Bad an der Nordseite des ehemaligen caldarium vorhanden war. Es war im Reihentyp erbaut und bei der Ausgrabung vor über 200 Jahren noch gut erhalten40. Wenn der Umbau ein kaiser­licher Repräsentationsbau war, wie Cüppers seinerzeit vermutete41, ist dieses kleine Bad, wie das unter den Severern errichtete und unter Maxentius erweiterte Bad auf dem Palatin in Rom42, als ein kaiserliches Privatbad zu deuten.

Die Thermae Constantinianae in Rom Die Trierer Kaiserthermen zeigen einige Gemeinsamkeiten mit den jüngsten der großen Thermen Roms, den Thermae Constantinianae43 auf dem Quirinal (Abb. 4). Bei beiden Thermen ist der Block mit den Baderäumen an der Mittelachse lang gestreckt, während er beispielsweise bei den Caracalla- und den Diokletiansthermen in der Breite angelegt ist. Die Ausdehnung in der Länge anstatt in der Breite44 kann bei beiden Anlagen auf die topographischen Situationen zurückgeführt werden. Jedoch war es bei den Konstantinsthermen in Rom möglich, die Ausrichtung nach Süden einzuhalten. Das runde caldarium, das sie mit den Caracallathermen gemeinsam haben, weist in drei Richtungen gleich große Konchen auf. Im Unterschied zu den Trierer Kaiserthermen ist die Außenkontur nicht durch Apsiden gegliedert. Die kleineren beheizten Räume seitlich des caldarium haben bei rechteckiger Außenkontur gerundete Innenräume. Während die größeren Caracalla- und Diokletiansthermen von Rom mit Thermenbasiliken zur sportlichen Betätigung bei schlechtem Wetter ausgestattet wurden45, scheinen diese bei den Kaiserthermen und Kon­ stantinsthermen zu fehlen46. Gemeinsamkeiten bei beiden Badeanlagen bilden auch die Piscinen in der Mittelachse und den Schmalseiten des frigidarium. Die Raumreihe I–III seitlich des caldarium der Thermae Constantinianae entspricht den Caracalla- und Diokletiansthermen. Außerdem weist das Mauer-

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Quednow 1820, 53–62. – Dodt 2017, 135–138. Hussong/Cüppers 1972, 122–124. Wulf-Reidt 2011, 15–16 Abb. 14–15. Nielsen 1990a, 72; Niesen 1990 b, 4 C.13. – Manderscheid 1988, 182–183. 44 Yegül 1992, 169–172 Abb. 188–190. 45 Nielsen 1990a, 162. – Dodt 2003, 151–153. 46 Zum Vergleich zwischen den Trierer Kaiserthermen und den Konstantinsthermen in Rom: Krencker 1929, 282–383.

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Abb. 4 (links): Thermae Constantina­ nae in Rom nach Piranesi. Abb. 5 (rechts): Kon­ stantinsthermen von Arles.

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werk der Thermae Constantinianae mehr opus testaceum als bei den Trierer Kaiserthermen auf. Seit einigen Jahren werden die Konstantinsthermen einem Bauprogramm des Maxentius zugeschrieben, das wie die Maxentius-Basilica von Konstantin d. Gr. vollendet wurde47. Die Überlegung, die Trierer Kaiserthermen seien nicht vollendet worden, weil Konstantin die gesamte Staatskasse für den Aufbau von Konstantinopel verwendet habe48, kann durch die Beteiligung an diesem Bau infrage gestellt werden, abgesehen von seinem weiteren Bauprogramm in Rom49 sowie dem Bau von Thermen in Arles.

Konstantinsthermen in Arles In Arles, der Hauptstadt der Narbonensis, die Konstantin neben Trier zur Residenz erhob, ließ er in der ersten Dekade des 4. Jahrhunderts die nach ihm

47 Ziemsen 2011, 23–24. 48 Hussong/Cüppers 1972, 121–122. – Fontaine 2001, 124. 49 Für das Bauprogramm ist bezeichnend, dass in konstantinischer Zeit die Regionenverzeichnisse Roms redigiert wurden: Bauer 2011, 24.

benannten Thermen errichten50 (Abb. 5). Die Größe und die Raumzahl der Konstantinsthermen von Arles sind gegenüber den Trierer Kaiserthermen stark reduziert. Es gibt eine Mittelachse, an der nur das caldarium und die apsidiale Erweiterung nach Süden Symmetrien bilden, so dass Nielsen den Bauplan als „halbaxialen Ringtyp“ bezeichnet51. Ihre Bautechnik ist dieselbe wie die der Kaiserthermen und die große Apsis des caldarium weist nur ein Stockwerk mit drei Fenstern auf. An einem anderen Ort in Gallien, bei den Remern, ist inschriftlich überliefert, dass Kaiser Konstantin ihnen auf Kosten des fiscus ein Bad bauen ließ52.

Die konstantinischen Thermen von Konstantinopel Bei der Gründung von Konstantinopolis als neue römische Hauptstadt im November 324 n. Chr. durch Konstantin d. Gr. wurde wie in allen tetrachischen Städten – u. a. in Trier – ein Kaiserpalast errichtet. Jedoch war die Kaiserresidenz bis zur Einweihung am 11. Mai 330 noch nicht funktionstüchtig ausgebaut. Allein deswegen hatte Trier noch als Kaiserresidenz Bedeutung53 und ein Sohn Konstantins residierte weiterhin dort. Auch daher ist die oben genannte Vermutung zur Begründung des angeblich unvollendeten Baus der Kaiserthermen nicht nachvollziehbar. 50 „Thermes du Nord“: Yegül 1992, 323. – Zurückhaltender mit der konstantinischen Datierung: Nielsen 1990b, 14 C.97. 51 Krencker 1929, 248–249. – Yegül 1992, 323. – Manderscheid 1988, 66, Abb. 47. – Droste 2003, 122–126, Abb. 180–183 52 Meusel 1960, 70. 53 Salway 2012, 313.

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Die Bedeutung der Kaiserthermen für die neue Residenz Trier

Wie in Trier gab es bereits in Byzantion eine große Badeanlage, die durch Severus Alexander54 errichteten Zeuxippos-Thermen. Sie hatten zusammen mit dem Hippodrom entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung des Palastes55. Die Zeuxippos-Thermen waren zwar öffentliche Thermen, hatten aber – anders als die Trierer Kaiserthermen – auch einen direkten Zugang vom neuen Palast. Die von Konstantin d. Gr. erbauten großen Thermen sind vor allem aus schriftlichen Quellen bekannt56. Nach der Einweihung Konstantinopels im Jahre 330 stiftete kein Kaiser mehr Thermen in Rom57.

Fazit Die Trierer Kaiserthermen gehören zum Programm des Ausbaus Triers als Residenz der römischen Kaiser. Ihr Standort liegt im Schnittpunkt zweier Achsen aus repräsentativen Großbauten Triers und befindet sich dort in der Nachfolge einer kleinen öffentlichen Badeanlage mit mehreren Bauphasen. Als monumentale Badeanlage stehen die Kaiserthermen in Konkurrenz zu dem bedeutendsten der älteren Bauwerke Triers, den Barbarathermen. Diese sind die größten Thermen Triers und weisen einen klar strukturierten Grundriss mit gestaffelten Apsiden der Heißbaderäume an der Südseite auf. Kaiser Maximianus, der zuerst kurze Zeit in Trier dann in Mailand residierte und von dort auch die Diokletiansthermen in Rom sowie Thermen in Karthago errichten ließ, könnte ebenso den Bau der Trierer Kaiserthermen initiiert haben. Diese waren wie die Diokletiansthermen für die Bevölkerung der Residenzstadt errichtet worden und nicht dem kaiserlichen Haus allein vorbehalten. Die bislang in der Forschung angeführten Gründe dafür, dass die Kaiserthermen unfertig geblieben seien, halten einer Überprüfung nicht stand. Beim Umbau der Kaiserthermen, dessen Anlass und Funktion nicht klar sind, wurde neben den ehemaligen Thermenräumen ein kleines Bad errichtet.

54 Derselbe ließ noch ein zweites großes Bad außerhalb der Stadt errichten: Meusel 1960, 87–88. 55 Bolognesi Recchi Franceschini 2003. 56 Yegül 1992, 324 Anm. 74. 57 Meusel 1960, 105.

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Die Residenz und der ‚Hof‘

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DER KAISER AUSSERHALB ROMS RECHTSPRECHUNG UND ADMINISTRATION WÄHREND DER REISEN DER HERRSCHER IN DEN PROVINZEN von Werner Eck

„Rom ist dort, wo der Kaiser ist“ = Ἐκεῖ τε ἡ Ῥώμη, ὅπου ποτ’ ἂν ὁ βασιλεὺς ᾖ1. Diese Worte legt der Historiker Herodian, der kurz vor der Mitte des 3. Jahrhunderts seine Geschichte des „Kaisertums nach Marc Aurel“ schrieb, dem betagten Konsular Claudius Pompeianus in den Mund, als dieser sich im Jahr 180 an seinen Schwager Commodus wandte, der eben die Herrschaft von seinem Vater Marc Aurel in Pannonien übernommen hatte. Die Rede schien Pompeianus nötig, weil der junge Kaiser von einigen Leuten dazu ermuntert worden sein soll, die kalte und unwirtliche Region an der Donau und den Krieg gegen die auswärtigen Feinde zu verlassen, um wieder nach Rom mit seinen Annehmlichkeiten zurückzukehren. Der konsulare Senator betont dagegen, man müsse diesen Ort nicht verlassen, denn hier an der Donau sei ja eben Rom, weil Commodus, der Kaiser, hier anwesend sei. Wo immer sich der Kaiser aufhalte, werde Rom als politische Macht durch ihn repräsentiert. Diese Vorstellung der Identität von Rom und Kaiser, die der Pompeianus des Autors Herodian hier entwickelt, konnte auch deshalb mit solcher Selbstverständlichkeit geäußert werden, weil die römischen Herrscher seit Augustus ihren nie angezweifelten Sitz in Rom hatten, eine Fortsetzung der politischen Zentralität der Stadt seit den Zeiten der Republik. Neben Rom gab es kein zweites imperiales Zentrum mehr. Erst seit der Mitte des 3. Jahrhunderts schwächte sich diese selbstverständliche Zentralität essentiell ab, als immer mehr Kaiser sich kaum noch in Rom aufhielten oder es nicht einmal mehr während ihrer mehr als kurzen Regierungszeit besuchen konnten, nachdem sie irgendwo in den Provinzen akklamiert worden waren. Der Endpunkt dieser Entfremdung zwischen Rom und den

Kaisern wurde mit der Vielzahl der Herrscher in der ersten Tetrarchie erreicht, als die zwei Augusti und die zwei Caesares notwendigerweise mehrere kaiserliche Zentren erforderten2. Sie sollten und mussten auch faktisch an verschiedenen Orten sein, das war die raison d’être der Tetrarchie, es ging um die Vervielfältigung der kaiserlichen Präsenz. Die daraus folgende Permanenz außerhalb von Rom, die stets auch durch die militärische Lage erforderlich wurde, hatte notwendigerweise an vielen Orten massive Baumaßnahmen zur Folge, ebenso mussten aber dort auch von Rom losgelöste administrative Einrichtungen entstehen, die vorher nur in der Umgebung des Kaisers und damit in Rom geschaffen worden waren. Jetzt entwickelten sich diese Einrichtungen notwendigerweise auch außerhalb. Ob in Nikomedien, Trier, Mailand, Corduba, York oder vielleicht auch in den Kaiservillen wie Gamzigrad oder Split: Dort hatten, wie es die Leitung der einzelnen Reichsteile erforderte, die verschiedenen zentralen officia der kaiserlichen Administration ihren dauerhaften Platz gefunden, die vorher allein in Rom vorhanden gewesen waren. Denn ohne sie wäre Regieren nicht möglich gewesen. Jeder Kaiser war zwar allmächtig, aber eben nur, weil er sich auf die im Laufe der Zeit massiv gewachsene und strukturierte Administration stützen konnte, in der zahlreiches in sich gegliedertes Personal unter der Leitung von Personen ritterlichen Ranges die notwendigen Entscheidungen vorbereitete und vor allem ausführte. Die Anfänge dieser kaiserlichen Verwaltung gehen schon auf Augustus zurück, ihr Ausbau beschleunigte sich seit der claudischen, dann der flavischen Zeit, worauf im 2. Jahrhundert mehr und mehr eine Art Systematisierung erfolgte, die aber

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2 Siehe den treffenden Titel der Publikation von Bauer 2012.

Herodian 1, 6; der oben zitierte Satz steht 1, 6, 5. Der Satz wurde aufgenommen von Mayer 2002.

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nie abgeschlossen war und kontinuierlich Neuerungen erforderte. Solange die Kaiser sich in Rom aufhielten, war der Zugriff auf all die Personen, die für die Herrscher persönlich (also der sogenannte Hof), vor allem aber für die administrative Lenkung des Imperiums erforderlich waren, nicht mit Problemen verbunden. Das blieb auch so, wenn die Herrscher von Zeit zu Zeit Rom verließen und sich in eine der großen kaiserlichen Villen begaben, etwa auf dem Monte Albano, am Golf von Neapel, nahe bei Castel di Guido oder Civitavecchia, oder wenn sie aus traditionellen oder religiösen Gründen einzelne Städte besuchten3. Doch völlig losgelöst von den täglichen Regierungsgeschäften konnten die Kaiser auch dort nicht sein4. Von Traian berichtet Plinius, er habe sein consilium zu sich nach Civitavecchia berufen, um dort Rechtsfälle zu entscheiden. Routineangelegenheiten mussten dort zwar kaum erledigt werden, das konnte wohl auch nach der jeweiligen Rückkehr nach Rom geschehen. Dazu mussten weder die Leiter der einzelnen officia und noch weniger die gesamten Einrichtungen vor Ort kontinuierlich verfügbar sein. Doch obwohl vom Zentrum Rom aus sehr vieles entschieden werden konnte, war es doch nötig, dass der Kaiser sich auch anderswohin begab, um durch seine Anwesenheit die Macht Roms zu repräsentieren oder auch persönlich Entscheidungen zu treffen. Deshalb verbrachten nicht wenige Kaiser längere Zeiträume außerhalb Roms und Italiens entweder auf ‚Inspektionsreisen‘ durch die Provinzen oder immer wieder auf Feldzügen. Nur für wenige Herrscher ist überliefert, dass sie Rom, das Zentrum des Imperiums, oder jedenfalls Italien nie verließen, wie etwa Tiberius ab 14 n. Chr. oder später Antoninus Pius, der sich von Rom kaum weiter als bis Lorium entfernte5 trotz ihrer überdurch-

3 Zu den Orten, die von den meisten Kaisern in Italien, vor allem in Mittelitalien, immer wieder besucht wurden, siehe Chausson 2013. 4 Siehe etwa Schreiben verschiedener Kaiser, die nicht von Rom abgesandt wurden, sondern etwa von Castel di Guido, Neapel, Anzio oder Tibur (siehe die Schreiben bei Oliver 1989 Nr. 28; 45; 50; 157); oder aus der kaiserlichen Villa in Tivoli: AE 2019, 1970; aus Baiae: CIL V 5050 = Dessau 206. Besonders eindrucksvoll ist ein Dokument aus dem Jahr 134, nach dem Hadrian aus dem italischen Neapel Schreiben an zahlreiche Städte und Athletenvereinigungen, zudem an den Präfekten von Ägypten versandt hat: Petzl/Schwertheim 2006 = SEG 56, 1359. 5 Dass Antoninus Pius doch Italien verlassen habe und nach Ägypten gereist sein könnte, wie Mayer i Olivé 2021 annimmt, hat nicht nur keine Basis in den antiken Nachrichten, die Quellen schließen eine solche Reise sogar definitiv aus. Das zeigen die Bürgerrechtskonstitutionen des Kaisers, die durch mindestens 200 Diplome zwischen 138 bis 161 aus jedem Jahr bekannt sind. Wenn Antoninus Pius Italien verlassen hätte, würde in den Diplomen, die im Jahr der angeblichen Reise ausgegeben

schnittlich langen Regierungszeit. Doch beide waren Ausnahmen. Alle anderen hielten sich, zum Teil jahrelang, außerhalb Italiens auf, besonders ausgeprägt kennen wir das unter Hadrian und Marc Aurel; der eine wollte die Reisen unternehmen, den anderen zwangen Kriege, Rom für lange Zeit zu verlassen. Dass die Regierungsgeschäfte während dieser Zeit weitergingen und dass die Kaiser dabei auch von Personen begleitet werden mussten, die die verschiedenen Aufgaben auszuführen hatten, sind Selbstverständlichkeiten. Diese Reisen, vor allem diejenigen, die lange andauerten und bei denen an vielen Orten Station gemacht wurde, erforderten notwendigerweise eine massive logistische Organisation. Doch führte das im Allgemeinen wegen der Kurzfristigkeit der Aufenthalte an einzelnen Orten nicht zu festen und dauerhaften baulichen Einrichtungen, wie sie in Rom vorhanden waren oder eben seit dem späten 3. Jahrhundert auch in den neu errichteten Residenzen geschaffen wurden. Allerdings ist in nicht wenigen Fällen bereits seit augusteischer Zeit bekannt, dass sich manche Herrscher nicht nur wenige Tage, sondern mehrere Monate oder sogar, wie im Fall von Marc Aurel, auch mehrere Jahre an einem Ort aufhielten, wo nicht mehr improvisiert werden konnte, wo vielmehr auch die baulichen Voraussetzungen für die täglichen Routinetätigkeiten der Administration vorhanden sein mussten. Wo der Kaiser war, lief alles zusammen. Der folgende Überblick macht deutlich, dass solche lang andauernden Aufenthalte relativ oft notwendig waren, für die principes selbst und auch für mitregierende Angehörige der Familie6: Augustus hielt sich in den Jahren von 26 bis 24 v. Chr. längere Zeit in Tarragona auf, ebenso im Osten auf der Insel Samos zwischen 21 und 19 v. Chr. Ob er auch von 16 bis 13 v. Chr. in Gallien einen bevorzugten Aufenthaltsort hatte, wissen wir nicht. Es wäre aber nicht überraschend, wenn er von einem oder vielleicht von wenigen Orten aus über einen längeren Zeitraum seine Agenda in Gallien verfolgt hätte. Dazu wären dann vermutlich Einrichtungen, auch baulicher Art, notwendig geworden, in denen er und seine sicher zahlreiche Entourage leben und ihren Aufgaben nachgehen konnten. Immerhin ist z. B. für Germanicus als dem Oberbefehlshaber der Truppen am Rhein im Jahr 14 n. Chr. eine domus Germanici im oppidum Ubiorum bezeugt7.

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wurden, der Titel proconsul erscheinen, so wie es unter Hadrian und seit 161 auch bei Marc Aurel und Lucius Verus systematisch der Fall ist. Doch in keinem einzigen dieser Dokumente trägt Antoninus Pius diesen Titel. Das ist der definitive Beweis. Das Material dazu umfassend und präzis bei Halfmann 1986, 157 ff. Zu Reisen einzelner Kaiser siehe auch verschiedene Beiträge in Hostein/Lalanne 2013. Tacitus, ann. 1, 39.

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Der Kaiser außerhalb Roms

Traian verbrachte während des Partherkrieges mehrfach längere Zeit in Antiochien8; besonders einprägsam wird das für den Winter 114/115 berichtet, als er während eines Erdbebens nur mit knapper Not aus seiner Unterkunft entfliehen konnte9. Bei Cassius Dio findet sich eine sehr konkrete Beschreibung, wie durch die langdauernde Anwesenheit Traians die Stadt in vieler Hinsicht zentrale Funktionen erhielt10: „Der Kaiser hielt sich gerade in Antiochien auf, als sich ein schreckliches Erdbeben ereignete. Dabei erlitten zahlreiche Städte Beschädigungen, am allerschlimmsten aber traf es Antiochien. Da Traian den Winter dort verbrachte, waren auch viele Soldaten wie auch Privatleute dort zusammengekommen. Die einen wollten einen Prozess führen, andere kamen als Gesandte oder aus Handelsinteressen oder schließlich aus reiner Neugier. So gab es kein Volk und keine Provinz, die nicht zu Schaden gekommen wären; in Antiochien wurde die ganze bewohnte Welt, soweit sie den Römern unterstand, vom Unglück heimgesucht.“ Hadrian verbrachte den Winter 122/123 in Tarragona, den Winter 124/125 in Athen und dann nochmals in den Jahren 128/129 und 131/132. Dass dort die normalen administrativen Vorgänge weitergingen, lässt sich nachweisen. Denn in den Bürgerrechtsurkunden, die vom Spätherbst 128 bis zum Februar März 129 vom Kaiser abgesegnet wurden, fehlt der Titel proconsul, der sonst in diesen Dokumenten stets erscheint, wenn der Kaiser sich außerhalb Italiens in den Provinzen aufhielt; Athen aber war eine civitas libera und galt insofern nicht als Provinzgebiet11. Wo Hadrian sich vom Winter 132 bis Frühjahr 133, als er endlich nach Rom zurückkehrte, aufgehalten hat, wissen wir noch nicht12. Lucius Verus’ Aufenthalt in Antiochien-Daphne, fernab von den eigentlichen Kampfgebieten, wird von den literarischen Quellen für die Jahre 162 bis 165/6 betont herausgestellt, womit suggeriert wird, in dem luxuriösen Ort habe keine ernsthaf-

8 Zu den Folgen für die Entwicklung als Kaiserresidenz auch Mecella 2019 bes. 97; zu Malalas als Quelle für diesen Aufenthalt müsste man m. E. wohl weit skeptischer sein. 9 Das Datum ergibt sich aus den Fasti Ostienses; zur richtigen Rekonstruktion der einschlägigen Passage siehe die Argumentation bei Strobel 2019, 418 und 431 Anm. 2. 10 Cassius Dio 68, 24, 1f. (nach O. Veh mit kleinen Adaptionen). 11 Eck 2019, 481–500. 12 Zu den Aufenthalten des Kaisers in Ephesus, dem administrativen Zentrum der Provinz Asia, siehe vor allem Bowie 2013.

te Regierungstätigkeit stattgefunden13. Selbst wenn das in mancher Hinsicht zutreffen sollte, darf man nicht vergessen, dass Marc Aurel damals Rom nicht verließ, von dort aus die zentrale Macht verkörperte und dass dort alles, was zur Regierungstätigkeit gehörte, routinemäßig abgelaufen ist. Zwischen 170–175 und dann erneut von 177 bis 180 war Marc Aurel wegen der angespannten Lage und der Kriegsoperationen in den Donauprovinzen präsent, offensichtlich über Jahre am selben Ort; so wohl von 170 bis 173 in Petronell, 173 bis 175 in Sremska Mitrovica14 und während seines letzten Aufenthalts an der Donau seit 178 vornehmlich wohl in Stari Kostolac. Gestorben ist er, wie man annimmt, im römischen Wien15. Während der Feldzüge in Britannien hielt sich Septimius Severus seit 209 längere Zeit in York auf; während seiner Abwesenheit leitete sein Sohn Geta von dort die imperiale Administration. In dieser Stadt starb schließlich Severus. Caracalla überwinterte 213/214 in Nikomedien16; später nahm er während seines Aufenthalts im Osten mehrmals in Antiochien Quartier, wovon uns ein besonders sprechendes Dokument aus dem späten Mai des Jahres 215 über eine Gerichtsverhandlung überliefert ist17. Auch seine Mutter blieb dort, während er an die Euphratgrenze zog. Erst als Macrinus nach der Ermordung Caracallas zurückkehrte, musste sie die Stadt verlassen. Auch als Severus Alexander 231 bis 234 gegen die Parther zog, hatte er sein Hauptquartier in Antiochien. Maximinus Thrax verbrachte die Winter 236/237 und 237/238 in Sremska Mitrovica an der Donau. Nach Italien kam er erst Anfang des Jahres 238, wo er kurz darauf den Tod fand. Erneut hat sich Valerian längere Zeit in Antiochien aufgehalten; denn von dort wurden im Jahr 255 Schreiben an mehrere Städte abgesandt18. Wohl 256/257 war Köln für Valerian und Gallie­ nus das Zentrum, als sie germanische Angriffe an der Rheinfront abzuwehren hatten; dort etablierten sie auch eine eigene Münzstätte. Als Gallienus 258 an die Donau ziehen musste, blieb sein jüngster Sohn Saloninus als Caesar in Köln zurück, wo er schließlich 260 von Postumus besiegt und getötet wurde. Für Postumus blieb Köln das Zentrum19.

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Dazu im Detail Rossignol 2013. Philostratus, vitae sophistarum 2, 560; dazu unten S. 84. Aurelius Victor 16, 14; vgl. Epit. de Caesaribus 16, 12. Cassius Dio 78, 18, 1. Caracalla verließ Nicomedia erst nach dem 4. Februar 214, seinem Geburtstag (Cassius Dio 78, 19, 1). Zu diesem Aufenthalt siehe auch Christol 1997 und Speidel 2022. 17 AE 1947, 182 = 1974, 654. 18 Codex Iustinianus 5, 3, 5; SEG 17, 528: vom 18. Januar 255. 19 Christol 1997. – Eck 2004, 565–585.

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Es sind somit schon unter Augustus, zunehmend aber seit dem 2. Jahrhundert immer wieder Situationen eingetreten, dass sich ein Kaiser aus verschiedenen Gründen über mehrere Monate am selben Ort aufhalten musste, im Fall von Marcus Aurelius waren es viele Jahre. Die Zahl derjenigen, die mit dem Herrscher zusammen reisten und dann auch an den Orten mit längerem Aufenthalt lebten und den sehr weit gespannten Aufgaben im kaiserlichen Dienst nachgingen, kann von Anfang an nicht klein gewesen sein. Das gilt schon für die augusteische Zeit, aber in den folgenden Jahrzehnten ist mit der stärker formalisierten Administration und der Ausgestaltung des Hofes um den Kaiser ihre Zahl sicher deutlich angestiegen. Schon unter Caligula sollte – jedenfalls nach der Aussage Philos – neben dem engeren Kreis der comites und der verschiedenartigen Funktionsträger (ὁ μὲν [sc. ὄχλος] τῶν ἐν τέλει)20 eine große Zahl von Soldaten – Infanterie, Kavallerie und Flottenangehörige – und eine Menge an „Hofpersonal“ (ὁ [sc. ὄχλος] οἰκετικὸς) den Kaiser bei einer geplanten Reise nach dem Osten begleiten, wobei die Zahl des „Hofpersonals“, das aus kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen bestand, der Menge der Soldaten gleichgekommen sein soll21. Für Neros Reise durch Griechenland hat diese Beschreibung ohne Zweifel zugetroffen. Als Hadrian für das Jahr 130 die Reise nach Ägypten ankündigte, wurden schon im Jahr davor allein in einem Dorf so viele Vorräte gelagert, dass Tausende von Menschen damit ernährt werden konnten22. Viele weitere Beispiele für den geplanten Durchzug eines Kaisers mit seinem gesamten Tross lassen sich anführen, vor allem für Ägypten23. In der Begleitung des Herrschers waren insbesondere die praefecti praetorio; zunächst reiste meist nur einer von ihnen zusammen mit dem Kaiser, später taten das üblicherweise beide, die nicht nur die Prätorianerkohorten, die stets in der Umgebung des Kaisers blieben, kommandierten, sondern auch zunehmend als Richter tätig waren oder im Gerichtskonsilium den Herrscher unterstützten. Regelmäßig gehörte der ab epistulis Latinis24, später auch der ab epistulis Graecis zu dem wandernden Stab25, ebenso auch andere Leiter der palatinen of-

20 Smallwood 1961, 118 übersetzt den Begriff mit „a crowd of officials“. 21 Philo, leg. ad Gaium 252. 22 Halfmann 1986, 84. 23 Halfmann 1986, 74 ff. 24 Zum Beispiel HA, Hadr. 11, 3. 25 Das lässt sich auch aus den zahlreichen Schreiben ersehen, die während der Reisen einzelner Kaiser aus verschiedenen Städten der Provinzen abgesandt wurden, siehe etwa Oliver 1989; ein vereinzelter Beleg für einen Brief, der aus der CCAA (= Köln) unter Valerian und Gallienus abgesandt wurde: Roueché 1989, 1–8 Nr. 1.

ficia, wie es das Protokoll eines Gerichtsverfahrens vor Caracalla am 27. Mai 216 in Antiochien zeigt26. Vor allem kann der a libellis, der die Bittschriften annahm und ihre Beantwortung vorbereitete, nicht gefehlt haben. Auch der a rationibus müsste zumindest gelegentlich zu diesem mitreisenden Personenkreis gehört haben oder vielleicht auch ein Teil seines Personals. Denn wer sonst hätte die Gewährung von finanziellen Mitteln für die von den Kaisern gewährten beneficia notieren und deren Freigabe veranlassen können? Die Anwesenheit des a ratio­ nibus und von Personal aus seinem officium lässt sich mit weitgehender Sicherheit aus einer Grabinschrift schließen, die für einen [P.] Aelius [A]ug(usti) lib(ertus) [Chr]ysanthus in Butrint in Macedonia von seinen eigenen liberti errichtet wurde; denn sie bezeichnen ihn dabei als [ad]iutor a ration(ibus)27. Denn wie sonst sollte ein adiutor dieses stadtrömischen Verwaltungszweigs außer in der Entourage eines Kaisers in diese Provinz gekommen sein, zumal begleitet von seinen eigenen liberti? Der Name des Freigelassenen verweist auf Hadrian, der die Region mehrfach besucht hat28. Belegt ist, dass Ha­ drian auf der Rückreise aus dem Osten 125 Durazzo besucht hat, das wie auch Butrint in der Provinz Macedonia lag29. Ein anderer kaiserlicher Freigelassener, von dem nur das Cognomen Onesimus bekannt ist, wird in seiner Grabinschrift in Athen mit der Funktionsbezeichnung adiutor ab admissione bezeichnet. Diese Funktion kann nicht mit irgendwelchen Aufgaben in der Administration der Provinz Achaia erklärt werden30; sie gehört in das unmittelbare Umfeld des Kaisers. Das weist auf einen der Aufenthalte Ha­ drians in Athen hin. Zeitlich passt dazu, dass die Frau des Onesimus, die das Grabdenkmal für ihn errichtete, den Namen Ulpia Arsinoe trägt; man kann davon ausgehen, dass Onesimus vermutlich die Tochter eines traianischen Freigelassenen ge26 AE 1947, 182 = 1974, 654 = SEG 17, 759: Antio[chiae Imp(erator) Caesar] M(arcus) Aurel(ius) Antoninus Pius Fel(ix) Aug(ustus) Par(thicus) max(imus) Brit(annicus) max(imus) Ge[rm(anicus) max(imus)] cum sal(utatus) a praef(ectis) praet(orio) / e(minentissimis) v(iris) item amicis et princ(ipibus) offic(i)or(um) … 27 AE 1950, 171 = 2009, 1297 = Ehmig/Haensch 2012, 264. 28 Das Praenomen des libertus darf zweifellos als Publius rekonstruiert werden; es ist das ursprüngliche Praenomen Hadrians, das seine Freigelassenen getragen haben. Ein T. Aelius, also ein Freigelassener des Antoninus Pius, mit der konkreten Sachbezeichnung adiutor a rationibus wäre unter diesem Kaiser funktional in einer Provinz nicht erklärbar. 29 Halfmann 1986, 192. 30 Alle anderen kaiserlichen liberti, die in dieser Funktion tätig waren, sind in Rom und seiner Umgebung bezeugt, siehe z. B. CIL XIV 3457 = Dessau 1694 aus Sublaqueum, aus Rom selbst CIL VI 8698–8702.

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Der Kaiser außerhalb Roms

heiratet hat, was den Aufenthalt des Onesimus mit hoher Wahrscheinlichkeit in die hadrianische Zeit datiert31. Ein weiterer libertus Augusti, ein T. Aelius Titia­ nus, der die Funktion eines proximus a libris sacerdotalibus ausübte, wurde zwar in Rom bestattet, doch starb er, wie die Grabinschrift vermerkt, in Petronell; seine Frau erhielt vom Kaiser die Erlaubnis, seine Asche nach Rom zu überführen32. Dass Titianus mit Marc Aurel nach Carnuntum kam, ist kaum zu bezweifeln. Selbst diese eher ephemer erscheinenden Dienste für die libri sacerdotales mussten dem Kaiser dort zur Verfügung stehen33. Weitab von Rom ist eine solche Funktion zwar überraschend, sie war aber offensichtlich für die kaiserlichen Tätigkeiten, vermutlich als pontifex maximus, erforderlich. Nicht überraschend ist dagegen, dass dort nunmehr auch Prätorianerabteilungen nachweisbar sind; das war erwartbar und ist jetzt auch durch die Grabinschrift eines Soldaten aus der cohors VII praetoria nachgewiesen. Das Grabmal wurde für ihn nach seinem Tod im Jahr 171/72 errichtet34. Auch ein Ti. Claudius Augusti libertus Zosimus, der als proc(urator) praegustatorum Imp(eratoris) Domitiani Caesaris Aug(usti) Germanici in Mainz verstarb, muss in Begleitung Domitians in die obergermanische Hauptstadt gekommen sein, entweder als der Kaiser im Jahr 83 an den Kämpfen gegen die Chatten teilnahm oder als Domitian im Winter 88/89 erneut dort wegen des Aufstands des Statthalters Antonius Saturninus erschien35. Schließlich sei noch auf die Zeugnisse zur familia rationis castrensis verwiesen, die im Gefolge von Septimius Severus nach Nordafrika kam und den Kaiser und seine Familie in Lambaesis mit Statuen geehrt hat36. Ein einzelner kaiserlicher Sklave, der innerhalb der familia zu der Abteilung gehörte, die für die vestimenta der kaiserlichen Familie zuständig war, starb in dieser Zeit im algerischen Annaba37. Und auch ein Aurelius Gloriosus Augusti libertus der in Hegra in 31 CIL III 6107 = Dessau 1692. 32 CIL VI 8878 = Dessau 1685. 33 In einer Grabinschrift aus der Zeit des Severus Alexander sind z. B. diese differenzierten Dienste um den Kaiser bezeugt: praepositus a fiblis, praepositus a crystallinis (CIL III 536 = Dessau 1575). Ob solche Funktionen auch in Petronell präsent waren, lässt sich bisher nicht erkennen, liegt aber nahe; siehe den Verweis auf die vestimenta des Kaisers unten in Anm. 37. 34 Beutler 2020. 35 AE 1976, 504 = AE 1989, 564. Auch Claudia Aug(usti) l(iberta) Icmas und Vitullus Caes(aris servus), die in Mainz pro salute Augustorum, s(enatus) p(opuli)q(ue) R(omani) et exercitus Heiligtümer errichteten, könnten im Kontext der kaiserlichen Präsenz im Rahmen eines Feldzugs nach Obergermanien gekommen sein (AE 2006, 1015– 1016). 36 CIL VIII 2702–2703; AE 1914, 38. 37 CIL VIII 5234 = ILAlg I 33.

der Provinz Arabia als adiutor tabulari(i) eine Weihung für das Wohl Caracallas und seiner Mutter Iulia Domna errichtete, gehörte wohl zum administrativen Personal um den Kaiser, zumal er die Weihung auch an den Genius Hospiti und die Fortuna Redux richtete38. Er erhoffte wohl auch für sich selbst eine baldige Rückkehr nach Rom. All diese Beispiele zeigen, dass auch ein Teil des sogenannten Hofpersonals, also der großen Zahl an Sklaven und Freigelassenen, die für das Funktionieren der täglichen Lebens um den Kaiser zu sorgen hatten, ihren Herrn und Patron auf den Reisen begleiteten. Dass es oft nicht allzu schwerfiel, für den Kaiser selbst, zumal in größeren Orten, stets eine adäquate Unterkunft zu finden, darf man annehmen39. Vermutlich haben manche führenden Familien in einer Stadt sich sogar darum bemüht, den Kaiser zu beherbergen40. Sich als hospes oder ξένος αὐτοκρατόρων des Herrschers bezeichnen zu können, dürfte in der überschaubaren Öffentlichkeit einer Stadt zum persönlichen Prestige beigetragen haben41. Weit schwieriger war es, das zahlreiche Gefolge in adäquater Form unterzubringen. Bei längerfristigen Aufenthalten kann dieser umfangreiche kaiserliche Tross nicht nur in provisorischen Umständen gelebt haben und gleichzeitig den notwendigen Aufgaben nachgekommen sein. Wir wissen, welcher bauliche Aufwand etwa während der Reisen Caracallas, zumal dann im Osten, für die Unterbringung und die Erfüllung der kaiserlichen Wünsche betrieben werden musste, selbst wenn man einrechnet, dass Cassius Dio wegen seiner Abneigung gegenüber Caracalla manches wohl massiv überzeichnet hat 42. Doch wenn der Kaiser monatelang am selben Ort blieb, konnte das, was dort üblicherweise an baulicher Infrastruktur schon vorhanden war, nicht ausreichen. Diese muss dort erst geschaffen worden sein. In Antiochien kann vielleicht der noch aus seleukidischer Zeit stammende Königspalast, der vermutlich dem Statthalter Syriens als dauernder Sitz zur Verfügung stand, für die zahlreichen,

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EDCS 01101. Perrin Saminadayar 2013. Frija 2013. Bezeichnend ist vielleicht das inschriftliche Zeugnis aus Camerino für M. Maenius Agrippa Tusidius Campester hospes divi Hadriani. Die vicani Censorglacenses errichteten ihm eine Statue: consecuti ab indulgentia optimi maximique Imp(eratoris) Antonini Aug(usti) Pii beneficio interpretationis eius privilegia, quibus in p[e] r­­ petuum aucti confirmatique sunt (CIL XI 5632 = Dessau 2735). Wenn man in diesem Kontext erwähnt, der Geehrte sei hospes Hadrians gewesen, dann zeigt dies, dass ein solches sehr kurzlebiges Geschehen noch unter Antoninus Pius von Relevanz sein konnte. Siehe zur Bedeutung von hospites Halfmann 1986, 89; 133 ff. Zu ξένος αὐτοκρατόρων siehe SEG 56, 1195 42 Cassius Dio 78, 9, 6 f.

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sich auch über Monate erstreckenden Aufenthalte der Kaiser und seiner wichtigen Begleiter halbwegs ausgereicht haben. Aber die normalen Statthalterpaläste wie im israelischen Qesarya oder im römischen Köln, deren Ausdehnung genauer bekannt ist, können als Residenz für mehrere Monate nicht genügt haben, ganz zu schweigen von den Städten an der Donau, in denen Marc Aurel jahrelang als Kaiser residiert hat. Dort muss Neues geschaffen worden sein. In Petronell, wo er sich mehrere Jahre aufhielt, hat man freilich bisher archäologisch keine Baulichkeiten nachweisen können, die allein durch die Präsenz des Kaisers erklärlich wären43. Im Kontext des Streites zwischen den Athenern und Herodes Atticus nennt Philostrat das Gebäude in Sremska Mitrovica, in dem Marc Aurel lebte und in dem der Prozess stattfinden sollte, τὰ βασίλεια. Denn die Ankläger des Herodes hätten in der Stadt περὶ τὰ βασίλεια, in der Umgebung des Palastes des Kaisers, gewohnt, Herodes Atticus dagegen ἐν προαστείῳ, also in der Vorstadt, was konkret nichts Spezifisches aussagt, sondern nur auf die räumliche Distanz verweist44. Τὰ βασίλεια aber kann nur auf einen speziell für den Aufenthalt des Kaisers errichteten Baukomplex verweisen. Wenn das dort geschehen ist, darf man wegen der jeweils zweijährigen Aufenthalte Vergleichbares auch in Petronell und im serbischen Stari Kostolac annehmen. Es wäre durchaus möglich, dass diese Baukomplexe auch in der Folgezeit genutzt wurden. Unter Diocletian und Constantin sind beide Städte sehr häufig Stationen für die Kaiser mit ihrem comitatus gewesen, wie es deren Itinerar deutlich erkennen lässt 45. Im Osten sollte eine solch mögliche Entwicklung auch für Antiochien gelten. Die so geschaffenen Einrichtungen für das judikative und administrative Handeln der Kaiser außerhalb Roms bildeten die Basis oder zumindest das Modell für die dezentralen Zentren der späteren Zeit.

Literaturverzeichnis Barnes 1982: T. D. Barnes, The new empire of Diocletian and Constantine (Cambridge 1982). Bauer 2012: F. A. Bauer, Stadt ohne Kaiser. Rom im Zeitalter der Dyarchie und Tetrarchie (285–306 n. Chr.). In: Rom und Mailand in der Spätantike. Repräsentationen städtischer Räume in Literatur, Architektur und Kunst. Hrsg. von Th. Fuhrer. Topoi 4 (Berlin 2012) 3–85.

43 Dankenswerte Auskunft von Franziska Beutler. 44 Philostratus, vitae sophistarum 2, 560. 45 Barnes 1982, 49 ff.; 68 ff.

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Der Kaiser außerhalb Roms

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WANN WIRD EIN KAISERLICHER AUFENTHALTSORT ZUR RESIDENZ? BEOBACHTUNGEN UND ÜBERLEGUNGEN AM BEISPIEL DER HERRSCHAFT VALENTINIANS I. von Marcus Reuter

Mit über 400 bekannten Edikten zählt Valentinian zu denjenigen Kaisern, deren Gesetzgebungstätigkeit mit am besten überliefert ist1. Die Edikte sind aber nicht nur hinsichtlich ihres juristischen Inhaltes von Bedeutung. Da sie darüber hinaus auch das tagesgenaue Datum und den Ort überliefern, an dem sie erlassen wurden, können aus ihnen Rückschlüsse auf die Mobilität der Kaiser gezogen werden. Aufgrund des umfangreichen Bestandes an valentinianischen Edikten kann gerade für diesen Herrscher ein recht konkretes Bewegungsprofil rekonstruiert werden, das im Folgenden kurz skizziert werden soll. Dabei wird deutlich werden, dass die Anwesenheit Valentinians an zahlreichen Orten belegt ist, wobei allerdings die Dauer der Aufenthalte zum Teil stark variiert. So lässt sich die Anwesenheit des Kaisers an einem bestimmten Ort über einzelne Tage, aber auch über Wochen und Monate bis hin zu über einem Jahr nachweisen. Doch ab welcher Aufenthaltsdauer wird ein Ort zur Residenz? Valentinian trat am 25. Februar 364 n. Chr. in Nicaea seine Herrschaft an und zog von dort unmittelbar nach Konstantinopel, wo er sich mehrere Wochen – mindestens vom 28. März2 bis zum 17.  April3 – aufhielt. Spätestens ab Ende April war der Kaiser dann auf dem Weg nach Oberitalien, das er über Serdica, Naissus, Sirmium, Emona und Aquileia erreichte. Am zuletzt genannten Ort hielt sich Valentinian dann wiederum mehrere Wochen, mindestens vom 7.–29. September4, auf, bevor er über Verona nach Mailand weiterzog, wo er ab dem 9. November nachweisbar ist5. Hier blieb der Kaiser 1 2 3 4 5

Schmidt-Hofner 2008, 18. Die Datierung der Edikte folgt Seeck 1919. Wenig ergiebig für die Chronologie der Herrschaft von Valentinian I. ist dagegen Hughes 2013. Amm. Marc. 26, 4, 2. Cod. Th. 13, 1, 5. Heering 1927, 23. Cod. Th. 11, 30, 34.

nun mehr als 10 Monate, da seine Anwesenheit dort noch bis mindestens zum 24. September 365 n. Chr. belegt ist6. Erst als es im Spätsommer in Gallien zu erheblichen militärischen Problemen kam, sah sich Valentinian genötigt, seinen Aufenthaltsort an einen Platz nördlich der Alpen zu verlegen. Ab dem 18. Oktober7 hielt er sich daher zunächst für fast zwei Monate in Paris auf, bevor er nach Durocortorum/Reims weiterzog, wo er die nächsten eineinhalb Jahre verbringen sollte – sein durchgängiger Aufenthalt in dieser Stadt ist vom 28. Januar 366 n. Chr.8 bis mindestens zum 18. Juni 367 n. Chr.9 durch viele dort erlassene Edikte belegt. Im Herbst 367 n. Chr. verlegte Valentinian dann seinen Regierungssitz erneut, denn am 13. Oktober 367 n. Chr.10 finden wir ihn erstmalig in Trier, das nun für die folgenden siebeneinhalb Jahre zum wichtigsten Ort seiner Herrschaft werden sollte. Doch schon in den Sommermonaten des darauffolgenden Jahres, 368 n. Chr., sah sich der Kaiser gezwungen, gegen die Alamannen zu Felde zu ziehen11, nachdem der Gaukönig Rando am Ostermorgen Mainz überfallen hatte. Der Krieg gipfelte Mitte September in einer für Valentinian siegreichen Schlacht bei einem nicht näher bekannten Ort namens Solicinium im rechtsrheinischen Gebiet, bei der den Römern auch das Alamannenmädchen Bissula als Beute in die Hände fiel12. Sie sollte von Valentinian später dem Prinzenerzieher und Dichter Ausonius zum Geschenk gemacht werden, der sich unsterblich in sie verliebte und ihr mehrere Gedichte widmete. Mit

6 7 8 9 10 11

Cod. Iust. 11, 62, 3. Cod. Th. 11, 1, 13. Cod. Th. 12, 6, 13. Cod. Th. 9, 1, 8. Cod. Iust. 6, 4, 2. Bis zum 13. Juli 368 n. Chr. ist der Aufenthalt Valentinans in Trier nachweisbar; vgl. Cod. Th. 3, 5, 9. 12 Amm. Marc. 27, 10, 8–16.

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dem Beginn der kälteren Jahreszeit kehrte der Kaiser mit seinem Expeditionsheer wieder in das linksrheinische, römische Territorium zurück, wo die Soldaten ihre Winterquartiere bezogen. Valentinian selbst ist zum ersten Mal am 6. November 368 n. Chr. wieder in Trier nachweisbar13 und blieb dort bis zum Mai des folgenden Jahres. Während der Winter- und Frühjahrsmonate ist seine Anwesenheit in der Stadt durch mehrere Erlasse gut bezeugt. Den Sommer des Jahres 369 n. Chr. verbrachte der Kaiser hingegen wieder am Rhein, wo er die laufenden Baumaßnahmen zur militärischen Grenzsicherung des Reiches inspizierte. Während er noch am 14. Mai in Trier bezeugt ist14, hielt er sich bereits drei Tage später – am 17. Mai – in Confluentes/Koblenz auf15, um von dort aus dann rheinaufwärts zu ziehen. Am 4. Juni ist die Anwesenheit Valentinians in Aquae Mattiacorum/Wiesbaden bezeugt16 und am 19. Juni in Alta Ripa/Altrip17. Anschließend reiste der Kaiser entlang der Rheingrenze weiter nach Süden, denn am 30. August finden wir ihn nach Ausweis eines dort erlassenen Ediktes in Brisiacum/ Breisach18. Ob seine Reiseroute ihn damals noch weiter rheinaufwärts führte, bleibt unbekannt. Mit dem hereinbrechenden Herbst kehrte Valentinian jedenfalls nach Trier zurück, wo er erstmalig am 14. Oktober wieder bezeugt ist19. Für das nachfolgende Jahr 370 n. Chr. lässt sich das Bewegungsprofil des Kaisers leider nicht ganz so exakt rekonstruieren. Er hielt sich zwar nach Ausweis zahlreicher Edikte bis mindestens zum 1.  Juni in der Moselmetropole auf, doch zeigen ein am 31. Juli in Vangionum/Worms und ein am 15. August in Alteium/Alzey erlassenes Edikt20, dass Valentinian auch in diesem Sommer Trier verlassen und die laufenden militärischen Bauprojekte am Rhein inspiziert hat. Spätestens gegen Jahresende kehrte er jedoch wieder an die Mosel zurück, wie ein am 1. Dezember in Trier erlassenes Edikt belegt21. Die sommerlichen Inspektionsreisen der Jahre 369 und 370 n. Chr. scheinen offenbar zur Zufriedenheit Valentinians verlaufen zu sein, denn im Folgejahr, 371 n. Chr., hielt er sich zunächst auffallend lange in der Region Trier auf. Der Kaiser verbrachte die heißen Sommermonate allerdings nicht in der Stadt selbst, sondern in der Kaiservilla Contionacum/Konz, die sich nur wenige Kilometer moselaufwärts vor den Toren der Stadt befand.

13 14 15 16 17 18 19 20 21

Cod. Th. 1, 29, 3–4. Cod. Th. 13, 5, 12. Cod. Th. 8, 7, 10. Cod. Th. 10, 19, 6. Cod. Th. 11, 31, 4. Cod. Th. 6, 35, 8. Cod. Th. 9, 37, 7. Cod. Th. 11, 31, 5. Cod. Th. 14, 3, 12.

Den Umzug von Trier in die Sommerfrische können wir dank der kaiserlichen Edikte recht genau datieren: am 28. Juni 371 n. Chr. hielt sich Valentinian noch in Trier auf22, während wir ihn am Folgetag, dem 29. Juni, bereits in Contionacum/ Konz finden23. Dort muss er sich mindestens für die Dauer von eineinhalb Monaten aufgehalten haben, da das letzte bekannte Edikt, das von ihm in Konz erlassen wurde, vom 16. August 371 n. Chr. stammt24. Bald danach verließ Valentinian die Region, denn am 6. September ist seine Anwesenheit in Mainz bezeugt25. Ob er von dort aus weitere Grenzgarnisonen aufsuchte, ist durchaus denkbar, lässt sich jedoch nicht beweisen. Der Aufenthalt am Rhein kann allerdings nicht allzu lange gedauert haben, denn spätestens am 11. Dezember ist der Kaiser wieder in Trier nachweisbar26, wo er sich bis zum nächsten Frühjahr – bis mindestens Ende April 372 n. Chr. – aufhielt27. Bald danach verließ er erneut die Stadt und wechselte für mindestens drei Monate an einen nicht näher lokalisierbaren Ort namens Nas(s)onacum28, wo er am 30. Mai29, am 5. Juli30 und am 22. August31 mehrere Edikte erließ. Vermutlich dürfte es sich hier um eine kaiserliche Sommerresidenz im näheren (oder weiteren?) Umfeld von Trier gehandelt haben, ganz ähnlich wie die von Valentinian im Sommer zuvor genutzte Villa von Contionacum/Konz. Wie lange der Kaiser über den 22. August hinaus noch in Nas(s)onacum verweilte, muss offenbleiben, da für die nachfolgenden Monate leider keine Edikte erhalten geblieben sind, die über mögliche Aufenthaltsorte des Kaisers Aufschluss geben können. Erst Anfang Dezember 372 n. Chr. ist Valentinian dann wieder in Trier nachweisbar32, wo er erneut die Wintermonate bis mindestens zum 19. März des folgenden Jahres verbrachte33. Dieser Aufenthalt war von einem besonderen Höhepunkt geprägt, da Valentinian am 25. Februar 373 n. Chr. seine Decennalien feierte – das 10-jährige Regierungsjubiläum

22 Von diesem Tag sind sogar zwei Edikte bekannt, die in Trier erlassen wurden: Cod. Th. 10, 20, 5 und Cod. Th. 12, 1, 75. 23 Cod. Th. 9, 3, 5. 24 Cod. Th. 4, 6, 4. 25 Cod. Th. 15, 7, 2. 26 Cod. Th. 8, 5, 32. 27 Das letzte bekannte Zeugnis stammt vom 25. April 372 n. Chr.; vgl. Cod. Th. 15, 5, 1. 28 Zu der immer wieder vorgetragenen These, Nas(s)onacum sei mit dem heutigen Ort Nassonge in Belgisch-­ Luxemburg identisch, siehe Lorenz 1997, 155. Ein archäologischer Beleg dafür steht allerdings nach wie vor aus. 29 Cod. Th. 8, 7, 12. 30 Cod. Th. 6, 7, 1. 31 Cod. Th. 6, 4, 21. 32 Cod. Th. 16, 2.22 (1. Dezember 372 n. Chr.). 33 Cod. Th. 10, 19, 7.

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Wann wird ein kaiserlicher Aufenthaltsort zur Residenz?

wird der Kaiser sicher mit entsprechendem Prunk und Pomp in der Stadt begangen haben. Bereits fünf Jahre zuvor feierte Valentinian seine Quinquenna­ lien ebenfalls in Trier. Der weitere Verlauf des Jahres 373 n. Chr. lässt sich aufgrund der wenigen erhaltenen Edikte – wir besitzen für diesen Zeitraum lediglich vier Ortsangaben – leider nur bruchstückhaft rekonstruieren. Zumindest zeigt ein am 4. April in Alteia/Alzey erlassenes Edikt34, dass Valentinian in diesem Jahr ungewöhnlich früh seine Winterresidenz in Trier verlassen und sich erneut an die Rheingrenze begeben hat. Auch wenn von dort keine weiteren Zeugnisse vorliegen, so darf davon ausgegangen werden, dass der Kaiser damals eine Reihe weiterer Garnisonsorte entlang des Flusses besucht hat. Wie in den Jahren zuvor auch, kehrte er aber spätestens zum Jahresende, vielleicht auch schon etwas früher, wieder nach Trier zurück, wo er am 30. November ein Edikt an den Prokonsul von Africa erließ35. Ob Valentinian während der Wintermonate kurzfristig nach Mailand wechselte, wie man aus dem offenbar dort erlassenen Edikt vom 5. Februar 374 n. Chr. schließen könnte36, steht dahin. Stefan Lorenz sah einen Aufenthalt des Kaisers in Oberitalien kritisch und vermutete „eine fehlerhafte Interpolation der Handschrift oder einen Ort gleichen Namens in Gallien“37. Diese Annahme gewinnt umso mehr Gewicht, da Valentinian am 21. Mai38 und am 20. Juni39 in Trier bezeugt ist, ohne dass es bislang Hinweise auf andere Aufenthaltsorte des Kaisers in der ersten Jahreshälfte gibt. Gesichert ist, dass Valentinian im Sommer 374 n. Chr., wohl schon recht bald nach dem 20. Juni, erneut von Trier aus zur Rheingrenze aufbrach. Am 10. Juli hielt sich der Kaiser jedenfalls in einer befestigten Anlage auf, die den Namen „Robor“ bzw. „Robur“ trug40 und von der Ammianus Marcellinus berichtet, sie habe sich „prope Basiliam“, also in der Nähe von Basel, befunden41. Valentinian muss also in den vorangegangenen drei Wochen beachtliche Wegstrecken zurückgelegt haben! Die Rückreise verlief dann wohl entlang der Rheingrenze (auf dem Schiff flussabwärts?) nach Norden, da der Kaiser am 7. September in Mainz nachgewiesen ist 42, bevor für ihn das Jahr erneut in Trier endete, wo er spätestens am 3. Dezember,

34 35 36 37 38 39 40 41 42

Cod. Th. 10, 4, 3. Cod. Th. 12, 1, 73. Cod. Th. 13, 1, 10. Lorenz 1997, 157 f. Cod. Th. 11, 36, 22. Cod. Th. 13, 4, 4. Cod. Th. 8, 5, 33. Amm. Marc. 30, 3, 1. Cod. Th. 4, 13.7. Siehe dazu auch Schmidt-Hofner 2008, 156.

wahrscheinlich aber schon früher, eintraf43. Die Stadt diente Valentinian auch im Winter 374/375 n. Chr. für mindestens vier Monate als Residenzort; am 9. April 375 n. Chr. ist dort seine Anwesenheit zum letzten Mal belegt 44. Unruhen an der Donaugrenze zwangen den Kaiser jedoch schon sehr bald zum Aufbruch nach Pannonien, wo er sich spätestens ab August in Carnuntum45, dann in Aquincum46 und schließlich in Brigetio47 aufhielt, wo er am 17. November infolge eines Schlaganfalles verstarb. So viel in aller Kürze zum Itinerar Valentinians im Spiegel seiner Edikte. Was bedeuten nun aber die Aufenthaltsorte des Kaisers für die Nutzung und die Bedeutung der Trierer Residenz? Zunächst fällt auf, dass auch während der ‚intensiven‘ Jahre 367–375 n. Chr., als die Stadt zum bevorzugten Aufenthaltsort des Imperators wurde, der Kaiser in keinem einzigen Jahr durchgängig in Trier weilte, sondern die Sommermonate stets außerhalb der Stadt verbrachte. Dies war anfänglich gewiss der unsicheren Lage am Rhein, den daraus resultierenden Feldzügen und den militärischen Baumaßnahmen entlang der Flussgrenze geschuldet, die eine – zumindest vorübergehende – Präsenz des Kaisers erforderlich machten. Dass entsprechende Aktivitäten nur während der wärmeren Jahreszeit durchgeführt werden konnten, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Bemerkenswert ist jedoch, dass Valentinian auch später in den ruhigeren Jahren während der Sommerzeit Trier stets verließ und sich in den Jahren 371 und 372 n. Chr. für mehrere Monate auf kaiserliche Landsitze zurückzog. Ebenso konsequent kehrte Valentinian jedes Jahr im Herbst wieder nach Trier zurück und verweilte dort manchmal bis in den Frühsommer des folgenden Jahres. Anhand seiner Edikte wird deutlich, dass sich der Kaiser mindestens während folgender Zeiträume in der Stadt aufgehalten hat, wobei seine tatsächliche Anwesenheit unter Umständen noch erheblich länger gedauert haben kann: – 13. Oktober 367 n. Chr.–13. Juli 368 n. Chr. (ca.  8 Monate) – 6. November 368 n. Chr.–14. Mai 369 n. Chr. (ca. 6 Monate) – 14. Oktober 369 n. Chr.–1. Juni 370 n. Chr. (ca. 7,5 Monate) – 1. Dezember 370 n. Chr.–28. Juni 371 n. Chr. (ca. 7 Monate)

43 44 45 46 47

Cod. Th. 4, 17, 1. Cod. Th. 12, 6, 16. Cod. Th. 13, 6, 7 (3. August 375 n. Chr.). Amm. Marc. 30, 5, 13. Amm. Marc. 30, 5, 15.

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– 11. Dezember 371 n. Chr.–25. April 372 n. Chr. (ca. 5,5 Monate) – 1. Dezember 372 n. Chr.–19. März 373 n. Chr. (ca. 3,5 Monate) – 30. November 373 n. Chr.–20. Juni 374 n. Chr. (ca. 7 Monate) – 3. Dezember 374 n. Chr.–9. April 375 n. Chr. (ca. 4 Monate) Aufschlussreich ist auch ein Blick auf jene Zeiträume, in denen sich Valentinian nachweislich nicht in Trier aufgehalten hat. Auch hier ist zu beachten, dass die Abwesenheiten des Kaisers in der antiken Realität wahrscheinlich deutlich länger waren. – 17. Mai 369 n. Chr.–30. August 369 n. Chr. (ca. 3,5 Monate) – 31. Juli 370–15. August 370 n. Chr. (ca. 2 Wochen) – 29. Juni 371 n. Chr.–6. September 371 n. Chr. (2 Monate) – 30. Mai 372 n. Chr.–22. August 372 n. Chr. (ca. 3 Monate) – 4. April 373 n. Chr.: in diesem Jahr sind keine weiteren Daten bekannt – 10. Juli 374 n. Chr.–7. September 374 n. Chr. (ca. 2 Monate) Auch wenn sich die einzelnen Aufenthalte des Kaisers sowohl in Trier als auch außerhalb nicht mehr tagesgenau rekonstruieren lassen, so zeigt der Überblick über die Jahre 367–375 n. Chr., dass die kaiserlichen ‚Winteraufenthalte‘ in der Stadt stets deutlich länger dauerten als dessen Abwesenheiten während der Sommermonate. Zweifellos darf man daher ab 367 n. Chr. in Trier den bevorzugten Residenzort Valentinians sehen. Schwieriger zu beantworten ist hingegen die Frage, ob auch die Orte Contionacum und Nas(s)onacum, an denen sich Valentinian im Sommer 371 bzw. 372 n. Chr. für mehrere Monate zur Sommerfrische aufhielt, als Residenzen angesprochen werden dürfen. Gleiches gilt im Prinzip auch für die Inspektionsreisen der Sommermonate 369 und 370 n. Chr., bei denen der Kaiser beachtliche Wegstrecken zurücklegte und sich somit stets nur wenige Tage an einem Ort aufgehalten haben dürfte. Der Umstand, dass Valentinian auch während der Reisen laufend Gesetze ausfertigen ließ, zeigt, dass ihn ein größerer Verwaltungsapparat begleitete und es somit eine mobile Regierungszentrale gab, die auch außerhalb von Trier funktionierte. Dies deckt sich mit dem oft zitierten Satz von Herodian: „Rom ist dort, wo der Kaiser ist“48, wobei aber zunächst offen bleibt, ob der aktuelle Aufenthaltsort des Kaisers automatisch den Charakter einer Residenz hatte.

48 Herodian 1, 6, 5.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die lateinische Terminologie, die Ammianus Marcellinus bei der Schilderung des Kaiserhofes von Valentinian verwendet. Hier finden sich folgende identische Formulierungen49: – Amm. Marc. 28, 4, 9: „(…) an den Hof zurückberufen – (…) ad comitatum accitus“. – Amm. Marc. 28, 5, 12: „(…) schickten sie Gesandte an den Hof – (…) ad comitatum misere legatos.“ – Amm. Marc. 28, 6, 16: „Nichtsdestoweniger eilten die zuvor Genannten in weiten Tagesreisen an den Kaiserhof – nihilo minus tamen properant ad comitatum magnis itineribus ante dicti“. – Amm. Marc. 28, 6, 20: „An den Hof zurückgekehrt, täuschte er Valentinian mit niederträchtigen Lügen – reversus ad comitatum, arte mendaciorum impia Valentinianum fefellerat“. – Amm. Marc. 28, 6, 28: „Romanus reiste an den Kaiserhof – Romanus ad comitatum profectus“. – Amm. Marc. 30, 1, 3 „(…) und schrieb fleißig an den (oströmischen) Hof (des Valens) – (…) in metum scribendo ad comitatum.“ Der kaiserliche Hof manifestiert sich bei Ammian also nicht in einem repräsentativen architektonischen Gebäudekomplex, sondern vielmehr im (mobilen) Gefolge des Kaisers – dem comitatus. Da der Hof somit ortsungebunden war, stellt sich die Frage, was wir konkret unter ‚Residenzorten‘ zu verstehen haben. War damit jeder Ort, an dem sich der Kaiser gerade aufhielt, ein Residenzort? Trier erfuhr unter Valentinian jedenfalls einen erheblichen architektonischen Ausbau50, der sich auch auf den Bereich des sogenannten Palastbezirkes erstreckte. Mit der Palastaula – der heutigen Konstantinsbasilika – verfügte die Anlage zudem über eine repräsentative Audienzhalle, die es an anderen Orten von ihrer Größe und Ausstattung her nicht gab. Auch die jährlichen längeren Aufenthalte ab 367 n. Chr. sowie das Feiern der Quinquennalia und der Decennalia zeigen deutlich, dass Valentinian in Trier den zentralen Ort seiner Herrschaft sah – eine Residenzstadt war Trier im antiken Verständnis aber nur dann, wenn sich der Kaiser mit seinem Gefolge in ihren Mauern aufhielt.

49 Zur deutschen Übersetzung der Textstellen: Seyfart 1971. 50 Vgl. dazu den Beitrag von J. Hupe in diesem Band.

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Wann wird ein kaiserlicher Aufenthaltsort zur Residenz?

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Die Residenz als Ort von Repräsentation und Zeremoniell

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POMP AND CIRCUMSTANCE: RESIDENZ, HOF UND ZEREMONIELL* von Christian Rollinger

Einleitung Im 12. Jahrhundert verfasste Walter Map, ein walisischer Geistlicher und Gelehrter, eine bemerkenswerte Schrift über den englischen Königshof Heinrichs II., dem er angehörte. Sein „De nugis curialium“ („Über die Frivolitäten der Höflinge“) beginnt er vielsagend mit einem Vergleich zwischen dem königlichen Hof und dem Hof Luzifers in der Hölle und eröffnet diese prima distinctio mit Selbst­ ironie: „‚In der Zeit bin ich und von der Zeit spreche ich‘, sagt Augustinus, und fügt hinzu: ‚Aber was die Zeit ist, weiß ich nicht.‘ Ich kann mit gleicher Verwunderung sagen, dass ich Teil des Hofes bin und über den Hof rede und Gott weiß, dass ich nicht weiß, was der Hof eigentlich ist“1. Das Zitat ist unter Hofforschern – zumindest des Mittelalters – bekannt. Kaum eine Arbeit zu einem monarchischen Hof kommt ohne es aus und es illustriert in der Tat eine der größten Schwierigkei* Die folgenden Überlegungen versuchen, in der gebotenen Kürze Forschungen zum spätantiken Hof und Zeremoniell zu bündeln, die ich in den letzten Jahren betrieben habe. Notwendigerweise müssen diese Ausführungen knapp und skizzenhaft bleiben und die Ergebnisse anderer, umfangreicherer Arbeiten zum Teil wiederholen. Die Anmerkungen sind auf das zum Verständnis und zur Orientierung über die aktuelle Forschung Nötigste beschränkt; für detailliertere Ausführungen zu einzelnen Aspekten wird immer wieder auf meine Monographie zum spätantiken Zeremoniell (Rollinger 2024) sowie kleinere, flankierende Studien (Rollinger 2023a. – Rollinger 2023b. – Rollinger 2020) verwiesen. Leser mögen diese Form der akademischen Eitelkeit entschuldigen. 1 Walter Map., de nug. cur. 1.1: In tempore sum et de tempore loquor, ait Augustinus, et adiecit: ‚nescio quid sit tempus.‘ Ego simili possum admiracione (sic) dicere quod in curia sum, et de curia loquor, et nescio, Deus scit, quid sit curia. Zum Augustinus-Zitat siehe Aug., Conf. 11, 25.

ten, die mit dem Forschungsfeld verbunden ist: Was genau ist denn eigentlich der Hof? Das ist schlechterdings schwer zu sagen und das gilt zu einem besonderen – und im Grunde überraschenden – Grad für die Höfe der antiken Monarchien, von den hellenistischen Königen zu den römischen Kaisern des Prinzipats und der Spätantike. Die Bedeutung dieser Institutionen liegt in monarchischen Strukturen eigentlich auf der Hand und wird in den anderen historischen Epochen auch nicht bestritten. Dagegen wurde die Bedeutung z. B. des römischen Kaiserhofs für das Prinzipat nicht nur marginalisiert, sondern sogar gänzlich verneint oder seine Existenz zeitlich relativiert2. Für Aloys Winterling, der wichtige und grundlegende Arbeiten zur aula caesaris vorgelegt hat, liegt diese erstaunliche Geringschätzung der Bedeutung höfischer Kontexte in der Forschungsgeschichte begründet. Für Theodor Mommsen gehörte der kaiserliche Hof zum privaten „Hauswesen“ der Herrscher und die Tatsache, dass er sich mit dem Instrument des Staatsrechts nicht greifen ließ, führte dazu, dass Mommsen und seine Nachfolger ihn für Jahrzehnte aus den Augen verloren3. Zu Unrecht: Schon Cassius Dio beklagte schließlich, die

2 Verneint haben seine Existenz u. a. Gagé 1971, 191 und Veyne 1990, 619. Dagegen Winterling 1999, 37. Zu möglichen weiteren Gründen dieser Geringschätzung durch die Forschung (Fehlen entsprechender archäologischer Befunde in Analogie z. B. zu Versailles; Fehlen eines antiken Äquivalents zu Saint-Simon) siehe Talbert 2011, 2; diese können aber bestenfalls teilweise überzeugen. 3 Winterling 1999, 37. – Wallace-Hadrill 2011, 92. Mommsen selbst sah dabei durchaus die Bedeutung höfischer Strukturen und es wäre auch in der Tat überraschend, wenn ausgerechnet ihm, der schließlich auch noch in einer Zeit monarchischer Höfe lebte, dies entgangen sein sollte. Allerdings wurde das „Hauswesen“ der Kaiser gerne auf ‚sittengeschichtliche‘ Aspekte reduziert, wie etwa im Falle Ludwig Friedländer (vgl. Friedländer 1919–1924).

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Entwicklung des kaiserlichen Hofs habe genau die Entscheidungsfindungsprozesse und Debatten, die früher in Senat und Volksversammlungen geführt wurden, ins Verborgene, in den Palast verschoben4. Andrew Wallace-Hadrills Schlussfolgerung von 2011 gilt unverändert: „Mommsen was quite right: the court had no place whatsoever in the Roman constitution. On the other hand, Roman imperial history is incomprehensible without it“5. Umso wichtiger ist es daher, dass sich die althistorische Forschung auch mit dem Hof in all seinen Facetten beschäftigt. Unter diesem Begriff ‚Hof‘, hat man gerade bei den römischen Kaisern vieles und viel Unterschiedliches verstanden: das ‚Haus‘ bzw. den Haushalt des Herrschers ebenso wie eine staatstragende Institution; einen topographischen, architektonisch eingerahmten Raum ebenso wie ein soziales Gefüge; einen symbolischen Zusammenhang ebenso wie einen Ort konkreter Politik. Dabei wurden aber, wie Ben Kelly kürzlich festgehalten hat, nur die einzelnen Gliedmaßen seziert und analysiert, nicht aber der Körper als Ganzes6. Seine Elemente wurden rechts- und verwaltungshistorisch, sittengeschichtlich, sozialhistorisch, prosopographisch, archäologisch und kunsthistorisch, ritualund institutionengeschichtlich gefasst, doch blieb der Hof als Ganzes, sein Funktionieren und seine Rolle im römischen Staat, lange die sprichwörtliche Leiche im Keller der römischen Geschichte7. Erst seit den späteren 1990er Jahren hat sich die Situation deutlich verbessert und der (hellenistische, römische, zum Teil auch der spätantike) Hof ‚an sich‘ ist zum Untersuchungsobjekt geworden8.

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Cass. Dio 53, 19, 2–4. Wallace-Hadrill 2011, 92. Kelly 2022. Wallace-Hadrill 2011, 93: „the skeleton in the cupboard of Roman history“. Zu den unterschiedlichen Zugriffen (nur in der neueren Literatur) siehe Turcan 1987 (sittengeschichtlich); Saller 1982 (sozialhistorisch); Michel 2015 und Puech 2022 (prosopographisch); Sojc/Winterling/ Wulf-Rheidt 2013 und Schöpe 2014 (archäologisch und kunsthistorisch); Alföldi 1970 und Sumi 2011 (ritualgeschichtlich); Winterling 1997, Winterling 1998 und Winterling 1999 sowie Graves 1973 (institutionengeschichtlich). Die angegebene Literatur ist keinesfalls vollzählig, sondern illustrativ. 8 Neben den Arbeiten von Winterling (Winterling 1997.  –  Winterling 1998. – Winterling 1999) sind weiter Wallace-­Hadrill 1996 und Wallace-Hadrill 2011, Paterson 2007, Bang 2011 und Acton 2011 wichtige Beiträge zum römisch-kaiserzeitlichem Hof. Spawforth 2007 und Smith 2011 widmen sich explizit dem spätantiken Hof. Kelly/Hug 2022 ist die erste große, handbuchartige Synthese der Forschungen der letzten Jahrzehnte zum kaiserzeitlichen Hof. Zum hellenistischen Hof sie-

Wie wollen wir also den Hof fassen, um den es hier gehen soll und der für die Frage nach der Natur spätantiker Kaiserresidenzen naturgemäß eine ausschlaggebende Rolle spielt? Zwei althistorische Arbeiten der jüngeren Zeit bieten Arbeitsdefinitionen an, die im Folgenden miteinander verbunden werden und als Grundlage für unsere eigenen Betrachtungen dienen sollen: In der Einleitung ihres Sammelbandes zu den hellenistischen Höfen haben Andrew Erskine, Lloyd Llewellyn-Jones und Shane Wallace den Hof als „a circle of elite people and attendants (…) in orbit around a monarch as well as (…) a larger environment of political, military, economic, and cultural structures“ identifiziert, „which converged within the monarch’s household“9. Rolf Strootman hat dagegen dieselben Höfe als „(1)  the circle of persons (‚courtiers‘) around a ruler, (2) the ‚larger matrix of political and economic relations converging in the ruler’s household‘; and (3) the rooms and halls where the king lives, receives guests, and gives audiences and banquets, and where the rituals or [sic] royalty are performed“10 bezeichnet. Beiden Definitionen ist gemein, dass sie den Hof nicht auf eine Funktion oder eine Gestalt reduzieren, sondern ein Bewusstsein für die Vielfältigkeit dieses besonderen Raumes zeigen11. Besonders die Verbindung von sozialhistorischen sowie politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten einerseits, mit der Frage nach einer konkreten Topographie, Architektur und Performanz von Macht andererseits, eröffnet für unsere Begriffe einen lohnenden Zugang, gerade auch wenn die Frage nach der Rolle des Hofs im Kontext der Frage nach der Bedeutung und den Charakteristika von Kaiserresidenzen gestellt wird.

he Strootman 2014. – Erskine/Llewellyn-Jones/Wallace 2017. Vgl.  auch Rollinger 2024 für einen detaillierteren Forschungsüberblick, auf welchem die vorliegenden Ausführungen beruhen. 9 Erskine/Llewellyn-Jones/Wallace 2017, xxi. 10 Strootman 2014, 32. 11 Vgl. Winterling 1999, 9, der in seiner grundlegenden Arbeit zum römischen Hof darauf verzichtet, eine explizite Definition anzubieten. Vgl.  ebenfalls die stark sozialgeschichtlich geprägte Definition von Wallace-Hadrill 2011, 94: „The court, I propose, should be defined as the space around the ruler within which access to imperial favour is negotiated. The aula is not a building, though it has its monumental expression in the Palatium. Nor is it a legal or constitutional institution, such as Mommsen could recognize (…). Nor is it a bureaucracy, nor even the imperial household (…). It is the space within which all these groups and institutions intersect in the pursuit of power.“

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Pomp and circumstance: Residenz, Hof und Zeremoniell

Der Hof als soziales System Das gilt besonders für den spätantiken Hof und seine Residenz. Wie viele andere Aspekte des Römerreichs, so hat auch der kaiserliche Hof die Herrschaft Diokletians und seiner Mitherrscher und Nachfolger nicht unverändert überlebt und die Zeit um etwa 300 n. Chr. stellte eine tatsächliche, nicht nur eine ideologische Zäsur in der Entwicklung sowohl von Höfen wie auch von Residenzen dar12. Zum einen waren vor allem die Kaiser der Tetrarchie, aber auch noch der frühen konstantinischen und valentinianischen Dynastien sehr mobil. Sie mussten es sein, denn die Herausforderungen an den Grenzen und in den unterschiedlichen Provinzen des Reiches waren ebenso zahlreich wie groß. Da die Verwaltung des Reiches noch nie geruht hatte, nur weil der Herrscher auf Reisen war, begleitete der Hof, der nun als comitatus in den Quellen in Erscheinung tritt, natürlich den Kaiser: Der Hof war dort, wo dieser sich aufhielt. Das hatte Auswirkungen auch auf die Residenzen und Städte des Reiches, denn der Aufstieg der neuen Kaiserstädte war unmittelbar an diese Präsenz gebunden. Trier, Mailand, Nikomedien, Thessaloniki und später Konstantinopel wurden nicht zu wichtigen administrativen, politischen und kulturellen Zentren, weil Rom aufhörte, eines zu sein, sondern weil die Kaiser der Tetrarchie und ihre Nachfolger sich dort aufhielten. Zur räumlichen Distanz zu Rom kam eine gesellschaftliche, kulturelle, ja: mentale. Die Kaiser des 3. und 4. Jahrhunderts entstammten überwiegend nicht mehr der Aristokratie, nicht der provinziellen oder italischen und schon gar nicht der stadtrömischen; vielfach selbst altgediente Soldaten waren sie militärisch sozialisiert und weniger an die urbs Roma und die dortigen Gepflogenheiten und Umgangsformen gebunden. Ähnliches gilt auch für ihre Bediensteten und Untergebenen, die Mitglieder des comitatus, die Verwalter des Reiches. Der Hof entkoppelte sich sowohl von Rom wie auch von der dortigen Aristokratie. Im Gegenzug entstand eine neue Oberschicht; das was Arnold Jones eine „new imperial nobility of service“ genannt hat, ein Dienstadel also bzw. eine Funktionselite13. Das entscheidende Zugehörigkeitskriterium war nicht Geburt oder Rang in der traditionellen Prestige­ hierarchie der Senatorenschaft, sondern Dienst am Kaiser. Diese Entwicklung führte dazu, dass die Spitzen der zivilen und militärischen Hierarchien des Staates spätestens seit einem Gesetz Valenti­

12 Smith 2007, 179–186. – Smith 2011, 133. Zu zeremoniellen Veränderungen unter Diokletian siehe jetzt Rollinger 2023a (dort auch die ältere Forschung). 13 Jones 1964, 525f. – Schlinkert 1996a. – Schlinkert 1996b. – Schlinkert 1998, 143; 152–155. – Smith 2007, 179–186.

nians, vielleicht aber schon vorher, unlösbar mit der Senatorenwürde (als vir clarissimus) verbunden wurden. Dieses neue Clarissimat bestand sowohl aus Beamten heterogener sozialer Herkunft, die aufgrund ihres Amtes Senatoren waren, als auch aus Sprösslingen alter senatorischer Ämter, die in den kaiserlichen Dienst getreten waren14. Dabei waren die Ämter, die Zugang zum Senatorenstand verschafften, nicht mehr die traditionellen des cursus honorum, sondern auch und vor allem Hof- und Palastämter sowie die unterschiedlichen Amtsstufen der Zivilverwaltung. Die mobilen Kaiser des ausgehenden 3. Jahrhunderts nahmen ihre Sitze an unterschiedlichen Orten des Reiches und der Aufstieg dieser neuen Residenzen war unmittelbar an die Präsenz des kaiserlichen Hofes, des comitatus, gebunden. Dieser war nämlich beileibe keine abstrakte Größe, sondern umschloss hunderte, wenn nicht tausende Angehörige, besonders dann, wenn der Kaiser, wie fast immer, von einer Armee oder zumindest von starken Truppenabteilungen begleitet wurde. Eine Sicherheit, was Umfang und Zahlenangaben angeht, ist dabei schlecht zu erreichen. Der Hof des spätantiken Kaisers umfasste im engeren Sinn die Herrscherfamilie, die Beamten der Zentralverwaltung und die palatini, die Angehörigen des Palasts, die Gruppe von Menschen also, die regelmäßigen Zugang zum Herrscher hatte. Genaue Zahlen kennen wir nicht; für das 6. Jahrhundert und den Hof Justinians hat Karl Noethlichs die Gesamtzahl der Hofangehörigen auf ca. 6.500 geschätzt, von denen die Mitglieder der Bürokratie und der verschiedenen Leibwachen die größten Kontingente dargestellt haben dürften15. Andere Forscher haben für die Spätantike insgesamt ähnliche Zahlen vermutet16. Das ist nicht unplausibel, lässt sich aber kaum beweisen. An der Spitze dieser neuen kaiserlichen, höfisch-­ bürokratischen Hierarchie standen die proceres („Vornehmsten“) bzw. die ἄρχοντες („Obersten“), wie sie häufig bezeichnet werden17. Ihnen sind vor allem die obersten Chargen in der Hof- und Reichsverwaltung zuzurechnen, die in unmittelbarer Nähe des Kaisers tätig waren: magister officiorum omnium, quaestor sacri palatii, comes rerum privat14 Zum Wandel der Senatorenschaft in der Spätantike siehe grundlegend Jones 1964, 523–562. – Arnheim 1972, 39– 73. – Löhken 1982. – Schlinkert 1996b. – Schlinkert 1998. 15 Noethlichs 1998, 28. 16 Zum Beispiel Jones 1964, 367 (5.000–6.000). – Deichmann 1989, 114 (5.000). – Tantillo 2015, 546 (6.000). 17 Zum Beispiel Paul. Per., v. Mart. 3, 70–73. – Ven. Fort., Mart. 2, 69–70. – Claudian., IV cos. Hon. 5–6. – Cor., in laud. Iust. 3, 158. Der Begriff ἄρχοντες wird in den griechischen Quellen äquivalent verwendet, vor allem auch im Zeremonienbuch, wenn es um die Beschreibung spätantiken Herrschaftszeremoniells und der beteiligten Personen geht.

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arum, comes sacrarum largitiones. Diese vier Ämter, die gemeinsam die Reichsverwaltung dominierten, waren die sogenannten comites consistoriani, d. h. sie gehörten ex officio dem sacrum consistorium, dem kaiserlichen ‚Kronrat‘ an, wie man ihn zuweilen immer noch nennt18. Dieser konnte in der Tat sowohl Beratungs- als auch Gerichtsfunktionen ausüben; seine hauptsächliche Funktion war aber seine Rolle als Ort der zeremoniellen Inszenierung des Kaisers und seines Hofes19. Im consistorium fanden die formellsten Zeremonien statt: Audienzen, Bestallungen, Promotionen, Emeritierungen20. Zu den comites consistoriani gesellten sich der Oberkämmerer und Chef der Palastverwaltung an sich, der praepositus sacri cubiculi sowie wahrscheinlich eine Reihe von nachgeordneten Hofämtern und Stäben eben jener Beamten, die, wie die Leibwachen auch, in scholae oder in officia organisiert waren. Wie diese Hofangehörigen untergebracht waren, wo sie lebten, wohnten und arbeiteten, ob alle im Palast tätig waren oder an anderen Arbeitsstellen, wissen wir im Einzelnen überhaupt nicht. Die Palastarchäologie der Spätantike kann uns hier nicht weiterhelfen, denn nur in ganz wenigen Ausnahmefällen kennen wir überhaupt die genauen Ausmaße der Palastanlagen; eine funktionale Binnendifferenzierung der erhaltenen Räume ist nicht möglich, selbst nicht bei verhältnismäßig gut erforschten Komplexen wie dem Galeriuspalast in Thessaloniki21. Auch die Befunde in Antiochia, Mailand, Nikomedien, Sirmium, Trier und Konstantinopel sind in dieser Hinsicht häufig enttäuschend bzw. angesichts der zum Teil überaus schlechten Publika­ tionslage undurchsichtig22. Wir wissen schlicht nicht, ob neben der kaiserlichen Familie und den direkten Bediensteten des Palastes selbst (vor allem des cubiculum, also der Privatgemächer) sowie den garnisonierten Gardetruppen noch andere Gruppen die Paläste dauerhaft bewohnten. Gerade die hohen Beamten verfügten aber selbst über Wohlstand und Ansehen, waren Mitglieder der Aristokratie; sie haben eigene Anwesen und kleinere Stadtpaläste bewohnt und wir dürfen uns die spätantike Hofgesellschaft nicht als ein Versailles in Tuniken und chlamydes vorstellen23. In Konstanti18 Zu den comites consistoriani siehe Castello 2012. Zu den einzelnen Ämtern siehe Clauss 1980 und Castello 2010 (magister); Guilland 1971 und Harries 1988 (quaestor); Delmaire 1989a und Delmaire 1989b (zu den beiden comites); Scholten 1995 (praepositus). 19 Zum consistorium siehe Weiss 1975 und vor allem Graves 1973. 20 Rollinger 2020. 21 Vgl. Chrysafi 2021. 22 Für eine rezente Übersicht über die Forschungs- und Publikationslage siehe Jaeschke 2020. 23 Einzelne Indizien in den Quellen bestätigen das: Joh. Lyd., mag. 2, 26 bezeugt z. B., dass der magister officio­

nopel z. B. – und wahrscheinlich wohl auch in Trier oder Thessaloniki – hatten Prätorianerpräfekten nicht nur ein eigenes Anwesen, sondern auch ein deutlich vom Palast geschiedenes Amtsgebäude. Dennoch lässt sich der archäologische Befund zumindest ausnahmsweise und punktuell durchaus mit der auch in den Quellen bisweilen überlieferten oder aus ihnen herauszuarbeitenden stattlichen Anzahl von Personen in Einklang bringen, die zum Hof gerechnet werden konnte. Die Trierer Palastaula bietet zum Beispiel mit einer Grundfläche von ca. 1.600 m2 Platz für eine große Menschenmenge; selbst konservative Schätzungen gehen von mehr als 2.000 Anwesenden aus, die sich dort einfinden konnten24. Hof- und Verwaltungsämter waren stark begehrt, sowohl bei senatorischen Adligen als auch bei homines novi, die bei Erfolg in den Adelsstand aufsteigen konnten. Die Vorzüge schildert die autobiographische Skizze, die Johannes Lydos, ein Beamter der konstantinopolitanischen Prätorianerpräfektur des 6. Jahrhunderts uns hinterlassen hat: „mir wurde Ehre und der Respekt der Mächtigen zuteil, und, was natürlich am süßesten ist, ich verbrachte mein Leben in bequemen Umständen.“25 Anstelle der adeligen Geburt war nun der Dienst am Kaiser die herausragende Qualifikation für die Zugehörigkeit zur ‚neuen‘ Aristokratie, oder anders ausgedrückt: Adel wurde zu einer Konsequenz kaiserlichen Dienstes. Infolgedessen explodierte die Zahl der Mitglieder des Clarissimats im 4. Jahrhundert, ein Prozess, der durch die Schaffung eines zweiten Senats in Konstantinopel noch erheblich beschleunigt wurde26. Dies machte in der hierarchisch geprägten Ranglogik des römischen Hofes eine weitere Veränderung notwendig und es wurden eine Vielzahl von genau definierten Abstufungen und Nuancierungen eingeführt, die Präzedenz und Rang am Hof definierten. Das Clarissimat blieb weiterhin die Basis der Zugehörigkeit zum Senatorenstand (als vir clarissimus). Darüber rum ein eigenes Anwesen hatte und täglich zum Palast kam. Belisar, der berühmte Feldherr Justinians, wurde von Angehörigen des eigenen Haushalts zum Palast geleitet, wenn er sich dorthin begab (Prok., anek. 4, 20. 24). Ähnliches gilt für verschiedene Ehrenchargen am Hof, z. B. die Silentiarier; zumindest ist das in CTh 6, 23, 4, 1a implizit. 24 Vgl. Omissi 2018, 59–61. 25 Joh. Lyd., mag. 30, 2: ἔτυχον δέ τιμῆς καὶ τῆς ἀπὸ τῶν κρατούντων αἰδοῦς καί, τὸ δὴ πάντων γλυκύτερον, ἐν ἀνέσει τὸν βίον παρέδραμον. Zur Karriere des Lydos siehe Maas 1992, 24–31 und Dubuisson/Schamp 2006, xiii– lxxvi. 26 Zum Senat in Konstantinopel siehe Moser 2018.

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Pomp and circumstance: Residenz, Hof und Zeremoniell

hinaus wurden aber weitere Ränge eingeführt, die viri spectabiles und viri illustres. Um diese höheren senatorischen Rangstufen zu erreichen, mussten auch alteingesessene Aristokraten sich für Staat und Kaiser betätigen und öffentliche Ämter bekleiden; gleichzeitig wurden zivile und militärische Karrieren integriert. Die erste eindeutig belegte rechtliche Regelung dieser Würdenränge, Titel und Präzedenzen besorgte Valentinian I. in einem Edikt vom Juli 37227. Ein Vorankommen in diesem sozialen System höfischer Ränge und offizieller Würden erforderte nicht nur Kompetenz und Glück, sondern auch kaiserliche Gnade. Die Karrieren zweier bedeutender Aristokraten mögen das illustrieren; beide bekleideten 379 den Konsulat, das auch in der Spätantike noch prestigeträchtigste Amt des römischen Reiches. Einer von ihnen war Q. Clodius Hermogenia­ nus Olybrius, ein Vertreter des alten Adels, dessen Karriere wir durch eine stadtrömische Inschrift nachvollziehen können: Bevor er Konsul wurde, war er Statthalter Kampaniens (consularis) und Africas (proconsul), römischer Stadtpräfekt (praefectus urbis) sowie Prätorianerpräfekt erst Illyriens (praefectus praetorio Illyrici), dann des Ostens (Orientis)28. Es war dies eine im Kontext traditionelle Karriere gebürtiger Senatoren, die sich in der Provinz- und Zivilverwaltung betätigten. Sein Kollege im Konsulat, dagegen, war Decimus Magnus Ausonius, der nicht der traditionellen italischen Aristokratie entstammte, sondern Sprössling der südgallischen Provinzelite war29. Sein Vater, Iulius Ausonius, war Arzt und gehörte dem Dekurionenstand an; es ist nicht ausgeschlossen, dass er sein Leben als hausgeborener Sklave (verna) begonnen hatte und anschließend von seinem dominus freigelassen und als Erbe eingesetzt wurde. Seine Mutter, Aemilia Aeonia, entstammte wohl altem haeduischen Adel, erfreute sich aber weder großen Reichtums noch guter Verbindungen zur Aristokratie30. Iulius Ausonius brachte es zu Wohlstand und Ansehen; sein Sohn Decimus genoss eine ausgezeichnete Bildung und verbrachte den ersten Teil seines Lebens als Grammatiker in Toulouse, bevor Valentinian I. ihn als Erzieher und Lehrer seines Sohnes Gratian an den Hof nach Trier berief. Dort verbrachte Ausonius die nächsten zwei Jahrzehnte und konnte seine guten Beziehungen und Nähe zum Kaiserhaus in eine profitable und erfolgreiche

27 CTh 6, 7, 1; 6, 9, 1; 6, 11, 1; 6, 14, 1; 6, 22, 4. Vgl.  aber Schmidt-Hofner 2010: Es ist wahrscheinlich, dass Valentinian diese Rangfolge nicht ex novo schuf, sondern sie zumindest zum Teil bereits vorher existierte. 28 CIL VI 1714; vgl. PLRE I (Olybrius 3) 640–642. 29 Zu Ausonius siehe PLRE I (Ausonius 6) 140 f. mit Sivan 1993 und Coşkun 2002. 30 Coşkun 2002, 112–135.

Karriere ummünzen, erhielt unter Valentinian die comitiva, einen reinen Ehrenrang31, wurde anschließend aber quaestor sacri palatii (375–376) und unter Gratian, seinem ehemaligen Schüler, praefectus praetorio Galliarum (377–378), später Galliarum Italiae et Africae (378–379). Seine Karriere verdankte er der Nähe zum Kaiserhaus und war überwiegend auch mit Präsenz am Hof verbunden32. Beide – der gallische Parvenü und der römische Aristokrat – erreichten die höchsten Ränge der höfischen Gesellschaft, wie übrigens auch der oben genannte Johannes Lydos anderthalb Jahrhunderte später in Konstantinopel. Die Karriere am Hof war auch ein Mittel des sozialen Aufstiegs für diejenigen, die sich als tüchtig erwiesen und über gute Kontakte verfügten. Die Veränderungen in Zusammensetzung und Funktion der Aristokratie, die jetzt eine kaiserliche geworden war, waren wichtige Faktoren im Hofleben. Aber der Hof selbst war mit seinen raffinierten Rangordnungen und Titelnuancen auf seine Weise auch eine Art von social engineering, „a reconfiguration of the imperial elite within a structure that modified traditional categories of social status, even if the traditional names and titles associated with them were retained“33. Ein Element in diesem Prozess war die Weiterentwicklung höfischen Zeremoniells am Hof der Kaiser.

Gesten der Macht: Hof und Hofzeremoniell Eine der wichtigsten Funktionen von Höfen ist es, die Kommunikation zwischen Herrscher und (ausgewählten) Beherrschten, in unserem Fall die spätantike Dienstaristokratie, zu ermöglichen und zu regulieren. Der Hof, in der treffenden Formulierung von Jeremy Paterson, war ein Prozess, „a negotiation between the ruler and the subject“34. Was verhandelt, was gewonnen wurde, hing von der eigenen Position ab. Der Kaiser erreichte vorrangig eine Stärkung, eine Anerkennung seiner Posi­ tion; eine Einwilligung in die politische Realität des spätantiken Kaisertums. Aus Sicht der Aristokraten

31 Zur comitiva siehe Scharf 1994. – Schlinkert 1998, 145– 149. 32 Prätorianerpräfekten gehörten nicht zum eigentlichen Hof; in gewisser Weise hielten die Kaiser diese wichtigsten zivilen Verwaltungsspitzen auf Armeslänge. Residierten aber Präfekten und Kaiser am selben Ort – und das war sowohl in Trier als auch in Konstantinopel regulär der Fall – hatten auch sie regelmäßigen Zugang zum Hof. 33 Smith 2011, 139. Zu den Konsequenzen für die höfische Gesellschaft siehe Rollinger 2020. 34 Paterson 2007, 122.

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ging es um anderes: Für sie war es eine Verhandlung der eigenen Stelle, von Prestige, Rang, Einfluss und Wohlstand – Ressourcen, wenn man so will, die in der Hand des Kaisers gebündelt waren. Der kaiserzeitliche Philosoph Epiktet, selbst freigelassener Sklave und scharfer Beobachter der römischen Gesellschaft, formuliert es folgendermaßen:

Die erwähnten Verhandlungsprozesse sind fundamental für monarchische Herrschaft, denn sie beinhalten die von Epiktet zynisch hervorgehobene herrscherliche Patronage und Begünstigung, aber auch das Austarieren von relativen Machtpositionen und Hierarchien, sowie eine Regulierung der internen Konkurrenz innerhalb der monarchietragenden Schichten36. Das Medium dieser Verhandlungen war in der Spätantike auch und zunehmend das höfische Zeremoniell. Monarchische Höfe und Zeremoniell gehen Hand in Hand, denn in jenem Moment, da sich ein Herrscher auf einen fest etablierten Hof – verstanden als topographisch-architektonische Ensem­ ble und sozio-politisches System – stützt, benötigt dieser Hof Regeln und Usancen des Umgangs37. Das gilt, wie gerade die jüngere Forschung gezeigt hat, für das kaiserzeitliche Rom ebenso wie für die Spätantike, denn auch für die Höfe der principes war das Kaiserzeremoniell ein wichtiges Kommunikationsmittel, „a shared experience, a performance of consensus which demonstrated that all the actors, from the emperor himself to a slave holding the open door, assented to the structures and strictures of the court.“38 Dieser fundamentale Aspekt von Zeremo-

niell veränderte sich auch dann nicht, als etwa mit Beginn des 4. Jahrhunderts die Zeremonialität des Kaiserhofes gesteigert wurde. Unsere Quellen sind sich einig darin, in Diokletian den Urheber dieser gestiegenen Formalisierung zu sehen; er sei der erste gewesen, der sich, wie Eutropius sich ausdrückt, Gepflogenheiten bediente, „die eher königlichen Bräuchen als römischer Freiheit“ entsprachen39. Dio­ k letians Innovation wurde in der Forschung unterschiedlich bewertet; nachdem gerade die ältere Forschung in ihm gleichsam den Totengräber des ‚alten‘ Prinzipats erkannt zu haben glaubte, sahen jüngere Arbeiten in ihm vor allem einen Konsolidierer, in seinen zeremoniellen Reformen die Kanalisierung und Formalisierung teils ungeordneter, aber jedenfalls schon lange vorexistierender Trends40. Es ist aber nicht zu leugnen, dass die von ihm eingeführten zeremoniellen Umgangsformen im Hofzeremoniell – allen voran die formale Audienz und ihr wichtigstes Element, die sogenannte adoratio purpurae, also die kniefällige Ehrung des kaiserlichen Purpurs, sowie die quasi-religiöse Überhöhung des Kaisers sowohl performativ in Zeremonien wie auch ideologisch und repräsentativ – etwas qualitativ Neues waren41. Sicherlich war es auch unter den principes zu kniefälligem Flehen oder zum ostentativen Fußoder Saumkuss gekommen, wie Andreas Alföldi herausgearbeitet hat42; doch macht es einen Unterschied, ob diese Gesten individuell als spontane oder geplante Akte der besonderen Unterwürfigkeit ausgeführt werden oder ob sie Teil eines verpflichtenden, eingeforderten Zeremoniells waren, wie dies ab Diokletian der Fall war43. Aber worin lag die eskalierende Zeremonialität des Kaiserhofs unter den Tetrarchen und ihren Nachfolgern begründet? In den Quellen wird das ‚neue‘ Zeremoniell mit persischem Einfluss in Verbindung gebracht und die Forschung ist dem teilweise gefolgt44. Aber es werden auch alternative Erklärungen angeboten. So vermutet Aurelius Victor, Diokletians vermeintliche Liebe zum Prunk sei in seinem Charakter und seiner ‚niederen‘ Herkunft begründet, Zonaras dagegen wirft ihm hybris vor45.

35 Epikt. diatr. 4, 1, 59 f.: ἐπεί τοι οὐδεὶς αὐτὸν τὸν Καίσαρα φοβεῖται, ἀλλὰ θάνατον, φυγήν, ἀφαίρεσιν τῶν ὄντων, φυλακήν, ἀτιμίαν. οὐδὲ φιλεῖ τις τὸν Καίσαρα, ἂν μή τι ᾖ πολλοῦ ἄξιος, ἀλλὰ πλοῦτον φιλοῦμεν, δημαρχίαν, στρατηγίαν, ὑπατείαν. ὄταν ταῦτα φιλῶμεν καὶ μισῶμεν καὶ φοβώμεθα, ἀνάγκη τοὺς ἐξουσίαν αὐτῶν ἔχοντας κυρίους ἡμῶν εἶναι. 36 Vgl. Rollinger 2020. 37 Zur Unterscheidung von ‚Zeremoniell‘ (bzw. ‚Ritual‘) auf der einen Seite und ‚Protokoll‘ sowie ‚Etikette‘ auf der anderen siehe Duindam 1995, 99 und vgl. Rollinger 2024. 38 Vgl. Davenport 2022, 288. Zum Zeremoniell der Kaiserzeit siehe auch Sumi 2011. – Rossignol 2018.

39 Eutr. 9, 26. 40 Den aktuellen Forschungsstand gibt Carlà-Uhink 2019, 119–124 wieder (mit Verweisen auf die ältere Literatur). 41 Zur adoratio purpurae – der Begriff ist eine Konvention der Forschung: siehe Avery 1940. – Stern 1954. – Alföldi 1970, 46–65. 42 Alföldi 1970, 42–62. 43 Siehe Rollinger 2023a für den Versuch einer Neubewertung der diokletianischen Reformen. 44 Amm. 15, 5, 18. Vgl. Williams 1985, 111 f. – Roberto 2014, 70. 45 Aur. Vict. 39, 2–4. Zon. 162, 5–16 = 12, 31. Der byzantinische Schreiber Georgios Kedrenos verbindet schließlich all diese Ansätze und betont, die angeborene hybris des

„Denn sogar den Kaiser fürchtet ja niemand, sondern man fürchtet Tod, Verbannung, Gütereinziehung, Fiskation, Gefängnis, Schmach. Ebenso wenig liebt man den Kaiser, wenn er nicht von großem persönlichen Werte ist; sondern man liebt Reichtum, Volkstribunat, Prätur, Konsulat. Da wir diese Dinge lieben und hassen und fürchten, so kann es nicht anders sein, als dass diejenigen, welche darüber Meister sind, unsere Herren sind“35.

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Pomp and circumstance: Residenz, Hof und Zeremoniell

Alföldi hat gezeigt, dass der vermeintlich ‚persische‘ Einfluss in vielen Hinsichten nicht haltbar ist und wichtige zeremonielle Elemente bereits hellenistische und kaiserzeitliche Antezedenten kennen46. Auch der Verweis auf die Geltungssucht des Parvenüs Diokletian ist prima facie nicht überzeugend, denn er beruft sich letztlich nur auf klassische Tyrannentopik und Vorstellungen der negativen Auswirkungen von Macht auf die sie Ausübenden. In der Forschung ist es mittlerweile konventionell geworden, stattdessen den Grund für das gesteigerte Zeremoniell in den krisenhaften Umständen des 3. Jahrhunderts zu sehen. Diokletian habe versucht, durch die performative Steigerung der kaiserlichen Würde und Majestät die Position des Kaisers zu stärken und zukünftige Herrscher gleichsam gegen Aufstände und Usurpation in gewisser Weise zu ‚immunisieren‘; mithin hat man gemutmaßt, das Zeremoniell habe der ‚Domestizierung‘ der Aristokratie gedient, in Anlehnung an die bekannte These, die Norbert Elias in „Die höfische Gesellschaft“ für den Hof des Sonnenkönigs formuliert hat 47. Das ist ein Missverständnis. Sicherlich sollte die zeremonielle Superelevation des Kaisers dessen Autorität stärken; doch nicht unbedingt im Sinne einer ‚Immunisierung‘. Auch das elaborierteste Zeremoniell schützt den Kaiser nicht vor einem revoltierenden Usurpator. Die Stärkung der kaiserlichen Majestät bezog sich vielmehr spezifisch auf zeremonielle, d. h. kommunikative Kontexte am kaiserlichen Hof. Der rasante Anstieg der kaiserlichen Aristokratie, ihre Lokalisierung im comitatus des Kaisers, also in seiner unmittelbaren räumlichen Nähe, und – vor allem in späteren Jahrhunderten – die Immobilisierung der Kaiser in ihren Residenzstädten, machten es unabdingbar, den Zugang zum Kaiser zu regulieren. Das Zeremoniell war in dieser Hinsicht ein filtrierendes System: Es schränkte die Gruppe derer ein, die regelmäßig mit dem Herrscher in Berührung kommen konnten, bot den Rahmen, in welchem der Hof ihm begegnen konnte und stellte durch performative Elemente wie die adoratio oder die physisch herausgehobene Stellung z. B. des thronenden Kaisers sicher, dass seine eigene Position an der Spitze der Machtkonstellation ‚Hof‘ deutlich manifestiert und somit weitgehend akzeptiert wur-

Kaisers sei durch die Erfolge gegen die Sāsāniden verstärkt worden und aus den Feldzügen im Osten seien Diokletian und Galerius mit Juwelen, Perlen und ‚neuen Ideen‘ zurückgekehrt (Kedr. 299, 1 Tartagli). 46 Alföldi 1970 bes. 9–24. 47 Roberto 2014, 70 (Immunisierung). Die ‚Domestizi­e­ rung‘ der Aristokratie haben Bang 2011 und vor allem Weisweiler 2015 vorgeschlagen; vgl.  dagegen Rollinger 2020; zu den Aporien der Elias’schen Modells siehe Asch 2015.

de48. Das hieß aber im Umkehrschluss auch, dass diejenigen Hofchargen – magister officiorum und praepositus sacri cubiculi (Kämmerer) – die mit der Ausgestaltung und Umsetzung zeremonieller Anlässe betraut waren, aus ihrer ‚Herrschaft‘ über das Zeremoniell selbst wiederum Machtpositionen ableiten konnten, die ihre formelle Autorität ergänzten, insbesondere im Fall des praepositus, der kein eigentliches ‚Staatsamt‘ bekleidete, sondern als Vorsteher des kaiserlichen Haushalts im Grunde nur eine informelle Macht hatte und zudem, als Eunuch, sozial beeinträchtigt war49. Ein Beispiel mag das illustrieren: Nach der Usurpation des Magnus Maximus und der Ermordung des Gratian durch dessen eigene Truppen im Jahr 383, reiste Ambrosius, der berühmte Mailänder Bischof, zweimal im Auftrag des dort residierenden Valentinian II. nach Trier50. Im Trierer Palast wurde er zunächst durch den praepositus des Maximus begrüßt, einen gewissen Gallicanus, der fragte, ob Ambrosius in offiziellem Auftrag käme51. Als der Bischof dies bejahte, wurde ihm mitgeteilt, eine Audienz sei, wie es im diplomatischen Umgang üblich war, nur in einem förmlichen Rahmen, also im consistorium, möglich, der formellsten Form der Interaktion mit dem Kaiser52. Ambrosius reagierte verwundert, da dies, wie er schreibt, für einen Bischof üblicherweise nicht gelte – hohe Kirchenmänner scheinen also einen direkteren Zugang zum Kaiser als normal erachtet zu haben – und er vertrauliche Dinge mit dem Augustus zu besprechen habe53. Gallicanus (und Maximus) blieben hart: Ambrosius wurde im förmlichen consistorium empfangen54. Was zunächst wie ein trivialer Rangstreit, nach Hofart aussieht, zeigt in Wirklichkeit die Bedeutung des Zeremoniells. Worum ging es? Ambrosius wollte eine Privat­ audienz mit Maximus erreichen. Den Grund gibt er selbst an: Er wolle mit dem Kaiser persönlich und direkt über sensible Dinge – die Beziehungen zwischen Trier und Mailand, wohl auch die Herausgabe der sterblichen Überreste Gratians55 – verhandeln.

48 Vgl.  Tantillo 2015. Zur spätantiken Monarchie als Akzeptanzsystem nach Egon Flaig siehe Pfeilschifter 2013. 49 Zum magister officiorum und seinen Verantwortungsbereichen siehe Clauss 1980; zum praepositus siehe Scholten 1995. 50 Die beiden Reisen lassen sich nicht präzise datieren; siehe Dörner 2001 und vgl. Ambros., ep. 30 (24 Mauri) zum Bericht des Ambrosius zur zweiten Gesandtschaftsreise. 51 Ambros., ep. 30, 1; „Gallicanus“ kann sich auch auf die Herkunft des dann namenlosen Kämmerers beziehen. 52 Zur formellen Audienz in der Spätantike siehe Rollinger 2023b und 2024. 53 Ambros., ep. 30, 2. 54 Zum consistorium siehe Graves 1973. – Christophilopulu 1951. 55 Ambros., ep. 30, 9.

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Basierend auf seinem Status als Bischof, konnte er sich offenkundig Hoffnungen machen, eine solche Audienz zu erhalten. Wir haben verschiedentlich Belege dafür, dass hochrangige Kirchenmänner und ‚holy men‘ leichter Zugang zum Palast erhielten als andere und bei solchen Anlässen teilweise auch in die Privatgemächer von Kaiser oder Kaiserin eingelassen wurden56. Solche Audienzen im cubiculum waren nicht formlos; auch hier wurden die Umgangsformen im Umgang mit dem Kaiser oder der Kaiserin eingehalten, was insbesondere die adoratio umfasste. Dennoch unterschieden sie sich sehr deutlich von den förmlichen Audienzen im consistorium: Hier entfaltete sich der ganze Pomp spätantiken Zeremoniells57. Der Kaiser hielt solche Audienzen nicht alleine ab, sondern umgeben vom gesamten Hofstaat, von Beamten und Höflingen, von den vor Ort anwesenden Senatoren, von Leibwachen, Silentiariern und Palastbediensteten. Es waren kollektive, auf Einschüchterung und die Verstärkung absoluter kaiserlicher Majestät abzielende Zeremonien, bei denen der Kaiser auf der durch einen Baldachin gekrönten und räumlich erhobenen sedes augusta thronte, teilweise von Vorhängen verborgen, dann plötzlich enthüllt wurde. Der Empfangene musste den Herrscher mehrfach beim Eintreten und beim Austreten kniefällig adorieren, und das nicht im privaten, sondern im grellen Blick der gesamten Hoföffentlichkeit58. Es sei noch einmal auf die topographischen Spezifika hingewiesen: Wenn wir davon ausgehen, dass der Empfang des Ambrosius in der Trierer Palastaula stattfand, was naheliegt, hieße das, dass mehrere hunderte und bis zu ca. 2.000 Menschen an der Zeremonie teilnehmen konnten. In einem solch formellen Kontext hatte auch noch der ehrwürdigste Kirchenmann automatisch einen Nachteil. Mochte er bei der privaten Audienz im cubiculum mit der für Bischöfe und Heilige auch noch in der Spätantike üblichen par­ rhesia vor dem Kaiser auftreten, diesen bei doktrinären, inhaltlichen oder politischen Meinungsverschiedenheiten gar unverhohlen und ohne negative Konsequenzen beschimpfen oder verfluchen, so galt dies nicht für den formellen Empfang, bei dem das 56 Vgl. z. B. Marc. Diac., v. Porph. 39 f. 57 Die beeindruckendste Schilderung einer solchen Zeremonie, die spätantike Quellen überliefern, betrifft das Audienzzeremoniell des 6. Jahrhunderts: Corippus schildert in einer Art lyrischem Panegyrikus eine Audienz, die Justin II. 565 einer awarischen Gesandtschaft gewährte (Cor., in laud. Iust. 3, 151–407); daneben schildern mehrere Kapitel im Zeremonienbuch Konstantins VII., die auf Petros Patrikios, den magister officio­r um Justi­nians, zurückgehen, in großem Detail, was es bei solchen Audienzen zu beachten galt (de cer. 1, 87–90). 58 Zu den ideologischen Hintergründen und ihrer performativen Umsetzung vgl. auch Rollinger 2023b.

Zeremoniell streng eingehalten wurde59. Ambrosius war also durchaus gewieft, wenn er unter Umgehung der normalen Gepflogenheiten – die eine offizielle Anmeldung des Gesandten beim magister officiorum erforderlich machten, der dann wiederum eine förmliche Audienz zu planen hatte – versuchte, über den Umweg des praepositus eine private Zusammenkunft mit dem Kaiser zu erreichen60. Der Kämmerer, dessen Amt auch und gerade die Regulierung des Zugangs zum cubiculum umfasste61, verhinderte dies – sei es aus eigenem Antrieb, sei es auf Veranlassung seines Herren. Indem Maximus und sein praepositus den Gesandten Valentinians zeremoniell auf Armlänge hielten, wahrten sie ihre eigene Stellung und erhofften sich einen diplomatischen bzw. diskursiven Vorteil. Nebst der Regulierung des Zugangs zum Kaiser erfüllte das Zeremoniell noch eine weitere grundlegende Rolle: Es kommunizierte Hierarchien und Rang. Das tat es nicht auf eine abstrakte oder erst zu erschließende Art, wie das etwa bei Hoftiteln und Präzedenzlisten der Fall war, sondern körperlich, physisch. Bei Zeremonien, die den Kaiser einschlossen, wurde die körperliche Nähe und Positionierung der Hofangehörigen im Raum nach strengen Regeln der Hierarchie und der Präzedenz organisiert. Hochrangige Höflinge und Beamte, die proceres, standen z. B. auch beim Audienzzeremo­niell physisch näher am Kaiser als niedrige Chargen. Dieser Aspekt des Zeremoniells war zum einen kaiserliche Machtdemonstration: Nach seinen Maßgaben wurden die großen Aristokraten im Raum bewegt wie Schachfiguren. Wer befördert oder emeritiert wurde – auch dies erfolgte üblicherweise im formellen consistorium – wurde unmittelbar nach der Statusveränderung auch physisch neu ‚einsortiert‘ und nahm eine neue räumliche Stellung ein62. Somit ließ sich für den geübten Höfling die Bedeutung, der Rang, zum Teil auch der Einfluss einer

59 Beispiele dieser ‚heiligen‘ parrhesia finden sich in den Quellen häufiger; siehe etwa John Eph., beat. or. 2. = PO 17, 21–26; beat. or. 37 = PO 18, 630–634 und vgl. Leppin 2009. – Hasse-Ungeheuer 2016. 60 Zum normalen diplomatischen Protokoll, siehe de cer. 1, 87 und vgl. Rollinger 2024. 61 Vgl. Scholten 1995, 172 f. zu den zeremoniellen Aufgaben im Rahmen diplomatischer Austausche. 62 Petros Patrikios beschreibt das im Falle der Emeritierung eines comes admissionum; der nun ehemalige Amts­inhaber wurde mit dem Ausscheiden aus dem Amt in den Rang eines vir illustris erhoben, also in den höchsten Rang des Senatorenstandes, und nahm, nachdem er die Urkunde aus der Hand des Kaiser empfangen hatte, an seinem neuen Platz innerhalb der Anwesenden Aufstellung: hinter den agentes in rebus, aber vor den illustri ehrenhalber, die ihre Würde als Ehrentitel und nicht aufgrund einer geleisteten Amtszeit erhalten hatten (de cer. 1, 84). Vgl. Rollinger 2020.

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Pomp and circumstance: Residenz, Hof und Zeremoniell

anderen Person sofort an der symbolischen und hierarchischen Topographie ablesen. Dabei waren die Abstufungen äußerst subtil und wurden, wie in den Quellen deutlich wird, mit Adleraugen beobachtet. So beschreibt etwa Sidonius Apollinaris die Rangordnung bei einem kaiserlichen Gastmahl unter Majorian, welches in Arles stattfand, mit großer Sorgfalt: „Als erster Gast lagerte auf der linken Seite der Consul ordinarius Severinus (…); neben ihm Magnus, der vor längerer Zeit als Präfekt und kürzlich als Konsul amtiert hatte (…); nach ihm kam Camillus, der Sohn seines Bruders, der damit, dass er bereits selbst zwei ranghohe Ämter durchlaufen hatte, in gleicher Weise dem Prokonsulat seines Vaters und seines Onkels Konsulat Ehre gemacht hatte. Päo­nius lag neben ihm und neben diesem Athenius, ein in den Wechselfällen der Prozesse und der politischen Verhältnisse erprobter Mann. Auf ihn folgte Gratianensis (…), der in seinem Rang zwar hinter Severinus zurückstand, in der Gunst aber weit vor ihm lag. An letzter Stelle lag ich an der Stelle, wo die linke Seite des Purpurträgers sich am rechten Rand hinstreckte“63. Obschon Sidonius unmittelbar neben dem Kaiser zu Tisch lag, bekleidete er den schlechtesten, am wenigsten prestigeträchtigen Platz64. Das darf nicht irritieren; die Abstufung der Plätze ergab sich aus der Körperhaltung der Gäste. In der Spätantike speiste man auf halbkreisförmig angeordneten Sigma-­ Klinen65. Der Kaiser lag an der äußersten rechten Position, der Ehrengast ihm gegenüber auf der äußersten Linken. Da man auf die linke Körperhälfte gestützt lag, ging es hier weniger um direkte physische Nähe zum Kaiser, sondern um die Möglichkeit, mit ihm Blickkontakt herzustellen. Der Kaiser konnte das bei Sidonius nicht; Letzterer musste sich mit dem kaiserlichen Hinterkopf begnügen. Die von ihm beschriebene Rangfolge entspricht aber den Positionen der Gäste in der offiziellen Ämterhierar63 Sidon., ep. 1, 11, 10: primus iacebat cornu sinistro consul ordinarius Severinus (…); iuxta eum Magnus, olim ex praefecto, nuper ex consule […], recumbente post se Camillo, filio fratris, qui duabus dignitatibus et ipse decursis pariter ornaverat proconsulatum patris, patrui consulatum; Paeonius hinc propter atque hinc Athenius, homo litium temporumque varietatibus exercitatus, hunc sequebatur Gratianensis (…), qui Severinum sicut honore postibat, ita favore praecesserat, ultimus ego iacebam, qua purpurati latus laevum margine in dextro porrigebatur (Übers. Köhler 2014). 64 Zu kaiserlichen Gastmählern der Spätantike siehe Malmberg 2003. – Malmberg 2005. – Rollinger 2024. 65 Ellis 1997.

chie: am Ehrenplatz ein amtierender Konsul, dann, absteigend, ein gewesener Konsul, zwei gewesene Prätorianerpräfekten, dann weitere Gäste, deren Stellung wir nicht genau kennen, und schließlich, zuletzt, Sidonius, der zu diesem Zeitpunkt erst die relativ niedrige Auszeichnung eines comes innehatte. Beim Tafelgespräch, welches ebenso hierarchisch gegliedert war – Rang und Würde spielte durchaus eine Rolle für die Reihenfolge, in welcher der Kaiser mit Gästen sprach66 –, ging es um eine gerade kursierende Schmähschrift gegen Majorian; das Gerücht, Sidonius selbst sei der Verfasser, war dem Kaiser zu Ohren gekommen und während des Mahls sprach der Augustus ihn darauf an. Seine wenig ehrenhafte Position an der kaiserlichen Tafel resultierte also auch aus den Anschuldigungen, die gegen ihn im Raum standen67. Das Spiel beherrschten also nicht nur die Höflinge, sondern die Kaiser selbst ebenso. Durch zeremonielle Bevorzugung oder Auszeichnung versuchten sie diejenigen, die sie aus politischen oder religiösen Gründen auf ihre Seite zu ziehen hofften, zu gewinnen. Erneut mag ein Beispiel aus der Herrschaftszeit des Magnus Maximus dies illustrieren: Wiederholt hatte dieser Herrscher den berühmten Asketen Martin von Tours nach Trier eingeladen68. Die Einladung an und für sich war eine Auszeichnung für Menschen, die nicht dem Hof angehörten; aber wenn Martin sie annahm, war dies auch – und musste so gesehen werden – in gewisser Weise eine Anerkennung seiner Herrschaft als Augustus und damit auch eine Positionierung im Konflikt zwischen Maximus in Trier und Valentinian  II. in Mailand. Martin konnte die Einladungen nicht auf Dauer ablehnen; er nahm sie deshalb an. Durch einen Verstoß gegen das übliche Zeremoniell des Gastmahls dokumentierte er aber seine Unabhängigkeit und versuchte ein Zeichen zu setzen: Er lag nicht zu Tisch, sondern setzte sich auf einen Hocker neben dem kaiserlichen Platz. Als der Kaiser ihm dann seinen eigenen Kelch zum Trinken anbot – er-

66 Vgl. Sidon., ep. 1, 11, 12. 67 Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass eine Einladung an die kaiserliche Tafel per se eine herausragende Ehrung war, vor allem für solche Leute, deren offizieller Rang es ihnen eigentlich unmöglich gemacht hätte. Vgl. dazu eine spätere Quelle (10. Jahrhundert), die Präzedenzliste des Philotheos (Klet. 83): „In der Tat wird jede Auszeichnung im Leben, jeder ruhmreiche Titel der Ehrenränge, den Beobachtern nicht anders deutlich gemacht, als durch die Einladung an einen hervorgehobenen Platz am glänzenden Tisch und beim begehrten Speisen mit unseren sehr weisen Kaisern“ (καὶ γὰρ πᾶσα περιφάνεια βίου ἤ ἔνδοξος ἀξιωμάτων ἀξία ἐν οὐδενὶ ἄλλῳ τοῖς ὁρῶσιν ἐνδείκνυται, ἀλλ᾿ ἤ ἐν τῇ κλήσει τῆς προκαθεδρίας τῆς ἐν τῇ λαμπρᾷ τραπέζη καί περιποθήτῳ συνεστιάσει τῶν σοφωτάτων ἡμῶν βασιλέων). 68 Vgl. allgemein Roberts 1995. – Malmberg 2003, 11–14.

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neut eine bedeutende Auszeichnung – konnte Martin dies nicht verweigern, reichte aber eigenmächtig den Kelch an einen neben ihm befindlichen Priester weiter, um so die Bedeutung dieser Geste herunterzuspielen69. Das Zu-Tisch-Sitzen, eine konventionelle Darstellung sozial niedrigen Rangs, unterminierte die Absichten des Maximus: Der Herrscher wollte zeigen, dass der heilige Asket seine Herrschaft anerkannte und sich in seinen Hof fügte; der Asket dagegen kommunizierte durch zeremonielle Verstöße, dass er nicht zum Hof gehörte, indem er eine Position einnahm, die so subaltern war, dass sie mit dem Status als Hofmitglied inkommensurabel war70. Den übrigen anwesenden gallischen Bischöfen, die der Einladung gefolgt waren und sich in die symbolisch und physisch ausgedrückte Hierarchie des Hofes eingefügt hatten, machte der Asket dagegen Vorwürfe71.

Schluss Das spätantike Kaisertum seit Diokletian umgab sich bewusst und absichtsvoll mit beeindruckendem Pomp, der hier nur kurz anhand von wenigen Beispielen angerissen werden konnte. Dieser Pomp war aber kein Selbstzweck, war schon gar kein Ausdruck einer ‚spätrömischen Dekadenz‘; war aber auch nicht nur Repräsentation oder reine performative Darbietung einer fundamentalen kaiserlichen Ideologie. Das Zeremoniell der römischen Kaiser erfüllte im Kontext der Residenz, des Palastes, des Hofes mehrere überaus wichtige Funktionen: Es regulierte den Zugang zum Kaiser, reglementierte den Palastalltag, gab den Kontakten zwischen Herrschern und Beherrschten eine verbindliche, auf den Monarchen ausgerichtete Form. Es manifestierte Rang- und Standesunterschiede sowie Hierar­chien und war, um es zusammenzufassen, ein Medium der Kommunikation zwischen Kaiser und den für seine Herrschaft wichtigen Personengruppen: Reichsverwaltung (inklusive Militärs), Beamtenschaft und Aristokratie. Der Ort, an dem diese Gruppen regulär zusammenkamen war der Hof, war die Residenz, und daher kann es auch nicht verwundern, dass die Bedeutung des Zeremoniells vor allem dann stieg, als der kaiserliche Hof sich selbst immobilisierte. In Mailand, in Ravenna, in Konstantinopel waren Kaiser und Hof sich gegen-

69 Sulp. Sev., v. Mart. 20, 2–7. 70 Gleichzeitig bedeuteten die symbolischen Haltungen eine Art politischen Widerspruchs und entsprachen Martins Ruf der Askese. 71 Sulp. Sev., v. Mart. 20, 1: regiae clientelae sacerdotalis dignitas subdidisset.

seitig ausgesetzt, aufeinander angewiesen. Für zwei Jahrhunderte war der Kaiser kein umherziehender Feldherr mehr, kein Reise-, sondern ein Stadtkaiser. Dort, in der Residenz, wurden von ihm kommunikative Akte erwartet und die Form, die man ihnen gab, waren die Zeremonien des römischen Hofes.

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Christian Rollinger

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Die Residenz als Zentrum von Kultur, Kunst und Religion

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DER SCHÖNE STEIN? AUSSTATTUNGSLUXUS DER KAISERRESIDENZEN IM SPIEGEL DER „HISTORIA AUGUSTA“ von Elisabeth Günther

Die Erforschung der spätantiken Kaiserresidenzen hat in den letzten Jahren vielerlei Fortschritte erzielt1. Neben Topographie, urbaner Struktur und Architektur ist dabei zunehmend die Innenausstattung der Bauten unter rezeptionsästhetischen Fragestellungen in den Blick geraten2, doch wird die Untersuchung zur Anbringung und Platzierung von Marmorinkrustationen, Malereien, Mosaiken und Skulpturen durch den lückenhaften archäologischen Befund erschwert3. Der vorliegende Beitrag möchte daher eine andere Perspektive auf den Ausstattungsluxus antiker Residenzen bzw. Paläste einnehmen und zwar diejenige der literarischen Zeugnisse, die uns ein Bild davon vermitteln, welche Qualitäten und Bedeutungen dem Wohn- und Wirkort römischer Kaiser zugeschrieben wurden. Diese können dann wiederum mit den Beobachtungen anhand des archäologischen Befundes verglichen werden, freilich immer in dem Bewusstsein, dass das literarisch erzeugte Bild nicht der Realität entsprochen haben muss, sondern innerhalb eines teilweise fiktiven literarischen Kosmos in tradierte Topoi eingepasst wurde, Diskurse der jeweiligen Entstehungszeit spiegelt und bestimmte Aussageabsichten des Autors transportierte. Insofern gilt es bei jeglicher Heranziehung der literarischen Quellen, sich das jeweils in die Darstellung der mate­ riellen Gegebenheiten eingewobene ‚framing‘ durch die Autoren zu vergegenwärtigen4.

1 So etwa König 2003. 2 Siehe Ruppienė 2021a. Vgl.  auch den Beitrag von Y. Schmuhl in diesem Band. 3 Hier sei nur exemplarisch auf die Schwierigkeiten verwiesen, die Innenausstattung der Maxentiusbasilika zu rekonstruieren: Döring-Williams/Albrecht 2021. 4 Unter ‚framing‘ wird hier das gezielte Lenken der Rezipienten verstanden, unter ‚frames‘ mentale Verknüpfungen, die menschliches Wissen ordnen und im Per-

Eine besonders günstige Ausgangslage für unsere Thematik bietet die „Historia Augusta“, eine Sammlung von Kaiserviten (von 117 bis 283, mit einer Lücke zwischen 238 und ca. 260), die wahrscheinlich Ende des 4./Anfang des 5. Jahrhunderts verfasst wurde5 und damit aus späterer Zeit auf die Kaiser zurückblickt, also eine spätantike Per­ spektive auf diese einnimmt. Die dargebotenen Erzählungen der „Historia Augusta“ beruhen wohl nur zu einem geringen Teil auf Tatsachen6, stehen aber durchaus in einer literarischen Tradition und bilden vielfältige Diskurse ab: und zwar sowohl aus der Zeit der jeweiligen Quellen, derer sich die „Historia Augusta“ bediente – u. a. Herodian, Sueton, Cassius Dio7 – als auch der Zeit der Abfassung der „Historia Augusta“ selbst, also in der Spätantike mit einem gewandelten Verständnis des römischen Kaisertums8.

zeptions- wie Rezeptionsprozess abgerufen werden. Vgl. Günther 2021, 18–23. 5 Fündling 2006, 62–67, dort auch zu den Indizien und unterschiedlichen Forschungspositionen. Vgl.  zur Datierung der Vita des Elagabal in eben diesen Zeitraum Zinsli 2014, 281–290. Zur Autorschaft siehe Fündling 2006, 27–40; über die Zahl der Autoren und Zuordnung der Viten zu Autoren wird weiterhin diskutiert. Grundlegend: Dessau 1889. 6 Die Beschreibungen Roms beruhen zwar nicht auf eigenen Ortskenntnissen (Behrwald 2009, 174), allerdings wohl zu großen Teilen auf verlässlichen Quellen (Kolb 1994; Behrwald 2009, 158–170; speziell zum Palatin s. Behrwald 2009, 168 Anm. 53). Der Palatin zählt in der „Historia Augusta“ zu den wenigen topographischen Fixpunkten neben curia, capitolium, castra praetoria und circus (so Behrwald 2009, 173). 7 Vgl.  Kolb 1972; Kolb 1995; Zinsli 2014, 36–46 (Cassius Dio); 46–54 (Herodian); 103–114 (Sueton). 8 Die Erwähnung der Bauten und deren topographischen Bezüge in Rom beruhen auf Sueton, werden aber als literarisches Mittel für die Ausgestaltung eigener Narrative erweitert eingesetzt, siehe die Ausführungen in

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Elisabeth Günther

Zudem sind Hinweise auf die Kaiserpaläste und deren Ausstattung in der „Historia Augusta“ häufiger und umfangreicher als bei früheren Autoren wie Sueton oder Cassius Dio, da die Darstellung der Charaktereigenschaften des jeweiligen Kaisers großen Raum einnimmt und daher nicht nur von Ereignissen, sondern eingehend von den Gewohnheiten, Vorlieben und Exzessen der Kaiser gerade auch in ihrem Palast berichtet wird. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich daher auf die „Historia Augusta“ und zieht nur ergänzend weitere literarische Quellen hinzu.

Der Palast als Wohnsitz inner- und außerhalb Roms Der Begriff der Residenz ist modern9. In der lateinischen Literatur verwendet wird palatium, der sprachliche Vorläufer von ‚Palast‘10. Palatium war zunächst nur als Eigenname für den Palatinhügel in Rom in Gebrauch, wo sich das Wohnhaus des Augustus sowie die späteren Kaiserpaläste befanden, löste sich dann aber von diesem11. Die übliche Bezeichnung für das Wohnhaus des Kaisers war zunächst (das seit der Republik für senatorische Stadtresidenzen verwendete Wort) domus. Auch das Goldene Haus Neros wird in der antiken Literatur bekanntlich als domus bezeichnet12, wobei zu bemerken ist, dass gerade die Verwendung dieses Terminus die Absurdität des Komplexes deutlich werden lässt. Denn dieser erstreckte sich fast über die halbe Stadtfläche des antiken Rom und übersteigerte somit ganz offensichtlich das, was bislang als Wohnhaus der Elite galt, auf groteske Weise. Schon in dem von Sueton verwendeten Namen Domus Aurea schwingt also Kritik an dem baulichen Ensemble mit, das nach Ansicht von Plinius dem Älteren die Stadt geradezu umzingelte13. In der „Historia Augusta“ werden auch die Häuser weiterer Kaiser innerhalb Roms – und abseits des Palatin – mit dem Begriff domus gefasst, nämlich das Haus des Pescennius Niger (HA, Pesc. 12, 4) und die Domus

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Behrwald 2009, 177–182. Zur spätantiken Perspektive der „Historia Augusta“ siehe Fündling 2006, 52–56 (zur Vita des Hadrian); grundlegend zu den Anachronismen: Dessau 1889. Vgl. den Beitrag von C. Witschel in diesem Band. Winterling 1999, 196–203. Cass. Dio 53, 16, 5 f. Vgl. Ziegler 1949 bes. 7–11. – Castritius 1990. – Tagliamonte 1999. Bei Cassius Dio folgt die Kapitelzählung der textkritischen Ausgabe von U. P. Boissevain. Mart., spect. 2, 4. – Suet., Nero 31, 1. – Plin., nat. hist. 34, 84; 35, 120; 36, 163. Plin., nat. hist. 36, 111: hier das Haus des Caligula (Gaius) respektive des Nero.

Gordianorum (HA, Gord. 32). Die Häuser außerhalb der Stadt werden hingegen als villae bezeichnet, was gerade an besagter Stelle in der „Historia Augusta“ bezüglich Gordians III. deutlich wird, wo erst von einem Stadthaus14, der erwähnten Domus Gordianorum, dann von einer villa an der Via Praenestina die Rede ist15 (HA, Gord. 32, 1 f.): Domus Gordianorum etiam nunc extat, quam iste Gordianus pulcherrime exornavit. Est villa eorum via Praenestina ducentas columnas in trastylo habens (…)16. Ebenso wird die villa des Domitian in den Albaner Bergen (Castel Gandolfo) von Cassius Dio erwähnt. Dorthin zieht sich Domitian zurück und gibt sich seltsamen (und einsamen) Betätigungen hin: Sueton und Cassius Dio berichten, dass er Fliegen mit seinem Stilus aufgespießt habe (Suet., Dom. 3, 1; Cass. Dio 65, 9, 4). Von einer aedes ist in der „Historia Augusta“ in Bezug auf Commodus (HA, Comm. 16, 3) die Rede: De Palatio ipse ad Caelium montem in Vectilianas aedes migravit negans se in Palatio posse dormire. Der hier erwähnte Ort ist zugleich derjenige, an dem Commodus später ermordet wurde (HA, Pert. 5, 7), kann allerdings nicht lokalisiert werden17. Unklar bleibt daher auch, welchen Charakter das mit aedes bezeichnete Gebäude hatte und inwieweit es sich um ein Privathaus handelte18. Es steht allerdings zu vermuten, dass gerade diese offene Formulierung – bei aedes kann es sich um Gebäude jeglicher Art handeln19 – Spekulationen über den sonst so kritisch beäugten Commodus Raum geben sollte, insbesondere der Vermutung, seine Unterkunft sei einem Kaiser in moralischer Hinsicht nicht würdig gewesen20. Eingebettet wird diese Episode nämlich in eine Reihe von (teilweise übernatürlichen) Vorzeichen (etwa: Fußspuren der Götter zeigen an, dass sie das Forum verlassen haben: HA, Comm. 16, 2), welche das Ende des Commodus ankündigen. Insofern handelt es sich wohl nicht nur um Schlafstö-

14 Vgl.  Eck 1995. Es ist unklar, ob diese Domus Gordia­ norum mit dem Haus des Pompeius identisch ist, welches Gordian I. der „Historia Augusta“ zufolge besessen haben soll: Kolb 1994, 167. 15 Vgl. Maiuro 1999. 16 Für diesen Beitrag verwendete textkritische Ausgabe: Samberger/Seyfarth/Hohl 2014. 17 Vgl. Palombi 1995. 18 Vgl. Palombi 1995. 19 Vgl. Prinz 1900. 20 Zur Deutung als Gladiatorenschule vgl. Palombi 1995. – Hanslik 1958.

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Der schöne Stein?

rungen, die durch ein mangelndes Sicherheitsgefühl oder gar durch seine Missetaten verursacht werden, sondern um ein Omen: Das Verlassen des Palatin zeigt das baldige Ende seines Lebens an21. Die gebräuchlichste Bezeichnung für den Kaiserpalast in der „Historia Augusta“ ist allerdings der Begriff palatium. Dieser kann allerdings auch für einen kaiserlichen Wohn- und Wirkort außerhalb der Stadt Rom verwendet werden. So wird berichtet, dass ein riesiger Lorbeerbaum im Palast einer Stadt (in palatio eius civitatis) umfällt, von der Alexander Severus aufbricht (HA, Alex. Sev. 60, 4)22. Dass die Stadt hier unbekannt bzw. ihr Name nicht von Belang ist, spricht dafür, dass es sich nicht um einen regelmäßigen Aufenthaltsort handelt. Möglicherweise verweist palatium hier lediglich auf die reine Anwesenheit des Kaisers oder auch auf admini­strative Vorgänge, die an diesem Ort während seines Aufenthalts stattfanden. Für denselben Kaiser wird überliefert, dass er für seine Mutter Iulia Mamaea einen Palast in Baiae mit großem Schwimmbecken oder Teich errichten ließ (et in Baiano palatium cum stagno, quod Mameae nomine hodieque censetur, HA, Alex. Sev. 26, 9), was nahelegt, dass palatium in diesem Zusammenhang nicht mit der Verwendung im vorstehenden Paragraphen deckungsgleich ist. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Passage23 ist hier gerade kein einheitliches Konzept von ‚Palast‘ und dessen Funktionalitäten zu greifen. Vielmehr wird durch den Terminus palatium eine Qualität der beiden Orte – der Aufenthaltsort des Alexander Severus und die villa der Mamaea – ausgedrückt. Er bewirkt eine Aufwertung derselben, die zum einen durch die Präsenz des Kaisers selbst erfolgt, zum anderen durch eine offenbar gewisse Hochwertigkeit des Bauwerks in Baiae, da sie die Ehrerbietung des Kaisers für seine Mutter widerspiegelt24.

21 Denn er verlässt den Ort, an welchem die Wurzeln der Stadt Rom liegen und wo sowohl der Stadtgründer Romulus als auch Augustus wohnten. Der Palatin wird u. a.  bereits in Vergils Aeneis mythologisch überhöht und als Anfangs- und Endpunkt eines Spaziergangs des Euander durch das zukünftige Rom besonders hervorgehoben (Verg., Aen. 8, 337–369), vgl. Klodt 2001, 11–36. 22 Zur Reisebegleitung der Kaiser siehe Halfmann 1986, 90–110. Diese umfasste mehrere Tausend Personen des zivilen und militärischen Bereichs (Halfmann 1986, 110). Alternative Lesart in den Handschriften: cuius bzw. cu­ iusdam civitatis. 23 Domaszewski 1916, 13, dort mit „Nichts als blöde Witze“ charakterisiert. Zur Verlässlichkeit der topographischen Angaben Roms in der „Historia Augusta“ vgl. Anm. 6. Zu möglichen Zusammenhängen des palatium in Baiae mit Inschriften und bildlichen Darstellungen eines stagnum auf Glasgefäßen siehe Zawadzki 1997. 24 Auch ein kritischer Unterton ist nicht auszuschließen, obwohl Alexander Severus in der „Historia Augusta“

Aus den hier besprochenen Passagen der „Historia Augusta“ wird deutlich, wie eng der Wohn- und Wirkort des Kaisers mit der Ausübung seiner Macht und letztlich seiner literarischen Charakterisierung verschränkt ist. Die jeweils gewählte Terminologie differenziert nicht nur zwischen dem Kaiserpalast auf dem Palatin und den (zeitweiligen) Wohnsitzen und Aufenthaltsorten der Kaiser innerhalb der Stadt Rom bzw. in den Gärten. Der Rückzug vom Palatin als politischem, administrativem und symbolischem Zentrum kaiserlicher Herrschaft dient als Bild dafür, dass der Kaiser die Kontrolle über diese verliert und sich seine Macht (wie auch sein Leben) dem Ende zuneigt25. Dabei ist ein Aufenthalt außerhalb des Palatin nicht per se negativ konnotiert – bekanntlich war Rom zur Zeit der Abfassung der „Historia Augusta“ schon längst dort, wo der Kaiser war26. Dennoch tritt palatium als Begriff auf, der mit besonderer Würde verbunden wird, etwa wenn Alexander Severus als guter Kaiser inszeniert wird27. Schon in den jeweils gewählten Begrifflichkeiten lassen sich somit bestimmte Aussageabsichten der „Historia Augusta“ erkennen. Informationen zu den konkreten architektonischen Gegebenheiten hingegen werden diesen offenbar untergeordnet.

Sichtbarkeit und Kommunikation mit dem Kaiser Der Aufenthaltsort des Kaisers ist eng mit seiner Sichtbarkeit verbunden und damit auch mit der Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten. Die in den Randgebieten Roms gelegenen Gärten sind Schauplätze von Begebenheiten, welche den Blicken der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen28. Hier werden aber auch Hierarchien durcheinandergeworfen, wie in der Vita des Gallienus geschildert:

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als Exempel für einen guten Kaiser dient, vgl. Bertrand-­ Dagenbach 1990, 154–163. Vgl. auch die Vita von Pertinax (HA, Pert. 13, 4), der seine Söhne nicht auf dem Palatin großziehen möchte; diese werden ihm bekanntlich nicht als Kaiser nachfolgen. Herod. 1, 6, 5. – siehe Mayer 2002, 22–27. – Castritius 1990, 16–21. Zum positiven Bild des Alexander Severus und seinen Tugenden in der „Historia Augusta“ vgl. Anm. 24. So Elagabal, der sich in die Gärten der Spes Vetus zurückzieht, um ein Mordkomplott gegen Alexander Severus zu schmieden: HA, Heliog. 13, 5. Die Gärten sind nicht eindeutig zu lokalisieren. Zur Diskussion siehe Zinsli 2014, 510–516. Es gibt für diese Angabe keine Pa­ rallele: Zinsli 2014, 60. Zur möglichen Identifizierung mit einem Tempel für Spes Vetus bei S. Croce in Gerusalemme siehe Coarelli 1999.

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cum iret ad hortos nominis sui, omnia palatina officia sequebantur. ibant et praefecti et magistri officiorum omnium adhibebanturque conviviis et nationibus lavabant simul cum principe (HA, Gall. 17, 8). „Wenn er sich in die Gärten, die seinen Namen trugen, begab, folgten ihm alle Hofbediensteten. Es beteiligten sich auch die Präfekten und die Vorstände aller Hofämter; sie wurden auch zur Tafel gezogen und badeten in den Schwimmbassins gleichzeitig mit dem Kaiser.“29 Die wichtigsten Beamten werden zeitweise aus dem Zentrum abgezogen und somit auch von anstehenden Aufgaben, um sich dem Müßiggang hinzugeben, sie alle speisen kollektiv mit dem Kaiser und begeben sich dann gleichzeitig mit ihm in die natatio30. So werden Grenzen der Nähe – oder Distanz – zum Kaiser überschritten und die Interaktion mit ihm folgt keinen herkömmlichen, maßvollen Regeln mehr31. Wie wichtig eine nach Gruppen geordnete Abstufung in der Annäherung an den Kaiser in der „Historia Augusta“ ist, zeigt ein Vergleich des negativ charakterisierten Pertinax und des positiv gezeichneten Alexander Severus. So empfindet Pertinax das Kaiseramt als Bürde und möchte wie ein Privatmann leben (HA, Pert. 13, 1–4). Dies hat zur Folge, dass er mit den Senatoren nicht wie ein Kaiser spricht, sondern als ob er noch Präfekt wäre (quasi praefectus) und sich so bei diesen anbiedert. Alexander Severus hingegen (HA, Alex. Sev. 4, 1–3) pflegt mit Freunden (amici) einen engen und vertrauten Umgang, also mit einem ausgewählten

29 Übersetzung: Hohl 1976. 30 Dabei war auch beim Bad in den Thermen die soziale Hie­rarchie bzw. Ordnung zu beachten, und zwar schon seit der Republik: Hartmann 2016, 184–206. Zudem wurden mit den Bädern gerne auch luxuria sowie unanständige Blicke effeminierter/homosexueller Männer verbunden, vgl. Hartmann 2016, 193–198. Gallienus verstößt ganz offensichtlich gegen moralische Grundsätze und Traditionen: Merten 1983, 96 f. 31 Zugänglichkeit zum Kaiser wird in den literarischen Quellen durchaus positiv ausgelegt, so im Falle von Vespasian in den Gärten des Sallust (Cass. Dio 65, 10, 4–6). Zur unterschiedlichen Stilisierung kaiserlicher Empfangspraxis entlang des Schemas ‚guter‘/‚schlechter‘ Kaiser vgl. Winterling 1999, 127 f. Zu den Gastmählern und der Nähe zwischen Kaiser und Gästen siehe Winterling 1999, 145–160. Die Nähe zum und Umgangsformen mit dem dominus im Rahmen der salutatio waren seit der Republik Ausdruck der Beziehung zwischen ihm und dem jeweiligen Klienten, weshalb sie stark formalisiert waren. Zum Ablauf einer salutatio siehe Goldbeck 2010, 161–174.

Personenkreis32. Die salutatio führt er mit offenen Vorhängen wie ein Senator (unus e senatoribus, 4, 3) durch33, sodass er und die jeweils Vorgelassenen für alle Anwesenden sichtbar sind. Dies spiegelt einerseits eine gewisse Nähe zum Kaiser als princeps inter pares, andererseits aber auch das Bedürfnis nach einer herausgehobenen Position des Kaisers wider34, welches der spätantiken Perspektive der „Historia Augusta“ entspringt. Nicht nur der Aufenthaltsort des Kaisers selbst, sondern auch dessen Zugänglichkeit, die Nutzung des Raumes für bestimmte Rituale (salutatio) und die Gestaltung des Raumes, etwa durch das Öffnen und Schließen von Vorhängen, spielen offenbar eine wichtige Rolle in der Kommunikation mit seinem unmittelbaren Umfeld, den Freunden und den Beamten am Kaiserhof35. Von einem festgefügten Zeremoniell, wie es denn in spätantiker Zeit zu greifen ist36, erfahren wir hier nichts en détail. Doch ist zu bedenken, dass nicht nur die architektonische Gestaltung, sondern auch die Einrichtung und Innenausstattung der Räume für die Gestaltung der (korrekten) Kommunikationssituation von Belang waren37.

Buntmarmor und luxuria Die Ausstattung von Privathäusern mit kostbaren Materialien, allen voran Buntmarmor, ist eng mit Luxuskritik verbunden38. Dass sich der Mensch so gerne von buntem Stein umgeben zum Schlafen niederlege, erscheint Plinius dem Älteren in Anbetracht dessen, dass man die Hälfte der Lebenszeit im Dunklen verbringe, als pure Verschwendung (Plin., nat. hist. 36, 3); eine Auffassung, die sich

32 Ein Nahverhältnis zum Kaiser, ausgedrückt durch das Konzept der amicitia, konnte unterschiedlich ausgestaltet sein, siehe hierzu Winterling 1999, 166–169. Zur ausgeprägten Hierarchie der Gruppen bei der salutatio des Alexander Severus siehe Winterling 1999, 135. 33 So schon Vespasian, vgl. Winterling 1999, 183. 34 Vgl. Unruh 2003, 33 f. Zum spätantiken Hofzeremoniell siehe den Beitrag von C. Rollinger in diesem Band. 35 So geht Henner von Hesberg davon aus, dass sich Rituale und Herrscherauftritte der tetrarchischen Zeit in der Struktur und den Bauten der Kaiserresidenzen niederschlugen, vgl. Hesberg 2006 sowie auch Unruh 2003. 36 Vgl. den Beitrag von C. Rollinger in diesem Band. 37 Hierzu zählen auch die bereits erwähnten Vorhänge sowie Baldachine, vgl. Unruh 2003, 37 f., aber vermutlich auch die Innenausstattung von Räumen mit Buntmarmor und entsprechenden Effekten von Farbe und Oberflächen. Vgl. etwa die Gestaltung der Palastaula in Trier: Ruppienė 2021b, 47. 38 Drerup 1957, 5–13; zu den Quellen und einer auch ökonomischen Einschätzung siehe Friedländer 1871, 58–79.

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auch in den „Panegyrici Latini“ findet39. Plinius berichtet ausführlich von den Anfängen der Buntmarmorverwendung in Rom im 36. Buch seiner Naturgeschichte. So seien etwa 38 m hohe Säulen aus lukullischem Marmor40 in das Atrium des Scaurus verbracht worden und dies, obwohl es rechtlich nicht zulässig gewesen sei und ein nicht zu unterschätzendes Risiko einer Beschädigung der Abwasserkanäle bestanden habe. Dass die wertvollen Säulen dann an den deutlich einfacher gestalteten Giebeln der altehrwürdigen Tempel vorbei auf den Palatin geschleppt wurden und damit an den Ort, wo zu Plinius eigener Zeit die kaiserliche Familie residierte, ist sicher kein Zufall und vermutlich als verdeckter Seitenhieb gegen die rege Bautätigkeit dort, v.  a. diejenige Neros, zu verstehen41. Neben den Säulen wird in der „Naturalis Historia“ auch die Inkrustation mit Marmor thematisiert, die Plinius als höchst unglücklichen Einfall und als Produkt der luxuria ansieht (Sed quisquis primus invenit secare luxuriamque dividere, inportuni ingenii fuit, Plin., nat. hist. 36, 9 (51)). Auch in den Epigrammen Martials werden wertvolle Materialien der Ausstattung von Bauten erwähnt, gemeinsam mit anderen Luxusgegenständen42. So werden die Bäder des Etruscus in den leuchtendsten Farben beschrieben, nur um in einer bitterbösen Pointe zu enden, welche dem Leser die Nichtigkeit des Scheins vor Augen führt (Mart. 6, 42)43. Über die Ausstattung des Kaiserpalastes bzw. der kaiserlichen Wohnhäuser mit Marmor erfahren wir ebenfalls in der „Historia Augusta“ etwas, wenn auch nicht allzu detailliert44. So wird über Elagabal berichtet: stravit et saxis Lacedemoniis ac porphyreticis plateas in Palatio, quas Antoninianas vocavit. quae saxa usque ad nostram memoriam manserunt, sed nuper eru[di]ta et exsec-

39 Paneg. Lat. 3 (11), 11, 4. 40 Nach Plinius handelt es sich um schwarzen Marmor, der von L. Licinius Lucullus in Rom eingeführt worden sein soll: Plin., nat. hist. 36, 49. Zu den Lesarten der Passage und der möglichen Herkunft des Marmors vgl. Blümner 1884, 45 f. 41 Zur Bedeutung von Örtlichkeit und räumlicher Beziehung bei Plinius siehe Günther/Günther 2022. 42 Mart. 12, 66 (mit Schildkröten-Perlmutt verzierte Klinen, Möbel aus afrikanischem Zitrusholz, Gold- und Silbergefäße auf einem wertvollen Tisch); 12, 50 (porticus mit 100 Säulen, Onxy-Boden); 9, 75 (hölzernes Bad des Tucca, das einer Ausstattung mit Cipollino, Phrygischem und Numidischem Marmor entbehrt). 43 6, 42, 4: Inlotus morieris, Oppiane. Dieselben Bäder werden auch von Statius beschrieben, und zwar mit Nennung unterschiedlicher Buntmarmore (Stat., silv. 1, 5). 44 Eine Zusammenstellung der Stellen bietet Mayer 1995.

ta sunt. (7) constituerat et columnam unam clare ingentem, ad quam ascenderetur intrinsecus, ita ut in summo Heliogabalum deum collocaret, sed tantum saxum non invenit, cum id de Thebaide adferre cogitaret (HA, Heliog. 24, 6 f.). „Die Höfe im Palast ließ er mit lakedämonischem Marmor und Porphyr pflastern und nannte sie die antoninianischen. Diese Platten haben sich bis auf unsere Zeit erhalten, sind aber jüngst gewaltsam entfernt worden. (7) Er hatte auch den Plan gefasst, eine Riesensäule aus einem Stück aufzurichten45; man sollte sie von innen ersteigen können; oben auf der Spitze wollte er eine Statue des Gottes Heliogabalus aufstellen; aber er konnte einen so gewaltigen Block nicht ausfindig machen, obwohl er einen solchen aus der Thebais zu beziehen dachte“46. Elagabal lässt in dieser Passage einen Außenbereich mit extrem kostbaren Materialen, nämlich einem opus sectile aus Grünem (saxa Lacedaemonia) und Rotem Porphyr (saxa Porphyretica) pflastern47. Abgesehen davon, dass die Stelle vermutlich impliziert, dass das teure Material einem einfachen Hof48 nicht angemessen sei, liegt ein Seitenhieb in der Bezeichnung „antoninianisch“ vor, da Elagabal sich als ‚falscher Antoninus‘ in guter Tradition der Severerkaiser anmaßte, zu den Antoninen zu zählen und von Caracalla abzustammen49. Zusätzlich wird von einer Säule gigantischer Größe gesprochen50, die Elagabal seinem Gott weihen wollte51; die Aussage, er habe nicht genügend Stein52 beschaffen können, zieht 45 Alternative Lesart: dare statt collocare. 46 Übersetzung: Hohl 1976. 47 Zum Grünen Porphyr siehe Toma 2020, 59; zum Roten Porphyr siehe Toma 2020, 120–125. Erwähnt werden die saxa Lacedaemonia bereits bei Plin., nat. hist. 36, 55 (vgl. Zinsli 2014, 662), als grün geschrieben. Vgl. Toma 2020, 59. 48 Zur Stelle siehe den Kommentar von Zinsli 2014, 662– 666. Die Bezeichnung platea ist sehr unkonkret und kann eine Art Platz oder Hof bezeichnen (Zinsli 2014, 663). Zu den archäologischen Aspekten siehe die Ausführungen von Guidobaldi 2002. 49 Cass. Dio 80, 1, 1. Vgl. auch Cass. Dio 79, 32, 3 sowie die Ausführungen bei Zinsli 2014, 224–234. Bezeichnend ist die offenbar unsanfte Entfernung des Pflasters, die metaphorisch für eine Abrechnung mit Elagabal stehen könnte und literarisch nahe an den Verfassungszeitpunkt der Vita herangerückt wird (nuper eru[di]ta et exsecta). Die angebliche Abstammung von Caracalla überliefert u. a. Cass. Dio 79, 32, 3. – vgl. Kienast 2004, 172. 50 Zur Stelle siehe den Kommentar von Zinsli 2014, 666– 669. 51 Zur mit römischen Traditionen brechenden Kultausübung Elagabals siehe Sommer 2003, 104–106. 52 Zinsli 2014, 666 f. vermutet hier eine Porphyrsäule. Doch könnte es sich auch um Granit handeln (zur Deutung der

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dieses Vorhaben angesichts des anspruchsvollen Projekts ins Lächerliche. Der exklusive Geschmack Elagabals äußert sich auch darin, dass er angeblich Portiken mit Silberstaub bestreuen und so einen besonderen optischen Effekt erzeugen ließ53. Das erwähnte Opus sectile und auch das Aufstellen von Säulen wird in der Vita des Alexander Severus wieder aufgegriffen. Dieser wird als Erfinder eines neuen Dekorationsmusters aus Rotem und Grünem Porphyr gerühmt (Alexandrinum opus marmoris de duobus marmoribus, hoc est porfyretico et Lacedemonio, primus instituit in Palatio exornatis hoc genere marmorandi, HA, Alex. Sev. 25, 7)54. Dass hier ebenfalls von Höfen die Rede sein soll, geht allerdings auf eine Einfügung aus dem 19. Jahrhundert zurück55, offenbar in Kenntnis der Parallelstelle der Elagabal-Vita. Jedoch ergibt sich bei Auslassung dieser in den Handschriften nicht vorhandenen Einfügung eine völlig andere Interpretation. Anders als bei Elagabal wird nicht die Verschwendung von Porphyr für Hofflächen impliziert, sondern die Einführung eines neuen Dekorationsschemas lobend hervorgehoben56. Auch die von Elagabal geplante Säule erhält nun ein Gegenbild (statuas colossas in urbe multas locavit artificibus undique conquisitis, HA, Alex. Sev. 25, 8): Alexander realisiert die Herstellung mehrerer Kolossalstatuen an vielen Orten in Rom durch Künstler unterschiedlichster Herkunft, während Elagabal grandios an einer einzigen Säule scheitert. Wieder handelt es sich um einen literarischen Kunstgriff, nicht um belastbare Angaben zur konkreten Ausschmückung des Palatin mit kostbarem Gestein. Dennoch: Der Diskurs um die Verwendung von Porphyr zwischen luxuria und Materialästhetik, zwischen Verschwendung und Funktionalität, zwischen übertriebener Monumentalisierung und Repräsentation wird in der Gegenüberstellung beider Passagen deutlich, allerdings ohne Auflösung aller Widersprüchlichkeiten57.

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Bezeichnung marmor Thebaicum siehe Blümner 1884, 12 f.). HA, Heliog. 31, 8. HA, Alex. Sev. 25, 7. Guidobaldi 1995, 282. Ob es sich um dasselbe Dekorationsschema handelt, bleibt unklar. In diesem Falle würde es sich um einen inneren Widerspruch handeln, sollte Alexander Severus der Erfinder gewesen sein. Nicht auszuschließen ist aber meines Erachtens auch, dass eine andere Technik, z. B. Einlegearbeiten, gemeint sind (ein Beispiel für die künstliche Erzeugung eines zweifarbigen Marmors ist eine Säule aus Bigio im Portus: Toma 2020, 98 Anm. 130; Taf. 21.3). Die Formulierung (opus marmoris de duobus marmoribus) wird allerdings sehr offen gehalten. Luxuskritik kann an Alexander Severus in dieser Passage durchaus auch geübt werden, umso mehr, als dass in direktem Anschluss von Gold- und Elektronmünzen

Erst den späteren Kaisern wird exzessives Aufstellen von Buntmarmorsäulen in ihren Wohn- und Wirkstätten zugeschrieben. Gordian III. stattet eine in Familienbesitz befindliche domus (HA, Gord. 32) luxuriös aus (s. oben). Im gleichen Absatz wird geschildert, dass die oben bereits erwähnte Villa Gordianorum an der Via Praenestini 200 (!) Säulen besessen habe58. Dabei soll es sich um je 50 Säulen aus Cipollino, Granit vom Mons Claudianus, Pavonazzetto und Numidischen Marmor gehandelt haben59, also allesamt importierte, wertvolle, aber auch häufig gebrauchte Marmore, welche den Lesern geläufig gewesen sein dürften und ein breites Farbspektrum abdecken. Neben Mosaiken, kleinen Säulen und Statuetten werden auch drei basilicae erwähnt, deren Funktion nicht erläutert wird, die aber, so legt der Kontext nahe – eingebettet in Beschreibungen kaiserlichen Luxus’ – repräsentative Zwecke erfüllt haben dürften60. Kaiser Tacitus stiftet der „Historia Augusta“ zufolge 100 Säulen numidischen Marmors in einer Höhe von 23 Fuß aus seinem Besitz (HA, Tac. 10, 5 f.), Gallienus lässt eine porticus mit mehrreihigem, komplexem Säulensystem errichten (HA, Gall. 18,  5). Der (geplante) Bau von Portiken in den Viten des Aurelian (HA, Aur. 49, 2) und der Gordiani (HA, Gord. 32, 6) ist ebenfalls als Kritik an übermäßiger, nicht zweckmäßiger Bautätigkeit zu deuten61. Auch die Berichte über die Innenausstattung der Paläste und Wohnhäuser der Kaiser sind also im Kontext von Luxuskritik zu verstehen62. Ziel war es also nicht, ein verlässliches oder gar informatives Bild der Ausstattung zu zeichnen – ganz im Gegenteil, bei vielen Stellen wird nicht klar, wie genau die Säulen aufgestellt oder angeordnet waren. Vielmehr soll der übermäßige Einsatz Einblick in das gene-

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nach Vorbild Alexanders des Großen die Rede ist (HA, Alex. Sev. 25, 9). Wird Alexander Severus wirklich ausschließlich positiv dargestellt, wie häufig angenommen (vgl.  Anm. 24), oder nicht doch bisweilen an Elagabal angeglichen, wenn man zwischen den Zeilen liest? In der Tat wurde im Bereich des dritten Meilensteins eine ausgedehnte Villenanlage ergraben, die in der Mitte des 3. Jahrhunderts ausgebaut wurde, vgl. Kolb 1994, 164–168. Die Identifizierung ist allerdings umstritten, vgl. Berressem 2018, 60 f. Zum Befund: Maiuro 1999. Marmor Carystium (auch als Cipollino bezeichnet), vgl.  Toma 2020, 64–70; marmor Claudianum (Granito del Foro), vgl. Toma 2020, 125–130; marmor Synnadicum (Pavonazzetto), vgl. Toma 2020, 102–120; marmor Numidicum (Giallo antico), vgl. Toma 2020, 44–47. Als literarisches Mittel zur Verdeutlichung der gravitas des Kaisers gedeutet bei Berressem 2018, 61, dort demnach aber nicht als Kritik, sondern Lob aufgefasst. Auch die Bautätigkeit der Kaiser spiegelt deren Beurteilung wider: ‚Schlechte‘ Kaiser üben eine maßlose, eigennützige Bautätigkeit aus, vgl. Scheithauer 1988, 239–241. Vgl. auch Paneg. Lat. 3 (11), 11, 4. Zum Ausstattungsluxus siehe Friedländer 1871, 58–79, und Drerup 1957.

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relle Verhalten des jeweiligen Kaisers geben: Der Palast ist ein Spiegelbild des Kaisers.

Kunstwerke am Hofe Konkrete Kunstwerke werden in der „Historia Augusta“ selten erwähnt; so etwa eine goldene Fortunastatue, die im Schlafzimmer des jeweils herrschenden Kaisers aufgestellt war, von der Septimius Severus ein Duplikat herstellen ließ (HA, Sept. Sev. 23, 5–7)63, sodass seine beiden Söhne jeweils ein Exemplar der Statue besitzen konnten. Unter dem Palastinventar, das Marcus Aurelius im Trajansforum versteigerte (s. unten), befanden sich auch Statuen und Gemälde berühmter Künstler; diese werden jedoch nicht namentlich genannt (HA, Marc. Aurel. 21, 9). In der Vita des Pescennius Niger wird ein Mosaik mit den Riten der Isis erwähnt, das in einer runden Kolonnade im Garten des Commodus angebracht gewesen sein soll (HA, Pesc. 6, 8 f.) und im Kaiserpalast soll sich nahe der Porticus Stabuli64 ein Gemälde befunden haben, das jedoch nicht beschrieben wird (HA, Carin. 19). Neben diesen sehr kursorischen Erwähnungen findet sich auch eine Beschreibung einer Statue des Kaisers Pescennius Niger (HA, Pesc. 12, 4–6), die aus Thebanischem Marmor (ex Thebaico marmore, 12, 4) bestanden haben und im Haus des Kaisers aufgestellt gewesen sein soll, einer domus, die sich im Gebiet eines campus Iovis befunden habe65. Diese Statue sei von den Bürgern Thebens gestiftet worden und trage eine Inschrift auf Latein und Griechisch, deren lateinische Fassung in Art eines ekphrastischen Epigramms66 wie folgt zitiert wird: Terror Aegyptiaci Niger astat militis ingens, Thebaidos socius, aurea saecla volens. hunc reges, hunc gentes amant, hunc aurea Roma, hic Antoninis carus imperio. Nigrum nomen habet, nigrum formavimus ipsi, ut consentiret forma, metalle, tibi (HA, Pesc. 12, 6). „Hier steht Niger, Ägyptens Streitern gewaltiger Schrecken, 63 Dies dient der Veranschaulichung der Rivalität zwischen den Brüdern. Zur Verdopplung der Figur durch Septimius Severus in der „Historia Augusta“ siehe Bruggisser 1991. 64 Vgl. Papi 1999. 65 Vgl. Guidobaldi 1995. 66 Zur hellenistischen Kunstform siehe etwa Squire 2010.

Mit der Thebais im Bund, anstrebend goldene Zeit, Er, der Könige Liebling, der Völker, der goldenen Roma, Den Antoninen lieb, in ihrem Reiche geschätzt. Schwarz ist er zubenannt und schwarz von uns hier gebildet, Passend so die Figur trefflich zu dir, o Gestein.“67 Gespielt wird hier mit der schwarzen Farbe des Steins und dem Namen des Geehrten, die einander entsprechen und die Statue weniger als Abbild denn als Verkörperung des Kaisers erscheinen lassen. Der Glanz der polierten, metallischen Oberfläche (metalle) – hier dürfte es sich demnach um Basalt oder schwarzen Marmor handeln68 – rief vermutlich einen entsprechenden Effekt beim Betrachter hervor und griff sowohl die kriegerische Natur des Niger, die in den ersten Zeilen thematisiert wird, als auch den Glanz der aurea Roma bzw. aurea aetas auf. Das wertvolle Material selbst steht hier im Mittelpunkt; offenbar eines der seltenen literarischen Zeugnisse für die hohe Qualität der Skulptur im Haus eines Kaisers, wenn auch fraglich ist, ob es sich bei diesem Epigramm nicht doch eher um ein ekphrastisches literarisches Spiel denn um die Beschreibung einer realen Skulptur handelt. Im Panegyricus auf Maximian und Konstantin findet sich ein weiterer Hinweis auf ein Kunstwerk, diesmal ein Gemälde im Palast in Aquileia (in Aquileiensi palatio, Paneg. Lat. 7(6), 6, 2)69. Gefeiert wird die Hochzeit des Konstantin mit Fausta, Tochter des Maximian, und die Erhebung des Konstantin zum Augustus70. Das Bildthema – eine junge Frau reicht einem Mann einen Helm, der mit Gold, Juwelen und einem prächtigen Federschmuck versehen ist – soll auf das junge Paar anspielen. Auch hier

67 Übersetzung: Hohl 1976. 68 Um Granit wird es sich daher eher nicht gehandelt haben, vgl. Mayer 1995, 210 f. Basalt bzw. Basanit aus Ägypten wurde in der Kaiserzeit für Porträts und Skulpturen verwendet und erweckt hochpoliert metallischen Eindruck (vgl.  Mielsch 1985, 24–26 und Taf. 21 Nr. 692  f.; Blümner 1884, 23–25). Während dieses Material vor allem im 1. Jahrhundert verwendet wurde, setzte sich im Laufe des 2. Jahrhunderts schwarzer Marmor durch (Mielsch 1985, 26). Allerdings handelt es sich bei der Passage der „Historia Augusta“ wohl um literarische Fiktion, die sich durchaus an älteren Vorbildern orientiert haben könnte. Thebaisch ist hier meines Erachtens nicht als Bezeichnung des marmor Thebaicum zu verstehen (zu diesem vgl.  Anm. 52), sondern als Verweis auf die Thebaner als Stifter des Monumentes. 69 Die „Panegyrici Latini“ datieren, neben dem Panegyricus des jüngeren Plinius auf Trajan im Jahre 100 n. Chr., alle zwischen 289 und 389 n. Chr. Zu den „Panegyrici Latini“ siehe Nixon/Rogers 1994, 1–37. 70 Nixon/Rogers 1994, 179 f.

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dient die Beschreibung des Werkes nicht dazu, das Bild anschaulich wiederzugeben, sondern eine bestimmte Aussage des Autors in ein repräsentatives Bild zu kleiden. Kunst am Hofe ist insofern erwähnenswert, als dass sie entweder in einen Luxusdiskurs gekleidet wird oder ein narratives Moment – Größe des Pescennius Niger, Charakterisierung des Ehepaares – in den literarischen Text einbringt. Eine Aussage über die tatsächliche Ausgestaltung mit Kunstwerken ist daher meines Erachtens nicht möglich.

Der Palast als Ort des Exzesses Der erste Kaiser, dessen Vorliebe für Luxusgegenstände in der „Historia Augusta“ eine Rolle spielt, ist Lucius Verus (HA, Luc. Ver. 5, 3–7). Diese werden von Marcus Aurelius, der sich damit deutlich von dem schlechten Charakter seines Adoptivbruders absetzt, versteigert: Goldene und silberne Gefäße, mit Gemmen besetzt, Kränze mit goldenen Binden und Blumen, goldene Gefäße bzw. Salbgefäße etc. werden erwähnt. Diese fanden Einsatz im Bankett und brachten Einnahmen in Höhe von sechs Millionen Sesterzen, was einen plastischen Eindruck vom Luxus eines kaiserlichen – und sicher das Normalmaß deutlich übersteigenden – convivium liefert. Auch Commodus wird des unmäßigen Bankettierens bezichtigt: Er habe mit 300 Konkubinen gefeiert (HA, Comm. 5, 4) und zwar auf dem Palatin (in palatio per convivia et balneas bachabatur), obwohl er dort nicht wohnte, sondern in der Villa Vectiliana (s. oben). Die Verschwendungssucht dieses Kaisers und seine Vorliebe für schöne Dinge werden bereits von Cassius Dio hervorgehoben (Cass. Dio 73, 7, 4). Sein Nachfolger Pertinax hingegen kürzte der „Historia Augusta“ zufolge die Ausgaben für Bankette wieder auf Normalmaß (HA, Pert. 8, 9) und versteigerte Luxusgüter des Commodus in einer Auktion (HA, Pert. 7, 8–8, 7), ähnlich wie Marcus Aurelius mit dem Besitz des Lucius Verus verfuhr. Neben Kostbarkeiten aus Gold und Silber sowie Möbeln aus Zitrusholz71 werden Trinkgefäße in Phallosform (phallovitrobuli) erwähnt (HA, Pert. 8, 5). Diese sollen offenbar Commodus noch weiter diskreditieren, da sie die Fantasie des Lesers anregen, sich den Anblick vorzustellen, wenn er und seine Gäste solche Gefäße an den Mund führten, was einer gewissen grotesken Komik und Homoerotik nicht entbehrt. Am umfangreichsten aber ist die Liste der Merkwürdigkeiten, die sich Kaiser Elagabal im Rahmen

71 Vgl. Friedländer 1871, 81.

seiner Bankette leistet72. So ist die Rede von Klinen für Banketträume und Schlafzimmer, die vollständig aus Silber gefertigt seien (Hic solido argento factos habuit lectos et tricliniares et cubiculares, HA, Heliog. 20, 4)73, auf welchen die ungewöhnlichsten Speisen verzehrt würden (20, 4–7)74. Daneben wird von goldenen Klinendecken berichtet (19, 1)75, von Sommerbanketten, deren Dekoration jeweils einer anderen Farbe folgt (19, 2)76, von Silbergefäßen, besonderen Weinen (19, 3–5)77, aber auch davon, dass Rosen und Blumen in den Banketträumen verstreut werden (19, 7); allerdings nicht nur dort, sondern auch auf den Klinen und in den Portiken, wo der Kaiser in der frischen Blumenpracht spazieren geht78. Er schwimmt nur in parfümiertem Wasser (19, 8)79 und vermag nur auf mit speziellen, mit besonders weichen Federn gefüllten Kissen zu ruhen (19, 9)80: Das Luxusbankett wird hier direkt mit einer extremen Effemination verbunden81. Dies wird sogar noch gesteigert: Der Kaiser erleichtert sich in goldene Gefäße und uriniert in Nachttöpfe aus Onyx und Flussspat82 – eine ebenso burlesk-komische wie bitterböse Einlage (32, 2). Alexander Severus lässt Gold und Edelsteine, ursprünglich von Elagabal angebracht, von der kaiserlichen Kleidung entfernen und wird somit als dessen Gegenbild stilisiert (HA, Alex. Sev. 41, 2)83; anders als Elagabal bevorzugt er simple Bankette mit intellektuellen Gästen wie Ulpian (34, 5–8) und lässt den Palast reinigen (15, 2)84. Zudem reguliert er die Palastzugänge: Nur diejenigen dürfen den Palatin betreten, die dort auch benötigt werden (15, 2)85.

72 Zur literarisch ausgestalteten sexuellen Perversion Ela­ gabals siehe Sommer 2003, 100 f. 73 Zinsli 2014, 609. Der besondere Luxus besteht darin, dass die Klinen nicht nur mit Silber beschlagen, sondern massiv aus Silber gefertigt sind. 74 Zinsli 2014, 609–613. 75 Zinsli 2014, 593  f. Zur übermäßigen Verwendung von Gold als Kennzeichen eines schlechten Kaisers siehe Brandt 1996. 76 Zinsli 2014, 595. 77 Zinsli 2014, 595–598. 78 Zur Stelle und den Parallelen: Zinsli 2014, 599–601. 79 So auch Caligula bei Sueton (Suet., Cal. 37, 1); zur Stelle und parfümierten Bädern siehe Zinsli 2014, 601 f. 80 Zur Stelle und der möglichen Tiersymbolik (Hasenfell und Rebhuhnfedern) siehe Zinsli 2014, 602. 81 Zur Verweiblichung und Sexualität des Elagabal in der „Historia Augusta“ siehe Zinsli 2014, 192–204. 82 Es handelt sich, besonders bei den parthischen Flusspatgefäßen (vasae murrinae bzw. myrrhinae), um extrem kostbare Objekte; das Urinieren in goldene Gefäße spielt auf Mart. 1, 37 an, vgl. Zinsli 2014, 790. 83 Vgl. Zinsli 2014, 245–248. 84 Nicht ganz zu Recht, da auch Alexander Severus nicht ohne Luxus reiste: Schumacher 2018, 261–263. 85 Vgl.  die Regeln bei der salutatio: HA, Alex. Sev. 4, 1–3 (vgl. oben).

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Der schöne Stein?

In der „Historia Augusta“ wird exzessiver Bankettluxus des Weiteren für Carinus überliefert (HA, Carin. 17, 3), der sich deutlich an den Berichten über Elagabal orientiert: Der Kaiser streut Rosen aus Mailand in den Bankett- und Schlafräumen (triclinia et cubicula) aus. Zudem schwimmt er zwischen Äpfeln und Melonen, was an die parfümierten Schwimmbäder des Elagabal erinnert. Besonders effektiv wird die Verkehrung der traditionellen Verhaltensweisen und Strukturen anhand des Bades ausgeführt, hier in Kombination mit dem Luxusbankett; so auch etwa bei HA, Comm. 5, 4, wo nicht nur von conviviae, sondern auch von balneae die Rede ist86.

Fazit Aufgrund der gebotenen Kürze konnten im vorliegenden Beitrag nicht alle Aspekte der literarischen Gestaltung des Konstrukts ‚Palast‘ und dessen Ausstattung ausgeführt, die einzelnen Passagen mithin nur kurz angerissen werden. Dennoch wird deutlich, dass die „Historia Augusta“ Beschreibungen der Wohn- und Wirkstatt römischer Kaiser zur Charakterisierung des jeweiligen Kaisers nutzt. Je nach verwendeter Begrifflichkeit und nach Aufenthaltsort abseits des Palatin wird auf einen Kontrollverlust über die eigene Herrschaft und (aus Außensicht) unangemessenes Gebaren verwiesen, auf einen Verlust von Ansehen und Legitimität, speziell unter der Elite. Ort und Verhalten des Kaisers bestimmen wesentlich über die Form der Kommunikation mit und an dem Hof, was ebenso als Gradmesser seiner Fähigkeiten zur guten Herrschaft dient. Die Beschreibungen der Innenausstattung der Paläste und Bauten, die Verwendung von Buntmarmor und das Vorhandensein exklusiver Luxusgegenstände zielen in der Regel darauf ab, Kaiser zu diskreditieren, insbesondere die ohnehin stark kritisierten ‚schlechten‘ Kaiser wie Commodus und Elagabal. Die beschriebenen Kunstwerke, die allerdings sehr selten thematisiert werden, können sowohl negativ (Luxuskritik) als auch positiv (narrative Momente) ausgelegt werden. Wichtig ist, dass die Angaben der „Historia Augusta“ nicht als historische Tatsachen gelesen werden können. Eine konkrete Rekonstruktion der Ausstattung mit Buntmarmor, Skulpturen, Mosai­ ken etc. aufgrund der Literatur ist nicht möglich. Die enge Verschränkung der Ausstattung mit dem Luxusdiskurs wirft allerdings die Frage auf, inwieweit solche Kritik auch auf die Kaiserresidenzen der

86 Zur Umkehrung des Normalen in der Vita des Elagabal im Rahmen der „Historia Augusta“ siehe Zinsli 2014, 216–223.

konstantinischen Zeit übertragen werden können und somit in spätantiken Diskursen zu verorten sind, zumal die „Historia Augusta“ aus späterer Zeit auf die Kaiser des 2. und 3. Jahrhunderts zurückblickt. Auch die ebenfalls spätantiken „Panegyrici Latini“ kritisieren übertriebenen, unnötigen Luxus87. Dabei entsteht der Eindruck, dass nicht die hohe Qualität und Quantität an sich als negativ angesehen werden, sondern die mangelnde Funktion und Zweckmäßigkeit derselben, das heißt, das rein private Vergnügen und der Müßiggang des Kaisers, der sich nicht der cura imperii hingibt. Dies ist meines Erachtens als ein Hinweis zu verstehen, noch stärker als früher die Funktionalität von Wand-, Boden- und Deckenschmuck in bestimmten Räumen zu hinterfragen, insbesondere auf die jeweilige Zugänglichkeit und Sichtbarkeit hin zu untersuchen und dabei auch den Zusammenhang zwischen Funktion und rezeptions- bzw. materialästhetischen Aspekten nicht aus dem Blick zu lassen88. Die korrekte Kommunikation des Kaisers, das richtige Maß zwischen Distanz und Sichtbarkeit sowie die Einhaltung von Hierarchien am Hof können als Diskurse hinter dem Text ausgemacht werden und auch die Diskussion um die archäologisch fassbare Ausstattung bereichern, wenn sie auch in der Regel nicht dazu beitragen können, rein archäologische Fragen abschließend zu beantworten.

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87 Paneg. Lat. 3 (11), 11, 4, vgl. Anm. 62. 88 Zur römischen Materialästhetik siehe die Überlegungen in Grüner 2014.

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Elisabeth Günther

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RÖMISCHE KAISERRESIDENZEN UND KULTANLAGEN von Wolfgang Spickermann

Für Claudia Christanz Frank Kolb betont unter Berufung auf die Panegyrici Latini und Sueton, dass – zumindest ab der Zeit der Tetrarchie – der Kaiserpalast selbst als templum betrachtet wurde, eine Entwicklung, die sich durch den Einfluss der sogenannten Mysterienreligionen und das kaiserliche Zeremoniell der Spätantike noch verstärkt habe1. Abgesehen davon, dass der Palast nicht explizit als Tempel bezeichnet wird, legt diese Interpretation den Fokus auf den/die Kaiser selbst als gottgleiche Person(en), lässt aber den wichtigen Aspekt außer Acht, dass die Residenz seit Augustus immer auch mit anderen Gottheiten verbunden war. Der Kaiser – in der Regel ein Gottessohn (divi filius) und durch den Titel Augustus unter allen lebenden Menschen hervorgehoben – war der direkte Nachbar bzw. Mitbewohner von Göttern, unter denen er sich frei bewegen konnte und zugleich als pontifex maximus für die Vermittlung des göttlichen Willens an die Welt zuständig2. Er bezog eine Wohnung auf dem Palatinhügel, wodurch sein Haus ein gewisses Prestige erhielt, weil auch Romulus hier gewohnt haben soll. Hierdurch imitierte er das Modell hellenistischer Herrschersitze, die in direkter Verbindung mit Kultstätten standen3. Auch

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Kolb 2001, 41–43 unter Bezug auf Sueton, Domitian 13, 1 principatum vero adeptus neque in senatu iactare dubitavit et patri se et fratri imperium dedisse, illos sibi reddidisse, neque in reducenda post divortium uxore edicere (re) vocatam eam in pulvinar suum; Pan. Lat. III (11) 11, 3: atque haec quidem velut interioribus sacrariis operta veneratio eorum modo animos obstupefecerat quibus aditum vestri dabant ordines dignitatis (291 n. Chr.); VIII (5) 1, 3 (für Constantinus Aug.): volui enim, sacratissime imperator, cum in illo aditu palatii tui stratum ante pedes tuos ordinem indulgentiae tuae voce divina porrectaque hac invicta dextera sublevasti, numini tuo gratias agere; vgl. Panegyrici Lat. VII (6) 16, 1 (310 n. Chr.): haec est fides, haec religio Palatini sacrarii devota penetralibus. Strothmann 2010, 217. Pensabene/Gallocchio 2017, 159.

wenn der Kaiser sich an einem anderen Ort aufhielt, wurde sein Wohnsitz nach diesem Hügel Palation genannt 4. Plinius preist Trajan, der den Göttern gleiche und von diesen selbst eingesetzt sei5; er verfüge über die gleiche Machtfülle wie die Götter6, könne sogar in der Vergangenheit Hilfe bringen7 und sei ein wahrer Gottessohn8. Obwohl der so erfolgreiche Kaiser bescheiden und fromm sei, stünden doch ein oder zwei Bronzestatuen in der Vorhalle des Tempels des Iupiter Optimus Maximus9. Aelius Aristeides verbindet den Kaiser Antoninus Pius in seiner Romrede unmittelbar mit Zeus/Iupiter, dessen irdischer Vertreter er sei10. Der spätantike Redner Libanios aus Antiochia vergleicht schließlich auch die Schönheit von Tempeln mit derjenigen der kaiserlichen Paläste11, beides Wohnsitze göttlicher Wesen, aber dennoch unterschiedlich. Der Kaiser war in steter Kommunikation mit den Göttern und dafür zuständig, Himmel und Erde in Einklang zu bringen. Augustus stützte sich dabei auf eine Vielzahl von Gottheiten, wählte aber frühzeitig Apollo als seinen persönlichen Schutzgott aus, der neben ihm auf dem Palatin Wohnung bezog12. Während der Kaiser im Osten des Reiches nach dem Vorbild hellenistischer Herrscher den Göttern auf Augenhöhe sogar die Hand reichen konnte, wurde dies in Rom durch das Wohnen in Nachbarschaft ausgedrückt13. Dass Rom bis zur Te4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Cass. Dio 53, 16, 5–6. Plin., paneg. 1, 3–4; 5, 2; 7, 5; 8, 1–3. Plin., paneg. 4, 4. Plin., paneg. 40, 3. Plin., paneg. 11, 1–3. Plin., paneg. 52, 1–3. Aristeid., Rom. 104–105. Liban., or. 30, 42. Strothmann 2010, 224. Vgl. die Dexiosisstele von Sofraz aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., die den König von Kommagene, Antiochos I., in Dexiosishaltung mit Apollon zeigt: Blömer/Winter 2011, 168–172; zu den Siegeln von Doliche: Schreiber 2022.

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Wolfgang Spickermann

trarchie wichtigste Kaiserstadt und -residenz des Reiches blieb, ist unbestritten. Dennoch gab es bereits früher Tendenzen, außerhalb Roms dauerhafte alternative Residenzorte einzurichten, wie Capri und Tivoli zu zeigen vermögen, wenn diese auch nur kurzzeitige Bedeutung erlangten14. Hierzu bedurfte es, wie in Rom, einer Nachbarschaft zu den Göttern, die der neue Hausherr mehr oder weniger herausstellte. Im Folgenden soll die Entwicklung dieser kaiserlichen Nachbarschaft zu den Göttern bis zum Bau der tetrarchischen Palastanlagen durch einige aussagekräftige Fallstudien skizziert werden, ohne aus Platzgründen zu sehr in die Tiefe gehen zu können. Die Residenz in Trier soll dabei nicht weiter ausgeführt werden, da sie ohnehin im Mittelpunkt weiterer Untersuchungen in diesem Band steht.

Augustus als Nachbar der Götter Kaiser Augustus (30 v. Chr.–14 n. Chr.) hatte seinem persönlichen Schutzgott Apollon schon als Octavian im Jahre 36 v. Chr. einen Tempel mit Portiken gelobt und diesen 28 v. Chr. auf dem Palatin eingeweiht15. Er sollte auf dem Boden stehen, den er dort selbst als Baugrund erworben hatte und in den ein Blitz eingeschlagen war16. Am 28.4.12 v. Chr. weihte Augustus, nachdem er pontifex maximus geworden war und einen Teil seines Hauses auf dem Palatin zum öffentlichen Besitz erklärt hatte, dort eine aedicula und ara der Vesta17. Damit wurde der Amtssitz des pontifex maximus in Nachbarschaft des Vestatempels vom Forum auf den Palatin verlegt18. Ob nun der Apollotempel unmittelbar an die Ostseite des von Augustus bewohnten Hauses angrenzte oder über einem von ihm verlassenen Hausteil errichtet wurde19, ändert nichts an der Tatsache, dass Vesta und Apollo sich in seiner direkten Umgebung niedergelassen hatten. Außerdem hatte er auf dem Palatin den Tempel der Magna Mater neu errichten lassen, was in seinem Tatenbericht unter den wiederhergestellten Heiligtümern eigens erwähnt wird20, und auch die Hütte des Romulus 14 Vgl. anders Mayer 2002, 40. 15 Aug., Res Gestae 19. – Suet., Augustus 29, 2. – Cass. Dio 49, 15, 5. – Vell. 2, 81. Einweihung: Cass. Dio 53, 1, 3. – Properz 2, 31, 1–6; 4, 1, 1–4. – Horaz 1, 31. Zum Tempelbau: Strothmann 2000, 62–64. – Strothmann 2010, 224 f. – Bringmann/Schäfer 2002, 235–238. 16 Suet., Augustus 29, 2. – Cass. Dio 49, 15, 5. 17 Inscr. Ital. XIII,2 p.452. – Ov., fast. 4, 949; Ov., metam. 15, 864. – Cass. Dio 54, 27, 2–3. 18 Vgl. Bringmann/Schäfer 2002, 238 f. 19 Balensiefen 2009, 83  f. – Pensabene/Gallocchio 2017, 158–161. 20 Res Gestae 19.

renoviert, die 12 v. Chr. nach dem Tod des Agrippa niedergebrannt war21. Alle größeren Tempel auf dem Palatin, der Victoriatempel, der Magna Mater Tempel und der Apollotempel waren zum circus gewandt22. Der Palatin beherbergte damit mehrere Häuser verschiedener Gottheiten, die alle in der Nähe des Wohnsitzes des Augustus lagen23. Er hatte damit den Hügel exklusiv vereinnahmt und war namensgebend für die herrscherliche Residenz an sich, die fortan stets eine sakrale Komponente innehatte. Die folgenden Kaiser bauten dort ihre eigenen Palastanlagen, änderten aber nichts mehr an dieser Grundkonzeption24.

Tiberius und die Villa Iovis auf Capri Sueton berichtet, dass Kaiser Tiberius (14–37) anlässlich der Unterdrückung der Verschwörung des Seian 31 n. Chr. für die nächsten neun Monate seine sogenannte Villa Iovis auf Capri nicht verließ25. Der Kaiser hatte sich die Insel als sein Refugium und Regierungssitz gewählt, wo er ab 27 n. Chr. die letzten Jahre seiner Regierungszeit verbrachte26. Es handelt sich damit um die erste Kaiserresidenz außerhalb Roms. Augustus hatte die Insel bereits 29 v. Chr. von den Neapolitanern als Privatbesitz erworben und dort mehrere herrschaftliche Villen errichtet27. Diese heute nicht mehr alle zu lokalisierenden Anlagen nahm Tiberius in Besitz und baute eine auf einem hohen Felsen gelegene Villa zur Residenz aus, die Plinius d. Ä. als arx bezeichnet28. Die im Stil hellenistischer Paläste erbaute Anlage liegt weithin sichtbar 334 m über den steil zum Meer abfallenden Felswänden des Monte Tiberio. Sie hat acht Stockwerke, zahlreiche Räume (Privatgemächer, Bibliotheken, Badeanlagen, Kanzleien und Arbeitsräume) und künstliche Terrassen. Die Anlage war mit einem Signalturm (pharos) verbun-

21 Cass. Dio 54, 29, 8. 22 Wulf-Rheidt 2011, 5. – Bringmann/Schäfer 2002, 240 f. 23 Carettoni 1988, 263–265. – Pensabene/Gallocchio 2017, 158 f. 24 Zur baugeschichtlichen Entwicklung des Palatin: WulfRheidt 2011. 25 Suet., Tiberius 65, 2: verum et oppressa coniuratione Seiani nihilo securior aut constantior per novem proximos menses non egressus est villa, quae vocatur Iovis. Ich schließe mich hier der alternativ überlieferten Lesung Iovis statt Ionis oder Inonis an: Krause 2003, 11; 101; 103 Anm. 33. 26 Suet., Tiberius 40. – Tac., ann. 4, 67. 27 Cass. Dio 52, 43, 2. – Tac., ann. 4, 67. 28 Plin., nat. 3, 36: inter Pausilypum et Neapolim Megaris, mox a Surrento VIII distantes Tiberii principis arce nobiles Capreae circuitu Xl m.

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Römische Kaiserresidenzen und Kultanlagen

den, der wohl auch als Observatorium diente29. Die Villa Iovis war damit dem der tyrrhenischen Minerva gewidmeten Kap von Sorrent zugewandt30. Wenn sich auch keine unmittelbaren Spuren von Heiligtümern innerhalb dieser kaiserlichen Residenz außerhalb Roms gefunden haben, so scheint doch hier der Name Programm zu sein: Tiberius residierte im Haus des höchsten Gottes. Im Todesjahr des Tiberius 37 n. Chr. stürzte der Signalturm aufgrund eines Erdbebens ein31 und dürfte dann wiederaufgebaut geworden sein32. Nach dem Tode des Tibe­ rius scheint der Kaiserpalast nicht mehr als ständige Residenz genutzt worden zu sein, jedenfalls fehlen entsprechende Zeugnisse.

Die Villa Hadriana in Tivoli Während die folgenden Kaiser der iulisch-claudischen und flavischen Dynastie ihre Paläste in Rom auf dem Palatin ausbauten oder wie Nero mit der Domus Aurea zusätzlich eine völlig neue Palastanlage errichten ließen, kommt es erst unter Ha­ drian (117–138) zu einer neuen ausgedehnten und permanent angelegten Residenz außerhalb Roms, ohne dass Rom selbst als Residenzstadt aufgegeben wurde. Obwohl es sich formal um einen Landsitz handelt33, dürften sich dort auch Büros der kaiserlichen Kanzleien befunden haben34. Die Historia Augusta berichtet von einem Landsitz (villa) in Tibur, den sich Kaiser Hadrian errichten ließ. Dort habe er sich sein lykeion, seine Akademie, sein prytaneion, sein kanopos, seine poikile und sein tempe geschaffen und um ja nichts auszulassen, stellte er sogar die Unterwelt bildlich dar35. Hadrian hatte in Rom zahlreiche Bauten errichten lassen, darunter das neue Pantheon, den riesigen Tempel der Venus und Roma, den Tempel für seine Schwiegermutter 29 30 31 32 33 34

Krause 2003, 14. Stat. Silv. 3, 2, 23–24. Suet., Tiberius 74. Krause 2003, 93 f. MacDonald/Pinto 1995, 3–6. Inschriftlich sind aus Tivoli zwei Freigelassene aus der kaiserlichen Kanzlei der villa Tiburtina überliefert: CIL XIV 3635 = ILS 1585: ]I[3] / [3]ORT[3] / T(itus) Aelius Au[g(usti) l(ibertus)] Euhodion / tabularius villae Tibur/ tis et Victoria / filio dulcissimo / b(ene) [m(erenti)] f(ecerunt) u. CIL XIV 3636 = ILS 1584: D(is) M(anibus)  / Aelio Probo Aug(usti) lib(erto) / Aelius Irenaeus com/ me(ntariensis) villae Tiburtis / amico et collib(erto) / b(ene) m(erenti) f(ecit). 35 H. A., Hadrian 26, 5: Tiburtinam Villam mire exaedificavit, ita ut in ea et provinciarum et locorum celeberrima nomina inscriberet, velut Lyceum, Academian, Prytaneum, Canopum, Poicilen, Tempe vocaret, et, ut nihil praetermitteret, etiam inferos finxit. Vgl. H. A., Tyranni triginta 30, 27 (Hadriani palatio).

Matidia und nicht zuletzt sein Mausoleum. Der Bau einer ausgedehnten Villenanlage als kaiserliche Residenz, etwa eine Tagesreise (30 km) von Rom entfernt, stellte jedoch ein Novum dar. Aurelius Victor fasst im 4. Jahrhundert die Anlage als Komplex mehrerer palatia auf36. Anders als Capri war der Ort verkehrstechnisch über die via Tiburtina und den Anio sehr schnell von Rom aus erreichbar. In der Nähe lag das ausgedehnte tiburtinische Heiligtum des Hercules Victor, welches mit einem Theater als regionales Zentrum religiöser Feste verbunden war und an das auch ein Handels- und Handwerkszentrum grenzte37. Der spätantike Autor Laktanz nennt in seinen „Institutiones Divinae“ die tiburtinische Sibylle als die zehnte der bei Varro aufgezählten zehn Sibyllen, welche auch Albunea genannt werde38. Die in drei Bauphasen (118–121, 121–125 und 125– 138 n. Chr.) neu errichtete Kaiservilla befand sich in ca. 3 km Entfernung von dem genannten Heiligtum und beinhaltete selbst weitere Kultanlagen, wie einen dorischen Rundtempel der Venus-Aphrodite39, ein Iseum und ein Antinoeion40. Ebenso dürfte das südliche Theater vorrangig religiösen Zwecken gewidmet gewesen sein41. Dass Hadrian eine gewisse Vorliebe für Aphrodite/Venus hatte, zeigt neben den genannten Heiligtümern nicht zuletzt sein Aphroditetempel in Aelia Capitolina/Jerusalem. Egal wie man die genannten Anlagen interpretiert, auch dieser Kaiser befand sich wie Augustus in direkter Nachbarschaft der Götter und dazu nicht weit von einem großen Kultzentrum, wenn er sich auch aufgrund seiner ausgedehnten Reisetätigkeit selten in dieser Residenz aufhielt42. Mag Hadrian selbst auch andere Pläne gehabt haben, nach seinem Tod wurde Tivoli zwar von seinen Nachfolgern genutzt, spielte aber als permanente Residenz keine Rolle.

Antiochia/Antakya: Kaiserresidenz des Ostens Es steht außer Frage, dass die Kaiser über zahlreiche herrschaftliche Villen außerhalb Roms verfügten, die insbesondere bei Reisen genutzt werden konn36 Aur. Vict., liber de Caes. 14, 5: Deinde, uti solet tranquillis rebus, remissior rus proprium Tibur secessit permissa urbe Lucio Aelio Caesari. Ipse, uti beatis locupletibus mos, palatia exstruere, curare epulas signa tabulas pictas. Vgl. auch Mayer 2002, 41 mit Anm. 158. 37 Schareika 2010, 17–21. 38 Lact., epit. div. inst. 5. Zu den lokalen Kulten vgl. Buchet 2012. 39 Schareika 2010, 77 f.; vgl. MacDonald/Pinto 1995, 58 f. 40 Schareika 2010, 125–129. 41 MacDonald/Pinto 1995, 134 f. 42 Zur religiösen Nutzung der villa Hadriana und Ha­drians Nähe zu Augustus: MacDonald/Pinto 1995, 132–138.

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ten, doch ist wohl kein Ort von Kaisern so häufig und sogar längerfristig als Ausgangsbasis für Feldzüge genutzt worden wie Antiochia am Orontes. Problematisch ist, dass diese große Stadt durch Erdbeben und Katastrophen weitgehend zerstört wurde und heute nahezu verschwunden ist. Hinzu kommt nun leider auch das verheerende Erdbeben vom 6.2.2023, welches das moderne Antakya weitgehend zerstört hat. Es bleiben nur Notizen aus der antiken Literatur und wenige archäologische Relikte. Eine für kaiserliche Besuche nutzbare Residenz scheint es schon unter der iulisch-claudischen Dynastie gegeben zu haben43. So schreibt Johannes Malalas in seiner Weltchronik, dass unter Caligula (37–41) im Jahre 41 n. Chr. die Villen des Pontous und Varius zu kaiserlichen Gebäuden umgewidmet worden seien44. Kaiser Trajan (98–117) verbrachte zu Beginn seines Partherfeldzugs von Januar 114 n. Chr. an einige Zeit in Antiochia, um die Unternehmung vorzubereiten. Nach dem Erdbeben im Dezember 115 n. Chr. sorgte der Kaiser nicht nur für den Wiederaufbau zahlreicher zerstörter Gebäude in Antiochia, sondern errichtete auch einige neue, darunter Heiligtümer45. Es ist naheliegend, dass sich diese Bautätigkeit auch auf den kaiserlichen Palast bezog. Dennoch gibt es keinen sicheren Beleg dafür, dass sich dieses Gebäude auf der Flussinsel befand, dem Ort der späteren diokletianischen Residenz46. Libanios schweigt sich über die Lage des vordiokletianischen Palastes aus, in dem später unter anderem auch Lucius Verus während seines Persienfeldzuges residiert haben dürfte. Auf sichererem Boden befinden wir uns daher erst mit dem Ausbau der dio­ kletianischen Palastanlage auf einer im Nordwesten der Stadt gelegenen Insel zwischen zwei Armen des Orontes, vor der sich ein Tetrapylon befand47. Der Palast, den schließlich Kaiser Diokletian (284–305) hier errichtete, dürfte ein Vorbild für seine Altersresidenz in Spalato bei Salona gewesen sein. Er lag in unmittelbarer Nähe eines Hippodroms und mehrerer Bäder48. Leider ist über sein Inneres wenig bekannt. Libanios lobt ihn wegen seiner Schönheit und Größe mit zahlreichen Kolonnaden und Hallen49. Er berichtet ferner, dass Kaiser Iulian (360– 363), den die christliche Überlieferung Apostata (der Abtrünnige) nennt, im Garten dieser Palastanlage öffentliche Opfer vollzog50. Dies setzt voraus, dass es dort für den Kult geeignete Plätze (Altäre,

43 44 45 46 47

Maas 2001, 15 f. Malalas p. 245 D; vgl. Downey 1962, 89. Malalas p. 275 f.; vgl. Downey 1962, 99. Downey 1962, 117. Liban., Antioch. 204–207; vgl.  den Plan bei Kondoleon 2001, XV. 48 Downey 1962, 118. 49 Liban., or. 11, 207. 50 Liban., or. 1, 121 f.; vgl. Downey 1962, 167.

Heiligtümer) gegeben haben muss. Der Kaiser besuchte auch häufig die in der Nachbarschaft gelegenen Tempel, wie den des Zeus Philios und auch das Zeusheiligtum auf dem Mons Casius51. Ammianus Marcellinus berichtet, dass er mit seiner teilweise übertriebenen Opfertätigkeit das Missfallen der Bevölkerung Antiochias hervorrief52. Wenn auch über den Palast in Antiochia wenig bekannt ist, so scheint diese Anlage Kultstätten gehabt – bzw. in unmittelbarer Nähe von solchen gelegen – zu haben.

Die tetrarchischen Residenzen Nikomedia/Izmit Dem christlichen Autor Lactanz zufolge ließ Kaiser Diokletian an der Stelle, wo er in Nikomedien zum Kaiser ausgerufen worden war, eine Statue des Iupiter errichten53. Nach der sogenannten Soldatenkaiserzeit mit ihren zahlreichen Herrschern versuchten die neuen augusti, Diokletian und Maximian, ihrer Herrschaft eine neue theologische Grundlage zu geben, indem sie sich als Abkömmlinge des Iupiter (Diokletian) bzw. des Hercules (Maximian) bezeichneten. Damit verkehrten sie nicht wie die bisherigen Kaiser mit den Göttern nur auf Augenhöhe, sondern erhoben den Anspruch einer direkten Abstammung. Die Verehrung der erwählten Gottheiten in den neuen Residenzen ist damit sozusagen Ahnenkult. Die Wahl Nikomediens zur bevorzugten Residenz des Diokletian erfolgte aus strategischen Gründen. Lactanz geißelt in seinen „Todesarten der Verfolger“ den Ausbau Nikomediens unter Diokle­ tian als grenzenlose Bauwut54. Trotz dieser tenden­ ziösen Beschreibung besteht doch kein Zweifel daran, dass die Baumaßnahmen des Kaisers gravierende städtebauliche Veränderungen bewirkt

51 Iulian Misop. 346 b–c.; 361 d–362 a–b. Zum Aufenthalt des Iulian in Antiochia: Mayer 2002, 208–217. Schon Trajan und Hadrian hatten den Kult des Zeus Casius gefördert: Giorgi 2016, 146. 52 Amm. 22, 12, 6 f. 53 Lact., de mort. pers. 19, 2–6. 54 Lact., de mort. pers. 7, 8–11: Huc accedebat infinita quaedam cupiditas aedificandi, non minor provinciarum exactio in exhibendis operariis et artificibus et plaustris omnibus quaecumque sint fabricandis operibus necessaria. Hic basilicae, hic circus, hic moneta, hic armorum fabrica, hic uxori domus, hic filiae. Repente magna pars civitatis exciditur. Migrabant omnes cum coniugibus ac liberis quasi urbe ab hostibus capta. Et cum perfecta haec fuerant cum interitu provinciarum, ‘non recte facta sunt’ aiebat, „alio modo fiant“. Rursus dirui ac mutari necesse erat iterum fortasse casura. Ita semper dementabat Nicomediam studens urbi Romae coaequare.

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Römische Kaiserresidenzen und Kultanlagen

haben. Die Verbindung von Palastanlage und circus bzw. Hippodrom ist beispielsweise auch in Antiochia und anderen Residenzstädten anzutreffen, Münzstätte und Waffenfabriken waren angesichts der starken Truppenpräsenz notwendig55. Aufgrund der dürftigen Quellenlage lassen sich über Nikomedien keine weiteren Aussagen machen.

Mediolanum/Mailand Diokletians Kollege im Amt, Maximian (285–305), baute Mailand zu seiner Residenz aus. Auch hier gab es erhebliche Veränderungen des Stadtbildes. Der Dichter und Staatsmann Ausonius (um 310– 394) berichtet über verschiedene neue Bauwerke in Mailand, darunter die zweifache Stadtmauer, den circus, das große Theater mit seinen Flügeln, die Tempel, die prächtige Münzstätte, die Herculesthermen und auch die Befestigungen eines Palastes56. Der unbekannte Panegyriker des Jahres 291 n. Chr. erwähnt in seinem „Genethliacus“ für Maximian zum ersten Mal dessen Palast in Mailand57. Mehrere Ausgrabungen ergaben, wie in Antiochia, ein Ensemble von circus, bzw. Hippodrom und kaiserlichem Palast auf dem Schutt von Häusern, die damit ins Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden können58. In der direkten Umgebung dieses Palastareals scheinen sich mehrere Heiligtümer befunden zu haben. Auch hier wohnte der Kaiser in Nachbarschaft von Göttern59.

straße, vor der Rotundra, stand der ursprünglich als Tetrapylon geplante Galeriusbogen mit seiner berühmten Bildprogrammatik, welche ursprünglich in etwa 50 Siegesbildern die Taten des Galerius und der Tetrarchie verherrlichte60. Die um 306 n. Chr. errichtete Rotunda wird als Heiligtum für die Kabiren und/oder Zeus/Iupiter gedeutet, welches später zu einer christlichen, dem Heiligen Georg geweihten, Kirche umgewandelt wurde61. In diesem Fall wäre der Palast unmittelbar auf den Tempel des göttlichen Ahnen der Dynastie Iupiter/Zeus ausgerichtet. Die Existenz von Götterstatuen innerhalb des Palastbereichs bezeugt die „Suda“, ein aus dem 10. Jahrhundert stammendes byzantinisches Lexikon, in einem Eintrag über Auxentios, den Bischof von Mopsuestia, der sich als Soldat im Gefolge des Kaisers Licinius (308–324) in Thessalonike befand und sich weigerte, vor einer Dionysosstatue, welche sich neben einem Brunnen und einer Weinranke befand, Trauben zu opfern. Er wurde darauf gezwungen, seinen Dienst zu quittieren62. Der Palastkomplex des Galerius, der ein ganzes Stadtviertel einnahm, wurde zum administrativen und religiösen Zentrum der Stadt und eines Reichs­ teils. Er beherbergte kaiserliche Gemächer, Kanzleien, Bäder, Sportbereiche und Tempel63. Offenbar wurde die gesamte Anlage als Tetrarchenresidenz um 299 n. Chr. geplant und in der Periode von 299– 303 n. Chr. umgesetzt, wobei Galerius in Thessalonike anwesend gewesen sein dürfte64.

Treveris/Trier Die in der Tetrarchenzeit begonnene ähnliche Neugestaltung von Treveris/Trier soll hier nicht weiter thematisiert werden, weil dies – wie oben schon erwähnt – in anderen Beiträgen dieses Bandes geschieht.

Thessalonike Die im Südosten der Stadt liegende, um 305 n. Chr. in Betrieb genommene, Palastanlage des Kaisers Galerius (293–311) lag benachbart zu einem Hippodrom und war über den decumanus hinweg durch eine Säulenstraße mit der sogenannten Rotundra verbunden, einem Kuppelbau in einem Temenos, der kultischen Zwecken diente. Über dieser Säulen-

55 56 57 58 59

Mayer 2002, 29 f. Auson., ordo nob. urb. 5, 41. Panegyrici Lat. XI 11, 2. Mayer 2002, 31. Vgl. die Karte bei Mayer 2002, 32 Abb. 1.

60 Mayer 2002, 43–64. – Elliger 1998, 51 f. 61 Kurkutidu-Nikolaïdu/Turta 1997, 56. 62 Suda s.v. Αὐξέντιος: Αὐξέντιος, Μοψουεστίας ἐπίσκοπος: ὃς ἠˆν τω ˆ ν ὁμολογητω ˆ ν ὀνομαζομένων. ἠˆν δέ παρὰ τω ˆ ν ἐπιφανω ˆ ς τῳ ˆ βασιλειˆ Λικινίῳ στρατευσαμένων τω ˆ ν ὑπογράφέων τού́του γενό́μενος, οὓς δὴ̀ νοταρίους Ῥωμαιˆοι καλουˆσι. τὸ̀ δὲ̀ τηˆς ὁμολογί́ας τοιόνδε γέ́γονεν εί̓ˆδος: ἠˆν ἔ́ν τινι τηˆς βασιλικηˆς ἑστίας αὐ̓λῃˆ κρή́νη τε ὓδατος καὶ̀ ἐ̓πʹ αὐ̓τῃˆ Διονὕσου ἄγαλμα καί ἄμπελος μεγάλη περικειμένη καὶ σκιερὸν ἐπιεικω ˆς καὶ συνηρεφηˆ τὸν ἄπαντα τόπον ἐργαζομένη. ἐνταυˆθα ὁ Λικίνιος κατὰ πρόφασιν ἀπαγωγηˆ ς ἀφικόμενος, τουˆ τε Αὐξεντίου αὐτῳˆ καὶ ἄ́λλων πολλω ˆ ν ἐκ τηˆς θεραπείας παρεπομένων, εἰς τὴν ἄ́μπελον ἀ̓νιδὼ̀ν ἐ̓θεά́σατο βό́τρυν ὡραιˆόν τινα καὶ μέγαν τω ˆ ν κλημάτων ἀπαιωρούμενον. τουˆτον προσέταξε τῳ ˆ Αὐξεντίῳ τεμειˆν. ὁ δὲ αὐτίκα τὸ προσηρτημένον ταιˆς ἀναξυρίσιν αὐτουˆ μαχαίριον ἀφελόμενος ἔ̓́τεμε μηδὲν ὑπειδόμενος. ὁ οὐ̓ˆν Λικίνιος πρὸς αὐτόν: θὲς τοίνυν τὸν βότρυν, ἔφη, πρὸς τοιˆς τουˆ Διονύ́σου ποσίν. ὁ δὲ̀, μὴ, ὠ ˆ βασιλευˆ, ἀπεκρίνατο, Χριστιανὸ̀ς γάρ εἰμι. κἀκειˆνος: οὐ̓κουˆν ἐκποδω ˆ ν οἰ̓χή́σῃ τηˆς στρατείας ἀποπαυσάμενος: θάτερον γὰρ τοιˆν δυοιˆν ἀνά́γκη ποιειˆν. ὁ δὲ μηδὲν μελλή́σας τήν τε ζώ́νην ἑαυτουˆ λύ́εται καὶ ἄσμενος ἐ̓ξεχὥρησεν, ὡς εἰ̓ˆχε, τω ˆν βασιλεί́ων. 63 Hadjitryphonos 2011 bes. 207. 64 Stefanidou-Tiveriou 2009, 409.

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Sirmium/Sremska Mitrovica Der kaiserliche Palastkomplex von Sirmium findet eine Erwähnung bei Ammianus Marcellinus, als Kaiser Iulian 361 n. Chr. bei seinem Zug gegen Constantius II. dort einzog und sich im Kaiserpalast niederließ. Am nächsten Tag veranstaltete er ein Wagenrennen, wohl im benachbarten Hippodrom65. Unter der Herrschaft des Kaisers Valentinian (364–375), der zusammen mit seinem Bruder Valens (364–378) und seinem Sohn Gratian (364–383) regierte, soll 375 in Sirmium ein Blitzschlag den Kaiserpalast, die curia und Teile des Forums zerstört haben66. Bei Ausgrabungen wurde ein Palastareal freigelegt, welches wie andere tetrarchische Anlagen mit einem Hippodrom verbunden war67. Wohl aus der ersten Bauphase des Palastes am Ende des 3. Jahrhunderts stammt ein kleiner Umgangstempel, der unmittelbar mit diesem verbunden war68. Über die frühen Phasen des Palastes und des Hippodroms ist relativ wenig bekannt und es gibt auch keine epigraphischen oder literarischen Zeugnisse des Galerius, der hier mehrfach residiert haben muss69. Insgesamt ähnelt das Palastensemble aber dem der anderen Residenzstädte, so dass man von einer planmäßig errichteten Anlage ausgehen darf.

Palastanlage dürfte demnach wohl in der Zeit zwischen 295 und 305 n. Chr. entstanden sein70. Für die Residenz entscheidend ist das Ensem­ ble von Mausoleum und Tempel, die im Osten und Westen des Wohntraktes liegen und beide von je einem Temenos umgeben sind71. Vor dem Po­ diumtempel standen zwei monopteroi, die als mächtige Statuenbasen dienten. In der Forschung hat sich durchgesetzt, den Tempel, der heute noch gut erhaltenen ist, Iupiter zuzuweisen72. Wolfgang Kuhoff weist darauf hin, dass Mausoleum und Tempel zum öffentlichen Teil der Gesamtanlage gehörten, der vom privaten Wohnbereich des Diokletian und seiner Familie zu unterscheiden sei73. Wenn man davon ausgeht, dass die Paläste des Diokletian in Spalato und die des Galerius in Felix Romuliana ausdrücklich zur Repräsentation des Gedenkens an ihre irdische und himmlische Majestät errichtet wurden, dann zeigt sich hier der Zusammenhang von göttlicher Abstammung als Iovier und schließlich einer Divinisierung und Verehrung im Mausoleum74. Deutlicher kann der Zusammenhang von kaiserlicher Person und göttlicher ‚Verwandtschaft‘ kaum versinnbildlicht werden. Es ist der Ausdruck einer neuen, durch Diokletian und die Tetrarchen geformten, Herrscherverehrung, welche die Göttlichkeit der kaiserlichen Person besonders betonte75.

Alterssitze

Felix Romuliana/Gamzigrad

Spalato/Split

Nach dem Beispiel des Diokletian plante sein Cae­ sar und Nachfolger als Augustus eine ähnliche Palastanlage in der Nähe seines Geburtsortes, die er nach seiner Mutter Romula „Romuliana“ nannte. Der Name des Ortes ist inschriftlich bezeugt76. Lactanz zufolge war Romula einst vor den Karpen über die Donau nach Dakien geflohen. Außerdem habe gerade Galerius besonderen Wert auf seine göttliche Abstammung – als Sohn des Mars – gelegt77. Romula sei auch eine Verehrerin der Berggottheiten und Gegnerin der Christen gewesen, was sie an ihren Sohn weitergegeben habe78. Der Baubeginn des Palastes dürfte wohl nach dem Persersieg des

Die Forschungsliteratur zum gut erhaltenen Diokletianspalast im heutigen Split ist mannigfaltig und kann hier nicht umfänglich Berücksichtigung finden. 305 n. Chr. hatte Diokletian abgedankt und sich in seine riesige Palastanlage in Spalato, in der Nähe seiner Geburtsstadt Aspalathos bei der dalmatischen Stadt Salona/Solin, zurückgezogen. Er führte fortan wie Maximian den Titel senior Augustus und sollte sich, da Galerius und Constantius Chlorus (293–306) als Augusti nachgerückt waren, aus den Regierungsgeschäften heraushalten, was er mit Ausnahme seiner Mediatorenrolle auf der Kaiserkonferenz 308 n. Chr. in Carnuntum auch tat. Damit haben wir es nicht mit einem Regierungssitz zu tun, sondern mit einer Altersresidenz. Die

65 Amm. 21, 10, 1–2. 66 Amm. 30, 5, 10; vgl. Zos. 4, 18, 1, der den Blitzschlag kurz nach dem Tod Valentinians datiert; vgl.  dazu Jeremić 2009, 472. 67 Popović 2011, 178–181. – Popović 2007, 25 f.; ferner Jeremić 2009, 473–494. 68 Popović 2007, 23 f. – Jeremić 2009, 485. 69 Popović 2011, 181.

70 Kuhoff 2001, 149 f. 71 Vgl. den Plan bei Nikšić 2009, 120 Abb. 1. 72 Mayer 2002, 74 f. vgl. Kuhoff 2001, 157 f. – Nikšić 2011, 192 geht von einer Dedikation an mehrere Gottheiten aus: Iupiter, Hercules, Sol und Asculapius. 73 Kuhoff 2009, 108. 74 Nikšić 2011, 194 f. – Kuhoff 2001, 158 f. Mayers These, dass Diokletian die Kaiserwürde als göttliche Mission aufgefasst habe, die nicht untrennbar mit seiner Person verbunden war (Mayer 2002, 79), erschließt sich mir nicht. 75 Bužančić 2009, 236. 76 AE 1986, 625: Felix / Romuli/ana. 77 Lact., de mort. pers. 9, 1–3. 78 Lact., de mort. pers. 11, 1–2.

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Römische Kaiserresidenzen und Kultanlagen

Galerius 297 n. Chr. erfolgt sein, vielleicht im Jahr 303 n. Chr., als Diokletian seinen Rückzug aus dem Amt im Jahr 305 n. Chr. beschloss79. Inwieweit Galerius sich später zu seinen Vicennalien 313 n. Chr. selbst zurückziehen wollte, ist nicht bekannt, da er 311 verstarb. Anders als Split entstand die Anlage sukzessive, wobei der größte Teil der Arbeiten beim Tode des Galerius abgeschlossen gewesen sein dürfte80. Im Unterschied zu Spalato liegt das eher bescheidene Mausoleum auf dem Hügel Magura außerhalb des ummauerten Bezirks mit einem großen und einem kleinen Podiumstempel81. Allerdings war das Mausoleum auf den großen Tempel hin ausgerichtet82. Beim großen Tempel wurden Teile von Statuen des Hercules, eines Kaisers oder Mars und von Iupiter gefunden, möglicherweise Kultbilder83. Dies würde der Herrschaftsideologie der Tetrarchie entsprechen. Der kleinere Tempel lässt sich nicht eindeutig einer Gottheit zuweisen84. Romuliana wurde nie eine dauerhafte Residenz des Galerius, das blieb eindeutig Thessalonike85. Wie auch immer die Palastanlage genutzt werden sollte, sie ist Ausdruck der Herrschaftsauffassung der zweiten Tetrarchie, in der die Herrscher unmittelbare Abkömmlinge der Götter sind, mit denen die Herrscher, für jedermann sichtbar, zusammen auf Erden wohnen, bis sie selbst konsekriert in himmlische Sphären entrückt werden.

Conclusio Als Octavian beschloss auf dem Palatin zu leben und dort ab 42 v. Chr. Grundstücke kaufte, gab es sicherlich noch keine konkrete Vorstellung von einem unmittelbaren Zusammenleben mit den Göttern. Dies wurde erst in einem dynamischen Prozess deutlich, den der spätere divi filius, Augustus und pontifex maximus mit der Errichtung und Renovierung von Kultanlagen in der unmittelbaren Nachbarschaft seines Hauses initiierte. Der später selbst konsekrierte Augustus lebte inmitten von Göttern, mit denen er täglich kommunizierte. Er übte dabei als Augustus und Erster unter den Bürgerinnen und Bürgern sowie als oberster Priester die Mittlerfunktion zwischen Göttern und Menschen aus, welche er exklusiv für sich beanspruchte. Seine Nachfolger bauten den Palatin aus, änderten und

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Kuhoff 2001, 167 – Vasić 2007, 52. Vasić 2007, 52; vgl. Mayer 2002, 80. Mayer 2002, 83–88; vgl. Vasić 2007, 39–48. Živić 2011, 107. Kuhoff 2001, 170. – Živić 2011, 101. – Kuhoff 2009, 110 spricht vom „großen Iuppitertempel“. 84 Vasić 2007, 39. 85 Živić 2011, 105.

modifizierten diese Nachbarschaft, hielten aber an diesem System fest. Die kaiserliche Residenz befand sich als domus privata in der Nachbarschaft zu den domus sacrae der Gottheiten, ohne selbst ein Heiligtum zu sein. Selbst als die ersten dauerhafteren kaiserlichen Residenzen außerhalb Roms, zunächst als Ausnahmen, ausgebaut wurden, wollte man die Götter in der Nähe haben. Dies änderte sich auch nicht unter den Tetrarchen, die ihre Regierungssitze dauerhaft verlegten und noch nicht einmal in Rom bestattet sein wollten. Auch hier ging es nicht unmittelbar darum, das eigene Haus zur Kultstätte werden zu lassen, sondern es neben die Häuser der Götter zu stellen. Wenn auch die Residenzen einen Wandel durchmachten, blieben sie doch Wohnsitze der Kaiser und unterschieden sich von denjenigen der Götter, welche eben nicht beim Kaiser einziehen, sondern in ihren Heiligtümern in der Nachbarschaft residieren. Am plakativsten zeigt sich dies in den Anlagen von Spalato und Romuliana, in der Komposition von Tempel und Mausoleum als Verehrungsort für den divinisierten Herrscher. Dieser grobe Überblick konnte aus Platzgründen nur einige Quellen und die baulichen Gegebenheiten berücksichtigen und damit lediglich Grundli­ nien der Entwicklung aufzeigen, ohne das Thema zu vertiefen. Für eine genauere Untersuchung, die auch die Nuancen herausarbeitet und die jeweiligen Besonderheiten angemessen berücksichtigt, müssten auch die Funde, insbesondere Statuen, Bildzeugnisse und epigraphisches Material herangezogen werden. Dies wäre ein lohnendes Thema für ein größer angelegtes Forschungsprojekt.

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Wolfgang Spickermann

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DIE VERWENDUNG VON PORPHYR IN DER TRIERER RESIDENZ von Yvonne Schmuhl

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In der Geologie bezeichnet man mit dem Begriff ‚Porphyr‘ ein Gefügebild: Es handelt sich um magmatisches Gestein, in dem unterschiedlich große Mineralkörper eingeschlossen sind1. In der Archäologie und auch in diesem Beitrag wird der Begriff für den Roten Porphyr vom Mons Porphyrites im heutigen Ägypten sowie den Grünen Porphyr aus Lakonien/Griechenland verwendet (Abb. 1). Dies widerspricht wiederum dem antiken Gebrauch des Begriffs, der aufgrund der charakteristischen rotbraunen Färbung des Gesteins, analog zu dem Farbstoff, der aus der Purpurschnecke (πορφύρα, „purpura“) gewonnen wird, nur für den Stein vom Mons Porphyrites gebraucht wurde2. In Antike und Mittelalter subsumierte man den Roten und Grünen Porphyr auch unter ‚Marmor‘, was ich für diesen Beitrag ebenfalls übernehme3. Da insbesondere der Rote Porphyr vom Mons Porphyrites einen Bedeutungswandel im Verlauf der römischen Antike durchmachte, ist für seine Interpretation eine möglichst exakte zeitliche Einordnung der zu untersuchenden Objekte unverzichtbar. Endgültig vollzogen hat sich der Bedeutungswandel in der Spätantike im Zusammenhang mit der Eta­ blierung des spätantiken kaiserlichen Zeremoniells. Wann und wofür genau Porphyr verwendet wurde, bleibt bei der Interpretation oft unberücksichtigt. Da Porphyr nicht nur für Skulpturen, sondern auch in der Architektur genutzt wurde, bietet es sich an, seinen Einsatz in der Trierer Residenz mit dem in anderen Residenzen zu kontrastieren und die Ergebnisse mit der dortigen Porphyrverwendung zu vergleichen4.

1 Barz u. a. 2012, 107. 2 Dürbeck 1977, 129–137. Zur Bezeichnung erklärte Isidor von Sevilla (Isidor, et. 16, 4): Nominis eius causa quod rubeat [ut] Purpura; zu Purpur: Meyer 1970. 3 Raff 2008, 23. – De Blaauw 1991, 36–50. 4 Zur Entwicklung des Porphyrgebrauchs bis in die Moderne: Schmuhl 2016.

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Abb. 1: Roter Porphyr vom Mons Porphyrites (Ägypten) und Grüner Porphyr aus Krokeai (Griechenland).

Geschichte des Porphyrgebrauchs in der Antike Zunächst soll die Verwendung des Porphyrs chronologisch skizziert werden. Als Grundlagen dienen hierfür vor allem die Untersuchungen am Mons Porphyrites in den 1990er Jahren durch Valerie Maxfield und David Peacock5, Schriftquellen sowie die Porphyrwerke6 selbst. Zusammengefasst zeigt sich folgendes Bild: Die älteste Inschrift am Mons Porphyrites (Abb. 2) stammt wohl aus der Regierungszeit des Tiberius und ist auf den 4. Juli 29 datiert7. Für diese Zeit gibt es jedoch weder Schriftquellen noch Objekte, die die Verwendung von dort abgebautem Porphyr belegen könnten. Die erste Erwähnung der Steinbrüche findet sich bei Pli­ nius dem Älteren, der über ein Porträt aus Porphyr berichtet, das der ägyptische Statthalter im Jahr 41 Kaiser Claudius gesandt habe8. Häufig wird mit Verweis auf Richard Delbrueck9 behauptet, dass be5 Maxfield/Peacock 2001. – Maxfield/Peacock 2007. 6 Delbrueck 1932. – Bergmann 2019 mit weiterführender Literatur. 7 Maxfield/Peacock 2007, 414–426. 8 Plin., nat. hist 36, 57. 9 Delbrueck 1932; zur historischen Entwicklung auch zusammenfassend bei Gnoli 1971, 98–118.

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Abb. 2 (oben): Mons Porphyrites. Ägypten. Blick in die Berge vom südlichen Brunnen. Abb. 3 (unten): Boden der Hagia Sophia in Kontantinopel mit zentralem omphalion. Die große Porphyr­ scheibe ist heute verloren und wurde durch eine Scheibe aus Granit ersetzt.

Yvonne Schmuhl

reits im Alten Ägypten oder im Ägypten der Ptolemäer Porphyr abgebaut worden sei und das Gestein schon in hellenistischer Zeit als Herrschaftszeichen gegolten habe. Nachweislich abgebaut wurde er jedoch erst seit dem 1. Jahrhundert, und auch die erhaltenen Skulpturen und architektonischen Bestandteile aus Porphyr setzen dann erst sehr zögerlich ein. Die Verwendung von Porphyr war zu der Zeit keinerlei Reglementierung unterworfen10. Für die Regierungszeiten von Trajan, Hadrian und Diokletian belegen zahlreiche Quellen und Skulpturen die Beliebtheit des Materials11. Aus der folgenden Zeit gibt es nur wenige Funde, die vom Betrieb des Steinbruchs zeugen12. Seit dem späten 3. Jahrhun-

10 Maxfield/Peacock 2007, 414–423. 11 Delbrueck 1932, 39–84. 12 Eine Münze des Constantius II., eine Münze des Theodosius I.; Kleinfunde des 4. oder frühen 5. Jahrhunderts: Klein 1988, 108 f.; Maxfield/Peacock 2007, 414–426.

dert berichten Autoren jedoch über das Leid der zur Zwangsarbeit am Mons Porphyrites verbannten Christen13. Der Abbau des Porphyrs dauerte wohl noch bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts an. Danach musste man Spolienmaterial verwenden. In Kro­keai (Lakonien/Griechenland), dem Herkunftsort des Grünen Porphyrs, gab es keinen regulären Steinbruchbetrieb: Schon Pausanias und Plinius der Ältere bemerkten14, dass durch die Beschaffenheit des Gesteins mit seinem verstreuten Vorkommen und dem recht engen sogenannten Kluftnetz (Fugennetz, das durch Brüche entsteht) nur relativ kleine Werksteine gewonnen werden konnten. Eine erste Porphyrmode gab es also im 2. Jahrhundert, als man auch sonst zahlreiche ‚Buntmarmore‘ zu Skulpturen und architektonischen Elementen verarbeitet15. Eine Gleichsetzung des Porphyrs mit der wertvollen Purpurfarbe erfolgt frühestens um 300, als unter Kaiser Diokletian das höfische Zeremoniell strengen Regeln unterworfen und in vielen Details erweitert wurde16. Das war die Voraussetzung für die große Bedeutung, die man dem Material in der Spätantike beimaß. Durch die Position von Porphyr im Preisedikt Diokletians wird wiederum deutlich, dass der Stein zwar zu dieser Zeit noch käuflich zu erwerben, aber als teuerste ‚Marmorsorte’ nur für wenige erschwinglich gewesen sein dürfte17.

13 Zum Beispiel Passio SS. Quattuor Coronatorum Auctore Porphyrio, sanctorum IV coronatorum, in: Del Bufalo 2012, 65–72. – Schamoni 1964, 155–158. 14 Pausanias 3, 21, 4. – Plin., nat. hist. 36, 55; vgl. Gnoli 1971, 115–118. 15 Siehe die zahlreichen Beispiele bei Delbrueck 1932. 16 Kolb 2001, 38–46 (mit den wichtigsten Quellen zur Einführung des spätantiken Zeremoniells). – Schmuhl 2011. 17 Zu den entsprechenden Stellen des Preisedikts: Klein 1988, 92–94. – Lauffer 1971, 192; wegen einer Fehlstelle ist nur klar, dass der Rote Porphyr die teuerste Steinsorte war. Die genaue Preisangabe ist nicht erhalten.

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Die Verwendung von Porphyr in der Trierer Residenz

Porphyr kam nach Ausweis späterer Quellen zu den Verhältnissen in Konstantinopel an verschiedenen Stellen innerhalb des kaiserlichen Zeremoniells und der Palastarchitektur zum Einsatz18: Sogenannte omphalia/rotae (Abb. 3) waren die Flächen, auf denen der Kaiser stand, geboren wurde er in einem porphyrgetäfelten Geburtshaus, bestattet in einem Sarkophag aus Porphyr, und kaiserliche Denkmäler sind ebenfalls aus diesem Material. Als Standfläche der Kaiserin und wenn der Kaiser Buße tun wollte, dienten omphalia aus Grünem Porphyr. Im Rahmen der adoratio purpurae mussten sich Besucher auf den roten Porphyromphalia auf dem Weg zum Kaiser niederwerfen. Eine detaillierte Beschreibung des Zeremoniells („De Ceremoniis“) ist von Kaiser Konstantin Porphyrogennetos überliefert. Sie stammt jedoch erst aus dem 10. Jahrhundert.  Wann welches Element eingeführt wurde, ist oft nicht mehr zu eruieren. Nach Ausweis der erhaltenen Architektur des 4. Jahrhunderts spielte aber Porphyr bereits in dieser Zeit eine herausragende Rolle.

Porphyr und seine Bedeutung innerhalb des kaiserlichen Hofzeremoniells Die explizite Verwendung von Rotem und Grünem Porphyr innerhalb des kaiserlichen Zeremoniells und der Herrscherrepräsentation zeigt sich vor allem anhand der Verwendung für Skulpturen und in der Architektur: Skulpturen aus Rotem Porphyr gibt es zwar seit dem 2. Jahrhundert recht zahlreich. Doch fällt auf, dass Porphyr nicht explizit mit dem königlichen Purpur gleichgesetzt wurde. Die trajanischen Dakerskulpturen, deren Gewänder aus Porphyr gebildet sind, machen das am ehesten deutlich19. ‚Barbaren‘ in Purpurgewändern wären ausgesprochen ungewöhnlich. Die spätantiken Skulpturen, die fast ausschließlich kaiserliche Personen wiedergeben, gehen da weiter20: Hier werden nicht nur die Gewänder, sondern komplette Skulpturen einschließlich der sichtbaren Körperteile wie Köpfe und Hände aus Porphyr gearbeitet. Das verdeutlicht einerseits eine Abkehr vom Realismus früherer Bildwerke, andererseits legt es aber auch einen vollzogenen Wandel in der Bedeutung des Roten Porphyrs nahe. Nicht eine möglichst realistische Wiedergabe, sondern eine Abstrahierung oder Überhöhung der Dargestellten wurde angestrebt. Ein Stein von der Farbe des Purpurs bietet sich für kaiserlich-herrschaftliche Repräsentation und

18 Schmuhl 2011. 19 Schneider 1986. 20 Bergmann 2019 mit weiterführender Literatur.

Überhöhung seit der Gleichsetzung mit dem Purpur besonders an. Bei Wand- und Fußbodenverkleidungen lässt sich ganz Ähnliches beobachten21: In der Römischen Kaiserzeit findet man sowohl Roten als auch Grünen Porphyr in Opus-sectile-Arbeiten. An der Wand und im Paviment kommt dem Gestein keine zentrale oder übergeordnete Rolle innerhalb des Entwurfs zu. Erst mit der Etablierung runder Standflächen (rotae oder omphalia) im Rahmen des erweiterten und schließlich gefestigten Herrscherzeremoniells rücken nun auch die Porphyre ins Zentrum, wenn sie denn verfügbar sind. Vereinfacht gesagt, kann man mit Blick auf die Spätantike dann auch eine Tendenz zu Rot und Grün und hier insbesondere, wenn es um Wand- und Bodeninkrustationen geht, zu Rotem und Grünem Porphyr feststellen22. Dazu gesellt sich oft als Farbe Weiß in Form von Marmor. Sind die Porphyre nicht verfügbar, behilft man sich mit Substituten. Ein gutes Beispiel ist Rosso antico, der zwar eine ganz ähnliche Grundfarbe wie der Rote Porphyr aufweist, aber nicht die charakteristischen Einsprengsel hat23. Für die kaiserlichen Standflächen im höfischen Zeremoniell in Konstantinopel24 ist überliefert, dass die rangniedere Kaiserin oder auch der büßende Regent auf dem grünen, der Kaiser hingegen auf dem roten Porphyromphalion stand25. Eine ganz ähnliche Unterscheidung findet man auch bei der Tinte, die der Kaiser zur Unterschrift nutzte: Im Namen des unmündigen Kaisers wurde grüne verwendet, während mündige Kaiser die purpurne nutzten. Der Grüne Porphyr war hier ein Mittel, Hierarchien zu vermitteln26.

Porphyr in Trier Nun kann man auch die Porphyrfunde in Trier innerhalb der Entwicklung des Porphyrgebrauchs und seiner Bedeutung verorten. Porphyr wurde bis ins 5. Jahrhundert am Mons Porphyrites abgebaut, also während der gesamten Zeit, in der Trier kaiserliche Residenz war. Rein theoretisch ist neues Material, das für eine Verarbeitung zur Verfügung steht, grundsätzlich denkbar und gerade Konstantin, der die Trierer Residenz ausbauen ließ, hat Porphyr auch andernorts verwendet. Erinnert sei nur

21 Bitterer 2013. 22 Bitterer 2013. 23 De Blaauw 1991, 44. 24 Hier omphalia genannt. 25 Konstantinos Porphyrogenntos, de caeremoniis 1, 27, 74. – Kähler 1967. – Ebersolt 1910, 68–70. – Delbrueck 1932, 27. 26 Delbrueck 1932, 27.

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Kirchlicher Kontext

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Abb. 4: Porphyrfragmente aus der Basilika in Trier und Säulenfragment Lieb­ frauenstraße/ Am Breitenstein (unten rechts).

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an sein Säulenmonument und seine Sarkophage in Konstantinopel und Rom27. Vor einer Interpretation der Trierer Porphyrfunde müssen diese im jeweiligen Fundkontext eingeordnet werden.

Residenz Betrachtet man Vilma Ruppienės Zusammenstellung der ‚Buntmarmor‘-Funde der Basilika, die verschiedenen Opus-sectile-Arbeiten zuzuordnen sind, fällt schnell auf, dass es zwar Roten und Grünen Porphyr gibt, beide Porphyrsorten motivisch jedoch offensichtlich keine herausragende Rolle spielten (Abb. 4)28: Ihr Einsatz scheint einfach mit Blick auf eine breite Farbpalette begründet zu sein. Ruppienė hat diese verschiedenen ‚Marmor’-Fragmente aus dem Bereich der Residenz/Basilika gezählt: Zu den importierten Steinen, die häufiger als Roter Porphyr (51 Stück) und Grüner Porphyr (93 Stück) vertreten sind, gehören Breccia di Sciro (255 Stück), Cippolino verde (174 Stück), Fior di pesco (109 Stück), Giallo antico (181 Stück), Greco scritto (111 Stück), Pavonazzetto (207 Stück). Einzelfunde, wie der fragmentierte Säulenschaft aus grünem Porphyr, können auch schwerlich mit einer herausragenden, bedeutungsvollen Rolle erklärt werden. Nachweise großer Fußbodenplatten fehlen.

27 Zum Beispiel Bauer 1996, 167–186. – Asutay-Effenberger/ Effenberger 2006. 28 Gezeigt sind hier vier Fragmente, für die eine Herkunft aus der Basilika gesichert ist: RLM Trier, Inv. EV 2013,283; EV 2013,28-4; EV 2013,28-2; EV 1982,67 FNr. 35.

Aus kirchlichem Zusammenhang haben sich ebenfalls Porphyrfragmente erhalten. So konnte „im Schutt vor Sankt Maximin“ ein Porphyrfragment ohne weiteren Zusammenhang geborgen werden29. Ferner kommen bei den mittelalterlichen Tragaltären des Trierer Domschatzes, wie auch woanders üblich, solche mit Altarstein aus Rotem Porphyr vor30. Letztere sind deutliche Indizien für die Interpretation des Porphyrs als Gestein mit herausragender, nobilitierender Bedeutung, gehören aber nicht dem zu untersuchenden Zeitraum an. Bemerkenswert ist das Spektrum an Marmorfragmenten der Wandverkleidung des Quadratbaus des Trierer Doms aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, denn es ist dem der Basilika vergleichbar und enthält ebenfalls Roten und Grünen Porphyr in nicht hervorstechender Weise. Die ursprüngliche Verwendung einer (?) Porphyrsäule aus der Trierer Nord-Ost-Basilika, dem Quadratbau, mit 26 cm Durchmesser ist nicht bekannt31.

Einzelfunde Von der Römerbrücke32 und aus dem Stadtgebiet33 stammen kleine Fragmente, die für die Interpreta­ tion wohl keine entscheidende Rolle spielen. Bei ersterem handelt es sich um eine Scheibe, die denen ganz ähnlich ist, die man mit den Opus-sectile-Arbeiten der Basilika in Verbindung bringt34. Das zweite Fragment ist wohl zu einem Gefäß zu ergänzen. Darüber hinaus sind noch zwei Fragmente von Porphyrsäulen unbekannter Herkunft erhalten (Dm. 22 bzw. 28 cm) sowie eines mit der Herkunftsangabe Liebfrauenstraße/Am Breitenstein (Dm. 43 cm), was heute auf dem Weg zwischen Basilika und Dom liegt (Abb. 4)35.

Tempelbezirk im Altbachtal Aus dem Tempelbezirk im Altbachtal stammen zwei heute verschollene Gefäßfragmente36. Schalen und andere Gefäße sind die gesamte Römische Kaiserzeit hindurch aus Porphyr hergestellt worden

29 Laut Inventarkarte des Rheinischen Landesmuseums Trier (Inv. EV 86,74). 30 Van Ahn/Mannhardt 2020, 43–45; 48 f. 31 Groß-Morgen 2022, 152 und Kat. 5.24; 5.25. 32 RLM Trier, EV 99,133–190. 33 RLM Trier, EV 2018,32. 34 RLM Trier, PM 4950; EV 2013,157a. 35 Demandt/Engemann 2007 Kat. I.16.4; RLM Trier, Inv. 2210; 2211; 1912, 534. 36 RLM Trier, Inv: ST 12166 F 6306; ST 12077 F 8861c.

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Die Verwendung von Porphyr in der Trierer Residenz

und entsprechend belegt37. Fragmente wie diese aus einem Heiligtum sind also nicht als außergewöhnlich zu klassifizieren.

Sonstiges Imitat von Rotem38 und Grünem39 Porphyr findet sich in der Wohnbebauung, in sepulkralem Kontext sowie im sogenannten Palatiolum in Trier-Pfalzel, das in das 4. Jahrhundert datiert wird und deren Besitzern man eine Nähe zum Trierer Kaiserhof nachsagt. Die übrigen Häuser stammen aus verschiedenen Jahrhunderten und es lässt sich kein Anstieg der Porphyrverwendung in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts feststellen.

Interpretation Grundsätzlich fällt auf, dass verhältnismäßig wenige bzw. nur kleine Stücke aus Porphyr erhalten sind und Skulpturen bzw. Skulpturenfragmente völlig fehlen. Zu finden sind sie im Bereich der Kaiserresidenz und des Domes, im Domschatz, im Bereich des antiken Coemeterialbaus, heute St. Maximin, im Tempelbezirk Altbachtal, im Bereich der Römerbrücke und in Privatbesitz mit Fundort „Moselstraße“. Aus Trier sind bislang zwei wichtige Indikatoren, die eine Verwendung des Roten und Grünen Porphyrs im Rahmen des spätantiken Zeremoniells belegen könnten, nicht bekannt: große als Bodenplatten zu interpretierende Fragmente und Kaiserstatuen. Stattdessen lassen sich die meisten eher kleinteiligen Fragmente Opus-sectile-Arbeiten zu-

37 Delbrueck 1932, 39–84. 38 Deppmeyer/D’Onza 2018; Imitierter Roter Porphyr: Trier, Peristylhaus unter den Kaiserthermen (RLM Trier, Inv. 1962,417 und 418); Trier, Konstantinstraße, Wohnhaus (RLM Trier, Inv. 1967,23 FNr. 40); Trier, Zuckerbergstraße, Wohnhaus (RLM Trier, EV 1998,29 FNr. 730); Trier, Südallee, Wohnhaus (RLM Trier, Inv. 1973,650); Trier, Olewig, Villa „Unter Kleeburg“ (ohne Inv.); Trier, Wohnhaus unter dem Dom (Museum am Dom Trier, BM 138a/138b); Trier, Dietrichstraße (RLM Trier, EV 1970,48); Trier-Ehrang, Grabkammer (RLM Trier, ohne Inv.); Trier, Sankt Maximin, Saalbau R II.2; Trier, Sankt Maximin, Hallenbau R III.; Trier, Pfalzel, Palatiolum. 39 Imitierter Grüner Porphyr: Trier, Peristylhaus unter den Kaiserthermen (RLM Trier, Inv. 1962,417 und 418); Trier, Konstantinstraße, Wohnhaus (RLM Trier, Inv. 1967,23 FNr. 40); Trier, Südallee, Wohnhaus (RLM Trier, Inv. 1973,650); Trier, Olewig, Villa „Unter Kleeburg“ (RLM Trier, ohne Inv.); Trier, Domfreihof, Wohnhaus (RLM Trier, EV 1970,28a); Trier, Wohnhaus unter dem Dom (Museum am Dom Trier, BM 138a/138b); Trier-Ehrang, Grabkammer (RLM Trier, ohne Inv.); Trier, Sankt Maximin, Saalbau R II.2.

weisen, bei denen Porphyr nicht auffallend häufig oder für das zentrale Motiv genutzt wird. Ruppienė geht davon aus, dass ganze Opus-sectile-Panele bereits aus Italien, insbesondere Rom, importiert und nicht erst in Trier hergestellt wurden. Für Porphyr­ imitate im Bereich der Wandmalerei kann man ebenfalls keine bevorzugte Verwendung gegenüber anderen Gesteinsimitationen erkennen. Auch in der Wandmalerei werden der Rote und Grüne Porphyr nicht für zentrale Elemente genutzt. Es ist darüber hinaus nicht zu beobachten, dass Substitute – gemalte Gesteine, andere ‚Marmor‘-Sorten, etwa Rosso antico oder auch der grüne, örtlich anstehende Diabas, der sich deshalb gerade in der Region um Trier anbieten würde – die seltenen Porphyre in einer zeremoniellen Rolle ersetzten. Gerade die Tatsache, dass Diabas etwa 60 % aller Steine in der Basilika ausmacht, bestätigt seine Verwendung aufgrund der leichten Verfügbarkeit. Hätte man ihm eine besondere Rolle zukommen lassen wollen, wäre er sicher spärlicher und an besonderen Stellen benutzt worden. Denkmäler oder Sarkophage aus Porphyr, wie man sie aus Konstantins späterer Residenzstadt Konstantinopel kennt, lassen sich nicht für Trier nachweisen. Porphyr hat es hier nie vom edlen, attraktiven Stein zum bedeutungsvollen Material mit der Purpurgleichsetzung geschafft. Eine übergeordnete Rolle am kaiserlichen Hof in Trier hat der (Rote) Porphyr offensichtlich nie gespielt, weder in der Skulptur noch bei Inkrustationen. Parallel dazu finden sich auch in den frühen Kirchenbauten Triers keine auffälligen Porphyrfunde, die auf eine besondere Rolle im kirchlichen Zeremoniell, das sich bekanntlich an das kaiserliche anlehnte, schließen lassen.

Vergleich mit anderen Residenzen Die Kaiserresidenzen Trier und Thessaloniki gehören zu den ersten, in denen man die Einheit von Palast und Circus nach dem Vorbild Roms anstrebte40. Im Hinblick auf die Ausstattung beider Paläste mit dem Fokus auf die Verwendung von Porphyr in Wandverkleidungen und Bodenbelägen fällt auf, dass hier beiden Gesteinen keine besondere Rolle zugedacht war41. Obendrein ist der Fußboden in rechteckigen Feldern ohne rotae strukturiert (Abb.  5). Dies zeigt sich besonders beim Vergleich der Empfangshallen beider Residenzen mit derjenigen in der Villa del Casale bei Piazza Armerina. Denn trotz der identischen Grundrisse, bestehend aus einem langgestreckten Raum und abschließen-

40 Goethert/Kiessel 2007. – Goethert 2021. 41 Ruppienė 2021b.

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Abb. 5: Rekonstruktion der Marmorausstattung der Basilika in Trier.

Abb. 6: Villa del Casale. Piazza Armerina. Blick in die Apsis der Empfangshalle, wo wohl in der rechteckigen Aussparung eine rota zu ergänzen ist.

der Apsis sind die Bodenmuster auf charakteristische Weise verschieden42. So sind in der Villa del Casale in der Basilika kreisrunde Elemente, also rotae (ob aus Porphyr oder nicht), dergestalt platziert, dass sie gut mit dem Empfangsritual korrespondieren, das für die spätere Zeit von Konstantinos Porphyrogennetos beschrieben wird (Abb. 6).

Ganz ähnlich der Basilika der Villa del Casale hat auch die Empfangshalle des Theoderich-Palastes in Ravenna ein zentrales Tondo, das man wahrscheinlich als rota, also als Standfläche verschiedener Würdenträger innerhalb eines kaiserlichen Zeremoniells bezeichnen kann. Enrico Gallocchio43 vermutet, dass der Tondo aus Cippolino verde bestand. Vielleicht war es nicht möglich, eine Porphyrscheibe

42 Gallocchio 2021.

43 Gallocchio 2021, 180.

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Die Verwendung von Porphyr in der Trierer Residenz

von mehr als 2,5 m im Durchmesser heranzuschaffen und man behalf sich mit anderem Material. An der Funktion des Standortes innerhalb des Zeremoniells muss sich dadurch erst einmal nichts ändern. In anderen Teilen von Theoderichs Palast ist Roter Porphyr dann aber doch zum Einsatz gekommen. Carola Jäggi vermutet zum Beispiel, dass die großen rechteckigen Porphyrplatten in der sogenannten Capella delle Reliquie in S. Apollinare Nuovo vom Palast Theoderichs stammen44. Nicht zuletzt zeigt sich auch durch die Bestattung Theoderichs in einer (wiederverwendeten) Porphyrwanne sowohl dessen Anspruch auf das Material, als auch sein Wissen um die Bedeutung45. Vergleichbares findet sich in Trier nicht. Die Empfangshallen der Villa del Casale und des Palastes des Theoderich in Ravenna scheinen anders als jene in Trier und Thessaloniki bereits in ihrer Ausstattung auf das kaiserliche Zeremoniell ausgerichtet zu sein. In beiden Palästen wurden eventuell andere verfügbare ‚Marmor‘-Sorten für die rotae in den Empfangshallen genutzt. Da keine Aussagen zur Gestaltung der Apsis der Trierer Basilika zu treffen und auch im übrigen Raum keine Aussparungen für große tondi zu erkennen sind, kann man rotae selbst in anderem Material hier nicht annehmen.

Ausblick Als Ausblick sind einige Fragen zu formulieren, die sich für weitere Forschungen anbieten: Gibt es andere Materialien (z. B. Elfenbein) oder auch Farben (z. B. Zinnober, Purpur), die im Umfeld des Kaisers oder innerhalb des Zeremoniells eine große Rolle spielen, in Trier (oder anderen Residenzen) nicht? Lässt sich in Trier oder andernorts eine Entwicklung in Bezug auf die (architektonische) Ausgestaltung des Zeremoniells erkennen? Wenn ja, warum ist das so? Steht Trier am Beginn oder vor der Entwicklung des bedeutungsvollen Porphyrgebrauchs oder ist es ein Sonderfall? Worauf sind die Unterschiede zurückzuführen? Gibt es zeitliche oder räumliche Gründe? Kann man andererseits davon ausgehen, dass das spätantike kaiserliche Zeremoniell in Trier eine geringere Rolle gespielt hat?

44 Jäggi 2013, 161 Abb. 96. 45 Jäggi 2013, 203 Abb. 135.

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Abbildungsnachweis 1 Rheinisches Landesmuseum Trier, Th. Zühmer (links), Autorin (rechts). Bildkomposition: Rheinisches Landesmuseum Trier, S. Dressler, 2 Mike P. Shepherd / Alamy Stock Photo, 3 Autorin, 4 Foto Rheinisches Landesmuseum Trier, Th. Zühmer, 5 Diessenbacher Informationsmedien, Xanten, 6 José Luiz Bernardes Ribeiro.

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Die Residenz und die Auswirkungen auf die städtische Gesellschaft

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SPÄTANTIKE NAMENSTEMPEL AUF ZIEGELN UND IHR AUSSAGEWERT FÜR DIE LETZTE AUSBAUPHASE IN DER KAISERRESIDENZ TRIER von Joachim Hupe

Vorbemerkung Der Beitrag behandelt spätantike Ziegel aus Trier und dem Umland, die mit einem einfachen Personennamen (im Nominativ oder Genitiv) gestempelt sind. Sie werden im Folgenden als ‚Namenstempel‘ bezeichnet. Von diesen Namenstempeln zu trennen sind die Erzeugnisse der drei spätantiken Großziegeleien ADIVT-, ARMO- und CAPI-, die in dieser Untersuchung mit dem Begriff ‚Hauptgruppen‘ zusammengefasst werden.

Forschungsgeschichtliche Einleitung Für die Erforschung der römischen Ziegelstempel Triers leistete der Archäologe Paul Steiner (1876– 1944) grundlegende, bis heute nachwirkende Pionierarbeit. Ab 1911 und während eines achtwöchigen Urlaubs vom Heeresdienst im Ersten Weltkrieg bearbeitete er das umfangreiche im damaligen Provinzialmuseum (dem heutigen Rheinischen Landesmuseum) lagernde Material von seinerzeit über 1.000 gestempelten Ziegeln, indem er diese las, ordnete und inventarisierte. Im Zuge dieser Arbeiten wurden auch systematisch Abklatsche der Stempel angefertigt, als Grundlage für das geplante Corpus der Ziegelstempel aus den drei gallischen und den beiden germanischen Provinzen, einem Teilband des Corpus inscriptionum Latinarum (CIL XIII 6), der schließlich 1933 veröffentlicht wurde1. Ausgehend von den Ziegelstempeln aus drei Trierer Fundkomplexen2 nahm Steiner schon 1917/18 eine erste Gliederung des Materials vor und versuchte,

1 2

Zur weiteren Forschungsgeschichte: Binsfeld 2009, 271 f. Die gestempelten Ziegel stammten: 1. aus einer mittelalterlichen Mauer an der Mustorstraße; 2. aus Grabungen von 1912–1914 an der Basilika und auf dem Konstantinplatz; 3. aus den Kaiserthermen.

es durch Einbeziehung des jeweiligen archäologischen Kontextes chronologisch und baugeschichtlich einzuordnen3. Er erkannte als erster auf breiter Materialbasis, dass es sich bei den zahlenmäßig dominierenden Stempelgruppen der Firmen ADIVT(ADIVTEX, ADIVTICE etc.), ARMO- und CAPIum Erzeugnisse staatlicher Großziegeleien handelte, die in diokletianisch-konstantinischer Zeit produzierten, um insbesondere den Materialbedarf für den Residenzausbau Triers zu decken4. Steiner war es auch, der erstmalig die Namenstempel als eigenständige Gruppe identifizierte und diese kurz beschrieb. Dabei handelt es sich um Stempel, die einzig einen Personennamen (Cognomen) im Nominativ oder Genitiv enthalten5. Dieser Gruppe ordnete er 19 Namen zu. Aufgrund der Tatsache, dass Namenstempel in den Barbarathermen, bekanntlich einem Bau des 2. Jahrhunderts, besonders zahlreich vertreten waren, glaubte Steiner, diese Gruppe zeitlich schon vor der Erhebung Triers zur Kaiserresidenz ansetzen zu müssen. Diese Ansicht Steiners hat sich durch spätere Erkenntnisse als unhaltbar erwiesen (vgl. hierzu Kapitel „Namenstempel in geschlossenen Fundkomplexen Triers“). Auch das Gros der mit Namen gestempelten Ziegel ist in spätantike Zeit zu datieren, ohne dass diese Spätdatierung durch archäologische Befunde bis jetzt präzisiert werden konnte. Das von Ernst Stein und Hans Volkmann 1933 edierte Corpus der Ziegelstempel CIL XIII 6 basierte für das Trierer Material ganz wesentlich auf den Aufzeichnungen und Abklatschen Steiners. Das Material ist im zweiten Teil, der den Privatziege­leien gewidmet ist (signacula a privatis impressa), ausgebreitet. Der Katalog bietet Angaben zum Fundort,

3 4 5

Steiner 1917/18. Steiner 1917/18 bes. 24–27. Steiner 1917/18, 17 f.; 20.

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Joachim Hupe

zur Stempelform und zur Lesung. Die Stempelinschriften werden, der Konzeption des CIL folgend, in Umzeichnungen, aber nicht als Faksimile wiedergegeben. Den Wert des Corpus mindert ganz wesentlich der Umstand, dass sich die Angabe zur Herkunft auf die reine Ortsnennung („Trier“) beschränkt und nähere Angaben zur Fundstelle und zum archäologischen Kontext unberücksichtigt bleiben. Es ist demzufolge nicht möglich, anhand der Daten des CIL Aufschlüsse über die Verbreitung einzelner Stempeltypen im Trierer Stadtgebiet oder ihre Verwendung an bestimmten römischen Bauten zu gewinnen. Dieser Mangel wurde schon kurz nach der Veröffentlichung von Johann Baptist Keune (1858–1937), dieser selbst ein guter Kenner des Trierer Materials, in einem ausführlichen Rezensionsaufsatz kritisch hervorgehoben6. Nachdem Steiner zum 1. April 1937 in den Ruhestand versetzt worden war7, wurde die Sammlung gestempelter Ziegel aus dem Arbeitsgebiet des Rheinischen Landesmuseums Trier nicht mehr systematisch fortgesetzt. Eine Neubelebung erfuhr die Beschäftigung mit den Ziegelstempeln in Trier erst ab den 1980er-Jahren durch den Lehrer und Historiker Hans-Joachim Kann (1943–2015). In mehreren Beiträgen trug Kann insgesamt 891 gestempelte Ziegel aus Privatsammlungen zusammen und legte sie in eigenen Umzeichnungen vor8. Das zugrunde liegende Material stammte aus Bauausschachtungen und Grabungsaushub, der in der Regel auf Deponien verbracht und dort von privater Seite aufgelesen worden war. Das Gros dieser gestempelten Ziegel, insgesamt ca. 650 Exemplare, ist den umfänglichen Baumaßnahmen und Ausgrabungen zu Beginn der 1980er-Jahre im kaiserlichen Palastareal im unmittelbaren Umfeld der konstantinischen Palastaula (Basilika) zuzuweisen9. Da das vorgelegte Stempelmaterial ohne archäologischen Kontext geborgen wurde, lässt es sich für Fragen zum einstigen Bauzusammenhang, zur Datierung oder zu Fundvergesellschaftungen nicht oder nur sehr eingeschränkt heranziehen. Als Basis für typologische und paläographische Analysen besitzen die Faksimilezeichnungen Kanns allerdings hohen dokumentarischen Wert, indem sie die Typengliederungen des Materials im CIL in wichtigen Punkten ergänzen. Die 2009 erschienene Magisterarbeit von Andrea Binsfeld (Universität Luxemburg) widmete sich den gestempelten Ziegeln aus den Trierer Domgrabungen10. Unter genauer Berücksichtigung

der Fundumstände bezog sie die Chronologie und Baugeschichte der frühchristlichen Kirchenanlage in ihre Analyse ein und konnte auf diese Weise wichtige Erkenntnisse unter anderem zur Verwendung einzelner Stempeltypen an bestimmten Bauteilen erzielen (siehe hierzu Kapitel „Frühchristliche Kirchenanlage“). Für die Ziegelstempelforschung in Trier liegt mit Binsfelds Arbeit eine erste richtungsweisende Untersuchung vor, in der das Stempel­ material im architektonischen Zusammenhang eines spätantiken Großbaus ausgewertet wird. 2019 publizierte der Sammler und Altertumsfreund Wilfried Knickrehm eine überblicksartige Studie zu den römischen Ziegeleien im Raum Trier und deren Erzeugnissen11. Er betonte zurecht die Rolle der Mosel als Transportweg der produzierten Ware und folgerte, entlang des Flusses seien ‚perlenschnurartig‘ Ziegeleien aufgereiht gewesen. Dabei wies er auf die moselnahe Lage bisher bekannter Ziegelöfen (Trier-Quint, Rehlingen, Temmels) hin und versuchte, sprachliche Bezüge zwischen Bezeichnungen auf Ziegelstempeln und heutigen Ortsnamen herzustellen. Knickrehm ging davon aus, dass praktisch jeder nichtmilitärische Ziegelstempeltyp eine eigene Ziegelei repräsentiere und erschloss für die Region ca. 50 derartige Betriebe12.

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11 Knickrehm 2018/19. 12 Knickrehm 2018/19, 10 f. 13 Kuhnen 2012 bes. 270–275. – Schmidts 2018, 112 f. Taf. 52–53. – Reuter 2018, 45–50. Siehe dazu die Anmerkungen von Faust 2019, 54–56.

Keune 1935 bes. 55–57. Zu den Hintergründen: Merten 1995, 436–441. Kann 1980/81. − Kann 1985. − Kann 1990. − Kann 1991. Zu diesen Maßnahmen: Kiessel 2012/13. Binsfeld 2009.

Die spätantiken Namenstempel In der Forschung standen die schlicht gestalteten spätantiken Namenstempel bislang im Schatten der zahlenmäßig dominierenden Erzeugnisse der Großziegeleien ADIVT-/ADIVTEX, ARMO- und CAPI- sowie der mit Legionsstempeln versehenen Ziegel im Trierer Material13. Sofern die Namenstempel überhaupt Beachtung fanden, wurden sie als Stempel der Besitzer oder Betreiber von Privatziegeleien gedeutet, die neben den staatlichen Firmen produziert hätten. Folgt man dieser Sichtweise, so müssten in der Region in der Spätantike zahlreiche kleinere, unabhängig voneinander betriebene Ziegeleien parallel existiert haben. Ausgangspunkt dieser Untersuchung war die Beobachtung, dass die mit Namen gestempelten Ziegel in spätantiken Baubefunden in der Regel in größeren Gruppen auftreten. Dabei sind gestempelte Ziegel verschiedener Namen nebeneinander in ein und demselben Mauerwerk verbaut worden. Dieser Befund war Anlass, die These unabhängig

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

voneinander agierender privater Kleinbetriebe zu hinterfragen.

Merkmale und Gliederung Die nachfolgenden Bemerkungen basieren auf ca. 900 gestempelten Ziegeln, die lediglich einen Eigennamen (im Nominativ oder Genitiv) tragen. Angesichts des Publikations- und Aufarbeitungsstandes sowie der Fülle des einschlägigen Materials wurde bei dieser Sammlung Repräsentativität, aber keine Vollständigkeit angestrebt. Eine Reihe von Namenstempeln blieb unberücksichtigt, da ihre korrekte Lesung oder Ergänzung gegenwärtig nicht überprüfbar ist. Dies betrifft zum einen Namenstempel (in der Regel Altfunde), die als einzelne Belege nur mündlich oder in Form summarischer Skizzen überliefert sind14; zum anderen Stempel mit unklarer Bedeutung oder nicht eindeutig aufzulösenden Namensbestandteilen15. Darüber hinaus wurden Namenstempel ausgesondert, die offenkundig nicht in die Spätantike gehören16 oder 14 Anzahl der erfassten Belege in Klammern. APIANVS (1): CIL XIII 6, 12637. Trier, St. Matthias (RLM Trier, Inv. 1920,350). − AVDAX? (2): CIL XIII 6, 12671. Metz; Trier, „Palastumbau 1938“ (RLM Trier, Inv. 1938,39 Nr. 145). − [---]VLLINI (1): CIL XIII 6, 12673. Trier, Gartenfeldstraße (RLM Trier, Inv. 1910,432). − DECIDIO (2): CIL XIII 6, 12755; Keune 1935, 69. Trier. − DOMINIC (1): CIL XIII 6, 12759. Konz, Kr. Trier-Saarburg. − IVLIANVS (2): CIL XIII 6, 12838. Trier, Kaiserthermen (RLM Trier, 1914,788– 789) / IVLIANA[---] (1): Binsfeld 2009, 294; 360 Nr. 30 Taf. 12. Trier, Dombereich. − SAPRICIVS (1): CIL XIII 6, 12982. Trier, Simeonstraße (RLM Trier, Inv. ST 6426a). − VEREC[VNDVS] (1): Trier, Friedrich-Wilhelm-Straße (RLM Trier, Inv. 1898,80). − VIIANVS (1): Trier, Altbach nahe der Mosel (RLM Trier, Inv. ST 4210).  − VITALIS (3): CIL XIII 13077–13078. Haute-Kontz, Arr. Thionville; Remagen, Kr. Ahrweiler. Ein Stempelfragment aus Köln bei Schmitz 2010, 709–711 Abb. 24–25. 15 FOEBIC[---] (2): CIL XIII 6, 12788. Trier, Neustraße (RLM Trier, Inv. ST 5089); Binsfeld 2009, 294; 359 Nr. 26.1 Taf. 12. Trier, Dombereich. − GABINIOR (1): CIL XIII 6, 12788. Trier, St. Matthias (RLM Trier, Inv. 4914). − GENEIS (13): CIL XIII 6, 12797; Kann 1980/81, 295; 312 Nr. 50; Binsfeld 2009, 294; 359 f. Nr. 27.1–2 Taf. 12. − IANVS? (3): Kann 1990, 22 Nr. 56. Trier, Vorplatz Palastaula (Bauaushub); Kann 1991, 89 f. Nr. 71–72. Trier, St. Maximin (Grabungsaushub). − PARIATOR (9): CIL XIII 6, 12930. Trier, Brotstraße (RLM Trier, Inv. ST 5125); Trier, Böhmerstraße (Inv. ST 4090b); Trier, Friedrich-Wilhelm-Straße (EV 2021,238 FNr. 190). CIL XIII 6, 12931. Yutz/Basse Yutz, Arr. Thionville. − TIGRI (1–2). CIL XIII 6, 13034. Trier, Südallee, Villa Schaab (RLM Trier, Inv. 20629). 16 Hier sind zuvorderst die Erzeugnisse des Q. Valerius Sabellus zu nennen, die vor allem entlang der Saar verbreitet sind (siehe die Kartierung bei Kolling 1974, 86 Abb. 3). Die Stempelabdrücke dieser Ziegelei, die wohl im 2. Jahrhundert produzierte, heben sich von anderen ab, da die Buchstaben nicht als erhabenes Relief wiedergegeben sind, sondern mit einer vermutlich metallenen

deren Verbreitung auf einzelne Fundorte im Trierer Land beschränkt ist17. Die dort vertretenen Namen dürften Besitzer oder Betreiber von Ziegeleien bezeichnen, deren Erzeugnisse vor allem den lokalen Bedarf deckten. Aus dem hier zu behandelnden Material wurden zudem zwei größere spätantike Stempelgruppen im Trierer Bestand nicht näher betrachtet. Es handelt sich um die mit der Vorsilbe TA- (für tegularia?) beginnenden (gefolgt von einem Namen oder Kürzel) sowie die auf MALIC- gebildeten Ziegelstempel18. Nach gegenwärtigem Stand sind folgende 35 Personennamen der hier betrachteten Gruppe spätantiker Namenstempel zuzuweisen (Anzahl der gesammelten Belege in Klammern). Referenzen werden nur für die Namenstempel angegeben, die noch nicht im CIL erfasst worden sind (Tabelle 1)19: Amabilis (4), Amantiolus (31), Aprio (74), Arigius (27), Arhontius (1)20, Articinus (15), Assatus (92),

Matrize in den Ton eingetieft worden sind; siehe zuletzt: Binsfeld 2009, 367 Nr. 41; 385; 398 Taf. 13. − Henz 2010, 266–272. − Diese Besonderheit zeigt auch ein Stempel mit der Abbreviatur T·C·P aus der römischen Ziegelei in Trier-Quint (RLM Trier, EV 1929,557f). Zu den Ziegel­ öfen von Quint zuletzt: Knickrehm 2018/19, 38–44. 17 CASTOR? (1): Osann-Monzel, Kr. Bernkastel-Wittlich (EV 2013,140, Privatbesitz). − FELIX (mindestens  20  – freundlicher Hinweis von Klaus-Peter Goethert, Pluwig): Fließem (Villa Otrang), Kr. Bitburg-Prüm. CIL XIII 6, 12781 und RLM Trier, EV 2009,153. − IANVARIVS (5): CIL XIII 6, 12812. Trier, St. Matthias (RLM Trier, Inv. 1927,170); Tawern, Kr. Trier-Saarburg (RLM Trier, EV 1994,126). − PARDALIVS (2): Neef, Kr. Cochem-Zell, Höhensiedlung. Gilles 1985a, 170; 285 Taf. 37,8 (Hinweis von Marcus Thiel, Trier); Nehren, Kr. Cochem-Zell, spätantike Grabkammer. Eiden 1982, 197.  − VITTINO (3): Gerolstein, Kr. Vulkaneifel. CIL XIII 6, 13079; Henrich/Tabaczek/Zelle 2004/05, 133 f. K 64–66 Abb. 39 (Literaturhinweis von Peter Henrich, Trier).  − Späte Ausprägungen derartiger Stempel sind CIDDO  (2): Wincheringen, Kr. Trier-Saarburg (EV 1991,76 und EV 1996,56, Privatbesitz). − GILDOVIV (9): CIL XIII 6, 12717. Hérapel, Com. Cocheren, Arr. Forbach-Boulay-Moselle; Wincheringen, Kr. Trier-Saarburg (RLM Trier, Inv. 1933,411; 1936,182 und EV 1986,143; 1995,83, Privatbesitz); Trier, Deponiefund. Kann 1980/81, 295; 312 Nr. 52. Der Stempel dürfte als Gildo viv(as) aufzulösen sein (Vorschlag von Lars Blöck, Trier). 18 Zu Deutungsmöglichkeiten dieser Stempel siehe: Binsfeld 2009, 294 f. – Knickrehm 2018/19, 34 f.; 48–50. 19 Einige Namenstempel aus Trierer Bestand bleiben unberücksichtigt, da sie bislang nicht eindeutig an den öffentlichen Großbauten der Spätantike oder in geschlossenen Fundzusammenhängen mit anderen spätantiken Namenstempeln nachgewiesen sind: Marianus (CIL XIII 6, 12886; Binsfeld 2009, 362 Nr. 36 Taf. 13). − Mercurius (CIL XIII 6, 12893; Kann 1985, Nr. 142; 518). − Reginus (CIL XIII 6, 12966). − Venantius (CIL XIII 6, 13058). Die Frage der Zugehörigkeit zur hier behandelten Gruppe bleibt vorerst ungeklärt. 20 Trier, Deponiefund (RLM Trier, EV 2019,152a). Knick­ rehm 2018/19, 11 Abb.

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Tabelle 1: Spätantike Namenstempel. Fotos und Zeichnungen sind ohne Maßstab wiedergegeben. Verwendete Abkürzung: retr. = retrograd (rückläufig) Name

Foto

Zeichnung

Schreibvarianten

Amabilis

AMABILIS (retr.)

Amantiolus

AMANTIOLVS (retr.)

Aprio

APRIO (auch retr.)

Arigius

ARECIVS (auch retr.), ARICI, ARIGIVS

Arhontius

ARHONTIVS (retr.)

Articinus

ARTICINI, ARTICINVS (retr.)

Assatus

ASSATVS (überw. retr.)

Avitus

AVITVS

Bucus

BVCVS

Cano

CANO

Cervio

CERVIO (retr.)

Concordius

CON, CONCOR, CONCORDIVS (retr.)

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

Name

Foto

Zeichnung

Schreibvarianten

Crescentio

CR(E)SCENTIO

Deaetherius?

DEAETHERI (retr.)

Donatus

DONATVS (auch retr.)

Eventius

EVENTIVS (auch retr.), EVNTIVS (auch retr.)

Exsuperantius

EXS, EXSVP, EXSVPE, EXVPERANTIVS (retr.)

Florentius

FLORENTI (auch retr.), FLORENTIVS (auch retr.)

Gaudentius

GAUDENTI (retr.)

Iovianus

IOVIANI, IOVIANVS

Iovinus

IOVINVS

Iustinianus

IVSTINIANI

Lupianus

LVPIANVS

Lupicinus

LVPICINI LVPICINVS (auch retr.) LVPICINV

Magnentius

MAGNENTI

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Joachim Hupe

Name

Foto

Zeichnung

Schreibvarianten

Mauricius

MAVRICI

Saturninus

SATVRNINVS

Silvester

SILVESTRI

Supetius

SVPETIVS (retr.)

Urso / Ursus

VRSO VRSVS

Vassilo

VASSILO

Victorinus

VICTORINVS

Vincentius

VINCENTI IVINCINTIVS (retr.)

Virisimus

VIRISIMI

Vitalianus

VITALIANVS

Avitus (10), Bucus (3), Cano (7), Cervio (15), Concordius (72), Crescentio (14), Deaetherius (11), Donatus (40), Eventius (25), Exuperantius (88), Florentius (27), Gaudentius (7), Iovianus (21), Iovinus (10), Iustinianus (3)21, Lupianus (13), Lupicinus  (56), Mag­ nentius (3), Mauricius (6), Saturninus (2), Silves-

ter  (8)22, Supetius (15), Urso/Ursus (5), Vassilo  (38), Victorinus (10), Vincentius (28), Virisimus (5), Vitalianus (20). Die reinen Namenstempel zeichnen sich in der Regel durch einen feinen, graphischen Zuschnitt der Buchstaben aus. Das Schriftbild ist klar, auf Ligaturen wird verzichtet. Das stets rechteckige Stempelfeld ist mit einer Höhe von etwa 2 cm rela-

21 Trier (RLM Trier, Inv. 1911,1248N [Abguss] und EV 2019,152b). Knickrehm 2018/19, 11 Abb.

22 Trier. Kann 1985, Nr. 507. − Binsfeld 2009, 368 Nr. 44.1–2 Taf. 13–14.

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

tiv klein, so dass sich die Namenstempel schon rein formal von den Stempeln der spätantiken Großziegeleien ADIVTEX, ARMO- und CAPI- abheben. Die Stempel beschränken sich auf die einfache Nennung des Cognomen im Nominativ oder im Genitiv. Stempelvarianten ein und desselben Namens sind sowohl im Nominativ als auch im Genitiv zu finden. Bei einer Reihe von Exemplaren ist der Rahmen des Stempelfeldes mit einer feinen Zackenreihe versehen. Diese kann um das Stempelfeld umlaufen oder auf zwei Feldseiten beschränkt sein. Entsprechende Zackenrahmungen sind auch für bestimmte Stempeltypen der ADIVT-Gruppe belegt. Die Buchstaben hat man stets erhaben und zumeist in feinen Linien wiedergegeben, wobei N und S sehr häufig spiegelbildlich zur Laufrichtung dargestellt sind. Stempel ein und desselben Namens können sowohl in rechts- als auch linksläufigen Ausprägungen auftreten. Der Zuschnitt der Buchstaben ähnelt sich bei einzelnen Namenstempeln derart, dass direkte Abhängigkeiten zu erschließen sind. Nur für zwei der Namen wurden neben der vollen Schreibung auch Abkürzungen verwendet: CON oder CONCOR für CONCORDIVS; EXS, EXSVP oder EXSVPE für EXVPERANTIVS (Exsuperantius)23. Die verschiedenen Varianten der Exuperantius-Stempel sind des Weiteren größer dimensioniert und heben sich zudem durch eine relativ grobe Wiedergabe der Buchstaben von den sonstigen Namenstempeln ab. Eine Sonderstellung nimmt in stilistischer Hinsicht der Stempel DEAETHERI ein24. Ihn kennzeichnet ein geradezu ‚verwildertes‘ Schriftbild, das durch die Verwendung von Ligaturen verstärkt wird. Die bisherigen Belege gehen alle auf einen Stempeltyp zurück.

Das Namengut Der überwiegende Teil der auf den Namenstempeln belegten Personenamen ist lateinisch und in der Spätantike in christlichem, aber auch nichtchristlichem Kontext verbreitet. Hierzu zählen: Avitus, Concordius, Crescentio, Donatus, Eventius, Exuperantius (auch Exsuperantius), Florentius, Gaudentius, Iovianus, Iovinus, Iustinianus, Lupianus, Lupicinus, Magnentius, Mauricius, Saturninus, Silvester, Victorinus, Vincentius, Vitalianus. Zwei der lateinischen Namen haben den Charakter von ‚Kosenamen‘, wie sie auch im Milieu von

23 Die in CIL XIII 6, 127751 aufgeführte Abkürzung EXP beruht lediglich auf einem Beleg, einem Stempel aus Nennig (E. aus’m Weerth, Bonner Jahrbücher 60, 1877, 173 Nr. 28), und dürfte unzutreffend gelesen worden sein. 24 Binsfeld 2009, 351 Nr. 21 Taf. 11.

Unfreien zu finden sind: Amabilis („liebenswürdig“) und Amantiolus. Letzterer ist das Diminutiv des Namens Amantius, „der Liebende“, der in der Verkleinerungsform anscheinend sonst nicht belegt ist25. Weitere Cognomina sind von Tierbezeichnungen abgeleitet. Derartige Namen, die oft auf -o enden, sind im Namengut von Einheimischen in den gallisch-germanischen Provinzen verbreitet: Aprio (von aper, „Eber“), Cervio (von cervus, „Hirsch“), Urso/Ursus (von ursus, „Bär“). Als einheimisch-keltisch sind einzustufen: Articinus, Bucus (meist Buccus) und Vassilo26. Vermutlich gilt dies auch für Assatus, ein wenig verbreiteter Name, der in Hispanien vorkommt27. Auch der nur durch die Ziegelstempel belegte Supetius wird in der einschlägigen Literatur zu den keltischen Eigennamen gerechnet, ohne dass dies etymologisch näher begründet wird28. Der Name Arigius (Arecius, Aricius) dagegen ist – als einziger der Gruppe – offenkundig germanischen Ursprungs29. Die Gruppe enthält zudem einige seltene lateinisch-griechische Namen oder Namensformen: Ein Arhontius ist anscheinend bislang nicht bezeugt. Er wird als Schreibvariante oder Verschreibung von Archontius zu deuten sein, das als nomen gentile belegt ist30. Der Name ist vom griechischen Wort ἄρχων, -οντος abgeleitet. Eine verschollene frühchristliche Grabinschrift aus St. Maximin überliefert zudem die Variante Archontus31, wodurch dieser griechische Name im spätantiken Namengut Triers durch ein weiteres Zeugnis dokumentiert wird. Der Name Cano ist wohl als einheimische Namensbildung auf -o des lateinischen Cognomen Canus anzusehen, das in der Region verbreitet ist. Der Stempel DEAETHERI ist noch nicht abschließend gedeutet32. Wenn auch Deaetherius als Name bisher nicht nachgewiesen ist, wird der Stempel im Kontext der vorliegenden Gruppe am ehesten als erweiterte Genitivform des lateinisch-griechischen Personennamens Aetherius einzustufen sein. Schwierigkeiten bereitet zudem die Deutung des Stempels VIRISIMI. Ein daraus abzuleitender Personenname Virisimus ist in den inschriftlichen Quellen offenbar bislang nicht vertreten. Die Bischofsliste von Lyon verzeichnet einen Bischof Verissimus bzw. Virissimus, dessen Teilnahme an

25 26 27 28 29 30 31 32

Solin 1996, 65 (Amantia); 103 (Amabilis). Kakoschke 2010, 217 (Articianus); 247; 540. Kakoschke 2010, 220 (mit Nachweisen). Kakoschke 2010, 516. Binsfeld 2009, 293 mit Anm. 178 (Nachweise). Schulze 1904, 126. Gauthier 1975, 364 f. Nr. I 139. Siehe die zusammenfassende Diskussion bei Binsfeld 2009, 293 f.

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Joachim Hupe

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Abb. 1: Trier, Plan der römischen Stadt in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts mit Eintragung der behandelten Fundstellen (Plan: F.-J. Dewald) – (1) Barbarathermen, (2) Kaiserthermen, (3) Frühchristliche Kirchenanlage, (4) Aquädukt, Olewiger Straße; (5) Portikus, Weberbach(straße), (6) Privatbad?, Feldstraße 26, (7) Brunnen, ehem. Tempelbezirk im Altbachtal, (8) Gebäude, Luxemburger Straße 41/45.

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der Synode von Serdica 343 n. Chr. bezeugt ist33. Sofern hier ein direkter Bezug vorliegt, gehörte Virisimus zu den vom lateinischen Cognomen Verus abgeleiteten Namensformen.

Namenstempel in geschlossenen Fundkomplexen Triers Die schon von Steiner formulierte These, der zufolge die Erzeugnisse der Großziegeleien der ADIVT-, ARMO- und CAPI-Gruppen mit dem Ausbau Triers zur Kaiserresidenz in diokletianischkonstan­tinischer Zeit verknüpft seien, kann heutzutage durch vielfältige Bauforschungen an den spätantiken Großbauten der Stadt als erwiesen gelten. So konnten Stempel dieser drei Hauptgruppen verschiedentlich im Mauerwerksverband der kaiserlichen Palastaula (Basilika), insbesondere in den Balkenlöchern der sog. Außengalerien, beobachtet werden34. Das Gleiche gilt für spätkonstantinische Mauerwerksbereiche der frühchristlichen Kirchen-

33 PCBE IV 1935 f. 34 Reusch 1949, 178–180; 185–187; 189 Abb. 10,1–18. − Dodt 2013, 45–47 Abb. 16–19.

anlage35. In den Kaiserthermen wurden Stempel der Gruppen ADIVT- und CAPI- in situ im Mauerwerk von Bauteilen angetroffen, die zur älteren, das heißt zur diokletianisch-konstantinischen Bauphase des als Thermen konzipierten Monumentalbaus gehörten, so dem caldarium36 oder der nicht ausgeführten Thermenvorhalle, die erst 2014–2015 durch Ausgrabungen bekanntgeworden ist37. In der Forschung blieb bisher unerkannt, dass in spätantiken Mauerwerksbefunden, in denen Stempel der drei Hauptgruppen verbaut waren, keine Namenstempel auftreten. Dieses Phänomen ließ sich bei archäologischen Untersuchungen jüngerer Zeit durchgängig beobachten, so z. B. eindrücklich im Jahr 2009 an einer spätantiken Wasserleitung im östlichen antiken Stadtgebiet, im heutigen Stadtteil Gartenfeld (Grundstück Schützenstraße 34)38. Die mit Ziegeln gemauerte Leitung barg nicht weniger als 36 gestempelte Exemplare, insbesondere der drei Hauptgruppen, jedoch keine Namenstempel. Die Grundthese, dass die gestempelten Ziegel der drei Hauptgruppen (ADIVT-, ARMO-, CAPI-) und die spätantiken Namenstempel stets in unterschiedlichen baulichen Kontexten auftreten, soll im Folgenden anhand geschlossener Fundkomplexe überprüft werden. Hierzu werden Altbefunde, vor allem aber Baubefunde von Ausgrabungen jüngerer Zeit herangezogen, in denen spätantike Namenstempel noch im ursprünglichen Fundzusammenhang in öffentlichen oder privaten Bauten anzutreffen waren (Abb. 1). Eine besondere Betrachtung verdienen dabei die Ziegelfunde mit Namenstempeln aus den Barbarathermen: Mit 77 erfassten Exemplaren, die ganz unterschiedliche Namen beinhalten, bilden sie in den Barbarathermen eine große Fundgruppe. Soweit der Autor das Material überblickt, handelt es sich um Altfunde, in der Regel Lesefunde, deren baulicher Kontext entsprechend unklar bleibt. Die Funde zeugen ganz allgemein von späten Instandsetzungs35 Binsfeld 2009, 388–393 und passim. Soweit datierbare Befundzusammenhänge vorlagen, wurden die Ziegelstempel der Gruppen ADIVT-, ARMO- und CAPIvorwiegend in den spätkonstantinischen Gebäudeteilen der Kirchenanlage angetroffen (330er-Jahre bis Mitte 4.  Jahrhundert n. Chr.), Stempel der Gruppen ADIVTund CAPI- zudem auch in vorkirchenzeitlichen Kontexten. Des Weiteren ist die Verwendung von Ziegeln der drei Hauptgruppen im valentinianisch-gratianischen Bauabschnitt (insbesondere den oberen Mauerpartien des Quadratbaus) durch den Baubefund gesichert oder zu vermuten (siehe dazu Binsfeld 2009, 287–289). Die Autorin ließ seinerzeit die Frage offen, ob die drei Ziegeleien in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts noch in Betrieb waren oder hier älteres Baumaterial wieder- bzw. weiterverwendet worden war. 36 Dodt 2013, 40 Abb. 1. 37 Hupe/Kremer 2015, 64 f.; 74 ff. Nr. 2; 7–10. 38 Hupe 2012/13, 424–429 Abb. 32,a–e.

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

Tabelle 2: Baubefunde mit Namenstempeln im Stadtgebiet Triers. ● 

Beleg im Mauerwerksverbund oder in anderem geschlossenen Fundkontext

○  Beleg auf einer Fundstätte (ohne geschlossenen Fundkontext)

Name des Zieglers

Dom AquäQua­ Portikus Barbara- Kaiserdukt dratbau Weberthermen thermen Olewiger (Stufenbach Str. podium)

Privatbad? Feldstr. 26

AMABILIS AMANTIOLVS APRIO ARIGIVS ARTICINVS ASSATVS CERVIO CONCORDIVS CRESCENTIO DONATVS EVENTIVS EX(S)VPERANTIVS FLORENTIVS IOVIANVS LVPIANVS LVPICINVS MAGNENTIVS MAVRICIVS SILVESTER SVPETIVS VASSILO VICTORINVS VINCENTIVS VITALIANVS VRSVS









○ ○ ○ ○

○ ○











○ ○ ○ ○ ○





○ ○



○ ○





○ ○





oder Umbaumaßnahmen an den im 2. Jahrhundert errichteten Thermen. Angesichts des hohen Anteils an Dachziegeln im Fundmaterial ist vor allem an Neueindeckungen der Dachflächen zu denken. Ähnliches gilt für die Funde vom Gelände der Kaiserthermen (103 Namenstempel). Sie stammen überwiegend aus den großen Grabungen Daniel Krenckers der Jahre 1913–1914. Auch hier kann anscheinend mangels klarer Fundumstände in keinem Fall eine Aussage darüber getroffen werden,









● ●





○ ● ●



○ ●















○ ○

Gebäude Brunnen LuxemAltburger bachtal Str. 41/45



○ ○







● ●





ob ein Ziegel mit Namenstempel einem Bauteil der älteren Bauphase diokletianisch-konstantinischer Zeit oder erst der zweiten, der nach ca. 350 n. Chr. (wahrscheinlich ab 367 n. Chr.) anzusetzenden Umbauphase des Monumentalbaus angehörte. In Anbetracht dieser Ausgangslage werden die Namenstempel aus den Barbarathermen und den Kaiserthermen nachfolgend vor allem für Fragen der Fundstatistik herangezogen (Tabelle 2).

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Frühchristliche Kirchenanlage Bei der Bearbeitung des Ziegelstempelmaterials aus den Domgrabungen konnte Andrea Binsfeld feststellen, dass die Stempel APRIO, ASSATVS, CON und EXVPERANTIVS eine geschlossene Gruppe bilden39. Soweit der bauliche Kontext bekannt ist, wurden die gestempelten Ziegel dieser Gruppe ausschließlich im sog. Quadratbau der Nordostbasilika aufgefunden. Hier waren sie als umgedrehte Dachziegel (tegulae) in den Unterboden der Suspensura, des ‚schwebenden Bodens‘ des Stufenpodiums eingebaut worden. Alle vier Stempel der Gruppe sind jeweils in größerer Stückzahl belegt, zwischen 13 (Assatus) und 48 (Exuperantius) Exemplaren. Da die Stempel an anderen Teilen der frühchristlichen Kirchenanlage anscheinend nicht vorkommen, dürfte es sich um eine geschlossene Baumateriallieferung gehandelt haben. Nach Winfried Weber war der Einbau des Stufenpodiums im Zuge der Wiederaufnahme der Arbeiten am Quadratbau unter Valentinian  I. (364–375  n. Chr.) auf der Basis einer geänderten Konzeption erfolgt, nachdem die Bauarbeiten gegen Mitte des 4. Jahrhunderts ins Stocken geraten waren40. Das fünfstufige Podest überbaute eine polygonale Baustruktur aus der ersten Bauphase, die Weber zufolge unfertig liegengeblieben war. Aus dem archäologischen Befund ist ablesbar, dass Erzeugnisse des APRIO, ASSATVS, CON und EXVPERANTIVS in der zweiten Bauphase des Quadratbaus in valentinianisch-gratianischer Zeit verwendet worden sind. Der 16-mal belegte Stempel CON steht mit großer Wahrscheinlichkeit für den Ziegler Concordius, dessen Name auch in vollständiger Schreibung auf einem Ziegel eines Hypokaustpfeilers ebendieser Suspensura des Quadratpodiums dokumentiert ist41. Den vier in hoher Stückzahl nachgewiesenen Namenstempeln ist noch ein Ziegel mit dem Stempel CR(E)SCENTIO anzufügen42, der ebenfalls im Unterboden der Suspensura verbaut worden war.

Spätantiker Aquädukt an der Olewiger Straße Südöstlich der Kaiserthermen wurde zwischen 1890 und 2015 bei verschiedenen archäologischen Maßnahmen ein mächtiges Gussmauerfundament

39 Binsfeld 2009, 285 f. 40 Weber 1995, 928 f.; 936–938 Abb. 6–7. – Zuletzt: Weber 2022, 120. 41 Binsfeld 2009, 350 Nr. 18.3.1 Taf. 11. 42 Binsfeld 2009, 351 Nr. 20.5.

eines Aquäduktes angeschnitten43. Der geradlinige, Ostsüdost-Westnordwest gerichtete Verlauf dieser auf Pfeiler gestellten Wasserleitung konnte auf Grundstücken entlang der Nordseite der heutigen Olewiger Straße bis zum Bahneinschnitt an den Kaiserthermen über eine Distanz von rund 150 m verfolgt werden. Für die Datierung des Bauwerkes waren Untersuchungen des Jahres 1922 auf den heutigen Grundstücken Olewiger Straße 9a und 11 besonders aufschlussreich44: Dem durchgehenden, 1,90 m breiten Gussmauerfundament saßen hier in einem Abstand von 5,45 m noch zwei Stümpfe der ehemaligen, in der Grundfläche 1,90 m × 1,60 m messenden Pfeiler auf (Abb. 2). Die Mauerschale der Pfeiler war lagenhaft mit Kalksteinhandquadern und langrechteckigen Sandsteinquadern gesetzt, zwischen denen eine doppelte Ziegellage eingebunden war45. Vier der Mauerwerksziegel (lateres) trugen stempelgleiche Prägungen des Zieglers EVENTIVS46. Im Mörtel des östlichen der beiden Pfeiler steckte eine Kleinbronze (AE 3) valentinianisch-gratianischer Zeit vom Typ SECVRITAS REI PVBLICAE (364/378  n. Chr.)47. Die durch den Münzfund nahegelegte Datierung des Bauwerks in das letzte Drittel des 4.  Jahrhunderts konnte 2015 auf dem weiter westlich gelegenen Grundstück Olewiger Straße  7 anhand von Keramikfunden weiter erhärtet werden, indem dort aus der Hinterfüllung der Baugrube des Aquäduktfundamentes spätantike Keramik, vor allem Mayener Ware und rädchenverzierte Argonnensigillata, geborgen wurde48. Im Mörtelbett eines dortigen Pfeilerrestes konnte als Abdruck ein gestempelter Ziegel des FLORENTIVS identifiziert werden (Abb. 3)49. Mit der Wasserleitung an der Olewiger Straße wird eine späte, nachkonstantinische Infrastrukturmaßnahme in der Kaiserresidenz fassbar, die im Zuge der Reorganisationsbemühungen unter Valentinian I. (reg. 364–375 n. Chr.) und seinem Sohn Gratian (reg. 367–383 n. Chr.) erfolgt sein wird. An dieser Baumaßnahme waren Eventius und Floren­ tius mit Materiallieferungen beteiligt. Auf dem nämlichen Grundstück der Grabung von 2015 wurden aus spätantikem Abbruchschutt

43 Zusammenfassende Darstellung mit den Quellennachweisen bei Hupe 2016/17, 309–313 Abb. 38–40. 44 Jahresbericht 1922. Bonner Jahrbücher 128, 1923, 151. − Hupe 2016/17, 309 f. 45 In der Kombination von rotem Sandstein und Ziegellagen ähnelt die Mauertechnik der zweiten Bauphase des sog. Quadratbaus der frühchristlichen Kirchenanlage. 46 RLM Trier, Inv. 1922,257a–d. 47 Cohen VIII2 92 Nr. 37/110 Nr. 47/130 Nr. 34. − FMRD IV  3/5, 89 Nr. 19 (364/375/378 n. Chr.). 48 Hupe 2016/17, 312. 49 RLM Trier, EV 2015,34 FNr. 168. Hupe 2016/17, 313 Abb. 40a–b.

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

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weitere mit Namen gestempelte Ziegelbruchstücke geborgen: DONATVS (2), LVPICINI  (6), SVPETIVS (1) und VINCENTI (6)50. Die einstige Zugehörigkeit dieser Belege zum valentinianischen Aquädukt ist denkbar, bleibt aber hypothetisch.

Spätantike Portikus entlang der heutigen Straße Weberbach 1902 konnten im Zuge der Kanalisationsarbeiten der Stadt im Straßenverlauf der Weberbach(straße), und zwar im Bereich zwischen der Einmündung der heutigen Seizstraße und dem Nordrand des Kaiserthermenareals, mehrere Abschnitte linearer Mauerzüge über eine Gesamtdistanz von ca. 225 m aufgenommen werden51. Der Verlauf der heutigen Weberbach(straße) entspricht weitgehend dem einer römischen Nord-Süd-Trasse, der Straße H nach der Gliederung von Reinhard Schindler. Schon Daniel Krencker erkannte 1929 in den langen Mauerzügen Fundamentmauern von Portiken und folgerte, die Straße H sei in der Spätantike als mit Säulenhallen bestandene Prachtstraße ausgestaltet gewesen52. Diese Portiken hatten mit dem Westportal der Kaiserthermen, das 1949 an der Straße Weberbach ermittelt werden konnte53, wohl eine weitgehend geschlossene Säulenfront gebildet. Das Westportal selbst ist jüngeren Erkenntnissen zufolge erst im Zuge der Wiederaufnahme der Arbeiten an dem Großbau, möglicherweise ab 367  n. Chr. errichtet worden54. Es gehört zur sog. Umbauphase der Thermen, als der noch unfertige Bau einer geänderten Nutzung zugeführt wurde. Es ist demzufolge durchaus denkbar, dass auch die Errichtung der Portiken erst in valentinianische Zeit zu datieren ist. Die 1902 untersuchten Fundamentmauern der Portiken schlossen mit durchgehenden Ziegellagen als Übergang zum Aufgehenden ab. Im Mauer­ werksverband der obersten Lage wurden folgende Namenstempel noch in situ angetroffen (Anzahl der Belege in Klammern): ARTICINVS (2), CONCOR (1), CR(E)SCENTIO (1), EVENTIVS (2) und VINCENTI (5)55. Weitere in diesem Zusammenhang, aber ohne Mauerwerksverbund geborgene

50 RLM Trier, EV 2015,34 FNr. 141; 159–160. Hupe 2016/17, 312. 51 RLM Trier, Planarchiv, Pläne K 14; F 21–22. 52 Krencker 1929, 1; 5 Abb. 3. 53 Jahresbericht 1945–1958. Trierer Zeitschrift 24/26, 1956/58, 402–405 Abb. 44–46. – Hupe/Kremer 2015, 59 f. Abb. 3–6. 54 Hupe/Kremer 2015. 55 ARTICINVS (RLM Trier, Inv. ST 6071e; ST 6091a); CONCOR (ST 6072a); CR(E)SCENTIO (ST 6088i); EVENTIVS (ST 6071d; ST 6072b); VINCENTI (ST 6071b–c; ST 6091b; ST 6095a–b).

Stempel sind womöglich ebenfalls diesem Bauwerk zuzuordnen56.

Spätantikes Gebäude (Privatbad?), Grundstück Feldstraße 26 Im Jahr 2018 konnten auf einem Baugrundstück an der heutigen Feldstraße mehrphasige spätrömische Baureste untersucht werden, die vermutlich zu einer Badeanlage gehört hatten57. Es wurde eine Abfolge 56 APRIO (Inv. ST 6070), ARTICINVS (ST 6057a; ST 6094i), DONATVS (ST 6056d–e; ST 6060a), FLORENTIVS (ST 6096a), IOVIANI (ST 6060d–e), MAVRICI (ST 6060b), SVPETIVS (ST 6090a; ST 6096b), VINCENTI (ST 6057e; ST 6090b). 57 EV 2018,8 (unpubliziert). Der Befund wird im Jahresbericht 2018 in der Trierer Zeitschrift vorgestellt. Der

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Abb. 2: Trier, Olewiger Straße 9a/11. Pfeilerrest eines Aquäduktes, Aufnahme von 1922. Abb. 3: Trier, Olewiger Straße 7. Mörtelabdruck eines Stempels des FLORENTIVS im Pfeiler des Aquäduktes, Aufnahme von 2015.

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Joachim Hupe

Abb. 4: Trier, Luxemburger Straße 41/45. Spätrömische Bebauung mit aufliegendem Dachziegelversturz, Aufnahme von 2020.

dreier hypokaustierter Räume angeschnitten, an die sich weitere Raumeinheiten anschlossen. Vom hypocaustum selbst waren in den Räumen einzig noch die mit Ziegelplatten (Formate ca. 28 cm  × 42 cm) ausgelegten Unterböden der Suspensura nachzuweisen. In einem der drei Räume (Befund 2) wurden im Unterboden in geschlossenem Zusammenhang insgesamt elf Ziegelstempel, ausnahmslos Namenstempel, angetroffen58: APRIO (2), ARTICINI (2), EXVPERANTIVS (4), VRSVS (3). Aus dem Suspensura-Unterboden eines südlich gelegenen, nur angeschnittenen Raumes (Befund 6) wurden zwei weitere mit Namen gestempelte Ziegel gebor-

spätrömische Bau überlagerte eine mittelkaiserzeitliche Wohnbebauung. 58 RLM Trier, EV 2018,8 FNr. 90–91; 388–397.

gen59: EVENTIVS, SILVESTRI. Ziegelstempel anderen Typs waren nicht vertreten. Die Namenstempel deuten in Verbindung mit dem Fehlen von Erzeugnissen der drei Großziegeleien diokletianisch-konstantinischer Zeit (ADIVT-, ARMO-, CAPI-) darauf hin, dass das als Bad gedeutete Gebäude erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts als Neubau errichtet worden ist.

Brunnen im Altbachtal Bei den Ausgrabungen im gallo-römischen Tempelbezirk wurde 1928 ein Brunnen untersucht, dessen Verfüllung bemerkenswert viele gestempelte Dachziegel barg. Der Brunnen gehörte zum südlichen

59 RLM Trier, EV 2018,8 FNr. 398–399.

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

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der fünf Wohngebäude (Bau 37 A)60, die über dem aufgegebenen Theater errichtet worden waren. Im Brunnen fanden sich 13 Exemplare mit Stempel des ASSATVS (rückläufig) und 23 mit dem des VASSILO. Je einmal belegt waren AMABILIS, LVPICINVS und TATO61. Angesichts der hohen Zahl gleicher Stempel des VASSILO und des ASSATVS erscheint es naheliegend, dass die Dachziegel einem geschlossenen Baukomplex angehört hatten, bevor sie als Bauschutt in den Brunnenschacht gelangt sind62.

Spätantikes Gebäude, Grundstück Luxemburger Straße 41/45 Bei archäologischen Grabungen in der römischen Vorstadtsiedlung Triers auf der linken Moselseite wurden 2020–2021 umfangreiche Baureste eines seit der Mitte des 1. Jahrhunderts bestehenden Wohnund Gewerbequartiers aufgedeckt63. Die Bebauung des an der Ostseite der antiken Ausfallstraße, der heutigen Luxemburger Straße, gelegenen Quartiers war in streifenförmig angelegte Parzellen gegliedert (Abb. 4). Den jüngsten datierbaren Baubefund markierte ein spätrömisches Gebäude des 4. Jahrhunderts aus Kalksteinmauerwerk. Aus dem Abbruchschutt dieses Bauwerks unbekannter Funktion wurden sechs mit Namen gestempelte Dachziegel geborgen64: AMANTIOLVS (2), ARIGIVS (2), FLORENTIVS (1), VASSILO (1). Die Zuweisung dieser Ziegel an das Gebäude ist durch den Grabungsbefund gesichert, zumal das übrige Fundgut der Grabung lediglich ein weiteres Ziegelstempelfragment erbrachte.

Bilanz – Fundkomplexe mit spätantiken Namenstempeln in Trier Aus der Fundstellenstatistik (Tabelle 2) geht deutlich hervor, dass die mit verschiedenen Namen gestempelten Ziegel durch eine gemeinsame Verwendung im Mauerwerk spätantiker Baubefunde oder das parallele Auftreten in Fundkomplexen vielfältig miteinander kombiniert sind. Dieser Umstand spricht

60 Zur Lage: Gose 1972, 109 f. (Planausschnitt IV); Abb. 189; 222. 61 Germania 12, 1928, 203 (P. Steiner). – Gose 1972, 117. 62 Zwei weitere Dachziegel mit dem Stempel VASSILO wurden in einem nördlich gelegenen Brunnen des Hauses 37  D aufgefunden (Gose 1972, 117), in dem ein Mithräum eingerichtet gewesen war. 63 EV 2020,73 (unpubliziert). Die Grabungsergebnisse werden im Jahresbericht 2020 in der Trierer Zeitschrift vorgestellt. 64 EV 2020,73 FNr. 679; 690; 708; 862.

Abb. 5: Trier, Barbarathermen. Mehrfach gestempelter Leistenziegel.

gegen die gängige Interpretation, die Namen bezögen sich auf Eigentümer privater Ziegeleien kleiner oder mittlerer Größe. Es dürfte sich vielmehr um Beschäftigte einer Großziegelei gehandelt haben, die parallel und in unmittelbarer räumlicher Nähe produzierten. Die innerbetriebliche ‚Symbiose‘ dieser Beschäftigten illustriert in seltener Anschaulichkeit ein Dachziegelfragment, das schon 1882 bei den Ausgrabungen in den Barbarathermen zutage kam (Abb. 5)65, in seinem Aussagewert allerdings unbeachtet blieb. In den noch feuchten Ton der tegula war mindestens viermal der Stempel CONCOR(DIVS) eingedrückt worden. Dieser wiederum wurde kurz danach aus uns unerfindlichen Gründen mit dem des Mauricius (MAVRICI) überprägt. Die formale Ähnlichkeit vieler der Namenstempel legt darüber hinaus deren enge Zusammengehörigkeit nahe. Dies betrifft die Größe und Gestaltung des Stempelrahmens, aber auch den Zuschnitt der Namensinschrift. Durch ihre schlanke, graphische Gestaltung der Buchstaben bilden etwa die Stempel von Eventius, Florentius, Urso/Ursus, Vincentius und Virisimus eine eng zusammengehörige Gruppe. Sie werden von ein und demselben Stempelschneider gefertigt worden sein. Dasselbe gilt für die Stempel des Arhontius und des Victorinus. Zu vermuten ist dies ferner für Assatus und Vassilo (vgl. besonders die Gestaltung der Buchstaben SS), für Iustinianus und Vitalianus, für Concordius und Crescentio u. a.

65 RLM Trier, Inv. PM 6659. Jahresbericht 1882. Westdeutsche Zeitschrift 2, 1883, 221.

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Der Befund wirft neues Licht auf die innerbetriebliche Organisation spätantiker Großziegeleien im Umfeld der Kaiserresidenz Trier. Man wird daher nicht fehlgehen, in den namentlich Genannten Personen zu sehen, die als Produktionsverantwortliche die Herstellung überwachten und als Kontrolleure die Güte der Ziegelchargen zu dokumentieren hatten (siehe unten Kapitel „Schlussfolgerungen und Hypothesen“).

Fundstellen spätantiker Namenstempel im Umland von Trier Eine flächendeckende Auswertung aller Fundstellen, die spätantike Ziegelstempel mit den aus Trier belegten Namen erbracht haben, konnte im Rahmen dieser begrenzten Studie nicht geleistet werden. Die folgenden Bemerkungen beschränken sich daher vornehmlich auf das Vorkommen dieser gestempelten Ziegel im direkten Umland der spätantiken Residenz. Dabei zeichnet sich deutlich ab, dass die Belege aus ländlichen Fundstellen gegenüber denen aus Trier quantitativ weit in den Hintergrund treten. Das Phänomen, dass verschiedene Namen kombiniert an einem Fundort auftreten, lässt sich aber auch im Umland beobachten. Exemplarisch ist hier eine Siedlungsstelle in der Gemarkung Elzerath (Gemeinde Morbach, Kr. Bernkastel-Wittlich), Flur „Heidenpütz“, anzuführen. Auf dem an der sog. Ausoniusstraße gelegenen Fundplatz, der in der Forschung hypothetisch mit den Tabernae des Au­ sonius (Mosella 8) gleichgesetzt worden ist, wurden gestempelte Dachziegel des Amantiolus, Aprio, Arigius (2 Belege) und des Florentius aufgelesen66. Die Keramikfunde aus der Siedlung belegen den Ausgräbern zufolge die Nutzung der Gebäude in der Mitte und der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Aus Villen des Trierer Landes liegen einzelne Belege für die Verwendung mit Namen gestempelter spätantiker Dachziegel vor. Unter den Altfunden sind Ziegelstempel des Cervio und des Vincentius aus der Villa von Franzenheim (Kr. Trier-Saarburg) anzuführen67. Die 1903 teiluntersuchte Anlage, die über ein Bad verfügte, war den Fundmünzen nach zu urteilen noch am Ende des 4. Jahrhunderts in Nutzung.

66 RLM Trier, Inv. 1935,137–140. Jahresbericht 1935. Trierer Zeitschrift 11, 1936, 233. − CIL XIII 6, 12647. Zur Fundstelle: Jahresbericht 1962–1965. Trierer Zeitschrift 30, 1967, 254–258 Abb. 11. – Binsfeld 1977, 204 f. Abb. 1. – Cüppers 1990, 483. 67 RLM Trier, Inv. 1903,295–296. CIL XIII 6, 12714; 13068. – E. Krüger, Westdeutsche Zeitschrift 23, 1904, 207 f.

Unter den archäologischen Funden aus der spätantiken herrschaftlichen Villa von TrierEuren68 erwähnt Domkapitular Johann Nikolaus v. Wilmowsky (1801–1880) neben älteren oder von ihm nicht identifizierbaren Ziegelstempeln auch einen Stempel des Iovinus69. Hinzu treten sechs Stempel des Iovianus aus altem Sammlungsbestand des Rheinischen Landesmuseums, für die ebenfalls der Fundort „Euren“ überliefert ist70. Überblickt man die systematisch erforschten Villen mit spätantiken Bauphasen im Umland von Trier, so sind bezüglich des Vorkommens mit Namen gestempelter Ziegel zuvorderst die Anlagen von Newel und Mehring (beide Kr. Trier-Saarburg) anzuführen. Demgegenüber erscheint es auffällig, dass etwa aus der Großvilla des nahegelegenen Echternach (Luxemburg) keine entsprechenden Belege vorliegen71. Der Gutshof von Newel72 erfuhr im Verlauf des 4. Jahrhunderts eine späte wirtschaftliche Blüte, als die Anlage in den Domänenbezirk der spätantiken Langmauer einbezogen wurde. Nach der Analyse der Funde durch die Ausgräber, Heinz Cüppers und Adolf Neyses, datiert der Großteil des geborgenen Materials erst in valentinianisch-gratianische Zeit. Diesem Zeitabschnitt dürften auch die Dachziegel zuzuordnen sein, die in großer Menge im gesamten Bereich des ‚Herrenhauses‘ aufgelesen worden sind. Sie hatten zweifelsohne die letzte Deckung des Hauptgebäudes gebildet. Unter den gestempelten Leistenziegeln (tegulae) dominiert ASSATVS (rechts- und linksläufig) mit 36 Exemplaren; viermal belegt sind GAVDENTI (Gaudentius), einmal DONATVS73. In Anbetracht der Tatsache, dass das Material der Villa von Newel vollständig bearbeitet worden ist, gewinnt die Absenz der drei Hauptgruppen (ADIVT-, ARMO-, CAPI-) im Stempelbestand dieses Fundkomplexes besondere Aussagekraft. Im Unterschied zu Newel lässt sich für die Villa von Mehring kein vollständiges Bild gewinnen, da die 1983–1985 durchgeführten Grabungen nur in einem kurzen Vorbericht publiziert worden sind74. Diesem zufolge ist das im 2. Jahrhundert errichtete ‚Herrenhaus‘ nach etlichen Umbauten bis ins späte 68 Zur Villa zuletzt zusammenfassend: Denkschrift 2005, 144–146 (S. Faust/H. Löhr). 69 v. Wilmowsky 1872/73, 41. – CIL XIII 6, 12825 4. – Neben IOVINVS nennt er OPTATVS / POLLAE SER(vus), CAPIONACI und Q(uintus) VAL(erius) SABE(llus). 70 CIL XIII 6, 12825 4. 71 Vgl. L. Bakker in: Metzler/Zimmer/Bakker 1981, 158  f.; 387 f. Für Echternach belegt sind Stempel der drei Hauptgruppen und der Stempel CAMAR. 72 Cüppers/Neyses 1971. 73 Cüppers/Neyses 1971, 167. Des Weiteren werden drei TATO-Stempel und Stempelmarken in Form achtstrahliger Sterne (Cüppers/Neyses 1971, 170 Abb. 13,13) genannt. 74 Gilles 1985b.

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

5. Jahrhundert genutzt worden, zuletzt durch ‚germanische‘ Siedler. Im unveröffentlichten Fundmaterial befinden sich mindestens drei namengestempelte Leistenziegel: ARICI (Arigius), ARTICINI und EVENTIVS75. Ob weitere Stempeltypen vorliegen, müsste mit einer systematischen Durchsicht geprüft werden. Eine besondere Betrachtung verdienen Ziegelstempelfunde aus spätrömischen Weinkeltern des Trierer Landes. Karl-Josef Gilles (1950–2018) konnte seit den 1980er-Jahren durch intensive Feldforschungen eine Reihe von Kelterhäusern an der Mittelmosel untersuchen, durch die erstmalig der klare archäologische Nachweis für eine Weinerzeugung und -verarbeitung zur Römerzeit in der Re­gion gelang. Im Fundgut der Kelteranlagen von Brauneberg und Erden (beide Kr. Bernkastel-Wittlich) befinden sich verschiedene gestempelte Dachziegel, die der hier behandelten Gruppe von Namenstempeln einzureihen sind: in Brauneberg jeweils mehrere Stempel der Produzenten AMANTIOLVS, ARIGIVS und FLORENTIVS76, im westlichen Kelterhaus von Erden mehrfach die Stempel DEAETHERI und EVENTIVS77 sowie ein Exemplar mit der Aufschrift REMI in einer tabula ansata78. Letzterer Fund wurde vom Ausgräber dahingehend gedeutet, dass eine spätantike Truppenabteilung aus dem Gebiet der Remer an der Errichtung des westlichen Kelterhauses von Erden beteiligt gewesen sei. Die Keltern von Brauneberg und Erden rechnet Gilles wegen ihrer Lage, Größe und Produktionskapazitäten zu den staatlichen Weingütern, ebenso wie die Anlagen von Piesport, Piesport-Müstert oder Graach. Kennzeichnend für diese Güter sei die Lage am Fuß von klimatisch besonders begünstigten Südhängen, inmitten der zu bewirtschaftenden Rebflächen, wo sie als reine Wirtschaftsbauten ohne direkte Anbindung an eine Siedlung angelegt wurden79. Die Gründung dieser Weinbaudomänen um 300 n. Chr. sieht Gilles in Zusammenhang mit der Verlegung der Kaiserresidenz nach Trier und der Einrichtung der gallischen Präfektur in der Moselstadt. Als Betreiber dieser staatlichen Domänen kommen für ihn der kaiserliche Hof, die Provinzverwaltung oder auch das Militär infrage. So ver-

75 RLM Trier, EV 1984,23 FNr. 2a; EV 1985,25 FNr. 5. 76 RLM Trier, EV 1990,5 FNr. 21; 25. Gilles 1990, 38*; Gilles 1991, 26*; 28* Abb. 7,1–3. − Gilles 1999, 173; 174. Die gestempelten Leistenziegel wurden im Bereich des östlichen Kelterhauses und zweitverwendet an einer zwischen dem westlichen und östlichen Kelterhaus gelegenen Feuerstelle angetroffen. 77 Gilles 1994, 38* f. Abb. 4,2. 4. − Gilles 1999, 178. 78 RLM Trier, EV 1992,53 FNr. 24. Gilles 1994, 38* f. Abb. 4,3. − Gilles 1999, 102 mit Abb. 79 Gilles 1999, bes. 102 ff.; 172 ff. − Gilles 2005, 32–35.

weisen spezifische Kleinfunde, wie Beschlagteile von Gürteln, auf die Anwesenheit von Militärangehörigen oder höheren Verwaltungsbeamten. Aus den Kelteranlagen von Piesport, Pies­portMüstert, Graach und dem östlichen Kelterhaus von Erden sind bislang keine spätantiken Namenstempel bekanntgeworden, allerdings fanden sich dort zum Teil Ziegel mit Fabrikationsmarken der drei Hauptgruppen80. Den Umstand, dass die Produkte dieser wohl staatlichen Großziegeleien sonst vor allem an spätantiken Befestigungen und Großbauten Triers auftreten, wertete Gilles als zusätzliches Argument für den staatlichen Charakter dieser Großkelteranlagen. Folgerichtig vermutete er auch in den aus Brauneberg und Erden (westliches Kelterhaus) belegten Namenstempeln Erzeugnisse einer staatlichen Ziegelei81. Resümierend bleibt festzuhalten, dass auch in den intensiv untersuchten Kelteranlagen der Mittelmosel bisher keine Fundvergesellschaftungen spätantiker Namenstempel mit den Stempeln der drei Hauptgruppen ADIVT-, ARMO- und CAPIbeobachtet worden sind.

Schlussfolgerungen und Hypothesen Das vielfach kombinierte Auftreten unterschiedlicher Namenstempel in gemeinsamen architektonischen Zusammenhängen zeigt, dass es sich bei den Namensträgern nicht, wie bislang vermutet, um Eigentümer von eigenständigen Privatziegeleien gehandelt haben kann. Dieses Phänomen deutet vielmehr auf die Produktion einer arbeitsteilig organisierten Großziegelei hin. Der in den Namenstempeln fassbare Personenkreis wird als Ziegeleiaufseher den Einsatz der in hoher Zahl tätigen Hilfskräfte gesteuert und beaufsichtigt haben. Es ist naheliegend, in ihnen die officinatores zu identifizieren, die in Quellen genannt sind82. Diese waren als Werkmeister einer officina innerhalb der Ziegelei für den ordnungsgemäßen Arbeitsablauf und die Qualität des Produktes verantwortlich. Die Stempelstöcke, die sicher überwiegend aus Hartholz bestanden haben, wurden von spezialisierten Handwerkern hergestellt. Sowohl formale Ähnlichkeiten, wie Größe oder Zackenrahmung des Stempelfeldes, als auch Übereinstimmungen im Zuschnitt bestimmter Buchstaben zeigen an, dass

80 Piesport: TATO u. a. (Gilles 1999, 187). − Graach (in den Becken verbaute Ziegel): ADIVTICE, PR ADIV, TAIN und TAMIC (Gilles 1999, 181). − Erden (östliches Kelterhaus): CAMAR, CAPIONACI (Gilles 1999, 179). 81 Gilles 1999, 109 Anm. 1. 82 Steinby 1978 bes. 1499 f.; 1516–1519.

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diese Handwerker mehrere dieser Werkmeister mit Stempeln versorgten. Eine ganze Reihe von Namen ist nur durch einen Stempeltyp belegt, was womöglich auf eine begrenzte Tätigkeitsdauer dieser Person hinweist. Andere Personen führten mehrere Stempel (z. B. Concordius, Exuperantius). Ob diese gleichzeitig oder nacheinander genutzt worden sind, bedarf noch genauerer Klärung. Des Weiteren ist unerfindlich, warum die Zahl der Zeugnisse für einzelne Namen untereinander so stark divergiert. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die archäologischen Beobachtungen zur Gruppe der spätantiken Namenstempel mit der städtebaulichen und politischen Entwicklung der Residenzstadt Trier im 4. Jahrhundert in Beziehung zu setzen. Dabei gehen wir von der Prämisse aus, dass die Ziegelproduktion der Firmen ADIVTEX, ARMO-, CAPI- und die der Gruppe spätantiker Namenstempel zwei aufeinander folgende chronologische Einheiten darstellen: Mit dem Ausbau Triers zur Residenz ab 286/293 n. Chr. wurden die drei Großziegeleien angesiedelt, um den Materialbedarf des jetzt einsetzenden kaiserlichen Bauprogramms zu decken. Stempel dieser drei Firmen sind praktisch in allen öffentlichen und kaiserlichen Großbauten Triers der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts dokumentiert83. Zu nennen sind die konstantinische Palastaula (Basilika), der Baukörper der ersten Phase der Kaiserthermen, Bereiche der frühchristlichen Kirchenanlage, des Forums oder Bauten der städtischen Infrastruktur wie Frisch­ wasserleitungen und Abwasserkanäle. Angesichts der Bauvolumina ist von gewaltigen Produktionskapazitäten dieser Firmen auszugehen. Vor diesem Hintergrund ist es fast verwunderlich, dass es bisher nicht gelungen ist, die Produktionsstätten dieser mit Abstand größten Ziegelproduzenten in der Region zu lokalisieren. In der älteren Forschung wurde eine mögliche Verbindung zwischen ADIVTEX/ADIVTICE, das als Ortsbezeichnung AD IVTICE(M) gedeutet wurde, und der lothringischen Ortschaft Yutz (deutsch Jeutz), Arrondissement Thionville diskutiert, jedoch aus linguistischen Erwägungen verworfen84. Der auf der rechten Moselseite, gegenüber von Thionville gelegene Ort wird in Quellen des 9. Jahrhunderts als Judich, Iudicium u. ä. erwähnt. Aus archäologischer Sicht sind Einzelfunde von Stempeln der ADIVTEX-Gruppe aus Yutz (Basse-Yutz/Niederjeutz) und Ofenreste als Hinweis auf eine dortige Ziegelproduktion an-

83 Zu Stempelbelegen dieser Ziegeleien aus Köln und dem Kastell Köln-Deutz siehe: Schmitz 2003, 92 f.; 102 Nr. 16; 105 f. Abb. 19–22. – Schmitz 2004, 292–298; 355–357 Nr. XXIII–XXIV, XXV 28; 442–445 Abb. – Hanel/Verstegen 2005, 188 f. Abb. 6–7. 84 Hierzu ausführlich Binsfeld 2009, 286 (mit Lit.).

zuführen. Mangels großflächigerer Ausgrabungen an den Fundstellen lässt sich allerdings heute kein genaueres Bild der Befundsituation gewinnen85. Die Ermordung von Kaiser Constans 350 n. Chr. und die anschließenden politischen Wirren im Zusammenhang mit der Usurpation des Magnentius (350–353 n. Chr.) markierten auch für Trier eine gravierende wirtschaftliche Zäsur. Das konstantinische Bauprogramm in der Residenzstadt kam offenbar vollends zum Erliegen. Es spricht einiges dafür, dass die drei Großziegeleien wegen fehlender Nachfrage ihre Produktion einstellten und später nicht wieder in Betrieb genommen worden sind. Erst mit der Regierung Valentinians I. (364–375 n. Chr.) trat wieder eine nachhaltige Konsolidierung der Verhältnisse ein. Der Kaiser, der ab 367 n. Chr. in Trier residierte, ließ brachliegende Bauprojekte, allen voran die Arbeiten an den Kaiserthermen, wiederaufnehmen und initiierte neue. Es ist naheliegend, dass die Großziegelei, deren Produkte wir in den Namenstempeln fassen, in diesem Zusammenhang eingerichtet worden ist. Der Anstoß zur Neubelebung der Produktion wird zweifelsohne von staatlicher Seite erfolgt sein. Die Datierung der Gruppe der Namenstempel in valentinianisch-gratianische Zeit wird durch den keramik- und münzdatierten Aquädukt an der Olewiger Straße (Kapitel „Spätantiker Aquädukt an der Olewiger Straße“) und weitere städtische Bauwerke, wie die frühchristliche Kirchenanlage86, gestützt87. An Gebäuden, in denen Ziegel der Gruppe verwendet worden sind, gehören diese stets zur letzten römischen Steinbauphase. Die reiche archäologische Überlieferung an namengestempelten Ziegeln aus Trier zeigt an, dass der produzierende Betrieb in der Lage war, in kurzer Zeit einen immensen Materialbedarf zu decken. Er belieferte insbesondere die öffentlichen und kaiserlichen Bauten der Stadt. So weisen die zahlreichen namengestempelten tegulae aus den Barbarathermen auf eine großflächige Neueindeckung der Thermenanlage im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts hin. Darüber hinaus findet sich Ziegelmaterial dieser Gruppe aber auch in der spätantiken Privatarchitektur der Stadt und einigen privilegierten Villen des Umlandes. Die vieldiskutierte Frage, ob die Großziegeleien der Region als Privatfirmen oder als staatliche Betriebe anzusprechen sind, kann an dieser Stelle nur

85 Zusammenfassung der Forschungen: Flotté/Fuchs 2004, 811–816. 86 Binsfeld 2009, 285 f. 87 Einer Notiz zufolge (Museographie. Westdeutsche Zeitschrift 3, 1884, 167 Nr. 4) soll ein mit APRIO (rückläufig) gestempelter Ziegel im Mauerwerk der Wasserleitung von Gorze nach Metz (2. Jahrhundert) gefunden worden sein (CIL XIII 6, 12641). Sofern dies zutrifft, dürfte der Ziegel auf eine Ausbesserung zurückgehen.

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

angerissen werden. In den spätantiken Namenstempeln selbst fehlt − wie schon bei denen der drei Hauptgruppen aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts − jeglicher Hinweis, dass es sich bei der produzierenden Ziegelei um einen Staatsbetrieb gehandelt haben könnte. Für den staatlichen Charakter dieses Betriebes sprechen allerdings die massenhafte Verwendung an den öffentlichen Großbauten Triers und möglicherweise auch ihr Vorkommen in den Großkeltereien der Region. Der Umstand, dass lediglich der Name der officinatores, nicht aber der der produzierenden Firma aufgeführt wird, mag als Anzeichen für eine Monopolstellung des Betriebes zu dieser Zeit gewertet werden. Insgesamt deutet vieles auf eine zumindest staatlich gelenkte Produktion dieser Großziegelei hin. Das Verbreitungsbild der Namenstempel weist darauf hin, dass die Kaiserresidenz Trier mehr Zentrum des Bedarfes als der Produktion gewesen ist. Obwohl im Umland Triers an verschiedenen Stellen Ziegelöfen nachgewiesen worden sind88, fehlen bislang archäologische Zeugnisse für eine indus­ trieähnlich organisierte Ziegelproduktion, wie wir sie für die spätantiken Großziegeleien voraussetzen müssen. Berücksichtigt man die grundsätzliche Konzen­ tration der spätantiken Namenstempel auf das Stadtgebiet von Trier, so fällt umso deutlicher ins Auge, dass diese Gruppe auch im lothringischen Yutz und dessen Umgebung relativ breit vertreten ist. Bereits das Corpus inscriptionum Latinarum verzeichnete Stempelbelege für APRIO, CONCORDIVS (11), EXVPERANTIVS, FLORENTIVS, LVPIANVS (3), SATVRNINVS, VASSILO, VICTORINVS, VIRISIMI und VITALIANVS89; im Rahmen jüngerer Untersuchungen sind unter anderem Belege für CRESCENTIO und EXUPERANTIVS bekanntgeworden90. Aus dem etwas moselabwärts gelegenen Dorf Haute-Kontz (deutsch Oberkonz), Arrondissement Thionville liegen zudem von einer römischen Siedlungsstelle die Stempel DONATVS (2), IOVIANI, LVPICINI und VINCENTI (2) vor91. Angesichts der Tatsache, dass nahezu 50% der in Trier belegten Namen auch in Yutz oder dessen nä88 Siehe hierzu die Auflistung bei Binsfeld 2009, 297 mit Anm. 221–222 (Lit.). – Zuletzt: Knickrehm 2018/2019, 36–50. 89 CIL XIII 6, 12642; 12735; 12777; 12786; 12870; 12987; 13056; 13064; 13074; 13076. – Des Weiteren ist ein Stempel des für Trier noch nicht belegten CARITOSVS (CIL XIII 6, 12698) zu nennen. Keune 1901, 360–363. 90 Flotté/Fuchs 2004, 814; 816. Für weitere Hinweise danke ich Franziska Dövener (Bertrange) sowie Jean-Marie Blaising und Gaël Brkojewitsch (Metz). 91 CIL XIII 6, 12762; 12826; 12875; 13069. – Flotté/Fuchs 2004, 543. Dem Fundkomplex gehörte ferner ein mit VITALIS (rückläufig) gestempelter Ziegel an, der in Trier noch nicht belegt ist.

herer Umgebung vorkommen, sollte die alte These, der zufolge die ca. 75 Flusskilometer moselaufwärts von Trier gelegene lothringische Ortschaft ein Zentrum der spätantiken Ziegelproduktion in der Re­gion gewesen sein könnte, weiterverfolgt werden. Womöglich knüpfte man unter Valentinian I. an dort vorhandene Infrastruktur aus konstantinischer Zeit wieder an, nachdem der Kaiser seit 367 n. Chr. wieder in Trier Hof hielt. Dieser Gedanke bleibt allerdings spekulativ, solange er nicht durch belastbare archäologische Nachweise abgesichert werden kann. Mit der vorliegenden Studie konnten die behandelten spätantiken Namenstempel als materielle Zeugnisse für die letzte Ausbauphase der Metropole Trier in valentinianisch-gratianischer Zeit gewonnen werden. Die Stadtarchäologie erhält mit ihnen ein Datierungsinstrument, das für künftige baugeschichtliche Untersuchungen an spätantiker Architektur der Kaiserresidenz von großem Nutzen sein wird. Angesichts der augenscheinlichen Bindung dieser Großziegelei an die Anwesenheit des Kaisers und der Reichsverwaltung dürfte ihre Produktion über das Ende des 4. Jahrhunderts nicht hinausgegangen sein.

Danksagung Prof. Dr. Andrea Binsfeld (Universität Luxemburg) möchte ich für die Überlassung von Zeichnungen und Fotos von Ziegelstempeln aus den Trierer Domgrabungen herzlich danken, ebenso für ihre freundliche Bereitschaft, den Beitrag vor der Drucklegung kritisch zu lesen. Marcus Thiel verdanke ich vielfältige Hinweise auf Ziegelstempelfunde, insbesondere aus den Kelteranlagen an der Mosel. Die umfängliche Materialaufnahme der in der Regel unveröffentlichten Ziegelstempel wäre ohne die Nutzung der Objektdatenbank „LIMES“ des Rheinischen Landesmuseums Trier in dieser Form nicht möglich gewesen. Dem Aufbau dieser Datenbank, einschließlich der zeitraubenden Objekteingabe und Datenpflege, hat sich über viele Jahre hinweg Dr. Sabine Faust gewidmet. Mit ihrer Tätigkeit hat sie wichtige Grundlagenarbeit zur Erschließung der umfänglichen Sammlungsbestände des Museums geleistet.

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Joachim Hupe

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Spätantike Namenstempel auf Ziegeln und ihr Aussagewert

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Abbildungsnachweis 1 Rheinisches Landesmuseum Trier, 2  Rheinisches Landesmuseum Trier, D 1741, 3  M.  Thiel, Landesarchäologie, Außenstelle Trier, 4  D. Sauer, Landesarchäologie, Außenstelle Trier, 5  Th. Zühmer, Rheinisches Landesmuseum Trier, RE 1999,11/13, Tabelle  1  Fotos: GDKE, Rheinisches Landesmuseum Trier (Th. Zühmer, S. Faust). Ferner: GDKE, Landesarchäologie, Außenstelle Trier (M. Thiel: Lupicinus).  – Museum am Dom (R. Schneider, A. Binsfeld: Cano, Crescentio, Vitalianus). – Doku Plus, Ahn (H. Comann: Articinus), Zeichnungen: M. Diederich, Trier. – Ferner: Skizze Inventarbuch (Avitus, Deaetherius, Eventius, Iovianus, Lupianus, Magnentius, Mauricius, Supetius, Victorinus, Vitalianus).  – nach Germania 15, 1931, 82 Abb.  3 (Gaudentius), Bildbearbeitung: S. Dressler, Rheinisches Landesmuseum Trier.

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VON BEGEHRTEN PRODUKTEN UND GESALZENEN PREISEN – EIN ZITAT AUF DEM PRÜFSTAND von Korana Deppmeyer

„Nach Pannonien folgt die Provinz Gallien, die, da sie sehr groß ist und immer eines Imperators bedarf, diesen für sich hat. Aber wegen der Anwesenheit des Herrschers hat sie alles in großem Überfluss, allerdings zu sehr hohen Preisen […] Ebenso hat Gallien auch eine andere Stadt, die Treveris in allen Dingen hilft; sie liegt am Meer und heißt Arelatum; sie erhält aus der ganzen Welt Handelswaren und schickt sie an die obengenannte Stadt“1. Diese Worte leiten das Kapitel zur „Provinz Gallien“ ein, das einem anonymen spätantiken Werk entstammt, dessen verlorenes griechisches Original2 in den 350er Jahren verfasst wurde. Der zweite von drei Teilen der „Expositio totius mundi“ (§ 22–62) beschreibt die festländischen Provinzen des Imperiums und damit auch Gallien. Seine Quellen nennt der Autor selbst: Autopsie, mündliche Berichte gelehrter Männer und Autoren wie Herodot, Thukydides oder Flavius Josephus. Erklärtes Ziel ist eine summarische Beschreibung der römischen Welt. Der Fokus liegt auf Städten und Regionen, die sich durch Handel und ihre spezifischen Waren auszeichnen, über deren Kontakte untereinander man allerdings nur marginale Informationen erhält3. Laut Zitat produzierte Trier kein Handelsgut, sondern konsumierte lediglich Waren aus aller Welt, die zu überteuerten Preisen erhältlich waren. Allerdings wird dies nur für die Moselmetropole konstatiert, für keine andere Residenz werden Produkte höchster Preisklasse thematisiert, obwohl genau dieses Kennzeichen alle Kaiserresidenzen einen dürfte. Ob allerdings auch Billigprodukte teuer verkauft wurden, lässt sich heute nicht mehr eruieren.

1 2 3

Expositio totius mundi 58. Übersetzung: Drexhage 1983, 34. Sinko 1904, 531–571. – Rougé 1966; Mittag 2006, 338–351. Hächler 2021, 263–280, bes. 267.

Im folgenden Beitrag werden anhand des archäologischen Fundspektrums Aussage und Wahrheitsgehalt des Zitates untersucht und überprüft.

Trier im 4. Jahrhundert Als spätestens 406/07 der Sitz der Reichsverwaltung von Treveris nach Arelatum verlegt wurde4, und damit nun diese Stadt die oberste Behörde des römischen Westreiches beherbergte, dürfte die Belieferung Triers „mit Handelswaren aus der ganzen Welt“ deutlich reduziert worden sein und sicher auch „die Hilfe in allen Dingen“ ein Ende gefunden haben. Dass auch die Kaiser nicht mehr von Trier aus regierten, wird den Niedergang beschleunigt haben. Während der vorangegangenen gut 100-jährigen Residenzzeit war alles zu „sehr hohen Preisen“ erhältlich, ein Umstand, der durch die Anwesenheit der Herrscher samt Hofstaat erklärt werden kann, denn die Preise wurden durch erhebliche Kaufkraft sicher nach oben getrieben. Fragt man, was eine Residenz von einer ‚normalen‘ Stadtbevölkerung unterschied, ist anzunehmen, dass sich das Konsumbedürfnis im kaiserlichen Umfeld auffällig von dem der breiten Masse unterschied. Ansprüche an ein besonderes wie breites Angebot dürften zweifellos existiert haben, war doch genau damit auch die Möglichkeit der Distinktion gegeben. Wohl kaum ein Zitat scheint da die antike Realität besser zu treffen. Auch Ausonius thematisierte etwa 40 Jahre später5 die Prosperität der Residenz6, führte er Trier doch in der Rangliste berühmter

4 Hupe 2020, 61. 5 Dräger 2011, 223. Die Entstehungszeit von Auson., ordo urb. nob. ist in den Zeitraum von 388 bis 390 zu setzen. 6 Allgemein dazu: Schwarz 2005, 148–250.

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Korana Deppmeyer

Städte7 nach Rom, Konstantinopel, Karthago, dem heutigen Antiocheia und Alexandria an sechster Stelle von insgesamt 17. Es heißt nicht nur, „dass die herrscherliche Stadt […] des Reiches Kräfte nährt, kleidet und waffnet“, sondern dass „die Mosel breit vorbeizieht, mit fernen Waren der alles erzeugenden Erde beladen“8. Diese Passage weist auffällige inhaltliche Ähnlichkeiten mit der zu Trier in der „Expositio totius mundi“ auf. Ausonius wird wohl die Abhandlung gekannt haben.

Produktgruppen der Residenzzeit Für eine inhaltliche Überprüfung des Zitates muss zunächst „alles in großem Überfluss“ betrachtet werden. Da Erzeugnisse für Trier in der „Expositio totius mundi“ nicht genannt sind, kann allein archäologisches Material das Spektrum aufzeigen. Übliche und alltägliche Waren wie Lebensmittel oder Kleidung, aber auch Massenprodukte sind nicht von Relevanz, ebenso wenig Konsumartikel, die als Einzelfunde auftauchen. Weitere Ausschlusskriterien gelten für Geschenke, bei denen es sich um typische kaiserliche Largitionen wie Schmuck und Standesabzeichen oder um Silberschalen bzw. Gefäße aus Edelmetall handelt9. Der „sehr hohe Preis“ ist nach diversen Krite­ rien zu definieren. Das sind Inschriften oder antike Quellen, die konkrete Preise nennen, Qualität und Exklusivität der Produkte, aber ebenso die exotische Natur mancher importierter Waren. Das Angebot in Trier setzte sich aus diesen eingeführten Gütern einerseits und in der Stadt und ihrer Umgebung produzierten Erzeugnissen andererseits zusammen. Interpretatorische Grauzonen existieren dennoch: vom heutigen Objektbestand ist nicht auf den antiken zu schließen. Zeitliche und materielle Überlieferungslücken, aber auch die unbekannte Anzahl sich heute in Privatsammlungen befindlicher Stücke bedingen Unsicherheiten bei ihrer Bezifferung und erschweren damit die Beurteilung einstiger Relevanz von Produktgruppen. Viele Fundgattungen wurden bereits eingehend untersucht10. Die Ergebnisse liefern wertvolle Hinweise auf das Warenspektrum im 2.–3. Jahrhundert,

7 Dräger 2004, 11–14. – Dräger 2005, 35–50. 8 Auson., ordo urb. nob. 6. – Heinen 1985, 255. – Dräger 2011, 227. 9 Zu kaiserlichen Largitionen: Beyeler 2011; Merten u. a. 2022, 334 sehen in edler Kleidung ebenfalls kaiserliche Geschenke. 10 Kleinbronzen: Faust 1994; Faust 2000; Faust 2004/5; Faust 2008/9; Faust 2020/21.

damit Vergleichsmöglichkeiten mit dem 4.  Jahrhundert und eröffnen Blickfelder auf Häufungen oder Absenzen bestimmter Objekte zu bestimmten Zeiten11.

Exotische Importe, Kulinarik und Feinkost Über Waren, die nach Trier verhandelt wurden, unterrichten Etiketten aus Blei, von denen in der Stadt mehr als 100 gefunden worden sind. Sie dienten zur Markierung von Gütern und geben lapidar Auskunft über Produkt, Gewicht und Preis. Aus dem Orient ließ man sich demnach Kostbarkeiten wie Zimt, aus Indien Pfeffer liefern. Narde, eine ebenfalls indische Pflanze, die für Salböle verwendet wurde, oder garum sind ebenfalls belegt. Diese Etiketten sind paläographisch spätestens ins 3.  Jahrhundert zu datieren12; ein interessanter Umstand, welcher der Vermutung, dass gerade in der Residenzzeit Vielfalt und Menge ausländischer Importe einen Höhepunkt erreichten, klar entgegensteht. Doch das Ende ihrer Verwendung kann auch mit veränderten Verteilungsregeln im Handel zusammenhängen. Vielleicht fertigte man die Plaketten nun aus organischem Material, das wegen seiner Vergänglichkeit im Fundspektrum nicht auftaucht13. Denkbar ist ebenfalls, dass man in der Spätantike auf derartige Produktdeklarierungen verzichtete. Ein realer Handels- und Lieferstopp darf jedoch ausgeschlossen werden. Diese scheinbare und materiell tatsächliche Lücke füllte nun eine andere Gattung: Bleiplomben, mit denen man Dokumente und Waren versiegelte. Trier weist von allen Fundorten die größte Gruppe auf, die mit mehr als 2500 Stücken zu beziffern ist14. Ihre große Masse datiert ins 4.  Jahrhundert, wobei eine erste nachweislich massive Verwendung unter Kaiser Konstantin stattfand. Etliche Exem­ plare wurden im Bereich des Moselufers, somit des Hafens und auch der horrea gefunden. Ein weiterer Komplex stammt aus dem Palastbezirk15. Mit diesem Fundort wird der Adressatenkreis der Dokumente und Waren klar sichtbar. Keramikformen: Weidner 2009; ‚Spruchbecher‘: Künzl 1997. – Harsányi 2013. 11 Glas- und Keramikproduktion: Goethert-Polaschek 1977. – Goethert 2007, 386–395; 396–403. Goldschmuck: D. Hübner (Dissertation in Vorbereitung). – Bleietiketten: Schwinden 2018a, 32–35. – Schwinden 2018b, 423– 441. – Bleiplomben: Loscheider 2007, 372. Importe und Trierer Produkte der Kaiserzeit: Faust 2014, 208–217. 12 Schwinden 2018b, 423–441. 13 Scholz 2022, 201 schlägt Holz vor. 14 Loscheider 2007a, Kat. Nr. I.15.70–72; Loscheider 2007b, Kat. Nr. IV.1.17. – Schwinden 2018b, 428. 15 Loscheider 2007, 373.

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Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand

Die staatlichen Siegel tragen kaiserliche Aufschriften und Bildnisse. Besonders informativ sind eingeprägte Städtenamen: Ephesos, Smyrna und Tavium waren Umschlagplätze exotischer Waren und die beiden erstgenannten als internationale Zollstationen bereits durch die neronische Zollgesetzgebung bekannt16. Über das Warenspektrum können hingegen keine Informationen gewonnen werden. Eine exklusive Produktgruppe, die nur wenig Einblick gestattet, ist die der Feinkost. Sie lässt sich in Trier über Umwege dennoch fassen. Das sog. Ledamosaik aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts wurde in einem reich ausgestatteten Gebäude im Zentrum der Stadt entdeckt17. Diener tragen im 30 qm großen Bildfeld zur Ausstattung eines Festmahls speisenbeladene Platten. Unter den Speisen ist ein Spanferkel auszumachen, neben Fischen verschiedenes Meeresgetier, Geflügel und möglicherweise eine Schildkröte. Rind hingegen ist nicht vertreten18. Gallischer Schinken, wenn auch nicht dargestellt, war seit der frühen Kaiserzeit als Exportprodukt berühmt und beliebt, was aus Schriftquellen und Grabreliefs zu erfahren ist19. Im Höchstpreisedikt wurde zudem Schweinefleisch wesentlich teurer als Rind deklariert. Für ein Pfund Schweinefleisch bester Qualität waren 12 bzw. 20 Denare zu entrichten20, Rindfleisch war schon für 8 Denare zu bekommen. Die Darstellung auf dem Mosaik spiegelt damit neben mythologischen Inhalten auch die kulinarische Realität und verfügbare Speisen für wohlhabende Städter wider. Weitere kulinarische Indizien liefern Austernschalen, die sich im gesamten Stadtgebiet fanden. Einige kamen im Palast- und Kirchenareal zutage und konnten aufgrund ihres Zusammenfundes mit konstantinischen Münzen datiert werden. Ihre Herkunft aus dem nördlichen Mittelmeerraum ist nachgewiesen21. Ausonius bezeugt überdies für das 4.  Jahrhundert Austernlieferungen von den gallischen Küsten, aus Südfrankreich und Nordspa­ nien22. Allerdings ist zu konstatieren, dass Austern nicht ausschließlich in der Spätantike konsumiert wurden, sondern in der gesamten Antike nachzuweisen sind. Neben den Importwaren versorgte man sich auch mit eigener edler Kost, denn aus dem heimi-

16 Marek 2016, 165–170. – Faust 2014, 208–217. 17 Mosaike 1999, 115 f. Nr. 63. 18 Eiden 1950, 60; zur Relevanz von Schwein und Rind: Schmuhl 2017, 58 f. 19 So etwa Plin., nat. hist. 8, 209; Grabrelief aus Trier, Museum am Dom, Inv. Max FNr. 322. 20 Diokletians Preisedikt 4, 1a; 4, 6 (ed. Laufer 1971, 104– 105). 21 Attendorn/Merten/Strauch/Weber 1996, 89–118. 22 Auson., epigr. 3, 18–21; 14; 24, 81.

schen Fluss Kyll wurden Fische konsumiert. Ausonius listet eine ganze Reihe wie Barbe, Salm, Barsch, Lachsforelle und Gründling auf, denn: „Die Kyll ist berühmt durch edle Fische.“23

Produkte aus Keramik, Glas und Stein ‚Spruchbecher‘ sind jedem geläufig, der sich mit Trierer Spezifika beschäftigt. Diese hochwertigen Weingefäße sind als schwarze Glanztonware mit ihren Trinksprüchen und heller Tonschlickerbemalung unverwechselbar. Man zögert keinen Moment, diese Gefäße als vielleicht das offensichtlichste Produkt der Residenzzeit zu deklarieren, doch tatsächlich war ihre Hochzeit da schon längst vor­über24. Sie waren bis an die Grenzen des Römischen Reiches begehrte Exportware, allerdings schon im 3.  Jahrhundert. Die Untersuchung der Trierer Ware sowohl am Herstellungs- als auch Zielort durch Eszter Harsányi erbrachte das interessante Ergebnis, dass sie nicht einer massenhaften Vermarktung unterlag25. Der Export dieser „Prunkgefäße der Mittelschicht“26 nach Pannonien etwa endete bereits um 26027. Verhandelt wurden sie seither nur noch ins Rheinland und nach Nordostgallien28. Ihre Produktion ging zwar weiter, allerdings mit deutlich reduzierter Qualität. Dies nahm man in Kauf, spricht aber für ein gesunkenes Interesse an dieser Keramik. Die Fundorte der qualitativ sehr heterogenen Gruppe der späten Spruchbecher in Trier waren Gräber, Heiligtümer, Töpfereien oder Wohnhäuser. Das bedeutet sowohl ihre Verfügbarkeit für breite Bevölkerungsschichten als auch die je nach finan­ ziellen Mitteln erwerbbare Güte der Gefäße. In der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts stellte man schließlich die Produktion ein29. Für die damit ebenfalls 2. Hälfte der Residenzzeit spielten die ‚Spruchbecher‘ keine Rolle mehr.

23 Auson., Mos. 360. 24 In der von Künzl 1997, 53–77 aufgestellten Chronologie der Trierer ‚Spruchbecher‘ sind aufgrund stilistischer Merkmale fünf Gruppen gebildet worden, die im Zeitraum von 255 bis 355 produziert wurden. Ein deutlicher Qualitätsabfall wird auch hier für die Gruppen IV und V konstatiert. 25 Harsányi 2013 Kat. Nr. A 103: Vier Trierer Gefäße wurden im Statthalterpalast von Lauriacum gefunden. Zwei reiche Frauengräber in Brigetio enthielten Trierer ‚Spruchbecher‘. Oft wurden nur Einzelstücke in Pannonien und Noricum gefunden: Harsányi 2013, 102. 26 Siehe Harsányi 2013, 105. 27 Harsányi 2013, 93. 28 Goethert 2007, 396. 29 Harsányi 2013, 37.

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Der Wein, der ab dem 4. Jahrhundert in großem Stil angebaut wurde, musste nun aus anderen Gefäßen ausgeschenkt und getrunken werden. Zwölf Kelte­ reien sind an den Hängen entlang der Mosel durch Grabungen bekannt geworden30 – Spitzenlagen, damals wie heute. Die Betriebe wurden verstaatlicht, was die Grabinschrift eines praepositus vinorum belegt, der schon zu Beginn des 4. Jahrhunderts als vir perfectissimus kaiserliche Weine verwaltete31. Wein war ein wichtiges Produkt für die Versorgung von Hof, Militär und Bürgern der Stadt. Das wird aus einem Trierer Edikt von Valentinian, Valens und Gratian von 370–375 ersichtlich, denn es untersagt Wein, Öl oder liquamen auszuführen32. Zumindest das heimische Produkt Wein dürfte somit in der Region verfügbar gewesen sein, allerdings zu unbekannten Preisen, denn das Höchstpreisedikt listet keine Moselweine auf. Eine neue Keramikgattung eroberte im 4.  Jahrhundert den Markt – die sogenannten Kugelabschnittschalen. Im Trierer Töpferviertel hatte sich ein Betrieb angesiedelt, der auf die Herstellung von detail- und motivreichen Schalen spezialisiert war. Zum Bild­repertoire gehören Themen der Mythologie, aber auch die Tauroktonie. Zugehörige Matrizen und Patrizen bezeugen ihre Großproduktion. Diese Werkstatt wurde wohl infolge der politischen Unruhen Mitte des 4.  Jahrhunderts aufgegeben, denn Münzen im Verfüllungsschutt geben einen Terminus post quem für das Jahr 35333. Die Töpfereien sind im vorstädtischen Gewerbegebiet danach nicht wieder aktiviert worden34. Betriebe in der Stadt überlebten, verloren aber an Bedeutung. Monika Weidner vermutet jedoch eine Produktion dieser Schalen noch bis ins späte 4. Jahrhundert in anderen Töpfereien und bemerkt für diese Zeit gar kompositorische und darstellerische Qualitätssteigerungen im Gegensatz zum 2. bis 3. Jahrhundert 35. Die bislang nur aus Trier bekannten Formstempel und -scheiben haben ihr Vorbild in Edelmetallschalen mit reliefverziertem Rand36, wovon auch zwei Exemplare in Trier gefunden wurden37. Eine bislang unbekannte städtische Metallwerkstatt ist naheliegend. Nicht nur die Stadtpersonifikation von Treveris in einem Kalender des Jahres

30 Siehe dazu Gilles 2015, 55. – Auson., Mos. 361. 31 Schwinden 1996, 49–60. 32 Cod. Iust. 4, 41, 1. 33 Weidner 2009, 27 mit weiterer Literatur. 34 Hunold u. a. 2022, 188. 35 Weidner 2009, 203. 36 Weidner 2009, 120 und Abb. 55. 37 So ein versilberter Bronzeteller (RLM Trier, Inv. 1938,2216) vgl. Weidner 2009 Abb. 174 und ein Silberteller aus Privatbesitz (RLM Trier, EV 1986,68).

35438, die von edlen Metallgefäßen flankiert wird, sondern auch der bemerkenswerte Trierer Silberschatz39 des 5.  Jahrhunderts lassen darauf schließen40. In der „Notitia Dignitatum“, deren Text sich auf das Ende des 4.  Jahrhunderts beziehen dürfte, sind Trierer Betriebe aufgeführt, deren Existenz bei aller interpretatorischen Vorsicht durchaus glaubhaft ist. So deuten die genannten Barbaricarii sive Argentarii darauf hin, dass dort Metallgefäße gefertigt wurden41. Den Trierer Keramikschalen bescheinigt Weidner mit 19 bekannten Formstempeln, -scheiben und Endprodukten eine herausragende Stellung42. Auffällig ist zudem ihre Größe, die sich wohl auch der Mode „der besonders großen […] runden Platten“43 aus Edelmetall anschlossen und dies vorwiegend im Gallien des 4. Jahrhunderts44. Sie finden sich in ähnlicher Gestaltung auch in Köln, Rheinzabern oder Straßburg45, gelten aber nicht als Trierer Exportware. Als gleicher Gefäßtypus wurden Kalottenschalen aus Metall und Motivschalen aus Glas gefertigt. In der Trierer Residenz dürften Largitionsschalen aus Edelmetall übliche und bekannte Kaisergeschenke gewesen sein. Vielleicht reagierte man mit der Herstellung vergleichbarer Schalen aus anderem Material auf ein Bedürfnis der Bevölkerung nach diesem Produkt. Die zahlreiche Fertigung der hochwertigen Gefäße mit aufwändigen Motiven spricht in jedem Fall dafür. In der Sammlung des Landesmuseums befinden sich etliche Fragmente von Schliffglasschalen, Gold- und Diatretgläsern. All diese Produkte waren typische Luxuswaren im 4.  Jahrhundert. Von den Diatretgläsern stammen sechs Fragmente aus der Stadt und ihrer Umgebung, eine beachtliche Anzahl im Verhältnis zu den bisher bekannten 70–80 Gläsern, die im Römischen Reich in diesem Zeitraum vorkommen46. Bis auf zwei Bruchstücke unbekannter Fundorte stehen diese im Zusammenhang mit dem Kaiserhof, denn eine Scherbe fand sich in der Kaiservilla in Konz, zwei weitere Fragmente entstammen dem Palastareal nahe der Basilika und den Kaiserthermen. Ein fast unbeschädigtes

38 Biblioteca Apostolica Vaticana, cod. Barb. Lat. 2154; LIMC VIII 1 s. v. Treveri 52 f. (Vollkommer). 39 Kaufmann-Heinimann/Martin 2017. 40 Binsfeld 1995, 33–36. 41 Notitia Dignitatum XI 77. Vgl. auch Loscheider 2007, 374. 42 Siehe dazu Weidner 2009, 196. 43 Siehe Baratte 1984, 31. 44 Siehe dazu Guggisberg 2003, 31; 51–85. 45 Weidner 2009, 194 f. 46 Naumann-Steckner 2016, 129–131. – Goethert 1989, 353– 368, bes. 358.

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Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand

Exem­plar wurde in einem Sarkophag in Niederemmel entdeckt47. Der im 40 km von Trier entfernten Moselort Bestattete stand gewiss einem Kaiser nah, denn im benachbarten Sarkophag wurde eine ebenfalls spektakuläre Pretiose entdeckt: eine goldene Zwiebelknopffibel, die 315 aus kaiserlicher Hand vergeben wurde48. Diatretarii stellten die fragilen Objekte aus Glasrohlingen wohl vor Ort fertig49, zu groß war das Risiko von Transportschäden, was schon aus den Digesten des 3.  Jahrhunderts hervorgeht50, die Haftungsfragen thematisieren. Deswegen ist eine Werkstatt in Trier vorauszusetzen, die für einen kleinen Abnehmerkreis arbeitete. Ob Diatretgläser ausschließlich vom Kaiser verschenkt wurden, ist nicht zu entscheiden. Rund 70 Fragmente diverser Schliffgläser sind aus Trier und Umgebung bekannt. Vorwiegend Schalen und Becher wurden mit geometrischen Mustern oder figürlichen Szenen geschmückt. Ein Großteil fand sich im Siedlungsschutt51. Aufgrund ihrer guten stilistischen Abgrenzbarkeit sind im Folgenden nur die Schalen der sogenannten Wint-Hill- oder Schattenstrich-Gruppe relevant. Als typisches Produkt der 1. Hälfte des 4.  Jahrhunderts52 sind sie auf ihren Außenseiten mit Bildmotiven und diese wiederum mit schrägen Konturstrichen versehen, die mit einem Stichel

47 48 49 50 51 52

RLM Trier, Inv. 1950,15. Schwinden 2015, 86 f. mit ausführlicher Literaturliste. Goethert 2007, 395. Dig. 9, 2, 27, 29. Goethert 2007, 390. Vgl. Nagel 2020, 207–209.

graviert wurden53. Szenen der Jagd und Mythologie, aber auch christliche Themen waren beliebt, samt Inschriften in Form von Trinksprüchen und Glückwünschen. Ihr Verbreitungsgebiet umfasste Teile von Gallien, Germanien, Raetien und Britannien. Ein Fundschwerpunkt in Kölner Gräbern konnte dort ein führendes Produktionszentrum plausibel machen54. Gleichartige Trierer Stücke sprechen für einen Import aus Köln. Lange Zeit nahm man eine Trierer Eigenproduktion an, die damit als widerlegt gelten dürfte, genau wie die antike Behauptung im eingangs aufgeführten Zitat, dass die Importe aus Arelatum erfolgten. Neben zwei vollständig erhaltenen Schalen sind 18 Fragmente aus Trier bekannt. Drei Gefäße wurden als Beigaben in Sarkophagen des westlichen und südlichen Gräberfeldes gefunden55 (Abb. 1). In eindeutig kaiserliches Umfeld weisen die Bruchstücke aus dem Palastareal, konkreter den Kaiserthermen und nahe dem Circus. Aus dem Tempelbezirk Altbachtal kennt man fünf Schalenfragmente. Andere fanden sich im Umkreis von Stadtvillen, ein weiteres Stück im benachbarten vicus von Tawern. Fragmente kamen in den ländlichen villae von Mehring und Bollendorf zutage. Von den übrigen Scherben ist kein Fundort bekannt. Bei den Schalen handelt es sich somit um Luxusstücke, die kaiserliches Umfeld zierten, aber auch bei der solventen Bürgerschaft beliebt waren.

53 Nagel 2020, 121–133; 201–209. 54 Blümel 2016, 139. 55 RLM Trier, Inv. G I G 696 (hier Abb. 1 re); Inv. 1956,8n; EV 2004,80 FNr. 2e (hier Abb. 1 li): vgl. dazu Goethert 2004, 79–82.

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Abb. 1: Die Schalen fanden sich als Beigaben in Sarkophagen. Die linke Schale stammt aus einem Frauengrab und ist neben einer nackten männlichen Figur mit über die Schulter gehängtem Mantel und der Aufschrift [P]IE ZE[SES] „Trink, damit du lebst“ versehen. Eine ebenfalls im Grab befindliche und 317 geprägte Münze des Konstantin gibt für die Bestattung einen Terminus post quem an. Die andere Schale lag auf der Brust einer bestatteten Person. Eine umlaufende Inschrift lautet: VIVAS IN DEO Z(eses) „Mögest du in Gott leben, lebe“. Die dargestellte Szene der Opferung des Isaak erfreute sich seit dem 3. Jahrhundert großer Beliebtheit. (rek. Dm. 17,5 cm bzw. 18,4 cm ); 1. Hälfte 4. Jahrhundert.

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Abb. 2 (links): Das Bruchstück gehört zu einem flachen, tellerartigen Gefäß, das mit einem floralen goldenen Rankenwerk überzogen ist. Der Fundort villa von Mehring an der Mosel wurde im 3. und 4. Jahrhundert umfänglich ausgebaut und wies auf 1400 qm 34 Räume auf. H. 5,5 cm; 4. Jahrhundert. Abb. 3 (rechts): Aus einer großen römischen Villenanlage inmitten von Trier, der heute sog. Villa Schaab, stammen mehrere Gefäße aus Alabaster. Der Fundeintrag zum 1878 entdeckten Stück lautet „Theil einer flachen Schale von gelbem OnyxMarmor“. Dm. ergänzt 32,5 cm; 4. Jahrhundert.

Korana Deppmeyer

Der Kategorie der edlen Glasprodukte des 4. Jahrhunderts gehören schließlich die Goldgläser an56. In der späteren Krypta des Coemeterialbaus fand sich ein blaues Glasfragment mit zwischengelegtem Blattgoldmotiv einer biblischen Szene57. Zwei weitere einst mit Gold belegte, dunkelblaue Scherben, von denen eine die Buchstaben VIV[AS] trägt, kommen aus der spätantiken Glasmacherwerkstatt beim heutigen Dom58. Das Bodenfragment eines hellgrünen Glases mit Goldfolie entdeckte man nahe dem Palastareal in einer Stadtvilla unter dem heutigen Landesmuseum59. Zwei Goldgläser mit Rankenmotiv (Abb. 2) und weiblichem Porträt stammen aus der villa von Mehring60. Diese seltenen Gläser weisen in allen Fällen auf reiche Besitzer und Personen im kaiserlichen Umfeld. Wieder einmal sind es die Bewohner der villa von Mehring, die auch solche gläsernen Pretiosen besaßen, und eine wohlhabende Person konnte sich eine zentrale Bestattung im Trierer Coemeterium leisten. Zu einer kleinen Produktgruppe gehören Steine und Mineralien, aus denen Gefäße hergestellt wurden. In Trier kamen drei Randfragmente aus Achat61 in einer Brandschicht des 5. Jahrhunderts in der Südost-Basilika der Kirche zutage. Die Gefäße fanden somit Verwendung im bischöflichen Umfeld. Einige dem 3. bis 4. Jahrhundert angehörige Gefäße sind aus Alabaster gefertigt, wovon drei Alabastra im Stadtgebiet62 sowie zwei weitere auf dem

56 Binsfeld 1984a, 133 f. – Haevernick 1972, 211–214. 57 RLM Trier, Inv. 1916,87. 58 Trier, Liebfrauenstraße, Palais Kesselstatt (RLM Trier, EV 1922,343 FNr. 182). 59 RLM Trier, Inv. 39,1042. 60 RLM Trier, EV 1983,48 FNr. 65 (hier Abb. 2); EV 1985,25. 61 Löhr 2008/2009, 321–334. – Merten 2009, 135–140. 62 RLM Trier, Inv. ST 4300; ST 6901; ST 6414a.

Terrain der römischen Stadtvilla Schaab63 nahe den Kaiserthermen entdeckt wurden. Die mit Duftölen gefüllten Fläschchen waren bevorzugte Grabbeigaben und wurden als solche auch in Köln, Augsburg oder Mainz gefunden. In Trier hingegen stammt kein Gefäß aus einem Grab. Von der gleichen Villa Schaab könnte eine Schale aus Alabaster stammen64 (Abb. 3). Ein Schalenfragment fand man bei Grabungen zwischen Dom und Liebfrauenkirche65, ein weiteres, aus der Sammlung Besselich66, dürfte ebenfalls in diesen Kontext gehören, womit wiederum bischöflicher Besitz zu vermuten ist.

Schmuck und Medaillons Eine mehr als 100 Stücke umfassende Kategorie wird von Gagatobjekten67 gebildet. Wenn es sich auch nicht um ausschließlich spätantike Produkte handelt, so tritt doch im 3., aber noch mehr im 4.  Jahrhundert ihre auffällige Häufung in Trier auf68. Es waren in der Regel Schmuck, aber auch Amulette, kleine Figürchen und Applikationen, die man daraus fertigte. Bei dem wohl aus Britannien importierten Material ist nicht zu klären, ob Gagat als Rohstoff oder bereits (halb-)fertige Produkte importiert wurden. Eine stilistische Nähe zwischen

63 64 65 66

RLM Trier, Inv. PM 22001; PM 21313. RLM Trier, Inv. G I A 78l. RLM Trier, Inv. 1907,782. RLM Trier, EV 2013,50. N. Besselich hat im 19. und frühen 20. Jahrhundert alle Marmorteile der sogenannten Kaiserpalastgrabungen angekauft und später dem RLM Trier übergeben. 67 Schwinden 1984a, 167–169. 68 Hagen 1937, 103.

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Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand

britannischen und rheinländischen Objekten ist jedoch evident69. Dass Gagat kein Billigprodukt war, wird am günstigen Pseudogagat70, der geringwertigen Braunkohle Lignit ersichtlich, aus der man häufig Schmuck herstellte und teures Gagat imitierte71. Die spätantiken Objekte haben sich meist nur als Grabbeigaben erhalten, nicht nur in Trier, sondern auch in Mainz, Köln und Bonn, wobei sich das Fundspektrum in Form diversen Schmuckes an allen Orten ähnelt. Ein Großteil der Trierer Stücke kam in der Südnekropole in Sarkophagen zutage72 (Abb. 4). Vor allem fanden sich hier Armreifen und Haarnadeln, manchmal auch vielfältige Beigaben73. Doch damit ergibt sich für die Trierer Residenzzeit keinerlei Sonderrolle, denn die Mode war hier wie anderswo verbreitet. Gagat ist als beliebtes Produkt, ‚magisches Material‘, dem man großes Heilungspotential seit der frühen Kaiserzeit zuschrieb74, und übliche Grabbeigabe anzusprechen. Die Trierer Goldfingerringe, auf deren Gattung die Untersuchung beschränkt wurde, zeigen ein diffuses Bild. Eine erste Vermutung, gerade bei diesen Objekten eine residenzzeitliche Produktionsspitze zu erkennen, konnte das archäologische Material nicht bestätigen. Ein reichhaltiges Spektrum im Schmuckhandwerk gab es vom 1. bis 4. Jahrhundert, wobei weder ein Bruch noch ein später Aufschwung zu bemerken wären. Die Problematik der Bewertung liegt in der oftmals unklaren Abgrenzbarkeit, denn Laufzeiten von Goldringen waren meist lang oder Ringe wurden üblicherweise vererbt und wei-

69 Schwinden 2007, Kat. Nr. IV.1.4. 70 Hagen 1937, 84. 71 Hagen 1937, 77–144. Bis zum Jahr 1937 sind 59 Gagatfunde aus Trier aufgelistet. 72 Faust 2014, 212. 73 So enthielt das Grab 294 von St. Matthias einen Armreif, ein Perlenkettchen, ein Amulett und ein Messer mit Gagatgriff (RLM Trier, Inv. 1905,294). Zum Grab von St. Medard (RLM Trier, EV 1967,37): Cüppers 1973, 370–73. 74 Deppmeyer 2022, 94 f.

tergegeben75. Auch für die eindeutig dem 4.  Jahrhundert zugehörigen Stücke ergeben sich keinerlei Spezifika, mit Ausnahme der typischen residenzzeitlichen Treueringe, die aber als Kaisergeschenke hier nicht von Relevanz sind. Kontorniaten sind als medaillenähnliche Objekte ein Phänomen von etwa 50 Jahren und wurden von der Mitte des 4. bis ins 5. Jahrhundert hergestellt76. Auffällig sind oft hohe handwerkliche Qualität – teils mit eingelegtem Kupfer, Silber und Niello – wie auch darstellerische Detailtreue77. Andere Exemplare hingegen können bestenfalls als flüchtige Kopien hochwertiger Vorbilder gelten. Die meist geprägten Kontorniaten tragen verschiedene Motive, wobei nahezu die Hälfte siegreiche Wagenlenker oder Szenen im Circus zeigt. Das gilt auch für die Trierer Stücke78 (Abb. 5). Das Glücksmotiv erklärt jedoch nicht ihren Zweck. Sie werden als Spielsteine, Eintrittsmarken, Sieges­ preise oder Geschenke angesprochen. Als letztere könnten sie zu privaten Anlässen, großen Festen oder zum Jahreswechsel, der mit Wagenrennen im Circus begangen wurde, vergeben worden sein. Die Frage nach ihren Herstellungsorten bleibt unbeantwortet79. In der Trierer Sammlung und in Privatbesitz befinden sich 19 Kontorniaten80. Ihre selten bekannten Fundorte lassen keine Schlussfolgerungen zu ihren einstigen Besitzern zu, mit Ausnahme eines Stückes, das in der Trierer Nordnekropole als Grab-

75 Für erhellende Gespräche, fachliche Auskünfte sowie kritische Überprüfung danke ich D. Hübner, Trier. 76 Mittag 1999, 27–34. 77 So ein Beispiel aus dem RLM Trier Inv. 1909,864, das einen Wagenlenker und seinen Sieg thematisiert. 78 RLM Trier, Inv. 1909,864; 1899,76; 1955,209; 1938,44 (hier Abb. 4); EV 1978,110b. 79 Puk 2014, 174 nimmt an, dass die meisten in Rom entstanden und damit von einem kaiserlichen Auftraggeber auszugehen ist. Diese Regelung dürfte jedoch gerade in Residenzzeiten nicht mehr gelten. 80 Binsfeld 1984b, 193–196.

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Abb. 4 (links): Auf dem Avers des Kontorniaten ist ein Por­ trät Kaiser Neros dargestellt. Das Revers zeigt eine mythologische Szene aus Roms Frühzeit – den Raub der Sabinerinnen. Die abgebildete meta gibt den Ort des Geschehens als Circus zu erkennen. Dm.  3,6 cm ; 2. Hälfte 4. Jahrhundert. Abb. 5 (rechts): In einem Sarkophag entdeckte man 1967 eine Frauenbestattung mit mehreren Beigaben. Neben einem fusiform unguentarium fanden sich ein filigran gearbeitetes Futteral aus Leder, Gold und Silber, das zwei kleine Messer enthielt. Die Haarnadeln aus Gagat und Bein lagen neben dem Kopf der Toten. L. der Gagatnadel 8,3 cm ; 2. Hälfte 4. Jahrhundert.

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Abb. 6: Eine Pyxis aus dem Keller des Trierer Amphitheaters zeigt alttestamentliche Szenen wie die drei Jünglinge im Feuerofen. H. 7,8 cm; 5. Jahrhundert (linke Abb.). Die Bilder der Pyxis aus dem KHM Wien beziehen sich auf ein spätantikes dionysisches Epos. Dargestellt sind Bacchus und Ariadne in einer Giebelarchitektur. H. 10,5 cm ; 5.–6. Jahrhundert (rechte Abb.).

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beigabe zutage kam81. Kein Exemplar kann kaiserlichem Umfeld zugewiesen werden.

Stoffe und Farben Einen guten Einblick in die Bekleidung der Oberschicht erhält man im spätantiken Trierer Coemeterialbau von St. Maximin82. 21 Bestattungen wurden von Nicole Reifarth untersucht und diese zeigen deutlich den Reichtum der in Sandsteinsarkophagen beigesetzten Personen. In den Gräbern wurden 13 Seidenstoffe nachgewiesen83 und 22 Gewebereste mit Goldfäden haben sich erhalten. 18 Textilien sind aus feiner Wolle gefertigt und 16 davon enthielten echten Schneckenpurpur84. Dieser Farbstoff ist ein bemerkenswerter Befund; als noch ungewöhnlicher gilt Kleidung, die komplett aus damit gefärbter Wolle besteht. Die Funde aus St. Maximin sind diesbezüglich bislang singulär85. Als Trierer Spezifikum gelten lange Tuniken aus Purpurwolle, die

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RLM Trier, EV 1980,16. Reifarth 2013. Siehe dazu Reifarth 2013, 52. Siehe dazu Reifarth 2013, 56. Zu Purpur Reifarth 2013, 78–83. 85 Siehe dazu Reifarth 2013, 82 Anm. 293.

man unter Seidengewändern trug86. Während Wolle ein Eigenprodukt war, wurden Seide aus China und Purpur aus den Mittelmeerländern importiert. Als ebenfalls regionales Erzeugnis können Mäntel mit Fibeln gelten – fibulum Trevericum. Ihr Material wird im Diokletianischen Preisedikt zwar nicht genannt, doch liegt Wolle nah, da die treverischen Kapuzenmäntel daraus gefertigt wurden. Die ‚Fibelmäntel‘ sind für den Höchstpreis von 8.000Denaren aufgeführt87, eine offensichtlich mittlere Qualität, denn die aus der Provinz Africa sollten für nicht mehr als 2.000, die aus Raetia für 12.000  De­nare verkauft werden. Im Vergleich dazu betrugen die Höchstpreise für eine libra von ca. 325 g purpurgefärbter Wolle 50.000 Denare, für Seide mit Purpurstreifen 44.000–135.000 und für purpurgefärbte Seide beachtliche 150.000 Denare. Vergleicht man dies etwa mit Gold, waren für eine libra lediglich 72.000 Denare zu zahlen88. In der „Notitia Dignitatum“ ist die Rede von 14 gynaecii Triberorum Belgicae primae – kaiserlichen Weber­ eien, in denen Frauen Stoffe produzierten, sowohl für das Militär als auch die zivile Verwaltung und den Hofstaat89. Damit dürfte klar sein, dass ein

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Reifarth 2013, 56–59. Diokletians Preisedikt 19, 66 (ed. Laufer 1971, 158–159). Diokletians Preisedikt 30, 1a (ed. Laufer 1971, 191). Notitia Dignitatum XI 58; XII 26; Vgl. Wild 1976, 51. – Loscheider 2007, 374.

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Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand

Großteil der in Trier oder dem Umland gefertigten Stoffe in diesem Umfeld verblieb und sicher nur zu einem geringeren Teil den Städtern zum Kauf stand.

Elfenbeinpyxiden Die Gattung der Elfenbeinobjekte steht am zeitlichen Ende der vielfältigen Produkte, die in Trier in der Spätantike nachzuweisen sind. Elfenbein war das wertvollste Material, das man für Schnitzarbeiten verwenden konnte. Für den von weither importierten Rohstoff ist bereits für das 1. Jahrhundert ein desaströser Raubbau überliefert: „Aus Mangel an echtem Elfenbein hat man […] damit angefangen, auch die Knochen in Platten zu schneiden“90. Das Material wurde schnell teurer: „unter den Landtieren [...] haben den höchsten Preis die Zähne der Elefanten“91. Umso mehr erstaunt ein Blick auf das Preisedikt, denn es listet eboris für lediglich 150 Denare pro libra auf. Doch die daraus gefertigten Produkte, in der Spätantike vorwiegend Pyxiden, Reliefs oder Diptychen, waren Meisterwerke, die den derzeit günstigen Rohstoffpreis ausgeglichen haben dürften. Für die Trierer Residenzzeit lassen sich vier mit Reliefs verzierte Pyxiden oder -fragmente, eine mythologische Szene aus einer Zahnspitze geschnitzt sowie ein Blattkranz ausmachen92. Bis auf zwei Ausnahmen stammen diese Objekte aus dem Keller des Trierer Amphitheaters93. Es handelt sich um zwei verschiedene Gefäße und der Grund für ihre gemeinsame Deponierung ist bislang ungeklärt. Die Stücke werden ins 4. und auch 5. Jahrhundert datiert. Eine Pyxis mit Ariadne und Bacchus aus dem 5. bis 6. Jahrhundert wurde für das KHM Wien erworben und stammt angeblich aus der Abtei von St. Maximin in Trier94 (Abb. 6).

90 Plin., nat. hist. 8, 4, 7–8. 91 Plin., nat. hist. 37, 78. 92 RLM Trier, Inv. 1909,869/70; 1909,870a; 1909,866 (hier Abb. 6); 1909,868. 93 Steiner 1935, 11–19. – Volbach 1952 bes. 32 Nr. 34 Taf. 9; 46 Nr. 78 Taf. 22; 47 Nr. 79 Taf. 27. – Wessel 1960, 263–307. – Sanderson 1979, 319–346. – Schwinden 1984b, 177–185. 94 Kunsthistorisches Museum Wien, Antikensammlung, Inv. X 41. Ich danke Frau Dr. M. Laubenberger, Stellv. Sammlungsdirektorin Antikensammlung/Ephesos Mus­ eum des KHM Wien für diese Auskunft: „Im Inventar aus 1875 ist vermerkt, dass die Pyxis im Jahr 1825 von Anton Steinbüchel von Rheinwall (damals Direktor des Münz- und Antikenkabinetts in Wien) in Frankfurt/Main erworben wurde und dass sie angeblich aus der Abtei S. Maximin in Trier stamme.“

Das andere um 400 gefertigte Gefäß wurde in Koblenz für das Berliner Museum angekauft und kommt möglicherweise ebenfalls aus Trier95. Auf den Beingefäßen wie auf den Schliffgläsern sind Motive paganen und christlichen Inhaltes zu finden. Auch sie sind damit ein kulturell-religiöses ‚Übergangsprodukt‘ des 4. Jahrhunderts, aber auch später vertreten. Die Pyxiden haben Parallelen in der gesamten römischen Welt, von einer Trierer Spezialität ist damit nicht auszugehen96. Vermutlich waren auch sie spätantike Kostbarkeiten für einen kleinen Kundenkreis, der noch im 5.  Jahrhundert zur städtischen Elite gehörte.

Ergebnisse und Ausblicke Die Untersuchung hat gezeigt, dass einige Produktgattungen als residenzspezifisch anzusprechen sind: Diatret- und Goldgläser, Alabastergefäße, Kontorniaten, Seide, Purpur und Elfenbeinpyxiden. Ton- und Schliffglasschalen sowie Schmuck aus Gagat zählen zu den qualitätvollen Erzeugnissen und gehören nicht zum Spektrum der billig zu erwerbenden Gebrauchsware. Sie sind in Trier zwar häufig zu finden, aber nicht als Residenzprodukte zu deklarieren. Glasschalen wurden sogar importiert. Etliche weitere Waren wurden ebenfalls nach Trier verhandelt. Zahlreiche Bleiplomben machen umfänglichen Import und häufig den Hofstaat als Adressaten sichtbar. Das eingangs vorgetragene Zitat ließ sich im Hinblick auf den fehlenden oder geringen Export für die Kaiserresidenz bestätigen. Für einige Lebensmittel wurde per Dekret gar die Ausfuhr untersagt. Als Trierer Handelsprodukt oder das der Region können lediglich Wollmäntel gelten. Bislang oft als klassisches residenzzeitliches Produkt angesprochene ‚Spruchbecher‘ waren zu dieser Zeit schon nicht mehr gefragt und hatten an Qualität eingebüßt. Kulinarische Produkte sind als Indikatoren gehobener Ansprüche als archäologische Kleinfunde und ebenso durch Schriftquellen bekannt. An Glas-

95 Staatliche Museen zu Berlin – Museum für Byzantinische Kunst (Ident.–Nr. 563). Die Provenienzangabe lautet: „1843 in Koblenz verkauft, aus einer Dorfkirche an der Mosel.“ Deswegen wurde des Öfteren eine Trierer Produktion angenommen. 96 Vergleichbare Elfenbeinpyxiden finden sich im British Museum in London (Inv. 1877,0706.3), im Vatican (Volbach 1952, 50 Nr. 90) oder in den Staatlichen Museen Berlin – Museum für Byzantinische Kunst (Ident.-Nr. 563).

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und Keramikschalen, die sich an kaiserlichen Largitionen orientierten, bestand eine erhöhte Nachfrage, doch sind quantitative Spitzenproduktionen nicht auszumachen. Präzisere Antworten könnten vermutlich erst im direkten Vergleich mit Produkten einer Stadt gegeben werden, die keine Kaiserresidenz war – etwa Köln oder Mainz. Eine weitere bisher ungelöste Frage ist die nach der Versorgungskrise um die Mitte des 4. Jahrhunderts infolge innenpolitischer Probleme und militärischer Grenzkonflikte. Die Auswirkungen längerer kaiserlicher Absenzen auf Markt und Produktion wären sicher über einen begrenzten Münzumlauf in den 350er Jahren97 hinaus in verschiedenen Bereichen sichtbar zu machen. Interessant ist eine weitere Frage nach der möglichen Korrelierung von längeren Pausen für städtische Großbauprojekte mit einem Produktionsrückgang. Weiterführende Untersuchungen im Hinblick auf Feindatierungen von Warengruppen könnten wohl Hinweise liefern. Die „Expositio totius mundi“ ist trotz ihres inhaltlich singulären Charakters für die Trierer Residenzzeit wenig erhellend. Dass die Stadt ein Handelszentrum vor allem für Importe war, konnte durch archäologische Quellen bestätigt werden. Es ist aber in der Gesamtschau wiederum das archäologische Spektrum der Produkte, das Einblicke in 100 Jahre Residenz bietet.

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Von begehrten Produkten und gesalzenen Preisen – Ein Zitat auf dem Prüfstand

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Abbildungsnachweis 1–6 (links) Th. Zühmer GDKE, Rheinisches Landesmuseum Trier, 6 (rechts) © KHM-Museumsverband

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Nach der Residenz

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FROM IMPERIAL TO ROYAL PALATIA IN THE POST-ROMAN KINGDOMS by Audrey Becker

Recent historiography has shown, against the model of an itinerant monarchy that prevailed for a long time, the importance of sedes regia – that is, a city which was the favorite residence of the sovereign1 in the political construction of all the alto-medieval kingdoms as early as the 5th century CE2. These sedes were the usual frameworks through which royal political power was exercised and were endowed with palatia, i. e. palaces, and with places or institutions closely linked to the facilitation and symbolism of power, for instance, the chancellery, treasury, episcopal residence, or dynastic necropolis. The palatia were both the monumental buildings where the king lived, and from which he ruled, and the setting for the symbolic display of his power. As far as we know, Gregory of Tours is one of the first to use the term palatium to evoke not only the imperial residences, but also the royal residences themselves. He probably testifies to the recovery, in the course of the 6th century CE, of this feature of the Roman ideology of power which made the palatium the exclusive attribute of the holder of auctoritas, i.e. power3. Gregory, for instance, uses palatium the same way when writing about the imperial palace of Valentinian II in Vienne or of Tiberius II in Constantinople as he does for the royal palace of the Burgundian King Gundobad or Merovingian kings in Metz4. Locating these royal residences proves exceedingly difficult most of the time, insofar as the archaeological

1 On the definition of sedes regia, see Dierkens/Périn 2000. 2 On this issue in the Merovingian kingdoms, see the seminal works of Ewig 1963 and Brühl 1967. See also Barbier 2019, 189–192. 3 On the Latin ideology around palatium, see Hurlet 2001. – Royo 2001. 4 For Valentinian II, see Greg. Tur., HF 2, 9; for Tiberius II, see Greg. Tur., HF 5, 30; for Gundobad, see Greg. Tur., HF 2, 34; for Childebert I, see Greg. Tur., HF 8; for Theudebert, see Greg. Tur., HF 10, 29. One can also note that the author of the “Vita Sancti Rigoberti 9” also uses this term to describe the palace of the king Childebert I.

vestiges are quite limited, if not completely absent. It is thus impossible to identify the precise location of any of the palatia of the Burgundian, Vandal, Visigoth or Frankish kings, the only exception being the palatium of Theodoric the Great in Ravenna5. In some cases, kings might have reinvested in or modestly renovated old buildings and, in so doing, left unmodified the topography of the city which became the sedes regni in which they settled. Burgundian kings, for instance, were at the same time reges and, since Gondioc, magistri militum, probably per Gallias. As such, they acted as representatives of the emperor in the provinces they dominated militarily. This allowed them to occupy the places devoted to the exercise of imperial public authority6. In any case, in the face of the lack of archaeological evidence, examination of the literary sources is fundamental to shedding light on the importance of the palace in the staging of political power and as a symbolic framework in the first post-Roman kingdoms as early as the 5th century CE. The goal of this paper is to highlight this importance by studying the literary discourses produced in praise of the kings, like panegyrics or poetry.

Vandal palaces and poetry As far as the Vandal kingdom is concerned, an epigram by Florentinus to King Thrasamund celebrating the anniversary of his reign leaves no doubt about the particular status of Carthage as the sedes

5 Excavations carried out in 1988–1989 in Toulouse made it possible to identify a structure dating from the beginning of the 5th  century CE, whose size and aulic architecture make it possible to consider that it could be the Visigothic palace. See Guyon 2000; more broadly, on the Visigothic palaces, see Arce 2015 who rejects the actual location assumed for the city of Recarepolis. 6 Wood 2003.

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regni for the Vandal kings7. Several sources – Procopius, Victor de Vita and the poems of the „Latin Anthology“ – attest to the existence of other royal residences in the vicinity of Carthage8. Nevertheless, it seems that the palace of Anclas was the most important and customary residence of the kings9. It was usually identified as the palace of the former governor of Carthage on the hill of Byrsa on the basis of Victor of Vita’s narrative, which relates that the legates sent in embassy to Carthage always ‘went up’ to the palace the same way, which confirms two passages of Procopius10. In an epigram to king Hildericus, the poet Luxorius praises the way the king embellished this palace and describes how he adorned with marble a room he called salutatorium11. The use of this term shows that it was a room where the king received audiences. However, this term is already used by the sources to refer to the ceremony of the salutatio of the governors, which took place in their praetorium, mentioned for instance by Libanios12. Perhaps this is another indirect confirmation that the Vandal kings moved into the praetorium of the proconsul of Africa in Carthage and kept the usual name given to the room where the audiences took place. An anonymous epigram to the same king completes the description offered by Luxorius. It describes the mosaics that show Honorius and Valentinian III subduing defeated enemies.

7 Florentinus, anth. Lat. 376, 30–36: Carthago in regem; uictrix Carthago triumphat, / Carthago Asdingis genetrix Carthago coruscat, (…). / Carthago flores, Thrasamundi nomine regnas (…). “Carthage for its king; Carthage, victorious, triumphs, / Carthage, mother of the Asding, Carthage shines (…). / Carthage you prosper, you reign by the name of Thrasamund”. 8 On the palace of Maxulas: Vict. Vita 1, 17; on the palace of Hermianas: Proc., BV 1, 14, 10. 9 For instance, Proc., BV 2, 7, 13. 10 Vict. Vita 3, 32: (…) legatis moris est ascendo ad palatium et descendendo (…); see also Proc., BV 1, 20, 21; 2, 27, 9. On the different Vandals palaces, see Ben Abed/Duval 2000, 189–191. – Leone 2007, 159. – Merrills/Miles 2010, 78 on the difficulty of identifying the Byrsa structure, see Lavan 2000, 159–161. 11 Luxorius, anth. Lat. 203: In Anclas; in salutatorium domini regis / Hildirici regis fulget mirabile factum / arte, opere, ingenio, diuitiis, pretio. / Hinc radios sol ipse capit, quos huc dare possit; / altera marmoribus creditur esse dies. / Hic sine nube solum, nix iuncta et sparsa putatur; / dum steterint, credas mergere posse pedes. “On Anclas, on the salutatorium of the king our master. The marvellous building of king Hilderic shines by its art, its manufacture, its ingenuity, its abundance, its price. It is from here that the sun itself draws the rays that it could throw there; the marbles make believe in a second day. Here the ground is without clouds, one has the impression that a coat of snow is spread on it; one would believe that the feet, posed on it, could sink into it”. 12 Lib., or. 51, 2; 51, 5; 52, 4; on this issue, see Slootjes 2006, 51–53.

“On Anclas. Powerful Vandal king; heir of a double diadem, you adorned your own name by prodigious exploits. Theodosius, as an avenger, tamed martial lines of battle, making gentes captive in an easy fight. Honorius subdued his adversaries with his peaceful weapons, and his good fortune accomplished the most courageous actions. The great valor of Valentinian is known to the whole world and is shown, together with the enemies enslaved, in the citadel of his grandson”13. The description of the iconographic program given in this poem is evidence of the symbolic importance of the palace for staging the power of the king. It is quite noteworthy that Hilderic chose not to represent on the walls of his palace either the victories of his principal general, his cousin Hoamer, or even those of his Vandal predecessors, but rather those of his imperial Roman ancestors14. They were his main confirmation of legitimacy, even if he was gemini diadematis heres, “the heir of a double diadem” Behind this iconographic and poetic celebration of a genealogy that made Hilderic the last Theodosian to reign, the influence the old Roman aristocracy passed to the service of the Vandal kings is clearly perceptible, so much so that this influence would come to worry a part of the Vandal elite enough to make them rally behind Gelimer in 530 in revolt against Hilderic15. Interestingly enough, it is in this same palace that Belisarius settled when he took back Carthage from the Vandals and where Gelimer, after his defeat, was given to him16.

Merovingian palace as a mirror of the heavenly palace Locating the Merovingian palaces is as difficult as locating the Vandals’ because of the lack of archaeological evidence17. Perhaps Clovis, and, before him, his father Childeric, settled in the praetoria of the former governors of the Second Belgium before choosing, shortly after his victory of Vouillé,

13 Anth. Lat. 215: In Anclas / Vandalirice potens, gemini diadematis heres, / ornasti proprium per facta ingentia nomen. / Belligeras acies domuit Theodosius ultor, / captiuas facili reddens certamine gentes. / Aduersos placidis subiecit Honorius armis / cuius prosperitas melior fortissima fecit. / Ampla Valentiniani uirtus cognita mundo / hostibus addictis ostenditur arce nepotis. 14 On Hoamer, see Martindale 1992, 600–601. 15 Proc., BV 1, 9, 8; on this event, see Merrils/Miles 2010, 76; on Gelimer, see Martindale 1992, 506–508. 16 Proc., BV 2, 7, 14. 17 Dey 2015, 160–178.

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From imperial to royal palatia in the post-Roman kingdoms

to move his cathedra regni to Paris18. Thereafter, the settlement of his sons and then his grandsons in various residences has not left any more material traces that would allow us to clearly identify palatial structures. For instance, if Gregory of Tours affirms that Reims was the sedes of Thierry, he also mentions, at the same time, and without it being possible to define its precise meaning, a regis palatium in Trier, and an aula regia in Cologne, perhaps the old praetorium of the city19. In this context, the description of the heavenly palaces given by Venantius Fortunatus in his poem dedicated to the Virgins and adressed to Queen Radegund is of particular interest. It highlights the symbolic importance of the audience room as a place for the staging of political power for Merovingian royalty. In this poem, he not only compares the Kingdom of Heaven to a set of palaces, but also describes the palaces of the heavenly Jerusalem, and, more particularly, two essential spaces – the palace gate and the audience hall. “There are palaces built in chrysolite stones, and the door receives the green reflection of its emerald jambs. The threshold resplendent with the jaspered brilliance of the sardis and a band of jacinth goes around the residence. The roof glitters with the brilliance of gold, in the aula a people dressed in gold sparkles and, in the company of its King full of goodness, a bright crowd shines”20. The references to the Apocalypse of John in this description are obvious as far as building materials (chrysolite, sardis, jacinth, emerald) are concerned21. However, this literary representation of

18 Greg. Tur., HF 2, 36. 19 Greg. Tur., HF 4, 22; Greg. Tur., HF 10, 29. 20 Ven. Fort. 8, 4, 17–22: Sunt ubi crysolitis fabricata palatia gemmis / atque zmaragdineo ianua post uiret. / Limina sardonichum uariato lumine florent / et hyacinteus circuit ordo domum. / Aurea tecta micant, plebs aurea fulget in aula / et cum rege pio turba corusca nitet. 21 Apoc. 21, 18–21: Καὶ ἦν ἡ ἐνδόμησις τοῦ τείχους αὐτῆς, ἴασπις: καὶ ἡ πόλις χρυσίον καθαρόν, ὅμοιον ὑέλῳ καθαρῷ. Οἱ θεμέλιοι τοῦ τείχους τῆς πόλεως παντὶ λίθῳ τιμίῳ κεκοσμημένοι. Ὁ θεμέλιος ὁ πρῶτος, ἴασπις: ὁ δεύτερος, σάπφειρος: ὁ τρίτος, χαλκηδών: ὁ τέταρτος, σμάραγδος: ὁ πέμπτος, σαρδόνυξ: ὁ ἕκτος, σάρδιον: ὁ ἕβδομος, χρυσόλιθος: ὁ ὄγδοος, βήρυλλος: ὁ ἔνατος, τοπάζιον: ὁ δέκατος, χρυσόπρασος: ὁ ἑνδέκατος, ὑάκινθος: ὁ δωδέκατος, ἀμέθυσος. Καὶ οἱ δώδεκα πυλῶνες, δώδεκα μαργαρῖται: ἀνὰ εἷς ἕκαστος τῶν πυλώνων ἦν ἐξ ἑνὸς μαργαρίτου: καὶ ἡ πλατεῖα τῆς πόλεως χρυσίον καθαρόν, ὡς ὕελος διαυγής. “The wall was made of jasper, and the city of pure gold, as pure as glass. The foundations of the city walls were decorated with every kind of precious stone. The first foundation was jasper, the second sapphire, the third agate, the fourth

the heavenly palaces and court was certainly influenced by the organization of the earthly palaces and courts, if only because the latter were supposed to be reflections of the former and it was necessary, therefore, to imagine the heavenly palaces based on earthly ones for the analogy to work22. Neither the mention of the roof nor the mention of the aula are borrowing from the Apocalypse, nor is the idea of a single door as expressed by Venantius. By contrast, they were essential elements in the staging of royal power23. Moreover, where the Apocalypse mentions a square paved with gold, Venantius describes the interior of a building. This poem is an occasion for Venantius to highlight the correspondence between the palace of the King of Heaven and that of the Merovingian kings. The goal was very clear: to emphasize the idea that the earthly palace reflects the heavenly palace, which could only reinforce the legitimacy of the king. Interestingly enough, some architectural aspects mentioned by Venantius are confirmed by other sources. For instance, the monumental aspect of the Merovingian palatia is confirmed by the Vita Auduini, which, concerning the palatium of Clichy, mentions its numerous open doors to let the funeral convoy of bishop Audoin pass through upon his death in the 680s24. As for Venance’s mention of a golden roof, it probably refers to the presence of bronze tiles, like those of the Chalke in Constantinople25. Moreover, the poet himself mentions a structure of this kind when mentioning the destruction of a Thuringian palace in a letter written in the name of Queen Radegund26. While in Constantinople, Rome or Ravenna, roofs made of precious metals were the prerogative of emperors, becoming the mark of their sovereignty and of their particular relation to God because of the symbolism linked to the representation of the resplendent celestial vault, the same phenomenon could develop in the Merovingian palatial architecture in order to reinforce, on the imperial model, kings’ legitimacy by asserting their bonds uniting them to God.

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emerald, the fifth onyx, the sixth ruby, the seventh chrysolite, the eighth beryl, the ninth topaz, the tenth turquoise, the eleventh jacinth, and the twelfth amethyst. The twelve gates were twelve pearls, each gate made of a single pearl. The great street of the city was of gold, as pure as transparent glass.” Carile 2012. On the royal audiences in the first barbarian kingdoms, see Becker 2022, 205–211. Vita Auduini 16. Anthologia Graeca 9, 656; Proc., aed. 1, 10, 10–20. – Carile 2013, 106–115. Ven. Fort., de excidio Thoringiae 5–8: Aula palatino quae floruit antea cultu, / hanc modo pro cameris maesta fauilla tegit. Ardua quae rutilo nituere ornata metallo, pallidus oppressit fulgida tecta cinis.

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Theodoric the Great and the Palace of Ravenna The literary and archaeological evidence is more abundant in the case of the relation between Theodoric the Great and his palace in Ravenna than for any other kingdoms. Cassiodorus, in continuing the imperial tradition, thus exalted the symbolic value of the Palace of Ravenna, as an element testifying to the power of the king: “Our palace (…), if it is not continually restored, may be destroyed by creeping senectitude. These are the delights of our power, the charming face of imperium, the proclaimed testimony of those ruling; these are demonstrated to legates with admiration and, at first sight, the kind of man the lord is believed to be is confirmed by his residence”27. In this respect, the ten years the Ostrogoth king stayed in Constantinople as a hostage when he was young probably influenced his way of considering his own power, as well as how to manage its symbolic staging. By settling in the former imperial capital Ravenna, Theodoric recovered the imperial palace built by Valentinian  III, which in the sources was called ad Laureta, at the beginning of the 5th  century CE, which he embellished and expanded. As had been the case since Valentinian III began building the palace, the model followed was obviously the Great Palace of Constantinople – whether the porticoes reminiscent of the Mesa, the Règia, or the monumental entrance whose name, ad Calchi specifies Agnellus of Ravenna – as the similarities are inescapable28. Theodoric also built an Arian palatine chapel – today the church of Sant’Apollinare Nuevo – in the immediate vicinity of the main entrance to his palace29. Furthermore, it seems that an equestrian statue of the Ostrogothic king stood in front of this main entrance. Theodoric thus finished transcribing into the topographical and architectural organization of his capital ideological symbols largely borrowed from the Roman Empire and more specifically from the topographical organization of

27 Cass., var. 7, 5, 1: Aula nostra (…) si subinde non reficitur, senectute obrepente uitiatur. Haec nostrae sunt oblectamenta potentiae, imperii decora facies, testimonium praeconiale regnorum: haec legatis sub ammiratione monstrantur et prima fronte talis dominus esse creditur, quale eius habitaculum comprobatur. 28 Agn. Rav. 94. See also Anonymous of Valois 12, 71; 12, 84; according to Agn. Rav. 40, Theodoric killed Odoacer in this palace. On Ravenna from the 5th century CE onwards, see Dey 2015, 108–119; 115 fig. 3.11. 29 Johnson 1988. – Dey 2015, 112–113.

the Great Palace in Constantinople30. Moreover, he made the mosaics of his palatial church represent a palace, showing explicitly that this place, in accordance with the Roman imperial ideology, was, in itself, the space in which he expressed his power31. In the same way, the mosaic decorating one of the triclinia of the palace described by Agnellus of Ravenna certainly had programmatic value. “In the pinnacle of this place was an image of Theodoric, wonderfully executed in mosaic, holding a lance in his right hand, a shield in his left, wearing a breastplate. Facing the shield stood Rome, executed in mosaic with spear and helmet; and there holding a spear was Ravenna, figured in mosaic, with right foot on the sea, left on land hastening toward the king”32. By showing the Ostrogothic king with his weapons, surrounded by the allegories of the cities of Ravenna and Rome, the power of the king was staged in a space of government which was organized between its sedes regia, i. e. his capital, the privileged place of its political and diplomatic activity, and the Urbs33. Even more telling is that Theodoric also built palaces in many other places34. The Anonymous of Valois describes how he turned Verona into a sedes regia by building a palace, baths, and portico from the city gate to the palace35. Agnellus of Ravenna, for his part, writes that the king also had built a palace in Pavia with the same painting of the king riding a horse as existed in Ravenna above the main entrance36. It seems that building palaces was, at the same time, a concrete and a symbolic way to take possession of his realm. The construction of palaces inscribed his power concretely on the landscape. As far his images on or around the palaces were concerned, they symbolically asserted his presence even when he was not there37. 30 On Constantinople as a place for the staging of imperial power, see Becker 2022, 152–170. 31 On the Ravennate mosaics, see Dresken-Weiland 2016, 213–254. 32 Agn. Rav. 94: In pinnaculum loci fuit Theodorici effigies, mire tessellis ornata, dextera manum lanceam tenes, sinistra clipeum, lorica indutus. Contra clipeum Roma tesselis ornata astabat cum asta et galea; unde uero telum tenensque fuit, Rauenna tessellis figurata, pedem dextrum super mare, sinistrum super terram ad regem properans. 33 Mauskopf Delyiannis 2010, 73–74. 34 On the building policy of Theodoric, see Johnson 1988. – Wood 2007. 35 Anon. Val. 12, 71; see also Paul. Diac., hist. Lang. 4, 21. 36 Agn. Rav. 94. 37 On the Roman influence on this way of thinking about images during the Roman Empire, see Ando 2000, 206– 276; on this issue in the Christian Roman Empire, see Kahlos 2016.

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From imperial to royal palatia in the post-Roman kingdoms

To conclude, the principle according to which the ruler had a special bond with a palace, which ostensibly became a constitutive element of his power, spread to the Germanic kingdoms of the Early Middle Ages, where the kings endowed their capitals with palaces. These places became the settings for the staging of their power. The recovery and the progressive use in the sources of the term palatium – until then reserved for the residence of the emperor as the exclusive holder of power in the Roman Empire – to qualify the royal residences themselves testifies to the assimilation made by the provincial aristocracies between royal residences and centers of power, following in that the imperial model which was even more obvious in the case of Ravenna. One way or another, the imperial aristocratic elites sought to define and to frame the political legitimacy of royal powers as much as possible within the cultural framework of romanness and Christianism. By doing so, they stayed at the heart of the Roman world even if they served a barbarian king38.

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38 On this issue, see Becker 2022.

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FRÜHCHRISTLICHE INSCHRIFTEN AUF SPOLIEN EIN ASPEKT DER WIEDERVERWENDUNG VON NATURSTEINEN IN DER KAISERRESIDENZ UND BISCHOFSSTADT TRIER von Lukas Clemens & Marvin Seferi

Als ein auffälliges Merkmal der spätantiken Stadt Trier im Vergleich zu anderen Zentren der Nordwestprovinzen wurden in der Forschung die Quantität und die Qualität der mit dem 4. Jahrhundert einsetzenden frühchristlichen Inschriften herausgestellt. Hierbei ist es communis opinio, diese Inschriften als Zeugnis einer großen, relativ wohlhabenden christlichen Gemeinde einzuordnen, deren Entstehen und Dynamik eng mit dem Status der Stadt als Kaiserresidenz und Bischofssitz verknüpft wird1. Triers imperialer Rang und damit die Bedeutung der frühchristlichen Eliten bildete demnach die Voraussetzung für diese Inschriftenkultur und prägte sie nachhaltig. Hierauf verweisen deren elitäre Elemente wie etwa die Nennung hoher ziviler wie militärischer Amts- und Würdenträger des kaiserlichen Hofes in frühchristlichen Grabinschriften2, die gängige Verwendung von Marmor als Trägermaterial der Inschriften3 und ihre sepulkrale Einbindung z. B. in der monumentalen Begräbnishalle

Schwinden 1984, 219. – Schwinden 2007a, IV.1.7. Zuletzt Merten 2018, 18. 2 Gauthier 1978 Kat. 15 (numularius); 37 (kaiserlicher Kleiderverwalter); 71 (Iovianer-Veteran); 126 (kaiserlicher Kleiderverwalter); 130 (Ex-Tribun); 148 (kaiserlicher Palastbeamter); 177 (ex-comes); 192 (clarissima femina). – Merten 1990 Kat. 7 (exdomesticus). – Merten 2018 Kat. 5 (clarissima femina); nicht sicher frühchristlicher Natur: Schwinden 2007b, I.12.75 (protector domesticus). 3 Zum Einsatz von Buntmarmoren als Sinnbild für „Luxus und Glanz des Reiches und seiner Residenzen“ siehe die Beiträge in Ruppienė 2021a. Ruppienė 2021b konnte anhand von 4.127 Fragmenten aus dem Bereich der kaiserlichen Empfangshalle Triers (sog. Konstantinsbasilika) die umfangreiche Nutzung von rund 50 Marmortypen für Wand-, Bodenbeläge und Architekturglieder nachweisen. Parallelfunde und -befunde stammen aus dem spätantiken Kirchenkomplex unter dem heutigen Dom und der Liebfrauenkirche (zuletzt: Groß-Morgen 2022b), dem Palatiolum in Pfalzel (vgl. Morgenthal 2021) sowie Ostia und Rom.

von St. Maximin als tituli aufwendiger Körperbestattungen4. Wenn wir nach Kennzeichen einer spätrömischen Residenzstadt fragen, rückt diese Fundgattung daher mit in den Fokus des Interesses, wobei sich bisherige Studien vornehmlich den Text­ inhalten widmeten. Mit der Wiederverwendung von Steinmaterial zur Herstellung frühchristlicher Inschriften soll ein bislang nur randständiges Thema der Inschriftenkultur beleuchtet werden. Ausgangsbasis der Untersuchung sind die publizierten Hinweise auf wiederverwendetes Trägermaterial (Profilierung, Reliefierung, Buchstaben- und Ornamentreste, Bohrungen, schalenartige Vertiefungen, heterogene Bearbeitungsspuren) in den vier maßgeblichen Katalogen zu den frühchristlichen Inschriften Triers, die Erich Gose, Nancy Gauthier und Hiltrud Merten zu verdanken sind5. Unter Berücksichtigung von Mehrfachnennungen konnten anhand dieser Werke 1.197 als frühchristliche Inschriften kategorisierte Steinplatten erfasst werden. Davon zeigen 133 Inschriften Spuren älterer Nutzungsphasen6. Wegen des zu einem fragmentari-

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4 Grundlegend zu St. Maximin: Neyses 1999. – Neyses 2001. – Weber 2006. Zur Ausstattung der Elitegräber mit wertvollen Textilien und Harzen: Reifarth 2013. Aufarbeitung der Inschriften durch Merten 2018. Siehe auch die Beiträge in Groß-Morgen 2022. 5 Gose 1958. – Gauthier 1978. – Merten 1990. – Merten 2018. Ergänzend: Hettner 1893. – Loeschcke 1936. – Kempf/Reusch 1965. – Krämer 1974. – Trier-Kaiserresidenz 1984.  –  Fuchs 2006. – Demandt/Engemann 2007. – Groß-Morgen 2022. 6 Gose 1958 Kat. 1; 2; 6; 12; 13; 19; 27; 31; 37; 39; 51; 52; 53; 58; 66; 68; 70; 106; 108; 113; 144; 156; 232; 278; 308; 328; 330; 364; 383; 385; 405; 406; 410; 413; 425; 433; 439; 441; 453; 455; 461; 469; 472; 481; 500; 502; 505; 509; 513; 521; 522; 534; 539; 553; 567; 568; 580; 582; 593; 600; 604; 608; 611; 612; 624; 660; 661; 671; 687; 689; 696; 707; 713; 750; 752; 753; 759; 769; 775; 778; 782; 800; 810; 820; 835. – Gauthier 1978 Kat. 150; 194A; 218. – Merten 1990 Kat. 15; 38; 48; 109. – Merten 2018 Kat. 1; 4; 9/131; 12; 15; 19; 20; 21; 23; 25; 29; 30; 33; 34; 43;

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schen Bild führenden Überlieferungszufalls dürfte die Dunkelziffer des wiederverwendeten Materials deutlich höher gelegen haben. Die vielfältigen Hinweise auf Wiederverwendung, die jünger sind als der Verwendungszweck der Platten als frühchristlicher Inschriftenträger, wurden hingegen nicht berücksichtigt. Der zeitliche Rahmen der relevanten Inschriften erstreckt sich von der Spätantike bis in das vorkarolingerzeitliche Frühmittelalter. Der Großteil der Inschriften datiert in das 4. und 5. Jahrhundert. Berücksichtigt wurden auch Plattenfragmente ohne erhaltene Buchstabenreste, auf denen aber noch die Lineatur des Steinmetzes erhalten geblieben ist, oder Fragmente mit ornamentaler Verzierung, die typisch sind für frühchristliche Grabinschriften. Die Datierungen belegen, dass die Praxis der Wiederverwendung keineswegs ein ‚spätes‘ Phänomen des 5. Jahrhunderts und des Frühmittelalters darstellt, sondern bereits mit dem Auftreten der frühchristlichen Inschriften in Trier im 4. Jahrhundert zu fassen ist7. Insgesamt wird das Trägermaterial bei 1.118 der 1.197 tituli als Marmor identifiziert. Noch höher liegt der Marmoranteil unter den 133 eindeutig wiederverwendeten Platten mit 128 Stücken. In den älteren Katalogen finden sich nur rudimentäre Ansprachen des Steinmaterials. So wurden 919 Marmore einfach als weiß, 41 als grau oder weißgrau beschrieben. In Fällen genauerer Beschreibung tritt hingegen eine Vielzahl unterschiedlicher Farbnuancierungen und Äderungen der weißen oder grauen Marmore hervor. Selten finden sich Marmore mit einem Grün(sechsmal) oder Rotanteil (achtmal). 15-mal werden blau-weiße, blaugraue oder blau geäderte Marmore genannt. Gelbliche, weißgelbe und graugelbe Steine sind mit 23 Exemplaren ebenfalls nicht besonders häufig erfasst worden. Naturwissenschaftliche petrographische Analysen der Natursteine liegen bislang noch nicht vor und stellen ein Forschungsdesiderat dar. Auf den ersten Blick ergibt sich somit zunächst das scheinbar klare Bild, dass die von den Bearbeitern als Marmor angesprochenen Natursteine den frühchristlichen Inschriftenbestand dominieren. Damit grenzt sich das Corpus eindeutig von Inschriften der Grabdenkmäler des 2./3. Jahrhunderts

48; 56; 60; 65; 75; 78; 80; 82; 89; 92; 101; 104; 114; 139; 149; 155; 197; 201; 215; 226; 227; 235; 244; 247; 272; 284. Merten 2018 Kat. 9 und 131 behandeln getrennt die beiden beschrifteten Seiten einer Tafel. 7 Vgl.  folgende Beispiele: 1. Hälfte/Mitte 4. Jahrhundert: Merten 2018 Kat. 9/131; 4. Jahrhundert/Mitte 4. Jahrhundert: Merten 2018 Kat. 48. – Gauthier 1978 Kat. 39; 4.  Jahrhundert: Merten 2018 Kat. 139. – Gauthier 1978 Kat. 37; 99; 2. Hälfte 4. Jahrhundert und frühes 5. Jahrhundert: Merten 2018 Kat. 4; 12; 15; 21; 34; 43; 92; 101; 284. – Gauthier 1978 Kat. 73.

aus Sandstein oder Kalkstein ab. Marmor könnte somit beinahe als notwendiges Kriterium einer frühchristlichen Inschrift betrachtet werden. Allerdings wurden neben Marmor in 53 von 1.197 Fällen auch andere Natursteine identifiziert. Darunter befindet sich eine Inschrift aus Diabas8, neunmal wurden die Inschriften auf dunklem Kohlenkalk aufgebracht9. Zehnmal bestanden die Platten aus Sandstein10, 32-mal wurde Kalkstein verwendet11. Jeweils viermal ist hierbei von Jurakalkstein12 bzw. Muschelkalkstein13 die Rede. Selbst unter den 133 wiederverwendeten Platten findet sich zweimal Kalkstein als Inschriftenträger14, einmal Kohlenkalk15. Für die Herstellung der Maura-Inschrift wurde Sandstein verwendet16. Nicht zwangsläufig dürften die 53 nicht auf Marmor verfassten Inschriften von den spätantik-frühmittelalterlichen Betrachtern als minderwertige Surrogate eingestuft worden sein17. Darauf deutet exemplarisch ein in St. Maximin aufgefundener titulus aus rötlichem Kalkstein hin18. Das Fragment dieser frühchristlichen Grabinschrift befindet sich noch in der dazugehörigen Sandsteinfassung, sodass die beeindruckende Originalgröße von 45 cm Höhe und ehemals 66 cm Breite zu ermitteln ist. Die erhaltenen zehn Zeilenfragmente mit sorgfältig gearbeiteten Buchstaben gehören zu einem Grabgedicht. Die qualitätvolle Ausführung und der Fundort innerhalb der spätantiken Coemeterialbasilika zeugen von wohlhabenden Auftraggebern. Das ungewöhnliche Inschriftenmaterial, das nach Merten aus dem Pariser Becken oder dem nordlothringischen/luxemburgischen Raum stammen dürfte, scheint wegen seiner Dichte durchaus für die Herstellung von Inschriften geeignet gewesen zu sein. Ob sich diese Grabinschrift aufgrund ihrer Materia­ lität für Besucher der spätantiken Begräbnishalle so klar von der Masse der übrigen ‚Marmor‘-Grab­ inschriften abhob, bleibt fraglich. Implikationen der modernen archäologischen Terminologie und spätantik-frühmittelalterliche Wahrnehmung als edler Werkstoff müssen nicht deckungsgleich sein.

8 Gauthier 1978 Kat. 94. 9 Merten 2018 Kat. 86; 96; 121; 123; 149; 160; 208; 234; 278. 10 Gose 1958 Kat. 37; 75; 198; 437; 690; 692. – Merten 2018 Kat. 6; 83; 132; 248. 11 Gose 1958 Kat. 4; 48; 54; 58; 61; 77; 101; 404; 407; 422; 423; 463; 510; 631; 699; 744; 747; 842 sowie Merten 2018 Kat. 2; 53; 71; 74; 80; 85; 146; 158; 181; 186; 217; 220; 221; 238. 12 Gose 1958 Kat. 48; 58; 744; 842. 13 Gose 1958 Kat. 4; 101; 423; 747. 14 Gauthier 1978 Kat. 57 und Merten 2018 Kat. 80. 15 Merten 2018 Kat. 149. 16 Gauthier 1978 Kat. 37. 17 Vgl. Russel 2013, 15f. zum antiken Wissen über Steinarten. 18 Merten 2018 Kat. 71.

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Frühchristliche Inschriften auf Spolien

Möglicherweise gilt dies auch für die Platten aus dunklem Kohlenkalk. Aus welchen Kontexten stammten die wiederverwendeten Steine? Unter den 133 wiederverwendeten Platten wurden 72 wahrscheinlich in einer vorherigen Nutzung als Inkrustationen verwendet. 21-mal sprechen die Bearbeiter hierbei von Wandverkleidungen (Abb. 1). Acht der 72 Inkrustationen stellen Pilasterverkleidungen (Kapitell oder Schaft) dar. In zwei Fällen kommt eine Pilaster- oder Türgewändeverkleidung in Frage. Einmal scheint die Platte eher als Türgewände gedient zu haben. Bei einem Stein handelt es sich um eine Architrav-Verkleidung. Des Weiteren konnten zweimal wiederverwendete Gesimsblöcke erkannt werden. Der Stein mit der Grabinschrift für Exsuperantius Pissitus aus St. Maximin könnte in einer der vorherigen Verwendungsphasen als Teil einer Schranke gedient haben19. Eine kleine, aber auffällige Gruppe bilden sieben Inschriftenträger, die vormals als Spielfelder beziehungsweise als Platten von Spieltischen dienten20. Bei 30 Platten ist zu beobachten, dass sie zuvor bereits als Inschriftenträger Verwendung fanden. Hervorzuheben sind fünf Steine, bei denen eine Seite bereits für eine frühchristliche (Grab-)Inschrift benutzt worden waren und die bei ihrer Wiederverwendung noch in der Spätantike umgedreht wurden, um auf der freien Seite erneut eine frühchristliche (Grab-)Inschrift anbringen zu können (Abb. 2)21. Für die Herstellung des frühmittelalterlichen titulus für Rotfridus bediente sich der Steinmetz eines weitgehend unverzierten Abschnittes einer älteren frühchristlichen Grabinschrift. Reste ihrer Ornamentzeile blieben auf der Vorderseite der frühmittelalterlichen Grabinschrift sichtbar22. Bei 23 Platten bleibt die ursprüngliche Funktion unbekannt. In fünf Fällen zeigen sich Spuren einer mehrfachen Wiederverwendung und unterschiedlicher Verwendungszwecke der Steine23. Exemplarisch sei 19 Merten 2018 Kat. 9/131. 20 Gauthier 1978 Kat. 39; 73; 75; 177. – Merten 2018 Kat. 12; 33; 48. Für die Häufigkeit der Spieltafeln auch auf schlichterem Material siehe Hupe 2017, 315 und Merten 2006. Zu einer frühchristlichen Grabinschrift auf einer wiederverwendeten tabula lusoria in Rom vgl. Bolle 2019, 109. 21 Gose 1958 Kat. 778. – Gauthier 1978 Kat. 13; 32; 23. – Merten 2018 Kat. 9/131. Zehn Platten mit frühchristlichen Grabinschriften zeigen zudem rückwärtige Inschriften, deren frühchristlicher Charakter nicht nachzuweisen ist. Das Phänomen der Wiederverwendung frühchristlicher Inschriften ist nicht auf Trier begrenzt. Siehe Handley 2003, 37 mit Anm. 31 zu Beispielen aus Gallien, Spanien, Italien und Karthago. 22 Merten 2018, 25. – Fuchs 2006, 23. Dies veranschaulicht den Prozess der materiellen Verkleinerung – nach Reinard 2020, 252 ein „konstantes Charakteristikum ökonomisch motivierter Wiederverwendung“. Vgl. Barker 2021, 222. 23 Gauthier 1978 Kat. 10. – Merten 2018 Kat. 1; 9/131; 12; 25.

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Abb. 1: Rückseite der Grabinschrift für einen Priester (Merten 2018 Kat. 56) aus St. Maximin. Fragment einer Wandverkleidung mit ornamentalem Dekor.

Abb. 2: Beidseitig beschriebene Tafel (Gauthier 1978 Kat. 13) aus St. Matthias; (oben): Grabinschrift für Concordia, gestiftet von ihren Söhnen Concordius und Concordialis; (unten): frühchristliche Grabinschrift mit Tilgung in Z. 1 und Z. 3. Rasur des Namens der/ des Verstorbenen und der/ des Stiftenden.

hier auf eine aufwendig gestaltete Grabinschrift für ein Elternpaar, gestiftet von einer Maria, verwiesen. Zuvor diente die Platte als Pilasterschaft und Spieltafel (Abb. 3)24. Nach dem Schema Patrick Reinards25 konnten folgende Arten von Wieder- und Weiterverwendung im Trierer Corpus der frühchristlichen Inschriften nachgewiesen werden: Wiederverwendung in ursprünglicher Funktion, aber in anderem semantischen Kontext (Reinhard III) In diese Kategorie sind Fälle einzuordnen, bei denen (frühchristliche) Inschriftenplatten zwar wie-

24 Merten 2018 Kat. 48. 25 Reinard 2020, 253f. Tab. 2.

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Abb. 3: Frühchristliche Grab­ inschrift für ein Elternpaar, gestiftet von Maria (Merten 2018 Kat. 48), gefunden nördlich von St. Maximin. Vorderseite der Inschrift mit Kannelur eines Pilasterschaftes.

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derverwendet, aber ihr Text entweder teilweise getilgt oder die einstige Rückseite beschrieben wurde. Weiterverwendung nach Umfunktionierung durch Umarbeitung (Reinard V) und Weiterverwendung nach durch Defekt erzwungener Umfunktionierung (Reinard VI) Die Unterscheidung der beiden Kategorien fällt hinsichtlich der untersuchten Inschriften schwer, da das Erscheinungsbild der Spolien als dünne Steintafeln auch nach der Umfunktionierung zur Inschrift erhalten bleibt, ja geradezu ein entscheidendes Auswahlkriterium zur Wiederverwendung darzustellen scheint. Die meisten Inschriftentafeln stellen im kontinuierlichen Verkleinerungsprozess im Rahmen der Spolierung ein eher fortgeschrittenes Stadium dar. Ob die Tafeln vor der Verwendung als Inschriftenträger defekt waren oder nicht und ob eine Objektveränderung notwendig war, um sie weiter nutzen zu können, lässt sich kaum entscheiden. Zu diesen beiden Kategorien zählen Inschriftenträger, die vorher als (Wand-)Inkrustation, Bodenplatte, Gesimsfragment, Schrankenplatte oder Spieltafel genutzt wurden. Wiederverwendung aufgrund des künstlerischen Werts (Reinard VII) In dieser Kategorie subsummiert Reinard sowohl unveränderte als auch veränderte Objekte. Hinsichtlich des Inschriftenmaterials ist nur Letzteres festzustellen. Eine Wertschätzung der künstlerischen Gestaltung aus der vorherigen Nutzungsphase lässt sich wahrscheinlich im Falle der auf Inkrustationen angebrachten Inschriften fassen, die auf die profilierten Vorderseiten Rücksicht und Bezug nehmen. Die bereits angeführte Grabinschrift für ein Elternpaar, gestiftet von Maria, ist hierfür ein beeindruckendes Beispiel.

Wiederverwendung nach Hortung (Reinard VIII) Eine Hortung des für die Weiternutzung bzw. Umarbeitung zu frühchristlichen Inschriften geeigneten Steinmaterials lässt sich anhand des Fundmaterials nicht beweisen, wohl aber aufgrund des hohen Aufkommens vermuten. Die schiere Anzahl der frühchristlichen Inschriften in Trier sowie deren standardisiertes paläographisches und ornamentales Erscheinungsbild, das mitunter eine Schematisierung nach friedhofspezifischen Ateliers erlaubt, und auch die über Jahrhunderte währende Formularstabilität sprechen für einen Markt, der von Werkstätten versorgt wurde, die sich durch langlebige Strukturen und einen hohen Organisationsgrad auszeichneten26. Es ist gut vorstellbar, dass die Handwerker oder ihre Zulieferer angesichts einer kontinuierlich hohen Nachfrage an Inschriften passende Werksteine horteten. Die davon betroffene Reduzierung der ex-ante-(Anbahnungskosten) und ex-post-Kosten konnte Reinard als ein wesentliches Motiv der Wiederverwendung herausstellen27. Nach diesem Überblick zu Art und Material der wiederverwendeten Spolien, der Häufigkeit ihres Einsatzes und der Kategorisierung der Wiederverwendung soll nun geklärt werden, ob es für die Rezipienten der Inschriften im spätrömischen-frühmittelalterlichen Sepulkralkontext ersichtlich war, dass wiederverwendetes Material genutzt wurde. Die Einstufung als eine für Zeitgenossen sichtbare Wiederverwendung erscheint dann als plausibel, wenn Spuren einer älteren Nutzungsphase auf der Vorderseite einer frühchristlichen Inschrift zu sehen waren. Bearbeitungsspuren auf der Rückseite waren hingegen durch die Einlassung der Inschriften in einen Rahmen für den antiken Rezipienten verborgen28. Demnach könnte es für die antiken Be-

26 Krämer 1974 zum Formular. Gauthier 1978, 27–36 (Paläographie und grundlegend für die Trierer Werkstättenzuweisung); 37–50 (Formular); 50–59 (ornamentale Motive). – Merten 2015, 30–32 (Formular und Ornamentik). – Merten 2018, 20–22 (Ornamentik, Paläographie und Formular) und 24 Anm. 109 mit Übernahme der Werkstattzuweisung Gauthiers. Auf dem von Gauthier für Trier erkannten Befund friedhofspezifischer Inschriften-Stile baut auch Handley 2003, 27–34 auf. Anhand von Grabinschriften aus Trier, Vienne, Arles, Tarragona und Mérida verdeutlichte er, dass an Friedhöfe angegliederte Werkstätten mit eigenen „house styles“ die Masse der Grabinschriften produzierten. Zumindest einige wenige Inschriften deuten auf die Möglichkeit standardisierter arbeitsteiliger Produktionsschritte hin (Ornament, Textlayout, Text), bis hin zu der Möglichkeit, dass Inschriften zunächst mit den personenunspezifischen Formularbestandteilen auf Vorrat produziert wurden. 27 Reinard 2020, 208f.; 216f.; 222; 251. 28 Zur Positionierung und Anbringung von Inschriften am Grab siehe Neyses 1999. Zuletzt visuell veranschaulicht in Clemens/Seferi 2022.

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Frühchristliche Inschriften auf Spolien

trachter bei 44 der 133 wiederverwendeten Platten ersichtlich gewesen sein, dass für die Herstellung der Grabinschriften auf Spolien zurückgegriffen wurde. Zum besseren Verständnis dieser Wahrnehmung gilt es zunächst, die aus dem Befund ablesbaren unterschiedlichen Vorgehensweisen der Steinmetze und ihrer Kunden gegenüber den Relikten älterer Nutzungsphasen zu besprechen. Die drei Handlungsweisen Integration/Inszenierung, Kaschierung und Akzeptanz/Desinteresse sollen im Folgenden betrachtet werden29. Beginnen wir mit der Möglichkeit der Integra­ tion der Spolienrelikte. Zuweilen konnten Steinmetze eigentlich auffällige Wölbungen und Kehlungen von Pilasterschäften organisch in das Layout der Inschrift einfließen lassen30. Weil in diesen Fällen – mit einer Ausnahme – die Rückseite ungenutzt war, besteht die Möglichkeit, dass die Steinmetze absichtlich den alten Bauschmuck aus ästhetischen Gründen in ihre Arbeit integrierten. Nicht auszuschließen ist zudem die Option, dass die Handwerker die aufbereiteten polierten Oberflächen der profilierten Seiten den grob abgespitzten Rückseiten aus zeitökonomischen Gründen den Vorzug gaben31. Erfolglose Tilgungsversuche und Desinteresse an einer vollständigen Überarbeitung finden sich hingegen bei der Inschrift für Florentina (Abb. 4)32. Wie deutliche Meißelspuren und die unterschiedliche Stärke der Profilierung auf der Vorderseite zeigen, versuchte der Steinmetz zunächst den Pilasterschaft zu glätten. Dieses Unterfangen wurde mitten im Prozess abgebrochen; die Profilierung blieb unterschiedlich stark bestehen. Einige ungeschickt ausgeführte Meißelschläge an der unteren Kante der Platte führten zu tiefen Furchen. Womöglich war dieses Missgeschick der Grund, weshalb eine weitergehende Glättung unterblieb. Zudem wurde die linke Kante nicht begradigt, um eine exakt rechteckige Plattenform zu erlangen. Nachlässige oder unbeholfene Tilgungsversuche und Unbekümmertheit gegenüber dem Endergebnis liegen hier dicht beieinander. Nicht selten wurden die Reste älterer Nutzungsphasen einfach hingenommen. Aus heutiger Sicht leicht nachzuvollziehen ist dies bei unauffälligen Relikten wie einem flauen rundstabartigen Wulst an der unteren Kante der Inschrift mit der Anrufung von Märtyrern aus St. Maximin33 oder die sich nur schwach abzeichnenden Profilkanten auf der Inschrift für Azizos34 und des Adalelmus35.

29 Angelehnt an Bolle 2019, 125. 30 Beispiele bei Gauthier 1978 Kat. 100. – Merten 1990 Kat. 61. – Gose 1958 Kat. 534; 553. – Merten 2018 Kat. 48. 31 Vgl. Reinard 2020, 209. 32 Merten 2018 Kat. 15. 33 Merten 2018 Kat. 9/131. 34 Gauthier 1978 Kat. 10. 35 Merten 2018 Kat. 1. – Fuchs 2006 Kat. 21.

Zu dieser Kategorie ignorierter Spuren der früheren Nutzung gehören auch kleine sichtbare Dübellöcher von Wandverkleidungen, wie sie in elf Fällen zu beobachten sind. Zumindest aus heutiger Per­ spektive auffällig wirken die Bogenscharruren an dem rechten und linken Rand der Maura-Inschrift. Diese Scharruren stellen für in Trier aufgefundene spätantike Steinsärge ein charakteristisches, für Grabinschriften jedoch außergewöhnliches Zierelement dar. Unüblich ist zudem das Trägermaterial Sandstein, das nur bei zehn der 1.197 erfassten frühchristlichen Inschriften Verwendung fand. Bereits Loeschcke vermutete daher, dass es sich nicht um eine einzelne Grabplatte handele, sondern um das Wangenfragment eines frühchristliches Sarkophages für die verstorbene Maura36. Gleichgültigkeit oder Akzeptanz gegenüber von ‚Fehlern‘ und handwerkliche Qualitäten zeigt das Epitaph des Flavius Ianuarinus37. Die Inschrift mit sorgfältig gearbeiteten Buchstaben, die noch Anklänge an die klassische Monumentalschrift erkennen lassen, weist eine unübersehbare schalenartige Vertiefung auf der Vorderseite in dezentraler Position innerhalb der Ornamentzeile auf. Diese sichtbar gebliebenen Elemente einer Spieltafel, ein Dübelloch in der zweiten Zeile aus einer noch älteren Nutzungsphase der Platte als Wandverkleidung und mehrere über die gesamte Höhe der Tafel verlaufende, alte Risse verhinderten offenbar nicht die Auswahl der Tafel als titulus. Darauf deutet die Fassung der Inschrift in einen großen Sandsteinrahmen und ihr Fundort im Coemeterialbau unter St. Maximin hin. Nicht weiter gestört oder wahrgenommen haben Steinmetz und Abnehmer der Inschrift für Valeria die Buchstabenreste einer älteren Inschrift, die sich ohne Bezug auf den sepulkralen Charakter der Inschrift über der ersten Zeile erstre-

36 Vgl. Hettner 1893 Kat. 310; 340 mit Loeschcke 1936, 127 und Schwinden 2007c. 37 Merten 2018 Kat. 12.

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Abb. 4: Frühchristliche Grab­inschrift für ein Kind Florentina (Merten 2018 Kat. 15) aus St. Maximin. Vorderseite der Inschrift mit noch erkennbarer Kannelierung eines Pilasterschaftes sowie Bearbeitungsspuren (Meißelhiebe) zur Glättung des Steins.

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cken38. Bemerkenswert ist schließlich eine Platte, bei der unter einer sorgfältig gearbeiteten Inschrift eine mehr geritzt als geschlagene frühchristliche Grabinschrift ergänzt wurde39. Handelt es sich um eine Ergänzung, die Bezug nahm auf den oberen Abschnitt, oder stand man der älteren Inschrift gleichgültig gegenüber? Zusammenfassend kann folglich festgehalten werden, dass die Nutzung von Spolien zur Fertigung frühchristlicher Inschriften eine nicht nur häufig durchgeführte, sondern auch oftmals für Abnehmer und Rezipienten sichtbare und akzeptierte Praxis war. Wie ist diese Akzeptanz von ‚Second-Hand-Materialien‘ eines auf Repräsentation zielenden Produktes mit Abnehmern aus den wohlhabenden40 Bevölkerungs-‚Schichten‘ der Residenzstadt Trier einzuordnen? Die Praxis der Wiederverwendung lässt sich in der gesamten römisch-griechischen Antike beobachten. Dass die „antike Alltäglichkeit in vielerlei Hinsicht ein Used Universe“41 darstellte, untermauerte zuletzt Reinard anhand einer Auswertung exemplarischer dokumentarischer und literarischer Quellen sowie ausgewählter archäologischer Befunde42. In der Spätantike hat das Ausmaß an Wiederverwendung im privaten wie öffentlichen Sektor nochmals beträchtlich zugenommen43. Auch in der Kaiserresidenz

38 Gauthier 1978, 159. 39 Gauthier 1978, 233. 40 Ein Überblick zu der Forschungsdebatte und den Hinweisen, wer sich eine Grabinschrift leisten konnte, bietet Handley 2003, 35–45. Im gallischen und spanischen Raum (Handley 2003, 39–43 mit Abb. 4.3 und 4.4) verweisen zumindest die einen sozialen Rang wiedergebenden Inschriften v. a. auf die säkulare und kirchliche Elite. Handley 2003, 44f. ist der Meinung, dass dieses Bild auch auf die „silent majority“ der Inschriftenauftraggeber zutreffe; anders z. B. Brown 2000, 341 mit der These einer dadurch fassbaren subelitären Gruppe. Die Frage ist wohl, wie weit man den Begriff der Elite fasst. Die 21 von Handley genannten spätantiken und frühmittelalterlichen Inschriften mit Preisangaben – hauptsächlich aus Rom – zeigen eine Preisspanne von 1,5 bis 18 solidi. Verglichen mit den bis zu 288.000 solidi Jahreseinkommen, die Olympiodorus für einen senatorischen Haushalt in Rom nach 410 n. Chr. überliefert, nimmt sich das bescheiden aus (Brown 2012, 16f.). 41 Reinard 2020, 206. 42 Reinard 2020. Zum vielschichtigen Phänomen der Wiederverwendung siehe auch die übrigen Beiträge in Reinard/Rollinger/Schäfer 2020. Grundlegend zum Spolieneinsatz: Deichmann 1975. Spoliennutzung v.  a. im Bereich Architektur und Skulptur: Ward-Perkins 1984, 203–229. – Brenk 1987; Pensabene/Panella 1993/1994.  –  Alchermes 1994. – Kinney 1997. – Bouzek 2000. – Coates-Stephens 2002. Siehe auch epochenübergreifende Sammelbände Jurković 2011. – Altekamp/ Marcks-Jacobs/Seiler 2013 und Altekamp/Marcks-Jacobs/Seiler 2017. Zu Recycling-Praktiken in villae siehe zuletzt Barker 2021. 43 Barker 2021, 221–223.

Trier wurden Natursteine, darunter insbesondere Buntmarmore, in großem Umfang wiederverwendet. Dies haben nicht zuletzt die Untersuchungen von Vilma Ruppienė zur Ausstattung von Fußböden und Wandinkrustationen der Palastaula ergeben44. Die Omnipräsenz des Phänomens wurde von Reinard besonders mit ökonomischen Argumenten erklärt. Der wirtschaftlichen Mangelsituation weiter Teile der antiken Gesellschaft kommt hierbei ein besonderes Gewicht zu45. Ihre Auswertung ergab allerdings auch, dass das Bestreben, Materialkosten und Transaktionskosten durch Wiederverwendung zu minimieren, im öffentlichen wie privaten Kontext handlungsleitend war46. Wiederverwendung war nicht nur ein sozial- und institutions-, sondern auch ein material- und sachgutübergreifendes Phänomen. Darauf aufbauend sollen zwei Aspekte hervorgehoben werden. Zunächst fällt bezüglich der frühchristlichen Inschriften Triers eine starke Bevorzugung des Trägermaterials Marmor auf. Der derzeitige Forschungsstand erlaubt keine repräsentativen Aussagen über dessen Provenienzen. Ob nun aus dem Mediterraneum oder der Großregion stammend47, Abbau und Transport der Natursteine wären höchstwahrscheinlich kostenintensiver gewesen als die Wiederverwendung lokaler, zu recycelnder ‚Vorkommen‘48. Dass im 4. Jahrhundert unmittelbar an die Residenz Trier angrenzend eine Bauschutthalde, die auch Marmorspolien enthielt, das Weichbild der Stadt mitprägte, zeigt exemplarisch der Grabungsbefund der Olewiger-Straße 7/ Charlottenstraße49. Unmittelbar südöstlich des Geländes der sogenannten Kaiserthermen wurde eine großflächige Senke systematisch mit Abfall- und Bauschutt verfüllt. Altmaterial der Mittleren Kaiserzeit mit einem Fundspektrum aus dem Niederbieber-Horizont, das vielleicht im Rahmen größerer Baumaßnahmen in spätrömischer Zeit – etwa

44 Ruppienė 2021b insbes. 41. 45 Reinard 2020, 206. Ähnlich Thüry 2001, 56 und Holleran 2012, 218. 46 Zusammenfassend dazu: Reinard 2020, 252. 47 Nach Ruppienė 2021, 40f. stammen rund 49 % der aufgefundenen Natursteine, die in der spätantiken Audienzhalle des Trierer Kaiserhofes verbaut waren, aus dem Mediterraneum, knapp 50 % aus der Großregion (z. B. Pierre de Meuse; Gris des Ardennes, Rouge royal aus Belgien, Marmor aus dem Odenwald; Diabas von der Ruwer). 48 Umfassend zum römerzeitlichen Marmorhandel: Russel 2013 bes. 103f. 49 Hupe 2017, 309–316: vorläufiger Bericht mit Einordnung älterer (Bau-)Beobachtungen seit dem 19. Jahrhundert Die technische Grabungsleitung hatte M. Thiel, Generaldirektion kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, inne. Ihm sei für den Hinweis und die anregende Diskussion gedankt.

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Frühchristliche Inschriften auf Spolien

der Kaiserthermen? – anfiel, wurde im nördlichen Teil der untersuchten Fläche von Grobschutt des 4. Jahrhunderts überlagert, der von abgebrochenen spätantiken Bauten herrührte. Darin enthalten war eine Vielzahl von Marmorfragmenten hochwertiger Innendekoration der abgebrochenen Gebäude50. Zudem stand dem eingeschränkten Angebot frisch gebrochener Marmorgesteine eine hohe Nachfrage gegenüber, die sich für uns durch die nördlich der Alpen einmalig hohe Anzahl frühchristlicher Inschriften fassen und sich plausibel mit dem Status Triers als spätantike Kaiserresidenz und Bischofssitz erklären lässt. Aus dieser Perspektive verwundert es nicht, dass bei 133 von 1.197 (11,11 %) der in Trier aufgefundenen frühchristlichen Inschriften nachweislich auf wiederverwendetes Steinmaterial zurückgegriffen worden ist. Im Hinblick auf den fragmentarischen Erhaltungszustand der Inschriftenträger kann von einer hohen Dunkelziffer an nicht erkanntem wiederverwendeten Material ausgegangen werden. Es ist anzunehmen, dass die Inschriftenwerkstätten in Trier zu einem wesentlichen Anteil nicht mittels Importen frisch gebrochener Marmorsteine, sondern über Spolien bedient wurden51. Eine Nutzung von wiederverwendetem Marmor als Trägermaterial frühchristlicher tituli ist auch in anderen Zentren Galliens nachgewiesen, so beispielsweise in der Belgica Prima in Metz52. Besonders markante Zeugnisse sind für Vienne in der Narbonnensis bezeugt, wo etwa Teile einer Statue53, ein Relief mit figürlichen Darstellungen54 oder eine pagane Inschrift55 umgearbeitet wurden. In Salo-

50 Hupe 2017, 312. Nach freundlicher Auskunft von M. Thiel befanden sich darunter auch Tafeln mit Sägespuren. Andernorts ist die systematische Deponierung, Sortierung und Be- und Umarbeitung von Spolien durch ‚Recyclingbetriebe‘ nachweisbar: Siehe Gering 2017 und Gering 2020 zum Befund von Ostia des 5./6. Jahrhundert n. Chr. Das Sägen von Marmor benötigt nach Gering 2017, 155 eine „gewisse Infrastruktur und vor allem fließendes Wasser (…)“, sodass für diesen Werkprozess feste Werkstätten anzunehmen sind. 51 Reinard 2020, 218f.; 232 und 251 ist der Ansicht, dass die Wiederverwendung von Stein als Baumaterial in der Antike nicht die Quantität erreicht habe, um den Markt in signifikanter Weise, heißt preislich, zu beeinflussen. Zumindest die Wiederverwendung von Natursteinen zur spätantiken Inschriftenherstellung ist als preis-signifikant einzustufen. In die gleiche Richtung weist Ruppienė 2021, 41, die ihre Vermutung, dass der Marmorimport aus dem Mediterraneum (nach Trier) im 4. Jahrhundert abgenommen habe, zum einen auf die Tatsache umfangreicher Nutzung regionaler Natursteine (ca. 50 %) im Bereich der Basilika sowie „the often recycling of older objects“ stützt. 52 Gauthier 1978 Kat. 243; 251. – Vipard 2015. 53 Descombes 1985 Kat. 103. 54 Descombes 1985 Kat. 113. 55 Descombes 1985 Kat. 133.

na auf dem Balkan fand Marmor hingegen kaum Verwendung als Trägermaterial von Inschriften. Hier wurden die frühchristlichen Grabinschriften entweder an den Längsseiten von Sarkophagen oder auf Platten von frisch verarbeitetem örtlichem Kalkstein angebracht56. Damit ist die Akzeptanz der Sichtbarkeit des Phänomens ‚Wiederverwendung‘ im Falle der frühchristlichen Inschriften Triers noch nicht vollständig erklärt. Erweitert werden muss der obige Ansatz durch eine von Katharina Bolle hinsichtlich der Erscheinung des spätantiken Schriftbildes und -gestaltung formulierten These57. Demnach habe sich das Spektrum, innerhalb dessen eine Inschrift visuell gestaltet werden konnte, in der Spätantike im Vergleich zur Mittleren Kaiserzeit erweitert. Die Inschriftengestaltung wurde heterogener und individueller, sie löste sich von lang tradierten Konventionen58. Der Wandel von tendenziell konformistischer zu individualistischer Inschriftenkultur zeichnet sich besonders stark im sepulkralen Raum ab, dem die frühchristlichen Inschriften weitgehend zuzurechnen sind. Das hier vorgestellte disparate Phänomen der Sichtbarkeit von Spoliennutzung für die frühchristlichen Inschriften Triers ist als ein Element dieser spätantiken Inschriftenkultur anzusehen, das sich bis in das Frühmittelalter nachweisen lässt. Wie auch andere – aus heutiger Perspektive so empfundene – erkennbare optische Unregelmäßigkeiten, (grammatische) Fehler und Korrekturen gehören auch sie zum Erscheinungsbild ansonsten materiell und technisch hochwertigerer Stücke. Normative Bewertungen dessen als Ausdruck ästhetischen Unvermögens und kulturellen Niedergangs sind fehl am Platz. Solche Urteile spiegeln vielmehr neuzeitliches Ästhetik- und Werteempfinden wider59. Wie langlebig die Verfügbarkeit antiker Natursteine in Trier schließlich war, zeigt das Beispiel der in der Trierer Domimmunität gelegenen Kapelle „Zur Eiche“, die – dendrochronologischen Untersuchungen im Dachstuhl zufolge – an der Wende zum 13. Jahrhundert erbaut wurde60. Der zeitgleich verlegte Fußboden im Altarbereich ist aus wiederverwendeten dreieckigen Natursteinen, darunter selbst Roter Porphyr, gesetzt worden, die aus einem spätrömischen Großbau der einstigen Kaiserresidenz stammen dürften (Abb. 5).

56 Gauthier/Marin/Prévot 2010. Einen kurzen Überblick bietet Gauthier 2015. 57 Bolle 2019, 146–165; bes. 147f. 58 Vgl.  mit Handley 2003, 23f., der ähnliche Phänomene wie Bolle umreißt. 59 Ähnlich Handley 2003, 23. 60 Ostermann 2001, 338–340. – Mannhardt 2020. Eine eigene Studie hierzu ist gemeinsam mit V. Ruppienė in Vorbereitung.

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Abb. 5: Trierer Domimmunität, Kapelle „Zur Eiche“. Fußboden von der Wende des 13. Jahrhunderts mit wiederverwendeten Natursteinen im Altarbereich.

Untersuchungsobjekt dieser Studie war das innerhalb der Nordwestprovinzen in Quantität und Qualität auf die Residenzstadt Trier beschränkte Corpus der frühchristlichen Inschriften und somit ein Spezifikum. Anhand der Praxis der wiederverwendeten Steinplatten wurde ein bislang kaum beachtetes Phänomen beleuchtet. Es deutet darauf hin, dass man im administrativen wie wirtschaftlichen Gravitationszentrum der Nordwestprovinzen spätantike Praktiken ökonomischen Verhaltens beibehielt. Zur Herstellung mitunter qualitätvoller Inschriften wurde – nicht selten sichtbar – auf wiederverwendete Steinplatten gesetzt.

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Abbildungsnachweis 1. 3 M. Groß-Morgen, Museum am Dom, Trier, 2  Rheinisches Landesmuseum Trier, T. Zühmer, G  I  B 118a/b, 4 Foto: Rheinisches Landesmuseum Trier, T. Zühmer, RLMT, EV 1984,79(a), 5 Universität Trier, A. Thull.

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DIE KIRCHENBAUTEN IN DEN RESIDENZORTEN KONSTANTINS von Winfried Peter Weber

Als Licinius und Konstantin im Jahre 313 in Mailand vereinbarten, den Christen die volle Kultfreiheit zu gewähren, war auch für die Christengemeinden in den kaiserlichen Residenzen eine neue Situation entstanden. Nachdem schon das Toleranzedikt des Galerius von 311 die Verfolgung der Christen beendet hatte, wurde in der Vereinbarung von Mailand, die Laktanz in lateinischer Fassung und Eusebius in griechischer Übersetzung überliefert haben, ausdrücklich festgelegt, den Christengemeinden „die Stätten, an denen sie früher zusammenzukommen pflegten (…)“, sofort zurückzugeben. Begründet wurde dies mit dem Hinweis auf die „Verehrung der Gottheit (divinitatis reverentia)“. Deswegen meinten die Kaiser, „sowohl den Christen als auch allen anderen die Freiheit geben zu müssen, die religiöse Macht zu verehren, die sie wollen. So kann sich jede Gottheit auf dem Thron des Himmels (divinitatis in sede caelesti) uns und allen, die unserer Herrschaft unterworfen sind, gnädig und gewogen zeigen. (…) So geschieht es, dass (…) die göttliche Gnade uns gegenüber, die wir in so wichtigen Dingen erfahren konnten, bei allen unseren Unternehmungen und bei der öffentlichen Wohlfahrt für alle Zeit in beglückender Weise erhalten bleibt.“ Ferner soll diese Verfügung „veröffentlicht und überall ausgehangen und zur Kenntnis aller gebracht werden, damit diese Vorschrift unserer Güte (benevolentiae nostrae) nicht verborgen bleiben kann.“1 So ließ Licinius in der Kaiserresidenz Nicomedia die Mailänder Vereinbarung öffentlich anschlagen und forderte den Präfekten auf, die christlichen Versammlungsstätten in ihrem früheren Zustand zurückzugeben (ut conventicula in statum pristinum redderuntur)2. Es wird sich in Nicomedia dabei um jenes Gebäude gehandelt haben, welches als Auftakt zur ‚diokletianischen Christenverfolgung‘ am 23. Februar 303 geplündert und spektakulär zer-

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Laktanz, mort. pers. 48, 2–12 (ed. Keil 1989, 58–63); Eusebius, hist. eccl. 10, 5, 2–12. Laktanz, mort. pers. 48, 13.

stört worden war. Nach Laktanz hätten Diokletian und Galerius diesen Vorgang beobachtet, denn die hoch gelegene Kirche sei vom Palast aus sichtbar gewesen (in alto enim constituta ecclesia ex palatio videbatur)3. Danach gab es also in der Kaiserresidenz Nicomedia am Marmarameer in Sichtweite des Kaiserpalastes ein den Christen dienendes Kultgebäude, wie auch immer es ausgesehen hat, keineswegs versteckt, sondern in Nachbarschaft großer Gebäude und von allen wahrnehmbar. Etwa um dieselbe Zeit schrieb der Christengegner Porphyrios: „Auch die Christen ahmen die Herstellung von Tempeln nach und erbauen sehr große Häuser, in denen sie zusammenkommen und beten“4 . Auf die Frage nach den Versammlungsstätten der Christen antwortete der im Jahre 165 in Rom hingerichtete christliche Philosoph Justin: „Dort, wo ein jeder will und kann, auch wenn du sicher meinst, wir würden alle an demselben Ort zusammenkommen. Denn der Gott der Christen ist nicht auf einen bestimmten Ort eingeschränkt. (…) Darum kann er von seinen Getreuen überall angebetet und verherrlicht werden“5. Paulus hatte seinerzeit den Athenern erklärt: „Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, (…) wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind (χειροποιήτοις ναοῖς)“6.

3 Laktanz, mort. pers. 12, 3–5. 4 Porphyrios, fragm. 76 (ed. Harnack 1916, 93); dazu: Süßenbach 1977, 111; Heid 2019, 74. 5 Acta Iustini 3, 1 (ed. Rahner 1941, 50–51). 6 Apg. 17, 24–25

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Über die Baugestalt jener Gebäude, die den christlichen Gemeinden in vorkonstantinischer Zeit für ihren Gottesdienst dienten, ist wenig bekannt. So sind es zunächst die Wohnhäuser, die von den Gemeinden als Versammlungs- und Gebetshäuser genutzt wurden. Doch ist auch in Rom kaum eine dieser frühen Hauskirchen archäologisch sicher fassbar. Nach der seit dem 6. Jahrhundert verfassten Papstchronik, dem Liber Pontificalis, sind für Rom 26 solcher Titelkirchen aufgeführt, so genannt nach den Türschildern der einstigen Hausbesitzer. Jedoch lassen ältere Baureste unter den doch erst seit dem 4. Jahrhundert errichteten stadtrömischen Titelkirchen eine kirchliche Nutzung meist nicht erkennen, da es noch keine spezifische, allgemein verbindliche Architekturform oder eine spezielle feste liturgische Einrichtung solcher vorkonstantinischer Gebets- und Versammlungsräume gab, an denen sie als solche zu erkennen wären7. Im Laufe der Zeit wurden größere Gebäude notwendig, von denen auch Eusebius Kenntnis hatte: „Wer gar vermöchte zu schildern jene tausendköpfigen Versammlungen und die Mengen derer, die Stadt für Stadt zusammmentraten, und die herrlichen Zusammenkünfte in den Bethäusern (προσευκτήρια)? Da infolge hiervon die alten Gebäude nicht mehr genügten, erbaute man in allen Städten ganz neue und geräumige Kirchen (εκκλησίαι)“8. Man wird davon ausgehen dürfen, dass spätestens mit dem Toleranzedikt von 311 auch in Rom schon unter Maxentius die den Gemeinden gehörigen Gebäude und Grundstücke restituiert wurden, nachdem schon einmal, nach der Verfolgung unter Valerian (253–260), sein Sohn Gallienus (260–268) die „geweihten Stätten“ und die „Zömeterien“ per Edikt zurückgegeben hatte9. Unter Constantius Chlorus, dem seit 293 regierenden Caesar des Westens, wurde im Zuge der Christenverfolgung nach dem Zeugnis des Eusebius und des Laktanz Kirchengut enteignet, es wurden aber keine Hinrichtungen durchgeführt, „denn Constantius erlaubte die Zerstörung der Versammlungsräume (…), die wiederhergestellt werden konnten, damit es nicht so aussah, als würde er von den Vorschriften der Höheren abweichen. Den wahren Tempel Gottes, der in den Menschen ist, ließ er

7 Kirsch 1918. – Brandenburg 2004, 12; 110–111. – Brenk 2003, 82–113. 8 Eusebius, hist. Eccl. 8, 1 (ed. Kraft 1967, 361). – Sicherlich wird man in den „tausendköpfigen Versammlungen“ eine Übertreibung sehen müssen, auch wenn in den östlichen Reichsteilen die christlichen Gemeinden größer gewesen sind. 9 Eusebius, hist. eccl. 7, 13. (ed. Kraft 1967, 332)

unversehrt“10. Dies müsste auch für die Trierer Gemeinde gegolten haben, die seit dem letzten Drittel des 3. Jahrhunderts von den Bischöfen Eucharius und Valerius geleitet wurde. Nach dem Tod des Constantius Chlorus 305 wurde sein Sohn Konstantin als Nachfolger eingesetzt und hat wohl in seiner ersten Regierungsphase die Religionspolitik seines Vaters fortgeführt. Nach dem 312 an der Milvischen Brücke errungenen Sieg über Maxentius und seinem Einzug in Rom begann für Konstantin eine neue Phase seiner Regentschaft, und es war ihm wichtig, seine Legitimation deutlich zum Ausdruck zu bringen. Dazu gehörte seit Langem ein umfangreiches Bauprogramm, mit dem vor allem die Sorge um die opera publica und damit die liberalitas des Kaisers dargestellt werden konnte11. Ein solches Bauprogramm hatten zuvor auch die Tetrarchen in ihren Residenzorten Trier, Mailand, Aquileia, Sirmium, Serdica, Thessaloniki, Nicomedia und Antiochia in Gang gesetzt. Verena Jaesche stellte fest, dass man bei den tetrarchischen Residenzstädten „durchaus ein übergreifendes Konzept bei der architektonischen Monumentalisierung“ greifen könne. Zu diesem sogenannten Tetrarchentypus gehöre als opera publica ein bestimmter Kanon an Bauten: Palast, Circus und monumentale Thermenbauten, manchmal Stadtmauern, aber auch Speicherbauten12. Auch in Rom, das zwar von den Tetrarchen zu Gunsten einer Dezentralisierung des Machzen­ trums als dauernder Residenzort aufgegeben wurde, aber weiterhin der ideelle Mittelpunkt des Reiches blieb, wurden dennoch Palastanlagen und Großbauten errichtet, wenn man beispielsweise an die Diokletiansthermen oder an die durch Brand zerstörte Basilica Iulia oder an die Bauten unter Maxentius denkt. So nutzte auch Konstantin in Rom diese Form der Repräsentation mit der Fertigstellung und Umgestaltung der von Maxentius begonnenen Basilika Nova an der Via Sacra oder dem Bau der Thermae Constantinianae. Ein besonderer Stellenwert im kaiserlichen Bauprogramm kam der Sorge um die Kulte und Tempelbauten zu, denn seit Augustus führten alle römischen Kaiser den Titel pontifex maximus, ein Titel, den erst Kaiser Gratian (375–383) ablegte. Als oberster Priester war er für den gesamten religiösen Bereich verantwortlich. Es galt, ein „gutes Einvernehmen mit den oberen Mächten“ herzustellen, damit

10 Laktanz, mort. pers. 15, 7 (ed. Keil 1989, 40–41). – So auch Eusebius, hist. eccl. 8, 13, 13 (ed. Keil 1989, 38–39). 11 Dazu: Scheithauer 2000; dort zur kaiserlichen Bautätigkeit zur Zeit Diokletians und Konstantins: Scheithauer 2000, 212–220. 12 Jaeschke 2020, 307–309.

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Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins

dadurch das „Heil des römischen Volkes“ gesichert war13. Schon das Edikt des Galerius von 311 enthielt deswegen auch die Forderung an die Christen „für unser Heil, für das Heil des Staates und ihr eigenes Heil zu beten, damit der Staat in jeder Weise unbeschädigt bleibt“ (pro salute nostra et rei publicae ac sua, ut undique versum res publica praestetur incolumis)14. Dass dies auch für Konstantin ein Anliegen war, zeigt ein zwischen 312 und 313 verfasster Brief des Kaisers an Anullinus, den Prokonsul der Provinz Africa Proconsularis, in dem es heißt: „Der Kult, in dem die höchste Ehrfurcht gegenüber der hochheiligen, himmlischen Macht ausgeübt wird, bringt den öffentlichen Angelegenheiten dann viele Gefahren, wenn er verachtet wird. Derselbe Kult, wenn er dargebracht und ausgeübt wird, bringt das größte Glück für den römischen Namen und für alle Angelegenheiten der Menschen eine besondere Glückseligkeit“15. Hier ist nun interessant, dass bei der Analyse der tetrarchischen Residenzorte festgestellt wurde, dass monumentale Tempelbauten offenbar nicht zur tetrarchischen Residenz gehören, was eine deutliche Abkehr von den kaiserzeitlichen Traditionen bedeutete; nur in den Alterssitzen der Tetrarchen – man denke an Spalato (Split) oder Felix Romuliana (Gamzigrad) – wurden für die Schutzgottheiten Tempel errichtet16. Maxentius jedoch hatte in Rom den 307 n. Chr. durch Brand zerstörten Tempel der Venus und Roma wieder in Stand gesetzt. Konstantin aber, der seinen Sieg an der Milvischen Brücke der Hilfe des Christengottes zuschrieb, trat nun in Rom nicht nur als Förderer der christlichen Gemeinden auf, sondern als Stifter monumentaler christlicher Kirchenbauten. Er verband damit die Absicht, „den öffentlichen Prachtbauten  (…) gleichwertige Monumente zur Seite zu stellen, ja sie zu übertreffen“17. Er knüpfte damit wieder an die kaiserzeitliche Tradition an und wandte sich, was die Kultbauten betrifft, vom Konzept der te­trarchischen Residenzstadt ab. „Die Kirchenbauten waren“, wie Friedrich Wilhelm Deichmann formuliert, „nun nicht mehr Werke einer privaten, bestenfalls geduldeten Religionsgemeinschaft, (…) sondern sie stiegen auf zur höchsten Stufe der Hierarchie der Bauten, die bisher die Tempel der olympischen und Staatsgötter eingenommen, ja beherrscht

13 14 15 16 17

Dazu: Ronning 2007, 125–149. Laktanz, mort. pers. 34, 5 (ed. Keil 1989, 44–45). Eusebius, hist. eccl. 10, 7, 1 (ed. Keil 1987, 56–57). Jaeschke 2020, 307–308. Brandenburg 2004, 18.

hatten“18. Daraus folgt, dass auch die Kirchenbauten als kaiserliche Stiftungen nunmehr die pietas und die dignitas des Kaisers in geeigneter Weise zu repräsentieren hatten. Dies war aber zunächst für die christlichen Gemeinden durchaus ein Problem, denn nach ihrem Verständnis wohnt Gott ja nicht in von Menschenhänden errichteten Tempeln. Kaiser Konstantin dachte hingegen wie seine Vorgänger, denen die Tempel mit ihren Götterbildern seit jeher als Wohnstatt der Gottheit galten. So habe Konstantin nach Eusebius von Caesarea schließlich alle Bischöfe aufgefordert, „ihren Eifer auf die Bauwerke der Kirchen zu verwenden: entweder die vorhandenen wiederherzustellen oder größer zu machen oder, wo immer nötig, neue zu bauen! (…) Dies wurde den Kirchenvorstehern in jeder Provinz geschrieben; die Statthalter der Provinzen wurden aufgefordert, dementsprechend zu handeln, und mit großer Eile wurde das gesetzlich Festgelegte ausgeführt“19. Dies zeigt, dass die Ausführung der Kultbauten nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der städtischen Magistrate lag. Als Bauherren wurden die Bischöfe genannt, denen die kaiserlichen Beamten und Statthalter Unterstützung zu leisten hatten. Dies veranschaulicht vor allem jener, von Konstantin an Makarios, den Bischof von Jerusalem, gesandte Brief, in welchem er ihn auffordert, Vorschläge zum Bau und zur Ausschmückung der ‚Grabeskirche‘ zu unterbreiten, und ihm mitteilt, dass er Drakilian, den Provinzstatthalter angewiesen habe, für Künstler und Handwerker aber auch alles, was zum Bau und seiner Ausstattung notwendig sei, auf Kosten des Staates bereit zu stellen20. Doch wie sollten diese Bauten aussehen? Ein Anknüpfen an die Tradition der griechisch-römischen Tempelarchitektur verbot sich, da ja das christliche Kultgebäude nach neutestamentlicher Auffassung eben nicht der „Wohnsitz Gottes“ ist. Zudem mussten schnell und kostengünstig zu realisierende Baulösungen gefunden werden, die auch noch verschiedenen liturgischen Zwecken dienen konnten. Der nicht durch die Verwendung im heidnischen Götterkult belastete Bautypus der Basilika schien hier auch wegen seiner Variationsmöglichkeiten besonders geeignet. Dabei zeigt der Vergleich der im 4. Jahrhundert ausgeführten Bauten jedoch sowohl im Grundriss als auch im Aufriss deutlich das Suchen nach der geeigneten Form, bis erst im 5. Jahrhundert sich allgemein gültige Kirchbautypen herausgebildet hatten. In Rom galt es, für die sich schnell vergrößernde Gemeinde ein geeignetes Grundstück für ein reprä-

18 Deichmann 1983, 73. 19 Eusebius, v. Const. 2, 46 (BKV 9, 77). 20 Eusebius, v. Const. 3, 31 (BKV 9, 116–117). – Dazu: Klein 2002, 223.

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Abb. 1: Rom, Ecclesia Salvatoris, 4. Jahrhundert (S. Giovanni in Laterano).

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sentatives Kirchengebäude zu finden. Nach Auskunft des Liber Pontificalis schenkte Konstantin als machtvolles Zeichen seiner neuen Religionspolitik dem stadtrömischen Bischof Silvester (314–335) auf dem Caelius im Südosten Roms in unmittelbarer Nähe zur Stadtmauer, aber noch innerhalb der Stadt, ein in staatlichem Besitz befindliches Grundstück. Auf ihm befanden sich ehemals die Kasernen der berittenen Leibgarde (equites singulares), die auf Seiten des Maxentius gegen Konstantin gekämpft hatte und deswegen aufgelöst worden war. Nicht nur der wohl ab 313 begonnene Bau der fünfschiffigen Basilika („Ecclesia Salvatoris, qui et Constantiniana appellatur“) mit dem Baptisterium sowie das Episcopium, Sitz des stadtrömischen Bischofs, gehen auf die Stiftung Konstantins zurück, sondern der Kaiser stattete die Kirche nach Ausweis des Liber Pontificalis mit kostbarem, zur Liturgie nutzbarem Gerät aus. Zudem sicherten umfangreiche Grundbesitzschenkungen die finanzielle Grundlage zur dauerhaften Durchführung der Gottesdienste (Abb. 1). Nicht weit von der Bischofskirche (Lateranbasilika) entfernt liegt die Kirche Santa Croce in Gerusalemme (cognominatur in hodiernum diem Hierusalem). Der Liber Pontificalis nennt diese von Konstantin errichtete Basilica in palatio Sessoriano, ubi etiam de ligno sanctae Crucis domini nostri Iesu Christi in auro et gemmis conclusit. Wiederum nutzte Konstantin einen in kaiserlichem Besitz am südöstlichen Stadtrand gelegenen Villenbezirk (palatium Sessorianum), den vor allem Elagabal (218–222) ausgebaut hatte und der später teilweise in die Aurelianische Sadtmauer einbezogen wurde.

Inschriften bezeugen, dass die Kaisermutter Helena Renovierungsarbeiten durchführen ließ und den Gebäudekomplex als ihren Wohnsitz nutzte. Ein in severischer Zeit errichteter Rechtecksaal wurde nun durch Hinzufügung einer Apsis in die Heilig-­ Kreuz-Kirche umgewandelt, wobei die Datierung ungewiss ist. An die Apsis wurde eine kleine Reliquienkapelle zur Aufbewahrung der Kreuzreliquien gebaut, die wohl schon zu Konstantins Zeiten auch nach Rom gelangten, nachdem die Kaisermutter Helena um 325 in Jerusalem das Kreuz Christi aufgefunden haben soll. Da Santa Croce zu den übrigen, weiterhin genutzten Palastbauten keine unmittelbare Verbindung mehr besaß, rückt man heute von der Bezeichnung ‚Palastkirche‘ ab21. Wenn man der Angabe im Liber Pontificalis Glauben schenkt, dann hat Konstantin mit diesem Kirchenbau „der Hauptstadt des Reiches damit eine Christusgedächtnisstätte, eine Herrenmemorie“ gegeben und stellte eine Verbindung zu der sogenannten Grabeskirche in Jerusalem her22. So würde sich auch der Namenszusatz „Hierusalem“ der Heilig-Kreuz-Kirche erklären. Ludwig Voekl zeigte, dass die im Liber Pontificalis für die Stadt Rom verzeichneten kaiserlichen Stiftungen sowohl im Formular als auch im Inhalt den leges templorum entsprachen, denn „Kaiser Konstantin lebte und dachte als Römer“23. Ebenso eindrucksvoll sind die im Umkreis der Stadt unter Konstantin entstandenen Märtyrer- und Memorialkirchen. So entstand um 320 die Coemeterialbasilika Ss. Pietro e Marcellino, an der Via Labicana auf einem Grundstück gelegen, das sich ebenfalls einst als Friedhof der kaiserlichen Garde in kaiserlichem Besitz befand. Nahe dabei lag eine Katakombe mit den verehrten Gräbern der in der diokletianischen Verfolgung hingerichteten Märtyrer Petrus und Marcellinus. Hugo Brandenburg meinte, dass mit dieser Kirchenstiftung „zu Ehren der letzten Blutzeugen der bisher missachteten und verfolgten Religionsgemeinschaft“ Konstantin „sich und den Staat der Obhut ihres Gottes“ anempfohlen und „den Glauben (…) den Bürgern des Reiches zur Verehrung anheim“-gestellt habe24. Dies umso mehr, nachdem in einer zweiten Bauphase am Ostende der Umgangsbasilika ein großes Rundmausoleum mit Vorhalle errichtet wurde. In der dem Eingang gegenüberliegenden Nische war einst der monumentale Porphyrsarkophag aufgestellt, allseitig mit Schlachtszenen siegreicher römischer Soldaten dekoriert. Gerade dieses Bildprogramm spricht dafür,

21 Brandenburg 2004, 106; dazu auch: Dirschlmayer 2015, 43–47. 22 Brandenburg 2004, 108. 23 Voelkl 1964, 47. – Dazu auch: De Blaauw 2006, 163–172. 24 Brandenburg 2004, 55.

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Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins

dass der Sarkophag doch wohl einst als Grablege des Kaisers gedacht war, der auf diese Weise für alle sichtbar erneut ein eindeutiges persönliches Zeichen der neuen Religionspolitik gesetzt hat. Nachdem Konstantin Rom verlassen hatte, wurde um 329 in dem leeren Sarkophag der Leichnam der Kaisermutter Helena bestattet. Nach dem Liber Pontificalis waren auch die anderen vor der Stadtmauer an den wichtigen Ausfallstraßen liegenden Coemeterialbasiliken Stiftungen Konstantins: S.  Sebastiano (basilica Apostolorum) an der Via Appia, die Umgangsbasilika von S. Lorenzo fuori le mura an der Via Tiburtina, die Umgangsbasilika an der Via Ardeatina, die wohl Papst Marcus (336) mit kaiserlicher Förderung errichten ließ, und schließlich die auf kaiserlichem Landgut an der Via Nomentana liegende Basilika S. Agnese, die Konstantin auf Bitten seiner Tochter Constantina zu Ehren der Märtyrerin Agnes bauen ließ, auch wenn in der überlieferten Stiftungsinschrift die Kaisertochter „in aller Demut sämtliche Ausgaben übernommen“ hatte. An der Südseite wurde auch hier ein zunächst kleines Mausoleum errichtet, das schließlich durch den heute noch bestehenden repräsentativen Rundbau (S. Costanza) ersetzt wurde, in welchem 354 in

einem Porphyrsarkophag Constantina und um 360 ihre Schwester Helena beigesetzt wurden. Eine besondere Bedeutung unter den Memo­ rialbasiliken hatte die an der Via Ostiense erbaute, recht bescheidene Basilika S. Paolo fuori le mura mit dem Grab des Apostel Paulus, die 383 allerdings unter den Kaisern Theodosius, Valentinian II. und Arcadius durch einen größeren Bau ersetzt wurde, sowie die Basilika S. Pietro in Vaticano. In einem Friedhofsbezirk war spätestens seit der Mitte des 2.  Jahrhunderts eine Gedächtnisstätte in Form einer Aedikula eingerichtet worden, an der man an das Martyrium und den Tod des Apostels Petrus erinnerte. Gerade hier, am Abhang des vatikanischen Hügels, ließ Konstantin nach 318 eine monumentale Basilika mit einer kostbar ausgestatteten Zibo­ riumsarchitektur über der Memoria errichten, da man nun überzeugt war, dass an dieser Stelle auch der Apostel bestattet worden war. Es waren zum Bau der Basilika nicht nur gewaltige Erdaufschüttungen notwendig, sondern es musste zunächst das heikle Problem der Aufgabe und Überbauung des frühkaiserzeitlichen Friedhofs mit seinen zahlreichen Mausoleen gelöst werden, ein Problem, welches Konstantin in seiner Funktion als pontifex maximus aus der Welt schaffte (Abb. 2).

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Abb. 2: Rom, St. Peter, 4. Jahrhundert (S. Pietro in Vaticano).

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Der Liber Pontificalis spricht davon, dass die Basilika zu Ehren der Apostels Petrus (basilicam beato Petro) errichtet worden sei. Doch die am Triumphbogen befindliche Dedikationsinschrift beinhaltet einen anderen Aspekt, denn hier wird nicht Petrus, sondern Christus genannt. Es heißt dort: QVOD DUCE TE MVNDVS SVRREXIT IN ASTRA TRIUMPHANS HANC CONSTANTINVS VICTOR TIBI CONDIDIT AVLAM „Weil die Welt sich unter deiner Führung triumphierend dem Himmel zugewendet hat, gründete Konstantin als Sieger für dich diese Aula.“ Indem Konstantin sich hier als victor bezeichnet, dürfte diese Inschrift erst nach dem Sieg über Licinius 324 formuliert worden sein, zumal Kon­ stantin über die umfangreichen Güterschenkungen von Landbesitz aus den östlichen Reichsteilen erst nach dem Triumph über Licinius verfügen konnte. Achim Arbeiter meinte, dass Konstantin sich in dieser Dedikationsinschrift „vor aller Welt (…) an denjenigen (wandte), für den er die Kirche (aula !) gegründet hatte: an den Triumphator Christus, dessen Hilfe er seinen eigenen Aufstieg offiziell zuschrieb, um parallel auch sich selbst als Sieger einzuführen“25. Daran zeigt sich auch ein neues Selbstverständnis, denn Konstantin sah sich nun als irdischer Herrscher und bezeichnete sich gegenüber den geweihten Bischöfen der Kirche als „Bischof für alle Angelegenheiten, die das Äußere der Kirche betreffen (ἐπίσκοπος τῶν ἐκτός)“26. Eusebius nennt den Kaiser in seiner 335 vor Konstantin gehaltenen Tricennatsrede schließlich als „Gottes Freund“ (ὁ τῷ θεῷ φίλος), der „ein Abbild der himmlischen Herrschaft trägt und in Nachahmung des Höchsten selbst die Verwaltung aller irdischen Aufgaben steuert“27. Damit war, wie Richard Klein in seiner Untersuchung über das Kirchenbauverständnis Konstantins feststellt, ein Endpunkt erreicht, denn es sei nach Auffassung des Eusebius die Errichtung der Kirchenbauten geradezu „die vornehmste Aufgabe des Herrschers, sind sie doch die sichtbaren Siegeszeichen für die sich ausbreitende Macht des universellen Weltenherrschers“28.

25 Arbeiter 1988, 58; 214–215. 26 Eusebius, v. Const. 4, 24 (ed. Keil 1989, 224–225); dazu: Süßenbach 1977, 64; Klein 2002, 220. 27 Laus Constantini 3, 3 und 5, 2 (übersetzt nach GCS 7, 198–199). Dazu: Süßenbach 1977, 15; 138 Anm. 23; Klein 2002, 228–230. 28 Klein 2002, 228–233. – Dazu auch: Süßenbach 1977, 102– 107.

Über Vorhaben für Kirchenbauten in den auch von Konstantin genutzten tetrarchischen Residenz­ orten Mailand, Sirmium, Serdica und Thessaloniki ist nichts bekannt. In der ersten Hälfte seiner Herrschaft waren neben Trier auch Arles und Aquileia als Aufenthaltsorte Konstantins von Bedeutung. Gerade Arles, Geburtsort des Kaisersohns Con­ stantinus II. (316), hatte durch die im Jahre 314 von Konstantin einberufene Synode und das 353 hier unter Constantius II. stattfindende Konzil auch für die christliche Gemeinde große Bedeutung und lässt entsprechende kirchliche Bauten erwarten, die aber bislang nicht unmittelbar mit Konstantin in Verbindung zu bringen sind29. Nach seinem Sieg über Licinius 324 diente ihm zunächst Nicomedia als Residenz. Hier habe er nach Eusebius die alte Kaiserresidenz „durch den Bau einer sehr großen und herrlichen Kirche (ausgezeichnet), da er auch dort aus seinem eigenen Schatze seinem Erlöser ein Denkmal zu Ehren seines Sieges über seine und Gottes Feinde errichten wollte“30. Ob er eine neue Kirche errichtet hatte oder die alte Bischofskirche nur erweitern und ausschmücken ließ, ist unklar. Mit dem ab 324 begonnenen Ausbau des alten Byzantion wurde 330 die neue Residenz Konstantinopel feierlich eingeweiht31. Nach Eusebius habe Konstantin die nach ihm benannte Stadt mit „mehreren Bethäusern und sehr großen Kirchen zu Ehren der Märtyrer, teils in den Vorstädten, teils in der Stadt selber“ ausgeschmückt32. Aufgrund der Behauptung des Eusebius, dass Konstantin dadurch „sowohl das Andenken der Märtyrer ehren als auch seine Stadt dem Gott der Märtyrer weihen“ wollte, wurde angenommen, der Kaiser habe Konstantinopel als eine „christliche Stadt“ errichten wollen33. Eine kritische Sichtung nachweisbarer Befunde zeigt jedoch, dass nur Weniges auf Konstantin selbst zurückzuführen ist34. Es ist davon auszugehen, dass Eusebius bewusst alles, wie beispielsweise die in Konstantinopel vorhandenen heidnischen Tempelbauten, unerwähnt ließ, denn der Kaiser, „gänzlich von göttlicher Weisheit erfüllt“, habe sogar beschlossen, „allen Götzendienst aus der Stadt zu entfernen“35. Albrecht Berger stellt fest: „Konstantinopel war ohne Zweifel die erste christliche Metropole, aber die Stadt wurde nicht von vornherein als solche begründet, und die Entwicklung vollzog sich in mehreren Stufen über einen langen Zeitraum hin“36. So sei es also „ein immer

29 30 31 32 33 34 35 36

Heijmans 2006, 217–218. Eusebius, v. Const. 3, 50 (BKV 9, 125). Engemann 2007, 160–161. Eusebius, v. Const. 3, 48 (BKV 9, 124). Krautheimer 1983, 40. Berger 2003, 64; Kuban 2006, 223. Eusebius, v. Const. 3, 48 (BKV 9, 124) Berger 2003, 71.

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Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins

noch verbreiteter Irrtum anzunehmen, Konstantin habe eine christliche Stadt (im Gegensatz zum ‚heidnischen‘ Rom) geplant“37. Was die Kirchenbauten betrifft, geht man heute davon aus, dass unter Konstantin zunächst die alte, bereits im alten Byzantion bestehende Irenenkirche (Hagia Eirene) als Bischofskirche erweitert wurde und vielleicht auch erste Planungen für die Sophienkirche (Hagia Sophia) entstanden, die vielleicht zunächst als Palastaula diente und erst unter Constantius II. in eine Kirche umgewandelt und im Jahre 360 geweiht wurde38. Beide, in der Nähe des Palastbereichs liegende, Kirchen bildeten schließlich einen zusammengehörigen Kirchenkomplex39. Bei den von Eusebius genannten „Märtyrerkirchen“ könnte es sich um die außerhalb der konstantinischen Stadtmauer gelegene Mokios-Kirche handeln, während die Kirche des Akakios innerhalb der konstantinischen Stadtmauer lag. Ob beide Kirchen schon unter Konstantin errichtet wurden, ist ungewiss40. Außerdem berichtet Eusebius, dass Konstantin, wie in Rom, neben der Bischofskirche und den Coemeterialkirchen auch Sorge für die Apostelkirche mit dem kaiserlichen Mausoleum trug, in welchem Konstantin 337 bestattet wurde. Die Lage des Grabbaues auf dem höchsten Punkt innerhalb der Stadtmauer war entgegen der sonst üblichen, außerhalb der Stadt gelegenen Grabbauten wohl bewusst gewählt worden, um auf die virtus des Kaisers zu verweisen41. Eusebius spricht von einem hoch aufragenden, kostbar ausgestatteten Bau. Wenn auch die genaue Gestalt unklar ist, so scheint es doch ein von einem Hof und Säulenhallen umgebener Zentralbau gewesen zu sein. Bemerkenswert ist, dass sich die Konzeption mit dem in Rom errichteten, ebenfalls in einem von Säulenhallen umgebenen Hof befindlichen Maxentiusmausoleum vergleichen lässt! Konstantin habe das Mausoleum errichtet, „um das Andenken der Apostel unseres Erlösers für alle Zeiten zu verewigen“, aber zunächst nicht erkennen lassen, dass er sich hier bestatten lassen wollte, doch sei dies bald „allen offenbar“ geworden. Er habe zwölf Kenotaphe „zu Ehren und zum Gedächtnisse der Apostelschar“ errichten lassen; „mitten unter sie stellte er aber seinen eigenen Sarg, zu dessen beiden Seiten je sechs Apostel standen“, um auf diese Weise apostelgleich zu sein, denn „er wollte so auch nach seinem Hinscheiden noch der Gebete gewürdigt werden, die dort zu Ehren der Apostel dargebracht würden“42 . Aus diesem Grunde habe er inmitten des 37 Schreiner 2007, 101. – Dazu auch: Herrmann-Otto 2007, 162–163. 38 Bauer 1996, 149; Kuban 2006, 226. 39 Heid 2019, 100. 40 Heid 2019, 102–103. 41 Bauer 1996, 130; dazu auch Heid 2019, 102. 42 Eusebius, v. Const. 4, 58–60 (BKV 9, 180–181)

Raumes einen Altar (θυσιαστήριον) errichten lassen, so wie sich auch im Helenamausoleum in Rom ein solcher Altar befunden hat. Stefan Heid weist darauf hin, dass es sich um einen „Stiftungsaltar“ gehandelt habe, „vom Kaiser allein dafür bestimmt, dass nach seinem Tod bei den Messen für ihn gebetet werde“, so dass man sich fragen könne, ob damit sogar „eine Art christianisierter Kaiserkult“ geschaffen war43. Erst unter seinem Sohn Constantius II. wurde in dem weiträumigen Hof um 355 die kreuzförmige Apostelkirche errichtet und erst 356 geweiht44. Schließlich berichtet Eusebius, dass Konstantin „auch in den übrigen Provinzen (…) die hervorragendsten Städte durch herrliche Bauten von Gebets­ häusern“ geziert habe und nennt die „Metropolis“ des Ostens, „die ihren Namen von Antiochos erhalten hat“45. Antiochia am Orontes (das heutige Antakya) war spätestens im ausgehenden 3. Jahrhundert n. Chr. das Verwaltungszentrum der Provinz Syria und zum römischen Residenzort ausgebaut worden. Eine bedeutende christliche Gemeinde gab es seit dem 1. Jahrhundert, so dass es für Kon­ stantin wohl aus politischen Gründen klug gewesen sein mag, auch in dieser Residenz neben der bestehenden alten Bischofskirche mit einem neuen, monumentalen Kirchenbau auf seine Religionspolitik hinzuweisen. So habe der Kaiser „eine an Größe und Pracht ganz einzigartige Kirche (geweiht), denn er umgab den ganzen Tempel von außen mit gewaltigen Mauern, im Innern aber ließ er das Bethaus zu unermeßlicher Höhe emporsteigen; es war gebaut in der Form eines Achteckes und rings umgeben von Räumen zu ebener Erde und im oberen Stocke. Auch schmückte er es reichlich mit viel Gold, Erz und anderem kostbaren und herrlichem Material“46. Leider sind archäologische Baubefunde zu diesem Bau im heutigen Antakya bisher nicht nachzuweisen; auch der Standort dieses ‚Goldenen Oktogons‘ ist nicht geklärt: Lag es auf der ‚Orontes-Insel‘ in der Nähe des Palastes oder im alten Stadtzentrum? Ferner bestehen über die genaue architektonische Gestalt viele Unklarheiten. Als Nachfolgebauten werden beispielsweise die Hagios Sergios und Backchos-Kirche in Konstantinopel oder die Kirche San Vitale in Ravenna genannt47. Auch das ‚Goldene Oktogon‘, das man auch die ‚Große Kirche‘ nannte (ἡ μεγάλη ἐκκλεσία), wurde ebenfalls erst unter Constantius II. fertiggestellt und geweiht 48. Ob das

43 Heid 2019, 101. 44 De Blaauw 2006, 169; Kuban 2006, 230–231; Schreiner 2007, 25. 45 Eusebius, v. Const. 3, 50 (BKV 9, 125). – Zur Residenz: Jaeschke 2020, 67–94. 46 Eusebius, v. Const. 3, 50, 2 (BKV 9, 125–126). 47 Dazu: Deichmann 1972; Krautheimer 1095, 79–82; Hoepf­ner 2004, 3–9; Saliou 2014, 125–136. 48 Dazu Heid 2019, 105–106.

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auf dem Randstreifen des sogenannten Megalopsychia-Mosaiks aus Yakto, dem antiken Daphne, polygonale Gebäude das ‚Goldene Oktogon‘ wiedergibt, ist strittig49. Schließlich stellt sich auch die Frage, wie es sich in Trier, dem ersten Residenzort Konstantins verhält, das seit der diokletianischen Reichsreform Residenzort geworden war. In Analogie zu den literarischen Nachrichten wird es wohl auch in Trier innerhalb der Stadtmauern entsprechende Gebäude als Versammlungsorte der Christen gegeben haben, denn seit dem letzten Drittel des 3. Jahrhunderts lässt sich eine bischofsgeleitete Gemeinde nachweisen. Agritius, der vierte in der bis heute ununterbrochenen Trierer Bischofsliste, ist 314 als Teilnehmer des Konzils von Arles bezeugt. Ist auch Agritius jener kaiserlichen Forderung nach Kirchenbauten in „jeder Provinz“ nachgekommen? Die archäologische Erforschung der großen frühchristlichen Kirchenanlage Triers zeigt, dass sie nicht aus einem Guss entstanden ist, sondern das Ergebnis einer sich über das ganze 4. Jahrhundert hinziehenden Bauentwicklung ist. Ihre Anfänge liegen im südwestlichen Bereich des am Ende des 4.  Jahrhunderts 12.500 m2 großen und schließlich zwei Häuserquartiere umfassenden Kirchenzen­ trums. Westlich der heutigen Liebfrauenkirche wurde noch vor 320 über niedergelegten Wohnhäusern eine dreischiffige Basilika mit Rechteckchor (Südwestbasilika) errichtet, die man auch unter dem Aspekt der bis heute an diesem Ort andauernden Kulttradition als erste Bischofskirche bezeichnen kann; sie verdeutlicht die neue Stellung der Christengemeinde mit ihrem Bischof Agritius. Interessant ist, dass wohl zeitgleich Bischof Theodorus (ca. 308–319), der ebenfalls 314 Konzils­ teilnehmer war, in Aquileia, das seit 294 häufig kaiserlicher Residenzort war, über römischen Häusern eine Doppelkirche errichtete, die unter Bischof Fortunatianus (ca. 342–357) erstmals, eine öffentliche Straße überbauend, erweitert wurde50. Auch in Trier wurden unter dem Episkopat des Maximin (335/336–346/347) ab Mitte der 330er Jahre drei neue dreischiffige, ebenfalls mit einem Rechteckchor ausgestattete Basiliken errichtet. Sie wurden mit der älteren Basilika verbunden und bildeten so einen H-förmigen Baukomplex, in dessen Mitte sich ein großes Baptisterium befand. Die Mitwirkung des in Trier residierenden Kaisersohns Constantinus  II. (337–340) ist zumindest wahrscheinlich durch die ebenfalls notwendige Genehmigung der Überbauung einer öffentlichen Straße sowie des Abbruchs und Überbauung der östlich davon lie-

49 Jaeschke 2020, 78–79; Bauer 1996, 376–377; Deichmann 1982, 784. 50 Dazu: Glaser 2012, 59–81.

genden Stadtvilla, die wegen der Deckenmalereien aus dem sogenannten Prunksaal möglicherweise einst zum kaiserlichen Besitz gehört hatte51. Mit der das normale Maß übersteigenden Monumentalität war die Trierer Kirchenanlage nun den großen Kirchenbauten anderer Kaiserresidenzen ebenbürtig und konnte durchaus mit den Kirchenbauprojekten in den anderen Kaiserresidenzen konkurrieren. Bischof Atha­nasius hatte bei seinem Exil in Trier von 335 bis 337 diese Kirchenanlage noch im Bau gesehen und liefert ein erstes urkundliches Zeugnis für die Trierer Bischofskirche. In seinem Schreiben an Kaiser Constantius II. rechtfertigt er sich, warum er in Alexandria in der noch unfertigen und noch nicht geweihten Großen Kirche Gottesdienst gefeiert habe, denn solches habe er sowohl in Trier als auch im Jahre 345 in Aquileia erlebt, wobei in Aquileia sogar Kaiser Constans an dem Gottesdienst teilgenommen habe52. In den späten 340er Jahren wurde in Trier die Nordostbasilika im Bereich des heutigen Doms niedergelegt und der sogenannte Kernbau begonnen, aber nur wenig über den Fundamenten im Bau gestoppt, wohl nachdem Bischof Paulinus (347–358) als unerschrockener Verfechter der Orthodoxie nach dem Konzil in Arles 353 von Constantius II. nach Phrygien verbannt wurde. Erst unter Valentinian I. und Gratian wurden die Bauarbeiten Ende der 360er Jahre unter Veränderung des Konzeptes wiederaufgenommen. Es entstand mit der Aufstellung der vier Granitsäulen, die wohl ursprünglich zum Bau des Frigidariums der Trierer Kaiserthermen vorgesehen waren, nun der sogenannte Quadratbau und erhielt seine charakteristische zentrale Raumstruktur, für die sich in der spätantiken Architektur kein unmittelbarer Vergleich findet. Die Bauarbeiten an der Kirchenanlage waren jedoch erst im Laufe der 390er Jahre unter Kaiser Valentinian II., der seit 389 in Trier residierte und 392 in Vienne ermordet wurde, und unter Bischof Felix (386–398/399) beendet. Auch in Aquileia war fast gleichzeitig unter Bischof Chromatius (388–408) die Bischofskirche erneut erweitert und ebenfalls zu einer monumentalen Doppelkirchenanlage geworden. Bemerkenswert ist, dass die Baustelle des Trierer Quadratbaus gut 30 Jahre, wenn man die Fundamentlegung berücksichtigt, sogar fast 50 (!) Jahre gedauert hat53 (Abb. 3). Mehr noch als die Monumentalisierung der Kirchenanlage in den 330er Jahren konnte der reich

51 Zu den Baumaßnahmen auf öffentlichem Grund: Noeth­ lichs 2003, 184. 52 Apologia ad Constantium, 15. – Dazu: Heinen 2002, 194– 211. 53 Zur Bauabfolge der Trierer Kirchenanlage: Weber 2007, 69–96.

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Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins

mit Marmor und Mosaik ausgestattete, lichtdurchflutete Quadratbau erneut wohl nur mit kaiserlicher Förderung realisiert werden. Jedem Besucher der Stadt wurde kurz vor der Verlegung der Kaiserresidenz nach Mailand (395) mit der imperialen Palastaula die kaiserliche Sphäre einerseits, andererseits aber auch mit dem hoch aufragenden Quadratbau die besondere Stellung des Trierer Bischofs vor Augen geführt, in einer Zeit, in der die kaiserliche Gesetzgebung die heidnische Kultausübung mehr und mehr einschränkte und schließlich verbot. Ungeklärt ist bis heute die Frage, welche Absicht mit dem Bauprojekt des Quadratbaus verbunden war. Vielleicht geben die in den Verputz der das Presbyterium der Südostbasilika abschrankenden Mauern eingeritzten Graffiti (Christogramme, Namen und Christusanrufungen) Hinweise, denn sie sind nicht nur sichere Zeugnisse für die Bischofskirche, sondern belegen einen von den Gläubigen viel besuchten ‚heiligen‘ Ort, womöglich mit einem besonderen ‚Heiligtum‘. War es vielleicht eine Kreuzreliquie? Möglicherweise gelangten Kreuzreliquien auch nach Trier, denn nach dem Zeugnis des Cyrill von Jerusalem (348/350–386) soll um die Mitte des 4. Jahrhunderts „vom Heiligen Holz des Kreuzes (…) jetzt fast der ganze Erdkreis erfüllt“ gewesen sein54. Dass sich die Graffiti in der Südostbasilika befanden, mag mit der langen Bauzeit des Quadratbaus zu erklären sein, doch fehlen leider für Kreuzreliquien im 4. Jahrhundert in Trier sichere Belege, so dass es nur eine Vermutung bleiben muss. Auch der Nachweis einer Kreuzreliquie im ältesten erhaltenen Verzeichnis des Trierer Domschatzes von 1238 hilft in diesem Fall nicht weiter. Bei den in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts erfolgten Eroberungen Triers durch germanische Stämme wurde der monumentale bischöfliche Kirchenkomplex beschädigt, aber wieder repariert und schließlich in der Jahrhundertmitte komplett zerstört. Ob und in welchen Bereichen weiterhin eine Nutzung möglich war, ist unbekannt. Erst die Entscheidung des Bischofs Nicetius (525/26–566) zu einem Wiederaufbau der frühchristlichen Kirchenanlage bedeutete eine Wiederbelebung der bischöflichen Residenz am alten Ort. Die von Konstantin errichteten oder geförderten und reich ausgestatteten Kirchenbauten in den kaiserlichen Residenzen zeigen sehr deutlich, wie mit Hilfe dieser Bautätigkeiten einerseits die kaiserlichen Tugenden der pietas und dignitas, andererseits aber auch die neue Religionspolitik deutlich gemacht werden konnten. Am Beispiel der Kirchenanlage in Trier zeigt sich, dass dieses Ziel nicht nur die Söhne Konstantins, sondern auch die Kaiser Va-

54 Cyrillus, cat. IV, 10. – Zur Verbreitung der Kreuzreli­ quien: Heinen 1995, 83–117, hier: 94–95.

lentinian I. und Gratian verfolgten. Zugleich wurde dadurch aber auch die stets wachsende Bedeutung der christlichen Gemeinden mit ihren Bischöfen deutlich.

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Abb. 3: Trier, Kirchenanlage, Zustand um 395.

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Die Kirchenbauten in den Residenzorten Konstantins

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