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German Pages 371 [374] Year 2022
Warschau gegen Moskau Prometheistische Aktivitäten zwischen Polen, Frankreich und der Türkei 1918–1939
Geschichte
Zaur Gasimov
Franz Steiner Verlag Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa Herausgegeben vom Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker e.V.
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Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa Begründet von Manfred Hellmann Weitergeführt von Erwin Oberländer, Helmut Altrichter, Dittmar Dahlmann, Ludwig Steindorff, Jan Kusber und Julia Obertreis In Verbindung mit dem Vorstand des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und -historiker e.V. herausgegeben von Martin Aust Band 95
Zaur Gasimov
WARSCHAU GEGEN MOSKAU Prometheistische Aktivitäten zwischen Polen, Frankreich und der Türkei 1918–1939
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Umschlagabbildung: Kaukasische Politemigranten legen einen Kranz zu Ehren von Jozef Pilsudski nieder. Das Bild wurde vor der Krypta der Wawel-Kathedrale in Krakau im Juni 1936 aufgenommen und erschien ursprünglich auf der Titelseite der nordkaukasischen Zeitung „Severnyj Kavkaz“ 26 ( Juni 1936). Gedankt sei Cem Kumuk für die Bilddatei. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Layout, Satz und Herstellung durch den Verlag Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13262-6 (Print) ISBN 978-3-515-13267-1 (E-Book)
Vorwort
Mit dem Thema des Prometheismus kam ich noch vor meiner Auswanderung nach Deutschland in Berührung. Es waren der Arabist und Nahosthistoriker Rafiq Ismaylov (1939–2017) und der Osteuropahistoriker Eldar Ismaylov (1950–2014), die in ihren Vorlesungen an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Bakuer Staatsuniversität über die europäischen Kontakte aserbaidschanischer Emigranten in der Zwischenkriegszeit referierten. In dieser Zeit entstand mein Interesse an der kaukasischen Emigration und somit an der kaukasischen Geschichte außerhalb des Kaukasus. Während des Studiums der osteuropäischen Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der darauffolgenden Forschungs- und Lehrtätigkeit in Mainz sowie der Forschungsaufenthalte in Warschau, Paris und in Istanbul verstand ich immer deutlicher, dass die Geschichte(n) enger verflochten und die Personen untereinander deutlich vernetzter und ihre Netzwerke im wahrsten Sinne international aufgebaut waren, als die Historiker in Baku es vermutet hatten. Mein zunächst vages Interesse bekam in Mainz und Istanbul Form und Inhalt und mündete nach vielen Forschungsund Archivaufenthalten nun in diese Arbeit. Das Projekt wurde als integraler Bestandteil des Forschungsprogramms am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte 2009 angesiedelt und finanziert. An dieser Stelle möchte ich herzlich den Direktoren der Abteilung Universalgeschichte des IEG Mainz Herrn Prof. Dr. Heinz Duchhardt, seinem Nachfolger Prof. Dr. Johannes Paulmann, aber auch Frau Prof. Dr. Irene Dingel danken, die jede meiner Dienst- und Archivreisen unterstützten und somit die Erstellung dieses Buches ermöglicht haben. Für zahlreiche Gespräche um die polnische und internationale Geschichte bin ich Dr. Małgorzata Morawiec, Dr. Urszula Pękala und Prof. Dr. Fabian Klose verbunden. Von 2013 bis 2019 war ich an meiner neuen Arbeitsstelle am Orient Institut Istanbul (Max Weber Stiftung) angesiedelt und arbeitete an den Türkei-bezogenen Kapiteln des Projekts. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Prof. Dr. Raoul Motika und Dr. Richard Wittmann bedanken. Den Bibliotheksleiterinnen Dr. Ines Grund (IEG Mainz) und Dr. Astrid Menz (OII) möchte ich dafür danken, dass sie mich bei vielen Sonderanschaffungen stets unterstützt haben.
6
Vorwort
Unter der wissenschaftlichen Betreuung meines ‚Habilvaters‘, Prof. Dr. Jan Kusber vom Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, entstand diese Geschichte des Prometheismus, einer antikommunistischen Netzwerkaktivität der kaukasischen, ukrainischen, krim- und kasantatarischen, zentralasiatischen und kosakischen Exilanten zwischen den europäischen Metropolen. An Jan Kusber, der immer ein offenes Ohr für mich hatte, geht ein besonderes Dankeschön. Es war ein großer Gewinn das Thema mehrmals im Rahmen seines Kolloquiums in Mainz vorzustellen. An dieser Stelle möchte ich auch den Professoren Robert Traba (Polnische Akademie Berlin), Hans-Jürgen Bömelburg (Universität Gießen) und Martin Schulze Wessel (LMU) danken, da sie mich zu Präsentationen des Projekts an ihren Institutionen eingeladen haben. Herrn Prof. Dr. Stefan Troebst und seinem Team sei gedankt für die Einladung, sich am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig 2012 und erneut 2013 im Rahmen des Post-Panslavismus-Projekts auszutauschen. Für seine Unterstützung möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Martin Aust (Universität Bonn) bedanken: mit ihm habe ich mich besonders intensiv seit 2018 ausgetauscht. Das Projekt wäre nie ohne Interaktion mit meinen polnischen KollegInnen entstanden. Es war Jan Malicki von der Abteilung für Osteuropa-Studien der Universität Warschau (Studium Europy Wschodniej UW), der mich mehrmals zu seinen Prometheismus-Tagungen einlud; und Prof. Dr. Marek Kornat, Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej (1956–2021) und Dr. Paweł Libera gaben mir neue Einblicke in die diplomatische Welt der Zweiten Polnischen Republik. Auch dem Piłsudski-Experten, Herrn Prof. Dr. Andrzej Nowak, möchte ich für die Gespräche in Krakau und Warschau danken. Merci und madloba gelten Dr. Georges Mamoulia, der mir während der Aufenthalte in Paris zur Seite stand und keine meiner Fragen zur georgischen Emigration unbeantwortet ließ. Herzlich möchte ich mich auch beim Prof. Dr. Maissen bedanken, für die Möglichkeit mehrfach die Infrastruktur des DHI Paris während der Arbeit in den französischen Archiven und an der Bibliothéque Nationale zu nutzen. Dr. Etienne Copeaux (Paris), Prof. Dr. Timothy Snyder (Yale), Dr. Volker Adam (Halle/Saale), Dr. Nasiman Yaqublu (Baku), Dr. Oliver Reissner (Tiflis), Dr. David Kolbaja (Warschau) und Dr. Vilayet Quliyev (Warschau/Budapest) sei ebenfalls für wiederholten gewinnbringenden Austausch gedankt. Für aufmerksames Lektorieren möchte ich mich bei meinen studentischen Assistenten Florian Kirmes und Sebastian Zachrau herzlich bedanken. Nicht zuletzt geht ein herzliches Dankeschön an Frau Stüdemann, die mich und meine Monografie beim Franz Steiner Verlag begleitete. Nun hätten all diese Kontakte und Austauschforen nichts gebracht, wenn ich von meiner Mutter Elmira Asadullayeva, meiner Tochter Azade und vor allem von meiner Frau Dr. Wiebke Bachmann nicht tatkräftig unterstützt worden wäre. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Bonn, Januar 2022
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitionsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 23 25 30 35 44
Prometheistische Geisteswelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Polnische Ordnungsentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Interaktion vor und während des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Inter-imperiale Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Polen und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Polen und die Osmanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Polen, Kaukasus, Finnland und Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Ideenzirkulation um das Schwarze Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 (Exil-)Russische Ordnungsentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Russländische Eurasier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Kommunismus: Phobien und Sympathien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 54 59 72 72 76 78 81 86 87 90
1.
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2.
95 3.1 Erste (Miss-)Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.2 Zeitung „Przymierze“ 1920–21. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.3 Exilanten und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.
Polen eignet sich den Osten an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Istanbul als prometheistischer Vorposten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 „Yeni Kafkasya“ (1923–1927) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Komitee Unabhängiger Kaukasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 „Nationale Union Turkestans“ (1927) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.
120 122 127 133
8
Inhaltsverzeichnis
4.4 Prometheisten als Orientalisten und Osteuropa-Experten . . . . . . . . . . . . . . . 136 Polens Kampf gegen die UdSSR in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5.1. Annäherung 1920–26 in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5.2 „Prométhée“. Die ersten Jahre 1926–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5.2.1 Kaukasische Konföderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5.2.2 Die Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5.2.3 Prometheisten ‚nichtprometheistischer Völker‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.2.4 Auseinandersetzung mit Exilrussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5.2.5 Kritik an der sowjetischen Außen- und Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 5.3 „Prométhée“ 1928–30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5.4 Polen als Drahtzieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.5 Zwischen polnischen und eigenen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5.5.1 Die Zarevand-Affäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.5.2 Beginn des prometheistischen Endes: Die Agabekov-Affäre . . . . . . . . . . 198
5.
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Die Gründung des „Wschód“ (1930) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Warschau als sowjetologisches Mekka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Der Muslimische Kongress von 1931 in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Das „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ (1932–1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Helsinki: Der „Yeni Turan“ und der Prometheus-Klub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Kosaken und Kalmücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Fernost im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Prometheisten als Mittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
7.
1932–1935: Die Jahre der Spaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
245 Memorandum von Volodymyr Murs’kyj . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Rüstembeyli versus Rasulzade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Der Linguistikkongress von 1936 in Warschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Der Streit um die Krim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
Prometheisten vor dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 8.1 Das ‚Dritte Europa‘ versus die Prometheus-Front . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 8.2 Inszenierung der staatlichen Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 8.3 Neue Zeitschriften der Prometheisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
8.
9.
Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Inhaltsverzeichnis
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
9
Abkürzungen
AA AAN AKS ARF ApA AP RF Bd. BPU CA FSB RF CAW CEHD CERCEC EHESS EJTS FSB GARF GPU GRU INO KGB KPdSU MSZ NATO NKVD NP OGPU OKM OUN ÖMZ ÖZG
Auswärtiges Amt Archiwum Akt Nowych (poln. Archiv Neuerer Akten) Akateeminen Karjala Seura (finn. Akademische Karelische Gesellschaft) Armenian Revolutionary Federation Außenpolitisches Amt der NSDAP Archiv (Administracii) Prezidenta Rossijskoj Federacii (russ. Präsidialarchiv der Russländischen Föderation) Band „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ (poln. Polnisch-Ukrainisches Bulletin) Central’nyj Archiv Federal’noj Služby Bezopasnosti Rossijskoj Federacii (russ. Zentralarchiv des Bundessicherheitsdienstes der Russländischen Föderation) Centralne Archiwum Wojskowe (poln. Zentrales Militärarchiv) Centre d’études d’histoire de la défense Centre d’études des Mondes Russe, Caucasien et Centre-Européen École des Études en Sciences Sociales „European Journal of Turkish Studies“ Federal’naja Služba Bezopasnosti (russ. Bundessicherheitsdienst) Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii (russ. Staatliches Archiv der Russländischen Föderation) Gosudarstvennoe političeskoe upravlenie (russ. Staatliche politische Verwaltung) Glavnoe Razvedovatel’noe Upravlenie (russ. Oberste Untersuchungsbehörde) Inostrannyj otdel (russ. Abteilung Ausland) Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti (russ. Kommittee für Staatssicherheit) Kommunistische Partei der Sowjetunion Ministerstwo Spraw Zagranicznych (poln. Außenministerium) North Atlantic Treaty Organization Narodnyj Komissariat Vnutrennich Del (russ. Volkskommissariat des Inneren) „Nowy Prometeusz“ (poln. Der Neue Prometheus) Ob’edinennoe Gosudarstvennoe Političeskoe Upravlenie (russ. Vereinigte staatliche politische Verwaltung) Orientalistyczne Koło Młodych (poln. Verband der Nachwuchsorientalisten) Orhanizacija Ukrains’kich Nacionalistiv (ukr. Organisation Ukrainischer Nationalisten) „Österreichische Militärische Zeitschrift“ „Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“
Abkürzungen
PAAA PRL RGVA RKKA RP RPK SSR Sygn. SVU TK UdSSR UNDO USA UVO UW ZfOF ZSRR ZZNO
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Polska Rzeczpospolita Ludowa (poln. Volksrepublik Polen) Rossijskij Gosudarstvennyj Voennyj Archiv (russ. Russländisches Staatliches Militärarchiv) Raboče-Krest’janskaja Krasnaja Armija (russ. Die Rote Arbeiter- und Bauernarmee) Rzeczpospolita Polska (poln. Republik Polen) Russkij Političeskij Komitet (russ. Russisches Politisches Komitee) Sowjetische Sozialistische Republik sygnatura (poln. Signatur) Sojuz vyzvolennja Ukrainy (ukr. Union / Bund zur Befreiung der Ukraine) „Türk Kültürü“ (türk. Türkische Kultur) Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken Ukrains’ke Nacional’no-Demokratyčne Ob’ednanne (ukr. Ukrainische NationalDemokartische Allianz) United States of America Ukrains’ka Vijs’kova Orhanizacija (ukr. Ukrainische Militärorganisation) Uniwersytet Warszawski (poln. Universität Warschau) „Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung“ Związek Socjalistycznych Republik Radzieckich siehe UdSSR Związek Zbliżenia Narodów Odrodzonych (poln. Verband für die Annäherung der unabhängig gewordenen Völker)
11
1.
Einleitung
Die Winter- und Frühlingsmonate 1954–1955 waren für den 65-jährigen krimtatarischen Emigranten Cafer Seydahmet Kırımer (1889–1960) eine intensive Zeit. Der ehemalige Politiker versuchte die Gunst der Stunde zu nutzen: Knapp zwei Jahre nach dem NATO-Beitritt der Türkei und beinahe zwei Jahre nach dem Tod Stalins fühlte sich Seydahmet genötigt, politisch aktiver zu werden. Er trat in intensiven Austausch. In einem Eintrag am 3. Mai 1954 schrieb Seydahmet in sein Tagebuch: „Um 16.00 Uhr ging ich zum Andenken an den Tag der polnischen Unabhängigkeit in die georgische Kirche. Dort traf ich mich mit Sandro, Kielczyński, Gazi Han und Decei“1. Sandro Menagari war ein georgischer Emigrant, der mit seiner polnischen Ehefrau kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus Paris wegzog und nach Istanbul übersiedelte.2 Apolinary Kielczyński3 war ein polnischer Diplomat, der seit 1928 als Presseattaché in Sofia und in Istanbul tätig war und nach 1945 in den Diensten der polnischen Exilregierung in London blieb. Der gebürtige Ossete, in Prag ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler Gazi Han Besolt, ähnlich wie auch der rumänische Osmanist und Kommunismusgegner Aurel Decei4, weilte zu dem Zeitpunkt bereits seit zehn Jahren in Cafer Seydahmet Kırımer’in Günlüğü, hg. von İsmail Otar und Ömer Özcan, Ankara 2003, S. 14. Zu Sandro Menagari (Alexander Menagarišvili) ist leider nicht viel bekannt. Er kam nach Paris in den frühen 1920er Jahren und arbeitete eng mit der georgischen Exilregierung um Noj Žordania zusammen. Danach näherte er sich der georgischen Rechten um Spiridon Kedia an und verließ 1940 Frankreich. In Istanbul, seiner neuen Wahlheimat, unterhielt er enge Kontakte zu den krimtatarischen, nordkaukasischen und polnischen Exilanten und Aktivisten und versuchte, Kontakte zu den US-amerikanischen und japanischen Diplomaten aufzunehmen. Dem polnischen Historiker Przemysław Adamczewski zufolge starb Menagari 1960. Vgl. ders.: Listy dotyczące osób pochodzenia kaukaskiego służących w Wojsku Polskim i działaczy ruchu prometejskiego, przechowywane w polskich archiwach w Londynie, in: Studia z Dziejów Rosji i Europy Środkowo-Wschodniej 50:2/157 (2015), S. 161. 3 Apolinary Kielczyński (1904–1968) wanderte 1956 in die USA aus und betätigte sich journalistisch. 4 Aurel Gheorghe Decei (1905–1976) war ein rumänischer Nahost-Historiker, Osmanist und Exilpolitiker. Ausgebildet an der Universität in Cluj und in Paris trat Decei 1940 in den diplomatischen Dienst ein und wurde nach Istanbul entsandt. 1947 weigerte er sich nach Rumänien zurückzukehren, nahm Lehraktivitäten an der Universität Istanbul auf und engagierte sich aktiv im antisowjetischen intellektuellen Milieu in der Türkei. Infolge einer gemeinsamen sowjetisch-rumänischen Operation wurde Decei 1957 nach Bukarest entführt. Mehr zu Decei vgl. „Destinul desperării“ unui orientalist de excepţie – Aurel Decei, hg. von Geor1 2
Einleitung
Istanbul.5 Das barocke Gebäude der georgischen katholischen Kirche Notre Dame de Lourdes in einem alten christlichen Viertel Istanbuls scheint ein wichtiger Treffpunkt für Emigranten aus der Sowjetunion und dem Ostblock gewesen zu sein. Die Emigranten nahmen z. B. an Gottesdiensten zu Ehren der polnischen Unabhängigkeit am 3. Mai und am 11. November 1954, aber auch in den Jahren danach teil. Mit Kiełczyński schien sich Seydahmet des Öfteren zu treffen. Laut dem Tagebucheintrag vom 20. Oktober 1954 verabredete er sich mit dem Polen, um ihm von seinen Briefen zu erzählen, die er an [Włodzimierz, Z. G.] Bączkowski6 und [Tadeusz, Z. G.] Schaetzel geschrieben hatte.7 Seydahmets Polnischkenntnisse waren rudimentär. Höchstwahrscheinlich verfasste er diese Briefe auf Krimtatarisch oder Türkisch und ließ sie sich dann von seinem jüngeren Mitstreiter, İbrahim Şükrü Otar8, der mit einem polnischen Stipendium von 1934 bis 1939 an der Universität Warschau Jura studiert hatte, ins Polnische übersetzen. Nach dem Treffen mit Kiełczyński traf sich Cafer Seydahmet mit dem britischen Diplomaten Neil McLean9 und besuchte mit ihm zusammen den Istanbuler Literaturprofessor Reşit Rahmeti Arat10. Davor und danach
geta Filitti, in: http://ziarulmetropolis.ro/destinul-disperarii-unui-orientalist-de-exceptie-aurel decei/ (Zugriffsdatum: 15.05.2018); Matei Cazacu: Aurel Decei (1905–1976), in: Anatolia Moderna. Yeni Anadolu 3 (1992), S. 2–9, in: https://www.persee.fr/doc/anatm_1297–8094_1992_num_3_1_897 (Zugriffsdatum: 17.02.2021). 5 Alternativ wurde der Name oft als Kazi Beşolt geschrieben. Von Istanbul aus wanderte er nach München aus und schloss sich vermutlich dem intellektuellen Kreis um Radio Free Europe an. 6 Włodzimierz Bączkowski (1905, in der Nähe des Baikal-Sees – 2000, Washington) wurde 1905 als Sohn einer Familie polnischer Deportierter in Sibirien geboren. Er nahm am Unterricht einer russischen Schule teil und wurde somit bereits als Kind mit der Russifizierungspolitik im Zarenreich konfrontiert. Nach der Rückkehr nach Polen gehörte Bączkowski zu den wichtigsten Aktivisten der prometheistischen Netzwerke. Er redigierte die Zeitschriften „Wschód“ und „Biuletyn polsko-ukraiński“. Nach der deutsch-sowjetischen Okkupation Polens 1939 wurde er nach Rumänien und in die Region des Nahen Ostens versetzt. In den 1950er Jahren wanderte er in die USA aus. 2000 starb Bączkowski in Washington DC, wo er u. a. als Bibliothekar an der Library of Congress tätig war. Siehe Włodzimierz Bączkowski: O wschodnich problemach Polski. Wybór pism, hg. von Jacek Kloczkowski und Paweł Kowal, Krakau 2000. 7 Cafer Seydahmet Kırımer’in Günlüğü, hg. von İsmail Otar und Ömer Özcan, Ankara 2003, S. 30. 8 İbrahim Şükrü Otar (1913, Bursa – 1986, Istanbul) war ein türkischer Intellektueller krimtatarischer Herkunft. Geboren in einer exilkrimtatarischen Familie in Bursa studierte er Jura in Polen. Nach der Rückkehr aus Polen war Otar ähnlich wie sein Bruder İsmail Otar (1911, Bursa – 2005, Istanbul) aktiv im exilkrimtatarischen Milieu. Mehr zu den beiden Brüdern und ihren Kontakten zu Seydahmet siehe Zaur Gasimov: Krimtatarische Exil-Netzwerke zwischen Osteuropa und dem Nahen Osten, in: ÖZG 28 (2017) 1, S. 142– 166. 9 Oberst-Leutnant Neil Loudon Desmond McLean (1918–1986) war ein britischer Geheimdienstoffizier und Politiker. Während des Zweiten Weltkriegs war er für die antikommunistische Aktivität in Albanien zuständig. Nach dem Krieg fiel der Nahe Osten in sein Arbeitsfeld. 10 Reşit Rahmeti Arat (1900, Kasan – 1964, Istanbul) war ein türkischer Philologe und Literaturforscher kasantatarischer Herkunft. Nach dem Studium in Berlin wurde er 1933 nach Istanbul zum Professor des Alttürkischen berufen. Mehr zu Arat siehe den Beitrag von Nuri Yüce in der türkischen Islam-Enzyklopädie: http://www.islamansiklopedisi.info/dia/ayrmetin.php?idno=030336 (Zugriffsdatum: 25.05.2018); Ausführlicher bei Saadet Çağatay: Reşid Rahmeti Arat (15.5.1900–29.11.1964), in: Türk Tarih Kurumu Belleten XXIX 113 (1965), S. 177–193.
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ergaben sich mehrere Treffen mit den in der Türkei akkreditierten japanischen Diplomaten. In den darauffolgenden Wochen und Monaten erhielt Cafer Seydahmet Post von Bączkowski und Schaetzel aus den USA bzw. Großbritannien, und setzte seine Treffen mit Botschaftsangehörigen, Nachrichtendienstlern, westlichen Nahost- und Osteuropaexperten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen fort.11 Am 1. April 1955 eilte Cafer Seydahmet zum Café Lebon auf der Istanbuler Flaniermeile İstiklal Caddesi unweit des sowjetischen Konsulats. Dort traf er sich um 9:30 Uhr mit Michał Sokolnicki12, einem zum damaligen Zeitpunkt siebzigjährigen polnischen Wahl-Istanbuler. Sie besprachen die aktuelle Lage in der Sowjetunion, die Rolle des Marschalls Georgij K. Žukov im sowjetischen Machtgefüge und waren sehr aufgeregt und gespannt, ihren alten Bekannten Włodzimierz Bączkowski zu treffen.13 Die drei waren alte Freunde, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit dreißig Jahren kannten und seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nur über Briefe miteinander kommuniziert hatten. Nun aber verfolgten sie einen konkreten Plan, mit britischer und vor allem US-amerikanischer Finanzhilfe eine neue Organisation der Emigranten zu gründen, um gegen den Kommunismus und die Sowjetunion aktiv vorgehen zu können. Cafer Seydahmet Kırımer (1889–1960)14 war ein Paradebeispiel eines Prometheisten, ein Emigrant aus dem ehemaligen Zarenreich, der in seiner Ursprungsregion auf der Krim um 1917–1918 bereits politisch aktiv gewesen und gut vernetzt war. Zunächst vom Sozialismus begeistert, vertrat er eine zunehmend nationalistische Sichtweise. Sein Lebensweg führte ihn durch unterschiedliche Länder; er machte dabei Erfahrungen, die ihn bis zu seinem Tod im türkischen Exil prägten. Auf der russischen Krim, wo Cafer Seydahmet Kırımer in eine religiöse sunnitisch-muslimische, tatarische Mittelklassefamilie als Džafer Seid Achmed hineingeboren wurde, besuchte er
U. a. traf er sich mit dem prominenten französischen Orientalisten Jean Denny (1879–1963), dem an der American University of Beirut tätigen Historiker und Diplomaten Charles Warren Hostler (1920–2014), und dem US-amerikanischen Russlandhistoriker Richard Pierce (1918–2004), der in der Zeit an seiner Monografie zur russischen Zentralasienpolitik arbeitete, die 1960 in Berkeley unter dem Titel „Russian Central Asia, 1867–1917: A Study in Colonial Rule“ veröffentlicht wurde. 12 Michał Sokolnicki (1880, Kaszewy Kościelny – 1967, Ankara) war als Botschafter Polens in Ankara tätig und blieb dort nach der kommunistischen Machtübernahme in Polen. Er unterrichtete an der Fakultät für Sprache und Geografie der Universität Ankara. Die Zeit der diplomatischen Tätigkeit verarbeitete er im Werk „Ankarski dziennik“, das im Exil erschien und die Jahre 1939–45 umfasste. Sokolnickis Privatarchiv befindet sich im Polish Institute of Jozef Pilsudski in London und teils an der Universität Ankara. 13 Cafer Seydahmet Kırımer’in Günlüğü, hg. von Ismail Otar und Ömer Özcan, Ankara 2003, S. 59. 14 Mehr zum Leben und Wirken Seydahmets bei İbrahim Otar: Cafer Seydahmet Kırımer 1889–1960, in: Cafer Seydahmet Kırımer: Nurlu kabirler, hg. von İbrahim Otar, Istanbul 1991, S. 11–20. 11
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eine Dschadidistenschule15, die dort um 1900 eröffnet worden war.16 Diese Tatsache zusammen mit der kulturellen und geographischen Nähe Istanbuls zur Krim führten zur Entscheidung seiner Eltern, das weitere Studium ihres Sohnes auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres, und zwar in der osmanischen Hauptstadt zu fördern. Am Bosporus begegnete Cafer Seydahmet vielen anderen Russlandmuslimen17 wie z. B. dem Intellektuellen Yusuf Akçura18 aus Kasan, dem Journalisten und Aufklärer İsmail Gaspıralı19 von der Krim sowie dem aserbaidschanischen Publizisten Nasip Bey Yusufbeyli20 aus Gandscha.21 Im spätosmanischen Istanbul startete Seydahmet seine Die so genannten Dschadidistenschulen waren muslimische Sekundärschulen, die nach einem „usulücedid“ (einer neuen Methode) gegründet wurden. Angelehnt waren sie an das europäische Muster einer Bildungseinrichtung und sollten als Alternative zum bis dahin verbreiteten Modell religiöser Schulen „medrese/mekteb“ dienen. Mehr zum Thema der Dschadidisten siehe die umfassende Monografie von Adeeb Khalid: The Politics of Muslim Cultural Reform Jadidism in Central Asia, Berkeley u. a. 1999. 16 Rıza Effendi, ein in Istanbul ausgebildeter Krimtatare, war sein Grundschullehrer. Kırımer erinnerte sich in seinen Mémoiren, dass Rıza Effendi von der russischen Polizei verfolgt wurde und schließlich in die Türkei fliehen musste. Vgl. Seydahmet Kırımer: Bazı Hatıralar, Istanbul 1993, S. 32. 17 Es handelt sich bei den „Russlandmuslimen“ um einen innerhalb der deutschen Orientalistik eingeführten Sammelbegriff für die turkophonen und anderssprachigen Schiiten und Sunniten, die infolge der Expansion des Zarenreiches seit dem 15. Jahrhundert an das Imperium angeschlossen wurden. Vgl. Volker Adam: Rußlandmuslime in Istanbul am Vorabend des Ersten Weltkrieges: die Berichterstattung osmanischer Periodika über Rußland und Zentralasien, Frankfurt am Main 2002. Eine solche Selbstidentifikation war nur bei einem Teil der Russlandmuslime vorhanden. Nichtsdestotrotz erscheint mir dieser Begriff geeigneter als der von „Orientvölkern“ Russlands, dessen Unterscheidung nach vermeintlichen Kultur- und Zivilisationszugehörigkeiten fragwürdig ist und den man in der älteren Forschungsliteratur findet. Vgl. Patrik von zur Mühlen: Zwischen Hakenkreuz und Sowjetstern. Der Nationalismus der sowjetischen Orientvölker im Zweiten Weltkrieg, Düsseldorf 1971. 18 Yusuf Akçura (Akçuraoğlu, in der russischen Tradition: Jusif Akčurin) (1876, Simbirsk – 1935, Istanbul) war ein tatarischer Intellektueller aus Russland. Nach dem Studium und Aufenthalten in Paris, Istanbul und Fessan entwickelte sich Akçura zu einem prominenten Vertreter des türkischen Nationalismus, dessen Grundlagen er im bekannten Essay „Üç-Tarzı Siyaset“ 1904 darlegte. Akçura gilt als einer der Gründerväter der Turan-Ideologie. Unter Atatürk wurde er zum Leiter des Türk Tarih Kurumu, der wichtigsten geschichtswissenschaftlichen Institution der Türkei, berufen. Mehr zu Akçura siehe Azade-Ayse Rorlich: Volga Tatars: A Profile in National Resilience, Stanford 1986; James H. Meyer: Turks across Empires: Marketing Muslim Identity in the Russian-Ottoman Borderlands, 1856–1914, New York 2014. 19 İsmail Gaspıralı (Gasprinskij) (1851, Krim – 1914, Krim) war Begründer der bedeutendsten Zeitschrift der Russlandmuslime „Tercüman“. Er entwickelte die Grundlagen der turkophonen Annäherung und des Turanismus, nicht zuletzt durch den von ihm geprägten Slogan „Dilde, fikirde, işte birlik!“ [Einheit in Sprache, Gedanken und Tat]. Mehr zu Gaspıralı siehe Edward James Lazzerini: Ismail Bey Gasprinskii and Muslim modernism in Russia, 1878–1914 (PhD diss., University of Washington, 1973); Ulrich Hofmeister: Ein Krimtatare in Zentralasien: Ismail Gasprinskij, der Orientalismus und das Zarenreich, in: ÖZG 1/28 (2017), S. 114–141. 20 Nasip Bey Yusufbeyli (1881, Elisabethpol – 1920, Kürdemir) begann sein Jurastudium in Odessa, nachdem er das Gymnasium in seiner Heimatstadt Gandscha abgeschlossen hatte. Sein Studium sollte er jedoch bald abbrechen. Yusufbeyli schloss sich der Redaktion der Zeitschrift „Tercüman-Perevodčik“ an und zog auf die Krim um. 1908 folgte die Auswanderung nach Istanbul und ein Jahr später die Rückkehr nach Gandscha. Yusufbeyli wurde zum Bildungsminister in der kurzlebigen Transkaukasischen Republik im Frühjahr 1918 ernannt. In der im Mai 1918 gegründeten Republik Aserbaidschan erhielt er hohe Posten in der Regierung. 1920 wurde er von den Bolschewiki exekutiert. 21 Kırımer: Bazı Hatıralar, S. 61. 15
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politische Aktivität, indem er russlandkritische Blätter veröffentlichte und die Innenpolitik des Zarenreiches scharf verurteilte. Auf Druck der russischen Botschaft entzogen die osmanischen Behörden ihm das Bleiberecht. Von Istanbul aus reiste Seydahmet daher nach Paris, um dort sein Jura-Studium fortzusetzen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs und währenddessen fand Seydahmets Leben somit zwischen der Krim, Istanbul und Paris statt. Es kam zu einer immer dichteren Vernetzung mit den dortigen intellektuellen Milieus und Diskursen.22 Während sich Seydahmet von der jungtürkischen Bewegung im Istanbul der 1910er Jahre begeistern ließ, besuchte er die Sozialistenzirkel in Paris und setzte sich hier mit der französischen Kultur, Sprache und Politik auseinander. In Paris entdeckte Seydahmet außerdem für sich die Welt der russischen Literatur, und vor allem die von Fedor Dostoevskij23, dessen Werke er anfangs auf Französisch las. Unter seinen Bekannten war auch der tatarische Aktivist und Literat Ayaz Ishaki.24 Mit ihm und vielen anderen tauschte er sich über die damaligen politischen Ereignisse wie z. B. über den Balkankrieg aus, der ihn zutiefst erschütterte. Nach Jahren des Lebens und des Studiums am Bosporus und an der Seine, führte der Lebensweg den Krimtataren über Warschau nach Moskau und schließlich nach St. Petersburg, wo er sich wiederum dem Jura-Studium widmete. In St. Petersburg konnte Seydahmet seinem Interesse an der russischen Kultur intensiver nachgehen: Er ließ sich von den scharfsinnigen Kurzerzählungen Anton Čechovs, aber auch von der bewegenden Musik Sergej Rachmaninovs faszinieren. Hier erlebte er zudem die ethnische Vielfalt des ausgehenden Zarenreiches. Auch in der russischen Hauptstadt war Seydahmet unter neuen und alten Freunden: Aufgeklärte Russlandmuslime, in erster Linie kaukasische und tatarische Studenten der Petersburger Universität, bildeten das Milieu, in dem er sich am wohlsten fühlte. Darüber hinaus waren es die Nichtrussen (vor allem die Polen), zu denen Seydahmet bereits während des Studiums eine besondere Affinität empfand. In der Stadt an der Newa mietete er ein Zimmer bei einer polnischen Familie. An einer prominenten Stelle wies er in seinen Memoiren auf die polnische Herkunft des russischen Ökonomieprofessors Michail Tugan-Baranowski25 und des Rechtswissenschaftlers Léon Petrażycki26 hin, deren Vorlesungen und Semi-
Dies ist seinen Memoiren sowie den Publikationsprojekten zu entnehmen, an denen Seydahmet sich vor und nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt hat. 23 Kırımer: Bazı Hatıralar, S. 90. 24 Ebenda, S. 70. 25 Michail Tugan-Baranowski (1865, Charkow – 1919, bei Odessa) war ein Ökonom und Wirtschaftstheoretiker an der St. Petersburger Universität. Mehr dazu M. D. Kondratʼev: Michail Ivanovič Tugan-Baranovskij, http://gallery.economicus.ru/cgi-bin/frame_rightn.pl?type=ru&links=./ru/tugan/biogr/tugan_ b1.txt&img=bio.gif&name=tugan (Zugriffsdatum: 09.03.2021). 26 Léon Petrażycki (1867, Kołłątajowa – 1931, Warschau) war ein polnischer Rechtswissenschaftler und Philosoph. Nach dem Studium in Berlin, Heidelberg, Paris und London lehrte er an der Universität St. Petersburg. 1921 wanderte er nach Polen aus, wo er in Warschau den Lehrstuhl für Soziologie übernahm. 22
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nare er regelmässig besuchte. Vermutlich ähnlich wie Mustafa Čokaev27 aus Turkestan, der ebenfalls Rechtswissenschaften an der Petersburger Universität studierte, wusste Seydahmet von der Aktivität der geheimen polnischen Studentenvereine, die in der damaligen russischen Hauptstadt aktiv waren und bereits zwei Jahrzehnte vor ihm den aserbaidschanischen Jurastudenten und späteren prometheistischen Aktivisten, Ali M. Topčibaši, begeistert hatten.28 In St. Petersburg traf er auf Intellektuelle aus dem Nahen Osten wie Said Šamil29, den Enkel des bekannten Rebellenanführers aus dem 19. Jahrhundert Scheich Šamil.30 1917 besuchte Seydahmet in Moskau den Allrussischen Muslimkongress, wo er u. a. die aserbaidschanischen Politiker Mehmet Emin Rasulzade31 und das Duma-Mitglied, den bereits erwähnten Topčibaši32, sowie den baschkirischen
Mustafa Čokaev (in der türkischen Version Mustafa Çokay(oğlu)) (1890, Turkestan – 1941, Berlin) war einer der Organisatoren und Durchführer des Kokander Aufstandes 1917 und Gründer des turkestanischen Staatsgebildes auf dem Territorium des heutigen Zentralasiens. Nach dem Scheitern des Staatlichkeitsversuchs befand er sich seit 1919 im Exil, zuerst in Tiflis, danach in Istanbul und schließlich im Pariser Vorort Nogent-sur-Marne. In Frankreich entfaltete er eine rege publizistische Aktivität, die auch im Milieu der französischen Orientalisten und Intellektuellen registriert wurde. Im Oktober-Heft von „Prométhée“ 1928 wurde ein positiver Rezensionsartikel des französischen Sozialisten Longuet bezüglich des Buches Mustafa Čokaevs „Chez les Soviets en Asie Centrale“ abgedruckt, den Longuet in „Le Populaire“ veröffentlicht hatte. (L’Imperialisme Russe dans le Turkestan, in: Prométhée 23 (Oktober 1928), S. 21–23.) Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs arbeitete Čokaev mit Deutschland zusammen und starb letztlich unter unklaren Umständen in Berlin. 28 Dr. A. Oktay: Türkistan Millî hareketi ve Mustafa Çokay (Merhumun 60ıncı doğum yılı münasebetile), Istanbul 1950, S. 19; N84: Pis’mo A. M. Topčibaši T. Golovko, pol’skomu politiku i blizkomu soratniku Ju. Pilsudskogo, s vyraženiem blagodarnosti za vydelennuju emu pol’skim pravitel’stvom ličnuju subsidiju, a takže kratkim očerkom azerbajdžansko-pol’skich vzaimootnošenij (23./25.09.1926), zitiert nach: A. M. Topčibaši. Parižskij archiv 1919–1940, hg. von G. Mamulija und R. Abutalybov, Bd. 3: 1924–1930, Moskau 2017, S. 310. 29 Muchammad Said Šamil (1901, Medina – 1981, Istanbul) war ein prominenter nordkaukasischer Aktivist. Geboren in die Familie des Sohnes von Scheich Šamil und türkischen Generals nordkaukasischer Herkunft Muchammad Kamil (1863–1951), besuchte Said Šamil das prestigereiche französischsprachige Galatasaray Lyzeum in Istanbul. Kurzfristig reiste er 1918 in den Nordkaukasus, um die Führung der selbstausgerufenen Republik zu übernehmen. Nach dem Fall der Republik verließ er den Nordkaukasus und übte bis zu seinem Tod 1981 in Istanbul eine rege antikommunistische Aktivität aus. Mehr zu Šamil siehe Muchammad Said Šamil 1901–1981. Istoričeskij portret, vospominanija, publicistika, očerki, Machatschkala 2003. 30 Kırımer: Bazı Hatıralar, S. 146. 31 Mamed Emin Rasulzade (1884, nahe Baku – 1955, Ankara) war aserbaidschanischer Journalist und Politiker. Kurz nach der Sowjetisierung Aserbaidschans begab er sich ins Exil, zuerst in die Türkei und später nach Polen. Dort schrieb er zahlreiche Abhandlungen zur mittelalterlichen Literatur Aserbaidschans sowie zur aserbaidschanischen Zeitgeschichte. Detaillierter zur Aktivität Rasulzades in Europa siehe Zaur Gasimov, Wiebke Bachmann: Nationalismus und Antikommunismus im Exil. M. E. Rasulzade’s publizistische Aktivität in Frankreich, Polen und Deutschland, in: Jahrbuch Aserbaidschanforschung 2010 (2011), S. 115–137; Zaur Gasimov, Raoul Motika: The Changes in Identity and Orientation of an Azerbaijani Revolutionary: Məmməd Əmin Rəsulzadə between Iran, Turkey, and Europe, in: Revolutionary Biographies in the 19th and 20th Century: Imperial – Inter/national – Decolonial, hg. von Sandra Dahlke, Nikolaus Katzer, Denis Sdvizhkov, Göttingen 2022, im Druck; Shahla Kazimova: Azerbejdżański prometeizm. Działalność polityczna i publicystyczna Mehemmeda Emina Resulzadego, Warschau 2021. 32 Ali Mardan Topčibaši (1859/63, Tiflis – 1934, Paris) war ein aserbaidschanischer (Exil-)Politiker. Nach dem Jurastudium in St. Petersburg nahm er am politischen Leben der Russlandmuslime aktiv teil. Während 27
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Intellektuellen Ahmed Zeki Validov, kennenlernte, wobei letzterer später den Namen Ahmet Zeki Velidi Togan33 annahm und Professor für türkische Geschichte an der Universität Istanbul wurde.34 Der Lebensweg Seydahmets durch die imperialen Zentren, ähnelte dem der meisten Prometheisten, die überwiegend aus der Ukraine, Georgien, der Wolga-Region und aus Polen stammten.35 Als die russische Revolution ausbrach und das Zarenreich unterging, kam es zur Gründung mehrerer Staaten und staatsähnlicher Gebilde an der westlichen, südwestlichen sowie der südlichen Peripherie Russlands. Die Krim war keine Ausnahme. Als ein hervorragend ausgebildeter Aktivist hatte Seydahmet in dieser neuen politischen Phase beste Chancen, um auf der Halbinsel in der Politik aufzusteigen und tat dies auch. Auf einer Durchreise von Jalta nach Kiew traf Seydahmet auf den Ukrainer Oleksandr Šul’hyn, einen späteren Mitstreiter in der prometheistischen Gemeinschaft. All das waren wichtige Erfahrungen, die Seydahmet noch vor seiner endgültigen Auswanderung von der Krim sammeln konnte. Er wurde zum Grenzgänger, zu einem Intellektuellen und einem gut vernetzten Politiker, dessen Sozialisation in den Peripherien
der Unabhängigkeit der Republik Aserbaidschan war er Außenminister des Landes und führte die aserbaidschanische Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz an. Infolge der Sowjetisierung Aserbaidschans war er ab 1920 im Pariser Exil. Das Privatarchiv Topčibašis befindet sich im EHESS (Paris). Mehr dazu Cəmil Həsənli: Tarixi şəxsiyyətin tarixi: Əlimərdan bəy Topçubaşov, Baku 2013. In der überarbeiteten englischen Version: ders.: Leadership and Nationalism in Azerbaijan. Ali Mardan bey Topchibashov, Founder and Creator, London, New York 2018. 33 Achmed Zeki Velidi (bzw. Validov) Togan (1890, nahe Ufa – 1970, Istanbul) war ein baschkirisch-turkestanischer Exilaktivist und türkischer Historiker. Zeki Velidi schloss sich den revolutionären Prozessen in der Region von Ufa im heutigen Baschkirien an. Nachdem das Autonomie-Experiment 1917 scheiterte, schloss er sich den Weißgardisten an und bekämpfte die Bolschewiki, dann wechselte er die Seiten und stieg sogar zum Vorsitzenden des Baschkirischen Revolutionskomitees auf. Als solcher wurde er zum bekannten Kongress der Orientvölker im September 1920 nach Baku entsandt. Kurz danach kam es zum Bruch mit dem bolschewistischen Regime. Zeki Velidi reiste nach Zentralasien und schloss sich der dortigen antibolschewistischen Basmači-Bewegung an. Als diese jedoch 1923 scheiterte, wanderte er nach Iran und anschließend nach Deutschland aus. In Berlin nahm er Kontakt zur sowjetischen Botschaft auf, traf sich bereits im April 1924 mit dem Botschafter Nikolaj N. Krestinskij und bat ihn darum, ihm die fachliche Korrespondenz mit den Kollegen an den sowjetischen Forschungseinrichtungen zu ermöglichen. Darüber schrieb er dem sowjetisch-usbekischen Historiker Pulat Saliev. Vgl. Novaja stranica iz žizni A. Z. Validova, hg. von Rinat N. Šigabdinov, Tokio 2001, S. 12. Im Jahre 1925 zog er nach Istanbul und schloss sich der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der dortigen Universität an. In den 1930er Jahren folgte ein längerer Aufenthalt in Wien und an der Universität Bonn und später an der Universität Göttingen. Velidi Togan kehrte 1939 in die Türkei zurück und gründete den Lehrstuhl für die Türkische Geschichte. Als Autor mehrerer Abhandlungen zur Geschichte Zentralasiens sowie zur geschichtswissenschaftlichen Forschungsmethodik gilt Velidi Togan zurecht als Mitbegründer der türkischen Geschichtswissenschaft. Als ein aktives Mitglied der baschkirisch-tatarischen Exilgemeinschaft in der Türkei arbeitete er mit den prometheistischen Medien wie „Yaş Türkistan“ und „Azerbaycan Yurt Bilgisi“ eng zusammen. 34 Kırımer: Bazı Hatıralar, S. 175–176. 35 Auch der zukünftige polnische Aktivist der prometheistischen Netzwerke Stanisław Korwin-Pawłowski wie Seydahmet im Jahr 1889 aber in Vitebsk geboren, studierte zuerst an der Universität Moskau und wechselte dann nach St. Petersburg. Mehr dazu Ireneusz Piotr Maj: Stanisław Korwin-Pawłowski w służbie idei prometejskiej, in: NP 3 (2012), S. 75–87.
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sowie in den Metropolen mehrerer Imperien erfolgte. Seydahmet war später eines der aktivsten Mitglieder der prometheistischen Netzwerke zwischen Warschau, Paris und Istanbul, die sowohl aus den krim- und kasantatarischen wie auch aus den nordkaukasischen, aserbaidschanischen, georgischen, ukrainischen, zentralasiatischen, kosakischen und karelischen Aktivisten bestanden. Diese vertraten eine antikommunistische und sowjetkritische Haltung, die auch Seydahmet nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin befürwortete. Die prometheistischen Netzwerken, die von Warschau aus ins Leben gerufen worden waren, bekämpften den Kommunismus in Europa und gingen vor allem propagandistisch gegen ihn vor. Sie strebten die Aufteilung der Sowjetunion nach dem Nationalitätenprinzip an. Diese Netzwerke bildeten sich in den 1920er Jahren und bestanden – wie das oben kurz skizzierte Beispiel Cafer Seydahmets verdeutlicht – vor allem aus Ex-Politikern und Exilintellektuellen der nichtrussischen Gebiete des ehemaligen Zarenreiches. Zahlreiche Georgier, Aserbaidschaner, Krim- und Kasantataren und Ukrainer wussten vom politischen Aktivismus einzelner nichtrussischer Gruppen im spätzaristischen Russland. Sie versuchten ihre Tätigkeiten gerade in der Zeit der Staatsbildung um 1917–1918 zu koordinieren und zu vernetzen. Sie wagten sogar durch bilaterale Verträge eine mehr oder weniger monolithische Strategie gegenüber Sowjetrussland herauszuarbeiten, wie man am Beispiel des georgisch-aserbaidschanischen Militärpaktes aus dem Jahr 1919 erkennen kann.36 Es waren jedoch die Polen, die den Netzwerken schließlich Halt und Form gaben und ihre Aktivitäten unter dem Banner des „Prometheismus“ in eine antisowjetische Richtung kanalysierten. Der Gedanke des Prometheismus (Polnisch prometeizm) geht auf die polnische Ideengeschichte und vor allem die polnische Literatur des 19. Jahrhunderts zurück. Diese stand unter starkem Einfluss der patriotischen Dichtung der polnischen Volkspoeten, wieszcze, Juliusz Słowacki (1809–1849) und Adam Mickiewicz (1798–1855).37 Einer mythologisierten Wahrnehmung zufolge prophezeiten diese Dichter in ihrer Poesie die ‚Wiederauferstehung‘ des polnischen Staates. Sowohl Słowacki als auch Mickiewicz symbolisierten durch ihr literarisches und politisches Schaffen und ihr Engagement für Polen die moralische Autorität aus Sicht der polnischen Gesellschaft und die polnische Staatlichkeit, die durch die Teilungen unter Preußen, dem Zarenreich und dem Habsburger Reich Ende des 18. Jahrhunderts eingebüßt worden war.38 Die beiden Dichter gehörten zu den prominentesten Vertretern der polnischen Romantik39 Vgl. Zaur Gasimov: The Emergence of the Azerbaijani and Georgian Republics (1918–1921): Army-Building and Military Cooperation, in: The Caucasus&Globalization 1/2 (2007), S. 100–107. 37 Zum Thema des Messianismus bei Mickiewicz siehe, Monika Rudaś-Grodzka: Versklavtes Slawentum. Messianismus und Masochismus bei Mickiewicz, in: Osteuropa 12/59 (2009), S. 193–213. 38 Einen sehr guten Überblick über die Verflechtung des literarischen Wirkens der polnischen „wieszcze“ und des Nationalismus lieferte Serhij Belenky: Romantic Nationalism in Eastern Europe: Russian, Polish, and Ukrainian Political Imaginations, Stanford 2012. 39 Roman R. Koropeckyj: Adam Mickiewicz: The Life of a Romantic, Ithaca, New York 2008. 36
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und des, infolge der Teilungen sowie im Zuge der Entwicklung der europäischen Nationalismen entstandenen polnischen Nationalismus40 und Messianismus41: Die polnische Nation wurde als Christus der Völker, als Martyrium dargestellt und es wurde ihr eine Erlösermission zugeschrieben. Für einen Teil der polnischen Intellektuellen, die politisch der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) nahestanden, war die Frage der ‚Erlösung‘ Polens eng mit der Befreiung aller ‚geknechteten Völker‘ der Teilungsmächte verbunden. Polen, das sich ähnlich wie der mythische Prometheus für die Befreiung anderer Nationen einsetzen sollte, schrieben sie die Rolle des Organisators und Initiators zu. In der Zwischenkriegszeit, nachdem die Zweite Polnische Republik infolge des Ersten Weltkrieges und nicht zuletzt aufgrund des vom ‚Großen Krieg‘ ausgelösten Zerfalls der europäischen Reiche im November 1918 entstand, wurde die Idee des Prometheismus unter Marschall Józef Piłsudski (1867–1935) zum ersten Mal als Konzept für die polnische Außenpolitik herangezogen. Der Prometheismus wurde dabei nicht als eine offizielle Doktrin verkündet, er blieb jedoch bis zum Untergang der Polnischen Republik 1939 die Strategie Warschaus gegenüber dem Osten. Piłsudski ging es in der polnischen Russland- und Osteuropapolitik vor allem um den Schutz der eigenen Ostgrenze vor der UdSSR. Die ursprünglich literarisch begründete Idee des Prometheismus42 entwickelte sich somit zu einer politischen Idee. Sie sollte primär auf die Schwächung des russischen bzw. sowjetischen Vielvölkerstaates mittels einer nachhaltigen materiellen, moralischen, diplomatischen und infrastrukturellen Unterstützung einzelner nationaler Minderheiten und der bewussten Förderung ihrer jeweiligen Nationalismen abzielen, die zum Teil zwanghaft in das Zarenreich Anfang des 19. Jahrhunderts und 1920–21 in die UdSSR eingegliedert worden waren. Dabei zeigte sich am Prometheismus als polnischer Strategie der Unterstützung der nichtrussischen Völker d. h. der Ukrainer, Kaukasier, der Krim-, Kasantataren und der Turkestaner im sowjetischen Machtbereich auch das entsprechende geo- und sicherheitspolitische und nicht zuletzt sogar imperialistische Denken der polnischen Politiker und Intellektuellen. In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, die facettenreichen Aktivitäten der prometheistischen Netzwerke während ihrer Entstehung und Entfaltung in der Zwischenkriegszeit, zu erfassen und zu analysieren. Daher werden unterschiedliche theoretische Modelle und Konzepte wie intellectual history, Globalgeschichte und Mehr zum polnischen Nationalismus, siehe Stefanie Zloch: Polnischer Nationalismus. Politik und Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen, Köln u. a. 2010. 41 Detaillierter zum polnischen Messianismus, siehe: Jan Garewicz: Messianismus, S. 152–160, in: Deutsche und Polen. 100 Schlüsselbegriffe, hg. von Ewa Kobylinska, Andreas Lawaty und Rüdiger Stephan, München 1992. Zum Nexus Messianismus und Prometheismus siehe Volodymyr Komar: Idei mesianstva „Velikoj ėmigracii“ v koncepcii prometeizmu Pol’šči 20–30-ch rr. XX st., in: Schid 6/113 (2011), S. 71–75, http://skhid.com.ua/article/view/17226 (Zugriffsdatum: 28.05.2018). 42 Stanislaw Lenkowski: A. Mickiewicz. Romantyzm. Filomatyzm. Egotyzm. Prometeizm. Objektywizm. 1798–1824, Lodz u. a. 1923. 40
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postkoloniale Studien wie auch Transferstudien herangezogen. Der Blick soll zudem auf Verflechtungen zwischen Ostmittel-, Südosteuropa und dem Nahen Osten gelenkt werden, auf die Räume, die 1918 im Zuge des Ersten Weltkriegs und des fast zeitgleichen Zerfalls des Habsburger und des Osmanischen Reiches als auch des Zarenreiches die politische Unabhängigkeit erlangten. Hier liegt nicht der Anspruch zugrunde, die intellektuelle Geschichte Ostmitteleuropas in der Zwischenkriegszeit in toto darzustellen. Doch sind die Zusammenhänge der Verbindungen innerhalb dieser historischen Landschaft(en) wichtig, da die Diskurse eng miteinander verflochten waren.43 Die Interaktionen zwischen Polen und der Tschechoslowakei sowie den baltischen Staaten, aber auch Finnland, Rumänien und der Türkei, wie auch Japan, sollen berücksichtigt werden. Statt die Geschichte der bilateralen Beziehungen, die politische Geschichte oder die Geschichte der Diplomatie in den Vordergrund zu stellen, werden in diesem Buch die Ordnungsvorstellungen und -entwürfe, welche von polnischen Regierungskreisen und ihnen nahestehenden Intellektuellen und von polnischen wie auch nichtpolnischen Prometheisten seit den 1920er Jahren lanciert wurden, ins Zentrum der Betrachtung gerückt. So zeigte sich beispielsweise Piłsudski neben seinem vagen Konstrukt eines Intermariums (Zwischen-Meer-Raum) auch als Anhänger eines Föderalismus, demzufolge das gesamte Ostmitteleuropa als (Kon-)Föderation organisiert werden sollte. Im Mittelpunkt der Monographie steht die organisatorisch-institutionelle Infrastruktur der prometheistischen Netzwerke, wie z. B. die Prometheus-Klubs in Paris, Warschau, Helsinki und Harbin, das Warschauer „Instytut Wschodni“ [Ostinstitut] und die Orientalistische44 Gesellschaft „Orientalistyczne Koło Młodych“ [Verband der Nachwuchsorientalisten] ebenfalls in Warschau. Das Redaktionsteam von Włodzimierz Wakar (1885–1933) um die Zeitung „Przymierze“ [Allianz] 1920–1921, die das erste publizistische Forum der prometheistischen Aktivität war, wird gleich Allein den Memoiren von Zeki Velidi Togan, dem gebürtigen Baschkiren, der zu einem gefragten Historiker in der kemalistischen Türkei aufsteigen konnte, kann man entnehmen, dass er sich nicht nur mit dem polnischen Diplomaten und Essayisten Jerzy Stempowski, sondern auch mit dem tschechoslowakischen Politiker Edvard Beneš traf und Letzteren um Hilfe im Kampf gegen die Bolschewiki bat. Vgl. Prof. Zeki Velidi Togan: Hâtıralar. Türkistan ve diğer müslüman doğu türklerinin milli varlık ve kültür mücadeleri, Istanbul 1969, S. 595. Ahat Andican, der Stempowski in den von ihm ausgewerteten polnischen Quellen nicht fand, sah im Narrativ Velidi Togans einen Fehler. Vgl. Ahat Andican: Cedidizm’den Bağımsızlığa. Hariçte Türkistan Mücadelesi, Istanbul 2003, S. 243, Fußnote 11. 44 Die Begriffe „Orientalist“ und „orientalistisch“ werden hier im Sinne der Nahostwissenschaften angewandt. Der Autor ist mit der kritischen Orientalismus-Debatte vertraut. Vgl. Edward Said: Orientalism, New York 1978. Eine spannende Analyse sowohl der Rezeption der Orientalismus-Debatte als auch der Kritik findet sich im von Adel Iskandar und Hakem Rustom herausgegebenen Sammelband zur internationalen Rezeption der Said’schen Werke. Vgl. Edward Said. A Legacy of Emancipation and Representation, hg. von Adel Iskandar und Hakem Rustom, Berkeley u. a. 2010. Ein wichtiger Beitrag in der deutschsprachigen Geisteswissenschaft stellt der 2011 erschienene Sammelband dar: Orient – Orientalistik – Orientalismus. Geschichte und Aktualität einer Debatte, hg. von Burkhard Schnepel, Gunnar Brands und Hanne Schönig, Bielefeld 2011. 43
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zu Beginn dieser Arbeit analysiert. Betrachtet werden auch die Diskurse in den wichtigsten prometheistischen Zeitschriften wie den von Włodzimierz Bączkowski und seinen Mitstreitern organisierten und betreuten Medien – die Zeitschriften „Wschód“ [Orient] 1930–1939, „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ [Polnisch-Ukrainisches Bulletin] 1932–1938, „Problemy Europy Wschodniej“ [Probleme Osteuropas] 1938–1939 sowie die aserbaidschanischen, ukrainischen und anderen prometheistischen Medien in den Großstädten Europas. Paris, Warschau und Istanbul wurden in dieser Arbeit als wichtigste Standpunkte der prometheistischen Aktivitäten ausgewählt, weil sie sich gerade in diesen Städten besonders breit, und deutlich intensiver als z. B. in Constanţa, in Harbin oder in Helsinki entfalteten, wo es auch einige, zahlenmäßig allerdings deutlich kleinere, Gruppen von Prometheisten gab. An diesen drei Standorten konzentrierten sich die meisten Emigrantengruppen und die bedeutendsten Medien, wie die Warschauer Zeitschriften „Przymierze“, „Myśl Polska“, „Sprawy Narodowościowe“, „Wschód“, „Biuletyn PolskoUkraiński“, „Problemy Europy Wschodniej“, die Pariser „Prométhée“, „La Revue de Prométhée“, „Gorcy Kavkaza“ [Bergler des Kaukasus], „Tryzub“ [Dreizack] und eine Reihe von Zeitungen in Istanbul wie z. B. „Yeni Kafkasya“ [Der neue Kaukasus], „Odlar Yurdu“ [Land der Feuer], „Azerî Türk“ und „Azerbaycan Yurt Bilgisi“ [Landeskunde Aserbaidschans]. Die prometheistischen Netzwerke agierten transnational und die Prometheisten waren in mehreren Ländern und in unterschiedlichen Sprachen tätig. Während die meisten noch im ausgehenden Zarenreich geboren wurden, entfalteten sie in der Zwischenkriegszeit ihre Exilaktivitäten in Polen, der Türkei und Frankreich. Aus mehreren Gründen ließen viele Prometheisten ihre Vor- und Nachnamen – je nach Zeit und Ort – unterschiedlich schreiben. Dies stellte die größte Schwierigkeit beim Versuch dar, die Geschichte der prometheistischen Netzwerke nachzuzeichnen. Beispielsweise unterschieb der im zaristischen Turkestan tätige Aktivist Mustafa Čokaev nach der Auswanderung nach Paris seine Schriften als „Moustapha Tschokaeff “ bzw. „Tschokaj-Oghlou“ und in der Türkei als Mustafa Çokayoğlu. Während die französische Schriftweise die russische und die türkisierte Form im Einklang mit der französischen Lesart wiedergab, entsprach die letzte Version (Çokayoğlu) der reformierten türkischlateinischen Schriftweise seit 1929. In den polnischen Zeitschriften wiederum sowie in der Korrepondenz schrieb man Czokajew. Auf ähnliche Weise polonisiert wurden die Nachnamen wie auch die Vornamen der georgischen Aktivisten: Sergo Kurilišvili wurde zu Sergiusz Kuriliszwili, Giorgi Nakašidze wurde zu Jerzy Nakaszydze. Der Einfachheit halber wurden in dieser Arbeit die Personennamen in der Sprache und Version genannt, in der sie die meisten ihrer prometheistischen Texte verfasst haben. Der Turkestaner Čokaev schrieb meistens auf Russisch, während der in Polen tätige Kuriliszwili vor allem auf Polnisch schrieb. Daher entschied ich mich, Čokaev entsprechend der russischen Schriftweise lateinisch zu transliterieren, Kuriliszwili aber in der üblichen polnischen Version zu lassen.
Forschungsgegenstand
Die Monatsnamen, die auf Ukrainisch in der Wochenzeitschrift „Tryzub“, auf Türkisch in „Odlu Yurt“, auf Französisch im „Prométhée“, auf Russisch in den weiteren Zeitschriften vor der Jahresangabe erwähnt wurden, wurden vereinheitlichungshalber ins Deutsche übersetzt. 1.1
Forschungsgegenstand
Chronologisch und begriffsgeschichtlich betrachtet ist die Entwicklung des Prometheismus45 als Forschungsgegenstand dreidimensional nachzuvollziehen: Unter diesem Begriff ist eine im 19. Jahrhundert auf dem Gebiet des historischen Polens entstandene Ideen- und Literaturströmung zu verstehen, die sich in der Zwischenkriegszeit nicht zuletzt mit Hilfe des 1918 entstandenen polnischen Staates weiterentwickelte, und nach dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich im polnischen Exil in Frankreich, Großbritannien und in den USA wie auch im Nahen Osten in einer stark veränderten Form kurzfristig fortbestand, sich dann aber spätestens 1947–48 auflöste. Die Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte zeugen davon, dass man heute wieder von einem NeoPrometheismus sprechen kann. Beispielhaft genannt werden kann hier ein Artikel des polnischen Journalisten Jan Filip Staniłko in der einflussreichen polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ [Republik] von 2011. Staniłko zufolge sollte der „prometheistische Realismus und nicht ein postkolonialer Pragmatismus zum heutigen Fundament […] des polnischen nationalen Interesses werden“.46 Am 23. November 2007 weihten der damalige georgische Staatspräsident Michail Saakaschwili und sein polnischer Amtskollege Lech Kaczyński (1949–2010) trotz starken Regens ein Denkmal für die mythologische Figur des Prometheus im Stadtzentrum von Tiflis ein.47 Im Dezember 2008 organisierte die Universität Warschau, die seit 2005 über eine Vertretung an der Ivane-Džavachišvili-Universität in Tiflis verfügt, mit finanzieller Unterstützung des polnischen Außenministeriums die erste polnischkaukasische Winterschule: Die Flyer waren mit der Abbildung des oben erwähnten Sprachlich entscheide ich mich bewusst für eine eingedeutschte Version des polnischen Terminus prometeizm: Prometheismus, der als solcher in den Quellen und ähnlichen Publikationen der 1920–30er Jahre, sowie in den Mémoiren und der Sekundärliteratur der Nachkriegszeit benutzt wurde. Bei der Adjektivbildung wird nicht von prometheusistisch, sondern von prometheistisch die Rede sein. Die angelsächsische Forschungsliteratur verwendet die englische Variante: prometheanism und Promethean movement, während die türkische von promete(y) hareketi und die russische von prometejskoe dviženie sprechen. 46 Vgl. Jan F. Staniłko: Czas na polski interes narodowy, in: http://www.rp.pl/artykul/592026. html?print=tak (Zugriffsdatum: 11.01.2011). 47 Gela Merabishvili: Why Ukraine Matters to Georgia, in: New Eastern Europe (03.03.2014), https://new easterneurope.eu/2014/03/03/why-ukraine-matters-to-georgia/ (Zugriffsdatum: 24.02.2021). Nach dem Augustkrieg 2008 wurde das Denkmal allerdings demontiert und nach Borschomi versetzt. Mehr über die Hypothesen und Gründe für die Demontage des Denkmals siehe „Archipelag Kavkaz“ – mify i real-politik, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Tiflis 2009, S. 29 f.
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Denkmals versehen. Die Euphorie, mit der lokale Medien in Polen48 und im Kaukasus49 sowie auch in der Ukraine immer wieder vom Prometheismus berichten, bleibt auch von den russischen Historikern und Publizisten nicht unregistriert.50 Der Neo-Prometheismus wird vor allem im heutigen Polen in den politischen und intellektuellen, der regierenden Partei „Prawo i Sprawiedliwość“ nahestehenden Kreisen, intensiv und empathisch diskutiert. Dies geschieht vor allem im Rahmen der Debatte um die polnische Außenpolitik51 und das polnische Engagement für die Integration der Ukraine und Georgiens in die NATO und die EU,52 sowie der postsozialistischen Suche nach einer Selbstdefinition polnischer Intellektueller.53 Somit ist der Neo-Prometheismus ein fester Bestandteil des modernen polnischen Ideen- und Kulturdiskurses, der je nach Entwicklungsspirale der polnisch-russischen und polnischukrainischen Beziehungen stets ein Thema bleibt und immer wieder neu definiert wird. Die Kenntnis dieser Netzwerke und ihrer Rolle in der Zwischenrkeigszeit wird im heutigen Polen als diplomatisches Erbe der Zweiten Republik wahrgenommen. Der Prometheismus der 1920–30er Jahre bleibt somit von enormer Signifikanz für ein besseres Verstänis der aktuellen polnisch-russischen Beziehungen und der polnischen Politik gegenüber der Ukraine und dem Kaukasus, die häufig im Kontext des NeoSiehe Jerzy Lubach: Bliscy-dalecy SĄSIEDZI: Grupa GUUAM, in: http://www.rurociagi.com/ spis_art/2005_1/guuam.html (Zugriffsdatum: 05.02.2009); Marek Kornat: Swianiewicz, Lenin i totalitaryzm, czyli o użyteczności historii idei w poszukiwaniu zrozumienia Rosji, in: Nowa Europa Wschodnia 1 (2008), S. 64–78; Wojciech Jakóbik: Energetyczny prometeizm to dzisiaj realpolitik. Czas, byśmy znowu zaczęli wygrywać, in: http://rebelya.pl/post/3461/jakobik-energetyczny-prometeizm-to-dzisiaj-re (Zugriffsdatum: 31.10.2013). 49 Vgl. Orxan Aras: Prometey hərəkatı, in: http://www.525.az/new/print.php?uid=37851 (Zugriffsdatum: 23.01.2009). 50 Vgl. Modest Kolerov: Vostočnaja politika Pol’ši i Rossija: Istoričeskie predely primirenija, in: Revista Moldovenească de Drept International şi Relaţii Internationale 1 (2012), S. 170–180; Oleg B. Nemenskij: Rossijsko-pol’skie otnošenija posle Smolenskoj katastrofy, in: Problemy nacional’noj strategii 6/21 (2013), S. 75–76; Sergej N. Bucharin, Nikolaj M. Rakitjanskij: Rossija i Pol’ša. Opyt politiko-psichologičeskogo issledovanija fenomena limitrofizacii, Moskau 2011, online zugänglich: http://avkrasn.ru/article-468.html (Zugriffsdatum: 19.09.2018); Aleksandr Guščin: Intermarium – novyj proekt Pol’ši. Real’nost’ ili fantom?, in: http://politcom.ru/print.php?id=21154 (Zugriffsdatum: 22.09.2018); Vladimir Gulevič: Geopolitičeskaja situacija u zapadnych granic Evrazii, in: A. G. Dugin (Hg.): Geopolitika i meždunarodnye otnošenija, Moskau 2012, S. 406–413, insb. S. 410f; Valerij Šambarov: Istoričeskie otkrytija. „Pjataja kolonna“ Sovetskogo Sojuza, Moskau 2017, S. 35; Armen Gasparjan: Lož’ pospolita, St. Petersburg 2018, S. 29, 57–66. 51 Vgl. Bartosz Cichocki: Mniej Giedroycia, więcej Karpia, in: Tygodnik powszechny 01.04.2008, https:// www.tygodnikpowszechny.pl/mniej-giedroycia-wiecej-karpia-132327 (Zugriffsdatum: 24.02.2021); Bronisław Łagowski: Walicki i sarmackie omamy, in: Tygodnik powszechny 17.06.2008, http://tygodnik.onet. pl/1,11285,druk.html (Zugriffsdatum: 27.10.2009). Paweł Kowal: Testament Prometeusza. Źródła polityki wschodniej III Przeczypospolitej, Warschau 2018. 52 Vgl. Maciej Raś: Poland’s Perspective on the Eastern Neighbourhood, in: Wolfram Hilz u. a. (Hg.): Ambiguities of Europe’s Eastern Neighbourhood, Wiesbaden 2020, S. 17–31, https://doi.org/10.1007/978-3658-29856-2_3 (Zugriffsdatum: 17.02.2021); Ryszard Zięba: Poland’s Foreign and Security Policy. Problems of Compatibility with the Changing International Order, Wiesbaden 2020, S. 201–215. 53 Siehe als Beispiel die Diskussion in der Zeitschrift ARCANA. Na co Polska może być jeszcze potrzebna?, in: ARCANA 100/4 (2011), S. 16–135. 48
Defnitionsversuch
Prometheismus gedeutet wird. Der Neo-Prometheismus wird jedoch in dieser Arbeit, die sich auf die Zwischenkriegszeit und somit auf den ‚klassischen Prometheismus‘ konzentriert, nicht behandelt. 1.2
Definitionsversuch
Prometheus war bereits im 19. Jahrhundert ein Thema in der europäischen Kulturdebatte. Dies war nicht zuletzt mit dem Boom des europäischen Philhellenismus und der Neuentdeckung des griechischen Erbes im Hintergrund der Rivalität europäischer Mächte mit dem Osmanischen Reich auf dem Balkan verbunden.54 Der Mythos Prometheus war somit seit dem 19. Jahrhundert ein fester Bestandteil der abendländischen Kulturgeschichte.55 Für das polnischerseits lancierte Projekt gegen die UdSSR, das auf einer Mobilisierung und Koordination der antisowjetischen, ferner der antitotalitären und antiimperialistischen Aktivitäten der ukrainischen und kaukasischen Intellektuellen aufbaute, eignete sich der Codename Prometheus besonders gut. Im Kaukasus, einem der Handlungsorte der Legende um Prometheus, und einem wichtigen Teil des von der sowjetischen Herrschaft zu befreienden Raums, war die letzte Lebensstation des mythologischen Prometheus. Dort ereignete sich der Legende nach seine unendliche Leidensgeschichte. Prometheus hatte den Göttern das Feuer entwendet, um es den Menschen zu bringen. Zur Strafe ließ ihn Zeus im Kaukasus ans Gebirge fesseln. Erst nach langen Qualen wurde er wieder befreit. Den Prometheisten ging es allerdings nicht um einen Beitrag zur europäischen Auseinandersetzung mit Prometheus als griechischem Mythos, sondern darum, der eigenen Aktivität einen klangvollen und selbstlegitimierenden Namen zu verleihen. Den Vermutungen mancher Historiker und Historikerinnen und Erinnerungen einiger Aktivisten wie Włodzimierz Bączkowski zufolge war es der polnische Geheimdienstler Tadeusz Schaetzel, der den Namen Prometheus für die Aktivitäten der Netzwerke 1926 vorschlug. Derselben Auffassung war die exilpolnische Zeitschrift „Niepodległość“, die 1972 einen programmatischen Artikel Schaetzels „Raison d’État Polens im Osten“ aus dem Jahr 1933 neuauflegte und mit einer Einleitung versah.56 Die Historiker Georges Mamoulia wie auch Józef Lewandowski behaupteten, dies sei die Idee der georgischen Emigrés gewesen, die dadurch einen direkten Zusammenhang Ähnlicherweise entdeckte man in Europa die Bergkaukasier, die der russischen Expansion Richtung Süden Widerstand geleistet haben. Schamil wurde zu einem Freiheitskämpfer stilisiert und – wenn auch weniger ausgeprägt – wurde um ihn herum ein Heldenkult aufgebaut. Vgl. Katharina Kickinger: Der „wilde Kaukasus“ in europäischen Reiseberichten des 19. Jahrhunderts, Diplomarbeit, Universität Wien. Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät, 2013. 55 Vgl. Hans Freyer: Prometheus. Ideen zur Philosophie der Kultur, Jena 1923. 56 Tomasz Krymski [Tadeusz Schaetzel]: Pod znakiem odpowiedziałności i pracy. Dziesięć wieczorów, in: Droga (1933), abgedruckt in: Niepodległość 8 (1972), S. 225. 54
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zum Kaukasus herstellen wollten.57 Den Hinweis darauf, dass der Name vermutlich auf den Vorschlag der kaukasischen Emigrés zurückgeht, findet man auch in den Mémoiren des türkischen Historikers baschkirischer Herkunft, Zeki Velidi Togans.58 Patrik von zur Mühlen unterstrich die Rolle des aserbaidschanischen Exilanten Mammad Emin Rasulzade bei der Organisation der Liga Prometheus als einer kaukasischen Freimaurerloge in Paris 1926: Tatsächlich wurde sie erst 1928 in Warschau gegründet, nachdem sich zwei Jahre zuvor schon eine kaukasische Freimaurerloge gleichen Namens in Paris niedergelassen hatte. Die Gründung erfolgte offensichtlich auf Rasulzades Initiative und mit Zustimmung der polnischen Regierung, von der die Liga finanziert wurde59.
Den ersten, anspruchsvollen Versuch, die Definitionen des Prometheismus aufzulisten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, unternahm der polnische Zeithistoriker Paweł Libera.60 Libera zitierte eine aus dem Jahr 1904 stammende Aussage Piłsudskis, dass „die Zerstückelung des russischen Staates in einzelne Hauptregionen und die Befreiung der mit Zwang eingegliederten Länder“61 ein wichtiges Ziel der polnischen Politik sei. So habe Piłsudski, Libera zufolge, selbst die erste Definition des Prometheismus geliefert. Mit diesem Hinweis auf Piłsudski steht Libera als Forscher fest in der Tradition der polnischen Historikerzunft, von der ein Großteil seit dem Erscheinen der Pionierwerke der polnischen Historiker Józef Lewandowski und Sergiusz Mikulicz in den 1960–70er Jahren, den Prometheismus fast ausschließlich im polnischen, nationalstaatlichen Kontext betrachtete. Auch der offensichtlich multinationale und -kulturelle Charakter der prometheistischen Netzwerke wurde durch die „besten polnischen Traditionen der Befreiungskämpfe“ erklärt, die sich „immer Aufgaben stellten, die über die ethnisch polnische Gruppenzugehörigkeit hinausreichten“62. Was dabei jedoch wichtig ist, ist die prominente Rolle Piłsudskis, der tatsächlich der wichtigste Drahtzieher und Ideengeber der prometheistischen Netzwerke war. Diese Meinung vertritt auch der Istanbuler Historiker Ahat A. Andican, der Piłsudskis Memorandum
Józef Lewandowski: Imperializm słabości, Warschau 1967, S. 141–142, zitiert nach Włodzimierz Bączkowski: Prometeizm na tle epoki. Wybrane fragmenty z historii ruchu, in: Niepodległość 17 (1984), S. 40. 58 Prof. Zeki Velidi Togan: Hâtıralar, Istanbul 1969, S. 579. 59 Patrik von zur Mühlen: Zwischen Hakenkreuz und Sowjetstern. Der Nationalismus der sowjetischen Orientvölker im Zweiten Weltkrieg, Düsseldorf 1971, S. 26–27. 60 Pawel Libera: Polski prometeizm: Jak ewoluował i jak z nim walczono, in: http://www.pressje.org.pl/ upload/articles/article_12_issue231.pdf (Zugriffsdatum: 25.02.2011). 61 Ebenda. 62 So erklärte Józef Lewandowski die Multinationalität des Prometheismus in seinem selbstkritischen Aufsatz, der 1975 in der Pariser Exilzeitschrift „Zeszyty historyczne“ erschien. Vgl. J. Lewandowski: Między historią a współczesnością, in: Zeszyty historyczne 33 (1975), S. 28. 57
Defnitionsversuch
von 1904 für ausschlaggebend genug hält, um ihn zum „Vater der prometheistischen Bewegung“63 zu erklären.64 Libera, ähnlich wie Mikulicz und Lewandowski, suchte nach den Definitionen des Prometheismus in den Diskursen, Selbstdarstellungen und in weiteren Quellenmaterialien der Aktivisten des prometheistischen Netzwerks. Mit Sicherheit ist es interessant, wie die Akteure selbst die eigene Ideenströmung und ihr Wirken beschrieben. Allerdings blieben häufig die tatsächlichen Aktivitäten, ihre Dimension und die Wirkung, die sie auslösten, durch die Eigenperspektive einseitig beleuchtet. Die meisten Aktivisten und Zeitgenossen sahen den Prometheismus z. B. als eine politische Bewegung, prometheistische Bewegung (ruch prometejski manchmal Liga Prometejska), obwohl es in Wirklichkeit nie zu einer institutionalisierten Bewegung gekommen ist. Dieselbe Definition findet sich in der aktuellen polnischen, ukrainischen, aber auch in der aserbaidschanischen und türkischen Forschung. Die Historiker und Historikerinnen übernehmen weitgehend die Selbstbezeichnung der Prometheisten als Beschreibung des Prometheismus. Die Aktivitäten der Prometheisten in den 1920–30er Jahren bildeten jedoch keine Bewegung, sondern waren eher Aktivitäten eines international tätigen, multinational zusammengesetzten Netzwerks bzw. mehrerer Netzwerke.65 In diesem Kontext ist die Sichtweise des polnischen Turkologen und Finnougristen Jan Reychman (1910–1975) interessant, der in den 1930er Jahren an den prometheistischen Netzwerken selbst aktiv mitwirkte. Bei der Beschreibung des Prometheismus bezog er sich auf die Idee Piłsudskis zur ‚Zerstückelung‘ der Sowjetunion nach nationalem Prinzip durch eine gezielte Unterstützung der Freiheitsbestrebungen der nichtrussischen Nationen in der UdSSR. Er schrieb: „Die Grundlage des Prometheismus ist die Verbindung der polnischen Interessen mit dem Interesse der Völker und Nationen, die durch den Moskauer Imperialismus bereits erobert oder einer solchen Bedrohung ausgesetzt sind […]“66. Umfassender und fundierter ist dagegen die Beschreibung des US-amerikanischen Osteuropa-Historikers Timothy Snyder. In seinem 2005 erschienenen Werk „Sketches
Ahat Andican: Cedidizm’den Bağımsızlığa, S. 236. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass Andican den Aufsatz Jerzy Targalskis (1952–2021) „Les plans Polonais concernant l’éclatement de l’URSS, le mouvement „Prométhée“ et le Caucase“ (in: Bulletin de l’Observatoire de l’Asie centrale et du Caucase 3 (1997)) sowie den Aufsatz des georgischen Emigranten Data Vačnadze „Hariçte Kafkasya Birliği hareketi Tarihi“ (Birleşik Kafkasya 3–4 (1953)) rezipierte. 65 Während der Prometheismus im Milieu der polnischen Piłsudski-nahen Kreise eine Ideenströmung war, schlossen sich die nichtpolnischen Aktivisten den von Warschau aus finanzierten Netzwerken eher aus pragmatischen Gründen an als aus Ideologie. Trotz einiger für politische und soziale Bewegungen typischer Züge, lassen sich die Prometheisten viel besser als Aktivisten der transnational agierenden Netzwerke, nicht zuletzt mit Hilfe der Ansätze der sozialen Netzwerkanalyse beschreiben. Vgl. Konstantin Witschel: Netzwerkstrukturen in modernen Bürgerkriegen. Der Fall der Demokratischen Republik Kongo, Wiesbaden 2018, S. 31–35. 66 Siehe J. R. (hoch wahrscheinlich Jan Reychman): Z dziejów prometeizmu polskiego, in: Wschód 1–2/8 (1937), S. 1. 63 64
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from a secret war. A Polish artist’s mission to liberate Soviet Ukraine“ lieferte er eine der interessantesten Definitionen des Prometheismus: „The Promethean Movement was an anticommunist international, designed to destroy the Soviet Union and create independent states from its republics […]“67. Für Snyder war der Prometheismus eine intellektuelle Reaktion auf die sowjetisch-kommunistische Ideologie und „not simply a mechanism to dissolve an enemy empire“.68 Für einen anderen US-amerikanischen Russland- und Kaukasushistoriker, Alex Marshall, der sich mit dem Prometheismus am Rande seiner Auseinandersetzung mit der sowjetisch-kaukasischen Geschichte im 20. Jahrhundert befasste, war es nichts mehr als ein „intelligence project“69 Piłsudskis. Die gesamte Bedeutung der antikommunistischen und sowjetkritischen Publizistik der Prometheisten in den 1920–30er Jahren reduzierte er fast ausschließlich auf die nachrichtendienstliche Aktivität der Zweiten Polnischen Republik und auf die russlandkritische Haltung Piłsudskis. Marshall bediente sich bei seiner Darstellung des Prometheismus fast ausschließlich der englischen und russischen Sekundärliteratur, jedoch nicht der Quellen prometheistischer Diskurse, geschweige denn der polnischen und der türkischen Sekundärliteratur. Der Prometheismus bestand allerdings bei Weitem nicht nur aus dem nachrichtendienstlichen Engagement der polnischen Regierung gegen die Sowjetunion. Zu eng gefasst erscheint auch der Ansatz des französischen Turkologen Etienne Copeaux, der den Prometheismus als „un mouvement de réfugiés non russes d’URSS, né de l’échec des républiques indépendantes surgies dans l’empire lors de la revolution de 1917“70 bezeichnete. Copeaux hob die Beteiligung der turkophonen Intellektuellen einseitig hervor. Darüber hinaus betrachtete er vor allem die Rolle der Türkei in den prometheistischen Netzwerken. Als Turkologe zog er in erster Linie die turksprachigen Diskurse heran und vernachlässigte dabei die gesamte polnische und russische Debatte sowie die entsprechende Forschungsliteratur. Der regimetreue polnische Historiker und Diplomat Sergiusz Mikulicz, der in der Polnischen Volksrepublik 1971 eine größere Monographie über den Prometheismus veröffentlichte,71 definierte den Prometheismus folgendermaßen: „Die prometheistische Bewegung war […] ein antisowjetisches Instrumentarium zur Schwächung des Zusammenhalts der UdSSR, ein Versuch die Konterrevolution mit politischen Mitteln fortzusetzen […]“72. Nicht zu übersehen ist die ideologische Färbung in Mikuliczs Ausführungen. Timothy Snyder: Sketches from a secret war. A Polish artist’s mission to liberate Soviet Ukraine, Yale 2005, S. 40. 68 Ebenda, S. 41. 69 Alex Marshall: The Caucasus under the Soviet Rule, London, New York 2010, S. 217. 70 Etienne Copeaux: Le Movement „Prometheen“, in: Cahiers d’études sur la Méditerranée orientale et le monde turco-iranien 16 (1993), S. 9. 71 Sergiusz Mikulicz: Prometeizm w polityce II Rzeczypospolitej, Warschau 1971. 72 Sergiusz Mikulicz: Prometeizm europejski, in: Sprawy międzynarodowe 21/10 (1968), S. 100–110. 67
Defnitionsversuch
Für die Münchner Historikerin Nina Kozłowski ist „die Prometheus-Bewegung – eine gegen den russischen Machtanspruch gerichtete Vereinigung der in das russische Imperium einverleibten Völker“73 gewesen. Der Ausgangspunkt dieser PrometheusBewegung – so wie Kozłowski den Prometheismus in ihrer Studie von 1978 bezeichnete – sei der „Kaukasus, daher die Anknüpfung an Prometheus, der der Sage nach zur Strafe für die Entwendung des göttlichen Feuers an einen Felsen im Kaukasus gekettet worden war“74. Dabei zitierte Kozłowski die Aussagen des polnischen Sinologen und aktiven Prometheisten Włodzimierz Bączkowskis. Ähnlich wie Paweł Libera und andere polnische Historiker ging Kozłowski in ihrem Versuch, den Prometheismus zu definieren, allein von den Funden der polnischen Forschung aus. Etienne Copeaux und Georges Mamoulia dagegen haben die polnische Forschung nur am Rande berücksichtigt und sich hauptsächlich der französischen, englischen bzw. der russischen Sekundärliteratur bedient. Die kasachische Forscherin Bachyt Sadykova75 betonte bei ihrer Beschreibung des Prometheismus dessen antibolschewistischen Charakter. Der Prometheismus war ihr zufolge außerdem eine Bewegung, welche „die Anführer der nationalen Autonomien, die von der Roten Armee in der Zeitperiode von 1917 bis 1921 zerschlagen wurden, in Europa vereinigte“76. Sadykova ging dabei stark von der Lebenssituation und der persönlichen Geschichte des von ihr untersuchten Mustafa Čokaev aus, der ursprünglich aus Turkestan stammte und sich seit der Mitte der 1920er Jahre aktiv an den prometheistischen Netzwerken in Paris beteiligte. Die Befreiungsbewegung im russischen Turkestan war bekanntlich politisch viel schwächer organisiert als die im Kaukasus. Im Unterschied zu den Kaukasusrepubliken kam es dort nicht zur Gründung unabhängiger Staaten, sondern zur Entstehung ‚autonomer Entitäten‘. Das erklärt die Wortwahl in der Definition Sadykovas, wenn sie von Autonomien und nicht von souveränen Staaten spricht. Wie man aus dem oben aufgeführten kurzen Abriss bisheriger Definitionsversuche sieht, betonte die Mehrheit der Forscher und Forscherinnen die gegen die UdSSR bzw. gegen Russland gerichtete Orientierung der prometheistischen Aktivitäten. Weitgehend einig war man sich in der Frage, wer als Prometheist gelten konnte. Die Intellektuellen aus den nichtrussischen Gebieten des ehemaligen Zarenreichs stellten die Kerngruppe. Dabei fehlte in den bisherigen Definitionen die Betonung des Engagements der ‚anderen‘ Intellektuellen, die weder aus dem Kaukasus, der Ukraine, noch aus Zentralasien stammten, sich jedoch trotzdem aktiv an publizistischen und weiteren Aktivitäten beteiligten und so die Prometheisten unterstützten. Es handelte sich
Nina Kozłowski: Die politischen Gruppierungen innerhalb des Piłsudski-Lagers, München 1978, S. 82. Ebenda. Bachyt Sadykova studierte Romanistik in Moskau und hat bei ihrer Forschung zu Mustafa Čokaev seine französischen Texte sowie Archivmaterialien aus Paris miteinbezogen. 76 Bachyt Sadykova: Mustafa Čokaj v ėmigracii, Almaty 2009, S. 5. 73 74 75
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dabei um zahlreiche französische, schweizerische und türkische Intellektuelle, deren Wirken in dieser Arbeit näher beleuchtet wird. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Prometheismus ein politisches und intellektuelles Phänomen war. Dieses manifestierte sich im gegen die UdSSR gerichteten Wirken der polnischen Politiker, Nachrichtendienstler und Geisteswissenschaftler, sowie der kaukasischen, ukrainischen und anderen Exilanten und Aktivisten der polnischerseits koordinierten Netzwerke vor allem an den Standorten Paris, Warschau und Istanbul in der Zwischenkriegszeit. 1.3
Quellenbasis
Die prometheistischen Netzwerke wurden vor allem von Seiten des polnischen Nachrichtendienstes in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium und dem Generalstab organisiert und gelenkt. Deswegen sind deren Archive von kardinaler Bedeutung für die Erforschung des Prometheismus. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges gelangten die Archivbestände des polnischen Nachrichtendienstes größtenteils in sowjetischen Besitz und wurden nach Moskau ins Archiv des sowjetischen KGB überführt. Teile des Archivs des polnischen Geheimdienstes wurden 2018 als Fond 461k an das Russländische Staatliche Militärische Archiv (RGVA) gegeben.77 Diese Archivbestände sind nur partiell zugänglich, da ein Großteil der Akten als PFS78 markiert und nicht freigegeben ist. Die zugänglichen Unterlagen enthalten Berichte, Briefe und Anmerkungen der polnischen Nachrichtendienstler zu einzelnen Personen der prometheistischen Netzwerke, während die wichtigste Dokumentation immer noch im Archiv des FSB und somit den internationalen Forschern und Forscherinnen unzugänglich bleibt. Diese bleiben bis heute unter Verschluss und wurden nur teilweise von den russischen Historikern, nicht zuletzt in politischem Auftrag, veröffentlicht. Bahnbrechend sind die Dokumentensammlungen des sowjetisch-russischen Geheimdienstlers General-Major Lev F. Sockov79 und weiterer russischer Zeithistoriker, Viktor K. Bylinin (1951–2008), Aleksandr A. Zdanovič und Vladimir I. Korotaev, die 2003, 2006 und 2007 veröffentlicht wurden.80 Die Bände beruhen auf den Archivbeständen des russischen Geheimdienstes SVR, der im Zuge des Zweiten Weltkrieges – wie oben geschil-
Für die Unterstützung bei der Registration beim RGVA möchte ich mich beim Team des DHI Moskau bedanken. 78 Plochoe fizičeskoe sostojanie: Schlechter physischer Zustand. 79 Lev F. Sockov: Neizvestnyj separatizm: Na službe SD i Abvera: iz sekretnych dosje razvedki, Moskau 2003. 80 V. K. Bylinin, A. A. Zdanovič und V. I. Korotaev: Organizacija „Prometej“ i „prometejskoe“ dviženie v planach pol’skoj razvedki po razvalu Rossii/SSSR, Moskau 2007. Viele Aspekte, die für die Erforschung der prometheistischen Netzwerke von Bedeutung sind, wurden von Viktor Bylinin und Vladimir Korotaev in ihrer längeren Abhandlung zur Geschichte der OUN aufgegriffen. V. K. Bylinin, V. I. Korotaev: Portret 77
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dert – weite Teile der polnischen politischen Archive beschlagnahmte. Dokumentiert wurde darüber hinaus die von den sowjetischen Nachrichtendienstlern abgefangene Korrespondenz der polnischen Diplomaten sowie kaukasischer und ukrainischer Prometheisten aus den 1920–30er Jahren. Wichtig sind die 2015 von Matthias Uhl, Vladimir Chaustov und Vladimir Zacharov herausgegebene Dokumentensammlung der nachrichtendienstlichen Berichte zum politischen Geschehen im Europa der Zwischenkriegszeit,81 und die 2018 erschienenen Monographien der russischen Historiker Valerij N. Safonov, Oleg B. Mozochin und Boris V. Sokolov, die die Konfrontation zwischen der sowjetischen VČK und dem polnischen Geheimdienst unter die Lupe nahmen.82 Ein Teil der Archivbestände verließ Polen zusammen mit der polnischen politischen Emigration kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Richtung Großbritannien. Das Piłsudski Institute in London beherbergt wichtige Korrespondenzen aus der Nachkriegszeit, die ein breites Licht auf die prometheistische Aktivität der 1920– 30er Jahre werfen. Von den Londoner Beständen sind die Dokumentensammlungen von Michał Sokolnicki83, vor allem aber auch vom polnischen Geheimdienstoffizier Edmund Charaszkiewicz84 und Tadeusz Schaetzel85 von besonderem Interesse. Eine wichtige Quellenbasis ist die 2000 herausgegebene Dokumentensammlung von Charaszkiewicz,86 der als einer der Hauptideologen des Prometheismus gilt und 1975 im Londoner Exil starb. Die polnischen Verbindungen zu den nichtrussischen Politemigranten wie auch die Interaktionen der Letzteren untereinander, lassen sich im Zuge der Auswertung der (Privat-)Archivbestände und -Kollektionen einzelner Politemigranten rekonstruieren. Wichtig sind in diesem Kontext die vom Moskauer Historiker Salavat Ischakov herausgegebenen Korrespondenzen der aserbaidschanischen Emigranten87 und der Brief-
lidera OUN v inter’ere inostrannych razvedok (po materialam AP RF, GARF, RGVA i CA FSB RF), in: Trudy Obščestva izučenija istorii otečestvennych specslužb, Bd. 2, Moskau 2006, S. 97–139. 81 Glazami razvedki. SSSR i Evropa 1919–1938 gody. Sbornik dokumentov iz rossijskich archivov, hg. von Matthias Uhl, Vladimir Chaustov und Vladimir Zacharov, Moskau 2015. 82 Valerij N. Safonov; Oleg B. Mozochin: Osobyj otdel VČK protiv pol’skoj razvedki 1918–1921 gg., Moskau 2018; Boris V. Sokolov: Operacija „TREST“ i pol’skaja razvedka, Moskau 2018. 83 Nr. 52 Kolekcja amb. M. Sokolnickiego, Piłsudski Institute in London. 84 Nr. 62 Archiwum Edmunda Charaszkiewicza, Piłsudski Institute in London. 85 Nr. 43 Archiwum Tadeusza Schaetzela (Kolekcja No 43. Płk. Tadeusz Schaetzel), Piłsudski Institute in London. 86 Zbiór dokumentów ppłk. Edmunda Charaszkiewicza, hg. von Fundacja Centrum dokumentacji czynu niepodległościowego, Krakau 2000. 87 A. M. Topčibaši i M. Ė. Rasulzade: Perepiska. 1923–1926 gg., hg. von Salavat M. Ischakov, Moskau 2012; „Nastal moment… predat’ oglašeniju“: azerbajdžanskaja ėmigracija v pis’mach, zapiskach, telegrammach. 1920–1937 gg. Sbornik dokumentov i materialov, hg. von Salavat Ischakov, Moskau 2015.
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wechsel zwischen Zeki Velidi Togan88 und Mustafa Čokaev89, sowie den polnischen Diplomaten und Geheimdienstlern.90 Eine wichtige Sammlung von Dokumenten zur aserbaidschanischen Emigration, die auf dem Pariser Archiv von Topčibaši beruht, wurde von Georges Mamoulia und dem ehemaligen sowjetaserbaidschanischen Diplomaten Ramiz Abutalybov (1937–2022) herausgegeben.91 Von enormer Bedeutung ist zudem die von Paweł Libera herausgegebene Dokumentensammlung zur gesamten prometheistischen Aktivität, die der polnische Zeithistoriker auf der Basis der in den polnischen Archiven enthaltenen und anderswo bereits veröffentlichten Dokumente vorbereitete.92 Abgesehen von edierten Dokumentensammlungen der polnischen und russischen Historiker und Historikerinnen, konnten für diese Arbeit außerdem dank großzügiger finanzieller Unterstützung durch das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz mehrere Archive gesichtet werden. In Paris waren es die Mustafa Čokaev Sammlung (Archive de Moustafa Cokay Bey) am Institut National des Langues et Civilisations Orientales (INALCO), das bereits erwähnte Topčibaši Archiv (Archives d’Ali Mardan bey Topchibachi, Centre d’études des Mondes Russe, Caucasien & Centre-Européen) und die Bibliothèque Ukrainienne Simon Petlura. In Ankara arbeitete ich vor allem mit der Kollektion der ausländischen Dozenten der Universität Istanbul im Archiv des Türkischen Historikerverbands [Türk Tarih Kurumu]. In Warschau waren die Jan Reychman-Kollektion am Archiv der Polnischen Akademie der Wissenschaften, das Militärarchiv und das Zentrale Staatsarchiv Neuer Akten (Archiwum Akt Nowych) von großer Signifikanz. Während der Arbeit am Orient Institut Istanbul (2013–2019) konnte ich zudem Zugang zu zahlreichen privaten Sammlungen der krimtatarischen, nordkaukasischen und aserbaidschanischen Exilanten und Aktivisten der A.-Z. Validov. Iz perepiski raznych let (1920–1938 gg.), hg. von Salavat Ischakov, Moskau 2016. M. Čokaev: Nacional’noe dviženie v Srednej Azii, hg. von Salavat Ischakov, in: 1917 god v sud’bach Rossii i mira. Oktjabr’skaja revolucija: ot novych istočnikov k novomu osmysleniju, Moskau 1997; M. Čokaev. Otryvki iz vospominanij o 1917 g., hg. von Salavat Ischakov, Tokio-Moskau 2001; Zapiska M. Čokaeva „Tjurkskij front“, hg. von Salavat Ischakov, in: Central’naja Azija. Čelovek-obščestvo-gosudarstvo. Sbornik statej, Moskau 2013. Zu erwähnen ist auch die von Salavat Ischakov und Sebastian Cwiklinski herausgegebene Dokumentensammlung der russlandmuslimischen Intellektuellen. Vgl. Iz istorii musul’manskogo dviženija Evrazii načala XX veka, hg. von Salavat Ischakov und Sebastian Cwiklinski, Moskau 2016. 90 Iz istorii rossijskoj ėmigracii: pis’ma A.-Z. Validova i M. Čokaeva (1924–1932 gg.), hg. von Salavat Ischakov, Moskau 1999. 91 A. M. Topčibaši. Parižskij archiv, 1919–1940 [Tekst]: v četyrech knigach, hg. von Georgij Mamulija und Ramiz Abutalybov, Bd. 1 (1919–1921), Moskau 2016. Online zugänglich: http://anl.az/el_ru/kni qi/2016/1–768069.pdf (07.02.2018); dies. (Hg.): Pariżskij archiv (1919–1940), Bd. 2 (1921–1923), Moskau 2016. Online zugänglich: http://gobustan.cls.az/front/files/libraries/1665/books/730334769.pdf (Zugriffsdatum: 07.02.2018); dies. (Hg.): Pariżskij archiv: 1919–1940, Bd. 3 (1924–1930), Moskau 2017; Online zugänglich: http://shirvan.cls.az/front/files/libraries/2474/books/866825202.pdf (Zugriffsdatum: 26.09.2021); dies. (Hg.): Pariżskij archiv (1919–1940), Bd. 4 (1931–1940), Moskau 2018; Online zugänglich: http://217.64.17.124:8080/xmlui/bitstream/handle/123456789/689/Parijskiy_arkhiv_1919–1940_v_4_ kn_kn_4_1931–1940.pdf?sequence=1&isAllowed=y (Zugriffsdatum: 25.09.2021). 92 II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, Bd. 4, hg. von Paweł Libera, Warschau 2013. 88 89
Quellenbasis
prometheistischen Netzwerke gewinnen. Besonders wertvoll waren die İsmail OtarKollektion am Forschungszentrum für Islamische Studien (İSAM) sowie die erstmalige Einsicht in die Privatkollektion des Enkelsohns von İsmail Otar, Dr. Kaan Öztürk, und seiner Mutter Bilge Otar. Diese drei exilkrimtatarischen Kollektionen ermöglichten die nähere Erforschung der prometheistischen Aktivitäten der Krimtataren im Nexus Dobrudscha-Krim-Istanbul-Warschau. Von großer Bedeutung war die Arbeit mit Privatdokumenten des Prometheisten Ahmet Caferoğlu (Nazan Ölçer Kollektion, Istanbul), die erstmals in diesem Umfang gesichtet werden konnten: Die Kollektion enthält die Korrespondenz zwischen aserbaidschanischen, polnischen und teils tatarischen Prometheisten aus den 1930er und 1940er Jahren.93 Hilfreich war die Zusammenarbeit mit dem Istanbuler nordkaukasischen Kulturverein „Şamil Eğitim ve Kültür Vakfı“, der mir seine reiche Bibliothek mit Sammlungen der nordkaukasischen Exilperiodika aus Deutschland, Polen und der Türkei zur Verfügung stellte.94 Die publizistische Tätigkeit stand im Zentrum der prometheistischen Aktivitäten: Hierzu wurden die prometheistischen Medien analysiert. So z. B. die französischsprachigen Zeitungen „Prométhée“ (1926–1938) und „Revue de Prométhée“ (1938–1939), die teils an der Bibliothek des Orientalistischen Seminars der Johannes GutenbergUniversität Mainz und teils während der Aufenthalte am Deutschen Historischen Institut Paris an der Bibliothèque nationale de France gesichtet und ausgewertet werden konnten. Die türkischsprachigen Medien wie „Yeni Kafkasya“ (1923–1927)95, „AzerîTürk“ (1928–1929), „Odlu Yurt“ (1929–1931), „Azerbaycan Yurt Bilgisi“ (1932–1934), die in Istanbul erschienen, sowie die türkischsprachige Berliner Zeitung „İstiklal“ (1932–1934)96 wurden während der Aufenthalte in Berlin und in Istanbul ausgewertet.97 Die wichtigsten polnischsprachigen Medien der prometheistischen Netzwerke wie „Przymierze“ (1920–1921), „Wschód-Orient“ (1930–1939), „Biuletyn PolskoUkraiński“ (1932–1939), „Rocznik Tatarski“ (1932–1939) und „Problemy Europy
An dieser Stelle möchte ich Frau Dr. Nazan Ölçer für den Zugang zum Archiv herzlich danken. An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Rengin Yurdakul bedanken. Die (Leit-)artikel Mehmet Emin Rasulzades, die in der Zeitschrift „Yeni Kafkasya“ erschienen waren, wurden 2017 in der lateinischen Transliteration vom türkischen Geschichtsverband Türk Tarih Kurumu in Ankara herausgegeben. Mehmet Emin Resulzade: Yeni Kafkasya yazıları (1923–1927), hg. von Yavuz Akpınar u. a., Ankara 2017. 2018 wurden von den türkischen Historikern Yavuz Akpınar, Selçuk Türkyılmaz und Yılmaz Özkaya die gesamten Ausgaben der „Yeni Kafkasya“ in vier Bänden herausgegeben. Vgl. Yeni Kafkasya 1. Bd.: 1923–1924; 2. Bd.: 1924–1925; 3. Bd.: 1925–1926; 4. Bd.: 1926–1927, hg. von Yavuz Akpınar, Selçuk Türkyılmaz und Yılmaz Özkaya, Istanbul 2018. 96 Diese Zeitung ist fast vollständig im Archiv von Ahmet Caferoğlu (Nazan Ölçer Kollektion) in Istanbul vorhanden. 97 Es ist zu erwähnen, dass die oben genannten türkischen Zeitungen in den letzten Jahren vom Verband der türkischen Sprache (Türk Dil Kurumu in Ankara) neu aufgelegt wurden. Azerbaycan Yurt Bilgisi, Jahrgänge 1–3, Ankara 2000, 2. Aufl. 2008. Die Universität Istanbul legte die Zeitung „Odlu Yurt“ neu auf. Odlu Yurt (1929–1931): giriş-tıpkıbasım-indeks, Istanbul 2014. 93 94 95
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Wschodniej“ (1939) konnten in der Öffentlichen Bibliothek Krakau eingesehen werden. Die Erkenntnisse zu den georgischen prometheistischen Diskursen wurden der Monographie von Georges Mamoulia entnommen98 sowie zahlreichen Gesprächen mit ihm. Eine wichtige Quelle zum Wirken der prometheistischen Netzwerke in der Zwischenkriegszeit waren die Erinnerungen und Erfahrungsberichte der ehemaligen Aktivisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den polnischen Exilzeitschriften wie „Kultura“, „Niepodległość“ wie auch von Seiten der polnischen99, nordkaukasischen100, krim-101 und kasantatarischen102 Exil-Intellektuellen verfasst wurden. Die regelmäßig erscheinenden aserbaidschanischen Exilmedien in der Türkei, wie die 1951 gegründete Ankaraner Monatszeitschrift „Azerbaycan“103, entwickelten sich zu wichtigen Foren für die in der Türkei ansässigen Exilanten aus dem Kaukasus und Zentralasien. Eine wichtige Quelle für die Geschichte der prometheistischen Netzwerke sind nicht zuletzt die Stimmen ihrer Gegner. Dazu zählten die Beiträge in den sowjetischen Periodika, wie z. B. „Žizn’ nacional’nostej“ [Das Leben der Nationalitäten] oder vor allem in den Zeitungen des Pariser weißrussischen Emigré-Milieus, wie z. B. „Dni“ [Tage], „Poslednie novosti“ [Letzte Nachrichten], „Vozroždenie“ [Wiedergeburt]. Ebenso gehörten dazu die polenkritischen ukrainischen Zirkel im polnischen Galizien, wie auch in Prag und die sich bereits Ende der 1920er Jahre abgespaltene Gruppe „Kavkaz“ [Kaukasus] um Gejdar Bammat104, die in Berlin ihre eigene Zeitschrift gegründet hatten und die Prometheisten publizistisch herausforderten.
Georges Mamoulia: Les combats indépendantistes des caucasiens entre URSS et puissances occidentales: Le cas de la Géorgie (1921–1945), Paris 2009. 99 Jerzy Giedroyć: Autobiografia na cztery ręce, hg. von Krzysztof Pomian, Warschau 1999. 100 Abdullah Battal Taymas: Rus ihtilâlinden hâtıralar. 1917–1919, 2. Aufl., Istanbul 1968. 101 Müstecib Ülküsal: Dobruca ve Türkler, Ankara 1966. 102 Şevki Bektöre’nin hatıratı, hg. von Saadet Bektöre, 3. Aufl., Ankara 1969. 103 Azerbaycan. Aylık Kültür Dergisi. Das gesamte Heft 22–23 (1954) wurde dem 70. Jubiläum des exilaserbaidschanischen Prometheisten Mehmet Emin Rasulzade gewidmet. Anhand mehrerer Beiträge, die vom nordkaukasischen Exilanten Abdullah Battal Taymas, dem krimtatarischen Aktivisten Cafer Seydahmet u. a. verfasst worden waren, kann man die Entstehungsgeschichte der Netzwerke bis in die vorrevolutionäre Zeit hinein nachzeichnen. 104 Gejdar (Haidar) Bammat (1890, Timur-Chan Šura – 1965, Paris) war ein nordkaukasischer Emigrant kumykischer Herkunft. Er war ehemaliger Außenminister der nordkaukasischen Bergvölker. Nach der Sowjetisierung des Nordkaukasus war Bammat seit 1920 im Exil in Tiflis und nach der bolschewistischen Okkupation Georgiens in Frankreich. 1926 nahm er die afghanische Staatbürgerschaft an. 1938 wanderte er in die Schweiz aus. Trotz seines aktiven Engagements in den prometheistischen Netzwerken, distanzierte er sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre von ihnen und wanderte in die Türkei und später nach Frankreich aus. Begeistert von der konservativen Revolution während der Zeit der Weimarer Republik sowie vom rechtsradikalen Gedankengut in Frankreich, entwickelte er sich zu einem verbitterten Gegner der Prometheisten. 1938–1948 war er als Diplomat für Afghanistan in der Schweiz tätig und schrieb extensiv über die islamische Geschichte sowie die Geschichte des Kaukasus. Bammat unterhielt auch nach dem Zweiten Weltkrieg Kontakt zu den kaukasischen Emigranten und schrieb Beiträge zu Islam-bezogenen Themen. 1946 erschien seine Abhandlung „Visages de l’Islam“ in Lausanne. Detaillierter zu Bammat, siehe 98
Forschungsstand
Auch den Festschriften105 und Mémoiren einzelner Aktivisten und Ideologen der prometheistischen Ideenströmung wie z. B. des krimtatarischen Intellektuellen Cafer Seydahmet Kırımer106, des tatarischen Exilanten Abdullah Battal-Taymas107, des baschkirisch-türkischen Intellektuellen Zeki Velidi Togan108, des Dobrudschaer Tataren Müstecip Fazıl Ülküsal109 und der Ehefrau Mustafa Čokaevs, Marija Jakovlevna Čokaeva110, sowie den Erinnerungen der Töchter von Ayaz Ishaki111 und Ahmet Caferoğlu112, kommt eine große Bedeutung zu. 1.4
Forschungsstand
Der US-amerikanische Zeithistoriker Philip Morgan schrieb in seiner Geschichte des Faschismus in Europa: um den Faschismus zu begreifen, „you have to write its history, or histories“113. Ohne es vergleichen zu wollen, kann man sich dem Phänomen des Prometheismus ähnlich nähern. Seine Geschichte zu schreiben, heißt wortwörtlich seine Geschichten in ihrer Summe und Verflochtenheit zu zeigen. Es handelt sich auch um nationale Prometheismen, d. h. um einen polnischen,114 ukrainischen u. a. PrometheisGiorgij Mamulia: Ego vysšim političeskim idealom byla kavkazskaja konfederacija: Gajdar Bammat i gruppa „Kavkaz“ (1934–1939), in: Gajdar Bammat i žurnal „Kavkaz“, Machatschkala, Paris 2010, S. 5–45. 105 Muhammed Ayaz Ishaki hayatı ve faaliyeti. 100. doğum yılı dolayısıyla, hg. von Tahir Çağatay, Ali Akış, Saadet Çağatay Ishaki und Hasan Agay, Ankara 1979. 106 Vgl. Cafer Seydahmet Kırımer: Bazı hatıralar, Istanbul 1993. 107 Vgl. A. Battal-Taymas: Ben bir ışık arıyordum (Kızıl Dünya), 2. Aufl., Istanbul 1962; ders.: Rus ihtilâlinden hâtıralar 1917–1919, 2. Aufl., Istanbul 1968. 108 Vgl. Prof. Zeki Velidi Togan: Hâtıralar. Türkistan ve diger müslüman doğu türklerinin milli varlık ve kültür mücadeleri, Istanbul 1969. 109 Vgl. Müstecip Ülküsal: Kırım yolunda bir ömür. Hatıralar, Ankara 1999. Zu Ülküsal siehe Hüseyin Ağuiçenoğlu: Zwischen Bindung und Abnabelung. Das „Mutterland“ in der Presse der Dobrudscha und der türkischen Zyprioten in postosmanischer Zeit, Wiesbaden 2012, S. 145 ff. 110 Ihre Memoiren erschienen auf Türkisch in Istanbul und waren eine Übersetzung aus dem Russischen. Der Übersetzer erschien unter dem Pseudonym Türkistanlı (Turkestaner). Siehe M. Y. Çokayoğlu: Eşinin ağzından Mustafa Çokayoğlu, Istanbul 1972. Das Buch erschien in der Reihe der Exilturkestaner „Yaş Türkistan Yayını“. Dieses Buch wurde in den 1990er Jahren erneut aus dem Türkischen ins Russische übersetzt. Die kasachische Romanistin und Laienhistorikerin Bachyt Sadykova kritisierte die Stilistik der Übersetzung und bereitete eine neue, sprachlich eher lyrisch verfasste Version des Memoirenwerks vor. Sadychova, die selbst des Türkischen nicht mächtig ist, hat praktisch die russische Version der Übersetzung der 1990er Jahre sprachlich angepasst, ohne dabei unbedingt der türkischen Erstübersetzung treu zu bleiben. Siehe Marija Čokaj: Ja vam pišu iz Nožana. (Vospominanija, pis’ma, dokumenty), Almaty 2001. 111 Saadet Çağatay-İshaki: Babam Ayaz İshaki’nin Son Günleri, in: Muhammed Ayaz İshaki hayatı ve faaliyeti, hg. von Çağatay u. a., Ankara 1979, S. 337–343. 112 Nazan Ölçer: Babam Prof. Dr. Ahmet Caferoğu’nun Anısına, in: Kubbealtı Akademi Mecmuası 173 (2015), S. 42–53; dies.: Babam Prof. Dr. Ahmet Caferoğlu, in: Doğumunun 120. Yılında Prof. Dr. Ahmet Caferoğlu Hâtıra Kitabı, hg. von Fikret Turan und Özcan Tabaklar, Istanbul 2019, S. 15–26. 113 Philip Morgan: Fascism in Europe, 1919–1945, London, New York 2003, S. 5. 114 Die Monographien Lewandowskis und Mikuliczs sind brillante Beispiele für eine ethnozentrische Darstellung des polnischen Prometheismus.
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mus und um deren Verflechtungen miteinander. Gerade diese Verflechtungen werden in dieser Arbeit besonders in den Fokus gerückt. Ein besseres Verständnis des Phänomens der Veflechtung ist ohne Berücksichtigung der Einflüsse ‚von außen‘ bzw. ‚vor Ort‘, d. h. in Paris, in Warschau und Istanbul, sowie ohne die Berücksichtigung der spezifischen Entwicklungen in den jeweiligen nationalen Ideengeschichten und Denktraditionen kaum möglich. Dieser Ansatz wurde leider in der bisherigen Forschung zum Prometheismus nicht verfolgt. In den Dekaden nach dem Machtantritt der Kommunisten in Polen um 1945 wurde der Prometheismus als eine bourgeoise Begleiterscheinung des Piłsudski-Regimes aus dem öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs in der Volksrepublik Polen verdrängt. Auch die aktiven Prometheismus-Aktivisten, wie z. B. der Orientalist Jan Reychman, die ihre Karriere im kommunistischen Polen fortsetzten, versuchten sich zum Prometheismus nicht zu äußern und die sie kompromittierenden Unterlagen und Dokumente sogar aus den Archiven zu entfernen.115 Nichtdestotrotz konnten bereits in der Volksrepublik Polen in den 1960–70er Jahren einige, zwar deutlich ideologisierte, jedoch faktenreiche und umfangreiche Publikationen zum Prometheismus in der Zwischenkriegszeit, aus den Federn des polnischen Historikers Józef Lewandowski116 und des polnischen Diplomaten und Journalisten Sergiusz Mikulicz117, entstehen. Vergleichend lässt sich leicht feststellen, dass Mikulicz weniger polemisch als Lewandowski die Entwicklung des Prometheismus nachzeichnete. Dabei muss erwähnt werden, dass Lewandowski im Laufe der 1960er Jahre regimekritisch wurde und nach den Märzereignissen 1968 in Polen politisches Asyl in Schweden beantragte. Seit 1969 lehrte er Geschichte an der Universität Uppsala und veröffentlichte 1975 in der Pariser Exilantenzeitschrift „Zeszyty historyczne“ [Historische Hefte] eine selbstkritische Darstellung dessen, wie er als „Kommunist revisionistischer Prägung“118 zum Thema des Prometheismus gearbeitet hatte. Neben den Monographien Mikuliczs und Lewan115 Das Archiv von Jan Reychman an der Universität Warschau enthält nur einen Bruchteil der Prometheismus-Schriften Reychmans. Gerne möchte ich an dieser Stelle der Mitarbeiterin des Universitätsarchivs in Warschau Anita Chodkowska für ihre Hilfsbereitschaft danken. 116 Józef Lewandowski (1923, Konin – 2007, Stockholm) war ein polnisch-schwedischer Historiker. Józef Lewandowski: „Prometeizm“ – Koncepcja polityki wschodniej piłsudczyzny, in: „Biuletyn Wojskowej Akademii Politycznej im. F. Dzierżyńskiego“, 1 (1958), Nr. 2 (12), S. 100–137; ders.: Federalizm. Litwa i Bialoruś w polityce obozu belwederskiego (XI. 1918 – IV. 1920), Warschau 1962; ders.: Imperializm słabości. Kształtowanie sie koncepcji polityki wschodniej piłsudczyków 1921–1926, Warschau 1967; ders: „Prometeizm“ – koncepcja polityki wschodniej piłsudczyzny, in: Biuletyn WAP, Seria Historyczna, Jg. 4, Teil I und II, Nr. 2/12 (1958), S. 100–137 sowie Nr. 1/14 (1959), S. 31–52. 117 Sergiusz (Syriusz) Mikulicz (1932-) ist polnischer Diplomat und Journalist im Ruhestand. In der Volksrepublik Polen arbeitete er vermutlich mit dem polnischen Nachrichtendienst zusammen. In den 1970er Jahren war er als erster Botschafter an der polnischen Botschaft in Kambodscha tätig. Das ermöglichte ihm unter anderem den Zugang zu den Archiven. Sergiusz Mikulicz: Od Genui do Rapallo, Warschau 1966; ders.: Prometeizm europejski, in: Sprawy międzynarodowe 21/10 (1968), S. 100–110; ders.: Prometeizm w polityce II Rzeczypospolitej, Warschau 1971. 118 Józef Lewandowski: Między historią a współczesnością, in: Zeszyty historyczne 33 (1975), S. 28.
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dowskis widmete die kommunismustreue Zeithistorikerin Helena Stęborowska dem Themenfeld einen kurzen Aufsatz „Akcja prometejska“ [Prometheistische Aktion], der 1966 in einem sowjetisch-polnischen Sammelband erschien.119 Außer Lewandowski und Mikulicz griff der polnische Zeithistoriker und Politiker Stanisław Wroński (1916–2003)120 das Thema der Zusammenarbeit zwischen den polnischen Regierungskreisen und der antisowjetischen Emigration in der Zwischenkriegszeit Ende der 1960er Jahre auf. Die Abhandlungen zur kaukasischen Geschichte, die in der Volksrepublik Polen erschienen, haben den Prometheismus-Aspekt oft gänzlich ausgeblendet. So gingen die fundierten Werke von Bohdan Baranowski121 und Krzysztof Baranowski zur georgischen und zur aserbaidschanischen Geschichte, die 1987 im angesehenen Breslauer Verlag Ossolineum erschienen und in denen die Autoren besonders detailliert die Geschichte der polnisch-kaukasischen Beziehungen beleuchteten, auf das Thema des Prometheismus nicht ein.122 Aufgrund der Glorifizierung Piłsudskis und der Zweiten Republik in der polnischen Zivilgesellschaft, im polnischen Untergrund und in der westlichen Diaspora erlebte die Forschung zum Prometheismus dagegen im polnischen Exil gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, eine neue Entwicklung. Zu erwähnen sind an dieser Stelle zahlreiche Beiträge, die zur Thematik in den bedeutenden polnischen Exilzeitschriften „Niepodległość“ [Unabhängigkeit], „Kultura“ [Kultur] und „Zeszyty historyczne“ in Paris, London und New York in den 1950–80er Jahren erschienen.123 Anfang der 1990er Jahre wurde diese Thematik dann vom wissenschaftlichen und publizistischen Diskurs im postkommunistischen Polen aufgegriffen. Ein Paradebeispiel stellen die Publikationen des US-amerikanisch-polnischen Kaukasushistorikers und Islamwissenschaftlers Tadeusz Świętochowski (1934–2017)124, der polnischen
119 Helena Stęborowska: Akcja prometejska, in: Z dziejów stosunków polsko-radzieckich, Bd. 2, Warschau 1966, S. 221–223. 120 Stanisław Wroński: Współdziałanie rządu polskiego z emigracyjnymi organizacjami antyradzieckimi w latach 1918–1939, in: Z Dziejów Stosunków Polsko–Radzieckich. Studia i Materiały 3 (1968), S. 262–288. 121 Bohdan Baranowski (1915–1993) studierte Orientalistik und Ethnologie an der Universität Warschau in den 1930er Jahren. Dort hat er promoviert und sich 1946 habilitiert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich sein persönliches Interesse am Kaukasus insbesondere aus den Begegnungen am Warschauer Ostinstitut (Instytut Wschodni) speiste. 122 Vgl. Bohdan Baranowski, Krzysztof Baranowski: Historia Gruzji, Breslau u. a. 1987; dies: Historia Azerbejdżanu, Breslau u. a. 1987. 123 Zu erwähnen sind vor allem die Aufsätze von M. Sokolnicki: Michał Sokolnicki: Józef Piłsudski a zagadnienie Rosji, in: Niepodległość 2 (1950), S. 51–70; ders.: Polityka Piłsudskiego a Turcja, in: Niepodległość 6 (1958), S. 5–22 und der Beitrag Bączkowskis, vgl. Włodzimierz Bączkowski: Prometeizm na tle epoki. Wybrane fragment na tle epoki, in: Niepodległość 17 (1984), S. 28–54. 124 Tadeusz Świętochowski: Russia and Azerbaijan. A Borderland in Transition, New York 1995; ders., Brian C. Collins: Historical Dictionary of Azerbaijan, Lanham MD, 1999; ders.: Azerbejdżan, Warschau 2006.
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Zeithistoriker Wojciech Materski125, Marek Kornat126 und Andrzej Nowak127, als auch der jüngeren polnischen Zeithistoriker Ireneusz Piotr Maj128 und Paweł Libera129 dar. Im Jahre 2001 erschien eine größere Publikation des polnischen Historikers Andrzej Nowak, der die Ostpolitik Piłsudskis 1918–1920 anhand neuer Archivfunde analysierte und dabei explizit auf das Thema des Prometheismus einging.130 Diese Arbeiten sind unabdingbar für das Studium der Geisteswelt des Intellektuellen- und Politiker-Kreises um Piłsudski. In der Sowjetunion wurde das Thema der prometheistischen Netzwerke fast immer am Rande der kritischen Auseinandersetzung mit der antisowjetischen Strategie der westlichen Staaten gegenüber der UdSSR behandelt. Exemplarisch ist die Monographie des sowjet-lettischen Historikers Karlis Počs über das „Baltikum und Polen in den antisowjetischen Plänen des englischen und französischen Imperialismus (1921– 1929)“ aus dem Jahr 1985.131 Interessanter ist die Forschung zum Prometheismus im postkommunistischen Russland. Im Jahre 2002 veröffentlichte die russische PolenHistorikerin Tatjana M. Simonova einen umfangreichen Artikel zum Prometheismus in der Zeitschrift „Novaja i Novejšaja Istorija“ [Neue und Neueste Geschichte],132 der allerdings einen kürzeren Zeitraum (1919–1924) abdeckte, und grösstenteils auf die Monographien Lewandowskis und vor allem Mikuliczs zurückgriff. Erwähnenswert ist außerdem die Untersuchung Simonovas zu den Aktivitäten der russischen Emigra-
125 Wojciech Materski: Polska akcja wojskowa w Gruzji i na Zakaukaziu (1917–1920), in: Międzymorze. Polska i kraje Europy środkowo-wschodniej. XIX–XX wiek, hg. von Instytut Historii PAN, Warschau 1995; ders.: Gruzja, Warschau 2000. 126 Marek Kornat: Ruch prometejski – ważne doświadczenie polityki zagranicznej II Rzeczypospolitej, in: Nowa Europa Wschodnia 2/2 (2008), S. 76–86. 127 Andrzej Nowak: Jak rozbić rosyjskie imperium? Idee polskiej polityki wschodniej, 1733–1921, Warsschau 1995; ders.: Przez Ukrainę i Kaukaz na Petersburg: początek drogi do koncepcji prometejskich w polskiej myşli politycznej, in: Ruch prometejski i walka o przedbudowę Europy Wschodniej (1918–1940), hg. von Marek Kornat, Warschau 2012, S. 11–34. 128 Ireneusz Piotr Maj: Instytut Wschodni w Warszawie – zarys działalności, in: Analecta 1–2 (2002), S. 141–153; ders.: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie. 1926–1939, Warschau 2007; ders.: W służbie koncepcji prometejskiej – Instytut Wschodni w Warszawie, in: Ruch prometejski…, hg. von Kornat, Warschau 2012, S. 201–218. 129 Paweł Libera: Zwalczanie ruchu prometejskiego w Polsce Ludowej: wstęp do badań, cz. 1, in: Historia i Polityka 1/11 (2010); ders.: Zapomniane karty z dziejów polskiego prometeizmu, in: Pressje 10 (2010); ders.: Ewolucja ruchu prometejskiego w okresie międzywojennym, in: Ruch prometejski…, hg. von Kornat, Warschau 2012, S. 219–244. 130 Andrzej Nowak: Polska i trzy Rosje. Studium polityki wschodniej Józefa Piłsudskiego (do kwietnia 1920 roku), Krakau 2001. 131 K. Ja. Počs: „Sanitarnyj kordon“: Pribaltijskij region i Pol’ša v antisovetskich planach anglijskogo i francuzskogo imperializma (1921–1929 gg.), Riga 1985. 132 Tat’jana M. Simonova: „Prometeizm“ vo vnešnej politike Pol’ši. 1919–1924 gg., in: Novaja i novejšaja istorija 4 (2002), S. 47–63. Siehe auch den früheren Beitrag Simonovas: Dies.: „Imperialističeskie idei vid bezumija…“ Prometeizm vo vnešnej politike Pol’ši v 1919–1923 godach, in: Dialog (01.06.2000), S. 69–76.
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tion in Polen in der Zwischenkriegszeit.133 In beiden Beiträgen konnte sich Simonova an mehreren Stellen allerdings nicht von der Rhetorik der sowjetischen Historiker befreien, welche Piłsudski aufgrund des ideologischen Antagonismus ausschließlich in negativen Kategorien beschrieben. Außerdem präsentierten die Aufsätze kaum neue Funde und stellten größtenteils eine russischsprachige Zusammenfassung der oben erwähnten Monographien Lewandowskis und Mikuliczs dar. Bis heute wird der 1984 erschienene Aufsatz des US-amerikanischen Historikers Richard Woytak „The Promethean Movement in Interwar Poland“ intensiv rezipiert.134 Auch die Beiträge der kaukasischen Zeithistoriker wie z. B. Nasiman Yaqublu135, Georges Mamoulia136 und die kürzeren Berichte auf der Homepage der Nichtregierungsorganisation „Stowarzyszenie Dom Kaukaski w Polsce“137 [Verein Kaukasisches Haus in Polen], die sich mit dem Thema des Prometheismus befassen, sind an dieser Stelle erwähnenswert. Es gibt eine Reihe von Studien, die sich mit den einzelnen Personen, Orten, Presseorganen und Institutionen auseinandersetzen, die für den Prometheismus von unterschiedlicher Signifikanz waren. Der US-amerikanische Forscher Charles W. Hostler138 z. B. ging in seinem Aufsatz über die Verflechtungen zwischen den Türken und den Turkvölkern des sowjetischen Zentralasiens „The Turks and Soviet Central Asia“ von
133 Vgl. Tatjana M. Simonova: Russkaja ėmigracija v Pol’še v 20–30-e gg. (Problema sochranenija nacional’noj identičnosti), in: V poiskach lučšej doli. Rossijskaja emigracija v stranach Central’noj i JugoVostočnoj Evropy. Vtoraja polovina XIX – pervaja polovina XX v., hg. vom Institut der Slawistik der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau 2009, S. 207–246; dies.: Koncepcija „prometeizma“ i politika Pol’ši v otnošenii ėmigracii iz Rossii (1920–1930), in: Problemy istorii Russkogo zarubež’ja: materialy i issledovanija, hg. von N. T. Eneeva u. a., Moskau 2005, S. 266–290. 134 Richard Woytak: The Promethean Movement in Interwar Poland, in: East European Quarterly 18/3 (September 1984), S. 273–278. Woytaks Studie unterschied sich von den früheren Studien von Lewandowski und Mikulicz nicht zuletzt dadurch, dass er die Archivbestände an den polnischen Exileinrichtungen in London und in den USA, vor allem die Akten und Schriften des Nachrichtendienstchefs Edmund Charaszkiewicz sichten konnte. Paweł Libera: Pierwsza notatka o „zagadnieniu prometejskim“ mjr. Edmunda Charaszkiewicza, in: NP 8 (2015), S. 138. Eine Reihe der Autoren übernahm die Chronologie des Prometheismus von Woytak. Vgl. David X. Noack: Die polnische Bewegung des Prometheismus im global-geschichtlichen Kontext 1918–1939, in: ÖMZ 2 (2014), S. 187–192. 135 Nasiman Yaqublu ist aserbaidschanischer Zeithistoriker an der Staatlichen Universität Baku, der 2007 mit finanzieller Unterstützung der polnischen Botschaft in Baku eine vergleichende biographische Studie zu Piłsudski und Rasulzade herausgab. Vgl. ders.: Azǝrbaycan-Polşa ǝlaqǝlǝrindǝ M. Ә. Rǝsulzadǝnin rolu, Baku 2007. 136 Giorgij Mamulija: Gruzinskij legion v bor’be za svobodu i nezavisimost’ Gruzii v gody vtoroj mirovoj vojny, Tbilisi 2003; ders.: Le Caucase dans les plans stratégiques de l’Allemagne (1941–1945), in: Cahiers du CEHD 29 (2006), S. 43–91. 137 Die Nichtregierungsorganisation „Stowarzyszenie Dom Kaukaski w Polsce“ wurde von der aserbaidschanisch-polnischen Medienwissenschaftlerin Hicran Aliyeva geleitet und finanziell mit Fördermitteln des polnischen Außenministeriums gegründet. Die NGO setzt sich mit der Völkerverständigung im Kaukasus im Geiste der Ideen der kaukasischen Föderation und des Prometheismus auseinander. 138 Charles Warren Hostler (1919–2014) war ein US-amerikani scher Forscher, Diplomat, Militärangehöriger und Nachrichtendienstler mit längeren Stationierungen in Frankreich und im Nahen Osten.
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1958 kurz auf den Prometheismus ein.139 Besonders wichtig sind die Studien der bereits erwähnten, kasachischen Historikerin und Journalistin Bachyt I. Sadykova140 und des US-amerikanischen Historikers und Orientalisten Edward J. Lazzerini141 zur Person des turkestanischen Intellektuellen und Prometheisten Mustafa Čokaev (1890–1941). Wichtig ist zudem die Herausgabe der „ausgewählten Werke“ Čokaevs, die 2016 in zwei Bänden in Almaty erfolgte.142 Hervorzuheben sind die Arbeiten des Historikers Volodymyr Komar zu wichtigen Prometheisten wie dem ukrainischen Exilanten Roman-Smal’-Stoc’kyj143, und dem polnischen Nachrichtendienstler und Diplomaten Władysław Pelc144, zur Geschichte des ukrainischen Prometheismus 1923–1926145 sowie zur Rolle von Belarus146 im polnischen Prometheismus. Die Kiewer Zeithistorikerin Valentyna Piskun forschte intensiv zur ukrainischen Emigration und ihrer Interaktion mit dem prometheistischen Netzwerk.147 Weitere wichtige Arbeiten zum Nexus der polnischen Ukraine-Politik in den 1920–30er Jahren im Kontext der prometheistischen Netzwerke sind die Monographie von Jan Jacek Bruski148, die Beiträge von Ralph Schattkowsky149 sowie die von Svetlana Kravčenko150. In seiner Monumentalmonographie „Deutsche und Ukrainer 1914–1939“ ging Frank Golczewski auf die Zu-
Charles W. Hostler: The Turks and Soviet Central Asia, in: Middle East Journal 12/3 (1958), S. 261–269. Bachyt Sadykova: Mustafa Čokaj v ėmigracii, Almaty 2009. Dies.: Mustafa Tchokay dans le mouvement promethéen, Paris 2007. 141 Edward J. Lazzerini: The Archive of Mustafa Chokay Bey: An Introduction, in: Cahiers du monde russe et sovietique 21 (1980), S. 235–239. 142 Mustafa Šokaj: Izbrannye Trudy, hg. von K. L. Ėlsmagambetov, Bd. 1: 1914–1930, Bd. 2: 1930–1941, Almaty 2016. 143 Vgl. Volodymyr Komar: Učast’ Romana Smal’-Stoc’koho v mižnarodnomu prometeivs’komu rusi (1921–1939), in: Ukraina: kul’turna spadščina, nacional’na svidomist’, deržvnist’ 17/2008, S. 212–219. An dieser Stelle sollte man den polnisch-georgischen Aktivisten Giorgi ( Jerzy) Nakašidze erwähnen, der bereits in den 1960er Jahren zu einem ähnlichen Thema geschrieben hatte. Vgl. Georges Nakaszydze: Professor Smal-Stocki and the Promethean Movement, in: The Ukrainian Quaterly (1968–69), S. 252–261. 144 Wołodymyr Komar: Władysław Antoni Pelc: rys biografii prometejskiej, in: NP 6 (2014), S. 75–84. 145 Wołodymyr Komar: Emigracja URL w ruchu prometejskim okresu międzywojennego, in: Ruch prometejski…, hg.von Kornat, Warschau 2012, S. 19–26. 146 Volodymyr Komar: Belarus’ v pol’skoj politike prometeizma v 20-x gg. XX v., in: Rossijskie i slavjanskie issledovanija: naučnyj sbornik 3 (2008), S. 76–82. 147 Valentyna Piskun: Učast’uriadu UNR v emihracii u prometeivs’komu rusi: polityčnyj, teritorial’nyj ta indyvidual’nyj vymiry, in: Slavistyčna zbirka 1 (2015), S. 232–247; dies.: Portret dijača UNR Ilariona Kosenka za spogadami druziv ta oficijnymy dokumentamy, in: Serija „Istoryčni nauky“ 23 (2015), S. 261–265. 148 Jan Jacek Bruski: Between Prometheanism and Realpolitik. Poland and Soviet Ukraine, 1921–1926, Krakau 2016. Es handelt sich um eine weitgehend erweiterte Version der polnischsprachigen Monografie. Vgl. ders.: Między prometeizmem a Realpolitik. II Rzeczpospolita wobec Ukrainy Sowieckiej 1921–1926, Krakau 2010. 149 Ralph Schattkowsky: Prometheismus und Osteuropaforschung in der Zweiten Polnischen Republik, in: ZfOF 61 (2012), S. 519–565; ders.: Polnische Ukrainediskurse der Zwischenkriegszeit, in: ZfOF 66 (2017), H. 2, S. 180–212; ders.: Osteuropaforschung in Polen 1918–1939, Wiesbaden 2019. 150 Svetlana Kravčenko: Vopros pol’sko-ukrainskich otnošenij v geopolitičeskoj koncepcii pol’skich prometeistov, predstavlennoj na stranicach periodičeskich izdanij 30-x godov XX veka, in: Studia z historii społeczno-gospodarczej IX (2011), S. 343–362. 139 140
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sammenarbeit zwischen der UNR-Emigration mit Deutschland, wie auch kurz auf die prometheistischen Aktivitäten der ukrainischen Exilanten ein.151 Dank der Arbeiten des polnischen Historikers Ludwik Hass152 und der russischen HistorikerInnen Andrej I. Serkov153, A. V. Lavrenova154 und Irina Babič155 konnte die freimaurerische Tätigkeit vieler prominenter Prometheisten aus der Ukraine und dem Kaukasus erfasst werden. Aufgegriffen werden in dieser Arbeit zudem die Studien der polnisch-aserbaidschanischen Historikerin Shahla Kazimova zur Beteiligung Mehmet Emin Rasulzades an den prometheistischen Netzwerken156, die längere Monographie Vüqar İmanovs (İmanbeylis)157, die zahlreichen Publikationen Cəmil Həsənlis sowie der Aufsatz von Vincent Fourniau158 über den aserbaidschanischen Exilpolitiker Ali Mardan Topčibaši (1859–1934) in Paris. Erwähnenswert ist auch der Beitrag des Kulturhistorikers Wojciech Karpińskis, der versucht hat, die Aktivitäten der prometheistischen Netzwerke im Kontext der polnischen Ideengeschichte des 19. und des 20. Jahrhunderts zu verorten.159 Ein Überblick über die polnische Ostpolitik, und vor allem über die polnisch-sowjetischen Beziehungen ist der Monographie von Kai von Jena zu verdanken.160 Viele interessante Einblicke enthält die Monographie des bulgarischen Zeithistorikers und Diplomaten Dimit’r Vandovs zu den sowjetisch-türkischen Beziehungen und der türkischen Presse unter Mustafa K. Atatürk.161 Unverzichtbar war die 2005 vom türkischen Historiker und Politiker Ahat Andican herausgegebene Sammlung von Aufsätzen verschiedener Prometheisten wie z. B. von A. Zeki Velidi Togan, Abdülkadir
Vgl. Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn u. a. 2010, insb. S. 728–753. Ludwik Hass: Wolnomularstwo w Europie środkowo-wschodniej po pierwszej wojnie światowej, in: Studia z Dziejów ZSRR i Europy Środkowej (1968), S. 95–130. 153 Andrej I. Serkov: Istorija russkogo masonstva 1845–1945, St. Petersburg 1997. 154 A. V. Lavrenova: Posredniki ili avantjuristy? Sovetsko-francuzskie kontakty v period nepriznanija (1917–1924 gg.), in: Rossija i Francija. XVIII–XIX veka, hg. von Petr Čerkasov, Moskau 2017, S. 176–195. 155 Irina Babič: Kavkazcy v russkich masonskich ložach Francii (1922–1939 gg.), in: Kavkaz&Globalizacija 3–4 (2014), S. 98–116. 156 Shahla Kazimova: Prometeizm w poglądach i działalności Mehemmeda Emina Resulzadego, in: Pro Georgia 20 (2010), S. 127–137. 157 Vügar Imanov: Ali Merdan Topçubaşı (1865–1934). Lider Bir Aydın ve Bağımsız Azerbaycan Cumhuriyeti’nin Temsili, Istanbul 2003. 158 Vgl. Vincent Fourniau: Deux langues, trois pays, pour quelle société plurielle?, in: Mélanges offertes à Louis Bazin, par ses disciples, collègues et amis, édités par Jean-Louis Bacqué-Grammont et Rémy Dor, Paris 1992, S. 305–309. 159 Wojciech Karpiński: Prométhée polonais, in: Communications 78 (2005), S. 139–149. Ein Jahr zuvor erschien der polnischsprachige Beitrag Karpińskis. Vgl. ders.: Polski Prometeusz, in: Zeszyty historyczne 147 (2004), S. 3–15. 160 Kai von Jena: Polnische Ostpolitik nach dem Ersten Weltkrieg: Das Problem der Beziehungen zu Sowjetrußland nach dem Rigaer Frieden von 1921, Stuttgart 1980. 161 Dimit’r Vandov: S’vetsko-Turskite otnošenija i turskija pečat po vremeto na Atatjurk, Sofia 2006. 151 152
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İnan, Mustafa Čokaev, Tahir Šakir u. a. aus der Istanbuler Zeitschrift der Turkestaner Emigrés „Yeni Türkistan“.162 Zum Themenkomplex Finnland und der Prometheismus sind die Arbeiten der russischen, finnischen und polnischen Historiker wie Arno Survo, Kalervo Hovi163, Timo Salminen164, Harry Halén165, Antero Leitzinger166, A. Ju. Pjukkenen167, Valerij Šarapov168 und Paweł Libera169 zu nennen, sowie vor allem die vom russischen Geheimdienst FSB herausgegebenen Dokumentensammlungen hervorzuheben.170 Zur finnisch-ukrainischen Verflechtung profitierte ich von den Arbeiten des ukrainischen Historikers Viktor M. Matvienko171. Dem polnisch-rumänischen Beziehungsgefüge wurden mehrere Abhandlungen der rumänischen Zeithistoriker gewidmet.172 Die polnisch-japanischen und kaukasisch-japanischen Verflechtungen standen im Mittelpunkt der bahnbrechenden Arbeiten des US-amerikanischen Historikers Hiroaki Kuromiya. Seine zusammen mit Georges Mamoulia173 verfasste Monographie behandelte die Aktivität der prometheistischen Netz-
162 Türkistan’ın Bağımsızlığına Hizmet Eden ‘Yeni Türkistan’dan seçilmiş makaleler (1927–1931), hg. von Ahat Andican, Istanbul 2005. 163 Kalervo Hovi: Polish-Finnish Cooperation in Border-State Policy, 1919–1922, in: Journal of Baltic Studies 2 (1983), S. 121–127; ders.: Interessensphären im Baltikum. Finnland im Rahmen der Ostpolitik Polens 1919–1922, Helsinki 1984. 164 Timo Salminen: In between research, the ideology of ethnic affinity and foreign policy: The Finno-Ugrian Society and Russia from the 1880s to the 1940s, Helsinki 2009, S. 225–262. 165 Harry Hallén: A Bibliographical Survey of the Publishing Activities of the Turkic Minority in Finland, Studia Orientalia edited by the Finnish Oriental Society (51:11), Helsinki 1979. 166 Antero Leitzinger: Lessons from Integration of Aliens in Finland 1917–1944, in: The Eurasian Politician 2 (October 2000), in: http://users.jyu.fi/~aphamala/pe/issue2/al-tartu.htm (Zugriffsdatum: 06.03.2018). 167 A. Ju. Pjukkenen: Georgij Ėl’vengren: Geroj perešejka, St. Petersburg 2004. 168 Arno Survo und Valerij Šarapov: Memuary I. N. Mošegova: predystorija finnojazyčnogo originala i komi perevoda, in: Vestnik Pomorskogo Universiteta. Serija: Gumanitarnye nauki 10 (2011), S. 74–80. 169 Pawel Libera: A Forgotten Episode in the History of Polish-Finnish Relations: The Prometheus Club in Helsinki, 1932–1939, in: Mannerheim and Polish-Finnish Political and Military Relations 1917–1946, hg. von Tomasz Siewierski, Warschau 2018, S. 121–136. 170 Talvisota. Zimnjaja vojna. 1939–1940. V dokumentach NKVD. Po materialam archiva upravlenja Federal’noj Služby Bezopasnosti Rossijskoj Federacii po Sankt-Peterburgu i leningradskoj oblasti, hg. von S. K. Bernev und A. I. Rupasov, St. Petersburg 2010. 171 Viktor M. Matvienko: German Gummerus: Bilja vytokiv ukrains’ko-fins’kych dyplomatyčnych stosunkiv počatku XX stolittja, in: Aktual’ni problemy mižnarodnych vidnosyn 86 (2009), S. 29–34. 172 Nicolae Dascălu: Relaţii româno-polone in perioda înterbelica (1919–1939), Bukarest 1991; Daniel Hrenciuc: România şi Polonia 1918–1931. Relaţii politice, diplomatice şi militare, Rădăuţi 2003; Victor Jeglinschi: Relaţii culturale româno-polone în perioda 1900–1945, Bukarest 2016. 173 Georges Mamoulia: Kak samuraj stal sojuznikom Prometeja: japono-kavkazskaja smyčka v gody russko-japonskoj vojny (1904–1905), in: NP 3 (2012), S. 127–162.
Forschungsstand
werke an prominenter Stelle.174 Die gemeinsam mit Andrzej Pepłoński175 und Paweł Libera176 herausgegebenen Arbeiten Kuromiyas beleuchteten die polnisch-japanische Zusammenarbeit und den nachrichtendienstlichen Austausch in den 1930er Jahren. Zum besseren Verständnis der Verbindung Japan-Finnland, ist der längere Aufsatz des japanischen Forschers Hiroshi Momose von 1973 immer noch wegweisend.177 Besonders hervorzuheben sind die publizistischen wie auch akademischen Beiträge der bereits erwähnten polnischen Zeithistoriker Marek Kornat178, Ireneusz P. Maj, Jakub Siekierzyński179, und ferner Maciej Fałkowski180 und des polnischen Militärhistorikers Stanisław Okęcki181. Über die polnische Ostpolitik, vor allem in Bezug auf Finnland und die baltischen Staaten, lieferte der finnische Historiker Kalervo Hovi 1984 einen einschlägigen Überblick.182 In der deutschsprachigen Zunft der Osteuropahistoriker wandten sich Martin Müller-Butz183 und Ralph Schattkowsky184 dem Thema des polnischen Prometheismus zu. Während der beinahe zehnjährigen Arbeit an der Geschichte des Prometheismus veröffentlichte ich mehrere Aufsätze, in denen ich einzelne Diskurse bzw. Medien und Persönlichkeiten aus dem prometheistischen Milieu untersuchte. Diese Vorarbeiten sind in diese Arbeit miteingeflossen.185 174 Vgl. Hiroaki Kuromiya: The Promethean Movement and Japan’s Diplomacy, in: Ruch prometejski i walka o przedbudowę Europy Wschodniej (1918–1940), hg. von Kornat, Warschau 2012, S. 137–148; Hiroaki Kuromiya, Georges Mamoulia: Anti-Russian and Anti-Soviet Subversion: The Caucasian-Japanese Nexus, in: Europe-Asia Studies 61/8 (Oktober 2009), S. 1415–1440; dies.: The Eurasian Triangle: Russia, the Caucasus and Japan, 1904–1945, 2016. In: https://www.degruyter.com/view/product/469152 (Zugriffsdatum: 06.04.2018). 175 Hiroaki Kuromiya, Andrzej Pepłoński: Między Warszawą a Tokio: Polsko-Japońska współpraca wywiadowcza 1904–1944, Torun 2009; dies.: Between East and West: Gaiaz Iskhaki and Gabdulkhai Kurbangaliev, in: NP 3 (2012), S. 89–108. 176 Hiroaki Kuromiya, Paweł Libera: Notatka Włodzimierza Bązkowskiego na temat współpracy polskojapońskiej wobec ruchu prometejskiego, in: Zeszyty historyczne 169 (2009), S. 114–135. 177 Hiroshi Momose: Japan’s Relations with Poland, 1919–1944, as Reflected by Japanese Source Materials, in: Slavic Studies 17 (1973), S. 1–39, in: http://hdl.handle.net/2115/5026 (Zugriffsdatum: 07.05.2018). 178 Marek Kornat: Bolszewizm, totalitaryzm, rewolucja, Rosja. Początki sowietologii i studiów nad systemami totalitarnymi w Polsce (1918–1939), Krakau 2003; ders.: Polska szkola sowietologiczna. 1930–1939, Krakau 2003. 179 Jakub Siekierzyński: Historia federalizmu kaukaskiego. Wpływ myśli prometeistów polskich na koncepcje federalistyczne na Kaukazie, in: http://akson.sgh.waw.pl/sknszw/9a3.htm (Zugriffsdatum: 29.01.2009). 180 Maciej Fałkowski: Azerbejdżański alfabet czyli notatki z podróży do Azerbejdżanu w lipcu 2002 r., in: http://www.kaukaz.net/artykuly/azerbejdzan_art1.shtml (Zugriffsdatum: 14.05.2021). 181 Stanisław Okęcki: Cudzoziemcy w wojnie obronnej Polski 1939 r., in: Wojskowy Przegląd Historyczny 3 (1981), S. 25–32. 182 Kalervo Hovi: Interessensphären im Baltikum, Helsinki 1984. 183 Martin Müller-Butz: Nach dem Imperium. Zur Entstehung und zum Ende des Wilnaer sowjetoznawstwo aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive, in: Nord-Ost-Archiv 23 (2014), S. 23–47. 184 Siehe Ralph Schattkowsky: Osteuropaforschung in Polen 1918–1939, Wiesbaden 2019, insb. S. 150–243. 185 Zaur Gasimov: Krimtatarische Exil-Netzwerke zwischen Osteuropa und dem Nahen Osten, in: ÖZG 28/1 (2017), S. 142–166; ders.: Rechtsideologie und Nationalismus als Beobachtung und Transfer: Der Fall
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Einleitung
Die von Jan Malicki jährlich an der Universität Warschau organisierten Tagungen zur Kaukasiologie (International St. Peradze Conference) und die Prometheus-Tagungen (konferencja prometejska) sind explizit dem Thema des Prometheismus gewidmet. Sie waren und sind wichtige Foren, in denen sich die Forscherinnen und Forscher zum Prometheismus austauschen. 1.5
Theoretische Überlegungen
Prometheisten waren Mitglieder von Netzwerken, die fast das gesamte Europa umspannten. Wenn auch die wichtigsten Standorte dieser Netzwerke in den 1920er Jahren in Warschau, Paris und Istanbul gegründet wurden, befanden sich Ableger und einzelne kleinere Gruppen in Helsinki, Bukarest, Konstanza, Harbin, in Tabriz sowie an den polnischen Botschaften und Konsulaten beispielsweise in Ankara, Prag, Genf und Rom. Bezüglich der zwischen den Akteuren des Netzwerks erfolgten Kommunikation lässt sich feststellen, dass sich im Laufe der 1920–30er Jahre mehrere Dimensionen innerhalb der Diskurslandschaft herausbildeten, nämlich jeweils eine national-, regional- und gesamtprometheistische. So unterhielt z. B. der im Pariser Vorort St. Cloud ansässige aserbaidschanische Emigré und Vorsitzende der aserbaidschanischen Delegation, Ali Mardan Topčibaši, regen Kontakt zu den Pariser Orientalisten, russischen, georgischen und ukrainischen Emigranten und muslimischen Intellektuellen, die sich wie er in Paris aufhielten. Er selbst beteiligte sich aber nicht nur an den nationalen, sondern auch an den regionalen, d. h. nicht nur auf Paris bzw. Frankreich begrenzten Diskursen der Prometheisten. Er stand auch in regem Kontakt zu seinen Landsleuten, die in den europäischen Städten, wie auch in der Osttürkei und in Persien tätig waren. Nicht alle von ihnen gehörten dem prometheistischen Netzwerk an, standen aber im Austausch mit Topčibaši. Die Diskurse in den prometheistischen Medien, spiegeln eine globale bzw. gesamtprometheistische Perspektive wider, unabhängig davon, an welchem der Standorte diese erschienen. Gerade die länderübergreifende Perspektive steht im Fokus dieser Arbeit. Es soll folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie wurde der Prometheismus mit seinen antikommunistischen und antisowjetischen Komponenten, durch
Roman Dmowskis im Polen der Jahrhundertwende, in: Historische Mitteilungen 26 (2013–2014), S. 71–86; ders.: Vom Panslavismus über den Panturkismus zum Eurasismus: die russisch-türkische Ideenzirkulation und Verflechtung der Ordnungsvorstellungen im 20. Jahrhundert, in: Post-Panslavismus: Slavizität, slavische Idee und Antislavismus im 20. und 21. Jahrhundert, hg. von Agnieszka Ga̜sior, Lars Karl und Stefan Troebst, Göttingen 2014, S. 448–472; ders.: Zwischen Freiheitstopoi und Antikommunismus: Ordnungsentwürfe für Europa im Spiegel der polnischen Zeitung Przymierze, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 12 (2011), S. 207–222; ders., Wiebke Bachmann: Nationalismus und Antikommunismus im Exil. M. E. Rasulzade’s publizistische Aktivität in Frankreich, Polen und Deutschland, in: Jahrbuch Aserbaidschanforschung 2010 (2011), S. 115–137.
Theoretische Überlegungen
den Panturanismus und den französischen oder türkischen Antikommunismus beeinflusst bzw. bereichert? Waren die in Paris oder in Istanbul ansässigen Prometheisten imstande, die lokalen Diskurse der Aufenhaltsländer zu prägen und ihre Russlandund Kommunismuskritik in die Diskurse zur UdSSR der jeweiligen Gastländer einfließen zu lassen? Und wenn ja, wie funktionierten solche Transfers? Wichtig ist die Ausgangsannahme, dass die Aktivisten der prometheistischen Netzwerke nicht nur vom polnischen Territorium, sondern auch von Paris und Istanbul aus tätig waren und mit den dortigen politischen und intellektuellen Kreisen im Austausch standen. Dabei wurden sie nicht nur von der polnischen Seite finanziert – wie bis jetzt in der Forschung angenommen –, sondern auch von Seiten Frankreichs, Großbritanniens und der Türkei186 gesteuert. Die Prometheisten gaben Informationen weiter und durch ihr publizistisches und wissenschaftliches Wirken transferierten sie Ideen zwischen den Standorten und somit zwischen Diskursen unterschiedlicher Länder, Kulturkreise und sprachlicher Räume. Einem besseren Verständnis dieser Transferaktivität kann die ‚Transferologie‘ dienen, deren Ansätze in der geschichtswissenschaftlichen Forschung seit den 1980er Jahren insbesondere in Europa intensiv besprochen werden.187 Die Fachliteratur zum Transferansatz, welche die europäische, die Weltgeschichte188 sowie die osteuropäische189 Geschichte unter die Lupe nimmt, ist inzwischen überwältigend.
186 Wichtig war das zweistündige Gespräch mit dem einzigen Zeitzeugen des Projekts, Prof. Dr. Halil İnalcık (1916–2016) am 18. September 2012 in Bilkent, Ankara, einem engen Vertrauten des krimtatarischen Aktivisten des prometheistischen Netzwerkes Cafer Seydahmets. İnalcik bestätigte meine ursprüngliche Vermutung: Seydahmet erhielt während seines Türkei-Aufenthaltes eine Besoldung vom türkischen Außenministerium, zu dessen Mitarbeitern er gute Kontakte unterhielt. 187 Als Auslöser gilt das 1988 erschienene Buch zweier Historiker Michel Espagne und Michael Werner zu den Transfers im deutsch-französischen Raum: Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siècle), hg. von Michel Espagne und Michael Werner, Paris 1988. Laurent Béghin, Hubert Roland: Médiation, traduction et transferts en Belgique francophone, in: Textyles. Revue des lettres belges de langue française 45 (2014), S. 7–15. Spannend in Bezug auf Osteuropa ist der Sammelband : Transferts culturels triangulaires France – Allemagne – Russie, hg. von Katia Dimitrieva und Michel Espagne, Paris 1996. 188 Vgl. Johannes Paulmann: Grenzüberschreitungen und Grenzräume: Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte, in: Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller (Hg.): Geschichte der internationalen Beziehungen: Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln 2004, S. 169–196; Ders.: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 267 (1998). S. 649–685.); Matthias Middell: Kulturtransfer und Historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ 1 (2000), S. 7–41. Interessante Einblicke enthält ein späterer Beitrag Middells zu dieser Thematik: Ders.: Historische Komparatistik und Kulturtransferforschung. Vom bilateralen Beispiel zu Beiträgen für eine globale Geschichte, in: Eurostudia – Transatlantische Zeitschrift für Europaforschung 2 (2008), S. 1–11. 189 Bezüglich der osteuropäischen Geschichte sind die Beiträge von Martin Aust und Daniel Schönpflug von 2007 zu nennen. Vgl. Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. von Martin Aust und Daniel Schönpflug, Frankfurt 2007. Einen griffigen Überblick über die Strömungen der aktuellen Transferologie in Bezug auf das östliche Europa, lieferte Jan Kusber. Vgl.
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Einleitung
Diese wissenschaftlichen Diskurse schärften den Blick auf die Aktivitäten und die Interaktion innerhalb der prometheistischen Netzwerke aus der ‚transferologischen‘ Perspektive. Allerdings setzte sich die Arbeit die Überprüfung einer bestimmten Transfertheorie nicht zum Ziel. Vielmehr wird gefragt, wer die Agenten des antikommunistischen Transfers waren, in welchen Räumen die Transfers erfolgten und wie die Interaktion sich gestaltete. An dieser Stelle werden einige Grundideen des Ansatzes vorgestellt, die ursprünglich von Michael Werner erarbeitet wurden. In seinem, inzwischen klassischen Beitrag zu Heinrich Heine in Frankreich, führte Werner folgende Begriffe und Kategorien ein,190 die beim Studium des Transfers zentral sind. Werner analysierte die Mittlerrolle Heines in Frankreich am Beispiel seiner publizistischen und literarischen Tätigkeit im Paris der 1830–32er Jahre, indem er seinen Stellenwert in den französischen Diskursen und sein Zielpublikum (cible) herausstellte, und diese in den Kontext der französischen, deutsch-französischen und gesamteuropäischen Geschichte sowie der signifikanten Zäsuren (césure), wie z. B. der Revolution von 1830, einbettete.191 Werner ging, ähnlich wie der Gründer der so genannten Cambridge School of Intellectual History Quentin Skinner192 in seiner Arbeit zu Macchiavelli193, detailliert auf die edukative und private Sozialisation Heines ein und stellte den familiären und weitere Hintergründe (composante biographique) dar, die für das Verständnis seines Wirkens als Mittler zwischen den Kulturen von Bedeutung waren. In dieser Arbeit wird ebenfalls diese Methode genutzt und der Versuch unternommen, die aktiven Mitglieder und prominenten Akteure der prometheistischen Netzwerke, soweit möglich, mittels kurzer Biographien zu beleuchten, die die wichtigsten Stationen des edukativen und beruflichen Werdeganges beinhalten. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Prometheisten ihre Tätigkeiten als Kulturmittler und Antikommunisten miteinander verbanden. Gerade aus dieser Sicht werden in dieser Arbeit nach Möglichkeit auch die literarischen und publizistischen Schriften der Prometheisten, und nicht nur ihr antisowjetisches und (populär-)wissenschaftliches Schrifttum analysiert. Die Prometheisten werden als Kulturmittler und Transferagenten begriffen, die sich mit polnischer und anderer Unterstützung einerseits gegen die Sowjetunion richteten, andererseits zur Popularisierung des Wissens über ihre eigene
Jan Kusber: Kulturtransfer als Beobachtungsfeld historischer Kulturwissenschaft. Das Beispiel des neuzeitlichen Russland, in: Historische Kulturwissenschaften. Positionen, Praktiken und Perspektiven, hg. von Jan Kusber, Mechthild Dreyer, Jörg Rogge, Andreas Hütig, Bielefeld 2010, S. 261–285. 190 Vgl. Michaël Werner: Heine interprète en France de l’Allemagne intellectuelle. Conflits autour d’un cas modèle de transfert culturel, in: Romantisme 73 (1991), S. 43–55. 191 Ebenda, S. 45. 192 Siehe auch das Interview mit Skinner von 2008: Making history. The changing face of the profession in Britain. Professor Quentin Skinner. Interview transcript, in: http://www.history.ac.uk/makinghistory/ resources/interviews/Skinner_Quentin.html (Zugriffsdatum: 24.03.2011). 193 Vgl. Quentin Skinner: Machiavelli, New York, Oxford 1981.
Theoretische Überlegungen
Kultur, d. h. beispielsweise über die Literatur ihrer Ursprungsregion und der Länderkunde im breiteren Sinne, beitrugen. Die Untersuchung der Transfers soll dazu beitragen, die Zugänge, und vor allem die Zusammenhänge in der angestrebten länderübergreifenden Perspektive besser erläutern und leichter verorten zu können. Der Begriff der Grenzen wird im Bereich der Ideengeschichte zwar verwendet, jedoch sind diese Grenzen schwer zu definieren. Gerade aus diesem Grund setzt sich die Arbeit keineswegs zum Ziel, das Model von Werner (und Espagne) am Beispiel der Prometheisten zu überprüfen. Der Ansatz der französischen Germanisten bietet zwar einschlägige Einblicke, ist jedoch kaum trennbar von einer Reihe weiterer wissenschaftlicher Vorgehens- und Betrachtungsweisen, die gerade seit dem cultural turn194 aus den anderen Geisteswissenschaften in die Geschichtswissenschaft eingewandert sind. Der Kulturtransfer ist heute kaum mehr denkbar ohne die erhellenden Perspektiven des älteren Ansatzes der Intellektuellengeschichte, und vor allem der aus der Kulturtransferforschung entsprungenen Verflechtungsgeschichte. In dieser Arbeit soll es um die Intellektuellen gehen, die aus dem Kaukasus, aus der Ukraine und dem Wolga-Gebiet, der Krim sowie auch aus Turkestan nach prägenden Aufenthalten195 in den Metropolen des Zarenreiches nach Warschau, Paris und Istanbul kamen und dort sowohl akademisch als auch publizistisch tätig waren. Der Anfang ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit fiel in die Vorkriegszeit in Europa. Der Zusammenhang zwischen dem Politischen und dem Wissenschaftlichen war bei ihnen immer gegeben, wenn auch das Politische häufig dominierte. Angesichts der Multiethnizität und einer gewissen Verwobenheit in den intellektuellen Milieus Warschaus, Paris’ und Istanbuls, ist die Annäherung mit dem Ansatz der entangled history / histoire croisée nur teils anwendbar, weil diese stark von der Annahme ausgeht, die untersuchten Gesellschaften seien untereinander ebenfalls verflochten, les sociétés interconnectées196, was mit Sicherheit für die polnischen und ukrainischen, aber kaum für die polnischen und aserbaidschanischen oder polnischen und georgischen Gesellschaften zutrifft. Allerdings gab es zwischen diesen Gesellschaften
Zu cultural turn siehe Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 3. Aufl., Reinbek 2009, in der englischen Übersetzung Cultural Turns. New Orientations in the Study of Culture, Berlin, Boston 2016; dies.: Cultural Turns, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.3.2010, in: http://docupedia.de/zg/Cultural_Turns?oldid=117374 (Zugriffsdatum: 05.03.2018). 195 Ob und inwieweit ein akademischer Aufenthalt in einem bestimmten Umfeld (sei das eine Stadt, ein Milieu oder eine Bildungseinrichtung) prägend war, lässt sich von den Aussagen derjenigen ableiten, die die untersuchte Person näher kannten bzw. von der Person selbst. Memoiren, Erinnerungen und Interviews sind an dieser Stelle wichtige Quellen. 196 Corine Defrance, Ulrich Pfeil: Comment écrire une histoire transnationale?, in: France-Allemange au XXe siècle – la production de savoir sur l’autre (Vol. 1), Bd. 1: Questions méthodologiques et épistémologiques, hg. von Michel Grunewald u. a., Bern u. a. 2011, S. 132. 194
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Einleitung
zahlreiche Ideentransfers, die den Prometheismus mitgestalteten, aber bisher von der internationalen Forschung wenig berücksichtigt wurden. Die Intellektuellengruppen, die sich an der Erarbeitung der prometheistischen Ideen beteiligt haben, sind als Netzwerke197 zu betrachten. Unter Netzwerken sind bestimmte, aus Individuen bestehende Gruppen zu verstehen, die untereinander in einem häufig grenzübergreifenden Kontext und in einem Zeitraum kommunizieren, und in der Regel zweckgebunden agieren. Die prometheistischen Netzwerke, die sich vor allem aus polnischen, ukrainischen, kaukasischen und krim- und kasantatarischen Intellektuellen zusammensetzten, organisierten sich in den frühen 1920er Jahren an den drei zuvor genannten wichtigen Regionen West-, Mittelost- und Südosteuropas und wurden spätestens ab Mitte der 1920er Jahre, hauptsächlich von Polen aus, regelmäßig finanziert. Das Ziel der von ihnen erarbeiteten und medial sowie publizistisch intensiv propagierten Ordnungsvorstellungen war die Aufteilung der Sowjetunion nach dem Nationalitätenprinzip durch die Mobilisierung nichtrussischer Nationen und durch eine konsistente materielle sowie propagandistische Förderung ihrer ‚Bewegung-weg-vom-Zentrum‘. Die prometheistischen Ordnungsvorstellungen beruhten auf einem vehementen Antikommunismus und einer sich aus der kollektiven Erinnerung an das 19. Jahrhundert speisenden und durch den Sieg der Bolschewiki verstärkten Russlandskepsis. Dies ging einher mit einer daraus folgenden kulturellen Abgrenzung von der russischen Kultur durch ein besonders intensives Hervorheben der eigenen Europäizität vor allem im Kreise der polnischen und ukrainischen Intellektuellen. Angestrebt wurde darüber hinaus von Seiten der polnischen Intelligenzija die Schaffung eines ‚Dritten Europas‘ bzw. eines ‚Intermariums‘, einer (Kon-)Föderation eng miteinander kooperierender Staaten Mittelosteuropas vom Baltikum bis zur Schwarzmeerküste, d. h. bis zum Balkan, zur Türkei sowie zum Kaukasus. Ihr zugrunde lag die Idee postkolonial(istisch)er Emanzipation. Man wollte kulturelle Souveränität für den sich – infolge des Zusammenbruchs des Zarenreichs, des Habsburger und des Osmanischen Reichs 1918 – neu strukturierenden Raum Mittelosteuropas erlangen. In dieser Arbeit werden die Ideentransfers untersucht, die zwischen den einzelnen (Sub)Netzwerken der Prometheisten an den
197 Für einen allgemeinen, jedoch aufschlussreichen Einblick in die Netzwerkforschung siehe Felicitas Becker: Netzwerke vs. Gesamtgesellschaft: ein Gegensatz? Anregungen für Verflechtungsgesellschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), S. 314–324; Claire Lemercier: Analyse de réseaux et histoire, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 52/2 (2005), S. 88–112; Dorothea Jansen: Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele. 3. überarb. Aufl., Wiesbaden 2006; Marten Düring, Ulrich Eumann: Historische Netzwerkforschung. Ein neuer Ansatz in den Geschichtswissenschaften, in: Geschichte und Gesellschaft 39 (2013), S. 369–390; Marten Düring, Linda Keyserlingk: Netzwerkanalyse in den Geschichtswissenschaften. Historische Netzwerkanalyse als Methode für die Erforschung von historischen Prozessen, in: Prozesse. Formen, Dynamiken, Erklärungen, hg. von Rainer Schützeichel und Stefan Jordan, Wiesbaden 2015, S. 337–350; Christian Stegbauer: Grundlagen der Netzwerkforschung. Situation, Mikronetzwerke und Kultur, Wiesbaden 2016.
Theoretische Überlegungen
verschiedenen Standorten im Kontext lokaler Ideenströmungen der jeweiligen Grenzräume (z. B. fatalistische Untergangsstimmung, Turan-Idee, Eurasierdiskurse und Antitotalitarismus) stattfanden. Die Diskurse, welche anhand der Schriften der Prometheisten in Textform nachvollzogen werden können und als solche in dieser Arbeit zu entschlüsseln sind, können aus dem Prisma der Postkolonialen Studien betrachtet werden. Somit wäre die rhetorische Frage von Gayatri Ch. Spivak „Can the Subaltern Speak?“198 positiv beantwortet, wenn auch Spivak selbst in Bezug auf ihren Untersuchungsgegenstand eher pessimistisch urteilte, und die im Titel des bekannten Aufsatzes aufgeworfene Frage mit einem klaren Nein beantwortete. Die Subalternität kann sprechen und verstanden werden, wenn ihre Diskurse sprachlich und kulturwissenschaftlich eingeordnet, erfasst und schlußendlich begriffen werden. Dabei geht Spivak hauptsächlich von einem eher klassischen Paradigma der imperialen Metropolen vs. den Übersee-Kolonien (London vs. Indien) aus, indem sie den Gender-Aspekt in den Fokus stellt. Nikita Dhawan schlug als Reaktion auf den Aufsatz Spivaks vor, auch die Länder im Kontext der Subalternität zu betrachten, die nie so ‚eindeutig‘ kolonisiert wurden, wie z. B. Thailand und Iran.199 Die Reihe dieser Länder kann erweitert werden.200 Auch in Polen entfaltete sich seit einigen Jahren eine Debatte darüber, ob das Land Polen im Zeitraum der Teilungen kolonisiert wurde und in der Zwischenkriegszeit selbst zu einem kolonialisierenden Imperium wurde.201 All dies relativiert die ‚klassische‘ Gegenüberstellung von Imperien vs. Kolonien, vor allem in Bezug auf die Geschichte Eurasiens. Wenn auch Polen, die Ukraine und der Kaukasus eher am Rande der im deutschsprachigen Raum als Klassiker geltenden Nachschlagewerke zum Kolonialismus von Jürgen Osterhammel202 und Andreas Eckert203 behandelt werden, ist der postkoloniale und emanzipatorische Aspekt in den prometheistischen Diskursen signifikant. Dies kann schwer nur mit einer Selbstsubalternisierung bzw. Selbstkolonialisierung erklärt werden, denn gerade im ‚langen‘ 19. Jahrhundert kam es zumindest im russischen und
198 Gayatri Ch. Spivak: Can the Subaltern Speak?, in: Marxism and the interpretation of culture, hg. von V. Gary Nelson und Lawrence Grossberg, Urbana 1988, S. 271–313. 199 Nikita Dhawan: Can the Subaltern Speak German? And Other Risky Questions. Migrant Hybridism versus Subalternity, 25.04.2007, in: http://translate.eipcp.net/strands/03/dhawan-strands01en#redir (Zugriffsdatum: 07.02.2012). 200 Tevfik Çavdar: Osmanlının Yarı Sömürge Oluşu, 3. Aufl, Istanbul 2000. Ähnliche Sichtweisen sind auch unter den russischen Historikern zu finden. Siehe Aleksandr Chramov: Kolonial’naja iznanka evropejskogo kostjuma. Zametki o vnutrennem kolonializme v Rossijskoj imperii (XVIII – načalo XX veka), in: Voprosy nacionalizma 10 (2012), S. 71–105. 201 Exemplarisch siehe den Beitrag der polnischen Kulturwissenschaftlerin Elżbieta Rybicka, Miejsce, pamięć, literatura (w perspektywie geopoetyki), in: Teksty Drugie 1–2 (2008), S. 19–32. 202 Vgl. Jürgen Osterhammel, Jan C. Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 8. aktualisierte Aufl., München 2017. 203 Vgl. Adreas Eckert: Kolonialismus, Frankfurt am Main 2006.
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Einleitung
preußischen Teil Polens durchaus zu kolonialisierenden Maßnahmen.204 Noch deutlicher werden die kolonialisierenden Praktiken in den ukrainischen Ländern205, sowie im von Russland eroberten Kaukasus206. Die russifizierenden Homogenisierungsstrategien St. Petersburgs können dabei als ein zentrales und prägendes Phänomen betrachtet werden, das mehrere Generationen polnischer, ukrainischer sowie kaukasischer Intellektueller verband und ihre edukative Sozialisation mitgestaltete.207 Die überwiegende Mehrheit der prometheistischen Aktivisten, ganz gleich, ob sie in Warschau, Baku, Tiflis oder Kiew geboren wurden, besuchte russische Schulen und Hochschulen. Die russische Sprache, deren Verbreitung an den nichtrussischen Peripherien der Sowjetunion sie so vehement in den 1920–30er Jahren als ‚Fortsetzung der zaristischen Praktiken‘ kritisierten, bot nichtsdestotrotz einen Raum, den sie in der Regel hervorragend beherrschten und in dem ihre intra-imperialen Diskussionen stattfanden. Russisch war die Sprache, in der die kosakischen und nordkaukasischen Prometheisten literarisch wirkten, in der sie ihre Sehnsucht nach der Heimatregion in Gedichtsform artikulierten. Die Kritik am Imperialen war ein gemeinsamer Nenner der polnischen, ukrainischen, kaukasischen und tatarischen Diskurse, die sich in den prometheistischen Medien fanden. Außer den Ähnlichkeiten und Parallelen in der Sozialisierung vieler Mitglieder der prometheistischen Netzwerke gab es noch einen weiteren wichtigen Aspekt, der für viele polnische und für fast alle kaukasischen, ukrainischen und turkestanischen Prometheisten kennzeichnend und entscheidend war, und zwar das jahrelange Leben im Exil. Verbannung und Exil, erzwungene oder freiwillige Auswanderung, prägten bereits das ostmitteleuropäische 19. Jahrhundert und umso intensiver das erste Viertel des 20. Jahrhunderts. Cafer Seydahmet, Ayaz Ishaki, Roman Smal’Stoc’kyj, Mehmet Emin Rasulzade, Noj Žordania und viele andere waren gezwungen, sich noch vor der bolschewistischen Revolution und den jeweiligen Nationalstaatsgründungen ins Exil zu begeben oder für einen längeren Zeitraum die eigene Region bzw. das ‚eigene‘ Imperium zu verlassen. Um diesen spezifischen Aspekt des Exillebens der meisten Prometheisten zu umreißen, eignen sich am besten die Ansätze des
204 Eine ältere Arbeit zu diesem Thema vgl. Zdzisław Kaczmarczyk: Kolonizacja niemiecka na wschód od Odry. Z 7 mapkami, Posen 1945. Die polnische Reaktion auf die bundesdeutschen Publikationen: Władysław Rusiński: Osadnictwo niemieckie na ziemiach polskich w XVI–XIX w. Mity i rzeczywistość, in: Przegląd Historyczny 4 (1979), S. 723–745. 205 Zum Überblick vgl. Stephen Velychenko: The Issue of Russian Colonialism in Ukrainian Thought. Dependency Identity and Development, in: Ab Imperio 1 (2002), S. 323–367; Orest Subtelny: Ukraine. A History, 4. Aufl., Toronto, Buffalo, London 2005, S. 201–306. 206 Mehr dazu bei Farid Shafiyev: Resettling the Borderlands: State Relocations and Ethnic Conflict in the South Caucasus, Montreal 2018. 207 Zur Russifizierung siehe: Kampf um Wort und Schrift. Russifizierung in Osteuropa im 19.–20. Jahrhundert, hg. von Zaur Gasimov, Göttingen 2012.
Theoretische Überlegungen
US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward Said, der diese auf eine brillante Weise im 1983 veröffentlichten Essay „Reflections on Exile“208 niederschrieb. Said wertete das Phänomen des Lebens im Exil in einem neuen Kontext aus, indem er das besondere literarische, aber auch das publizistische Wirken der Exilanten im Unterschied zu den Migranten und Flüchtlingen darstellte. Ausgearbeitet hat er zudem das komplexe Verhältnis zwischen Nationalismus und Exil. Said zufolge ist Nationalismus „[…] an assertion of belonging in and to a place, a people, a heritage. It affirms the home created by a community of language, culture and customs; and, by so doing, it fends off exile, fights to prevent its ravages“209. Viele der prometheistischen Texte – ganz egal, ob diese auf Französisch, Polnisch, Ukrainisch, Türkisch oder auf Russisch geschrieben wurden – beinhalteten oft eine klare nationalistische Botschaft. Die Russland- und Kommunismuskritik waren unverkennbare Merkmale der georgischen, aserbaidschanischen und ukrainischen sowie der polnischen Nationalismen. Die Beleuchtung der Festivitäten, die die georgische und die ukrainische Emigré-Community anlässlich der Jubiläen des georgischen mittelalterlichen Dichterfürsten Šota Rustaveli oder des ukrainischen Dichters Taras Ševčenko in Paris und Warschau regelmäßig im Laufe der 1930er Jahre organisierten, sind daher im Kontext des Exillebens, aber auch der Nationalismusartikulation zu betrachten. Mit den Jahren im Ausland wurde die Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache und der Literatur des Heimatlandes immer intensiver, denn „exiles are cut off from their roots, their land, their past.“210 Said schrieb: „exiles feel, […], an urgent need to reconstitute their broken lives, usually by choosing to see themselves as part of a triumphant ideology or a restored people.“211 Das erklärt die oft in unterschiedlichen Sprachen artikulierten Meisternarrative wiedergegeben in der prometheistischen Publizistik der 1920–30er Jahre z. B. zur georgischen, kosakischen und ukrainischen Geschichte oder auch – in den nordkaukasischen Diskursen – zum ‚tapferen‘ Widerstand Šamils gegen Russland. Diese Arbeit macht sich weder die Erarbeitung noch die Überprüfung einer bestimmten Theorie zur Aufgabe. Die Forschungen im Bereich der postkolonialen Theorie, der so genannten Transferologie sowie die Ansätze der Exilforschung werden als inspirierende Quelle verstanden, die helfen sollen, die Geschichte des Prometheismus klarer (be)schreiben zu können.
208 Vgl. Edward Said: Reflections on Exile and Other Essays, Cambridge, Massachusetts 2000; Corinna R. Unger: Reise ohne Wiederkehr? Leben im Exil 1933 bis 1945, Darmstadt 2009. 209 Said: Reflections on Exile and Other Essays, S. 176. 210 Ebenda, S. 177. 211 Ebenda, S. 177 f.
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2.
Prometheistische Geisteswelten
„Um verstehen zu können, welche Kraft den politischen Mythologien des 20. Jahrhunderts innewohnt,“ schrieb der französische Kommunismus-Historiker François Furet, „muß man sie bis zu ihrer Geburtsstunde oder wenigstens bis in ihre Frühzeit zurückverfolgen; nur so kann man sich ihre Glanzzeit vorstellen“.1 Das Phänomen des Prometheismus stellt keinesfalls eine Ausnahme dar. Die Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts lösten zahlreiche Diskussionen unter den polnischen Intellektuellen über die Überwindung des „Zustands der Anormalität“ aus. Da die größten Gebiete des historischen Polens nun russisch waren und das Zarenreich technologisch den zwei weiteren Teilungsmächten Preussen und der KuK-Monarchie unterlegen war, entstand bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Idee der Zerschlagung und Aufteilung Russlands in Zusammenarbeit sowohl mit den inneren, wie auch den äußeren Gegnern St. Petersburgs.2 Auf der Suche nach Allianzen gegen Russland betrachteten die Polen die nichtrussischen Nationalitäten als ihre natürlichen Verbündeten. In der Tatsache, dass das Zarenreich ein Vielvölkerreich war, erkannten die Polen die Schwäche Russlands. „Das wichtigste Kraftpotential Russlands gegenüber Europa liegt weder in Moskau, St. Petersburg noch auf der Krim, sondern in Kiew, Wilna und in Warschau…“3, schrieb der polnische Dichterfürst Zygmunt Krasiński in seinem „memoriale“ an den französischen Kaiser Napoleon III. im Jahre 1854. Krasińskis Intention war, die Aufmerksamkeit des Erzrivalen und Kriegsgegners Russlands im Krimkrieg auf die nichtrussischen Gebiete des Zarenreiches zu lenken und vom Potential einer ‚nichtrussisch‘-französischen Zusammenarbeit gegen Russland zu überzeugen. Es war ein Angebot zur Kooperation, zur Kollaboration.
François Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, München, Zürich 1998, S. 13. 2 Mehr dazu M. Boruta: Wolni z wolnymi, równi z równymi. Polska i Polacy o niepodległość wschodnich sąsiadów, Krakau 2002, S. 17 f. 3 Bartosz Światłowski: Prometejska racja stanu. Źródła i dzieje ruchu prometejskiego w II Rzeczypospolitej, in: Poliarchia 2 (2014), S. 147–180, zitiert nach: DOI: 10.12797/Poliarchia.02.2014.02.08. 1
Prometheistische Geisteswelten
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten nicht nur das gesamte westliche Europa und die polnischen Teilungsgebiete, sondern auch Finnland, der Kaukasus, und die ukrainischen Länder4 einen gewaltigen Anstieg des nationalistischen Gedankenguts. Der polnische Nationalismus, der vermutlich zu den ausgereiftesten Nationalismen innerhalb des zaristischen Vielvölkerreiches zählte, wurde zum größten Herausforderer der Nationalitätenpolitik St. Petersburgs. Um die Jahrhundertwende, am Vorabend und vor allem nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fand eine weitere Zuspitzung der nationalistischen Ideologien statt. Der deutsche Zeithistoriker Lutz Rafael stellte zu Recht fest: „Der Nationalismus – von nationalkonservativen über nationalistische bis hin zu faschistischen Strömungen – gehörte zwischen 1914 und 1945 zu den großen Siegern unter den politischen Strömungen.“5 Die nationalistische Rhetorik prägte um die Jahrhundertwende das literarische Wirken, die publizistische Aktivität und das Parteileben in den Großstädten des Zarenreiches. Dies ist insofern wichtig, da die Prometheisten fast ausschließlich aus den städtischen intellektuellen Milieus ihrer Ursprungsregionen stammten und dort ihre primäre Sozialisation erlebten. Sich ihr Umfeld vorzustellen und ihre Ideenwelt zu verstehen, ist wichtig bei dem Versuch, die Ursprünge einer bestimmten Denkweise, einer Phobie oder Empathie besser begreifen zu können. Quentin Skinner zeigte die Umstände, unter denen Machiavelli sozialisiert wurde: Das sollte der Leserschaft helfen, das Werk Machiavellis „Il Principe“ besser einzuordnen und zu verstehen. Hiervon ausgehend werden hier nicht nur die Texte der Prometheisten einer Analyse unterzogen, sondern auch die Prometheisten, d. h. die Autoren selbst. Neben der Prägung durch den das europäische Denken um die Jahrhundertwende dominierenden Nationalismus kam noch ein weiteres besonderes Merkmal hinzu, dass für fast alle Prometheisten unabhängig von ihrer nationalen, ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit kennzeichnend war. Bedingt durch das Leben an den imperialen Peripherien sowie im Exil, kamen die Prometheisten im multikulturellen und multiethnischen intellektuellen Milieu gut zurecht. Ohne auf die spekulative, wenn auch nicht ganz abwegige Debatte einzugehen, ob das polnische Leben im fremddominierten Polen sich ebenfalls in einem exilierten Zwischenraum abspielte, möchte ich die Tatsache betonen, dass selbst viele polnische Prometheisten, die sich nun in ihrer Heimat – in der 1918 ausgerufenen Republik Polen wiederfanden, Jahrzehnte ihres Lebens im Exil, in der Verbannung und Emigration hinter sich hatten. Viele von ihnen mussten Polen nach 1918 zuerst für sich entdecken, wie z. B. der polnische AktiTreffend sprach Jobst für diese Zeit von „ukrainischen Ländern“. Vgl. Kerstin S. Jobst: Geschichte der Ukraine, Stuttgart 2010, 2. aktualisierte Aufl. 2015. Unter den ukrainischen Ländern werden die Gebiete verstanden, auf denen die ethnischen Ukrainer im 19. Jahrhundert lebten. Es handelt sich um die westlichen Provinzen des Zarenreichs mit den Städten Kiew, Poltava und Charkow sowie die ländlichen Gebiete des österreichisch-ungarischen Galiziens, das ebenfalls als südlicher Teil des historischen Polens bezeichnet werden kann. 5 Vgl. Lutz Rafael: Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914–1945, München 2011, S. 98. 4
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Prometheistische Geisteswelten
vist Włodzimierz Bączkowski, nachdem er seine Kindheit und Jugend im russischen Harbin verbracht hatte. Dasselbe ist auch für einen weiteren Prometheisten, den polnischen Diplomaten und Nachrichtendienstler Władysław Pelc6 zutreffend, der erst 1926 in Warschau eintraf und trotz des Studiums am polnischen Gymnasium in Harbin Polen kaum kannte. Said schrieb: „Most people are principally aware of one culture, one setting, one home; exiles are aware of at least two, and this plurality of vision gives rise to an awareness of simultaneous dimensions, an awareness that – to borrow a phrase from music – is contrapuntal.“7 Diese Aussage ist zutreffend für die meisten Prometheisten. So kannte sich z. B. der krimtatarische Prometheist Cafer Seydahmet Kırımer sowohl mit der türkischen Literatur, als auch mit der französischen Literatur aus. Mit einem Absolventen der russischen Schule in Harbin, dem studierten polnischen Sinologen Bączkowski, teilte Seydahmet nicht zuletzt das Wissen über die russische Literatur, mit der die beiden an unterschiedlichen Gebieten und Peripherien des Zarenreiches (Seydahmet auf der Krim sowie in St. Petersburg; Bączkowski in Harbin und im russischen Polen) sowie im Ausland in Berührung kamen. Nationalismus und Exil waren zwei eng miteinander verflochtene Phänomene, die die Sozialisierung und Werdegänge der meisten Prometheisten entscheidend prägten. In diesem Kapitel werden die prometheistischen Geisteswelten dargestellt, indem die Sozialisation der polnischen und der nichtpolnischen Prometheisten, die Evolution der polnischen Ordnungsentwürfe um die Jahrhundertwende, die intra- und interimperiale Kommunikation und Interaktion zwischen polnischen und anderen nichtrussischen Aktivisten des Zarenreiches, wie auch zwischen ihnen und Frankreich und der Türkei während und nach dem Ersten Weltkrieg, umrissen werden. 2.1
Polnische Ordnungsentwürfe
Während die imperiale Expansionspolitik Russlands bzw. der Sowjetunion gegenüber den eingegliederten Gebieten erforscht wird,8 wurden die Interaktionen zwischen Władysław Antoni Pelc (1906, Wysoki Mazowiecki – 2002, Beaugency) war einer der wichtigsten Aktivisten der prometheistischen Netzwerke in Polen. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Buchedu und Harbin. Erst 1926 fing er mit dem Studium der Sinologie an der Universität Warschau an. Pelc war einer der Mitbegründer des OKM in Warschau und des Prometheus-Klubs in Charbin. 1931 schloss er sein Studium ab und trat in den diplomatischen Dienst ein. Sein Lebensweg führte ihn und seine Frau Helena Szanty wieder an das polnische Konsulat nach Harbin. 1934 wechselte er in den Nachrichtendienst und wurde nach Paris versetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Pelc für das französische Außenministerium. Mehr dazu Wołodymyr Komar: Władysław Antoni Pelc: rys biografii prometejskiej, in: NP 6 (2014), S. 75–84. 7 Vgl. Said: Reflections on Exile and Other Essays, S. 186. 8 Unter den meistens regionenspezifischen Studien innerhalb der Soviet Studies kam es zur Entstehung einer Reihe von einschlägigen Publikationen zu den imperialen Praktiken an den nichtrussischen Randgebieten des Zarenreiches, vgl. Darius Staliunas: Making Russians. Meaning and Practice of Russification 6
Polnische Ordnungsentwürfe
einzelnen Peripherien bzw. ‚Rändern‘ der Imperien erst in der letzten Zeit in den Fokus gerückt. Jedoch traten die Peripherien nicht zuletzt im Zuge der Artikulation politischer Meinungen und der Interaktion mit dem imperialen Zentrum, sowie der Außenwelt, in einen direkten Austausch miteinander. In diesem Teilkapitel werden die polnisch-ukrainischen und polnisch-kaukasischen Interaktionen im ausgehenden Zarenreich kurz skizziert, weil diese eine wichtige Basis für die prometheistische Aktivität der 1920–30er Jahre darstellten. Infolge der zerschlagenen Aufstände, und angesichts der Verbreitung des ganz Europa umfassenden Nationalismus, stellten vor allem die Städte des historischen Polens Räume intensiver Diskurse um Identität und Nation dar. Der Staatsgedanke wurde in die Debatten um die polnische (Kultur-)Nation sowie in die polnischen Deutschland-, Russland- und Europadiskurse zwischen Wilna und Lemberg integriert. Die sozialistischen, agrarischen und nationaldemokratischen Strömungen, die bereits vor der Jahrhundertwende im politischen Leben Polens erkennbar waren, stellten keine streng abgeriegelten politischen Blöcke dar: Die Grenzen waren verschwommen. Die nationalistischen, antisemitischen, russophoben und germanophoben Diskurse waren parteien- und vereinsübergreifend zu finden. Schließlich waren es einzelne Intellektuelle, die die Diskurse prägten und die Ideologien für die Parteien formulierten: Ihre persönlichen Ideenwelten erhielten somit einen Massencharakter. Im Folgenden wird kurz auf die wichtigsten Aspekte der komplexen Ideenwelt polnischer Intellektueller um die Jahrhundertwende eingegangen. Roman Dmowski übte durch seine organisatorische und vor allem publizistische, journalistische Aktivität einen erheblichen Einfluss auf die polnische Gesellschaft aus.9 Dmowski und seinen Anhängern ging es darum, die nichtpolnischen Minderheiten des historischen Polens, z. B. die ukrainische Bevölkerung Galiziens, die Juden sowie die Weißruthenen und die Litauer zu polonisieren. Antideutsche Ressentiments waren kennzeichnend für Dmowski wie auch für die sogenannte endecja, eine politische Strömung von Nationaldemokraten, die sich um ihn herum formierte. Russland verstanden sie weder als eine Gefahr für die nationalpolnische Kultur noch für ihre Bestrebung, der eigenen Kultur eine dominante Stellung auf dem Territorium des historischen Polens zu sichern. Das Polentum sahen sie als durchaus fähig an, sich in den
in Lithuania and Belarus after 1863, Amsterdam, New York 2007; Audrey Altstadt: The Azerbaijani Turks: Power and Identity Under Russian Rule, Stanford 1992. Nichtdestotrotz wissen wir immer noch viel zu wenig über die Kontakte und Beziehungen zwischen den nichtrussischen Peripherien untereinander. 9 Ende der 1890er Jahre veröffentlichte er das Büchlein „Nasz Patriotyzm“, das zu einem ideologischen Manifest der polnischen Nationalbewegung werden sollte. 1895–1905 engagierte sich Dmowski in der Zeitung „Przegląd Wszechpolski“ [Allpolnische Schau], in der nicht nur seine regelmäßigen Analysen zur regionalen und internationalen Politik erschienen, sondern auch sein Buch: Roman Dmowski: Myśli nowoczesnego Polaka [Die Gedanken eines modernen Polen], 1902, 5. Aufl. Warschau 1943. Mehr dazu, Zaur Gasimov: Rechtsideologie und Nationalismus als Beobachtung und Transfer: Der Fall Roman Dmowskis im Polen der Jahrhundertwende, in: Historische Mitteilungen 26 (2013–2014), S. 71–86.
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Ostseeprovinzen sowie im westlichen Teil des Zarenreichs als vorherrschende Kultur durchzusetzen. Tatsächlich war Dmowski von einer höheren Wertstellung der polnischen Kultur gegenüber der russischen überzeugt. Den einzigen ernstzunehmenden Gegner für die eigenen politischen und kulturellen Ordnungsvorstellungen sah er in Deutschland.10 Einen Gegenpol im innerpolnischen Diskurs bildeten Józef Piłsudski und eine Reihe ihm nahestehender polnischer Intellektueller, wie Leon Wasilewski und Włodzimierz Bączkowski, die für einen integrativen, und nicht einen exkludierenden Nationalismus plädierten. Józef Piłsudski setzte auf einen moderaten polnischen Nationalismus, der im Gegensatz zur Auffassung Dmowskis keine explizit xenophoben Züge beinhaltete. Piłsudskis Wunschvorstellung war nicht ein Polen, das seine fehlende nationale und religiöse Homogenität mit Gewalt herstellt, sondern ein Polen, das sich als eine Regionalmacht im Nachkriegseuropa positioniert. Den Gegner eines starken Polens erkannte der Marschall weder in der ukrainischen Minderheit, noch in der jüdischen Gemeinde, sondern im Zarenreich und im Panslawismus, später dann in der Sowjetunion und im Kommunismus. Auch Wasilewski und Bączkowski waren davon überzeugt, dass gerade Russland das größte Hindernis auf dem Wege zur polnischen Souveränität darstellte. Piłsudski, der von vielen seinen Biographen als Föderalist gefeiert wurde, schwebte die Idee eines so genannten jagiellonischen Polens vieler Völker vor.11 Eine Zwangsassimilierung der Nichtpolen, so wie sie Dmowski und seine Anhänger im Sinn hatten, kam für Piłsudski, Wasilewski und andere polnische Intellektuelle nicht in Frage. Im Gegenteil sahen sie in den Ukrainern, Ruthenen und anderen Minderheiten Verbündete gegen Russland. Diese Gruppen der Intellektuellen hatten diametral entgegengesetzte Pläne für die geopolitische Ordnung in Europa. Die zwei Sichtweisen in der polnischen Geistesgeschichte haben eine längere Tradition, die vor allem durch die Teilungszeit geprägt wurde. Im Gegensatz zur Habsburgermonarchie betrieben Preußen und Russland eine intensive Homogenisierungspolitik in den polnischen Gebieten: Unter dem Deckmantel des Kulturkampfes gegen die katholische Kirche versuchte Berlin polnische Gebiete zu germanisieren, während St. Petersburg aktive russifizierende Maßnamen in allen Teilen des historischen Polens – vor allem nach dem fehlgeschlagenen Aufstand von 1863 – ergriff. Je nach Teilungsgebiet und je nach Sozialisation waren polnische Intellektuelle dementsprechend mit diesen Praktiken konfrontiert. Kennzeichnend, gerade für den Kreis um Piłsudski, war die Erfahrung mit der zaristischen Politik, wie
Mehr zur nationaldemokratischen Strategie in Bezug auf Osteuropa siehe: Roman Wapiński: Endecka koncepcja polityki wschodniej w latach II Rzeczypospolitej, in: Studia z Dziejów ZSRR i Europy Środkowej 5 (1969), S. 55–102. 11 Vgl. Marian Kamil Dziewanowski: The Making of a Federalist, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge 11/4 (Dezember 1963), S. 543–560; ders.: Joseph Pilsudski. A European Federalist. 1918– 1922, Stanford 1969. 10
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z. B. der Verbannung der politischen Aktivisten nach Sibirien.12 Daher überragten die antirussischen deutlich die antideutschen Ressentiments. Gerade in diesem stark antirussisch geprägten Milieu entwickelte sich der polnische Prometheismus. Weder mit Deutschland, noch weniger mit dem Habsburgerreich hat sich die polnische Literatur und Publizistik so intensiv auseinandergesetzt wie mit Russland.13 Wenn auch Themen wie der polnische Kampf gegen die Teutonen einen bedeutenden Platz in der polnischen Literatur einnahmen,14 war die geistige Auseinandersetzung mit dem polnischen ‚Osten‘ und den Erinnerungen an Sibirien als Verbannungsort vieler polnischer Aktivisten eindeutig dominierend. Russland und die Begegnung mit dem Zarenreich waren dauerhafte Themen z. B. bei Adam Mickiewicz, dessen Werk „Dziady“ [Ahnenfeier] Generationen von Polen prägte. Stefan Żeromski, der um die Jahrhundertwende zum Meister der polnischen Prosa avancierte, setzte diesen Trend fort: Seine Schlüsselwerke, wie „Syzyfowe Prace“15 [Sisyphusarbeit] und der Roman „Przedwiośnie“16 [Vorfrühling], thematisierten die Russifizierung,17 das Leben des polnischen Adels in St. Petersburg sowie an den Peripherien des Imperiums, aber auch seine Begegnung mit der russischen Sprache. Russisch war Unterrichtssprache in der Schule, die Marcin Borowicz und Bernard Zygier – beide Hauptfiguren des Werkes „Syzyfowe Prace“ – im russisch besetzten Teil Polens besuchten: Dies steht exemplarisch für die literarische Aufarbeitung der Russifizierung im Bildungsbereich. Auch Piłsudskis persönliche Erfahrung mit dem russischen Imperium spielte eine zentrale Rolle bei der Herauskristallisierung seines negativen Russlandbildes. Er gehörte zur Generation eines Marcin Borowicz: Russisch beherrschte er nach dem Schulabschluss und vor allem infolge der Verbannung nach Sibirien fließend. Die Kompetenz bedeutete jedoch keine Empathie. Seinen auf Russisch gehaltenen Vortrag in London im Rahmen eines Sozialisten-Kongresses, den die Aktivisten vom „Bund“ mitorganisiert hatten, begann Piłsudski mit dem Satz: „Ich habe diese verfluchte SpraZum polnischen Erinnerungsort Sibirien siehe Svetlana A. Mulina: Pamjat’ o Sibiri v mežvoennoj Pol’še, in: Aziatskaja Rossija: Ljudi i struktury imperii, hg. von N. G. Suvorova und S. A. Mulina, Omsk 2016, S. 73–78. 13 Mehr dazu Obraz Rosji w literaturze polskiej, hg. von Jerzy Fiećko, Posen 2012. 14 Zentral sind die Werke Mickiewiczs „Grażyna“ und „Konrad Wallenrod“, „Lalka“ [Die Puppe] von Bolesław Prus und vor allem „Krzyżacy“ [Die Kreuzritter] von Henryk Sienkiewicz. Mickiewicz, Adam: Grażyna. Eine litauische Erzählung. Mit einem einleitenden Aufsatz von Harry Köhler, Rendsburg 1989; ders.: Konrad Wallenrod. Geschichtliche Erzählung aus Litauens und Preußens Vorzeit. Vorwort von Arfst Wagner, Rendsburg 1990; Bolesław Prus: Die Puppe, Berlin 1954; Henryk Sienkiewicz: Die Kreuzritter, 2 B-de, Essen 2020. 15 Das Werk „Syzyfowe Prace“ wurde 1897/8 in Lemberg geschrieben. Stefan Żeromski: Syzyfowe Prace, 2. Aufl., Breslau 1984. 16 „Przedwiośnie“ erschien in Warschau 1924. Es geht um die Kindheitserlebnisse und das Leben des polnischen Adligen Cezary Baryga in St. Petersburg und Baku um die Jahrhundertwende. Siehe Stefan Żeromski: Vorfrühling, Leipzig 1983. 17 Zaur Gasimov: Zum Phänomen der Russifizierungen. Einige Überlegungen, in: ders. (Hg.): Kampf um Wort und Schrift, S. 13. 12
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che nicht vergessen.“18 Piłsudskis Mitstreiter und ein wichtiger Vordenker des Prometheismus, Leon Wasilewski, schrieb: In seinen Aussagen [von Piłsudski, Z. G.] wurde eine tiefe Aversion gegenüber Russland deutlich; dies war eines der grundlegenden Merkmale seiner politischen Weltanschauung. Ihm ging es dabei nicht um das Russland der Bürokratie, [und] das Zarenreich, die er wie wir alle von ganzem Herzen hasste [sic!, Z. G.]. Er mochte auch die russische Literatur nicht, die doch viele Sympathisanten unter den polnischen Revolutionären hatte.19
Verbannung und Exil waren fast immer unmittelbare Folgen der politischen Aktivität, die sich gegen die zaristischen Behörden richtete. Getrieben von nationalistischen, und Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend sozialistischen Ideen, gestalteten die polnischen wie auch andere Aktivisten ihre Tätigkeit konspirativ. Sie dachten sich z. B. Kommunikationsmittel und kodierte Sprachen aus, die von der Polizei schwer aufgedeckt werden konnten. Dieses konspirative politische Leben, das z. B. auch die Vorbereitung von Flugblättern, die Veröffentlichung von Zeitungsartikeln mit versteckter Botschaft, die Kontaktaufnahme mit ausländischen Diplomaten und Geheimdienstlern und Reisen mit gefälschten Dokumenten umfasste, schulte die zukünftigen Prometheisten. Snyder merkte an: „Generations of conspirators were formed around and formed by Piłsudski …“20. Konspiration wie auch Verschwörung waren somit ähnlich wie Nationalismus und Exil prägend für die prometheistischen Geisteswelten. Piłsudski und die sich um ihn herum konsolidierende Gruppe seiner „men of trust“21, der ‚linken Unabhängigkeitsaktivisten‘, die größtenteils aus dem russischen Teilungsgebiet Polens stammten und meistens der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) angehörten, strebten die Wiederherstellung des polnischen Staates auf den Ruinen des Zarenreiches an und waren bereit, hierfür mit den inneren und äußeren Gegnern des Zarenreiches zusammenzuarbeiten. Während sie den russischen Imperialismus und die politische wie kulturelle Unterdrückung der polnischen Unabhängigkeitsaktivisten durch zaristische Behörden scharf kritisierten, befürworteten sie die Freiheit für sämtliche nichtrussische Nationalitäten des Zarenreiches. So lebte der polnische Slogan „Für unsere und ihre Freiheit“22, der ursprünglich auf den polnischen November-
Vgl. Leon Wasilewski: Józef Piłsudski. Jakim go znałem, Warschau 1935, S. 59. Ebenda, S. 60–61. Timothy Snyder: Sketches from a secret war. A Polish artist’s mission to liberate Soviet Ukraine, Yale 2005, S. 24. 21 Ebenda. 22 In der Evolution des polnischen Nationalismus wurde der Slogan dem zum polnischen Nationalhelden avancierten Militärstrategen und Kämpfer Tadeusz B. Kościuszko zugeschrieben, der in den 1790er Jahren eine prominente Rolle in den Aufständen gespielt hatte, die das Ziel verfolgten, die polnische Souverenität wiederherzustellen. Derselbe Kościuszko hat sich später einen großen Namen im Kampf für die US-amerikanische Unabhängigkeit gemacht. 18 19 20
Interaktion vor und während des Ersten Weltkriegs
Aufstand gegen die Teilungsmächte 1831 zurückging, in der Aktivität Piłsudskis und seiner „men of trust“ neu auf. 2.2
Interaktion vor und während des Ersten Weltkriegs
Bereits im 19. Jahrhundert kam es zu zahlreichen Kontakten zwischen Polen und dem Kaukasus, was man auch im Kontext der Interaktion zweier Peripherien des Zarenreiches betrachten kann. Insbesondere Militärangehörige wurden von Warschau, Kowno oder Wilna nach Tiflis, Elizavetpol’ oder Baku versetzt. Bei den Kaukasiern, vor allem den militärdienstleistenden kaukasischen Christen, war das ebenso üblich. Zum Teil als Folge dieser Begegnungen rückte der Kaukasus in den Fokus der polnischen Literatur. Auch auf Seiten der Kaukasier kam es zu einer literarischen Auseinandersetzung mit Polen.23 Die polnische Kaukasusrezeption war deutlich breiter und facettenreicher. Die Erinnerungen polnischer Soldaten und Offiziere der Zarenarmee, die im Zuge der Eroberung des Kaukasus eingesetzt worden waren, stellen bis heute wichtige Zeugenberichte über die Kaukasuskriege dar.24 In derselben Zeit setzten sich auch polnischstämmige Forscher zunehmend mit dem Kaukasus, seiner Geschichte, seiner Sprachenvielfalt und seinen Kulturen auseinander. 1877 erschien das Buch des polnischen Ethnographen und politischen Aktivisten Mateusz Gralewski zum Kaukasus.25 Der an der Universität St. Petersburg ausgebildete polnische Orientalist Alexander B. Chodźko (1804–1891) war als russischer Diplomat an den Vertretungen in Persien tätig und sammelte unter anderem aserbaidschanische und kurdische Volksdichtungen in den Grenzgebieten, so dass er unter den Intellektuellen in Tiflis und Baku bekannt war. Der polnische Literat Tadeusz Łada-Zabłocki26 (1813–1847) ist exemplarisch für einen weiteren Kontext, der für die polnisch-kaukasische Verflechtungsgeschichte prägend war. Er wurde nämlich wie viele andere Polen in den Kaukasus verbannt und schloss Freundschaft mit georgischen, armenischen und aserbaidschanischen IntellekSo entstanden einige Meisterwerke der aserbaidschanischen Literatur im ‚russischen‘ Warschau. Exemplarisch dafür steht der Liebesroman „Rǝşid bǝy vǝ Sǝadǝt xanım“ des Schriftstellers İsmayıl Qutqaşınlı (1806–1861). 24 Siehe die Monographie von Clemens Sidorko. Clemens P. Sidorko: Dschihad im Kaukasus. Antikolonialer Widerstand der Dagestaner und Tschetschenen gegen das Zarenreich (18. Jahrhundert bis 1859), Wiesbaden 2007. 25 Mateusz Gralewski: Kaukaz. Wspomnienia z dwunastoletniej niewoli. Opisanie kraju. Ludność. Zwyczaje i obyczaje, zitiert nach Andrzej Chodubski: Polacy w nurcie przeobrażania kulturowego Kaukazu w XIX i na początku XX wieku, in: Annales universitatis maria curie-skłodowska Lublin-Polonia LX (2005), S. 67. 26 Detaillierter zur Dichtung von Tadeusz Łada-Zabłocki bei Leokadia Maluszewskaja: Twórczość poetycka Tadeusza Łady-Zabłockiego, in: http://www.polonica.ru/node/130 (Zugriffsdatum: 15.05.2021). 23
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tuellen, wie z. B. mit dem Historiker und Übersetzer Abbas Kuli Aga Bakichanly, den Dichtern Nikoloz Barataschwili und Georg Eristavi, die in Tiflis tätig waren.27 Generell lässt sich sagen, dass die Geschichte des Kaukasus in der polnischen Belletristik und Publizistik als Martyrium dargestellt wurde. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert kam es zur Herausbildung einer gewissen polnisch-kaukasischen Schicksalsgemeinschaft, die dazu führte, dass sich eine bestimmte Kaukasophilie in der polnischen Gesellschaft, insbesondere in der Intellektuellenschicht, herausbildete.28 Am Vorabend und vor allem während des Ersten Weltkrieges kam es zu mehreren gezielten Treffen, Kongressen und regen publizistischen Aktivitäten von Vertretern der nichtrussischen Nationalitäten des Zarenreiches. Sie waren darauf ausgerichtet, politisches und kulturelles Leben innerhalb des Imperiums neu zu gestalten. Diese Initiativen fanden innerhalb und außerhalb des Zarenreiches statt. Der polnische Historiker Libera wies darauf hin, dass der Begriff „narody ujarzmione“ [geknechtete Völker], der häufig in den prometheistischen Diskursen in der Zwischenkriegszeit verwendet wurde, bereits auf dem 3. Kongress der PPS im Juli 1895 seinen Weg in das Parteiprogramm gefunden hatte.29 Die Idee, die Polen sollten die nichtrussischen Aktivistengruppen unterstützen, fand sich nicht nur in der Korrespondenz Piłsudskis, sondern auch in den Schriften der ihm gleichgesinnten Intellektuellen wie Leon Wasilewski30 und Tadeusz Hołówko31. Exemplarisch war, wie der Titel schon zeigt, die in London 1901 erschienene Monographie Wasilewskis „We współnym jarzmie. O narodowościach przez carat uciskanych“ [Unter dem gleichen Joch. Über die vom Zarenreich geknechteten Nationalitäten]32. Die polnische Initiative, die nichtrussischen Ebenda, S. 68. Exemplarisch ist der Aufsatz von der Krakauer Orientalistin Ewa Siemieniec-Gołaś zu erwähnen: Ewa Siemieniec-Gołaś: Azerbaijan in the Eyes of Polish Travellers and Exiles to the Caucasus, in: Khazar Journal of Humanities and Social Sciences 14/2 (2011), S. 70–77, zitiert nach: http://jas-khazar.org/wp-content/ uploads/2011/07/08-Azerbaijan-in-the-Eyes-of-Polish-Travellers-and-Exiles-to-the-Caucasus.pdf (Zugriffsdatum: 28.07.2011). Einen wertvollen Gesamtüberblick lieferte auch: Andrzej Chodubski: Polacy w nurcie przeobrażania kulturowego Kaukazu w XIX i na początku XX wieku, in: Annales universitatis maria curie-skłodowska Lublin-Polonia LX (2005), S. 63–75. 29 Paweł Libera: Zarys historii ruchu prometejskiego, in: II Przeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 33. 30 Leon Wasilewski (1870, St. Petersburg – 1936, Warschau) war ein polnischer Publizist und Historiker. Er lernte Piłsudski 1896 kennen. 1918–1919 war Wasilewski Außenminister Polens, 1920–1921 Botschafter in Estland. Ab 1924 leitete er das Forschungsinstitut für Neueste Geschichte Polens, ab 1931 das Institut zur Erforschung der Nationalitätenfragen. 31 Tadeusz Hołówko (1889–1931) stammte aus einer nach Sibirien verbannten polnischen Familie: er wurde in Semipalatinsk (heutiges Kasachstan) geboren. Im unabhängigen Polen konnte Hołówko zum Vizeminister für Propaganda aufsteigen. Er gehörte zum engsten Kreis um Marschall Piłsudski, trat für die polnisch-ukrainische Annäherung ein und gestaltete die prometheistische Außenpolitik Polens mit. 1931 wurde er von zwei ukrainischen Nationalisten erschossen. Detaillierter in der Monographie: Iwo Werschler: Z dziejów obozu belwederskiego. Tadeusz Hołówko – życie i działalność, Warschau 1984. 32 Vgl. Leon Wasilewski: We współnym jarzmie. O narodowościach przez carat uciskanych, London 1901. 27 28
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Aktivisten zu mobilisieren, fand Unterstützung außerhalb des Zarenreiches. Im Herbst 1904, als der japanisch-russische Krieg ausbrach, kamen die polnischen Aktivisten mit Gleichgesinnten aus dem russischen Finnland, Lettland und dem Kaukasus in Paris zusammen. Finanziert wurde der Kongress von japanischer Seite, beteiligt hatten sich die Polnische Nationalliga, polnische Sozialisten, armenische Daschnaken und die Sozialdemokraten aus Lettland wie auch finnische Aktivisten.33 Im März 1905 fand ein weiterer Kongress, ebenfalls von Japan finanziell unterstützt, in Genf statt: Organisator war der finnische Unabhängigkeitsaktivist Konrad V. Zilliacus. Tokio erkannte als Erstes in der Multinationalität des Zarenreiches dessen offensichtliche Schwachstelle und zeigte sich offen für die Zusammenarbeit mit den nichtrussischen Aktivisten. Auf die polnischen Aktivisten wiederum wirkte das japanische Vorgehen inspirierend und mobilisierend, wie im Weiteren dargestellt wird. Als Russland und Japan Kriegsparteien wurden, machten sich die zwei prominenten Vertreter der zwei entgegengesetzten Denkrichtungen polnischer Politik – Józef Piłsudski und Roman Dmowski – unabhängig voneinander auf den Weg nach Tokio.34 Sie boten der japanischen Seite ihre Unterstützung an und versuchten, die zukünftige Neuordnung Osteuropas mit den japanischen Behörden zu besprechen. Es war Piłsudski, der besonders vehement auf die multinationale und multikonfessionelle Struktur des Zarenreiches hinwies und dazu aufforderte, diese „Schwäche“ des Vielvölkerreiches, die antirussischen Ressentiments der nichtrussischen Völker und die Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen in den Grenzgebieten auszunutzen. In seinem Schreiben, das an die japanische Führung gerichtet war, schrieb Piłsudski: Russland scheint nur auf den ersten Blick monolithisch zu sein, in seinem Inneren fehlt jegliche Einheit […] und das Fehlen der Einheit innerhalb des Staates wird zur Achillesferse, auf die alle Feinde des russischen Staates einschlagen müssen; das ist der verletzlichste Punkt […]35.
Während polnische, georgische und finnische Aktivisten gezielt Einfluss auf die Entwicklung des russisch-japanischen Krieges zu nehmen versuchten, tauschten sich die Russlandmuslime aktiv untereinander aus und nahmen Kontakt zu Russlands Rivalen, dem ihnen ethnisch und religiös nahe stehenden Osmanischen Reich, auf. Für die Netzwerkbildung boten die seit 1905 stattfindenden Muslimkongresse in unterschiedlichen russischen Städten wie Nischni Nowgorod, St. Petersburg, später Moskau, den russlandmuslimischen Aktivisten gute Möglichkeiten. So lernten sich u. a. spätere Pro-
Hiroaki Kuromiya, Georges Mamoulia: The Eurasian Triangle 2016, S. 22, zitiert nach: https://www. degruyter.com/view/product/469152 (Zugriffsdatum: 20.11.2018). 34 Mehr dazu bei Frank W. Thackeray: Piłsudski, Dmowski and the Russo-Japanese War: An Episode in the Diplomacy of a Stateless People, in: Eastern Europe and the West, hg. von John Morison, London 1992, S. 52–67. 35 Zitiert nach: Włodzimierz Bączkowski: Prometeizm na tle epoki, in: Niepodległość 17 (1984), S. 32. 33
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metheisten, wie der Tatare Ayaz Ishaki und der Aserbaidschaner Ali Mardan Topčibaši, dort kennen. Dem französischen Historiker und Turkologen Etienne Copeaux zufolge waren diese Kongresse „la préhistoire du mouvement prométhéen“36. Die Niederlage Russlands im Krieg gegen Japan wurde von Piłsudskis Umgebung, aber auch von vielen tatarischen und kaukasischen Aktivisten begrüßt. Die Tatsache, dass eine europäische Macht einer asiatischen Nation unterlegen war, wirkte sich motivierend auf die politischen Aktivisten in Kasan, Baku und Tiflis aus. Die Interaktion und Mobilität zwischen den Peripherien des Zarenreiches wie auch der Austausch mit dem Ausland nahmen in den darauffolgenden Jahren deutlich zu. Im Juni 1912 organisierten der französische Journalist und Freimaurer Jean Pélissier und ein exillitauischer Aktivist, Jean Gabrys-Paršajtis, den Ersten Universalen Kongress der Nationalitäten („Le Premier Congrès Universel des Nationalités“) an der École des Hautes Études in Paris. Während Pélissier die Nationalitätenfrage als Instrument gegen die Gegner Frankreichs nutzen wollte, agierte Gabrys als litauischer Nationalist. In der polnischen Frage z. B. waren die Sichtweisen divergierend: Während Pélissier sich eine Zusammenarbeit mit Polen gegen Wien, Berlin oder St. Petersburg durchaus vorstellen konnte, kam dies für Gabrys kaum in Frage,37 da er die polnischen Nationalbestrebungen als Gefahr für das litauische Nationalprojekt sah. Auf dem Kongress wurde eine Institution, das „Office Central des Nationalités“, und ein Presseorgan namens „Les Annales des Nationalités“ gegründet.38 Während Pélissier Kontakte zu den nicht-europäischen Nationalitätenvertretern im britischen Imperium sowie zur 1905 gegründeten irisch-nationalen Partei Sinn Féin, die sich in ihrem politischen Kampf an den Parteien in Ost- und Mitteleuropa orientierte, aufnahm, schloss Gabrys die Beteiligung jeglicher polnischer Aktivisten aus und ließ sich bereits 1915–16 von Seiten des deutschen Geheimdienstes anwerben.39 Gabrys selbst hatte in Frankreich studiert und in Paris Pélissier kennengelernt, wo dieser als Journalist über sehr gute Kontakte zum Politiker- und Diplomatenmilieu (vor allem zu Henri Franklin-Bouillon und Paul Painlevé) verfügte und für den französischen Geheimdienst tätig gewesen war. Vom 26. bis 27. Juni 1915 organisierten Pélissier und Gabrys den zweiten Kongress in Paris, an dem mehrere Letten, Litauer, Rumänen, Armenier wie auch Serben, Bulgaren und Tschechen teilnahmen. Auf die Pariser Initiative hin etablierte sich „L’Union des Nationalités Oprimées“ im Sommer 1916, mit Sitz in Lausanne: Die Nationalitätenfrage wurde zum wichtigsten Arbeitsfeld der Organisation erhoben, die selbst zum InstruEtienne Copeaux: Le Movement „Promethéen“, in: Cahiers d’études sur la Méditerranée orientale et le monde turco-iranien 16 (1993), S. 1–36, in: https://www.persee.fr/doc/cemot_0764–9878_1993_ num_16_1_1050 (Zugriffsdatum: 19.02.2021). 37 Mehr zu Gabrys in diesem Kontext siehe Eberhard Demm: The Propaganda of Juozas Gabrys for Lithuania before 1914, in: Journal of Baltic Studies 21/2 (Summer 1990), S. 121–130. 38 D. R. Watson: Jean Pélissier and the Office Central des Nationalités, 1912–1919, in: English Historical Review (1995), S. 1191–1206. 39 Ebenda, S. 1192. 36
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ment der Regionalmächte geworden war. Somit wurde die Nationalitätenfrage unter dem Deckmantel des Schutzes der Minoritätenrechte benutzt und ausgenutzt, um sich in die inneren Angelegenheiten der anderen Regionalmächte einzumischen. Das „Office Central des Nationalités“ existierte bis 1919 und blieb unter den politischen Aktivisten im östlichen Europa nicht unregistriert.40 Paris war neben Bern und Lausanne ein wichtiges Zentrum der Aktivitäten des „Office Central des Nationalités“. Diese Organisation wurde von Seiten der französischen und deutschen Nachrichtendienste instrumentalisiert. Ihre Aktivitäten waren gegen Großbritannien, wie auch gegen Russland gerichtet. Intensive Kontakte wurden insbesondere zu den ukrainischen Aktivisten, vor allem zu Semjon Petljura und Volodymyr Stepankivskij (dt. Stapankowski) gehalten.41 Neben der nachrichtendienstlichen Tätigkeit waren Pélissier, Gabrys und andere vor allem mit Propaganda beschäftigt, d. h. vor allem mit Publikationsaktivitäten mit Großbritannien- und Russland-kritischer Ausrichtung.42 1915 gründeten die aserbaidschanischen Intellektuellen Ahmed Ağaoğlu43, Ali Bey Hüseyinzade44, der Kasantatarische Aktivist Yusuf Akçura und der im sibirischen Tobolsk geborene tatarische Geistliche Abdurrašid Ibrahimov (1857–1944) das „Comité pour la Défense des Droits des Peuples Turco-Tatar Musulmans de Russie“ in Istanbul. Geleitet wurde das Komitee von Akçura, der seit Längerem in Istanbul lebte und über gute Kontakte im Osmanischen Reich, vor allem im Milieu der Jungtürken verfügte. Ein Jahr später, im März 1916, etablierte sich „Die Liga der Fremdvölker Russlands“45, dessen Gründung auf die Intiative von Gabrys und Stapankowski zurückging.46 Die Liga versuchte international zu agieren: So ließ sie z. B. am 10. Mai 1916 einen russland-
Włodzimierz Bączkowski beschrieb im Detail die Tätigkeit von Gabrys in seinem Aufsatz zur Geschichte des Prometheismus. Vgl. ders.: Prometeizm na tle epoki, in: Niepodległość 17 (1984), S. 33. 41 Mehr dazu vgl. Alfred Erich Senn: The Nationalities Factor in the Activities of Intelligence Agencies in Switzerland during the First World War, in: Acta Historica Universitatis Klaipedensis 31 (2015), S. 99–119, insb. S. 111 f. 42 Gabrys veröffentlichte 1917 in Paris sein Buch „La Russie et les peuples allogènes“ unter dem Pseudonym „Inorodec“ (sic!) (russisch: Vertreter des Fremdvolkes im Zarenreich). 43 Ahmed Ağaoğlu (1869–1939) war ein bedeutender türkischer Intellektueller und Politiker aserbaidschanischer Abstammung. Geboren in Schuscha (Karabach), studierte er Orientalistik in Paris und war Anfang der 1900er Jahre in Baku journalistisch aktiv. Vor dem Ersten Weltkrieg entfaltete er eine breite Aktivität in Istanbul, indem er sich der Partei „Union und Progress“ anschloss. Anfang der 1920er Jahre gehörte er zu den aktiven Unterstützern von Mustafa Kemal (Atatürk). 1939 starb er in Istanbul. 44 Ali Bey Hüseyinzade (1864–1940/41) war ein wichtiger türkischer Intellektueller, Mitbegründer der panturanistischen und pantürkistischen politischen Strömungen im spätosmanischen Reich wie auch in der frühkemalistischen Türkei. Geboren in der Nähe von Baku besuchte Hüseyinzade das russische Gymnasium in Tiflis und studierte anschließend Medizin an der Universität St. Petersburg. Nach der Auswanderung ins Osmanische Reich setzte Hüseyinzade seine intellektuelle Aktivität fort und unterhielt Kontakte zu den tatarischen und aserbaidschanischen Exilgruppen. 45 Mehr zur Liga vgl. Seppo Zetterberg: Die Liga der Fremdvölker Russlands 1916–1918: Ein Beitrag zu Deutschlands antirussischem Propagandakrieg unter den Fremdvölkern Russlands im Ersten Weltkrieg, Helsinki 1978. 46 D. R. Watson: Jean Pélissier and the Office Central des Nationalités, 1912–1919, S. 1196. 40
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kritischen Aufruf an den US-amerikanischen Staatspräsidenten Woodrow Wilson in der schwedischen sozialdemokratischen Tageszeitung „Dagens nyheter“ abdrucken.47 Während das von Akçura geleitete Komitee von den osmanischen Behörden toleriert und möglicherweise sogar gefördert wurde, unterstützte Berlin die Gründung der Liga. Deutschland unterstützte supranationale Organisationsbildungen und infiltrierte französische Initiativen, wie oben am Beispiel von Gabrys dargestellt. Berlin verhalf aber auch zu einzelnen nationalen Vereinsgründungen, die deutlich separatistische Tendenzen auf dem Gebiet seines Kriegsgegners, des Zarenreichs, verfolgten. 1914 kam es beispielsweise zur Gründung des „Comité de l’indépendance de la Géorgie“ in Berlin,48 während auch das ukrainische Bureau in Lausanne von Seiten Deutschlands unterstützt wurde. Die prometheistischen Netzwerke haben sich ebenfalls wie ihre Vorreiter, wie z. B. das „Office Central des Nationalités“, um die Gunst der europäischen Politiker, Diplomaten und Prominenzen aus dem Bereich Wirtschaft und Wissenschaft bemüht.49 Die Kontakte zu europäischen Akteuren, zu Unternehmern wie auch zu Politikern waren begehrt. Die Europäer ihrerseits waren allerdings zögerlich bei der Kontaktaufnahme zu den Unabhängigkeitsaktivisten aus dem Zarenreich. Gerade die Treffen mit nichtrussischen Aktivisten konnten von Seiten der russischen diplomatischen Missionen als antirussischer Vorgang gewertet werden und Demarchen oder ähnliche Schritte nach sich ziehen. Dasselbe betraf die Kontakte zu Unternehmern, die ebenfalls von der Haltung der zaristischen Behörden hinsichtlich der Genehmigung ihrer Geschäfte in Russland abhingen. Einfacher sah die Situation der europäischen Wissenschaftler aus, die häufig als Mittler zwischen den nichtrussischen Aktivisten und den europäischen Politik- und Wirtschaftskreisen auftraten. Besonders angesprochen fühlten sich die Slawisten, Osteuropa-Historiker und Orientalisten, die aufgrund ihrer Expertise eine wichtige Quelle für ihr eigenes Land waren und die Situation in der jeweiligen Region Osteuropas, des Balkans oder des Nahen Ostens besser einordnen konnten. Sie äußerten sich zur aktuellen Lage in (populär-)wissenschaftlichen Abhandlungen, schrieben Berichte für die Regierung, reisten in die jeweiligen Regionen, empfingen und besuchten von dort stammende Aktivisten. Die europäischen Wissenschaftler konnten ihre Sympathien bzw. Antipathien ausleben, Partei ergreifen, sich als Anwälte bestimmter Nationen sehen und ihre eigenen Politiker aufrufen, sich für das eine oder
Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii. Sbornik dokumentov, proizvedenij, pisem, hg. von Salavat Ischakov, Moskau 2011, S. 9. 48 George Mamoulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens entre URSS et puissances occidentales. Le cas de la Géorgie (1921–1945), Paris 2009, S. 15. 49 Die Tätigkeit von Prélissier und Gabrys wurde von dem vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin tätigen französischen Romanistik-Professor Émile Haguenin (1872–1924) unterstützt. Zu Haguenin siehe Marion Abbaléa: Émile Haguenin de l’université à la diplomatie: trajectoire berlinoise et méditation franco-allemande (1901–1924), in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 47/2 (2015), S. 517–530. 47
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andere Volk einzusetzen. Das war nicht neu, nahm jedoch gerade während und nach dem Ersten Weltkrieg deutlich zu. Bereits während des Ersten Weltkriegs entwickelten die georgischen Intellektuellen eine bemerkenswerte publizistische Aktivität in Europa, deren Ziel es war, die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf die politische Zukunft Georgiens zu lenken. Der Orient-Verlag in Zürich druckte 1918 das Buch des georgischen Adligen Prinz Michael Cereteli50, „Georgien und der Weltkrieg“. Im Vorwort wandte Cereteli sich „An diejenigen, die die Vernichtung eines Volkes für ein unendlich schrecklicheres Verbrechen halten als die Ermordung eines Einzelnen, […]“51. Neben einer Überblicksdarstellung der georgischen Geschichte beinhaltete das Buch eine „Petition des georgischen Volkes“52 von 1907 und den Vertrag zwischen dem Zaren Heraklius von Georgien und der Zarin Katharina II. (die Grosse) von Rußland (1783). In der Petition wurde von den Verfolgungen, denen die Georgier von Seiten Russlands ausgesetzt waren, berichtet. „Eine solche Erniedrigung und Unterdrückung hat sich im ganzen Verlauf unserer Geschichte, seit dem Einfall Tamerlans, nicht abgespielt,“53 schrieb Cereteli. Im Buch Ceretelis war zudem die „Abschrift eines brieflichen Gutachtens von Ernest Nys54“ zu finden. Die ‚europäische Stimme‘, der Brüsseler Völkerrechtsprofessor Ernest Nys verkündete in seinem Gutachten: Die Herrschaft der russischen Regierung in Georgien ist unberechtigt sowohl in ihrem Prinzip wie nach ihrer geschichtlichen Entstehung. Sie gründet sich auf Täuschung, und während eines ganzen Jahrhunderts wird sie in grausamer und tyrannischer Weise ausgeübt.55
Die Bedeutung Georgiens nahm in den ersten Nachkriegsjahren in Europa nicht zuletzt wegen der vergleichsweise weiten Popularität des Menschewiken Noj Žordania56
Michail Cereteli (1878, Dorf Cchrukveti, Westgeorgien – 1965, München) schloss 1911 das Studium an der Geschichts-Philologischen Fakultät der Universität Heidelberg ab. 1918–1920 war Cereteli Botschafter Georgiens in Norwegen und Schweden. Seit 1921 lebte er im Exil. 1924 erschien in Istanbul seine geschichtswissenschaftliche Abhandlung (Mich[ael]. Cereteli: xetis kvekana, misi xalxebi, enebi, istoria da kultura, Istanbul 1924). 1931–1932 hatte er den Lehrstuhl der Assyriologie und des Georgischen an der Universität Brüssel und seit 1933 bis 1943 den Lehrstuhl der georgischen Sprache in Berlin inne. Cereteli gehörte zu den Sympathisanten des Nationalsozialismus. Im Zweiten Weltkrieg schloss er sich den georgischen Faschisten an. 51 Michael von Cereteli: Georgien und der Weltkrieg, Zürich 1915 od. 1918, S. 7. 52 Diese Petition wurde an die bei der „Friedenskonferenz in Den Haag von 1907 vertretenen Staaten der zivilisierten Welt adressiert.“ 53 v. Cereteli: Georgien und der Weltkrieg, S. 64. 54 Ernest Nys (1851–1920) war ein bekannter belgischer Völkerrechtler und Professor an der Universität Brüssel. Siehe den Nachruf von Amos Hershey: Ernest Nys, 1851–1920, in: American Journal of International Law 15/4 (1921), S. 560–561, in: https://doi.org/10.2307/2188291 (Zugriffsdatum: 27.10.2021). 55 Ebenda, S. 69. 56 Noj Žordania (1868, Lančchuti, Westgeorgien – 1953, Paris) war ein prominenter georgischer Politiker. Er studierte am Theologischen Seminar in Tiflis und später Tierarztkunde in Warschau. Bis zur Unabhän50
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zu. Georgien war im Gegensatz zu Armenien und Aserbaidschan der stabilste Staat im postzaristischen Kaukasus. Unterstützt von europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten, bot sich das menschewistische Tiflis als Exilort für politische Aktivisten aus den Randgebieten des ehemaligen Zarenreiches an. Nach Tiflis kam auch Mustafa Čokaev, als das Staatsgebilde Kokand im heutigen Zentralasien, wo er sich bis dahin engagiert hatte, 1919 an die Bolschewiki fiel. Hier traf er sich mit den Vertretern der ukrainischen diplomatischen Mission, eines seit dem Frühjahr 1918 de-facto nicht existierenden Staates. Von Tiflis aus reiste er immer wieder nach Baku, wo er sich u. a. zur Planung anti-sowjetischer Aktivitäten mit osmanischen Militärangehörigen traf. In der georgischen Hauptstadt gab Čokaev in Zusammenarbeit mit „seinem alten Freund“57 Ahmet Calikov58 und mit finanzieller Unterstützung der georgischen Behörden zwei turksprachige und die russischsprachige Zeitung „Na rubeže“ heraus. Gerade in der Zeitung „Na rubeže“ erkannte der französische Turkologe Etienne Copeaux „une préfiguration de Prométhée“59, der führenden französischsprachigen Zeitschrift der Prometheisten, die erst 1926 – fünf Jahre nach der bolschewistischen Okkupation Georgiens – in Paris gegründet wurde. Somit stellte Tiflis bereits 1919 ein Zentrum dar, in dem sich die Politiker und Intellektuellen aufhielten, und publizistisch sowie politisch aktiv waren, die aus den 1918/19 sowjetisch gewordenen Territorien geflohen waren. Kennzeichend für diese Aktivitäten waren Antikommunismus, Antibolschewismus sowie eine übergreifend georgisch-ukrainisch-turkestanische Zusammenarbeit. Copeaux sprach von der „alliance à trois“60. Ein Jahr später, als im April 1920 das Nachbarland Georgiens, die Republik Aserbaidschan, fiel, wanderten auch einige aserbaidschanische Politemigranten ein, wie z. B. gigkeitserklärung Georgiens war Žordania sehr aktiv in den sozialistischen und vor allem in den menschewistischen Kreisen Russlands wie auch Europas. Zwischen Mai 1918 und Februar 1921 war er Ministerpräsident Georgiens. Seit 1921 bis zu seinem Tod lebte er im Pariser Exil und war aktiv in den prometheistischen Netzwerken. 57 Dr. A. Oktay: Türkistan Millî hareketi ve Mustafa Çokay (Merhumun 60ıncı doğum yılı münasebetile), Istanbul 1950, S. 33. 58 Ahmed Calikov (Calikatti) (1882, Nordossetien – 1928, Warschau) war ossetinisch-muslimischer Herkunft und Absolvent der Jura-Fakultät der Universität Moskau. Vor der russischen Revolution gehörte er zu den prominentesten nordkaukasischen Sozialisten. Nach dem Fall der unabhängigen Republik im Nordkaukasus lebte Calikov 1919–1921 zusammen mit seiner Ehefrau Zinaida Lidovskaja im Exil in Tiflis und gab hier die Zeitung „Vol’nyj gorec“ [Freier Bergler] heraus. 1921–28 lebte er in der Türkei, der Tschechoslowakei und in Paris. In Prag gab er die Exilzeitschrift „Kavkazskij gorec“ [Kaukasischer Bergler] heraus. Calikov war nicht nur publizistisch aktiv, sondern schrieb auch Kurznovellen und Romane. Mehr bei Georgij Mamulija: Kavkazskaja Konfederacija v oficial’nych deklaracijach, tajnoj perepiske i sekretnych dokumentach dviženija „Prometej“. Sbornik dokumentov, Moskau 2012, S. 236; Salavat Ischakov: Men’ševik A. Calikov ob otnošnii rossijskich musul’man k Pervoj mirovoj vojne, in: XX vek i Rossija. Obščestvo, reformy, revoljucii 2 (2014), https://readera.org/140129642 (Zugriffsdatum: 08.09.2021). 59 Etienne Copeaux: Le Movement „Prometheen“, in: Cahiers d’études sur la Méditerranée orientale et le monde turco-iranien 16 (1993), S. 9–45, in: https://www.persee.fr/doc/cemot_0764–9878_1993_ num_16_1_1050 (Zugriffsdatum: 19.02.2021). 60 Ebenda.
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der ehemalige Außenminister Fatali Chan Chojski. Die Rolle des Refugiums büßte Tiflis allerdings schon Ende Februar 1921 wieder ein, als die Stadt von der Roten Armee besetzt wurde. Bis zur Sowjetisierung Georgiens legte die georgische Regierung nicht nur Wert auf die Förderung sowjetkritischer, publizistischer Aktivitäten auf dem eigenen Territorium, sondern unterstützte auch die Vermittlung der eigenen Interessen im europäischen Kontext. Es ging darum, Georgien als ein Land mit Wirtschaftspotential und politischer Reife vorzustellen. Ein Mitglied der georgischen Regierung, David Ghambašidze61, veröffentlichte in London 1919 sein Buch „Mineral Resources of Georgia and Caucasia“62, das die gesamte Region des Kaukasus, und vor allem Georgien, als ein öl-, gas- und erzreiches Gebiet beschrieb. 1920 wurde in Bern die Broschüre „La Géorgie du point de vue du droit international“ aus der Feder Otfried Nippolds63 vom „Bureau de Presse Géorgien“ herausgegeben.64 Die georgischen Menschewiki, die in Tiflis seit der Staatsgründung bis zum Fall der Republik an der Macht blieben, waren seit Längerem innerhalb der europäischen Sozialdemokratie vernetzt.65 Ein Theoretiker der Sozialdemokratie, Eduard Bernstein, schrieb das Geleitwort für das 1921 in Berlin erschienene Buch des georgischen Staatschefs Noj Žordania „Marxismus und Demokratie“.66 Bereits auf der ersten Seite war die antikommunistische Stoßrichtung des Buches abzulesen: „Indem sie [die Bolschewiki, Z. G.] die Demokratie verwarfen, gelangten sie nicht zum Sozialismus, wohl aber zum Vandalismus“67. Im selben Jahr veröffentlichte der aus Russland stammende Wirtschaftsexperte und Sympathisant Georgiens, Vladimir Vojtinskij68, die Broschüre „La Démocratie Géorgienne“ in Paris.69 Das Vorwort dafür schrieb der belgische Sozialdemokrat Emile
David Ghambašidze (1884, Kvirili/Georgien – 1963, Rom) war ein georgischer Emigrant und Journalist. D[avid] Ghambashidze: Mineral Resources of Georgia and Caucasia. Manganese industry of Georgia, London, New York 1919. 63 Otfried Nippold (1864, Wiesbaden – 1938, Bern) war ein deutsch-schweizerischer Rechtswissenschaftler und Aktivist der Friedensbewegung. 64 Vgl. Otfried Nippold: La Géorgie du point de vue du droit international, Bern 1920. 65 Vgl. Stephen F. Jones: Socialism in Georgian Colors: The European Road to Social Democracy 1883– 1917, Cambridge 2005. 66 Noë Jordania: Marxismus und Demokratie. Geleitwort von Eduard Bernstein. Mit einem Bildnis des Verfassers, Berlin 1921. Dabei handelte es sich um die deutsche Übersetzung des Vortrags, den Žordania am 24. Juli 1918 vor dem Arbeiter- und Soldatenrat in Tiflis gehalten hatte. 1922 erschien in Berlin eine russische Abhandlung Žordanias zum Bolschewismus. 67 Ebenda, S. 1. 68 Vladimir Vojtinskij (1885, St. Petersburg – 1960, New York) war Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Er kritisierte Lenins Aprilthesen und schloss sich den Menschewiki an. Befreundet mit Cereteli, wanderte er 1918 nach Georgien aus und verließ das Land infolge der Sowjetisierung 1921. Vojtinskij unterhielt engen Kontakt zur Paneuropa Union. Danach folgten Jahre der wissenschaftlichen und publizistischen Aktivität in Deutschland, in der Schweiz und anschließend in den USA. 69 Vgl. Wladimir Woytinsky: La Démocratie Géorgienne, preface de M. E. Vandervelde, Paris 1921. 61 62
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Prometheistische Geisteswelten
Vandervelde70. Vom georgischen Exilpolitiker M. Khomériki erschien die Übersetzung seines Vortrags, den er im Juli 1920 am Kongress der Sozialdemokratischen Partei Georgiens gehalten hatte, 1921 in Paris, eingeleitet durch das Vorwort des prominenten französischen Sozialisten und ehemaligen Chefredakteurs der „L’Humanité“, Pierre Renaudel.71 Georgien und seine politischen Eliten waren viel intensiver mit den europäischen Politikerkreisen vernetzt als die aserbaidschanischen oder die armenischen. Nach der Flucht Hunderter georgischer Politiker aus dem sowjetisierten Georgien über Istanbul vor allem nach Frankreich, setzten sie ihre Aktivitäten und ihre Zusammenarbeit mit den europäischen Intellektuellen fort. Besonders aktiv wirkte der georgische ExStaatschef Noj Žordania. Im Jahre 1922 erschien in Berlin seine Broschüre „Bol’ševizm“ [Bolschewismus],72 in der er sich mit den Grundlagen des russischen Marxismus, Kommunismus sowie mit den Gefahren auseinandersetzte, die er auf Europa zukommen sah. Den Bolschewismus definierte der Anführer der georgischen Menschewiki als „die asiatische Periode in der russischen Geschichte“73. Sich von Russland abzugrenzen, war fester Bestandteil des georgischen Nationalismus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Der Gedanke der Wiederherstellung eines unabhängigen georgischen Staates entstand zwar später, konnte sich jedoch relativ schnell unter den georgischen Intellektuellen 1918–21 verbreiten. Zunächst hatte sich aus der Ablehnung der Bolschewiki ein georgischer Antibolschewismus entwickelt, der sich im Exil in einen weiterführenden Antikommunismus, d. h. in eine umfassende Kritik an den Grundlagen der Marx’schen Lehre, umwandelte. Die georgischen Menschewiki wandten sich allmählich von ihrem Menschewismus ab und beschränkten sich in den darauffolgenden Jahren nicht mehr nur auf die Kritik der aktuellen bolschewistischen Strategie und Politik in der UdSSR, sondern stellte die ganze Ideologie in Frage. Während Georgien 1918–1921 menschewistisch regiert war, waren die meisten aserbaidschanischen Politiker Anhänger und Sympathisanten der 1911 gegründeten national-demokratischen Partei Müsavat [Gleichheit]. Die antirussische Komponente war auch hier ein integraler Bestandteil des Nationalismus. Ein Spezifikum Aserbaidschans
Émile Vandervelde (1866–1938) war ein belgischer Jurist und Vorsitzender der Zweiten Internationale. In mehreren Regierungen in Belgien hatte Vandervelde Ministerposten inne. Auf seiner Georgien-Reise 1920 wurde er von seiner Frau Lalla begleitet. Siehe ihren Bericht über die Reise nach Georgien: Lalla Vandervelde: En Géorgie, in: Le Flambeau. Revue Belge des Questions politiques et littéraires 3/11 (25 novembre 1920), S. 721–725. 71 M. Khomériki: La Réforme Agraire et l’Economie Rurale en Géorgie, préface de Pierre Renaudel, Paris 1921. 72 Vgl. Noj Žordania: Bol’ševizm, Berlin 1922. 73 Ebenda, S. 84. 70
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war die Popularität der turanischen bzw. panturkistischen Ideen,74 die seit der Jahrhundertwende von vielen aserbaidschanischen Intellektuellen propagiert wurden, und an eine supra-konfessionelle Solidarität der turksprachigen Völker des ehemaligen Zarenreiches sowie des Osmanischen Reiches appellierten. Daraus lässt sich eine stark ausgeprägte Affinität der Türkei gegenüber erklären, welche in den aserbaidschanischen Eliten vorherrschte. Auf dem internationalen Parkett verfolgte die aserbaidschanische Regierung ähnliche Ziele wie die georgische. Man suchte Anerkennung und den Anschluss an die internationale Staatengemeinschaft. Im Unterschied zu den christlichen Armeniern und Georgiern konnten die Juden und Muslime bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges keinen Wehrdienst in der Zarenarmee leisten. Trotz der Aufstellung der vorwiegend aus den Muslimen in Russland zusammengestellten, so genannten „Wilden Division“ (dikaja divizija) waren es nur wenige Aserbaidschaner, die bis 1918 eine militärische Laufbahn zurückgelegt hatten. Noch weniger Aserbaidschaner konnte man in der russischen Diplomatie finden.75 Der Regierung in Baku mangelte es 1918–1920 daher zur Besetzung der diplomatischen Posten an ausgebildetem Personal, das der französischen und weiterer europäischer Sprachen mächtig war. Die mehrheitlich schiitische, aserbaidschanische Intelligenzija verfügte – im Gegensatz zur georgischen – kaum über Kontakte zu europäischen Politikern und Intellektuellen. Ali Mardan Topčibaši stellte eine Ausnahme dar. Er gehörte zum aserbaidschanischen Adelsgeschlecht und konnte um 1918 auf eine brillante Karriere im zaristischen Beamtensystem zurückblicken. Er hatte Jura an der Universität St. Petersburg studiert, genoss Popularität unter den muslimischen Intellektuellen des Zarenreiches und wurde mehrfach als Abgeordneter der muslimischen Fraktion in die Duma gewählt. Die politische Erfahrung Topčibašis, seine Popularität sowie seine Französischkenntnisse waren entscheidend für seine Ernennung zum Leiter der diplomatischen Mission in Georgien, Armenien und im Osmanischen Reich sowie zum Vorsitzenden der aserbaidschanischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz 1919. Topčibaši bemühte sich darum, dass die Teilnehmer der Konferenz sowie zumindest die frankophone Öffentlichkeit grundlegende Informationen über die im Mai 1918 entstandene Republik Aserbaidschan erhielten. 1919 gaben die aserbaidschani-
Zum Überblick über den Panturkismus sowie den Turan-Gedanken siehe Berna Pekesen: Panturkismus, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2014-03-04. http://www.ieg-ego.eu/pekesenb-2014-de (Zugriffsdatum: 25.03.2015). Mehr zum Panturkismus in Aserbaidschan bei Zaur Gasimov: Vom Panslavismus über den Panturkismus zum Eurasismus: die russisch-türkische Ideenzirkulation und Verflechtung der Ordnungsvorstellungen im 20. Jahrhundert, in: Post-Panslavismus, hg. von Ga̜sior, Karl und Troebst, S. 448–472. 75 Der einzige Bereich, in dem sich die aserbaidschanischen Intellektuellen hervorbringen konnten, war die Orientalistik an den russischen Universitäten und der Übersetzerdienst am Sitz des Generalgouverneurs in Tiflis. Mehr dazu im Buch von Vilayat Guliyev: Azerbaijani School in Russian Orientalism. The First Half of 19th Century, Budapest 2015. 74
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schen Diplomaten in Paris zwei dünne Broschüren auf Französisch heraus, die über die ethnische, politische, historische und ökonomische Lage der Republik Aserbaidschan informierten. Das Ziel war es, die europäische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Republik mit der Hauptstadt Baku ein funktionierender Staat war, der von den Großmächten anerkannt und unterstützt werden sollte.76 Im Gegensatz zu Georgien entwickelte sich eine breitere aserbaidschanische Exilantenaktivität erst nach 1920, vor allem in der Türkei und nur zweitrangig in Frankreich. Der Nordkaukasus bzw. die Nordkaukasische Republik war das labilste Staatsgebilde im postzaristischen Kaukasus. Geführt wurde die Regierung von Tapa (Abdul Medžid) Čermoev (1882–1936), der als Präsident der Union der Bergler (gorcy) des Nordkaukasus und Dagestans fungierte. Čermoev hatte in Wladikawkaz studiert und anschließend eine Kavallerieschule in St. Petersburg abgeschlossen. Ähnlich wie der aserbaidschanische Politiker Topčibaši schaffte es Čermoev als Abgeordneter in die vierte Duma. Die überwiegend muslimisch bewohnte Republik Nordkaukasus hatte um 1918 mit ähnlichen Problemen wie Aserbaidschan zu kämpfen. Das Fehlen der staatlichen Tradition und qualifizierter Beamter verkürzte das nationalstaatliche Experiment. Bereits im Mai 1919 wurde die so genannte Bergler-Republik (gorskaja respublika) von der russischen weißen Armee Denikins wieder eingenommen. Der Staatschef Tapa Čermoev77 begab sich ins französische Exil. Im Januar 1920 wurde der Nordkaukasus sowjetisch. Die publizistischen Aktivitäten nordkaukasischer Politiker und Aktivisten in Europa waren deutlich schwächer ausgeprägt als bei den Georgiern oder Aserbaidschanern. Es war nur Gejdar Bammat78, dem es gelang in Lausanne 1919 einen Aufsatz „Le Problème du Caucase“ in der Zeitschrift „Revue Politique Internationale“ sowie in Form einer Broschüre zu veröffentlichen.79 Gleichzeitig erschien ein Kurzbeitrag des späteren Prometheisten Aytek Namitoks80 in der Pariser Zeitschrift „L’Europe Orientale“, [Unbekannter Autor, vermutlich Adelhan Ziyathan]: La République de l’A zerbeidjan du Caucase, Paris 1919. 77 Čermoev hatte mehrere hohe Posten während der Unabhängigkeit des Nordkaukasus 1917–1919 inne. Nach einem kurzen Intermezzo in Tiflis, wo er sich nach dem Einmarsch Denikins in den Nordkaukasus aufhielt, lebte er im Pariser Exil. Vgl. Georges Mamoulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens, Paris 2009, S. 351–352. 78 Mehr zu Bammat siehe Fußnote 104, Kapitel 1. 79 Vgl. Haidar Bammate: Le Problème du Caucase. Extrait de la Revue Politique Internationale de Nov.Déc. 1918. Avec une carte ethnographique, Lausanne 1919. 80 Ajtek Namitok (1892, Ekaterinodar -1963, Istanbul) war ein nordkaukasischer Linguist. Als Absolvent der St. Petersburger Universität und der Universität Sorbonne war Namitok in der Politik der Nordkaukasischen Bergrepublik 1917–1918 aktiv. Namitok (in der russischen Version: Namitokov) war tscherkessischer Herkunft und war tätig in der Interimsregierung in Kuban. 1919 vertrat er die Interessen der regierungsähnlichen Behörde Rada von Kuban auf der Pariser Friedenskonferenz. Danach folgte die Auswanderung nach Prag und Istanbul. Ab Mitte der 1920er Jahre bis 1942 lebte Namitok in Paris, wo er unter anderem eng mit dem französischen Orientalisten Georges Dumezil im Bereich der Erforschung der nordkauka76
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in dem er für mehr Engagement von Seiten der europäischen Mächte für die Staatsgebilde im Kaukasus plädierte.81 Bammats und Namitoks Sozialisation war vergleichbar mit der von Topčibaši. Beide waren ebenfalls Absolventen der juristischen Fakultät der Universität St. Petersburg. Seit März 1918 war Bammat Außenminister der Nordkaukasischen Bergler-Republik. Namitok ging als Delegierter der kurzlebigen kosakischen Regierung von Kuban’ nach Paris. Ab 1921 wurden Čermoev, Bammat und Topčibaši sowie auch Žordania politische Exilanten in Paris. Die armenischen Intellektuellen – konzentriert in Tiflis, Baku, Istanbul, Genf und Paris – strebten eine Staatswerdung auf dem Gebiet der östlichen Provinzen des Osmanischen Reichs an. Russland, ein Erzrivale der Osmanen im Kaukasus, hatte in den armenischen Diskursen ein deutlich positiveres Bild als bei den Georgiern oder den Kaukasusmuslimen. Die (außen-)politische Tätigkeit einzelner Aktivisten aus den Ostsee-, den polnischen und kaukasischen Provinzen des Zarenreiches in den diplomatischen Zentren Europas wie Genf und Paris bereicherte ihre Erfahrung mit der Außenwelt. Dies brachte sie in Kontakt mit ausländischen Journalisten, Politikern, Diplomaten und Nachrichtendienstlern. Die Emigranten suchten diese Kontakte und wollten ihr Anliegen internationalisieren. Diese Verbindungen waren andererseits auch für die Rivalen Russlands, die Großmächte Frankreich und Großbritannien, aber auch für das Osmanische Reich, von großer Bedeutung, da diese in der Multiethnizität Russlands seine Schwachstelle und das Mobilisierungspotenzial der nichtrussischen Separatismen erkannten.
sischen Sprachen zusammenarbeitete. Namitok machte sich einen Namen als Kaukasiologe: Er verfasste zahlreiche Aufsätze zu diesem Themenbereich und lehrte die Kaukasiologie an der Sorbonne. 1939 erschien seine Monographie „Origines des Circassiens. Première partie“ in Paris, die er seinem Kollegen Dumezil widmete. 1949 zog Namitok nach Istanbul um, wo er an der Pädagogischen Universität den Lehrstuhl für Französisch übernehmen konnte. In der „La Revue de Prométhée“ veröffentlichte er „Le Caucase, terre de prédilection pour l’ethnologie“ (La Revue de Prométhée 2 (1er décembre 1938), S. 189–192). http://www. alexanderyakovlev.org/almanah/almanah-dict-bio/1008862/12 (Zugriffsdatum: 09.08.2012). Er war verheiratet mit der in der Türkei lebenden Aktivistin adygischer Abstammung, Hayriye M. Hunç (1896–1963). 81 A. Namitokoff: La rencontre des armées de Denikine et de Petloura, in: L’Europe Orientale (16.09.1919), S. 36–38.
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Prometheistische Geisteswelten
2.3
Inter-imperiale Interaktionen
2.3.1
Polen und Frankreich
Mit keinem anderen europäischen Land verbanden die Polen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts so viel Sympathie wie mit Frankreich. Vieles sprach dafür, von Frankreich begeistert zu sein. Aufgeteilt zwischen Preußen, Russland und dem Habsburgerreich, knüpften die polnischen Intellektuellen ihre Hoffnung an die Wiederherstellung der Staatlichkeit logischerweise an eine kontinentale Großmacht wie Frankreich, das sämtliche territoriale Aneignungen Wiens und Berlins in Europa besorgt beobachtete. Auch der Katholizismus spielte eine wichtige Rolle bei der Herausbildung des positiven Frankreichbildes in Polen. Mit Napoleon verband sich die Hoffnung auf Erlösung Polens.82 Darauf hofften Abertausende polnischer Soldaten, die in Legionen organisiert gemeinsam mit der französischen Armee kämpften. Aus dieser Zeit stammt die polnische Hymne, einst das Lied der polnischen Legionäre (mazurka de Dąbrowski) in der Armee Napoleons. Nach dem Scheitern der Napoleonischen Kriege büßte Frankreich keineswegs an Anziehungskraft unter den polnischen Intellektuellen und in der polnischen Gesellschaft in allen drei Herrschaftsgebieten ein. Nach Paris strömten nach den beiden großen Aufständen von 1830 und 1863 Tausende von polnischen Adligen und Aktivisten der Befreiungsbewegungen (wielka emigracja). Gerade in Paris befand sich auch das berühmte Hotel Lambert: Von hier aus agierte Fürst Adam Czartoryski (1770–1861), der eine Koalition gegen das Zarenreich anstrebte. Dem polnischen Adligen, eigentlich im Dienste des russischen Zaren, gelang es, ein beachtliches Netzwerk an Diplomaten und nachrichtendienstlichen Einrichtungen in Europa, im Osmanischen Reich und in unterschiedlichen Grenzgebieten Russlands selbst zu erschaffen.83 Mit einer Reihe von Gleichgesinnten konnte Czartoryski ein Netzwerk von Agenten zwischen den europäischen Metropolen, dem Balkan84 (z. B. Ludwik Zierkowski-Lenoir85) und Konstantinopel (z. B. Michał Czajkowski86) ausbauen. Gezielte
Mehr zum Stellenwert Napoleons in der polnischen Erinnerung siehe Ruth Leiserowitz: Heldenhafte Zeiten. Die polnischen Erinnerungen an die Revolutions- und Napoleonischen Kriege 1815–1945, Paderborn 2017. 83 Vgl. Tadeusz Świętochowski: Czartoryski and Russia’s Turkish Policy 1804–1806, in: The Polish Review (1967), S. 30–37. 84 Mehr dazu: Robert A. Berry: Czartoryski and the Balkan Policies of the Hotel Lambert, 1832–1847, PhD Dissertation, Indiana 1974; Jerzy Skowronek: Polityka Bałkańska Hotelu Lambert (1833–1856), Warschau 1976. 85 Ludwik Zierkowski-Lenoir (1803–1860) war polnischer Militärangehöriger. 1839 schloss er sich dem Kreis Czartoryskis an. 86 Michał Czajkowski (1804–1886) ging 1841 auf Direktive von Czartoryski nach Konstantinopel und sollte als Vertreter des Hotels Lambert in der osmanischen Hauptstadt fungieren. Am Bosporus konvertierte Czajkowski zum Islam, nahm den Namen Sadık Paşa an und konnte ein gewisses Ansehen unter den osmanischen Eliten gewinnen. Neben seinen politischen Aktivitäten veröffentlichte Czajkowski eine Reihe von 82
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Kontakte zu Aktivisten der Balkanvölker unter österreichischer Vorherrschaft und zu den osmanischen Eliten sollten langfristig gegen Wien und vor allem St. Petersburg genutzt werden. Das Zentrum, in dem Czartoryski Meldungen aus aller Welt empfing, seine Direktiven übermittelte und weitere Aktionen plante, befand sich im Hotel Lambert, welches zu einem Außenministerium des nicht existierenden polnischen Staates avancierte. Hier entwickelte er auch seine außenpolitischen Visionen, die auf seiner Erfahrung als russischer Außenminister, als auch auf dem Austausch mit seinen Zeitgenossen beruhten. Czartoryski, ein Kenner der damaligen Situation in den internationalen Beziehungen, studierte die geographischen, sozialen und ökonomischen Begebenheiten und Umstände, die sich auf die (außen-)politische Entwicklung der Nationen auswirkten. Wenn uns die Energie mancher Völker ins Staunen bringt, reden wir gleich über die [geographische, Z. G.] Lage des Landes als über seinen wichtigsten Schutzrahmen. Mit Sicherheit sind Berge, Wälder […] von Bedeutung […] Jedoch hilft nichts, wenn es an motivierten, kühnen und aufopferungsbereiten Menschen fehlt […],87
so schrieb Czartoryski am 29. November 1843. Ihm zufolge waren die Stimmung in der Gesellschaft und die allgemeine Bildung der Bevölkerungsmassen entscheidend für die Entwicklung einer Nation. In seiner Analyse der Situation in den polnischen Ländern sowie in der polnischen Emigration, reflektierte er über das politische Geschehen in Europa und den Untergang des eigenen Staates. „Nein. Gott wird Polen nicht verlassen. Die Polen sollten zusehen, dass sie sich selbst beherrschen.“88 Eine innere Mobilisierung, die Hoffnung auf die Wiederherstellung des polnischen Staates und geistige Arbeit würden die polnische Erlösung bringen, so lautete die Botschaft. Czartoryski unterhielt Kontakte zu Großbritannien, dem größten Rivalen Russlands im Vorderen Orient und Asien, so wie zum wichtigsten Herausforderer des Zarenreiches im Kaukasus, Scheich Šamil’. 1836, 1842 und 1857 entsandte das Hotel Lambert “[…] Emissäre zu den Tscherkessen, wobei zumindest die beiden letzten, […] Ludwik Zwierkowski sowie später Teofil Łapiński auch den Auftrag hatten, sich zu Šāmil durchzuschlagen, um sich bei ihm für die gute Behandlung gefangener Lands-
literarischen Werken zum Thema Orient. Später wanderte er in die heutige Ukraine ein und ließ sich zur Orthodoxie konvertieren. Während seine literarische Aktivität weiterhin Popularität genoss, büsste Czajkowski wegen seiner Abkehr vom Katholizismus Sympathien der Exilpolen ein. 1886 beging er Selbstmord. Mehr zu Czajkowskis Leben und Werk, siehe Marta Ruszczyńska: Między Słowiańszczyzną a Orientem. Na przykładzie wybranych powieści Michała Czajkowskiego, in: Wschód muzułmański w literaturze polskiej. Idee i obrazy, hg. von Grzegorz Czerwiński und Artur Konopacki, Białystok 2016, S. 97–114. 87 Adam Jerzy Czartoryski: Mowa z dnia 29 listopada 1843 roku, in: Mowy Księcie Adama Czartoryskiego od roku 1838–1846, Paris 1846, zitiert nach: http://www.polskietradycje.pl/artykuly/widok/218 (Zugriffsdatum: 15.11.2018). 88 Ebenda.
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leute einzusetzen und ihm den Plan vorzutragen, aus desertierten und gefangen-genommenen Polen eine Bataillon zu bilden, das gegen die Russen kämpfen sollte.“89. Neben dem Dichter Mickiewicz wurde Adam Czartoryski zur Verkörperung der polnischen Tugenden und des Adels, der seine Funktion der geistigen Führung der Nation quasi trotz der Teilungen Polens beibehielt. In Polen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie während der Unabhängigkeitszeit der 1920–30er Jahre, waren der 1861 verstorbene Adam Czartoryski und sein Hotel Lambert Inbegriffe des Polentums und des Staatspatriotismus und wurden in den intellektuellen Diskursen kultiviert. So hat sich der Doyen der polnischen Historikerzunft in der Zwischenkriegszeit und aktive Sympathisant und Unterstützer der prometheistischen Netzwerke, Marceli Handelsman90, gerade mit Czartoryski und Mickiewicz91 intensiv befasst.92 Das Hotel Lambert wurde in polnischen Diskursen zu einem für Polen besonderen Ort voller Geheimaktivitäten für die polnische Nation stilisiert. Die Aktivitäten Czartoryskis in Paris wären undenkbar gewesen, wenn die französischen Behörden sie nicht geduldet hätten. Frankreich nutzte so die polnische Karte in ihren Beziehungen mit dem Zarenreich und genoss als Herausforderer St. Petersburgs Sympathien unter Polen. Die Faszination für Frankreich in der polnischen Gesellschaft, die zu Zeiten Napoleons begonnen hatte und sich in der polnischen Literatur93 und Kunst94 niederschlug, stand in einem engen Zusammenhang mit dem polnischen Exil in Paris.95 Hier schrieb der polnische Dichter Norwid 1861 seinen Vers „Moja ojczyzna“ [Mein Vaterland], der mehrere Generationen der Polen prägte. Mickiewicz, und später der Orientalist Chodźko hatten Slawistik-Professuren in Paris inne. Ebenso in Paris wurde der be-
Clemens P. Sidorko: Dschihad im Kaukasus. Antikolonialer Widerstand der Dagestaner und Tschetschenen gegen das Zarenreich (18. Jahrhundert bis 1859), Wiesbaden 2007, S. 328. 90 1934 erschien die Monographie Handelsmans „Czartoryski, Nicolas Ier et la question du Proche Orient“ in Paris. Drei Jahre später gab er auf Polnisch seine Analyse des Engagements Czartoryskis für die ukrainische Frage in Warschau heraus. Vgl. Marceli Handelsman: Ukraińska polityka ks. Adama Czartoryskiego przed wojna̮ Krymska, Warschau 1937. Eine mehrbändige Publikation zu Czartoryski erschien in Warschau kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Tode Handelsmans. Eine weitere, in diesem Kontext erwähnenswerte Publikation ist: Ders.: Rok 1848 we Włoszech i polityka ks. Adama Czartoryskiego, Krakau 1936. 91 Vgl. Marceli Handelsman: Mickiewicz w latach 1853–1855, Warschau 1933. 92 Auf das Leben und Werk Czartoryskis als ein wichtiges Forschungsfeld Handelsmans wies Kornat 2004 hin. Vgl. Marek Kornat: W kręgu ruchu prometejskiego. Związek zbliżenia narodów odrodzonych (1921– 1923) i Instytut Wschodni w Warszawie (1925–1939), in: Politeja 2 (2004), S. 349–391. 93 Vgl. Wpływy francuskie w polskiej literaturze, in: Polska-Francja. Dziesięć wieków związków politycznych, kulturalnych i gospodarczych. Pologne-France. Dix siècles de relations politiques, culturelles et économiques, hg. von Andrzej Tomczak u. a., Warschau 1983, S. 319–326. 94 Ebenda, S. 327–332. 95 1909 erschien die Monographie Marceli Handelsmans „Napoléon et la Pologne. 1806–1807“ in Paris. Es handelte sich dabei um eine Dissertation, die Handelsman an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich eingereicht hatte. Vgl. Marcel Handelsman: Napoléon et la Pologne. 1806–1807. D’après les documents des Archives Nationales et des Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Paris 1909. 89
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rüchtigte Towiański-Kreis96 der polnischen Mystiker organisiert, dem auch Mickiweicz und Chodźko angehörten. Frankreich hatte sich an den Teilungen Polens nicht beteiligt; seine Beziehungen zu den (ehemaligen) Teilungsmächten waren – wenn auch in unterschiedlichem Grade – angespannt. Paris war in der Wahrnehmung der polnischen Gesellschaft zudem eine „erstrangige Kulturmetropole“.97 Hier weilten die Galionsfiguren polnischer Dichtung und Kultur wie Adam Mickiewicz, Juliusz Słowacki, Zygmunt Krasiński, sowie Frederyk Chopin. Für Polen wurde Frankreich zur ojczyzna zastępcza, „Ersatzheimat“98, wie es der Posener Historiker Tomasz Schramm treffend beschrieb. Während des Krimkrieges 1853–56 hegten die Polen Hoffnungen mit den Osmanen und vor allem mit Napoleon III. Verbündete gegen Russland zu gewinnen. Während des Ersten Weltkriegs entstanden in Frankreich die polnische Armee99 und auch das von Dmowski geleitete Polnische Nationalkomitee „Komitet Narodowy Polski“ – zwei zentrale Institutionen für die spätere Staatsbildung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Polen gerade mit Frankreich gleich in den ersten Jahren der Unabhängigkeit einen intensiveren Austausch und eine militärische Allianz suchte. Frankreich unterstützte die polnischen Pläne während der Pariser Friedenskonferenz: Der französische Diplomat Philippe Berthelot, den der Historiker D. R. Watson als „a dominant figure at the Quai d’Orsay“100 bezeichnete, soll am 19. März 1919 gesagt haben, dass die „Angelegenheit der Grenzen Polens für Frankreich am wichtigsten“ sei „sowie die Angelegenheit von Elsaß und Lothringen“101. Am 19. Februar 1921 unterschrieben der polnische Außenminister Eustachy Sapieha und sein französischer Amtskollege Aristide Briand den polnisch-französischen Militärvertrag mit einem Geheimabkommen. Dieses sah eine gemeinsame Vorgehensweise im Falle einer Gefahr von deutscher oder sowjetischer Seite vor. Natürlich sprachen nicht nur die gegenseitigen Sympathien zwischen Polen und Franzosen, sondern realpolitische sowie sicherheitspolitische Überlegungen und wirtschaftliche Interessen für eine enge
Andrzej Towiański (1799–1878) war ein polnischer Mystiker, Theosoph und Philosoph. Seine Lehre inkludierte Elemente der katholischen Religionslehre und griff die Idee des Nationalen auf. Vor allem ging es um den Missionsgedanken. Towiańskis Schriften wurden unter den russischen und vor allem italienischen Intellektuellen rezipiert. 97 Tomasz Schramm: Czym były Francja oraz Niemcy dla Polski w XIX wieku?, in: Francja, Niemcy i Polska w Europie nowożytnej i najnowszej (XVI–XX w.), hg. von Maciej Forycki und Maciej Serwański, Posen 2003, S. 212. 98 Ebenda, S. 213. 99 Es handelte sich um eine militärische französisch-polnische Mission (Misja wojskowa Francusko-Polska), die bereits im Sommer 1917 Übungslager in Sillé-le-Guillaume organisierte. Ähnliches Engagement zeigte die französische Seite in Bezug auf die Kroaten, Slowenen und Bosnier, d. h. all die Slawen, die in der Zusammensetzung Österreich-Ungarns lebten. Vgl. Polska-Francja, hg. von Tomczak u. a., S. 340. 100 D. R. Watson: Jean Pélissier and the Office Central des Nationalités, 1912–1919, in: English Historical Review 110/439 (1995), S. 1197. 101 Polska-Francja, hg. von Tomczak u. a., S. 351. 96
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Zusammenarbeit. Frankreich beteiligte sich auch zudem an der Ausbildung polnischer Militärangehöriger. Polen war ein wichtiges Glied in den französischen Plänen einer geopolitischen Neuordnung Ostmitteleuropas, die vor allem eventuelle Großmachtbestrebungen Deutschlands verhindern, oder zumindest diesen entgegenwirken sollte. Mit Sicherheit dürften die Erwartungen der Polen an eine Zusammenarbeit mit Paris größer gewesen sein als französische Eliten bereit waren, in die Kooperation zwischen den beiden Ländern zu investieren. 2.3.2
Polen und die Osmanen
Adam Mickiewicz, der prominente polnische Dichter, Pariser Slawistik-Professor und Exilant, starb nach vielen Jahren in Frankreich am 26. November 1855 an Malaria in Istanbul. Hier hielt er sich zu dem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren auf. Sein Interesse und das seiner intellektuellen Umgebung am Osmanischen Reich war schon viel früher geweckt und durch den Ausbruch des Krimkrieges 1853 nur verstärkt worden.102 In den polnischen Siedlungen Polonezköy (Adampol) auf der asiatischen Seite des spätosmanischen Istanbuls und am Hofe des osmanischen Sultans warb der polnische Dichterfürst für eine Koalition gegen St. Petersburg. Die polnischen Legionen, deren Bildung geplant war, sollten zusammen mit der Armee der Hohen Pforte gegen das Zarenreich kämpfen. Dafür setzte sich Mickiewicz trotz seiner bereits schnell voranschreitenden Malaria-Erkrankung ein. Das Haus, in dem Mickiewicz diese letzten Wochen verbracht hatte, entwickelte sich bis zum großen Brand von 1870 zu einem Pilgerort unter den nach Istanbul reisenden Polen.103 Am 10. Juli 1909 organisierte die türkische Partei „İttihat ve Terraki“ [Union und Progress] einen Festzug vor dem Haus Mickiewiczs in Istanbul im Andenken an die Polen, die im Krimkrieg gefallen waren. Nach dem festlichen Gottesdienst, der in der Hl. Maria-Kirche im Zentrum des überwiegend christlich besiedelten Bezirks von Istanbul, Pera, abgehalten wurde, zog ein Zug mit sowohl polnischen (sic!) als auch osmanischen Fahnen zum Mickiewicz’ Haus, an dessen Wand ein Schild mit der Inschrift: „Ein großer Dichter und Patriot Polens Adam Mickiewicz – ein Freund der Türkei. İttihat ve Terraki Partei“104 angebracht wurde. Es wurden Reden von Seiten türkischer Politiker sowie von in Istanbul ansässigen polnischen Aktivisten, wie z. B.
102 Mehr bei Jan Reychman: Zainteresowania orientalistyczne w środowisku mickiewiczowskim w Wilnie i Petersburgu sowie Ananiasz Zajączkowski: Z dziejów orientalizmu polskiego doby mickiewiczowskiej, in: Szkice z dziejów polskiej orientalistyki, hg. von M. Lewicki, Warschau 1957, S. 69–93 und S. 95–103. 103 Beigesetzt wurde Mickiewicz auf dem Friedhof der polnischen Emigranten bei Paris, erst 1890 wurden seine Gebeine nach Krakau überführt. 104 Mehr zu Mickiewicz in Istanbul siehe Seda Köycü Arslantekin: Adam Mickiewicz ve Istanbul, in: Ankara Üniversitesi Dil ve Tarih-Coğrafya Fakültesi Dergisi 45/2 (2005), S. 17–24.
Inter-imperiale Interaktionen
des Laien-Historikers und Publizisten Tadeusz Gasztowtt105 (in der türkischen Version genannt Seyfeddin Paşa) gehalten. Gasztowtt gehörte vier Jahre später zu den Gründungsmitgliedern des „Ognisko Polsko-Tureckie“ (Polonya-Türkiye ocağı) in Paris, die 1913 von Piłsudski unter dem Namen „Türkisch-Polnische Gesellschaft zur Kunst- und Literaturforschung“106 ins Leben gerufen wurde. Zu dieser Gruppe gehörten ebenfalls der Bruder Józef Piłsudskis, Bronisław, aber auch die Schriftsteller Wacław Sieroszewski107 und Andrzej Strug108 – Letzterer ein aktiver Freimaurer – und andere. Die Ehefrau von Sieroszewski wurde Schatzmeisterin des Vereins. In Paris veröffentlichte Gasztowtt im gleichen Jahr seine manifestartige Monographie „Die Türkei und Polen“109, die die Bedeutung der Türkei für die polnische Unabhängigkeitsbewegung analysierte und für eine enge Zusammenarbeit zwischen Polen und der Türkei gegen „den gemeinsamen Feind Russland“110 plädierte. Im April 1913 fand zudem die Gründerversammlung der neuen Vereinigung „Polnische Freunde der Türkei“111 in Krakau statt. Es war ebenfalls Józef Piłsudski, der sich auf besondere Art und Weise für die Gründung dieser Vereinigung engagierte und unter den Beteiligten an diesem Treffen waren viele zu finden, die später zu den prominentesten Prometheisten gehörten: M. Wasilewski, Stanisław Źmigrodski, Michał Sokolnicki, Zygmunt Rosen und Wacław Tokarz112. Letzterer wurde zum Vorsitzenden des Vereins gewählt. In einem solchen Polen wurde Józef Klemens Piłsudski sozialisiert. Er knüpfte direkt an das Erbe Mickiewiczs. Geboren 1867 in der Nähe von Wilna, „in einem Gebiet mit polnisch-litauisch-belarussischer Mischbevölkerung“ wurde er „buchstäblich in die föderalistische Tradition hineingeboren.“113 „Seine Schuljahre wurden geprägt“, wie dies der finnische Historiker Kalervo Hovi in Anlehnung an den polnischen Exil-
105 Tadeusz Gasztowtt (1881–1936) war ein polnischer Publizist und Anhänger der polnisch-türkischen Annäherung. 106 Polnisch: Polsko-Tureckie Towarzystwo Naukowe i Artystyczno-Literackie. 107 Wacław Sieroszewski (1858–1945) war ein polnischer Schriftsteller und Vertreter der dichterischen Strömung „Młoda Polska“ [ Junges Polen]. Infolge der Verbannung nach Sibirien lebte er etwa 15 Jahre lang in Jakutien. Sieroszewski bereiste den Kaukasus und schrieb viel zum Thema Fernost und Volkskunde. 108 Andrzej Strug war das literarische Pseudonym von Tadeusz Gałecki (1871–1937), einem der führenden Schriftsteller der Zweiten Republik. Neben seiner freimauererischen Aktivität war Strug aktiv in der sozialistischen Bewegung der 1900er Jahre. 1907 wurde er durch die russischen Behördern interniert und begab sich später ins Pariser Exil. Nach 1918 war er aktiv als Politiker in der PPS und als Literat. 109 S. T[adeusz]. Gasztowtt: Turcya a Polska, Paris 1913. 110 Ebenda, S. 43. 111 Polnisch: Towarzystwo Polskie Przyjacioł Turcji. 112 Wacław Tokarz (1873–1937) war ein polnischer Historiker und Militärangehöriger. 1928 übernahm er den Lehrstuhl für polnische Geschichte an der Universität Warschau. Im selben Jahr erschien sein Opus Magnum „Wojna polsko-rosyjska 1830 i 1831 roku“ (Warschau 1930). 113 Kalervo Hovi: Interessenssphären im Baltikum. Finnland im Rahmen der Ostpolitik Polens 1919–1922, Helsinki 1984, S. 19.
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historiker Marian K. Dziewanowski beschreibt, „vom Geiste Mickiewicz’ und vom Aufstand des Jahres 1863.“114 Mickiewiczs Russlandbild nach der Zerschlagung des Aufstandes war äußerst negativ: Dies ist in allen seinen späteren Schriften abzulesen. Russlands Gegner dagegen wurden zu Polens Verbündeten. Das Frankreich Napoleons und das Osmanische Reich wurden neu definiert und neben den nichtrussischen Nationalitäten des Zarenreiches zu wichtigen Gliedern einer zu bildenden Allianz erklärt, die die polnische Staatlichkeit wieder zu errichten und zu sichern hatte. All diese Entwicklungen hatten einen enormen Einfluss auf Piłsudski, der noch vor 1918 zu einem wichtigen Mitgestalter der künftigen Außenpolitik Polens wurde. Zu Recht schrieb Andrzej Nowak über die Idee des Prometheismus: From the very beginning, it carries what would become the most characteristic premise behind Pilsudski’s future activity, namely that the most significant opportunity for winning independence for Poland lies in the potential intensity of dissatisfaction of the non-Russian nationalities under the Romanov empire.115
2.3.3
Polen, Kaukasus, Finnland und Japan
Polnische Aktivisten betrachteten das Geschehen in der internationalen Politik mit Interesse und blickten auf der Suche nach potentiellen Verbündeten im Kampfe gegen das Zarenreich nicht nur in Richtung Osmanisches Reich, sondern auch immer mehr nach Asien. Die Interessen Japans, der expandierenden Regionalmacht in Ostasien, kollidierten mit jenen des Zarenreichs bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Herausgefordert von der russischen Präsenz im Fernen Osten, setzte Tokio einerseits auf den Aufbau von Russlandexpertise, und andererseits auf die Vorbereitung für einen eventuellen Krieg gegen Russland. Der amerikanische Osteuropaexperte Hiroaki Kuromiya schrieb dazu: Yet it appears that it was only with its imperial contention with Russia over Asia in the late nineteenth century that Japan began to concern itself with Russia’s periphery (including the Caucasus) as the weak ring and therefore as suitable for political subversion.116
Kuromiya zufolge sah sich Japan gezwungen, das Operationsfeld der eigenen, gegen Russland gerichteten, nachrichtendienstlichen Aktivitäten „global“ zu gestalten: „In this context the Caucasus and Japan met each other, just as Poland, Finland, and Japan
Ebenda. Andrzej Nowak: History and Geopolitics: A Contest for Eastern Europe, Warsaw 2008, S. 169. Hiroaki Kuromiya, Georges Mamoulia: The Eurasian Triangle.Russia, The Caucasus and Japan, 1904– 1945, Degruyter (open access) 2016, S. 10, zitiert nach: https://www.degruyter.com/view/product/469152 (Zugriffsdatum: 20.11.2018). 114 115 116
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had found common interests against the Russian Empire.“117 Am Vorabend und während des russisch-japanischen Krieges 1904–1905 signalisierten viele polnische aber auch georgische Aktivisten ihre Bereitschaft, mit Japan, dem Gegner St. Petersburgs, zu kooperieren. Die japanischen Diplomaten Motojiro Akashi (1864–1919) und Giichi Tanaka (1864–1929) arbeiteten zum Teil über das 1902 eröffnete eigene Konsulat in Odessa mit dem bereits erwähnten finnischen Aktivisten Konrad Viktor (Konni) Zilliacus118, dem polnischen Sozialisten Witold Jodko-Narkiewicz (1864–1924) und dem georgischen Aktivisten Giorgi Dekanozišvili (1868–1910) zusammen, und planten eine Reihe von Maßnamen, die von Sabotage bis zum militärischen Aufstand in Georgien reichten. Tokio setzte auf die Achillesferse des Vielvölkerreiches und versuchte, die Spannungen zwischen den Russen und nichtrussischen Nationalitäten, und vor allem die aufstrebenden Nationalismen an den Peripherien des Zarenreiches auszunutzen. Als der russisch-japanische Krieg ausbrach und die japanischen diplomatischen Vertretungen abgezogen wurden, avancierten Istanbul und die europäischen Metropolen zu bedeutenden Zentren der japanisch-kaukasischen Zusammenarbeit, die sich auch nach dem Kriegsende fortsetzte. Japan ließ 1906 einen georgischen Verein in der damals russischen Grenzstadt zu China, in Harbin gründen und nahm Kontakt zum tatarischen Aktivisten Abdurrašid Ibrahimov aus Westsibirien auf. Ibrahimov war ein konservativ-muslimischer Prediger und ein Anhänger der panislamistischen Ideologie. Um die Jahrhundertwende schrieb er für die aserbaidschanischen und krimtatarischen Zeitungen, gab selbst religiöse Schriften heraus und blickte auf mehrere Jahre propagandistischer Aktivität im Osmanischen Reich, in verschiedenen Städten Russlands wie auch in Japan, zurück. Er passte in das Konzept der japanischen Subversion im russischen Vielvölkerreich: Während Tokio in seiner Osteuropa-Strategie auf die gezielte Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen von finnischen und georgischen Nationalisten setzte, pflegte es auch das Selbstbild eines Beschützers der Muslime im russischen Zentralasien wie auch in West-China. Neben dem Pan-Asianismus und dem Pan-Mongolismus instrumentalisierte die japanische Führung den Panislamismus in seiner Interaktion sowohl mit den Osmanen, als auch mit den zentralasiatischen und tatarischen Aktivisten.
Ebenda, S. 14. Konrad Viktor (Konni) Zilliacus (1855–1924) war ein finnischer Journalist und Aktivist der Unabhängigkeitsbewegung. Er unterhielt Kontakte zu Japan in der Hoffnung, mit dessen Hilfe militärischen Widerstand gegen die russischen Behörden leisten zu können. Zilliacus war vom schwedischen, später vom britischen Territorium aus aktiv und versuchte, Waffen und die Ausgaben seiner russlandkritischen Zeitung „Fria ord“ [Freies Wort] auf das Gebiet des russischen Finnlands zu schmuggeln. Auf der polnischen Seite unterhielt er vor allem Kontakte zum Hauptideologen der polnischen National-Demokraten Roman Dmowski. Mehr dazu Inaba Chiharu: Polish-Japanese military collaboration during the Russo-Japanese war, in: Japan Forum 4:2 (1992), S. 229–246, DOI: 10.1080/09555809208721459. 117 118
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Dieses Engagement einer nichtmuslimischen Großmacht für die Muslime des mächtigen Nachbarreiches blieb unter den polnischen Aktivisten nicht unregistriert. Auch Polen, das 1918 auf die Karte Europas zurückkehrte, avancierte zum Anwalt der Russlandmuslime und versuchte, eine antirussische Allianz mit Beteiligung der Muslime zu schmieden. Das japanische Beispiel diente der Inspiration. Eine Verkörperung der japanisch-kaukasischen wie auch der japanisch-finnischen Verflechtung stellte der bereits erwähnte Aktivist Viktor Zillicaus dar, der als ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der japanischen Diplomatie und den finnischen und georgischen Aktivisten fungierte. Finnland war, ähnlich wie große Teile der polnischen Länder, Bestandteil des Zarenreiches. Trotz der weitgehenden Freiheiten und Zugeständnisse St. Petersburgs in Fragen der Verwendung der finnischen Sprache und der Autonomie in internen Angelegenheiten, richtete sich der finnische Nationalismus gegen Russland: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entstand eine Reihe intellektueller und akademischer Vereine, die sich nicht nur für die Belange der finnischen Nation einsetzten. Finnische Nationalisten zeigten sich um die kulturelle Entwicklung der mit den Finnen ethnisch, kulturell und sprachlich verwandten Bevölkerungen von Karelien, Mordwa, Komi und weiterer finnougrischen ethnischen Gruppen besorgt. Finnen, die in Bezug auf die Alphabetisierung und den Lebensstandard deutlich fortschrittlicher als die meisten anderen Völker des Zarenreiches waren, entwickelten seit der Jahrhundertwende eine Reihe geopolitischer Ordnungsentwürfe nicht nur für Finnland, sondern auch für die von den finnougrischen Völkern besiedelten Gebiete Russlands. Die Ablehnung Russlands war dabei der gemeinsame Nenner, der finnische und polnische Aktivisten sowie japanische Diplomaten 1904–1905 zusammenführte. In Helsinki existierte seit 1883 die Finnougrische Gesellschaft (Suomalais-Ugrilainen Seura), die ursprünglich vom Linguistik-Professor und Schriftsteller Otto Donner (1835–1909) gegründet worden war. Eine Reihe finnischer Ethnologen, Sprachwissenschaftler und Historiker befasste sich mit der Geschichte, Kultur und Sprache der Finno-Ugrier und der Turkvölker, organisierte regelmäßige Exkursionen in deren Siedlungsgebiete und organisierte Vorträge zu diesen Themen in Helsinki. Auf Initiative Donners hin widmete sich der junge schwedisch-finnische Forscher und spätere Gründer des Helsinkier Prometheus-Klubs (1933), Gustaf J. Ramstedt, dem Studium der Turksprachen und unternahm bis 1902 sieben Expeditionen ins russische Sibirien und nach Zentralasien. Während vor 1917 das finnische politische Interesse an diesen Gebieten und ihrer Bevölkerung nicht immer direkt und häufig ausschließlich akademisch artikuliert worden war, änderte sich die Situation nach der Ausrufung der Republik Finnland 1917 radikal. Japan wandte sich in den 1910–20er Jahren von einer aggressiven Politik gegenüber Russland, später der UdSSR, eher ab. Finnland und Polen lancierten ihre eigenen Projekte in Bezug auf die Sowjetunion. Helsinki unterstützte und förderte das ‚nationale Erwachen‘ der finnougrischen Völker, suchte die außenpolitische Zusammenarbeit mit den baltischen Ländern und Polen, betrieb eine freundliche Grenzpolitik in Bezug
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auf die aus Sowjet-Russland fliehenden Nichtrussen, gewährte politisches Asyl an tatarische und kaukasische Politemigranten119 und tolerierte prometheistische Aktivitäten auf dem eigenen Gebiet. Im Oktober 1920 z. B. wanderte der prominente Exilkomi Ignatij N. Mošegov (1880–1965)120 aus Sowjetrussland über Estland nach Finnland ein, entfaltete hier seine literarischen und publizistischen Aktivitäten und nahm Kontakt zum prometheistischen Milieu in Polen auf: Bereits Ende 1922 erschien ein Beitrag von ihm in der französischsprachigen, polnischen Zeitschrift „L’Est européen“, die von Stanisław Siedlecki u. a. herausgegeben wurde.121 1925 wurde den tatarischen Politemigranten die finnische Staatsbürgerschaft verliehen.122 Es ist zu erwähnen, dass sowohl Finnland als auch Polen relativ schnell nach der Ausrufung der Unabhängigkeit militärische Auseinandersetzungen mit Russland hatten. Während Warschau kurzfristig sogar Kiew einnahm, lancierte auch Helsinki eine Militäroffensive ins sowjetrussische Karelien. Anders als die Republiken im Kaukasus, konnten Finnland und Polen ihre Souveränität erfolgreich verteidigen. Die einzelnen individuellen Kontakte zwischen Finnland, Japan, Polen und dem Kaukasus, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgebaut worden waren, wurden im Zuge der Aktivitäten der prometheistischen Netzwerke in der Zwischenkriegszeit weiter ausgebaut. 2.4
Ideenzirkulation um das Schwarze Meer
Die ukrainischen Länder und das Schwarze Meer verbanden den russischen Kaukasus mit Polen und dem restlichen Europa. Für Vernetzung und Verflechtung waren die institutionellen und edukativen Einrichtungen wichtig. Die russische Duma z. B. und die Universitäten in Warschau, Moskau, St. Petersburg, Odessa, Kiew und Kasan entwickelten sich zu Orten der Begegnung zwischen den polnischen, ukrainischen und den kaukasischen Intellektuellen. Die Entwicklung des ukrainischen Nationalbewusstseins, welches sich aus ethnischer, sprachlicher und nicht zuletzt religiöser Sicht von dem der Polen und dem der Russen abgrenzte, setzte sich in den ukrainischen Ländern erst Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb der Bildungsschicht durch. Um die Jahrhundertwende entstanden die ersten Bände der Monographie des ukrainischen Historikers Mychajlo Hruševskij (1866–1934) „Istorija Ukrainy-Rusi“ [Die Geschichte der Ukraine-Rus]. In den Jah119 Mehr dazu Antero Leitzinger: Lessons from Integration of Aliens in Finland 1917–1944, in: The Eurasian Politician 2 (Oktober 2000), http://users.jyu.fi/~aphamala/pe/issue2/al-tartu.htm (Zugriffsdatum: 19.02.2021). 120 Mehr zum Werdegang Mošegovs siehe Fedor Istomin: Ignatij Nikolaevič Mošegov (1880–1965), in: http://uralistica.com/group/komipermians/forum/topics/1880–1965 (Zugriffsdatum: 13.07.2018). 121 I. Möschey: Comis (Zyraniens et permiens), in: L’Est européen 3/13–14 (20. Dezember 1922), S. 418– 421. 122 Lowell Biezanis: Volga-Ural Tatars in Emigration, in: Central Asian Survey 11/4 (1992), S. 42.
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ren 1904, 1911 und 1913 erschienen die drei Auflagen seines Opus Magnum „Očerki istorii ukrainskogo naroda“ [Skizzen der Geschichte des ukrainischen Volks].123 Die österreich-ungarische Stadt Lemberg mit ihrer polnischen und jüdischen Stadtbevölkerung und der ukrainischen Landbevölkerung wurde zu diesem Zeitpunkt zum wichtigsten Zentrum der ukrainischen Nationswerdung. Die hier entstandenen kulturwissenschaftlichen und philologischen Schriften begleiteten diese Entwicklung. Unweit von Lemberg, in der galizischen Stadt Tschernigov, gab der Linguist Boris Grinčenko (1863–1910), Autor des ersten ukrainischen Wörterbuchs, 1901 einen umfangreichen bibliographischen Wegweiser zur Literatur der ukrainischen Folklore (1777–1900)124 heraus.125 Ein anderer ukrainischer Intellektueller, Stepan Smal’-Stoc’kyj (1859–1938), der an der deutschsprachigen Universität Tschernowitz und in Wien studiert hatte, trug zur Entstehung einer ambitionierten, national-ukrainischen Philologie bei. 1897 hatte er die Grammatik des Ukrainischen verfasst, die an den ukrainischen Schulen Österreich-Ungarns als Lehrwerk eingeführt und 1914 in der dritten Auflage in Wien gedruckt wurde.126 Als die Bukowina an Rumänien angeschlossen wurde, ging Smal’Stoc’kyj als Diplomat der kurzlebigen Ukrainischen Republik nach Prag. Nach der baldigen Auflösung des ukrainischen Staates war er an der Freien Ukrainischen Universität in Prag tätig. Stepan Smal’-Stoc’kyj war der Erste, der „anstelle des Ausdrucks „ruthenisch“ die Bezeichnung „ukrainisch“ verwendete“.127 Neben den linguistischen Forschungen setzte sich Stepan Smal’-Stoc’kyj mit dem literarischen Erbe des ukrainischen Dichters und Schriftstellers Taras Ševčenko auseinander. Den Namen des ukrainischen Dichterfürsten trug auch eine bedeutende Genossenschaft „Tovarystvo imeni Ševčenka“, die regelmäßig Blätter zur Geschichte und Schriftkultur des „ukrainisch-russischen Volkes“ in Lemberg herausgab. Die ukrainischen Diskurse hatten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit der Biographie, den literarischen Werken und Kontakten Taras Ševčenkos zunehmend auseinandergesetzt128: Das Leben und Werk Ševčenkos kultivierend führten die ukrainischen Intellektuellen, die den prometheistischen Netzwerken nahestanden, die Tradition der nationalen Emanzipation des ausgehenden 19. Jahrhunderts somit fort. Stepan Smal’-Stoc’kyj war der Vater von
123 Pavlo Sochan’: Tvorča spadščina M. S. Hruševs’koho i sučasnist’, in: Michajlo Hruševs’kyj. Bd. 1, Lemberg 2002, S. 21. 124 Vgl. Literatura ukrainskogo fol’klora. 1777–1900, hg. von B. D. Grinčenko, Tschernigov 1901. 125 1907–1909 gab er vier Bände des Wörterbuchs der ukrainischen Sprache in Kiew heraus. 126 Vgl. Stepan Smal’-Stoc’kyj, Fedir Gartner: Gramatyka rus’koj movy, 3. überarbeitete Aufl., Wien 1914; Stepan Smal’-Stoc’kyj: Ruthenische Grammatik, Berlin, Leipzig 1913. 127 H. Reitterer: Smal-Stockyj (Smal-Stocki, Smal’-Stoc’kyj, Smal-Stotsky), Stephan (Stepan) (1859–1938), Slawist und Politiker, in: http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Smal-Stockyj_Stephan_1859_1938. xml (Zugriffsdatum: 19.02.2021). 128 Vgl. der ukrainische Intellektuelle O. Ja. Konys’kyj ist ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit Ševčenkos literarischem Erbe. Siehe Oleksandr Mysjura: O. Konys’kyj – zasnovnyk ševčenkoznavstva, in: Siverjans’kyj litopys 6 (2010), S. 112–121.
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Roman Smal’-Stoc’kyj, einem bekannten Philologen und dem aktivsten ukrainischen Prometheisten der 1920–30er Jahre. Ukrainische Intellektuelle, insbesondere die, die im österreichisch-ungarischen Teil des historischen Polens, aber auch diejenigen, die im russischen Kiew und Charkow lebten, beobachteten die gesamt-ostmitteleuropäischen Prozesse und partizipierten daran: Nationalismen, die sich gegen die jeweiligen imperialen Zentren richteten, Autonomie-Bestrebungen, Marxismus und Sozialismus. Gemeinsam war den Ukrainern und Polen ihre Erfahrung mit dem Imperialen, auch wenn sich diese im Habsburger Reich und im Zarenreich unterschied. Der ukrainische Nationalismus entwickelte sich zum Teil aus der Kritik an der russischen Bildungspolitik und Geschichtsdeutung sowie vor allem an der polnischen kulturellen Dominanz heraus. Die Ukraine stellte im von Polen aus organisierten, prometheistischen Netzwerk gerade deswegen fast immer das emotionalste und schwierigste Glied dar. Zwar waren die antirussischen Ressentiments unter den ukrainischen Intellektuellen offensichtlich, jedoch spielte gerade die Tatsache, dass die Ukrainer sich vor 1918, also noch im österreich-ungarisch regierten Galizien vor allem gegenüber der polnischen Kultur zu emanzipieren und schließlich durchzusetzen hatten, eine wichtige Rolle in der Sozialisation vieler ukrainischer Intellektueller. Polonophilie unter den ukrainischen Intellektuellen war nicht so ausgeprägt wie z. B. die Germanophilie und sogar die Russophilie, die trotz der Restriktionen im Zarenreich im Zuge der panslawistischen Agitation unter den Ukrainern im österreich-ungarischen Herrschaftsbereich erkennbar war.129 Kiew wurde um die Jahrhundertwende und vor allem im Laufe des Ersten Weltkrieges zu einem bedeutenden Schauplatz der ukrainischen Artikulation des Nationalen. Die ukrainischen Debatten wurden dabei auch von den zahlreichen kaukasischen und tatarischen Studenten der Kiewer Hochschulen und Universitäten rezipiert.130 Es waren nicht nur polnische Politiker und Intellektuelle, die den Kaukasus und die Ukraine in ihre Russlandstrategie integrierten. Sie versuchten sowohl die polnische Gemeinschaft in diesen Gebieten als auch die ukrainischen und kaukasischen Exilanten nach dem Ersten Weltkrieg in Polen zu mobilisieren. Ein Teil des spätosmanischen Establishments verfolgte eine ähnliche Politik und tolerierte Vereinsbildungen auf dem eigenen Gebiet. Die krimtatarische und kaukasische Emigration in das Osmanische Reich hatte schon frühere Vorläufer. Nach Schätzungen des russischen Historikers Vjačeslav Biguaa waren es mehr als 200.000 Menschen, meistens Adygen, Abchasen und Abasinen, die in den 1850–60er Jahren das Zarenreich verlassen und
129 Vgl. Anna Veronika Wendland: Die Russofilien in Galizien: Ukrainische Konservative zwischen Österreich und Russland 1848–1915, Wien 2001. 130 Exemplarisch ist der autobiographische Roman des aserbaidschanischen Diplomaten und Schriftstellers Yusif Çǝmǝnzǝminli: Studentlǝr, Baku 2006.
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sich auf dem osmanischen Balkan niedergelassen hatten.131 Viele von ihnen wurden erfolgreich in die osmanische bzw. türkische Gesellschaft und das Istanbuler Establishment integriert. 1908 wurde in Istanbul z. B. die „Çerkes İttihad ve Teavün Cemiyeti“ [Tscherkesische Union und Solidaritätsgesellschaft] gegründet, die sich die gegenseitige Hilfe und Unterstützung der Tscherkessen zum Ziel setzte.132 Dieser Organisation traten viele türkische Militärangehörige nordkaukasischer Herkunft bei. Auch der ukrainischen Frage schenkten die osmanischen Eliten bereits vor und vor allem während des Ersten Weltkrieges eine verstärkte Aufmerksamkeit. Die prominente ukrainische Organisation „Sojuz vyzvolennja Ukrainy“ (SVU) [Union zur Befreiung der Ukraine], die die Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukrainer zu vertreten versuchte, war an den Beziehungen zu Istanbul ihrerseits vital interessiert. Die SVU entsandte ihre Vertreter in die bedeutendsten Hauptstädte Europas. So ging Roman Smal’-Stoc’kyj, der in den 1920er Jahren zum bedeutenden ukrainischen Prometheisten aufstieg, nach Berlin und der Menschewik Marijan Basok-Melenevskij133 nach Istanbul.134 Der Studie des türkischen Historikers Hakan Kırımlı zufolge gelang es Basok-Melenevskij, ein Netzwerk in Istanbul aufzubauen, enge Kontakte zu den osmanischen Eliten und zur Partei „İttihat ve Terakki“ zu unterhalten und georgische und kaukasische Aktivisten kennenzulernen.135 Am 9. November 1914 wurden BasokMelenevskij, Stefan Baran136 und Lonhyn Cehelskyj137 vom osmanischen Innenminis-
131 Vjačeslav Biguaa: Kul’turno-prosvetitel’skaja, naučnaja i literaturnaja dejatel’nost’ severokavkazskoj i abchazskoj diaspory v Turcii, in: Literaturnoe zarubež’e: Lica. Knigi. Problemy. Vypusk V, Moskau 2008, S. 150. 132 Ebenda, S. 151. 133 Mar(k)ijan M. Melenevskij (1878–1930) war ein ukrainischer politischer Aktivist. Basok wie auch Gil’ka und Masojlovič waren Pseudonyme. Melenevskij war aktiv in der sozialdemokratischen Bewegung in Kiew. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs schrieb er auch für die bolschewistischen Medien. Während des Ersten Weltkriegs spielte er eine prominente Rolle in der Union zur Befreiung der Ukraine (Sojuz vyzvolennia Ukrainy) und vertrat sie in Istanbul. In den 1920er Jahren kehrte er in die Sowjetukraine zurück. 134 Mehr zu den osmanisch-ukrainischen Beziehungen während des Ersten Weltkriegs bei Hakan Kırımlı: The activities of the Union for the Liberation of Ukraine in the Ottoman Empire during the First World War, in: Middle Eastern Studies 34/4 (Oktober 1998), S. 177–200. 135 Kırımlı: The activities of the Union for the Liberation of Ukraine in the Ottoman Empire during the First World War, S. 182. 136 Stefan (Stepan) Baran (1879, bei Lemberg – 1953, München) war ukrainischer Aktivist und Politiker. Er studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Wien. Zwischen 1928 und 1939 war er ein Delegierter von UNDO im polnischen Sejm und vertrat die Interessen der ukrainischen Minderheit. Bereits 1944 zog er nach Deutschland und lebte in München. 137 Lonhyn Cehelskyj (1875, bei Lemberg – 1950, Philadelphia) war ein ukrainischer Jurist, Absolvent der Universität Lemberg und Sekretär für innere und auswärtige Angelegenheiten der kurzlebigen Westukrainischen Republik. Während des Ersten Weltkriegs verfolgte er eine aktive Publikationstätigkeit nicht nur im westlichen, sondern auch im südosteuropäischen Raum, vor allem in Istanbul sowie in Bulgarien und Rumänien. So wurde 1914 in Sophia sein Buch auf Bulgarisch veröffentlicht, in welchem er sich russlandkritisch mit der Geschichte der russisch-ukrainischen Beziehungen auseinandersetzte. Diese Publikation löste ein breites Echo in Bulgarien aus, da hier die russophilen Strömungen verbreitet waren. 1920 wanderte er nach Philadelphia aus, wo er die untergegangene Republik im US-amerikanischen Exil vertrat und die
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ter Talȃt Paşa empfangen, welcher der ukrainischen Delegation die Unterstützung der Pforte für die ukrainischen Unabhängigkeitsbestrebungen versprach. In einer 1915 in Wien von der SVU auf Deutsch veröffentlichten Broschüre wurde Talȃt Paşa diesbezüglich folgendermaßen zitiert: Die Hohe Pforte sowie das Berliner und das Wiener Kabinett sehen die Notwendigkeit der Befreiung der Ukraine von der russischen Herrschaft ein. Sobald Russland besiegt werden wird, wird die türkische Regierung dem ukrainischen Volke beim Aufbau eines selbständigen Staates ihre Hilfe leisten.138
Dem ukrainischen Historiker Jaroslav Daškevič zufolge wurde die von Talȃt Paşa unterzeichnete Deklaration über die Notwendigkeit der Befreiung der Ukraine von der russischen Dominanz und über die türkische Unterstützung am 24. November 1914 veröffentlicht. „Die türkische Deklaration war das erste offizielle Dokument in der Welt, das das Recht der Ukraine auf die Unabhängigkeit anerkannte,“139 so Daškevič. Ende 1914 veröffentlichte das prominente Istanbuler Tageblatt „Tasfir-i Efkȃr“ den Text eines Appells der SVU an die türkische Nation. Dieser Appell erschien in einem programmatischen Sammelband, der 1915 unter dem Titel „Ukrayna, Rusya ve Türkiye“ [Ukraine, Russland und die Türkei] in Istanbul herausgegeben wurde. Der Band bestand aus mehreren Aufsätzen ukrainischer Intellektueller wie Michajlo Hruševskyj, Volodymyr Dorošenko, aber auch von Marjan Basok-Melenevskij und anderen. Kırımlı schrieb, dass es sich bei den meisten Beiträgen um Übersetzungen aus anderssprachigen Publikationen handelte. Eine Ausnahme stellte der Beitrag von Lonhyn Cehels’kyj dar, der sich mit der geschichtlichen Entwicklung der osmanisch-ukrainischen Beziehungen befasste,140 und eine Kontinuität in den strategischen Interessen beider Seiten sah: The reasons which lead Turkey to consider Ukraine as a defence ditch against Russia in the seventeenth and eighteenth centuries prevail today even more strongly than in the past, as in our times Russia presents such a threat to the Balkans and the Ottoman Empire. Russia’s advance to the Straits and Istanbul can come to an end only if either the Straits and Istanbul fall to the hands of the Russians, or the Russians are pushed northwards behind the Ukrainian boundaries. The formation, or rather the re-establishment, of the Ukrain-
Zeitung „Ameryka“ herausgab. 1950 starb Cehel’s’kyj in Philadelphia. Mehr zu Cehel’s’kyj siehe Lonhyn Cehel’s’kyj: Rus’-Ukraina i Moskovščina – Rosija. Istoriko-polityčna rozvidka, Lemberg 2007. 138 Dr. L. Cehelskyj: Nicht ein Befreier, sondern ein Unterdrücker der Völker. Der Krieg, die Ukraine und die Balkanstaaten, Wien 1915, S. 4. 139 Jaroslav Daškevič: Lonhyn Cehel’s’kyj ta ukrains’ka polityčna dumka 1900–1917 rr., in: Lonhyn Cehel’s’kyj: Rus’-Ukraina i Moskovščina – Rosija. Istoriko-polityčna rozvidka, Lemberg 2007, S. 6. 140 Kırımlı: The activities of the Union for the Liberation of Ukraine in the Ottoman Empire during the First World War, S. 194.
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ian government, in accord with the designs of the [seventeenth century] Grand Vizier Köprülü Mehmed Pasha, is a direct requirement of Turkey’s interests.141
Cehel’s’kyj hob in seinem Beitrag neben der russischen Gefahr für die Türkei auch die Gefahr des Panslawismus für die Beibehaltung der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan als auch für das Schicksal der Russlandmuslime hervor.142 Sowohl bei der türkisch-osmanischen Annäherung an die ukrainischen und kaukasischen Aktivisten als auch umgekehrt, bei der gezielten Suche der Ukrainer und Kaukasier nach Kontakten zu Istanbul während des Ersten Weltkrieges, handelte es sich um die Artikulation der eigenen (Gruppen-)interessen. Der Erhalt der staatlichen Souveränität und die Stärkung der eigenen Positionen auf dem internationalen Parkett war unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Ziel der Osmanen wie die Erlangung der nationalen Souveränität und der Unabhängigkeit Ziel der ukrainischen und kaukasischen Aktivitäten war.143 2.5
(Exil-)Russische Ordnungsentwürfe
Die Oktoberrevolution von 1917 war eine wichtige Zäsur in der gesamteuropäischen Geschichte und zog nach sich zahlreiche Auflösungs- und gleichzeitig mehrere Staatswerdungsprozesse auf dem Gebiet des ehemaligen Zarenreiches. Die bolschewistische Expansion 1918–21 führte zur Wiedereingliederung der 1917–18 ausgerufenen Republiken auf der Krim, in der Ukraine, im Kaukasus wie auch in Tatarstan in den sowjetischen Staat und im Resultat zur Auswanderung der ukrainischen, georgischen u. a. Politiker, die nicht mit den Bolschewiki zusammenarbeiten wollten. Sie gingen nach Paris, Prag, Istanbul und Warschau ebenso wie Abertausende von Soldaten der zaristischen Armee, der so genannten Weißgardisten bzw. Weißen, die ebenfalls die Kooperation mit den Bolschwiki verweigerten. Sie alle waren Teil des Auslandsrusslands in Prag144, Berlin, Sofia und Paris und setzten nun ab 1920–21 ihre Debatten im europäischen Exil fort. In der Regel gut ausgebildet rezipierten sie die europäische Kultur und 141 Longin Tsehels’kyj: Ukrayna ve Türkiye, in: Ukrayna, Rusya ve Türkiye (makaleler mecmuası), S. 12– 13, zitiert nach Kırımlı: The activities of the Union for the Liberation of Ukraine in the Ottoman Empire during the First World War, S. 194. 142 Ebenda. 143 Bei der Analyse des türkischen Engagements in der Ukraine und im Kaukasus ist besonders der nachfolgende Aspekt wichtig: Beide Großregionen des Schwarzen Meers und des Kaukasus waren zumindest seit dem 16. Jahrhundert Bestandteile, später Grenz- und Anrainergebiete des Osmanischen Reiches, deren Verbindung mit den Osmanen und den Kulturstädten des osmanischen Reiches, wie z. B. mit Istanbul, nie aufhörte. 144 Mehr zum ‚russischen‘ Prag, siehe Ivan Savickij: Specifika Pragi kak duchovnogo centra ėmigracii, in: Duchovnye tečenija russkoj i ukrainskoj ėmigracii v Čechoslovackoj respublike (1919–1939), hg. von Ljubov’ Beloševskaja, Prag 1999, S. 47–95.
(Exil-)Russische Ordnungsentwürfe
reagierten sowohl auf den Gang der europäischen Geschichte wie auch auf die eigene Erfahrung des untergegangenen russischen Imperiums. Daraus entwickelten sie ihre eigenen Ideen und Konzepte. 2.5.1
Russländische Eurasier
Der zerstörerische Erste Weltkrieg löste eine pessimistische Denkströmung in Europa aus, die sich bereits während des Krieges entfaltete und zu einem weiteren Ideentransfer in Richtung Osteuropa wurde. Kulturpessimismus, Fatalismus und die Reaktionen darauf, zeichneten die Geisteswelt im Nachkriegseuropa aus und wurden von den osteuropäischen Intellektuellen intensiv rezipiert. Der Erneuerungsgedanke, der sich im Kommunismus wie auch im Europagedanken wiederfand, entsprang gerade dem Schock des ‚Großen Krieges‘. Der Kulturpessimismus war keineswegs nur mit dem Fatalismus und der sogenannten Auswegslosigkeit verbunden. In einigen Kreisen der russischen Emigration, die sich zum Teil davon inspirieren ließen, wurde der Kulturpessimismus der Europäer als ein Beweis für Europas Schwäche und angeblich tatsächlichen kulturellen Untergang registriert. Die in den Großstädten des Balkans, Zentral- und Westeuropas weilende russische Politemigration übernahm den gesamteuropäischen Diskurs und projizierte diese Denkmodelle auf die aktuellen Erfahrungen Russlands. So haben die Eurasier z. B. die besondere Rolle der russländischen Zivilisation hervorgehoben und in ihr die erlösende Kraft gesehen. Der Kulturpessimismus Europas und die russische Revolution prägten den Zeitgeist des europäischen Kontinents um 1917/1918.145 Der pessimistische Gedanke sowie die – wenn auch nicht unbedingt wissenschaftliche – Kulturdebatte wurden dadurch nicht nur im deutschsprachigen Diskurs geprägt. Die russischen Exilintellektuellen, die vor den Bolschewiki ins Exil geflohen waren, reagierten auf den von den europäischen Intellektuellen angeregten Pessimismus und auf den Kulturdiskurs: Fürst Nikolaj Trubeckoj (1890–1938) gab 1920 in Sofia das Büchlein „Evropa i čelovečestvo“ [Europa und die Menschheit] heraus, das den pessimistischen Gedanken teilte, jedoch die „germano-romanische Kultur“ Europas zu einem Antonym des Menschlichen stilisierte. Ein Jahr später gab Trubeckoj zusammen mit seinen Mitstreitern einen Sammelband „Ischod k Vostoku“ [Exodus gen Osten] heraus, der zu einem Manifest
145 Wie der niederländische Kulturhistoriker Hermann W. von der Dunk treffend feststellte: „Die bolschewistische Revolution sprach dabei sehr alte mystische Vorstellungen an: vom großen Licht und Heil aus dem Osten, das die verdorbene Menschheit retten würde. Den europäischen Intellektuellen waren diese Ideen seit der Romantik nicht unbekannt gewesen, mal waren Indien, mal China, dann wieder Russland als Quellen des Heils gefeiert worden.“ Hermann W. von der Dunk: Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd.1, München 2004, S. 350.
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Prometheistische Geisteswelten
der sich im europäischen Exil bildenden Eurasier-Bewegung wurde. Russland sei weder europäisch noch asiatisch: Es sei eurasisch und müsse im gesamten Eurasien dominieren. Bei dieser Denkschrift handelte es sich nicht nur um eine exilrussische Auseinandersetzung mit der kulturellen Zugehörigkeit Russlands und der exilpolitischen Verarbeitung der Sowjetisierung der Heimat und der Artikulation des russischen Nationalismus. Es umfasste auch die Projektion geopolitischer Räume, was in der russischen Ideengeschichte allerdings nicht ganz neu war. Bereits 1915 veröffentlichte der Petrograder Verlag von Stasjulevič die Monographie des russischen Geographen und Intellektuellen Veniamin Semenov-Tjan’-Šanskij. Das Buch hieß „Über den großen territorialen Besitz in Bezug auf Russland. Eine Skizze zur politischen Geographie.“146 Semenov-Tjan-Šanskij hat Russland weder als europäisch noch als asiatisch, sondern als einen Raum, der in sich beides vereint, definiert: „Viel weniger als sonst jemand auf der Welt sollten wir Europa von Asien unterscheiden; im Gegenteil, wir sollten uns bemühen das in ein geographisches Ganzes einzubinden […]“147. Auch der russische Eurasismus hatte nicht nur kulturphilosophische Komponenten, sondern auch klare geopolitische Zielsetzungen. Er war eine intellektuelle Antwort auf die bolschewistische Revolution und die darauffolgende Umgestaltung Russlands, aber vor allem auf den Zusammenbruch des Zarenreiches. Der Eurasismus kann auch als ein Versuch der russischen Intellektuellen gedeutet werden, ein neues Integrationsmodell für die nichtrussischen Ethnien des ehemaligen Zarenreiches zu bieten und den ‚Weg-vomZentrum‘-Bewegungen entgegenzuwirken, die sie 1917–21 an den Peripherien des ehemaligen Zarenreiches und auch in den prometheistischen Diskussionen in Europa beobachten konnten. Die russischen Eurasier blieben auch in Polen nicht unregistriert. Einige Monate nach dem Druck der programmatischen Schriften Nikolaj Trubeckojs und Petr Savickijs148 in Sofia, reagierte einer der prominentesten polnischen Russlandkenner und Literaturwissenschaftler, Marian Zdziechowski (1861–1938), mit einem Vortrag im März 1922 in Wilna,149 und der darauf beruhenden, im Folgejahr erschienenen Abhandlung
146 Vgl. Veniamin P. Semenov-Tjan-Šanskij: O moguščestvennom territorial’nom vladenii primenitel’no k Rossii (očerk po političeskoj geografii), in: Rossija i Evropa. Chrestomatija po russkoj ge-opolitike, hg. von L. N. Šišelina, Moskau 2007. 147 Semenov-Tjan-Šanskij: O moguščestvennom territorial’nom vladenii primenitel’no k Rossii (očerk po političeskoj geografii), S. 472. 148 Petr Savickij (1895–1968) war Mitbegründer und prominenter Vertreter der russischen Eurasier. Nach der russischen Revolution ging er in die Ukraine, schloss sich der Armee von Hetman Skoropadski an und kämpfte gegen die polnisch-ukrainischen Truppen von Petlura und Piłsudski. 1920 wanderte er nach Bulgarien aus und ein Jahr später nach Prag. In Sofia und vor allem in Prag schrieb er grundlegende Werke der eurasischen Bewegung und unterrichtete an den exilrussischen Einrichtungen sowie an der Deutschen Universität Prag. 149 Henryk Walczak: Eurazjatyzm międzywojenny w polskiej literaturze naukowej doby współczesnej – stan badań, in: Studia Maritima 29 (2016), S. 170.
(Exil-)Russische Ordnungsentwürfe
„Eurazjatyzm rosyjski“ [Der russische Eurasismus].150 Das Motto der Eurasier „Exodus gen Osten“ sowie ihre Kommunismuskritik begrüßte Zdziechowski. Ähnlich wie viele andere polnische Intellektuelle war er ein entschiedener Antikommunist, lehnte jedoch eine Zusammenarbeit mit Russland nicht prinzipiell ab. Ähnlich war der Standpunkt des Wilnaer Osteuropa-Instituts151, das als durchweg russlandkritisch galt, jedoch die polnische Übersetzung eines längeren Artikels des Eurasier-Ideologen Petr Savickij in der ersten Ausgabe der Institutszeitschrift „Balticoslavica“ veröffentlichte.152 Die politische Führung in Polen, ähnlich wie in Frankreich, Großbritannien und nicht zuletzt in Japan, versuchte Kontakt zur russischen Emigration aufzunehmen: Größere Gruppen der russischen Kriegsgefangenen, Weißrussen und Flüchtlinge hielten sich in fast allen Nachbarstaaten Sowjetrusslands auf. Man betrachtete sie als potentielle Nachfolger der Bolschewiki, versuchte Einfluss auf ihre innen- und vor allem außenpolitischen Pläne und Vorstellungen im Falle einer eventuellen Machtübernahme in Russland zu nehmen. Die politische Führung in Polen, insbesondere der Kreis um Piłsudski, nahm Kontakt dezidiert nicht zum Milieu der russischen Eurasier, sondern zum russischen Exilpolitiker und Terroristen Boris Savinkov153 auf. Aus der eurasischen Sicht war Polen stark in der westlichen Kultur verankert und zivilisatorisch der eurasischen Essenz Russlands fremd. Nach Empathie für Polen konnte man im Schrifttum der russischen Eurasier vergebens suchen. Die sowjetrussischen und exilrussischen Diskurse, wie z. B. der Eurasier, forderten die Prometheisten daher am meisten heraus und provozierten publizistische Reaktionen. Um Eurasiern und anderen imperialistisch gesinnten russischen Intellektuellen entgegenzuwirken, suchten die polnische Führung und die mit ihr vernetzten Prometheisten nach Verbündeten. Sie suchten Kontakt zu den nichteurasisch, jedoch auch antikommunistisch Vgl. Marian Zdziechowski: Eurazjatyzm rosyjski, in: Ders.: Wybór piśm, Krakau 1993. Instytut Naukowo-Badawczy Europy Wschodniej wurde im Februar 1930 eröffnet. Es bestand aus zwei Instituten, der Hochschule für Politische Studien und der spezialisierten Sprachschule, die regelmäßig Ukrainisch-, Weißrussisch-, Türkischkurse sowie Kurse der baltischen Sprachen anbot. Mehr dazu vgl. Richard Szawłowski, Hanna Szawłowski: Polish Sovietology 1918/19–1939, in: The Polish Review 17/3 (Summer 1972), S. 6–10. Besonders detailliert: Ralph Schattkowsky: Osteuropaforschung in Polen 1918–1939, Wiesbaden 2019, S. 130–149; Henryka Ilgiewicz: Instytut Naukowo-Badawczy Europy Wschodniej oraz Szkoła Nauk Politycznych w Wilnie (1930–1939), Warschau 2019. 152 P. Savickij: Eurazjanizm jako koncepcja naukowa, in: Balticoslavica 1 (1933), S. 25–41. 153 Boris Savinkov (1879–1925) war ein russischer Sozialist und Anhänger des terroristischen Flügels. Er war verwickelt in mehrere Attentate gegen Mitglieder der Romanov-Familie. Da er seine Kindheit in Warschau verbracht hatte und Polnisch sprach, emigrierte er 1920 nach Polen. Von Warschau aus unterhielt er Kontakt zu General Wrangel, indem er zwischen Piłsudski und der Weißen Armee vermittelte. Savinkov war aktiv bei der Gestaltung der propagandistischen Aktivität der russischen Organisation „Union“, die der Weißen Armee nahestand und von Paris aus antibolschewistisch tätig war. 1924 wurde er in der UdSSR aufgedeckt, interniert und exekutiert. Neben seiner terroristischen Aktivität war Savinkov publizistisch und literarisch aktiv. Besonders bekannt sind seine Erinnerungen eines Terroristen, die bereits in den 1920/30er Jahren in mehreren europäischen Sprachen erschienen. Vgl. Boris Savinkow: Aus den Erinnerungen eines Terroristen, München 1919, Berlin 1931; Ders.: Vospominanija. Vospominanija terrorista. Počemu ja priznal sovetskuju vlast’, Moskau 1990. 150 151
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Prometheistische Geisteswelten
eingestellten russischen Emigranten. Warschau wurde zum Exilort für Savinkov, aber auch für andere prominente russische Exilintellektuelle wie Zinaida Gippius, Dmitrij Filosofov und Dmitrij Merežkovskij. Diese ExilantInnen akzeptierten die Ostgrenze des 1918 entstandenen polnischen Staates und die vom Rigaer Vertrag festgeschriebenen Grenzregulierungen. Sie übernahmen die prometheistischen Ordnungsentwürfe Piłsudskis und unterschieden sich somit von dem Großteil der russischen Emigration, die weitgehend am Prinzip des „einheitlichen und unteilbaren Russlands“ festhielt. Während die russischen Monarchisten die Wiederherstellung des postbolschewistischen Russlands in den Grenzen des verloren gegangenen Zarenreiches forderten und sich sogar mit den Beschlüssen der Pariser Konferenz 1919 wenig abfinden konnten, entwickelten die Eurasier ein Ordnungsentwurf für Russland, das die Turkvölker Zentralasiens wie auch Sibiriens aufgrund der vermeintlichen Kulturnähe vereinen und von schädlichen Auswirkungen der „germano-romanischen Zivilisation“ retten sollte. Die Prometheisten befassten sich ebenfalls mit den Integrationsmodellen für nichtrussische Völker des ehemaligen Zarenreiches und waren mit den eurasischen Diskursen bestens vertraut. Trotz ihrer Kommunismus- und Russlandskepsis und trotz der antagonistischen Haltung den eurasischen Konzepten gegenüber können die Prometheisten daher als Teil der durch die Sowjetisierung des ehemaligen Zarenreiches ausgelösten russländischen Emigration und des dadurch entstandenen ‚Auslandsrusslands‘ gesehen werden. 2.5.2
Kommunismus: Phobien und Sympathien
In ganz Europa gab es seit der Jahrhundertwende Intellektuelle, die dem kommunistischen Gedankengut gegenüber wohlwollend eingestellt waren. Es gab auch aktive Kommunisten, die jedoch nie eine Mehrheit in den jeweiligen Parlamenten stellen und den politischen Diskurs nicht dominieren konnten, weder in Frankreich, Deutschland, Italien, der Tschechoslowakei noch in Polen. Das Phänomen der Räterepubliken scheiterte. Das politische Establishment europaweit war größtenteils kommunismuskritisch bis -feindlich eingestellt. Den europäischen Antikommunismus hat es jedoch nie gegeben. Es gab eine ganze Palette der Antikommunismen, die in einer Gesellschaft häufig unterschiedlich artikuliert wurden. In Deutschland gehörten die Vertreter der konservativen Revolution, wie z. B. Oswald Spengler, zu den Kommunismuskritikern. Der Kommunismus wurde sowohl von Seiten liberaler, katholischer und evangelischer Intellektueller als auch der NSDAP-Ideologen scharf kritisiert. Die russischen Intellektuellen in Europa, mit Ausnahme der smenovechovcy, die eine Versöhnung mit den Bolschewiki propagierten, waren mehrheitlich Kommunismuskritiker. Antikommunistisch eingestellt waren die tschechoslowakischen Eliten, wenn auch die Politiker Masaryk und Kramář generell als russophil galten. Auch die kemalistische Türkei, der engste Verbündete der russischen Kommunisten im Nahen Osten, ver-
(Exil-)Russische Ordnungsentwürfe
folgte eine extrem aggressive Politik den türkischen Kommunisten gegenüber.154 Diese breite Kommunismuskritik, die historisch, politisch, religiös oder sozio-ökonomisch begründet wurde, ließ das Antikommunistische zu einem Bestandteil der Politik der Zwischenkriegszeit und zu einem bedeutenden Merkmal der europäischen Geisteswelt ab 1918 werden. Der Erfolg der kommunistischen Ideologie in Russland verlieh den europäischen Antikommunismen Elemente der Russlandskepsis. Besonders deutlich wurde dies am polnischen Beispiel. Piłsudski verkörperte den polnischen Antikommunismus par excellence. Aber auch Roman Dmowski, der verbitterte Opponent Piłsudskis in der polnischen Politik, lehnte den Kommunismus ab. Den Grundzügen seiner Weltanschauung, die er 1902 in der bereits erwähnten Broschüre „Myśli nowoczesnego Polaka“ sowie im sechs Jahre später in Lemberg veröffentlichten Buch „Niemcy, Rosja a sprawa polska“155 niedergeschrieben hatte, blieb er auch nach 1918 treu.156 In seiner retrospektivistischen Analyse des Ersten Weltkrieges sprach Dmowski Russland die kulturelle Reife im europäischen und internationalen Kontext ab und beschrieb es als „die jüngste Zivilisation unter den Großen Nationen“157, die sich am Weltkrieg beteiligten. Russland beherrscht der Argumentation Dmowskis nach weder das an Europa angrenzende, „zivilisierte Nah-Asien“ (Azja blisk[a], cywilizowan[a]), noch das „zivilisierte Fern-Asien“ (cywilizowana Azja daleka), sondern nur das „barbarische SteppenAsien“ (Azja barbarzyńsk[a], stepow[a])158. Dmowski strebte kein kommunistisches Polen an, aber auch keine Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau und schon gar nicht wegen der Ukraine. Er glaubte auch nicht daran, dass die kommunistische Ideologie Chancen hatte, sich im westlichen Europa und in Polen zu etablieren. Bei Piłsudski, der im Unterschied zu Dmowski nach 1918 keinerlei Schriften und Aufsätze, sondern nur Ansprachen vor dem Heer und Sejm sowie Interviews hinterließ, findet man eine diametral entgegengesetzte Definition eventueller Gefahren für die polnische Souveränität. Da gerade Piłsudski unmittelbar nach der Ausrufung der Zweiten Republik und auch wieder ab Mai 1926 bis zu seinem Tod 1935 das politische Leben in Polen intensiv prägte, kamen die zwei polnischen Zeithistoriker Jacek Kloczkowski und Filip Musial zu Recht zu der Schlussfolgerung: „Die Antwort auf die Frage, was der Antikommunismus in der Zweiten Republik bedeutete, kann kurz lauten: Raison
154 Zur Verfolgung der Kommunisten in der Türkei siehe Bülent Gökay: Soviet Eastern Policy and Turkey, 1920–1991. Soviet Foreign Policy, Turkey and Communism, London, New York 2006, S. 23–30, 39–48. 155 Siehe Deutschland, Russland und die polnische Frage (Auszüge), in: Polen und der Osten. Texte zu einem spannungsreichen Verhältnis, hg. von Andrzej Chwalba, Frankfurt a. M. 2005. 156 Dmowski, der die innenpolitischen Diskurse in Polen bis zu seinem Tode 1938 prägte, veröffentlichte 1930–31 in den Organen der Nationaldemokraten, den Zeitungen „Gazeta Warszawska“ und „Kurier Poznański“, mehrere Aufsätze zu Russland und Deutschland, die 1931 in Form eines Buches unter dem Titel „Świat powojenny i Polska“ erschienen. 157 Roman Dmowski: Świat powojenny i Polska, 6. Aufl., Breslau 1999, S. 17. 158 Ebenda, S. 86.
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Prometheistische Geisteswelten
d’état.“159 Kommunisten seien „unzivilisiert, wild, blut- und plünderungsdurstig“160, sagte Piłsudski im Interview mit Robert Vaucher, einem Journalisten der Schweizer Zeitung „Journal de Génève“ am 18. Mai 1919. Auf die Frage des Korrespondenten der „Times“, ob er befürchte, dass Lettland und Litauen nach dem Abzug der Deutschen kommunistisch würden, antwortete Piłsudski, dass der „Bolschewismus eine rein russische Krankheit“ sei und er in den nichtrussischen Gebieten wie Estland, der Ukraine und Polen keine tiefen Wurzeln schlagen könne.161 Ähnliche Haltungen dem Kommunismus gegenüber sind in den Schriften einer Reihe polnischer Intellektueller der 1920er zu finden. Die antikommunistische Rhetorik im Polen der 1920er Jahre war antibolschewistisch.162 Im Fokus stand nicht die Marxsche und Engelssche Lehre, sondern das Geschehen im bolschewistischen Russland. Bolschewismus wurde im polnischen Narrativ fast synonym mit Zerstörung, Verbrechen und Unrecht verwendet. Die meisten polnischen Intellektuellen setzten ein klares Gleichheitszeichen zwischen dem Absolutismus des Zarenreiches und der bolschewistischen Realität: Untermauert wurde dies durch die Arbeiten von zwei prominenten polnischen Russlandkennern, Marian Zdziechowski163 und vor allem Jan Kucharzewski. Der Warschauer Historiker Kucharzewski, der von 1917 bis 1918 als Ministerpräsident des Regentschaftskönigreichs Polen fungiert hatte, veröffentlichte von 1923 bis 1935 seine siebenbändige Publikation „Od caratu białego do czerwonego“ [Vom Weißen zum Roten Zarentum], in der er sich mit den Ursprüngen der sowjetisch-russischen Zeitgeschichte, den Aspekten der totalitären Ideologie und mit den Grundzügen der russländischen Geschichte auf eine polemische Art und Weise auseinandersetzte. Dieses umfangreiche Werk spiegelte gut die verbreitete Einstellung der polnischen Intellektuellenschicht der Zweiten Republik in Bezug auf die Sowjetunion wider: 1. Die Sowjetunion wurde dem Zarenreich gleichgesetzt; 2. Den Bolschewismus und den Sowjetkommunismus sah man als eine – wie Piłsudski dies beschrieb – ‚typisch russische Krankheit164‘;
159 Antykomunizm – racja stanu II RP, in: W obronie niepodległości, hg. von Jacek Kloczkowski, Filip Musial, Krakau 2009, S. 9. 160 Zitiert nach Józef Piłsudski: Myśli o bolszewizmie, in: Filip Musial, Jacek Kloczkowski (Hg.): W obronie niepodległości, Krakau 2009, S. 25. 161 Ebenda, S. 26. 162 Von Piłsudskis „Haß gegen den Bolschewismus“ berichtete seine Gefährtin Irena Gałęzowska (1891– 1977). Vgl. dies.: Józef Piłsudski wobec swej misji i jej wykonania, in: Niepodległość 8 (1972), S. 10. 163 Marian Zdziechowski gab 1923 in Wilna sein programmatisches Werk „Europa, Rosja, Azja“ heraus. Vgl. ders.: Europa, Rosja, Azja. Szkice polityczno-literackie, Vilnius 1923. 164 Der Aspekt einer ‚russischen Krankheit‘ fand sich auch in den Schriften des krimtatarischen Intellektuellen Cafer Seydahmet nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Vgl. Cafer Seydahmet: Rus Tarihinin Inkılaba, Bolşevizme ve Cihan Inkılabına sürüklenmesi, Istanbul 1948.
(Exil-)Russische Ordnungsentwürfe
3. Die Gleichsetzung des Zarenreiches und der Sowjetunion sollte eine Kontinuität auch des polnischen Kampfes seit dem 19. Jahrhundert zeichnen. Der polnisch-sowjetische Krieg hat diese Einstellung nur noch verstärkt; 4. Der Kommunismus wurde als eine neue russische Strategie rezipiert, die darauf abzielte, das alte Imperium – wenn auch unter einem anderen Banner – wiederherzustellen. Die frühere Kritik der polnischen Intellektuellen an den russischen Ordnungsvorstellungen, wie z. B. dem Panslawismus und der Idee ‚Moskau – Drittes Rom‘, ging in der intellektuellen Mobilisierung gegen den Kommunismus auf und bereicherte sie. Zdziechowski und Kucharzewski wie auch die Intellektuellen Wasilewski und Bączkowski verkörperten durch ihre Werke und Vorträge eine akademische und zugleich populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Russland in Polen. Sie rezipierten die sowjet- und exilrussischen geopolitischen Diskurse und analysierten die binnenpolitischen Entwicklungen in der UdSSR vor ihrem polnischen Publikum, das sich nach Sicherheit vor Russland und nach postkolonialer bzw. postimperialer Emanzipation sehnte. Das Zeitalter der Reaktion im Zarenreich, das nicht zuletzt mit russifizierenden Maßnamen die multiethnische Bevölkerung homogenisieren, die nichtrussischen Grenzgebiete an das Zentrum binden und mittels der geopolitischen Konzeption des Panslawismus seine Außenpolitik in Osteuropa und auf dem Balkan um die Jahrhundertwende zu stärken versuchte, war für die Sozialisation der meisten Mitglieder der prometheistischen Netzwerke prägend. Ebenso prägend waren die zunehmend wichtigeren Nationalismen, die Intellektuelle der ‚prometheistischen Völker dazu bewegten, die eigenen nationalen und eigenstaatlichen Belange zu definieren. Sowohl die Nationalismen als auch geopolitisches Denken erlebten während und nach dem Ersten Weltkrieg eine Blütezeit. Auch den russischen Kommunisten war geopolitisches Denken nicht fremd. 1915 schrieb Vladimir Lenin in der Zeitung „Social-Demokrat“ seinen Aufsatz „Über den Slogan Vereinigte Staaten von Europa“.165 Die Hauptbotschaft war ein geopolitischer Ordnungsentwurf für Europa und seine ökonomische und politische Neuorganisation. Die meisten Aktivisten, die sich an den prometheistischen Netzwerken in der Zwischenkriegszeit beteiligten, gehörten seit der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs den sozialdemokratischen und national-bürgerlichen Parteien an. Die polnischen Prometheisten waren glühende Verfechter der polnischen Eigenstaatlichkeit, lehnten dabei aber eine engstirnige Definition einer rein ethnisch definierten Nationsidee ab. Genauso befürworteten ihre kaukasischen und tatarischen Mitstreiter die Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit und standen einer einseitig ethnisch, rassisch und konfessionell-definierten Nations- oder Staatsidee entgegen. Russland- und
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Der deutsche Text hier: http://www.mlwerke.de/le/le21/le21_342.htm (Zugriffsdatum: 01.04.2011).
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Prometheistische Geisteswelten
Kommunismusskepsis war außerdem noch ein gemeinsamer Nenner der transnationalen Schicksalsgemeinschaft der polnischen, kaukasischen, tatarischen und auch der ukrainischen Aktivisten, die sich an einem gemeinsamen Kampf gegen Sowjetrussland beteiligten.
3.
Polen eignet sich den Osten an
1926 wurde der Prometheismus zur inoffiziellen Strategie der polnischen Außenpolitik, was vorrangig mit dem geglückten Marsch Piłsudskis auf Warschau verbunden war. Mit ihm zusammen nahmen viele seiner Anhänger und Vertrauten Schlüsselpositionen im Staat ein. Dies betraf das Außenministerium, das Heer und die Nachrichtendienste, aber auch den Wissenschaftssektor. Wichtige Schritte im Sinne der prometheistischen Aktivitäten wurden bereits im Vorfeld getroffen. Bereits 1920 empfing Marschall Piłsudski den Kosakenanführer Ignatij Bilyj und den krimtatarischen Exilpolitiker Cafer Seydahmet im Belveder und besprach mit ihnen die polnisch-kosakische und polnisch-krimtatarische Zusammenarbeit. So kann die Zeitung „Przymierze“, die ebenfalls 1920 gegründet wurde, auch als bedeutende Vorreiterin der 1926 in Paris gegründeten Zeitung „Prométhée“ und des 1930 in Warschau gegründeten Zeitung „Wschód“ angesehen werden. Die Annäherung an den Osten und seine intellektuelle Aneignung durch Polen setzte noch früher an. 3.1
Erste (Miss-)Erfolge
Die de jure-Anerkennung der Ukraine durch den polnischen Regentsrat erfolgte am 26. Oktober 1918. Bączkowski unterstrich, dass die Anerkennung noch 17 Tage vor der Machtübergabe an Piłsudski und der Ausrufung der Republik Polen ausgesprochen wurde. Der konservative Intellektuelle Stanisław Wańkowicz (1885–1943) wurde zum polnischen Botschafter in der Ukraine ernannt. Am 14. November 1918 wurde der Architekt des polnischen Prometheismus, Marschall Piłsudski, zum Staatschef und Militärführer in Polen gekürt. Das erste Element des prometheistischen Mosaiks war die polnisch-ukrainische Vereinbarung zur Kooperation vor allem im militärischen Sektor und darauf folgend die von Piłsudski initiierte und durchgeführte polnisch-ukrainische Offensive in Richtung Kiew, das zu dem Zeitpunkt in bolschewistischer Hand war. Warschau avancierte zu einem wichtigen Entscheidungsträger im Osten Europas. Die föderalistischen Pläne Piłsudskis zur Umgestaltung des östlichen Teils Nachkriegseuropas sahen die Errichtung eines cordon sanitaire gegen den bolschewistischen
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Polen eignet sich den Osten an
Expansionismus vor. Die militärische, wenn auch kurzfristige Einnahme Kiews durch die polnische und die ukrainische Armee stand in einem engen Zusammenhang damit und symbolisierte die Anfänge der prometheistischen Zusammenarbeit. In der Ukraine setzte Piłsudski auf Petljura, der vor allem Popularität unter den ukrainischen Soldaten genoss. Neben der Ukraine erkannte der Piłsudski-nahe Teil des polnischen Establishments in den nord- und südöstlich von Polen neu entstandenen Staaten wichtige Partner der Zweiten Republik. In einem programmatischen Dokument des polnischen Außenministeriums vom 12. Juni 1919 hieß es: Das auferstandene Polen muss die Kraftquellen der Teilungsmächte und die ohne seine Mitwirkung zustande gebrachte Weltordnung bekämpfen […]. Um des Überlebens willen muss es ein neues System [der Weltordnung, Z. G.] schaffen, es muss den großen Gürtel der befreiten Völker von Finnland bis nach Georgien unterstützen und kann diesen Streifen der Völker als Gürtelschnalle anführen. Wenn jedoch unsere Interessen an unseren Grenzen enden würden, dann verliert sich der Sinn unseres Außenministeriums und seine Funktionen sollten ausschließlich auf das Zeremoniell reduziert werden.1
Im Februar 1920 reiste eine polnische Delegation, geleitet von Tytus Filipowicz in die Republiken des Kaukasus. Das Ziel war die Etablierung von „möglichst engen Beziehungen mit Georgien, Aserbaidschan und Armenien.“2 Im April 1920 erarbeitete die Delegation in Tiflis den Entwurf eines polnisch-georgischen Militärpaktes und Filipowicz reiste weiter mit ähnlicher Absicht nach Baku. Seine Reise nach Aserbaidschan erfolgte allerdings zeitgleich mit dem Einmarsch der Rotarmisten am 27. April. Im sowjetischen Baku wurde Filipowicz zusammen mit weiteren Mitgliedern der polnischen Delegation kurzfristig verhaftet und musste nach der Freilassung umgehend den sowjetisch-gewordenen Teil des Kaukasus verlassen. Mit der Ukrainischen Volksrepublik gelang es Warschau im April 1920 noch, das Abkommen zu unterschreiben. Es folgte nicht nur die Anerkennung der ukrainischen Unabhängigkeit und der Grenze durch Polen. Polen versprach darüber hinaus auch Unterstützung und Hilfe im Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine. Drei Tage später, am 24. April, folgte die Unterzeichnung der polnisch-ukrainischen Militärkonvention. Anfang 1920 war die Zweite Republik Polen nicht mal zwei Jahre alt und befand sich im Krieg gegen die Bolschewiki seit Februar 1919: Die polnische Offensive zur Einnahme Kiews im Mai endete im Fiasko und ausschließlich dank der frühen Warnung des polnischen militärischen Nachrichtendienstes konnte es zur erfolgreichen Abwehr der Vgl. Marek Kornat: Idea prometejska a polska polityka zagraniczna (1921–1939/1940), in: Ruch prometejski i walka o przedbudowę Europy Wschodniej (1918–1940), hg. von M. Kornat, Warschau 2012, S. 47. 2 Włodzimierz Bączkowski na tle epoki. Wybrane fragmenty z historii ruchu, in: Niepodległość 17 (1984), S. 35. 1
Erste (Miss-)Erfolge
sowjetischen Gegenoffensive unmittelbar vor Warschau im August 1920 kommen. Die polnisch-sowjetischen Friedensverhandlungen starteten im Oktober und dauerten bis zur Unterzeichnung des Rigaer Vertrages am 18. März 1921. Während Polen imstande war, seine Souveränität zu verteidigen und die Bolschewiki sich mit dem Verlust des ehemaligen russischen Teilgebiets Polens abfinden mussten, gelang es Moskau bis Ende 1920 den Nordkaukasus, Aserbaidschan und Armenien zu erobern. Ende Februar 1921, drei Wochen vor der Unterzeichnung des Rigaer Abkommens zwischen Moskau und Warschau, wurde auch der Verbündete Polens im Kaukasus, Georgien, sowjetisch. Mit dem Rigaer Abkommen entstand eine sowjetisch-polnische Grenze, die mitten durch das ukrainisch-besiedelte Gebiet verlief und dieses somit teilte. Die militärische Intervention Warschaus erfolgte 1920 im Einklang mit den föderalistischen Plänen Piłsudskis und sollte zwischen der Republik Polen und Sowjetrussland eine Pufferzone entstehen lassen. Eine solche, eng mit Polen durch eine intensive politisch-ökonomische Kooperation verbundene Ukraine, sollte zum antikommunistischen Bullwerk östlich von Polen werden. Diese Pläne der Pilsudskianer scheiterten. Anstatt einen propolnischen Pufferstaat an der östlichen Grenze zu bilden, wurden der Republik Polen neue Gebiete mit mehreren Millionen ethnisch nichtpolnischer, vor allem ukrainischer Bevölkerung zugeteilt, die aufgrund der historischen Erfahrung und nicht zuletzt infolge der willkürlichen Grenzziehung teils starke antipolnische Ressentiments empfand. Währenddessen scheiterte, wie oben erwähnt, die diplomatische Offensive Polens im Kaukasus und Piłsudskis ukrainischer Verbündete Simon Petljura musste nach Abschluß des polnisch-sowjetischen Friedensvertrags sein polnisches Exil verlassen und nach Paris emigrieren. Die Annäherung zwischen den polnischen Behörden und den ukrainischen Petljura-nahen Kreisen sowie die diplomatische Mission Filipowiczs im Kaukasus blieben ohne nennenswerten Erfolg. Dennoch waren dies wichtige Schritte Warschaus in Richtung Osten. Diese Entwicklungen gingen mit der rapiden Verschlechterung der sowjetischpolnischen Beziehungen einher. Das Rigaer Abkommen beendete zwar die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Polen und Sowjet-Russland, konnte jedoch den polnisch-sowjetischen Antagonismus nicht ausräumen. „[…] für die Staatsführung [Sowjet-Russlands, Z. G.] blieb Polen der Feind Nummer Eins“3, stellte der russische Nachrichtendiensthistoriker Viktor Gavrilov fest. Die antipolnische Propaganda in Sowjetrussland nahm seit 1919 stetig zu. Moskau mobilisierte gegen das „panskaja Pol’ša“ [Polen der Herren]. Dabei spielte die Tatsache, dass Polen aus der marxistisch-leninistischen Sicht von Vertretern der Bourgeoisie regiert wurde, allerdings eine zweitrangige Rolle. Die sowjet-ideologische Maschinerie des Agitprops nutzte stattdessen Viktor A. Gavrilov: Specslužba novogo vremeni. Sovetskaja voennaja razvedka na pervom ėtape svoej istorii, in: Nezavisimoe voennoe obozrenie (02.11.2018), http://nvo.ng.ru/concepts/2018-11-02/4_1020_history.html (Zugriffsdatum: 22.02.2019).
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vielmehr die Nationalitätenfrage in Polen aus und sah die Multinationalität seiner Bevölkerung als Achillesferse Warschaus. Die sowjetischen Zeitschriften wie die im November 1918 gegründete und sich „den Fragen der Organisations und der Zusammenschweißung von sämtlichen, früher geknechteten Völkern Russlands, der Aufklärung über die Nationalitätenpolitik der Partei“4 widmende Zeitung5 „Žizn’ nacional’nostej“ [Das Leben der Nationalitäten], berichteten regelmäßig von der Unterdrückung der Nichtpolen durch Warschauer Behörden.6 Währenddessen feierte die Zeitung, die als Presseorgan des sowjetischen Volkskommissariats der Nationalitäten regelmäßig erschien, die Errungenschaften der nichtrussischen Nationalitäten wie z. B. die „Eröffnung des ersten belarussischen Theaters, kostenlose Theaterkurse in Astrachan“ und rief die Völker der Peripherien auf, „sich um das große russische Volk zu vereinen, erklärend, dass nur in einer Allianz mit ihm die früher geknechteten Völker [ugnetennye ranee nacii] eine vollständige Emanzipation und Entwicklung ihrer Wirtschaft, Kultur und Staatlichkeit erreichen können“7. Moskau unterstützte darüber hinaus die Polnische Kommunistische Partei, die im Falle des sowjetischen Sieges über Polen die Führung des Landes übernehmen sollte und legte im Laufe der Jahre 1919–1920 die Grundlagen für die 1921 gegründete Kommunistische Universität der Nationalen Minderheiten des Westens. Diese Universität, die nach dem polnischen Kommunisten Julian Marchlewski benannt wurde, erhielt acht nationale Sektoren, darunter einen polnischen, litauischen und jüdischen. Darüber hinaus kontrollierte Moskau die drei auf dem polnischen Staatsgebiet aktiven Kommunistischen Parteien, die Kommunistische Partei Polens, die Kommunistische Partei der Westukraine und die des West-Belarus. Die Kommunistische Partei der Westukraine z. B. war in den polnischen Ostgebieten von Galizien und Wolhynien tätig, akzeptierte die polnisch-sowjetische Grenze nicht und propagierte die ‚Wiedervereinigung‘ der Westukraine mit der Sowjet-Ukraine.8 Unter diesen Umständen suchte Polen nach Verbündeten in den ehemals russischkontrollierten, jedoch ähnlich wie Polen 1917/18 unabhängig gewordenen Ländern wie dem Baltikum und Finnland, aber auch innerhalb des expandierenden Sowjetrusslands. Die Piłsudski-nahen Intellektuellen und Politiker setzten sich mit der Idee einer Žizn’ nacional’nostej, in: http://sovmedia.ru/journalist/zhizn-nacionalnostej/ (Zugriffsdatum: 08.01.2019). 5 Bis zum 16. Februar wurde das Medium als eine Zeitung und ab dem 25. als eine Zeitschrift gedruckt. Ebenda. 6 Exemplarisch ist der Artikel E. Ostrovskijs. Ders.: Nacional’nyj vopros v Pol’še, in: Žizn’ nacional’nostej, Bd. 3–4, 1923, S. 139–146. Er schrieb, „man kann das heutige Polen auf keinen Fall einen polnischen Nationalstaat nennen. Das ist ein typischer Fleckenstaat (tipičnoe loskutnoe gosudarstvo), der dem ehemaligen Österreich sehr ähnelt“. (S. 140). 7 Žizn’ nacional’nostej, in: http://sovmedia.ru/journalist/zhizn-nacionalnostej/ (Zugriffsdatum: 08.01.2019). 8 Vgl. Timothy Snyder: Sketches from a secret war. A Polish artist’s mission to liberate Soviet Ukraine, Yale 2005, S. 28. 4
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solchen Allianz auseinander, die sich in der Gründung der gleichnamigen Zeitung „Przymierze“ [Allianz] am 15. Juni 1920 widerspiegelte. 3.2
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Darüber, wie sich die polnische Ostpolitik und Russlandstrategie im Nachkriegseuropa entwickeln sollte, machten sich die polnischen Intellektuellen wie Włodzimierz Wakar und Joachim Wołoszynowski Gedanken. Geboren 1885 im russischen Tambov lernte Wakar Warschau erst 1903 kennen, als er im Alter von achtzehn Jahren in die bedeutendste polnische Stadt des Zarenreiches zog. In Warschau ließ sich Wakar zu einem Polnischlehrer ausbilden und unterrichtete dann an mehreren Schulen im russischen Polen.10 In dieser Zeit entdeckte Wakar sein Interesse für Geopolitik. Während des Ersten Weltkrieges unterrichtete er Demographie an der Höheren Handelsschule in Warschau und schrieb mehrere Abhandlungen zum Thema der Polen in Litauen11, über die Bevölkerungsstruktur Warschaus sowie zur demographischen Situation der Polen in den Teilungsgebieten.12 Aus dieser Zeit stammte seine Beschäftigung mit der Idee der polnischen Allianz mit den nichtrussischen Völkern des Zarenreiches: 1919 erschien sein programmatisches Werk „Związek ludów wyzwolonych“13 [Verbund der befreiten Völker]. Joachim Wołoszynowski war fast fünfzehn Jahre älter als Wakar. Geboren im Podolischen Gouvernment wuchs er auf dem Land in einer bilingualen, polnisch-ukrainischen Atmosphäre auf, beherrschte beide Sprachen in Wort und Schrift und entwickelte eine starke Sympathie der ukrainischen Kultur gegenüber. Wołoszynowski setzte sich für die polnisch-ukrainische Verständigung und die Entwicklung des ukrainischen Schulwesens ein, schrieb für ukrainischsprachige Zeitschriften und eröffnete die erste polnisch-ukrainische Bibliothek mit Lesesaal im Podolischen Gebiet.14 Er verkörperte die polnische Ukrainophilie, die sich vor allem im Kreis um Piłsudski, kaum aber in der national-demokratischen Opposition finden ließ.
Das Subkapitel 3.2 beruht teils auf dem Beitrag Zaur Gasimov: Zwischen Freiheitstopoi und Antikommunismus: Ordnungsentwürfe für Europa im Spiegel der polnischen Zeitung Przymierze, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 12 (2011), S. 207–222. 10 Dazu siehe Piotr Okulewicz: Koncepcja „Międzymorza“ w ujęciu Włodzimierza Wakara, in: Mazowieckie Studia Humanistyczne 2 (2002), S. 209. 11 Włodzimierz Wakar: Polacy na Litwie, Warschau 1915. 12 Włodzimierz Wakar: Ludność polska. Ilość i rozprzestrzenienie, Warschau 1914. 13 Darauf wies Marek Kornat 2004 hin. Vgl. Ders.: W kręgu ruchu prometejskiego. Związek zbliżenia narodów odrodzonych (1921–1923) i Instytut Wschodni w Warszawie (1925–1939), in: Politeja 2 (2004), S. 352. 14 Ewa Szczepkowska: Relacje polsko-ukraińskie na łamach tygodnika „Przymierze“ ze szczególnym uwzględnieniem publicystyki Joachima Wołoszynowskiego, in: Media – Kultura – Komunikacja Społeczna 9 (2013), S. 108. 9
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Im August 1920 gründete Wakar gemeinsam mit dem PPS-Politiker Aleksandr Bogusławski15 und dem polnischen Polarforscher Antoni Bolesław Dobrowolski16 in Warschau die Wochenzeitung „Przymierze“17, die „in allen Kiosken und Buchläden zu bekommen war“18. Mit dem Anhänger Piłsudskis und erfahrenen Aktivisten Stanisław Siedlecki19, der 1922–1927 sowie 1935–1938 wichtige Ämter im polnischen Parlament bekleidete, erhielt „Przymierze“ einen politisch bedeutenden Redakteur. Die Zeitung existierte von 1920 bis zum 10. November 1921 und wurde in der Druckerei der Piłsudski-nahen Zeitung „Kurier Poranny“ gedruckt. Wołoszynowski schrieb für „Przymierze“ seit seiner Gründung vor allem zu Ukraine-bezogenen Themen und im Oktober 1921, einen Monat vor der Schließung, übernahm er die Ko-Redaktion der Zeitschrift, die daher von Mokotowska 7 in die neuen Räumlichkeiten auf Chmielna 16 in die Nähe der Warschauer Altstadt und der Universität umzog. Die Besetzung des Redaktionskollegiums und des Autorenkollektivs von „Przymierze“ zeichneten sich durch Interdisziplinarität, Internationalität und vielseitige Fachkenntnisse aus. Neben bekannten Publizisten wie Włodzimierz Wakar selbst und Aleksandr Bogusławski meldeten sich der prominente polnische Linguist J. Baudoin de Courtenay, Antoni B. Dobrowolski sowie Politiker wie „an old conspirator from the Russian Empire“20 Ta-
Aleksandr Bogusławski (1887–1963) war ein polnischer Politiker, Intellektueller und Aktivist der Bauernbewegung. Er bediente sich der Pseudonyme Consulibus und Jan Młot. Mehr zu Bogusławski siehe Marcin Wichmanowski: Koncepcje kształtowania świadomości patriotycznej chłopów w myśli politycznej Aleksandra Bogusławskiego – polityka polskiego ruchu ludowego, in: Myśl Ludowa 7 (2015), S. 197–214. 16 Antoni Bolesław Dobrowolski (1872–1954) war ein prominenter polnischer Natur- und Polarforscher. Geboren im russischen Teilungsgebiet Polens wurde Dobrowolski im jungen Alter wegen seiner politischen polnisch-patriotischen Aktivitäten von den zaristischen Behörden verfolgt, schließlich interniert und in den Kaukasus verbannt. Er floh nach Europa, studierte Philosophie, Biologie und schließlich Geophysik an der Universität Zürich, schloß sich dann einem belgischen Forscherteam an und verbrachte zwei Jahre in der Arktis. Vgl. Jacek Machowski: Antoni Bolesław Dobrowolski (6 June 1872–27 April 1954), in: Polish Polar Research 19/1–2 (1998), S. 11–13. 17 Die erste Ausgabe war in den polnischen Kiosken am 15.8.1920 zu kaufen. „Przymierze“ erschien auf Polnisch. Ab der 8. Ausgabe (3.11.1920) wurde zu jedem Heft ein französischsprachiges Inhaltsverzeichnis angehängt. Das war mit dem Wunsch der polnischen Intellektuellen verbunden, von der Öffentlichkeit des nächsten Verbündeten Polens in Westeuropa registriert zu werden. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass die Zeitung „Przymierze“ kein Einzelfall war. Es gab auch weitere Zeitungen und Zeitschriften in Polen, wie z. B. „Wschód Polski“, gegr. 1919, die eine ähnliche Haltung vertraten und in demselben Zeitraum erschienen. 18 Przymierze (26.09.1920), S. 16. 19 Stanisław Siedlecki (1877, Siemie – 1939, Warschau) war ein polnischer Politiker, Abgeordneter des polnischen Sejms und einer der aktivsten polnischen Prometheisten. Siedlecki war einer der Vertrauten Piłsudskis noch aus Zeiten der Tätigkeit in den Reihen der PPS. Siedlecki war einer der Begründer der Zeitung „Przymierze“ und er fungierte als Direktor des Ostinstituts (Instytut Wschodni). 20 Snyder: Sketches from a secret war, S. 32. 15
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deusz Hołówko, Roman Wegnerowicz21, Zygmunt Zaremba22, Bronisław Siwik23, Ludwik Chomiński24 und Antoni Langer25 zu Wort. Mykola Voronyj26 schrieb für „Przymierze“ im Namen der ukrainischen Intelligenzija. Auch Vertreter der kaukasischen politischen Emigration wie z. B. der georgische Intellektuelle Sergiusz Kuriliszwili27 und die aserbaidschanischen Exilpolitiker im Iran, wie z. B. Adil-Chan Ziyadhan28.
Roman Wegnerowicz war ein polnischer Diplomat. Zygmunt Zaremba (1895–1967) war ein Aktivist der Polnischen Sozialistischen Partei. In den 1920er Jahren kandidierte er für den Sejm. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte Zaremba nach Frankreich, wo er seine publizistische Aktivität fortsetzte. 23 Bronisław Siwik (1876–1933) war ein Aktivist der sozialistischen Partei im russischen Teil Polens. Wegen seiner politischen Aktivität wurde Siwik in den Osten Russlands verbannt. Im unabhängigen Polen war Siwik im Arbeitsministerium tätig und schrieb oft für sozialistische Zeitungen. 24 Ludwik Chomiński (1890–1958) war ein polnischer Politiker. In den 1920er Jahren war er in der Politik sowie im Kulturleben im polnischen Wilna aktiv. 25 Antoni Langer (1888–1962) war ein polnischer Politiker und Sejm-Abgeordneter (1922–1935). 26 Mykola Voronyj (1871–1938) war ein ukrainischer Dichter, Literaturübersetzer und Schauspieler. Von 1920 an befand er sich im polnischen Exil, erst 1926 kehrte er in die Sowjetukraine zurück. In „Przymierze“ veröffentlichte Voronyj (polonisiert: Woronyj) mehrere Beiträge zur Geschichte des ukrainischen Theaters, die die sowjetische (Kultur-)Politik in der Ukraine scharf kritisierten. Vgl. Mykoła Woronyj, Ewolucja teatru ukraińskiego, in: Przymierze 31.10.1920, S. 6–8, Przymierze 7.11.1920, S. 12–14, Przymierze 14.11.1920, S. 12–14. 27 Sergiusz (Sergo) Kuriliszwili (Kuruliszwili, Pseudonyme: Tajfun(i), Tajpuni) (1893/4, Sačcher/Georgien – 1925, Warschau) war georgischer Architekt und Dichter. Während des Ersten Weltkrieges studierte er an der Politechnischen Universität in Kijew, heiratete dort eine aus Białystok stammende Polin, Zofja Kaufmanowa, und zog mit ihr zusammen 1918 nach Georgien. Seit 1919 war er in Polen als Diplomat und ab 1921 als Politemigrant. 1921 wurde er zum Vorsitzenden des Georgisch-Polnischen Klubs sowie des Georgischen Komitees in Polen gewählt. Mehr dazu Po zabójstwe Sergo Kuruliszwili, in: Gazeta poranna (30.03.1925). Am 25. März 1925 wurde Kuriliszwili von Stefan Lebrun (früher Likiernik) im Kaffeehaus Komorowski (Nowy Świat 26) im Warschauer Stadtzentrum erschossen. Ganz offensichtlich handelte es sich um einen Eifersuchtsmord, denn Kuriliszwili hatte eine Liebesaffäre mit der Malerin Halina Sas-Wójcicka, der Ehefrau Lebruns. Den Historikern David Kolbaja und Georges Mamoulia zufolge war der Mord an Kuriliszwili vom sowjetischen Geheimdienst geplant und verübt worden. Vortrag David Kolbajas, Kommentar Georges Mamoulias an der 11. Promethestischen Tagung, Paris 09.10.2018. Detaillierter über die Aktivitäten Kuriliszwilis: Andrzej Woźniak: Sergo Kuriliszwili, S. 43–44, sowie Sergo J. Kuriliszwili: Z rodzinnych wspomnień o Sergo Kuriliszwili, S. 45–46, in: Pro Georgia. Prace i materiały do dziejów stosunków gruzińsko-polskich, Warschau 1991. Weder der Nachfahre Kuriliszwilis noch der Kenner der Geschichte der polnischen Diasporagruppen Woźniak wiesen auf den Mord Kuriliszwilis als Attentat von Seiten der GPU hin. In dem kurzen Bericht der Zeitung „Kurjer warszawski“ (N. 89) vom 26. März 1925 hieß es, der ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für landwirtschaftliche Reformen Lebrun war zum Zeitpunkt des Mordes lange Zeit arbeitslos. Kuriliszwili kannte er zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren. Die Zeitung erwähnte mögliche politischen Motive, stritt diese aber ab. Dem „Kurjer Warszawski“ zufolge war Kuriliszwili innerhalb der georgischen Exilantengemeinschaft nicht populär. 28 Adilchan Ziyadhan (1872/77, Elisabethpol – 1957, Istanbul) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Moskau und war ehemaliger stellvertretender Außenminister in der Regierung der Aserbaidschanischen Demokratischen Republik (1918–1919) und ab Ende 1919 diplomatischer Vertreter der jungen Republik in Teheran. Nach der Sowjetisierung Aserbaidschans am 28. April 1920 blieb Ziyadchan in Persien, arbeitete als Beamter in der Teheraner Munizipalität und später in Tabriz. 1934 wanderte er nach Istanbul aus und lehrte an der Universität Istanbul bis zu seinem Tod im Dezember 1957. Mehr zu Ziyadhan siehe Naki Keykurun: Adil Han Ziyathanʼın Vefatı Münasibetiyle, in: Azerbaycan 7/10 ( Januar 1958), S. 17–18; 21 22
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Auch die polnischen Rechtsanwälte, die 1918 nach Baku ‚entsandt‘ wurden, wie z. B. J. Kurzym29, publizierten in „Przymierze“. Die AutorInnen blickten auf eigene Russlanderfahrungen zurück. Baudouin de Courtenay hatte jahrzehntelang an mehreren russischen Universitäten studiert, gelehrt und geforscht. Er ging ähnlich wie Wakar erst kurz nach der Ausrufung der Republik Polen nach Warschau. Ähnliche Wege lassen sich in den Werdegängen von anderen Autoren feststellen. Ziyadhan blickte auf Studienjahre am russischsprachigen Elitegymnasium in Tiflis und an der juristischen Fakultät der Universität Moskau zurück. Die Russlandkritik speiste sich aus der eigenen Erfahrung mit dem Imperialen und der gegenwärtigen bolschewistischen Politik gegenüber Polen bzw. den Kaukasus-Republiken. Seit dem 23. Januar 1921 war „Przymierze“ zudem das Presseorgan des „Związek zbliżenia narodów odrodzonych, ZZNO“ [Verbandes für die Annäherung der unabhängig gewordenen Völker]. Antoni B. Dobrowolski war der Vorsitzende des ZZNO, einer Organisation, die in der Tradition der wie dargestellt meistens von den Großund Regionalmächten manipulierten, am Vorabend und während des Ersten Weltkrieges entstandenen Organisationen stand. Ideologisch verband er die allgemeine Russlandskepsis mit Antibolschewismus und Freiheitsgedanken und erklärte „die Annäherung und Zusammenarbeit aller Länder zwischen Deutschland und Russland“30 zum Ziel. Gleichzeitig waren der ZZNO und seine Zeitung „Przymierze“ eine polnische Reaktion auf die sowjetische Herausforderung, d. h. die vom sowjetischen Volkskommissariat der Nationalitäten herausgegebene, bereits erwähnte Zeitschrift „Žizn’ nacional’nostej“, die sich kritisch mit der Nationalitätenpolitik Polens befasste wie auch die nationenübergreifende Solidarisierung der Proletarier propagierte. Die erste Sitzung des ZZNO, die vom bekannten Soziologen und Warschauer Universitätsprofessor Ludwik Krzywicki31 geführt wurde, fand am 15. Januar 1921 statt. Siedlecki Ziyadxanov, Adil xan (1877–1957), in: Azǝrbaycan Xalq Cumhuriyyǝti Ensiklopediyası V. 2, Baku 2005, S. 464–465. 29 Zu J. Kurzym ist wenig bekannt. Er war ein Vertreter der polnischen Minderheit in Aserbaidschan und Abgeordneter im aserbaidschanischen Parlament in Baku. Nach der sowjetischen Eroberung des Landes floh er nach Polen. J. Kurzym: Republiki Kaukaskie, in: Przymierze (26.09.1920), S. 7–10. Es könnte sich dabei durchaus um ein Pseudonym z. B. des polnischen Vertreters bei der aserbaidschanischen Regierung, des Rechtsanwalts Wiktor Krypski, handeln. Außer ihm waren die polnischen Rechtsanwälte Mieczysław Rudziński, Olszewski, S. Wasowicz, E. Komorowski und viele andere 1918–20 in unterschiedlichen leitenden Positionen im Justiz- und Außenministerium in Baku tätig. Leon Najman Mirza-Kryczyński: Tatarzy polscy a wschód muzulmański, in: Rocznik tatarski 1 (1932), S. 81–88. 30 Das verkündete Dobrowolski im Interview mit der Brüsseler Zeitung „L’Independance Belge“, das in polnischer Übersetzung in „Przymierze“ abgedruckt wurde. Vgl. Bliski Wschód Europy, in: Przymierze 12.09.1921, S. 6. 31 Ludwik Krzywicki (1859–1941) war ein bekannter polnischer Anthropologe, Soziologe und Archäologe. Wegen seiner politischen Ansichten wurde er während des Studiums in Warschau von der dortigen Universität entlassen. Danach folgte sein Studium an den Universitäten in Leipzig, Zürich und Paris. Krzywicki hatte eine Professur an der Universität Warschau von 1919 bis 1936 inne. Krzywicki unternahm Ausgrabun-
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und Wakar traten neben dem ZZNO-Vorsitzenden Antoni B. Dobrowolski, Aleksandr Bogusławski, der Pädagogin und Publizistin Irena Kosmowska32, dem Historiker und Diplomaten Witold Kamienicki33, dem Diplomaten Tytus Komarnicki34, dem Diplomaten, Publizisten und Rechtsanwalt Bohdan Kutyłowski35, dem Politiker Jędrzej Moraczewski36, Stanisław Stempowski, dem Theologen Tadeusz Kornilowicz37, Jan Woźnicki, dem Lodzer Lokalpolitiker und Archivar Ludwik Waszkiewicz38 und dem oben erwähnten Verfechter der polnisch-ukrainischen Verständigung Joachim Wołoszynowski39 der polnischen Sektion des ZZNO bei.40 Diese Organisation ähnelte dem 1921 von Wakar, dem prominenten polnischen Historiker Marceli Handelsman und dem Anthropologen und Soziologen Ludwik Krzywicki gegründeten und eher akademisch ausgerichteten „Instytut Badań Spraw Narodowościowych“ [Institut zur Erforschung der Nationalitätenfragen]41. Sie knüpfte Kontakte zu den in Polen lebenden Vertretern der Völker des ehemaligen Zarenreichs sowie zu den Intellektuellen in den neu entstandenen Staaten in Mittelosteurogen in Litauen und übersetzte „Das Kapital“ ins Polnische. Mehr zu Krzywicki siehe Czesław Domański: Ludwik Krzywicki (1859–1941), in: Acta Universitatis Lodziensis, Folia Oeconomica 255 (2011), S. 7–12, zitiert nach: http://hdl.handle.net/11089/681 (Zugriffsdatum: 24.09.2018). 32 Irena Kosmowska (1879–1942) war eine polnische Intellektuelle, Pädagogin und Verfechterin der Volksaufklärung. Geboren in Warschau studierte sie zwischen 1905 und 1908 Geschichte an der Universität Lemberg. Kosmowska war gleich nach der Ausrufung der Republik 1918 aktiv in der polnischen Politik. Ihr Betätigungfeld war die Aufklärungsarbeit unter Frauen im ländlichen Gebiet. 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet und starb in einem Berliner Gefängnis. 33 Witold Kamienicki (1883–1964) war ein polnischer Historiker, Publizist und Diplomat. Im Zeitraum 1920–21 war er Geschäftsträger an der polnischen Botschaft in Lettland und nahm an der Friedenskonferenz in Riga teil. 34 Tytus Komarnicki (1896–1967) war ein polnischer Diplomat. 35 Bohdan Kutyłowski (1863–1922?) war Jurist und lange in St. Petersburg tätig, wo er für die polnischsprachige Zeitung „Kraj“ schrieb. Von 1919 bis 1921 war er polnischer Minister bei der Regierung der Ukrainischen Republik. Nach der Sowjetisierung der Ukraine kehrte er nach Warschau zurück und widmete sich der Publizistik. 36 Jędrzej Moraczewski (1870, Tremessen – 1944, Sulejówek) war ein polnischer Politiker. 1918 war er Kommunikationsminister in der Regierung von I. Daszyński. In den darauffolgenden Jahren bekleidete er hohe Posten in der PPS. 37 Tadeusz Kornilowicz (1884–1946) war ein polnischer Priester und Theologe. Wegen seines Engagements für den Gebrauch der polnischen Sprache wurde er vom Gymnasium im russischen Teilungsgebiet verwiesen. Zum Studium der Theologie ging er nach Zürich und anschließend nach Fribourg. Im unabhängigen Polen entfaltete er eine rege Aktivität als Geistlicher. 38 Ludwik Waszkiewicz (1888–1976) studierte an der Philosophischen Fakultät der Universität Krakau und unterrichtete anschließend am Lehrerseminar in Lodz. 1919 wurde er ins Parlament gewählt. Waszkiewicz war einer der Organisatoren der Universität Lodz. 39 Joachim Wołoszynowski (1870–1945) war ein polnischer Intellektueller, Lokalpolitiker und ein wichtiger Unterstützer der polnisch-ukrainischen Verständigung. 40 Die Zusammensetzung der polnischen Sektion wurde in der Zeitung „Przymierze“ wiedergegeben. Vgl. Przymierze 2/3 (23.01.1921). Andrzej Grzywacz; Grzegorz Mazur: Ruch prometejski w Polsce, in: Zeszyty historyczne 110 (1994), S. 75. 41 Das Institut existierte bis September 1939. Seit 1927 gab es regelmäßig die Zeitschrift „Sprawy Narodowościowe“ und die französischsprachige Zeitschrift „Questions minoritaires“ heraus.
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pa, im Baltikum, Finnland und in Ungarn. Darüber hinaus schrieb Wakar für die 1919 gegründete Zeitschrift „Wschód Polski“ [Der Osten Polens] und Wołoszynowski für die von ihm in Kamieniec Podolski (heute Kamjanez-Podilskyj in der West-Ukraine) 1920 gegründete „Głos Podola“ [Die Podolische Stimme], die neben „Przymierze“ Vorboten der prometheistischen Medien waren und sich der polnischen Politk gegenüber den Ukrainern, Litauern und anderen Völkern im Osten Polens bzw. gegenüber den osteuropäischen Staaten widmeten. Der ZZNO, seine Zeitung „Przymierze“ sowie „Wschód Polski“ propagierten die Vision des polnischen Vielvölkerreiches der Jagiellonen: Der daraus abgeleitete Föderationsgedanke dominierte eindeutig, wie man am Beispiel des längeren Editorialtextes von Wakar „Jagiellonische Idee in der heutigen Zeit“42 sehen kann. Der Beitrag, der in „Wschód Polski“ abgedruckt wurde, beruhte auf einem Vortrag Wakars, den er am 30. Dezember 1919 auf der Sitzung des „Towarzystwo Milośników Historii“ [Verband der Verehrer der Geschichte] gehalten hatte. Neben dem prominenten polnischen Historiker Oskar Halecki und anderen Prominenzen aus Wissenschaft und Publizistik trug Wakar zum Thema der polnischen Strategie gegenüber dem Osten auch in einer Vortragsreihe vor, die 1920 durch den Verband „Straża Kresowa“ [Schutz der Ostgebiete] organisiert wurde.43 An diesen Beispielen wird die Infrastruktur sichtbar, die teils aus (semi-)akademischen Einrichtungen und intellektuellen Milieus vor allem in Warschau bestand, in denen der Föderationsgedanke, die Zusammenarbeit Polens mit den Nachbarvölkern im Sinne des mittelalterlichen Jagiellonen-Polens besprochen, elaboriert und einem breiteren Publikum durch öffentliche Vorträge, Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge nähergebracht wurde. „Unsere Zeitung soll der großen Idee der Verständigung und der politischen Annäherung der sogenannten ‚neuen Völker‘ dienen. Das heißt der solchen [Völker, Z. G.], die während des Weltkrieges ihr Recht, sich als freie Staaten zu gestalten, und ihren Anspruch auf Gleichberechtigung auf dem internationalen Parkett verkündeten. […] Die Idee einer solchen Zeitung entstand im gleichen Milieu der Polen, die sich während der deutschen Okkupation Warschaus um den konspirativen Verlag „Polska“ zusammenschlossen und dieselbe Idee unter den damaligen schweren Umständen propagierten“44, schrieb der Zeitungsgründer Wakar im gleichnamigen Leitartikel „Przymierze“ des ersten Hefts. Die ungelösten Territorial- und Grenzkonflikte – ein für Polen im Jahr 1920 angesichts der angespannten Beziehungen zu Litauen, Deutschland und der Tschechoslowakei signifikantes Thema – sollten in der gesamten Region
Vgl. Włodzimierz Wakar: Idea Jagielońska w dobie obecnej, in: Wschód Polski 5 (Februar 1920), S. 1–8. „Wschód Polski“ warb in der Februarausgabe von 1920 für die Vorträge von Halecki zum Thema „Jagiellonische Traditionen und unser Zukunftsprogramm“ und von Wakar „Ethnische Zusammensetzung der Ostgebiete“, die im Gebäude des Museums der Industrie und Landwirtschaft auf der Prachtstrasse Krakowskie Przedmieście stattfanden. 44 Włodzimierz Wakar: Przymierze, in: Przymierze (15.08.1920), S. 1. 42 43
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einer Lösung zugeführt werden. Das bestehende Konfliktpotential sollte umgehend reduziert werden. Wichtiger sei es für Polen, seine kürzlich erworbene Souveränität zu schützen. Dafür sollte Polen seine Ostpolitik überdenken. Hierzu rief P. Ławrowski auf und wies darauf hin, dass „die Entstehung des polnischen Staates […] ein historischer Umbruch“ sei, „der zur Befreiung anderer Völker führen“ werde. Die Freiheit der anderen Völker sei mit der Freiheit Polens aufs Engste verbunden.45 Die polnische Führung soll Ławrowski zufolge konsequent das folgende Programm verfolgen: „Sämtliche Völker des Intermariums zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer (bałtycko-czarnomorskie międzymorze) und ihr Potential sollten durch diese Idee vereint werden. Man sollte nicht darauf warten, bis das große Russland sich erholt und die gesamte Region erneut erobert. Das Fehlen eines solchen Programms rächt sich“46, stellte Ławrowski fest und wies auf die Verschlechterung der Beziehungen Polens zur Ukraine und vor allem zu Litauen um 1920 hin. Das polnische Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn im Osten wie Weißrussland, der Ukraine und Litauen sei zu konfliktbeladen, beklagte sich Wakar. Polen sei noch nicht imstande gewesen, eine wahre Allianz um sich zu schaffen und sie ideologisch zu untermauern. „Wer, wenn nicht Polen, wäre imstande, beim jetzigen Chaos in der Welt ein wahres Programm der Erneuerung und die Idee einer neuen Ordnung zu lancieren?“, fragte Wakar rhetorisch in einem programmatischen Leitartikel. Polen sollte somit zu einem zentralen Kettenglied einer Allianz werden, die sich keineswegs nur auf die Staaten und Völker östlich von Polen zu beschränken hatte. Es sollte eine Allianz aller werden, die gegen die alte Vorkriegsordnung sowie gegen den Imperialismus waren. Ein eventuelles neues Aufleben der „aggressiven Natur“ Preußens, Österreichs und vor allem Russlands war aus polnischer Sicht eine der größten Gefahren für Europa. Erforderlich seien eine „gesellschaftliche Demokratisierung Europas“ und die „Umstrukturierung der europäischen Karte nach dem Nationalitätenprinzip“47. Der Allianzgedanke wurde vom Denkkollektiv der Zeitung „Przymierze“ als ein Bestandteil der polnischen Ideengeschichte betrachtet und in einem Kontext mit dem Freiheitstopos begriffen. Ein Teil der polnischen Intellektuellenschicht, der sich über die fehlenden Freiheiten während der Teilungszeit beklagte, wies auf die Bedeutung einer intensiven Zusammenarbeit mit allen Nationen und Staaten hin, die 1918 entstanden waren, und den Nationalbewegungen, die sich die staatliche Unabhängigkeit als Ziel auf die Fahnen schrieben. Diese Schicksalsgemeinschaft, die Gemeinschaft der von Preußen, Österreich und vor allem von Russland unterdrückten Ethnien, sollte zu einer Allianz unter polnischer Führung werden. Das wurde vom Autorenkollektiv der Zeitung „Przymierze“ befürwortet, das sich in ideologischer Nähe zu Marschall 45 46 47
P. Ławrowski: Rewizja programu wschodniego, in: Przymierze (15.08.1920), S. 6. Ebenda. Wakar: Nauka klęski, in: Przymierze (22.08.1920), S. 2.
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Piłsudski und seiner innen- und außenpolitischen Vision und dementsprechend in Opposition zur nationaldemokratischen Gruppierung um den Politiker Roman Dmowski befand. Die Ordnungsentwürfe, denen man auf den Seiten der Zeitung begegnet, sind zum Teil Gegenentwürfe und Reaktionen darauf, was die Anhänger Dmowskis in ihren Medien, wie z. B. der Zeitung „Głos“ [Stimme], propagierten. Dmowski sah im bolschewistischen Feldzug gegen Polen 1920 eine Folge der polnischen Kiew-Operation.48 Somit übte er Kritik an der Politik Piłsudskis und seiner Anhänger, die mit ihrer Ostpolitik praktisch Moskau provoziert hätten, Polen anzugreifen. Dmowski hielt von der aktiven polnischen Ostpolitik, d. h. auch von den prometheistischen Ideen nichts. „Es ist wahr, dass es auch bei uns noch Leute gibt, die das Programm einer Groß-Ukraine verfolgen, jedoch versteht die Öffentlichkeit wohl, dass es nichts zu tun hat mit der polnischen Politik, das ist ein antipolnisches Programm.“49 Die Kritik der „Przymierze“-Autoren richtete sich aber nicht nur gegen Dmowski und die polnischen Nationaldemokraten, sondern auch gegen die revisionistischen Ordnungsentwürfe, die in den russischen Exilperiodika in Paris und in Prag, oder in der sowjetischen Parteipresse in Moskau und Kiew erschienen. Die geographische Lage sorgte seit Langem für Unruhe in der polnischen Gedankenwelt. Sie „ist noch beispielloser als die Lage Rumäniens oder Lettlands, denn unser Territorium liegt eingezwängt zwischen zwei spezifischen Staatsgebilden, deren Essenz auf Eroberung und Unterwerfung der fremden Völker beruht“50, schrieb Wakar im Leitartikel „Gebot der Stunde“. Es ist nicht erstaunlich, dass Wakar gerade Lettland und Rumänien an prominenter Stelle erwähnte. An einer engen Zusammenarbeit mit diesen zwei Ländern, vor allem mit Rumänien, war Polen vital interessiert. Zur Unterzeichnung eines Verteidigungsabkommens zwischen Warschau und Bukarest kam es bereits am 3. März 1921, nachdem der rumänische Außenminister Take Ionescu Polen Ende Oktober 1920 offiziell besucht hatte. Polen war traditionellerweise an einer Allianz mit den Anrainerstaaten Russlands interessiert: Lettland sowie Rumänien eigneten sich dafür sehr gut. Lettland musste seine Staatssouveränität mit militärischen Mitteln verteidigen und hatte gespannte Beziehungen zu Sowjet-Russland.51 Bukarest war daran interessiert, unter anderem dem „ungarischen Einfluss entgegenzuwirken“52
Dmowski: Świat powojenny i Polska, S. 132. Ebenda. Włodzimierz Wakar: Nakaz chwili, in: Przymierze (14.11.1920), S. 1. Zu den polnisch-lettischen Beziehungen unmittelbar nach der Staatsgründung 1918 siehe Ēriks Jēkabsons: Początek stosunków Łotwy i Polski: pierwsze kontakty, wiosna-jesień 1919 roku, in: RES HISTORICA 42 (2016), S. 245–264. Einen Überblick über die polnisch-lettischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit liefert Wiesław B. Łach vgl. Wiesław B. Łach: Rozbieżność w stosunkach polsko-łotewskich po I wojnie światowej i ich wojskowo-polityczne następstwa, in: Przegląd wschodnio-europejski 2 (2011), S. 135–150. 52 Daniel Hrenciuc: Considérations sur l’alliance politique roumano-polonaise (1921–1926) dans la perspective de l’histroire comparée, in: Historical Yearbook 4 (2007), S. 126. 48 49 50 51
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und Warschau in die eigenen Ordnungsvorstellungen wie z. B. die Kleine Entente53 einzubinden. Die Lage zwischen Deutschland und Russland bzw. der Sowjetunion, mit welchen Polen nicht zuletzt die Teilungszeit assoziierte, prägte das (geo-)politische Denken der polnischen Eliten und Intellektuellen. Der polnisch-bolschewistische Krieg trug keinesfalls zur Verbesserung des Russlandbildes bei, und die Probleme bei der Integration der deutschen Minderheit in den westpolnischen Gebieten, der ungeklärte Status von Danzig und eine aggressive deutsche Wirtschaftspolitik Polen gegenüber führten zur weiteren Verschlechterung des polnischen Deutschlandbildes. Auch die Gruppe um „Przymierze“ sah die gesamte Geschichte und Gegenwart Europas aus dieser Perspektive. Die Eroberung Polens ermöglichte Preußen die Hegemonie in Deutschland, ermöglichte die Annexion Schleswigs und andere Expansionspläne, [und Z. G.] für Russland eröffnete sie die Wege zur Eroberung in Asien […]. Der internationale Sozialismus, der die Wiederherstellung der Karte Vorkriegseuropas anstrebt, wird […] zu einem Instrument des preußisch-moskauer Neozarismus (neocaryzm prusko-moskiewski)54,
warnte Włodzimierz Wakar Ende August 1920. Für Wakar war, ähnlich wie für viele andere polnische Intellektuelle, der russische Bolschewismus eine Fortsetzung der zaristischen Expansionspolitik. Man sah hier eine klare Kontinuität. Auch wurden die zwei Teilungsmächte Deutschland und Russland öfters in einem Kontext thematisiert, was nicht zuletzt darin begründet war, dass der russische Kommunismus dem Marxismus entsprungen war und Deutschland 1917 die Reise Lenins nach Russland unterstützt und im Endeffekt ermöglicht hatte. Jegliche deutsch-russische Annäherung wurde in Polen mit hoher Aufmerksamkeit registriert. Es sei die Aufgabe Polens, die europäische Öffentlichkeit, vor allem seine Schutzmacht Frankreich darüber aufzuklären, welche Gefahren vom Bolschewismus ausgehen könnten, denn „die europäischen Politiker wollen und können die gegenwärtige Situation in Russland nicht verstehen, sie suchen nach einer Krankheit, die das Volk und Teile Russlands erfasste“ 55. Das europäische Rezept dafür sei „die Wiederherstellung des russischen Imperiums und seiner Rolle aus der Vorkriegszeit“56, so Bohdan Kutyłowski. Den Prometheisten dagegen ging es gerade nicht darum, den Status Quo in Russland wiederherzustellen. Sie zielten vielmehr darauf ab, Russland die Quellen der imperialen Größe zu nehmen, da sie sowohl das bolschewistische Russland als
Die Kleine Entente war ein aus der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien bestehendes Bündnissystem, das von Frankreich unterstützt wurde und zwischen 1920 und 1938 existierte. Es sollte den ungarischen, italienischen wie auch bulgarischen revanchistischen Bestrebungen entgegenwirken. 54 Wakar: Ratowanie państwa, in: Przymierze (29.08.1920), S. 2. 55 Bohdan Kutyłowski: Zagadnienie rosyjskie, in: Przymierze (12.09.1920), S. 1. 56 Ebenda. 53
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auch die russische Monarchie als expansionistisch einstuften. Kutyłowski betonte, dass das Vorkriegszeitalter auf keinen Fall neu zu beleben sei. Ihm zufolge sollte sich das russische Volk „um den eigenen moralischen Fortschritt kümmern […], ohne sich das Hab und Gut der Anderen anzueignen“57. Somit waren der Kommunismus und Russland aus Sicht der Zeitschrift „Przymierze“ die größte Bedrohung für Polen und Europa. „Russland verlor viele Territorien, jedoch nicht genug, um bereit zu sein, sich grundlegend zu wandeln […]“58, verkündete Wakar in seinen Thesen zum Frieden. Polen liege immer noch zwischen West und Ost, „zwischen der Demokratie des Westens und der Oligarchie Russlands, zwischen dem Staat des Volkes und dem Staat, der über die Völker herrscht, zwischen der Freiheit und der Gewalt, zwischen dem Sozialismus, der aus der Tiefe wächst, und dem Kommunismus, der mit Gewalt aufgezwungen wird“59. Die Gefahr für die Völker Europas liege dabei nicht nur im russischen Kommunismus, sondern auch in einem eventuellen „Neuerwachen der Eroberer“ und des Vorkriegssystems. Im russischen Bolschewismus erkannte Wakar auch den „aggressiven Imperialismus Russlands“, den er zum „internationalen Gegner“ stilisierte.60 Die Neuordnung Europas war auch das Thema eines Kongresses, den das Redaktionskollegium von „Przymierze“ im September 1920 organisierte und darüber berichtete. Teilnehmer waren ukrainische, weißrussische und kaukasische Emigranten sowie Politiker und Wissenschaftler wie der lettische Diplomat Pēteris Oliņš (1890–1962)61, der ungarische Polonist Adorján Divéky62 und der finnische Botschafter in Warschau
Ebenda, S. 2. Włodzimierz Wakar: Tezy pokojowe, in: Przymierze (19.09.1920), S. 1. Wakar: Tezy pokojowe, S. 3. Włodzimierz Wakar: Z czem idziemy?, in: Przymierze (03.10.1920), S. 4. „Przymierze“ schrieb den Namen des lettischen Diplomaten fälschlicherweise als Olensch. Für die hilfreiche Aufklärung möchte ich an dieser Stelle dem Rigaer Historiker Eriks Jēkabsons danken. Mehr zu Oliņš siehe Latvijas ārlietu dienesta darbinieki 1918–1991. Biogrāfiska vārdnīca, hg. von Ē. Jēkabsons und V. Ščerbinskis, Riga 2003, S. 219–220. 62 Adorján Divéky (1880–1965) war ein ungarischer Literaturhistoriker und Linguist, der sich besonders intensiv mit der Geschichte der polnisch-ungarischen literarischen Verflechtungen befasste. Im Dezember 1920 veröffentlichte „Przymierze“ einen längeren Artikel Divékys zu Ungarn. Vgl. A. Divéky: Węgry, in: Przymierze (5.12.1920), S. 4–6. Im selben Jahr erschien in Krakau eine programmatische Schrift Divékys „Die Tragödie Ungarns und die polnische Politik“. Vgl. A. Divéky: Tragedja Węgier a polityka polska, Krakau 1920. Divéky habilitierte sich 1921 und leitete von 1935 bis 1939 das Warschauer Ungarn-Institut. 1939 wurde er Professor an der Universität Debrezin. Interessant ist sein Artikel „Polen in der westlichen Kultur“, der im November 1939 auf Ungarisch in „Magyar Szemle“ (3/147) und am 9. Dezember 1939 in der deutschen Übersetzung erschien. Der Artikel stellte die Zugehörigkeit Polens zum westlichen Kulturkreis fest und hob die kulturellen Errungenschaften der polnischen Gesellschaft und Intellektuellen hervor. Divéky bedauerte die sowjetische Okkupation Ostpolens im September 1939. Von der deutschen Okkupation schrieb Divéky nichts. Vgl. Adorján Divéky: Polen in der westlichen Kultur, Übersetzungsdienst 1939. Für die interessanten Einblicke in das Leben Divékys danke ich dem ungarischen Historiker Frank Tibor. 57 58 59 60 61
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Karl Volter Boris Gyllenbögel (1884–1948)63, der die Überlebensfähigkeit des Baltikum-Schwarzmeer-Blocks nur in enger Kooperation mit „einem starken Polen und einer unabhängigen Ukraine“64 gegeben sah. Die Idee eines freien Raums vom Baltikum bis zur Küste des Schwarzen Meers war die größte Hoffnung der Intellektuellen um die Redaktion von „Przymierze“ und dominierte dieses Treffen in Warschau. Die polnischen Publizisten betonten besonders die Wichtigkeit einer freiheitlichen Selbstorganisation Ostmitteleuropas bzw. Osteuropas. Einige ließen dabei die gesamteuropäische Perspektive bewusst außer Acht. E. Garlicki schrieb z. B.: „Ich möchte weder eine Föderation noch Vereinigte Staaten Osteuropas, sondern eine Kooperation der osteuropäischen Nationalstaaten, die […] als ein tatsächliches ex oriente [lux, Z. G.] ausstrahlen würden“65. All dies sei wichtig für die „Sicherheit aller Völker des baltischmediterranen Intermariums: von Finnland bis Armenien und Jugoslawien […]“66, hieß es in Wakars Artikel „Gespenst der Reaktion“. Der Westen sollte die Bestrebungen dieser Völker unterstützen und somit die ungerechte Vorkriegsordnung verbessern, sonst seien künftige Konflikte vorprogrammiert. Wakar warf dem Westen Imperialismus und fehlende Schöpfungskraft vor. Es fehle ihm ein Programm im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland und zu den osteuropäischen Nationen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg staatlich organisieren konnten. Sie hätten wenigstens einen Teil der Sympathien verdient, die der Westen dem russischen ancien régime gegenüber empfinde. Die polnische Ostpolitik sollte sich von der westeuropäischen grundlegend unterscheiden. Am 10. Oktober 1920 veröffentlichte „Przymierze“ einen Leserartikel „Der Osten Polens“ und versah ihn mit einer Fußnote, die verkündete, dass die Ostpolitik Polens auf „der Idee eines Verbunds freier Völker“67 beruhen sollte. Neben Weißrussland war es vor allem die Ukraine, die der Publizist und Redakteur Wołoszynowski als das „wichtigste Thema der polnischen Ostpolitik“68 bezeichnete und deren Anbindung an das demokratische Europa und die Trennung von Moskau fast in jeder Ausgabe von „Przymierze“ thematisiert wurde. Wakar, Wołoszynowski und Hołówko kritisierten das sowjetisch-polnische Abkommen von Riga scharf und sahen darin den Untergang des föderalistischen Gedankens.69 Ihnen zufolge hatte Interessanterweise waren die Grußworte und Vorträge der lettischen und finnischen Wissenschaftler während des Workshops teils in ihren Muttersprachen, was besonders von den Berichterstattern der „Przymierze“ betont wurde. All dies sollte quasi das Funktionieren einer tatsächlichen Gleichberechtigung der zahlenmäßig kleineren Völker veranschaulichen. 64 Kronika, in: Przymierze (19.09.1920), S. 16. 65 E. Garlicki: Mury graniczne, in: Przymierze (26.09.1920), S. 4. 66 Włodzimierz Wakar: Widmo reakcji, in: Przymierze (10.10.1920), S. 1. 67 K. O-CZ: Wschód Polski, in: Przymierze (10.10.1920), S. 6. 68 [ Joachim] Wołoszynowski: Uczciwość i roztropność, in: Przymierze (17.10.1920), S. 4. 69 Dazu Ewa Szczepkowska: Relacje polsko-ukraińskie na łamach tygodnika „Przymierze“ ze szczególnym uwzględnieniem publicystyki Joachima Wołoszynowskiego, in: Media – Kultura – Komunikacja Społeczna 9 (2013), S. 102–103. 63
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Polen in Riga Fehler begangen, die Ukraine verraten und diese an Russland ausgeliefert. Wołoszynowski bezeichnete es als Teilung der Ukraine und bediente sich des polnischen Begriffs rozbiór, den man im Polnischen für die Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts benutzte.70 Die Intellektuellen um „Przymierze“ kritisierten die polnische Ostpolitik, die sich ab 1921 nicht mehr im Einklang mit ihren Vorstellungen entwickelte. Die Multiethnizität der Staaten wurde nach dem Ersten Weltkrieg zu einem komplizierten Phänomen, aber auch zu einem Instrumentarium, das die Intellektuellen bei der Entwicklung ihrer innen- und außenpolitischen Ordnungsentwürfe benutzten. In Bezug auf Russland z. B. vertraten die polnischen Intellektuellen um „Przymierze“ die Idee eines „Dritten Russland“71. Diesem Modell zufolge sollten sowohl die Tschechen als auch die westeuropäischen Nationen weder die Weißen noch die Roten unterstützen, da die beiden Blöcke ein imperialistisches Konzept eines Großrusslands vertraten. Die nichtrussischen Peripherien sollten sich von diesem ‚Dritten Russland‘ abspalten bzw. abgespalten werden. Es sollte im Endeffekt aber ein Russland entstehen, das weder auf den kommunistischen Grundlagen noch auf dem Wunsch beruhte, das alte Russland in seinen ‚alten‘ Grenzen wiederherstellen zu wollen. Im Zuge der propagierten Idee eines ‚Dritten Russlands‘ setzten sich die Autoren von „Przymierze“ sowohl mit den Diskursen in den bolschewistischen Medien als auch in den exilrussischen Kreisen auseinander. Besorgt und kritisch berichtete „Przymierze“ z. B. über eine negative Reaktion der russischen Emigration in Paris auf den Rigaer Friedensvertrag, da weitere Gebiete des ehemaligen Zarenreichs an Polen fielen.72 Dieses „Dritte Russland“ sollte daher noch weiter in seinen Grenzen reduziert werden, indem es die von Nichtrussen bevölkerten Teile verliert, sich demokratisiert, dem Westen gegenüber öffnet und auf postimperiale Ressentiments verzichtet. Offiziell wurde das „Dritte Russland“ in Polen vom russischen Emigrantenverein, dem so genannten Russischen Politischen Komitee (RPK) vertreten, zu dessen führenden Personen der russische Sozialist Boris Savinkov und der Intellektuelle Dmitrij Filosofov gehörten. Diese Vertreter der russischen Emigration konnten von der polnischen Seite nicht zuletzt durch das Angebot des politischen Asyls und der Finanzmittel für die eigene Sache gewonnen werden. Ihre Auffassungen lagen konträr zur Sicht der Dinge unter den meistens russischen Emigranten im übrigen Europa. Am 19. Dezember 1920 druckte „Przymierze“ die eine Erklärung des RPK ab, in der das Komitee die Unabhängigkeit Finnlands, Estlands, Lettlands, Weißrusslands, der Ukraine, der Kosakenrepublik, des Nordkaukasus, Aserbaidschans und Georgiens von Russland an-
Ebenda. Detailliert zum Plan „Drittes Russland“ von Józef Piłsudski und seinen Mitstreitern siehe Andrzej Nowak: Polska i trzy Rosje. Studium polityki wschodniej Józefa Piłsudskiego (do kwietnia 1920 roku), Krakau 2008, S. 458–502. 72 Protest emigrantów rosyjskich, in: Przymierze (17.10.1920), S. 16. 70 71
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erkannte.73 Diese Erklärung wurde ursprünglich am 12. Dezember in der in Warschau erscheinenden russischen Zeitung „Svoboda“ veröffentlicht. Der Linguist Baudouin de Courtenay griff das Thema des Dritten Russlands ebenfalls unterstützend auf. Es sei ein Projekt, für dessen Verwirklichung Polen „bis zum letzten Blutstropfen kämpfen sollte“74. Die oben dargestellten Diskurse, die „Przymierze“ einleitete, sind aus zwei Perspektiven interessant. Zum einen waren sie von der Postkolonialität und den sich daraus ableitenden Emanzipationsbestrebungen geprägt. Somit entspringen die Ordnungsentwürfe sowohl der nationalen als auch der regionalen ideenhistorischen Basis. „Przymierze“ versuchte die polnischen Ordnungsentwürfe mit den Vorstellungen der ukrainischen und der kaukasischen Emigrés abzustimmen. Bei der Diskussion und beim Austausch waren auch die Ansichten der baltischen sowie der ungarischen Intellektuellen nicht ohne Bedeutung. Gleichzeitig handelt es sich bei den Ordnungsentwürfen fast immer um Gegenentwürfe zu den Ordnungsentwürfen der Anderen, vor allem zu denen der Sowjets. Betrachtet man die Aktivität der polnischen Intellektuellen kurz nach dem Erlangen der politischen Unabhängigkeit näher, fällt auf, dass eine Zeitschrift wie „Przymierze“ lediglich eines von mehreren Medien darstellte, in dem der polnische geopolitische Gedanke, die Ostpolitik und nicht zuletzt die Europapolitik Polens vorgedacht und artikuliert wurden. Viele der Autoren von „Przymierze“ inklusive Wakar schrieben auch für die noch 1919 in Warschau gegründete französischsprachige Zeitschrift „L’Est Européen“75, eine Nachfolgerin der früheren „L’Est Polonais“. Der Direktor dieser Zeitschrift war Stanislas (Stanisław) Dangel (1891–1942). Wakar fungierte neben dem an der Sorbonne ausgebildeten Juristen Georges ( Jerzy) Szurig (1893–1941) sogar als Chefredakteur dieser Zeitschrift. Dem Editorial vom 5. Februar 1922 war zu entnehmen, dass „L’Est Européen“ ein frankophones Pendant der polnischsprachigen „Przymierze“ war.76 Im Unterschied zu „Przymierze“ richtete sich die französischsprachige Zeitschrift mittels der Sprache der europäischen Diplomatie an das ‚Weltpublikum‘ und machte dieses mit den polnischen Positionen bezüglich der (ost)europäischen Politik und der Außenpolitik Warschaus vertraut, warb für die touristischen Attraktionen Polens und berichtete kommunismus- und russlandkritisch über die politischen und gesellschaftlichen Prozesse in der UdSSR. Interessanterweise verfügte „L’Est Européen“ über zwei Auslandsrepräsentanten, und zwar in Paris und in Istanbul. In der französischen Hauptstadt wurde sie durch den bekannten französischen und poUnbekannter Autor: Zdrowe objawy, in: Przymierze (19.12.1920), S. 14. Baudouin de Courtenay: O „zasadzie etnograficznej“ wogóle i o „Polsce etnograficznej“ w szczególności, in: Przymierze 19.12.1920, S. 3. Der Beitrag war eine Abrechnung mit der polnisch-ethnozentristischen und nationalistischen Haltung der Nationaldemokraten. 75 Der vollständige Titel: L’Est Européen. Revue bi-mensuelle, illustrée des questions politiques, économiques, historiques et intellectuelles. 76 Aux lecteurs, in: L’est européen 1–2 (05.02.1922), S. 1. 73 74
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lonophilen Journalisten, Henri de Montfort (1889–1965), und in Istanbul durch den polnisch-türkischen Intellektuellen Tadeusz Gasztowtt (1881–1936)77 vertreten. Es ist offensichtlich, dass „L’Est Européen“ ihre Leser in den europäischen politischen Kreisen fand, die starke Interessen in Osteuropa und vor allem in den Gebieten des ehemaligen Zarenreiches hatten. So war z. B. das Aprilheft der Zeitschrift „L’Est Européen“ von 1922 in der Akte des „Comité de défense des intérêts belges en Russie“ zu finden, das sich intensiv mit der Frage befasste, wie die belgischen Unternehmer Nutzungsrechte in den ölreichen und landwirtschaftlich starken Regionen Russlands gewinnen könnten.78 Die Zeitschrift „L’Est Européen“ begrüsste die Machtergreifung Piłsudskis,79 die eine Nachkriegsepoche der Ungewissheit abschließen und für Polen „neue Horizonte“ öffnen sollte.80 Die Ausgabe vom Juni 1926 enthielt eine Reihe von Beiträgen, die die prometheistische Vision und sich daraus ableitende, außenpolitische Schwerpunktlegung ablesen ließen. Neben einer Reihe von Beiträgen, die sich z. B. mit dem Völkerbund81, Finnland und anderen Nachbarstaaten Polens befassten, sticht ein längerer Aufsatz des prometheistischen Aktivisten und nordkaukasischen Exilpolitikers Vassan-Girej Džabagi82 heraus. In einem fünfzehnseitigen Artikel befasste sich der ehemalige Parlamentsvorsitzende der kurzlebigen Republik der Bergler mit der „Politik der europäischen Mächte im Nahen Osten“83. Neben einer Analyse des Vertragssystems, welche die politische Entwicklung im spät- und postosmanischen Nahen Osten detailliert wiedergab, rechtfertigte der Beitrag die türkische Annäherung an die Sowjetunion. Die UdSSR wollte dem Autor nach den antiimperialistischen Widerstand der Nahoststaaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit gegen Großbritannien Mehr zu Tadeusz Gasztowtt siehe Paulina Dominik: Lehistan’dan bir Jön Türk: Tadeusz Gasztowtt – Seyfeddin Bey (1881–1936) in: Toplumsal Tarih 240 (Dezember 2013), S. 22–27. 78 A[rchives]. G[énérales du]. R[oyaume/]. A[lgemeen] R[ijksarchief]. Comité de defense des intérêts belges en Russie. T. 487. 221–281 (276). 79 Boleslas Śrocki: La Pologne au lendeman du bouleversement, in: L’Est Européen 4–5 ( Juni 1926), S. 157–168. 80 Ebenda, S. 159. 81 T. Katelbach: La Crise de la Societé des Nations, in: L’Est Européen 4–5 ( Juni 1926), S. 164–176. 82 Vassan Girej Džabagi (russisch: Vasan Girej Džabagiev) (1892, Nasyr Kort, Nordkaukasus -1961, Istanbul) war ein Absolvent des Rigaer Politechnischen Instituts sowie der Universität Jena. Im März 1919 wurde er zum Parlamentsvorsitzenden der Republik Nordkaukasus ernannt. Nach der Eroberung des nördlichen Kaukasus durch die Armee Denikin floh er nach Tiflis. Danach folgte ein Exilleben in der Türkei, Polen und Frankreich. Bis 1927 arbeitete er mit den Prometheisten zusammen, ab 1928 stand er in Opposition zu ihnen. Ab 1924 lebte er in Warschau, wo er als Korrespondent der Zeitung „Kurjer Warszawski“ arbeitete. Mehr dazu Georges Mamoulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens entre URSS et puissances occidentales, Paris 2009, S. 342. 1938 reiste er als Auslandskorrespondent der polnischen Informationsagentur nach Istanbul aus, wo er bis zu seinem Tod lebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterhielt er Kontakte zu anderen kaukasischen Emigranten. M. B. Dolgieva: Žiznennyj put’ Vasan-Gireja Džabagieva, 23.12.2013, in: https://www.magas.ru/content/zhiznennyi-put-vasan-gireya-dzhabagieva (Zugriffsdatum: 21.02.2021). 83 Wassan-Ghirey Djabagui: La Politique des Puissances Européennes en Proche Orient, in: L’Est Européen 4–5 (1926), S. 188–202. 77
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ausnutzen.84 Džabagi zufolge war die sowjetisch-türkische Zusammenarbeit weder stabil noch frei von internen Widersprüchen, die früher oder später Ankara und Moskau trennen würden. „Der erste Konflikt zwischen Russland und der Türkei könnte gerade wegen des Kaukasus entstehen, denn die muslimischen Völker, vor allem die Turkstämmigen, hören nicht auf, auf ihre Unabhängigkeit zu pochen und erwarten, dass die Türkei sie in ihrem Kampf gegen das fremde Joch unterstützt und ihnen hilft.“85 Neben einer deutlich protürkischen Darstellung der Entwicklungen im Nahen Osten während und nach dem Ersten Weltkrieg, die sich z. B. in der Verurteilung des Abkommens von Sèvres äußerte, war der Artikel des nordkaukasischen Emigranten eine Einladung an die Türkei, sich der prometheistischen Front anzuschließen. Die Zeitschrift „L’Est Européen“ erschien bis zur Jahreswende 1926/27 und wurde vermutlich durch die Ende 1926 in Paris gegründete und international besetzte Zeitschrift „Prométhée“ abgelöst. 3.3
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Das Jahr 1921 war voll an bedeutenden Ereignissen, welche die Annäherung der frühprometheistischen Netzwerke prägten. Polen gelang es, die Rote Armee bei Warschau erfolgreich zu schlagen und somit die eigene Souveränität aufrechtzuerhalten. Dies führte zwar zur Steigerung des Selbstbewusstseins, minimierte jedoch keineswegs die Ängste in der polnischen Gesellschaft, die eine weitere Expansion des Kommunismus und einen erneuten Invasionsversuch von Seiten Moskaus befürchtete. Außerdem wurde im Februar 1921 die Republik Georgien, der letzte von den Bolschewiki unabhängige Staat im Kaukasus, von der Roten Armee eingenommen. Diese Entwicklungen beschleunigten das Zustandekommen einer ‚osteuropäischen‘ Koalition gegen Moskau. Mit diesem Prozess ging in Polen selbst eine zunehmende Auseinandersetzung mit den nichtrussischen Gebieten des ehemaligen Zarenreiches bzw. der UdSSR einher. So druckte ein angesehener Warschauer Verlag (u. a. von der Zeitschrift „Przegląd Dyplomatyczny“) im selben Jahr die Denkschrift des bekannten polnischen Publizisten Ludwik Kulczyckis86 „Odrodzenie Gruzji“ [Wiedergeburt Georgiens]. Die polnische Leserschaft wurde in die Geschichte Georgiens eingeführt. Das Narra-
Ebenda, S. 195. Ebenda, S. 202. Ludwik Kulczycki (1866–1941) war polnischer Historiker und Intellektueller. Er studierte in Genf und beteiligte sich nach der Rückkehr in das russische Teilungsgebiet an der polnischen Nationalbewegung. Mehrfach verhaftet wurde er nach Sibirien verbannt. Nach der Flucht aus Sibirien ließ er sich in Lemberg nieder. Seine mehrbändige „Geschichte der russischen Revolution“ erschien 1911–1914 in der deutschen Übersetzung. Vgl. Ludwik Kulczycki: Geschichte der russischen Revolution, Gotha 1911–1914. Im unabhängigen Polen war Kulczycki als Ministerialbeamter tätig und unterrichtete an mehreren Hochschulen in Warschau.
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tiv endet jedoch mit der Darstellung der Ereignisse im Frühjahr 1921, d. h. mit der sowjetischen Eroberung der Republik, deren „Regierung, Staatsmänner und Botschafter Georgien verließen und sich nach Süd- und Westeuropa begaben.“87 Mit der intellektuellen Aneignung des Ostens und der intensiven publizistischen Auseinandersetzung mit dem osteuropäischen Raum, wie z. B. in „Przymierze“ oder im Zuge der Veranstaltungen des ZZNO, gingen politische Schritte einher. Polen unterzeichnete den Frieden von Riga mit Sowjet-Russland am 18. März 1921 und war sogleich bemüht, ein Netzwerk an Handelsvertretungen, Konsulaten und Missionen auf dem sowjetischen Territorium aufzubauen. Dabei verfolgte Warschau zwei Ziele. Einerseits befanden sich Hunderttausende Polen jenseits der polnischen Grenzen und die polnischen diplomatischen Vertretungen sollten ihre Repatriation organisieren. Andererseits brauchte Warschau wortwörtlich eine Infrastruktur für nachrichtendienstliche Aktivitäten, die angesichts des immer strenger werdenden Grenzregimes in Russland nur unter der Tarnung einer diplomatischen Vertretung möglich erschien. Bis 1918 verfügten die Polen über halboffizielle „polnische Konsulatsstationen“ in Kiew, Odessa, Wladiwostok und Charkow. Im noch unabhängigen Kaukasus zwischen 1918 und 1921 unterhielt Polen eine Botschaft in Tiflis und war bemüht, auch eine Botschaft in Baku zu eröffnen. Die Sowjetisierung Aserbaidschans im April 1920 setzte diesen Plänen jedoch ein Ende. Infolge der Sowjetisierung Georgiens im Februar 1921 musste die polnische Vertretung auch hier vorübergehend geschlossen werden. Anfang der 1920er Jahre pochte Warschau darauf, im sowjetisch gewordenen Tiflis mit einem Konsulat vertreten zu sein. Diese Priorität spiegelte die strategische Bedeutung der georgischen Hauptstadt wider mit einer vergleichsweise hohen Anzahl georgischer Offiziere in der polnischen Armee wie auch an den polnischen Militärschulen88. Darüber hinaus war auch die politische Bedeutung der georgischen Exilregierung in Frankreich ausschlaggebend, das Polens engster militärischer Verbündeter war und die georgische Regierung de facto und de jure anerkannt hatte. Die sowjetische Seite stimmte dem polnischen Wunsch unter der Bedingung zu, in der Freien Stadt Danzig eine eigene Vertretung eröffnen zu können. Noch im Sommer 1923 schlug der polnische Geheimdienst, die Abteilung II (Oddział II) des Generalstabes dem Außenministerium vor, an jedes der Konsulate mindestens einen Nachrichtendienstler abzuordnen. Zunächst musste allerdings die Zustimmung Moskaus für die Eröffnung aller Konsulate eingeholt werden. Die sowjetisch-polnischen Verhandlungen dauerten bis 1926, bis die Vereinbarung schließlich unterschrieben wurde und Polen eine Botschaft in Moskau und Konsulate in Leningrad, in der Ukrainischen SSR in Kiew und Charkow, ausserdem in der Haupstadt von Belarus, in Minsk und im sowjet-georgischen Ludwik Kulczycki: Odrodzenie Gruzji, Warschau 1921, S. 22. Im Dezember 1921 nahmen 24 Georgier ihr Studium an der Kadettenschule in Warschau auf. R. Karabin: Gruzińscy podchorążowie i oficerowie kontraktowi w Wojsku Polskim 1921–1939, in: Pro Georgia 4 (1994), S. 23–27.
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Tiflis eröffnen konnte.89 „In den 1920er Jahren waren die Geheimdienstler des Oddział II an den Konsulaten in Charkow, Kiew, Moskau, Minsk und Tiflis tätig“, schreibt der polnische Historiker Wojciech Skóra. „Die Agenten wurden auch an den Konsulaten in den Nachbarländern der UdSSR wie China, der Türkei, Rumänien und den baltischen Ländern untergebracht.“90 Diese Entwicklungen führten zusammen mit der primären Institutionalisierung der akademischen und publizistischen Auseinandersetzung mit dem Osten zur Entstehung einer wichtigen Infrastruktur für die mehrschichtige Befassung mit und Aneignung des Ostens. Wie oben erwähnt waren die transkaukasischen Republiken spätestens ab Ende Februar 1921 sowjetisch regiert: Die meisten Vertreter der aserbaidschanischen, armenischen und georgischen Regierungen waren im Exil entweder in Istanbul, auf dem Balkan oder in Paris. Trotz der immensen Meinungsunterschiede bezüglich der außenpolitischen Orientierung und einer zum Teil diametral entgegengesetzten Wahrnehmung Russlands, wurden aktive Kontakte untereinander aufgebaut: Drei Monate nach der Sowjetisierung Georgiens, am 10. Juni 1921, unterzeichneten die kaukasischen Emigranten Avetis Aharonjan91, Akaki Čchenkeli92, Ali Mardan Topčibaši und Tapa Čermoev – offiziell stellvertretend für die Armenier, Georgier, Aserbaidschaner und Nordkaukasier – ein Memorandum der Verständigung: Die Deklaration der diplomatischen Vertreter der kaukasischen Republiken in Frankreich über die Gründung einer Union der Kaukasischen Staaten.93 Es folgten schnell weitere Schritte. Im April 1922 entstand das Georgische Nationale Zentrum unter der Führung Noj Žordanias in Paris. Ein Jahr später, im Herbst 1923, entstand in Prag die „Sojuz Gorcev Kavkaza“
Mehr zur polnischen Konsulatspolitik in der Zwischenkriegszeit bei Wojciech Skóra: Działalność polskiej służby konsularnej na terenach Rosji, Ukrainy i ZSRR w dwudziestoleciu międzywojennym (1918– 1939), in: Zbirnyk naukovych prac’ 1 (2008), S. 199–213, zitiert nach: http://dspace.tnpu.edu.ua/bitstre am/123456789/1317/1/Skora.pdf (Zugriffsdatum: 27.01.2014). 90 Ebenda, S. 210. 91 Avetis (Avédis) Aharonjan (1866, İğdır – 1948, Marseille) war ein armenischer Politiker, Schriftsteller und Aktivist der Nationalbewegung. Geboren in İğdır besuchte er die Mittelschule in Etschmiadzin. Danach folgte das Studium in Lausanne und an der Sorbonne sowie die Lehraktivität in Tiflis. Während der Unabhängigkeit Armeniens hatte Aharonjan mehrere hohe Posten inne: z. B. 1919–20 war er Parlamentspräsident. Ab 1920 lebte er im Exil in Paris. 92 Akaki Čchenkeli (1874, Dorf Okumi, Abchasien – 1959, Paris) war ein georgischer Sozialdemokrat. Sein Literatur- und Jurastudium absolvierte er in Kiew, Berlin und London. 1912–1917 war er Abgeordneter der 4. Duma. Ab 1918 hatte er mehrere hohe Posten in der Republik Georgien inne, ab 1920 war er der Leiter der georgischen Vertretung in Europa. Seit 1921 befand sich Čchenkeli im Pariser Exil. Von 1926 bis 1939 gab er die georgische Exilzeitschrift „La Géorgie Indépendante“ heraus. Vgl. Mamoulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens, S. 351. Er bediente sich des Pseudonyms Turkija (Mädchennachname seiner Frau). 93 Deklaracija diplomatičeskich predstavitelej respublik Kavkaza vo Francii o sozdanii Sojuza kavkazskich gosudarstv, in: Kavkazskaja Konfederacija v oficial’nych deklaracijach, tajnoj perepiske i sekretnych dokumentach dviženija „Prometej“. Sbornik dokumentov, hg. von Mamulija, Moskau 2012, S. 41–44. 89
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[Union der kaukasischen Bergler].94 Am 23.95 oder 27. September 1924 kam es dann zur weiterführenden Unterzeichnung der „Deklaration der diplomatischen Vertreter der kaukasischen Republiken in Frankreich über die Gründung des Vereinigten Kaukasischen Staates“. Von der nordkaukasischen, georgischen und aserbaidschanischen Seite wurde das Dokument in Paris von denselben Emigrés unterzeichnet wie auch die Deklaration vom 10. Juni 1921. Die armenische Seite wurde diesmal von Aleksandr Chatisjan96 vertreten.97 Die armenischen Exilanten gingen jedoch bald auf Distanz zu den anderen Vertretern, den Georgiern, Nordkaukasiern und Aserbaidschanern. Der Grund dafür waren Differenzen, die sich aus der schwach ausgeprägten russlandkritischen Haltung der Armenier einerseits und den ausgeprägten antirussischen Ressentiments der georgischen, aserbaidschanischen und nordkaukasischen Emigranten andererseits ergaben. Ein weiterer Grund war die ablehnende Einstellung der armenischen Exilanten in der Frage der Zusammenarbeit mit der Türkei. Daher wurden die im Oktober und November 1924 stattfindenden sechs Sitzungen der Exildiplomaten in Paris bereits ohne armenische Delegaten durchgeführt: „Die Vertreter der drei Republiken stellen einstimmig die Einheit und Gemeinsamkeit der politischen und ökonomischen Interessen Aserbaidschans, des Nordkaukasus und Georgiens fest…“,98 hieß es im Sitzungsprotokoll. Beteiligt an diesen Sitzungen waren hier wieder die führenden Vertreter der drei kaukasischen Emigré-Gemeinschaften wie z. B. Ali M. Topčibaši, Akaki Čchenkeli, Noj Ramišvili99, Gejdar Bammat und Džejchun Gadžibejli100. Neben Paris war Istanbul ein bedeutender Ort der kaukasischen, tatarischen und nicht zuletzt auch der russischen Emigration und wurde in den frühen 1920er Jahren auch zu einem der bedeutendsten Orte der prometheistischen Aktivitäten: Zum Einen lag dies daran, dass die Stadt eine strategische Bedeutung hatte und relativ nahe am so-
Cem Kumuk: Neredesin Prometheus? Kafkasya aydınlık günlerini arıyor, Istanbul 2004, S. 183. Auf das Datum 23. September wies der exilgeorgische Intellektuelle Data Vačnadze in seinem Aufsatz von 1952 hin. Vgl. D. Vačnadze: K istorii kavkazskogo obʼedinitelʼnogo dviženija za rubežom (po materialam i dokumentam 1921–1952 g. g.), in: Obʼedinennyj Kavkaz (Vereinigtes Kaukasien) 3–4/20–21 (März– April 1953), S. 11. 96 Aleksandr Chatisjan (1874, Tiflis – 1945, Paris) war Absolvent der Moskauer und Charkower Universitäten und beteiligt an der Staatsführung Armeniens 1918–1920. Chatisjan war Mitglied der Partei der Daschnaken. Seit 1920 befand er sich im französischen Exil. 97 Kavkazskaja Konfederacija v oficial’nych deklaracijach, tajnoj perepiske i sekretnych dokumentach dviženija „Prometej“, hg. von Mamulija, S. 45–46. 98 Ebenda. 99 Noj Ramišvili (1881, Kutaisi – 1930, Paris) war seit 1902 aktiv in der russischen Sozialdemokratie. Studiert hatte er in Tartu sowie 1908–1909 in Leipzig. Ramišvili hatte mehrere wichtige Ämter in der georgischen Regierung von 1918 bis 1921 inne. Seit 1921 war er im französischen Exil. 1930 wurde er in Paris vom sowjetischen Geheimdienst ermordet. 100 Džejchun Gadžibejli (1891, Schuscha – 1962, Paris) war ein aserbaidschanischer Emigrant. Sein Studium absolvierte er in Baku, St. Petersburg und Paris. Seit 1920 war er im französischen Exil. Er schrieb nicht nur für die prometheistischen Medien, sondern auch für die europäischen Fachzeitschriften wie „La Revue du Monde Musulman“, „La Revue des Deux Mondes“ und „The Asiatic Review“. 94 95
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wjetischen Kaukasus und der Sowjetukraine lag; zum anderen war es darin begründet, dass die polnischen Nachrichtendienstler Roman Knoll und Tadeusz Schaetzel, die zu den engsten Vertrauten Piłsudskis gehörten und überzeugte Antikommunisten waren, gerade als Diplomaten in der kemalistischen Türkei tätig waren. Schaetzel war bereits 1922 nach Lausanne zur für die Türkei entscheidenden Konferenz als Beobachter entsandt worden.101 Im Herbst 1921 nahm der polnische Militärattaché Leon Bobicki102 Kontakt zu den sich in Istanbul aufhaltenden georgischen Emigranten auf. Seine Ansprechpartner waren der Vertreter der georgischen Exilregierung in der Türkei, Konstantin Gvardžaladze103 und der Stabchef der georgischen Armee, Alexander Zachariadze104. Konstantin Gvardžaladze schickte am 26. Juni 1922 ein Aide-Mémoire zu den polnisch-georgischen Beziehungen an Bobicki, in dem es hieß: … une étroite alliance devra être conclue entre les états issus de l’ancienne Russie et les Ètats pour lesquels la Russie a été une menace permanente. Tels sont la Finlande, Les Pays Baltes, la Pologne, la Roumanie, La Turquie et les Républiques du Caucase.105
Einigen Quellen nach stand Bobicki auch mit dem nach Paris emigrierten, ehemaligen georgischen Innenminister Noj Ramišvili seit 1923 im Kontakt.106 Die Georgier
101 Als Folge der aufmerksamen Beobachtungen im Rahmen der für die Nachkriegsordnung der kemalistischen Türkei entscheidenden Konferenz in Lausanne (1922–23) entstand der Bericht Schaetzels an die Leitung des polnischen Generalstabs. Schaetzel hob die Bedeutung der Türkei für die polnische Russlandstrategie hervor und wies auf die langfristig unüberwindbaren Probleme in den sowjetisch-türkischen Beziehungen hin. Es ist zu vermuten, dass er sich mit einer Reihe Aktivisten aus der Krim, Turkestan und dem Kaukasus, die auch an der Konferenz teilnahmen, traf und austauschte, und dies in den Bericht hat einfliessen lassen. Vgl. Turcja w koncepcjach polskiego Sztabu Generalnego w okresie Konferencji Lozańskiej (1922–1923). Nieznane memorandum Tadeusza Schaetzela, hg. von Joanna Gierowska-Kałłaur und Marek Kornat, in: Studia z Dziejów Rosji i Europy Środkowo-Wschodniej 2 (XLIX), S. 23–49. 102 Über den Militärangehörigen Leon Bobicki (1887–?) ist wenig bekannt. Während der polnischen Okkupation der Stadt Wilna, für die der Mitstreiter Piłsudskis, General Żeligowski verantwortlich war, gehörte Bobicki zur polnischen Verwaltungsbehörde in den besetzten Gebieten, „Tymczasowa Komisja Rządząca“. Vgl. Meldunki gen. Żeligowskiego i pułk. Bobickiego, in: Przymierze (17.10.1920), S. 13. 103 Konstantin Gvardžaladze (1883/4, Lančchuti – 1969, Paris) war ein exilgeorgischer Politiker. Vor der russischen Revolution studierte er Medizin in Genf. 1918–21 war er stellvertretender Aussenminister Georgiens. In den früheren 1920er Jahren war er Vertreter Georgiens in Istanbul und begab sich später nach Frankreich. Zwischen 1929 und 1940 vertrat er die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Georgiens in der Exekutive der Sozialistischen Arbeiterinternationale. 104 Alexander Zachariadze (Zakariadze) (1884, Gouvernment Kutaissi – 1957, Paris) war ein exilgeorgischer Politiker und Militärangehöriger. Er genoss seine militärische Ausbildung in Tiflis und St. Petersburg. Zachariadze kämpfte im russisch-japanischen Krieg 1904–1905 sowie im Ersten Weltkrieg. Nach der Sowjetisierung Georgiens setzte er sich nach Istanbul ab und wanderte 1922 nach Polen aus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wanderte er nach Paris aus. 105 Mamoulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens entre URSS et puissances occidentales, S. 58. 106 Strana ognej v bor’be za svobodu i nezavisimost’. Političeskaja istorija azerbajdžanskoj ėmigracii 1920– 1945 gg., hg. von Georgij Mamulia, Ramiz Abutalybov, Paris, Baku 2014, S. 237.
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suchten nach Finanzquellen und Unterstützung für einen eventuellen antibolschewistischen Aufstand im sowjetisch-regierten Georgien, während Bobicki seine Kontakte als Quelle der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung über die binnenkaukasischen Angelegenheiten ausnutzte. Eine weitere Seite waren die georgischen Offiziere, die sich nun als Exilanten in Istanbul aufhielten. Nachdem 24 Georgier bereits Ende 1921 ihr Studium an der Kadettenschule in Warschau aufgenommen hatten, schickte Bobicki am 4. März 1922 eine Liste mit weiteren 51 Offizieren an die Zentrale des polnischen Außenministeriums.107 Während Bobicki die Kontakte zu den kaukasischen Politemigranten in Istanbul suchte, entfaltete Roman Knoll eine aktive ‚Nahostdiplomatie‘ in Moskau, wo er vor seiner Entsendung in die Türkei kurzzeitig tätig war. Hier in der sowjetischen Hauptstadt knüpfte er seit Beginn 1923 Kontakte zu türkischen und persischen Diplomaten. Dies, wie auch die bereits erwähnten Aktivitäten Schaetzels während der Konferenz in Lausanne, blieb nicht unregistriert in den sowjetischen Nachrichtendienstlerkreisen. Der sowjetischen Interpretation zufolge stand Frankreich hinter dieser polnischen Offensive und der aktiven Kontaktaufnahme im Nahen Osten. Im Bericht des sowjetischen militärischen Abschirmdienstes der RKKA vom 20. Februar 1923 hieß es: Auf der Grundlage der französischen Direktiven unterrichtete das Außenministerium Polens seinen Botschafter Herrn Knoll in Moskau darüber, dass er sich um Annäherung zu der türkischen Vertretung und generell zu den Vertretern des Nahen Ostens bemühen sollte. Um dies zu erfüllen, veranstaltete Knoll ein Abendessen und lud alle zu sich ein. Ein Ministerialberater, ein gewisser Smogoževskij, der 1914–1918 in der türkischen Gefangenschaft verbrachte und gut Türkisch konnte, wurde extra zur Hilfe nach Moskau entsandt …108
Mit Sicherheit orientierte sich Polen in seiner Außenpolitik in den 1920er Jahren sehr stark an Frankreich. Es ist jedoch zweifelhaft, ob Knoll und Schaetzel ihre Kaukasusund Nahostvision ausschließlich durch französische Direktiven entwickelten. Polen und seine Vertretungen im Ausland entwickelten sich zu wichtigen Anziehungspunkten für kaukasische, tatarische und ukrainische, wie auch für einige russische Exilanten,109 die sowjetkritisch eingestellt waren und ihre politischen Aktivitäten fortsetzen
107 II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, S. 69–77. Mamulia und Abutalybov zufolge hat Polen 1922 insgesamt 42 georgische Offiziere und 48 an den polnischen Militärschulen ausgebildete bzw. weitergebildete Kadetten aufgenommen. Vgl. Strana ognej v bor’be za svobodu i nezavisimost’, hg. von Mamulia, Abutalybov, S. 237. 108 Glazami razvedki. SSSR i Evropa 1919–1938 gody, hg. von Uhl, Chaustov und Zacharov, S. 96–97. 109 In ihren Kontakten zu den Politemigranten aus dem Osten ging es der polnischen Seite in der Tat vor allem um die so genannten ‚prometheistischen‘ Völker. Die polnische Politik in Bezug auf die russische Emigration scheiterte aus mehreren Gründen. Einerseits ging ein Großteil der exilrussischen Gemeinschaft von der Prämisse des ‚unteilbaren‘ Russlands aus. Zweitens wurde die exilrussische antisowjetische Aktivität auf dem polnischen Staatsgebiet durch den polnisch-sowjetischen Friedensvertrag von 1921 untersagt
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wollten. Wichtig ist aber auch, dass die sowjetische Seite zu diesem Zeitpunkt bereits über ausreichende Kapazitäten verfügte, um die außenpolitischen Schritte Warschaus zu entschlüsseln. Bereits der polnisch-sowjetische Krieg 1919–1921 drehte sich insbesondere um die ukrainischen Länder, denen sowohl Moskau wie auch Warschau eine hohe strategische Bedeutung beimaßen. Das Rigaer Abkommen beendete zwar den Krieg, führte jedoch kaum zur Annäherung zwischen Moskau und Warschau. Polen baute eine diplomatische und nachrichtendienstliche Infrastruktur in der sowjetischen Ukraine und im Kaukasus auf, und nahm Kontakt zu den Politemigranten aus diesen Regionen in Paris und in Istanbul auf, die ihrerseits aktive Politik betrieben. Moskau war jedoch Warschau immer einen Schritt voraus und war über das wachsende Engagement Polens in der Ukraine, im Kaukasus sowie in der Türkei informiert.
und Savinkov mit seinen Mitstreitern mussten Polen verlassen. Polen blieb dabei weiterhin interessant für viele politisch nicht engagierte Emigranten aus dem ehemaligen Zarenreich. Am 27. Oktober 1924 erhielt beispielsweise Stanisław Korwin-Pawlowski einen längeren Brief von A. Murzaev und A. Drobašev von „La Societé de Secours Mutuel des Etudiants Emigrés Russes à Constantinople“. Diese befand sich im Viertel Galata (Moum-Hané, Panteleymon-Han 29). Die beiden in Istanbul ansässigen russischen Emigranten baten um die Immatrikulation und Bewilligung der Einreise nach Polen von 37 EmigrantInnen, die ihr Hochschulstudium an den russländischen Universitäten abbrechen mussten und sich derzeit im Exil in der Türkei befanden. Während davon ethnische RussInnen orthodoxer Konfession die Mehrheit waren, gab es fünf Tataren und einen Armenier, die ebenfalls von der oben genannten Organisation betreut wurden. Es bleibt unklar, ob Korwin-Pawlowski dem Gesuch der weißrussischen Emigration eine positive Antwort erteilte. Keine von den in der Liste erwähnten Personen tauchte in den Unterlagen zu den prometheistischen Netzwerken auf. Vgl. Archiwum Polskiej Akademii Nauk, Fond Jana Reychmana, Dokument 172.
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Das aus dem Ersten Weltkrieg als Verlierer hervorgegangene Osmanische Reich stellte um 1920 ein Schlachtfeld zwischen europäischen Besatzungstruppen und der sich in Anatolien formierenden Nationalbewegung um Mustafa Kemal dar. Die Kemalisten kooperierten aktiv mit Sowjet-Russland und es gelang ihnen, nicht zuletzt dank sowjetischer Ausrüstung, Istanbul zurückzuerobern und Ende des Jahres 1923 die Republik Türkei auszurufen. Trotz der kemalistisch-sowjetischen Zusammenarbeit konnte der neuen Elite der Türkei keine Neigung zum Kommunismus vorgeworfen werden: Die Kemalisten gingen rigoros gegen die türkischen Kommunisten vor. Die Türkische Kommunistische Partei (TKP) war am 20. September 1920 im sowjetischen Baku gegründet worden. Im Dezember 1920 reiste die Parteiführung in Begleitung sowjetischer Diplomaten in die Türkei ein. Mustafa Subhi und weitere hochrangige TKP-Mitglieder führten Gespräche in Kars, Erzurum und Trabzon und planten eine Reise nach Ankara, um sich mit Mustafa Kemal zu treffen. Während der Schiffsfahrt im Schwarzen Meer noch nahe Trabzon wurde die gesamte Mannschaft am 28. Januar 1921 unter ungeklärten Umständen umgebracht. Obwohl klar war, dass es sich um einen politischen Mord handelte, setzte Moskau seine Zusammenarbeit mit den Kemalisten fort.1 Wie schon an einigen Lebensläufen zuvor geschildert zog Istanbul sowohl in der spätosmanischen Zeit wie auch nach der Ausrufung der Republik turkophone Antikommunisten an. Noch Ende 1922 wanderte der ehemalige Staatschef der 1920 sowjetisch-besetzten Republik Aserbaidschan, Mammed Emin Rasulzade, aus der Sowjetunion über Finnland und Frankreich nach Istanbul aus. Für den aserbaidschanischen Politiker war Istanbul nicht fremd. Verfolgt von der russischen Geheimpolizei hatte er im persischen Tabriz und vor allem in Istanbul seine Exiljahre verbracht bis er 1913
Mehr dazu Bülent Gökay: The Turkish Communist Party: The Fate of the Founders, in: Middle Eastern Studies 29/2 (Apr. 1993), S. 220–235; Ders.: Why revolutionary Russia backed Turkish nationalists over communists, in: The Conversation (28.11.2017), in: theconversation.com/why-revolutionary-Russia-ba cked-turkish-nationalists-over-communists-87151 (Zugriffsdatum: 10.12.2018); Vahram Ter-Matevosyan: Kemalism and Communism: From Cooperation to Complication, in: Turkish Studies 16/4 (2015), S. 510– 526, DOI: 10.1080/14683849.2015.1081071.
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Istanbul als prometheistischer Vorposten
infolge der Romanov-Amnestie in das russische Baku zurückkehren durfte. Durch seine Beteiligung an mehreren Muslimkongressen im Zarenreich kannte er zudem viele tatarische und zentralasiatische Intellektuelle, die sich nun ebenfalls in den frühen 1920er Jahren in Istanbul niederließen. Rasulzade gab in Istanbul mehrere Broschüren zur Lage in Russland sowie zu Aserbaidschan heraus. Dass er bereits im Istanbul der frühen 1920er Jahre bestens vernetzt war, kann man der Tatsache entnehmen, dass einer der führenden Turanismus-Ideologen, Ali Bey Hüseyinzade, Rasulzade bei der Herausgabe der Broschüre „Azerbaycan Cumhuriyeti. Keyfiyet-i Teşekkülü ve Şimdiki Vaziyeti“ [Die Republik Aserbaidschan. Die Entstehung und der jetzige Stand]2 tatkräftig unterstützte. Hüseyinzade verhalf der Bekanntmachung des Buches von Rasulzade, indem er das Vorwort schrieb und in ihm die Bedeutung Aserbaidschans für die türkische Öffentlichkeit betonte. Die Argumentation Rasulzades in seiner Einleitung war nicht weniger interessant. Rasulzade beschwerte sich wegen mangelnder Informationsquellen in der „islamischen Welt“ und der Unfähigkeit der „muslimischen Länder, sich über sich selbst zu informieren“: Er wies auf die Bedeutung der Presse hin und erklärte die nachhaltige Informationsbereitstellung für die türkische Öffentlichkeit über die Prozesse im sowjetisch-gewordenen Aserbaidschan zur bedeutendsten Aufgabe des aserbaidschanischen Verlags in Istanbul.3 Rasulzade traf in Istanbul bereits als ein erfahrener Politiker und Journalist ein, der mehrere Jahre lang in Tehran, Baku und nicht zuletzt in Istanbul selbst tätig gewesen war. Als Persisch-Dozent und Mitarbeiter des Volkskommissariats für Nationalitäten der RSFSR4 in Moskau hatte er um 1921, noch vor seiner Auswanderung, die Strategien der Moskauer Kommunisten beobachten können, die in den ersten Jahren nach der Machtergreifung edukative Einrichtungen gründeten, die sich mit Fragen der Politik und gesellschaftlicher Transformation in den einzelnen Weltregionen beschäftigten. Zu diesem Zweck hatten die Bolschewiki auch die vorhandenen wissenschaftlichen Institutionen, die noch zu Zarenzeiten gegründet worden waren, instrumentalisiert. Als aufmerksamer Beobachter der bolschewististischen Wissensinfrastruktur und der angesehenen russischen Orientalistik fühlte sich Rasulzade durch den desolaten Zustand der akademischen und populärwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Außenwelt in der Türkei herausgefordert. Er beschwerte sich gerade wegen der mangelnden Expertise in der Türkei, die aus seiner Sicht damals zum Vorposten des antikommunistischen Widerstandes werden sollte.
Das Buch erschien 1922 in Istanbul in osmanischer Schrift. 1990 wurde das Buch im modernen Türkisch neu herausgegeben. Vgl. Mehmet Emin Resulzade: Azerbaycan Cumhuriyeti Keyfiyet-i Teşekkülü ve Şimdiki Vaziyeti, Istanbul 1990. 3 Vgl. Mehmet Emin Rasulzade: Azerbaycan Cumhuriyeti, Istanbul 1339–1341 (1922), S. 5. 4 Literaturnoe zarubež’e Rossii: ėnciklopedičeskij spravočnik, hg. von Ju. V. Muchačev, Moskau 2006, S. 454. 2
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Beinahe gleichzeitig mit Rasulzade reiste auch der krimtatarische Aktivist Cafer Seydahmet nach Istanbul. Sie kannten sich von früher und für beide war Istanbul ein bekanntes Terrain. Seydahmet nahm Kontakt mit Bobicki auf, der bereits von der Zentrale in Warschau über seinen Besuch unterrichtet worden war und stellte Bobicki seinem aserbaidschanischen Gefährten vor. Im März 1923 trafen sich alle drei: Seydahmet und Rasulzade baten – ähnlich wie Zachariadze zwei Jahre davor – die polnische Seite um Aufnahme der Exiloffiziere ins polnische Heer. Es handelte sich um 13 aserbaidschanische Offiziere und einen krimtatarischen Militärarzt.5 Am 8. Juli 1923 berichtete Bobicki nach Warschau, dass Rasulzade ihn erneut kontaktiert und den Vorschlag geäußert hatte, in den türkischen Medien antisowjetische Propaganda durchzuführen. Er bräuchte dafür Materialien der aktuellen antitürkischen Propaganda in der Sowjetunion sowie die von den türkischen und alliierten Behörden zensierten Tageszeitungen. Bobicki erhielt nicht nur eine konkrete Idee, sondern auch eine Liste der Tageszeitungen, die Rasulzade für sein Anliegen anfragte.6 Der Vorschlag Rasulzades, wie auch sein aktives Herantreten an Bobicki, ist interessant: Offensichtlich entwickelten sich die prometheistischen Netzwerke nicht nur auf die Initiative Polens hin, sondern waren auch eine Reaktion auf Initiativen von Vertretern der Emigranten der ‚prometheistischen Völker‘. Während Bobicki Rasulzade mit den sowjetischen Zeitungen beliefern sollte, nahm Rasulzade die antisowjetische Agitation im Rahmen seiner Zeitschrift in die eigene Hand. Dafür verfügte er über sprachliche, landesspezifische Kompetenzen, Kontakte in der Türkei sowie eine primäre Infrastruktur, wie die eigene Zeitschrift und Kontakte zur Druckerei. Das, was er sich nur mit polnischer Hilfe über die diplomatische Post beschaffen konnte, waren die in der Türkei kaum zugänglichen sowjetischen Medien. Deren Berichterstattung wollte er wiederum gegen die Sowjetunion einsetzen. So entstand eine Reihe kritischer sowjetologischer Zeitungsartikel in türkischer Sprache, die sich mit der Nationalitätenpolitik, Wirtschaft sowie der Nahoststrategie der UdSSR auseinandersetzte. Das Engagement Rasulzades mit polnischer Unterstützung hinsichtlich der benötigten Materialien führte letztlich zur Entstehung der Sowjetologie in der Türkei. 4.1
„Yeni Kafkasya“ (1923–1927)
Wie zuvor geschildert, gelang es Rasulzade 1922 mit Hilfe der tatarischen Emigranten, vor allem des sunnitischen Theologen Musa Carullah Bigiyev7, der sich in den 1930er
II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, S. 97. Ebenda, S. 105. Musa Carullah Bigiyev (1874, Rostow am Don – 1949, Kairo) war Kasan-tatarischer Kleriker und Theologe. Sozialisiert in Kasan besuchte Bigiyev Vorlesungen der prominenten muslimischen Theologen in Kairo und studierte dann Rechtswissenschaften an der Universität St. Petersburg. Anfang der 1920er Jahre
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„Yeni Kafkasya“ (1923–1927)
Jahren dem prometheistischen Netzwerk anschloss, von Leningrad nach Finnland überzusetzen.8 Von Helsinki, wo er einen weiteren Prometheisten, Abdullah Battal Taymas, traf, fuhr er nach Paris zum exilaserbaidschanischen Diplomaten Ali Mardan Topčibaši. In Paris traf er auch andere Politemigranten, u. a. den Turkestaner Mustafa Čokaev, den er zwei Jahre zuvor in Baku kennengelernt hatte.9 Sein Ziel aber war Istanbul, eine Stadt, in der er sich bestens auskannte und viele wichtige Kontakte, vor allem im nationalistisch-pantürkistischen Milieu hatte. Am Bosporus fand er sich schließlich im Sommer 1922 ein und nahm umgehend Kontakt zur türkischen nationalistischen Vereinskette „Türk Ocakları“ [Türkische Heime] auf, dessen Anführer Hamdullah Subhi10 Rasulzade von seinem früheren Istanbulaufenthalt gut kannte. Subhi sicherte ihm eine monatliche Rente des Vereins „Türk Ocakları“ zu. Am 27. Dezember 1922 schrieb Rasulzade an den in Paris tätigen aserbaidschanischen Exilanten Džejchun Gadžibejli: Einige Tage nach meiner Ankunft in Istanbul nahm ich Kontakt zu Rıfat Paşa11 auf. Er hat mich sehr warm und offenherzig empfangen. Ich konnte mit ihm über viele für uns wichtige Dinge sprechen. Wir werden hier eine Zeitung gründen können. Eine Organisation werden wir jedoch aus bekannten Gründen nicht gründen können12.
reagierte er auf das propagandistische Buch des Kommunismustheoretikers Bucharin „Das ABC des Kommunismus“ mit einem „ABC des Islams“. Nach mehrmaligen Verhaftungen und Verfolgungen wanderte er 1930 aus. 1949 starb er in Kairo. Mehr zu Bigiyev vgl. Azade-Ayşe Rorlich: Bigi, Musa Yarullah, in: The Oxford Encyclopedia of the Modern Islamic World, hg. von John L. Esposito, Bd. 1., Oxford 1995, S. 216–218; Mehmet Görmez: Musa Carullah Bigiyef, Ankara 1994. 8 Darauf wies der türkische Literaturhistoriker Yavuz Akpınar hin. Vgl. Mehmet Emin Resulzade Yeni Kafkasya Yazıları, hg. von Yavuz Akpınar u. a., Ankara 2017, S. 14. 9 M. E. Resulzade: Çokay oğlu merhum için, in: Dr. A. Oktay: Türkistan Millî hareketi ve Mustafa Çokay, Istanbul 1950, S. 51. 10 Hamdullah Subhi Tanrıöver (1885–1966) war ein türkischer Publizist, Diplomat und Politiker. Er stammte aus einer Familie der osmanischen Elite und genoss seine Bildung an den besten Schulen Istanbuls. Subhi sympathisierte mit den Theoretikern des Panturanismus wie Ziya Gökalp und schloss sich der turanischen Strömung noch vor dem Ersten Weltkrieg an. Er leitete die nationalistischen Vereine „Türk Ocakları“ bis zu ihrer Auflösung 1931. Ab 1931 war Subhi im diplomatischen Dienst in Bukarest bis zu seiner Pensionierung 1939 bzw. 1944. Mehr zu Subhi, vgl. Abdullah Uçman: Tanrıöver, Hamdullah Subhi, in: Türkiye Diyanet Vakfı İslam Ansiklopedisi, Bd. 39, Istanbul 2010, S. 574–575. 11 Höchstwahrscheinlich handelte es sich um den spätosmanischen Staatsmann und Diplomaten Mehmed Rıfat Paşa (1862–1925). 1908 wurde er osmanischer Botschafter in London und ein Jahr später bekleidete er das Amt des Osmanischen Außenministers. Später folgte die Ernennung an die Botschaft in Berlin. 12 Mehmet Emin Resulzade: Yeni Kafkasya Yazıları, hg. von Akpınar u. a., S. 20.
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Fast acht Monate danach war es soweit. Seit Ende August13, bzw. seit dem 26. September 192314, begann Rasulzade mit türkischer Unterstützung15 die Zeitschrift „Yeni Kafkasya“16 [Der Neue Kaukasus] herauszugeben, die dann bis 1927 alle zwei Wochen in einer Druckerei des Istanbuler Medienviertels Cağaloğlu erschien.17 Die georgische politische Emigration unterstützte die Zeitung in den ersten Monaten materiell sowie mit Beiträgen, da sie in der Türkei über keine eigenen türkischsprachigen Medien verfügte.18 Fälschlicherweise wird „Yeni Kafkasya“ oft in den allgemeinen Kontext der prometheistischen, und somit ausschließlich polnischerseits mitbegründeten Medien in der Sekundärliteratur inkludiert, obwohl das nur für den Zeitraum 1926–27 behauptet werden kann. Organisiert und ins Leben gerufen wurde die Zeitung von Rasulzade. Formal war es jedoch der aus Dagestan stammende muslimische Geistliche Seyyit Tahir (Effendi) El Hüsseyni, der als Besitzer und verantwortlicher Direktor der Zeitschrift galt.19 Der Grund dafür war vermutlich der Wunsch Rasulzades, 1923 – ein Jahr nach seiner Flucht aus Sowjetrussland –, nicht durch seine antisowjetische, publizistische Aktivität aufzufallen. Neben Rasulzade gehörte Mirza Bala Mehmetzade20 zu Ebenda, S. 23. Dem aserbaidschanischen Historiker A. Tahirli zufolge erschien „Yeni Kafkasya“ bereits im Herbst 1922. Siehe Artikel „Yeni Qafqasya“, Azərbaycan Xalq Cümhuriyyəti Ensiklopediyası, Bd. 2., hg. von Yaqub Mahmudov, Baku 2005, S. 437–8. Dem italienischen Orientalisten Ettore Rossi und dem US-amerikanischen Forscher Lowell Bezanis zufolge jedoch erschien die erste Ausgabe am 26. September 1923. Vgl. Etorre Rossi: Pubblicazioni di musulmani anti-bolscevichi dell’A zerbaigian caucasico, in: Oriente Moderno 6 (1924), S. 407. Lowell Bezanis: Soviet Muslim Emigres in the Republic of Turkey (May 1992), S. 82, in: www.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a251103.pdf (Zugriffsdatum: 24.10.2018). Diese Meinung wird auch vom türkischen Historiker Sebahattin Şimşir geteilt. Vgl. Sebahattin Şimşir: Azerbaycanlıların Türkiye’de siyasi ve kültürel faaliyetleri (1920–1991), Ankara 2000, S. 42. 15 Darüber berichtete Tadeusz Hołówko in seinem Geheimbericht nach Warschau vom 21. Juli 1926. Otčet sotrudnika Ministerstva inostrannych del Pol’ši T. Goluvko v MID Pol’ši o poezdke v Konstantinopol’ dlja aktivizacii dejatel’nosti organizacij kavkazskoj ėmigracii, in: Dokumenty i materialy po istorii sovetskopol’skich otnošenij. Bd. 5, Maj 1926 g. – dekabr’ 1932 g., hg. von A. Zatorskij u. a., Moskau 1967, S. 33. 16 Die Redaktion der Zeitung befand sich unter der Adresse Çarşıkapı, Kandili Sokak 5. Das ist dem Brief von Rasulzade an Topčibaši vom 17.11.1923 zu entnehmen. A. M. Topčibaši i M. Ė. Rasulzade: Perepiska. 1923–1926 gg., hg. von Salavat M. Ischakov, Moskau 2012, S. 19. Rasulzade zog später um (Yerebatan Sokağı № 6 Necmeddin Molla’nın konağı), die Redaktion und somit die offizielle Adresse blieb dieselbe. 17 Mehr dazu Adem Can: „Yeni Kafkasya“ mecmuası, in: Bilig 41 (2007), S. 109–122. 18 Darüber schrieb Rasulzade an Topčibaši in Paris am 20. April 1924. Er wies darauf hin, dass die Georgier mit allgemeinen Kürzungen der Finanzierung argumentierten sowie dass die Wohnung des georgischen Vertreters in Istanbul, Konstantin Gvardžaladze, im April 1924 ausgeraubt worden war. Vgl. N6 M.Ė. Rasulzadė-A. M.Topčibaši, vom 20. April 1924, in: A. M. Topčibaši i M.Ė. Rasulzade. Perepiska 1923–1926, hg. von Ischakov, S. 36. 19 Ahat Andican: Cedidizm’den Bağımsızlığa. Hariçte Türkistan Mücadelesi, Istanbul 2003, S. 292. 20 Mirza Bala Mehmetzade (Kutluk) (1898, Baku – 1959, Istanbul) war ein exilaserbaidschanischer Aktivist und Journalist. Nach Beendigung der Bakuer Technischen Hochschule schrieb er für mehrere Zeitungen, wie z. B. „Açık söz“ von Rasulzade in Baku. Nach der Sowjetisierung Aserbaidschans war er im politischen Untergrund tätig. Mitte der 1920er Jahre wurde er von den Bolschewiki verhaftet und nach der Freilassung wanderte er nach Iran und 1926 nach Istanbul aus. In Istanbul schrieb er für „Yeni Kafkasya“ und nahm sein Jura-Studium an der Universität Istanbul auf. Von 1932 bis 1939 weilte er in Warschau und trug mehrmals am dortigen Ostinstitut zur aserbaidschanischen Literatur, der Wirkung des Aufklärers Ismail Gasprinskis auf 13 14
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den aktivsten Autoren der Zeitung. „Yeni Kafkasya“ beschäftigte der Selbstdarstellung der Zeitung zufolge eigene Korrespondenten im sowjetisch-gewordenen Kaukasus wie auch in Persien. „Yeni Kafkasya“ polemisierte oft gegen Artikel der Moskauer Zeitung „Pravda“, mit deren Ausgaben das Redaktionsteam mit polnischer Hilfe beliefert wurde, berichtete besonders detailliert über die Ereignisse im Kaukasus, aber auch in Turkestan und in Persien. Der türkischen Pressehistorikerin Belkıs Ulusoy Nalcıoğlu zufolge veröffentlichten nur Rasulzade und Bala unter ihren Namen, weitere AutorInnen wie Mustafa Vekilli21, Kemal Ganizade, Mir Kasım Mehdiyev u. a. bedienten sich Pseudonymen,22 was vermutlich mit den Sicherheitsbedenken der Exilanten verbunden war. Interessant ist der Bezug zum mythologischen Prometheus, der gleich in der ersten Ausgabe zur Sprache kam: „Es war der Adler, der Prometheus Leiden antat. Ist es nicht derselbe Adler, der russische Imperialismus, der seit einem Jahrhundert die kaukasische Brust aufreißt und die Leber zerteilt?!“23 Für die Autoren der „Yeni Kafkasya“ war die direkte Kontinuität zwischen dem zaristischen Russland und dem „Russland von Hammer und Sichel“ eindeutig. Die Zeitung beschrieb sich als „nationalistisch, radikal und demokratisch“ sowie gleichzeitig „türkisch-nationalistisch“ (türkçü) und plädierte für die Idee der Kaukasischen Konföderation. So wie dies Rasulzade dem Pariser Emigré Topčibaši berichtete, unterhielt „Yeni Kafkasya“ enge Kontakte zu den georgischen Emigrés in Istanbul und vor allem nach Polen. Noch Ende 1923 berichtete „Yeni Kafkasya“ von der Gründung der „Polnisch-Asiatischen Gesellschaft“, sowie von ihrer Struktur und Zielsetzung. Dem unbekannten Autor zufolge brauche Polen Expertise für das Engagement in der islamischen Welt, um seinem Gegner Russland stärkeren Widerstand leisten zu können.24 Darüber, aber auch über die Verhaftungen im sowjetischen Kaukasus berichtete Rasulzade nach Paris und bat die in Europa ansässigen aserbaidschanischen Emigrés, aktiver für seine Zeitung zu schreiben.25
die islamische Welt usw. vor. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte er nach Istanbul zurück. Er verwendete Pseudonyme wie Nuhoğlu, A. Kut, M. M. Mehmetzade, Ali Kutluk, M. B. Daşdemir. 21 Mustafa Vekilli(oğlu) (1896, Gazach – 1965, Ankara) besuchte ein russisches Gymnasium in Baku und studierte Jura in Moskau. Während der Unabhängigkeitsperiode 1918–1920 war er Innenminister der Republik Aserbaidschan. Vekilli veröffentlichte in den prometheistischen Medien unter den Pseudonymen Ali Mansur, Mustet, Mustafa u. a. Mehr dazu bei Serpil Vekiloğlu: Mustafa Vekillioğlu 1896–1.XI.1965, in: Türk Kültürü 39 ( Januar 1966), S. 284–286. 22 Belkıs Ulusoy Nalcıoğlu: Azerbaycan Siyasi Muhaceretinin Istanbul’daki Basın Etkinliklerinin (1923– 1931) Kamuoyu Oluşturmadaki Rolü, Istanbul 2004, S. 65. 23 Ateş çalan Promete, zitiert nach: Sebahattin Şimşir: Azerbaycanlıların Türkiye’de siyasi ve kültürel faaliyetleri (1920–1991), Ankara 2000, S. 43. Der Text des Editorials ist abgedruckt in: Mehmet Emin Resulzade: Yeni Kafkasya Yazıları, hg. von Akpınar u. a., S. 41–45. 24 Lehistan-Asya Cemiyeti, zitiert nach: Yavuz Akpınar u. a. (Hg.): Yeni Kafkasya, Bd. 1: 1923–1924, Istanbul 2018, S. 75–76. 25 Rasulzade an Topčibaši, 7.12.1923, in: A. M. Topčibaši i M. Ė. Rasulzade: Perepiska. 1923–1926 gg., hg. von Ischakov, S. 20–21.
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„Yeni Kafkasya kämpft gegen den russischen Imperialismus und definiert den Bolschewismus ebenso wie den Zarismus als Feind der türkischen Welt und des Kaukasus,“26 hieß es in einer Ausgabe von 1926. Somit blieb die Zeitung ihrem Credo seit der Gründung 1923 treu. Der italienische Orientalist Ettore Rossi schrieb 1924 in seiner Analyse der Berichterstattung der Zeitung für den Zeitraum 1923–24: „Die Zeitschrift ist interessant, wenn auch viele Informationen nicht immer glaubwürdig, jedoch unverhohlen antibolschewistisch sind“27. Es gelang Rasulzade, eine Reihe prominenter türkischer Intellektueller und aserbaidschanischer sowie zentralasiatischer Emigrés, wie z. B. den ehemaligen Staatschef der Republik von Buchara, Osman Hoca28, in die Aktivitäten dieser Zeitschrift miteinzubeziehen.29 Größtenteils lag dies daran, dass die Aserbaidschaner und die aus dem Zarenreich bzw. der Sowjetunion in die Türkei eingewanderten turkophonen Emigranten, wie der Kasantatare Yusuf Akçura, der Krimtatare Cafer Seydahmet Kırımer, der Baschkire Zeki Velidi Togan, der Nordkaukasier Abdullah Battal-Taymas30 u. a., in den intellektuellen Kreisen Istanbuls und Ankaras eine bedeutende Stellung hatten und dort die Entwicklung des Turan-Gedankens mitgestalteten. Türkischerseits veröffentlichten in
Üçüncü yıl başında, in: Yeni Kafkasya mecmuası 1341 (1926), S. 1, zitiert nach Şimşir: Azerbaycanlıların Türkiye’de siyasi ve kültürel faaliyetleri (1920–1991), S. 45. 27 Etorre Rossi: Pubblicazioni di musulmani anti-bolscevichi dell’A zerbaigian caucasico, in: Oriente Moderno 6 (1924), S. 407. 28 Osman Hoca bzw. Kocaoğlu (1878, Osch – 1968, Istanbul) war der türkische Name von Osman Poladgodžaev (Polathocayev) bzw. Usman Chodžaev. Osman Kocaoğlu war der ehemalige Finanzminister der Interimsregierung von Buchara, in jenem kurzlebigen Staatsgebilde, das von den Bolschewiki anstelle des gestürzten Emirats von Buchara 1920 errichtet wurde. Er hielt sich bereits 1910 in Istanbul auf. Nach der Rückkehr nach Zentralasien eröffnete er eine Jaddidistenschule in Buchara. 1921 stieg er zum Staatschef der Republik Buchara auf, die allerdings bald an die Rotarmisten fiel. Er paktierte vergeblich mit dem Afghanenführer Amanullah Chan und den Briten gegen Sowjet-Russland. Osman Hoca floh in die Türkei. Im September 1923 wanderte er nach Istanbul ein und entfaltete antisowjetische publizistische Aktivitäten. 1939 musste er die Türkei in Richtung Polen verlassen. Nach dem Kriegsausbruch jedoch begab er sich ins iranische Exil und ihm wurde erst 1945 erlaubt, in die Türkei zurückzukommen. 1968 starb er in Istanbul und wurde auf dem usbekischen Friedhof beigesetzt. Mehr dazu bei, Döölötbek Saparaliyev, Ulanbek Aliyev: Kırgız-Türk kültürel ve siyasi ilişkilerinin tarihi (XIX yüzyılın sonu – XX. Yüzyılın başlanğıcı), in: https://turkishstudies.net/turkishstudies?mod=tammetin&makaleadi=&makaleurl=1515378910_saparali yevdoolotbek.pdf&key=13357 (Zugriffsdatum: 21.02.2021). 29 Dr. A. Oktay: Türkistan Millî hareketi ve Mustafa Çokay (Merhumun 60ıncı doğum yılı münasebetile), Istanbul 1950, S. 36. 30 Abdullah Battal-Taymas (1882, Samara – 1969, Istanbul) hielt sich 1904–1908 zu Studienzwecken in Kairo auf. Battal gab mehrere Zeitungen in Kasan während des Ersten Weltkrieges heraus und war politisch aktiv. Nach der Bolschewisierung der Region begab er sich ins europäische Exil. Zuerst nach Finnland, wo er drei Jahre blieb, Finnisch und Französisch lernte und Artikel unter dem Pseudonym Kazanlı (aus Kasan stammend, Z. G.) für die von Rasulzade herausgegebene Zeitung in Istanbul schrieb. 1925 siedelte er in die Türkei über, wo er als Übersetzer aus dem Russischen und als Historiker tätig war. Mehr zu Battal-Taymas, siehe Ilyas Miftakhov: XX. yüzyılda Kazan bölgesinde tarih yazıcılığı. Yüksek lisans tezi, Ankara 2011, zitiert nach: http://acikarsiv.ankara.edu.tr/browse/6196/ (Zugriffsdatum: 18.02.2013). 26
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„Yeni Kafkasya“ nationalistische Politiker wie Abdullah Cevdet31 und Falih Rıfkı32.33 Der pro forma nominierte Dagestaner Theologe Seyyit Tahir El Hüsseyni blieb bis 1925 der Redakteur der Zeitung. Der Grund dafür, warum el Hüsseyni sein Amt ablegen musste, war ein Gerichtsverfahren gegen ihn, weil dieser darauf verzichtet hatte, seinen Hut auf europäische Art zu tragen, und somit gegen die offizielle Kleiderordnung in der kemalistischen Türkei verstoßen hatte.34 Daher übernahm Rasulzade 1925 auch offiziell den Besitz und die Edition der Zeitung. Laut dem Istanbuler Historiker Ahat Andican blieb „Yeni Kafkasya“ bis zu ihrer Schließung am 29. September 1927 ein Forum sowohl für die turkestanischen Emigrés als auch für die krimtatarischen und aus dem Wolga-Gebiet stammenden tatarischen Intellektuellen, die selbst nicht über eigene Publikationsorgane verfügten.35 Lowell Bezanis zufolge: „In format and character, YK [Yeni Kafkasya, Z. G.] appears to have been the model for all subsequent Soviet Muslim émigré serials issued by groups connected to the Polish supported Prometheus movement.“36 4.2
Komitee Unabhängiger Kaukasus
Die publizistische Aktivität ging Hand in Hand mit der Institutionalisierung der prometheistischen Netzwerke an den Standorten Paris, Warschau und Istanbul. Im Jahre 1924 rief Rasulzade in Istanbul die aserbaidschanische Dachorganisation – Azerbaycan Millî Merkezi, AMM [Aserbaidschanisches Nationalzentrum]37 – ins Leben. Außer ihm gehörten dem AMM Abbas Kazımzȃde38, Mehmet Ali Resuloğlu39, Ali Mardan
Abdullah Cevdet (1869, Malatya – 1932, Istanbul) war ein bedeutender osmanischer, später türkischer Intellektueller kurdischer Abstammung. Absolvent der medizinischen Hochschule in Istanbul, ist Cevdet in die türkische Intellektuellengeschichte als Übersetzer von Gustave Le Bon und Shakespeare sowie als gemäßigter Islamkritiker eingegangen. 32 Falih Rıfkı Atay (1894, Istanbul – 1971, Istanbul) war einer der einflussreichsten türkischen Journalisten. Bereits während des Ersten Weltkrieges berichtete er aus Bukarest und anderen Städten des Balkans. In den 1930er Jahren erschienen seine Reiseberichte aus Rom und Tirana. Kennzeichend für Falih Rıfkı war die Wandlung von einem überzeugten Turanisten zum begeisterten Atatürk-Anhänger. In den 1950er Jahren erschienen mehrere Erinnerungsberichte und Abhandlungen von Falih Rıfkı über Mustafa Kemal Atatürk. 33 Vgl. Etorre Rossi: Pubblicazioni di musulmani anti-bolscevichi dell’A zerbaigian caucasico, in: Oriente Moderno 6 (1924), S. 407. 34 Vgl. Rasulzade an Topčibaši, 23.02.1926, in: A. M. Topčibaši i M. Ė. Rasulzade: Perepiska. 1923–1926 gg., hg. von Ischakov, S. 124. 35 Ahat Andican: Cedidizm’den Bağımsızlığa, Istanbul 2003, S. 294. 36 Lowell Bezanis: Soviet Muslim Emigres in the Republic of Turkey (May 1992), S. 82, in: www.dtic.mil/ dtic/tr/fulltext/u2/a251103.pdf (Zugriffsdatum: 24.10.2018). 37 Die Organisation wurde auch unter dem Namen Istiqlal Komitesi bekannt. 38 Abbas Kazımzȃde (1882, Baku – 1947, Ankara) war ein enger Mitstreiter von Rasulzade und einer der Mitbegründer der Müsavat-Partei. 39 Mehmet Ali Resuloğlu (1882, Baku – 1982, Istanbul) war ein Verwandter von Rasulzade. Er lebte im Exil in Deutschland, Polen und Rumänien. Nach der Rückkehr in die Türkei nach dem Zweiten Weltkrieg, war er als Beamter bei der regierenden CHP-Partei tätig. 31
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Topčibaši, Rüstembey Şefibeyli, Naki Şeyhzamanlı und andere an.40 Laut der offiziellen Zielsetzung kämpfte das AMM für die Wiederherstellung der Souveränität und Unabhängigkeit der am 28. Mai 1918 ausgerufenen und von der internationalen Gemeinschaft anerkannten, am 27. April 1920 von der Roten Armee eroberten Aserbaidschanischen Republik. [AMM, Z. G.] will mit allen Organisationen der sich in einer ähnlichen geopolitischen Lage befindenden, dasselbe Los teilenden und den gleichen Feind habenden kaukasischen benachbarten Nationen zusammenarbeiten. [AMM, Z. G.] intendiert einen gemeinsamen Kampf gemeinsam mit allen von Russland eroberten Völkern gegen den Kommunismus und den russischen Imperialismus. [AMM, Z. G.] bemüht sich um die Stärkung der Verbindungen zu den turkophonen Völkern, mit denen wir eine einheitliche Sprache und Kultur teilen. Das Nationale Zentrum als Regierung im Exil vertritt Aserbaidschan und kooperiert mit allen Gegnern des Kommunismus sowie mit den internationalen Organisationen.41
Im Oktober 1924 erfolgte die Gründung einer ethnienübergreifenden Organisation der kaukasischen Emigrés in Istanbul.42 Es handelte sich dabei um das „Komitee der kaukasischen Konföderalisten“, das mit Initiative des polnischen Diplomaten Roman Knoll von den aserbaidschanischen, georgischen und nordkaukasischen Exilanten ins Leben gerufen wurde. Von aserbaidschanischer Seite wurde das konstituierende Dokument von Chosrov Bek Sultanzade43, Abdul Ali Amirdžan44, Alikber A. Šejch-ul-Islamzade45, von nordkaukasischer Seite von Vassan Girej Džabagi46, Alichan Kantemir47 Rüstembey Şefibeyli und Naki Şeyhzamanlı befanden sich jedoch in den 1930er Jahren in Opposition zu Rasulzade und somit zu den Prometheisten. Sie argumentierten gegen diese Idee in ihren Schriften. 41 Şimşir: Azerbaycanlıların Türkiye’de siyasi ve kültürel faaliyetleri (1920–1991), S. 37. 42 Alex Marshall: The Caucasus Under Soviet Rule, London, New York 2010, S. 217 f. 43 Chosrov Bek Sultanzade (1879, Zangezur – 1943, Istanbul) studierte Medizin in Noworossijsk. Er war einer der Begründer der aserbaidschanischen Partei „İttihad“ (Union). In der Republik Aserbaidschan hatte Sultanzade (in manchen Quellen als Sultanov angegeben) das Amt des Militärministers, später des Ministers für Landwirtschaft inne. 1920 wanderte Sultanzade in die Türkei aus. Sultanzade gehörte nicht zu den prometheistischen Netzwerken, er befand sich in Opposition zur Gruppe um Rasulzade. Sultanzades Exilleben spielte sich nach den ersten Jahren in der Türkei, im Iran und anschließend in Deutschland ab. Er sympathisierte mit dem Nationalsozialismus, was auch seine Distanzierung vom Prometheismus erklärt. 44 Abdul Ali Amirdžan (1870, Schuscha – 1948, Istanbul) war ein exilaserbaidschanischer Politiker. Geboren in Schuscha wurde er am Lehrerseminar in Tiflis ausgebildet. In der Unabhängigkeitszeit 1918–1920 bekleidete er das Amt des Finanzministers. Seit April 1920 lebte er im Exil in der Türkei. 45 Alikber Ağa Šeych-ul-Islamzade (1891, Jerewan – 1961, Paris) studierte an der Universität St. Petersburg und gehörte der aserbaidschanischen sozialistischen Partei Hümmet an. Während der Unabhängigkeit 1918–20 war er Minister für Landwirtschaft und ab Januar 1919 Mitglied der diplomatischen Delegation Aserbaidschans bei der Friedenskonferenz in Paris. 46 Siehe Fußnote 82, Kapitel 3. 47 Alichan Kantemir (1886, Nordossetien – 1963, München) war Absolvent der Jura-Fakultät der St. Petersburger Universität. 1918–1920 war er Botschafter der Nordkaukasischen Republik in Baku. 1920 floh er nach Tiflis und 1921 von dort aus in die Türkei. Im polnischen Geheimdienst wurde er unter dem Kodenamen Osa geführt. Bis 1938 lebte er in der Türkei und ab 1938 in Deutschland. Mit den Prometheisten arbeitete er ausschließlich in der Frühphase zusammen. Die Wahl nach Deutschland auszuwandern, lag darin begrün40
Komitee Unabhängiger Kaukasus
und Ajtek Namitok48, und von georgischer Seite von Michail Cereteli49, Aleksandr Asatiani50 und David Vačnadze51 unterzeichnet. Vačnadze, Kantemir und Sultanzade, also paritätisch Personen aus allen drei Gruppen, wurden die leitenden Funktionen im Komitee übertragen. Zum Ziel der Arbeit dieses Komitees wurde die „Befreiung der kaukasischen Republiken vom russischen Joch durch gemeinsame Anstrengungen“52 erklärt. Der Moskauer Historiker Salavat Ischakov wies mit Recht auf den zentralen Fakt hin, dass das Komitee „durch die finanzielle Unterstützung des polnischen Botschafters in der Türkei Roman Knoll“53 begründet werden konnte. Die sowjetische Seite registrierte bereits im Vorfeld die Aktivitäten der polnischen Diplomatie und der Emigranten. Sie erkannte darin allerdings eine britische und französische Strategie. Im Bericht des Leiters der Abteilung Aufklärung der RKKA, Jan Karlovič Berzin, vom 19. April 1924 an Lev Trockij hieß es: Im Einklang mit den Informationen aus türkischen und anderen Quellen kann angenommen werden, dass die in der Türkei, Polen und Frankreich ansässigen Emigranten aus Georgien, Aserbaidschan, Armenien, Berglerrepublik – Georgier und Muslime -, die die
det, dass Kantemir mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er am Institut zur Erforschung der Sowjetunion in München. In München starb Kantemir 1963. 48 Siehe Fußnote 80, Kapitel 2. 49 Zu Michail Cereteli siehe Fußnote 50, Kapitel 2. 50 Aleksandr Asatiani (1889–1953) war Absolvent der Moskauer Handelsschule sowie der Jura-Fakultät der St. Petersburger Universität. Asatiani war aktiv in der Politik der Republik Georgien und wurde infolge der Sowjetisierung des Landes 1921 verhaftet. Ihm gelang jedoch 1922 die Flucht. Seit 1923 befand er sich im Exil in der Türkei, danach in Frankreich und Deutschland. Asatiani gehörte – wenn auch mit Unterbrechung –bis Ende der 1930er Jahre den Prometheisten an. Von 1929 bis 1939 gab Asatiani mit „Samšoblo“ [Heimatland] eine der wichtigsten georgischen Zeitungen in Paris heraus. 51 David Vačnadze (1884, Tiflis – 1962, München) erhielt eine militärische Ausbildung in Tiflis und an der Pavlovo Militärschule, 1904–5 diente er in Warschau. Er war aktiv an der Vorbereitung des antikommunistischen Aufstandes in Georgien beteiligt. Seit 1923 befand er sich im Exil. Ende der 1920er Jahre arbeitete er eng mit Deutschland zusammen. In den „Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer“ erschienen 1930–1 seine Beiträge unter dem Titel „Deutsche Blätter in der georgischen Geschichte“. Vgl. Deutsche Blätter in der georgischen Geschichte. Erinnerungen des ehemaligen Bevollmächtigten der georgischen Regierung bei der Kaiserlich Deutschen Delegation im Kaukasus 1918, Abgeordneten des georgischen Parlamentes Fürsten Data Vašnadze, in: Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer 9/10 (15. September 1930), S. 97f sowie Mitteilungen des Bundes der Asienkämpfer 1 (1. Januar 1931), S. 1–4. 1936 erschien in Paris seine Abhandlung zur Geschichte Georgiens. David (Data) Vačnadze: Gruzija meždu Severom i Jugom s drevnejšich vremen do našich dnej, Paris 1936. 52 Pis’mo Ob’edinennogo komiteta kavkazskich konfederatov Komitetu osvoboždenija Kavkaza, in: Kavkazskaja Konfederacija v oficial’nych deklaracijach, tajnoj perepiske i sekretnych dokumentach dviženija „Prometej“, hg. von Mamulija, S. 49. 53 Vgl. Fußnote 2, in: A. M. Topčibaši i M. Ė. Rasulzade. Perepiska 1923–1926, hg. von Ischakov, S. 103. Ischakov zitiert dabei die Monographie von Georges Mamulia, der diese Information dem Brief des georgischen Exilanten in Istanbul Semjon Mdivani an Noj Žordania vom 16. September 1925 entnahm. Vgl. Georges Mamulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens entre URSS et puissances occidentales, Paris 2009, S. 91 f.
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Istanbul als prometheistischer Vorposten
Kontakte zu den lokalen, mit der Sow[jet]macht unzufriedenen Elementen unterhalten und den lokalen Banden Hilfe leisten, als britische und französische Agenten fungieren54.
Ein Teil der georgischen Menschewiki und der aserbaidschanischen Musavatisten beteiligte sich in der ersten Phase nicht an der Arbeit des Komitees, was darin begründet lag, dass in den Emigré-Communities keineswegs Konsens herrschte. Darüber hinaus waren viele nicht davon überzeugt, dass Polen die zu entstehenden Netzwerke in der Tat fördern und dauerhafte Finanzierung gewährleisten können würde. Als klar wurde, dass Warschau die finanzielle Unterstützung leistete, fingen die materiell geschwächten Exilanten an, in der Frage der Repräsentation der nationalen Interessen untereinander zu rivalisieren. In der Tat ging es weniger um die ideologischen Diskrepanzen, als vielmehr um die Verteilung der Gelder, die man vom polnischen Botschafter im jeweiligen Land erhielt. Auch darüber informierte Rasulzade den Pariser Emigré Topčibaši am 19. September 1925.55 Die sowjetische Seite sah die polnischen Anstrengungen, antisowjetische Gruppen zu konsolidieren, als Teil eines größeren Mosaiks. In einem Bericht von Berzin und dem Leiter der Abteilung 3 des militärischen Nachrichtendienstes, Aleksandr Matveevič Nikonov, an Trockij vom 23. Oktober 1924 wurden die binnenpolitischen Entwicklungen in der Türkei, das Wirken der so genannten ‚frankophilen‘ Gruppierung im kemalistischen Establishment, wie auch der probritischen Kräfte im Kontext der globalen Interessen der britischen und französischen Kapitalisten gesehen.56 Besonders interessant im Bericht von Berzin und Nikonov war die Information zu Größe und landesweiter Verteilung der kaukasischen Politemigration in der Türkei, die als Anhang zum Bericht mitgeschickt wurde. In der georgischen Emigration, die die Sowjets für 100–150 Mitglieder stark hielten, wurde namentlich ein Culukidze genannt. Er vertrete die Volksdemokratische Partei und stehe im Kontakt mit der türkischen Regierung, die ihm im Jahre 1924 6000 Türkische Lira zur Verfügung gestellt habe.57 In Bezug auf die aserbaidschanische Emigration wurden die drei Gruppen, die in Istanbul, Trabzon und Sivas ansässig waren, hervorgehoben. Die sowjetische Seite wies auf die Zeitschrift „Yeni Kafkasya“ von Rasulzade wie auch darauf hin, dass „einzelne N 49. Dokladnaja zapiska načal’nika Razvedupravlenija Štaba RKKA Ja. K. Berzina predsedatelju RVSR L. D. Trockomu ob agitacii anglijskich i francuzskich agentov na Kavkaze i aktivizacii raboty vostočnych ėmigrantskich centrov. 19 aprelja 1924 g., zitiert nach: Glazami razvedki. SSSR i Evropa 1919–1938 gody, hg. von Uhl, Chaustov, Zacharov, S. 155. 55 N27 M.Ė. Rasulzadė-A. M. Topčibaši, vom 19. September 1925, in: A. M. Topčibaši i M.Ė. Rasulzade. Perepiska 1923–1926, hg. von Ischakov, S. 110–112. 56 Dokladnaja zapiska načal’nika Razvedupravlenija Štaba RKKA Ja. K. Berezina i načal’nika 3-go otdela Upravlenija A. M. Nikonova predsedatelju RVS SSSR L. D. Trockomu o političeskom položenii v Turcii i aktivizacii anglijskoj politiki v otnošenii Turcii s priloženiem spravki o gruzinskoj, azerbajdžanskoj i gorskoj ėmigracii v Turcii. 23 oktjabrja 1924 g., in: Glazami razvedki. SSSR i Evropa 1919–1938 gody, hg. von Uhl, Chaustov, Zacharov, S. 156–159. 57 Ebenda, S. 159. 54
Komitee Unabhängiger Kaukasus
Emigranten im ganzen Land verstreut sind und in der türkischen Armee und Abwehr dienen… Die Aserbaidschaner handeln im Kontakt mit der türkischen Regierung“58. Die Organisationen wie das erwähnte Komitee Unabhängiger Kaukasus in Istanbul und die exilgeorgische Regierung in Paris, sowie die nordkaukasischen Gruppen standen in engem Kontakt zueinander, wenn dieser auch nicht konfliktfrei war. Um Konflikte zu schlichten, wurde beschlossen, in Paris nach Istanbuler Beispiel ein weiteres Komitee mit ethnien- und parteiübergreifender Zusammensetzung aus Georgiern, Aserbaidschanern und Nordkaukasiern zu gründen. Im November 1924 entstand so das Pariser Komitee, das aus Čchenkeli, Ramišvili, Kedia, Topčibaši, Gadžibekov, Čermoev, Bammat und G. Gejdarov bestand.59 Die Annäherung zwischen dem Istanbuler und dem Pariser Komitee dauerte allerdings bis 1926. „After laborious negotiations between the rightist and leftist Caucasian political parties, a decision to establish a Committee for the independence of Caucasus in Istanbul was taken on 19 June 1926,“60 schrieb Georges Mamoulia. Am 15. Juli 1926 wurde das Komitee offiziell gegründet. Rasulzade schrieb an Topčibaši am 19. Juli 1926, dass die „Vereinigung erfolgte“61. Er meinte damit, dass es dem polnischen Diplomaten Tadeusz Hołówko gelungen war, die Meinungsunterschiede innerhalb der georgischen und aserbaidschanischen Gemeinschaften zu überwinden und das Komitee der Kaukasischen Konföderation praktisch neu zu gründen. Die Organisation hieß nun das Komitee Unabhängiger Kaukasus. Georgien war von Noj Ramišvili, der extra aus Paris einreiste und Nestor Magalašvili vertreten, Aserbaidschan von M. E. Rasulzade und Mustafa Vekilov, der Nordkaukasus von Said Šamil und Alichan Kantemir(ov). Akaki Čchenkeli, Ali Mardan Topčibaši und Tapa Čermoev sollten das Komitee in Paris vertreten.62 Dass das Unterfangen, die Pariser und Istanbuler Politemigranten unter einem Dach zu vereinen, nicht leicht war, ist auch aus dem Geheimbericht Hołówkos an die Zentrale in Warschau ersichtlich. Er schrieb über die innerdiasporalen und andere Streitigkeiten am Bosporus, über die Kommunikationsprobleme zwischen den Emigré-Zentren in Istanbul und in Paris sowie zwischen der „Konföderation“ und den restlichen Gruppen. Trotz allem gelang es Schaetzel und Hołówko die kaukasischen Emigrés zur Einigung zu bringen. Damit die Arbeit nachhaltig erfolgte, schlug Letzterer dem Ebenda. Mamoulia: Les combats indépendantistes des Caucasiens entre URSS et puissances occidentales, S. 93. Georges Mamoulia: The Struggle for the Independence of the Caucasus: M. E. Resulzade and the Georgians in the Promethean Movement (1926–1939), in: Pro Georgia 20 (2010), S. 99. 61 Rasulzade an Topčibaši, in: A. M. Topčibaši i M. Ė. Rasulzade: Perepiska. 1923–1926 gg., hg. von Ischakov, S. 141–142. 62 Tadeusz Hołówko gab allerdings folgende Zusammensetzung des Komitees an: Neben Ramišvili und Mdivani (Vertreter Georgiens) erwähnte er Rasulzade und Sultanov (Aserbaidschan) sowie Šamil und Kantemirov (Nordkaukasus). Siehe 1926 g., ijulja 21, Varšava. – Otčet sotrudnika Ministerstva inostrannych del Pol’ši T. Goluvko v MID Pol’ši o poezdke v Konstantinopol’ dlja aktivizacii dejatel’nosti organizacij kavkazskoj ėmigracii, in: Dokumenty i materialy po istorii sovetsko-pol’skich otnošenij. Bd. 5, Maj 1926 g.– Dekabr’ 1932 g., hg. von Zatorskij u. a., S. 34–35. 58 59 60
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polnischen Außenministerium zudem vor, dem Komitee ab dem 1. September 1926 eine Summe von 1000 Dollar auszuzahlen, und zwar: „250 Dollar für den Druck eines gemeinsamen Druckorgans auf Französisch, 300 Dollar für Georgien, 300 Dollar für Aserbaidschan, 150 Dollar für den Nordkaukasus.“63 Dem Bericht Hołówkos zufolge sollte die polnische Politik in Bezug auf die Kaukasier und die Muslime Russlands, die man von Istanbul aus betrieb, „in den Händen des Militärattachés konzentriert werden: das bedeutet, er muss die dafür bestimmten Gelder erhalten und sie selbst direkt auszahlen.“64 Hołówko empfahl nachdrücklich, den erfahrenen Oberst Tadeusz Schaetzel in der polnischen diplomatischen Mission in der Türkei zu behalten und pries ihn als kompetenten Mitarbeiter. Es war ein Anliegen Hołówkos, darüber hinaus dem georgischen Emigranten in Paris, Noj Ramišvili, den polnischen Reisepass zu verleihen und somit seine Reise nach Istanbul zu ermöglichen. Hołówko plädierte später dafür, außer der Summe von 1000 Dollar für die Aktivität des Komitees monatlich noch weitere 500 Dollar für „zusätzliche Ausgaben“ zur Verfügung zu stellen. „Aus diesen 500 Dollar sollten 150 Dollar monatlich an Rasulzade für seine Zeitung „Yeni Kafkasya“ ausgezahlt werden, dafür dass er die polnischen Fragen in den türkischen Medien beleuchtet“,65 hieß es im Bericht Hołówkos an das polnische Außenministerium über seine Reise nach Istanbul vom 21. Juli 1926. Das 1926 entstandene Komitee Unabhängiger Kaukasus verkörperte die Idee der Kaukasischen Konföderation, die ein wichtiger Teil der polnischen Ordnungsvorstellung war, für die Warschau nach intensiver Zeit und Überzeugungsarbeit Anhänger unter den aserbaidschanischen, nordkaukasischen und georgischen Exilanten fand. Die armenischen Exilanten konnten dafür kaum mobilisiert werden. In der Gründung der Konföderation sahen die Polen die einzige Möglichkeit, die bestehenden Grenzkonflikte zu lösen bzw. ‚einzufrieren‘. Die Idee, alle Kaukasusrepubliken in einer administrativen Entität zu vereinen, war nicht neu und schon früher von den Sowjets lanciert worden. Nach der Sowjetisierung Aserbaidschans, Armeniens und Georgiens 1920–21 konnten die drei Republiken eine kurze Zeit zumindest als Sowjetische Sozialistische Republiken existieren, wurden jedoch bereits am 13. Dezember 1922 in der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Republik zusammengefasst.
Ebenda, S. 35. Ebenda. 1926 g., ijulja 21, Varšava. – Otčet sotrudnika Ministerstva inostrannych del Pol’ši T. Goluvko v MID Pol’ši o poezdke v Konstantinopol’ dlja aktivizacii dejatel’nosti organizacij kavkazskoj ėmigracii, in: Dokumenty i materialy po istorii sovetsko-pol’skich otnošenij. Bd. 5, Maj 1926 g. – dekabr’ 1932 g., hg. von Zatorskij u. a., S. 38.
63 64 65
„Nationale Union Turkestans“ (1927)
4.3
„Nationale Union Turkestans“ (1927)
Im September 1927 wurde in Istanbul die Zeitung „Yeni Kafkasya“ von den türkischen Behörden geschlossen. Die turkestanischen Emigrés, die bis dahin ansonsten keine eigene Zeitung in der türkischen Metropole herausgaben, verloren somit das wichtigste Medium, für das viele von ihnen zu Turkestan-relevanten Themen seit 1923 regelmäßig geschrieben hatten. Bereits im Vorfeld der Schließung hatte die Sitzung der turkestanischen Emigrés mit dem Ziel stattgefunden, eine politische Vereinigung mit einem eigenen Presseorgan zu gründen. Am 7. Januar 1927 waren die turkestanischen Emigrés in der Istanbuler Altstadt zusammengekommen, um ihre politischen und publizistischen Aktivitäten zu organisieren. Eingeladen waren auch Vertreter der aserbaidschanischen, krim- und kasantatarischen Exilanten. Im März 1927 tagte die bisher eher lose zusammengesetzte Gesellschaft „Türkistan Azadlik Cemiyeti“ [Gesellschaft für die Freiheit Turkestans] und beschloss, die Gesellschaft in „Türkistan Milli Birliyi“ [TMB, Nationale Union Turkestans] umzubenennen und die Monatszeitung „Yeni Türkistan“66 [Das neue Turkestan] zu gründen.67 Am 29. September 1927 kam es darüber hinaus zur Gründung der „Türkistan Gençler Birliği“ [TGB, Turkestanische Jugendorganisation]. Der erste Kongress des TGB fand am 2. Dezember statt und die Organisation zog in einen neuen Sitz, das ehemalige Haus des Ordens von Buchara (Buhara tekkesi)68 ein.69 Treibende Kraft des TMB waren, neben den in Paris aktiven Mustafa Čokaev und Mustafa Šakuli, der aus Buchara stammende Exilpolitiker Osman (Hoca) Kocaoğlu, der Orientalist und Historiker Zeki Velidi Togan, der ehemalige Finanzminister der Republik Buchara, Nasır Mahdum, und der Exilpolitiker Mecdeddin Ahmet Delil70. Der Redaktionssitz der Zeitung „Yeni Türkistan“ wurde zum gemeinsamen Sitz von all
Der Sitz der Redaktion befand sich im Viertel Babı-Ali, Gümüşhane Sok. 5. Ahat Andican: Yurtdışındaki Türkistan Millî Hareketi’nin Sesi, in: Türkistan’ın Bağımsızlığına Hizmet Eden ‚Yeni Türkistan‘dan seçilmiş makaleler (1927–1931), hg. von A. Andican, Istanbul 2005, S. 12. 68 Als Ordensgemeinschaft von Buchara oder auch unter der Bezeichnung Usbekenorden sind mehrere Gästehäuser mit angeschlossener Infrastruktur wie Gebets-, Aufenthaltshäusern und Waschräumen im traditionell muslimisch geprägten Viertel Istanbuls bekannt, die im 16.–17. Jahrhundert von dem sunnitischen Nakschibandi-Orden nahestehenden Geschäftsleuten aus Zentralasien in der osmanischen Hauptstadt errichtet worden waren und dem Warenaustausch und den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Pforte und dem Khanat von Buchara dienten. Nach der Ausrufung der Republik Türkei 1923 und der Abschaffung des Kalifats 1924 wurden alle Ordenshäuser 1925 per Erlaß aufgelöst und verstaatlicht. In der Realität jedoch konnten die Turkestaner Studentenvereine noch lange auf diese Infrastruktur zurückgreifen, auch der ursprünglich aus Zentralasien stammende Klerus durfte in der Regel weiterhin in den Räumlichkeiten der Ordenshäuser mit ihren Familienangehörigen leben. Vgl. M. Baha Tanman: Özbekler tekkesi, in: TDV Islam Ansiklopedisi, Bd. 34, Istanbul 2007, S. 121–123. Mehr zu den Ordenshäusern als Sitz der turkestanischen Politemigration siehe Andican: Turkestan Struggle Abroad, S. 274–276. 69 Türkistanlı Abdullah Receb Baysun: Türkistan Millî Hareketleri, Istanbul 1945, S. 192–193. 70 Mecdeddin Ahmet Delil (1909, Taschkent – 1943, Heybeliada) wanderte 1923 in die Türkei ein und studierte Zahnmedizin in Istanbul. 66 67
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diesen Organisationen und Zentrum der turkestanischen politischen Aktivitäten. Die Initiative wie auch die Entscheidung zur Zeitungsgründung wie auch zur politischen Gruppenbildung ging nicht nur auf den ambitionierten Dozenten der Universität Istanbul Zeki Velidi Togan71 und seine anderen Mitstreiter, sondern auch auf den polnischen Geheimdienstler Edmund Charaszkiewicz zurück, der die Meinung vertrat, dass auch die Turkestaner ähnlich wie die Exilaserbaidschaner und Nordkaukasier unbedingt ein eigenes nationales Sprachorgan und eine organisierte politische Vertretung haben sollten. „Yeni Türkistan. Edebi, ilmi, siyasi ve iktisadi mecmua“ [Das Neue Turkestan. Eine literarische, wissenschaftliche, politische und ökonomische Zeitschrift] erschien erstmal mit einer Auflage von monatlich 500 Exemplaren. In den darauffolgenden Monaten stieg die Zahl der Exemplare auf 750 und schließlich auf 1000. Außer dem im Migrantenmilieu bekannten Wissenschaftler Z. Velidi Togan und dem Exilpolitiker Mustafa Čokaev, gehörten die ursprünglich aus dem sowjetischen Zentralasien nach Deutschland zum Hochschulstudium entsandten Dr. Tahir Şakir, Abdülvahap Oktay72 und Dr. Salih Erkinkol73 zu den Autoren der Monatsschrift. Zwei Jahre nach der Gründung des ersten turkestanischen Presseorgans in Istanbul, gelang es Mustafa Čokaev im Dezember 1929 die erste turkestanische Zeitschrift in Europa, „Yaş Türküstan“ [Das Neue Turkestan] ins Leben zu rufen.74 Čokaev lebte in der Nähe von Paris, der Sitz des „Yaş Türküstan“ befand sich jedoch in Berlin, wo mehrere Velidi Togan und sein Gefährte Abdulkadir Inan verließen wegen der internen Dissonanzen die TMB zwar am 4. Mai 1929, schrieben jedoch weiter aktiv für die Zeitung „Yeni Türkistan“. 72 Abdülvahap Oktay Ishakoğlu (1904, Taschkent – 1968, Istanbul) war türkischer Chemiker usbekischer Abstammung. Geboren im russischen Taschkent genoss Oktay sein Gymnasialstudium ähnlich wie Tahir Şakir in Baku. 1922 kehrte er in das sowjetische Taschkent zurück und erhielt ein Stipendium zum Studium in Deutschland. Seit 1922 bis zum Abschluss der Facharztausbildung 1929 studierte er Medizin mit polnischer finanzieller Unterstützung in Heidelberg und arbeitete später als Arzt in Darmstadt und nahm Kontakt zu den Turkestaner prometheistischen Emigrés in Berlin auf. Libera wies darauf hin, dass Ishakoğlu „im Einklang mit anderen Quellen“ auch noch an der Hochschule für Politik in Berlin studierte. 1939 zog er nach Istanbul und war bis zu seinem Tod 1968 als Arzt tätig und schrieb meistens unter dem Pseudonym Toktamışoğlu. Mehr zu Oktay siehe Ryosuke Ono: Muhacerattaki Bir Özbek Türkü’nün mektublarına göre Türk Dünyası – Abdülvahap Oktay ve mektupları, in: Ankara Üniversitesi Dil ve Coğrafya Fakültesi Dergisi 53/2 (2013), S. 563–584; Paweł Libera: Stypendyści z narodów „prometejskich“ 1928–1939: próba portretu zbiorowego, in: NP 7 (2015), S. 153. 73 Salih Ismail Erkinkol (1906, Kokand – 1974, Istanbul) war ein Turkestaner Exilpolitiker und Intellektueller. Er wanderte 1926 in die Türkei aus. Ausgebildet als Arzt an der Militärischen Hochschule für Medizin schrieb Erkinkol für prometheistische Medien in den 1930er Jahren. Dazu Fußnote 151, in: A. Ahat Andican: Turkestan Struggle Abroad. From Jadidism to Independence, Haarlem 2007, S. 346. Nach der Pensionierung 1955 eröffnete er seine Praxis im Istanbuler Bezirk Aksaray (Horhor caddesi 122). Die Räumlichkeiten dienten vermutlich auch als Treffpunkt für turkestanische Politemigranten. 74 Zur Gründung der Zeitschrift sowie Čokaevs früherer journalistischer Aktivität siehe Johannes Benzing: Berliner politische Veröffentlichungen der Türken aus der Sowjetunion, in: Die Welt des Islams 18 (1936), S. 125–126. Für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Zeitschrift siehe Tülay Köseoğlu: Sovyetler’in Türküstan’ı dönüştürme politikasına muhalefet Yaş Türkistan dergisi (1929–1939), Ankara 2020. 71
„Nationale Union Turkestans“ (1927)
turkestanische Studenten und Akademiker lebten, die antibolschewistisch eingestellt und publizistisch aktiv waren. Dr. Tahir Şakir war exemplarisch für die Berliner Turkestaner, die sich dem prometheistischen Netzwerk anschlossen und von Berlin aus sowohl mit der Pariser, wie auch der Istanbuler Zeitschrift der Turkestaner politischen Emigration zusammenarbeiteten. Şakir, der nach der Einbürgerung in der Türkei, im Andenken an seine Heimat Zentralasien, den Nachnamen Çağatay annahm und eine brillante akademische Karriere in der türkischen Wissenschaft machte, verkörperte die jüngere Generation der Turkestaner Prometheisten. Geboren 1902 in Taschkent, besuchte er eine jaddidistische und später eine russische Schule in seiner Heimatstadt, bevor er ein Jahr lang in Ufa und, ähnlich wie Abdülvahap Oktay, anschließend am Lehrerseminar in Baku ausgebildet wurde. In Baku hatten Tahir Şakir wie auch Oktay sowohl die beinahe zweijährige Unabhängigkeitsperiode wie auch die Sowjetisierung im April 1920 erlebt. Erst 1921 kehrten sie nach Taschkent zurück und brachen 1922 mit einem sowjetischen Stipendium zum Hochschulstudium nach Deutschland auf. Anders als Oktay studierte Şakir Geisteswissenschaften und wurde in Heidelberg mit einer Arbeit zur Baumwollwirtschaft in Turkestan Anfang der 1930er Jahre promoviert.75 Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er längst mit der Gruppe um Mustafa Čokaev zusammen und da die sowjetische Seite die Auszahlung des Stipendiums aus politischen Gründen als Druckmittel eingestellt hatte, erhielt Tahir Şakir bereits seit 1928 finanzielle Unterstützung aus den Emigranten-Kreisen. Interessant ist die Korrespondenz der Turkestaner Prometheisten mit den Offizieren des polnischen Geheimdienstes über den Druck der Monographie von Tahir Šakir. Major Edmund Charaszkiewicz machte sich für diese Förderung stark und plädierte diesbezüglich beim Leiter der Abteilung Russland im polnischen Außenministerium für eine entsprechende finanzielle Unterstützung. Das Buch wurde ursprünglich vermutlich in der Muttersprache Tahir Şakirs verfasst und dann vom Autor ins Deutsche übertragen und als Qualifikationsarbeit eingereicht. Ein Mitarbeiter des prometheistischen Presseorgans „Biuletyn Polsko-Ukraiński“, Feliks Zahora-Ibiański76, bereitete die polnische Übersetzung auf Basis des deutschen Textes vor. Diese wurde dann an Tadeusz Schaetzel und andere wichtige Entscheidungsträger und zum Druck an die Zeitschrift „Wschód“ geschickt. Auch Mustafa Čokaev warb für den Druck des Buches und schickte eine positive Stellungnahme und ein detailliertes Gutachten zur Person von Tahir Şakir an die polnische Seite.77
Tahir Schakir-zade: Grundzüge der Nomadenwirtschaft. Betrachtung des Wirtschaftslebens der sibirisch-centralasiatischen Nomadenvölker, Bruchsal 1931 (Heidelberg, Phil. Diss. vom 25. Februar 1932). 76 Feliks Zahora-Ibiański (1903–1969) war ein polnischer Publizist und Redakteur der Zeitung „Myśl Polska“ (1936–1939). Er schrieb auch für „Problemy Europy Wschodniej“ (1939). 77 RGVA, fond 461, opis’ 1, delo 430. Perepiska s II Otdelom General’nogo Štaba i rezidenturami „Mil’ton“ i „Martin“ ob izdanii knigi tjurkskogo ėmigranta Tachira Šakira „Chlopkovoe chozjajstvo Turkestana“ 7 avgusta 1933, 19 aprelja 1935. 75
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Am 20. Juli 1930 kam es zu einem europaübergreifenden Treffen: Charazskiewicz und ein jüngerer polnischer Geheimdienstler, Stanisław Zaślichowski, konferierten mit Mustafa Čokaev und Mecdettin Ahmet. Dieses Treffen sollte die Arbeit an der ‚turkestanischen Front‘ stärken und ihr neue Impulse verleihen. Es wurde beschlossen, die bis dahin alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift „Yaş Türkistan“ monatlich herauszugeben: Die polnische Seite erhöhte die Zahlungen von 1000 Złoty auf 1500 Złoty. Die in Istanbul herausgegebene Zeitschrift „Yeni Türküstan“ wurde von Mecdettin Ahmet betreut. Die Kommunikation mit Warschau betrieb er über den polnischen Konsulatsmitarbeiter Grija.78 Als es 1931 zur Schließung der Zeitschrift „Yeni Türkistan“ durch türkische Behörden kam, blieb die Berliner „Yaş Türkistan“ die einzige turkestanische prometheistische Zeitschrift und Presseorgan der „Nationalen Union Turkestans“. Neben Çokaev, der regelmäßig für die Zeitschrift schrieb, war Şakir einer der aktivsten Autoren der Zeitschrift und Turkestaner Prometheisten. Mitte der 1930er Jahre veröffentlichte er mehrere Abhandlungen u. a. zur turkestanischen Literatur auf Deutsch und Osmanisch im Verlag der Zeitschrift „Yaş Türkistan“.79 Die Turkestaner Politemigranten konnten sich nicht zuletzt dank dem persönlichen Engagement Charaszkiewiczs und der finanziellen Unterstützung der Abteilung II des polnischen Geheimdienstes 1927 als „Nationale Union Turkestans“ organisieren und zwei Presseorgane ins Leben rufen. Während „Yeni Türkistan“ (1927–31) nach vierjähriger Existenz verboten wurde, konnte die 1929 gegründete „Yaş Türkistan“ bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Berlin erscheinen und stellte somit ein wichtiges Forum für turkestanische Politemigration dar. 4.4
Prometheisten als Orientalisten und Osteuropa-Experten
Die oben geschilderten Entwicklungen, wie z. B. der Austausch der polnischen Prometheisten mit den nichtrussischen Emigranten, gingen mit dem Ausbau polnischer Wissenschaftsinstitutionen einher, die sich intensiv mit dem Osten befassten. Der Historiker Ralph Schattkowsky schrieb: Die Entstehung einer Osteuropaforschung mit interdisziplinärem Charakter, ihre Funktionalität in der Politik sowie ihre Stellung im Wissenschaftssystem waren in der Zweiten Republik untrennbar mit dem Prometheismus als Handlungsmuster und Option einer polnischen Ostpolitik verbunden. Diese Offensivstrategie zielte auf die Unterstützung der
N 62. 1930, 20 lipca. Notatka wewnętrzna Ekspozytury 2 z konferencji kpt. Edmunda Charaszkiewicza i por. Stanisława Zaćwilichowskiego z Mustafą Czokajewem w sprawie działalności turkestańskiej, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, S. 160–162. 79 Tahir Şakir: Von der Tragödie der National-Literatur und der Schriftsteller Turkestans/Turkistan Milli Edebiyati va adibleri faciasina dair, Berlin 1935. 78
Prometheisten als Orientalisten und Osteuropa-Experten
nationalen Bewegungen und Autonomiebestrebungen der Völker im Sowjetstaat ab, um sie als Partner im Kampf gegen den östlichen Nachbarn zu gewinnen.80
An den polnischen Universitäten wurden 1918–19 die Lehrstühle für Slawistik, Osteuropastudien und Orientalistik teils neu gegründet. Darüber hinaus wurden um diese Zeit Denkfabriken, Freundschaftsvereine und Handelskammer ins Leben gerufen. Am 1. März 1919 wurde in Warschau die „Polnische Ost-Gesellschaft“ (Polskie Towarzystwo Wschodnie) gegründet.81 Zu den Zielen der Gesellschaft gehörte laut dem Statut die Gründung der „polnisch-östlichen Handelskammern“, welche die Wirtschaftskontakte zum Osten entwickeln und pflegen sollten. Angestrebt wurde die spätere Gründung der Polnischen Bank für Industrie und Handel mit dem Osten. Der Druck der Zeitschrift „Wschód“, die allerdings erst 1930, als „ein Organ der Polnischen OstGesellschaft und als Unterstützung der wissenschaftlichen Erforschung des Ostens“82 gegründet wurde, wurde im vierten Punkt des Statuts bereits festgeschrieben. 1921 wurde das bereits erwähnte „Instytut Badań Spraw Narodowościowych“ (IBSN), ein Forschungsinstitut für Nationalitätenfragen, ebenfalls mit Sitz in Warschau ins Leben gerufen. Diese Institutsgründung ging auf den engsten Mitstreiter Piłsudskis, den Politiker, Diplomaten und Intellektuellen Leon Wasilewski zurück. Wasilewski hatte bereits vor und während des Ersten Weltkrieges in seinen Schriften, wie z. B. in der 1911 erschienenen Monographie „Ukraina i sprawa ukraińska“ [Die Ukraine und die ukrainische Frage] und in der ein Jahr später veröffentlichten Abhandlung zu Litauen und Belarus83, über die künftige polnische Ostpolitik reflektiert. Als Berater Piłsudskis gehörte er zu den Geburtshelfern der prometheistischen Idee. Ab 1927 gab das von Wasilewski geführte IBSN die Fachzeitschrift „Sprawy narodowościowe“ [Nationalitätenfragen] und das auf ein ausländisches Publikum ausgerichtete Medium „Questions minoritaires“ heraus. Ein Jahr später entstand das „Instytut do Badania Ziem Wschodnich Rzeczypospolitej Polski“ [Forschungsinstitut der Ostgebiete Polens] in Warschau. Diese Einrichtung stand ebenfalls dem Piłsudski-Kreis nahe und wurde vom prominenten Historiker Marceli Handelsman geleitet. Allerdings ging dies über eine reine Osteuropa-Ausrichtung weit hinaus. Auf die Initiative des polnischen Orientalisten Tadeusz Kowalski hin wurde das Fach Orientalistik seit 1919 an der Universität Krakau gelehrt. Am 28. Mai 1922 wurde in Lemberg die „Polskie Towarzystwo Orientalistyczne“ [Polnische Orientalistische Gesellschaft] gegründet. Die Initiatoren waren der bereits zum damaligen Zeitpunkt international Ralph Schattkowsky: Prometheismus und Osteuropaforschung in der Zweiten Polnischen Republik, in: ZfOF 61/4 (2012), S. 519. 81 Statut Polskiego Towarzystwa Wschodniego, in: Archiwum Polskiej Akademii Nauk, Materiały Jana Reychmana III-168 (224). 82 Ebenda. Wer allerdings die Gesellschaft geleitet hat, ist den Unterlagen im Archiv Jan Reychmans nicht zu entnehmen. 83 Leon Wasilewski: Litwa i Białoruś: przeszłość-teraźniejszość-tendencje rozwojowe, Krakau 1911. 80
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anerkannte Anthropologe, Afrikaforscher und Teilmehmer der polnischen Delegation an der Pariser Friedenskonferenz, Jan Czekanowski (1882–1965), der in Leipzig promovierte Indologe und Autor des ersten polnischen Sanskrit-Lehrbuchs, Andrzej Gawroński (1885–1927), der Arabist und Diplomat Zygmunt Smogorzewski (1884– 1931) und andere.84 Die Leitung hatte der polnische Mongolist Władysław Kotwicz85 bis zu seinem Tod 1944 inne, der ähnlich wie Smogorzewski und der Linguist de Courtenay nach Jahrzehnten der Tätigkeit an den russischen Universitäten und im russischen diplomatischen Dienst in die junge Zweite Republik Polen übergesiedelt war. Ebenfalls 1922 wurde in Warschau die von Graf Henryk Potocki (1868–1958) geleitete Polnisch-Japanische Gesellschaft (Towarzystwo Polsko-Japońskie) gegründet, was dazu beitrug, dass 1924 in Tokio eine ähnlich ausgerichtete Vereinigung von japanischer Seite ins Leben gerufen wurde.86 Zwei Jahre nach der Machtergreifung in Warschau, 1928, ließ Piłsudski 51 japanische Veteranen des russisch-japanischen Krieges mit dem polnischen Orden Virtuti Militari auszeichnen.87 Gerade zu Beginn und im Laufe der 1920er Jahre befassten sich mehrere polnische Intellektuelle mit Japan.88 Beeindruckend war die am 17. Juni 1924 zusammengestellte Mitgliederliste der „Towarzystwo Polsko-Azjatyckie“ [Polnisch-Asiatische Gesellschaft], die im Dezember 1923 gegründet wurde.89 Unter ihren 15890 Mitgliedern waren sowohl polnische Politiker und Orientalisten als auch Prometheisten aus dem Osten, wie der krimtatarische Intellektuelle Cafer Seydahmet, der Georgier Iosif Salakaja, der Offizier der aserbaid-
Mehr zur Gründung der PTO und zum Werdegang Smogorzewskis siehe Zaur Gasimov: Modernisierer und Mittler im polnisch-türkischen intellektuellen Nexus, in: ZfO 2 (2016), S. 249; Andrzej Chodubski: Zygmunt Smogorzewski. Orientalista, Dyplomata, Profesor, in: Polski Słownik Biograficzny Bd. 39, Warschau 1999–2000, zitiert nach: https://www.ipsb.nina.gov.pl/a/biografia/zygmunt-smogorzewski (Zugriffsdatum: 16.06.2019). 85 Władysław Kotwicz (1872, Wilna – 1944, Wilna) studierte Orientalistik an der Universität St. Petersburg. In der Republik Polen war er zuerst an der Fakultät für Orientalistik der Krakauer und später an der Lemberger Universität tätig. 86 Vgl. Towarzystwo Polsko-Japońskie; in: Wschód 1/2 (1930), S. 45. 87 Sergiusz Mikulicz: Prometeizm europejski, in: Sprawy międzynarodowe 7/196 ( Juli 1968), S. 102–103. 88 Ein Paradebeispiel war der polnische Russlandexperte Marian Zdziechowski, der sich in Reaktion auf Florian Znanieckis Buch „Upadek cywilizacji zachodniej“ (1921) in einem Essay mit der Pax Japonica befasste. 89 Der Text des Statuts der Polnisch-Asiatischen Gesellschaft wurde abgedruckt: Aneks II. Statut Towarzystwa Polsko-Azjatyckiego, in: I. P. Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie, Warschau 2007, S. 213–222. 90 Historia Powstania Instytutu Wschodniego, in: Archiwum Polskiej Akademii Nauk w Warszawie, Materiały Jana Reychmana, sygn. III-168 (t. 224), S. 1. 84
Prometheisten als Orientalisten und Osteuropa-Experten
schanischen Armee Israfil B. Israfil91 und viele andere.92 Über die Organisationsgründung berichtete auch die Istanbuler prometheistische Zeitung „Yeni Kafkasya“. Auch Sergo Kuriliszwili und Aleksander Godzjaszwili93 waren Mitglieder der „Polnisch-Asiatischen Gesellschaft“. Die beiden gebürtigen Georgier waren Gründer des im Herbst 1921 ins Leben gerufenen „Georgisch-Polnischen Klubs“94. Als die georgischen Emigré-Organisationen zusammen eine Vortragsreihe zum Thema des fünfjährigen Jubiläums der Staatsgründung Georgiens am 27. Mai 1923 in Warschau organisierten, kamen nicht nur prominente Vertreter der georgischen Politemigration wie Iosif Salakaja und Pavel Tumanišvili, sondern auch polnische Politiker wie Senator Bolesław Limanowski und Wissenschaftler wie Stanisław Korwin-Pawłowski95. Godzjaszwili übersetzte die Ansprachen Salakajas und Tumanišvilis aus dem Georgischen ins Polnische, das er bereits gut beherrschte. Kuriliszwili, der ebenfalls des Polnischen mächtig war, gab 1921–23 in Warschau mehrere politische Schriften über Georgien und die Sowjetisierung des Kaukasus96, sowie einen Gedichtband heraus. Neben seinen Vorträgen zur Lage in Georgien und dem Kaukasus trug er auch zur Türkei97 vor. Ab Ende 1923 gab er außerdem eine polnischsprachige Zeitschrift, „Głos Wschodu“ [Die Stimme des
Es handelt sich um den exilaserbaidschanischen Militärangehörigen Mahammad Nabi Oglu Israfilbeyli (Israfilov). Geboren 1893 in einer aserbaidschanischen Familie in Tiflis genoss er eine militärische Ausbildung in der zaristischen Armee und schloss sich nach 1918 den aserbaidschanischen Streitkräften an. Ab 1920 befand er sich im politischen Exil in Polen. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er mit der Wehrmacht zusammen, indem er die Leitung der Waffen-Gruppe „Aserbaidschan“ übernahm. Im Sommer 1945 wurde er demzufolge im sowjetischen Baku exekutiert. 92 Spis Członków T-wa Polsko-Azjatyckiego, in: Archiwum Polskiej Akademii Nauk, Materiały Jana Reychmana III-168 (224), S. 20–21. 93 Aleksander Godzjaszwili (1897–1941) war ein exilgeorgischer Aktivist und Kleinunternehmer. Geboren in eine georgische Familie in St. Petersburg, wurde er in Tiflis sozialisiert und in den Wehrdienst in die russische Armee eingezogen. Während des Ersten Weltkrieges geriet er in die deutsche Gefangenschaft und blieb nach dem Krieg auf dem polnischen Staatsgebiet. Nach der Ausrufung der Republik Polen studierte er an der Hochschule für politische Studien und schrieb für die Zeitung „Głos Prawdy“. Mehr dazu siehe Jerzy Irakli Godzjaszwili: Wspomnienie o moim ojcu, in: Pro Georgia. Prace i materiały do dziejów stosunków gruzińsko-polskich (1991), S. 53–54. 94 Über die Gründung des „Georgisch-Polnischen Klubs“ berichtete die Zeitung „Przymierze“. Vgl. Otwarcie Klubu Gruzińsko-Polskiego, in: Przymierze (19.12.1920), S. 15. Der Klub gab eine eigene Zeitschrift „Amirani“ heraus. Amirani ist ein georgisches Äquivalent zum griechischen Prometheus. 95 Stanisław Korwin-Pawłowski wanderte aus Russland nach Warschau 1921 aus. Er beteiligte sich an der Gründung der Polnisch-Asiatischen Gesellschaft und des Ostinstituts. Am Ostinstitut unterrichtete Korwin die Geographie der Türkei und bekleidete das Amt des Generalsekretärs des Instituts. 1930 – zerstritten mit den Geldgebern dieser Institutionen, d. h. dem polnischen Außenministerium und Nachrichtendienst, wanderte Korwin-Pawlowski nach Kairo aus und unterrichtete dort an der Al-Azhar Universität. Mehr dazu Ireneusz P. Maj: Stanisław Korwin-Pawłowski w służbie idei prometejskiej, in: NP 3 (2012), S. 75–84, http://nowyprometeusz.pl/wp-content/uploads/2018/12/NP3-Maj.pdf (Zugriffsdatum: 18.05.2021). 96 Sergo Kuriliszwili: Gruzja pod jarzmem bolszewickim, Warschau 1922. 97 Am 26. November 1922 trug er zur Türkei im Saal des Museums für Industrie und Landwirtschaft (Krakowskie Przedmieście 66) vor. Auf den Plakaten wurde er als ein „georgischer Dichter“ angekündigt und es wurde betont, dass der Vortrag auf Polnisch stattfinden wird. Der Eintritt erfolgte durch den Erwerb der Tickets. Für diesen Hinweis möchte ich Dr. David Kolbaja (Warschau) danken. 91
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Ostens], zusammen mit Walentyna Sas-Wójcicka heraus. Für die Mitarbeit an dieser Zeitschrift, die chronologisch das Ende 1921 eingestellte Organ des ZZNO, „Przymierze“, ablöste, kontaktierte Kuriliszwili zahlreiche Vertreter der antikommunistischen Exilanten und polnische Intellektuelle, zu denen er über seine Mitgliedschaft in vielen Vereinen, wie z. B. der „Polnisch-Asiatischen Gesellschaft“ u. a. gute Kontakte hatte. Im Sommer 1924 stand er in reger Korrespondenz mit dem Anführer der aserbaidschanischen Delegation in Paris, dem Exilpolitiker und Diplomaten Ali Mardan Topčibaši, der die Zusammenarbeit mit der Warschauer Zeitung „Głos Wschodu“ unter Vorbehalt der „strengen Geheimhaltung der Zusammenarbeit“98 zusagte. In seinem Antwortbrief erklärte sich Kuriliszwili bereit, nicht nur die Beiträge Topčibašis unter einem Pseudonym zu drucken, sondern sie selbst aus dem Russischen ins Polnische zu übersetzen. Kuriliszwili schien begeistert von seinem Exilort zu sein: […] in keinem anderen Land sind Georgien und Aserbaidschan so populär wie in Polen. Ich bin hier bereits länger als seit vier Jahren. Ich habe hier viele Freunde und Bekannte. [Ich] bin glücklich, dass Polen mich schätzt [und dass] das polnische Volk mich liebt99.
Kuriliszwili bat Topčibaši um die Kontaktvermittlung zu Rasulzade, der zu dem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr die antibolschewistische Zeitung „Yeni Kafkasiya“ in Istanbul herausgab. Offensichtlich sah Kuriliszwili die Zeitung Rasulzades als Modell für seine „Głos Wschodu“, die kein nationalgeorgisches Medium darstellen, sondern einen regionalen Blickwinkel entwickeln sollte. Kuriliszwili schrieb: „‚Głos Wschodu‘ wird im selben Format wie „Yeni Kafkasya“ auf Polnisch und Französisch erscheinen“100. Es ist offensichtlich, dass die rege Aktivität Kuriliszwilis und seine Versuche, Autoren für sein Medium zu gewinnen, sowohl auf seine eigene Initiative wie auch auf bestimmte Impulse von Seiten seiner Piłsudski nahestehenden polnischen Mitstreiter zurückging. In einem weiteren Brief an Topčibaši vom 26. August 1924 versicherte er: Sie werden Zeuge dessen sein, dass Aserbaidschan sehr bald in Polen sehr populär sein wird und Sie werden von allen Seiten große Unterstützung sowohl moralischer als auch materieller Natur erfahren, ungeachtet der Tatsache, dass Aserbaidschan von Seiten Polens de jure nicht anerkannt worden ist.101
N9: Pis’mo A. M. Topčibaši S. Kurulišvili otnositel’no svoego videnija sostojanija i perspektiv pol’skokavkazskich vzaimootnošenij, a takže uslovij svoego sotrudničestva v gazete „Glos Wschodu“ („Golos Vostoka“). 31.07.1924, zitiert nach: A. M. Topčibaši: Parižskij archiv 1919–1940, Bd. 3: 1924–1930, hg. von Mamulija, Abutalybov, Moskau 2017, S. 56. 99 N11: Pis’mo S. Kurulišvili, byvšego predsedatelja Gruzinskogo Komiteta v Varšave i redaktora žurnala „Glas Wschodni“ („Golos Vostoka“) A. M. Topčibaši, s soobščeniem o svoej dejatel’nosti v Pol’še i s pros’boj o vysylke materialov otnositel’no Azerbajdžana. 06.08.1924, zitiert nach: A. M. Topčibaši: Parižskij archiv 1919–1940, Bd. 3: 1924–1930, hg. von Mamulija, Abutalybov, S. 63. 100 Ebenda, S. 64. 101 N15: Pis’mo S. Kurulišvili, byvšego predsedatelja Gruzinskogo Komiteta v Varšave i redaktora žurnala „Glas Wschodni“ („Golos Vostoka“) A. M. Topčibaši otnositel’no raboty, prodelannoj im v Pol’še, 98
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Godzjaszwili profitierte von der besonders georgien-freundlichen Haltung der polnischen Intelligenzija und des Establishments. Neben dem „Georgischen Komitee in Polen“102 wurde im Dezember 1920 in Warschau der „Georgisch-Polnische Klub“ gegründet.103 Nach der Schließung von „Przymierze“ war die georgisch-polnische Zeitschrift „Głos Wschodu“ eine wichtige Informationsquelle hinsichtlich des Geschehens im sowjetischen Russland und dem Kaukasus. Das Georgische Komitee in Polen, wie auch der Georgisch-Polnische Klub mit seinen regelmäßigen Vorträgen zu Georgien und den georgisch-polnischen Beziehungen legten die Grundlagen der später entstandenen Georgienkunde und Karthwelologie in Polen. Während die Beiträge in der Zeitschrift „Głos Wschodu“ eher für das allgemeine Publikum ausgerichtet waren, führte die Zusammenarbeit der georgischen Emigranten und der polnischen Akademiker zur Entstehung der ersten akademischen Abhandlungen. Exemplarisch ist die 1926 von Godzjaszwili herausgegebene Monographie „Zagadnienie Państwa Gruzińskiego w świetle prawa międzynarodowego“ [Das Problem des georgischen Staates im Lichte des internationalen Rechts] zu nennen. Der polnische Juraprofessor Juljan Makowski104 schrieb für die Publikation ein Vorwort, in dem er auf die Erfahrungen der georgisch-russischen Beziehungen hinwies, die, so Makowski, deutlich zeigten, dass das bolschewistische Russland „Eroberungsgelüste“ verfolge, die europäischen Mächte andererseits „Egoismus und kurzsichtige Politik“ an den Tag legten.105 Es ist zu erwähnen, dass Makowski seit 1919 in der Abteilung für Vertragswesen im polnischen Außenministerium arbeitete und somit unmittelbar im staatlichen Dienst stand. Im September 1925 initiierten die Mitglieder des ehemaligen Redaktionsteams der Zeitung „Przymierze“ und der „Polnisch-Asiatischen Gesellschaft“ die Gründung „des Ostinstituts (Instytut Wschodni) mit Blick auf ähnliche Institutionen in Russland, Frankreich, Deutschland und Italien“106. Und in der Tat verfügten alle, von Reychman in seiner Skizze zur Geschichte des Ostinstituts aufgelisteten Groß- und Regionalmächte über eigene (semi-)wissenschaftliche Institutionen, die als universitäre Lehri s pros’boj o vydače rekomendatel’nogo pis’ma s cel’ju predstavlenija oficial’nym pol’skim instancijam. 26.08.1924, zitiert nach: A. M. Topčibaši: Parižskij archiv 1919–1940, Bd. 3: 1924–1930, hg. von Mamulija, Abutalybov, S. 73. 102 Geleitet wurde das „Georgische Komitee in Polen“ (Komitet Gruziński w Polsce) spätestens seit 1923 von Iosif Salakaja und dem Priester Pavel Tumanišvili. Rostom Kazbek und Aleksandr Čcheidze waren aktiv in der Arbeit des Komitees. 1925 entstand – nicht ohne polnische Unterstützung – mit Sitz in Genf die Internationale Gesellschaft für Georgien (Stowarzyszenie Międzynarodowe dla Gruzji). Geleitet wurde sie von Jan Martin und Armand Carmagnole. 103 Am 30. Januar 1921 veröffentlichte „Przymierze“ die Satzung des Georgisch-Polnischen Klubs. Vgl. Statut Klubu Gruzińsko-Polskiego, in: Przymierze (30.01.1921), S. 11–13. 104 Juljan Makowski (1875–1959) studierte Rechtswissenschaften in Paris, Krakau und Posen. Später leitete er die Hochschule des Handels (Szkoła Główna Handlowa). 105 Przedmowa, in: Aleksander Godzjaszwili: Zagadnienie Państwa Gruzińskiego w świetle prawa międzynarodowego. Z przedmową Prof. Dr. Juljana Makowskiego, Warschau 1926, S. 7. 106 Historia Powstania Instytutu Wschodniego, in: Archiwum Polskiej Akademii Nauk w Warszawie, Materiały Jana Reychmana sygn. III-168 (t. 224), S. 2.
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stühle, An-Institute der Akademien der Wissenschaften und einzelne Denkfabriken fungierten und Osteuropa, den Nahen Osten sowie den Fernen Osten ethnologisch, wirtschaftswissenschaftlich, linguistisch (lebende Sprachen) und literaturwissenschaftlich erforschten. Das programmatische Dokument zur Gründung des Ostinstituts vom 13. September 1925 wies auf die traditionsreichen Verbindungen Polens zum Osten in den Jahrhunderten vor den Teilungen hin, hob die Bedeutung des Erwerbs des Wissens über den Osten „angefangen mit Belarus und der Ukraine“107 hervor und wurde von polnischen Prometheisten, Vertretern aus Wissenschaft und Politik, wie Tadeusz Hołówko, St. Korwin-Pawłowski, St. Siedlecki, dem ehemaligen Redakteur des „Przymierze“, Joachim Wołoszynowski u. a. unterzeichnet.108 „Das Ostinstitut hat als Ziel die linguistische, geografische, kulturhistorische und politikwissenschaftliche Erforschung der östlichen Länder und Völker und die Popularisierung des Wissens über sie. Wichtig: Unter dem Begriff „östliche Länder“ sollte man die Länder verstehen, die östlich der Grenzen des polnischen Staates liegen“109, hiess es im ersten Paragraphen des Statuts des Ostinstituts von 1928. Offiziell eröffnet wurde das Institut am 12. März 1926. Zum leitenden Gremium gehörten der Ethnograph und Schriftsteller Wacław Sieroszewski, der Politiker Stanisław Siedlecki, der Zentralasienforscher Władysław Masalski110, Stanisław KorwinPawłowski, Leander Bielawski111 und Wład. Wojdyno112. In einem von Stanisław Siedlecki unterschriebenen Bericht zur Geschichte der Gründung des Ostinstituts aus dem Privatarchiv des Warschauer Orientalisten Jan Reychman wird betont, dass sich die Institutsgründung eigentlich in einem Zeitraum ereignete, als sich die offizielle polnische Politik aus dem aktiven Engagement im Osten zurückzog. Jedoch gerade die Tatsache, dass ein Teil der Intellektuellen und Politiker eine solche Forschungseinrichtung trotzdem ins Leben rief, zeige, „dass Polen den Osten erforschen und kennen“ müsse, „weil es sich früher oder später gen Osten bewegen wird [bo na wschód pierwiej czy później iść będzie].“113 107 Aneks VI. Instytut Wschodni w Warszawie, in: Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie 1926–1939, S. 238. 108 Ebenda. 109 Status Instytutu Wschodniego w Warszawie, zitiert nach: Aneks III. Instytut Wschodni w Warszawie, in: Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie 1926–1939, S. 223. 110 Władysław Masalski (1859, Wilna – 1932, Warschau) absolvierte die Mathematisch-Physikalische Fakultät der Universität St. Petersburg. Er unternahm mehrere Expeditionen nach Zentralasien und unterrichtete an der Universität in Taschkent bis zu seiner Auswanderung nach Polen 1922. 111 Zu Leander Bielawski ist wenig bekannt. Am Warschauer Ostinstitut war er für die Buchhaltung zuständig. Siehe Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie 1926–1939, S. 174. 112 Wład. Wojdyno bzw. Woydyno (1873–1959) war ein polnischer Maler, Architekt und Politiker. Ausgebildet in Kunstgeschichte an den Universitäten Warschau, Paris und Rom schloss er den Lehrgang an der Diplomatenschule beim polnischen Außenministerium 1919 ab. Woydyno war ein aktiver Freimaurer. Siehe Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie 1926–1939, S. 210 f. 113 Historia Powstania Instytutu Wschodniego, in: Materiały Jana Reychmana III-168 (224), Archiwum Polskiej Akademii Nauk, S. 2.
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Georgisch gehörte zu den orientalischen bzw. östlichen Sprachen, die seit der Gründung des Instituts regelmäßig gelehrt wurden und bereits im Gründungsdokument vom 13. September 1925 neben Japanisch, Persisch, Russisch, Türkisch und Ukrainisch erwähnt wurde.114 Vano Kavtaradze, Kipiani und ab 1934 Giorgi Nakašidze115 z. B. waren Georgisch-Lektoren des Ostinstituts. Auch andere, in Warschau lebende Emigrés wurden gleich nach der Gründung des Instituts in die Lehre miteinbezogen. So wurden der Kasaner Tatare, ein aktiver Exilintellektueller und Dichter, Ayaz Ishaki116, der nordkaukasische Emigrant Ajtek Kunduch117 neben Abdul Halik Usmi118 mit dem Türkischunterricht beauftragt. In der Tat war ein bedeutender und erfolgreicher Nebeneffekt der prometheistischen Aktivitäten in Polen die Entstehung und Entwicklung der polnischen Osteuropa- und Nahostexpertise. Dies geschah jedoch nicht nur aufgrund der genuin polnischen Initiative, sondern als polnische Reaktion auf die italienische119, und vor allem die deutsche120 Auseinandersetzung mit dem Osten und die Aktivitäten der Osteuropainstitute z. B. in Breslau und Königsberg. Noch mehr herausgefordert sah sich Polen von Moskau: Am 2. März 1919 veröffentlichte „Pravda“ den Artikel Stalins „Unsere Aufgaben im Osten“, in dem er auf den „antiimperialistischen Kampf des Ostens“ einging und unterstrich, dass es darum gehen sollte „eine Brücke zwischen der proletari114 Aneks VI. Instytut Wschodni w Warszawie, in: Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie 1926–1939, S. 239. 115 Giorgi Nakašidze (in der polnischen Version Jerzy Nakaszydze) (1894–1990, New York) war ein exilgeorgischer Intellektueller und Prometheist. Er war ein Absolvent der Džavachišvili-Universität Tiflis. 1929 wanderte er nach Polen ein. Hier schloss er sich dem prometheistischen Kreis an, besuchte Sitzungen am Ostinstitut und lehrte Georgisch an der Universität Warschau. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er nach München, dann nach Argentinien und nach dem Tod seiner Frau 1948 in die USA. Mehr vgl. Halina Krzywicka: Dziękuje Panie Jerzy!, in: Pro Georgia. Journal of Kartvelological Studies 22 (2012), S. 287–293. 116 Ayaz Ishaki (1878, Kasan – 1954, Istanbul) war ein tatarischer Schriftsteller und Exil-Intellektueller. Er gab 1933 in Paris eine populärwissenschaftliche Monographie zur Geschichte und Gegenwart des Urals heraus. Interessant war an diesem Buch, dass es unter dem Titel „Idel’-Ural“ erschien. Idel’ ist ein tatarischer Begriff für Wolga; Ishaki definierte die Wolga-Ural-Region mit ihrer zahlreichen tatarisch-baschkirischen Bevölkerung als Nukleus einer von Russland unabhängigen Einheit. Auf der Karte (S. 44) wurde Idel’-Ural südlicher vom ‚eigentlichen Russland’ abgebildet. Die Grenzen zwischen Idel’-Ural und Turkestan sollte es dieser Karte nach nicht geben. Zwei Einheiten gingen ineinander auf. Vgl. Ajaz Ishaki: Idel’-Ural, Paris 1933. 117 Ajtek Kunduch (Kunduh(zade)) (1896–1942) war ein nordkaukasischer Emigrant ossetinischer Abstammung. Zwischen 1926 und 1927 redigierte er die nordkaukasische Exilantenzeitschrift „Vol’nye gorcy“ in Prag. 1930 reiste er im Rahmen der prometheistischen Aktivitäten nach Täbriz, um die Stimmung der dortigen nordkaukasischen Emigranten zu sondieren und sie für sich zu gewinnen. 1942 wurde er vom NKVD verhaftet und starb im Gefängnis. http://lists.memo.ru/d19/f159.htm (Zugriffsdatum: 24.02.2021). 118 Mehr zu Usmi siehe Krzysztof Bassara: Tajemnica mogiły na Tatarskim Cmentarzu, in: Przegląd Tatarski 3 (2014), S. 14–18. 119 Mehr dazu siehe Stefano Santoro: Cultura e propaganda nell’Italia fascista: l’Instituto per l’Europa Orientale, in: Passato e presente XVII/48 (1999), S. 55–78. 120 Stellvertretend siehe die Antrittsvorlesung des deutschen Orientalistik-Professors Carl Brockelmann. Carl Brockelmann: Das Nationalgefühl der Türken im Licht der Geschichte. Rede gehalten beim Antritt des Rektorats der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg am 12. Juni 1918, Halle (Saale) 1918, S. 1 ff.
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schen Revolution des Westens und der antiimperialistischen Bewegung des Ostens“ zu schlagen, damit dadurch „ein allumfassender Ring um den verendenden Imperialismus gelegt“ würde.121 Im Jahre 1921, als der polnisch-sowjetische Krieg zu Ende ging, wurden in Moskau konsequenterweise zwei Universitäten gegründet, die Kommunistische Universität der Werktätigen des Ostens (KUTV), die seit 1923 KUTV namens J. Stalin hieß und über Niederlassungen in Taschkent, Baku und Irkutsk verfügte,122 und die bereits erwähnte Kommunistische Universität der Nationalen Minderheiten des Westens (KUNMZ). Den zeitgenössischen russischen HistorikerInnen Evgenij Panin und Tat’jana Charlamova zufolge verfolgten diese Universitäten zwei Ziele: „die Vorbereitung der Politarbeiter für sowjetische Randgebiete sowie der Revoluzen-Kader für ausländische Staaten und Kolonien.“123 Die KUNMZ befand sich in Moskau und verfügte über einen zweiten Campus in Leningrad. Sie war ursprünglich in acht Nationalsektoren unterteilt (litauisch, lettisch, jüdisch, polnisch, deutsch, rumänisch, estnisch und finnisch). Danach folgte die Gründung von neun weiteren Sektoren (moldauisch, schwedisch, dänisch-norwegisch, italienisch, ungarisch, belarussisch, bulgarisch, jugoslavisch und griechisch). Die StudentInnen erhielten ein relativ gut dotiertes Stipendium, wurden in den Kommunismus-bezogenen Fächern unterrichtet, wie auch mit der Führung der Untergrundaktivitäten vertraut gemacht. Neben der Gründung dieser zwei wichtigen Ausbildungsstätten sowie des Moskauer Instituts für Orientalistik namens N. N. Narimanov ließ das Allrussische Zentrale Exekutivkomitee per Dekret vom 13. Dezember 1921 die „Vserossijskaja naučnaja associacija vostokovedenija“ (VNAV) [Allrussische Wissenschaftliche Verbandsorganisation für Orientalistik] gründen.124 Ol’ga Lebedeva merkte treffend an: „Die Orientalistik wurde betrachtet als eine angewandte Hilfsdisziplin, die sich für den ‚Export der Weltrevolution’ und kolonisatorische Politik eignete, die die Sowjetunion in Asien betreiben wollte“125. Geleitet vom kommunistischen Aktivisten und Schriftsteller Michail Pavlovič erhielt VNAV ihr eigenes Druckorgan, die Zeitschrift „Novyj Vostok“ [Der Neue Osten] und seine eigene Bücherreihe „Der Osten im Kampfe um Unabhängigkeit“ und wurde in das Volkskommissariat der Nationalitäten eingegliedert. Das Druckorgan des Volkskommissariats für Nationalitäten war die wissenschaftlich-programmatische Zeit121 J. Stalin: Unsere Aufgaben im Osten, Pravda 748, 02.03.1919, zitiert nach: J. W. Stalin. Werke. Bd. 4: November 1917–1920, Berlin 1951, S. 136. 122 Vgl. Evgenij Panin: Kommunističeskij universitet trudjaščichsja Vostoka, in: Izvestija MGTU „MAMI“4/18 (2013), S. 201–203. 123 Evgenij V. Panin, Tat’jana I. Charlamova: Kommunističeskie universitety dlja nacional’nych men’šinstv v Sovetskoj Rossii: 1920–1930-e gg., in: Istoričeskie, filosofskie, političeskie i juridičeskie nauki, kul’tura i isskustvovedenie. Voprosy teorii i praktiki 7/21 (2012), S. 153–155. 124 Vserossijskij central’nyj ispolnitel’nyj komitet. Dekret ot 13 dekabrja 1921 goda ob organizacii „Vserossijskoj naučnoj associacii vostokovedenija“ pri narodnom komissariate po nacional’nym delam, in: http:// www.libussr.ru/doc_ussr/ussr_1269.htm (Zugriffsdatum: 11.09.2018). 125 Ol’ga Lebedeva: Vsesojuznaja naučnaja associacija (VNAV), in: Topografija terrora, Moskva, in: https://topos.memo.ru/en/node/356 (Zugriffsdatum: 08.09.2018).
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schrift „Žizn’ nacional’nostej“. Während die prominenten russischen Orientalisten wie z. B. der Turkologe Vasilij V. Barthold u. a. für „Der Neue Osten“ schrieben, veröffentlichten Pavlovič und andere Mitglieder des VNAV in der Zeitschrift „Žizn’ nacional’nostej“126, die seit ihrer Gründung intensiv von den nichtrussischen Emigranten gelesen wurde.127 Zu den AutorInnen der „Žizn’ nacional’nostej“ gehörten neben Stalin auch die spätere Rektorin des KUNMZ, Marija Frumkina, aserbaidschanische Kommunisten wie Gamid Sultanov und der Polenexperte E. Orlovskij. In einem Artikel von 1923 nannte Orlovskij Polen „ein Konglomerat aus den Polen gegenüber feindlich gesinnten Nationen“ und verglich es mit der zu diesem Zeitpunkt bereits nichtexistenten österreichischen Monarchie, die polnischen Ostgebiete bezeichnete er dabei als „typische Kolonien für Polens Fabriken und Industrie“.128 Die sowjetischen Medien stellten Polen als imperialistisch und zugleich als ein failed state dar und wiesen auf seine zahlreichen Probleme mit den ukrainischen, belarussischen, jüdischen und deutschen Minderheiten hin.129 Bereits Mitte der 1920er Jahre erschienen die ersten sowjetischen akademischen und publizistischen Abhandlungen zum polnisch-sowjetischen Krieg.130 Diese Narrative, ähnlich wie der sowjetische Film „P. K. P.“, der Piłsudski und Petljura zu Feindbildern stilisierte, wurden von Polen als Merkmal des sowjetischen Informationskrieges gegen ihr Land wahrgenommen. Die Affäre um Boris Savinkov, der unmittelbar mit Piłsudski gegen die Bolschewiki zusammenarbeitete, jedoch durch den sowjetischen Geheimdienst in die UdSSR gelockt und verhaftet wurde, nutzte Moskau als Mittel der antipolnischen Propaganda aus: 1924 gab der staatliche Verlag die Broschüre „Die Akte Boris Savinkovs“ heraus. Eingefügt in die 35.000 Auflagen-starke Publikation wurden die Aufsätze und Stellungnahmen prominenter sowjetischer Intellektueller und Parteifunktionäre, wie Karl Radek und Anatolij Lunačarskij.131 Der polnische Prometheismus versuchte im Rahmen der eigenen Kapazitäten auf diese gezielten Provokationen zu reagieren und eigene Expertise aufzubauen.
126 Mich[ail]. Pavlovič: Vserossijskaja naučnaja associacija vostokovedenija, in: Žizn’ nacional’nostej. Ežemesjačnyj žurnal po voprosam politiki, ėkonomiki i kul’tury nacional’nostej R. S. F. R., Bd.1, Moskau 1923, S. 267–271. 127 Mustafa Čokaj zitierte und kritisierte die Beiträge der Zeitschrift bereits während seines Tifliser, und ab 1921 Pariser Exils. 128 E. Orlovskij: Nacional’nyj vopros v Pol’še, in: Žizn’ nacional’nostej, Bd. 3–4 (1923), S. 140. 129 Ebenda, S. 139–146. 130 Exemplarisch ist die Abhandlung der zwei Professoren der Militärakademie der RKKA, N. E. Kakurin und V. A. Melikov, „Vojna s belopoljakami 1920 g.“ zu nennen, die 1925 erschien. Zitiert nach V. N. Safonov, O. B. Mozochin: Osobyj otdel VČK protiv pol’skoj razvedki 1918–1921 gg., Moskau 2018, S. 4. 131 Vgl. Delo Borisa Savinkova. So stat’ej B. Savinkova „Počemu ja priznal Sovetskuju vlast’“, Moskau 1924.
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Polens Kampf gegen die UdSSR in Paris
Die Gründung einer Institution wie des Ostinstituts in Warschau knüpfte an die Traditionen der Zeitung „Przymierze“ an, die von Seiten der polnischen Intellektuellen, die eng mit Piłsudski verbunden waren, gegründet worden war und den bedeutendsten Meilenstein vor dem Machtantritt Piłsudskis im Mai 1926 darstellte. Denn, während Józef Piłsudski 1921–23 das polnische Militär dominiert und sich an der Gestaltung der polnischen Politik beteiligt hatte, zog er sich 1923 aus der Politik zurück und lebte bis 1926 im Warschauer Vorort Sulejówek. In diesen drei Jahren baute er von dort aus ein Netzwerk aus den ihm treuen Militärangehörigen, Geheimdienstlern, Politikern und Intellektuellen auf, die seine außenpolitische Sichtweise teilten. In seinem Arbeitszimmer empfing er, wie bereits erwähnt, Vertreter der krimtatarischen und georgischen Emigration sowie eine Reihe Ukrainer1, wie den Kosakenführer Ignatij Bilyj. Auf diese Weise konstituierten sich nach und nach die so genannten prometheistischen Netzwerke und Sulejówek, der Wohn- und Arbeitsort Piłsudskis, kann somit als eine Art Geburtsort des Prometheismus bezeichnet werden. Wenn auch Piłsudski selbst aus diesem etwa achtzehn Kilometer von Warschau entfernten Vorort das politische Geschehen in der Hauptstadt beobachtete, waren viele seiner Anhänger und Sympathisanten weiterhin aktiv in der Politik, wie die erwähnten Stanisław Siedlecki, Stanisław Korwin-Pawlowski, Tadeusz Hołówko und einige andere. Auch in verschiedenen Ministerien waren die Prometheisten und Anhänger von Piłsudski tätig wie z. B. Tadeusz Schaetzel und Roman Knoll. Während die einen in Warschau die wissenschaftlich-politischen Grundlagen für eine aktivere Politik Polens in Richtung Osten vorbereiteten und Institute wie das ZZNO, das IBSN, und vor allem das Ostinstitut mitbegründeten, waren insbesondere Letztere bereits außerhalb Polens aktiv. Tadeusz Schaetzel2
Ralph Schattkowsky: Prometheismus und Osteuropaforschung in der Zweiten Polnischen Republik, in: ZfOF 61/4 (2012), S. 536. 2 Tadeusz Schaetzel (1891, Bereschany (bei Ternopil) – 1971, London) war ein polnischer Diplomat, Geheimdienstler und Militärangehöriger. Während des Ersten Weltkriegs kämpfte er in den Reihen der polnischen Legionen. In der Zweiten Republik machte er Karriere im polnischen Geheimdienst und gehörte zu den aktivsten Prometheisten. 1
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war im selben Zeitraum Militärattaché am polnischen Konsulat in Istanbul, während Roman Knoll von 1924 bis 1925 der polnische Botschafter in Ankara war. Knoll3 hielt es für wichtig, die Aktivitäten der kaukasischen Emigranten zu koordinieren und ein einheitliches Koordinationszentrum zu schaffen. Er nahm Kontakt zu den kaukasischen Emigrantenorganisationen in Paris auf.4 In einem damals noch sehr jungen Staat wie Polen waren die Prometheisten gut untereinander vernetzt, initiativfreudig und ambitioniert, was schließlich dazu führte, dass der Machtantritt Piłsudskis im Mai 1926 erleichtert wurde. Die wirtschaftliche Misere und die politische Instabilität waren zusätzliche Faktoren, die die Machtergreifung einleiteten.5 Die Zusammenarbeit Polens mit den kaukasischen und ukrainischen Exilanten in Paris seit den frühen 1920er Jahren brachte Früchte. Im November 1926 kulminierte sie in der Gründung des zentralen Druckorgans der länderübergreifenden prometheistischen Netzwerke, der Zeitschrift „Prométhée“, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges das wichtigste Forum der Prometheisten blieb. In diesem Kapitel werden die prometheistische Zusammenarbeit am Vorabend der Gründung des „Prométhée“ sowie die ersten vier Jahre seit seiner Erscheinung dargestellt. 5.1.
Annäherung 1920–26 in Paris
Seit der Russischen Revolution strömten Abertausende Emigranten aus dem ehemaligen Zarenreich in Richtung Paris, Russen wie Nicht-Russen. Sie gründeten hier Vereine und Zeitungen. In den Cafés, die der wohlhabendere Teil der Exilrussen frequentierte, diskutierte man über die Zukunft Russlands bzw. über die Frage, wie man Russland nach den Bolschewiki (re-) und neuorganisieren könne. Um Einfluss auf die Politik im Gastland Frankreich zu nehmen, unternahmen die Exilrussen viel: Neben Petitionen und kommunismuskritischen Beiträgen in den russisch- und französischsprachigen Medien, spielte die freimaurerische Aktivität eine enorme Rolle und entsprach dem damaligen Zeitgeist. Organisiert in mehreren Logen versuchte die russische Emigration auch die nichtrussischen Emigranten, die Ukrainer wie auch
Roman Knoll (1888, Kiew – 1946, Kattowitz) war ein polnischer Diplomat und Freimaurer. Er war ein Absolvent der Jura-Fakultät der Universität Kiew. 1921–1923 leitete Knoll die polnische Botschaft in Moskau und von 1924 bis 1926 in Ankara. Nachdem Piłsudski 1926 an die Macht kam, wurde Knoll zum Vize-Minister im Außenministerium. 4 Komar: Stanovlennja, S. 63. 5 Vor allem ging es um den Ernteausfall von 1924, die polnisch-deutsche Wirtschaftskonfrontation von 1925 und die Tatsache, dass Piłsudski die (seit der Unabhängigkeit 1918) vierzehnte Regierung in Warschau ablöste. Mehr zur Situation und dem Militärputsch von 1926, siehe Joseph Rothschild: The Military Background of Pilsudski’s Coup D’Etat, in: Slavic Review 21/2 ( June 1962), S. 241–260; ders.: The Ideological, Political, and Economic Background of Pilsudski’s Coup D’Etat of 1926, in: Political Science Quaterly 78/2 ( Juni 1963), S. 224–244. 3
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die Kaukasier freimaurerisch zu organisieren und zu integrieren. Die Freimaurerei, die von den Bolschewiki als Merkmal des ancien régimes und Ausdruck des bürgerlichen Lebens zu Beginn der 1920er Jahre verdammt wurde,6 sollte die Politemigranten des Zarenreiches einander näherbringen. Darüber hinaus sprach die Freimaurerei die kaukasischen Politemigranten im Hinblick auf das Elitäre der Logen an, das ihnen als ehemaligen Staatsmännern und hochrangigen Beamten in der durch die Existenz im Exil bedingten, finanziellen Not fehlte. Zusätzlich reizte sie das Konspirative. Der Historikerin Irina Babič zufolge, waren es die russischen Freimaurer, die das „öffentlichpolitische Potential der kaukasischen Emigranten […] im gemeinsamen Kampf gegen die UdSSR“7 erkannten. Die prominenteste russische Loge „Velikij Vostok narodov Rossii“ wurde kurz nach der Machtübernahme von den Bolschewiki aufgelöst und die erste erneute Zusammenkunft der Meister fand 1919 in Paris statt.8 Bereits 1922 entstand in Paris die Loge „Astreja“, in die u. a. der spätere Prometheist Tausultan Šakmanov aufgenommen wurde.9 Der russisch-nichtrussische Antagonismus, den die Loge zu lösen versuchte, stellte jedoch im Endeffekt das grösste Hindernis in der Tätigkeit der Loge dar. 1923 reiste der aus der UdSSR ausgewanderte baschkirische Politiker und Orientalist Ahmet Zeki Validov (später Velidi) Togan über Zwischenstationen nach Paris und traf sich hier mit dem Turkestaner Exilanten Mustafa Čokaev, dem aserbaidschanischen Emigré Ali Mardan Topčibaši und dem Kasaner Rechtswissenschaftler Sadri Maksudi (Arsal). Alle vier kannten sich bereits von früher, aus der Zeit der allrussischen Muslim-Kongresse zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie der russischen Duma, an deren Sitzungen Topčibaši und Maksudi, damals noch mit ihren russischen Namen Topčibašev und Maksudov, als Mitglieder der muslimischen Fraktion teilgenommen hatten. Noch vor sechs, sieben Jahren waren alle vier in der Politik ihrer Heimatregionen aktiv gewesen, doch nun lebten sie seit mehreren Jahren als Politemigranten in den Pariser Vororten. Das Treffen dieser Bekannten in Paris war jedoch zumindest aus Sicht Togans eher ergebnislos, was ihn von der Idee nicht abbrachte, weiterhin an einer sowjetkritischen Vereinigung zu arbeiten. Im Juni 1924 folgte ein Treffen Togans mit dem polnischen Diplomaten Stanisław Stempowski. Bei diesem Treffen erfuhr er, dass von polnischer Seite geplant wurde, in Frankreich demnächst eine sowjetkritische
Der 4. Kongress der Komintern von 1922 verurteilte die Freimaurerei scharf. Den Freimaurern wurde u. a. vorgeworfen, die Arbeiter vom Klassenkampf abzuhalten. Aktive Repressalien gegen die russischen Freimaurer, die zu dem Zeitpunkt noch in Sowjetrussland blieben, begannen 1925. Vgl. Za kulisami vidimoj vlasti, Moskau 1984, S. 48, zitiert nach Tema nomera, in: Interaktivnaja nauka 4/14 (2017), S. 15. Mehr zur Freimaurerei und den Bolschewiki, siehe V. F. Ivanov: Russkaja intelligencija i masonstvo. Ot Petra Velikogo do našich dnej, Moskau 2008. 7 Irina Babič: Kavkazcy v russkich masonskich ložach Francii (1922–1939 gg.), in: Kavkaz&Globalizacija 8 (2014), S. 99. 8 Tema nomera, in: Interaktivnaja nauka 4/14 (2017), S. 15. 9 Babič: Kavkazcy v russkich masonskich ložach Francii (1922–1939 gg.), S. 99. 6
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Zeitschrift mit dem Titel „Prométhée“ zu gründen. Die Entscheidung der polnischen Geheimdienstler und Diplomaten, diese Zeitschrift gerade in Paris auf Französisch ins Leben zu rufen, war kein Zufall. In den ‚goldenen‘ 1920er Jahren war die französische Hauptstadt das wichtigste Zentrum der Diplomatie im Nachkriegseuropa, eine Stadt, in der sich zudem ein Großteil der russischen Intellektuellen niedergelassen hatte. Auch die ‚alten Bekannten‘ Togan, Čokaev und Topčibaši standen schon seit Längerem im Kontakt mit den polnischen Diplomaten und ließen sich unter anderem als Autoren für die geplante Zeitschrift gewinnen. Ähnlich wie viele andere Emigranten aus den nichtrussischen Gebieten des Zarenreiches, verfolgte Togan mehrere Ziele: Er wollte sich politisch profilieren und im Falle der Abkopplung Zentralasiens von Russland die politische Führung der Region übernehmen. Im Exil ging es Togan um die Popularisierung des Wissens über die Region Turkestans und die Aufklärung der europäischen und darüber hinaus der internationalen Öffentlichkeit über die Missstände der bolschewistischen Politik in Zentralasien. Diese Zielsetzungen waren aus Sicht vieler politisch ambitionierter Exilanten miteinander eng verknüpft: Je bekannter die von den Bolschewiki eroberten nichtrussischen Gebiete in den europäischen Kreisen wären, desto mehr Sympathien und Unterstützung würde man für die eigene Sache gewinnen. Nachdem der antisowjetische Aufstand 1924 in Georgien niedergeschlagen worden war,10 verabschiedeten sich die ukrainischen, kaukasischen und turkestaner Exilanten von der Illusion, das bolschewistische Regime in ihrer Heimatregion selbständig zu stürzen. Ihre Hoffnungen verknüpften sie nun mit den internationalen Akteuren, wie z. B. dem Völkerbund, den europäischen Mächten und vor allem mit Polen. Der prominente polnisch-georgische Intellektuelle Giorgi Nakašidze schrieb dazu rückblickend: „There was only one state in the free world at that time that was ready and that really extended a helpfull hand to the exiled national governments. This was Poland.“11 Im Jahre 1925 kam es zur Gründung eines der wichtigsten prometheistischen Medien. Der aus dem Istanbuler Exil nach Paris eingewanderte David Šarašidze, der seinen Nachnamen in Frankreich Charachidzé schrieb, gründete die Zeitung „Brdzola“ [Kampf] als monatlich erscheinendes Druckorgan der sozial-demokratischen Partei Georgiens. Ein Jahr später, 1926, verfügten die Georgier bereits über drei weitere Zeitungen und Zeitschriften. Neben der von Iosif Gobečia (1879–1962) herausgegebenen Zeitung „Damoukidebeli Sakartvelo“ [Unabhängiges Georgien] erschienen die der georgischen national-demokratischen Partei nahestehende Zeitung „Samšoblo“ [Hei-
Mehr dazu siehe Wojciech Materski: Powstanie narodowowyzwoleńcze 1924 r. w Gruzji, in: Studia z dziejów Rosji i Europy Środkowo-Wschodniej 34 (1999), S. 57–68. 11 George Nakashidse: Professor Smal-Stocki and the Promethean Movement, in: The Ukrainian Quaterly (1968–1969), S. 253. 10
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mat] und die ebenfalls 1926, von Filipp Šaradze (1897–1965) gegründete und bis 1935 redigierte Zeitung „Sachalcho Sakme“ [Volkssache] in Paris auf Georgisch.12 Im Jahre 1925 wurde zudem „die erste ukrainischsprachige Zeitschrift in Frankreich“, „Tryzub-Trident“ [Dreizack]13 ins Leben gerufen. Die Gründung einer ukrainischsprachigen Zeitschrift wurde von S. Petljura, P. Čyževs’kyj und V. Prokopovyč bereits zwei Jahre zuvor, noch im Schweizer Exil 1923, avisiert. Die erste Ausgabe, die im Januar 1926 erschien, wurde vom Redaktionskomitee unter bescheidenen Umständen, in einem Hotelzimmer an der Rue Gobelins vorbereitet. „Tryzub“ war eine (Zwei-)Wochenzeitschrift, die das politische Geschehen in der Sowjet-Ukraine, generell in der UdSSR sowie in der europäischen Politik darstellte und vom ehemaligen Minister für Postwesen und Telegraphie in der Regierung der Ukrainischen Volksrepublik (UNR), Ilarion Kosenko14, redaktionell betreut wurde.15 Die Berichterstattung des „Tryzub“ zu Polen ebenso wie die der georgischen Zeitungen war positiv, im Geiste der „PetluraPiłsudski“-Verständigung. Während die Redaktion in Paris sass, warben die in Polen erscheinenden exilukrainischen Medien, wie z. B. „Tabor“ für die Zeitschrift „Tryzub“ und informierten die Leser, wie man sie von Polen aus abonnieren konnte.16 Einige Wochen nach dem Machtantritt Piłsudskis in Warschau kam es zum Mord an Petljura durch den jüdischen Aktivisten und Anarchisten Samuel (Šolem) Švarcbard (1886– 1938) in Paris,17 wo er seit einigen Jahren im Exil gelebt hatte und sich mehrmals mit den in Paris ansässigen georgischen und aserbaidschanischen Prometheisten getroffen hatte. Švarcbard, der in den antijüdischen Pogromen vierzehn Familienangehörige verloren hatte,18 behauptete, er habe Rache an Petljura genommen, der für Leiden und Tod von vielen ukrainischen Juden mitverantwortlich sei. In der Tat waren die ukrainischen Verbände, die unter dem Kommando Petljuras standen, an mehreren Pogromen an der jüdischen Bevölkerung 1917–18 beteiligt gewesen. Die ukrainischen wie auch die polnischen Prometheisten waren allerdings überzeugt, dass der sowjetische Geheimdienst hinter dem Mord stand und der Mord an Petljura absichtlich als eine Für diese Hinweise danke ich Herrn Dr. Georges Mamoulia (Paris). I. Zatašans’kyj: P’jat’ rokiv isnuvannja „Tryzuba“, in: Tryzub 39/247 (15. Oktober 1930), S. 2–5. Ilarion Kosenko (1888, Poltawa – 1950, Paris) war exilukrainischer Aktivist. Er studierte am Politechnischen Institut in Petrograd. In der UNR bekleidete er das Amt des Ministers für Postwesen und Telegraphie. Seit 1920 bis zu seinem Tod 1950 war er im Exil, zuerst kurzfristig in Polen und dann in Frankreich. Bis 1940 betreute er redaktionell die Wochenzeitschrift „Tryzub“. Er veröffentlichte häufig unter dem Pseudonym I. Zatašans’kyj. Mehr zu Kosenko siehe Valentyna Piskun: Portret dijača UNR Ilariona Kosenka za spogadami druziv ta oficijnymy dokumentamy, in: Serija „Istoryčni nauky“ 23 (2015), S. 261–265. 15 Die Adresse der Redaktion lautete: 42, Rue Denfert-Rochereau, Paris (V). 16 Die offizielle Kontaktperson in Warschau war ein Herr J. Lipowiecki. Als Adresse wurde ul. Podwale 16, Wo. 15 angegeben. Siehe Tabor 4–11 (1929), die Coverseite. 17 Mehr zum Leben von Švarcbard siehe Kelly Johnson: Sholem Schwarzbard: Biography of a Jewish Assassin. Doctoral dissertation, Harvard University 2012, https://dash.harvard.edu/handle/1/9830349 (Zugriffsdatum: 23.02.2021). 18 John Efron, Matthias Lehmann und Steven Weitzman: The Jews. A History. Second Edition, London, New York 2016, S. 371. 12 13 14
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Racheaktion getarnt vorbereitet worden sei.19 Das Verfahren gegen Švarcbard, das im Endeffekt mit der Freilassung des Täters von der französischen Justiz abgeschlossen wurde,20 wurde von den prometheistischen wie auch den exilrussischen Medien intensiv verfolgt.21 Trotz der Euphorie anlässlich des Machtantritts Piłudskis wurde der Mord an Petljura von den aktivsten Prometheismus-Ideologen wie Charaszkiewicz, Schaetzel und vor allem Hołówko, als eine ernsthafte Herausforderung verstanden. Er bedeutete eine große Erschütterung des einzigen polenfreundlichen Flügels der vor allem in Europa konzentrierten, ukrainischen Politemigration. Nicht verwunderlich ist es daher, dass es gerade in diesem Jahr zur Gründung der Zeitschrift „Prométhée“ in Paris kam. Im Spätsommer 1926 gab es eine rege Korrespondenz zwischen dem exilgeorgischen Vertreter in Frankreich, Akaki Čchenkeli, und Ali Mardan Topčibaši „verbunden mit der Herausgabe der Zeitschrift ‚Prométhée‘“22. Es ging vor allem um den Editorialtext, den Čchenkeli gemeinsam mit Topčibaši, Bammat und dem zukünftigen Redakteur der Zeitschrift „Prométhée“, Giorgi Gvazava, vorbereitete. Aus späteren Schreiben wird klar, dass zwischen den nicht-polnischen und den polnischen Prometheisten lange diskutiert wurde, ob die Zeitschrift „Prométhée“ in Paris oder in Istanbul erscheinen sollte. Es war anscheinend Tadeusz Hołówko, der den Sitz der Redaktion und seine Stoßrichtung definierte. In seinem Brief an Topčibaši vom 7. September 1926 bot der polnische Diplomat dem exilaserbaidschanischen Politiker einen Monatslohn an. Er zeigte sich gleichzeitig ungeduldig, dass die Die Hinweise darauf, dass der sowjetische Geheimdienst hinter dem Mord an Petljura stand, lieferte der US-amerikanische Forscher Allen Dulles Anfang der 1960er Jahre. Vgl. Allen W. Dulles: The Craft of Intelligence, New York 1965, S. 83 ff. Auf die Vorarbeit von Dulles bezog sich der amerikanisch-ukrainische Forscher Taras Hunczak in seinem Beitrag aus 1969. Vgl. Taras Hunczak: A Reappraisal of Symon Petliura and Ukrainian-Jewish Relations, 1917–1921, in: Jewish Social Studies (1969), S. 163–183. Die Historikerin Kelly Johnson zweifelte die Aussagen von Dulles wie auch von Hunczak an und erklärte sie mit dem Geist des Kalten Krieges. Vgl. Kelly Johnson: Sholem Schwarzbard: Biography of a Jewish Assassin. Doctoral Dissertation. Harvard University 2012, S. 13–16, zitiert nach: http://nrs.harvard.edu/uru-3:HUL.InstRepos:9830349 (Zugriffsdatum: 17.06.2019). In der 2006 erschienenen Studie der russischen Nachrichtendiensthistoriker V. J. Bylinin und V. I. Korotaev wurde die Ermordung Petljuras allerdings folgendermaßen beschrieben: „Getötet in Paris 1926 durch den OGPU-Agenten Švarcbard. Der Letztere erklärte seine Tat als Racheakt für den Tod seines Bruders, der angeblich im antijüdischen Pogrom umgekommen sei […]“. Vgl. V. K. Bylinin, V. I. Korotaev: Portret lidera OUN v inter’ere inostrannych razvedok (Po materialam AP RF, GARF, RGVA i CA FSB RF), in: Trudy Obščestva izučenija istorii otečestvennych specslužb, Bd. 2, Moskau 2006, S. 97–139, Fußnote 54. Mehr zum Mord an Petlura siehe Snyder: Sketches from a secret war. A Polish artist’s mission to liberate Soviet Ukraine, S. 43–44. 20 Zur Dokumentation des Gerichtsverfahrens siehe: The Assassination of Symon Petliura and the Trial of Scholem Schwarzbard 1926–1927. A Selection of Documents (Edition 1), hg. von David Engel, Göttingen 2016, DOI: https://doi.org/10.13109/9783666310270 (Zugriffsdatum: 17.05.2021). 21 Der Tryzub-Redakteur Kosenko sagte als Zeuge vor Gericht aus. Vgl. Dopros’ ubijcy Petljury, in: Vozroždenie 394, 01.07.1926. 22 Vgl. N78: Pis’mo A. Čchenkeli, črezvyčajnogo poslannika i polnomočnogo ministra Gruzii vo Francii, A. M. Topčibaši otnositel’no podgotovki sovmestnogo memoranduma predstavitelej Respublik Kavkaza na imja Ligi Nacij i voprosov, svjazannych s izdaniem žurnala „Prometej“. 16.08.1926, zitiert nach A. M. Topčibaši. Parižskij archiv 1919–1940, Bd. 3: 1924–1930, hg. von Mamulija, Abutalybov, S. 292–293. 19
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erste Ausgabe der Zeitschrift noch nicht erschienen war und betonte die Wichtigkeit des Erscheinungsortes Paris und pochte darauf, dass die Ukraine mit in den Fokus des „Prométhée“ gerückt werden sollte.23 Obwohl die Zeitschrift offiziell vom in Istanbul gegründeten „Komitee Unabhängiger Kaukasus“ herausgegeben wurde, wurde der Wunsch Hołówkos berücksichtigt. Die Zeitschrift „Prométhée“ existierte – trotz des leicht veränderten Titels und des Wechsels an der Spitze in den letzten zwei Jahren – bis Ende 1939. Die Entwicklung der Zeitschrift „Prométhée“ ging mit der freimaurerischen Tätigkeit der kaukasischen Exilanten einher. 1925 zerfiel die oben erwähnte Loge „Astreja“ und ein Teil ihrer Mitglieder organisierte sich in einer neuen Loge, dem „Goldenen Fließ“, die einen deutlichen Kaukasus-Bezug hatte. Zu ihren Mitgliedern gehörten Bammat wie auch Ajtek Namitok, Gvazava, Džejchun Gadžibejli und Kassim Kassimzade. In der Loge „Goldener Fließ“ war der Einfluss der russischen Emigranten deutlich schwächer ausgeprägt. Jedoch löste sich auch diese Loge bald auf. Gvazava verließ sie bereits Ende 1926. An ihre Stelle trat eine neue Loge, „Prometheus“, deren Mitglieder der Exilossete Konstantin Chagondokov, Abdulmedžid, Abubakar und Magomet Čermoev, wie auch der Exilaserbaidschaner Chosrov Sultanzade waren. Die Loge unterhielt kaum Kontakt zu den russisch-dominierten Logen und war Bestandteil der französischen Grande Loge d’Orient.24 Durch diese Loge, die bis 1930 existierte, erhielten die Prometheisten eine zusätzliche Möglichkeit, Kontakte zu den französischen und darüber hinaus europäischen Eliten im Rahmen des freimaurischen Austausches zu unterhalten. Paris etablierte sich als bedeutender prometheistischer Standort nicht zuletzt auch aus dem Grund, da die exilgeorgische Gemeinschaft in der französischen Hauptstadt als georgische Regierung im Exil anerkannt wurde und noch bis Anfang der 1930er Jahre eine Botschaft besaß. Zudem lancierten die Georgier mehrere gemeinsame Publikationen mit den französischen und anderen europäischen Sozialisten, die kritisch der Sowjetunion gegenüber eingestellt waren, publizierten häufiger in den französischen Medien und verfügten außerdem zu diesem Zeitpunkt über mehrere eigene Zeitungen und Zeitschriften, die regelmäßig erschienen. Zu den bereits erwähnten Zeitungen wie „Damoukidebeli Sakartvelo“, „Brdzola“ und „Mamulišvili“ und „Sachalcho Sakme“, die 1925–26 gegründet wurden, kamen die Zeitung „Sakartvelo“ [Georgien], die vom „Prométhée“-Redakteur Gvazava redigiert wurde und die Zeitschrift „Mchedari“ [Ritter] von Prokofij Abuladze 1929 dazu.25 N81: Pis’mo T. Golovko, pol’skogo politika i blizkogo soratnika Ju. Pilsudskogo, A. M. Topčibaši s pros’boj soglasit’sja na prinjatie denežnoj subsidii ot pol’skogo pravitel’stva i sposobstvovat’ vychodu v svet žurnala „Prometej“. 07.09.1926, zitiert nach A. M. Topčibaši. Parižskij archiv 1919–1940, Bd. 3: 1924–1930, hg. von Mamulija, Abutalybov, S. 301. 24 Babič: Kavkazcy v russkich masonskich ložach Francii (1922–1939 gg.), S. 112–113. 25 „Mamulišvili“ [Sohn der Heimat] wurde 1928 eingestellt, während die von David Charachidzé gegründete „Brdzola“ 1929 in „Brdzolis chma“ [Echo des Kampfes] umbenannt wurde. Für diese Hinweise möchte 23
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Neben den ukrainischen Aktivisten um die Zeitung „Tryzub“, den Aserbaidschanern um Topčibaši, den Nordkaukasiern um Bammat wie auch den Turkestanern um Mustafa Čokaev waren die Georgier in Paris gut organisiert. Darüber hinaus pflegten sie Kontakte nach Istanbul und waren auch außerhalb der sozialistischen Kreise gut vernetzt. Exemplarisch für die Kontakte, z. B. nach Großbritannien, war die „große Freundin“ Georgiens, die irische Intellektuelle Anne Robinson Dryhurst, die in London das „Georgian Relief Committee“ leitete und sich aktiv für Georgien einsetzte.26 Dryhurst war für dieses Engagement von dem in London residierenden georgischen Anarchisten Varlam Cherkezov (Čerkezišvili)27 gewonnen worden. Es ist erwähnenswert, dass sie sich auch für die irische Sache stark machte. Dryhurst und ihr Mann waren aktive Mitglieder der Gaelic League und der Sinn Féin. Es fällt nicht schwer, diese transnationale und imperienübergreifende Verflechtung zu erklären, die zwischen der irischen Nationalistin, vermittelt durch einen georgischen Anarchisten in London und den georgischen und polnischen prometheistischen Kreisen in Paris, existierten. Dryhurst unterstützte nicht nur moralisch, sondern auch mit Spenden. In einem Brief vom 13. November 1925 schrieb sie ihrem Ehemann, ebenfalls einem bekannten irischen Unabhängigkeitsaktivisten, Alfred Robert Dryhurst: „I want the money for the Friends of Georgia Fund. We have only a little over three pounds towards next months ten – & our little help means a good deal to the exiles in Paris.“28 Somit verfügten die Aktivisten der prometheistischen Netzwerke neben der wichtigsten Förderung aus Polen über weitere Unterstützer unter den französischen, schweizer und türkischen Intellektuellen und Politikern sowie über Sympathisanten in Großbritannien im anarchistennahen intellektuellen Milieu der irischen Aktivisten. Von der französischen Seite war es das Komitee „France-Orient“, das eine enge Zusammenarbeit mit den prometheistischen Netzwerken unterhielt und eine wichtige Rolle in der Gestaltung der prometheistischen Aktivitäten in Paris und darüber hinaus spielte. Über die Wichtigkeit der weiteren Zusammenarbeit mit dem Komitee „France-Orient“ schrieb die Schlüsselfigur des prometheistischen Projekts – der polnische Geheimdienstler Edmund Charaszkiewicz29 – in seinem Drahtbericht an die Zentrale in Warschau. Höchstwahrscheinlich kam es jedoch bereits Mitte der 1920er ich an dieser Stelle dem Kollegen Dr. George Mamoulia danken. 26 Das Dezemberheft des „Prométhée“ von 1930 veröffentlichte einen Nachruf auf Dryhurst. Vgl. Mrs. A. Dryhurst, in: Prométhée 49 (Dezember 1930), S. 24–25. 27 Varlam Čerkezov (1846–1925) war ein georgischer Anarchist und ein enger Mitstreiter des russischen Aktivisten Petr Kropotkin. 1917–21 lebte Čerkezov in Georgien und nach der bolschewistischen Okkupation des Landes wanderte er nach London aus. 28 D. SL’s letters to NFD 11 ALsS and 2 ACsS, 1899-[1925], zitiert nach: http://www.richardfordmanu scripts.co.uk/catalogue/12420 (Zugriffsdatum: 20.03.2013). 29 Edmund Kalikst Eugeniusz Charaszkiewicz (1895, Punitz – 1975, London) war polnischer Militärangehöriger und Geheimdienstler. Als Experte für Sabotage hat Charaszkiewicz eine brillante Karriere im polnischen Nachrichtendienst gemacht. Er spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung der prometheistischen Netzwerke.
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Jahre zu einer engen Kooperation zwischen den Aktivisten des „France-Orient“ und dem Kreis um „Prométhée“. Dieses Komitee, seine Öffentlichkeitsarbeit und seine Netzwerke, dienten den Polen als Vorbild. Das Komitee „France-Orient“ gab regelmäßig sein 1913 gegründetes „Bulletin officiel du Comité France-Orient. Politique-Economique-Financier“30 heraus. Der Untertitel und der Inhalt seiner Ausgaben verweisen auf das Ziel des Komitees, nämlich die politische Propaganda der französischen Interessen im Nahen Osten, Osteuropa und Nordafrika. In der Ausgabe vom 20. Dezember 1920 wurden auf der Titelseite der Wirtschafts- und Finanzschau des Komitees die Regionen aufgelistet, die im Fokus seines Interesses standen. Neben der Levante und dem Osmanischen Reich wurden auch der „Kaukasus, Rumänien, Griechenland, Jugoslawien und Bulgarien“31 genannt. Interessant ist, dass viele der Aktivisten der prometheistischen Netzwerke, und Mitglieder der nichtrussischen Exilantengemeinschaften in Paris, in der Rubrik „Promoteurs étrangers“ des Bulletins France-Orient erwähnt wurden, darunter die Aserbaidschaner Ali Mardan Topčibaši, Mir Yagub Mehdiyev, Atam Alibekof und Džejchun Gadžibejli. Außerdem wurden der polnische Botschafter in Paris M. de Chlapowski32, der Georgier M. Čchenkeli und der Nordkaukasier Gejdar Bammat aufgelistet. Von ukrainischer Seite beteiligten sich der spätere Chefredakteur der Nachfolgezeitschrift der „Prométhée“ – „La Revue de Prométhée“, Olaksandr Šul’hyn (Choulguine), sowie der ukrainische Adlige Prince de Tokary, N. Šumyc’kyj33, und der Präsident der „L’Association ukrainienne à Paris“ mit Beiträgen. Turkestan war vertreten durch den Emigranten Mustafa Čokaev, der ähnlich wie andere Emigrés gelegentlich Vorträge im Rahmen der Sitzungen des Komitees hielt.34 Unter den französischen Mitgliedern des Komitees tauchte der Name des Pariser Orientalisten Joseph Castagné auf, der enge freundschaftliche Kontakte zu Čokaev unterhielt.35 Somit waren alle ukrainischen und kaukasischen „promoteurs étrangers“ des Komitees „France-Orient“ aktive Prometheisten, die eng mit den polnischen Behörden und offensichtlich mit bestimmten Kreisen, vor allem aus Wirtschaft und Militär, in Frankreich verbunden waren.
Seit 1933 hieß die Zeitschrift „Bulletin officiel du Comité France-Orient. Association nationale de propaganda politique et economique dans le Proche Orient, l’Europe orientale et l’Afrique“. 31 France-Orient. Liban, Syrie, Cilicie, Empire Ottoman, Egypte, Caucase, Roumanie, Grèce, Yougo-Slavie, Bulgarie. Revue économique et financière 3 (20. Dezember 1920), Titelseite. 32 Alfred Stefan Franciszek Chłapowski (1874–1940) war polnischer Botschafter in Paris zwischen 1924 und 1936. 33 N. Šumyc’kyj (1889, Gluchov oder Tschernigov-1982, Paris) war ein ukrainischer Exilpolitiker. Er war ein Absolvent des Kiewer Politechnischen Instituts und vor der russischen Revolution als Architekt tätig. 34 So hielt Čokaev am 8. Januar 1930 einen Vortrag im Komitee „France-Orient“, der in der Februarausgabe des „Bulletin official du Comité France-Orient“ in französischer Sprache veröffentlicht wurde. Der russische Text hieß „O sovremennom položenii Turkestana“. Vgl. Mustafa Šokaj: Izbrannye trudy, Bd. 1, hg. von K. L. Ėsmagambetov, Almaty 2016, S. 352–360. 35 Bulletin officiel du Comité France-Orient. Association nationale de propaganda politique et economique dans le Proche Orient, l’Europe orientale et l’Afrique du Nord 90 (Octobre-Novembre 1934). 30
„Prométhée“. Die ersten Jahre 1926–27
Auf die Verbindung zwischen dem Komitee „France-Orient“, das vom ehemaligen französischen Gouverneur von Indochina Paul Doumer (1857–1932) gegründet und geleitet wurde, und den Prometheisten, wies der französische Turkologe Etienne Copeaux in seinem Aufsatz von 1993 hin.36 Auch dem französischen Journalisten Alexandre Latsa zufolge erhielten die Prometheisten im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Komitee „France-Orient“ „politische Unterstützung aus Frankreich“37. Mit Sicherheit war die Unterstützung für die georgische Politemigration aus Frankreich nicht nur politischer, sondern gerade im Laufe der 1920er Jahre auch finazieller Natur.38 Um die Chronologie der parallelen Ereignisse besser aufzeigen zu können, wird im Weiteren das Wirken der Prometheisten um die Zeitschrift „Prométhée“ im Zeitraum von 1926 bis 1930 dargestellt. 5.2
„Prométhée“. Die ersten Jahre 1926–27
Das Redaktionskomitee der Zeitschrift „Prométhée“, die sich als „Organe de Défense Nationale des Peuples du Caucase et de l’Ukraine“ definierte, verfolgte das Ziel, eine Monatszeitschrift in französischer Sprache in Paris herauszugeben. Der Chefredakteur war ein ehemaliger Abgeordneter des georgischen Parlaments Giorgi Gvazava (in romanisierter Form Georges Gwazawa), der seit 1921 im französischen Exil lebte.39 Der Leitartikel der ersten Ausgabe der Monatszeitschrift vom 15. November 1926 verkündete gleich im ersten Absatz das Ziel, die Verteidigung der Rechte der Völker des Kaukasus und der Ukraine, sowie zum Weltfrieden und der internationalen Gerechtigkeit beitragen zu wollen.40 Dem Leitartikel folgte ein längerer programmatischer Aufsatz mit dem Titel „Das Problem Kaukasus“. Dieser nicht unterschriebene Aufsatz enthielt die Grundsteine der prometheistischen Weltanschauung und Russlandrezeption:
Copeaux: Le mouvement „prométhéen“, S. 22. Alexandre Latsa: Le mouvement prométhéen (23.11.2011), in: http://fr.ria.ru/tribune/20111123/ 192096951-print.html (Zugriffsdatum: 27.11.2014). 38 Mit Neid wiesen die aserbaidschanischen Politemigranten in ihrer Korrespondenz 1924 darauf hin, dass die georgischen Sozial-Demokraten vermutlich die Finanzhilfen von den französischen Sozialisten erhielten. Vgl. N10 A. M. Topčibaši-M.Ė. Rasulzade, vom 18. August 1924, in: A. M. Topčibaši i. M.Ė. Rasulzade. Perepiska 1923–1926, hg. von Ischakov, S. 46. 39 Giorgi Gvazava (1869–1941) war aktiv in der lokalen Politik im russischen Kaukasus und übersetzte aus der europäischen Literatur ins Georgische. Während der Unabhängigkeit 1918–1921 war er Abgeordneter des Parlaments in Tiflis. Nach der Sowjetisierung des Landes ging er 1921 ins Exil nach Paris. 40 Prométhée. Organe de Défense Nationale des Peuples du Caucase et de l’Ukraine 1 (November 1926), S. 1. 36 37
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Polens Kampf gegen die UdSSR in Paris
Die bolschewistische Revolution […] brachte keine Veränderungen in die russische Außenpolitik, gerade im Gegensatz, sie ließ eine neue Idee der Weltdiktatur des Proletariats in ihr wieder aufleben; dieser Imperialismus ist noch gefährlicher […].41
Im Folgenden werden mehrere thematische Blöcke der Berichterstattung im „Prométhée“ vorgestellt, die die wichtigsten Themen des gesamtprometheistischen Mediums, wie den Ordnungsentwurf der Kaukasischen Konföderation, die Auseinandersetzung mit den exilrussischen und sowjetischen Diskursen und die Kritik der sowjetischen Innen- und Außenpolitik wiederspiegeln. 5.2.1
Kaukasische Konföderation
Dass die Zeitschrift „Prométhée“ den Anspruch erhob, ein gemeinsames Medium für mehrere Zentren der prometheistischen Exilantengruppen zu werden, sah man am Beitrag Chosrov Sultanzades, eines aserbaidschanischen Emigranten in Istanbul. Sultanzade schrieb über die Kaukasische Konföderation42 – ein zuvor im Kapitel 4.1 erwähntes, großes polnisches Projekt, das bis zum Ende der 1930er Jahre aktiv verfolgt wurde und darauf abzielte, die Region des Kaukasus im Falle einer eventuellen De-Sowjetisierung föderal zu organisieren: Er war der Meinung, dass diese föderale Struktur zahlreiche ethnische Animositäten und Konfliktpotentiale reduzieren und die Grenzstreitigkeiten lösen sollte. Zum selben Thema, wenn auch aus nordkaukasischer Perspektive, äußerte sich der ehemalige Außenminister der Nordkaukasischen Bergrepublik und prominente Exilant aus Paris, Gejdar Bammat. Bammat vertrat die Idee der Kaukasischen Föderation schon länger. Noch in der 1919 in Lausanne veröffentlichten Schrift „Le Problème du Caucase“43 widmete Bammat ein Unterkapitel der „Idée fédéraliste au Caucase“44, in dem er schrieb, dass „Nordkaukasier […] die Gründung eines vereinigten und unabhängigen Kaukasus [d’un Caucase unifié et indépendant] auf der Grundlage einer Konföderation“45 vital interessierte. Die nordkaukasischen Intellektuellen waren die größten Verfechter des föderalistischen Gedankens. Der Föderalismus stellte für den Nordkaukasus, der extrem heterogene, multiethnische und multikonfessionelle Subregionen wie Dagestan, Tschetschenien und weitere Entitäten umfasste, in der Tat eine solide Perspektive zur Lösung der nationalen Frage dar. Die Nordkaukasier wurden somit zu den engsten Mitstreitern der Polen in der Frage
Le Problème du Caucase, in: Prométhée 1 (November 1926), S. 4. Khosrov Soultan Zadé: La Confédération du Caucase, in: Prométhée 1 (November 1926), S. 14–17. Haïdar Bammate: Le Problème du Caucase. Extrait de La Revue Politique Internationale N de Novembre–Décembre 1918. Avec une carte ethnographique, Lausanne 1919. 44 Ebenda, S. 22–31. 45 Ebenda, S. 22. 41 42 43
„Prométhée“. Die ersten Jahre 1926–27
des gesamtkaukasischen Integrationismus: Georgier und Aserbaidschaner hatten teils latent, teils offen artikulierte Ansprüche auf den Nordkaukasus und vertraten eine gewisse Zivilisierungsmission gegenüber den nordkaukasischen Völkern. Nichtsdestotrotz ging es den polnischen Prometheisten darum, die Idee der kaukasischen Föderation möglichst breit unter den kaukasischen Emigrés zwischen Paris, Warschau und Istanbul zu popularisieren. Die Georgier und Aserbaidschaner ließen sich weitgehend darauf ein, weil sie sich auf diesem Weg Zugang zu finanziellen Mitteln aus Polen erhofften. Mit M. E. Rasulzade schrieb für die Zeitschrift „Prométhée“ neben Sultanzade ein weiterer aserbaidschanischer Politemigrant aus dem Exil in Istanbul. Rasulzade spielte in der aserbaidschanischen Emigré-Community am Bosporus eine herausragende politische und ideologische Rolle. Im ersten Heft des „Prométhée“ war ein längerer Beitrag „Die Republik Aserbaidschan“ von ihm abgedruckt.46 Dass der Pariser „Prométhée“ und die Istanbuler Zeitschrift „Yeni Kafkasya“ Teile eines von Warschau aus finanzierten Netzwerks waren, konnte man auch aus den gegenseitigen Verweisen ablesen. Im Sommer 1927 veröffentlichte der „Prométhée“ einen Appell der kaukasischen Exilantengruppe „Komitee Unabhängiger Kaukasus“. Realitätsfern, jedoch mit erstaunlichem Pathos verkündete der erste Satz: „La fin du régime d’occupation approche. L’aurore du rétablissement de l’indépendance des républiques du Caucase se lève.“47 Der Appell endete mit einem klaren Plädoyer für die „Confédération des Républiques démocratiques et indépendantes du Caucase!“48 Darüber hinaus lautete eine der wichtigsten Botschaften von „Prométhée“ seit der Gründung der Zeitschrift, die Bekanntmachung der riesigen Wirtschaftskapazitäten der nichtrussischen Gebiete der UdSSR im Allgemeinen und des Kaukasus im Besonderen. Der erste Beitrag zu dieser Thematik stammte vom in Warschau ansässigen nordkaukasischen Emigranten Vassan-Girey Džabagi (Djabagui) über die Ölfelder im Kaukasus. Dieser Beitrag war der längste im gesamten Heft und enthielt eine Reihe statistischer Angaben komparativer Art. Der Autor verglich die reichen Ölreserven sowie die Ölförderung auf der Abscheroner Halbinsel mit der Situation in den USA und Mexiko sowie in Persien. Dann resümierte Džabagi: „Nul doute que le Caucase reste toujours une des plus riches contrées du monde en réserves de pétrole.“49 Dieses Thema wurde im nächsten Heft fortgesetzt: Chaffi Bostan veröffentlichte einen längeren Artikel über die Reichtümer des Nordkaukasus. Dabei entwickelte Bostan die Idee der kaukasischen Konföderation weiter. Der Kaukasus wurde zu einem wirtschaftlich
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Mehmed Emin Ressoul Zadé: La République d’A zerbaidjan, in: Prométhée 1 (November 1926), S. 25–31. Un appel aux peuples du Caucase, in: Prométhée 8 ( Juni–Juli 1927), S. 4. Ebenda, S. 6. Wassan-Ghirey Djabagui: Le Pétrole du Caucase, in: Prométhée 3 ( Januar 1927), S. 16.
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vielversprechenden und angeblich politisch sowie gesellschaftlich integrierten Gebiet stilisiert: Ces importantes bases économiques assureront à la Confédération des républiques du Caucase un développement des forces productrices aussi rapide que brilliant. Pour atteindre ce but, pour realizer cette Confédération caucasienne, les peuples du Nord du Caucase, de Géorgie, d’Azerbaidjan et d’Arménie doivent avoir une politique solidaire, que ce soit dans leurs rapports avec les peuples, désireux comme eux de lutter contre la domination muscovite que dans les rapports avec ceux qui, tout en s’étant libérés, se trouvent toujours sous le menace des visées agressives de Moscou.50
Der Werbung für die mineralen Reichtümer des Kaukasus wie auch der Ukraine wurde stets große Bedeutung beigemessen. Der aserbaidschanische Emigré in Paris Mir Yagub Mehdiyev, der Nordkaukasier L. Digorski, der Ukrainer E. Glovinsky und der georgische Exilant Viktor Nozadze51 veröffentlichten mehrere Beiträge zum Ölfaktor im Kaukasus und in der internationalen Politik.52 Die Schaffung einer geschlossenen kaukasischen Exilanten-Front gegen Moskau unter dem Dach der Idee der Kaukasischen Konföderation blieb das Hauptziel der Prometheisten Ende der 1920er Jahre. Ein einflussreicher nordkaukasischer Emigré, Ahmed Calikov, veröffentlichte einen längeren Aufsatz zum polnischen und georgisch-aserbaidschanischen Schlüsselkonzept der Kaukasischen Konföderation.53 In seinem Beitrag griff Calikov die Ideen auf und vertrat sie in den eigenen Prager54 Me-
Chaffi Bostan: Les Richesses du Nord du Caucase, in: Prométhée 4 (Februar 1927), S. 29. Viktor Nozadze (1893–1975) war ein georgischer Exilant. 1919 wurde er als einer von siebzig jungen Studenten von der georgischen Regierung nach Europa geschickt. Nozadze ging nach Berlin, schloss sein Studium dort 1928 ab und zog nach Paris zur georgischen Regierung im Exil. 1930 veröffentlichte er seine Monographie über die Geopolitik des Kaukasus. Im selben Jahr erschien sein Artikel „L’Europe et le Caucase“ im „Prométhée“. (Docteur Nosadzé: L’Europe et le Caucase, in: Prométhée 44 ( Juli 1930), S. 11–16). Dem georgischen Historiker Malkhaz Matsaberidze zufolge stand Nozadze unter dem Einfluss der deutschen Diskurse in der „Zeitschrift für Geopolitik“. Vgl. Malkhaz Matsaberidze: Victor Nozadze on geopolitics of the Caucasus, in: International Relations and Diplomacy 4/1 ( Januar 2016), S. 7–13. 52 Mir [Yagub]: Le Pétrole dans la politique internationale, in: Prométhée 23 (Oktober 1928), S. 23–25; ders.: Autour du pétrole Azerbaïdjanien, in: Prométhée 24 (November 1928), S. 3–8; ders.: Autour du pétrole Azerbaïdjanien, in: Prométhée 25 (Dezember 1928), S. 22–25; L. Digorski: La lutte pour le naphte du Caucase, in: Prométhée 24 (Dezember 1928), S. 27–30; E. Glovinsky: Exploitation financière de l’Ukraine sous le régime soviétique, in: Prométhée 24 (November 1928), S. 11–16; V. Nozadze: La politique du naphte au Caucase, in: Prométhée 25 (Dezember 1928), S. 15–19. 53 Ahmed Tsalikatty: La Confédération des Républiques du Caucase et les Montagnards, in: Prométhée 17 (April 1928), S. 7–15. 54 Im April 1927 informierte „Prométhée“ über die Gründung der nordkaukasischen Zeitschrift „Vol’nye gorcy“ [Freie Bergler] in Prag am 26. März 1927. Diese Zeitschrift wurde von Calikov herausgegeben und erschien auf Russisch. Das Gründungstreffen fand jedoch in Paris (rue Mademoiselle 54), im Büro der „Vollversammlung der Bergvölker des Nordkaukasus“ statt. Der nordkaukasische Emigrant Chefi Rostan (Bostan) hielt zu diesem Anlaß einen Vortrag zur Geschichte der russischen Eroberung des Nordkaukasus. Vgl. Chronique, in: Prométhée 6 (April 1927), S. 31–32. 50 51
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dien. Es gab somit eine weitere nordkaukasische Stimme, die sich für die Idee der kaukasischen Einigung, welche zuvor auf Russisch in Prag und auf Französisch in Paris artikuliert worden war, einsetzte. Calikov ging in seinen Überlegungen zum kaukasischen Integrationsprozess aber noch weiter. „Notre idéal c’est […] la Confédération Helvétique!“55, verkündete er mit Pathos. Calikov setzte auf die Organisation „Komitee Unabhängiger Kaukasus“, die zum Motor des Einigungsprozesses werden sollte. „Dieser politische Organismus“ sei ein „notwendiger Organismus für das Propagieren der Idee der kaukasischen Einheit“56. Die Idee der Kaukasischen Konföderation war der wichtigste Ordnungsentwurf der Prometheisten. Im Juni 1928 druckte das Redaktionsteam als Editorialartikel den bereits zuvor veröffentlichten und nun erweiterten „Appell an die Völker des Kaukasus“, der vom „Komitee Unabhängiger Kaukasus“ verfasst worden war. Das Datum wurde gewählt, weil es mit dem zehnten Jahrestag der kaukasischen Unabhängigkeit (26.–28. Mai 1918) zusammenfiel. Dieses Datum wurde innerhalb der kaukasischen politischen Emigration in ganz Europa zum wichtigsten Erinnerungsort. Der Konföderationsgedanke wurde in den darauffolgenden Jahren weiter elaboriert und mit Beispielen aus der europäischen Erfahrung angereichert. Der Leitartikel des Oktoberhefts des „Prométhée“ von 1929 verkündete z. B. die „Vereinigten Staaten vom Kaukasus“. Dieser Begriff sei en vogue schrieb vermutlich Gvazava und bezog sich dabei auf die berühmte Rede von Aristide Briand in Genf, in der Briand von den Vereinigten Staaten Europas sprach. Gvazava zeigte sich kritisch eingestellt bezüglich der Rede Briands vor der Völkerbundsversammlung am 5. September 1929. Europa sei keine Insel mitten im Ozean, es sei an Asien gebunden und könne sich nicht davon trennen. Eine Stabilisierung im östlichen Europa würde nur im Falle einer intellektuellen und moralischen Einflussnahme der europäischen Demokratie dort geschehen.57 „Eine Schlüsselrolle in diesem Prozess kommt dem Kaukasus zu“,58 war die These der Redaktion. Auch die Istanbuler „Odlu Yurt“ begann mit dem Editorial „Kafkasya birliği“ [Die Einheit des Kaukasus].59 Vermutlich aus den Federn Rasulzades stammend, verkündete der Beitrag die Kaukasische Konföderation zur „politischen Formel […] der kaukasischen Einheit“60. Diese Leitartikel zeichneten eine Kontinuität des prometheistischen Narrativs: Die bolschewistische Eroberung der kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Staaten an der westlichen und südlichen Peripherie Sowjetrusslands wurde erneut scharf verurteilt. Am Beispiel dieses Editorials wird deutlich, dass die Prometheisten die politischen Prozesse in Paris, Genf und den anderen Städten aufmerksam Ahmed Tsalikatty: La Confédération des Républiques du Caucase et les Montagnards, in: Prométhée 17 (April 1928), S. 9. 56 Ebenda, S. 11. 57 Les États-Unis du Caucase, in: Prométhée 35 (Oktober 1929), S. 1. 58 Ebenda. 59 Kafkasya birliği, in: Odlu Yurt 1/8 (Oktober 1929), S. 293–295. 60 Ebenda, S. 293. 55
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verfolgten und die eigene Argumentation dem Zeitgeist anpassten. „Les États-Unis du Caucase, voilà la solution du problème qui se pose. Elle forcera, n’en doutons pas, les portes de l’avenir,“61 hieß es zum Schluss des Beitrags. Im Oktober 1929 druckte der „Prométhée“ die Note des Gesandten der aserbaidschanischen Exilregierung in Genf, M. Mageramov62, an den Völkerbund vom 12. September 1929 ab. Interessanterweise entsprang das Dokument der „Délégation de la République d’Azerbaïdjan à Paris“, d. h. dem Kreis um Ali Mardan Topčibaši und wurde dementsprechend vom Generalsekretär und dem „Président par intérim de la Délégation d’Azerbaïdjan“ unterzeichnet. Die Istanbuler „Odlu Yurt“ veröffentlichte dieselbe Note in türkischer Sprache.63 Auch diese Appelle an den Völkerbund enthielten Informationen über die bolschewistische Eroberung Aserbaidschans 1920, sowie auch über die Verfolgungen von Regimegegnern von Seiten der Bolschewiki in den letzten Jahren.64 Neben den oben erwähnten Aufsätzen über die Vereinigten Staaten des Kaukasus und den Memoranden an die internationalen Organisationen ist eine ganze Reihe an Beiträgen zum Thema der kaukasischen Einheit und Föderation bemerkenswert. Der Autor des Beitrags „L’Unité du Caucase“ vom November 1929 war Rasulzade,65 der zu einem der aktivsten Verfechter der Idee der kaukasischen Einigung avancierte. Aus den Berichten der polnischen Diplomaten und Geheimdienstler, wie Tadeusz Hołówko und Edward Charaszkiewicz, ist bekannt, dass die kaukasische Einigung ein polnischer Ordungsentwurf für den Kaukasus war. Dabei kann man nur bedingt behaupten, dass Rasulzade sich widerwillig der polnischen Forderung anpasste. Die meisten kaukasischen Exilanten kannten sich noch aus der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs und die Idee der Zusammenarbeit lag für sie nah. Rasulzade gab 1915–16 eine aserbaidschanisch-armenische Zeitung „Dävät-Koč“ in Baku heraus und unterhielt engste Kontakte zu den georgischen und nordkaukasischen Emigranten, die ihrerseits bereits 1918–1921 eng zusammengearbeitet hatten. Aus den Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit wurde sowohl den georgischen, den nordkaukasischen wie auch den aserbaidschanischen Prometheisten klar, dass ihre Republiken 1920–21 einzelnd kaum imstande waren, den Rotarmisten wirksamen Widerstand zu leisten. Daher kann man in diesem Kontext von einer Übereinstimmung der Interessen sprechen.
Les États-Unis du Caucase, in: Prométhée 35 (Oktober 1929), S. 3. Mehmet Mageramov (in der französischen Version oft als Magerramoff geschrieben, in der türkischen Mehmet Muharrem) war aserbaidschanischer Exilant und Vertreter in Genf. 63 Hier wurden die Namen von zwei Würdenträgern aufgezeigt: Als Generälsekretär wurde Abbas Atam Alibeyli und als Delegationsleiter Mir Yagub Mehdiyev angegeben. 64 Chronique, in: Prométhée 35 (Oktober 1929), S. 28. 65 L’Unité du Caucase, Prométhée 36 (November 1929), S. 5–7. 61 62
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5.2.2
Die Ukraine
Zur Ukraine und ihrem Platz im prometheistischen Ordnungsentwurf wurde bis Ende der 1920er Jahre relativ wenig an programmatischen Schriften verfasst, was z. T. damit verbunden war, dass das polnische Establishment 1926–27 keine klar definierte Ukraine-Strategie hatte. Ziemlich allgemein zeigte sich daher die Berichterstattung vom „Prométhée“ über die Aktivitäten der ukrainischen Exilanten in Europa, die nicht den prometheistischen Netzwerken angehörten. So berichtete man positiv über den wissenschaftlichen Kongress der Ukrainer in Prag oder über die Gründung des Ukrainischen Instituts in Berlin am 10. November 1926, obwohl die beiden Institutionen – kontrolliert und finanziert jeweils von der tschechoslowakischen und der deutschen Regierung – die Ukrainepolitik Warschaus scharf kritisierten. Ein zusätzlicher Grund dafür, dass die Polen noch nicht zwischen den propolnisch und polenkritisch gesinnten Ukrainern unterschieden, bestand darin, dass Deutschland und die Tschechoslowakei bis dahin keine einheitliche und klar definierte Ukraine-Politik verfolgten. Zum militärischen Widerstand der ukrainischen Minderheit im polnischen Galizien kam es erst Ende der 1920er Jahre. Die Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) wurde im Frühjahr 1929 in Wien gegründet und leitete eine neue Phase in den polnisch-ukrainischen Beziehungen ein. Dabei blieb die Ukraine weiterhin ein wichtiges Thema nicht nur unter den ukrainischen Emigrés, sondern auch unter einigen französischen Intellektuellen und vor allem Politikern. Exemplarisch dafür ist z. B. der Rechtsanwalt und Politiker Emmanuel Evain.66 Der Abgeordnete und ehemalige Präsident des Stadtrates (Conseil Municipal) von Paris Emmanuel Evain schrieb im März 1928 den Artikel „Die Ukraine und das Problem Osteuropas“.67 Auch aus Prag meldeten sich die Intellektuellen zum Themenfeld Ukraine. Im August 1928 debütierte in „Prométhée“ z. B. der tschechisch-ukrainische Soziologe Hyppolit Olgerd Boczkowski68, der in Prag an mehreren ukrainischen Institutionen akademisch tätig war. Er schrieb über das historische Verhältnis zwischen Russland und der Vgl. Emmanuel Evain: L’Ukraine au XIXe siècle, in: Prométhée 19 ( Juni 1928), S. 5–7; Ders.: L’asservissement de l’Ukraine par les Soviets, in: Prométhée 20 ( Juli 1928), S. 8–10. Ders.: L’Ukraine et la Russie, in: Prométhée 29 (April 1929), S. 2–5. 67 Emmanuel Evain: L’Ukraine et le Problème de l’Est Européen, in: Prométhée 16 (März 1928), S. 1–3. 68 Hyppolit (Hipolit) Olgerd Boczkowski (1885, Cherson – 1939, Prag) war Absolvent der Universität St. Petersburg und Theoretiker der Nationalitätenproblematik in Mittelosteuropa. Boczkowski verwendete den Begriff Natiologie, wörtlich: Nationskunde. Er veröffentlichte 1926 auf Tschechisch und 1937 in der deutschen Übersetzung in Prag seine Monographie, in der er sich mit dem Nationalitätenprinzip, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie dem Nationalismus beschäftigte. Boczkowski rezipierte intensiv Masaryks sowie Durkheims Schriften, aber auch die Publikationen der polnischen und tschechischen Historiker. Er plädierte für einen „konstruktiven Nationalismus“ und verurteilte z. B. die rassistische Entwicklung des deutschen Nationalismus. Vgl. Hipolit Olgerd Boczkowski: Das Nationalproblem. Grundlagen des Nationalproblems. Einführung in die Natiologie, Prag 1937, S. 88–89.
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Ukraine, ein Grundthema, mit dem sich die ukrainischen Exilintellektuellen europaweit beschäftigten. Boczkowski äußerte sich in seinem eher populärwissenschaftlich verfassten Artikel zur Rolle der Ukraine in Europa und plädierte dafür, dass die Europäer das osteuropäische Problem nicht aus der russischen Perspektive betrachten, sondern sich in die Situation der jeweiligen Nationen hineinversetzen müssten.69 Im Oktober 1928 veröffentlichte Boczkowski seinen zweiten Aufsatz zum Thema „Europa und die Ukraine“70. Er ging stark vom Begriff des Ethnischen aus und plädierte für eine internationale Akzeptanz der Authentizität der Ukrainer. Als wissenschaftliche Autorität griff er die Arbeiten des französischen Historikers Charles Seignobos „Les aspirations autonomistes en Europe“ (1913), sowie die Schriften des britischen Osteuropaexperten und Russlandhistorikers Seton-Watson auf. Dass der in Prag tätige Soziologe Boczkowski Seton-Watson so intensiv rezipierte, lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass die tschechoslowakische politische Elite um Masaryk mit Seton-Watson eng verbunden war, da Letzterer mit dem tschechoslowakischen Präsidenten persönlich befreundet war, insgesamt ein enges Verhältnis zu Prag pflegte und bereits im Ersten Weltkrieg als ‚Anwalt‘ der Tschechen und verbitterter Gegner der Habsburger in London interagierte. Angesichts der Tatsache, dass Warschau nicht zuletzt wegen des Territorialkonflikts um das Teschener Grenzgebiet und der Unterstützung der slowakischen Autonomisten71 eher ein angespanntes Verhältnis zur Tschechoslowakei hatte, ist gerade diese Zusammenarbeit mit einigen ukrainischen Intellektuellen in Prag wie der oben erwähnte Boczkowski von besonderem Interesse. Nicht zu vergessen ist, dass Masaryk und seine Umgebung eigene Visionen hinsichtlich der ukrainischen Frage hatten und diese mit den prometheistischen Ordnungsvorstellungen bei weitem nicht identisch waren.72 Durch das Zitieren und Aufgreifen der Meinungen anerkannter westeuropäischer Forscher, versuchte Boczkowski als ukrainischer Intellektueller sein eigenes Argument über die Wichtigkeit der Ukraine zu stärken.73 Ein bedeutendes Thema war zweifelsohne die Hungersnot in der Sowjet-Ukraine, über die ab Frühjahr 1929 eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht wurde. A. Sadowski lancierte im Januar 1929 einen längeren Artikel mit dem Titel „La famine en Ukraine“74. Das Redaktionsteam in Paris wertete zudem die sowjetukrainischen Medien „Kom-
H[yppolit]. Boczkowski: L’Ukraine et la Russie, in: Prométhée 21 (August 1928), S. 11–14. H. Boczkowski: L’Europe et l’Ukraine, in: Prométhée 23 (Oktober 1928), S. 17–20. Mehr zur Slowakei-Politik Polens siehe Thaddeus v. Gromada: Pilsudski and the Slovak Autonomists, in: Slavic Review 3/28 (1969), S. 445–462. 72 Mehr zur tschechoslowakischen Ukraine-Politik siehe Nadia Zavorotna: Scholars in Exile. The Ukrainian Intellectual World in Interwar Czechoslovakia, Toronto 2020, insb. S. 11–21. 73 Seton Watson hat noch 1917 in seiner Zeitschrift „New Europe“ die ukrainische Frage neben der Frage Konstantinopels, der englisch-deutschen Rivalität, der jugoslawischen Frage sowie der Frage Elsaß-Lothringens unter den wichtigsten Gründen aufgelistet, die den Großen Krieg ausgelöst hätten. H. Boczkowski: L’Europe et l’Ukraine, in: Prométhée 23 (Oktober 1928), S. 19. 74 A. Sadowski: La famine en Ukraine, in: Prométhée 26 ( Januar 1929), S. 17–22. 69 70 71
„Prométhée“. Die ersten Jahre 1926–27
munist“ aus Charkow, „Visti“75 sowie die russischsprachige Berliner Zeitung „Rul’“76 aus. Trotz der immer aktiveren Beteiligung der ukrainischen und turkestanischen Exilanten an den prometheistischen Diskursen im Rahmen des französischsprachigen „Prométhée“ Ende der 1920er Jahre ist festzustellen, dass die Kaukasier und die kaukasus-bezogenen Themen insgesamt weiter dominierten. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass der Chefredakteur des „Prométhée“ der Georgier Gvazava war. Zudem genossen die georgischen Exilanten Prestige und Popularität unter den europäischen Sozialdemokraten und im russischen Emigré-Milieu von Paris. Die aserbaidschanischen Prometheisten wiederum stellten eine intellektuelle Brücke zur Türkei dar, die eine zentrale Rolle in den polnischen geopolitischen Diskursen einnahm. Gleichzeitig war die Einigung der Kaukasier untereinander eine der bedeutendsten Herausforderungen für die prometheistischen Kreise. „Prométhée“ war somit ein wichtiges Forum für die Bekanntmachung der politischen und sozialen Entwicklungen im Kaukasus wie auch für die Lösung der innerkaukasischen Streitigkeiten, das die Polen den kaukasischen Emigrés boten. 5.2.3
Prometheisten ‚nichtprometheistischer Völker‘
Gleich in den ersten Ausgaben der Zeitschrift „Prométhée“ war auffallend, dass es sich bei den Autoren um sehr anerkannte Persönlichkeiten aus dem Exilantenmilieu aber auch aus dem Milieu der europäischen Intellektuellen handelte, die mit den Prometheisten sympathisierten. Auch sie schrieben kritisch zur Entwicklung der sowjetischen Innen-, Außen- und Nationalitätenpolitik, von der ‚äußersten Gefahr‘ des Bolschewismus, wie auch davon, dass das bolschewistische Regime sich in einer tiefen Krise befinde. An sich handelte es sich um eine doppelseitige Mobilisierung gegen Sowjetrussland. Die Botschaft lautete: Der Westen sollte möglichst schnell handeln und die angeblich geschwächte UdSSR weiter schwächen. Und die Gegner der Sowjetunion, die sich vor ihrer Expansion fürchten, sollten zusammenhalten. Diese Philosophie prägte auch den Beitrag von Jean Martin, dem Präsidenten des Internationalen Komitees für Georgien (Comité International pour la Géorgie)77 und einem engen Vertrauten des schweizer Journalisten und Chefredakteurs der „Journal de Génève“, Edouard Chapuisat: „Qui touche l’un touche l’autre.“78
Chronique. Ukraine. La famine, in: Prométhée 26 ( Januar 1929), S. 27 f. Chronique. Ukraine. La famine, in: Prométhée 28 (März 1929), S. 31–32. Das Komitee wurde nach der Zerschlagung des antikommunistischen Aufstandes 1924 in Georgien gegründet. Der Sitz des Komitees war in Genf. Es wurde von Jean Martin und Albert Malche geleitet. 78 Jean Martin: Qui touche l’un touche l’autre, in: Prométhée 1 (November 1926), S. 9–11. 75 76 77
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Eine enge Zusammenarbeit zwischen Ländern und Völkern – mit den Worten Martins „collaboration intime“79 – war das notwendige Instrumentarium, welches die politische Unabhängigkeit und demokratische Entwicklung im östlichen Europa auf Dauer sichern sollte. Das war die Haltung Martins wie auch weiterer frankophoner Schweizer Intellektueller, die sich bereits seit 1920 für eine engere Einbindung Georgiens in die westliche Völkergemeinschaft stark machten. Der Chefredakteur von „Prométhée“ Gvazava, aber auch der Exilpolitiker Noj Ramišvili und Jean Martin arbeiteten daher eng zusammen. Die Beiträge beschränkten sich daher nicht nur auf Artikel von Emigrés aus dem ehemaligen Zarenreich. Bereits im zweiten Heft veröffentlichte für die Zeitschrift Georges Scelle80, ein bekannter französischer Völkerrechtler, einen Beitrag zur Problematik des Friedens und des Föderalismus.81 Louis Coquet, Oberst des französischen Generalstabs und Ehrenmitglied des Comité „France-Orient“ schrieb ebenfalls einen Beitrag zu „La Question Géorgienne“. Im März 1928 wurde der Text der Rede von Abel Chevaley, dem ehemaligen Hohen Kommissar im Kaukasus, die er anlässlich des 10. Jahrestags der Universitätsgründung in Georgien gehalten hatte, abgedruckt.82 Neben Louis Coquet, Jean Martin und Abel Chevaley beschäftigte sich auch der französische Politiker A. Marquet83 intensiv mit Georgien. Zu Wort meldeten sich also sowohl namhafte nichtrussische Exilanten wie z. B. der Enkelsohn des prominenten Anführers des nordkaukasischen Widerstandes gegen Russland Scheich Šamil, Said Šamil, und der georgische Emigrant in der Schweiz, Chariton Šavišvili84 als auch französische und schweizer Intellektuelle, die wiederum die Idee des Föderalismus positiv bewerteten und mit europäischen Beispielen anreicherten. Der „Prométhée“ informierte über politische und ökonomische Ereignisse in der UdSSR sowie über das kulturelle Schaffen der nichtrussischen Kolonien in Paris und arbeitete eng nicht nur mit einzelnen Intellektuellen in der Schweiz und Frankreich, sondern auch mit einigen Einrichtungen zusammen. So druckte die Zeitschrift regelmässig die Pressemitteilungen
Ebenda. Georges Scelle (1878–1961) war ein bekannter französischer Völkerrechtler. Von 1912 bis 1932 war er an der Universität Dijon und anschließend bis 1948 an der Universität Paris tätig. Mehr dazu bei Charles Rousseau: Georges Scelle (1878–1961), in: Revue Générale de Droit International Public, Paris 1961, S. 5–19. 81 Georges Scelle: Paix et Fédéralisme, in: Prométhée 2 (Dezember 1926), S. 4–6. 82 Abel Chevaley: L’Université de Géorgie, in: Prométhée 16 (März 1928), S. 3–9. 83 Der Artikel Chapuisats trug den Titel „Le prix du sang“ und der von Marquet den Titel „La nation oprimée: La Géorgie“. Auch die westeuropäischen Prometheisten bedienten sich der Wortwahl ihrer kaukasischen und polnischen Mitstreiter. Vgl. Prométhée 15 (Februar 1928), S. 9–12. 84 Chariton Šavišvili (1886–1975) war ursprünglich Vertreter Georgiens im Völkerbund und nach 1921 ein Politemigrant in Genf. Er wurde 1906 nach Sibirien verbannt, konnte jedoch 1908 nach Genf fliehen. Er genoss Popularität in den russischen und europäischen Sozialistenkreisen und kannte persönlich Plechanov, Jaures, Lenin und Martov. Čavišvili war Autor der Schriften: Lettre ouverte au camarade Jean Longuet, Député de la Seine, Bern 1918; ders.: Patries, Prisons, Exil, Paris 1946; ders.: Révolutionnaires russes à Genève en 1908, Genf 1974. 79 80
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der französischen Partnerorganisation der prometheistischen Netzwerke, des Comité „France-Orient“. Im Februar 1927 meldete sich zum ersten Mal der Chefredakteur des „Journal de Génève“, Edouard Chapuisat, der mit vielen kaukasischen und polnischen Intellektuellen eng verbunden war und als vehementer Antikommunist den prometheistischen Netzwerken auch in den 1930er Jahren treu blieb, zu Wort. Seine Genfer Zeitschrift wurde zu einem wichtigen Forum, für welches viele Prometheisten, insbesondere mit sowjetkritischer Ausrichtung, regelmäßig schreiben konnten. Chapuisat äußerte sich in der eigenen Zeitung zur Gründung der neuen Zeitschrift „Prométhée“ positiv. Es ist erwähnenswert, dass er die sowjetischen Anrainerstaaten früher bereist und darüber hinaus mehrfach Polen, die Türkei und Rumänien besucht hatte. Chapuisat stand auch mit den in der Schweiz akkreditierten Diplomaten dieser Länder in engem Kontakt.85 Am 19. Januar 1927 schrieb er in seinem Artikel, der den Titel „Prométhée“ trug und die Bekanntmachung der Zeitschrift im Schweizer Publikum zum Ziel hatte, gleich zu Beginn beinahe polemisch: „Le martyre des peuples du Caucase continue.“86 Mit viel Pathos setzte er fort: „De sombres cauchemars hantent les rêves: la marche victorieuse de la Russie vers le Sud est apparue jusqu’ici dans l’histoire comme une fatalité inéluctable […]“87. Interessant ist die mediale Beleuchtung der gemeinsamen „Französisch-Kaukasisch-Ukrainischen“ Veranstaltung am 19. Juni 1927, die vom bereits erwähnten Komitee „France-Orient“ organisiert worden war. Es war eine festliche déjeuner-conférence im Salle Jean-Goujon in Paris, im Rahmen dessen die Leiter der diplomatischen Exilmissionen Aserbaidschans, des Nordkaukasus, Georgiens und der Ukraine eingeladen wurden. Der Generalsekretär des Komitees „France-Orient“, P. Abdon Boisson, referierte über den Stand der „nations opprimées de l’Orient européen.“ Die Rede, deren Abschnitt im „Prométhée“ abgedruckt wurde, war hoch pathetisch. Zum Schluß erwähnte Boisson eine Reihe von Personen, die diese Konferenz von französischer Seite mitorganisiert hatten. Unter ihnen waren mehrere französische Diplomaten, der französische Slawist und Direktor der prominenten „École Nationale des Langues Orientales Vivantes“, Paul Boyer, der Direktor und Besitzer des „Le Figaro“, François Coty, sowie der ehemalige Hohe Kommissar Frankreichs bei den Kaukasischen Republiken, Abel Chevaley, und viele andere.88
Im Privatarchiv von Edouard Chapuisat sind mehrere Briefe von Chariton Šavišvili, Akaki Čchenkeli und Mehmet Magerammov erhalten. Archives d’Etat de Genève. Fond Edouard Chapuisat. Archives privées 272.16.27 (28 pièces). 86 Ed[ouard] Ch[apuisat]: „Prométhée“, abgedruckt in: Prométhée 4 (Februar 1927), S. 3. 87 Ebenda, S. 6. 88 Une manifestation Franco-Caucaso-Ukrainienne, in: Prométhée 8 ( Juni-Juli 1927), S. 10–14. 85
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Mit Sicherheit legte der „Prométhée“ viel Wert darauf, möglichst international zu wirken, und vor allem das europäische sowie das nichtrussische Intellektuellenmilieu anzusprechen und im Besonderen ihre Vertreter als Autoren zu gewinnen. Außerdem druckte „Prométhée“ die Reiseberichte europäischer Intellektueller in den sowjetischen Kaukasus ab. Albert Valentin, ein belgischer Novellist und Surrealist, veröffentlichte im April 1928 seinen Travelog „Tiflis, die Hauptstadt Georgiens“89. Valentin war kein Diplomat, der 1917–1921 in Georgien tätig war, sondern ein europäischer Kunstschaffender, der in den 1920er Jahren mehrere georgische Städte bereist hatte. Bis 1928 wurden im Wesentlichen die prometheistischen Medien und die russischen Exilzeitungen wie „Poslednie novosti“, „Dni“ oder die sowjetischen Zeitungen wie „Zarja Vostoka“ und „Izvestija“ beleuchtet. Im August 1928 wurde zum ersten Mal in der Rubrik „Revue de la Presse“ ein italienisches Medium, und zwar die Zeitung „Politica“ vorgestellt. Es wurden einzelne Ausschnitte aus dem längeren Kaukasusartikel des italienischen Journalisten Franck Lamberti „Die Völker des Kaukasus“90 zitiert. Eine längere Übersetzung des Beitrags Lambertis fanden die Leser dann in der Oktoberausgabe (1928) des „Prométhée“.91 Lamberti gab einen historischen und ökonomisch-kulturellen Überblick über die gesamte Region, indem er die wichtigsten Daten der Geschichte, die ethnische Struktur sowie die konfessionelle Vielfalt des Kaukasus aufzeigte. Seine persönliche antikommunistische Haltung war dabei nicht wegzudenken: „Eine ehrliche Vereinbarung mit den Sowjets ist nicht möglich; die Letzteren werden ihren Kampf gegen Europa nie einstellen.“92 Lamberti zufolge ging es dabei um einen unvermeidbaren Konflikt zwischen der „russisch-bolschewistischen Konzeption, die in der Zerstörung der westlichen Zivilisation und der daraus folgenden Vernichtung der fortgeschrittensten Völker“ bestand und der „europäischen Konzeption des Lebens und der Freiheit der Völker“ 93. Lamberti wies auch auf die Doktrin des Eurasismus hin und beschrieb diese Bewegung als eine Gefahr für Europa. Mit Aufmerksamkeit beobachteten die Prometheisten das politische und intellektuelle Geschehen in Europa, wenn auch aus einer eher eng gefassten, entweder auf Russland oder auf den Kommunismus beschränkten Perspektive. Im April machte der „Prométhée“ auf die Zeitschrift „Pan-Europe“ von Coudenhove-Kalergi aufmerksam. Es ging jedoch nicht um die Pan-Europa-Bewegung, sondern um den Beitrag von Otto Deutsch „La Russie et nous“, in dem er sich mit den ökonomischen Aspekten befasste. Hervorgehoben wurde allerdings seine Phrase – „L’Europe, en face du danger russe,
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Albert Valentin: Tiflis, capitale de la Géorgie, in: Prométhée 17 (April 1928), S. 4–7. Revue de la Presse. Le problème du Caucase, in: Prométhée 21 (August 1928), S. 27–28. Les peuples du Caucase et le problem Caucasien, in: Prométhée 23 (Oktober 1928), S. 8–17. Ebenda. Ebenda, S. 15.
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n’a qu’un parti à prendre: reconnaître le danger oriental: s’unir.“94 – an einer prominenten Stelle im „Prométhée“. „Prométhée“ hatte somit eine größere Bedeutung als den Antikommunismus zu missionieren. Die Zeitschrift wirkte als Austauschforum für die einerseits kommunismuskritischen, andererseits Kaukasus- und Ukraine-interessierten Intellektuellen aus Frankreich sowie der Schweiz und Belgien. 5.2.4
Auseinandersetzung mit Exilrussen
Die Sowjetunion wurde von den nichtpolnischen Aktivisten der prometheistischen Netzwerke als Hauptgrund ihres eigenen Exillebens angesehen. Der Kommunismus, vor allem der Bolschewismus wurden als feindliche Ideologie bekämpft. Der Leitartikel des ersten Prométhée-Hefts von 1927, der vom Chefredakteur der Zeitschrift Gvazava stammte, setzte sich demzufolge mit dem sowjetischen Bolschewismus auseinander. Gvazava war aber darauf bedacht, das russlandkritische Image der Zeitschrift aufzulösen und diese nur als ein antibolschewistisches Medium darzustellen. Mit einem starken Plädoyer für den Völkerbund, der bis dahin die Sowjetunion noch nicht anerkannt hatte und den kaukasischen und ukrainischen Politemigranten somit die letzte Hoffnung auf Wiederherstellung ihrer 1920–21 sowjetisierten Republiken gab, schrieb Gvazava: Convenons également que le jour où les peuples russe et non russes se tendront mutuellement une main amicale au sein de la Société des Nations pour concourir avec les autres peuples libres à server l’idéal humain, n’est pas une légende.95
Eine weitere Botschaft enthielt der Aufsatz Scelles, der sich in seiner Beitragsreihe im „Prométhée“ die völkerrechtlichen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts der Völker zum Thema machte.96 Das war eine Thematik, die sowohl für die kaukasischen und ukrainischen Emigranten wie auch für die polnischen Eliten von großer Bedeutung war. So zielte er darauf ab, die Zusammensetzung der Sowjetunion aus mehreren Republiken als illegitim darzustellen. Durch das In-Frage-Stellen der territorialen Integrität der UdSSR sollten die bolschewistischen territorialen Erwerbe zwischen 1918 und 1921 als völkerrechtswidrig deklariert werden. Der prometheistischen Ordnungsvorstellung nach sollten die einzelnen nichtrussischen Republiken von Moskau getrennt werden und ihre Selbständigkeit wieder gewinnen. Die internationale Völkergemeinschaft, und vor allem Europa, sollten dies nicht nur wegen der völkerrechtlichen AsRevue de la Presse. „Paneurope“, in: Prométhée 29 (April 1929), S. 29. Le Bolchevisme et les Peuples de l’Union, in: Prométhée 3 ( Januar 1927), S. 3. Georges Scelle: A propos du droit des Peuples à disposer d’eux-mêmes, in: Prométhée 3 ( Januar 1927), S. 4–6.
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pekte unterstützen, sondern auch wegen der eigenen wirtschaftlichen Interessen anstreben. Ebenfalls im Februarheft von 1927 führte das Redaktionskomitee eine neue Rubrik „La Presse“ ein, in der man sich der Auswertung der führenden sowjetischen sowie ausländischen Medien in Bezug auf das politische Geschehen in der Sowjetunion widmete. In der ersten Analyse setzten sich die Pariser Prometheisten mit der Moskauer „Izvestija“ [Nachrichten], dem führenden Presseorgan der sowjetischen Kommunistischen Partei, und dem Pariser Organ der russischen ‚Weißen‘ um Petr Struve97, „Vozroždenie“ [Wiedergeburt], auseinander. Die russische Presse, gleich ob in der Sowjetunion gedruckt oder von den Exilrussen in Europa herausgegeben, zog die Aufmerksamkeit der Prometheisten an. Die russischen Diskurse beschäftigten ihre Gemüter. Über sie diskutierten die Georgier, Ukrainer, Nordkaukasier und Aserbaidschaner sowie die Turkestaner in ihren einzelnen national-diasporalen Kontexten sowie untereinander. Neben der sowjetischen Innen- und Außenpolitik, den beiden Großthemen der prometheistischen Medien, waren die russischen Diskurse innerhalb des Auslandrusslands – wie oben erwähnt – von enormer Bedeutung. Diese Diskurse fanden – wie die der Prometheisten – in den Grossstädten Europas, in Prag, und vor allem in Paris statt. Die Prometheisten verfolgten diese russischen Exildiskussionen aus zwei Perpektiven. Sie interessierten sich für eventuelle Kommunismussympathien sowie für die Haltung zur Nationalitätenfrage. Allein der Antikommunismus unter den weißrussischen Emigranten reichte aus Sicht der Prometheisten nicht aus, um gegebenenfalls zu kooperieren. Inakzeptabel war für sie jene Meinung eines erheblichen Teils der russischen Exilanten, dass Russland im Falle des Scheiterns der Bolschewiki in den Grenzen des Zarenreichs wiederhergestellt werden solle. Diese Haltung vertrat allerdings die überwiegende Mehrheit der Exilrussen. Nicht wesentlich anders war z. B. die Haltung der Eurasier, einer Exilantengruppe russischer Intellektueller, die zwar antikommunistisch eingestellt waren, Russland jedoch als eine eurasische Macht zu positionieren versuchte. Sie lancierten mit ihrer Eurasienidee ein originelles Integrationsmodell für die nichtrussischen Völker des ehemaligen Zarenreiches und hoben die spirituelle und kulturelle Nähe zwischen Russen und Turkvölkern hervor. Im Aprilheft 1927 des „Prométhée“ war ein längerer Aufsatz des ukrainischen Politemigranten Dmytro
Petr Struve (französische Schreibweise: Pierre Strouvé, 1870–1944) war ein prominenter exilrussischer Intellektueller und Politiker. Nach dem Studium der Wirtschaft und Jurisprudenz an der Universität St. Petersburg wurde Struve zum glühenden Marxisten. In den darauffolgenden Jahren prägte er die Strömung des so genannten legalen Marxismus, äußerte sich gegen die Diktatur des Proletariats und positionierte sich oppositionell zu den Bolschewiki. Struve war ein aktives Mitglied der Kadetten-Partei und lehnte die bolschewistische Revolution ab. Er genoss die Nähe sowohl zu Denikin als auch zu Wrangel. Nach der Niederlage der Armeen der beiden im Kampf gegen die Bolschewiki musste er das sowjetische Russland verlassen. In Prag und Paris gab Struve russische Zeitschriften heraus, die den Kadetten nahe standen.
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Andrievs’kyj98 mit dem Titel „Eurasien“99 zu finden, in dem er sich kritisch mit diesem exilrussischen Denkkonzept auseinandersetzte. Andrievs’kyj selbst gehörte nicht zum prometheistischen Netzwerk. Um so interessanter ist es, dass die Redaktion des „Prométhée“ ihn als Autor gewinnen bzw. anwerben konnte. Andrievs‘kyj zufolge war der Bolschewismus ein „phénomène essentiellement russe“100. Dessen Entstehung sei nicht zuletzt auf die Wirkung der russischen Literatur zurückzuführen. Andrievs’kyj erwähnt in diesem Kontext Dostoevskij und Tolstoj. Im Herzen des Bolschewismus liege der russische Wunsch nach Expansion im Nahen und Fernen Osten. Er zitierte den belgischen rechtskonservativen Journalisten und Intellektuellen P[ierre] Daye101 mit der Aussage, dass Russland die Schaffung der Vereinigten Staaten von Asien anstrebe. Die Eroberung Istanbuls sei z. B., so Daye, ein lang ersehntes Ziel Russlands. Andrievsʼkyj argumentierte gegen das 1926 in Paris erschienene Buch des italienischen Intellektuellen und Historikers Guglielmo Ferrero102, „Entre le Passé et l’Avenir“103, dessen Autor durch seine positive Bewertung der Rolle Russlands in der europäischen Geschichte bekannt war. Das Zarenreich sei nie ein Beschützer Europas gewesen. Der Europahass sei ein gesamtrussisches Phänomen. Und das Eurasiertum sei eine neue Synthese der exilrussischen Intellektuellen, um den Expansionismus in Richtung Asien zu rechtfertigen. Andrievs’kyj führte in die Grundlagen der Eurasierlehre ein, indem er kurz den Fürsten Trubeckoj und sein Werk „Evropa i čelovečestvo“ [Europa und die Menschheit], aber auch die wichtigsten Ideologen Savickij und Suvčinskij vorstellte, und die französische Leserschaft vor dem eurasischen Gedankengut warnte. Im zweiten Teil des Aufsatzes, der im Maiheft veröffentlicht wurde, erklärte Andrievs’kyj Russland zu einer „ständigen Gefahr für Europa und für die Zivilisation“104. Andrievs’kyj hob die Rolle Polens als Bollwerk gegen die „russische Expansion“105 herDmytro Andrievs’kyj (1893–1976) war ein exilukrainischer Aktivist, Diplomat und Politiker. Ausgebildet zum Ingenieur, war er als Diplomat an den ukrainischen diplomatischen Missionen in Schweden und in der Schweiz tätig. Ab 1922 lebte er im belgischen Exil. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er in der Bundesrepublik Deutschland und starb 1976 in München. 99 D. Andriewski: L’Eurasie, in: Prométhée 6 (April 1927), S. 25–29. 100 Ebenda. 101 Pierre Daye (1892–1960) war ein belgischer rechtskonservativer Journalist und Publizist. In den 1920er Jahren schrieb er extensiv zu Osteuropa und Russland, während die Themen der belgischen Kolonien seine Publizistik in den 1930er Jahren dominierten. Daye kollaborierte mit den Nationalsozialisten, schrieb für die französische Zeitung „Je suis partout“ und verließ rasch Belgien in Richtung Argentinien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 102 Guglielmo Ferrero (1871–1942) studierte Jura an unterschiedlichen Universitäten in Italien und schrieb neben politischen Essays auch Romane und Reiseberichte sowie eine mehrbändige Abhandlung zur Geschichte Roms. Er galt als liberal. Obwohl Ferrero ein Ministeramt in der Regierung Mussolinis Anfang der 1920er Jahre bekleidete, befand er sich bereits seit 1925 unter Hausarrest. Ende der 1920er Jahre verließ er das faschistische Italien und ließ sich in Genf nieder, wo er wissenschaftlich tätig war. 1942 starb er im Genfer Exil. 103 Vgl. Guglielmo Ferrero: Entre le passé et l’avenir, Paris 1926. 104 D. Andriewsky: L’Eurasie (suite et fin), in: Prométhée 7 (Mai 1927), S. 12. 105 Ebenda, S. 13. 98
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vor. Dass Andrievs’kyj das rechtskonservative Schrifttum Dayes zitierte, ist kein Wunder. Der ehemalige ukrainische Diplomat lebte seit 1922 im Exil in Brüssel und gehörte zum Kreis der Ideologen des ukrainischen Nationalismus. Als Aktivist der eher prodeutschen OUN vertrat Andrievs’kyj allerdings die Meinung, dass die OUN mit den anderen exilukrainischen Gruppen zusammenarbeiten sollte. Vermutlich versuchten die ukrainischen Prometheisten durch die Kooperation mit Andrievs’kyj, Einfluss auf weitere Kreise der ukrainischen Exilanten in der an sich antipolnisch eingestellten OUN zu nehmen. Die Autoren des „Prométhée“ befanden sich in engem Austausch mit den polnischen Mitstreitern in Warschau sowie den französischen Politikern in Paris. Ihre Analysen widmeten sich primär dem Geschehen im östlichen Europa sowie der russischen Ideenströmungen in der Sowjetunion und im europäischen Exil. In diesem Sinne sind die Beiträge Gvazavas und seines Redaktionsteams zum Osteuropaproblem und D. Andrievs’kyjs zur Eurasischen Bewegung in der russischen Emigration zu betrachten. Neben der Kritik an den russophilen Schriften der europäischen Intellektuellen wie z. B. die Ferreros kämpfte „Prométhée“ gegen den reaktionären Exilpolitiker Pavel Miljukov und seine Anhänger in Paris. Im gleichen Kontext ist auch der Leitartikel des Augustheftes 1927 „Das Russische Problem“ zu lesen. Die Prometheisten kritisierten die sowjetische Außenpolitik wie auch die reaktionären Stimmen in der russischen Emigration und verdrehten die sowjetische Agitationssprache, indem sie mit Ironie aufriefen: „Vous tous, peuples, subjugués par la tyrannie soviétique, unissez-vous!“106. Es handelte sich um das Wortspiel analog zum im „Manifest der Kommunistischen Partei“ von 1848 festgeschriebenen und in der Sowjetunion beinahe sakralisierten Aufruf an die Arbeiter: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Der ähnlichen Logik nach sollten sich nun alle Völker, die von der „sowjetischen Tyranei“ unterjocht sind, vereinigen. Die Diskurse und Aktivitäten im Auslandsrussland beobachtend, griffen die Autoren weitere innerrussische Aspekte auf. Der Leitartikel von „Prométhee“ im Februar 1928 sprach von den so genannten „Spetz“107, den nichtbolschewistischen Experten und Russlandkennern im Dienste der Sowjets.108 Es kam tatsächlich dazu, dass viele der russischen Emigrés, wenn auch selbst Kommunismus-kritisch eingestellt, mit den sowjetischen diplomatischen Missionen, und darüber hinaus mit den Behörden, zusammenarbeiteten. Der Chefredakteur Gvazava ging in seinem Editorial auf die inneren Streitfragen und einzelnen Gruppierungen der russischen Exilanten ein, die sich politisch immer wieder neu definierten. In dem Beitrag wurde die Hoffnung ausgedrückt, dass die russischen Monarchisten ihren Antibolschewismus mit der BeLe problème russe. Peuples… unissez-vous?, in: Prométhée 9 (August 1927), S. 2. Der Begriff geht auf die übliche Abkürzung des russischen Wortes „specialist“ [Fachmann, Spezialist] zurück: spec. 108 Dans le camp antibolchevik, in: Prométhée 15 (Februar 1928), S. 1. 106 107
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reitschaft verbinden würden, die Unabhängigkeit der nichtrussischen Gebiete des ehemaligen Zarenreiches im Falle des Untergangs des Kommunismus in Russland anzuerkennen: „So oder anders, mit oder ohne Russen werden die nichtrussischen Völker von ihrem Pfad [zur Unabhängigkeit, Z. G.] nicht abtreten. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie selbst berufen sind, ihre eigene Zukunft zu gestalten.“109 Der Auseinandersetzung vor allem mit den russischen Exilanten und Sozialisten war auch der Beitrag Noj Žordanias gewidmet, der seinem früheren, unter Sozial-Demokraten relativ viel beachteten Buch entsprang, und im Februar 1928 veröffentlicht wurde. „Naši raznoglasija“ [Unsere Widersprüche] befasste sich hauptsächlich mit der Nationalitätenfrage in der Sowjetunion, bzw. mit etwaigen Lösungsansätzen.110 Während die Auseinandersetzungen mit den russischen Emigranten in regelmäßigem Abstand im „Prométhée“ Thema waren, wurde im Februar 1928 eine „Réplique à M. Djamalian“ einen armenischen Publizisten und ehemaligen Botschafters in Tiflis veröffentlicht, was einerseits als ein prometheistisch-russischer, aber auch als ein innerkaukasischer Diskurs betrachtet werden konnte. Aršak Džamaljan hatte eine Kolumne in der Pariser Zeitung „Dni“, die dem Kreis um den prominenten russischen Exilanten Kerenskij nahestand, veröffentlicht. In dieser Kolumne stellte Džamalian Noj Žordania eine offene Frage in Bezug auf dessen Buch „Naši raznoglasija“: „Sie fordern das Selbstbestimmungsrecht für die Völker der UdSSR, was können Sie jedoch im Hinblick auf Borçalı und Džavacheti sagen? Wären Sie bereit auch diesen zwei armenischen Regionen das Selbstbestimmungsrecht einzuräumen?“111 Džamaljan sprach somit zwei Grenzregionen Georgiens mit armenischer und aserbaidschanischer Mehrheitsbevölkerung an. Die Argumentation des prometheistischen Autors, der unter dem Pseudonym Un Géorgien [ein Georgier] schrieb, entsprach der Haltung der georgischen Eliten. Das Selbtbestimmungsrecht sprach er den Nationen, und nicht einzelnen ethnischen Gruppen zu. „Borçalı und Džavacheti sind historisch aber auch wirtschaftlich und politisch gesehen integrale Bestandteile Georgiens.“112 Im Frühling 1928 spitzte sich der Streit zu. Džamaljan schrieb in der Pariser Zeitung „Dni“: „Welch Armenier kann vergessen, dass die neue Hauptstadt Georgiens, Tiflis, mit seiner armenischen Mehrheitsbevölkerung die Wiege der modernen Kultur für Armenien und Transkaukasien war.“ Diese Aussage, die aus georgischer Sicht den armenischen territorialen Anspruch auf deren Hauptstadt widergab, wurde im „Prométhée“ ausführlichst kommentiert und scharf kritisiert.113 Gvazava führte seit längerem eine verbitterte Auseinandersetzung mit den zwei wichtigsten russischen Exilzeitungen in Paris: „Vozroždenie“ und „Dni“. Besonders
109 110 111 112 113
Ebenda, S. 2. N. Jordania: Nos désaccords, in: Prométhée 15 (Februar 1928), S. 4–8. Un Géorgien: Réplique à M. Djamalian, in: Prométhée 15 (Februar 1928), S. 27. Ebenda. Prométhée 17 (April 1928), S. 29.
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intensiv setzte er sich mit denjenigen Autoren auseinander, die über den Kaukasus schrieben. Viele der Kaukasus-Experten dieser zwei russischen Exilzeitungen waren armenischer Herkunft, was dazu führte, dass die armenisch-georgische und prometheistisch-armenische Animosität Ende der 1920er Jahre deutlich zunahm. Die Prometheisten waren zwar bemüht, die Armenier in die eigenen Reihen aufzunehmen, um dann geschlossen gegen Moskau vorzugehen. Die starke protürkische Haltung des prometheistischen Netzwerkes aber störte eine Annäherung zwischen den polnischen, sowie anderen Prometheisten und den exilarmenischen Gruppierungen. Während die Prometheisten von 1926 bis 1928 Themen mit Bezug zu Armenien eher mieden, veröffentlichte der nordkaukasische Emigré Taimourza im April 1929 einen längeren Aufsatz zur Armenienpolitik Russlands. Ihm zufolge „spielte die ‚armenische Frage‘ immer die Rolle einer Trumpfkarte im diplomatischen Spiel des Russischen Reiches in der Türkei“114. Im selben Heft veröffentlichte ein anderer nordkaukasischer Exilant, Tambi Elekotti, einen Beitrag zur „Unabhängigkeit des Kaukasus als Friedensfaktor“115: Armenien wurde in diesem Kontext nicht mehr erwähnt. Die Versuche eine Zusammenarbeit mit den armenischen Exilanten aufzunehmen, sollte es noch im Laufe der 1930er Jahre, allerdings ohne nennenswerten Erfolg, geben. 5.2.5
Kritik der sowjetischen Außen- und Innenpolitik
In all ihren Analysen ging es den Prometheisten um eine kritische Beurteilung der sowjetischen Außenpolitik, und vor allem um die Beleuchtung der außenpolitischen Konfrontation weltweit. Der Leitartikel des Märzheftes 1927 widmete sich z. B. der ‚englisch-russischen Spannung‘. Die Gegner Russlands wurden fast automatisch zu Verbündeten der Prometheisten stilisiert. „Eine Attacke gegen England ist eine Offensive gegen das gesamte Europa,“116 schrieb vermutlich der Redakteur Gvazava unter dem Pseudonym Sentinelle117. Die sowjetische Außenpolitik zeichne sich schließlich nur durch eine „schlechte Diplomatie“ 118 aus, so schrieb er. Im Sommer 1927 erschien ein Doppelheft des „Prométhée“, das mit einem programmatischen Aufsatz „Das Problem Osteuropas“ begann. Gleich im ersten Absatz wurde festgestellt, dass Europa von Mikroben des Bolschewismus angegriffen worden sei, aber bereits Maßnahmen dagegen getroffen habe. Diese Maßnahmen seien von Großbritannien ergriffen worden – u. a. der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Moskau und die Gründung der „Kleinen Entente“ wurden hierzu gezählt.
114 115 116 117 118
Taimourza: La Politique Armenienne de la Russie, in: Prométhée 29 (April 1929), S. 9–16. L’indépendence du Caucase comme facteur de la Paix, in: Prométhée 29 (April 1929), S. 19–23. La tension anglo-russe, in: Prométhée 5 (März 1927), S. 1. „La Sentinelle“ war von 1890–1971 eine sozialdemokratische Tageszeitung in der Schweiz. Sentinelle: Mauvaise diplomatie, in: Prométhée 5 (März 1927), S. 5–8.
„Prométhée“. Die ersten Jahre 1926–27
Eine logische Folge all dieser Schritte sah der unbekannte Autor schlussendlich in der Zerstückelung der UdSSR, „le démembrement de l’Union des Républiques Socialistes Soviétiques“119. Die weiteren Beiträge führten eine Reihe neuer Begriffe und Zusammenhänge ein, die in dieser Form bis dahin nicht artikuliert worden waren. Man sprach nicht nur von der „Kaukasischen Konföderation“, sondern von den „45 000 000 Ukraino-Caucasiens“ (sic!) und 15 000 000 Turkestanern, die „Unabhängigkeit anstreben.“120 Die Lektüre dieser Beiträge ließ den Eindruck entstehen, als wäre die überwiegende Mehrheit dieser insgesamt 60 Millionen Nicht-Russen gegen Moskau schnell mobilisierbar, und als lehnte sie den Kommunismus ab. Dies entsprach jedoch nicht der Realität, sondern vielmehr dem Wunschdenken der Prometheisten, die in jedem Themenbereich wie z. B. im sowjetischen Atheismus nach Möglichkeiten suchten, die betroffenen Gruppen gegen Moskau aufzubringen. Im April 1927 veröffentlichte „Prométhée“ die Ansprache des georgischen Patriarchen Ambrosius, in welcher der Kirchenfürst vom „impérialisme moscovite“ sprach und sich an den Völkerbund mit der Bitte wandte, sich für die Wiederherstellung der georgischen Unabhängigkeit einzusetzen. Der Ansprachetext war von Ambrosius ursprünglich schon am 7. Februar 1922 im noch sowjetisch-regierten Tiflis verfasst worden und sollte während der Konferenz von Genua verlesen werden.121 Im März 1927 starb Ambrosius in einem Gefängnis in Tiflis, in dem er seit 1924 festgehalten wurde. An diesem Beispiel wird deutlich, wie schnell die Prometheisten auf die Prozesse in den jeweiligen Regionen der UdSSR reagierten. Sie nutzten die Schilderung der innenpolitischen Debakel in der UdSSR, um das Bild der Sowjetunion in der europäischen Öffentlichkeit zu verschlechtern. Im Artikel „Die letzte Karte“ stellte ein unbekannter Autor die Krise der sowjetischen Diplomatie fest: Wegen einer „gewissen Stabilisierung in Europa: der Plan Dawes, Locarno, Beitritt Deutschlands zum Völkerbund […] verlor Moskau das Gleichgewicht.“122 Besonders besorgt waren die Prometheisten hinsichtlich einer eventuellen Annäherung zwischen der Sowjetunion und Frankreich. Dasselbe galt auch für die sowjetisch-türkischen Beziehungen,123 da den beiden Ländern im prometheistischen Ordnungsentwurf eine zentrale Rolle zukam. Gleichzeitig schilderte man intensiv die Entwicklung der außenpolitischen Kontakte der Schlüsselregionen – des Kaukasus und der Ukraine – zu den bedeutenden Regionalmächten. Unter dem Pseudonym Kardach erschien ein Beitrag zur türki-
Le problème de l’Est Européen, in: Prométhée 8 ( Juni–Juli 1927), S. 1. L’Union fait la force, in: Prométhée 8 ( Juni–Juli 1927), S. 3. Lettre du Patriarche Ambroise à la Conférence de Gênes, in: Prométhée 6 (April 1927), S. 2–4. La dernière carte, in: Prométhée 6 (April 1927), S. 5. Der Autor veröffentlichte unter dem Pseudonym Kardach einen Artikel über „Die Türkei und die Republiken im Kaukasus“, in dem er die Folgen zweier sowjetisch-türkischer Verträge von Moskau (März 1921) und von Kars (September 1921) beschrieb. Vgl. Kardach: La Turquie et les Républiques du Caucase, in: Prométhée 6 (April 1927), S. 8–12. 119 120 121 122 123
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schen Ukraine-Politik,124 in dem man der kemalistischen Regierung gegenüber trotz der guten Beziehungen zur Sowjetunion deutliche Sympathie zum Ausdruck brachte. Unter einem anderen Pseudonym, Basbak, erschien ein weiterer Beitrag zur Türkei, und zwar zum Thema „Die Bolschewiki und der ‚Kemalismus‘“, in dem der Autor die sowjetische Rezeption des Kemalismus sowie die sowjetische Strategie in Turkestan und China kritisch analysierte. Diese Themen wurden auch in weiteren Heften des „Prométhée“ aufgegriffen.125 Im Laufe des Jahres 1927 erweiterte sich die Reihe der ausländischen Medien, welche die Prometheisten in den eigenen Zeitschriften auswerteten. Die meist zitierten waren die exilrussische Zeitung der Gruppe um Miljukov in Paris „Poslednie novosti“ [Die letzten Nachrichten], die Tifliser Zeitung „Zarja Vostoka“ [Sonnenaufgang des Ostens], die Moskauer „Izvestija“ aber auch die Istanbuler Zeitung „Vakit“ [Zeit]. Die prometheistischen Medien, wie die ukrainische Zeitung „Tryzub-Trident“ und die aserbaidschanisch dominierte Zeitung „Yeni Kafkasiya“, wurden in den „Prométhée“ praktisch integriert, indem einzelne Artikel gegenseitig abgedruckt wurden. Auch „Journal de Génève“ und „La Tribune de Génève“ spielten hierbei eine wichtige Rolle und wurden ebenfalls häufig als Informationsquelle im „Prométhée“ zitiert. Dass die Genfer Zeitungen von enormer Bedeutung waren, lässt sich dadurch erklären, dass die Prometheisten ihre Hoffnungen mit dem Völkerbund verknüpften und in dieser Organisation einen Mechanismus sahen, der die Illegitimität der sowjetischen Okkupation der Ukraine und des Kaukasus gegebenenfalls durch seine Beschlüsse festschreiben könnte. Die Prometheisten unterhielten enge Kontakte zu französischen und vor allem Genfer Journalisten und versuchten, häufig an den Sitzungen des Völkerbundes in Genf teilzunehmen, um für ihre eigene Sache zu werben. Am Vorabend der achten Vollversammlung des Völkerbundes verfassten sie beispielsweise ein Memorandum, dessen Text im Oktober 1927 im „Prométhée“ veröffentlicht wurde. Dieses Memorandum bestand aus mehreren Kapiteln, die sich mit dem Bolschewismus und der „im Krieg geborenen bolschewistischen Diktatur“126, dem Nationalitätenproblem in der UdSSR, dem Kaukasus und der Ukraine sowie dem Beziehungsgefüge zwischen dem Völkerbund und den Völkern des Kaukasus und der Ukraine, beschäftigten. Das Ziel des Memorandums war, eine Annäherung zwischen dem Völkerbund und der Sowjetunion, wie dies auf der Agenda stand, zu verhindern, denn die Aufnahme des sowjetischen Staates in seinen damaligen Grenzen im Jahre 1927 hätte die Anerkennung des Status Quo bedeutet. Anfang November 1927 feierte man in Moskau den zehnten Jahrestag der Revolution und diesem Thema widmete auch „Prométhée“ seinen Leitartikel. Gvazava, verKardach: La Turquie et l’Ukraine, in: Prométhée 9 (August 1927), S. 2–6. Siehe den Beitrag von Georges Scelle „La Diplomatie du Bolchevisme“, in: Prométhée 10 (September 1927), S. 3–6. 126 Mémorandum, in: Prométhée 11 (Oktober 1927), S. 2–9, insb. S. 2 f. 124 125
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mutlich der Autor, versuchte die Leser zu überzeugen, dass jede größere Entwicklung in der Sowjetunion nur vorgetäuscht würde.127 In einem weiteren Artikel warnte ein Autor unter dem Pseudonym Argus die europäische Gemeinschaft vor einem „l’erreur capitale“, wenn sie sich auf einen Dialog mit den Bolschewiki einlassen würde.128 Die Reaktion der Prométhée-Redaktion auf die Geschehnisse jenseits der sowjetischen Grenzen erfolgte schnell und äußerst kritisch. Die Schlussfolgerungen wurden jedoch häufig emotional gezogen. Der Leitartikel des Dezemberhefts z. B. erzählte von der Entlassung Trotzkis und Zinov’evs als Zeugnis eines baldigen Zerfalls der Kommunistischen Partei. „Nichts ist ewig […]. Ein Todesschuss Joffes, eines Helden von Brest-Litovsk, ist ein Vorbote des Endes“129, verkündete Gvazava. Ohne den Autorennamen zu nennen, veröffentlichte der „Prométhée“ eine Reihe mit dem Titel „Briefe aus Georgien“. Es handelte sich eigentlich um eine neue Rubrik, die regelmäßig geführt wurde. Es waren Berichte über den Alltag im sowjetischen Tiflis, bzw. unmittelbar aus der Sowjetunion, die von Überläufern bzw. Informanten stammten. Im Januarheft 1928 erschien „Ein Brief aus Aserbaidschan“. Unterschrieben war der Beitrag von Dach Demir, als Datum wurde der 15. November 1927 in Baku angegeben. Das Abdrucken der Mitteilungen aus erster Hand unmittelbar aus der UdSSR, die über die Gräueltaten des Regimes berichteten, hatten zum Zweck, Vertrauen in die Sachkenntnis des „Prométhée“ in der französischen und frankophonen Öffentlichkeit zu schaffen. Da dieselben Exilautoren häufig mehrere Artikel im gleichen Heft unter unterschiedlichen Pseudonymen verfassten, ist es nur eine Vermutung, dass die Beiträge dieser Rubrik tatsächlich aus der sowjetischen Provinz stammten. Nicht auszuschließen ist, dass die Beiträge von den Exilanten aufgrund der eigenen Erfahrung, bzw. der Rezeption von Erzählungen niedergeschrieben wurden. Die kaukasischen und ukrainischen Prometheisten beobachteten aufmerksam die fortschreitende Totalisierung des sowjetischen Staates und berichteten darüber, dass z. B. viele der prominenten Kommunisten aufgrund der fiktiven Anschuldigungen als Spione und Saboteure entweder entlassen, ins Exil oder zum Selbstmord gezwungen wurden bzw. verschwanden: Ihre früheren Dienste für das sowjetische Regime spielten dabei in der offiziellen Argumentation in der Regel eine eher geringe Rolle. Dies zeugte mit Sicherheit von einer Krise, in welche die sowjetische Ideokratie geriet. Der Eindruck jedoch, die Sowjetunion würde bald auseinanderfallen, war ein Wunschdenken und ein Versuch die europäische Öffentlichkeit zu überzeugen, aktiver gegen Moskau vorzugehen und sich zurückhaltender bei jeglicher Wirtschaftskooperation mit der UdSSR zu verhalten. Während die Kommunisten in der Sowjetunion den zehnten Jahrestag der Revolution feierlich begingen, lebten viele der Prometheisten seit acht Jahren oder länger im Exil. Es war eine Zeit, in der viele von ihnen mehrfach das Exil127 128 129
La dixième anniversaire des Soviets, in: Prométhée 12 (November 1927), S. 1–3. Argus: L’erreur capitale, in: Prométhée 12 (November 1927), S. 12–14. Hors la loi, in: Prométhée 13 (Dezember 1927), S. 2.
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land gewechselt hatten und keinen, oder nur sporadischen Kontakt zu den eigenen Familienangehörigen und Mitstreitern in der Sowjetunion aufrechterhalten konnten. Sie mussten sich auch dem häufig schwierigen Alltag und den spezifischen Umständen ihres eigenen Status und des jeweiligen Aufnahme-, bzw. Exillandes anpassen, was häufig nicht nur darin bestand, eine weitere Fremdsprache schnell zu erlernen oder sich ein neues soziales Umfeld aufzubauen. 5.3
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Die Intensivierung der Aktivitäten der prometheistischen Netzwerke stand in direkter Verbindung zu den aktuellen Entwicklungen um die UdSSR. So waren die Prometheisten erfreut, als Großbritannien Ende Mai 1927 die diplomatischen Beziehungen zu Moskau abgebrochen hatte, auch wenn der Grund hierfür weder die Frage der ukrainischen noch der kaukasischen Souveränität, sondern die sowjetische Agitation und Spionage auf britischem Territorium waren. Die Schweiz andererseits hatte im Frühjahr die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen, was die Prometheisten schockierte. Im Mai beteiligte sich die sowjetische Delegation zudem – zum ersten Mal nach der berüchtigten Conradi-Affäre 1923130 – an der internationalen Konferenz für Wirtschaftsfragen in Genf. Auch wurde die Initiative Chamberlains, eine gemeinsame Deklaration zur Verurteilung der Komintern und der UdSSR aufzusetzen, auf der Konferenz der Außenminister der führenden europäischen Mächte und Japans in Genf abgelehnt, was von einem Anstieg der Bedeutung der Sowjetunion in der internationalen und europäischen Politik zeugte. Am 1. Oktober 1927 unterzeichnete die Sowjetunion den Nichtangriffspakt und den Vertrag über die Zusammenarbeit mit Persien. Dieses Abkommen zusammen mit den vorherigen Verträgen von Moskau und Kars mit der Türkei stellten eine neue Grundlage der sowjetischen Politik im Nahen Osten dar, zumindest in Bezug auf Länder wie die Türkei und Persien, die eine gemeinsame Grenze mit der UdSSR hatten. Nach dem diplomatischen Erfolg Moskaus in der Schweiz – einem Land, das den Völkerbund beherbergte – und dem Abschluss mehrerer Verträge im Mittelmeerraum und im Nahen Osten, fühlten sich die Prometheisten vor allem in Warschau besonders herausgefordert. 1928 war „Prométhée“ das Hauptmedium der prometheistischen Berichterstattung und Agitation. Der Großteil der Artikel blieb unverkennbar antisowjetisch und fokussiert auf den Kaukasus, die Ukraine, die Krim, die Wolga-Region und Turkestan. Im Hinblick auf die Berichterstattung zur internationalen Politik fokussierte sich der 130 Im Mai 1923 erschoss der russische Emigrant Moritz Conradi (1896–1947) in Lausanne den sowjetischen Diplomaten Vaclav Vorovskij. Die Schweiz lehnte es allerdings ab, der sowjetischen Seite zu kondolieren, da die Sowjetunion von Bern nicht anerkannt wurde.
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Großteil der kaukasischen und Turkestaner Prometheisten auf die Region des Nahen Ostens und der Türkei. Die Debatten der Prometheisten und der exilrussischen und exilarmenischen Intellektuellen betrafen die Fragen der Organisation des zukünftigen politischen Systems in Russland und vor allem Fragen der internationalen Politik, insbesondere der Entwicklungen im Nahen Osten. Viele Prometheisten wie der bereits erwähnte Rasulzade traten als Nahostexperten auf. Im Mai 1928 meldete sich zum ersten Mal Mustafa Čokaev, der turkestanische Emigré in Paris, zu Wort, der sich nach kurzen Exilaufenthalten in Tiflis, Baku und Istanbul Mitte der 1920er Jahre im entfernten Pariser Vorort Nogent-sur-Marne niedergelassen hatte. Im prometheistischen Netzwerk in Frankreich war er als Afghanistan- und Zentralasien-Experte ein oft gefragter Experte. Er analysierte z. B. die sowjetische Politik in Afghanistan, indem er die sowjetische Berichterstattung anlässlich des Besuchs des afghanischen Königs Amanullah Chan in der Sowjetunion untersuchte.131 Im März 1928 meldete sich Rasulzade von Istanbul aus erneut zu Wort. Der programmatische Aufsatz „Unser Weg“ im „Prométhée“ war die Übersetzung seines Editorials für die am 1. Februar 1928 in Istanbul gegründete Zeitung „Azerî-Türk“.132 Im Juli 1928 analysierte Rasulzade die bolschewistische Orientpolitik133. Kurz davor veröffentlichte Rasulzade ein neues Kapitel aus seiner kulturgeschichtlichen Darstellung zur Republik Aserbaidschan.134 Im Mai 1929 berichtete die Zeitschrift über die Gründung der „Odlu Yurt“135, eines weiteren prometheistischen Printmediums in Istanbul, der von ihm herausgegeben wurde. Diese Aktivitäten zeigen eine extrem intensive Vernetzung zwischen prometheistischen Netzwerken in Paris und Istanbul, eine operative
Mustafa Tchokai Oghly: Les Soviets et l’Afghanistan, in: Prométhée 18 (Mai 1928), S. 18–21. M. E. Rassoulzadé: Notre chemin, in: Prométhée 16 (März 1928), S. 13–15. Rassoul-Zadé: La politique orientale des bolcheviks, in: Prométhée 20 ( Juli 1928), S. 10–14. Dies war der erste Teil einer thematischen Reihe. Die weiteren Teile wurden in den darauffolgenden Monaten veröffentlicht. Siehe ders.: La politique orientale des Bolcheviks. Les leçons de l’experience chinoise, in: Prométhée 21 (August 1928), S. 6–11; ders.: La République d’A zerbaïdjan, in: Prométhée 22 (September 1928), S. 16–21. 134 M. E. Rassoul-Zadé: La République d’A zerbaïdjan. IV. Les destinées historiques du pays, Prométhée 17 (April 1928), S. 11–15. 135 Die Zeitung „Odlu Yurt“ ist ein interessantes Beispiel eines exilaserbaidschanischen, prometheistischen Mediums, das nach der Ausweisung des Chefredakteurs Mehmed Amin Rasulzade aus der Türkei von Warschau aus redigiert wurde. „Odlu Yurt“, wörtlich „Land des Feuers“, war seit 1923 das dritte exilaserbaidschanische Zeitungsexperiment in der Türkei. Nachdem 1927 „Yeni Kafkasya“ und 1929 „AzeriTürk“ geschlossen wurden, gründete der bereits seit sieben Jahren in Istanbul tätige Politemigrant Rasulzade „Odlu Yurt“. Das erste Heft der Monatsschrift erschien am 1. März 1929. Außer des Chefredakteurs selbst schrieben die exilaserbaidschanischen Intellektuellen Mirza Bala Mehmetzade, Hüseyin Baykara, der Krimtatare Cafer Seydahmet, der Nordkaukasier A. Battal Taymas u. a. für die Zeitung. Viele Autoren schrieben unter Pseudonymen. Als „A. Uran“ beispielsweise publizierte der Philologe Ahmet Caferoğlu, der zum Zeitpunkt der Zeitungsgründung noch im Promotionsstudium an der Universität Breslau war. Der „Prométhée“ schrieb, „Odlu Yurd“ sei die „erste aserbaidschanische Zeitschrift, die im Ausland in der neuen lateinischen Schrift erscheint, die in der Türkei festgelegt worden ist“. Vgl. Le nouveau journal Odlu Yurd, in: Prométhée 30 (Mai 1929), S. 32. 131 132 133
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und schnelle Weiterleitung der Presseberichte und Übersetzungsarbeit, die in einem internetlosen Zeitalter durchgefürht wurde. Der Turkestaner Emigrant Sokli Kai Ogli veröffentlichte im Märzheft 1928 den Beitrag „Das Problem Turkestans“.136 Die Wahl des Toponyms ‚Turkestan‘ war ziemlich typisch für alle prometheistischen Medien: Auf diese Art versuchte man deutlich zu machen, dass die von Moskau aus vorangetriebene Föderalisierung Zentralasiens und die in den früheren 1920er Jahren erfolgte Gründung einzelner Sowjetrepubliken, wie Usbekistan, Turkmenistan usw. nicht akzeptiert wurden. Die sowjetische Aufteilung der Region in mehrere Sowjetrepubliken wurde als sowjetischer Imperialismus gedeutet. Der Antisowjetismus und die Russlandkritik führten dazu, dass die prometheistischen Aktivisten die gesamte internationale Politik aus der eigenen spezifischen Perspektive beurteilten. Im September 1928 wurde ein kleinerer Essay zum Thema „Ägypten und der Kaukasus“ veröffentlicht. Ein anonymer Autor kritisierte die sowjetische Imperialismusdebatte und die sowjetische Kritik der britischen Politik in Ägypten. „England hat in Ägypten nichts zerstört, es trug zur ökonomischen und politischen Wiedergeburt des Landes bedeutend bei, dessen Unabhängigkeit es fast anerkannte. Und die Sowjets? Kraft welcher Vereinbarungen okkupieren sie den Kaukasus?“137 fragte der Autor emotional. 1928 wurde „Prométhée“ erneut zum Austragungsort des Streites zwischen den armenisch-stämmigen Intellektuellen der exilrussischen Zeitung „Dni“ und den georgischen, wie auch aserbaidschanischen Prometheisten. Auch bei diesem Streit ging es um die Positionierung der Exilanten der Türkei gegenüber. An einem Streit, der sich zwischen dem georgischen Emigré David Šarašidze und dem russischen Vertreter Nikolaj Timašev138 entwickelte, beteiligte sich auch Rasulzade. Er warf Timašev russischen Imperialismus und eine vorurteilsbehaftete Türkei-Vision vor, weil er der These Šarašidzes, die Türkei bedrohe Georgien nicht, widersprochen hatte. Rasulzade bestritt die Haltung Timaševs, die türkischen Eliten hätten sich den Nationalismus auf die eigene Fahne geschrieben, und argumentierte, dass die türkische Regierung einen reformatorischen Modernisierungskurs nach europäischem Muster lancierte und durch die Abschaffung des Kalifats und die Einführung des schweizer Zivilgesetzbuches einen modernen Staat nach europäischem Muster gestalten wolle.139 Rasulzade zufolge etablierte sich in der Türkei ein weltliches Regime, das keineswegs als pan-
Sokli Kai Ogli: Le Problème du Turkestan, in: Prométhée 16 (März 1928), S. 15–21. L’Egypte et le Caucase, in: Prométhée 22 (September 1928), S. 30. Nikolaj Timašev (1886, St. Petersburg – 1970, New-York) war Absolvent der Jura-Fakultät der St. Petersburger Universität. Seit 1921 befand er sich im europäischen Exil, zuerst in Finnland, dann in Deutschland und in der Tschechoslowakei, wo er an der Russischen Universität in Prag lehrte. Von Mitte der 1920er bis zu seiner Auswanderung in die USA lebte Timašev in Paris, arbeitete mit der Zeitung „Vozroždenie“ zusammen und lehrte am Französisch-Russischen Institut. 139 M. E. Rassoul-Zadé: Le caractère essentiel du nationalisme de la Turquie moderne, in: Prométhée 18 (Mai 1928), S. 11. 136 137 138
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islamistisch bezeichnet werden könnte. Besonders interessant, vor allem im Hinblick auf die Beeinflussung des prometheistischen Netzwerks von Istanbul aus, ist der Abschnitt des Artikels Rasulzades, in dem er auf die Genese des Panturkismus eingeht: Einer radikalen Metamorphose erlag die Türkei nicht nur im Bereich der religiösen Konzeptionen, sondern auch bedeutendermaßen im Bereich der nationalen Konzeptionen. Die panislamistische Denkweise, in der das Nationale und das Religiöse ineinander übergehen, wurde unter den Unionisten140 erschüttert und durch den Panturkismus abgelöst. Letzterer bestand seit seiner Entstehung aus zwei unterschiedlichen Strömungen. Eine Strömung, die an die Stelle des agressiven Panislamismus trat, war die des zentralistischen Pantürkismus, der einen extremen Nationalismus befürwortete. Die andere Strömung vertrat dezentralisierten Kultur-Pantürkismus, der jene nationale Einheit anstrebt, die nicht rassen-, sondern kulturgebunden ist. Die Anhänger dieser Strömung können […] auch als Föderalisten bezeichnet werden. Ihr Ziel ist es, die türkischen Länder141 als unabhängige Staaten zu organisieren. Wenn diese Staaten in der Zukunft den Wunsch äußern, sich in einem föderalen Staat zu vereinen, umso besser: Jedenfalls bleibt das ein Ideal.142
Rasulzade schrieb, dass viele türkische Intellektuelle sowie die aus dem Zarenreich stammenden turkophonen Intellektuellen diesen kulturellen Pantürkismus teilen würden. Mustafa Kemal Atatürk, den Rasulzade mit Begeisterung erwähnte, habe in seiner Ansprache vorm Parlament die osmanische Politik, den Panislamismus sowie den Pantürkismus scharf verurteilt. Rasulzade zufolge handelte es sich dabei jedoch um den klassischen Pantürkismus (panturkisme classique), der ausschließlich eine Kulturkomponente ohne politische Zielsetzung gehabt haben sollte. Atatürk soll dabei auch mit Pathos von der türkischen Nation gesprochen haben. Rasulzade fragte sich im Aufsatz folglich, was eigentlich unter dem Begriff einer türkischen Nation zu verstehen sei und zeigte auch in der türkischen Debatte unterschiedliche, häufig gegensätzliche Definitionen auf.143 Zum Schluss schrieb Rasulzade, dass „die kaukasischen Völker im Hinblick auf die [Politik der, Z. G.] Republik Türkei entspannt bleiben sollen […]. In dieser Türkei […] gibt es keinesfalls die Intention, die nichttürkischen Länder des ehemaligen Osmanischen Reiches, oder die turksprachigen Länder außerhalb der
140 Unter den Unionisten sind die Herrschaftsjahre der türkischen Partei „İttihad veTerakki“ (Union und Progress) zu verstehen. 141 Im französischen Original: les pays turks. 142 M. E. Rassoul-Zadé: Le caractère essentiel du nationalisme de la Turquie moderne, in: Prométhée 18 (Mai 1928), S. 12. 143 Rasulzade schrieb vom Kreis um den türkischen Mittelalterhistoriker Mükrümün Halil und seiner Meinung, dass es keine türkische Nation, sondern eine türkische Rasse gäbe, zu der die Anatolier, Aserbaidschaner und Turkestaner gehörten. Das war sein Beispiel für die Vielfalt der alternativen Vorstellungen über Nation und Türkentum, die es in der modernen Türkei neben der offiziellen kemalistischen Haltung gäbe. M. E. Rassoul-Zadé: Le caractère essentiel du nationalisme de la Turquie moderne, in: Prométhée 18 (Mai 1928), S. 13.
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nationalen Grenzen zurückzuerobern.“144 Diese Analyse wäre jedoch unvollständig, wenn Rasulzade nicht auch das Schlüsselthema der prometheistischen publizistischen Aktivität, und zwar Russland, anschneiden würde. In Russland beobachte man, so Rasulzade, wie der „Weltimperialismus der Zaren vom Kommunismus abgelöst wurde, der noch universeller [in seinem Anspruch, Z. G.] ist. […] wir sehen schon jetzt die Nachfolge-Ideologie des Eurasismus, der ambitioniert ist, noch umfassender zu werden.“145 Neben dem Nahen Osten und der Türkei gewannen der Ferne Osten und Ostasien, als wichtige Weltregionen für die UdSSR, an Bedeutung in der prometheistischen Berichterstattung. Der Leitartikel des Augustheftes 1929 des „Prométhée“ informierte über die chinesisch-russischen Reibungen, deren Ursprung der russische Imperialismus sei.146 Auch die in Istanbul erscheinende „Odlu Yurt“ griff das Thema der chinesisch-sowjetischen Beziehungen im Herbst 1929 erneut auf. Ein unbekannter Autor (vermutlich handelte es sich um den Pariser Exilanten Mustafa Čokaev) vertrat die Meinung, dass China zweifellos die Oberhand gewinnen würde, sollte es zu einem offenen Konflikt zwischen Peking und Moskau kommen.147 Einen zweiten Artikel148 im gleichen Heft widmete der Kasaner Exilant in der Türkei, der Historiker Abdulla Battal-Taymas, der sowjetischen China-Politik. Auch in diesem Kontext wird ersichtlich, dass die Prometheisten aktiv auf die Prozesse in der internationalen Politik, sowie auf das politische Geschehen in Mittelasien, aber auch auf die Diskurse in den sowjetischen und exilrussischen Medien reagierten. So schrieb z. B. die Pariser Zeitung „Dni“ seit Mitte 1929 intensiv zum Thema der chinesisch-sowjetischen Beziehungen, sowie zu den innersozialistischen Auseinandersetzungen.149 „Prométhée“ druckte in der zweiten Hälfte 1929 mehrere Beiträge von Personen ab, die indirekt mit den prometheistischen Zirkeln verbunden waren. Es handelte sich um den Vizepräsidenten des Schweizer Parlaments Ernest-Paul Graber150, den französischen Sozialisten Georges Dumoulins151 und um den türkischen Politiker Hamdullah Suphi. Grabers Artikel sollte, der kurzen Vorstellung der „Prométhée“-Redaktion nach, in der von ihm herausgegebenen Zeitung „La Sentinelle“ erscheinen. Im Fokus stand Ebenda, S. 14. Ebenda. La Tension Sino-Russe, in: Prométhée 33 (August 1929), S. 1. Çin-Rus ihtilȃfi, in: Odlu Yurt 1/6 (August 1929), S. 233. Unbekannter Autor: Çin-Rus ihtilȃfi, in: Odlu Yurt 1/7 (September 1929), S. 281–282. Mustafa Çokay oglu: Çin-Rus ihtilȃfi, in: Odlu Yurt 1/8 (Oktober 1929), S. 302–310. 148 A[bdullah] Bat[tal-Taymas]: Beynelmilel hayattan, in: Odlu Yurt 1/6 (August 1929), S. 238–240. 149 Aleksandr Kerenskij: Mančžurskij razgrom, in: Dni 46 (14.07.1929). 150 Ernest-Paul Graber (1875–1956) war ein sozialdemokratischer Schweizer Politiker und Aktivist. Graber redigierte die sozialistische Zeitung „La Sentinelle“ seit 1916 und war nach dem Ersten Weltkrieg bekannt für seine antianarchistische und vor allem antikommunistische Aktivität. 151 Georges Dumoulin (1887–1963) war ein französischer sozialistischer Intellektueller und ein aktiver Freimaurer. Er gehörte zur Loge Les Egaux. Im Zweiten Weltkrieg kooperierte er mit dem Vichy-Regime. 144 145 146 147
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ein innersozialistischer Streit. Graber argumentierte gegen den französischen Kommunisten und Schriftsteller Henri Barbusse, indem er ihm wegen seiner sowjetophilen Haltung den „Verrat an den Schwachen“, den georgischen Menschewiki, vorwarf. Den Prometheisten ging es dabei nicht nur um die Wiedergabe eines innereuropäischen Streites zwischen sowjetkritischen und –freundlichen Sozialisten und um die äußerst kritischen Äußerungen Grabers oder vor allem auch Dumoulins über den Kommunismus. Es ging ihnen vor allem auch um die Schilderung dessen, wie Graber und Dumoulin Georgien darstellten. Graber argumentierte gegen die Barbusse’sche Kritik an den georgischen Sozialisten,152 die sich durch das 1929 in Paris erschienene Buch von Henri Barbusse, „Voici ce qu’en a fait de la Géorgie“, provoziert fühlten. Graber und Dumoulin reagierten darauf, indem sie Barbusse scharf verurteilten und die Prometheisten popularisierten diese Reaktionen in ihren Medien. Die Grundlage für das Buch von Barbusse waren seine wiederholten Reisen in die Sowjetunion ab 1927. Barbusse, den der sowjetische Intellektuelle Ju. Novikov als „aufrichtigen Freund des sowjetischen Staates“153 bezeichnete, besuchte sowohl Zentralrussland als auch Transkaukasien. Sein Buch war nicht nur äußerst sowjetophil, sondern schilderte auch die Entwicklungen im sowjetischen Georgien während des ersten Jahrzehnts nach der Errichtung des sowjetischen Regimes im positiven Licht und rechnete so mit der menschewistischen Regierung von 1918–1921 ab. Graber schrieb, dass Barbusse in seinem Buch „descend à faire tout simplement l’apologie des bourreaux de la Géorgie et c’est là bien mal placer son talent“154. Dumoulin, dessen Reaktion auf das Buch von Barbusse im Novemberheft des „Prométhée“ von 1929 veröffentlicht wurde, warf Barbusse vor, er wolle nicht akzeptieren, dass Georgien zwanghaft erobert und seiner Ressourcen beraubt worden sei. In Bezug auf die sowjetische Herrschaft in Georgien, die Barbusse verklärt habe, bediente sich Dumoulin ähnlich wie Graber eines polemisierenden Wortschatzes, der in den georgischen prometheistischen Kreisen sicherlich gut ankam. Dumoulin sprach von Henkern und davon, dass Barbusse mit seinem prosowjetischen Buch „die Wahrheit gefoltert“155 habe. Es folgten weitere Reaktionen: Die Montagsausgabe der Zeitung „Paris-Soir“ z. B. machte ihre Leser darauf aufmerksam, dass „am Dienstag, im Saal der Sociétés Savantes, um 20:30 Uhr ein Prozess „Voici ce qu’on a fait de la Géorgie““156 stattfinden würde. „Der Angeklagte: Henri Barbusse, die Kläger: Šarašidze157 mit Francis Jourdain, Paul-Louis,
E.-Paul Graber: Henri Barbusse trahit la cause des faibles, in: Prométhée 33 (August 1929), S. 3. Vgl. Ju. Novikov: Iskrennij drug Strany sovetov, in: Ogonek 21 (Mai 1973), S. 13. E.-Paul Graber: Henri Barbusse trahit la cause des faibles, in: Prométhée 33 (August 1929), S. 3. G. Dumoulin: Barbusse a torturé la vérité, in: Prométhée 36 (November 1929), S. 3. Réunion et Conférences, in: Paris-Soir (2.081), 17.06.1929. David Šarašidze (1886–1935, Paris) war ein bedeutender georgischer Emigrant. Er war Absolvent der Universität Genf, lebte ab 1921 im Exil in Istanbul und ab 1925 bis zu seinem Tod 1935 in Paris. Sein Sohn, Georges Charachidzé (1930–2010), wurde zum prominenten französischen Linguisten, zu einem Spezialisten für die kaukasischen Sprachen. 152 153 154 155 156 157
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Colomer, Sandor Kemery, […] Graf Károlyi“158. Es ist bemerkenswert, wen der georgische Prometheist und Gründer der Zeitungen „Brdzola“ [Kampf] und „Brdzolis chma“ [Echo des Kampfes], David Šarašidze, für diesen „öffentlichen Anklageprozess“ gegen Barbusse mobilisieren konnte: Neben dem bekannten Maler und links orientierten Aktivisten Francis Jourdain (1876–1958) solidarisierte auch der prominente ungarische Exil-Politiker und der ehemalige Ministerpräsident Ungarns, Graf Mihály Károlyi (1875–1955). Šarašidze wurde zum prominentesten Kritiker von Barbusse im prometheistischen Milieu und hat dafür die Kreise der europäischen Sozialisten mobilisiert. 1930 veröffentlichte er ein Buch „H. Barbusse, Les Soviets et la Géorgie“159, das eine weitere Reaktion auf das Buch von Barbusse darstellte. Ein längeres Vorwort für dieses Buch verfasste Karl Kautsky, in dem er den Standpunkt von Barbusse scharf verurteilte. Wie in den oben dargestellten Beispielen zog der georgische Emigrant die Meinung, den Namen und schließlich die Autorität eines europäischen „intercessor“ (Charles King), der seinem Standpunkt eine zusätzliche Gewichtung verleihen sollte. Das französische sozialistische Tagesblatt „Le Populaire“ warb für das Buch.160 Der Artikel des Redakteurs der panturanistischen Zeitung „Türk Yurdu“, Hamdullah Suphi, wurde ursprünglich am 7. Juli 1929 in einer anderen, der panturanistisch geprägten türkischen Zeitung „İkdam“ veröffentlicht. In der Istanbuler prometheistischen Zeitschrift „Odlu Yurt“ wurde der türkische Originaltext161 mit einer kurzen Stellungnahme der Redaktion abgedruckt. Zeitnah erschien eine französische Übersetzung unter dem Titel „Comment se brisent les idoles“ im „Prométhée“. Ähnlich wie Graber kritisierte Subhi den Kommunismus und verurteilte die sowjetische Politik.162 Im gleichen Heft des „Prométhée“ deutete der aserbaidschanische Emigré Mir Yagub auf die sowjetisch-türkischen Beziehungen 1929 hin und schlug vor, für ein besseres Verständnis der Verhältnisse zwischen Moskau und Ankara nicht nur die türkischen und russischen, sondern auch die sowjetischen Medien auszuwerten, die in die Turksprachen übersetzt erschienen.163 Während die Moskauer Presse sich zurückhaltend zur Türkei äußerte, verstand das Presseorgan der Kommunisten in Baku die türkische Regierung als „l’instrument des bourgeois d’Asie“ und ihre Politik als „celle de l’oppression de la classe ouvrière de Turquie, saluant en même temps l’activité des héros communistes turcs dirigée contre cette oppression.“164 Mir Yagub zufolge finanziere Moskau pro-kommunistische Medien in mehreren türkischen Städten, wie z. B. die Zeitung „Halka doğru“ in Konya. Umso wichtiger sei es daher, eine Gegenpropaganda zu starten. Als Verbündete in der Türkei wurden in diesem Kontext die Redaktionen 158 159 160 161 162 163 164
Réunion et Conférences, in: Paris-Soir (2.081), (17.06.1929). D. Charachidzé: H. Barbusse, Les Soviets et la Géorgie. Preface de Karl Kautsky, Paris 1930. Vgl. Carnet du lecteur, in: Le Populaire (11.04.1930). H. Suphi beyin çok mühim bir makalesi, in: Odlu Yurt 1/6 (August 1929), S. 241–246. Hamdullah Subhi: Comment se brisent les idoles, in: Prométhée 33 (August 1929), S. 5–9. Mir [Yagub Mehdiyev]: La Turquie et les Bolcheviks, in: Prométhée 33 (August 1929), S. 17. Ebenda.
Polen als Drahtzieher
der Zeitungen „İkdam“ und „Vakit“, sowie das Wirken Hamdullah Suphis an einer prominenten Stelle erwähnt. Diese zwei Themen, die Polemik Grabers165 und Dumoulins und der georgischen Menschewiki166 gegen Henri Barbusse sowie die Schilderung der sowjetischen TürkeiStrategie167 nahmen in der zweiten Hälfte 1929 einen wichtigen Platz in den prometheistischen Medien zwischen Warschau und Paris ein. Auch die Anzahl an Beiträgen zu den anderen imperialen Staaten außer der Sowjetunion nahm stetig zu. Zu einem Imperienforscher entwickelte sich der aserbaidschanische Emigré Mir Yaqub Mehdiyev in Paris. Im Oktober veröffentlichte er eine längere Analyse über Großbritannien und Ägypten. „Es würde einem schwer fallen, in der Weltgeschichte eine politische Organisation zu finden, die vergleichbar gut organisiert wäre, wie das britische Empire.“168 Dabei dominierte eine verklärte Sicht auf Großbritannien und auf das britische Commonwealth, das er als einen Bund unterschiedlicher Völker bezeichnete, die zwar mit London verbunden seien, sich jedoch in unterschiedlichen Stadien hin zur eigenen Unabhängigkeit befänden.169 Auch in der Frage nach Ägypten bezog Mehdiyev den Standpunkt, dass Großbritannien an einer schnellen Lösung der ägyptischen Forderungen interessiert sei. London war aus Sicht Mehdiyevs bereit, weitgehende Zugeständnisse an Ägypten zu machen. Den britischen Premierminister Ramsay MacDonald schilderte er als liberalsten und kompromissbereitesten Politiker seiner Zeit und rief die russischen Liberalen und Sozialisten dazu auf, sich an diesem ein Beispiel zu nehmen.170 Eine ähnliche Sichtweise ist auch in einem Beitrag, der fast zeitgleich in der Pariser ukrainischen Zeitung „Tryzub“ erschien, zu finden.171 5.4
Polen als Drahtzieher
Polen unterstützte die nichtrussische Emigration und versuchte über die eigene diplomatische Präsenz in der Sowjetunion, um Informationen über das aktuelle Geschehen in den nichtrussischen Peripherien der UdSSR zu gewinnen. Am 10. Dezember 1927 berichtete der polnische Diplomat Stanisław Patek dem Warschauer Außenministerium über seine Kaukasus-Reise.172 Einleitend hob er die strategische Bedeutung des
Paul Graber: Le Communiste Barbusse, tabou, in: Prométhée 34 (September 1929), S. 6–8. K[hariton] Chavichvily: La situation grave à Genève, in: Prométhée 34 (September 1929), S. 4–6. Mir [Yagub Mehdiyev]: Les bolcheviks et la Turquie, in: Prométhée 34 (September 1929), S. 9–11. Mir [Yaqub Mehdiyev]: L’Angleterre nouvelle et l’Egypte, in: Prométhée 35 (Oktober 1929), S. 12. Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 16. Observator: Anglijski spravy, in: Tryzub 18/226 (4. Mai 1930), S. 18–22. Raport nr 1276/T/27, in: Stanisław Patek. Raporty i korespondencja z Moskwy (1927–1932), hg. von Małgorzata Gmurczyk-Wrońska, Warschau 2010, S. 231–234. 165 166 167 168 169 170 171 172
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Kaukasus für die polnische Wirtschaft hervor. Darüber hinaus plädierte er für den Zugang der polnischen Wirtschaft zum persischen und afghanischen Markt. Patek berichtete über ein positives Bild Polens im sowjetischen Kaukasus, und über die Befreiungsbestrebungen in dieser Region.173 Patek zufolge würde der Kampf zwischen der kapitalistischen und bolschewistischen Welt nicht nur fortdauern, sondern [wird] sich mit der Zeit noch intensivieren. Die Bolschewiki rechnen mit der Revolution in den Kolonien und einem neuen Zusammenprall der Kapitalisten. Der Kapitalismus zahlt mit derselben Münze heim und erhofft den Untergang der Sowjetunion aus unterschiedlichen Gründen, vor allem wegen der Tendenzen weg-vom-Zentrum in den Republiken, die in der Zusammensetzung der UdSSR sind.174
„Da Transkaukasien“, so schlussfolgerte Patek, „der Union nicht freiwillig beitrat, leben die transkaukasischen Republiken mit der Union in einer Zwangsehe.“175 Patek zufolge war das Beispiel Polens für die Kaukasier wertvoll in Bezug darauf, wie man sich befreien könnte. Für Polen dagegen öffneten sich Möglichkeiten nicht nur für den Handel, sondern auch für die Schaffung einer eigenen politischen Einflüsssphäre (sfera wpływów politycznych).176 An dieser Stelle ist die Evolution des polnischen Imperialismus offensichtlich. Gerade am Beispiel des Drahtberichts des polnischen Diplomaten Patek ist ersichtlich, dass Warschau durch das Lancieren des Prometheismus klare expansionistische Ziele verfolgte. Würde Russland aus dem Kaukasus und weiteren Randgebieten verdrängt, so hoffte Polen einen unmittelbaren Zugang zu den nahöstlichen Märkten zu bekommen. Auch im Kaukasus, in der Ukraine und auf der Krim sollte Polen dann zu einer Regionalmacht aufsteigen. Ähnlich wie im Falle der Sowjetunion, die den Antiimperialismus in der Dritten Welt förderte, in der Realität jedoch auf die Verdrängung der westlichen Mächte aus Afrika und dem Nahen Osten abzielte und dafür die Befreiungsrhetorik einsetzte, stellte auch der polnische Diskurs zur Befreiung des Ostens lediglich eine Fassade dar. Für Warschau war die UdSSR eine Gefahr für die eigene Souveränität, zugleich aber auch ein Hindernis für die Verfolgung der wirtschaftlichen Interessen im östlichen Europa und im Nahen Osten. Dass die polnische Seite die Gründung des „Prométhée“ in Paris initiierte und ihr regelmäßiges Erscheinen finanzierte, wurde zwar nie offen von der Zeitschrift kommuniziert; die politischen Prozesse in Polen selbst wurden in der Zeitschrift eher am Rande beleuchtet. Die Berichterstattung über Polen war jedoch auffällig positiv. Das Dezemberheft des „Prométhée“ 1928 enthielt einen von der Redaktion stammenden Beitrag über den zehnten Jahrestag der polnischen Unabhängigkeit. „Seine Armee konnte 1683 die türkischen Kräfte vor Wien und 1920 die des sowjetischen Russlands 173 174 175 176
Ebenda. Ebenda, S. 233. Ebenda. Ebenda.
Polen als Drahtzieher
vor Warschau zerschlagen,“177 hieß es im Text. Die Redaktion des „Prométhée“ brachte zudem die „besten Wünsche an das polnische Volk, sowie ihre Faszination vor dem glorreichen Staatschef Marschall Piłsudski zum Ausdruck.“178 Wenn polnische Themen behandelt wurden, so waren es in der Regel Themen zur polnischen Kultur. So veröffentlichte z. B. im Juli 1929 ein unbekannter Autor C. G. im „Prométhée“ einen längeren Artikel zu Adam Mickiewicz,179 der mit einem Zitat aus dem bekannten georgischen Epos des 12. Jahrhunderts „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rustaveli anfing. Im Weiteren wurde beschrieben, wie die georgischen Exilanten einen Kranz am Denkmal von Mickiewicz niederlegten. Mit Pathos ging der Autor auf die Gefühle der georgischen Emigré-Community ein, die nun seit fast zehn Jahren außerhalb Georgiens lebte. Mickiewicz, der selbst lange im Exil gelebt hatte, wurde von den prometheistischen Intellektuellen in Europa besonders intensiv rezipiert. Zwischen Mickiewicz,180 einem ‚ewigen Exilanten‘ des verloren-gegangenen Polens im 19. Jahrhundert und den ukrainischen, sowie kaukasischen Politemigranten der 1920er Jahre wurde eine transzendentale Verbindung hergestellt, die teils lyrisch, teils emotional, immer wieder aufgegriffen wurde: „Pourtant, c’est l’image de ce poète polonais qui fascine les esprits et capte les coeurs, particulièrement parmi les peuples qui souffrent et qui sont encore en lutte pour leur liberté nationale.“181 Interessant sind weiter die Überlegungen des Autors zu den Konzepten von Staatlichkeit und Nation. Ihm zufolge gebe es in Europa unterschiedliche Modelle und Definitionen dieser Begriffe, die infolge der Französischen Revolution neu gedacht wurden. Im östlichen Europa, und zwar in Polen, beobachtete C. G. eine sich von Frankreich und Deutschland unterscheidende Denktradition. „Mickiewicz nous donne, non pas une théorie, mais plus qu’une théorie, beaucoup plus que n’importe quell système philosophique.“182 Mickiewicz habe den Staat relativiert; sein transzendentales Verständnis der Nation erlaube den Staat schliesslich als weniger statisch zu betrachten, schrieb C. G. Bei Mickiewicz handele es sich um die Idee einer „individuellen Freiheit, die in einer allgemeineren Form auf die gesamte Menschheit übertragen wird.“183 C. G. zufolge erlebe der Begriff der Freiheit nach seiner „Entstehung in Frankreich und einer gewissen Verzerrung in
Le 10me anniversaire de l’Indépendance de la Pologne, in: Prométhée 25 (Dezember 1928), S. 4. Ebenda, S. 5. C. G.: Adam Mickiewicz, in: Prométhée 32 ( Juli 1929), S. 5–9. Darauf, dass Mickiewicz den größten Teil seines Lebens außerhalb des „ethnographischen Polens“ verbracht und sich viel besser „in Moskau und Petersburg, Paris, Berlin und Rom, sogar im tschechischen Prag, jedoch nicht in Warschau oder Krakau ausgekannt hatte“, wies der polnische Literaturkritiker und -übersetzer Andrzej Stawar (Edward Janus, 1900–1961) in der bekannten Literaturzeitschrift „Skamander“ bereits 1926 hin. Andrzej Stawar: O duchu literatury polskiej słów kilka. Czyli o wszystkim i o niczem, in: Skamander. Miesięcznik poetycki (1926), S. 14. 181 C. G.: Adam Mickiewicz, in: Prométhée 32 ( Juli 1929), S. 6. 182 Ebenda. 183 Ebenda, S. 9. 177 178 179 180
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Deutschland eine Wiedergeburt in Polen […]“184. In Russland dagegen setze sich der „Winter fort, ähnlich wie vor Hundert Jahren während der Reise von Mickiewicz dahin“185. Trotz des regelmäßigen Erscheinens sollte das wichtigste prometheistische Organ der „Prométhée“ aus der polnischen Sicht reformiert werden. Der polnische Diplomat Karol Dubicz-Penther reiste im November 1930 nach Paris und traf sich mit den Redaktionsmitgliedern der Zeitschrift, wie auch mit den Mitgliedern des „Komitees Unabhängiger Kaukasus“, Ramišvili, Rasulzade und Šamil, die den „Prométhée“ mitherausgaben. Dubicz-Penther beklagte in dem Gespräch insbesondere „das Fehlen französischer Artikel. Unter einem französischen Artikel“, definierte der Pole, „ist ein von einem bekannten französischen Politiker oder Publizisten unterschriebener, allerdings nicht unbedingt von ihm geschriebener Artikel zu verstehen.“186 Der polnische Diplomat machte klar, dass man das Anwerben solcher Artikel u. a. durch Bezahlung erreichen könne und stockte das Budget der Zeitschrift um 50 Prozent auf. Die Sitzung im November 1930, sowie die Kritik von Dubicz-Penther, hatten weitere Sitzungen und Verbesserungsvorschläge zur Folge, die u. a. von Rasulzade und Charaszkiewicz vorbereitet wurden. In der Tat nahm die Anzahl an ‚französischen Artikeln‘ in den darauffolgenden Jahren markant zu. 5.5
Zwischen polnischen und eigenen Interessen
Wie im vergangenen Kapitel beschrieben, finanzierte die polnische Seite die meisten prometheistischen Medien und die Schlüsselfiguren der Politemigration. Diese Interaktion ging allerdings auch einher mit ständiger Rivalität und Lobbyismus. In einem geheimen Bericht an die wichtigsten Drahtzieher Tadeusz Schaetzel und Tadeusz Hołówko vom 18.11.1930 hieß es, dass am 26.10.1930 eine Konferenz in der Zentrale des polnischen Geheimdienstes (Oddział II) stattgefunden habe, an der Tadeusz Pielczyński, Gawroński, Karol Dubicz-Penther und Edmund Charaszkiewicz teilgenommen hätten. Dubicz-Penther hätte vorgeschlagen, die Istanbuler Zeitung „Yaş Türkistan“ der turkestanischen Emigranten zu schließen. Seine Entscheidung habe er damit begründet, dass die Turkestaner zu unwichtig seien und insgesamt zu wenig Geld zur Verfügung stände. So könnten beispielsweise die Mittel, die an den bei Weitem wichtigeren, krimtatarischen Anführer, Cafer Seydahmet, flössen, nicht erhöht
Ebenda. Ebenda. N67. 1930, listopad/grudzień, Notatka Karola Dubicz-Penthera z pobytu w Paryżu w listopadzie 1930 r., w sprawie reorganizacji miesięcznika „Prométhée“, zitiert nach: Libera (Hg.): II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, S. 174–175. 184 185 186
Zwischen polnischen und eigenen Interessen
werden.187 Gawroński unterstützte die Initiative von Dubicz-Penther während der Sitzung. Hołówko stimmte vier Tage nach der Sitzung, am 30.10.1930 zu. Charaszkiewicz argumentierte dagegen und schlug vor, Mustafa Čokaev zu konsultieren. Ihm zufolge sei die Bedeutung Seydahmets nicht größer als die der gesamten turkestanischen Emigration, und allein die Tatsache, dass eine solche Zeitung in Istanbul erscheine, sei ein Erfolg. Und in der Tat war es zur Gründung einer turkestanischen Zeitung deutlich später als bei den anderen nationalen Gruppen gekommen. Offensichtlich befürwortete Čokaev das weitere Herausgeben der einzigen turkestanischen Zeitschrift. Charaszkiewicz setzte sich gegen Dubicz-Penther, Hołówko u. a. durch: Die Zeitschrift „Yaş Türkistan“ erschien weiter bis Ende der 1930er Jahre. Die Frage, ob die kaukasischen Emigrés ausschließlich polnische Marionetten oder doch weitgehend selbständige Akteure waren, kann anhand von zwei Fallstudien aus dem Jahr 1930 klarer analysiert werden. Im Weiteren werden daher zwei exilpublizistische Streitdiskurse betrachtet, in die mehrere kaukasische und ukrainische Exilgruppen involviert waren. 5.5.1
Die Zarevand-Affäre188
Im Jahr 1926 meldeten sich der aus dem Osmanischen Reich stammende, armenische Journalist Zaven Nalbandian (1890–1973) und seine Frau Vartouhi, bzw. Zaruhi Calantar (1895–1978), zu Wort. Nalbandian selbst wurde in der osmanischen Stadt Antiochien (heute Antakya) geboren und verlor seine Eltern im Zuge der antichristlichen Ausschreitungen von 1895. Trotz der persönlichen Rückschläge konnte er seine Ausbildung an der renommierten Missionsschule American College abschließen und ging 1913 in die USA zum Studium, wo er für immer bleiben sollte.189 In den USA engagierte er sich aktiv publizistisch wie auch politisch für die Partei der Daschnaken. In Boston, wo zu diesem Zeitpunkt bereits eine größere armenische Gemeinde lebte, und exilarmenische politische Partei der Daschnaken stark vertreten war, veröffentlichten Zaven und seine Frau Vartouhi in westarmenischer Sprache eine Monographie, die die intellektuellen Diskurse über die pantürkistischen und panturanistischen Ideen im spätosmanischen Reich sowie in der jungen Republik Türkei vorstellte. Gemeinsam
187 RGVA, fond 461, opis’ 1, delo 419. Otčet o konferencii vo II Otdele General’nogo Štaba i perepiska s rezidenturami o finansirovanii ėmigrantskich tjurkskich nacionalističeskich žurnalov 18.11.1930, 17.02.1939, S. 1. 188 Das Subkapitel 5.5.1 beruht teils auf meinem Aufsatz: Zaur Gasimov: Vom Panslavismus über den Panturkismus zum Eurasismus: die russisch-türkische Ideenzirkulation und Verflechtung der Ordnungsvorstellungen im 20. Jahrhundert, in: Post-Panslavismus, hg. von Ga̜sior, Karl und Troebst, Göttingen 2014, S. 448–472. 189 Shake Melkonian-Minassian: Book review. A Valuable Gift on Any occasion… Zaven Nalbandian’s „David of Sassoun“, in: Hai sird. An International Periodical of the Armenian Relief Society 157 (Dezember 2003), S. 38–39.
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Polens Kampf gegen die UdSSR in Paris
schrieben sie unter dem Familienautorenpseudonym Zarevand, das an den Namen einer antiken armenischen Provinz in Persien erinnern sollte. Die beiden Autoren fragten sich unter anderem, ob sich die Armenier nach den Massakern und Massendeportationen von 1915 jemals mit der Türkei versöhnen könnten.190 Die Schrift Zarevands wurde intensiv in der armenischen Diaspora im Westen wie auch im Nahen Osten rezipiert. Das Buch wurde vier Jahre später vom armenisch-russischen Exilintellektuellen und ehemaligen Minister für das Kommunikationswesen der Republik Armenien, Aršam Chondkarjan191, ins Russische übersetzt und von der Redaktion der Zeitung „Dni“ des Herausgebers Aleksandr Kerenskij in Paris gedruckt.192 Andrej Nikolaevič Mandelʼstam193, ein bekannter russischer Rechtsanwalt und Völkerrechtler, schrieb ein 25 Seiten langes Vorwort zu dieser Ausgabe und verlieh dadurch dem Buch zusätzliche Bedeutung in der großen russischsprachigen Gemeinschaft in Europa. Es muss an dieser Stelle gesagt werden, dass Mandel’štam selbst mehrere Jahre lang an der russischen diplomatischen Mission im Osmanischen Reich tätig gewesen war und als russischer Nahostexperte galt. In seinem eigenen 1917 in Lausanne veröffentlichten Meisterwerk „Le Sort de l’Empire Ottoman“ wie auch in den späteren Abhandlungen194 zeigte er sich sehr kritisch gegenüber der Türkei und plädierte für europäischen und russischen Interventionismus auf türkischem Staatsgebiet.195 Gleich zu Beginn seines Vorworts im Buch von Zarevand wies Mandel’štam darauf hin, dass
http://www.bibliotheque-eglise-armenienne.fr/catalogues/am_auteur.php?cle=զարեւանդ (Zugriffsdatum: 23.11.2018). 191 Über Chondkarjan selbst ist nur wenig bekannt. In den 1910er Jahren hatte er, zusammen mit weiteren armenischen Intellektuellen, Tolstois „Krieg und Frieden“ ins Armenische übertragen. Vor der russischen Revolution war Chondkarjan Mitglied der russischen Sozial-Revolutionäre. In der Unabhängigkeitszeit 1918–1920 war er Kommunikationsminister der Republik Armenien. Darüber, dass er das Buch ins Russische übertragen hatte, berichtete Zaven Nalbandjan in seinem auf Englisch verfassten Brief vom 8. August 1963 an den polnischen Emigranten armenischer Herkunft, Wladysław Krzysztofowicz (auch bekannt als Ladis Kristof), der an mehreren US-amerikanischen und kanadischen Hochschulen die Geschichte Russlands und Osteuropas lehrte (http://fundacjaormianska.pl/cmentarze/karapczyj-w-jasien-w/ (Zugriffsdatum: 28.03.2013). Der Text des Briefes ist zugänglich unter dem Link: http://www.biblionne.ru/descr. php?id=4362 (Zugriffsdatum: 28.02.2013). 192 Zarevand: Turcija i Panturanizm. Vvedenie A. N. Mandel’štama (Člena Instituta Meždunarodnago Prava), Paris 1930. Die französische Übersetzung: Zarevand: Touranie unifiée et independante, Athen 1989. 193 Andrej (André) Mandel’štam (1869, Mogilev – 1949, USA) schloss das Jura- und Orientalistikstudium an der Universität St. Petersburg ab und war danach am russischen Außenministerium tätig. 1898 wurde Mandel’štam, ein ausgewiesener Kenner des Völkerrechts, zum Chefdolmetscher der russischen Botschaft in Istanbul ernannt. 1917 begab sich Mandel’štam ins Exil: Er lebte zuerst in Istanbul, später in Paris und anschließend in den USA. 194 Vgl. André N. Mandelstam: Das armenische Problem im Lichte des Völker- und Menschenrechts, Kiel 1931. 195 Mehr zur Idee der humanitären Intervention, siehe Hülya Adak: The Legacy of André Nikolaievitch Mandelstam (1869–1949) and the Early History of Human Rights, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 70/2 (2018), S. 117–130. 190
Zwischen polnischen und eigenen Interessen
die panturanische Bewegung ihren Impuls nicht von den Türken des Osmanischen Reiches, sondern von den türkisch-tatarischen Elementen Russlands erhielt […]. Es besteht kein Zweifel daran, dass man Achmed Agaev [Ahmet Ağaoğlu, Z. G.], Jusuf-Akčura [Yusuf Akçura(oğlu), Z. G.], Ali Gussejn Zadė [Ali Hüseynzade, Z. G.], Izmail Gasprinskij [İsmayıl Gaspıralı, Z. G.] u. a., die gebürtig aus Russland stammten, als Hauptideologen und Gründer des Panturanismus betrachten muss196.
Und tatsächlich waren alle türkischen Intellektuellen, die namentlich vom Verfasser des Vorworts erwähnt wurden, entweder aserbaidschanischer oder krim- bzw. kasantatarischer Abstammung. Mandel’štam hielt die „Abkoppelung der turanischen Völker von Russland“, die im Fokus der vermeintlich panturanistischen Ideenströmung stünde, wegen des „Komplexes der gesamtrussischen Interessen“ für unmöglich.197 Mandel’štam distanzierte sich von den exilrussischen Eurasiern, die von der Seelenverwandschaft der Russen und Turkvölker ausgingen, und das „turanische Element“ in der russischen Kultur und Geschichte hervorhoben.198 Die Publikation genoss Popularität im russischen Exil. Der Historiker V. Dadrian, der das Buch Zarevands 1971 ins Englische übertrug, stellte fest, dass die russische Übersetzung created an unusual interest in the Russian emigre circles in Europe and had a very favorable press. Within a few months, there appeared in several Russian publications of different political persuasions many highly appreciative reviews signed by responsible and authoritative men, such as Professor Kiesewetter, well-known geopolitics expert, Semionov, wellknown editor and specialist on Caucasian affairs. Kerenski himself devoted to it several editorials.199
Die Hauptbotschaft des Buches von Zarevand bestand darin, sowohl die russische Exilgemeinschaft, als auch die europäische Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass der Pantürkismus bzw. Panturanismus eine große Gefahr für das Abendland und Russland darstelle. Es wurde hervorgehoben, dass es nicht die Türken gewesen seien, die den Turan-Gedanken entwickelt und den politischen Pantürkismus somit ins Leben gerufen hätten, sondern die Tataren und die turkophonen Muslime des Kaukasus: „Russlandmuslime waren die Begründer des Panturanismus und die Verbreiter seiner Ideen unter den anatolischen Türken,“200 hieß es an einer prominenten Stelle des Buches. Im Prinzip entsprach diese Analyse des Ehepaars Nalbandian den Fakten. Sowohl Yusuf Akçura als auch Ali Bey Hüseynzade und Ahmet Ağaoğlu waren RussAndrej N. Mandel’štam: Vvedenie, in: Zarevand: Turcija i Panturanizm, Paris 1930, S. 7. Ebenda, S. 31. Exemplarisch ist die Denkschrift des Fürsten Nikolaj Trubeckojs zu nennen: Nikolaj Trubeckoj: O turanskom ėlemente v russkoj kul’ture, in: Evrazijskij vremennik 4 (1925). 199 V. Dadrian: Preface, in: Zarevand: United and Independent Turania. Aims and designs of the Turks. Translated from the Armenian by V. N. Dadrian, Leiden 1971, S. VII. 200 Zarevand: Turcija i Panturanizm, Paris 1930, S. 37. 196 197 198
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landmuslime und turkophon.201 Was allerdings für die Darstellung von Zarevand kennzeichnend war, war die Überschätzung des Turanismus in der Türkei der 1920–30er Jahre. Atatürk und seine Anhänger teilten den Turan-Gedanken nicht. Die meisten Russlandmuslime verloren zudem ihre politische Stellung und damit ihre Wirkung in der kemalistischen Türkei. Zudem änderten viele Russlandmuslime ihre Ansichten zugunsten des Türkei-türkischen Etatismus. So konnte z. B. der aserbaidschanische Intellektuelle Ağaoğlu zwar ein bedeutendes Amt unter Atatürk bekleiden, jedoch nahm er gleichzeitig vom Turanismus, sowie von jeglicher politischen Zusammenarbeit mit den tatarischen und aserbaidschanischen Exilanten Abstand. Im Narrativ Zarevands konnte man deutliche antitürkische Ressentiments erkennen, die sich aus der persönlichen Erfahrung der Autoren sowie der tragischen Erfahrung vieler anderer osmanischer Armenier speisten. Die Reaktion der Prometheisten auf die russische Publikation Zarevands war schnell und massiv. Gvazava veröffentlichte im Januar einen Leitartikel zu diesem Thema202 und eine negative Rezension über das Buch in der eigenen Zeitschrift.203 Im selben Heft reagierte Mustafa Čokaev als Vertreter der Turkestaner auf das Buch Zarevands. Im Aufsatz „Die Frage eines turanischen Staates“ argumentierte Čokaev nicht nur gegen Zarevand, sondern auch gegen die Publikationen über Panturanismus und Pantürkismus in den sowjetischen Medien, wie z. B. in der Zeitschrift „Krasnaja Tatarija“204.205 Rasulzade wandte sich im Februar 1930 auf den Seiten des „Prométhée“ mit einem offenen Brief an den Herausgeber der Zeitung „Dni“, Aleksandr Kerenskij206, und formulierte zwei Monate später ebenfalls in derselben Zeitung seine Meinung zur Panturanismus-Debatte, im Aufsatz „Le Fantôme du Pantouranisme“.207 Dieser Beitrag erschien im Aprilheft. Vorher, am 24. März 1930, organisierte er eine Pressekonferenz zum Thema „Turanismus und der Kaukasus“ im Pariser Café Voltaire.208 Über diese öffentliche Veranstaltung wurde im Maiheft der in Istanbul erscheinenden und von
201 Geboren an den südwestlichen Peripherien des Zarenreiches, bzw. im nordöstlichen Grenzgebiet des Osmanischen Reiches, trugen diese Intellektuellen erheblich zur Entstehung des Turanismus in der spätosmanischen Türkei bei. Sie beeinflussten maßgeblich die türkischen Turanismus-Ideologen, wie z. B. den Soziologen Ziya Gökalp (1876–1924) und den Istanbuler Historiker Mehmet Fuat Köprülüzade (1890– 1966). Dass viele aus dem Zarenreich ins Osmanische Reich eingewanderte Tataren und Aserbaidschaner eine russlandkritische Haltung hatten und einen Raum des turksprachigen Turans idealisierten, konnten die Nalbandians durch die Rezeption der politischen Schriften Yusuf Akçuras von 1904, und der Dichtung Hüseynzades herausarbeiten. 202 Les états-unis du Caucase et le Pantouranisme, in: Prométhée 38 ( Januar 1930), S. 1–4. 203 G. G[vazava].: Zarevand. – La Turquie et le Pantouranisme, S. 31–32, in: Prométhée 38 ( Januar 1930). 204 „Krasnaja Tatarija“ war ein offizielles Presseorgan des Tatarischen Obkoms (Oblast-Komitees) der VKP (b). 205 M. Tchokaïeff: La question d’un état touranien, in: Prométhée 38 ( Januar 1930), S. 9–14. 206 M.-E. Rassoul-Zade: Réponse aux Kérenski, in: Prométhée 39 (Februar 1930), S. 9–11. 207 M. E. Rassoul-Zadé: Le Fantôme du Pantouranisme, in: Prométhée 41 (April1930), S. 8–11. 208 Une conférence sur le „Pantouranisme et le Caucase“, in: Prométhée 41 (April 1930), S. 31.
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Rasulzade herausgegebenen prometheistischen Zeitschrift „Odlu Yurt“209, aber auch in der Pariser Zeitung der ukrainischen Emigration „Tryzub“210 berichtet. Das, was die Prométhée-Leser allerdings nicht nachlesen konnten, waren die innerprometheistischen Differenzen bezüglich der Publikation Zarevands, aber auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Türkei und den Armeniern. Zu allen drei Themen hatten die georgischen, nordkaukasischen, zentralasiatischen und weiteren Emigré-Gruppen jeweils eigene Ansichten, die nicht übereinstimmten. Während die Zentralasiaten, und vor allem die Aserbaidschaner, der Kooperation mit den armenischen Exilanten kritisch gegenüberstanden und gleichzeitig eine möglichst enge Zusammenarbeit mit der Türkei favorisierten, waren die Georgier und Nordkaukasier in beiden Fragen eher zögerlich: Weder waren sie an einem kompletten Bruch mit den armenischen Organisationen in Europa interessiert, noch wollten sie den Turan als ein geopolitisches Projekt vorantreiben. In seinem Brief an den späteren Mitherausgeber der Turkestaner Zeitung „Yaş Türkistan“, Mecdeddin Ahmet Delil, beschrieb Mustafa Čokaev am 5. Juli 1930 diese Meinungsunterschiede.211 Ohne Gvazava beim Namen zu nennen, kritisierte er die Haltung der nordkaukasischen, und besonders der georgischen Mitstreiter in einem Beitrag in seiner Zeitschrift „Yaş Türkistan“.212 Die Debatten um den Turan und den Pantürkismus setzten sich in der ersten Hälfte der 1930er Jahre fort. Im November 1930 widmete Gvazava sein Editorial mit dem Titel „Le Pantouranisme dans ses rapports avec le problem du Caucase“213 dieser Debatte. Dabei erläuterte er erneut die Rolle des Kaukasus im Turan-Konzept. Die kritischen Rezensionen des Buches von Zarevand und die Organisation von Pressekonferenzen an wichtigen exilrussischen Standorten wie Paris verdeutlichten, wie die Prometheisten die eigenen Interessen artikulierten, und eigene Ordnungsvorstellungen zu profilieren versuchten. Ein weiterer Grund für eine dermaßen aktive Auseinandersetzung mit dem Buch Zarevands, z. B. von Rasulzade, war die Tatsache, dass er selbst an einer prominenten Stelle im Buch erwähnt und kritisiert wurde.214 In der Fußnote gaben die Autoren Zarevand einen ausführlichen Lebenslauf Rasulzades an, der jedoch diverse Fehlinformationen (z. B. das Gründungsdatum der Partei „Musavat“, der Studienort Rasulzades usw.) beinhaltete und schlussfolgerte, dass Ra-
A. T.: Matbuat ve kitabiyat. Mühim bir konferans, in: Odlu Yurt 16/4 (Mai 1930). I. Zatašans’kyj: Panturanizm ta Kavkaz, in: Tryzub. Tyžnevyk (Trident. Revue hebdomadaire ukrainienne) 14/222 (6. April 1930), S. 9–10. 211 Ahat Andican Arşivi (AAA), in: Ahat Andican: Cedidizm’den, Istanbul 2003, S. 442. 212 Ermeni meselesi III, in: Yaş Türkistan 42 (1933), S. 20, zitiert nach Andican: Cedidizm’den, Istanbul 2003, S. 442. 213 Le Pantouranisme dans ses rapports avec le problem du Caucase, in: Prométhée 48 (November 1930), S. 1–2. 214 Zarevand: Turcija i Panturanizm, Paris 1930, S. 71. 209 210
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sulzade den Standpunkt teilen würde, Aserbaidschan sollte einer föderalen Union mit der Türkei beitreten.215 Rasulzade veröffentlichte in der zweiten Hälfte des Jahres 1930, ebenfalls in Paris, sein auf Russisch verfasstes Buch „O panturanizme“216. Dieses Buch – eine unmittelbare Reaktion auf Zarevand – erschien im Verlag der K. N. K., des Komitees Unabhängiger Kaukasus und begann mit einem Vorwort von Noj Žordania, der für eine unvoreingenommene Erforschung des Orients im Westen plädierte, denn „Orient und Okzident begannen ihre Neuzeit gleich, auf der Basis der Dominanz der Religion. Der einzige Unterschied bestand jedoch darin, dass der Zweite diese Dominanz früher als der Erste beendete.“217 Laut Žordanija fanden gegenwärtig die „Wiedergeburt der muslimischen Welt und ihre Annäherung an die Weltzivilisation statt, was einen Teil der russischen Emigrantenpresse, die sich als links bezeichnet, aus dem Gleichgewicht bringt. Das Buch von M. E. Rasul-zade ist eine Antwort auf die Angriffe dieser Kreise […]“218. Dieses Vorwort von Žordanija wurde auf September 1930 datiert und wurde wahrscheinlich kurz vor der Weiterleitung des Manuskripts an den Verlag eingeholt. Im Prinzip handelte es sich um einen Sammelband, der aus zwei Artikeln Rasulzades bestand, die er 1929 in der Istanbuler Zeitung „Odlu Yurt“ auf Türkisch verfasst hatte und aus dem im April niedergeschriebenen Vortrag, den Rasulzade Ende März 1930 in Paris vor ukrainischen und kaukasischen Prometheisten auf Russisch gehalten hatte. Im ersten Artikel219 ging es um die Reaktion Rasulzades auf den Aufsatz des russisch-armenischen Exilpublizisten und vermutlichen Übersetzers des Buches Zarevands, Aršam Chondkarjan220, den dieser unter dem Titel „Na službe u Turcii“ [Im Dienste der Türkei] in der Pariser Zeitung „Dni“ am 22. Oktober 1929 veröffentlicht hatte. Chondkarjans Artikel bestand aus zwei Abschnitten: Im ersten Teil stellte er kurz, jedoch äusserst kritisch, die prometheistische Aktivität der „russländischen Separatisten“221 beim Völkerbund in Genf dar. Die Forderung der georgischen, aserbaidschanischen u. a. Exilvertreter nach der Unabhängigkeit von Russland wurde von Chondkarjan schließlich mit dem Argument verurteilt, dass nicht die eigenstaatliche Selbständigkeit, sondern der Anschluss an die Türkei das eigentliche Ziel sei. Er stützte sich in seiner Argumentation auf das „druckfertige spannende Buch von Herrn Zarevand ‚Türkei und Panturanismus‘“222. Dem Aspekt des Panturanismus sowie der Aus-
Mamed Ėmin Rasul Zade, in: Zarevand: Turcija i Panturanizm, Paris 1930, S. 71–72 (Fußnote). M. Ė. Rasulzade: O panturanizme. V svjazi s kavkazskoj problemoj. S predisloviem N. Žordanija, Paris 1930. 217 N. Žordanija: Vorwort, S. VI, in: M. Ė. Rasulzade: O panturanizme, Paris 1930. 218 Ebenda, S. VII. 219 V rabstve u Rossii, in: M. Ė. Rasulzade: O panturanizme, Paris 1930, S. 1–11. 220 Eine kritische Reaktion auf Chondkarjan erfolgte im „Prométhée“ im Juli 1929. Siehe Nostalgie de la prison, in: Prométhée 32 ( Juli 1929), S. 28–29. 221 A. Chondkarjan: Na službe u Turcii, in: Dni 22.10.1929, S. 12. 222 Ebenda, S. 12. 215 216
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einandersetzung mit Mamed Emin Rasulzade und dem Berliner Exilanten Ayaz Ishaki widmete Chondkarjan den zweiten Teil seines Beitrages. Ins Visier wurden die Artikel Ishakis für die programmatische pantürkistische Zeitschrift „Türk Yurdu“ und für die rechtskonservative „Vakit“ genommen, in denen Ishaki für die Vereinheitlichung der türkischen Sprache plädierte und seine langjährige Beschäftigung mit der türkischen Kultur darlegte.223 Auch Rasulzade strebte Chondkarjan zufolge für Aserbaidschan eine Vereinigung mit der Türkei an. Chondkarjan ging sogar so weit in seiner Überschätzung der Rolle Rasulzades und seiner geopolitischen Pläne, dass er die Annahme aufstellte, das Programm der Partei Müsavat sei auch zum Programm der „politischen Organisation ‚Prometheus‘“ geworden.224 Dieses Programm sei von einem „erfahrenen Staatsmann ‚orientalischen‘ Typs ausformuliert […]“ worden. „Rasulzade ist nicht so ein ‚Vertreter‘ Aserbaidschans wie Ayaz Ishaki [Vertreter der Region, Z. G.] ‚Idel’-Urals‘. Der Anführer von Müsavat ist enger mit Aserbaidschan verbunden und kennt die spezifische aktuelle Lage dieses Teils Transkaukasiens gut.“225 Chondkarjan zufolge nutzte Rasulzade die Rhetorik über die Gründung einer Kaukasischen Föderation nur, um andere Kaukasier für die eigene Sache zu gewinnen, denn „die Türkei […] ist ohne die Unterstützung der kaukasischen Völker selbst nicht allein imstande dieser [russischen, Z. G.] Herrschaft ein Ende zu setzen […]“226. Das Motto Rasulzades sei „Gegen Russland und für die Vereinigung mit der Türkei“, er verschweige nur bis jetzt dessen zweiten Teil, um die anderen Kaukasier nicht abzuschrecken. Zu dieser Schlussfolgerung kam Chondkarjan durch die Lektüre des Buches von Zarevand, das sich hierzu auf das Interview von Rasulzade mit dem türkischen Journalisten Haydar Bey227 berief. Bei der Antwort Rasulzades handelte es sich um eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Vorwurf Chondkarjans, die Prometheisten und die kaukasische Emigration stünden im Dienste der türkischen Regierung und würden eine pantürkistische Politik gegen Russen und Nicht-Türken im Kaukasus betreiben. Rasulzade argumentierte dagegen, indem er den sogenannten romantischen Pantürkismus für obsolet und untergegangen erklärte, und in den gegenwärtigen Diskurs in der Türkei einführte, wo diejenigen Intellektuellen, die sich tatsächlich für die Gründung eines einheitlichen Staates aller turkophonen Völker engagierten, keinen politischen Einfluss mehr hatten. Rasulzade argumentierte, dass der Pantürkismus, so wie Chondkarjan das Phänomen
223 Es handelte sich um den Artikel „Bütün Türklerde Yüksek bir Türk Dilinin vücuda gelmesi mümkün müdür?“ [Ist die Schaffung einer einheitlichen türkischen Hochsprache für alle Türken möglich?] von 1925. Siehe den Text in: Ahmet Kanlıdere: Sosyalizmden Türkçülüğe. Kazanlı Ayaz İshakî, Istanbul 2018, S. 221–233. 224 A. Chondkarjan: Na službe u Turcii, in: Dni 22.10.1929, S. 14. 225 Ebenda. 226 Ebenda, S. 14. 227 Weder Zarevand noch Chondkarjan machten in diesem Kontext weitere Angaben zu dem Journalisten.
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beschrieb, gar nicht existieren würde, und dass der pantürkistische Gedanke weder von der Umgebung Atatürks oder ihm selbst, noch von den bekannten Intellektuellen geteilt würde. Rasulzade warf Chondkarjan vor, sich mental „in der russischen Sklaverei“ zu befinden und die gemeinsame Sache der Kaukasier – die Idee der kaukasischen Konföderation – verraten zu haben. Das war das Thema des Aufsatzes, der im Dezember 1929 in „Odlu Yurt“228 und im Januar 1930 auf Französisch im „Prométhée“229 veröffentlicht wurde. „Odlu Yurt“ wies auch darauf hin, dass die ukrainische Zeitung „Tryzub“ (Paris), die ebenfalls dem prometheistischen Kreis angehörte, ihrerseits kritisch über den Artikel von Chondkarjan berichtete.230 Der zweite Artikel von Rasulzade, der im Pariser, russischsprachigen Sammelband „O panturanizme“ erschien231, war ebenfalls eine Übersetzung seines türkischen Aufsatzes „Ne „köbre“, ne de „malezeme“! (Kerenskiye cevap)“232, der ursprünglich im Januar 1930 in „Odlu Yurt“ erschienen war und eine Reaktion auf den Artikel Kerenskijs darstellte, in dem der Letztere die Unabhängigkeitsbestrebungen der nichtrussischen Nationalitäten in der Sowjetunion scharf kritisierte. Als „Demagogie der Großreichträumer“ bezeichnete Rasulzade die Debatten der „zwei verfeindeten Blöcke der russischen Presse, die in der letzten Zeit jedoch ziemlich einstimmig über die panturanische Bewegung zu sprechen begannen, die den Abfall der ‚turanischen Länder‘ von Russland zu verursachen droht“.233 Somit erkannte er eine einstimmige Beurteilung des Panturanismus in der sowjetischen Presse, welche die Intellektuellen um den tatarischen Kommunisten Mirsaid Sultan-Galiev (1892– 1940) als ‚Abweichler‘, ‚Helfer des türkischen Imperialismus‘ und ‚Pantürkisten‘ abstempelte. Ähnlich wurde in der russischen Exilpresse von der Gefahr des turanischen Separatismus gesprochen. Nach Rasulzade: All der Rummel über den ‚Panturanismus‘ hatte zwei Botschaften: 1) Russen, kommt zur Besinnung, ihr steht vor der Gefahr einer neuen mongolischen Invasion! 2) Völker des Kaukasus, seid vorsichtig, wenn ihr euch von Russland trennt, werdet ihr unter die türkische Dominanz fallen!234
M. E. Resul-zade: Rusya köleliğinde, in: Odlu Yurt 1/10 (Dezember 1929), S. 389–395. M. E. Rassoul-Zadé: En esclavage chez les russes, in: Prométhée 38 ( Januar 1930), S. 4–9. Der Beitrag wurde unterschrieben: Istanbul, den 25. November 1929. Vermutlich verließ Rasulzade Istanbul erst im Dezember 1929. 230 Acayıp itirazlar, in: Odlu Yurt 1/10 (Dezember 1929), S. 423–425. 231 Ni „navoz“, ni „material“ (otvet Kerenskim), in: M. Ė. Rasulzade: O panturanizme, Paris 1930, S. 13–20. 232 M. E. Resul-Zade: Ne „köbre“, ne de „malezeme“! (Kerenskiye cevap), in: Odlu Yurt 1/11 ( Januar 1930), S. 434–438. 233 M. Ė. Rasulzade: O panturanizme, Paris 1930, S. 21. 234 Ebenda, S. 24. 228 229
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Im Weiteren ging Rasulzade auf einzelne Aspekte von Zarevand ein, indem er auf die „Lügen“235 und Fehler hinwies. Zu Recht unterstrich Rasulzade dabei, dass das kemalistische Regime keine pantürkistische Politik betreibe, und somit die Schlussfolgerung Zarevands kaum haltbar sei. In der Tat hätten, wenn Atatürks Umgebung tatsächlich den Panturanismus unterstützt hätte, Rasulzade und viele seiner Mitstreiter die Türkei 1929–30 nicht verlassen müssen. Gleichzeitig war der Vorwurf Rasulzades, das Autorenpaar Zarevand hätte das 1928 erschienene Kompendium Yusuf Akçuras, „Türk Yılı“, in dem Akçura die Geschichte und das Werden des panturanischen Gedankenguts detailliert darstellte und seine Ziele neu definierte, nicht rezipiert, nicht haltbar:236 Das Original des Buches von Zarevand war früher, nämlich bereits 1926 in Boston erschienen, zwei Jahre vor dem Druck des „Türk Yılı“ in Istanbul, so dass eine Rezeption nicht möglich war. An sich unterstützte Rasulzade eine der Thesen Zarevands, die darin bestand, dass der Turangedanke in das Osmanische Reich aus Russland von den dortigen turksprachigen Muslimen importiert worden sei. Allerdings kritisierte er, dass das Autorenpaar Zarevand die impulsverleihende Bedeutung des Panslawismus, der den panturanischen Gedanken aus der Taufe hob, übersehen habe. Im November 1930 warb „Odlu Yurt“ für das Buch Rasulzades.237 Auch ein anderes prometheistisches Medium, die Pariser Zeitung der nordkaukasischen Exilantengruppe „Gorcy Kavkaza“238 popularisierte die Schrift Rasulzades. So erschien eine positive Rezension des Emigranten Aslan Bek, der besonders das Vorwort des georgischen ExStaatsoberhauptes Žordanija hervorhob und schlussfolgerte: „[…] das […] Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der muslimischen Kultur und jeder Kaukasier sollte sich damit vertraut machen“.239 Später veröffentlichte der nordkaukasische Exi-
Ebenda, S. 25 f. Ebenda, S. 31. Matbuat ve Kitabiyat. Resul-zade M. Emin Beyin bir eseri münasibetile, in: Odlu Yurt 2/10 (November 1930), S. 411–413; Yeni neşriyat Panturamiz hakkında, in: Odlu Yurt 2/10 (November 1930), S. 423. 238 „Gorcy Kavkaza“ (französischer Titel: Les Montagnards du Caucase) war eine der prometheistischen Zeitungen, die von der polnischen Seite finanziert wurden und sich primär mit den Angelegenheiten der nordkaukasischen Emigrationen und mit der Schilderung der politischen und sozioökonomischen Prozesse im nördlichen Kaukasus befassten. Der erste Redakteur der Zeitung war der Adlige und Militärangehörige Ėl’murza Bekovič-Čerkasskij aus Kabarda (heutiges Kabardino-Balkarien). 1932 wurde der bekannte nordkaukasische Emigré Barasbi Bajtugan Redakteur der Zeitung. Bajtugan redigierte die Zeitung von Warschau aus, wo er lebte. Die Redaktion befand sich jedoch in Paris (4, Villa Malakof, Paris (16)), wo „Gorcy Kavkaza“ regelmäßig erschien. Unter den Autoren der Zeitung waren viele der georgischen, aserbaidschanischen und vor allem nordkaukasischen Emigrés aus Warschau, Istanbul, Paris und Prag. 1929 druckte die Zeitung sogar den Beitrag des bekannten türkischen Journalisten Yunus Nadi ab und versuchte somit, die in der Türkei lebenden Nordkaukasier, bzw. die türkische Öffentlichkeit anzusprechen. Vgl. Junus Nad’: Turki vne Turcii, in: Gorcy Kavkaza 8–9 (1929), S. 6–8. 239 Aslan Bek: Pečat’, in: Gorcy Kavkaza 21–23 (1930), S. 57. 235 236 237
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lant A. Barasbi Baytugan240 eine polnischsprachige Rezension in der Warschauer Zeitschrift „Wschód“.241 Die Antwort auf Zarevand war nicht das einzige Buch, das Rasulzade 1930 in Paris herausbrachte. Das Buch „L’Azerbaïdjan en lutte pour l’independance“, das 1930 in Paris auf Französisch herausgegeben wurde, war das Resultat seiner bisherigen Forschung in der Türkei. Die Monographie umfasste 36 Seiten und hatte zum Ziel „den europäischen Leser über eine kleine Nation [aufzuklären, Z. G.], die mit allen Mitteln für ihre Menschen- und Bürgerrechte gegen den bösesten Feind, den Feind der modernen Demokratie und der höheren Ideen der europäischen Zivilisation kämpft.“242 Rasulzade schilderte in seiner Schrift die kulturelle und politische Entwicklung auf dem aserbaidschanischen Siedlungsgebiet unter der persischen und vor allem der russischen Herrschaft. Die „Zarevand-Affäre“ wurde auch im 1930 erschienenen Werk des krimtatarischen Intellektuellen und Prometheisten Cafer Seydahmet „Rus inkilȃbı“243 [Die russische Revolution] aufgegriffen. Seine Vorträge, die er zum Thema „Die Faktoren der russischen Revolution“ vor türkischem Publikum in Lausanne 1922 gehalten hatte, waren Grundlage seiner Publikation von 1930. Darüber hinaus wertete Seydahmet auch die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre erschienenen aktuellen französischen, russischen sowie russlandmuslimischen Debatten aus. Er nahm auch Bezug auf die aktuellen Debatten im exilrussischen Milieu wie auf die Schriften der russischen Eurasier (vor allem Nikolaj Trubeckojs) oder das Buch Zarevands, das er kritisch bewertete.244 Geworben hatte Seydahmet für die Lektüre des Buches Agabekovs,245 das im nächsten Teilkapitel beleuchtet wird. Die Zeitung „Dni“ beteiligte sich auch im Laufe des Jahres 1930 aktiv an den verbalen Attacken gegen die Prometheisten. Aršam Chondkarjan und Aleksandr Kerenskij schrieben unermüdlich mit Sarkasmus und Ironie vom „‚unabhängigen‘ Kasan“246 und vom „Idel-Uralischen ‚Philologen‘“247 Ayaz Ishaki. Čokaev248 und Ishaki249 fühlten sich 240 Barasbi Baytugan(ty) (1899, Vladikavkaz – 1986, München) studierte Jura in St. Petersburg und schloss sich der Weißen Armee im Zuge der bolschewistischen Revolution an. 1922 wanderte er nach Prag aus, wo er publizistisch aktiv war. Baytugan verbrachte die Zeit des Zweiten Weltkriegs in London und zog 1953 nach Deutschland, wo er bei Radio Free Europe tätig war. Mehr dazu bei Baytuganty Barasbi, in: http:// ossetians.com/eng/news.php?newsid=381 (Zugriffsdatum: 14.01.2021). 241 A. Barasbi Baytugan: Panturanizm, in: Wschód 2/4 ( Juli 1931), S. 76–77. 242 M. E. Rassoul-Zadé: L’A zerbaïdjan en lutte pour l’independance, Paris 1930, S. 5. 243 Dieses Buch von Cafer Seydahmet bekam sehr positive Rezensionen von Seiten anderer Exilintellektuellen. Siehe den Beitrag des aserbaidschanischen Publizisten Mirza Bala. M. B. Mehmet-zade: „Rus inkilabı“ hakkında, in: Odlu Yurt 2/22–10 (November 1930), S. 414–418. 244 Siehe die Fußnote auf Seite 28 und 29. Cafer Seydahmet: Rus inkilȃbı, Istanbul 1930. 245 Cafer Seydahmet: Rus inkilȃbı, Istanbul 1930, S. 138–139. 246 A. Kerenskij: 176. „Nezavisimaja“ Kazan’, in: Dni 71 (1930), S. 3–4. 247 Aršam Chondkarjan: Idel-Ural’skij „filolog“, in: Dni (1930), S. 13–15. 248 Mustafa Čokaev: Pis’mo v redakciju, in: Dni 73 (1930), S. 14–15. 249 Gajaz Ishaki: Pis’mo v redakciju, in: Dni 71 (1930), S. 14–15.
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aufgefordert, Leserbriefe an die Redaktion der „Dni“ zu schicken, in denen sie ihren Standpunkt erläuterten und Zarevand, wie auch Chondkarjan und Kerenskij für deren Darstellungen kritisierten. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass Ishaki seinen Leserbrief bereits aus dem Warschauer Exil schrieb, weil er 1929 gezwungenermaßen, ähnlich wie Rasulzade und ein Jahr später Sunž Girej und Said Šamil, die Türkei verlassen musste. Allein das zeigte, wie sehr Ankara sein Verständnis des Pantürkismus Ende der 1920er Jahre überdachte. Während das Ehepaar Zarevand dies zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung (Publikationsjahr 1926) nicht wissen konnte, hätte dies den TürkeiKennern Mandel’štam und Chondkarjan durchaus bekannt sein müssen. 1931 folgte die sowjetische Reaktion auf den Streit der Exilanten. Zwei sowjetische Orientalisten Aršalujs Michajlovič Aršaruni (Činar’jan)250 und Chadži Zagiddinovič Gabidullin251, veröffentlichten im Verlagshaus „Bezbožnik“ eine ideologisch geprägte, jedoch durchaus faktenreiche Monographie „Očerki panislamizma i pantjurkizma v Rossii“ [Skizzen des Panislamismus und Pantürkismus in Russland]252. Ähnlich wie die anderen Beteiligten am Diskurs, waren auch die sowjetischen Autoren gut mit der Geschichte des pantürkistischen Gedankenguts, der Geschichte des Osmanischen Reiches und des Zarenreiches vertraut. Die Autoren kritisierten die zaristische Politik gegenüber den muslimischen Völkern und wiesen darauf hin, dass viele Anschuldigungen gegen tatarische und andere Aktivisten wegen pantürkistischer und panislamistischer Tätigkeiten fingiert waren und auf Vermutungen beruhten. Der zaristische Nachrichtendienst habe generell verdächtigt: „Die Ochranka erkannte in jedem Ausländer (Türken, Afghanen) einen professionellen Panislamismus-Agitator.“253 „In den zentralasiatischen Archiven konnten wir 200-Seiten lange und noch längere ‚Akten‘ zur Tätigkeit des einen oder anderen ‚türkischen‘ Spitzels lesen, der sich in den turkestanischen Gebieten des Zarenreiches aufgehalten hatte“254. Aršaruni und Gabidullin machten deutlich, dass es allerdings häufig kaum konkrete Beweise gab. Die sowjetischen Orientalisten Aršaruni und Gabidullin verfolgten die aktuellen Debatten im russophonen Emigrantenmilieu aufmerksam. Das Buch Zarevands, „dieses ziemlich oberflächliche und nicht ganz solide Büchlein“255 habe den „Emigrantensumpf in Bewegung“256 gebracht. Die Autoren gaben Zarevand recht in der Grundaussage, dass der Pantürkismus wie auch der Panislamismus aus Russland in die Türkei
250 Aršalujs Michajlovič Aršaruni (1896–1985) wurde in eine armenische Familie im Gebiet Kars geboren. In Sowjet-Armenien entfaltete er sich als Publizist und Islamexperte. Er veröffentlichte viel zur Geschichte des Nordkaukasus, des Islams und islamischer Strömungen auf Russisch und Armenisch. 251 Chadži Gabidullin (1897–1937/40) stammte aus Kasan und war tatarischer Abstammung. 1937 wurde er im Zuge der stalinistischen Säuberungen verhaftet. 252 A. Aršaruni, Ch. Gabidullin: Očerki panislamizma i pantjurkizma v Rossii, Moskau 1931. 253 Ebenda, S. 3. 254 Ebenda. 255 Ebenda, S. 91. 256 Ebenda.
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importiert wurden. Sie warfen dem in den USA tätigen armenischen Journalistenpaar allerdings die fehlende Berücksichtigung des Klassenkampfes und zudem die Nähe zur bürgerlich-nationalistischen Partei Daschnakzutjun vor. Den Autor des Vorwortes Mandelštam beschuldigten die sowjetischen Orientalisten des russischen Imperialismus. Er wolle die Türkei und Persien an das künftige, nichtbolschewistische Russland anschließen.257 Aršaruni und Gabidullin waren bestens vertraut mit den Publikationen in der russischen Emigrantenzeitung „Dni“ von Kerenskij, den prometheistischen Medien wie „Prométhée“, „Yeni Türkistan“, wie auch der türkischen rechtskonservativen Zeitschrift „Türk Yurdu“, in der sich viele Exiltataren und –Turkestaner zu Wort meldeten. Der gesamte Streit der Prometheisten und des Intellektuellenkreises um „Dni“ wurde von Aršaruni und Gabidullin als Beweis für die ideologische Misere und den moralischen Verfall dargestellt. Der Streit zwischen den prometheistischen und exilrussischen und -armenischen Intellektuellen in Paris wurde in den russisch- und darüber hinaus in den französischund türkischsprachigen Zeitschriften ausgetragen und löste eine zeitnahe Reaktion der sowjetischen Beobachter aus. Die Ideenzirkulation fand dementsprechend nicht nur im russophonen Milieu der in Paris ansässigen Emigranten, sondern zwischen Istanbul, Warschau und nicht zuletzt Moskau statt. Ein Nebeneffekt des in mehreren Sprachen abgewickelten Streites war die Popularisierung des prometheistischen Standpunktes in der französischen und türkischen Öffentlichkeit. Polen unterstützte und finanzierte sämtliche prometheistische Medien, die sich an diesem Streit beteiligten. Dabei bleibt fraglich, ob Warschau die Türkei in dem Streit mit den Exilrussen seinerseits so vehement verteidigt hätte, wenn dies nicht ein Hauptanliegen der nordkaukasischen, aserbaidschanischen und tatarischen Prometheisten gewesen wäre. Rasulzade, Münschi, Seydahmet u. a. nutzten die prometheistischen Medien, um ihren eigenen Interessen und Standpunkten Geltung zu verschaffen. Ihnen lag es besonders am Herzen, eine türkeifreundliche Argumentationslinie zu verfolgen, obwohl sie selbst in dieser Zeit nicht in die Türkei einreisen durften. 5.5.2
Beginn des prometheistischen Endes: Die Agabekov-Affäre
Im August 1930 berichtete „Odlu Yurt“ über den ehemaligen Mitarbeiter des sowjetischen Nachrichtendienstes ČK, Georgij Agabekov.258 Über das im Juli fertiggestellte Buch des „Abteilungsleiters der bolschewistischen Geheimorganisation ČK im Orient und vor allem in der Türkei Agabekovs, der nach Paris floh“259 war auch in der 1930 erschienenen Monographie des krimtatarischen Prometheisten Cafer Seydahmets zu 257 258 259
Ebenda. Çekist Agabekov, in: Odlu Yurt 2/19–7 (August 1930), S. 296–301. Cafer Seydahmet: Rus inkilȃbı, Istanbul 1930, S. 138.
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lesen. Offensichtlich erfuhren die Istanbuler Prometheisten von der prominentesten Spionenflucht im Zuge der Auswertung der Pariser „Poslednie novosti“. Es war kein Zufall, dass die russische Exilpresse und die Istanbuler prometheistische Zeitung gerade auf diesen Fall so lebhaft reagierten. Agabekov war ein Karrierenachrichtendienstler, der jahrelang in Afghanistan, in Persien und in der Türkei sowie im zentralasiatischen Büro und in der Moskauer Zentrale der OGPU tätig gewesen war.260 Nun wechselte Agabekov 1930 nicht nur die Seiten, sondern organisierte dazu eine öffentliche Pressekonferenz, im Rahmen derer er das sowjetische Spionage- und Informantennetz detailliert offenlegte. Im selben Jahr erschien sein Buch „G. P. U. Zapiski čekista“ [GPU. Notizen eines ČK-Mitarbeiters] auf Russisch in Berlin und die Übersetzungen in westliche Sprachen folgten schnell. Agabekov beschrieb die Arbeitsweise des sowjetischen Nachrichtendienstes und nannte Namen, Decknamen, Einsatzorte der sowjetischen Spione sowie die Namen der westlichen Partner der sowjetischen Geheimdienstler. Die Folgen der Pressekonferenz und des Buches waren verheerend: Hunderte sowjetische Geheimdienstler wurden abgezogen bzw. verfolgt, die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Afghanistan sowie dem Iran verschlechterten sich. Die Offenlegung des sowjetischen Spionagenetzes im Nahen Osten hätte eigentlich für die Prometheisten von Vorteil sein können. Moskau brauchte Jahre um die Netzwerke im Nahen Osten, wo auch viele Prometheisten bzw. ihre Familienangehörige tätig waren, wieder aufzubauen und die Beziehungen zu den Ländern der Region zu verbessern. Dennoch löste die Lektüre des Buches von Agabekov keine Erleichterung unter den Prometheisten aus, weil sie begriffen, dass sie seit Jahren ausspioniert worden waren und ihre Namen, Adressen und Kommunikationspartner in Europa sowie im Nahen Osten in Moskau bekannt waren. Agabekov schrieb beispielsweise, dass der sowjetische Resident im iranischen Täbriz den dortigen Postbeamten anwerben, und somit die Korrespondenz der armenischen Exilpartei der Daschnaken und der aserbaidschanischen Exilpartei Musavat noch zu Beginn der 1920er Jahre regelmäßig auswerten konnte. Somit war der sowjetischen Seite die Kommunikation des aserbaidschanischen Vertreters der Prometheisten in Täbriz Mirza Bala mit den Musavat-Anhängern in Istanbul bekannt.261 „Wir wussten über die Verhandlungen, die in Konstantinopel zwischen Musavatisten und anderen kaukasischen Gruppen – den Nordkaukasiern, Daschnaken, Menschewiki und anderen – stattfanden,“262 schrieb Agabekov. Ihm zufolge fühlten sich die kaukasischen Exilanten gezwungen, ihre ursprünglich national organisierten Gruppierungen zu vereinen. In der Korrespondenz
260 Mehr zu Agabekov siehe Boris Volodarsky: Unknown Agabekov, in: Intelligence and National Security 28/6 (2013), S. 890–909. 261 G. S. Agabekov: G. P. U. (Zapiski čekista), Berlin 1930, S. 115. 262 Ebenda, S. 117.
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Polens Kampf gegen die UdSSR in Paris
soll einer der Exilanten zum Ausdruck gebracht haben: „Die Ausländer wollen uns keine finanzielle Hilfe leisten, solange wir uns nicht vereinen.“263 Agabekov schrieb, dass die sowjetische Seite Paris seit 1925 als bedeutenden Standort für die Aufklärung der kaukasischen Emigration wahrnahm und die Tifliser Abteilung der GPU zuständig für die Entsendung der Geheimdienstler nach Paris zur Überwachung der dortigen Exilkaukasier war. Dieses Interesse an Paris und das Miteinbeziehen gerade des Tifliser Büros der GPU, waren darin begründet, dass Paris zum wichtigsten Sitz der georgischen Exilregierung geworden war. Aber auch die Kontakte der Kaukasier nach Istanbul, das polnische Interesse an den kaukasischen EmigréCommunities und die häufigen Dienstreisen der Exilanten zwischen Paris und Istanbul blieben von den sowjetischen Nachrichtendiensten nicht unbemerkt. „Die Agenten in Konstantinopel waren erfahren und das Netz wurde gut aufgebaut,“264 schrieb Agabekov. Er betonte, dass Moskau, dank dem sowjetischen Residenten Gol’denštejn265, Zugriff auf die Korrespondenz der ukrainischen Exilorganisationen hatte, dessen Vertreter, so Agabekov, sich in Istanbul befand. 266 Mit Sicherheit handelte es sich um Volodymyr Murs’kyj267, der spätestens Mitte 1929 den Kontakt zu Rasulzade aufnahm und im November 1929 bereits einen Beitrag zur Lage in der Ukraine in Rasulzades Zeitschrift „Odlu Yurt“ veröffentlichte.268 Seinen Namen wie auch den Namen des Informanten, der die sowjetische Residentur, den geheimdienstlichen Stützpunkt, über die Differenzen innerhalb der aserbaidschanischen, armenischen und anderen Emigré-Gruppen in Istanbul aufklärte, nannte Agabekov allerdings nicht. Bei Letzterem soll es sich dabei um eines „der aktivsten Mitglieder des Auslandsbüros der militärischen antibolschewistischen Parteien“269 gehandelt haben.
Ebenda. Ebenda, S. 215. Efroim Gol’denštejn (1882–1938) war Absolvent der medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1921 floh er aus Polen nach Russland und wurde vermutlich in diesem Zeitraum angeworben. Von 1921 bis 1924 war er an der sowjetischen Botschaft in Warschau tätig. Ende 1924 wurde er nach Istanbul und 1927 nach Deutschland versetzt. 266 G. S. Agabekov: G. P. U. (Zapiski čekista), Berlin 1930, S. 215. 267 Volodymyr (Vasyl’) Murs’kyj (1888–1935) war neben Mykola Zabello (poln.: Zabełło) der bedeutendste Vertreter der ukrainischen Exilantengruppe am Bosporus. Geboren in Galizien betrat er die ukrainische Politik während des Ersten Weltkriegs. Zusammen mit Ivan Lipa redigierte er die Zeitschrift „Ukrainskoe slovo“ in Odessa. In den darauffolgenden Jahren leitete er die Abteilung für Presse und Propaganda der UNR. Murs’kyj, der als Berater an der ukrainischen Botschaft in Istanbul bereits 1918 tätig gewesen war, veröffentlichte zwei Abhandlungen zur Ukraine in türkischer Sprache und arbeitete mit den prometheistischen Medien eng zusammen. 1935 starb er in Istanbul. Vgl. Tamara Skrypka: Peršyj pereklad dramatyčnoho tvoru Lesi Ukrainky anhlijskoju movoju, in: http://t-skrypka.name/LUkrainka/FirstEn glTransl.html (Zugriffsdatum: 14.04.2013). 268 V[olodymyr]. M[urskij].: Ukraynada vaz’iyet, in: Odlu Yurt 1/9 (November 1929), S. 375–379. 269 G. S. Agabekov: G. P. U. (Zapiski čekista), Berlin 1930, S. 215. 263 264 265
Zwischen polnischen und eigenen Interessen
Wie oben erwähnt, konnte man über Agabekovs Konferenz und seine Aufdeckungen bereits im Augustheft des „Odlu Yurt“ nachlesen. Im November 1930 widmete die von Mustafa Čokaev herausgegebene prometheistische Zeitung „Yaş Türkistan mecmuası“ diesem Thema einen längeren Aufsatz.270 Nicht unregistriert blieb Agabekovs Auftritt auch in der europäischen Presse. Am 26. August 1930 veröffentlichte die Pariser Edition der „Chicago Tribune“ ein Interview mit Agabekov.271 Im November 1930 reagierte die Pariser Monatszeitschrift „Les Documents Politiques, Diplomatiques et Financières“ mit dem Artikel „Noch ein Mysterium der GPU in Frankreich“272 auf die Serie der Beiträge von Agabekov in der Pariser Zeitung „Le Matin“.273 Agabekov sorgte auch in den folgenden Jahren für Schlagzeilen, als seine Bücher und Memoiren auf Russisch, Deutsch, Französisch und Englisch erschienen.274 Die Agabekov-Affäre bzw. seine Enthüllungen verdeutlichten, dass die prometheistischen Netzwerke bereits Mitte der 1920er Jahre im Visier der sowjetischen Geheimdienste standen. In Moskau wusste man viel von den Aktivitäten der kaukasischen Emigrés in Istanbul, Teheran und darüber hinaus an den kleineren Standorten im Nahen Osten. Dadurch, dass die sowjetischen Nachrichtendienstler die Kommunikation der Prometheisten mit ihren Kollegen in Paris und mit der Zentrale in Warschau systematisch analysieren konnten, waren auch die polnischen Drahtzieher und Schlüsselpersonen im GPU-Stabsquartier bekannt.
270 Burungi çekist Agabekof hatıralarından, in: Yaş Türkistan Mecmuası 11 Oktober 1930, S. 19 f., zitiert nach: Andican: Turkestan Struggle Abroad. From Jadidism to Independence, Haarlem 2007, S. 312. 271 The Story of Isabel Streater, my maiden aunt, in: http://www.levantineheritage.com/note36.htm (Zugriffsdatum: 17.01.2013). 272 Politikal: Encore une mystère de la Guépéou en France, in: Les Documents Politiques, Diplomatiques et Financières 11 (Nov[ember]. 1930), S. 634, zitiert nach: ftp://ftp.bnf.fr/543/N5432545_PDF_1_-1DM. pdf (Zugriffsdatum: 24.01.2013). 273 Das Mysteriöse bestand jedoch darin, so Les Documents, dass die Kolumne Agabekovs bei „Le Matin“ ziemlich schnell nach ihrem Erscheinen eingestellt und auf den Seiten von „Liberté“ fortgesetzt wurde. 274 Auch die westliche kommunistische Presse griff Agabekovs Schriften auf. Siehe Leon Trotsky: Let us reenforce our offensive!, in: The Militant. Weekly Organ of the communist League of America (Opposition), 27.08.1932.
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6.
Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
Neben der Panturanismus-Debatte, der Enthüllungsserie von Agabekov, der Zarevand-Affäre und den diasporalen Angelegenheiten setzten sich 1930 die prometheistischen Medien, vor allem „Prométhée“, aber auch „Odlu Yurt“ weiterhin auch mit der internationalen Politik, und vor allem der türkischen Außenpolitik1, sowie mit der Popularisierung des polnischerseits lancierten Ordnungsentwurfs einer Kaukasischen Konföderation2 auseinander. Generell lässt sich sagen, dass sich der Prometheismus um diese Zeit zu einer defensiven intellektuellen Strategie entwickelte, die bereits Ende der 1920er Jahre auf die Schädigung des internationalen Rufs der UdSSR fokussierte. Und das ursprüngliche Ziel, die Sowjetunion nach einem Nationalitätenprinzip aufzuteilen, rückte in den Hintergrund. Die internationale Wirtschaftskrise von 1929 traf Polen besonders stark und dies wirkte sich auf viele Bereiche aus. Warschau schien z. B. nachrichtendienstlich seine Aktivitäten vor allem auf Gegenspionage innerhalb der eigenen Staatsgrenzen zu beschränken. Bereits Ende 1928 schickte die Zentrale des polnischen Nachrichtendienstes eine Anweisung an die Vertretung in Istanbul zur Einstellung jeglicher geheimdienstlichen Tätigkeit der prometheistischen Aktivisten. Es ist fraglich wie intensiv die Prometheisten in die nachrichtendienstliche Aktivität bis dahin eingebunden worden waren und vor allem wie effektiv ihr Einsatz in der Wirklichkeit war. Es bestand aber die begründete Befürchtung, dass nachrichtendienstliches Engagement der in der Türkei ansässigen und tätigen Prometheisten, diese kompromittieren und schließlich zu Repressalien von Seiten des Gastlandes führen könnte.3 Der Erkenntnisgewinn im
Mir Yagub veröffentlichte im September 1930 ein Editorial im „Prométhée“ über die neue Orientierung der türkischen Außenpolitik. Mir [Yagub Mehdiyev]: La nouvelle Orientation de la Politique Turque, in: Prométhée 46 (September 1930), S. 1–3. Interessant war zudem der Beitrag eines gewissen M. T.: Le plan soviétique contre la Turquie, in: Prométhée 46 (September 1930), S. 18–20. 2 M. Karthweli: Les perspectives du fédéralisme au Caucase, in: Prométhée 46 (September 1930), S. 8–11. Auch Karthweli sprach von den „Etats-Unis du Caucase“ (S. 11). 3 N 52: 1928, 25 listopada. Meldunek Placówki Wywiadowczej L3 w Stambule do szefa Oddziału II Sztabu Generalnego, o zerwaniu współpracy wywiadowczej z działaczami ruchu prometejskiego, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 147–148. 1
Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
Bereich der Spionage gegen die Sowjetunion am Standort Türkei war zu gering, um dies zu riskieren, denn im Falle der kompletten Schließung der prometheistischen Zirkel, Zeitungsredaktionen und Vereine hätte Polen auf dem türkischen Staatsgebiet keine antisowjetische propagandistische Aktivität mehr entfalten können. Die Reduzierung des nachrichtendienstlichen Engagements ging allerdings mit dem Ausbau der publizistisch-agitatorischen Aktivitäten einher. So begannen die Prometheisten das Jahr 1931 mit deutlich gestärkten medialen Kapazitäten. Neben dem „Prométhée“ in Paris verfügten sie mit dem „Wschód“ seit 1930 über ein neues, polnischsprachiges Medium in Warschau. Das prometheistische Netzwerk musste allerdings gerade 1930–31 schwere Verluste hinnehmen. Am 7. Dezember 1930 wurde der prominente georgische Exilpolitiker Noj Ramišvili am Place d’Italie in Paris von einem georgischen Emigranten namens Tarmer (Parmen) Čanukvadze erschossen.4 Die Drahtzieher des Mordes sahen die Prometheisten in den Bolschewiki.5 Die Beerdigungszeremonie am 14. Dezember am Pariser Friedhof Bagneux wurde aufgrund der vertretenen Prominenz zu einem politischen Ereignis.6 Am 24. Oktober 1930 starb der polnische Nachrichtendienstler Stanisław Zaćwilichowski, der intensiv in die Kommunikation, vor allem mit den Pariser und Istanbuler Prometheisten, involviert war, in einem nicht vollständig aufgeklärten Autounfall.7 Der polnische Diplomat Tadeusz Hołówko wurde am 29. August 1931 im Kurort Truskawcy von den ukrainischen Nationalisten, Mitgliedern der OUN, Dmytro Danylyšyn und Vasyl’ Bilas ermordet.8 Er war eine der Schlüsselfiguren der polnischen Prometheisten und setzte sich für die polnisch-ukrainische Versöhnung ein. Nach den Morden an Petljura 1926 und Noj Ramišvili im Dezember 1930 war dies der nächste Mord an einem bedeutenden Aktivisten der prometheistischen Netzwerke innerhalb von fünf Jahren. Am 26. Januar 1930 wurde der exilrussische General Aleksandr Kutepov in Paris am helllichten Tag vom sowjetischen Geheimdienst entführt. Er war zwar kein
Noy Ramişvili’nin katli, in: Odlu Yurt 24/12 ( Januar 1930), S. 471. Mehr dazu Władysław Żeleński: Cztery lata po zgładzeniu Petlury. zabójstwo Gruzińskiego Ministra Ramiszliwego w Paryżu, in: Niepodległość XXII (1989), S. 193–206. Jonathan D. Smele wies ebenfalls darauf hin, dass der Mörder ein KGB-Agent war. Vgl. Jonathan D. Smele: Historical Dictionary of the Russian Civil Wars, 1916–1926, Lanham 2015, S. 914. 6 Noj Žordania als ehemaliger Präsident der Republik Georgien, Georgij Gvazava im Namen der National-Demokratischen Partei Georgiens, Abel Chevalley im Namen des „Comité International des amis de la Géorgie“ (Genf) und der Association „France-Géorgie“ (Paris), Alexandre Choulguine für die ukrainische Seite, M. Rasulzade im Namen der Partei Müsavat und als Leiter des aserbaidschanischen Nationalzentrums, Chadisjan für die armenische Diaspora, G. Zakhokh für die Nordkaukasier und Mustafa Čokaev als Repräsentant der Nationalen Union Turkestans hielten ihre Kondolenzreden. Vgl. Les obsèques de Ramichvili, in: Prométhée 50 ( Januar 1931), S. 6–14. 7 Mehr dazu siehe Konrad Paduszek: „Dwójkarska“ przeszłość Stanisława Zaćwilichowskiego, in: Niepodległość i Pamięć 14/1, 25 (2007), S. 67–87. 8 Die beiden Mörder wurden von einem polnischen Gericht zu Tode verurteilt und 1932 hingerichtet. 4 5
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Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
Prometheist, jedoch löste seine Entführung Ängste und große Unsicherheit im prometheistischen Milieu aus. Die immer älter werdenden prometheistischen Aktivisten sollten sich nun vordergründig intellektuell profilieren. Infolgedessen mangelte es 1930 weder an programmatischen Schriften noch an Appellen der einzelnen nationalen Gruppen der Prometheisten an den Völkerbund und die Weltöffentlichkeit.9 Inspiriert durch die Europa-Debatten europäischer Politiker, wie u. a. Aristide Briand10 und Frank Billings Kellogg, redefinierten die Prometheisten ihre politischen Aufgaben. In seinem Editorial „Unsere Aufgabe“11 verkündete Gvazava beispielsweise, dass die geknechteten Völker Folgendes unternehmen sollten, „pour briser la chaîne d’esclavage“12: 1. [Man muss, Z. G.] eine einheitliche Front gegen jeglichen erneuten Aufschwung des russischen Imperialismus, einer ständigen Gefahr für den Weltfrieden, formieren; 2. Innerhalb [der Front] soll das obligatorische Prinzip der Schiedsgerichtsbarkeit für alle ihre Streitfragen eingeführt werden; 3. [Man muss] die Anwendung des Selbstbestimmungsprinzips auf alle von den Sowjets unterdrückten Völkern fordern.13 6.1
Die Gründung des „Wschód“ (1930)14
Während der von Gvazava redigierte „Prométhée“ seit seiner Gründung 1926 das wichtigste Medium der Prometheisten darstellte, eine Schaltstelle zwischen den Standorten Warschau, Paris und Istanbul war und sich an die der französischen Sprache mächtige Leserschaft wandte, wurde die 1930 in Warschau gegründete polnischsprachige Vierteljahresschrift „Wschód“ [Orient] zu einem wichtigen prometheistischen Medium in Polen. Sie widmete sich der Analyse politischer, sozialer und kultureller Prozesse im östlichen Europa und Zentralasien und die deutschsprachige Selbstbeschreibung auf der ersten Seite verkündete: „Zeitschrift der polnischen Jugend, gewidmet der freundschaftlichen Annäherung mit den Völkern des Nahen und Fernen Ostens“.
Paradebeispiele sind die von Oleksandr Šul’hyn unterzeichneten Briefe an Briand sowie ein Memorandum der ukrainischen Regierung über Europa und die Ukraine. Vgl. Deux documents sur l’Union Européenne et l’Ukraine, in: Prométhée 46 (Oktober 1930), S. 11–14. 10 Exemplarisch war der Beitrag von „notre correspondant particulier“ L. G.: L’Organisation de l’Europe et le problème de l’Est Européen, in: Prométhée 46 (Oktober 1930), S. 9–10. 11 Notre devoir, in: Prométhée 46 (Oktober 1930), S. 1–4. 12 Ebenda, S. 4. 13 Ebenda. 14 Die Sub-Kapitel 6.1 und 6.2 beruhen teils auf meinem Aufsatz Zaur Gasimov: Der Antikommunismus in Polen im Spiegel der Vierteljahresschrift Wschód 1930–1939, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung (2011), S. 15–30. 9
Die Gründung des „Wschód“ (1930)
Der Entstehung von „Wschód“ ging die bereits erwähnte Gründung des Klubs Prometeusz im Jahre 1928 in Warschau voraus. Dem Historiker Paweł Libera zufolge waren „siebenundzwanzig hervorragende Vertreter der prometheistischen Völker in Polen“ Mitglieder des Klubs. Die Polen konnten offiziell als Ehrenmitglieder dem Klub angehören.15 Der Historiker Lewandowski zeigte in seinem Buch, wie hochrangig der Klub besetzt war: „Unter den neunzehn Ehrenmitgliedern konnte man zu Beginn solche Persönlichkeiten wie Stanisław Siedlecki, Stanisław Stempowski, Adam Koc und Janusz Jędrzejewicz finden. Später kam auch Włodzimierz Bączkowski dazu.“16 Ein eklatanter Antikommunismus, sowie ein Plädoyer für noch mehr Engagement Polens im Osten gehörten zum ungeschriebenen Leitmotiv sowohl des Warschauer Klubs Prometeusz als auch der Zeitschrift „Wschód“, die formell als ein Publikationsorgan der 1928 ebenfalls in Warschau ins Leben gerufenen populärwissenschaftlichen Gesellschaft „Orientalistyczne Koło Młodych“ [OKM, Verband der Nachwuchsorientalisten] galt. OKM, dessen Ziel u. a. „die Propagierung der prometheistischen Ideen in den Jugendkreisen“17 war, wurde zu Beginn 1929 an dem am 12. März 1926 gegründeten und von Stanisław Korwin-Pawlowski geführten Warschauer Ostinstitut angesiedelt. Diese akademischen Einrichtungen wurden vom polnischen Generalstab finanziert und gesteuert. Inspiriert und redigiert vom polnischen Publizisten Jerzy Giedroyć18 und herausgegeben von Włodzimierz Bączkowski, stellte „Wschód“ ein wichtiges polnischsprachiges Forum für polnische und darüber hinaus auch für ausländische Sowjetunion-Experten und Orientalisten dar. In seiner Autobiographie schrieb Giedroyć dazu: Auf Bitten des Außenministeriums gründete ich die Zeitschrift „Wschód“. Im Außenministerium beschloss man zu Recht, sich mit der Ostthematik zu befassen. Aus diesem Grund wurde ich kontaktiert, damit ich eine Zeitschrift zu diesem Zweck gründe. Ich tat dies und gab das erste Heft heraus. Später hatte ich keine Zeit mehr dafür und gab die Zeitschrift an den Ukraine-Spezialisten und Redakteur des „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ Bączkowski ab. Ich habe somit nur die Rolle eines Geburtshelfers gespielt.19
Paweł Libera: „Biuletyn polsko-ukraiński“ (1932–1938) – Pismo ruchu prometejskiego, in: Kyivs’kyj polonistyčni studii 18 (2011), S. 37. 16 J. Lewandowski: Prometeizm – koncepcja polityki wschodniej Piłsudczyzny, in: Biuletyn Wojskowej Akademii Politycznej 2/12 (1958), S. 120, zitiert nach: Paweł Libera: „Biuletyn polsko-ukraiński“ (1932– 1938) – Pismo ruchu prometejskiego, in: Kyivs’kyj polonistyčni studii 18 (2011), S. 37. 17 Paweł Libera: Orientalistyczne Koło Młodych przy Instytucie Wschodnim w Warszawie (1929–1939), in: NP 12 (2018), S. 103–117. 18 Jerzy Giedroyć wurde in Minsk 1906 geboren, studierte Jura in Warschau und gehörte bereits in den Dreißigerjahren zu den Unterstützern des polnischen Engagements in Osteuropa. Er gründete die Zeitung „Bunt Młodych“ und redigierte auch die erste Ausgabe von Wschód. Von 1947 bis 2000 gab er die bekannte Emigrantenzeitschrift „Kultura“ in Paris heraus, die zu einem wichtigen Forum für polnische wie ukrainische, weißrussische und russische Dissidenten und Exilhistoriker wurde. 2000 starb Giedroyć in der Nähe von Paris. Siehe Krzysztof Pomian (Hg.): Jerzy Giedroyć. Redaktor, polityk, człowiek, Lublin 2001. 19 Jerzy Giedroyć: Autobiografia na cztery ręce, hg. von Krzysztof Pomian, Warschau 1999, S. 47. 15
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Zum Redaktionskomitee der „Wschód“ gehörten Sokrates Jeremi20, Jan Reychman und Ludwika Rymińska21. Letztere schrieb vor allem zur Geschichte der polnischen Reiseliteratur und rezensierte die orientalistischen Neuerscheinungen. Die sowjetische Nationalitätenpolitik, das Alltagsleben in der Sowjetunion und die sozialen Missstände in der UdSSR gehörten zu den Themen, die von den „Wschód“-Autoren häufig aufgegriffen wurden. Es wurde intensiv nach den Gründen für den Erfolg des Kommunismus in Russland gesucht. Hervorgehoben wurden die russisch-orthodoxe Tradition, die Jahrhunderte lang uneingeschränkte Herrschaft der Zaren und die Unfähigkeit der russischen Aristokratie, dem Kommunismus die Stirn zu bieten. Einige sahen in diesen Besonderheiten der russischen Geschichte die Antwort, andere erklärten den sowjetischen Kommunismus mit der kulturellen Zugehörigkeit Russlands zu Asien. Die zweite These ist angesichts der Tatsache, dass viele „Wschód“-Publizisten Orientalisten oder Sinologen (wie z. B. Włodzimierz Bączkowski selbst) waren bzw. aus Zentralasien stammten, besonders interessant. Im Dezember 1930 veröffentlichte „Wschód“ den manifestartigen Text „Gruß der polnischen Jugend an die Völker des Ostens“ auf Polnisch, Französisch und Englisch: Beginning the edition of our magasine „The Orient“, we ask the young generation of Asia’s countries to help us in our task. The relations between european and asiatic people were based till now, almost exclusively, on the commerce, hardly honest sometimes, and also on the pure emotional exotic […] We tend to break with this sorrowfull tradition. To the Youth of Asia, free from rancour and prejudices, we address ourself,22
hieß es im englischen Appell, dessen Stilistik und Orthographie dem Original hier entsprechend wiedergegeben wurde. Im Weiteren wurden die Ziele der Zeitschrift folgendermaßen definiert: Our magazine is destined, chiefly, for the representants of the asiatic countries. Write us about your national ressurection, your thoughts; about your traditions, customs and destinies; about your aims, necessities, troubles; about your pains and joys. Tell us, what the european culture was promising to bring you and what really was done […]. „The Orient“ is your journal;
Über Sokrates Jeremi ist wenig bekannt. 1931–34 hat er am Ostinstitut studiert. Im ersten Heft von „Wschód“ berichtete er über die Eröffnung der Ausstellung des Malers Dawid A. Haltrecht (1880–1938) zu China und der Mongolei in den Räumlichkeiten des Ostinstituts am 23. Mai 1930. Vgl. Sokrates Jeremi: Wystawa studjów i szkiców, Wschód 1/2 (1930), S. 27–28. Im Februar 1934 hielt er einen Vortrag zum Geschehen im Nordkaukasus an der OKM. 21 Über Ludwika Rymińska ist kaum etwas bekannt. Von ihr erschienen einige Fachbeiträge und Rezensionen. Siehe Wielcy polscy podróżnicy. Gen. Stanisław Grąbczewski, in: Wschód 1 (1930), S. 11–16; dies.: Przez Uranję i Mongolję Kamila Giżyckiego, in: Wschód 1/2 (1930), S. 23–24. 22 Pozdrowienie młodzieży Narodów Wschodu. La jeunesse polonaise aux Peuples d’Orient. Greetings of Poland’s young people to the Nations of Orient, in: Wschód 1/2 (1930), S. 2. 20
Die Gründung des „Wschód“ (1930)
Let us hope, therefore, that mutual comprehension will be the best way to friendly relations.23
Deutlich war die Bestrebung der polnischen Akademiker, ihren Zeitgenossen im außereuropäischen Raum eine Stimme zu verleihen und sie für sich zu gewinnen. Polnische Intellektuelle, welche die Teilungszeit als Raub der eigenen Souveränität und kulturelle sowie politische Bevormundung beschrieben, fühlten sich aufgerufen, den Unterdrückten die Hand zu reichen. Der Text dieses Appells ist mit Hinblick auf Subalternität und Postkolonialität besonders bemerkenswert. Unübersehbar sind ein antikolonialistischer Grundton, der Aufruf zur Solidarisierung sowie die Artikulation polenfreundlicher Einstellung. „Die Zeitschrift Wschód ist,“ schrieb der abchasische Exilant, Leiter der kaukasischen Sektion des OKM und Stipendiat des Ostinstituts, Magomet-bej Čukua, „das erste Medium in Europa, das einen Kontakt zwischen Europa und Asien auf der Grundlage der Gleichheit, der Bruderschaft, der gegenseitigen Freundschaft und des kulturellen und ökonomischen Austausches anstrebt. Umso mehr erfreut uns die Tatsache, dass die Zeitschrift „Wschód“ gerade in Polen entstand, das neben seiner westlichen Kultur durch zahlreiche Verbindungen mit dem Osten verflochten ist“24. Eines ambivalenten Ansatzes bediente sich dagegen der Warschauer Orientalist Reychman, der in einem kurzen Essay über zwei Publikationen italienischer Nahostexperten über Muslime in Polen berichtete, die in der Zeitschrift „Oriente Moderno“ und im politikwissenschaftlichen Jahrbuch „Annali di Scienze Politiche“ 1929 erschienen. Die italienischen Experten wiesen darauf hin, dass Tataren seit Jahrhunderten in Polen leben und die Regierung in Warschau den Bau einer Moschee plant. Reychman erläuterte, dass die italienischen Orientalisten die Informationen diesbezüglich der Publikation in der Lahorer Zeitung „The Light“ entnahmen. Begeistert von diesem Wissenstransfer aus Lahor nach Italien schrieb Reychman: „Es ist charakteristisch, dass Polens Verhältnis zu seinen Muslimen gerade im Hinblick darauf wichtig ist, dass viele Muslime auf den Mandatsterritorien leben.“25 Er wies auf die Reflexion Pietro Solaris hin,26 dass Polen einige von diesen Mandatsterritorien übernehmen könnte. „In einem solchen Falle würden diese Muslime wissen wollen, wie die polnische Regierung seine Muslime behandelt“.27 Aus diesem Kurzbeitrag Reychmans wird ersichtlich, dass die intellektuelle Öffnung Polens den Orientvölkern gegenüber auch deutlich imperialistische Züge hatte, die sich daraus ablesen lassen, dass sich der
Ebenda, S. 2–3. Mahomet-Bej Czukua: Kaukaz a Rosja, in: Wschód 1/2 (1930), S. 22. J. Rn.: Włosi o Polskich Mahometanach, in: Wschód 1/2 (1930), S. 25. Es handelt sich um diesen Aufsatz: Pietro D. Solari: Polonia Coloniale, in: Annali Di Scienze Politiche 3–1/2 (1930), S. 110–129, in: www.jstor.org/stable/43316746 (Zugriffsdatum: 27.05.2021). 27 J. Rn.: Włosi o Polskich Mahometanach, in: Wschód 1/2 (1930), S. 25. 23 24 25 26
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Autor den Reflexionen Solaris gegenüber weder kritisch noch ablehnend positionierte. Organisatorisch gesehen ging die „Wschód“ aus der Zusammenarbeit der Russland- und Osteuropaexperten des polnischen Außenministeriums, des Generalstabs, des Geheimdienstes und der akademischen Einrichtungen des Außenministeriums (z. B. des Ostinstituts) hervor. Mithilfe dieser Zeitschrift wurde ein Transfer des Antikommunismus angestrebt, indem die polnische Kommunismus-Diskussion bekannt gemacht wurde, die den russischen Kommunismus als antiwestlich, antiliberal und vor allem als eine vom Westen angeblich chronisch unterschätzte Bedrohung für das Abendland definierte. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere polnischsprachige orientalistische Fachzeitschriften existierten, war die Weiterentwicklung der polnischen Orientalistik ein weiteres wichtiges Anliegen der Zeitschrift „Wschód“. Polnische Orientalisten, die an den wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitäten in den jeweiligen Teilungsgebieten im ausgehenden 19. Jahrhundert ausgebildet wurden und nun an den Universitäten in Warschau, Krakau, Lemberg und Wilna tätig waren, schrieben für die Zeitschrift. Die Zeitschrift stellte auch die durch das Ostinstitut seit 1926 herausgegebenen akademischen Abhandlungen vor, unter anderem 1929 die Monographie des georgischen Exilanten Jan Kavtaradze28 und 1930 des krimtatarischen Exilpolitikers Cafer Seydahmet. Die beiden Monographien, reich an Faktenwissen und versehen mit Karten und Illustrationen, erschienen in Warschau in polnischer Sprache. Es waren die ersten umfangreichen Abhandlungen zur Geschichte Georgiens und der Krim, die der polnischen Leserschaft zur Verfügung standen. Um diese Publikationen in Polen weiter bekanntzumachen, schrieben bekannte polnische Historiker und Politiker Vorworte für die Bücher. Das Buch Kavtaradzes enthielt ein Vorwort29 des prominenten polnischen Historikers und Prometheisten Marceli Handelsman.30 Die Monographie Seydahmets enthielt drei Vorworte. Eines stammte von Stanislaw Siedlecki. Die anderen waren Übersetzungen der Vorworte von dem Genfer Professor Eugen Pittard und dem amerikanischen Diplomaten und Kleriker sozialistischer Weltanschauung Jan (Vano) Kavtaradze (1897?-1944) war ein exilgeorgischer Intellektueller und Historiker in Polen. Neben der 1929 erschienenen Abhandlung zur Geschichte Georgiens veröffentlichte er 1937 eine Monografie zur Geschichte und Gegenwart des kaukasischen Föderalismus. Vgl. ders.: Na putjach k kavkazskoj konferedracii, Warschau 1937. Der deutsche Orientalist Bertold Spuler rezensierte das Werk in der „Zeitschrift für Geschichte Osteuropas“. Vgl. ZfGO 3/1 (1938), S. 103–104. 1944, im Zuge der deutschen Besatzung, wurden Jan Kavtaradze und seine Frau Halina getötet. Beide wurden in Warschau beigesetzt. Vgl. https://studium. uw.edu.pl/sew-zlozylo-hold-osobom-zasluzonym-dla-spraw-wschodnich/ (Zugriffsdatum: 20.11.2018). 29 Vgl. Jan Kawtaradze: Gruzja w zarysie historycznym. Mit einem Vorwort von Prof. Marceli Handelsman, Warschau 1929. 30 Im Vorwort eines 1939 vom georgischen Komitee in Polen herausgegebenen Sammelbands zu Georgien wurde erwähnt, dass das Buch Kavtaradzes große Popularität in Polen genieße und bis zu diesem Zeitpunkt ausverkauft worden sei. Vgl. Gruzja. Terrytorium i ludność, historia, literatura i sztuki piękne, sytuacja polityczna. Z 25 ilustracjami w tekście i z mapą Gruzji, hg. von Komitet Gruziński w Polsce, Warschau 1939, S. 2. 28
Die Gründung des „Wschód“ (1930)
George D. Herron31, mit denen die Erstauflage der ursprünglich auf Französisch erschienenen Abhandlung Seydahmets eingeleitet wurde.32 Beide Monographien, deren Druck von Warschau initiiert wurde und deren Inhalt außerst russlandkritisch war, wurden von den internationalen Nahost- und Osteuropa-bezogenen Fachmedien wie „Litterae Orientales“ (1930) und der „Zeitschrift für Osteuropäische Geschichte“ (1931) registriert. Die Monographie Seydahmets wurde von Stanisław Zajączkowski, einem bekannten polnischen Mittelalterhistoriker, im „Kwartalnik Historyczny“ und von dem Kulturhistoriker Feliks Koneczny in der Zeitschrift „Atheneum Wileńskie“ positiv rezensiert. Beide Rezensionen erschienen 1930, zwei Jahre später wurde die Veröffentlichung Seydahmets von der wichtigen polnisch-tatarischen Zeitschrift „Rocznik Tatarski“ aufgegriffen. Durch Druck und Verbreitung dieser Monographien durch die prometheistischen Medien, wie auch in den internationalen Fachperiodika zur Orientalistik, erfolgte der von den Prometheisten anvisierte Transfer der antirussischen Bilder in die breitere Öffentlichkeit. Zudem waren die beiden Publikationen ein wichtiger Beitrag zur polnischen Georgien- und Krimforschung. Gleichzeitig konnte man in den Publikationen der „Wschód“ den geo- und außenpolitischen Diskurs polnischer Intellektueller beobachten, in deren Debatten Osteuropa und der Orient wichtige Bezugspunkte darstellten. Gleich im ersten Heft der „Wschód“ wurde z. B. der „Appell des Exekutivkomitees des Großmachtgedankens“ (Komitet wykonawczy Myśli Mocarstwowej) des Polnischen Akademischen Jugendverbandes an die „Völker des Kaukasus“ abgedruckt.33 Sämtliche Beiträge in der Zeitschrift wurden auf Polnisch gedruckt, enthielten jedoch in der Regel eine ausführliche Zusammenfassung auf Englisch, Deutsch, Französisch oder auch Italienisch. Dadurch zeigte sich „Wschód“ in der Tradition der polnischen Politik- und Russlandberichterstattung des 19. Jahrhunderts, als die polnischen Intellektuellen und Exilanten bemüht waren, Europa über das ‚wahre Russland‘ zu informieren und aufzuklären. Stellvertretend sind an dieser Stelle die Artikel in der Zeitschrift „Le Polonais“ und in der Publikationsreihe „The Portfolio“ aus dem 19. Jahrhundert zu erwähnen. Die Monatsschrift „Le Polonais“ wurde vom Fürsten Czartoryski zwischen 1833 und 1837 herausgegeben. Bemerkenswerterweise lautete der vollständige Titel der Zeitschrift „Le Polonais. Journal des intérêts de l’Europe“. Viele italienische
George D. Herron (1862–1925) war ein christlicher Sozialist, Kleriker und fungierte sogar als außenpolitischer Berater des amerikanischen Staatspräsidenten Woodrow Wilson. Noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wanderte Herron mit seiner Familie nach Europa aus, zuerst nach Florenz und anschließend nach Genf, wo er vermutlich Seydahmet kennenlernte. Nach dem Ersten Weltkrieg bis zu seinem Tod stand Herron als „secret negotiator and unofficial diplomatic adviser“ im Dienste der amerikanischen und britischen Diplomatie. Mehr dazu Mitchell P. Briggs: George D. Herron and the European Settlement, Stanford 1932. 32 Dżafar Sejdamet: Krym. Przeszłość, terażniejszość i dążenia niepodległościowe tatarów krymskich, Warschau 1930. 33 Święto narodowe Kaukazu, in: Wschód 1 (1930), S. 28. 31
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und noch mehr französische Intellektuelle schrieben für „Le Polonais“. Die Publikationsreihe „The Portfolio“ wurde ebenfalls von Czartoryski und dem polnischen Adeligen Jan Zamoyski gegründet. Unterstützt durch den britischen Diplomaten David Urquhart, der zu den vehementen Russlandkritikern im damaligen Großbritannien gehörte, und teils aus diesem Grund von seinem Posten in Istanbul abberufen wurde,34 hatte das Publikationsprojekt „The Portfolio“ die „Diskreditierung Russlands“ zum Ziel.35 Die Reihe erschien auf Französisch und Englisch. Die „Wschód“-Autoren sahen in diesen Medien ihre Vorläufer.36 Zu Beginn des Jahres 1930 konnten die Prometheisten trotz der erzwungenen Auswanderung der kaukasischen Emigranten aus Istanbul ihre Presseorgane („Odlu Yurt“) am Bosporus beibehalten. Ein Jahr später verschlechterte sich die Situation weiter. „Ein neuer Schlag“37 schrieb der „Prométhée“ im Herbst 1931 zur Schließung der Istanbuler Zeitung „Odlu Yurt“ sowie aller anderen antisowjetischen Medien in der Türkei. „Odlu Yurt“ teilte das Schicksal anderer, meistens aserbaidschanischer Zeitungen wie „Yeni Kafkasya“, „Azerî-Türk“, „Bildiriş“ und der turkestanischen Zeitung „Yeni Türküstan“, die seit den frühen 1920er Jahren am Bosporus erschienen waren. Diesem Schritt der Regierung in Ankara ging 1929 die Ausweisung der politisch engagierten aserbaidschanischen und turkestanischen Emigrés aus der Türkei voraus. Angesichts dieser Entwicklung kam der Warschauer Zeitschrift „Wschód“ eine wachsende Bedeutung zu. Bekanntlich redigierte Rasulzade die „Odlu Yurt“ seitdem von Warschau aus.
David Urquhart (1805–1877) war ein britischer (schottischer) Diplomat und setzte sich für die Sache der Tscherkessen ein. Während seiner diplomatischen Tätigkeit an der britischen Botschaft im osmanischen Istanbul knüpfte er Kontakte zu den Tscherkessen in osmanischen Gebieten wie auch im russisch gewordenen Kaukasus. Er reiste nach Tscherkessien während der russischen Expansion im nördlichen Kaukasus und versuchte die lokale Bevölkerung gegen Russland zu mobilisieren. Es ist nicht auszuschließen, dass er die Kontakte zwischen der Organisation Czartoryskis und den nordkaukasischen Aufständischen ermöglichte. Mehr zu Urquhart siehe Charles King: Imagining Circassia: David Urquhart and the Making of North Caucasus Nationalism, in: The Russian Review 66 (April 2007), S. 238–255. 35 Mehr dazu Radosław Żurawski Grajewski: „The Portfolio“ Brytyjscy publicyści, polscy emigranci i tajna rosyjska korespondencja, in: Rocznik historii prasy polskiej 17/1 (2014), S. 7–23. 36 Siehe hierzu auch detailliert den Artikel des Autors J[an]. R[eychman]. von 1937: Z dziejów prometeizmu polskiego (Anm. 7), S. 1–19 und ders.: Polityka wschodnia ks. A. Czartoryskiego w świetle najnowszych badań naukowych, in: Wschód 9/3 (1938), S. 65–76. 37 Un nouveau coup, in: Prométhée 60 (November 1931), S. 1–3. 34
Warschau als sowjetologisches Mekka
6.2
Warschau als sowjetologisches Mekka
Die Zeitschrift „Wschód“ wurde – abgesehen vom „Prométhée“ – infolge der ‚Zwangsemigration‘ der aserbaidschanischen und krimtatarischen Intellektuellen aus Istanbul nach Warschau zum bedeutendsten Organ der Prometheisten. Die Tatsache, dass man mit Polnisch als medialer Sprache vergleichsweise wenig Einfluss auf die europäische Öffentlichkeit erzielen konnte, führte dazu, dass fast alle Beiträge in der Warschauer Zeitschrift mit längeren Zusammenfassungen in englischer Sprache versehen wurden. Dies betraf vor allem die programmatischen Aufsätze. Es war der aserbaidschanische Exilant Rasulzade, der das Februarheft seiner Zeitung „Odlu Yurt“ 1931 (Erscheinungsort war noch Istanbul) mit einem Leitartikel „Ein Politiker gegen einen Historiker“38 einleitete, in dem er sich mit dem geschichtswissenschaftlichen und politischen Wirken des russischen Exilpolitikers und Historikers Pavel Miljukov beschäftigte, was an sich – abgesehen von der ideologischen Kritik an der Haltung Miljukovs an den nichtrussischen Nationen des ehemaligen Zarenreiches – eine Einführung in die aktuellen Debatten des sogenannten Auslandsrusslands bedeutete. Dieses Editorial, das im Februar 1931 auch als Artikel im „Prométhée“ unter dem Titel „Politicien contre historien“39 gedruckt wurde. Die erzwungene Verlagerung der Aktivitäten Rasulzades vom Bosporus an die Weichsel ging für ihn einher mit einer stärkeren Zusammenarbeit mit der „Wschód“ in Warschau.40 Während der Pariser „Prométhée“ sich intensiver mit den diplomatischen Kontakten der Prometheisten vor allem am Sitz des Völkerbundes in Genf befasste, widmete sich „Wschód“ der geopolitischen Vision und Entwicklung der Ordnungsvorstellungen, so wie dies ein Jahrzehnt früher die Zeitung „Przymierze“ getan hatte. Für die Pariser und Warschauer Zeitschriften der Prometheisten war und blieb die Multinationalität der Sowjetunion die wichtigste Schwachstelle Moskaus, die die polnischen Intellektuellen fortwährend in ihren Aufsätzen analysierten. Der exilukrainische Dichter Mikołaj Kowalewski, der, ähnlich wie der nordkaukasische Emigrant Žanbek Chavžoko,41 seit 1927 in Warschau lebte und literarisch wie auch publizistisch aktiv war, beschrieb kritisch das „Nationale Mosaik der Sowjetunion“ und betonte: Russians amount to 78 millions, i. e. about 52 % of the entire population […]. The dynamics of the nationalistic relations in U. S. S. R. show a more and more glaring tendency to make the 48 % of subjugated nations independent of the rule of the 52 % of Russians. The present warfare against the Communistic dictature is not exclusively a fight against a
M. E. Resul-Zade: Tarihciye karşı siyasî, in: Odlu Yurt 25/13 (Februar 1931), S. 489–492. M. E. Rassoul Zadé: Politicien contre historien, in: Prométhée 51 (Februar 1931), S. 6–8. So erschien im „Wschód“ im Dezember 1930 bereits sein Überblicksartikel zu Aserbaidschan. Vgl. M. E. Ressul-zade: Rzeczpospolita Azerbajdżańska, in: Wschód 1/2 (1930), S. 26 ff. 41 Pšemyslav Adamčevskij: Rabota v Pol’še v mežvoennyj period nad sozdaniem gosudarstvennogo jazyka dlja Severnogo Kavkaza, in: Istorija, archeologija i ėtnografija Kavkaza 16/2 (2020), S. 285. 38 39 40
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certain form of social or political organisation but, at the same time, a struggle against the supremacy of Russia.42
Der Beitrag Kowalewskis erschien komplett in englischer Übersetzung, anders als z. B. der Aufsatz des seit 1920 in Warschau tätigen Literaturkritikers und Dichters Jevhen Malaniuks zur ukrainischen Literatur,43 der sich eher an das ukrainische und polnische Publikum in und außerhalb Polens richtete. Interessant ist die Veröffentlichung des Organigramms der polnischen Orientalistik, deren fachliche und infrastrukturelle Entwicklung mit der prometheistischen Aktivität der polnischen Diplomatie einherging. Beschrieben wurden die führenden Hochschulen des damaligen Polens, nämlich die Universitäten in Krakau, Lemberg, Posen, Warschau und Wilna, die zu Beginn der 1920er Jahre ein reguläres und ziemlich breit gefächertes Lehrangebot im Bereich der orientalischen Philologie und Länderkunde hatten.44 Im Kontext der Erweiterung der osteuropabezogenen Forschung in Polen berichtete „Wschód“ positiv über die Aktivitäten des Polnischen Ukraine-Instituts, das am 7. Februar 1930 in Warschau gegründet und von den zwei ukrainischen Prometheisten, A. Łotocki, und dem Leiter des Warschauer Prometheus-Klubs, Roman Smalʼ-Stoc’kyj, geleitet wurde. „Wschód“ avancierte zum wichtigsten Sprachrohr der sowjetologischen Studien in Warschau. Die Akademiker dominierten unter den Autoren der Artikel, jedoch waren die meisten Beiträge wenig akademisch, meistens wenige Seiten lang, häufig mit Fußnoten versehen und zugespitzt formuliert. Die zwei Phänomene der internationalen Politik prägten die Tagesagenda der polnischen Osteuropaexperten am intensivsten: „[…] the irrepressible growth of the national idea, materialising itself in the form of independent States and, on the other hand, bolshevism, new in the magnitude of its motor power, old as the hills in its doctrine,“45 schrieb der Wschód-Redakteur Włodzimierz Bączkowski im Frühjahr 1932. Ähnlich wie vom Publizisten Adolf Bocheński und anderen polnischen Intellektuellen vertreten, wies Bączkowski auf die als besonders prekär wahrgenommene geopolitische Lage Polens hin: Poland’s position between two inimical Powers – the U. S. S. R. and Germany, dangerous for the Polish-French-Roumanian block – demands peremptorily an equipoise of forces,
Dr. Mikołaj Kowalewski: Mozaika narodowościowa Związku Sowieckiego, in: Wschód 1–2 (1932), S. 31–33. 1938 veröffentlichte er eine längere Abhandlung zur Nationalitätenpolitik in der Sowjet-Ukraine, die in Form eines Buches von einem exilpolnischen militärischen Verlag nach dem Zweiten Weltkrieg in Jerusalem 1947 neu aufgelegt wurde. Vgl. Dr. Mikołaj Kowalewski: Polityka narodowościowa na Ukrainie Sowieckiej. Zarys ewolucji stosunków w latach 1917–1937, Jerusalem 1947. 43 Eugeniusz Małaniuk: Literatura Ukraińska w świetle współczesności, in: Wschód 1–2 (1932), S. 35–42. 44 Orientalistyka Polska, in: Wschód 1–2 (1932), S. 82–85. 45 Włodzimierz Bączkowski: Editorial, in: Wschód 3–4 (1932), S. 1–5. 42
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as the only guarantee against new partitions, the only condition of realising the postulate of disarmement on the whole of the European plane, – of resisting the economical crisis and the development of the European cultural and civilising institutions.46
Die antikommunistischen Aktivitäten und die Propaganda außerhalb Polens gingen mit der steigenden Spezialisierung auf die Kommunismus-Forschung in Polen selbst einher. 1931 wurde beim Verband der Nachwuchsorientalisten (OKM) eine sowjetologische Sektion unter der Führung von Roman Chłapowski eröffnet,47 die sich explizit mit der Erforschung der technologischen Entwicklungen des sowjetischen Militärs, des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems der UdSSR beschäftigte. Der Entwicklung der sowjetischen Nationalitätenpolitik wurde dabei eine besondere Aufmerksamkeit beigemessen, denn nur darin sahen die Prometheisten die Chance, die UdSSR zu schwächen bzw. aufzulösen. Die regelmäßigen Studien zur Situation in der sowjetischen Ukraine und im Kaukasus zeichneten die Warschauer ‚Schule‘ der Sowjetologie auf eine besondere Art aus und standen im Zusammenhang vor allem mit der prometheistischen Denkströmung und der Beteiligung der kaukasischen und ukrainischen Exilanten an der Arbeit des Warschauer Ostinstituts. Die noch in den 1920er Jahren und teils früher gegründeten binationalen Freundschaftsvereine wurden gleichzeitig aktiviert. So fand am 30. Januar 1931 am Ostinstitut im Beisein von etwa 150 Gästen die feierliche Sitzung der „Towarzystwo Polsko-Tureckie“ [Polnisch-Türkische Genossenschaft] statt. Zu Mitgliedern des leitenden Gremiums der Genossenschaft wurden P. Jaroszewicz, der Generalsekretär des Ostinstituts Olgierd Górka, der Leiter des Warschauer Büros des tatarischen Verbandes Abdul-Hamid Churamowicz und Tadeusz Zabłocki gewählt.48 In die Reihe der Aktivitäten, die den Zweck hatten, die Verbindungen zum Osten auszubauen, gehört der erste Kongress des OKM vom 15.–16. Mai 1931 in Warschau. An diesem Kongress beteiligten sich die Delegierten der fünf OKM-Büros aus Warschau (Włodzimierz Bączkowski, Kamil Seyfried49, Marja Linner, Hieronim Fiodorow und Aniela Bogumiłówna), Krakau (Tadeusz Radwański, Aleksander Sackiewicz, Emilija Skowrońska, Marka Cholewianka und Stanisław Tota), Posen (Antoni Moszczyński, Jolanta Krauzówna, Leon Łuczak, Leszek Olenderczyk), Wilna ( Jan Duchnowski, Tadeusz Szpiganowicz, Emil Ciawłowski50) und Stefan Downarowicz aus Lemberg.51 Ver-
Ebenda, S. 4. Die Leitung der Abteilung wurde Roman Chłapowski überlassen. Vgl. [Unbekannter Autor]: Sekcja sowietologiczna O. K. M., in: Wschód 3–4 (1932), S. 136 f. 48 Towarzystwo Polsko-Tureckie, in: Wschód 3–4 (1932), S. 141. 49 Es ist unklar, ob es sich um den prominenten polnischen Rechtswissenschaftler und Militärangehörigen Kamil Jan Seyfried (1876–1960) oder um seinen Sohn, den Sinologen Kamil Seyfried (1908–1982) handelt. 50 Emil Ciawłowski (1910–1990) wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien aus, schrieb für polnische Exilzeitschriften und korrespondierte mit dem polnischen Philosophen Leszek Kołakowski. 51 Pierwszy zjazd Orjentalistycznych Kół Młodych, in: Wschód 3–4 (1932), S. 113. 46 47
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eint durch das Interesse am Nahen Osten und der Orientalistik waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses äußerst interdisziplinär aufgestellt. Hieronim Fiodorow z. B. war ein junger Student der Warschauer Orientalistik, Stefan Downarowicz dagegen studierte an der Fakultät für Architektur an der Politechnischen Universität von Lemberg. Wie vernetzt und verwoben diese Strukturen in Polen waren, sieht man deutlich am Verlauf dieses Kongresses: Eröffnet durch Włodzimierz Bączkowski hielt Stanisław Siedlecki den ersten Vortrag, gefolgt von Olgierd Górka. Roman SmalStoc’kyj trug „im Namen des Prometheus“, M. E. Rasulzade im Namen des Nationalen Zentrums Aserbaidschans, Kosta Zangi für das Komitee der kaukasischen Bergvölker in Polen vor. Das georgische Komitee in Polen wurde auf dem Kongress von Konrad Imnadze und die Ukrainer von Mikołaj Kowalski und Sergjusz Kiriczok vertreten. Auch der kasantatarische Exilant Ayaz Ishaki war anwesend. Bączkowski verlas die schriftlichen Grußworte u. a. von Žordania und Korwin-Pawlowski. Olgierd Górka trug programmatisch über die „Mission Polens im Osten“ vor. Im Weiteren referierten Leon Wasilewski und der georgische Exilant und Georgisch-Dozent der Universität Warschau, George ( Jerzy) Nakašidze, über die Nationalitätenproblematik in der Sowjetunion. Die weiteren Referate gingen auf die aktuellen Probleme im Kaukasus sowie in der Ukraine ein. Auch die finnougrische Minderheit um Leningrad sowie die Grüne Ukraine (Zielona Ukraina) – die zahlenmäßig große ukrainische Siedlercommunity im Fernen Osten Russlands – wurden thematisiert. Insbesondere Roman Smal-Stocki ging auf diese Fragen ein: Die Aufteilung Russlands entspricht der Logik der Geschichte, die uns Beispiele des Zusammenbruchs der Türkei der Sultanen und Österreichs lieferte. Diese Aufteilung ist im Interesse der englischen Politik, Italiens, sogar Frankreichs und nur Deutschland will die Einheit des neuen Russlands bewahren, um dort das eigene koloniale Gebiet zu haben52.
Der OKM-Kongress in Warschau, der durch die prometheistischen Medien intensiv beleuchtet wurde,53 zeigte die Evolution des Prometheismus. Dieser enthielt eine deutlich ausgeprägte postkoloniale Färbung, die sich in der emanzipatorischen Anstrengung der polnischen Intellektuellen, sowie der regen politischen Aktivität der Exilanten äußerte. Trotz der wissenschaftlichen Referate war der Kongress mehr eine politische Veranstaltung. Selbst der renommierte Linguist Smalʼ-Stocʼkyj, der im „Namen des Prometheus“54 die erste Sitzung des Kongresses begrüßend miteröffnete, polemisierte und argumentierte, wie oben aufgeführt, in (geo)politischen Kategorien.
Ebenda, S. 112. Die Zeitschrift der nordkaukasischen Emigration „Gorcy Kavkaza (Les montagnards du Caucase)“ berichtete vom OKM-Kongress im Oktober 1932. Pis’mo Prezidiuma 1-go S’ezda Orientalističeskich organizacij molodeži v Pol’še, in: Gorcy Kavkaza 32 (1932), S. 30–31. 54 Pierwszy zjazd Orjentalistycznych Kół Młodych, in: Wschód 3–4 (1932), S. 107. 52 53
Warschau als sowjetologisches Mekka
Das OKM konnte sich als eine Institution etablieren, die an den wichtigsten polnischen Standpunkten wie Warschau, Posen, Krakau, Lemberg und Wilna vertreten und multinational zusammengesetzt und international vernetzt war. Sie beruhte auf einer engen Zusammenarbeit der polnischen Intellektuellen mit den Exilanten aus dem Kaukasus, der Ukraine und Turkestan. Die besonderen Umstände des Exils waren gerade den polnischen Mitstreitern der Kaukasier und Ukrainer vertraut. Włodzimierz Bączkowski, ähnlich wie viele andere Aktivisten prometheistischer Netzwerke, wurde weit außerhalb des historischen Polens geboren. Die meisten polnischen Intellektuellen wurden vor 1918, d. h. im geteilten Polen geboren und an den deutsch- oder russischsprachigen Schulen und Hochschulen sozialisiert. Diese, für viele Polen traumatische Erinnerung der politischen und kulturellen Fremdbestimmung führte zur Entstehung einer empfundenen Schicksalsgemeinschaft. Daraus ließen sich die Begriffe der Freiheit, Humanität und der Selbstbestimmung der Völker ableiten, die gerade in den prometheistischen Diskursen eine herausragende Rolle spielten. In Bezug auf die Selbstbestimmung stritten sich die Prometheisten nicht nur mit den exilrussischen und sowjetischen, sondern auch mit den polnischen Kritikern des Prometheismus. Im Vorwort zur ersten Auflage des Buches „Świat powojenny i Polska“ [Die Welt nach dem Krieg und Polen] monierte der nationaldemokratische Chefideologe Roman Dmowski die im Frühjahr 1930 vorherrschende „Kriegsagitation gegen die UdSSR“. Ein Krieg gegen Russland würde Polen ruinieren; und Polen solle sich von dieser Agitation nicht beeinflussen lassen, so lautete die Hauptbotschaft.55 Die Monographie Roman Dmowskis, des bedeutendsten Rivalen Piłsudskis in der Zwischenkriegszeit, wurde nicht zuletzt auch wegen der „fehlerhaften Behauptungen unter dem Einfluss der negativen Einstellung des Autors zur ukrainischen Frage“56 von Prometheisten kritisiert, wurde jedoch von den weißgardistischen Kritikern der Prometheisten um die Zeitung Kerenskis „Dni“ mit Begeisterung aufgenommen.57 Nicht zuletzt wegen der zunehmend schwieriger werdenden Beziehungen zwischen Warschau und der ukrainischen Irridenta-Bewegung in Galizien, rückte die Ukraine ins Zentrum der Aufmerksamkeit der polnischen Prometheisten, die sich durch den Mord an Tadeusz Hołówko durch ukrainische Nationalisten 1931 herausgefordert sahen. Gerade nach diesem Mord avancierte die ukrainische Frage zu einem Hauptthema der polnischen Prometheisten.
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Roman Dmowski, Świat powojenny i Polska, 6. Aufl., Breslau 1999, S. 17. Z zagadnień Ukraińskich, in: Wschód 3–4 (1932), S.114 Vgl. Unbekannter Autor: Stavka na raspad, in: Dni 86 (1930), S. 2–3.
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6.3
Der Muslimische Kongress von 1931 in Jerusalem
Spätestens zu Beginn des Jahres 1931 planten die muslimischen Aktivisten in den britischen Kolonialgebieten wie auch im europäischen Exil einen Weltkongress der Muslime, der schließlich vom 6. (7.) bis zum 17. Dezember 1931 in Jerusalem stattfand. Der palästinensische Religionsführer Muhammad Amin Al-Hussejni wie auch einige seiner Gleichgesinnten aus Britisch-Indien strebten an, die Prominenzen der islamischen Gelehrten, Politiker und Journalisten zusammenzubringen, um gemeinsam u. a. über Imperialismus sowie Entwicklungsfragen zu diskutieren, die jüdische Einwanderung nach Palästina zu verhindern und einen Kalifen zu wählen. Der Historiker Cemil Aydin hielt fest: „The 1931 congress was a source of widespread concern“58: Besorgt waren Italien und Großbritannien angesichts der muslimischen Kritik an der Politik Roms in Äthiopien. Die meisten Aktivisten kamen aus Indien, Ägypten sowie Palästina – Gebiete unter britischer Kolonialherrschaft – und London fürchtete die Kritik am Imperialismus. Deutlich distanzierten sich Ankara und Moskau von dem Kongress. Die Türkei, deren Eliten das Kalifat sieben Jahre vor dem Kongress abgeschafft hatten und auf Säkularismus setzten, lehnte die offizielle Einladung des Jerusalemer Großmufti Al-Hussejni ab.59 Die Sowjetunion, die den Klerus im Zuge des staatlich propagierten Atheismus verfolgte und sich vom sunnitischen Islam in weiten Gebieten des Nordkaukasus, und vor allem Zentralasiens, herausgefordert fühlte, betrachtete jegliche Veranstaltung, welche die Solidarisierung unter den Muslimen anstrebte, mit Misstrauen. Der polnischen Seite dagegen lag die Teilnahme der russlandmuslimischen Kandidaten an diesem Kongress am Herzen. Die polnischen Prometheisten sahen darin die Chance, antisowjetische Propaganda in den muslimischen Kreisen zu streuen und den Anschluss an die arabischsprachigen Medien zu finden. Nachdem Cafer Seydahmet die Einladung erhalten und die polnische Seite darüber informiert hatte, folgten Diskussionen zwischen dem Warschauer Stabsquartier des polnischen Geheimdienstes, der polnischen Botschaft in Ankara und dem Konsulat in Moskau, über die Frage, wer nach Jerusalem entsandt werden sollte. Zunächst wurde der in Paris ansässige turkestanische Prometheist Mustafa Čokaev angefragt. Er selbst zeigte sich wenig euphorisch darüber und äußerte die Befürchtung, dass seine Teilnahme am Kongress Verfolgungen gegen die turkestanische Emigrantenkolonie in der Türkei von Seiten der türkischen Behörden zur Folge haben könnte. Auch die von ihm redigierte Zeitung „Yaš Türküstan“ in Berlin schrieb darüber, dass er die Einladung erhalten, jedoch aus
Cemil Aydin: The Idea of the Muslim World. A Global Intellectual History, Cambridge, London 2017, S. 159. 59 Zur türkischen Reaktion auf den Kongress vgl. Yasin Beyaz: 1931 Genel İslam Kongresi’nin İslam Dünyasına Etkileri ve Türkiye’deki Yansımaları, in: Beytülmakdis Araştırmalar Dergisi 18/1 (2018), S. 35–56. 58
Der Muslimische Kongress von 1931 in Jerusalem
politischen Gründen die Teilnahme am Kongress abgelehnt hatte.60 Außerdem schätzten die polnischen Diplomaten die von ihm veranschlagten Kosten für einen eventuellen Jerusalem-Aufenthalt für zu hoch ein. Von Seydahmets Teilnahme wurde ebenfalls abgeraten, da dadurch die vor allem in der Türkei ansässigen krimtatarischen Exilanten gefährdet würden. Im Endeffekt waren es zwei kasantatarische Prometheisten, der Dichter und Aktivist Ayaz Ishaki und der Theologe Musa Carullah Bigi(yev), sowie der Nordkaukasier Said Šamil, die am Kongress im Namen der Sowjetmuslime sprechen sollten. Ishaki und vor allem Bigiyev waren unter den muslimischen Intellektuellen bekannt und alle drei sprachen fließend Arabisch. Said Šamil hatte zudem neben der türkischen auch die saudiarabische Staatsbürgerschaft und profitierte nicht zuletzt von der Erinnerung an den Widerstandskampf seines Großvaters Scheich Šamils gegen Russland und dessen Popularität unter den muslimischen Intellektuellen weit über die Grenzen des Zarenreiches bzw. der Sowjetunion hinaus. Polen hoffte, dass Šamil, Bigiyev und Ishaki im Rahmen des Kongresses auch unter den muslimischen Vertretern aus anderen Ländern Gehör finden und gleichzeitig keine Komplikationen mit der Türkei auslösen würden: Die drei genannten Prometheisten waren vor allem in Berlin, Prag und Paris ansässig, daher hatten sie eventuelle türkische Repressalien nicht zu fürchten. Gleich nach der Ankunft in Jerusalem nahm Ishaki Kontakt zu den arabischen Journalisten auf und zwei Tage vor der offiziellen Eröffnung des Kongresses wurde ein längeres Interview in der arabischen Zeitung „Al-Ġamiatul al-Arabiyya“ veröffentlicht. Dieses Interview und die Hintergrundinformationen, die von Ishaki geliefert wurden, erschienen unter dem Titel „Der Zustand der Russlandmuslime unter der bolschewistischen Herrschaft“ und hatten einen deutlich antisowjetischen Charakter.61 Entsprechenden Inhalt hatten auch zwei Broschüren, die der Vermutung des israelischen Osmanisten Jacob Landau zufolge von Ishaki und Šamil auf Arabisch zeitnah zum Kongress herausgegeben wurden.62 Dem Islam-Historiker Reinhard Schulze zufolge wurden auf dem Kongress „kaum wichtige politische Beschlüsse gefaßt; entscheidender war die Repräsentation, und damit die Rekonstruktion einer breiteren islamischen Öffentlichkeit“63. Abgesehen von der Bekanntmachung der Informationen über die Beteiligung der nordkaukasischen und tatarischen Prometheisten am Kongress in Jerusalem in den prometheistischen
İslam Kongresi, in: Yaš Türkistan 24 (November 1931), S. 40, zitiert nach: Tülay Köseoğlu: Sovyetler’in Türküstan’ı dönüştürme politikasına muhalefet Yaş Türkistan dergisi (1929–1939), Ankara 2020, S. 211. 61 Diese Informationen sind dem Bericht des krimtatarischen Arabisten Yusuf Uralgiray entnommen, der in der 1979 herausgegebenen Festschrift zum Andenken an Ayaz Ishaki veröffentlicht wurde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Uralgiray, der sich zu dieser Zeit in Kairo aufhielt, Ishaki als Berater zur Seite stand. Yusuf Uralgiray: Muhammed Ayaz Ishaki, in: Muhammed Ayaz Ishaki hayatı ve faaliyeti. 100. Doğum yılı dolayısıyla, hg. von Çağatay, Akış, Çağatay-İshaki und Agay, Ankara 1979, S. 96–104. 62 Jacob Landau: Pan-Turkism. From Irredentism to Cooperation, Bloomington, Indianopolis 1995, S. 82. 63 Reinhard Schulze: Geschichte der Islamischen Welt im 20. Jahrhundert, 2. Aufl., München 2003, S. 131. 60
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Presseorganen schienen polnische Behörden ihre ursprünglichen Ziele weitgehend erreicht zu haben: Ishaki und andere Teilnehmer knüpften enge Kontakte zu den anderen muslimischen Aktivisten und machten ihrerseits unermüdlich auf die Verfolgung der Muslime in der UdSSR aufmerksam. Der Großmufti von Jerusalem und Hauptorganisator des Kongresses, Al-Hussejni, schien von der Rede Ishakis begeistert gewesen zu sein. Dieser hatte gleich zu Beginn seiner Rede „Über den Zustand der Muslime in Russland“ verkündet: „Russland ist ein Staat, der sich vor dem Hintergrund der blutigen Schlachten und Kriege gegen islamische Länder entwickelte und verfestigte. [Russland, Z. G.] ist ein Land, das ihnen [den islamischen Ländern, Z. G.] seine Ordnung und Bräuche aufoktroyierte“64. Ishaki beschrieb weiter die russische Nations- und Staatswerdung wie auch die imperiale Entwicklung als Prozess der Unterdrückung der Muslime seit der Eroberung der Kasaner und Astrachaner Chanate im 16. Jahrhundert. Er stellte die geschichtliche, wie auch die damals aktuelle Situation im Wolga-Gebiet, auf der Krim, in Zentralasien und im Kaukasus dar. Neben der Kritik an Russland und dem Kommunismus verbreiteten die prometheistischen Teilnehmer des Kongresses wichtige Botschaften in Bezug auf die Kernländer der prometheistischen Aktivität. Ishaki lobte die Türkei und Bigiyev wies auf Finnland als ein Beispiel des gelungenen Zusammenlebens der christlichen Mehrheit und der muslimischen Minderheit hin. Interessanterweise lobte Ishaki in seinem Beitrag auch das Engagement des Papstes für Gläubige, u. a. für Muslime in der UdSSR.65 Die positive Darstellung der Türkei und Finnlands wurde durch prometheistische Kanäle in die jeweiligen Länder transportiert. Vermutlich durch die in Finnland ansässigen tatarischen Emigranten informiert, berichtete die finnische Zeitung „Helsingin Sanomat“ am 28. Februar 1932 über den Auftritt Bigiyevs.66 Die prometheistischen Medien schrieben viel über den Kongress. Ayaz Ishaki selbst berichtete über den Kongress in seiner in Berlin erscheinenden Zeitschrift „Yana Milli Yol“67 [Der neue nationale Weg], dem Sprachrohr des von ihm geleiteten „BefreiungsAlsu Chasavnech: Gajaz Ischaki v ėmigracii: ierusalimskaja reč’ tatarskogo politika na musul’manskom kongresse, in: http://realnoevremya.ru/articles/52075 (Zugriffsdatum: 22.07.2018). 65 Michael H. Abraham D’A ssemani: The Cross on the Sword. A History of the Equestrian Order of the Holy Sepulcre of Jerusalem, Chicago 1944, S. 212. 66 Antero Leitzinger: Lessons from Integration of Aliens in Finland (1917–1944), in: The Eurasian Politician 2 (October 2000), in: http://users.jyu.fi/~aphamala/pe/issue2/al-tartu.htm (Zugriffsdatum: 23.07.2018). 67 Im Oktober 1929 berichtete der „Prométhée“ über die Gründung der tatarischen Zeitschrift „(Yana) Milli Yol“ in Berlin. Sie wurde von dem prominenten Kasaner Exilanten und Intellektuellen, Ayaz Ishaki, herausgegeben und den prometheistischen Medien zugerechnet. Wie die Redaktion, so befand sich auch der Sitz der von Ishaki angeführten politischen Exilantenorganisation „Idil-Ural“ in Berlin, wo es noch zu Beginn der 1920er Jahre eine zahlenmässig stark vertretene tatarische Gemeinschaft gab. Der Autor des Beitrags über die Gründung des „Milli Yol“ war der in Paris ansässige Turkestaner Emigré Mustafa Čokaev. Vgl. Moustafa Tchokaï-Oghly: Milli Yol (La voie nationale), in: Prométhée 35 (Oktober 1929), S. 16–19. Die Zeitung sollte zu einem propagandistischen Organ der politisch ambitionierten Emigrés werden, die sich die Errichtung einer unabhängigen tatarischen Volga-Republik im Ural-Gebiet zum Ziel gesetzt hatten. 64
Der Muslimische Kongress von 1931 in Jerusalem
komitees Idil-Ural“ und in der Zeitschrift „Wschód“ Anfang 1932.68 Es wurde berichtet, dass sich Ayaz Ishaki und Said Šamil am Kongress beteiligt und zur Lage der Muslime in der Sowjetunion, vor allem im Wolga-Gebiet und im Kaukasus, referiert hatten und dass Bigiyev ins Exekutivkomitee des Kongresses berufen worden war, das nun aus 25 Mitgliedern bestand. Ishaki und Šamil wurden zudem in den Oberen Rat des Kongresses gewählt. Die Prager Zeitschrift der nordkaukasischen Prometheisten, „Gorcy Kavkaza“69, berichtete ebenfalls mehrmals über den Kongress.70 Der in Warschau tätige Aktivist Barasbi Bajtugan schrieb in der Aprilausgabe 1932 vom Kongress und seiner „Bedeutung für unseren Befreiungskrieg“71. Dem Jahresbericht des Warschauer „Prometheus-Klub“ für den Zeitraum 1931–1933 ist zu entnehmen, dass Ishaki am 14. April 1932 noch mit einem Vortrag über den „Muslim-Kongress in Jerusalem“ auftrat.72 Am 15. Mai 1932 trug er dazu auf dem 1. Kongress des OKM in Warschau vor.73 Die britischen Behörden verfolgten die Arbeit des Kongresses aufmerksam und beobachteten insbesondere die Entfaltung des antiimperialistischen Diskurses. Dabei zeigte sich der Kongress jedoch nicht antibritisch. Da zumindest die Beiträge und sämtliche Tätigkeiten von Bigiyev, Ishaki und Šamil im Laufe des Kongresses deutlich antisowjetische Züge aufwiesen, spricht viel dafür, dass London die prometheistische Aktivität Polens tolerierte. Das blieb in der Sowjetunion nicht unregistriert. Bereits 1932 erschien in Moskau das Buch des sowjetischen Orientalisten und Islamwissenschaftlers Lucijan Klimovič (1907–1989), in dem er die These vertrat, dass der Kongress im Zuge der britischen imperialistischen Politik organisiert und gegen die Sowjetunion gerichtet worden sei. Die Tatsachen, dass die prominentesten Teilnehmer des Kongresses aus den britischen Kolonien stammten und der Tagungsort in Jerusalem, einer Stadt unter britischer Kontrolle stattfand, bewegten Klimovič zur Schlussfolgerung, dass London die Arbeit des Kongresses mitgestaltete. In der Intention der muslimischen Aktivisten, einen neuen Khalifen der Muslime zu wählen und somit das von der laizistischen Führung der Türkei abgeschaffte Khalifat wiederherzustellen, sah er eine reaktionäre Handlung, die im scharfen Widerspruch zum sowjetischen Atheismus stand. Die Beteiligung der exiltatarischen, ursprünglich aus Russland stammenden Aktivisten wurde demenstprechend als eine weitere Taktik der Briten dargestellt.
Ayas Ishaki: Kongres Muzułmański 1931 r., in: Wschód 3–4 (1932), S. 57–59. Vgl. Gorcy Kavkaza 26 (Dezember 1931), S. 49; Gorcy Kavkaza 27 (Februar 1932), S. 30; Gorcy Kavkaza 29 (April 1932), S. 3–7. 70 Ayas Ishaki: Kongres Muzułmański 1931 r., in: Wschód 3–4 (1932), S. 57–59. 71 Barasbi Bajtugan: Vsemusul’manskij kongress 1931 g. i ego značenie v našej osvoboditel’noj bor’be, in: Gorcy Kavkaza 29 (April 1932), S. 3–7. 72 N 89. 1933. Sprawozdanie z działalności Klubu „Prometeusz“ w Warszawie w latach 1931–1933, in: II Rzeczpospolita, hg. von Libera, Warszawa 2013, S. 282. 73 Vgl. Maj: Działalność Instytutu Wschodniego w Warszawie 1926–1939, Warschau 2007, S. 262. 68 69
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Klimovič wies auf den Vortrag des „bekannten Emigranten-Weißgardisten“74 Ayaz Ishaki hin, den dieser im Rahmen des Kongresses gehalten hatte und der anschließend in der Vatikanischen Zeitschrift „L’Osservatore Romano“ und in der italienischen orientalistischen Zeitschrift „Oriente Moderno“75 abgedruckt worden war. Die Kontakte Ishakis zur katholischen Presse, sowie zu den Katholiken in Jerusalem, schienen von den Polen hergestellt worden zu sein. Während Bigiyev, Šamil und vor allem Ishaki für die Polen die Kontakte zu den muslimischen Intellektuellen aufrechterhielten und der antisowjetischen Berichterstattung den Zugang in die arabischen Medien verschafften, spielten die Polen eine Brückenrolle zwischen den Exiltataren und der wichtigsten katholischen Zeitschrift „L’Osservatore Romano“. 6.4
Das „Biuletyn Polsko-Ukrai´nski“ (1932–1938)
Włodzimierz Bączkowski76, der sich aktiv für die Gründung der Zeitschrift „Wschód“ 1930 eingesetzt hatte und aktiv am ersten OKM-Kongress 1931 teilgenommen hatte, gründete im September 1932 die Monatsschrift „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ (BPU)77, deren Redaktion sich in den Räumlichkeiten des Warschauer Ostinstitut (Ul. Miodowa 7 m. 11) befand und sich ausschließlich den polnisch-ukrainischen Beziehungen widmete. Die Zeitschrift wurde vom polnischen Nachrichtendienst (Ekspozytura Oddzłalu II) des Generalstabs finanziert.78 Außer des Chefredakteurs selbst schrieben viele ukrainische (wie z. B. Bohdan Lepkyj, Jevhen Malaniuk) und polnische (Stanisław Siedlecki, Jan Reychman, Adolf Boheński u. a.) Politiker und Intellektuelle für das BPU. Im Jahre 1933 erschien die Zeitschrift in Höhe von 2500 bis 4000 Exemplaren. In den darauffolgenden Jahren ging die Auflagenhöhe allerdings auf etwa 2000 zurück,79 was vor allem auf die ökonomischen Schwierigkeiten Polens zurückzuführen war. Bereits im Vorwort der Erstausgabe des BPU wurde erwähnt, dass die Zeitschrift zwar „aus technischen Gründen auf Polnisch erscheinen wird, […] jedoch die auf Ukrainisch zugeschickten Materialien entsprechend auf Ukrainisch gedruckt werden“80.
Ljucian Klimovič: Musul’manam dajut chalifa. K panmusul’manskomu kongressu v g. Ierusalime v dekabre 1931 g., Moskau 1932, S. 88. 75 M[aria]. N[allino].: Memoriale di ‘Iyad Ishaqi sulla condizione die Musulmani in Russia, in: Oriente Moderno 12/3 (März 1932), S. 131–137. 76 Włodzimierz Bączkowski war ursprünglich der Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift. 1933 wurde der Orientalist Konstanty Symonolewicz Jr. zum Mitherausgeber. 77 Detailliert zu „Biuletyn“ siehe Paweł Libera: „Biuletyn polsko-ukraiński“ (1932–1938) – Pismo ruchu prometejskiego, in: Kyivs’kyj polonistyčni studii 18 (2011), S. 33–41. 78 Zur Finanzierung des „Biuletyns“ siehe ebenda, S. 35. 79 Ebenda. 80 Editorial, in: BPU 1/1 (1932), S. 2. 74
Das „Biuletyn Polsko-Ukrai´nski“ (1932–1938)
Gleich in der ersten Nummer veröffentlichte Bączkowski einen programmatischen Artikel zur polnischen raison d’état und der ukrainischen Frage. Er definierte den Begriff der Staatsräson, indem er auf die jeweilige geographische Lage, Staatlichkeitstraditionen, das (Nicht-)Vorhandensein eines Meereszuganges und weitere Aspekte einging, um anschließend die geopolitische Lage Polens folgendermaßen zu beschreiben: Polen steckt zwischen zwei imperialistischen Großmächten, die sich mit der Tatsache nicht abfinden können, dass der polnische Staat innerhalb der gegenwärtigen Grenzen existiert. Deutschland, das sich den Wiedergewinn des polnischen Schlesiens, des Posner [Gebiets] und des so genannten ‚Korridors‘ wünscht, kann sich damit [d. h. mit der jetzigen Lage, Z. G.] nicht abfinden und sieht in Polen einen Staat, der keine Zukunftsperspektiven hat.81
Unrecht hatte Bączkowski mit dieser Aussage nicht. Seit den frühen 1920er Jahren erschien in der Weimarer Republik, in der Polen als ein so genannter „saisonaler Staat“ wahrgenommen wurde,82 eine Reihe polenkritischer bis hin zu polenfeindlicher populärwissenschaftlicher Literatur. Diese stellte die industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung Polens wiederholt in Frage und berichtete von einer so genannten ‚polnischen Wirtschaft‘. Der Begriff ‚polnische Wirtschaft‘ wurde als ein Synonym für Chaos, Ineffizienz und Misswirtschaft benutzt. Darüber hinaus suchte man nach deutschpolnischen Gegensätzen in Geschichte und Gegenwart.83 Auch die Sowjetunion, so stellte Bączkowski fest, betrachtete Polen gleichermaßen. Ihm zufolge sollte Polen seine Außenpolitik sowohl in Richtung Westen als auch in Richtung Osten aktiver gestalten. „Polen verfügt mit Rumänien und Frankreich über natürliche Verbündete. […] Dem gegenüber steht ein […] natürlicher und mächtiger sowjetisch-deutscher Block.“84 Der letztere sei deutlich stärker und verfüge über mehr Kapazitäten als Polen mit Frankreich und Rumänien zusammen. Die Zeit arbeite, Bączkowski zufolge, für den sowjetisch-deutschen Block, beide Mächte würden ihre Wirtschaft stabilisieren und ihr Potential ausbauen. Gemäß der Logik des Chefredakteurs des BPU sind gerade Georgien, Aserbaidschan, Nordkaukasus, Turkestan, die Ukraine und andere Akteure der prometheistischen Front die Kraft, die das Antlitz Osteuropas verändern können. Jedoch ist gerade die Ukraine […] das Schlüsselelement der gesamten Front[…]85 Włodzimierz Bączkowski: Na marginesie prób tworzenia polskiej racji stanu w kwestji ukraińskiej, in: BPU 1/1 (1932), S. 9. 82 Vgl. Frank Golczewski: Ukraińska karta niemieckiej akcji przeciwko Polsce, in: Niepodległość XLVI (1993), S. 231. 83 Vgl. Peter Fischer: Die deutsche Publizistik als Faktor der deutsch-polnischen Beziehungen 1919–1939, Wiesbaden 1991. 84 Włodzimierz Bączkowski: Na marginesie prób tworzenia polskiej racji stanu w kwestji ukraińskiej, in: BPU 1/1 (1932), S. 9. 85 Ebenda, S. 11. 81
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Die Ukraine sei reich an Rohstoffen: Ihr Verbleib in der Sowjetunion würde somit Moskau stärken. Im Weiteren zeichnete Bączkowski eine historische Kontinuität des polnischen Engagements im Osten nach, indem er die Meisterwerke Mickiewiczs, Żeromskis, aber auch die Gründung der prometheistischen Medien wie „Przymierze“ in den frühen 1920er Jahren, der polnisch-georgischen Zeitschrift „Głos Wschodu“ [Die Stimme des Ostens], der Zeitschrift „Wschód“ sowie die Tätigkeit von Tadeusz Hołówko86 und Leon Wasilewski in den 1930 Jahren aufzählte. Eine unabhängige und starke Ukraine entspreche der polnischen raison d’état und sei eine Bedingung für die Stärkung Polens. Es entspreche dem polnischen Geist, der polnischen Geschichte und seiner wahren Mission im Osten.87 Einen ähnlichen Tenor hatte der Artikel Leon Wasilewskis im zweiten Heft des BPU, der sich explizit der polnisch-ukrainischen Versöhnung widmete.88 Mit Blick auf die sowohl auf polnischer als auch auf (exil)ukrainischer Seite vorhandene Intention, den Versöhnungsprozess zwischen zwei Völkern voranzutreiben, war das BPU ein Brückenschlag par excellence. Die Zeitschrift entwickelte sich zudem zu einem wichtigen Instrument Warschaus im Kampf um die ukrainische Loyalität gegen die UdSSR und Deutschland. Das BPU wurde darüber hinaus zu dem prometheistischen Medium, das sich am vehementesten mit der Ukraine-kritischen bis ukrainophoben Haltung Roman Dmowskis und der polnischen National-Demokraten auseinandersetzte. 89 Während das BPU Signale an die große Gruppe ukrainischer Emigranten sendete, von denen viele polenkritisch bis polenfeindlich eingestellt waren, wie vor allem die von der deutschen, wie auch der litauischen und tschechoslowakischen Seite unterstützten Kreise der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN), versuchten die Redaktion der Zeitschrift und ihr nahestehende Intellektuelle, die Idee der polnisch-ukrainischen Annäherung auch in der polnischen Öffentlichkeit zu verankern und zu popularisieren. Tadeusz Schaetzel schrieb einen längeren, auf einem Vortrag beruhenden Artikel unter dem Pseudonym Tomasz Krymski (sic!) für die Piłsudskinahe, jedoch nicht prometheistische Zeitung „Droga“. Schaetzel plädierte für Polens
Bączkowski widmete Hołówko im zweiten Heft einen längeren Artikel, in dem er sich mit seinem Leben und Wirken befasste. Vgl. Włodzimierz Bączkowski: Tadeusz Hołówko w kwestji ukraińskiej, in: BPU 2 (1932–1933), S. 12 ff. 87 Włodzimierz Bączkowski: Na marginesie prób tworzenia polskiej racji stanu w kwestji ukraińskiej, in: BPU 1 (1932), S. 13. 88 Leon Wasilewski: O drogi porozumienia, in: BPU 2 (1932–1933), S. 2–5. 89 Z. B. schrieb Bączkowski in einem Editorial am 17. Dezember 1933 über den „Nächsten Fehler der National-Demokraten“. Der Redakteur des BPU reagierte somit auf die Ukraine-feindlichen Publikationen in den national-demokratischen Zeitungen „Kurjer Lwowski“ und „Gazeta Warszawska“. Vgl. Włodzimierz Bączkowski: Kolejny fałsz endecji, in: BPU 2/33 (1933), S. 1–3. 86
Helsinki: Der „Yeni Turan“ und der Prometheus-Klub
Engagement im Osten aus sozioökonomischer wie auch moralischer Sicht. In seinem Essay wurde der Ukraine eine besondere Rolle beigemessen.90 Bei der Etablierung eines Mediums wie BPU ging es den Prometheisten um die Vertretung und den weiteren Ausbau der außen- und innenpolitischen Grundidee der polnisch-ukrainischen Allianz. Die Prometheisten waren bestrebt, Sympathisanten im In- und Ausland für die gemeinsame Sache zu gewinnen und somit die Positionen der polnischen Außenpolitik und Wirtschaft auf Dauer zu sichern. Die Gegner der Prometheisten blieben die Sowjetunion, der Kommunismus und jegliche weitere Ideologie, welche die Einheit des russländischen Staates in den Grenzen des Zarenreiches bzw. der Sowjetunion beschwor. 6.5
Helsinki: Der „Yeni Turan“ und der Prometheus-Klub
Finnland, ähnlich wie die Türkei und Rumänien, schloss sich nicht aktiv der prometheistischen Politik an, tolerierte jedoch die prometheistische Aktivität auf dem eigenen Staatsgebiet. Seit der Errichtung des finnischen Staates 1917 arbeiteten Helsinki und Warschau eng zusammen. Während die polnische Seite eine engere Bindung anstrebte, war Helsinski aufgrund der damit eventuell einhergehenden Verschlechterung der Beziehungen zur Sowjetunion und Litauen zurückhaltend. Am 17. März 1922 wurde zwischen Finnland, Estland, Lettland und Polen ein Vertrag geschlossen, der vorsah, dass die Parteien verzichteten „to enter into any coalitions directed against each other.“91 Von finnischer Seite wurde er schlußendlich jedoch nicht ratifiziert.92 Nichtsdestotrotz zeigte sich Finnland sehr wohlwollend gegenüber dem prometheistischen Engagement. Wie im Kapitel zum „Przymierze“ dargestellt, beteiligte sich der finnische Botschafter in Warschau am von Wakar organisierten Treffen 1920. In einem längeren Beitrag des polnischen Diplomaten Bohdan Kutyłowskis93 mit dem Titel „Suomi“ in „Przymierze“ vom 3. Oktober 1920 war zu lesen, dass eine Allianz mit Finnland gerade angesichts der „Gefahr aus dem Osten“ für Polen besonders wichtig sei.94
Tomasz Krymski [Tadeusz Schaetzel]: Pod znakiem odpowiedziałności i pracy. Dziesięć wieczorów, in: Droga (1933), abgedruckt in: Niepodległość 8 (1972), S. 235. 91 Jan Karski: The Great Powers and Poland. From Versailles to Yalta, Lanham 2014, S. 99–100. 92 Dem polnischen Zeithistoriker Janusz Czechowski zufolge lag dies am Druck Berlins auf Finnland. Vgl. Janusz Czechowski: Rola Niemiec w świadomości Finów. Związki z Niemcami i propaganda niemiecka w Finlandii w latach 1917–1939, in: Zapiski Historyczne 74/2 (2009), S. 31–44. 93 Aus den Federn Kutyłowskis stammt auch die polnische Übersetzung der finnischen Hymne, die als eine Broschüre herausgegeben wurde. Leider war es unmöglich, das genaue Erscheinungsdatum festzustellen. Vgl. Bohdan Kutyłowski: Hymn finlandzki, zitiert nach: https://www.wordcat.org/title/hymn-fin landzki/oclc/33127734&referer=brief_results (Zugriffsdatum: 12.01.2019). 94 [Bohdan] Kutyłowski: Suomi, in: Przymierze (3.10.1920), S. 5–7. 90
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Interesse am prometheistischen Netzwerk hatte Finnland aus mehreren Gründen. In der finnischen Gesellschaft waren die antirussischen Ressentiments traditionell stark und nahmen nach der militärischen Konfrontation mit den Bolschewiki 1919– 1920 weiter zu. Trotz der Unterzeichnung des finnisch-sowjetischen Friedensvertrags von Tartu (Dorpat)95 am 14. Oktober 1920 sah Finnland im sowjetischen Russland eine Gefahr für seine 1917 erworbene Souveränität. Das Land war über hundert Jahre lang ein Bestandteil des Zarenreiches gewesen: Die relativ breite Autonomie wurde um die Jahrhundertwende weitgehend beschnitten und das finnische Kulturleben russifizierenden Maßnahmen ausgesetzt. Außerdem verfolgte Helsinki aufmerksam das Schicksal der karelischen und Komi-Minderheiten im nordwestlichen Teil Russlands aufgrund der ethnisch-kulturellen Verbundenheit. 1922 wurde in Helsinki die Akademische Karelische Gesellschaft (Akateeminen Karjala Seura, AKS) von den Studenten Erkki Räikkönen, Reino Vähäkallio und Elias Simelius gegründet. Seit ihrer Gründung setzte sich die AKS für Karelien ein und wurde vom finnischen Establishment protegiert. In Finnland lebte eine politisch aktive, gut organisierte tatarische Gemeinschaft, die sich für prometheistische Zwecke leicht mobilisieren ließ und über gute Kontakte sowohl nach Kasan, Ufa, auf die Krim wie auch nach Istanbul verfügte und einen guten Rückhalt in der finnischen Gesellschaft hatte. Durch die Vermittlung dieser Tataren wurden Helsinki, Tampere und andere finnische Städte Anziehungsorte für tatarische und aserbaidschanische Exilanten: In den 1920er Jahren weilten die tatarischen Prometheisten Ayaz Ishaki und vor allem Abdullah Battal-Taymas (1921–1925) in Finnland, bevor sie nach Istanbul zur politischen Arbeit gingen. Von Helsinki aus schrieb Battal-Taymas für die Istanbuler prometheistische Zeitung „Yeni Kafkasya“, die von Rasulzade herausgegeben wurde, den Battal-Taymas wiederum während Rasulzades Flucht aus Leningrad bei dessen kurzen Helsinki-Aufenthalt getroffen hatte. Ende der 1920er und vor allem zu Beginn der 1930er Jahren kam es zur Institutionalisierung der prometheistischen Aktivitäten in Finnland. Verbunden war dies einerseits mit der Rückkehr des finnischen Botschafters aus Japan, des bekannten Orientalisten und Turkologen Gustav John Ramstedt (1873–1950),96 und andererseits mit der wachsenden Bedeutung der tatarischen Verbände, die seit ihrer Gründung am 24. April 1925 im Rahmen des Verbands „Finlandiya Cemaati Islamiyesi“ [Islamische Gesellschaft Finnlands] organisiert waren. Darüber hinaus bemühte sich Warschau seit Jahren aktiv darum, Helsinki in gemeinsame antisowjetische Aktivitäten miteinzubeziehen. Am 9. August 1928 nahm der neue Botschafter Polens, einer der erfahrensten polnischen
Peace Treaty Between the Republic of Finland and the Russian Socialist Federal Soviet Republic, Signed at Dorpat, October 14, 1920, in: https://histdoc.net/history/dorpat1920_en.html (Zugriffsdatum: 19.05.2018). 96 Mehr zu Ramstedt siehe N. Poppe: Gustav John Ramstedt 1873–1950, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 14/1–2 ( Juni 1951), S. 315–322. 95
Helsinki: Der „Yeni Turan“ und der Prometheus-Klub
Diplomaten, Franciszek Charwat97, seine Arbeit in Helsinki auf. Kurz nach seiner Ernennung initiierte Charwat die Gründung der Finnisch-Polnischen Gesellschaft (Towarzystwo Fińsko-Polskie), welche die Beziehungen zwischen den beiden Ländern fördern sollte. Ein Jahr später zeichnete Polen den finnischen Staatspräsidenten Lauri K. Relander mit dem wichtigen polnischen „Orden des Weißen Adlers“ aus. Im Sommer 1930, als der Pariser „Prométhée“ die erste Serie an Aufsätzen zu Karelien veröffentlichte,98 brach Ayaz Ishaki nach Finnland auf, „mit der Aufgabe, die Arbeit unter den dortigen Tataren wie auch die Kontaktaufnahme mit den Kareliern zu organisieren und sie für die prometheistische Front zu gewinnen.“99 Das schrieb er in seinem Bericht an den Chef des polnischen Geheimdienstes nach beinahe zweimonatigem Aufenthalt in mehreren finnischen Städten im August und September 1930. Ishaki besuchte die von Tataren bewohnte Ortschaft Terioki, hielt Vorträge zur sowjetischen Politik gegenüber Muslimen und initiierte Protestbriefe im Namen der Muslime Finnlands an die Staatschefs der islamisch geprägten Länder, aber auch an den Staatspräsidenten Finnlands. Ishakis Reise wurde koordiniert mit der polnischen Botschaft in Helsinki, die ihn bei der Kontaktaufnahme vor Ort unterstützte. Mehrmals traf er den polnischen Botschafter Franciszek Charwat, der ihn auch dem Historiker und Diplomaten Professor Hermann Gregorius Gummerus (1877–1948) im Rahmen eines Mittagessens vorstellte. Darüber hinaus traf Ishaki mit den Redakteuren der größten finnischen Tageszeitungen zusammen und vereinbarte einen Informationsaustausch und den Nachdruck der Mitteilungen aus der Pariser Monatsschrift „Prométhée“ im „Helsingin Sanomat“ und anderen Medien. Infolge der Kontaktaufnahme zu den Anführern der karelischen Verbände in Finnland, Kaila und Vasilij Keynäs100, wurde ein Vortrag Ishakis vor den Aktivisten der unterschiedlichen karelischen Gruppierungen organisiert. Ishaki beschrieb die prometheistische Aktivität und die einzelnen ‚nationalen‘ Gruppen innerhalb des Netzwerkes und betonte die Sympathien der Prometheisten gegenüber der Türkei, Polen und anderen Staaten. Zur Frage der Finanzierung der Aktivitäten behauptete er, das Netzwerk erhalte Finanzhilfe mittels Fundraising aus den USA. Die karelischen Verbände riefen eine Kommission aus Kaila, Gabriel
Mehr zu Charwat siehe Janusz Czechowski: Franciszek Charwat – Kierunki aktywności dyplomatycznej na placówce w Helsinkach (1928–1935), in: Zapiski historyczne 3 (2014), http://dx.doi.org/10.15762/ ZH.2014.07 (Zugriffsdatum: 21.05.2018). 98 Tiéra: La Question de Carélie, in: Prométhée 44 ( Juli 1930), S. 27–30. 99 N 65. 1930, 21 października. Sprawozdanie Ayasa Ischaki z wyjazdu organizacyjnego do Finlandii w sierpniu i wrześniu 1930 r., in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 165. 100 Ähnlich wie Gejdar Bammat, Ayaz Ischaki und viele andere Prometheisten war Keynäs Ende der 1910er und Anfang der 1920er Jahre aktiv in der lokalen karelischen Politik gewesen. 1922 erschien seine Broschüre zu Karelien in französischer Sprache, die für internationale Aufmerksamkeit für die karelische Sache sorgen sollte. Vgl. ders.: Le Droit de la Carélie: publié par le Gouvernement Central de la Carélie, 1922. 97
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Tynni101, Saukonnen und Mustonen wie auch Ishaki und seinem Dolmetscher Arifulla (vermutlich Ibrahim Arifulla) zusammen, um eine Antwort auf die Einladung Ishakis, der prometheistischen Front beizutreten, auszuarbeiten. Ishaki wurde gebeten, Ende September 1930 einen zweiten Vortrag zu halten. Aufgrund der Wahlen in Finnland wurde der Vortrag auf den 12. Oktober verschoben. Ishaki verließ allerdings vorher Finnland und bat Arifulla den Vortrag in seinem Namen zu halten. Trotz mehrfacher Begegnungen mit Prof. Gummerus und mit Prof. Ramstedt vermied der karelische Aktivist Keynäs ein zweites Treffen mit Ishaki. Ihm zufolge waren die finnischen Behörden an einer Beteiligung der karelischen Separatisten an der von Polen angeführten prometheistischen Bewegung nicht interessiert. Bereits nach der Rückkehr aus Finnland erreichte Ishaki allerdings eine Nachricht von Arifulla: die Karelier stimmten der Zusammenarbeit zu.102 Offenbar fiel die Entscheidung, mit den Prometheisten zusammenzuarbeiten, einige Tage vor dem Vortrag Arifullas. Am 8. Oktober schrieb der polnische Botschafter in Helsinki an den Chef des polnischen Geheimdienstes, dass Professor Gummerus ihn kontaktiert habe. Es ging um die öffentlichkeitswirksame Zusammenarbeit und die Übersetzung der Beiträge aus der Pariser „Prométhée“ ins Finnische. Gummerus schlug seinen Sohn103 als Übersetzer vor. Außerdem schlug er ein Treffen mit Roman Smal’-Stoc’kyj und Vladimir Salski, sowie zwei finnischen Militärangehörigen, Oberst Paavo Talvela104 und Major Nydström (Nordström)105 auf neutralem Gebiet, wie z. B. in Danzig vor. Es war ein klares Signal
101 Gabriel (Kaapre) Tynni (1877, Gouvernement St. Petersburg – 1953, Finnland) war Exilaktivist aus Ingermanland. 1899 absolvierte er das Kolpanskaja Lehrer-Seminar, das sich der Ausbildung evangelischer Pastoren und Volkslehrer widmete. Er war als Russischlehrer zuerst im deutschen Waisenhaus, danach in einem finnischen Gymnasium in St. Petersburg tätig. Er gründete die finnischsprachige Zeitung „Uusi Inkeri“, schrieb für sozialdemokratische russisch- und finnischsprachige Zeitungen und nahm das Studium der Philosophie an der Universität Helsinki auf. 1917 absolvierte er die Universität und entfaltete eine rege Aktivität als Befürworter der Autonomie der finnischsprachigen Bevölkerung Ingermanlands. Er wurde zum Vorsitzenden des Zentralen Komitees von Ingermanland. 1917–19 war er Rektor des Kolpanskaja Lehrer-Seminars und 1919 wanderte er nach Finnland aus. In Finnland schloss er sich dem prometheistischen Netzwerk an. Vgl. Anton Ju. Čistjakov: Tjunni Kaapre (1877–1953), učenyj, in: http://enclo.lenobl.ru/ob ject/1803557524?lc=ru (Zugriffsdatum: 06.08.2018). 102 N 65. 1930, 21 października. Sprawozdanie Ayasa Ischaki z wyjazdu organizacyjnego do Finlandii w sierpniu i wrześniu 1930 r., in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 165–167. 103 Es ist unklar, welcher der zwei Söhne von Gummerus als Übersetzer und Mittler auftreten sollte. Edvard Robert Gummerus (1905–1991) war ein Schriftsteller und Literaturhistoriker, Olof Herman Johannes Gummerus (1909–1996) war ein finnischer Kunstprofessor und Journalist. 104 Paava Talvela (1897–1973) war ein finnischer Militärangehöriger. 1921–22 führte er den Angriff der karelischen Partisanen gegen die Bolschewiki an. 105 Gustaf Ragnar Enos Gustaffson Nordström (1894–1982) war ein finnischer Militärangehöriger und Unternehmer.
Helsinki: Der „Yeni Turan“ und der Prometheus-Klub
und Kooperationsgebot der finnischen Seite. Gleichzeitig betonte der polnische Botschafter, dass die Finnen Diskretion wünschten.106 Polen setzte seine Bemühungen fort, Einfluss auf die finnische Diplomatie zu nehmen und es zu einem intensiveren antisowjetischen Engagement zu bewegen. Im Mai 1931 erteilte der polnische Außenminister Józef Beck dem Botschafter Charwat Direktiven, die finnische Zustimmung zu Initiativen Polens im Völkerbund zu erreichen und Finnland zu sowjetkritischer Propaganda im skandinavischen und baltischen Raum zu bewegen.107 Im Januar 1932 erschien im Warschauer „Wschód“ ein längerer Aufsatz des Publizisten Per Erik Öller108 und im August desselben Jahres ein Beitrag zu den „Ingrischen Finnen unter dem Moskauer Joch“ aus den Federn von Tiéra (möglicherweise ein Pseudonym) im Pariser „Prométhée“, der „die Karelier und die Finnen Ingriens“ als Teil der Schicksalsgemeinschaft der von Moskau ‚geknechteten Völker‘ betrachtete.109 Man wollte auch die Kommunismuseuphorie in den westeuropäischen Staaten dämpfen, in der die polnischen Intellektuellen eine Russophilie erkannten.110 Auch in diesen Beiträgen wurde die sowjetische Nationalitätenpolitik scharf kritisiert, Öller sprach sogar vom „roten Panslawismus“111, den Moskau betreibe. Anfang der 1930er Jahre starteten der exilaserbaidschanische Journalist Mehmet Sadık Aran112, Abdullah Ahsan113 und Ibrahim Arifulla, ein wohlhabender tatarischer
106 1930, 8 października, Helsinki. Pismo Franciszka Charwata, posła RP w Helsinkach do Ekspozytury 2 w sprawie tworzenia Klubu „Prometeusz“ w Finlandii, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 164–165. 107 Polskie Dokumenty Dyplomatyczne. 1931, hg. von Mariusz Wołos, Warschau 2008, Dok. 133, S. 341, zitiert nach: Janusz Czechowski: Franciszek Charwat – Kierunki aktywności dyplomatycznej na placówce w Helsinkach (1928–1935), in: Zapiski historyczne 3 (2014), S. 148, in: http://dx.doi.org/10.15762/ZH.2014.07 (Zugriffsdatum: 21.05.2018). 108 Per Erik Öller: Nieszczęsna Ingermanlandja. Unhappy Ingermanland, in: Wschód 1–2 (1932), S. 22–29. 109 Tiéra: Les Finnois de l’Ingrie sous le joug moscovite, in: Prométhée 69 (August 1932), S. 17–20. 110 Der Wschód-Chefredakteur Włodzimierz Bączkowski warnte auch vor den polnischen Russophilen. Siehe Włodzimierz Bączkowski: Problem prometejski, in: Wschód 1/9 (1938), S. 1. 111 Ebenda, S. 28. 112 Mehmet Sadık Aran (1895, Sangesur, Zarenreich – 1971, Istanbul) war ein aserbaidschanischer Politemigrant. Ausgebildet am Bakuer Pädagogischen Institut und an der Literaturfakultät der Universität Istanbul verließ Aran 1923 den sowjetischen Kaukasus, indem er zuerst in den Iran und ein Jahr später in die Türkei auswanderte. Die erste Hälfte der 1930er Jahre verbrachte er in Finnland und war als Lehrer an der dortigen tatarischen Schule tätig. 1936 kehrte er nach Istanbul zurück und 1939–1941 arbeitete er als IranKorrespondent der türkischen Zeitungen „Ulus“ und „Cumhuriyet“. Aran arbeitete mit den prometheistischen Zeitungen wie „Yeni Kafkasya“, „Azerî-Türk“, „Odlu Yurt“, „Azerbaycan Yurt Bilgisi“ wie auch mit den nationalistischen türkischen Zeitungen „Türk Yolu“ und „Ergenekon Yolu“ zusammen. Seine Pseudonyme waren: M. S., San’an, Mehmet Sadık und M. Sisyanlı. Mehr zu ihm siehe Sebahattin Şimşir: Mehmet Sadık Aran (San’an Azer) (1895–1971), Istanbul 2012. 113 Zur Person mit dem Namen Abdullah Ahsan bzw. Ahsän gibt es kaum Informationen, abgesehen vom Hinweis, dass er aus Kasan stammen konnte. Die finnischen Historiker Harry Halén und Tuomas Martikainen schrieben in ihrem Beitrag von 2015, dass der wohlhabende finnische Tatare Zinnetullah I. Ahsen Böre (1886–1945) den Exilaserbaidschaner Mehmet Sadık aus der Türkei eingeladen habe, damit dieser an den
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Pelzhändler, den Druck der Zeitung „Yeni Turan“114 [Der Neue Turan] in finnischer sowie – mehrheitlich – türkischer Sprache. 1934 benannte die Redaktion die Zeitung von „Yeni Turan“ in „Turan“ um. Das erste von insgesamt neun Heften der Zeitung „Yeni Turan“ erschien im November 1931 in Tampere. Im Leitartikel „Yolumuz“ [Unser Weg] berichtete man von der Knechtung „eines erheblichen Teils der türkischen Nation. 30 Millionen ethnische Türken erleben gegenwärtig ihre Tragödien unter russischer Zwangsherrschaft.“115 Um den Widerstand gegen diese Zwangsherrschaft zu unterstützen und die Türken zu erlösen, sei diese Zeitung gegründet worden. Im ersten Heft wurde der erste Teil einer Artikelserie mit dem Titel „Der Kampf zwischen Russen und Türken“ von Mehmed Sadık, darüber hinaus Analysen zu den japanisch-chinesischen Beziehungen und ihren Auswirkungen auf die Sowjetunion, sowie zur Verfolgung der Turkvölker in der Sowjetunion veröffentlicht. Im zweiten Heft, das Anfang 1932 erschien, war eine Abbildung von Mustafa Kemal Atatürk auf der ersten Seite zu sehen. Dies zeigt, dass die Prometheisten auch mit solchen Exilantenzeitschriften um Sympathien der Kemalisten warben. 1933 kam es zur Gründung des Prometheus-Klubs in Helsinki. Der Klub verfügte über eine eigene Zeitschrift „Prometheus. Helsingen Prometheus Kerho“116, die bis 1939 erschien und eng mit dem Pariser „Prométhée“ sowie mit den finnischen Tagesmedien, wie z. B. „Uusi Suomi“, zusammenarbeitete. Ibrahim Arifulla war im Beirat des Presseorgans wie auch in seiner Redaktion vertreten. Neben Arifulla waren es prominente finnische Politiker und Intellektuelle, die den Helsinkier Prometheus-Klub mitgegründet hatten. Professoren wie V. J. Mansikka und der zuvor erwähnte Linguist G. J. Ramstedt spielten dabei zentrale Rollen. Ramstedt kehrte 1929 nach seinem zehnjährigen Aufenthalt als Botschafter Finnlands in Japan, China und Siam nach Helsinki zurück, wo er auch den Lehrstuhl für chinesische Sprachwissenschaft innehatte. Ramstedts engster Vertrauer war sein Kollege an der Universität Helsinki, der bereits erwähnte Professor Gummerus, der als Botschafter Finnlands in der Ukraine
tatarischen Schulen in Finnland unterrichtet. Anstatt der Schullehre widmete sich Sadık allerdings hauptsächlich der Publizistik und Journalistik. Die Zeitschrift „Yeni Turan“, die später von Mehmet Sadık redigiert wurde, wurde von Ahsen Böre und Hairullah Samaleddin herausgegeben. Vgl. Harry Halén, Tuomas Martikainen: Finland, in: Ingvar Svanberg, David Westerlund (Hg.): Muslim Tatar Minorities in the Baltic Sea Region, Leiden, Boston 2015, S. 86–104. Auf der Titelseite der Zeitschrift allerdings wurde Ahsen Böre nicht erwähnt. Abdullah Ahsan könnte somit ein journalistisches Pseudonym von Zinnetullah I. Ahsen Böre sein, der mit seinem Namen nicht direkt ins Visier der finnischen Politik und vor allem der sowjetischen Diplomaten als Herausgeber eines extrem antisowjetischen Mediums fallen wollte. 114 Vollständiger Titel: Yeni Turan. Organe de défense nationale des peuples du Turane du Turquie – Türk ellerinin kurtuluşunu terviç eden mustakıl aylık gazete. 115 Yolumuz, in: Yeni Turan 1 (November 1931), S. 1. 116 Dem Forscher Lowell Biezanis war nicht klar, wieviele Hefte des Presseorgans des Prometheus-Klubs erschienen waren. Vgl. Lowell Biezanis: Volga-Ural Tatars in Emigration, in: Central Asian Survey 11/4 (1992), S. 29–74.
Helsinki: Der „Yeni Turan“ und der Prometheus-Klub
tätig gewesen war. Ramstedt und Gummerus verkörperten die engen Verflechtungen zwischen der akademischen und der politischen Welt im Europa der Zwischenkriegszeit. Der Prometheus-Klub in Helsinki wurde als Vertretung des Pariser PrometheusKlubs gegründet und Ramstedt übernahm auch den Vorsitz. Sein Stellvertreter wurde Ingenieur Reino Kastren, der seit Jahren als Generalsekretär der AKS fungierte. Zum Beirat des Klubs gehörten: Hermann Gummerus, Oberst Kuussaari sowie mehrere Mitglieder von AKS, wie beispielsweise A. Miettinen. Im November 1933 berichtete die nordkaukasische prometheistische Zeitschrift „Gorcy Kavkaza“ von der Jahresversammlung des Helsinkier Prometheus-Klubs am 20. Oktober. Die Exilanten aus dem Nordkaukasus wiesen auf einen Herren Vesa, „unseren Freund und unermüdeten Propagandisten der nationalen Angelegenheit des Nordkaukasus in Finnland“117, hin, der Vorträge über den Nordkaukasus im Helsinkier Prometheus-Klub gehalten und einige Aufsätze in der finnischen Presse, wie z. B. im Presseorgan der Gruppe Schutzkor „Hakkapelülla“, publiziert hatte.118 Abgesehen vom finnischsprachigen „Prometheus“ und der zweisprachigen Zeitung „Yeni Turan“ (1931–33) bzw. der Nachfolgezeitung „Turan“ (1934) wurde eine Reihe weiterer Schriften, Bücher und Broschüren der Prometheisten aus Polen, der Türkei oder Frankreich publiziert. Der prominente finnische Komi-Exilant und Schriftsteller Ignatij Mošegov (1880– 1965) und der Aktivist aus der Region Ingermanland, Gabriel (Kaapre) Tynni (1877– 1953), waren Beispiele für Exilpolitiker aus dem sowjetischen Perm’ (Karelien) und Ingermanland in der gesamtprometheistischen Front. Tynni, der sowohl politisch als auch journalistisch aktiv gewesen war, wanderte 1919 nach Finnland aus und ließ sich in Helsinki nieder, das er noch aus seiner Studienzeit kannte. Mošegov verließ das sowjetisch-gewordene Karelien, floh nach Estland und ließ sich in Finnland im Oktober 1920 nieder. 1924 erschien Mošegovs literarische Abrechnung mit dem sowjetischen Regime „Im teuflischen Topf des Ostens“119 im finnischen Exil. Mošegov stellte die Geschichte des Komi-Volkes als Dauerverfolgung durch die Russen dar. Der zweite Titel des Werkes hieß „Erinnerungen eines Syrjanins“ und hatte einen autobiographischen Charakter. Das Buch wurde rezipiert und prägte die ohnehin starke antirussische Haltung im exilkarelischen Milieu. 1929 erschien die Monographie Tynnis „Zehn Jahre des Kampfes für die Unabhängigkeit Ingermanlands“. Nach der Gründung des Prometheus-Klubs in Helsinki wurden Mošegov und Tynni auch in den Beirat des Warschauer Prometheus-Klubs gewählt. Im Jahre 1931 druckte das Warschauer Ostinstitut die polnische Übersetzung von Mošegovs bis dahin nicht veröffentlichten und ursprünglich auf Russisch verfassten Monographie „Moskwa dawna i dzisiejsza a Na-
117 Türkisch: Helsinki’de „Promete“ Cephe, russisch: Front „Prometeja“ v Gel’sinkach, in: Gorcy Kavkaza 45 (November 1933), S. 20. 118 Ebenda. 119 I. Mössheg: Idän hiidenkattilassa. Erään Syrjä(ä)niläisen muistelmat, Jyväskylä: K. J. Gummerus Osakeyttiö 1924.
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rody Podbite północno-wschodniej Europy“ [Das alte und heutige Moskau und die geknechteten Völker Nord- und Osteuropas]. Die Wörter „Moskau“ und „Geknechtete Völker“ wurden auf der Titelseite in größerer Schrift hervorgehoben. Der Autor des Vorworts, der polnische Politiker und Senator St. Siedlecki schrieb, dass ein Volk wie die Komi wenig bekannt in Polen sei und es die Aufgabe der Reihe sei, den Vertretern der geknechteten Völker eine Stimme zu verleihen. Siedlecki wies darauf hin, dass die Polen viele gemeinsame Züge mit dem Volk der Komi teilten, und zwar den Hass gegen Eroberungskriege und die Liebe zur schöpferischen Arbeit.120 Auf die Veröffentlichung des Buches machten die prometheistischen Medien, wie z. B. das Prager Presseorgan der Nordkaukasier „Gorcy Kavkaza“, ihre Leser aufmerksam.121 6.6
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Die Kosaken waren eine weitere Gruppe von Exilanten, die ins Visier der polnischen Prometheisten rückten. Sie waren orthodox, sprachen Russisch und verfügten – im Unterschied zu den Tataren, Komi oder Georgiern – über ein vergleichsweise schwach ausgeprägtes Nationalbewusstsein. Ähnlich wie im Falle der Ukraine und des Kaukasus, entstanden in der Zeitspanne um 1918 Staatsgebilde im Gebiet zwischen den Flüssen Kuban, Don und Terek, die von den Kosaken als eigenes Gebiet wahrgenommen wurden. Die Regierung von Kuban, wie auch die Republik am Don waren kurzlebige Experimente, die teils mit den Weißgardisten kooperierten und schließlich von der Roten Armee eingenommen wurden. Der spätere Anführer der Exilkosaken Ignatij (Gnat) Bilyj (1887–1972) wurde im Juli 1920 als Botschafter der Regierung von Kuban in Polen nach Warschau geschickt und traf so Marschall Piłsudski. Nach dem Kollaps der kosakischen Staatlichkeit widmete er sich der publizistischen Aktivität in Warschau, indem er zusammen mit weiteren kosakischen Emigranten, wie Michail N. Gnilorybov122 und Michail F. Frolov123, mit der Herausgabe der russischsprachigen Zeitung „Golos Kazačestva“ [Die Stimme 120 St. Siedlecki: Od Wydawnictwa, in: Ignati Mösšeg: Moskwa dawna i dzisiejsza a Narody Podbite północno-wschodniej Europy, Warschau 1931, S. III. 121 Gorcy Kavkaza 26 (Dezember 1931). 122 Michail Nikolaevič Gnilorybov (1884–1922?) war ein kosakischer Militärangehöriger. Geboren in eine adlige Familie eines kosakischen Militärs, genoss Gnilorybov ebenfalls eine militärische Ausbildung und kämpfte gegen die Rotarmisten. 1920 wurde er von den Bolschewiki gefangengenommen. Nach der Freilassung floh er nach Polen und schloss sich der Armee Wrangels an. Nach dem Abschluss des polnisch-russischen Vertrags von Riga musste er Polen verlassen und ging in die Tschechoslowakei. 1922 kehrte Gnilorybov in die UdSSR zurück, zeigte öffentliche Reue wegen seiner antisowjetischen Aktivitäten, wurde jedoch trotzdem interniert und exekutiert. 123 Michail Fedorovič Frolov (1897–1930) war ein kosakischer Militärangehöriger. Nach der Zerschlagung der Weißgardisten floh er nach Polen, erhielt polnische finanzielle Unterstützung und siedelte nach Prag über. Er arbeitete eng mit Ignatij Bilyj und den ukrainischen Prometheisten zusammen und starb 1930
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des Kosakentums] begann. Im November 1921 war er wie Gnilorybov und der russische Emigrant Boris Savinkov gezwungen, als Folge des polnisch-sowjetischen Abkommens von Riga, Polen zu verlassen.124 Prag und Paris blieben auch für die kosakische Unabhängigkeitsbewegung wichtige Zentren. Bilyj studierte am 1922 gegründeten Ukrainischen Technisch-Wirtschaftlichen Institut im tschechoslowakischen Podĕbrady und danach an der Polytechnischen Universität in Prag. In Prag wurde 1927 die bilinguale russisch-ukrainische Zeitschrift „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo“125 [Freies Kosakentum] gegründet, die zum bedeutendsten Forum für Exilantendiskurse über die Geschichte, Identität und Folklore der Kosaken avancierte. Der Hauptherausgeber und Anführer der Exilkosaken, Ignatij Bilyj, sah die Zeitschrift als Quelle der distinkten nationalen Kultur der Kosaken und versammelte einige Intellektuelle sowie vor allem kosakische Militärangehörige um sich. 1923–1924 wurden das Meisterwerk des kosakischen Historikers Sergej G. Svatikov126 „Rossija i Don (1549–1917)“ [Russland und der Don] sowie sein Artikel zur politischen Kultur und Struktur der kosakischen staatsähnlichen Selbstorganisation „Donskoj vojskovoj krug“ [Heereskreis am Don] veröffentlicht. Durch die beiden Schriften wurde die Basis für das Selbstnarrativ der kosakischen Kultur, Politik und Geschichte gelegt. Svatikovs Arbeiten genossen unter den kosakischen Emigranten Popularität, wurden aber von sowjetischen Historikern kritisiert. Auch die allgemeine Kritik am ‚reaktionären Wesen‘ der Kosaken von Seiten der sowjetischen Historikerzunft führte zur Entstehung gewisser antirussischer Ressentiments im exilkosakischen Milieu. Vier Jahre später, 1928, gab Bilyj in Prag sein Buch „Kazač’i zemli. Territorija i narodonaselenie“ [Die Länder der Kosaken. Territorium und Bevölkerung] heraus, das das Nationalbewußtsein der exilkosakischen Gemeinschaft weiter unterstützen sollte. Obwohl der Redakteur des Pariser „Prométhée“, Gvazava, versuchte, die Exilkosaken als Autoren zu gewinnen und bereits im Januarheft des „Prométhée“ von 1928 ein
im tschechoslowakischen Exil. Mehr dazu Roman Koval’: Narysy z istorii Kubani. Michail Frolov. Heroj Ukrainy ta Donu, in: http://ukrlife.org/main/kubann/1frolov.htm (Zugriffsdatum: 19.07.2018). 124 Gnat Bilyj – storonnik političeskogo sojuza Dona s Ukrainoj, 04.07.2014, in: http://day.kyiv.ua/ru/ print/426617 (Zugriffsdatum: 08.07.2018) 125 Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo. Les Cosaques Libres. Illjustrirovannyj dvuchnedel’nyj žurnal literaturnyj i političeskij. Revue bimensuelle littéraire et politique. Herausgegeben vom Ingenieur I. A. Bilyj. Redaktionssitz war: 10, Rue Victorien Sardou, Paris (16). Der Sitz in Prag war: Praha-Žižkov, Jagiellonská 24. 126 Sergej Grigor’evič Svatikov (1880–1942) war ein russischer Historiker, Emigrant und Journalist. Geboren in Rostow studierte Svatikov in Deutschland und interessierte sich für die lokale Politik und Geschichte des russischen Südens. Während des russischen Bürgerkriegs arbeitete er eng mit dem Weißgardisten General Denikin zusammen. Seit 1920 lebte er in der Emigration in Paris, schrieb für die Zeitschrift „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne Kozactvo“, unterrichtete die Geschichte der südlichen Gebiete Russlands an der Sorbonne sowie am Brüsseler Institut des Hautes Etudes.
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längerer Artikel zum Thema „Kosaken und die Aufteilung Russlands“127 erschien, war die Beteiligung der Kosaken am prometheistischen Netzwerk aus unterschiedlichen Gründen problematisch. Erstens ergaben sich durch unterschiedliche Ordnungsentwürfe von den ukrainischen, kosakischen und nordkaukasischen Emigranten zahlreiche Konflikte hinsichtlich der zukünftigen Grenzziehungen. Am Don kollidierten die Interessen der Ukrainer und der Kosaken, während die Flüsse Terek und Kuban quer durch die Siedlungsgebiete der Kosaken und der nordkaukasischen Völker der Adygen liefen. Hinzu kam, dass viele kosakische Intellektuelle zwar antikommunistisch, dabei aber im Gegensatz z. B. zu den Nordkaukasiern wenig antirussisch waren. Auch die Kosaken untereinander waren sich über ihre Identität und ihr politisches Programm nicht einig: So wurde beispielsweise viel über die Slawizität der Kosaken, sowie über die In- bzw. Exklusion der Kalmücken diskutiert. Gerade die zweite Frage war wichtig, weil viele exilkosakische Intellektuelle wie Šamba Balinov128 und Sanža Balykov129 Kalmücken bzw. kalmückische Kosaken waren.130 Während Bilyj in seiner Schrift „Kazač’ja ideja“ [Kosakische Idee]131 dafür plädierte, dass die Kosaken als „viertes Element“ in die slawische Gemeinschaft der Russen, Ukrainer und Belarussen aufgenommen werden sollten, entwickelten Balinov und Balykov Konzepte eines kal-
127 Laguepe: Les Cosaques du Don et le démembrement de la Russie, in: Prométhée 14 ( Januar 1928), S. 8–12. 128 Šamba Balinov (1894–1959) war ein wichtiger exilkalmückischer Intellektueller und Aktivist. Geboren in eine einfache Familie im Don-Gebiet, war Balinov ab 1920 im Exil. In der Tschechoslowakei setzte er seine Ausbildung fort, indem er weiterführende landwirtschaftliche Kurse für Traktorenkunde besuchte. Er wurde Sekretär der 1923 gegründeten „Kalmückischen Kommission der Kulturschaffenden“ und er übersetzte die geschichtswissenschaftliche Abhandlung Pal’movs „Skizzen zur Geschichte der Kalmücken“ wie auch die Gedichte Alexander Puschkins ins Kalmückische. 1927–28 schloss er sich dem Emigrantenkreis um die Zeitschrift „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kazactvo“ an und wanderte nach Paris aus, um die kalmückisch-kosakischen Medien dort herauszugeben. Während des Zweiten Weltkriegs kollaborierte Balinov mit dem NS-Regime und wanderte nach 1945 in die USA aus. 1959 beging er Selbstmord. 129 Sanža Balykov (1894/5, Dorf Bogla, Don-Gebiet – 1943, Bratislava) war ein bedeutender kalmückischer Exilschriftsteller und Aktivist. Häufig bediente er sich des literarischen Pseudonyms Šalvur Niminov. Balykov wurde als Grundschullehrer ausgebildet und unterrichtete an mehreren Schulen im Don-Gebiet bzw. im Gebiet um Rostov. Im Zeitraum 1917–20 kämpfte er in den Reihen der kosakischen Weißgardisten. Im November 1920 begab er sich mit den Resten der Wrangel-Armee ins Exil. Nach mehreren Monaten in der Türkei, Bulgarien und Jugoslawien zog Balykov 1924 nach Frankreich. Kurz danach wanderte er nach Prag aus, wo er, ebenso wie Š. Balinov, als Sekretär der 1923 gegründeten „Kalmückischen Kommission der Kulturschaffenden“ tätig war. 1928 schloss er sich der Kosaken-Bewegung an, die mit den prometheistischen Netzwerken zusammenarbeitete. 1932 zog er nach Bratislava, wo er die Zeitschrift „Kazakija“ herausgab, und wo er bis zu seinem Tod 1943 blieb. Mehr zu Balykov siehe Praskov’ja Alekseeva: Vdali ot Rodiny, S. 75–90, in: biliq.ru/alekseeva/sites/default/files/1995–8.pdf (Zugriffsdatum: 24.09.2018). 130 S. M. Markedonov: Ot istorii k konstruirovaniju nacional’noj identičnosti (istoričeskie vozrenija učastnikov „Vol’nokazačjego dviženija“), in: Ab Imperio 3 (2001), in: http://www.cossackdom.com/artic les/m/markedonov_otistorii.htm (Zugriffsdatum: 08.07.2018). 131 Zum Text der „Kazač’ja ideja“: http://fstanitsa.ru/category/menyu/gosudarstvo/natsionalnayaideya/kazachya-ideya (Zugriffsdatum: 19.07.2018).
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mückischen Ethno-Nationalismus132, sowie einer kalmückisch-kosakischen Kooperation. Darüber hinaus zeigte sich im Rahmen der Zeitschrift „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo“ außerdem auch ein größeres Interesse am eurasischen Konzept des russischen antikommunistischen Exils. Dies wurde von allen anderen prometheistischen Medien, insbesondere den polnischen und ukrainischen, scharf verurteilt.133 Seit den 1930er Jahren gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen den Kosaken und den Prometheisten enger. Im Frühling 1932 veröffentlichte z. B. der „Prométhée“ nacheinander zwei Beiträge „La Cosaqui libre“ und „Parmi les Cosaques“. Im zweiten Beitrag ging es um einen Bericht, den der Autor M. (?) in Reaktion auf den Vortrag des aus Prag nach Paris eingereisten Vasilij A. Charlamov134 über die „kosakische separatistische Bewegung“ verfasst hatte.135 Im selben Jahr schrieb Ignatij Bilyj in der Warschauer Zeitschrift „Wschód“, dass die Don-Kosaken am 15. September 1918 ihre Verfassung verkündet hatten und die Entstehung eines unabhängigen Staates im Don- und Kuban-Gebiet anstrebten. Er warf England und Frankreich in diesem Kontext vor, Mitschuld an der Niederlage der Kosaken im Kampf gegen die Bolschewiki zu tragen.136 Mitte der 1930er Jahre konnte sich der exilkosakische Nationalismus weiter entfalten und nahm nun neben einem klaren Antikommunismus auch zunehmend antirussische Züge an. Exemplarisch ist hierfür die Dichtung des exilkosakischen Poeten Petr Krjukov137, die sich aus der Gegenüberstellung von Kosaken und Russen speiste und Russen als feige, undankbar und hinterlistig darstellte.138 Die Kalmücken Balinov und Balykov spielten weiterhin eine aktive Rolle im proprometheistischen kosakischen Milieu, versuchten aber auch, Kontakte zu den exilkalmückischen Intellektuellen wie Ėrendžen Chara-Davan aufzubauen. Ausgebildet als Arzt an den Universitäten von St. Petersburg und Kasan lebte Chara-Davan seit 1920 im jugoslawischen Exil und war eng mit den russischen Eurasiern verbunden. 1928 erschien sein Meisterwerk „Čingizchan kak polkovodec i ego nasledie“139 [Dschingis Khan als Feldherr und sein Erbe] in Belgrad. Die Abhandlung wurde aktiv 132 1928 wurde in Prag die erste kalmückische politische Partei „Chal’mėg Tanggin Tug“ (Banner des kalmückischen Volkes) gegründet. Sanža Balykov (1894–1943) sowie Šamba Balinov (1894–1959) gehörten zu ihren Aktivisten. 133 Vgl. O. Dolinskij: Evrazijstvo, in: Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo (25.03.1929), S. 6–8; Ingenieur Bejsug: Ob otnošenii k Evrazijstvu, in: Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo (25.09.1929), S. 12–14. 134 Vasilij Akimovič Charlamov (1875, nahe Rostov-am-Don – 1957, Buenos Aires) war ein kosakischer Politiker. Geboren in die Familie eines kosakischen Offiziers studierte Charlamov an der historisch-philologischen Fakultät der Universität Moskau. Viermal wurde er in die Duma gewählt. Nach dem Kollaps der Armee Denikins begab er sich ins Exil und blieb in Prag. 135 M.: Parmi les Cosaques, in: Prométhée 65 (April 1932), S. 22–24. 136 Ignacy Biłyj: Kozacy i zagadnienie kozackie, in: Wschód 1–2 (1932–1933), S. 21. 137 Petr Krjukov (1904-?) war ein Adoptivsohn des bekannten russisch-kosakischen Dichters Fedor Krjukov (1870–1920). Seit 1920 war er in der Emigration, vor allem in Frankeich. 138 Petr Krjukov: Tri šljacha s Dona, in: Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo. Les Cosaques Libres 177 (25.06.1935), S. 1–5. 139 Ėrendžen Chara-Davan: Čingizchan kak polkovodec i ego nasledie, Belgrad 1928.
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in den russischsprachigen Medien der Exilanten besprochen. Nachdem eine Gruppe der Exilkalmücken das Buch Chara-Davans kritisiert hatte, unterzeichnete Balinov im Namen der Kalmückischen Kommission der Kulturschaffenden eine Stellungnahme, die Chara-Davans Werk lobend hervorhob.140 Am 20. Februar 1930 schrieb sein enger Gefährte Balykov an Chara-Davan: „Wir halten Sie für unseren gleichberechtigten Mitstreiter“141. Es ist zu erwähnen, dass Chara-Davan neben seiner aktiven publizistischen Tätigkeit auch für die eurasischen Medien wie die Pariser „Evrazijskaja chronika“ oder die „Vol’noe kazačestvo“ schrieb. Im Laufe des Jahres 1930 hatte er allerdings seine Zusammenarbeit mit der prometheistischen Zeitschrift aufgrund ideologischer Fragen sowie der aus Sicht Chara-Davans fehlenden Zielsetzung des Intellektuellenkreises um „Vol’noe kazačestvo“ eingestellt. In seinem Brief vom 24. Dezember 1930 schrieb Balykov an Chara-Davan: Ich war so glücklich darüber, dass wir mit Ihnen einen guten Mitstreiter, einen prominenten Bruder gewonnen hatten […]. Was tun, Ėrendžen? […] Unsere Wege gehen offensichtlich auseinander […] hoffentlich für eine kurze Zeit […]. Sie schreiben bereits zum zweiten Mal, dass „Vol’noe kazačestvo“ keine Ziele außer der Befreiung hat. Was soll darauf folgen, fragen Sie. Erstens, das allererste Ziel, die Befreiung, ist an sich so wichtig und essentiell […] nach der Befreiung werden wir dasselbe machen, was alle befreiten Völker tun. [Wir werden, Z. G.] ein normales Staatsleben aufbauen, unser Volk an die Weltkultur näher heranführen, die ökonomische Kraft stärken, leben, uns vermehren, die nationale Intelligenz entwickeln. Kosakentum hat eine Jahrhunderte alte, stabile und Autorität genießende Organisationstradition. Diese besteht aus einem Wahlgremium, dem Heereskreis. In den einzelnen Entitäten der Kazakija [gibt es, Z. G.] Atomane, die gewählt und von diesem Zentrum ernannt werden. […] Während die russische Emigration nach einer Regierungsform sucht […] und in zahlreiche Parteien zerfallen ist und sich ein Tag nach dem Fall der Bolschewiki erneut bekriegen würde, werden die Kosaken mit so etwas nicht konfrontiert werden, weil jeder Kosake in seinem Kopf eine genaue Vorstellung dessen hat, wie ein Staat eingerichtet werden soll. Ich habe nie das Thema des Eurasismus angesprochen, dem gegenüber Sie Sympathien empfinden, aus Achtung vor Überzeugungen eines Menschen. […] Eurasismus ist, aus meiner profanen Sicht, eine Trickserei der klugen russischen Menschen, die sich ausgedacht haben, wie man das alte Gericht einer zentralisierten russischen Großmacht mit einer neuen Soße den Menschen serviert. Ich fürchte sehr, dass der Aspekt Narodnost’
140 Čingizchan kak polkovodec i ego nasledie [Zajavlenie prezidiuma KKKR], in: Ėrendžen Chara-Davan i ego nasledie, hg. von P. Ė. Alekseeva, Elista 2012, S. 8. 141 Zitiert nach: Praskov’ja Alekseeva: Vdali ot Rodiny, S. 81, in: biliq.ru/alekseeva/sites/default/ files/1995–8.pdf (Zugriffsdatum: 24.09.2018).
Kosaken und Kalmücken
(Ethnizität), mit dem Savickij Sie gewonnen hat, aus inhaltlosen Worten eines prominenten Menschen unter Eurasiern besteht …142
Ähnlich wie im georgischen oder ukrainischen Milieu der Prometheisten stellte auch die kosakische Gruppe keine Einheit dar. Am 12. Februar 1934 wandte sich der exilkalmückische und -kosakische Aktivist Sanža Balykov an Włodzimierz Bączkowski mit einem Brief, in dem er den Redakteur des Warschauer „Wschód“ und einen der wichtigsten Ideologen des Prometheismus über den Bruch innerhalb der freikosakischen Bewegung, sowie über das Verhältnis zu Bilyj informierte.143 Balykov zufolge konnte sein Kreis um die Zeitschrift „Kazakija“ die Exilkosaken besser erreichen als die Gruppe um Bilyj. Balykov beschwor seine Treue zur „polnisch-kosakischen militärisch-politisch-ökonomischen Allianz und der Zusammenarbeit in der Zukunft“ und bat Bączkowski darum, seine Partei als den entscheidenden und einzigen Akteur der Kosaken anzuerkennen.144 Hintergrund seines Briefes war Balykovs Bemühen, die polnischen Finanzhilfen, die bis dahin an Bilyj gingen, für sich zu gewinnen. Balykov schlug vor, die kosakischen Zeitschriften „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo“ und die von ihm frisch gegründete „Kazakija“ unter seiner sowie Balinovs Führung zu vereinen und schickte zwei Exemplare der „Kazakija“ als Beispiel mit.145 Die Polen gingen auf Balykovs Gesuch nicht ein. Warschau setzte weiterhin auf die Unterstützung des Kreises um Bilyj. Exemplarisch dafür waren die Festivitäten anlässlich des achten Jahrestags der Gründung der Zeitschrift „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo“ im Dezember 1935 in Paris. Vertreter der unterschiedlichen Exilgruppen hielten Gratulationsreden. Gleich nach der Eröffnungsrede Bilyjs sprachen die zwei ukrainischen Generäle Omeljanovič-Pavlenko und Udovičenko. Danach verlas Bilyj die Gratulationen von Čokaev, Rasulzade und dem armenischen Exilanten A. I. Chatisov. A. I. Čchenkeli trug die Gratulation von Noj Žordania vor, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend war. Der Redakteur des „Prométhée“, Giorgi Gvazava, hielt eine Rede. Während die Ansprachen der prometheistischen Aktivisten äußerst russlandkritisch waren, schlug der Vortrag des wichtigsten kosakischen Ideologen, Professor Sergej Svatikovs, durchaus versöhnliche Töne in Bezug auf Russland an: Er sei kein Anhänger des Separatismus, sondern des Föderalismus. „Nie werde ich den Weg mit den Feinden des russischen Volkes teilen“, verkündete Svatikov und brachte einen Trinkspruch auf die „kommende Union des russischen Volkes mit den freien Völkern Osteuropas und Nordasiens auf der Basis des beidseitigen Respekts“146. Dem 142 Praskov’ja Alekseeva: Vdali ot Rodiny, S. 82, in: biliq.ru/alekseeva/sites/default/files/1995–8.pdf (Zugriffsdatum: 24.09.2018). 143 Zitiert nach: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 284– 286. 144 Ebenda. 145 Ebenda. 146 T. A. Medkov: Prazdnik 10 dekabrja, in: Vol’noe kazačetsvo 189 (25.12.1935), S. 2–6.
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Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
Bericht, der in „Vol’noe kazačestvo“ am 25. Dezember 1935 abgedruckt wurde, ist leider nicht zu entnehmen, wie die nichtkosakischen Prometheisten auf diese Rede reagierten. Deutlich wird an diesem Beispiel jedoch, dass die Kosaken ein Wackelkandidat in der prometheistischen Front blieben und die Zusammenarbeit trotz der Intensivierung Mitte der 1930er Jahre nie eng wurde. Svatikov und Charlamov arbeiteten unmittelbar mit den Weißgardisten zusammen: 1919 waren beide unter der Führung von General Denikin tätig. Seine Niederlage im Krieg gegen die Bolschewiki war der Auslöser für ihre Auswanderung. Svatikov favorisierte in seinem Werk „Russland und der Don“ keineswegs die Idee einer kosakischen Unabhängigkeit. Im Exil sah er sich als Bestandteil des „Zarubežnaja Rossija“: Er arbeitete mit dem 1924 in Prag entstandenen „Russischen Historischen Auslandsarchiv“ sowie mit der Russischen Öffentlichen Turgenev-Bibliothek in Paris zusammen. Charlamov seinerseits lehrte russische Geschichte an der Universität in Prag. Eine deutliche Abkehr von Russland vollzog er erst im Laufe des Zweiten Weltkriegs, währenddessen er mit dem Dritten Reich kollaborierte. Das Gleiche gilt für den kalmückischen Exilkosaken Šamba Balinov, der Puškins Dichtung ins Kalmückische übersetzt hatte und dann im Krieg ebenfalls mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitete. 6.7
Fernost im Blick
Wie oben beschrieben, kam es zur polnisch-japanischen Zusammenarbeit, die sich gegen Russland richtete und die besonders aktiv im Laufe des russisch-japanischen Krieges und am Vorabend des Ersten Weltkrieges war. Die Entwicklung der sowjetisch-japanischen wie auch der sowjetisch-chinesischen Beziehungen stand daher nach dem Ersten Weltkrieg stets im Fokus der Aufmerksamkeit der Prometheisten. Zudem spielte die Existenz der polnischen, ukrainischen und exilrussischen Gemeinschaft in Harbin eine Rolle. Mit der Stadt Harbin war die Tätigkeit eines der prominentesten polnischen Prometheisten, Władysław Pelc, sowie des ukrainischen Exilanten Ivan Svit verbunden. Pelc, der in Harbin seine Kindheit verbracht und erst in den 1920er Jahre u. a. Sinologie am Warschauer Ostinstitut studiert hatte, kam 1931 als Diplomat an das polnische Konsulat in Harbin. Er gründete 1932 zusammen mit dem exilukrainischen Journalisten und Publizisten Ivan Svit den Harbiner Prometheus-Klub. Ivan Svit war gleich nach der bolschewistischen Eroberung der ukrainischen Länder in Richtung Wladiwostok ausgewandert und betrieb zu diesem Zeitpunkt eine beeindruckende publizistische Tätigkeit im Fernen Osten. Da die chinesischen Behörden die Gründung einer ukrainischsprachigen Zeitung nicht zuließen, arbeitete er mit den russischund deutschsprachigen Medien Harbins zusammen. Svit schrieb für die auf Russisch erscheinende Zeitung „Gunbao“ und die deutschsprachige Zeitung „Deutsch-Manschurische Nachrichten“. Pelc und Svit profitierten voneinander. Svit genoss Popularität unter der zahlenmässig starken ukrainischstämmigen Gemeinschaft des sogenann-
Fernost im Blick
ten „Zelenyj klin“ bzw. „Zelenaja Ukraina“ [Grüne Ukraine], einem Siedlungsgebiet im Fernen Osten der Sowjetunion zwischen dem Fluss Amur und der Küste des Pazifischen Ozeans. Er hatte ein breites Netzwerk an Kontakten, nicht nur in der sowjetischen „Zelenaja Ukraina“, sondern auch im europäischen Emigrémilieu Harbins wie auch im restlichen China und vor allem in Japan. Er selbst arbeitete im Planungsstab der chinesischen Eisenbahn und bereits 1923 erschien seine Monographie „Ausländische Interventionen in Sibirien 1917–1922“ auf Japanisch. Svits journalistische Arbeit wurde in den 1920er Jahren von lokalen ukrainischstämmigen Mäzenen unterstützt. Dank der prometheistischen Kooperation fand Svit über die Vermittlung von Pelc auch Zugang zur ukrainisch-prometheistischen Infrastruktur in Europa, wie z. B. zu den Presseagenturen „Office d’Informations Orientales“ (Ofinor) und „Ukrainische Telegraphenagentur“ (Ukraintag)147 sowie zur Pariser Wochenzeitung „Tryzub“, für die Svit seit Anfang der 1930er Jahre häufig über die politischen Entwicklungen in Ostasien sowie über das ukrainische Leben in dieser Weltregion schrieb. Damit wurde der Transfer des Wissens gewährleistet: Die LeserInnen der prometheistischen Medien in Europa konnten zeitnahe Informationen und Analysen zur Evolution der sowjetischen Politik gegenüber China und Japan erhalten. Eine weitere wichtige Transferleistung des Engagements von Pelc und Svit ermöglichte den Wissenstransfer von West nach Ost. 1932 wurde nicht nur der Harbiner Prometheus-Klub mit Svit an der Spitze gegründet, sondern auch die ukrainischsprachige Zeitung „Mančžurs’kyj visnyk“, die bis 1937 erscheinen sollte und schon bald über eigene feste Korrepondenten aus Bukarest, Berlin, Paris, Lemberg und anderen Städten verfügte.148 Abgesehen von der unmittelbaren Institutionalisierung der prometheistischen Netzwerke an den sowjetischen Ostgrenzen, war seit Anfang der 1930er Jahre eine verstärkte Auseinandersetzung der prometheistischen Medien in Europa mit dem Thema des Fernen Ostens festzustellen. Das erklärt sich zweifelsohne auch durch den sowjetisch-chinesischen Konflikt, die Stärkung Japans sowie die Neuausrichtung Polens angesichts ausbleibender Strategien europäischer Großmächte gegenüber Moskau. In ihren Analysen zur sowjetischen Strategie in dieser Region, die z. B. 1932 in „Wschód“ veröffentlicht wurden, warfen die Prometheisten der UdSSR Imperialismus und Er-
147 Zur ukrainischen Presseagentur in Rumänien „Ukraintag“ ist leider nur wenig bekannt. Der ukrainische Aktivist Dmytro Herodot (Ivašyna) (1882/1892/4–1975?) spielte eine große Rolle bei der Gründung der Presseagentur sowie der prometheistischen Aktivitäten in Rumänien. Er wanderte 1920/21 nach Bukarest aus, studierte an der dortigen Hochschule für Dokumentar- und Verwaltungswissenschaften und schrieb aktiv für ukrainischsprachige Medien, wie z. B. „Ridna mova“ in Warschau sowie für die prometheistische „Tryzub-Trident“ in Paris. Seine Bukarester Anschrift (Strada Delia Veche 7) wurde in jeder Ausgabe des „Tryzub“ als Kontaktadresse erwähnt. Anscheinend konnte man die Ausgaben des „Tryzub“ bei ihm direkt erwerben. 148 Mehr zu Svit vgl. Nadija Kuleša: Ukrains’kyj redaktor i žurnalist Ivan Svit: dijal’nist’ na Dalekomu Schodi, in: Zbirnyk prac’ Naukovo-doslidnoho instytutu presoznav’stva 6 (2016), S. 438–447, zitiert nach: http://nbuv.gov.ua/UJRN/ZPNDZP_2016_6_36 (Zugriffsdatum: 30.12.2018).
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Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
oberungslust vor. Die Warnungen des China-Experten Bączkowski dämonisierten Russland.149 Der polnische Orientalist Konstanty Symonolewicz150 sah eine Möglichkeit, Russland im Fernen Osten durch die panmongolische Bewegung zu schwächen.151 So wies er darauf hin, dass es aus prometheistischer Sicht sinnvoll wäre, die Integration des sowjetischen Burjatien mit der Mongolei zu unterstützen.152 Auch der Autor Witold Bronowski betonte in einem Wschód-Artikel im Hinblick auf den chinesisch-japanischen Konflikt153 die Relevanz des Fernen Ostens für die polnische Außen- und Sicherheitspolitik: Bei uns etablierte sich die Meinung, dass der Fernost-Konflikt uns nicht betrifft. Das ist eine Fehleinschätzung. Es gibt kein Land, dem das große Pulverfaß der Welt gleichgültig bleiben kann. Das betrifft auch Polen, das Russlands Nachbar ist […]. Dem Spiel im Fernen Osten, an dem Japan, Russland und die Vereinigten Staaten sowie passiv auch China teilnehmen, müssen wir die größte Aufmerksamkeit schenken.154
Da dieser Beitrag nur auf Polnisch erschien, lässt sich vermuten, dass der Artikel, ähnlich wie der von Tadeusz Piszczkowski zu Indien155, nur für das polnische Publikum bestimmt war. 6.8
Prometheisten als Mittler
Sozialisiert im Grenzraum zwischen Slawen und Turkvölkern spielten die Kasan- und vor allem die Krimtataren eine besonders wichtige Mittlerrolle zwischen den prometheistischen Anhängern auf dem Balkan, in der Türkei und im Nahen Osten. Neben dem Kasantataren Ayaz Ishaki, der im polnischen Auftrag in der Türkei, dann in Finnland und Japan als Propagandist tätig war, war das Engagement des Krimtataren Cafer Seydahmet exemplarisch. Ende 1922 wurde einer der prometheistischen Schlüsselideologen, Tadeusz Schaetzel, als polnischer Beobachter zur Konferenz in Lausanne entsandt. Hier sollte die politische Nachkriegsordnung zwischen den europäischen Mächten, den Balkan-
Włodzimierz Bączkowski: Wojujące państwo, in: Wschód 1–2 (1932), S. 43 ff. Konstanty Symonolewicz (1884–1952) war Konsul der Republik Polen in Harbin und unterrichtete am dortigen polnischen Gymnasium. 1932 erschien in Warschau sein Buch „Miraże mandżurskie“ über die polnische Gemeinschaft in der Mandschurei. 151 Konstanty Symonolewicz: Ruch panmongolski na tle dziejów i jego perspekty wy, in: Wschód 1–2 (1932–1933), S. 26–37. 152 Ebenda sowie in der englischen Zusammenfassung, S. 39. 153 Witold Bronowski: Konflikt chińsko-japoński w świetle nowych wydarzeń, in: Wschód 1–2 (1932– 1933), S. 40–64. 154 Ebenda, S. 64. 155 Dr. Tadeusz Piszczkowski: Nowe drogi Indyj, in: Wschód 1–2 (1932–1933), S. 65–68. 149 150
Prometheisten als Mittler
staaten und der jungen Republik Türkei geregelt werden. Schaetzel, der der Entwicklung der polnisch-türkischen Beziehungen eine entscheidende Bedeutung beimaß, suchte nach Kontakten zur türkischen Delegation. Es war Cafer Seydahmet, der sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Lausanne aufhielt und für den polnischen Diplomaten den Kontakt zu Ismet Inönü, dem Leiter der türkischen Delegation und dem späteren Staatspräsidenten der Türkei, herstellte.156 Am 29. Oktober 1929 organisierte Roman Smal’-Stoc’kyj auf höchster Ebene eine Sitzung der ukrainischen Exilanten in Polen. Anwesend waren der Vizeministerpräsident der UNR, Professor Lotocki, Verteidigungsminister General Salskij und der polnische Diplomat Jan Gawroński, der die polnischen Initiatoren dieser Sitzung vertrat. Besprochen wurden die künftigen krimtatarisch-ukrainischen Beziehungen. Geplant war zudem die Veröffentlichung der Monographie des ukrainischen Vertreters Volodymyr Murs’kyjs über die Ukraine in der Türkei, und damit der ersten Publikation zur Geschichte und Gegenwart der Ukraine auf Türkisch. Auf der Sitzung ging es um das Verfassen von zwei Vorworten, eines vom exilukrainischen Staatschef Präsident Levycki im Namen der Ukraine und das andere von Cafer Seydahmet im Namen der Krim. Die Ukrainer brauchten die Unterstützung des in der Türkei äußerst gut vernetzten Seydahmets, damit das Buch Murs’kyjs in der türkischen Öffentlichkeit besser rezipiert würde. Gawroński übernahm die Mission, mit Seydahmet in Istanbul diesbezüglich zu verhandeln.157 Die Exilukrainer sahen sich ihrerseits gezwungen, auf die Forderung der exilkrimtatarischen Aktivisten nach Unabhängigkeit der Halbinsel Krim einzugehen und die Idee der Notwendigkeit eines Anschlusses der Krim an die Ukraine, die immer lauter in der ukrainischen Politemigration wurde, zu revidieren. Bereits einige Monate später, am 24. Januar 1930, schrieb Seydahmet an Oberst Schaetzel über die Ergebnisse seiner Verhandlungen mit dem exilukrainischen Außenminister Šulhyn. Seydahmet zufolge hatten die beiden Parteien zwar nichts unterschrieben, die ukrainische Seite habe ihm jedoch zugesichert, dass sie die Unabhängigkeit der Krim anerkennen werde. Gleichzeitig bat Seydahmet Schaetzel immer wieder, den Ukrainern gegenüber die Notwendigkeit der Krimer Unabhängigkeit darzulegen 158 Im selben Brief informierte Seydahmet Schaetzel, dass er bereits das zweite Heft der, in der rumänischen Dobrudscha erscheinenden, exilkrimtatarischen Zeitschrift „Emel“
156 Turcja w koncepcjach polskiego Szatbu Generalnego w okresie Konferencji Lozańskiej (1922–1923). Nieznane memorandum Tadeusza Schaetzela, hg. von Joanna Gierowska-Kałłaur und Marek Kornat, in: Studia z Dziejów Rosji i Europy Środkowo-Wschodniej 2 (XLIX), S. 26. 157 N. 57. 1929, 29 października. Protokól z posiedzenia odbytego u prof. Romana Smal-Stockiego w sprawie uregolowania stosunków pomiędzy Ukrainą a Krymem, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 154–155. 158 N. 60. 1930, 24 stycznia. List Dżafera Sejdameta do płk. Tadeusza Schaetzela o wyniku rozmów z ministrem spraw zagranicznych Ukraińskiej Republiki Ludowej, Aleksandrem Szulginem, w sprawie stosunków ukraińsko-tatarskich i uznania niepodległości Krymu, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 159.
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erhalten habe und mit ihrem Inhalt sehr zufrieden sei. So stellte Seydahmet seinem polnischen Gesprächspartner die Zeitung „Emel Mecmuası“ [Aspiration] vor, die vom in Bukarest ausgebildeten Rechtsanwalt Müstecib Hacı Fazıl (später Ülküsal) im Januar 1930 im rumänischen Pazardjik gegründet wurde und später zur bedeutendsten krimtatarischen prometheistischen Zeitschrift avancierte.159 Seydahmet stellte so den Kontakt zwischen dem polnischen Geheimdienst und den in Dobrudscha aktiven tatarischen Intellektuellen her, die ebenfalls wie Seydahmet ursprünglich von der Krim stammten, her. Dank dem Engagement Seydahmets übernahm die polnische Seite daraufhin die Finanzierung der „Emel Mecmuası“. Die ukrainisch-krimtatarische Zusammenarbeit in Istanbul zeigte bald Ergebnisse. Die exilaserbaidschanische Istanbuler Zeitung „Odlu Yurt“ berichtete im Dezember 1930 über die Publikation Murs’kyjs, die in der türkischen Übersetzung in Istanbul gedruckt wurde: „Das aus 226 Seiten bestehende Werk wurde von einem der bekanntesten Redakteure übersetzt und wurde mit einem wertvollen Vorwort von Cafer Seydahmet versehen.“160 1932 erschien die zweite Monographie Murs’kyjs in Istanbul in türkischer Sprache und auch diese war mit einem Vorwort von Seydahmet eingeleitet. Seydahmet verwies beide Male auf die Bedeutung der Publikationen für die türkische Öffentlichkeit. Während es sich bei der ersten Veröffentlichung 1930 um eine allgemeine Einführung zur Geschichte und Gegenwart der Ukraine handelte,161 war das 1932 erschienene Buch eine Auseinandersetzung mit der Innen- und Außenpolitik der UdSSR, die unter dem Titel „Das innere Gesicht des Neuen Russlands“162 in Istanbul veröffentlicht wurde. Die Rolle der Krimtataren beim Transfer liegt noch in einem anderen Fall nahe. 1933 erschien die Monographie des polnischen Historikers Stefan Pomaranski „Józef Piłsudski. Leben und Werk“ in türkischer Sprache.163 Höchstwahrscheinlich waren es die krimtatarischen Prometheisten, die Polnisch beherrschten, die in das Publikationsprojekt von Pomaranski involviert waren. 1933 erschien in der Zeitschrift „Wschód“ ein längerer Aufsatz vom in Polen ausgebildeten krimtatarischen Exilanten Abdullah Zihni Soysal über Ismail Gasprinskij, die Galionsfigur der russlandmuslimischen Aufklärung des 19. Jahrhunderts. Zihni berichtete über den 50. Jubiläumstag und die Gründung der Zeitung „Tercüman“, die von Gasprinskij auf der Krim 1883 gegründet, und von den Russlandmuslimen intensiv rezipiert worden war. Zihni ging in seinem Beitrag auf die wichtigsten Stationen im Le159 Der Redaktionssitz zog bereits 1930 nach Constanţa. Die Zeitschrift „Emel mecmuası“ erschien in der alten arabischen Schriftweise alle zwei Monate und bestand aus 16 Seiten. Erst ab Januar 1939 wurde die Zeitschrift auf Türkisch in der lateinischen Schrift gedruckt. 160 Ukrayina ve istiklȃl mücahedeleri, in: Odlu Yurt 24/12 ( Januar 1930), S. 488. 161 Volodımır Murskıy: Ukrayna ve İstiklal Mücahedeleri, Istanbul 1930. 162 Volodımır Murskıy: Yeni Rusya’nın iç yüzü, Istanbul 1932. 163 Stefan Pomaranski: Jozef Pilsudski. Hayat ve faaliyeti, Istanbul 1933. In Polen erlebte das Buch mehrere Neuauflagen und wurde außerdem ins Spanische, Portugiesische und in weitere Sprachen übertragen.
Prometheisten als Mittler
ben und Wirken Gasprinskijs ein und erwähnte, dass nicht nur in der Türkei, sondern in mehreren europäischen Städten Vorträge zu Gasprinskij stattfanden. „In Warschau hielt Cafer Seydahmet ein Referat über Gasprinskij“164, schrieb Zihni. Cafer Seydahmet beschränkte sich nicht nur auf einen Vortrag in Warschau zum Andenken an Gasprinskij, sondern veröffentlichte 1934 eine längere Abhandlung dazu in Istanbul.165 Dies ist umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund, dass er wie geschildert genauso wie Rasulzade um 1929 bzw. Anfang der 1930er Jahre die Türkei verlassen musste, weil die Türkei ihre antikommunistische Aktivität aus mehreren Gründen nicht mehr dulden wollte. Ab diesem Zeitpunkt waren auch der Druck und die Einfuhr der prometheistischen Zeitschriften, darunter auch die exilkrimtatarische „Emel“, auf türkischem Staatsgebiet untersagt. Teils lag das an der Befürchtung der türkischen Eliten vor einer Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau und aufgrund der unmittelbaren Forderung sowjetischerseits, jegliche antisowjetische Tätigkeit auf türkischem Boden einzustellen. Teils jedoch war dies darin begründet, dass Ankara auf einen Homogenisierungskurs auf dem eigenen Territorium setzte und die Herausbildung einer möglichst säkularen und einheitlichen türkischen Identität in der relativ schlecht gebildeten Mehrheitsgesellschaft anstrebte, deren breite Segmente sich weiterhin als Kurden, Alewiten, Sunniten, Araber usw. verstanden. Alles, was nicht im Dienste der Etablierung einer homogenen türkischen Identität stand, beäugte Ankara mit Misstrauen.166 Das Buch Seydahmets zu Gasprinskij erschien trotz all dieser Umstände. Laut dem Vorwort Seydahmets hatte er die Monographie im Istanbuler Viertel Maçka am 1. März 1934 abgeschlossen. Dem ist zu entnehmen, dass Seydahmet nach mehreren Jahren im Warschauer Exil zu Beginn der 1930er Jahre, möglicherweise bereits 1932, wieder nach Istanbul zurückkehren durfte. Ins Auge fallen die zwei Zitate auf der Coverseite des Buches. Diese stammten vom tatarisch-türkischen Intellektuellen Yusuf Akçura und dem türkischen Historiker und Politiker Mehmet Fuat Köprülüzade, der den in die Türkei eingewanderten russlandmuslimischen Intellektuellen nahestand. Beide hoben Gasprinskijs Beitrag und Engagement für das „Türkentum“ (Türklük) hervor. Die Monographie schildert den Werdegang und das publizistische Wirken Gasprinskijs zwischen der Krim, Istanbul und der Reisetätigkeit Gasprinskijs in Indien und in Jerusalem. Seydahmet analysierte die Beiträge des prominenten Aufklärers in der Zeitschrift „Tercüman“ und versuchte ihn im panturanischen Diskurs der 1920 und 1930er Jahre zu verorten, indem er die Ideen Akçuras, Ağaoğlus und anderer Dr. Abdullah Zihni: Ismail Bey Gaspriński, in: Wschód 3–4 (1933), S. 32. Kırımer Cafer Seydahmet: Gaspıralı İsmail Bey (Dilde, Fikirde, İşte Birlik), Istanbul 1934. Ein Grund für die Ausweisung Rasulzades war, dass er durch seinen exilaserbaidschanischen Verlag eine „Nationalitätenpolitik“ in der Türkei betrieb, was dem Konzept des Türkentums der kemalistischen Eliten widersprach. Darüber berichtete der türkische Innenminister Mehmet Şükrü Kaya (1883–1959) dem polnischen Diplomaten Karol Dubicz Penther (1892–1945) während des Treffens am 17. Februar 1934, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 288. 164 165 166
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Exilanten der früheren Generation miteinbezog. Seydahmet ging es darum, den Beitrag Gasprinskijs und anderer Exiltataren zur türkischen Ideengeschichte, Staats- und Nationswerdung herauszuarbeiten. Die Zitate Köprülüzades wurden zur Stärkung der eigenen Argumentation herangezogen. Im Anhang des Buches wurden einige Ausschnitte aus den Publikationen Gasprinskijs, sowie aus den Nachrufen prominenter russlandmuslimischer Intellektueller, wie z. B. des nordkaukasischen Prometheisten Abdullah Battal-Taymas und u. a. des sowjet-tatarisch-aserbaidschanischen Linguisten Bekir Çobanzade abgedruckt. Im Weiteren ging Seydahmet auf die Festivitäten und Gedenkvorträge ein, die 1933 zu Ehren von Gasprinskij und seiner Zeitschrift z. B. im Kino „Regal“ im rumänischen Constanţa am 23. April, in einem sogenannten Volkshaus (Halkevi) in Istanbul fünf Tage später, am 28. April, am Ostinstitut in Warschau am 12. Mai sowie im Zentrum der Turanischen Gesellschaft im ungarischen Parlamentsgebäude am 17. Mai und schließlich in Berlin am selben Tag veranstaltet wurden. Diese Geographie zeigt einmal mehr die Standorte der prometheistischen Aktivitäten, sowie der russlandmuslimischen bzw. tatarischen diasporalen Niederlassungen im Europa der Zwischenkriegszeit. Dabei kam es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den tatarischen Communities, z. B. in Dobrudscha und den Prometheisten: Waren die Einen an den Festivitäten zu Ehren eines krimtatarischen Intellektuellen wie Gasprinskij interessiert, hoben die Letzteren die Russlandkritik sowie die panturanischen Elemente der Philosophie Gasprinskijs hervor. Wie gerade das Beispiel Dobrudschas zeigt, waren es nicht nur lokale tatarische Zeitungen, wie z. B. die prometheistische „Emel Mecmuası“, sondern auch die rumänischsprachigen Medien, wie z. B. die „Presa“, „Curentul“ und „Dimineața“, die von Gasprinskij berichteten. Auch wurden die Feierlichkeiten im Kino „Regal“ nicht nur von tatarischen, sondern auch von rumänischen Intellektuellen besucht. In Warschau wurde der Gasprinskij-Abend zu einer rein prometheistischen Veranstaltung, an welcher der Senator Stanisław Siedlecki, Mamed Emin Rasulzade, Ayaz Ishaki sowie mehrere georgische und ukrainische Intellektuelle teilnahmen. In Istanbul waren drei Veranstaltungen zu Ehren Gasprinskijs im Jahr 1933 ein Beispiel für die prometheistisch-turanistische Zusammenarbeit, die von den kemalistischen Eliten in Ankara offensichtlich geduldet wurde. Die Ansprachen hielten u. a. der Anführer des panturanischen Verbandes „Turan Neşri Maarif ve Yardım Cemiyeti“, Muharrem Feyzi Bey (Togay), und der Linguistikdozent Ahmet Caferoğlu von der Universität Istanbul.167 Muharrem Feyzi Bey168 avancierte zu einem der bedeutendsten Prometheisten im Istanbul der 1930er Jahre. Der polnische Diplomat Karol Dubicz-Penther berichtete Kırımer Cafer Seydahmet: Gaspıralı İsmail Bey, S. 226 f. Muharrem Feyzi Bey Togay (1877–1947) wurde auf der Krim geboren. Während der kurzlebigen Unabhängigkeit 1917–18 war Muharrem Feyzi im Krimer Bildungsministerium tätig. In den 1930er Jahren schrieb er für die türkische Zeitung „Cumhuriyet“ mit viel Begeisterung über Japan. Mehr dazu Sinan Le167 168
Prometheisten als Mittler
am 23. November 1935, dass Fiber, so lautete der Codename Muharrem Feyzis, die Seele der gesamten Bewegung seit Auswanderung Cafer Seydahmets aus Istanbul war. Dubicz-Penther unterstrich die Aktivitäten seines 1933 gegründeten Verbandes „Turan“.169 In Muharrem Feyzi hoffte die polnische Seite einen Aktivisten gefunden zu haben, der sowohl im exiltatarischen Milieu am Bosporus als auch in den türkischen Massen antikommunistische Propaganda betreiben könnte. Es waren gerade die prometheistischen Aktivitäten der 1920er und vor allem der 1930er Jahre, die in einer verdichteten circulation des idées (Pierre Bourdieu) internationaler Dimension zwischen den Standorten Paris, Warschau und Istanbul resultierten. Des Weiteren bewirkten sie ein reziprokes Interesse sowie die Förderung der polnischen, der französischen, der rumänischen und insbesondere der türkischen Orientalistik und nicht zuletzt der Osteuropakunde. Die aserbaidschanischen, und vor allem die krim- und kasantatarischen Prometheisten wirkten dabei als Mittler zwischen den Denktraditionen der slawischen und türkischen Welten. Der im wortwörtlichen Sinne länderübergreifende Transfer ergab sich nicht nur aus der publizistischen, sondern auch aus der Übersetzungstätigkeit der Prometheisten. Beispielhaft sei hier angeführt: Im Juli 1931 veröffentlichte „Odlu Yurt“ den Artikel Noj Žordanias „Eine Seite aus der russischen Geschichte“170, in dem er sich mit dem Werk Miljukovs über die russische Kulturgeschichte sowie mit den Schriften Plechanovs kritisch auseinandersetzte. Angesichts der Tatsache, dass Plechanov in den 1960er Jahren erstmals ins Türkische übersetzt wurde, bot die Übersetzung des Artikels der türkischen Leserschaft der prometheistischen Zeitschrift „Odlu Yurt“ bereits zu Beginn der 1930er Jahre einen Einblick in die russischen und marxistischen Diskurse. Dasselbe galt für „Prométhée“ und „Wschód“. Auch in den 1930er Jahren beinhaltete der Pariser „Prométhée“ längere Beiträge, die auf einer detaillierten Auswertung der russisch-, ukrainisch-, georgisch-, aserbaidschanisch- und usbekischsprachigen Zeitungen aus der Sowjetunion beruhten, und die über die politischen und kulturellen Prozesse in der Sowjetunion berichteten. Im Pariser Zentrum gelegen, entwickelte sich einer der ältesten, und in den 1930er Jahren noch vom Gründer Jean Maisonneuve geleitete, Buchladen „Librairie Orientale et Américaine“ zum bedeutendsten Anbieter prometheistischer Bücher, Literatur und Broschüren zu Osteuropa, dem Kaukasus und Zentralasien. Jedes Prométhée-Heft enthielt Werbung dieser Buchhandlung sowie für die Buchhandlung der 1925 in Paris gegründeten ukrainischen Exilzeitung „Tryzub“. Hierbei handelte es sich um die Bibliothek von Petljura, die in Paris mit Hilfe der ukrainischen Emigrés und der französischen Politiker und Wissenschaftler aufge-
vent: Muharrem Feyzi Togay’a Göre Japonya; Japon Arşiv Belgelerinde Togay, in: TAPACAY Asya-Pasifik Çalışmaları Türkiye Yıllığı 4 (2010), S. 12–31. 169 Zitiert nach: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 344. 170 Noy Jordaniya: Rus tar[i]hinden bir sahife, in: Odlu Yurt 30–31/5–6 ( Juli-August 1931), S. 151–155.
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Prometheismus zu Beginn der 1930er Jahre
baut und polnischerseits finanziert wurde und Publikationen zur Geschichte der Ukraine und Osteuropas anbot.
7.
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Die polnischen Drahtzieher der prometheistischen Netzwerke zielten ursprünglich auf die Gründung einer einheitlichen und kohärent agierenden Bewegung (ruch prometejski) ab. Dazu ist es jedoch nie gekommen. Eine konstante Bewegung blieb ein Desiderat, auch wenn die polnische und die internationale Prometheismus-Forschung immer noch von einer Bewegung ausgehen. Dafür, dass eine solche prometheistische Bewegung ausblieb, gab es mehrere, vor allem außenpolitische Gründe. Zum einen blieb der Prometheismus auch in den 1930er Jahren eine inoffizielle Denkströmung eines Teils der Anhänger Piłsudskis zur Gestaltung der polnischen Ostpolitik. Der Kampf um die Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Ukrainer, der Georgier und weiteter ‚prometheistischer Völker‘, den die Zeitschriften „Przymierze“, wie auch „Prométhée“ und „Wschód“ beschworen, fand fast ausschließlich auf den Seiten der eben genannten Medien sowie in den Räumlichkeiten des Warschauer Ostinstituts statt. Die polnische Staatsführung war am Status Quo in den Beziehungen mit der UdSSR interessiert und strebte keinen Krieg an. Die 1932 und früher abgeschlossenen Verträge mit Russland setzten Warschau außerdem einen engeren Rahmen für prometheistische Aktivitäten. Der bis dahin so wichtige Standort Paris hatte sich für die Prometheisten zu Beginn der 1930er Jahre ebenfalls verschlechtert: Frankreich hatte die UdSSR anerkannt und die georgische diplomatische Mission in Paris verlor ihren rechtlichen Status. Einige Jahre danach erfolgte die Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund. Zudem brachte der wichtige Standort Istanbul für die prometheistischen Aktivitäten beinahe unüberwindbare Hürden mit sich, wie die Deportation von mehreren prominenten Prometheisten zu Beginn der 1930er Jahre, die Einstellung der in der Türkei gedruckten, und schließlich das Verbot der Einfuhr der außerhalb der Türkei gedruckten, prometheistischen Medien. Die unterschiedlichen nationalen und ethnischen Gruppen der international verstreuten Exilantennetzwerke hatten zudem häufig diametral entgegengesetzte Ansichten zu bestimmten Fragen. Auch innerhalb der nationalen Gruppen herrschte oft kein Konsens und die polnischen Geheimdienstler und Diplomaten mussten über längere Zeiträume hinweg Überzeugungsarbeit leisten, um die unterschiedlichen Strömungen innerhalb z. B. der georgischen oder aserbaidschanischen Gruppen zusammen zu brin-
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gen. An jedem der Standorte entwickelten sich im Laufe der 1920er und 1930er Jahre im Emigrantenmilieu mehrere Konfliktlinien, die erstens mit einem unvermeidlichen Generationswechsel (die so genannte ‚Väter-Söhne-Problematik‘), zweitens mit den Veränderungen der internationalen Beziehungen, vor allem der europäischen Politik und drittens mit der sowjetischen Politik gegenüber den nichtrussischen Emigranten in Europa verbunden waren. Nicht zuletzt waren es der NKVD und die GPU, die die nichtrussischen Emigrés abzuwerben bzw. zu kompromittieren versuchten, um somit das Mobilisierungspotential der prometheistischen Netzwerke zu schwächen. Die Generation der kaukasischen, aber auch der ukrainischen Politiker, die 1920–21 nach Europa ausgewandert war, befand sich Mitte der 1930er Jahre bereits seit fünfzehn Jahren im europäischen Exil. Für die meisten waren die Jahre voller finanzieller Not, Verluste und persönlicher Katastrophen. Auch der gesundheitliche Zustand vieler Vertreter der ‚Väter‘-Generation war ruiniert. Exemplarisch für diese innere Enttäuschung kann ein Kurzvers des aserbaidschanischen Prometheisten Mirza Bala Mehmetzade aus dem Jahr 1937 herangezogen werden: Mit jedem Tag werden meine Haare grauer, Wie weißer Schnee bedecken sie das dunkle Gebirge. Mit jedem Tag gehe ich immer mehr in mich, wie ein Taucher in den Ozean taucht.1
Die jüngere Generation, die ihre Sozialisation im Europa der 1920er Jahre erlebt hatte, zeichnete sich häufig durch eine radikalere Haltung aus. Sie empfand Sympathien nicht den vagen Prometheus-Konzepten, sondern dem Faschismus und dem Nationalsozialismus gegenüber. Besonders treffend war dies in Bezug auf die jüngeren georgischen und ukrainischen Emigranten. Mit Sicherheit stand dieser Prozess in enger Verbindung mit der Neupositionierung Italiens, Japans und vor allem Deutschlands in Europa, sowie in der internationalen Politik. Dass diese Staaten eine sowjet-kritische Haltung hatten, erschien den jüngeren Georgiern und Ukrainern noch verführerischer. Polen, Frankreich, und auch die Türkei dagegen waren an einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion interessiert und vermieden jegliche Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau. Die sowjetische Seite betrieb eine doppelgleisige Politik den nichtrussischen Emigranten gegenüber. Einerseits forderte Moskau die jeweiligen Aufenthaltsländer regelmäßig auf, antisowjetische Aktivitäten auf ihren Territorien zu unterbinden. Andererseits versuchte die sowjetische Staatsführung die Emigrantengemeinschaften mittels nachrichtendienstlicher Aktivitäten innerlich zu spalten. Ähnlich ging Moskau auch dem russischen Emigrantenmilieu gegenüber vor. Die prominentesten antikommu-
Der handschriftliche Originaltext des Gedichts wurde vom Autor in der privaten Ismail Otar-Kollektion eingesehen.
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Memorandum von Volodymyr Murs’kyj
nistischen Exilanten wurden vom sowjetischen Geheimdienst physischer Gewalt ausgesetzt. Durchführen ließen sie die Attentate in der Regel von Emigranten derselben Nationalität, was die Zerrütungsprozesse innerhalb der jeweiligen Emigrantengruppen beschleunigte und eine Atmosphäre des Mißtrauens und der Angst schürte. Angesichts der Tatsache, dass die finanzielle Situation der Exilanten in Europa immer prekärer wurde und ihre persönliche Enttäuschung zunahm, zeigte die sowjetische Emigré-Strategie bald Ergebnisse. Nicht nur unter den russischen, sondern auch unter den nichtrussischen Emigrés kam es immer häufiger zum Phänomen der smenovechovstvo und vozvraščenčestvo, d. h. einer so genannten Rückkehrerbewegung.2 Viele von denjenigen, die doch im Exil blieben, stellten aus unterschiedlichen Gründen ihre antibolschewistische Aktivität ein bzw. änderten ihre Ansichten. Für die Prometheisten war angesichts der politischen Lage eine Rückkehr in die Sowjetunion kaum möglich. Über die Stringenz ihrer antisowjetischen Haltung und ihrer wirklichen Überzeugung lässt sich allerdings streiten. Diese Rahmenbedingungen, Differenzen und Dynamiken behinderten eine einheitliche monolithische Bewegung. Die oben skizzierten Prozesse werden im Weiteren anhand von Beispielen der exilukrainischen Annäherungsversuche an Japan und Deutschland, der Schilderung des Konflikts zwischen dem im polnischen und dem im türkischen Exil tätigen Emigrantenmilieu sowie der antiprometheistischen Aktivität der Gruppe „Kavkaz“ um Gejdar Bammat dargestellt. Anschließend werden die prometheistischen Aktivitäten nach dem Tod Marschall Piłsudskis 1935 am Beispiel des Warschauer Linguistikkongresses aufgezeigt. 7.1
Memorandum von Volodymyr Murs’kyj
Im November 1933 traf der bereits erwähnte, exilukrainische Vertreter Volodymyr Murs’kyj den japanischen Militärattaché Masatane Kanda in Istanbul und überreichte ihm ein Memorandum. Dem russischen Historiker der Nachrichtendienste, Lev Sockov, zufolge, überreichte Murs’kyj eine Kopie des Dokuments auch einem Vertreter des deutschen Sicherheitsdienstes an der diplomatischen Mission in Istanbul.3 Das Inhalt dieses Dokuments wurde auch zeitnah über Informanten der sowjetischen Seite bekannt.4 In diesem in fünf thematische Kapitel aufgeteilten Dokument plädierte Murs’kyj für einen „Todesschlag gegen den Kommunismus“, der nur mittels des Mehr zur Rückkehrerbewegung siehe Hilda Hardeman, Coming to Terms with the Soviet Regime. The „Changing Signposts“ Movement among Russian Émigrés in the Early 1920s, Dekalb 1994; Christopher Gilley: The ‚Change of Signposts‘ in the Ukrainian emigration: A Contribution to the History of Sovietophilism in the 1920s, Stuttgart 2009. 3 http://militera.lib.ru/research/sotskov_lf/04.html (Zugriffsdatum: 23.11.2021). 4 Laut dem Historiker Iurii Chainskyj war es ein enger Mitstreiter Murs’kyjs, Zabello (polnisch: Zabiełło), der für die sowjetische Seite arbeitete und sie regelmäßig informierte. Mehr dazu Iurii Chainskyj: Walka 2
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„militärischen Konflikts und nicht durch fruchtlose Diskussionen und Konferenzen sowie Freundschaftspakte mit Sowjet-Russland“5 erreichbar sei. Ausgangspunkt für Murs’kyj, wie offensichtlich für einen Großteil der bis dahin mehr oder minder polenfreundlichen UNR-Emigration, war die Unterzeichnung des sowjetisch-polnischen und sowjetisch-rumänischen Nichtangriffspakts von 1932. Im Memorandum ging man von der „Unvermeidbarkeit des russisch-japanischen Konflikts“ aus und bot Japan, wie auch der mit Japan verbundenen Mandschu-Go-Regierung, Unterstützung und Kollaboration an. Die Exilukrainer versprachen den Japanern, die ethnischen Ukrainer im sowjetischen Fernen Osten, in der Gegend Zelenyj Klin, sowie in der Sowjet-Ukraine zu mobilisieren, indem man: a) Sabotage in den Kolchosen und Sowchosen durchführt; b) Die Eisenbahnnetze und Brücken zerstört, die Züge zur Kollision führt etc; c) Munitionsdepots in Brand setzt; d) Die Versorgung der Städte und Industriezentren stört, Streiks und Arbeiter- und Bauernaufstände organisiert; e) Banden organisiert; f) Geheime Gruppen in der Armee und Marine organisiert; Massen- und individuellen Terror und gezielte Mordaktionen gegen prominente Kommunisten und GPU durchführt; g) Propagandistische Broschüren usw. in verstärktem Maße verbreitet; h) Ein Zentrales Ukrainisches Revolutionskomitee organisiert, das den antibolschewistischen Aufstand vor Ort anführen wird.6
Murs’kyj machte deutlich, dass die Exilukrainer auf Finanzmittel angewiesen wären und wies auf einen eventuellen Dominoeffekt hin, der sich aus der Unterstützung der Ukraine ergeben könnte: „Die Abspaltung der Ukraine wird Nationalbewegungen im Kaukasus und Turkestan auslösen und somit eine neue Dynamik in Osteuropa zur Folge haben, was Japan seine Aufgabe in Asien erleichtern würde.“7 Entscheidend ist hier die Frage, ob Murs’kyj die Vorbereitung und vor allem die Übergabe des Memorandums mit der polnischen Seite abgesprochen oder im Allein-
za kulisami dyplomacji międzywojennej. Turcja w polskiej polityce prometejskiej w latach 1918–1932, Warschau 2020, S. 446 f. 5 Memorandum Predstavitelja ukraincev v Stambule Murskogo japonskomu voennomu attaše v Turcii Kanda, in: V. K. Bylinin, V. I. Korotaev: Portret lidera OUN v inter’ere inostrannych razvedok (Po materialam AP RF, GARF, RGVA i CA FSB RF), in: Trudy Obščestva izučenija istorii otečestvennych specslužb, Bd. 2, Moskau 2006, S. 97–139. Ersterwähnung: Lev F. Sockov: Neizvestnyj separatizm, Moskau 2003, S. 277–283. Online zugänglich: http://militera.lib.ru/research/sotskov_lf/04.html (Zugriffsdatum: 23.11.2021). 6 Ebenda. Kapitel III des Memorandums. http://militera.lib.ru/research/sotskov_lf/04.html (Zugriffsdatum: 23.11.2021). 7 Ebenda.
Memorandum von Volodymyr Murs’kyj
gang eine exilukrainische Annäherung an die Achsenmächte verfolgt hatte. Aus den bereits öffentlich zugänglichen und veröffentlichten Archivmaterialien ist ersichtlich, dass einzelne nicht-polnische prometheistische Aktivisten vor allem seit Anfang der 1930er Jahre wiederholt nach Berlin reisten und sich mit Vertretern der deutschen Wissenschaft und Politik trafen. Die Kosten dieser Reisen trug die polnische Seite und Warschau wurde seinerseits detailliert über die Inhalte der Treffen informiert. Exemplarisch können die Reisen von Čokaev, Magomet Sunš Girej8, aber auch von Gvazava und Seydahmet 1934–35 nach Berlin genannt werden. Von Murs’kyjs Memorandum an Japan und laut Sockov auch Deutschland ist nur aus dem oben zitierten Dokument, das von der GPU erworben wurde, zu erfahren. Das legt die Deutung nahe, dass Murs’kyj tatsächlich die Kollaboration mit den Achsemächten suchte und die polnische Seite bewusst nicht informierte. Im Bericht vom 17. Februar 1934 zeigte sich Karol Dubicz-Penther unzufrieden damit, dass Murs’kyj weiterhin für „seine Korrespondenz mit Warschau von einer Kinderverschlüsselung“9 Gebrauch mache. Am 12. November 1934 wurde Murs’kyjs Aktivität dann während einer Sitzung der polnischen Nachrichtendienstler Schaetzel, Charaszkiewicz, Dubicz-Penther und einiger anderer kritisch analysiert. Im von Ksawery Zalewski verfassten Sitzungsprotokoll vom 5. Dezember 1934 wurde die kritische Haltung von Dubicz-Penther Murs’kyj gegenüber noch deutlicher. Dem Exilukrainer wurde nicht nur Inaktivität, sondern auch fehlende Loyalität dem polnischen Staat gegenüber vorgeworfen.10 Dubicz-Penthers teils polemische Argumentation, wie z. B. die Aussage, dass die Kinder Murs’kyjs, die größtenteils in Istanbul sozialisiert wurden und außerdem in einem ukrainischen Haushalt lebten, kein Polnisch beherrschen würden, zeigte die Voreingenommenheit seines Standpunkts. Darauf machte z. B. Charaszkiewicz die Anwesenden aufmerksam.11 Auch Dubicz-Penthers Aussage, Murs’kyj habe ihn über die Reise der Funktionäre der OUN nach Istanbul nicht informiert, wurde wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber Murs’kyj wenig beachtet. Es war allerdings durchaus möglich, dass Murs’kyj in Absprache mit den ukrainischen Prometheisten handelte. Diese unterhielten Kontakte zu anderen polenkritischen exilukrainischen Gruppierungen wie der OUN und auch zu den AchsenmächMagomet M. Sunš (türkisch: Sunç, russisch: Sunšev) Girej (1884, Karačaj – 1960, Istanbul) war ein nordkaukasischer Aktivist. Geboren in eine karatschaische Familie, schloss er sich der lokalen Politik im Nordkaukasus noch vor der russischen Revolution an. 1917 war er Mitglied des Karatschaj-Tscherkessischen Nationalrates und nach der Eroberung des Nordkaukasus durch die Bolschewiki wanderte er nach Georgien aus. Nach der Sowjetisierung Georgiens lebte er im Exil in Frankeich und in der Türkei. 9 N 91. 1934, 17 lutego, Konstantynopol. Roczne sprawozdanie Karola Dubicza Penthera z prac na odcinku narodowościowym na terenie Turcji za okres 1933 r., in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 290. 10 N 99. 1934, 5 grudnia. Protokoły z konferencji u Tadeusza Schaetzla z 12 listopada 1934 w sprawie ogólnego stanu sprawy prometejskiej i wytyczne Tadeusza Schaetzla do pracy prometejskiej, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 310. 11 Ebenda, S. 312. 8
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ten. Das könnte der Grund dafür gewesen sein, dass Murs’kyj die polnische Seite über den Besuch der OUN in Istanbul nicht informierte und direkt nach japanischer und deutscher Unterstützung suchte. Die Situation in der ukrainischen politischen Exilantengemeinschaft war kompliziert. Die Strategien und die außenpolitischen Orientierungen veränderten sich aufgrund der politischen Heterogenität in der Gruppe. Der deutsche Ukraine-Kenner Frank Golczewski schreibt: „Petljura hatte auf die Entente und Polen gesetzt, gegenüber den Deutschen hatte er eher potentielle Vorbehalte. Andere UNR-Politiker sahen aber in den Deutschen eher potentielle Verbündete. Zu ihnen gehörten Smal’-Stoćkyj, Prokopovyč sowie die Livyćkyj.“12 Zu engeren Kontakten kam es ab 1935–36. Golczewski schilderte in seiner Monographie zu den ukrainisch-deutschen Wechselbeziehungen das „UNR-Angebot“, in dessen Rahmen der exilukrainische Journalist und Publizist Mykola Troc’kyj13 eine prominente Rolle spielte. Während Troc’kyjs Besuchs im Außenpolitischen Amt (ApA) der NSDAP am 21. Oktober 1935, so beschreibt es Golczewski, „biederte [er, Z. G.] sich den Deutschen an [….]. Als zukunftsträchtige Kooperationspartner bot er dem ApA daher die UNR anstelle der Het’man-Anhänger und der OUN an, gegen deren Terror er sich ebenso ausdrücklich aussprach wie gegen eine westukrainische Unabhängigkeit im Sinne Petruševyčs.“14 Neben Troc’kyj erwähnte Golczewski auch den Herausgeber der ukrainischen prometheistischen Zeitung „Tryzub“ in Paris, der ebenfalls Kontakt zum deutschen Establishment suchte. Es handelte sich um Symon Nečaj, der neben der Herausgabe des „Tryzub“ auch noch exilukrainischer Propagandaminister war. Ende Januar 1936 interagierte er mit dem Außenpolitischen Amt der NSDAP und versuchte „Deutschland zur Mitarbeit in der Prometheus-Bewegung zu bewegen.“15 Im Frühling 1935 reiste der ukrainische Prometheist Michail Eremiev, der seit Längerem in Paris die polnischerseits finanzierte Nachrichtenagentur „Office d’Informations“ (Ofinor) betrieb, in Absprache mit der polnischen Seite nach Genf und Rom.16 In Genf sollte er die bereits seit den 1920er Jahren bestehenden Kontakte zur „Journal
Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn u. a. 2010, S. 729. Mykola Troc’kyj (1883–1971) war ein ukrainischer Publizist, Autor und Diplomat. Geboren in einer kleinen Ortschaft in Wolhynien, schloss er sich der „Union zur Befreiung der Ukraine“ (SVU) an. Im Bereich Pressearbeit und Propaganda blieb Troc’kyj auch nach dem Ersten Weltkrieg tätig. Bis 1922 arbeitete er als ukrainischer Botschaftssekretär in Wien. Er veröffentlichte vor allem in deutschsprachigen Medien und schrieb zur aktuellen Lage in der Ukraine. Zu Beginn der 1930er Jahre zog er nach Genf und arbeitete eng mit dem prometheistischen „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ zusammen. Oft bediente er sich der Pseudonyme M. Dan’ko oder M. Bradovič. 14 Frank Golczewski, Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn u. a. 2010, S. 731. 15 Ebenda, S. 734. 16 N 104. 1935, 29 maja. Informacja o działalności filii Agencji Prasowej „Ofinor“ w Genewie i Rzymie oraz o podróży inspekcyjnej dyrektora Agencji – Michała Jeremijewa, do Szwajcarii i Włoch w dniach 11–22 III 1935 r., L. dz. 1105/II/2/35, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 324–326. 12 13
Memorandum von Volodymyr Murs’kyj
de Génève“ ausbauen und mehr Platz für die „Ofinor“-Mitteilungen auf den Seiten wichtiger Genfer Zeitungen bekommen. Während seines Besuchs in der Schweiz traf Eremiev sich nicht nur mit den Redaktionsmitgliedern der „Journal de Génève“, Jean Martin und Pierre E. Briquet, sondern auch mit Wilhelm Schaer, einem deutschen Journalisten und Herausgeber der deutschsprachigen Genfer Zeitschrift „Völkerbund“. Dem Bericht Eremievs nach interessierte sich Schaer sehr für die prometheistischen Aktivitäten der Ukrainer. Auf noch mehr Interesse an den prometheistischen Netzwerken traf Eremiev in Rom. In der italienischen Hauptstadt hatte „Ofinor“ bereits eine Vertretung, die von Lauro Mainardi17, einem aktiven Publizisten, Übersetzer und italienischen Osteuropa-Experten geleitet wurde. Über Mainardi nahm die exilukrainische Nachrichtenagentur Kontakt zu zahlreichen italienischen Zeitungen auf und belieferte sie regelmäßig mit UdSSR-bezogenen Informationen. Vermutlich über die Vermittlung Mainardis traf sich Eremiev mit italienischen Politikern wie Pietro Quaroni von der Abteilung Ost im italienischen Außenministerium und einem Camelo Rapicoli. Nach dieser zehntägigen Reise in die Schweiz und Italien schickte Eremiev einen detaillierten Bericht an die polnische Zentrale und schien sein Ziel, für die prometheistische Sache in der Schweiz und Italien zu werben, soweit erreicht zu haben. Ähnlich verhielt sich der nordkaukasische Prometheist Magomet Sunš Girej, der im Juni 1935 mit ähnlichem Auftrag nach Berlin fuhr.18 Während seiner zweitägigen Reise traf er sich mit dem Antikomintern-Chef Dr. Adolf Ehrt19, mit dessen Mitarbeiter Deringer, mit Dr. Meier-Heidenhagen vom Propaganda-Ministerium und einem Lauro Mainardi (?-?) war ein italienischer Aktivist und Osteuropaexperte, der im Laufe des Zweiten Weltkriegs zu einem überzeugten Ideologen des italienischen Faschismus wurde. Mainardi leitete das „Archivio storico die movimenti separatisti, irredentisti e revisionisti“ und unterhielt intensive Kontakte zu den in Italien lebenden Emigranten aus dem Kaukasus und der Ukraine. Seine Schriften in den 1930er Jahren waren größtenteils der Ukraine, ihrer Kultur und Literatur gewidmet. 1933 veröffentlichte er die zusammen mit der exilukrainischen Intellektuellen Mlada Lipovec’ka vorbereitete Übersetzung der Dichtung Ševčenkos. Diese Abhandlung (Taras Scevcenko: il Bardo dell’Ucraina), wie auch seine Monographie über Semjon Petljura (Simone Petliura: eroe e martire dell’Ucraina) erschienen in dem von Mainardi gegründeten Verlag „Noi e l’Ucraina“ (Via Famagosta 45, Rom) 1933 und 1935 in Rom. Es ist klar, dass Mainardi nicht nur faschistische Ansichten teilte, sondern zumindest nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine deutliche Nähe zum deutschen Nationalsozialismus zeigte – 1941 erschien seine Abhandlung „Nazionalita e spazi vitali“ in Rom. Er wandte sich von jeglicher Zusammenarbeit mit den Vertretern ‚prometheistischer Nationen‘ ab. 1939 gründete er die Reihe HIM (Historia Imperii Mediterranei), die sich explizit dem Themennexus Armenier und Arier widmete. Mainardi ließ die Werke der nationalsozialistischen Verfechter der arischen Theorie in Bezug auf die Armenier, wie z. B. die Monographie des deutschen Iranisten und Religionshistorikers Hans Heinrich Schaeder „Armeni ariani“ (1939, usprünglich 1934 erschienen) und die von Johann von Leers „Armeni ed Arii“ in italienischer Übersetzung veröffentlichen und schrieb selbst die Abhandlungen „Erivan contro Mosca“ und „Un’altra vittima dei franco-inglesi: l’Armenia“, die 1941 erschienen. Mehr dazu siehe Stefano Riccioni: Armenian Art and Culture from the Pages of the Historia Imperii Mediterranei, in: Venezia Arti 27/27 (Dezember 2018), S. 119–130. 18 N 106. 1935, 28 czerwca, Paryż. Sprawozdanie Mahometa Sunsz Gireja z wyjazdu do Berlina, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 327–329. 19 Adolf Ehrt (1902, Saratov – 1975, München) war ein deutscher Antikommunist und Soziologe. Geboren in Saratov in eine deutschsprachige mennonitische Familie, entfaltete sich Ehrt als einer der prominentes17
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Deutschen „aus der Ukraine, der Russisch mit einem starken ukrainischen Akzent sprach“, Dr. Georg Leibbrandt20 vom Außenpolitischen Amt. Girej zufolge stellten die deutschen Gesprächspartner zahlreiche Fragen zum Funktionieren der prometheistischen Netzwerke, zur kaukasischen Emigration und zu den Kontakten der Prometheisten nach Japan. Girej resümierte, dass sich die deutschen Behörden sehr intensiv mit der Nationalitätenfrage der UdSSR befassten, mehr über die prometheistischen Aktivitäten erfahren wollten und darüber hinaus den Wunsch äußerten, dass die nordkaukasischen Prometheisten ähnlich wie die Ukrainer, Tataren und Aserbaidschaner in Berlin vertreten sein sollten, da die deutsche Seite viel zu wenig über den Nordkaukasus informiert sei. Er bat die polnische Seite, über die Kandidatur eines möglichen Vertreters der Nordkaukasier in Berlin nachzudenken.21 Dasselbe Ziel schien auch der krimtatarische Aktivist Cafer Seydahmet verfolgt zu haben, als er im September 1935 nach Berlin aufbrach. In einem Brief vom 3. Oktober 1935, den Seydahmet an den polnischen Nachrichtendienst schickte, beschrieb er seine Kontaktpersonen in Berlin sowie kurz die Inhalte der Treffen. Er habe Gespräche zur Gründung des Turko-Tatarischen Instituts mit den deutschen Akademikern, wie z. B. mit dem Slawisten Dr. Anton Palme22, dem Orientalisten Dr. von Mende und dem Ministerialrat von Kursell23 geführt. Es war von Kursell, der Seydahmet erklärte, dass man eine propagandistische Arbeit in Deutschland viel effektiver betreiben könnte, wenn diese im Rahmen einer wissenschaftlichen Tätigkeit geschehe. Seydahmet wies darauf hin, dass sich seine deutschen Gesprächspartner einig waren, dass Deutschland die Idee des ‚unteilbaren Russlands‘ nicht teile und dass von Mende mit dem Ministerialrat von Kursell zusammenarbeite und den Ministerialrat über alle Angelegenheiten informiere. Die weiteren Gesprächspartner Seydahmets in Berlin waren Ehrt und auch Leibbrandt. Der Haupteindruck, den Seydahmet der polnischen Seite von seiner Berlinreise mitteilte, war die Feststellung, dass Berlin noch keinen klar definitierten „Handlungsplan in Bezug auf Russland“ habe. „Alle sind sich jedoch einig, dass die Nationalitätenfrage in Russland eine wichtige Rolle spielt. Alle messen in diesem Kon-
ten Marxismus-, Bolschewismus- und Kommunismuskritiker in der Weimarer Republik wie auch während der NS-Zeit. Er leitete die Organisation Antikomintern. 20 Georg Leibbrandt (1899, bei Odessa – 1982, Bonn) war ein deutscher Russlandexperte und NSDAPFunktionär. Geboren in Odessa, studierte und promovierte Leibbrandt in Leipzig. Von 1933 bis 1941 war er Leiter der Abteilung Naher Osten bzw. Ost im Außenpolitischen Amt der NSDAP. 21 N 106. 1935, 28 czerwca, Paryż. Sprawozdanie Mahometa Sunsz Gireja z wyjazdu do Berlina, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 329. 22 Anton Palme (1872–1943) war Russisch-Lektor in Berlin und Autor von zahlreichen Lehrmitteln zum Spracherwerb des Russischen. In den 1930er Jahren widmete er sich der Ukraine-Forschung und war im exilukrainischen Milieu Berlins aktiv. Mehr zu Palme siehe O. Feyl: Der Berliner „Verein zur Pflege des Studiums der russischen Kultur“ (1903–1917/18), in: Zeitschrift für Slawistik 24 (1979), S. 186–191. 23 Es handelte sich vermutlich um SS Obersturmbannführer Otto von Kursell (1884–1967). Der gebürtige Petersburger gehörte bereits seit 1922 der NSDAP sowie der deutschbaltischen Studentenverbindung „Corps Rubonia“ an.
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text der turko-tatarischen Welt große Aufmerksamkeit bei und wollen mehr von ihr wissen“24, schlussfolgerte er. Während Leibbrandt und Ehrt die deutschen Kontaktpersonen der Prometheisten waren, nahmen die Krim-, Kasantataren, Aserbaidschaner und Turkestaner darüber hinaus zu den deutschen Orientalisten wie von Mende und Jäschke und die Ukrainer zu Slawisten und Osteuropa-Historikern Kontakt auf. Als Mykola Troc’kyj 1937 das deutsche Visum beantragte, gab er neben Ehrt und Leibbrandt auch den deutschen Osteuropa-Historiker und Mitherausgeber der Zeitschrift „Osteuropa“, Werner Markert, als Referenzperson an.25 Die Details der Berichterstattung Cafer Seydahmets an Warschau deuten darauf hin, dass hinsichtlich seiner Deutschlandreise Vorabsprachen getroffen worden waren. Ebenso war Golczewski davon überzeugt, dass die UNR-Initiative, und somit das Verhalten der ukrainischen Prometheisten in Bezug auf Deutschland „mit der polnischen Regierung abgesprochen“26 worden war und Warschau die Zulassung der prometheistischen Propaganda in den deutschen Medien erhoffte. Nichtsdestotrotz entfalteten sich die prometheistisch-deutschen Interaktionen mit einer eigenen Dynamik, die die Polen zwar teils mitbestimmten, jedoch nicht immer kontrollieren konnten. 7.2
Rüstembeyli versus Rasulzade
Durch die sowjetische Unterwanderung des Exilantenmilieus sowie durch persönliche Rivalitäten kam es Mitte der 1930er Jahre zur Zuspitzung der bestehenden Konflikte zwischen unterschiedlichen Strömungen der Exilanten-Gruppen. Exemplarisch kann an dieser Stelle das im Jahr 1935 in Istanbul erschienene Büchlein des aserbaidschanischen Emigranten Şefi Rüstembeyli (1893–1960) über den „Tragischen Fall M. E. Rasulzades“27 angeführt werden, das den Höhepunkt einer jahrelang ausgetragenen Rivalität darstellte. Gebürtig aus Gandscha studierte Şefi Rüstembeyli (damals Rustambekov) Jura an der Universität Kiew. Von 1918 bis 1920 war er zusammen mit Džejchun Gadžibejli Chefredakteur zweier Zeitungen, beides offizielle Presseorgane der aserbaidschanischen Regierung. Nach der Sowjetisierung Aserbaidschans 1920 emigrierte Rüstembeyli nach Tiflis und nach der Eroberung Georgiens durch die Rote Armee zog er nach Istanbul.28 Bei seinem Büchlein von 1935 handelte es sich um N 110. 1935, 3 października. List Dżafera Sejdameta w sprawie jego wyjazdu do Berlina i notatka Ekspozytury 2 na ten temat, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 342–343. 25 Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn u. a. 2010, S. 372. 26 Ebenda, S. 735. 27 Vgl. Şefi Rüstembeyli: M. E. Resulzadenin feci sukutu, Istanbul 1935. 28 Vgl. Rüstəmbəyli, Şəfi bəy Mustafa oğlu, in: Azərbaycan Xalq Cümhuriyyəti Ensiklopediyası, 2. Bd., Baku 2005, S. 317–318. 24
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eine Antwort auf eine Broschüre29, die Rasulzade ein Jahr zuvor, ebenfalls in Istanbul, veröffentlicht und darin Rüstembeyli scharf kritisiert hatte. Rüstembeyli, der seit der Gründung 1911 und auch im Exil der Partei Müsavat angehörte, zeigte sich seit Ende der 1920er Jahre mit dem Führungsstil Rasulzades als Parteivorsitzenden unzufrieden. Dieser Streit innerhalb der exilaserbaidschanischen Müsavat-Kreise, der 1934 und 1935 seinen Höhepunkt erreichte, hatte somit eine längere Vorgeschichte. Bereits am 16. Januar 1929 berichtete Rasulzade an den polnischen Nachrichtendienstler Tadeusz Schaetzel: „Ch.[alil] B.[ek] Chasmamedov30 und Ş.[efi] Rustambekov haben den falschen Pfad der Intrigen und der Erpressung betreten, indem sie sich deutlich gegen die Partei gestellt haben.“31 In den Berichten von 1930 wurde der polnische Geheimdienst von seinen Informanten darüber informiert, dass die Bolschewiki intensiv versuchten, die kaukasischen Emigranten, die in Opposition zu den prometheistischen Netzwerken standen, anzuwerben mit dem Ziel „vereinte Organisationen wie das Kaukasische Komitee oder den ‚Prometheus-Klub‘ zu schaffen, um die genuinen nationalen Organisationen zu diskreditieren“32. Dass Rüstembeyli zu diesem Zeitpunkt mit dem sowjetischen Nachrichtendienst zusammenarbeitete, war in Warschau bekannt. Auch Rasulzade und seine Umgebung vermuteten dies. Rasulzade erklärte damit seinen Vorschlag, sowohl Chasmamedov als auch Rüstembeyli aus der Müsavat auszuschließen. Er schrieb Schaetzel, dass der erzwungene Ausschluss Rüstembeylis aus der politischen Arbeit keineswegs die Arbeit der Müsavat und der prometheistischen Netzwerke stören oder behindern würde. Vermutlich auf polnische Initiative hin wurde dieser Schritt allerdings vertagt. Es war zwar Rasulzade gewesen, der im Laufe der 1920er Jahre, und dann zu Beginn der 1930er Jahre, nach der Auswanderung nach Polen ein beachtlich gut und intakt funktionierendes Netzwerk der Müsavat-Partei auf die Beine stellen konnte. Rüstembeyli hatte jedoch gute Kontakte in der Türkei, wo Rasulzade selbst seit 1929 nicht arbeiten durfte, was ein ausschlaggebender Grund für die Entscheidung gegen den Ausschluss gewesen sein könnte.
M. Resulzade: Şefibeycilik; bozğunçu Şefi Beyin neşriyat ve ifşaatı dolayisile efkâri umumiyeyi tenvir, Istanbul 1934. 30 Chalil Chasmamedov (1873, Gandscha – 1947, Istanbul) besuchte das Gymnasium in Gandscha und studierte dann Jura in St. Petersburg. Danach war Chasmamedov als Rechtsanwalt im Kaukasus tätig. 1907 wurde er zum Duma-Abgeordneten gewählt. Während der Unabhängigkeitsperiode bekleidete er u. a. das Amt des Justizministers. Kurz vor der Sowjetisierung der Republik wurde Chasmamedov zum aserbaidschanischen Botschafter in der Türkei ernannt, sodass er den Fall der Republik am 28. April 1920 von Istanbul aus beobachtete. Mehr dazu Xasməmmədov, Xəlil bəy Hacıbala oğlu, in: Azərbaycan Xalq Cümhuriyyəti Ensiklopediyası, 2. Bd., Baku 2005, S. 18–20. 31 Pis’mo M.Ė. Rasulzade T. Šetcelju. 16. Janvarja 1929 g., zitiert nach: Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii. Sbornik dokumentov, proizvedenij, pisem, hg. von Ischakov, Moskau 2011, S. 33. 32 Dieser Bericht entstammte den Beobachtungen vom kaukasischen Ball-Abend, der am 31. Mai 1930 in Paris veranstaltet wurde. Po povodu odnogo jubileja, in: Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii, hg. von Ischakov, Moskau 2011, S. 47. 29
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Am 12. Januar 1933 verschickte die von Rasulzade redigierte Berliner Zeitung „Istiklal“33 einen Rundbrief an die kaukasischen Politemigranten mit einem Fragebogen, der nach den Vorstellungen fragte, wie konkret die zukünftige Kaukasische Konföderation auszusehen und zu funktionieren hatte.34 Gleich zwei Monate später erhielt Rasulzade eine detaillierte Antwort von Topčibaši aus Paris, in der dieser seine Stellungnahme zum Fragebogen sowie seine absolute Zustimmung zur Idee der Kaukasischen Konföderation, die von Rasulzade eifrig vertreten wurde, zum Ausdruck brachte.35 Der Istanbuler Flügel um Rüstembeyli und seine Mitstreiter konnten somit nicht mit der Parteinahme Topčibašis rechnen. In einem Fragebogen, den Rasulzade am 21. März 1933 in Warschau für den polnischen Geheimdienst ausfüllte, stellte er das „Aserbaidschanische Nationalzentrum“ als Vertretung der prometheistischen Netzwerke und der Müsavat-Partei im Detail vor: Die Mitglieder des Zentrums sitzen an drei Standorten Europas: Warschau, Istanbul und Paris. Formal ist der Sitz des Zentrums in Istanbul. Faktisch jedoch befindet sich der Vorsitzende des Nationalzentrums in Warschau […]. Das Exekutivkomitee, das aus drei Personen besteht, trifft sich regelmäßig.36
Sowohl Chasmamedov als auch Rüstembeyli wurden immer noch als Mitglieder der Partei Müsavat geführt, wenn auch nicht als Vertreter des Nationalzentrums von Rasulzade erwähnt.37 Gleichzeitig verdeutlichte er, dass Warschau der Hauptsitz werden sollte und er als Vorsitzender die zentrale Rolle für die Arbeit der Prometheisten spielen würde. Er diente sich den Polen somit als wichtigster Verbindungsmann zu den aserbaidschanischen Exilanten an. Trotz der oben zitierten Briefe aus dem Frühjahr 1929 kam es aber erst 1934 zu einem offenen Konflikt. Sowohl Chasmamedov als auch Rasulzade beeilten sich, den polnischen Botschafter in der Türkei aufzusuchen und ihn von der Richtigkeit des jeweils eigenen Standpunktes zu überzeugen. Schließlich ging es nicht nur um die politischen Differenzen, sondern auch um eine persönliche Rivalität innerhalb der Müsa-
Die Zeitschrift „Istiklâl. L’Indépendence. Organe de défense nationale d’A zerbaidjan“ erschien zehntägig. Der Sitz der Redaktion war Berlin Charlottenburg 2. Unter den aktiven Autoren waren u. a. Hilal Münschi, Mirza Bala Mehmetzade, Hüseyin Kulizade und Sami Cemal (Ankara). In Istanbul konnte man die Zeitung am Kiosk „Azerbaycan kırtasiye“ des aserbaischanischen Exilanten A. Kâzımzade im Stadtviertel Beyazıt in der Nähe der Universität Istanbul kaufen sowie abonnieren. 34 Pis’mo predsedatelja Azerbajdžanskogo nacional’nogo centra M.Ė. Rasulzade k kavkazskim politėmigrantam. 12. Januar 1933, Warschau, in: Kavkazskaja Konfederacija v oficial’nych deklaracijach, tajnoj perepiske i sekretnych dokumentach dviženija „Prometej“. Sbornik dokumentov, hg. von Georgij Mamulia, Moskau 2012, S. 88–89. 35 Kavkazskaja Konfederacija v oficial’nych deklaracijach, tajnoj perepiske i sekretnych dokumentach dviženija „Prometej“. Sbornik dokumentov, hg. von Mamulia, Moskau 2012, S. 90–91. 36 Anketa „Azerbajdžanskij nacional’nyj centr“, zapolnennaja M.Ė. Rasulzade, in: Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii, hg. von Ischakov, Moskau 2011, S. 59. 37 Ebenda, S. 60. 33
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vat-Partei, da sie zu dieser Zeit nur außerhalb Aserbaidschans aktiv sein konnten und dringend die finanzielle Unterstützung benötigten, die hauptsächlich aus polnischen Quellen stammte. Am 25. März 1934 schrieb Chasmamedov an den polnischen Diplomaten und Leiter der polnischen Residentur in Istanbul zwischen 1933 und 1937, Karol Dubicz-Penther (1892–1945), über seine Enttäuschung „hinsichtlich der Intrigen von denjenigen, die Vertrauen und Respekt der aserbaidschanischen Emigration verloren haben“ und Warschau zum „Instrument des persönlichen Kampfes und der Rache an Andersdenkenden“ machten.38 1934 schließlich wurde die Mitgliedschaft Rüstembeylis in der Müsavat-Partei aufgehoben. Rasulzade konnte somit den Streit gegen Rüstembeyli auch in Warschau für sich entscheiden, was eine antiprometheistische und antipolnische Rhetorik Rüstembeylis zur Folge hatte. In seinem Büchlein behauptete er nun, dass Rasulzade für einen ausländischen Geheimdienst arbeite und deutete dabei auf Warschau hin. Im Weiteren wies Rüstembeyli darauf hin, dass Rasulzade zu Beginn der 1900er Jahre aktiv mit den russischen Sozialisten zusammengearbeitet hätte. Darüber hinaus behauptete Rüstembeyli, dass Rasulzade „mit armenischem Geld im Iran eine Zeitung gegründet“39 und mit deren Hilfe „die arische (sic!) Ideologie“40 verbreitet habe. Rasulzade habe bereits während seines zweiten Türkeiaufenthaltes in den 1920er Jahren Finanzhilfe von außen bekommen und daher im besten Viertel Istanbuls, in Beyoğlu, gewohnt. „Auch das schien ihm zu wenig und so ging er nach Europa,“ schrieb Rüstembeyli und fügte hinzu: […] heute geht es ihm nicht um das Türkentum und den Turan, sondern um die Kollaboration und den Prometheismus (Prometecilik). Seine wahren Freunde sind georgische Sozialisten, armenische Daschnaken; die Ukraine und Kosaken wurden zu seinen natürlichen Verbündeten.41
An dieser Stelle wird deutlich, dass es Rüstembeyli darum ging, die Autorität Rasulzades in den Augen der in der Türkei ansässigen aserbaidschanischen Emigranten und der türkischen Politiker in Frage zu stellen. Rüstembeyli forderte Rasulzade in seiner Broschüre auf, sich vor Gericht zu stellen und schlug sogar eine Richterkommission
Pis’mo Ch. Chasmamedova K. Dubiču, in: Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii, hg. von Ischakov, Moskau 2011, S. 107. 39 Şefi Rüstembeyli: M. E. Resulzadenin feci sukutu, Istanbul 1935, S. 12. 40 Ebenda. 41 Ebenda, S. 14. 38
Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris
vor, die aus Kotsef Bey Pşimaho42 und Sultan Vekilli bestehen sollte.43 Dass Rüstembeyli gerade diese zwei Exilanten vorschlug, war kein Zufall. Kotsef arbeitete eng mit dem anti-prometheistischen und NSDAP-freundlichen Kreis um Gejdar Bammat in Paris zusammen und stand somit in offener Opposition zu den Prometheisten. Dasselbe galt für Sultan Vekilli (Vekilov). Rüstembeyli wie auch Kotsef kannten Bammat noch aus der Zeit enger Zusammenarbeit im zaristischen Kaukasus. Er war wie Kotsef Absolvent der Jura-Fakultät der Universität St. Petersburg. Regelmäßig schrieben sie für die von Bammat in Paris gegründete Zeitschrift „Kavkaz“, die in mehreren Sprachen erschien und hauptsächlich gegen die prometheistischen Medien polemisierte. „Kavkaz“ war schließlich auch eine Plattform, auf der der Streit zwischen Rasulzade und Rüstembeyli ausgetragen wurde. 7.3
Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris
Es waren nicht nur sowjetische und exilrussische Stimmen, die sich gegen die Prometheisten wandten, sondern auch die exilkaukasischen Gruppen wie die um Gejdar Bammat. Das erste Heft der russischsprachigen Zeitschrift „Kavkaz (Le Caucase). Organ nezavisimoj nacional’noj mysli [Organ des unabhängigen Nationalgedankens]“ erschien Anfang Januar 1934. „Unsere Grundaufgabe ist der Kampf für die politische Unabhängigkeit der Bergler des Kaukasus in der Zusammensetzung der Kaukasischen Konföderation, die auch Aserbaidschan, Armenien und Georgien umfasst“44, hieß es im Editorial. Die Redaktion distanzierte sich bewusst vom Marxismus und von der Zweiten Internationale. Den Beziehungen mit Persien und vor allem auch mit der Türkei schenkte die Zeitschrift – ähnlich wie die prometheistischen Medien – große Aufmerksamkeit. „Diese Zeitschrift hoffen wir in naher Zukunft auch auf Französisch und Türkisch zu drucken. Wir halten die Propaganda unserer Ideen in der Türkei für äußerst wichtig. Türkisch benutzen auch viele unserer Landsleute, die in der Türkei, Ägypten, Syrien und Transjordanien verstreut sind.“45 Im programmatischen Aufsatz „Unsere Aufgaben“ betonte Bammat erneut die Wichtigkeit guter nachbarschaftlicher
Pşimaho Kotsef (Kotse) (1887, Kabarda, Zarenreich – 1962, Istanbul) studierte Orientalistik und Jura an der Universität St. Petersburg und arbeitete bis zum Zusammenbruch des Zarenreiches als Rechtsanwalt im Nordkaukasus. 1917–1918 war Kotsef aktiv in der Politik der Unabhängigen Republik der Bergler. Die Niederwerfung der nordkaukasischen Staatlichkeit durch die Weißen, und später durch die Rotarmisten, hatte die Auswanderung Kotsefs in die Türkei zur Folge. Kotsef arbeitete eng mit dem Kreis um Gejdar Bammat in Paris zusammen und stand somit in Opposition zu den Prometheisten. http://www.kafkasevi. com/index.php/whoswho/detail/3648 (Zugriffsdatum: 27.04.2021). Mehr dazu bei Sefer Ersin Berzeg: Kafkas Diasporasında Edebiyatçılar ve Yazarlar Sözlüğü, Samsun 1985. 43 Şefi Rüstembeyli: M. E. Resulzadenin feci sukutu, Istanbul 1935, S. 29. 44 Editorial, in: Kavkaz 1 ( Januar 1934), S. 1. 45 Ebenda, S. 2. 42
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Beziehungen zwischen dem Kaukasus und Persien sowie der Türkei. Während die Freundschaftsrhetorik in Bezug auf die Türkei der „Kavkaz“-Gruppe und den Prometheisten gemeinsam war, tauchten die Ukraine und Polen im Diskurs Bammats und seiner Anhänger nicht auf. Neben einem Beitrag Bammats wurden im ersten Heft unter anderem Artikel des in Paris ansässigen aserbaidschanischen Exilanten Džejchun Gadžibejli, „Die Bergrepublik und Aserbaidschan“46, und des georgischen Emigranten Spiridon Kedia, „Für den Kaukasus“47, abgedruckt. Im Aprilheft 1934 druckte „Kavkaz“ einen Brief Rüstembeylis und seiner Mitstreiter, Chalil Chasmamedov und Selim Agasibeyli, ab.48 Hierin berichteten sie von einem Kongress der Müsavat-Partei, den Rüstembeyli im Dezember 1933 in der Türkei eigenverantwortlich organisiert hatte und der angeblich Mamed Emin Rasulzade scharf verurteilt, und ihn vom Amt des Parteivorsitzenden entlassen habe. Es wurde jedoch nicht präzisiert, wer Rasulzade demnach abgelöst habe.49 Im Mai druckte „Kavkaz“ die Reaktion Rasulzades auf diesen, aus seiner Sicht illegitimen Kongress sowie auf Rüstembeylis Brief ab, der Rasulzade der Intrigen und Lügen bezichtigte.50 Auch ein gemeinsamer Brief von Rasulzades Mitstreitern51 zu seiner Unterstützung wurde in dieser Ausgabe veröffentlicht. In derselben Rubrik publizierte „Kavkaz“ einen neuen Brief von Chasmamedov und Rüstembeyli sowie die Stellungnahme von Alikber Ağa Şeyx-ul-İslamzade und Džejchun Gadžibejli, die Rasulzade kritisierten und die Position Rüstembeylis verteidigten. Im Juli 1934 veröffentlichte „Kavkaz“ weitere ‚offene‘ Briefe Rüstembeylis und Agasibeylis an Rasulzade. Rüstembeyli warf Rasulzade unter anderem „Finanzmissbrauch“52 in den Parteiangelegenheiten vor und bezog sich auf seine kurz davor erschienene Schrift „Gefallene Götzen“53. Auch der Brief Agasibeylis enthielt Kritik an Rasulzade. Interessanterweise bezog auch die Redaktion von „Kavkaz“ Stellung in dieser Debatte zwischen den beiden Gruppen aserbaidschanischer Emigranten und unterstützte Rüstembeyli in seiner Argumentation. Rasulzade warf daraufhin „Kavkaz“, und somit indirekt auch Bammat, ideologische Nähe zur Gruppe Rüstembeylis und dementsprechend Voreingenommenheit vor.54
D[žejchun] Gadžibejli: Gorskaja respublika i Azerbajdžan, in: Kavkaz 1 ( Januar 1934), S. 5–6. Sp[iridon] Kedia: Za Kavkaz, in: Kavkaz 1 ( Januar 1934), S. 7–9. Soobščenie partii „Musavat“, in: Kavkaz 4 (April 1934), S. 22. Ebenda. Der Brief Rasulzades wurde mit dem Datum 3. Mai 1934 versehen. Pis’ma v redakciju, in: Kavkaz 5 (Mai 1934), S. 20. 51 Dazu gehörten: Mustafa Vekilli, Mirza Bala, Ali Azertekin, Ahmed Caferoğlu, Hilal Münschi, Mehmed Ali Resulzade und Abbas Kuli Kazumzade. 52 Šafi Rustambejli: Otkrytoe pis’mo Š. Rustambejli M. Ė. beju Rasul’ Zade, in: Kavkaz 7 ( Juli 1934), S. 20. 53 Şefi Rüstembeyli: Yıkılan putlar. Mehmet Emin Resulzadenin Neşriyatına Cevap, Istanbul 1934. 54 Ot redakcii, in: Kavkaz 7 ( Juli 1934), S. 22–23. 46 47 48 49 50
Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris
Die Schrift Rüstembeylis „Gefallene Götzen“ ist aus mehreren Gründen interessant. Erstens ist auffallend, dass der Autor gleich auf der ersten Seite den nationalistischen türkischen Politiker der 1930er Jahre Mahmut Esat Bozkurt55 zitierte. Zweitens dementierte Rüstembeyli die Behauptung Rasulzades, er sei ein sowjetischer Agent, indem er Rasulzade selbst einer Zusammenarbeit mit den Sowjets vorwarf. Dabei argumentierte er damit, dass Rasulzade nach der Sowjetisierung Aserbaidschans eine Stelle in Moskau angeboten worden war und er dementsprechend nicht verfolgt würde.56 Und tatsächlich unterrichtete Rasulzade, bis zu seiner Flucht über Finnland nach Europa, Persisch am Institut für die Werktätigen des Ostens in Moskau. Dies lag jedoch daran, dass die Bolschewiki, die ohne Kämpfe und ohne auf Widerstand zu stoßen, die Republik Aserbaidschan am 28. April 1920 besetzt hatten, viele Müsavatisten in ihre Reihen aufnehmen wollten. Rasulzade, als ehemaliger Sozialist und Übersetzer von Maxim Gorkis „Mutter“, eignete sich dafür. Eine Zusammenarbeit Rasulzades mit den sowjetischen Behörden nach der Auswanderung erscheint allerdings eher unwahrscheinlich, da seine eigene Familie im sowjetischen Aserbaidschan Repressalien ausgesetzt war und er selbst zunehmend aktiv antikommunistische Agitation betrieb. Die Behauptungen Rüstembeylis und der „Kavkaz“-Redaktion zielten auf eine weitere Spaltung der Prometheisten ab. „Kavkaz“ nutzte den Streit innerhalb einer Emigranten-Community aus. Die Zeitschrift unterstützte Rüstembeyli und somit die Gegner der Prometheisten und versuchte durch eine entsprechende Darstellung des Konflikts, den Ruf der Prometheisten zu schädigen. Der Konflikt um die Führung innerhalb der aserbaidschanischen Exilantengruppe bestand nicht nur in der Rüstembeyli-Rasulzade-Kontroverse und somit in der Spannung zwischen dem Warschauer und dem Istanbuler Büro der Müsavat, sondern weitete sich auch nach Paris aus. Auch die Beziehungen zwischen dem seit den frühen 1920er Jahren in Paris ansässigen A. Mardan Topčibaši und Rasulzade verschlechterten sich allmählich. Topčibaši, als mehrfacher Duma-Abgeordneter der muslimischen Fraktion und Vertreter einer älteren Generation, genoss Popularität unter den aserbaidschanischen wie auch den russischen und turkestanischen Emigranten, weshalb er hoffte, von den Polen als wichtigste Schlüsselfigur der aserbaidschanischen Netzwerke unterstützt und finanziert zu werden. Die polnischen Geheimdienstler zweifelten allerdings an der Integrität Topčibašis. So hatte er beispielsweise einen Ball in Paris besucht, angeblich ohne sich bewusst zu sein, dass diesen viele armenische Exilanten, die ideologisch in der Nähe der russischen Monarchisten standen und somit Gegner der prometheistischen Ordnungsvorstellungen waren, besuchten.57 Zudem war Topčibaši als Adliger, Intellektueller und ehemaliger Politiker innerhalb des russophonen Paris anerkannt und konnte, fließend 55 56 57
Şefi Rüstembeyli: Yıkılan putlar, Istanbul 1934, S. 3. Ebenda, S. 36–37. Po povodu odnogo jubileja, in: Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii, hg. von Ischakov, Moskau 2011, S. 47.
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auf Französisch, gute Kontakte zu den französischen und Schweizer Politikern aufnehmen. Was ihm aber fehlte, waren Kontakte zur Türkei. Dazu kommt, dass es ihm an Erfahrung in Untergrundaktivitäten fehlte. Rasulzade dagegen, war – wenn auch ohne gute Französischkenntnisse – fließend in Türkisch, Persisch und Russisch und ein erfahrener Untergrundaktivist. Somit war er aus polnischer Sicht der geeignetere Kandidat, um die aserbaidschanische Exilantengruppe anzuführen, von polnischer Seite essentiell unterstützt zu werden und Kontakte zum Schlüsselland der prometheistischen Pläne, d. h. zur Türkei aufzunehmen und zu festigen. Während Rasulzade die Oberhand behielt, endete die Rivalität vor allem auch wegen der voranschreitenden Krankheit Topčibašis, der im November 1934 in Paris verstarb. Am 24. Juni 1935 wandte sich Rasulzade an einen der polnischen Hauptinitiatoren prometheistischer Aktivitäten, Edward Charaszkiewicz. Besorgt berichtete er über eine Mitteilung, die er durch den Mittler Major Dąmbrowski erhalten hatte, dass die polnische Seite die Auszahlung der Rente an die Familie des verstorbenen Topčibaši einstellen würde. „Diese Entscheidung versetzt uns in eine sehr komplizierte Lage“,58 schrieb Rasulzade. Wir verlieren die Möglichkeit, die Familie des Verstorbenen zu unterstützen, der einen bedeutenden Platz in unserer Nationalbewegung besass […]. Die Einstellung der Rente wird der bösartigen Opposition (zlostnaja oppozicija) einen Trumpf in die Hand geben, uns in der Öffentlichkeit zu provozieren […]. Nach einer gemeinsamen Besprechung mit Herrn Major kamen wir zur Entscheidung, den Sohn des Verstorbenen, A. Akper Topčibaši, zu beschäftigen […]. Wir beschlossen ihn zum Redakteur der avisierten russischsprachigen Zeitschrift zu ernennen […]59.
Warschau stimmte dem Vorschlag Rasulzades zu und sicherte die regelmäßige Zahlung der Rente an die Familienangehörigen des verstorbenen Topčibaši. Es gelang Rasulzade somit erneut, sich in den Augen der polnischen Behörden als Gallionsfigur der aserbaidschanischen Emigré-Community zu positionieren. Im Sommer 1936 konnte in Warschau der erste Parteitag der Müsavat abgehalten werden. Dies war tatsächlich der erste Kongress der Partei seit ihrer Auswanderung aus dem 1920 sowjetisch gewordenen Aserbaidschan. Die Beschlüsse der Parteiführung um Rasulzade wurden bestätigt und er konnte somit auch die innerparteilichen Widersprüche überwinden.60 Am 27. September nahm Rasulzade neben A. Čchenkeli von der georgischen und S. Šamil von der nordkaukasischen Emigrantengruppe an einer Sitzung des „Komitees Unabhängiger Kaukasus“ (KNK) teil, in der die Haltung der georgischen Emigrés zur Idee der Kaukasischen Konföderation geklärt werden sollte. Diesen Schritten folgte Pis’mo M.Ė. Rasulzade Ė. Charaškeviču, in: Iz istorii azerbajdžanskoj ėmigracii, hg. von Ischakov, Moskau 2011, S. 155. 59 Ebenda. 60 Zjazd Narodowej Partii Azerbejdżanu „Musawat“, in: Wschód 7/4 (1936), S. 58–59. 58
Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris
die festliche Unterzeichnung des Paktes der Kaukasischen Konföderation am 14. Juli 1934 in Brüssel. Der Text des Paktes wurde relativ zeitnah in den prometheistischen Medien, wie der Warschauer Zeitung „Wschód“, der Pariser „Tryzub“ und vor allem im „Prométhée“ präsentiert.61 Die Gruppe um Bammat kritisierte den Pakt scharf. Bereits im August-September-Heft schrieb Bammat vom „Raub der Ideen“62 seiner Mitstreiter durch die Prometheisten sowie vom „juristischen Analphabetentum und politischer Nichtigkeit“63 des Dokuments. Ein Mitstreiter Bammats, Michail Muschelišvili, bezeichnete die Unterzeichnung des Paktes als „trauriges Scheitern“ (priskorbnyj proval)64 der Prometheisten. Ein weiterer Mitstreiter Bammats, Džejchun Gadžibejli, richtete „Einige Worte an die Istiklaler“, indem er Rasulzades prometheistische Zeitschrift „Istiklal“ in Berlin und seine Autoren wegen deren Kritik am „Kavkaz“ sowie wegen des Brüsseler Paktes verurteilte.65 Im vorletzten Heft 1934 war die Kritik am Brüsseler Pakt das Hauptthema des „Kavkaz“. Zu Wort meldeten sich Michail Muschelišvili und Šalva Amiredžibi66 von der georgischen, sowie Chalil Chasmamedov und Alekber A. Şeyx-ul-İslamzade von der aserbaidschanischen Emigration. Im Gegensatz zu den Einheitsideen der Konföderation betonte Amiredžibi: „Georgien wartet auf eine Befreiung vom Moskauer Joch und vom Marxismus, jedoch kann man den Marxismus Lenins nicht mit dem Marxismus Žordanias, sondern durch den georgischen Nationalismus […] bekämpfen.“67 So blieb das Thema des Brüsseler Paktes auch im Frühjahr 1935 im Fokus der „Kavkaz“-Autoren.68 „Prométhée“, „Wschód“, „Tryzub“ und weitere prometheistische Zeitschriften argumentierten gegen die russischen monarchistischen und die sowjetischen Medien. Der Kreis um die Zeitschrift „Kavkaz“ dagegen setzte sich viel mehr mit den prometheistischen Medien als mit den sowjetischen Diskursen auseinander.
Gurdzistani [Pseudonym, bedeutet „Georgier“]: Z kroniki politycznej Wschodu. Pakt Konfederacji Kaukaskiej, in: Wschód 2-3-4 (1934), S. 169–171. Auch die pro-prometheistische Zeitschrift „Journal de Génève“ berichtete über den Abschluss des Paktes. 62 Gajdar Bammat: Pol’skoe obščestvennoe mnenie i kavkazskaja ėmigracija, in: Kavkaz 8–9 (August– September 1934), S. 7. 63 Gajdar Bammat: Ot Zamestitelja Predsedatelja Delegacii Respubliki Severnogo Kavkaza, in: Kavkaz 8–9 (August–September 1934), S. 23. 64 Michail Muschelišvili: Po povodu pakta kavkazskoj konfederacii, in: Kavkaz 8–9 (August–September 1934), S. 19. 65 Dž[ejchun]. G[adžibejli].: Neskol’ko slov „Istiglal’cam“, in: Kavkaz 8–9 (August–September 1934), S. 26–27. 66 Prinz Šalva Amiredžibi (1886, bei Gori – 1943, Paris) studierte an der Universität Wien und war um 1917 einer der Gründer der nationaldemokratischen Partei Georgiens. Nach der Niederschlagung des Aufstandes gegen die Bolschewiki im August 1924 verließ er Georgien und ließ sich in Europa nieder. Das Exilleben verbrachte Amiredžibi abwechselnd in Frankreich und Deutschland. 67 Š[alva] Amiredžibi: „Borcy“ za našu nezavisimost’, in: Kavkaz 10–11 (Oktober–November 1934), S. 11– 13. 68 Siehe den Beitrag von Muschelišvili: Kratkij analiz glavnych statej Kavkazskogo Pakta, in: Kavkaz 1 ( Januar 1935), S. 8–10. 61
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Mit der Zeit orientierten sich viele Prometheisten um. Während Rüstembeyli mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammenarbeitete, begannen andere mit Italien, und vor allem mit Deutschland zu kooperieren. Der Kreis um Bammat und seine Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris befand sich in einer immer deutlicheren Opposition zu den Prometheisten und ihren liberalen Vorstellungen. In Frankreich kooperierte die Gruppe „Kavkaz“ dementsprechend nicht mit dem Partner der Prometheisten, dem Komitee „France-Orient“, sondern mit der erzkonservativen und nationalistischen Organisation „Alliance Française“. Spiridon Kedia, der georgische Mitstreiter Bammats, trug z. B. in den Räumlichkeiten der „Alliance Française“ am 13. Mai 1934 zum Thema „Georgischer Nationalismus und seine nächsten Aufgaben“69 vor. Das Juniheft von „Kavkaz“ warb für die 1926 in Paris von Seiten der georgischen Emigranten Leo Kereselidze, Michail Cereteli und dem Fürsten G. Mačabelli gegründete Zeitschrift der georgischen Rechtsradikalen „Tetri Georgi“ [Der weiße Georg].70 Im Frühling 1935 informierte „Kavkaz“ mit Genugtuung über die erfolgte Vereinigung der „Gruppe der georgischen Neu-Sozialisten „Ornati“ und der georgischen faschistischen Partei „Tetri Giorgi“71 unter der Dachorganisation „Nationale Einheit““72. Desweiteren arbeitete das Denkkollektiv um Bammat mit den georgischen Nationalisten aus Berlin zusammen, die sich um die Zeitschrift „Klde“ [Fels] gruppierten. Die Gruppe „Kavkaz“ rezipierte die rechtsradikale Presse Frankreichs, Italiens und Deutschlands, wie z. B. das Organ der französischen Nationalisten „Je suis partout“ mit dem rechtskonservativen Historiker und Mitherausgeber dieser Zeitschrift, Pierre Gaxotte73, die Turiner Zeitung „Gazzetta del Popolo“ und das Parteiorgan der NSDAP „Völkischer Beobachter“. Im August 1934 veröffentlichte Bammat einen längeren Aufsatz als Antwort auf einen kritischen Brief des polnischen Intellektuellen Kalinowski, welcher der Zeitschrift „Kavkaz“ zersetzende Wirkung auf den Emigrantenkreis unterstellte.74 Bammat seinerseits gab den georgischen Prometheisten die Schuld, die sich dem Marxismus zugewandt hätten. Ähnlich wie Rüstembeyli, der die Zusammenarbeit Rasulzades mit den Bolschewiki in den frühen 1920er Jahren verurteilte, wies Bammat darauf hin, dass der georgische Menschewik Noj Žordania dem russischen Sozialismus eng verChronika. V Pariže. Doklad Sp. Kedija, in: Kavkaz 5 (Mai 1934), S. 23. „Tetri Georgi“, in: Kavkaz 6 ( Juni 1934), S. 24. Slijanie „Tetri Giorgi“ i „Ornati“, in: Kavkaz 2–3 (Februar–März 1935), S. 35. „Nacional’noe edinstvo“, in: Kavkaz 4 (April 1935), S. 25–26. 72 Zu den führenden Aktivisten gehörten die georgischen Emigranten wie Konstantin Salia, Prof. Michail Cereteli (1878–1965), Leo Kereselidze (1894–1943) und der ehemalige Prometheist Viktor Nozadze (1893– 1975), die politisch dem rechtskonservativen bis faschistischen Lager zuzurechnen waren. 73 Explizit auf den „brillianten französischen Publizisten und Historiker“ Gaxotte rekurrierte Bammat im Editorial vom Februar-März 1935. Gajdar Bammat: Na zlobu dnja, in: Kavkaz 2–3 (Februar–März 1935), S. 1–5. 74 Der Text des Briefes von Kalinowski wurde abgedruckt in „Kavkaz“. Pis’mo v redakciju, in: Kavkaz 8–9 (August–September 1934), S. 25–26. 69 70 71
Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris
bunden geblieben sei und die sozialistischen Ideale über die Souveränität des georgischen Staates stelle. Bammat zufolge habe Žordania sich erniedrigt und „Dan75 und Abramovič76 überzeugt, dass die Unabhängigkeit Georgiens nur eine geschichtliche Etappe war und die Zukunft des Landes untrennbar mit der Zukunft der russischen sozialistischen Demokratie verbunden ist“77. In ihrer Argumentation nutzten die kaukasischen Prometheus-Kritiker jede Annäherung der aserbaidschanischen und georgischen Prometheisten mit den Bolschewiki und den russischen Sozialdemokraten im Exil in den 1920ern, um sie zu kompromittieren. Auf diese Weise versuchten sie, den Vorwürfen, sie würden mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammenarbeiten, entgegenzuwirken. Ihre Argumentation löste in Polen allerdings kaum Reaktion aus, da Piłsudski selbst, ähnlich wie viele andere Politiker seiner Umgebung, eine sozialistische Vergangenheit hatte. Die Distanzierung der Gruppe um „Kavkaz“ von den prometheistischen Netzwerken ergab sich unter anderem aus der Enttäuschung eines Teils der kaukasischen Emigrés über die 1932 trotz aller Proteste der prometheistischen Aktivisten erfolgte Anerkennung der Sowjetunion durch den Völkerbund. Beispielhaft ist der Leitartikel Bammats vom 8. Oktober 1935. Angesichts der italienischen Eroberung Äthiopiens und der darauffolgenden Verurteilung Italiens durch Großbritannien und andere europäische Mächte bezeichnete Bammat das Geschehen als „Jahrmarkt der Scheinheiligkeit“78 (jarmarka licemerija). Zu spüren waren die Kritik an der britischen Politik und eine Faszination für die italienischen Ambitionen, die nun das britische Imperium durch die Eroberungen auf dem afrikanischen Kontinent herausforderten. Im Weiteren wies Bammat auf das Wirken der sowjetischen Diplomatie hin. Diese verhindere eine Annäherung zwischen Rom und London in Genf mit allen Mitteln und mache sich die „Organisation eines mächtigen militärisch-politischen Blocks europäischer Großmächte gegen Deutschland und seine potentiellen Verbündeten“79 zur Aufgabe. Bammat sah demzufolge die Hauptgefahr für den Frieden nicht in der faschistischen Ideologie, sondern allein im Kommunismus und im Marxismus. Diese verklärte Sichtweise war kennzeichnend für den Diskurs der „Kavkaz“-Gruppe, die die bedeutendsten Kritiker des Prometheismus in den 1930er Jahren waren. „Während die Bolschewiki alles, was ihrem Glauben nicht entsprach, ausmerzten und vernichteten, sehen wir keine von diesen Vorgehensweisen marxistischer Verwaltung in Italien, Deutschland und Polen“80, schrieb der georgische Emigrant General Kvinitadze. Die Faszination Gemeint ist der russische Sozialist und Menschewik Fëdor I. Dan (1871, St. Petersburg – 1941, New York). 76 Gemeint ist der russische Sozialist Rafail Abramovič (1880, Dinaburg – 1963, New York). 77 Dan zitierte diesen Brief von Žordania in „Sozialističeskij vestnik“ 14 (1930), in: Gejdar Bammat: Pol’skoe obščestvennoe mnenie i kavkazskaja ėmigracija, in: Kavkaz 8–9 (August–September 1934), S. 7. 78 Gajdar Bammat: Jarmarka licemerija, in: Kavkaz 9–10 (September–Oktober 1935), S. 1–7. 79 Ebenda, S. 6. 80 G. Kvinitadze: V ‘edinenii sila, in: Kavkaz 9–10 (September–Oktober 1935), S. 9. 75
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für den Faschismus, den Nationalsozialismus und den Aufstieg Japans nahm innerhalb der „Kavkaz“-Gruppe in den darauffolgenden Jahren stetig zu. Ende 1935 wurde im „Kavkaz“ sogar die Rede von Joseph Goebbels während des NSDAP-Parteitags in Nürnberg abgedruckt.81 Die „Kavkaz“-Gruppe kritisierte die georgischen und aserbaidschanischen Prometheisten und arbeitete gezielt mit anderen Emigranten aus diesen Ländern zusammen, die ebenso in Istanbul, Paris und Berlin residierten. Doch ähnlich wie die Prometheisten scheiterten die Anhänger der „Kavkaz“-Gruppe am Unterfangen, die Vertreter der armenischen Emigration in die gemeinsame Arbeit einzubeziehen. Die Zeitschrift „Kavkaz“ wurde von den US-amerikanisch-armenischen Exilblättern, wie z. B. „Hayrenik“, wegen ihrer Nähe zur Türkei sowie zu den Aserbaidschanern und Georgiern negativ rezipiert.82 Die Bammat-Gruppe kritisierte nicht nur die kaukasischen Prometheisten, sondern auch eine Gruppierung armenischer und georgischer Intellektueller, die Mitte der 1930er Jahre im europäischen Exil zustande kam und den Kaukasus vor allem konfessionell definierte. Anders als die Prometheisten und die Bammat-Gruppe exkludierten die Verfechter der Armenisch-Georgischen Union die Vertreter der muslimischen Völker des Kaukasus aus ihrem Ordnungsentwurf für die künftige politische Gestaltung der Region. Dementsprechend negativ war die Reaktion der „Kavkaz“-Zeitschrift auf die Gründung dieser Vereinigung.83 Der georgische Emigrant Šalva Amiredžibi veröffentlichte einen Aufsatz dazu, kritisierte die Union wie auch den Brüsseler Pakt der Prometheisten, und sah in den beiden Dokumenten und Vereinigungen eine Gefahr für die ‚wahre‘ Kaukasische Konföderation. Amiredžibi zufolge könne ein solcher „Separatismus“ der Georgier und Armenier, ihre Abgrenzung vom restlichen Kaukasus, ähnliche Prozesse bei den Nordkaukasiern und Aserbaidschanern auslösen, die dementsprechend eine eigene, auf dem Islam beruhende Vereinigung vorantreiben könnten. „Eine gesamtkaukasische Politik wäre dann beerdigt […].“84 Im Maiheft druckte „Kavkaz“ den gesamten Text des Appells85 der „Armenisch-Georgischen Union“ ab und verwies dabei auf den kritischen Aufsatz Amiredžibis, der auch der Haltung der „Kavkaz“-Gruppe entsprach. Der Appell sprach vom „politischen Chaos […]“ und von der „näher rückenden Gefahr aus dem Fernen Osten“, die vermutlich zum „Weltkrieg“ führen würde.86 Die Sowjetunion wurde als ein „durch
Obzor pečati. Germanija protiv bol’ševikov, in: Kavkaz 9–10 (September–Oktober 1935), S. 40–43. Tbiliseli: Neskol’ko slov ob armjanach (Pis’mo v redakciju), in: Kavkaz 4 (April 1936), S. 24–25. Darüber berichtete „Kavkaz“ im Februar 1936 (Kavkaz 2 (Februar 1936), S. 38–41) und im Mai 1936 durch Gejdar Bammat (Kavkaz 5 (Mai 1936), S. 3–5). 84 Š. Amiredžibi: „Armjano-Gruzinskij Union“, in: Kavkaz 5 (Mai 1936), S. 13. 85 „Armjano-Gruzinskij Union“ Vozvanie k armjanskomu i gruzinskomu narodam, in: Kavkaz 5 (Mai 1936), S. 34–37. 86 Ebenda, S. 34. 81 82 83
Bammats Zeitschrift „Kavkaz“ in Paris
Terror, Sklaverei und Hunger zustandegebrachtes Russisch-Sowjetisches Imperium“87 beschrieben. Im Weiteren hoben die Autoren des Appells die „gemeinsame Kultur, das gemeinsame politische Schicksal“ der Georgier und Armenier hervor, die in den vergangenen Jahrhunderten „Schulter an Schulter gegen Skythen, Perser, Römer, Byzantiner, Araber, Seldschuken, Mongolen und andere Eroberer“88 gekämpft hätten. Das Grunddokument der Armenisch-Georgischen Union appellierte an alle Georgier und Armenier innerhalb und außerhalb des sowjetischen Kaukasus zum Ziel der Union beizutragen und erklärte die „Vereinigung der vier freien kaukasischen Republiken auf einer festen Unionsgrundlage und ihre Verteidigung […]“89 zu ihrer Aufgabe. Damit sahen die Autoren des Appells die armenisch-georgische Union und hiervon ausgehend die Achse Tiflis-Jerewan als einen zentralen und kaukasusweit dominierenden Akteur. Die Nordkaukasier und Aserbaidschaner sollten sich mit dieser Dominanz abfinden. Der religiöse Ansatz wird besonders deutlich im vorletzten Absatz: „Also, liebe Landsleute, Armenier und Georgier, Kirchenväter, Wissenschaftler und Schriftsteller, Kulturträger, Staatsmänner, Jugend – tragt alle Eure Kräfte, Talente und Mittel zum Altar der armenisch-georgischen Einheit bei.“90 Die Gründung der Armenisch-Georgischen Union war ebenso wie die von weiteren Exilgruppen, wie z. B. der „Liga der Wiedergeburt der Kosaken“ und der „Liga der Ukrainischen Nationalisten“ ein geopolitischer Gegenentwurf von Seiten einiger Exilantengruppen in Paris, die sich als Opposition sowohl zu den Prometheisten als auch den russischen Emigrés um Kerenskij, als auch zur „Kavkaz“-Gruppe verstanden. Gerichtet gegen die Sowjetunion sowie gegen die Türkei, ging es z. B. der „ArmenischGeorgischen Union“ weder um eine Kaukasische Konföderation noch um ein ‚unteilbares und einiges Russland‘, noch um eine einseitige Annäherung an die Sowjetunion. Es ging um eine auf der Basis des kaukasischen Christentums beruhende Vereinigung der alten Schriftvölker der Armenier und Georgier. Die spezifische Wortwahl (z. B. das Kulturträgertum) ist auf den Kontext der 1930er Jahre sowie auf die ideologische Nähe zum französischen rechten Lager zurückzuführen. Auch das Denken in geopolitischen und geokulturellen Kategorien war kennzeichnend für viele Exilantendiskurse sowie -debatten in den europäischen Hauptstädten in dieser Zeit. Die unterschiedlichen geopolitischen Ordnungsentwürfe haben die Anfang der 1930er Jahre aufgetretenen Spaltungen innerhalb der prometheistischen Netzwerke mitverursacht. Im Sommer 1936 kam es zur Integration der „Armenisch-Georgischen Union“, der „Liga der Wiedergeburt der Kosaken“91 und der „Liga der ukrainischen Nationalisten“ unter dem Dach der „Union der Schwarzmeerländer“. Mitglieder des führenden Gre-
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Ebenda. Ebenda, S. 35. Ebenda. Ebenda, S. 37. „Liga vozroždenija kazakov“ wurde 1931 gegründet. Die Zeitung „Kazač’e delo“ war ihr Presseorgan.
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miums der „Union der Schwarzmeerländer“ waren der ehemalige Botschafter Armeniens in Tiflis, Aršak Džamaljan, der kosakische Emigrant Georgij Karev92, der ukrainische Emigré aus Paris Volodymyr Nikitjuk und der ehemalige georgische Diplomat Data (David) Vačnadze.93 Die Entwicklungen von unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb des Exilantenmilieus zeigen, wie stark persönliche Eigeninteressen, ebenso wie politische, aber auch ethnische und religiöse Divergenzen eine gemeinsame Front verhinderten und das Projekt Warschaus erschwerten. Die Exilanten spalteten sich zunehmend in verschiedene Gruppen und verfolgten vielfältigere Interessen als nur die des Prometheismus. 7.4
Der Linguistikkongress von 1936 in Warschau
Mit Sicherheit prägte der Tod Józef Piłsudskis am 12. Mai 1935 die polnische Innenund Außenpolitik. Jedoch brachte er keinen tiefgreifenden Wechsel im politischen und gesellschaftlichen Leben der Zweiten Republik mit sich. Unter anderem lag das daran, dass das Ausscheiden Piłsudskis nicht zur Machtübernahme der Oppositionspartei der Nationaldemokraten um Roman Dmowski führte. Die Grundlinien der polnischen Außenpolitik blieben unverändert. Besonders zutreffend ist dies für die unmittelbaren Folgejahre 1936–1937. Dem polnischen Zeithistoriker Marek Kornat zufolge: […] die ‚prometheistische Idee‘ veränderte ihre ursprüngliche Funktion nach dem Tode Piłsudskis keineswegs – sie blieb eine Karte, die in zwei Dimensionen ausgespielt wurde: 1) Sie stellte eine politische Vision für den Fall des Zerfalls des sowjetischen Staates dar; 2) Sie war eine Art Gegen-offensive, Verteidigung, d. h. die polnische Antwort auf die sowjetische Aktivität gegen die Polnische Republik, die nachrichtendienstlich und mittels der Komintern durchgeführt wurde […].94
Angesichts der Tatsache, dass Moskau besonders aktiv im mitteleuropäischen Raum agierte, indem es das Stabsquartier der Komintern nach Prag verlegte und durch die Instrumentalisierung der mitteleuropäischen kommunistischen Parteien Einfluss auf die inneren Angelegenheiten der jeweiligen Länder, darunter auch Polen, zu nehmen versuchte, sei es nicht verwunderlich, so Kornat, dass das „politische Denken der
Georgij Ivanovič Karev (ca.1885–1950) war ein bedeutender Vertreter der Kosaken-Exilgemeinschaft in Frankreich. 93 II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 408 ff. 94 Marek Kornat: Idea prometejska a polska polityka zagraniczna (1921–1939/1940), in: Ders. (Hg.): Ruch prometejski i walka o przedbudowę Europy Wschodniej (1918–1940), Warschau 2012, S. 65. 92
Der Linguistikkongress von 1936 in Warschau
1930er Jahre in Polen die Idee der Gründung einer „Gegen-Komintern“ entstehen ließ, […]“95. Trotz der Kontinuität der polnischen Politik verloren die prometheistischen Netzwerke gerade in der Mitte der 1930er Jahre weitere Teile der Aktivisten, die sich politisch umorientierten und teils sogar in Opposition zu ihren ehemaligen Mitstreitern traten. Angesichts dieser Tatsache versuchten die polnischen Behörden, die Unterstützung der treu gebliebenen Aktivisten aufrechtzuerhalten. Eine bemerkenswerte Veranstaltung in diesem Kontext war der dreitägige Kongress der „Sprachwissenschaftlichen Versammlung der geknechteten Völker der UdSSR“, die auf Initiative des exilukrainischen Prometheisten, Leiters des Warschauer Prometheus-Klubs und Linguistikprofessors Roman Smal’-Stoc’kyj hin vom 31. Mai bis 2. Juni 1936 in Warschau durchgeführt wurde. Die Kongress-Idee schien Smal’-Stoc’kyj seit Längerem gehabt zu haben und neben den Fragen der Linguistik sollten vor allem Fragen der sowjetischen Sprachpolitik, vor allem die russifizierenden Maßnamen, kritisch erfasst werden. Der Warschauer Prometheus-Klub verbreitete einige Monate vor der Tagung im Februar 1936 eine Direktive an alle seine „Filialen, Vertreter und Freunde“ über die „Organisation des Kampfes gegen die Russifizierung der von Moskau geknechteten Völker“96. Sowohl diese Direktive, wie auch die Durchführung des Kongresses drei Monate später, bezweckten die Einflußnahme auf die Stimmung im Vorfeld der Sitzung des Völkerbunds im September 1936. Der Prometheus-Klub rief seine Vertretungen auf, mit entsprechenden Petititionen und Kundgebungen die sowjetische Sprachpolitik in den jeweiligen Gastländern anzuprangern. Die Prometheisten sollten nicht nur die staatlichen Behörden und Botschaften der jeweiligen Länder über die russifizierenden Maßnahmen in der Sowjetunion unterrichten, sondern auch Kontakt zu den „herausragenden Slawisten und Philologen in London, Rom, Paris, Berlin, Warschau, Bucharest, Prag, Wien, Budapest, Sofia, Helsinki“ aufnehmen, damit sie die „Anstrengungen der prometheistischen Emigration“97 vor dem Völkerbund unterstützten. Während die aserbaidschanische und die turkestanische Sektion aufgefordert wurden, „die Proteste in der Türkei und in der türkischen Presse zu unterstützen“, wurde die tatarische Sektion gebeten, für die Agitation gegen die sowjetische Russifizierung sowohl die „tatarischen Staatsbürger […], die Regierung der Republik Polen“ als auch die „Tataren in RumänienDobrudscha“ und die türkische Regierung dazu zu bewegen, sich dem Protestappell anzuschließen und vor dem Völkerbund die Sowjetunion zu kritisieren. Einen längeren Aufgabenkatalog erhielt die ukrainische Sektion, die ihre Arbeit in den USA, Ka-
Ebenda, S. 67. Luty 1936, 5 numer tajnego „Kommunikatu“ Ligi Prometejskiej wydany przez Klub „Prometeusz“ w Warszawie, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, „Wojskowe Teki Archiwalne“, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 515–519. 97 Ebenda, S. 516. 95 96
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nada, aber auch in Rumänien und in der Tschechoslowakei und nicht zuletzt in Polen aktiver gestalten sollte. Die finnischen Prometheisten sollten sich für die Rechte der finnougrischen Minderheiten in der Sowjetunion einsetzen: In der Direktive stand: a) Wir bitten den finnischen ‚Prometheus‘ entsprechende Protest[aktionen in] der finnischen Öffentlichkeit zu organisieren […]. Es ist wünschenswert und notwendig, dass alle diese Protest[schreiben, Z. G.] der finnischen wissenschaftlichen, öffentlichen, politischen, Sport-, Frauen- und anderen Organisationen an den Völkerbund geschickt werden und eine Forderung nach der Gründung eines Sonderausschusses beinhalten. b) Wir bitten den finnischen ‚Prometheus‘ dafür zu sorgen, dass entsprechende Anfragen beim finnischen Parlament eingereicht werden, die die finnische Regierung auffordern würden, sich im Völkerbund für den Schutz der karelischen Sprache einzusetzen. g) […] Es ist ziemlich wichtig, dass der finnische ‚Prometheus‘ das Interesse in der Öffentlichkeit der skandinavischen Länder für die Frage der Unterdrückung der prometheistischen Sprachen weckt.98
Es ist wenig bekannt, was die jeweiligen „Filialen, Vertreter und Freunde“ der Prometheisten aus diesem Aufgabenkatalog erfüllt haben. Dass die Vorbereitungen für die Abhaltung des Kongresses rechtzeitig lanciert wurden, verdeutlicht die relativ gelungene Durchführung und intensive mediale Begleitung dieser Veranstaltung in den prometheistischen Medien. In Begleitartikeln und Kommentaren in „Wschód“ wurde die Zusammenkunft vielfältig analysiert. An dem Kongress nahmen viele bekannte Osteuropa-Historiker, Politologen, Slawisten, Turkologen und Linguisten Polens, wie z. B. die Mitstreiter Piłsudskis Leon Wasilewski, Stanisław Siedlecki, Najman Mirza-Kryczyński99, Włodzimierz Bączkowski, Cafer Seydahmet, der Ethnograf und Anthropologe Stanisław Poniatowski (1884–1945) und andere teil. Smal’-Stoc’kyj eröffnete die Tagung und erklärte, dass die Russifizierung in der UdSSR seit 1929 mit einer außerordentlichen Intensität durchgeführt würde. Die Aufgabe der Tagung, so Smal’-Stoc’kyj, sei sowohl die Verteidigung gegen die Russifizierung, als auch die Vorbereitung des Protests gegen diese Politik. Leon Wasilewski referierte zum Thema „Geschichte des polnischen Widerstandes gegen die Russifizierung“. Auch Poniatowski kritisierte die sowjetische Sprachen- und Nationalitätenpolitik. Ihm zufolge beruhte die Wissenschaft in der Sowjetunion auf Unwissen, Lüge und Terror. Die TeilnehmerInnen der Ebenda, S. 517–518. Najman Mirza Leon Kryczyński (1887, Wilna – 1939/40, Piaśnica) war ein polnisch-tatarischer Historiker und Politiker. Er studierte Jura an der Universität St. Petersburg und war in den Jahren danach in der Regierung der Republik Krim und später in Aserbaidschan tätig. In den 1920er Jahren arbeitete Najman Mirza als Jurist in Wilna und Gdynia. 1932 gründete er die pro-prometheistische Zeitschrift „Rocznik Tatarów Polskich“, die eng mit den in Polen ansässigen, muslimischen und turkophonen Prometheisten zusammenarbeitete. Mehr zu Leon und seinem Bruder Olgierd Kryczyński siehe Zaur Gasimov: Modernisierer und Mittler im polnisch-türkischen intellektuellen Nexus, in: ZfO 2 (2016), S. 252.
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Der Linguistikkongress von 1936 in Warschau
Tagung analysierten insbesondere die Politik Lenins und Stalins gegenüber den nichtrussischen Nationen. Das Streben Stalins, in der UdSSR die Annäherung und die anschließende Verschmelzung der Völker zu erreichen, wurde scharf verurteilt. Das Hauptziel der kommunistischen Nationalitätenpolitik sei das Aufgehen aller Kulturen in einer einheitlichen Kultur mit einer Sprache, dem Russischen, das als Sprache Lenins, des Proletariats und der Oktoberrevolution propagiert würde. Die sowjetische Nationalitätenpolitik, die durch ihre Formel ‚sozialistisch dem Inhalt und national der Form nach‘ bekannt wurde, strebe im Endeffekt die Auslöschung der nicht-russischen Völker an. Nach der Tagung wandten sich die Teilnehmer an die Polnische Akademie der Wissenschaften sowie jeweils an die Finnische, Rumänische und Italienische Akademie der Wissenschaften, um Unterstützung gegen die Russifizierung zu erhalten. Einer der Teilnehmer des Kongresses, der exilgeorgische Prometheist Giorgi ( Jerzy) Nakašidze, erinnerte sich später: Our resolutions were sent to the governments of the free world, to all cultural institutions and first of all to the League of Nations, which we still considered to be an international guardian of freedom and human rights despite the presence there of the Soviet Union. Nobody moved a finger100.
Was Nakašidze allerdings nicht erwähnte und vermutlich selbst nicht wusste, war die Tatsache, dass Smal’-Stoc’kyj nach der Tagung die Deutsche Botschaft informierte. Er bat sie, „die Tagungsunterlagen Leibbrandt im Außenpolitischen Amt der NSDAP zukommen zu lassen.“101 Ähnlich wie im Falle des Memorandums von Volodymyr Murs’kyj deutet dieser Schritt von Smal’-Stoc’kyj darauf hin, dass die ukrainischen Prometheisten intensiv um den Kontakt nach Deutschland bemüht waren. Diese Kontaktsuche über Polen hinweg trug zur Schwächung der prometheistischen Netzwerke bei. Abgesehen von den kritischen und teils polemisierenden Referaten zur aktuellen Sprachenpolitik in der UdSSR, symbolisierte dieser Kongress die Verschmelzung des Prometheismus mit mehreren Wissenschaftsfeldern, wie z. B. der Linguistik, der Turkologie und der Kaukasiologie. Eine vom „Komitee Unabhängiger Kaukasus“ im Vorfeld ins Leben gerufene Kommission, der viele nordkaukasische Prometheisten angehörten, sollte in mehreren Sitzungen ein für alle Nationalitäten der multiethnischen nordkaukasischen Region optimales Alphabet erarbeiten. An den Komissionssitzungen nahmen Said Šamil, Magomed G. Sunš, Barasbi Bajtugan, B. Churš(ilov), Jusuf
100 George Nakashidse: Professor Roman Smal-Stocki and the Promethean Movement, in: The Ukrainian Quaterly (1968–1969), S. 259. 101 Frank Golczewski: Deutsche und Ukrainer 1914–1939, Paderborn u. a. 2010, S. 735.
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Umaš(ev), Chussejn Kumuz, die ehemaligen „prometheistischen“ Stipendiaten Balo Bilatti102, Žanbek Chavžoko, Magomet Čukua, u. a. teil.103 Während des Kongresses stellte die Kommission die Resultate ihrer Tätigkeit vor. Eine prominente Rolle in der Arbeit der Kommission und des Kongresses spielte Orchan Šamchal Tarkovskij, ein kumykischer Adliger, der seit den frühen 1920er Jahren im europäischen Exil lebte. Nicht zuletzt dank des Engagements Tarkovskijs, sollte die für die kumykische (Turk-)Sprache benutzte Schrift auch für weitere nordkaukasische Sprachen genutzt werden. Tarkovskij arbeitete mit dem Ostinstitut sowie mit der Universität Warschau eng zusammen und verkörperte die intellektuelle Verflechtung und den Wissenschaftstransfer zwischen Polen und der Türkei. Ende der 1930er Jahre gehörte Tarkovskij zur Gruppe der Linguisten, die die Linguistik generell, vor allem aber die Turkologie und die Slawistik im Einzelnen in der Türkei ausbauten.104 Mit Sicherheit stand die politisch-agitatorische Dimension in der Tat im Fokus der Organisatoren des Kongresses. Nichtsdestotrotz waren auch die linguistischen Forschungsresultate beachtlich und zeigten u. a. die Errungenschaften der jungen polnischen Kaukasiologie. Die überragende Rolle Smal’-Stoc’kyjs in der Vorbereitung des Kongresses und die Vermittlung der Kongressunterlagen an die deutsche Seite zeugen vom Alleingang der ukrainischen Prometheisten, die wie im Falle Volodymyr Murs’kyjs bereits seit 1932–33 ihren ‚eigenen‘ Prometheismus betrieben, über die Polen hinaus nach Unterstützern suchten und auf die Aktivität des polnischen prometheistischen Netzwerks im Endeffekt zersetzend wirkten. 7.5
Der Streit um die Krim
Trotz der Anstrengungen Seydahmets und Smal’-Stoc’kyjs und der unermüdlichen Vermittlung der polnischen Politiker und Nachrichtendienstler scheiterte der ohne-
102 Balo Bilatti (1900, nahe Mozdok – 1971, California) war ein ossetinischer Exilaktivist. Nach der Schulausbildung in Mozdok begann er sein Studium an der Politechnischen Universität in Brno. 1929 erhielt er das Diplom eines Ingenieurs und zog nach Warschau. Zwischen 1931 und 1936 studierte er an der Fakultät für Konsularwesen und Diplomatie der Hochschule für politische Studien mit einem polnischen Stipendium des OKM. 103 I. L. Babič: Severokavkazskaja nacija v evropejskoj ėmigracii (1917–1930-e gody): mif ili real’nost’, S. 376–402, in: http://www.kunstkamera.ru/lib/rubrikator/03/03_05/978-5-85803-450-6/ (Zugriffsdatum: 06.07.2018), S. 388–389. 104 In der polnischen Sprachversion manchmal als Urhan Tarkowski geschrieben. The Commission for the Languages of North Caucasia, in: Wschód 9/2 (1938), S. 27. In der türkischen Sprachversion wurde der Name als Orhan Şamhal geschrieben. Besonders bekannt in der Türkei wurde er als Puschkin-Übersetzer. Vgl. Aleksandr Sergeyeviç Puşkin: Seçme yazılar (1799–1837), Ankara 1953. Mehr zu Tarkovskij siehe Kamil’ Aliev: Kto vy, professor Orchan Šamchal (Tarkovskij)? (Biografičeskie zametki), in: https://yoldash.ru/ times/Who_are_you_Professor_Orhan_Shamkhal_Tarkovsky_/ (Zugriffsdatum: 02.03.2021).
Der Streit um die Krim
hin fragile Konsensus an der Frage der politischen Souveränität der Krim.105 Trotz der Interaktion, die im Rahmen der prometheistischen Arbeit entstand, waren die Beziehungen zwischen den ukrainischen und den krimtatarischen Prometheisten seit den frühen 1920er Jahren von Misstrauen und Konkurrenz geprägt. In den ukrainischen Diskursen wurde bereits in den Jahren des Ersten Weltkrieges darauf hingewiesen, dass die Krim aus sicherheitspolitischen Gründen der Ukraine angehören müsste. Es war Stepan Rudnyc’kyj (1877–1937), der in seiner 1916 in Wien unter dem Pseudonym Š. Levenko veröffentlichten Abhandlung „Čomu my chočemo samostijnoj Ukrainy“ [Warum wollen wir eine unabhängige Ukraine] seine geopolitischen Visionen im Hinblick auf den künftigen ukrainischen Staat entwickelte und der ‚ukrainischen Krim‘ eine wichtige Rolle im sicherheitspolitischen Mosaik des Landes zuschrieb.106 In den 1920er Jahren wurden diese Denkströmungen von Rudnyc’kyj selbst sowie von den jüngeren Theoretikern wie z. B. Juryj Lypa (1900–1944) weiterentwickelt,107 und im exilkrimtatarischen Milieu mit Entrüstung registriert. Während Seydahmet und Murs’kyj Anfang der 1930er Jahre in Istanbul durchaus effektiv zusammenarbeiteten, kam es 1937–8 zum offenen Konflikt zwischen den beiden. Die Zuspitzung der ukrainisch-krimtatarischen Konfrontation bedeutete auch für Warschau eine Herausforderung: Die Kontakte zu den Krimtataren, die mit dem türkischen Establishment eng verbunden waren,108 und den Sympathisanten der Krimtataren unter den eigenen Staatsbürgern, den polnisch-litauischen Tataren, waren den Polen wichtig. Noch bedeutender aber waren die Ukrainer, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass ohnehin bereits viele der ukrainischen Exilpolitiker seit Mitte der 1930er Jahre polenkritische Positionen einnahmen. Der immanente Konflikt zwischen den exilkrimtatarischen und -ukrainischen Politikern war spätestens 1938 nicht mehr latent, sondern öffentlich. Der krimtatarische
105 Das Thema der ukrainisch-krimtatarischen Auseinandersetzung um die Krim wurde in der internationalen Forschung leider wenig beachtet. Eine publizistisch-journalistische Untersuchung unternahm Maksim Nemirič siehe: Vopros krymskotatarskoj avtonomii v ukrainskoj dovoennoj presse, Teil 1, in: Sobytija Kryma, http://www.sobytiya.info/public/16/63493 (Zugriffsdatum: 21.05.2019), Teil 2, in: Sobytija Kryma, http://www.sobytiya.info/public/16/63495 (Zugriffsdatum: 21.05.2019). 106 S. Rudnyc’kyj: Čomu my chočemo samostijnoj Ukrainy, Lemberg 1994. 107 Mehr dazu bei Ju. V. Vasylevič: Čornomors’ka koncepcija Jurija Lypy u geopolityčnej dumci Ukrainy, in: Naukovi praci. Politologija 166/178 (2012), S. 8–11; Geopolityčna skladova deržavnyc’koj dumky, in: litopys.org.ua/ukrxx/r05.htm (Zugriffsdatum: 15.06.2019). 108 Mehrere Exilkrimtataren sowie ihre Nachfahren konnten sich nicht nur in der akademischen Welt der Republik Türkei, sondern auch im Militär und Sicherheitsapparat profilieren. Mehmet Nurettin Ağat verkörperte diesen Aufstieg. Seine Eltern zogen kurz nach seiner Geburt 1889 auf der Krim ins Osmanische Reich. Sein Vater wurde zum Gefängnisdirektor von Adapazarı und der junge Mehmet Nurettin folgte der Laufbahn seines Vaters. Zwischen 1936 und 1946 war er der Sicherheitschef der Provinz Kars, unmittelbar an der türkisch-sowjetischen Grenze. M. Nurettin Ağat besuchte die Krim 1908 und 1918 für mehrere Monate. Der Kontakt zu Seydahmet bestand seit 1918. Vgl. Nilüfer Ağat: Mehmet Nurettin Ağat (1889–1979), in: Emel 19/110 ( Januar-Februar 1979), S. 19–20.
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Exilautor Edige Mustafa Kırımal (Szynkiewicz)109 veröffentlichte auf Polnisch eine kurze Abhandlung, die an sich ein Ukraine-kritisches Manifest darstellte. Betitelt als „Antwort an die ukrainischen Imperialisten“110 wurde diese Schrift in einem Verlag in Vilnius herausgegeben. Den Kontakt zum Verlag hat Kırımal vermutlich über die Vermittlung seines Onkels, Dr. Jakub Szynkiewicz (1884–1966)111, der an der Spitze des sunnitischen Muftijats von Vilnius stand, gefunden. Zudem befand sich der Autor zu dem Zeitpunkt bereits seit sechs Jahren in dieser Stadt,112 sprach fließend Polnisch und publizierte seit 1934 regelmäßig in der polnischen prometheistischen Presse unter dem Namen Edige Szynkiewicz und hielt Vorträge über die Tataren der Krim und der UralRegion.113 Über die Krimtataren schrieb er auch für die tatarische Monatszeitschrift „Życie tatarskie“114, die ebenfalls in Vilnius erschien. Zur ukrainisch-krimtatarischen Konfrontation versuchten sich die Polen neutral zu positionieren und bei keiner der Seiten das Gefühl zu erwecken, Warschau unterstütze eine der Seiten. Die Schrift Kırımals ließ man daher nicht in einem prometheistischen Verlag abdrucken. Im Gegensatz zu vielen anderen prometheistischen Publikationen fehlte der Schrift zudem ein Vorwort eines polnischen Politikers oder Wissenschaftlers. Zu Beginn seiner Schrift wies Edige Kırımal auf die Festivitäten und eine akademische Tagung hin, die in Warschau am 28. November 1937 zum zwanzigsten Jahrestag
109 Edige M. Kırımal (1911, Krim – 1980, München) war ein prominenter exilkrimtatarischer Politiker und Wissenschaftler. Geboren auf der Krim in eine Familie der auf die Halbinsel eingewanderten polnischlitauischen Tataren. In Dereköy und Jalta besuchte er eine tatarische Grund- und später eine russische Sekundarschule. Darauf folgte das Studium an der Pädagogischen Hochschule in Simferopol. Anfang der 1930er Jahre entschied er sich auszuwandern. Nach der Überquerung der sowjetaserbaidschanisch-iranischen Grenze gelangte er nach Istanbul und lernte Seydahmet kennen. 1932 traf er in Vilnius ein und begann sein Studium an der Hochschule für politische Studien. Vgl. Edward Allworth: The Tatars of Crimea. Return to the Homeland, 2. erw. Aufl., Durham, London 1998, S. 342. 110 Yigit Kırımlı: W odpowiedzi ukraińskim imperjalistom, Wilno 1938. Ein Abdruck der Schrift ist auch in der Kollektion von Ismail Otar (ISAM, Istanbul) zu finden. 111 Mehr zu Jakub Szynkiewicz siehe Marian Dziekan: Polnische Orientalisten tatarischer Herkunft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Rocznik Orientalistyczny 2 (2013), S. 5–13. 112 Den in den 1990er Jahren veröffentlichten Verhören des Warschauer Imams Ali Voronovičs (1902– 1941) zufolge, die im März 1941 von NKVD-Mitarbeitern aufgenommen worden waren, hatte Edige Kırımal (Szynkiewicz) 1933 die UdSSR über das iranische Staatsgebiet verlassen und war nach Kurzaufenthalten im Iran und Istanbul nach Polen eingewandert. Von Seydahmet sei er in der Türkei beauftragt worden, die „gegen die Sowjetunion gerichtete Arbeit unter den polnischen Tataren“ durchzuführen. Vgl. Protokol doprosa obvinjaemogo Voronoviča Ali Samuiloviča ot 3 marta 1941 g., in: Nevjadomy lës varšauskaga imama, in: Bajram 3 (1999), zitiert nach: bayram-journal.ru/pdf/1999–3.pdf (Zugriffsdatum: 21.05.2019). 113 1934 erschien der Bericht von Edige Szynkiewicz über die Reise nach Iran und Turkestan. Vgl. Edige Szynkiewicz: Wrażenia z podróży (od Tebrizu do Teheranu), in: Wschód 2-3-4 (1934), S. 191–195. Am 13. Juli 1934 trug er über die „Krim und Krimtataren“ und einen Monat später über das „West- und Ost-Turkestan“ im tatarischen Kulturzentrum in Słonim vor. Darüber berichtete „Wschód“: vgl. Ruch odczytowy w oddziałach Zw. Kult.-Ośw. Tatarów polskich, in: Wschód 2-3-4 (1934), S. 203. Ebenfalls 1934 erschien sein Artikel „Ist die Krim russisch oder tatarisch“ in der tatarischen Zeitschrift „Życie tatarskie“ in Polen. Auf den Artikel wies die „Wschód“ hin. Vgl. Tatarzy polscy a świat turecki, in: Wschód 2-3-4 (1934), S. 204. 114 Yigit Kirimli: Przeszłość i teraźniejszość Tatarów krymskich, in: Życie tatarskie 6–7 (1934).
Der Streit um die Krim
der Verkündung der krimtatarischen Verfassung unter Anwesenheit von polnischen Prometheisten wie Olgierd Górka, Stanisław Siedlecki wie auch von Rasulzade, Ishaki, Olgierd Krzyczyński u. a. veranstaltet wurden. Vor allem ging es jedoch bei dieser Schrift um eine Reaktion auf die Reihe Krim-bezogener Artikel in der ukrainischsprachigen Zeitung „Dilo“ aus Lemberg, die seit den 1880er Jahren eine bedeutende Rolle im politischen und kulturellen Leben der Ukrainer von Galizien spielte.115 Fast alle Artikel, die Kırımal und die anderen krimtatarischen Prometheisten provozierten, stammten aus der Feder des ukrainischen Journalisten und Aktivisten Bogdan-Tadej Galajčuk. Geboren 1911 in Lemberg absolvierte Galajčuk sein Studium an der Katholischen Universität von Leuven 1935 und kehrte danach nach Lemberg zurück. In seinen krimbezogenen „Dilo“-Beiträgen stellte er die Idee der staatlichen Unabhängigkeit der Halbinsel Krim in Frage. Er kritisierte die Abhandlung116 des krimtatarischen Prometheisten und in Warschau ausgebildeten Ingenieurs Selim Ortay von 1936, die nicht nur die politische Geschichte der Krim beschrieb, sondern auch die Wiederherstellung der politischen Souveränität der Krim zum von der politischen Emigration der Krimtataren angestrebten Ziel erklärte. Es ist zu erwähnen, dass diese, von Ortay in Warschau herausgegebene Monographie „O niepodległość Krymu“, die die Unabhängigkeit der Krim sogar im Titel aufgriff, im zentralen prometheistischen Verlag u. a. der Zeitschrift „Wschód“ erschienen und auch von den polnischen akademischen Medien aufgegriffen worden war.117 Die Schrift aus 34 Seiten hatte den Charakter eines Manifests. Die überwiegende Mehrheit der polnischen Prometheisten unterstützte die Idee der krimtatarischen Unabhängigkeit. Die Halbinsel sollte weder russisch, noch türkisch, noch ukrainisch verwaltet werden. Der prometheistischen Weltanschauung nach sollte eine souveräne Ukraine in den Grenzen der sowjetischen Ukraine entstehen, ohne die von den Ukrainern besiedelten Provinzen des polnischen Galiziens und ohne die Krim. Das strebten auch die krimtatarischen Aktivisten an und trafen damit in Polen auf Sympathien. An den Festivitäten und der Tagung zur Krim in Warschau nahmen viele polnische Politiker, aber auch tatarische Aktivisten aus Rumänien, Polen und der Türkei teil und besuchten im Rahmen dessen drei Wochen lang die polnischen Städte mit tatarischer Bevölkerung wie Słonim, Nowogródek, Halicz und Wilna. Dies löste Kırımal zufolge die negative Haltung „eines gewissen Galajčuk [aus, Z. G.], dem die Erfolge des propagandistischen Ausflugs der Krimtataren in Polen wie auch die Idee der Unabhängigkeit der Krim nicht gefielen.“118 Galajčuk habe zwei Artikel in der Zeitung „Dilo“ unmittel115 Vgl. Ivan Kedryn-Rudnytsky: Dilo, in: http://www.encyclopediaofukraine.com/display.asp?link path=pages%5CD%5CI%5CDiloIT.htm (Zugriffsdatum: 21.05.2019). 116 Selim Ortay: O niepodległość Krymu, Warschau 1930. 117 Von ihrem Erscheinen berichteten die führende geschichtswissenschaftliche Zeitschrift Polens, „Kwartalnik historyczny“ sowie politische und intellektuelle Zeitschriften wie „Oboz“ oder „Sprawy narodowościowe“. Auf die Schrift machte außerdem die Zeitschrift „Nowa ksiażka“ ihre Leser aufmerksam. 118 Yigit Kırımlı: W odpowiedzi ukraińskim imperjalistom, Wilno 1938, S. 1–2.
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bar nach den Warschauer Festivitäten am 9. und am 14. Dezember 1937 veröffentlicht. Dem ukrainischen Publizisten zufolge könne die Realisierung der krimtatarischen Nationalbewegung nur im Rahmen einer Autonomie innerhalb des ukrainischen Staates erfolgen. Kırımal dagegen wies auf die krimtatarische Verfassung von 1917 hin, „die erste in der türkisch-tatarischen Welt“119, als ein Beispiel der politischen Reife. Zudem verwies er darauf, dass das von Petljura unterschriebene und von der Ukrainischen Zentral-Rada verabschiedete Gründungsdokument für das ukrainische Staatsterritorium vom 9. November 1917 keinen Territorialanspruch auf die Halbinsel Krim erhoben hatte. Es wurde ausschließlich der „Festlandteil des ehemaligen Gouvernements von Taurien“ als Bestandteil des ukrainischen Staatsgebiets verkündet. 1918 hatten sich außerdem, so Kırımal, die Ukraine, unter der Führung von Petljura, und die Krim gegenseitig anerkannt.120 Im Weiteren wies Kırımal darauf hin, dass es die Krimtataren waren, die zur Anerkennung der Ukraine durch das Osmanische Reich entscheidend beigetragen hatten. Mit der Publikation Kırımals verließ der Konflikt den Rahmen der Auseinandersetzung zwischen den krimtatarischen Prometheisten und den Lemberger ukrainischen Intellektuellen um die Zeitung „Dilo“, die nie zum prometheistischen Milieu zählte. Galajčuk selbst gehörte zwar nicht zu den aktiven Prometheisten, jedoch hat er Ende der 1930er Jahre auch in der Zeitschrift „Wschód“ zu Themen der internationalen Politik publiziert. Es ist davon auszugehen, dass er Smal-Stoc’kyj und dessen Umgebung persönlich kannte und sich mit ihnen austauschte. Nicht zuletzt deswegen warf Kırımal den ukrainischen Prometheisten, ohne dabei jemanden beim Namen zu nennen, vor, auf die Krim-bezogenen Aussagen ‚ihrer Landsleute‘ nicht reagiert zu haben. Die Botschaft Kırımals war: Warum hat Smal‘-Stoc’kyj auf die Krim-Debatte der Lemberger „Dilo“ nicht kritisch reagiert. Unterschwellig stand der Vorwurf im Raum, dass die ukrainischen Prometheisten in der Krim-Frage dem Standpunkt Galajčuks zustimmten. Die Publikationen in der „Dilo“ wertete Kırımal als Angriff gegen den Unabhängigkeitsgedanken der Krimtataren wie auch gegen die Solidarität der prometheistischen Front. Galajčuk verkörperte die Tradition des Hetmans Pavlo Skoropadskis, der 1918 mit deutscher Unterstützung zum ukrainischen Staatsoberhaupt avanciert war und seit 1919 im deutschen Exil lebte. Galajčuk verließ zwar das 1918 polnisch gewordene Galizien nicht und blieb in seiner Heimatregion. Seine Grundhaltung den polnischen Behörden gegenüber aber war kritisch. Fließend in Französisch und Deutsch rezipierte er die westeuropäischen Rechten. Seine geopolitischen Projektionen gingen von einer Großukraine aus, die sich als Schwarzmeermacht zu positionieren hatte. Galajčuk war polenkritisch und lehnte die prometheistische Idee ab. Man konnte ihm aber auch kei-
119 120
Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 5.
Der Streit um die Krim
ne Sowjetophilie oder prokommunistische Haltung vorwerfen. Das sowjetische Vorgehen auf der Halbinsel, z. B. die Gründung der Autonomen Sowjetischen Sozialistischen Republik Krim, wurde von Galajčuk ebenso kritisch beäugt. Er wies darauf hin, dass die Krimtataren zu diesem Zeitpunkt keine Mehrheit der Bevölkerung auf der Halbinsel ausmachten. In der ursprünglichen Förderung des Krimtatarischen in den frühen 1920er Jahren erkannte er eine gegen die Ukrainer gerichtete Aktion Moskaus, dem er auch Russifizierung und Ent-Ukrainisierung der Halbinsel vorwarf. Die Broschüre Edige Kırımals blieb nicht unbeantwortet. Galajčuk griff ihren Titel auf und veröffentlichte die „Antwort der ‚ukrainischen Imperialisten‘“121 in der „Dilo“. Galajčuk erklärte, dass er es für angemessen halte, auf die „tatarische Emigrantenpublikationen, besonders die, die in Warschau erscheinen und das Konzept der krimtatarischen Staatlichkeit unabhängig von der Ukraine lancieren“122 zu reagieren, weil dieses Konzept im Widerspruch zu den „ukrainischen Interessen“123 stehe. Galajčuk ging es darum, dass die Ukraine ihre Souveränität und Sicherheit nur im Falle der Kontrolle über die Halbinsel Krim gewährleisten könne. Der Logik Galajčuks nach konnte die Krim dies mit eigenen Kräften nicht sicherstellen und würde auch im Falle des Wiedererlangens der Souveränität unter Einfluss fremder Staaten geraten. Kırımal kann oder will das nicht verstehen. Nach der Lektüre seiner Broschüre kommen wir zur Schlussfolgerung, dass es ihm nicht darum ging, Möglichkeiten der gegenseitigen Verständigung mit Ukrainern zu finden. In seiner Polemik gegen unsere Argumente über die Wichtigkeit der Krim für die Verteidigung der Ukraine schlug er kein Konzept der Sicherung der ukrainischen Interessen im Falle der Gewährleistung der Souveränität der Krim vor, er […] negierte ukrainische Interessen124.
Galajčuk ging es dabei um zwei Dinge, nämlich die Gefahr der Verwandlung der Krim in einen Militärstützpunkt eines Drittlandes sowie die Möglichkeit eines eventuellen Anschlusses an die Türkei. Die Ablehnung der Argumentation Galajčuks von Seiten Kırımals wurde als Negation der ukrainischen Interessen gewertet. In der Tat polemisierte Kırımal an dieser von Galajčuk zitierten Stelle gegen die Aussage Galajčuks, Sewastopol dürfe keine fremde Flotte beherbergen. Kırımal zufolge durfte auch die ukrainische Marine nicht in Sewastopol stationiert werden.125 Darüber hinaus wehrte sich Kırımal gegen die Behauptung Galajčuks, die Krim könnte im Rahmen der pantürkistischen Strategie an die Türkei angeschlossen werden. Einen Verweis Galajčuks auf die Aussage Denikins, der krimtatarische Vertreter habe 1918 Verhandlungen mit
121 Bogdan-Tadej Galajčuk: Chto rozduvae antagonizm? Vidpovid‘ „ukrains’kych imperijalistiv“, zitiert nach: https://zbruc.eu/taxonomy/term/5356 (Zugriffsdatum: 23.05.2019). 122 Ebenda. 123 Ebenda. 124 Ebenda. Galajčuk wies auf die Seite 22 der Broschüre Kırımals hin. 125 Yigit Kırımlı: W odpowiedzi ukraińskim imperjalistom, Wilno 1938, S. 22.
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den Vertretern der Pforte über diese Frage geführt, stellte er als nicht glaubwürdig dar. Die gesamte Debatte über den vermeintlichen Pantürkismus lehnte Kırımal als absurd ab und schlug Galajčuk vor, anstelle der Erinnerungen Denikins die Monographie seines prometheistischen Mitstreiters Rasulzade „O panturanizme“ zu lesen.126 Sowohl Galajčuks als auch Kırımals Rhetorik war äußerst aggressiv. Der ukrainischkrimtatarische Streit wirkte ähnlich wie die kalmückisch-kosakische Konfrontation oder die binnenaserbaidschanischen oder binnengeorgischen Widersprüche destruktiv auf die prometheistischen Netzwerke und forderte auch Warschau heraus.
126
Ebenda, S. 22.
8.
Prometheisten vor dem Zweiten Weltkrieg
Ende der 1930er Jahre unternahm die polnische Führung Versuche, an der vom Historiker Marek Kornat als „Politik des Gleichgewichts“1 beschriebenen Linie festzuhalten. Die Warschauer Politiker setzten das geopolitische Denken fort, versuchten die Beziehungen zur UdSSR nicht zu beschädigen und ein Verhältnis zu Deutschland zu entwickeln. Das prometheistische Netzwerk erntete scharfe Kritik, nicht zuletzt innerhalb der prometheistischen Kreise selbst: Es wurden Stimmen laut, dass die Netzwerkaktivität reformiert werden sollte und es wurden entsprechende Schritte unternommen: Es kam zur Umbenennung und teilweise Umorientierung bereits bestehender Zeitschriften sowie zur Gründung einiger neuer. Auch personelle Entlassungen und Neueinstellungen wurden vornommen. In diesem Kapitel werden mehrere Teilstudien vorgestellt: über die (neue) Rolle des Prometheismus im polnischen außenpolitischen Konzept des so genannten ‚Dritten Europas‘, über die Pariser Zeitschrift „Revue de Prométhée“, die die traditionsreiche Zeitschrift „Prométhée“ ablöste, über die Warschauer Zeitschrift „Problemy Europy Wschodniej“ sowie über die publizistisch-politischen Aktivität Włodzimierz Bączkowskis. Darüber hinaus werden die Festivitäten der kaukasischen und ukrainischen Prometheisten zum Andenken an die Unabhängigkeiten 1917/18, die an wichtigen Standorten 1928 und 1938 abgehalten wurden, in vergleichender Perspektive beleuchtet. 8.1
Das ‚Dritte Europa‘ versus die Prometheus-Front
Um 1937 konnte ein Beobachter der prometheistischen Netzwerke den Eindruck gewinnen, dass die Energie, mit der die polnischen Politiker sowie die ukrainischen und kaukasischen ExilantInnen ihre Aktivitäten vorantrieben und gegen die Sowjetunion und den Kommunismus agierten, allmählich ausging. Dem polnischen Zeithistoriker
Vgl. Marek Kornat: Polityka Równowagi 1934–1939. Polska między Wschodem a Zachodem, Krakau 2007.
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Prometheisten vor dem Zweiten Weltkrieg
Marek Kornat zufolge war die polnische Diplomatie gerade in den Jahren 1937 bis 1938 „von der Idee der Gründung eines Mitteleuropäischen Blocks – des ‚Dritten Europas‘“2 besessen. Der Hauptideologe dieses Ordnungsentwurfes der polnischen Außenpolitik war der damalige Außenminister Polens – Józef Beck. Beim Dritten Europa handelte es sich um eine Weiterentwicklung des polnischen geopolitischen Konzepts eines Intermariums (Międzymorze). Diesem Plan zufolge setzte Polen – im Gegensatz zum Ersten Europa (dem westlichen (demokratischen) Europa) und zum Zweiten Europa der faschistischen Diktaturen – auf eine enge Zusammenarbeit im politischen und ökonomischen Bereich mit Ungarn und Rumänien, die den Kern des so genannten Dritten Europas bildeten.3 Die Idee an sich war daher nicht neu. Für Piłsudski waren sowohl Ungarn als auch Rumänien natürliche Verbündete Polens in Europa. Mit Ungarn verband Polen eine gemeinsame Geschichte und gegenseitige Sympathien, mit Rumänien eine enge Anbindung Warschaus und Bukarests an Frankreich und antirussische Ressentiments. Kornat zufolge löste die Idee des Dritten Europas, die der Międzymorze-Konzeption entsprang, gewissermaßen die Prometheusidee ab: „Während der Prometheismus die Gründung neuer Staaten voraussah, war die Idee des ‚Międzymorze‘ ein Programm für die Konsolidierung und Zusammenarbeit der bereits entstandenen Staaten […]“4. Nur die Interessen der Tschechoslowakei wurden von Warschau als zweitrangig betrachtet. Neben der Exkludierung Prags aus dem Konzept war allerdings auch der rumänisch-ungarische Antagonismus eine unüberwindbare Hürde des Dreiecks Warschau-Budapest-Bukarest. Die Annäherung zwischen den ostmitteleuropäischen Hauptstädten stellte zweifelsohne einen Versuch dar, zusätzliche Instrumente für eine bessere Artikulation der eigenen Interessen auf dem internationalen Parkett und vor allem in der europäischen Politik zu gewinnen. Kornat übersah jedoch, dass die Zusammenarbeit zwischen Warschau und Bukarest auch deutliche prometheistische Züge trug. Gerade in Bukarest und vor allem in Constanţa befanden sich bedeutende tatarische Gemeinschaften, die einen intensiven Kontakt zu den krim- und kasan-tatarischen Prometheisten in Istanbul, Warschau und Paris unterhielten. Cafer Seydahmet wurde zu einer Symbolfigur dieser tatarischen ZusamMarek Kornat: Idea prometejska a polska polityka zagraniczna (1921–1939/1940), in: Ruch prometejski…, hg. von Kornat, Warschau 2012, S. 68. Der Begriff des Dritten Europa (Trzecia Europa) hat in der polnischen Ideen- und Geistesgeschichte eine lange Tradition. Der Historiker Paweł Kowal sah im Engagement und Austausch Giedroyćs mit den Intellektuellen aus der Ukraine, Belarus sowie auch aus Tschechien die Suche der polnischen Kultureliten nach einem „Dritten Europa“. Dieses vermeintlich ‚Dritte Europa‘ unterschied sich von Westeuropa sowie von dem Europa, welches von Russland dominiert wurde. Die Grundhaltung sei dabei keineswegs eine antirussische Haltung (antyrosyjskość). Vgl. hierzu Paweł Kowal: Wielki powrót geopolityki i wschodnia idea Lecha Kaczyńskiego, in: Polska w grze międzynarodowej. Geopolityka i sprawy wewnętrzne, hg. von Jacek Kloczkowski, Krakau 2010, S. 43. 3 Kornat betont, dass die Sowjetunion im Kontext des Dritten Europas nicht zu Europa gezählt wurde. Marek Kornat: Idea prometjska a polska polityka zagraniczna (1921–1939/1940), in: Ruch prometejski…, hg. von Kornat, Warschau 2012, Fußnote 251, S. 89. 4 Ebenda, S. 69. 2
Das ‚Dritte Europa‘ versus die Prometheus-Front
menarbeit zwischen Polen und Rumänien. Die rumänische Region Dobrudscha, wo noch aus der Zeit des Osmanischen Reichs ein breites tatarisches Intellektuellenmilieu existierte, befand sich in einem engen und von den rumänischen Behörden zugelassenen Austausch mit der Krim und darüber hinaus mit dem Kaukasus und Istanbul. Die Idee des ‚Dritten Europas‘ von Beck und die damit einhergehende Marginalisierung des Prometheismus versetzte die polnischen Prometheisten in eine Identitätskrise, die den prometheistischen Diskursen und der Korrespondenz am Ende der 1930er Jahre abzulesen war: Während einige Akademiker versuchten, sich mit der Geschichte der Netzwerkaktivität auseinanderzusetzen und die Zielsetzung des Prometheismus neu zu definieren, forderten diejenigen aus dem diplomatischen und vor allem nachrichtendienstlichen Milieu eine Reform des Netzwerks. Der polnische Turkologe und Hungarologe Jan Reychman gehörte zur ersten Kategorie. 1937 schrieb er im Editorialartikel der Warschauer Zeitschrift „Wschód“: „Die Hauptaufgabe des Prometheismus ist die Verbindung der polnischen Interessen mit dem Freiheitsdrang der Völker, die vom Moskauer Imperialismus unterdrückt bzw. bedroht werden […]“5. Ihm zufolge entstand der russische Imperialismus infolge des Untergangs des osmanischen Imperialismus. „Diese zwei Prozesse fanden mehr oder weniger im selben Zeitraum statt: Das türkische Imperium erreichte seinen Höhepunkt und begann sich dann dem Untergang zu nähern, während eine neue Großmacht im Norden unter Iwan dem Schrecklichen geboren wurde“6, schlussfolgerte Reychman. Seiner Meinung nach war die Schwächung des Osmanischen Reiches quasi mitverantwortlich dafür, dass es Russland gelang, zu einer Großmacht aufzusteigen. „Lange, zu lange wurde die Türkei als Hauptgegner im östlichen Europa gesehen“7, schrieb Reychman in seinem historischen Überblick. Die Herrschaftszeit von Peter dem Großen sei eine Kehrtwende gewesen: Russland konnte sich als starke Großmacht gegenüber allen seinen Nachbarn behaupten. Der ukrainische Politiker Filip Orlik habe dies als Erster begriffen und setzte auf die Annäherung mit Schweden und der Türkei. Reychman argumentierte, dass Polen im 17. Jahrhundert die Osmanen und Schweden immer noch ‚traditionell‘ misstrauisch beäugte, aber auch die diplomatische Aktivität Orliks unterschätzte und sein Unterfangen keineswegs unterstützte. In Filip Orlik, sowie in seinem Sohn Grzegorz Orlik, sah Reychman die Urgroßväter des Prometheismus und einer suprakonfessionellen Zusammenarbeit der Völker des östlichen Europas mit den Osmanen und darüber hinaus mit den Völkern des Kaukasus gegen Russland. Im Weiteren ging Reychman detailliert auf die Tätigkeit des polnischen Fürsten Czartoryski und seine Verbindung zu den Osmanen und darüber hinaus zum Kaukasus ein. Am Vorabend und während des Krimkrieges spielten die polnischen Politiker „wieder die
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J[an]. R[eychman].: Z dziejów prometeizmu polskiego, in: Wschód 1–2 (1937), S. 1. Ebenda. Ebenda.
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Rolle der Berichterstatter bei den europäischen Kabinetten in Kaukasusfragen“8. Weiter schilderte Reychman die publizistisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung der polnischen Intellektuellen mit dem Kaukasus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerte sich die prometheistische Aktivität, der Auffassung Reychmans nach, durch die Bereitstellung von Militärexperten aus Polen in den Republiken des Kaukasus. Bekanntlich ging z. B. der polnisch-litauische Tatare General Maciej Sulkiewicz nach Baku, um dort 1918–1919 die aserbaidschanische Armee mit aufzubauen. Die Gründungen der Zeitung „Przymierze“ (1920–21) ebenso wie der Zeitung „Wschód Polski“ (1919–22) bildeten das Ende des Narrativs von Jan Reychman über die Geschichte der „prometheistischen Bewegung“. Reychman resümierte schließlich: „Von den Träumen Orliks über die Taten Kościuszkos, Adam Czartoryskis, Mickiewiczs, Piłsudskis zieht sich derselbe [rote, Z. G.] Faden, der die Kontinuität und Gültigkeit derselben Phänomene, Faktoren, […] aufzeigt.“9 Somit gelang es Reychman, die Evolution der polnischen geopolitischen Ordnungsvorstellungen bis ins 17. Jahrhundert zurückzuprojizieren. Der Raum zwischen der Ostsee und der Schwarzmeerküste wurde als ein friedlicher, jedoch durch den Moskauer Imperialismus stets bedrohter Raum gezeichnet. Gegen Moskau sollte man nun übernational und vor allem überkonfessionell organisiert vorgehen. Dieser Beitrag ist aus mehreren Gesichtspunkten interessant, denn der Orientalist Reychman versuchte, als ein aktiver Prometheist im führenden prometheistischen Medium in Polen, die Geschichte der eigenen geopolitischen Europa- und Weltvision darzustellen. Sein Aufsatz ist somit ein Selbstnarrativ, von dem man auf das ideologische Fundament des Prometheismus aus prometheistischer Sicht schließen kann. Es ist kein Zufall, dass die Prometheisten kontinuierlich von den ‚prometheistischen Völkern‘ und von dem ‚Kampf des Prometheus‘ schrieben und sich als eine Bewegung betrachteten. Der Wunsch der Prometheisten, die Sowjetunion zu delegitimieren und dem Kommunismus das Fundament zu entziehen, führte zur Ideologisierung der eigenen prometheistischen Tätigkeit. Der U. S.-amerikanische Forscher Piotr Wandycz sprach zwar von „der prometheistischen Ideologie“, schlussfolgerte jedoch: „The Promethean ideology […] cultivated by the Pilsudski camp never assumed the form of a concrete political, not to speak of a military, program.“10 Der Anspruch mancher Prometheisten, den Prometheismus zu einer Ideologie zu entwickeln, sollte im Kontext der gesamteuropäischen Geistes- und Ideengeschichte der Zwischenkriegszeit betrachtet werden. Geopolitische Aspekte des Prometheismus entsprangen nicht zuletzt dem Anspruch der polnischen Intellektuel-
Ebenda, S. 10. Reychman erwähnte als Beispiel den polnischen Politiker Lenoir-Zwierkowski, der die französischen politischen Kreise über die Lage im Kaukasus aufklärte und eine gemeinsame polnisch-kaukasische Operation gegen Russland plante. 9 J. R.: Z dziejów prometeizmu polskiego, in: Wschód 8/1–2 (1937), S. 15. 10 Piotr S. Wandycz: Poland’s Place in Europe in the Concepts of Piłsudski and Dmowski, in: East European Politics and Societies 4/3 (Fall 1990), S. 464. 8
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len, den 1918 wiederhergestellten polnischen Staat im europäischen Staatensystem zu positionieren. Polen sollte nach seinem Sieg über die Rote Armee 1921 in eine Regionalmacht zwischen Ostsee- und Schwarzmeerküste verwandelt werden. Ähnlich wie Großbritannien war Frankreich, der bedeutendste Verbündete Polens im westlichen Europa, eine mächtige Kolonialmacht. Der europäische Kolonialismus wurde in Polen ambivalent rezipiert. Einerseits kritisierten die polnischen Intellektuellen den Kolonialismus als eine Form des Imperialismus, andererseits fühlte sich ein Teil der polnischen Macht- und Intellektuelleneliten benachteiligt, da Polen keine Gebiete in Übersee besaß, die es ausbeuten konnte. Der Besitz von Kolonien wurde jedoch in manchen Kreisen Warschaus als eine Eintrittskarte zum ‚Klub der Stärkeren‘ unter den europäischen Mächten angesehen und es gab daher den Ansporn, eine Reihe von Organisationen und Vereinen zu gründen, die sich kolonialen Fragen widmeten.11 In diesem Kontext sind die kolonialen Aspekte der prometheistischen Diskurse von Bedeutung. So setzte sich der polnische Intellektuelle und Nachrichtendienstler Władysław Pelc mit der „Frage Sibiriens in der prometheistischen Bewegung“12 auseinander. Diese Region war kaum besiedelt und war für die polnischen Prometheisten fast ausschließlich aus wirtschaftlicher Sicht signifikant. In Wirklichkeit war das polnische Engagement zugunsten der prometheistischen Netzwerke die Folge eines Versuchs Polens, den europäischen Mächten, und nicht zuletzt der UdSSR selbst nachzueifern und ihre Vorgehensweise, ihre außenpolitischen Aktivitäten zu imitieren. Diesen Anspruch hatte Polen zwar, jedoch verfügte es weder über ausreichende Kapazitäten, noch über eine vergleichbare Infrastruktur. Die bis dahin vorhandenen Möglichkeiten wurden 1937 stark eingeschränkt, was nicht nur mit der schwierigen ökonomischen Situation in Polen selbst, sondern auch mit der Aufforderung Moskaus verbunden war, die Zahl der diplomatischen Vertretungen, bzw. des Personals im sowjetisch-polnischen Kontext anzugleichen. Für Polen bedeutete dies die Schließung der eigenen Konsulate in Charkow und in Tiflis.13 Gerade die Tatsache,
Noch 1918 wurde in Warschau der Verein „Bandera Polski“ [Die polnische Fahne] auf Initiative des Flotten-Konteradmirals Kazimierz Porębski gegründet, die ein Jahr später in die Liga Żeglugi Poslkiej [Liga der polnischen Schifffahrt] umbenannt wurde. Ursprünglich waren dies die Vereine der polnischen Flotte und Marine, die das Wissen über die Flottengeschichte sowie die Bedeutung der Meeresverbindung in der polnischen Gesellschaft popularisieren wollten. Die Vereine sollten den Anspruch Polens auf die unter internationaler Kontrolle stehende Hafenstadt Danzig unterstützen. In den darauffolgenden Jahren sollte es darüber hinaus auch um koloniale Expansionen in Übersee gehen. 1925 entstand dafür die „Liga Morska i Rzeczna“ [Liga der Meere und Flüsse] und 1930 – „Liga Morska i Kolonialna“ [Meeres- und Kolonialliga]. Vgl. Józef Wąsiewski: Dzieje polskich lig morskich 1918–2010, in: http://www.lmir.pl/article/historia/ar ticle.php/id_item_tree/596c8167c8 (Zugriffsdatum: 24.07.2013). 12 Władysław Pelc: Kwestia syberyjska w ruchu prometeuszowskim, in: Wschód 8/1–2 (1937), S. 35–44. 13 Wojciech Skóra: Działalność polskiej służby konsularnej na terenach Rosji, Ukrainy i ZSRR w dwudziestoleciu międzywojennym (1918–1939), in: Zbirnyk naukovych prac’ 1 (2008), S. 202, zitiert nach: http:// dspace.tnpu.edu.ua/bitstream/123456789/1317/1/Skora.pdf (Zugriffsdatum: 27.01.2014). 11
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dass die Mission in Tiflis geschlossen werden musste, war sowohl für die polnischen als auch für die georgischen Prometheisten enttäuschend. Dabei ist anzumerken, dass die polnischen diplomatischen Missionen auf dem sowjetischen Territorium ohnehin unter besonders schlechten Bedingungen arbeiteten. Die Arbeitsräume, die gleichzeitig auch als Wohnräume der Diplomaten und der Konsulatsmitarbeiter dienten, waren extrem klein; die Mitarbeiter durften nicht außerhalb der Mission wohnen und nur möglichst selten das Botschafts- bzw. Konsulatsterritorium verlassen. Dies führte zu Spannungen zwischen den Entsandten wie auch zwischen den diplomatischen Missionen Polens in der UdSSR, die ohnehin im Visier der sowjetischen Geheimdienste standen.14 Nicht selten kam es zum Anwerben polnischer Diplomaten durch die sowjetische Seite, was für die prometheistische Aktivität gravierende Folgen hatte. Dem polnischen Historiker Paweł Libera zufolge zog der Tod Piłsudskis eine bedeutende Umstrukturierung der prometheistischen Netzwerke nach sich und wirkte sich somit sogar positiv auf die Arbeit der Aktivisten aus.15 Man hätte denken können, dass nach dem Tod des Hauptinitiators der prometheistischen Aktivität die Netzwerke und ihre Infrastruktur in Vergessenheit geraten und ihre Aktualität einbüssen. Es kam aber zu den unerwarteten Reformen, deren Erfolg allerdings bescheiden blieb, da ihre Natur eher kosmetisch blieb. Oft vergessen wird von den HistorikerInnen die Tatsache, dass die prometheistische Aktivität der georgischen, aserbaidschanischen, tatarischen und ukrainischen Emigranten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, als sie weiterhin antisowjetische und Moskau-kritische Aufsätze in den prometheistischen Medien in Paris, Warschau und Istanbul verbreiteten, eine Routinearbeit war, für die sie auch von Polen aus bezahlt wurden. Ein Teil der Prometheisten, die sich aktiv in den 1920er Jahren profiliert hatten, verließ wie beschrieben im Laufe der 1930er Jahre, vor allem aber Ende der 1930er Jahre, die polnischerseits organisierten Netzwerke und orientierte sich zunehmend an Italien, Japan und Deutschland. Die Reorganisation der noch bestehenden prometheistischen Gruppen nach dem Tod Piłsudskis 1935 war daher ein verzweifelter Versuch, die restlichen Prometheisten an sich zu binden. Die Reorganisationsanstrengungen lösten eine Welle an Debatten im Prometheistenmilieu aus. Die aserbaidschanische Exil-Zeitschrift „Kurtuluş“ [Befreiung]16, die seit 1934 von Rasulzade redigiert wurde und in Berlin erschien, war eines der wenigen prometheistischen Medien, die den Warschauer Politikern treu blieb. Wenn auch in Berlin ansässig, propagierte „Kurtuluş“ beispielsweise weiterhin die Idee der Kaukasischen Konföderation. Im Juni 1938 druckte die Zeitschrift den Vortrag Rasulzades, den
Ebenda. Vgl. Vortrag von Paweł Libera auf der Prometheus-Konferenz an der Universität Warschau am 25– 27. Oktober 2013. 16 Kurtuluş. Azerbaycan Milli Kurtuluş Hareketinin Organı. Aylık mecmua. Die deutsche Eigenübersetzung lautete: „Die Befreiung“. Das Organ der nationalen Verteidigung von Aserbeidschan. Die Redaktion befand sich in Berlin-Charlottenburg 2, Postfach Nr. 16. 14 15
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er anschließend an eine kritische Rede Włodzimierz Bączkowskis während der Sitzung des Warschauer Prometheus-Klubs gehalten hatte. Der Vortrag war eine Reaktion auf die Ideen Bączkowskis über den „Geist der Moderne“ und Rasulzade entwickelte den Ansatz der „Nationalen Solidarität“. Zum ersten Mal hatte er ihn 193717 im Bulletin der exilaserbaidschanischen Partei Müsavat eingebracht und in den darauffolgenden Jahren immer wieder aufgegriffen. Rasulzade zufolge beobachtete man die Rivalität zweier Systeme, eines „internationalen Kommunismus“ und eines „internationalen Demo[kratischen, Z. G.] -Liberalismus“. Es sei die Folge dieser Konfrontation, dass der Faschismus in Italien und der Nationalsozialismus in Deutschland ihren Siegeszug feiern konnten. Rasulzade bezeichnete die beiden Systeme als „totalitäre Nationalismen“ sowie „nationale Revolutionen“. Die Ideologie der nationalen Revolution sei zur neuen Herausforderung des Kommunismus geworden. Laut Rasulzade war „der kosmopolitische Demo-Liberalismus zu schwach im Kampf gegen den kosmopolitischen Kommunismus“18. Gleichzeitig stellte Rasulzade eine Annäherung zwischen den zwei ‚alten‘ Rivalen, zwischen der „kommunistischen Internationale und der demo-liberalen Internationale“19 fest. In diesem Kontext definierte er die „prometheistische Front“ als national-revolutionär. Bei der Weiterentwicklung dieser Frage schlussfolgerte Rasulzade: „Alle Länder, die in diesem Moment gegen den Kommunismus und die Sowjetunion kämpfen, sind unsere Freunde“20. Offensichtlich konnten die Prometheisten die raschen politischen Veränderungen, wie z. B. die französisch-sowjetische Annäherung, schwer akzeptieren. Rasulzade wies dementsprechend darauf hin, dass die Prometheisten andere antikommunistische Kräfte zu ihren potentiellen Verbündeten zählen könnten. Dabei betonte er, dass ein solches Bündnis bestimmte Grenzen hätte. Nur gegen den Kommunismus zu sein, sei nicht ausreichend. Erwünscht und erwartet sei die Einstellung gegen jegliche Form des russischen Imperialismus.21 Rasulzade hob hervor, dass „das gastfreundliche Polen“ ganz vorne zu diesen Verbündeten zähle. Er zitierte dabei die polnische Losung „Für eure und unsere Freiheit“.22 Die Kritik Bączkowskis, die er während der Sitzung im Frühling 1938 in Warschau äußerte, richtete sich vor allem gegen die Vertreter der georgischen und ukrainischen Emigration, die sich politisch umorientierten und nun offen mit Deutschland und Italien zusammenarbeiteten. Enttäuscht und besorgt durch diese Entwicklungen intensivierte Polen seine Arbeit mit den aserbaidschanischen und tatarischen Prometheisten, um mit deren Hilfe im Bereich der Annäherung an die Türkei vorwärtszukommen. Mehmed Emin Resul-zade: Bizim sosyal sistem – Milli tesanüt, in: Müsavat-Bülteni 2 ( Januar 1937), zitiert nach: M. B. Mehmed-zade: „Yeni Çağların Ruhu“ (‚Promete‘de mühim konfrans), in: Kurtuluş 44 ( Juni 1938), S. 17. 18 Mehmet Emin Resulzade: Zamanın sintezi, in: Kurtuluş 44 ( Juni 1938), S. 3. 19 Ebenda, S. 4. 20 Ebenda. 21 Ebenda, S. 5. 22 Ebenda. 17
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Ankara unterhielt zwar immer noch recht gute Beziehungen zur Sowjetunion, fürchtete jedoch die italienische Expansionspolitik im Mittelmeer, das Mussolini bekanntlich bereits in den frühen 1920er Jahren als „unser Meer“ (mare nostrum) bezeichnet hatte. Italiens Politik auf dem Balkan, vor allem die Eroberung Albaniens, löste tiefe Besorgnisse in Ankara aus. Diese Befürchtungen sahen die polnischen Prometheisten als Chance, die Türkei für die eigene Sache zu gewinnen oder zumindest zu erreichen, dass sie die Tätigkeit der prometheistischen Zirkel auf ihrem Staatsgebiet duldeten. Im Frühjahr 1938 druckte „Wschód“ den programmatischen Aufsatz Bączkowskis „Das prometheistische Problem“ ab, in dem er den Prometheismus neu definierte und ihn in das aktuelle weltpolitische Geschehen einordnete. Er bezog sich auf die Moskau-kritischen, polnischen Russlandexperten und Politologen Jan Kucharzewski und Adolf Bocheński und ging von der These aus, dass die Politik Russlands unabhängig vom politischen Regime dort gegen Polen ausgerichtet sei. Daher sei der Prometheismus eine Verteidigungstaktik, ein „Selbstschutzmechanismus“.23 Bączkowski verurteilte die polnischen Prometheismus-Kritiker scharf: sie seien Pazifisten und russophil. Er argumentierte mit geopolitischen Begriffen und mit ständigen Hinweisen, wie sich die demographische Entwicklung einzelner europäischer Staaten und Russlands seit den polnischen Teilungen abzeichnete. Alles entwickle sich dabei zu Ungunsten Polens, so seine Schlussfolgerung.24 Als besonders bedrohlich sah Bączkowski die Entwicklung in Russland an, dessen Bevölkerung „in achtzig Jahren über 500 Millionen sein wird“25. Daher schien ihm das polnische Engagement am Prometheismus als überlebenswichtig, denn das Ziel des Unterfangens liege darin „Russland in mehrere Nationalstaaten aufzuteilen“. Er erwähnte explizit die Ukraine, den Kaukasus und Turkestan. Es ist zu betonen, dass es für Bączkowski im Laufe der 1930er Jahre darum ging, regionale Konföderationen zu bilden, die imstande wären, sich gegen Moskau zu behaupten. Die Wiederherstellung eines unabhängigen Georgiens und Aserbaidschans war beispielsweise nicht mehr aktuell. Die Ukraine, die eine Schlüsselrolle in den geopolitischen Ordnungsentwürfen Bączkowskis spielte, bildete eine Ausnahme. Im Weiteren schilderte er die internationalen Entwicklungen, die für das prometheistische Engagement von Bedeutung waren. Neben dem „chinesisch-(sowjetisch)-japanischen Konflikt“ erwähnte er die Gründung des Antikominternpakts, die „natürliche und unvermeidbare Krise in den türkisch-russischen Beziehungen“ und andere Prozesse. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass Polen Rumänien und Schweden als historische Verbündete ansah, aber in beiden Ländern kaum Interesse am Prometheismus bestand. Nichtsdestotrotz betonte Bączkowski die Bedeutung dieser Länder, wie auch der Türkei, für die Schaffung einer breiteren antirussischen Front. In der Russlandpolitik Berlins bemängelte er: „Deutschland unterscheidet naiv das Weiße Russland vom Roten [Russland, Z. G.] 23 24 25
Włodzimierz Bączkowski: Problem prometejski, in: Wschód 9/1 (1938), S. 3. Ebenda, S. 2–3. Ebenda, S. 3.
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und konzentriert sich vor allem auf Juden und den Kommunismus und lässt somit eine offene Tür für eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Weißen Russland.“26 In diesem Kontext betonte Bączkowski, dass die polnisch-japanischen Sicherheitsinteressen mehr Gemeinsamkeiten aufwiesen als die deutsch-japanischen. In diesem Beitrag, der auf Polnisch und auch in einer ausführlichen Übersetzung auf Englisch abgedruckt wurde, waren Botschaften sowohl an die Türkei, als auch an Rumänien und Japan enthalten. Der Prometheismus wurde als Muss, als eine zwingende Schutzmaßnahme und die Sowjetunion als eine fortwährende Gefahrenquelle für den polnischen Staat dargestellt. Das Argument der polnischen PrometheismusKritiker aus dem national-demokratischen Lager, die Gefahr für Polen komme aus Deutschland und weniger aus Russland, entkräftete Bączkowski, indem er die Bedrohung der Expansion Russlands in Richtung Polen als immanent stilisierte. Im Beitrag Bączkowskis, sowie in den von ihm intensiv rezipierten Arbeiten Jan Kucharzewskis und vor allem Adolf Bocheńskis, die gerade im Laufe der 1930er Jahre in Polen erschienen und die intellektuellen Diskurse entscheidend beeinflussten, war das Denken in geopolitischen Kategorien ähnlich wie zu dieser Zeit in Deutschland abzulesen. Auch in den polnischen Diskursen der Prometheisten wurden statistische Angaben zur demographischen Situation ausgeführt und somit instrumentalisiert. Der entscheidende Unterschied zwischen den polnischen Prometheistendiskursen und den deutschen Diskursen der ausgehenden 1930er Jahre war jedoch das Fehlen rassentheoretischer Zuschreibungen und eines eklatanten Antisemitismus. Neben öffentlichen Artikeln war Bączkowski mit der Vorbereitung geheimer strategischer Papiere befasst, mit denen er antisowjetische Allianzen zu schmieden versuchte. Am 1. April 1938 schickte er zwei nicht ganz identische Versionen einer strategischen Roadmap zur prometheistischen Arbeit im Fernen Osten an die japanische Seite wie auch an die entsprechende Stelle im polnischen Nachrichtendienst. In seinem Papier wurde das langfristige Ziel benannt: die „Zerstückelung Russlands in Nationalstaaten“ so wie dies am Beispiel des Osmanischen Reiches und der Habsburger Monarchie geschehen war. Bączkowski wies auf die Schwächen der japanischen Russlandexpertise hin, die sich angeblich unter einem starken Einfluss der weißrussischen Emigranten entwickelte. Im Weiteren riet er der japanischen Seite, dass diese sich „tiefgründig und ernsthaft […] mit der Bekämpfung Russlands und der russischen Einflüsse im Fernen Osten beschäftigen muss, mit dem konkreten Ziel, Russland aus dem Fernen Osten zu verdrängen und zu schwächen.“27 Dies war nach Bączkowski mittels folgender Maßnamen erreichbar:
Ebenda, S. 5. Włodzimierz Bączkowski: Luźne uwagi o pracy prometejskiej na Dalekim Wschodzie, zitiert nach: Hiroaki Kuromiya, Paweł Libera: Notatka Włodzimierza Bązkowskiego na temat współpracy polskojapońskiej wobec ruchu prometejskiego, in: Zeszyty historyczne 169 (2009), S. 133.
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a) Die Entstehung des Mandschukuo Nr. 2 sui generis auf der Grundlage der ukrainischen Bevölkerungsmehrheit im Zelёnyj klin. An die ukrainische Bevölkerung sollten die Kosaken des Amurgebiets angeschlossen werden, unter denen man zuvor politische und kulturelle Russophobie zu verbreiten hat; b) Die Schaffung einer unabhängigen, sich jedoch unter japanischem Protektorat befindenden Großmongolei, die aus der Inneren Mongolei, der äußeren Mongolei und der Buriato-Mongolischen Republik bestehen sollte. Unabhängig jedoch sollten die Kosaken vom Baikal-Gebiet mit der Mongolei in einer Konföderation organisiert werden. […] Diese sollten die Ideologie der [Zeitschrift, Z. G.] „Vol’noe kazačestvo“ übernehmen; c) Die Schaffung eines unabhängigen, sich unter japanischem Protektorat befindenden Großjakutiens, das an die Großmongolei und Zelёnyj klin zu grenzen hatte; d) die Schaffung eines unabhängigen, sich unter japanischem Protektorat befindenden Turkestans, das aus dem chinesischen und russischen Turkestan bestehen und auf der Grundlage einer Föderation mit den Wolga-Tataren verbunden sein sollte; e) Die Schürung, Förderung und Ausnutzung des sibirischen Separatismus mit dem Ziel die Sibirischen Vereinigten Staaten zu schaffen.28
Im Weiteren erklärte Bączkowski wie die oben geschilderten Ziele konkret durchzuführen seien, bzw. was die „Mittel für die praktische Umsetzung“ waren: In Tokio und Harbin sollten Zentren der prometheistischen Aktivitäten geschaffen werden, die mit „öffentlichen Propagandamethoden die von Russland geknechteten Völker zur Zusammenarbeit mit Japan […] inspirieren würden“29. Presse, Flugblätter, Rundfunk, Kongresse, Tagungen, Plakate u. a. Mittel sollten zum Instrumentarium gehören. Bączkowski erteilte Ratschläge in Bezug auf die Organisation der japanischen nachrichtendienstlichen Arbeit in der UdSSR in Zusammenarbeit mit den „nichtrussischen Elementen Russlands“ und plädierte dafür, diese getrennt von der prometheistischen Tätigkeit durchzuführen, damit die Prometheisten nicht kompromittiert würden. Es sollten zwei Posten für Attachés für „prometheistische Angelegenheiten“ etabliert werden, je einer an der polnischen Botschaft in Tokio und an der japanischen Botschaft in Warschau. In der englischen Version hieß es: „These „envoys“ may act as members of our Ambassies or as „correspondents“, lecturers of Universities or delegates of Oriental Institut in Warsaw and same simile institution in Tokyo“30. Für ein offizielles polnisch-japanisches Abkommen zur prometheistischen Zusammenarbeit sah Bączkowski keine Notwendigkeit: „It is better to begin the work out of many words, without of engagement of ‚high policy‘. All great things begin in secrecy and out of many speakings.“31 Bączkowski bediente sich seines Codenamens Włodzimierski und 28 29 30 31
Ebenda, S. 133–134. Ebenda, S. 134. [Orthographie des Originals] Ebenda, Fußnote 58, S. 134. Ebenda, Fußnote 59 B., S. 135.
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übergab sein strategisches Papier dem Mitarbeiter der japanischen Botschaft in Warschau, Masutarō Inoue, am 1. April 1938. Bączkowski war einerseits besorgt darüber, dass viele Kaukasier, nicht nur Armenier und Georgier, sondern auch Aserbaidschaner und Nordkaukasier durch Italien und vor allem durch Deutschland abgeworben wurden, hoffte jedoch andererseits nicht zuletzt durch eine aktive publizistische Aktivität in Berlin mit Deutschland einen modus vivendi zu finden.32 Schließlich war er ähnlich wie die restlichen polnischen Prometheisten, ein vehementer Kritiker Russlands und zeigte sich in Bezug auf Deutschland deutlich gemäßigter. Wie schon erläutert waren es die Anhänger Józef Piłsudskis, die seit 1918 gegen Russland agitierten und Deutschlands Expansionsdrang in Richtung Osteuropa unterschätzten. Bączkowski war ein überzeugter Piłsudski-Anhänger. In „Wschód“, der Zeitschrift, die er selbst redigierte, ließ Bączkowski längere deutschsprachige Zusammenfassungen von sich abdrucken, damit seine Schriften auch in Berlin mitverfolgt werden konnten. Das Interesse Bączkowskis an der deutschen Ostpolitik sowie an der Verbreitung von Informationen über polnische Interessen in Osteuropa an die deutschen Intellektuellen, äußerte sich nicht nur darin, dass er auf Einladung des Breslauer Osteuropainstituts nach Deutschland reiste. Auch die auffallende Zunahme deutschsprachiger Zusammenfassungen in der „Wschód“ sowie von Veröffentlichungen zur deutschen Politik im östlichen Europa zeugten davon. Im Sommer 1938 druckte seine Zeitschrift einen längeren Beitrag Bączkowskis „in voller deutscher Übersetzung des Originaltexts“, wie dies gleich unter dem Inhaltsverzeichnis angekündigt wurde, mit dem Titel „Betrachtungen über die deutsche Rußlandspolitik“33. In diesem Artikel formulierte er erneut die Zielsetzung des polnischen Prometheismus und des Beitrags: „Die prometheistische Idee bedeutet für uns eine vertragliche Abkürzung eines politischen Konzepts, welches die Teilung Russlands (gleichviel des roten oder weißen) in eine Reihe von souveränen nationalstaatlichen Organismen anstrebt. Wir werden also die deutsche Staatsraison bezüglich der Idee der Teilung Russlands in Nationalstaate besprechen.“34 Im Weiteren schrieb Bączkowski, dass „diese Idee in Deutschland nicht populär war“ und die Erklärung dafür sah er in der „eigenartigen romantischen Russenfreundlichkeit Preussens“. Er griff die Gedanken des polnischen Ideenhistorikers
Eine ähnliche Haltung war bei einigen anderen Prometheisten zu spüren. Man lehnte den Nationalsozialismus ab, hoffte jedoch, Deutschland in die antisowjetische Allianz holen zu können. Der aserbaidschanische Exilant Hilal Münschi schrieb in der Zeitung „Kurtuluş“ Ende 1937 in seinem Artikel „Die deutsche Presse und unsere Angelegenheiten“, dass die deutschen Medien wie der „Völkische Beobachter“ und die „Zeitschrift für Politik“ über die nichtrussischen Nationalitäten der Sowjetunion schrieben. Dieses ‚Interesse‘ der deutschen Öffentlichkeit stellten die Prometheisten grundsätzlich mit Genugtuung fest. Vgl. Hilâl Münschi: Almanya matbuatı ve mes’elelerimiz, in: Kurtuluş 37/38 (1937), S. 25–27. 33 Włodzimierz Bączkowski: Betrachtungen über die deutsche Rußlandspolitik, in: Wschód 9/3 ( Juli– September 1938), S. 9–20. 34 Ebenda, S. 10. 32
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Bogumil Jasinowski35 auf, der in seinen Werken auf die gegenseitige deutsch-russische Affinität und die Begeisterung der deutschen Denker u. a. für die russische Mystik hinwies. Ihm zufolge kam es in den deutsch-russischen Verflechtungen im Laufe des 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts zu intensiven und engen Austauschprozessen, zur gegenseitigen Anpassung und reziproken Bewunderung, die immer wieder mal deutscherseits, mal russischerseits entstanden: „Die zweite Hälfte des XIX. Jahrhunderts brachte eine neue Art russischer Ansteckung nach Deutschland in Gestalt der „großen“ psychologischen Literatur“36. In diesem Kontext erwähnte der Autor vor allem Fedor Dostojewski und Leo Tolstoi. Diese beiden „durchpflügten den geistigen Acker Deutschlands und öffneten den Weg einer gewaltigen Invasion der russisch-sowjetischen Literatur nach Deutschland nach dem Jahre 1918“37. An dieser Stelle ist die Besorgnis des polnischen Intellektuellen Włodzimierz Bączkowskis wegen der beobachteten Intensität in den russisch-deutschen Austauschprozessen offensichtlich.38 Die Teilungen Polens und die daraus entstandene „Polnische Frage“ in der europäischen Politik haben ihm zufolge „diese Freundschaft eher noch gefestigt“39. Bączkowski wies trotz der sowjetisch-deutschen Annäherung nach Abschluss des Rapallo-Vertrags auf den bestehenden ideologischen Antagonismus zwischen Berlin und Moskau hin. Er verwies dabei auf das Konfliktfeld zwischen der nationalsozialistischen und der kommunistischen Doktrin. Bączkowski zitierte das seit 1903 in St. Petersburg in Form von Zeitschriftenartikeln und 1905 in Form eines Buches erschienene Werk des prominenten russischen Chemikers Dmitrij Mendeleevs, „Zavetnye mysli“, in dem dieser seine Gedanken über Russlands Zukunft, seine geopolitische und geoökonomische Entwicklung mit den Lesern teilte. Mendeleev schrieb extensiv über die Entwicklung der Agrarwirtschaft und Industrie und verwies auf die Bedeutung der beiden Zweige
Bogumil Jasinowski (1883, Warschau – 1969, Santiago) war ein polnischer Ideenhistoriker und Philosoph. Nach dem Jurastudium in Warschau, Berlin, München, Charkow und der Promotion in Zürich sowie einem längeren Forschungsaufenthalt in Paris hatte er Lehrstühle an der Universität Warschau (1930–31) und von 1931 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an der Universität Wilno inne. Das Werk Jasinowskis, auf das sich Bączkowski bezieht, das er jedoch nicht zitiert, ist vermutlich das 1933 erschienene Buch „Wschodnie chrześcijaństwo a Rosja. Na tle rozbioru pierwiastków cywilizacyjnych Wschodu i Zachodu“. Mehr zu Jasinowski bei Marek Kornat: Bogumił Jasinowski (1883–1969) i jego interpretacja bolszewizmu, in: http://www.omp.org.pl/stareomp/indexe0c6.html?module=subjects&func=printpage&page id=268&scope=all (Zugriffsdatum: 07.01.2014). 36 Bączkowski: Betrachtungen über die deutsche Rußlandspolitik, in: Wschód 9/3 ( Juli–September 1938), S. 10. 37 Ebenda. 38 Das Thema der deutsch-russischen intellektuellen, reziproken Beeinflussung und Verflechtung beschäftigte viele polnische Intellektuelle in der Zweiten Republik und Bączkowski war kein Pionier in diesem Bereich. Baltoslavica, die Fachzeitschrift des Wilnaer Osteuropa-Instituts, berichtete in ihrer ersten Ausgabe von 1933 vom „großen Interesse an der sowjetischen Literatur in Deutschland“. Vgl. A[rthur] Luther: Literatura sowiecka w Niemczech, in: Balticoslavica 1 (1933), S. 18–24. 39 Bączkowski: Betrachtungen über die deutsche Russlandspolitik, in: Wschód 9/3 ( Juli–September 1938), S. 10. 35
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für das Wohl Russlands. Er kritisierte die Maltuslehre40 und hob die demographische Entwicklung, vor allem das Bevölkerungswachstum hervor. Gerade aus der Demographie, und teils mittels biologistischer Rhetorik, leitete Mendeleev seine Aussagen ab.41 Bączkowski verwies zu Recht auf die mangelnde Rezeption dieser geopolitischen Schrift Mendeleevs im Westen und zitierte eine bestimmte Stelle bei Mendeleev: „Im Bündnisse mit Frankreich und China kann Russland den kommenden Geschehnissen des XX. Jahrhunderts getrost entgegensehen.“42 Ihm zufolge orientierten sich die Bolschewiki an den geopolitischen Entwürfen Mendeleevs. Ein solch starkes Russland, das sich mit China verbündet, würde, den Schlussfolgerungen Bączkowskis gemäß, für Deutschland eine Gefahr bedeuten. Im Weiteren beschrieb Bączkowski den Machtantritt Adolf Hitlers, in Bezug auf die deutsche Russlandpolitik, als einen Sieg des katholisch geprägten Südens Deutschlands und Österreichs über die preußische Russophilie. Neben der Feststellung, dass unter den Nationalsozialisten ein Wandel der deutschen Wahrnehmung Russlands erfolgte, konstatierte Bączkowski, dass Deutschland bereits seit dem 19. Jahrhundert die Entwicklungen der nichtrussischen Nationen des Zarenreiches aufmerksam beobachtet hatte. Seine Beispiele waren die polonophile Begeisterung während der polnischen Aufstände sowie das deutsche Engagement für die Ukrainer, Armenier, Georgier und Tataren. An dieser Stelle erwähnte er namentlich Professor Jäschke43, den „Freund der Befreiung der von Russland unterdrückten Völker“44. Bączkowski nannte auch Paul Rohrbach, der „auf die präziseste und logischste Weise die Teilung Russlands in Nationalstaate zu Zeiten des Weltkrieges propagierte“45. Im Weiteren zitierte er russlandbezogene Passagen aus dem 1937 erschienenen Buch Rohrbachs „Woher es kam?“. Gleich nach Rohrbach hob Bączkowski zudem die Arbeiten zu Russland von Alfred Rosenberg, „eines Mannes aus der Zahl derjeniger, die trotz ihrer Kenntnis der russischen Sprache und ihrer Herkunft aus Russland, dem moralisch zersetzenden Einflusse der russischen Atmosphäre nicht erMalthuslehre, oder Malthusianismus, geht auf den englischen christlichen Denker Thomas R. Malthus zurück, der mit seiner Abhandlung „An Essay on the Principle of Population“ von 1798 eine Verbindung zwischen Bevölkerungswachstum und ökonomischem Potential einer Gesellschaft aufstellte. Die Vermehrung der Bevölkerung kann, Malthus zufolge, eine Knappheit der Ressourcen verursachen. 41 Siehe vor allem das Kapitel „Narodonaselenie“: Dmitrij I. Mendeleev: Zavetnye mysli, (Erstausgabe 1905) Moskau 1995, S. 33–90. 42 Bączkowski: Betrachtungen über die deutsche Rußlandspolitik, in: Wschód 9/3 ( Juli–September 1938), S. 13. 43 Gotthard Jäschke (1894–1983) war ein deutscher Orientalist, Diplomat und Jurist. Zwischen 1918 und 1931 bekleidete Jäschke verschiedene Ämter an den deutschen diplomatischen Missionen in Istanbul, Izmir, Tiflis und Ankara. 1931 erfolgte die Berufung als Turkologie-Professor nach Berlin. In den 1930ern gab Jäschke die einflussreiche Fachzeitschrift „Die Welt des Islam“ mit heraus. Mehr zu Jäschke bei Bertold Spuler: Zum Geleit, in: Die Welt des Islams 15/1–4 (1974), S. 1–4; Klaus Kreiser: Gotthard Jäschke (1894–1983): Von der Islamkunde zur Auslandswissenschaft, in: Die Welt des Islams 38/3 (1998), S. 406–423. 44 Bączkowski: Betrachtungen über die deutsche Rußlandspolitik, in: Wschód 9/3 ( Juli–September 1938), Fußnote 1, S. 14. 45 Ebenda, S. 14. 40
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legen sind.“46 Er zitierte aus Rosenbergs47 „Pest in Russland“48 und im Weiteren aus der antirussischen Schrift Georg Leibbrandts49 „Offensive Moskaus gegen Europa“50. Die Schlussfolgerungen Bączkowskis lauteten: Wir begrüßen also die Vertiefung der anti-russischen Staatsraison in Deutschland, als der geeigneten Korrektur seiner allzu einseitigen antikommunistischen Politik, von der man sagen kann, dass sie das Resultat einer künstlichen Abstrahierung der unbedeutenden „internationalen“ Elemente von dem natürlichen organischen Untergrunde war, wie es der kommunenfreundliche und euroasiatische dem ebenfalls kommunenfreundlichen und euroasiatischen, jedoch himmelweit rafinierteren und komplizierteren Judentum anverwandte Charakter des Moskowitentums ist.51
Am Ende des Artikels folgte eine zusätzliche Reflexion über die polnisch-deutschen kritischen Russlandrezeptionen, in der Bączkowski Rosenbergs Aussagen mit den Russland-bezogenen Passagen des polnischen Dichters Zygmunt Krasińskis verglich und dabei in die westkritischen Diskurse der russischen Slavophilen einführte. Auffallend ist dabei die einseitige Zitierweise der russischen Intellektuellen: Bączkowski zitierte selektiv einzelne Passagen aus dem 1918 erschienenen Buch V. Rozanovs „Apokalipsis našego vremeni“ [Die Apokalypse unserer Zeit], indem Rozanov Russen und Juden verglich und viele Ähnlichkeiten feststellte. Bączkowski ging es darum, einerseits die deutsche Öffentlichkeit bzw. die Intellektuellenschicht zu überzeugen, Antikommunismus nicht nur auf eine Opposition gegen jüdische Intellektuelle bzw. Kommunisten jüdischer Abstammung zu reduzieren, sondern generell auf Russland und auf alle Russen auszuweiten. Andererseits hatte das Zitieren von Rozanovs Textstellen über die russisch-jüdischen Ähnlichkeiten zum Ziel, die Russen zu Juden zu stilisieren, wohl wissend, dass diese zu diesem Zeitpunkt im nationalsozialistischen Deutschland gesellschaftlich marginalisiert und vehement verfolgt wurden. Am Ende des Beitrags erwähnte Bączkowski die antirussische Tradition des polnischen Fürsten Adam Czartoryskis sowie von Józef Piłsudski, an die die Prometheisten seit den frü-
Ebenda, S. 15. Alfred Rosenberg (1892, Tallinn – 1946, Nürnberg) war einer der führenden Ideologen der NSDAP und Leiter des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete. 48 Es handelte sich um das 1922 erschienene Buch Alfred Rosenberg: Pest in Rußland! Der Bolschewismus, seine Häupter, Handlanger und Opfer, München 1922. 49 Georg Leibbrandt (1899, Odessa – 1982, Bonn) war ein Dolmetscher russisch-deutscher Abstammung, der nach dem Besuch der Gymnasien in Dorpat und Odessa Theologie und Philosophie an mehreren deutschen Universitäten sowie in London studierte. Nach der Promotion 1927 machte er Karriere als Diplomat und Russlandkenner im nationalsozialistischen Deutschland. Leibbrandt war intensiv in die Judenverfolgung involviert. 50 Der genaue Titel des Buches lautete: Moskaus Aufmarsch gegen Europa. Die Titel stimmen nicht überein, was allerdings vermutlich einem Übersetzungsfehler der „Wschód“-Redaktion geschuldet ist. 51 Włodzimierz Bączkowski: Betrachtungen über die deutsche Russlandspolitik, in: Wschód 9/3 ( Juli– September 1938), S. 18 46 47
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hen 1920er Jahren ihre Russlandstrategie anknüpften. Somit stellte Bączkowski eine direkte Kontinuität des eigenen Werkes, seines Mitwirkens in den prometheistischen Netzwerken zum antirussischen Widerstand der polnischen Politiker des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts her. Im Frühjahr 1938 erschien am Ostinstitut in Warschau eine Monographie, die der polnischen Öffentlichkeit festlich vorgestellt wurde. Es handelte sich um das Buch Rasulzades „Azerbejdżan w walce o niepodległość“ [Aserbaidschan im Unabhängigkeitskampf], das mit einem Vorwort des Direktors des Ostinstituts, des Senators Stanisław Siedlecki, versehen war. Um die Sympathie der polnischen Öffentlichkeit zu gewinnen, integrierte Rasulzade einen Spruch Piłsudskis „Być zwyciężonym a nie ulec – to zwycięstwo“52 [Siegen heißt, besiegt werden und sich trotzdem nicht ergeben]. Darüber hinaus zitierte er einen Vers des exilaserbaidschanischen Dichters Emin Abit Gültekin53, der vom polnischen Literaturkritiker Janusz Kawecki ins Polnische übertragen wurde. Ein weiterer Vers Gültekins wurde am Ende des Buches in der Übersetzung des polnischen Dichters Józef Łobodowski54 präsentiert.55 Kawecki und vor allem Łobodowski standen den prometheistischen Kreisen seit Mitte der 1930er Jahre nahe.56 Die Monographie Rasulzades bestand aus drei Kapiteln, die sich mit der Geschichte und Gegenwart der Republik Aserbaidschan, der dortigen Nationalbewegung, sowie einer Ansammlung von Aufsätzen über die polnisch-aserbaidschanischen Beziehungen auseinandersetzten. Die Publikation enthielt etwa vierzig Bilder, Karten und Photoaufnahmen Bakus. Abgesehen von den prometheistischen Zielsetzungen und politischen Ambitionen war das Buch Rasulzades, das von polnischer Seite mit vorbereitet, sprachlich redigiert und finanziert worden war, ein wichtiger Beitrag zur polnischen Kaukasuskunde und Turkologie. Bis in die 1960er Jahre blieb die MonoDer Satz stammte ursprünglich aus Piłsudskis Widmung für die Zeitung „Żolnierz Polski“ [Der polnische Soldat] 1918. Vgl. Piłsudski Józef, „Być zwyciężonym…“, in: https://encyklopedia.pwn.pl/materia ly-dodatkowe/haslo/Byc-zwyciezonym-i-nie-ulec-to-zwyciestwo-zwyciezyc-i-spoczac-na-laurach-to-kles ka-autograf-dla-redakcji-Zolnierza-Polskiego-1918-Pilsudski-Jozef;451226.html (Zugriffsdatum: 20.11.2021). 53 Der Dichter und Literaturkritiker Emin Abit Gültekin (Əhmədov Əmin Mütəllib oğlu) wurde 1898 in Baku geboren und studierte bis 1926 Pädagogik und Literatur an der Universität Istanbul. Gerade während seines Türkeiaufenthaltes schrieb er neben Abhandlungen zur aserbaidschanischen Literaturgeschichte vor allem heimatbezogene Gedichte, die eine starke antikommunistische und antirussische Komponente aufwiesen. 1926 kehrte er schließlich in das sowjetische Baku zurück, wo er an der Staatsuniversität Vorlesungen zur Literaturgeschichte und Linguistik hielt und 1934 in den Schriftstellerverband aufgenommen wurde. 1937 kam er im Zuge der Stalinschen Repressalien in Sibirien um. 54 Józef Łobodowski (1909–1988) war ein bekannter polnischer Dichter, Vertreter der romantischen Strömung in der polnischen Literatur der Zwischenkriegszeit und ein aktiver Prometheist. 1937 wurde er mit dem angesehenen Preis der Polnischen Akademie der Literatur „Nagroda Młodych Polskiej Akademii Literatury“ ausgezeichnet. 55 Gül-Tekin: Lodowate piekło, in: Mehmed Emin Resul-Zade: Azerbajdżan w walce o niepodległość, Warschau 1938, S. 179–180. 56 Mehr zu Łobodowski und seinen Verbindungen zu den Prometheisten siehe Paweł Libera: Józef Łobodowski (1909–1988) – szkic do biografii politycznej pisarza zaangażowanego, in: Zeszyty Historyczne 160 (2007), S. 3–34. 52
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graphie Rasulzades die umfangreichste Quelle zur aserbaidschanischen Geschichte und Kultur in polnischer Sprache.57 Berlin entwickelte sich gerade 1937–39 zu einem neuen wichtigen Standort der geschwächten prometheistischen Aktivität. Zu dieser Zeit befanden sich hier prominente Vertreter der tatarischen Emigration, wie der Dichter Ayaz Ishaki und aserbaidschanische Publizisten, wie Mirza Bala Mehmetzade und Hilal Münschi. Berlin und seine Bildungsstätten waren in der Tat seit der Jahrhundertwende ein Anziehungsort für viele Kaukasier und Tataren. Es waren hier türkische (Berlin Türk Ocağı [Türkisches Heim Berlin]) und tatarische Klubs (Klub Turan) und ein georgisches Intellektuellenmilieu entstanden, deren einzelne VertreterInnen aufgrund früherer Bekanntschaften Kontakte zu den eigenen Landsleuten in anderen europäischen Hauptstädten unterhielten. Die türkische Botschaft in Berlin sowie das Orientalische Seminar der dortigen Universität entwickelten sich zu wichtigen Orten, an denen viele türkische, tatarische und aserbaidschanische Intellektuelle in den 1920er Jahren verkehrten. Interessant sind diesbezüglich die Erinnerungen des aserbaidschanischen Prometheisten Ahmet Caferoğlu, der sich von 1925 bis 1929 in Breslau und Berlin aufgehalten hatte. In Berlin hatte er am Lehrstuhl des Turkologie-Professors Willi Bang-Kaup (1869–1934) den jüngeren Emigranten aus Zentralasien Reşid Rahmeti Arat kennengelernt. Caferoğlu zufolge besuchten die beiden die türkische Botschaft und versammelten sich an den wichtigsten religiösen Feiertagen im Berliner Klub „Türk Ocağı“.58 Beide erhielten in den 1930er Jahren Professuren an der Universität Istanbul. Als Arat am 24. November 1964 verstarb, schrieb Caferoğlu einen Nachruf auf ihn und veröffentlichte ein Foto aus dem Jahr 1928. Auf dem Bild wurde ein Treffen der Turkestaner und tatarischen Emigranten dokumentiert. Darunter waren Reşid Rahmeti, Ayaz Ishaki und seine Tochter Saadet Çağatay59, sowie Mustafa Čokaev und Ahmet Caferoğlu.60 Saadet Çağatay studierte Orientalistik und Philosophie in Berlin. Von 1928 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterstützte sie ihren Vater bei der Herausgabe der führenden exilkasantatarischen und prometheistischen Zeitung „Yanga Milli Yol“ in Berlin. Sie
Ein weiteres Buch, das vom Ostinstitut ins Leben gerufen wurde, war das des Prometheisten Abdullah Zihni Soysal zur Geschichte der Krim, „Z dziejów Krymu. Polityka – Kultura – Emigracja“ (Warschau 1938). Seydahmet schrieb das Vorwort. A. Zihni Soysal (1905–1983) war ein türkischer Historiker und Linguist krimtatarischer Herkunft. Er promovierte beim polnischen Iranisten und Turkologen Tadeusz Kowalski (1889–1948) an der Universität Krakau in den 1930ern und wanderte nach dem deutsch-sowjetischen Überfall auf Polen 1939 in die Türkei aus. Im April 1939 wurde die Monographie Soysals sehr positiv in der nordkaukasischen Exilantenzeitschrift „Severnyj Kavkaz“ rezensiert. Vgl. R. Ch.: in: Severnyj Kavkaz 60 (April 1939), S. 26–27. 58 Mehr dazu Prof. Dr. Ahmet Caferoğlu: Reşid Rahmeti Arat, in: Türk Kültürü 27 ( Januar 1965), S. 159– 161. 59 Saadet Çağatay (1907, Kasan – 1989, Ankara) war eine prominente exiltatarische Aktivistin und Turkologin. 1939 wanderte sie in die Türkei aus und erhielt 1953 die Professur für Turkologie an der Universität Ankara. Sie war verheiratet mit dem Turkestaner Prometheisten Tahir Čağatay. 60 Prof. Dr. Ahmet Caferoğlu: Reşid Rahmeti Arat, in: Türk Kültürü 27 ( Januar 1965), S. 161. 57
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spielte eine bedeutende Rolle als Brücke bei der Schließung der Kontakte zwischen den turkophonen sowie nordkaukasischen Prometheisten und den deutschen Orientalisten und Politikerkreisen. Zum Berliner Milieu gehörten auch Hilal Münschi sowie der ehemalige Prometheist Gejdar Bammat, der Mitte der 1930er mit den Prometheisten brach und mit Gleichgesinnten nach Berlin zog, wo er die Zeitschrift „Kavkaz“ [Kaukasus] gründete und gegen die UdSSR sowie auch gegen die Prometheisten agitierte.61 Durch die Vermittlung deutscher Orientalisten, vor allem des Professors Gotthard Jäschke, erhielten gerade die muslimischen und turkophonen Aktivisten Zugang zu den deutschen Behörden und konnten durch ihre Vortragsaktivität zumindest die Öffentlichkeit in Berlin erreichen. Als Beispiel kann der Vortrag Rasulzades im Mai 1937 gelten, als er ein Referat über das „Problem Aserbaidschan“ im Humboldt-Klub hielt. Interessanterweise waren bei der Veranstaltung nicht nur georgische, nordkaukasische, ukrainische und tatarische Emigranten anwesend, sondern auch Perser, Türken und Armenier. Der Abendvortrag wurde eingeleitet durch Grußworte von Hilal Münschi und Gotthard Jäschke. Tatsächlich beschränkte sich Rasulzade auf die Begrüßung des Publikums, während sein Vortrag über die Geschichte, Wirtschaft und Politik in Aserbaidschan vor und nach der sowjetischen Eroberung, in der deutschen Übersetzung von Münschi vorgelesen wurde. Münschi wies darauf hin, dass Rasulzade die Idee der Kaukasischen Konföderation mit der prometheistischen Gruppe teile. An diesem Aspekt erkennt man, dass die Vorträge der Prometheisten im nationalsozialistischen Berlin einen propagandistischen Charakter hatten. In seinem Dankwort resümierte Jäschke, dass Deutschland an der Erlösung der nichtrussischen Völker in Russland interessiert, jedoch seine Öffentlichkeit über ihre Probleme zu wenig informiert sei.62 Wie intensiv sich die deutsche Orientalistik in das Leben der muslimischen Prometheisten in Berlin einmischte, wird am Beispiel der Artikel in „Kurtuluş“ vom Mai 1938 deutlich. Hier fanden sich Beiträge nicht nur von Jäschke, sondern auch von den Professoren Herbert Jansky63, Berthold Spuler64, Herbert W. Duda65, Johannes Ben-
Im Mai-Heft 1938 wandte sich V. Nuh-oglu beispielsweise gegen Gejdar Bammat und dessen Gleichgesinnte von der Gruppe Kavkaz auf den Seiten von „Kurtuluş“. V. Nuh-Oğlu: Yüzsüz Bammatın bir çok yüzü hakkında, in: Kurtuluş 42 (April 1938), S. 19–23. 62 H. K…ği: Resul-zade Mehmed Emin Bey Berlinde, in: Kurtuluş 31 (Mai 1937), S. 19–23. 63 Herbert Jansky (1898–1981) war ein österreichischer Turkologe. 64 Bertold Spuler (1911–1990) war ein deutscher Orientalist und Ende der 1930er an der Universität Göttingen tätig. Bertold Spuler: Almanya ve Azerbaycan, in: Kurtuluş 43 (Mai 1938), S. 23–25. 65 Herbert Wilhelm Duda (1900–1975) war ein österreichischer Orientalist und Professor für Turkologie an der Universität Wien. Duda hielt sich von 1927 bis 1932 in Istanbul auf und lernte viele aserbaidschanische und tatarische Emigrés dort kennen. 1936 erhielt Duda den Lehrstuhl für Orientalistik an der Universität Breslau. 61
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zing66 und Gerd von Mende67, der während des Zweiten Weltkriegs als Referatsleiter für den Kaukasus im Reichsministerium für besetzte Gebiete tätig war. Die Tatsache, dass viele Kaukasier und Ukrainer ab Mitte der 1930er Jahre intensiver denn je mit Deutschland sympathisierten, und sich viele georgische und armenische Exilintellektuelle für die nationalsozialistische Rhetorik und Rassenlehre begeistern ließen, zeigt, dass die polnischen Prometheisten zunehmend mit ihrer Exilantenpolitik scheiterten. Die Intention, die Idee einer gesamtkaukasischen Konföderation zu verbreiten und sowohl unter den Georgiern als auch unter den Aserbaidschanern, Armeniern und Nordkaukasiern zu festigen, konnte nur teilweise umgesetzt werden. Die exilarmenischen Intellektuellen arbeiteten mit den exilrussischen antibolschewistischen Medien, wie z. B. der Pariser Zeitung „Dni“, eng zusammen. Unter dem Einfluss des Nationalsozialismus kam es zur Verbreitung der arischen Ideologie unter der armenischen Intelligenzija auf dem Balkan sowie in Frankreich. Selbst der italienische Intellektuelle Lauro Mainardi, der die exilukrainisch-prometheistische Tätigkeit als Ofinor-Vertretung in Rom unterstützte und extensiv zu Ukraine-bezogenen Themen schrieb, wandte sich 1939–41 dem Themenkomplex der ‚arischen Herkunft‘ der Armenier und ihres ‚Lebensraums‘ zu.68 Seit den frühen 1920er Jahren wurde das prometheistische Projekt der Polen von Seiten der armenischen Exilgruppen in Europa boykottiert. In der Warschauer Zeitung „Wschód“ kam es erst Mitte 1938 zum ersten Mal zum Druck eines Artikels, der von einem armenischen Exilanten verfasst wurde. Der Autor war Džamaljan, der ehemalige armenische Botschafter in Tiflis, der mit den georgischen Prometheisten befreundet war. Sein Beitrag in „Wschód“ hieß „Die Legende über die russische Armenophilie und die armenische Russophilie“69 und griff somit den Schlüsselantagonismus zwischen den armenischen und georgischen, sowie aserbaidschanischen Emigranten auf: Letztere hätten der armenischen Intelligenzija wiederholt eine pro-russische Haltung vorgeworfen. Der Autor stellte auch die vermeintlich pro-armenische Ausrichtung Moskaus in Frage, indem er die zaristische, wie auch die sowjetische Politik im Kaukasus kritisch analysierte. Besonders detailliert ging er dabei auf die Konfiszierung der Kirchenschätze der Armenischen Apostolischen Kirche um die Jahrhundertwende sowie auf einzelne antiarmenische Johannes Benzing (1913–2001) war ein deutscher Orientalist. Ende der 1930er promovierte er in Berlin. Johannes Benzing: Azerbaycan istiklâli münasibetile, in: Kurtuluş 43 (Mai 1938), S. 25–27. 67 Gerd bzw. Gerhard von Mende (1904–1963) war ein deutscher Orientalist. In den 1930er Jahren leitete er das Russlandinstitut der Berliner Auslandshochschule. Prof. Dr. Gerd von Mende: 28 Mayıs ülküsü yaşamaktadır!, in: Kurtuluş 43 (Mai 1938), S. 15–17. Die Auslandshochschule nannte sich das 1887 gegründete Berliner Seminar für Orientalische Sprachen, SOS, ab 1936. Die Einrichtung spezialisierte sich auf den Unterricht moderner Sprachen des Vorderen Orients und Ostasiens, und gab regelmäßig die „Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen“ heraus. 68 Vgl. Lauro Mainardi: Erivan contro Mosca, Rom 1941; ders.: Un’altra vittima die franco-inglesi: l’Armenia, Rom 1941. 69 Dżamalian: Legenda o rosyjskim ormianofilstwie i ormiańskim rusofilstwie, in: Wschód 9/2 (April– Juni 1938), S. 30–36. 66
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Aussagen des russischen Diplomaten Aleksej B. Lobanov-Rostovskij70 ein. Nach der Darstellung der aktuellen Situation im sowjetischen Armenien folgte ein Beitrag zum „Historischen Umriss der polnisch-armenischen Beziehungen“71, vermutlich auch von Dżamalian. Im nächsten Heft veröffentlichte er einen neuen Beitrag zur „Aktuellen Lage des armenischen Volkes“72. Auffällig war, dass der Autor sich im Gegensatz zu den meisten armenischen Exil- und Diasporamedien um eine Annäherung mit der Türkei und mit den georgischen Exilgemeinschaften bemühte. Diese Aufsätze gingen auf die diplomatisch-nachrichtendienstliche Vorarbeit Warschaus zurück, die in der ersten Hälfte von 1938 erfolgt war. Džamaljan wurde von Seiten der polnischen Nachrichtendienstler und Diplomaten Ende Mai nach Warschau eingeladen. Das Treffen fand am 27. Mai 1938 im Hotel Bristol in Anwesenheit von Major Dąbrowski von der Abteilung II des polnischen Nachrichtendienstes statt, der zu diesem Zeitpunkt für die prometheistische Aktivität zuständig war. Außerdem beteiligten sich am Treffen der Konsul Kurnicki vom Außenministerium, Włodzimierz Bączkowski und Władysław Pelc. Dżamalian nahm das Treffen nicht nur als armenischer Exilpolitiker wahr, sondern vertrat die armenische politische Partei der Daschnaken, die in Frankreich, den USA und vor allem im Nahen Osten in der armenischen Bevölkerung hohes Ansehen genoss und aus ideologischer Überzeugung den Kommunismus ablehnte. Eine Wende im Bereich der armenisch-prometheistischen Beziehungen konnte auch diese Annäherung im Vorfeld und während des Treffens zwischen den Prometheisten und den Daschnaken im Jahr 1938 nicht bringen. Die Erwartungen wie auch die Bedrohungsszenarien im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft unterschieden sich stark. Zaruhi Nalbandian (Zarevand), die Mitautorin des bekannten, von den Prometheisten scharf kritisierten Buches zum Panturanismus, schilderte in einem späteren Interview mit dem amerikanischen Zeithistoriker Benjamin P. Alexander die Einstellung der Daschnaken in dieser Zeit sehr treffend: „The A. R. F. cannot eject the Soviets from Armenia, in fact, it does not want them to go at this time“73. Der Abzug der sowjetischen Truppen würde eine „invasion by Turkey and fresh massacres“74 nach sich ziehen. Die Polen überschätzten ihr Überzeugungsvermögen und unterschäztzten das Konfliktpotential sowohl unter den Schlüsselländern des ‚Dritten Europas‘ wie auch inner„Russland braucht das türkische Armenien, allerdings ohne Armenier“, soll, Džamaljan zufolge, Lobanov-Rostovskij gesagt haben. Das Zitat wurde kursiv im Text hervorgehoben, allerdings ohne jeglichen Hinweis. Ebenda, S. 31. 71 Historyczny zarys stosunków polsko-ormiańskich, in: Wschód 9/2 (April–Juni 1938), S. 37 f. 72 A. Dżamalian: Współczesna sytuacja narodu ormiańskiego, in: Wschód 9/3 ( Juli–September 1938), S. 46–59. 73 Interview mit Zaruhi Zarevand (Zaruhi Zarevand war der Künstlername der armenischen Intellektuellen und Aktivistin Vartouhi Calantar Nalbandian), in dem sie aussagte, dass die Daschnaken die Sowjets unterstützt haben. Vgl. Benjamin F. Alexander: The American Armenians’ Cold War. The Divided Response to Soviet Armenia, in: Anti-Communist Minorities in the U. S. Political Activism of Ethnic Refugees, hg. von Ieva Zake, New York 2009, S. 72–73. 74 Ebenda. 70
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halb der kaukasischen Exilgemeinschaft im Allgemeinen und zwischen der Türkei und Armenien im Besonderen. Das Projekt eines ‚Dritten Europas‘ scheiterte ebenso wie die Versuche der polnischen Prometheisten, die übrig gebliebenen prometheistischen Netzwerke zu reformieren und intakt zu halten oder die armenischen Mitstreiter zu gewinnen. 8.2
Inszenierung der staatlichen Symbolik
Viele Prometheisten waren ehemalige Staatsmänner und die langfristige Zielsetzung der Prometheisten war die Wiederherstellung der verlorengegangenen Staaten. Der Ausrufung der von Russland unabhängigen Republiken bzw. Staatsgebilde wurde jährlich gedacht, mit Festschriften und -akten begleitet, während die Sowjetisierung einzelner Republiken als Trauertag begangen und ebenfalls mit entsprechenden Publikationen und Vorträgen begleitet wurde. Die Prometheisten Žordania, Rasulzade oder auch Ishaki und Seydahmet inszenierten sich als Staatsoberhäupter im Exil: Die polnische Seite organisierte Festveranstaltungen an den wichtigen Standorten der Netzwerke und eingeladen wurden Politiker, Redakteure, prominente Vertreter der Wirtschaft und Wissenschaft des jeweiligen Landes. Ihre Anwesenheit sollte den prometheistischen Aktivitäten Legitimität verschaffen und gleichzeitig die sowjetische Beherrschung der Kaukasus-Republiken und der Ukraine delegitimieren. Abgesehen von der politischen Zielsetzung stellten die Daten der Republikausrufungen 1917–18 Schlüsseldaten der persönlichen Erfahrung und der individuellen Sozialisation der meisten kaukasischen Emigrés sowie der ukrainischen und anderer Prometheisten dar. Im Weiteren werden daher die zwei Jahrestage der prometheistischen Exilfestivitäten von 1927/28 und 1938 anhand der prometheistischen Berichterstattung betrachtet. Den Berichten zu den Veranstaltungen kann z. B. entnommen werden, wie intensiv die Prometheisten mit französischen Militärangehörigen und Intellektuellen zusammenarbeiteten. So veranstaltete die ukrainische Gemeinschaft in Paris am 22. Januar 1927 ein Fest zum Andenken an die von den Bolschewiki eroberte Ukrainische Volksrepublik (UNR). Die Festivität fand im „HÔtel des Savantes“ statt. Unter den Teilnehmern waren Vertreter der georgischen, aserbaidschanischen und nordkaukasischen Exilgemeinschaften, weitere Prometheisten sowie die „amis français de l’Ukraine“ wie der Oberst Léon Lamouche75, Admiral Robert Degouy76 und der französische Dichter
Oberst Léon Lamouche (1860–1945) war ein ehemaliger französischer Instrukteur in der osmanischen Gendarmerie (1904–1913) und Bevollmächtigter bei der Militärmission auf dem Balkan. 1934 veröffentlichte er eine Monographie zur Geschichte der Türkei. 76 Admiral Robert Degouy (1852–1942) war ein hochrangiger französischer Militärangehöriger und Autor. Er verfasste Werke sowohl im Bereich der Militärwissenschaften als auch im Bereich der populären Geschichte. 75
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und Ševčenko-Übersetzer Fernand Mazade (1861–1939).77 Degouy und Mazade begrüßten die Anwesenden von französischer Seite, während der exilukrainische Aktivist Ėvhen Čykalenko78 einen Vortrag im Namen der ukrainischen Seite hielt. Interessant waren auch die Berichte von zwei Festivitäten, die ein Jahr später anlässlich des zehnten Jahrestages der kaukasischen Unabhängigkeit ebenfalls in Paris organisiert wurden. Es handelte sich eigentlich um zwei Feste, nämlich um den 26. Mai 1928, den Jahrestag der Gründung der Republik Georgien, und den 28. Mai 1928, den Jahrestag der Republiksgründung von Aserbaidschan. Die georgische Soirée fand im Pariser „Hôtel Majestic“ statt und wurde von der georgischen Gemeinschaft in Paris organisiert. Unter den Rednern waren u. a. David Charachidzé (Šarašidze), Jean Martin und Abel Chevalley. Das aserbaidschanische Fest fand dagegen in den Räumlichkeiten des Komitees „France-Orient“ statt und hierher kamen die Vertreter der georgischen Emigrés Noj Žordania, Noj Ramišvili und Akaki Čchenkeli, der nordkaukasischen und der armenischen Emigration (Gejdar Bammat, General Sultan Kılıç Giray und Hadissian). Es entsteht der Eindruck, dass „France-Orient“ die Festivität nicht nur für die Aserbaidschaner, sondern für den gesamten Kaukasus ausrichtete. Unter den Anwesenden von französischer Seite waren wiederum Jean Martin, Abdon-Boisson sowie der aus Istanbul angereiste Rasulzade. Eine Rede hielt Ali Mardan Topčibaši, in der er von den Reichtümern Aserbaidschans erzählte, die nun „von den bolschewistischen Okkupanten nach Sowjetrussland exportiert werden, ohne dabei Aserbaidschan irgendeine Kompensation zu zahlen.“79 Es ist offensichtlich, dass diese Botschaften an die Vertreter der französischen Politik und vor allem der französischen Wirtschaft gerichtet waren. Frankreich wurden direkt wie indirekt ökonomische Vorteile vor allem im Bereich der Öl- und Gasförderung im Falle des Wiedererlangens der Souveränität versprochen. Auch in Warschau wurde anlässlich der Jahrestage der Unabhängigkeit gefeiert. Dem im Juli 1928 veröffentlichten Kurzbericht von Ahmed Calikov über die Feier zum Jahrestag der kaukasischen Republiksgründungen war zu entnehmen, dass das Fest am 27. Mai 1928, somit an einem ‚neutralen Tag‘ stattfand. Es handelte sich um drei gleichzeitige Veranstaltungen in der polnischen Hauptstadt, die Calikov beschrieb, nämlich der aserbaidschanischen, georgischen und nordkaukasischen Emigration, die
Unbekannter Autor: Ukraine, in: Prométhée 4 (Februar 1927), S. 32. Ėvhen Čykalenko (1861, Cherson – 1929, Prag) war ein ukrainischer Emigrant und Publizist. Er studierte Naturwissenschaften an der Universität Charkov und begab sich 1919 ins Exil zuerst nach Galizien, dann 1920 nach Warschau. In finanzieller Not zog er mit seiner Frau 1922 nach Wien und 1925 in die Tschechoslowakei. Verbunden war er mit dem exilukrainischen Kreis der prometheistischen Wochenzeitschrift „Tryzub“ und der Ukrainischen Akademie im tschechoslowakischen Podebrady. Mehr zu seinen Exilaktivitäten siehe Julia Bojko: Dijal’nist’ Ėvhena Čykalenka v ėmihracii (1919–1929), in: Ukrains’ka biohrafistyka 10 (2013), S. 326–339. 79 La Fête du Xe Anniversaire de l’Indépendance azerbaïdjanienne, in: Prométhée 19 ( Juni 1928), S. 29–30. 77 78
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er zusammen als „la colonie caucasienne locale“ bezeichnete.80 Die Armenier in Warschau wurden in diesem Kontext nicht erwähnt. Der Artikel Calikovs sollte nichtsdestotrotz ein Plädoyer für das Konzept der kaukasischen Einheit sein. Auch an den anderen wichtigen prometheistischen Standorten kam es zu Feierlichkeiten der kaukasischen Emigrés. Am 28. Mai 1928 versammelten sich z. B. die aserbaidschanischen AktivistInnen und StudentInnen in den Räumlichkeiten der Zeitung „Âzeri-Türk“ in Istanbul. Die Ansprachen hielten der ehemalige Innenminister der Republik Aserbaidschan, Şafi Rüstembeyli, und der Exilhistoriker Mirza Bala Mamedzade. Begleitet wurden die Feierlichkeiten ähnlich wie in Paris von nationaler Musik und Gesang.81 In Berlin organisierte der aserbaidschanische Emigrant Hilal Munschi in einem salon du quartier in Charlottenburg zu diesem Anlass eine Feier. Gäste waren die Vertreter der georgischen und armenischen Exilantengruppen sowie einige Gäste aus Indien und dem iranischen Aserbaidschan.82 Der „Prométhée“ informierte, abgesehen vom Bericht von Calikov, besonders detailliert über die Festivitäten in Warschau. Im Vergleich zu Paris, Istanbul und Berlin war der Veranstaltungsort in Warschau wohl der prachtvollste. Wie Calikov beschrieb, versammelten sich die Vertreter der kaukasischen Emigration im großen Saal des „Hôtel de Ville“. Anwesend waren polnische Politiker und Intellektuelle, die sich intensiv für die prometheistischen Aktivitäten engagierten oder sich dafür interessierten. Dazu gehörten der bekannte Schriftsteller und Politiker Andrzej Strug83, der Senator Stanisław Siedlecki, der Minister Witold Chodźko84 und der in Warschau tätige ukrainische Linguistikprofessor Roman Smal’-Stoc’kyj. Nach dem Vortrag von Strug wurde die polnische Hymne gespielt. Anschließend hielten die Vertreter einzelner kaukasischer Emigranten-Gemeinschaften Reden: Mustafa Vekilli für Aserbaidschan, Iosif Salakaja für Georgien und Tambi Elekotti85 für den Nordkaukasus. Auch nach ihren Reden wurde die jeweilige Nationalhymne gespielt. Inhaltlich hoben alle drei Vorträge die Idee der Kaukasischen Konföderation hervor und beschworen den Kampf gegen den Kommunismus. Den Ausklang des Abends gestalteten SängerInnen der
Ah. Tsalikkaty: L’Indépendance du Caucase, in: Prométhée 20 ( Juli 1928), S. 16–17. Les Fêtes du Xe anniversaire de la proclamation de l’independence de l’A zerbaïdjan à Constantinople, in: Prométhée 20 ( Juli 1928), S. 30–31. 82 Vgl. Prométhée 20 ( Juli 1928), S. 31. 83 Andrzej Strug (1871, Lublin – 1937, Warschau) war ein polnischer Schriftsteller, Publizist, Aktivist der Unabhängigkeitsbewegung vor dem Ersten Weltkrieg und ein bedeutender Freimaurer. 84 Witold Chodźko (1875, Piotrków Trybunalski – 1954, Lublin) war ein bekannter polnischer Mediziner und Gesundheitsminister sowie ein bedeutender Freimaurer. 85 Tambi Elekotti (1889, Digori, Ossetien – 1952, Nizza) war ein ehemaliger Offizier zunächst der Weißen, dann der Roten Armee ossetischer Herkunft. Elekotti war Absolvent der Juristischen Fakultät der Universität St. Petersburg. Anfang der 1920er Jahre begab er sich ins Exil, zuerst in die Türkei und später nach Frankreich. Ab 1934 gehörte er zur Gruppe Kavkaz und stand somit in Opposition zu den Prometheisten. Vgl. A. Kantemir: Tambi Elekchoti, in: Kavkaz 5/10 (Mai 1952), S. 26–27. 80 81
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Warschauer Oper und anschließend folgte ein festliches Abendessen am Ostinstitut in Warschau.86 Während ‚runde‘ Daten verständlicherweise pompöser gefeiert wurden, stellte jeder Jahrestag an sich einen Grund für publizistisches Andenken und somit mediale Öffentlichkeit zum Thema ‚verloren gegangene Staatlichkeit‘ dar. So widmete der „Prométhée“ im Juni 1929 den Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestages der kaukasischen Staatsgründungen im Mai 1918 mehrere Seiten. Der aserbaidschanische Emigrant Mir Yagub Mehdiyev veröffentlichte einen emotionalen Artikel über den ‚aserbaidschanischen‘ 28. Mai.87 Später organisierten die aserbaidschanischen Emigrés mit polnischer Finanzierung die Feier im Pariser Hotel Lutétia. Unter den Eingeladenen waren auch Vertreter der armenischen, georgischen und nordkaukasischen Gemeinschaft von Paris sowie französische Gäste. Der Präsident der aserbaidschanischen Delegation, Topčibaši, und der Präsident des Komitees „France-Orient“, Pierre Le Nail,88 hielten Festreden. Die Tatsache, dass Le Nail an einer prominenten Stelle den Festvortrag hielt, lässt vermuten, dass das Komitee „France-Orient“ die Veranstaltung mitfinanzierte. Die georgischen Feierlichkeiten am 26. Mai 1929 fanden im Konferenzsaal der „Alliance Française“ statt. Die BesucherInnen waren laut „Prométhée“ „begeistert“89. Festreden hielten Noj Žordania, der Leiter der „Association géorgienne en France“, Skhirtladze, sowie der Chef-Redakteur des „Prométhée“, Gvazava.90 Die Stärkung des nationalsozialistischen Deutschlands, des faschistischen Italiens sowie die Furcht vor einer schnellen Modernisierung in der Sowjetunion setzten viele polnische Prometheisten unter Druck und in eine gewisse Aussichtslosigkeit. Dies prägte die „Wschód“- und die „Revue de Prométhée“-Beiträge aus der Zeit 1937–1939 ebenso wie die von den Prometheisten veranstalteten Events wie z. B. das oben erwähnte Event der Prometheisten sowie die anschließenden Feierlichkeiten anlässlich des 28. Mais 1938 in Warschau. Es handelte sich um den zwanzigsten Jahrestag seit Verkündung der Republik. Die Festivitäten fanden im Großen Saal des Ostinstituts statt und wurden wie zehn Jahre zuvor mit einer Rede des Direktors Stanislaw Siedlecki eröffnet. Außer den polnischen Aktivisten waren Kowalski von den ukrainischen Prometheisten, Ayaz Ishaki von den Kasaner Tataren, İbrahim Otar und Cafer Seydahmet von den Krimtataren u. a. unter den Teilnehmern.91 Interessanterweise wurde der 20. Jahrestag der Proklammation der aserbaidschanischen Republik nicht nur in Warschau, sondern auch in Berlin gefeiert. Die Zeitung La Fête de l’Indépendance du Caucase à Varsovie, in: Prométhée 20 ( Juli 1928), S. 31–32. Mir [Yagub Mehdiyev]: Azerbaidjan. Le 28 Mai, in: Prométhée 31 ( Juni 1929), S. 3–5. Louis-Marie-Pierre Le Nail (1875, Nantes – 1952, Viry-Chatillon) war ein französischer Militärangehöriger und Politiker. 89 Chez les Géorgiens, in: Prométhée 31 ( Juni 1929), S. 5. 90 Die Reden wurden abgedruckt siehe Chez les Géorgiens, in: Prométhée 31 ( Juni 1929), S. 5–11. 91 28 Mayıs İstiklâl yıldönümü, in: Kurtuluş 44 ( Juni 1938), S. 21. 86 87 88
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„Kurtuluş“, die die Polen in Berlin finanzierten, berichtete von den Festivitäten in der deutschen Hauptstadt. Diese fanden in der Reichspresseschule statt und wurden von ihrem Direktor Fritz Zierke eröffnet. Gleich nach Zierke übernahm der deutsche Orientalist Prof. Gotthard Jäschke das Wort und hielt seinen Vortrag „Die Republiken im Kaukasus“, im Rahmen dessen er die russische Politik in der Region während des 19. Jahrhunderts sowie nach der Sowjetisierung anprangerte. Nach Jäschke sprach der in Berlin lebende aserbaidschanische Emigrant Hilal Münschi über die „Grundlagen der aserbaidschanischen Unabhängigkeit“.92 Außer der Feier in der Reichspresseschule wurde auch in der Redaktion von „Kurtuluş“ in Berlin-Charlottenburg gefeiert. Hier wurde Jäschke sogar der Ehrenvorsitz auf der Festveranstaltung angeboten.93 Ebenfalls 1938 erschien die Monographie Rasulzades „Das Problem Aserbeidschan“ in der deutschen Version in Berlin. Jäschke organisierte zusammen mit Münschi am 23. März 1939 eine erneute Vortragsveranstaltung an der Reichspresseschule.94 Die Zeitung „Kurtuluş“ begann im Frühling 1939 mit dem Druck einer deutschsprachigen Beilage mit dem Titel „Die Befreiung“, die neben Beiträgen der aserbaidschanischen Exilanten auch Aufsätze der deutschen und österreichischen Orientalisten wie Carl Brockelmann, Gotthard Jäschke, Herbert Duda und Herbert Jansky enthielt. Rasulzade versuchte ähnlich wie viele andere Prometheisten auf mehreren Stühlen gleichzeitig zu sitzen, was die bestehenden Widersprüche nur noch verstärkte. Er war bereit bis zu einem gewissen Grad mit allen politischen Strömungen zusammenzuarbeiten, die gegen den Kommunismus im Allgemeinen und gegen die UdSSR im Besonderen offen auftraten. Im Editorial vom April 1939 wandte sich Rasulzade an alle „patriotischen Aserbaidschaner“, indem er den Kommunismus zum gemeinsamen Feind der „‚Kapitalisten‘, Faschisten und Liberalen“95 erklärte. Die permanente Revolution sei eine Gefahr für die Welt und Europa. Es handele sich dabei um eine Vermehrung der Sowjetrepubliken. Viele in Europa wüssten, was die Sowjetisierung sei und was sie mit sich bringe. Rasulzade wies dabei auf die eigene Erfahrung mit Kommunen sowjetischer Couleur in Polen, Deutschland, Italien und Ungarn hin. Die Erwähnung der Achsenmächte in einem Kontext mit Polen wurde vom Wunsch geprägt, eine einheitliche Allianz gegen Moskau aufzustellen. Diese Synthese wurde in den weiteren Monaten zunehmend in weiteren Artikeln verstärkt. Tief enttäuscht von der Aktivität des Völkerbunds, der seine Autorität gerade in den 1930er Jahren endgültig einbüßte, sowie von den demokratisch-regierten Staaten wie Großbritannien und Frankreich, die mit der Sowjetunion nicht nur diplomatische Beziehungen
Zu diesem Thema hat Münschi bereits 1936 einen Beitrag in der von Dr. Adolf Ehrt und der Anti-Komintern herausgegebenen Zeitschrift „Der Weltbolschewismus“ publiziert. Vgl. Hilal Munschi: Aserbeidschan, in: Der Weltbolschewismus (1936), S. 447–449. 93 28 Mayıs İstiklâl yıldönümü, in: Kurtuluş 44 ( Juni 1938), S. 22–24. 94 Reichspresseschulede bir konfrans, in: Kurtuluş 53 (1939), S. 32. 95 M. E. Resul-zade: Kara günün yıl dönümünde aktualitenin ilhamı, in: Kurtuluş 54 (1939), S. 2. 92
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aufgenommen hatten, sondern auch eine rege Zusammenarbeit führten, sprach die Redaktion von „Kurtuluş“ von zwei Gruppen der Staaten, die miteinander rivalisierten. Die eine Gruppe bestehe aus Ländern wie Japan in Asien und Deutschland sowie Italien in Europa, die sich militärisch aufrüsteten und nach Expansion strebten. „Diese ‚Lebensräume‘ wurden allerdings früher von England und Frankreich in Europa und von Russland in Asien aufgeteilt.“96 Diese Länder machten also die zweite Gruppe aus. Die Zeitschrift hat keine eindeutige Sympathiebekundung an den Tag gelegt und war bemüht eine monolitische, die deutschen wie auch die polnischen und die eignenen ethnisch definierten Interessen berücksichtigende Haltung gegenüber der Sowjetunion auszuarbeiten und zu vertreten. In Berlin gelegen war die Zeitschrift mit polnischem Geld finanziert und dieser Aspekt engte den Spielraum für ihre Argumentationslinien ein. Wie am oben eingeführen Beispiel zu sehen ist, konnte sich eine prometheistische Zeitschrift nur bedingt Kritik an Frankreich erlauben, wenn auch das Land die UdSSR diplomatisch anerkannte, weil das wichtigste Organ der Prometheisten weiterhin in Paris gedruckt wurde und Frankreich aus der Sicht Warschaus der engste Sicherheitsverbündete Polens blieb. 8.3
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1938–39 kam es zur Neustrukturierung und Reformierung der Zeitschrift „Prométhée“ und zur Neugründung der polnischsprachigen Zeitschrift „Problemy Europy Wschodniej“ in Warschau. Die beiden Projekte waren wohl die letzten bedeutenden Schritte im Bereich der Reformierung und Erneuerung der prometheistischen Tätigkeit. In Paris stellte die neue Besetzung des Chefredakteurpostens des bedeutendsten Organs der Prometheisten außerhalb Polens – der Zeitschrift „Prométhée“ 1938 eine tiefgreifende Zäsur dar. Diese Umstrukturierung ging auf kritische Stimmen innerhalb des polnischen Establishments zurück, die seit Langem mit der Aktivität der Zeitschrift nicht zufrieden waren. Laut dem geheimen Bericht des polnischen Nachrichtendienstlers Władysław Pelc war der „Prométhée“ sogar gänzlich gescheitert. Die Mitglieder der Redaktion befänden sich im Konflikt untereinander. Die Zeitschrift drucke ausschließlich propagandistisches Material, aber nichts mit ideologischem Inhalt.97 Gvazava wurde an der Spitze der Zeitschrift schliesslich durch den ukrainischen Exilpolitiker und den ehemaligen Außenminister der Ukraine, Oleksandr Šul’hyn (fr. Alexandre Choulguine) abgelöst. Mit der Ernennung eines Ukrainers auf den Chefredakteurposten der wichtigsten prometheistischen Zeitschrift machten die Polen deutlich, dass die ukrainische Angelegenheit nun als Priorität eingestuft wurde. Den polni-
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Yıldönümünde, in: Kurtuluş 56–57 (1939), S. 1. Zitiert nach: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Libera, Warschau 2013, S. 435–437.
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schen Prometheisten wurde immer bewusster, dass der ideologische Kampf um den Kaukasus und Turkestan verloren war. Die prominentesten Vertreter der georgischen Emigration, einschließlich des ehemaligen Redakteurs des „Prométhée“, George Gvazava, arbeiteten inzwischen ähnlich wie viele Aserbaidschaner, Nordkaukasier und Armenier mit Italien und vor allem mit Deutschland zusammen. Viele zogen nach Rom und Berlin und agitierten teils sogar öffentlich gegen den Prometheismus und Polen. Dasselbe betraf auch einen erheblichen Teil der ukrainischen Emigrés in Europa. Allerdings blieb gerade die Ukraine Ende der 1930er Jahre im Fokus der polnischen Prometheisten als unmittelbarer Nachbar Polens. Jedoch wollte man keine abrupte Zäsur durch den Personenwechsel von Gvazava zu Šul’hyn hervorrufen. Die Kaukasus-bezogenen Themen wurden weiterhin aufgegriffen; Beiträge der Warschau treu gebliebenen georgischen und aserbaidschanischen Emigrés wurden weiterhin regelmäßig abgedruckt. Auch das Design und der Titel der Zeitschrift wurden verändert. Die erste Nummer der ab dem 1. Oktober 1938 verändert erscheinenden Zeitschrift hieß nun „La Revue de Prométhée“. Der ergänzende Untertitel lautete: consacrée aux problèmes nationalitaires de l’Est européen, de l’Asie Centrale et septentrionale. Die Redaktion der Zeitschrift zog in den südwestlichen Vorort von Paris, Vanves, das durch niedrigere Mietpreise und eine große orthodoxe Gemeinde98 bekannt war. Im Editorial („Notre but“) des ersten Hefts schrieb der Chefredakteur Šul’hyn, dass der Nationalismus und vor allem die Nationsidee im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen haben. Dabei verwies er darauf, dass dieser Prozess gleichzeitig mit der Staatswerdung in Europa voranschritt und zog dafür das Beispiel der französischen Erfahrung heran: „C’est l’Etat par excellence qui a crée la nation française“99. Der Logik nach sei es der Staat, der die Nation schafft, sie verteidigt und ihre Entwicklung sichert und garantiert. Es war eine Ode an den Nationalstaat, den abgesehen von Polen keine der ‚prometheistischen Nationen‘ zu diesem Zeitpunkt besaß. Die Zeitschrift widmete sich weiterhin dem Studium und der Darstellung der Nationalitätenproblematik in der Sowjetunion und erklärte sich bereit, „jegliche Diskussion zu meiden, welche die internen Probleme Frankreichs und anderer „nicht prometheistischer Länder“ (pays non „prométhéen“)“100, also der Exilländer, zum Thema hätten. Abschließend zitierte Šul’hyn einen Ausschnitt aus dem Vers „Kaukasus“ des ukrainischen Dichters Taras Ševčenko. Das Thema der ukrainischen Literatur wurde auch weiterhin verfolgt. So wurden gleich nach dem Editorial die Kurzerzählung des ukrainischen Schriftstellers und Dichters Michail Kocjubinskij (1864–1913) „Sur le 1931 eröffnet und 1933 eingeweiht wurde die Russisch-Orthodoxe Kirche (L’église de la Trinité et des Nouveaux Martyrs de Russie) in Vanves. 99 Notre but, in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 1. 100 Ebenda, S. 5. 98
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Rocher“101 und das Gedicht der ukrainischen Dichterin Lesja Ukrainka „Cimetière de Bakhtchisarai“102 in der französischen Übersetzung abgedruckt. In beiden Fällen handelte es sich um prominente Beispiele der ukrainischen Literatur. Interessanterweise widmeten sich dabei beide Werke dem Leben der Tataren auf der Krim.103 Im ersten Heft meldeten sich auch mehrere polnische, und vor allem französische und schweizerische Prometheisten zu Wort. Während der Direktor des Ukrainischen Instituts in Warschau Alexander Lotocki104 seine Erinnerungen an die „Anfänge der Bewegung der prometheistischen Völker“ und an die Nationalitätenkongresse in Russland 1906105 darlegte, schrieb der Pariser Emigré Mustafa Čokaev seine Erinnerungen an die politischen Prozesse in Turkestan um 1917 auf.106 Der Chefredakteur des „Journal de Genève“, Jean Martin107, und der Außenpolitikexperte derselben Zeitung, P.-E. Briquet108, veröffentlichten Plädoyers für die Unabhängigkeit des Kaukasus und der Ukraine. Im Beitrag Briquets war auch eine deutschlandkritische Haltung deutlich zu spüren, die man im „Kurtuluş“ Rasulzades vermisste. Noch deutlicher kam die Deutschlandkritik im längeren Beitrag von Georges Werner „La France et le monde prométhéen“ hervor.109 Werner legte gleich zu Beginn des Artikels seine geopolitischen Überlegungen zur Ukraine dar. Sie sei geographisch gesehen „le prolongement naturel de la Barrière, le chaînon intermédiaire entre la Baltique et la Mer Noire, le Caucase et le Turkestan […]“110. Werner kritisierte die traditionsreiche Idee einer französisch-russischen Allianz, die viele französische Politiker gerade 101 Kocjubinskij verbrachte seine Wehrdienstszeit teils auf der Krim. Diese Zeit und der Ort haben ihn entscheidend geprägt. Die Kurzerzählung über das tatarische Leben auf der Halbinsel erschien 1902 auf Ukrainisch und zwei Jahre später als „Na kamne“ (in den späteren Versionen „Na kamnjach“) in der russischen Übersetzung in „Russkoe bogatstvo“ 3 (1904). 102 Die Dichterin Lesja Ukrainka verbrachte drei Jahre auf der Krim, die eine tiefe Spur in ihrer Dichtung hinterließen. In Anlehnung an Puškin und Mickiewicz veröffentlichte sie um 1893 die „Krimer Erinnerungen“ (Kryms’ki spohady), die aus drei Gedichten bestanden. „Bachčysarajs’ka hrobnica“ war eines von ihnen. 103 Das Thema des Orients bzw. der Turkvölker der UdSSR wurde vom Pariser Exilanten Mir Yagub Mehdiyev in seinem Essay zur aserbaidschanischen Literatur behandelt. Mir-Yacoub: La poésie du peuple de Fizouli. Essai sur la littérature de l’A zerbeydjan, in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 21–28. 104 Oleksandr Lotocki, polnisch: Aleksander Łotocki (1870–1939, Warschau) vertrat die Ukraine als Diplomat im spätosmanischen Istanbul 1919–20. Seit 1924 war er Professor an der Ukrainischen Freien Universität in Prag und 1928 übernahm er die Professur an der Universität Warschau. Bis 1939 leitete er das Ukrainische Institut in Warschau. Vgl. Łotocki Ołeksander, in: http://encyklopedia.pwn.pl/haslo. php?id=3935217 (Zugriffsdatum: 15.01.2014). 105 A. Lotocki: Les débuts du mouvement des peuples prométhéens (une page d’histoire), in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober1938), S. 29–33. 106 Moustapha Tchokay: Le Turkestan en 1917 (Pages de souvenirs), in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 34–41. 107 Jean Martin: Caucase, in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 42–47. 108 P.-E. Briquet: L’Ukraine et l’Occident, in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 48–53. 109 Georges Werner: La France et le monde prométhéen (point de vue d’un français), in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 54–57. 110 Ebenda, S. 54.
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Ende der 1930er Jahre vertraten, und zweifelte die in Frankreich populäre Meinung an, dass ein nichtbolschewistisches Russland noch enger mit Frankreich zusammenarbeiten würde. Werner spekulierte, dass Russland stattdessen eine engere Kooperation mit Deutschland eingehen würde und wies dabei auf die Annäherungen zwischen den zwei Reichen seit Peter dem Dritten und Bismarck, sowie auf den deutsch-sowjetischen Vertrag von Rapallo hin. Dabei kritisierte er Russlands Expansion, bezeichnete es als „l’Etat-monstre“111 und sprach ihm einen Kultur- und Zivilisationsanspruch ab. Ausgewogener und intellektuell raffinierter war der Aufsatz des Chefredakteurs. In seinem Beitrag unter dem Titel „La Nation et le sentiment national“ entwickelte Šul’hyn die Idee einer modernen Nation und des modernen Patriotismus anhand von zahlreichen Beispielen aus der europäischen Geistesgeschichte. Der Absolvent der St. Petersburger Universität Šul’hyn war unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg als Diplomat an der ukrainischen Botschaft in Istanbul tätig gewesen. Danach folgte eine akademische Tätigkeit an den ukrainischen Exiluniversitäten in Prag und Warschau. Mit der Geistesgeschichte Europas kannte er sich nicht zuletzt dank seiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit gut aus.112 Als Polyglott, der in mehreren akademischen Kulturen verankert war, unternahm er den Versuch, den Begriff der Nation in Bezug auf den ostmitteleuropäischen Raum neu zu definieren, indem er das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete Konzept des französischen (Religions-)Historikers und Orientalisten Ernest Renan kritisch analysierte und sich bewusst von den rassentheoretischen Ansätzen des französischen Intellektuellen de Gobineau distanzierte. Ähnlich wie in seinem Editorial wies er auch in diesem Artikel darauf hin, dass die Begriffe Staat und Nation im westeuropäischen Kontext fast synonym verwendet würden und unterschiedliche Intellektuelle die Elemente wie Sprache, Religion oder eben Rasse (Gobineau) als grundlegend bei der Herauskristallisierung einer Nation genannt hätten. Dabei betonte er, dass die USA und die Schweiz Beispiele seien, wo die Rassen- und Sprachunterschiede kein Hindernis im Prozess der Nationswerdung gewesen wären. Angelehnt vor allem an das Konzept Renans hob Šul’hyn die Bedeutung der „kulturellen und geistigen Elemente (Literatur, Kunst usw.)“ hervor, die bei all diesen Prozessen eine „entscheidende Rolle“113 gespielt hätten. Im Weiteren griff er seine eigenen Vorarbeiten zum Rousseau’schen Verständnis der Nation und des Patriotismus auf und zeigte den Einfluss der französischen Revolution und vor allem der Napoleonischen Kriege auf die Nationswerdungsprozesse europaweit und in Russland. Gerade im russischen Kontext wies er auf die Slawophilen und – ähnlich wie Rasulzade und Ebenda, S. 56. Zur akademischen Karriere von Šul’hyn in den 1920er Jahren siehe Serhij Pyvovar und Oleh Kupčyk: Naukovo-pedahohična dijal’nist’ O. Ja. Šul’hyna v Prahe (1923–1927 rr.), in: Naukovi zapysky Nacional’noho universytetu „Ostroz’ka akademija“: Istoryčni nauky 21 (2013), S. 103–106, zitiert nach: http://eprints. oa.edu.ua/2232/ (Zugriffsdatum: 21.01.2014). 113 Alexandre Choulguine: La Nation et le sentiment national, in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 58. 111 112
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Seydahmet es in ihren früheren Schriften zur russischen Geistesgeschichte getan hatten – auf den Einfluss der deutschen Philosophie und Einigungsideologie auf die Entstehung des panslawischen Gedankenguts hin.114 Im Weiteren ging Šul’hyn auf die sozialistischen Konzepte der Nation ein, indem er die Ansichten von Marx aber auch von Jean Jaurès und von den österreichischen Sozialisten Otto Bauer und Karl Renner (Springer) kritisch analysierte. Gerade angesichts der Popularität des Sozialismus in Frankreich in den 1930er Jahren konnte Šul’hyn den Sozialismus als politisches und intellektuelles Phänomen weder negieren noch vehement ablehnen, wie dies auf den Seiten des „Prométhée“ Ende der 1920er Jahre durchaus vorkam. Šul’hyn hob den Ansatz Jaurès’ zum Nationalen hervor, indem er wie dieser das Postulat von Marx und Engels „die Arbeiter haben keine Heimat“ aus dem „Manifest der Kommunistischen Partei“ als haltlos kritisierte. Somit machte der Chefredakteur der „La Revue de Prométhée“ deutlich, dass die Prometheisten die französischen Sozialisten durchaus von den Gründervätern des Kommunismus und von den sowjetischen Ideologen unterschieden. Zum Abschluss argumentierte Šul’hyn erneut, der Nationalstaat wäre ein unverzichtbarer und logischer Rahmen für eine normale Entwicklung jeder Nation und berief sich dabei auf die Forschung des deutschen Rechtswissenschaftlers Georg Jelinek, des polnischen Historikers und Prometheisten Marceli Handelsman sowie des russischen Rechtswissenschaftlers Aleksandr Gradovskij. Einen Staat zu haben sei ein Naturrecht eines jeden Volkes und der Staat sei die Krönung einer nationalen Entwicklung, lautete die Argumentation Šul’hyns, die auf einem selektiven Zugriff auf europäische und russische Staatsrechtstheoretiker basierte. Die Nationen, die nicht über einen eigenen Staat verfügen, befänden sich auf dem Wege dahin und sollten einen ‚modernen Patriotismus‘ entwickeln, der sie mobilisiert und schließlich zum eigenen Staat bringe. Im Kontext des Patriotismus-Diskurses griff Šul’hyn auch die Schriften des französischen Rechtsintellektuellen Charles Maurras und des irischen Nationalisten George Chatteton-Hill auf. Auch hier entsprachen die Referenzgrößen des Autors dem Zeitgeist. Unverkennbar waren seine Sympathie dem französischen Rechtsmilieu gegenüber sowie eine bewusste Distanzierung vom deutschen und italienischen Rassendiskurs. Insgesamt blieb sein Beitrag ein Plädoyer für den Nationalstaat sowie für das prometheistische Ziel der Befreiung der ‚geknechteten Völker‘ von Russland: „Il n’y a pas de doute que la libération des peuples opprimés de l’est donnera un grand élan au développement de leur vie intellectuelle“115. Und das sei, so Šul’hyn, „la justification philosophique du mouvement prométhéen“116. Angesichts der Tatsache, dass die Ukraine in den Fokus der polnischen Prometheisten gerückt war, gab der Chefredakteur von „Wschód“, Włodzimierz Bączkowski zusätzlich das „Biuletyn Polsko-Ukraiński“ als Zeitschrift heraus, die sich explizit mit 114 115 116
Namentlich wurden Aksakov und Chomjakov erwähnt. Vgl. ebenda, S. 62. Ebenda, S. 67. Ebenda.
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der Ukraine befasste. Zu den polnisch-georgischen oder polnisch-aserbaidschanischen Beziehungen gab es kein ähnliches Pendant. Gleichzeitig bemühte man sich in Warschau um die turksprachigen, meistens tatarischen und aserbaidschanischen Exilanten, da man hoffte, durch sie den Kontakt zur Türkei verbessern und Ankara für die antisowjetische Front gewinnen zu können. So druckte der Warschauer „Wschód“ Ende 1938 einen längeren Beitrag Rasulzades zum Tod Atatürks ab.117 In der „La Revue de Prométhée“ wurde ein anderer Beitrag Rasulzades „Der sowjetische Terror und der nationale Widerstand in Aserbaidschan“ abgedruckt.118 Es ist festzustellen, dass nun deutlich weniger Material zu Georgien veröffentlicht wurde, als zu den Zeiten, als Gvazava die Leitung der „Prométhée“ innehatte. „La Revue de Prométhée“ warb mit positiven Rezensionen für die Bücher, die sich geschichts- oder politikwissenschaftlich sowie populärwissenschaftlich mit dem Kaukasus, der Ukraine und kritisch mit Russland beschäftigten. Besonders hervorgehoben wurde die 1937 posthum erschienene Monographie des Charles Maurras nahestehenden, französischen Neuzeithistorikers und Intellektuellen Jacques Bainville „La Russie et la barrière de l’Est“. Šul’hyn persönlich rezensierte das Buch Rasulzades „Azerbajdżan w walce o niepodległość“ [Aserbaidschan im Kampfe für Unabhängigkeit], das 1938 in Warschau auf Polnisch erschien. Es erschienen auch Rezensionen des Werkes des deutschen Orientalisten Johannes Benzing „Das turkestanische Volk im Kampf um seine Selbstständigkeit“ von 1937 und des italienischen Journalisten und Geopolitikers Enrico Insabato119 „L’Ucraina, popolazione ed economia“ von 1938. Die Coverseite der „La Revue de Prométhée“ warb außerdem für Neuerscheinungen, wie z. B. das Buch von Roger Tisserand „La vie d’un peuple: l’Ukraine“ sowie das Werk des Chefredakteurs „L’Ukraine contre Moscou“, aber auch für die Schriften anderer Prometheisten aus Paris und Warschau. In den folgenden Ausgaben der Zeitschrift „La Revue de Prométhée“ kam es diesbezüglich zu keinem größeren Richtungswechsel. Man versuchte zu balancieren zwischen den polnischen Staatsinteressen und den eigenen Sympathien einzelner Prometheisten, die von Paris, Istanbul und Warschau aus die Zuspitzung der internationalen Beziehungen und der europäischen Politik beobachteten. Zumindest in der Pariser Zeitschrift „La Revue de Prométhée“ mied man eine offene Kommunismuskritik. Man kritisierte die sowjetische Aussen- und Innenpolitik und hob den eigenen Kampf um die politische und kulturelle Unabhängigkeit hervor. Die Sehnsucht nach
M. E. Resul-zade: Śmierć Kemala Atatürka, in: Wschód 4 (1938), S. 18. Mehmed Emin Resul-zadé: La terreur soviétique et la résistance nationale en Azerbeydjan, in: La Revue de Prométhée 1 (1. Oktober 1938), S. 94–101. 119 Enrico Insabato verfolgte seit Langem das Wirken der nichtrussischen Emigranten in Europa. Sein eigenes Ziel bestand darin, diese und darüber hinaus auch Polen als den Hauptfinanzier der prometheistischen Netzwerke für Italien zu gewinnen. Den Mai 1934 verbrachte er am Ostinstitut in Warschau, wo er mehrere Gespräche sowohl mit den Emigrés als auch mit den polnischen Diplomaten führte. Siehe den Bericht von Olgierd Górka, in: II Rzeczpospolita wobec ruchu prometejskiego, hg. von Pawel Libera, Warschau 2013, S. 301 f. 117 118
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einem eigenen Staat und die Argumentation mit in Europa populären politischen Kategorien wie Nationalstaat und Nation prägten die Diskurse.120 Seit der Übernahme der Leitung durch Šul’hyn und der Umgestaltung der Zeitschrift gewann „La Revue de Prométhée“ deutlich an intellektuellem Anspruch, brachte sich intensiver in französische Diskurse ein und entwickelte sich zum aktiveren Glied im Kulturtransfer aus Osteuropa nach Frankreich. Neben den Beiträgen von z. B. Jean Martin und Georges Werner druckte die Zeitschrift auch Beiträge französischer Intellektueller, wie z. B. René Pinon121, deren Ansichten bezüglich der UdSSR mit den eigenen übereinstimmten. Darüber hinaus konnte ein weiterer Kreis ukrainischer Emigrés rekrutiert werden. Ab Dezember 1938 arbeiteten z. B. der Ukrainer Maksim A. Slavyns’kyj122 und der nordkaukasische Emigré Aytek Namitok eng mit der von Šul’hyn geführten Zeitschrift zusammen. Deutlich war auch die Annäherung an die „Georgian Historical Society“123, eine politische und wissenschaftliche Einrichtung, die von britischer Seite gegründet und von einer Reihe exilgeorgischer Intellektuellen unterstützt wurde. Eine Strategie, die bereits der „Prométhée“ verfolgt hatte, wurde somit durch die Nachfolgezeitschrift
120 Siehe das Editorial: Une lutte de principes: l’État et la nationalité, in: La Revue de Prométhée 2 (1. Dezember 1938), S. 137–140. 121 René Pinon (1870–1958) war ein französischer Historiker und Journalist, der sich schwerpunktmäßig mit den internationalen Beziehungen und vor allem mit dem Nahen Osten befasste. Er arbeitete eng mit der Zeitschrift „Revue de deux mondes“ zusammen. 122 Maksim Slavyns’kyj (1868–1945) war ein ukrainischer Politiker und Literaturübersetzer. Als Absolvent der Petersburger Universität übersetzte Slavinskij Heinrich Heine und andere Autoren ins Ukrainische und redigierte mehrere Zeitungen bis zum Ersten Weltkrieg. Seit 1919 war er zuerst in der diplomatischen Vertretung der Ukraine in Prag tätig. Danach folgte das Exilleben in der tschechoslowakischen Hauptstadt, wo Slavyns’kyj zahlreiche Werke der westeuropäischen Literatur ins Ukrainische übertrug. 1945 wurde er durch den sowjetischen Auslandsnachrichtendienst in Prag festgenommen. Er starb 1945 in einem Gefängnis in Kiew. 123 The Georgian Historical Society wurde 1930 vom britisch-irischen Intellektuellen William Edward David Allen (1901–1973) und dem britischen Diplomaten Sir ( John) Oliver Wardrop (1864–1948) gegründet. Der Orientalist und Direktor der prominenten Londoner School of Oriental Studies, Sir Edward Denison Ross (1871–1940), fungierte als Präsident der Gesellschaft, das Ehepaar Prof. Talbot Rice und Tamara Talbot Rice u. a. waren Mitglieder des Beirats. Der Vorstandsvorsitzende W. E. D. Allen, Absolvent des Eton College, beschäftigte sich mit der Geschichte Georgiens und des Nahen Ostens und veröffentlichte intensiv zur Geschichte des Kaukasus im Mittelalter und in der Neuzeit. Er stand den britischen Faschisten nahe. Das Interesse am Kaukasus teilte er mit O. Wardrop, der vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Tiflis tätig war. Wardrop erlernte Georgisch und publizierte ebenfalls zur georgischen Geschichte. Nach der Sowjetisierung Georgiens wurde Wardrop zu einem aktiven Promoter der georgischen Kultur im Westen und unterstützte die karthwelologischen Studien. Professor Talbot Rice (1903–1972) war ein britischer Historiker, Experte für Osteuropa und islamische Kunst. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er zum Leiter der Nahost-Abteilung des britischen militärischen Geheimdienstes (MI3b). Somit entstand die Georgian Historical Society ähnlich wie Einrichtungen, wie z. B. das Warschauer Ostinstitut in Polen aus den wissenschaftlichen und nachrichtendienstlichen Kreisen. Fünf Jahre nach der Gründung der „Georgian Historical Society“ kam es zur Herausgabe der Fachzeitschrift „Georgica. A journal of Georgian and Caucasian Studies“, deren erste Nummer im Oktober 1935 erschien. Interessanterweise warb die Zeitschrift für „The Asiatic Review“, eine noch 1885 gegründete britische Zeitschrift, die sich mit der populärwissenschaftlichen Erschließung der britischen Kolonien in Asien befasste.
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übernommen. Weiterhin wurden auch hier französische Übersetzungen aus der ‚Literatur der prometheistischen Völker‘ präsentiert. Dabei wurden als Übersetzer bekannte französische LiteratInnen und DichterInnen mit einbezogen. Im Dezember 1938 wurden z. B. die Übertragungen des georgischen Nationalepos „Fürst im Tigerfell“ von Rustaveli in der Version von Gvazava und Anie Marcel-Paon sowie die Kurzerzählung des exiltatarischen Schriftstellers und Prometheisten Ayaz Ishaki in der Übersetzung von Simone Mazade Roussan veröffentlicht. Im Hinblick auf die für Polen und Europa fatalen Entwicklungen im Herbst 1939 scheint der Editorialartikel im prometheistischen Medium der Aserbaidschaner in Berlin, in der Zeitschrift „Kurtuluş“, beinahe naiv: „Ein neues Jahr ist gekommen. Auch dieses Jahr empfingen wir in der Emigration. Unsere Heimat, deren Rechte wir verteidigen und um die wir kämpfen, ist immer noch unter der Okkupation des Feindes“124. Die Entwicklungen auf dem europäischen Parkett wurden aber als Anzeichen dessen gedeutet, dass die prometheistischen Völker bald ihr Ziel, den Kollaps des Kommunismus und der UdSSR erreichen würden. So wurde die Eroberung des Sudetenlandes durch Deutschland und die Aufteilung der Tschechoslowakei naiv als „Verlust der Komintern“ gedeutet, die nun die Tschechoslowakei aus der eigenen Einflusssphäre verloren habe.125 Die Sowjetunion wurde als ein Staat kurz vorm Niedergang dargestellt. Diese beiden Narrative waren im Grunde kennzeichend für die prometheistischen Diskurse seit den 1920er Jahren. Bewusst wurden die Entwicklungen der internationalen Politik als Schritte zu eigenen Gunsten gedeutet. Jegliche Entwicklungen in der Sowjetunion selbst wurden als Hinweis ihrer politischen und ökonomischen Schwäche und als Anzeichen ihres baldigen Zerfalls beschrieben.126 Offensichtlich sollte dies die europäische und türkische Öffentlichkeit für die prometheistischen Ziele einnehmen, indem man sie von der Schwäche und Barbarei der Sowjetunion überzeugte und so zu einer Offensive animierte. Im gleichen Zeitraum fanden parallel mehrere prometheistische Diskurse in Warschau, Paris aber auch in Berlin statt. Gerade Letzteres wurde angesichts der Zuspitzung der internationalen Politik und der kurzzeitigen deutsch-polnischen Annäherung für die polnischen Prometheisten immer wichtiger. Ohne sich für den Nationalsozialismus und Faschismus zu begeistern, berichtete die exilaserbaidschanische „Kurtuluş“ mit Interesse über die Kaukasus-bezogenen Diskurse in Deutschland und Japan, vor allem zur deutschen und japanischen Berichterstattung über Aserbaidschan.127 Von deutscher Seite waren es Diplomaten und vor allem Orientalisten wie Jäschke, Benzing und andere, welche die Kontakte zu den aserbaidschanischen, georgischen und turkestanischen Emigranten aufnahmen und sie dann für die eigenen Zwecke ins124 125 126 127
1939, in: Kurtuluş 51 (1939), S. 1. Ebenda. M. B. Mehmed-zade: 1938-de S. S. S. R. in: Kurtuluş 51 (1939), S. 6–9. Nippon matbuatında Azerbaycan, in: Kurtuluş 51 (1939), S. 28–30.
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trumentalisierten. Auch im Falle Japans sah dies ähnlich aus. Tokio strebte an, die muslimischen Aktivisten, vor allem die Tataren, für seinen Kampf gegen die UdSSR und China zu instrumentalisieren. In der Benachteiligung der muslimischen Völker in der UdSSR und China, im turkophonen Separatismus in Westchina wie auch im sowjetischen Zentralasien und Kaukasus sahen die Japaner die Schwachstellen Chinas und der Sowjetunion. Begeistert berichtete „Kurtuluş“ vom japanischen Turkologen [Koji] Okubo128 und seinem Forschungsinstitut. Okubo besuchte im Mai 1936 Ankara, Izmir und einige andere türkische Städte. Er nahm am türkischen Sprachkongress teil und wurde persönlich von Mustafa Kemal Atatürk empfangen. Dem japanischen Historiker Nobuo Misawa zufolge wurde Okubo vom Japanisch-Türkischen Freundschaftsverband in die Türkei geschickt.129 Die türkischen Tageszeitungen vefolgten den Besuch des japanischen Turkologen intensiv. In seinen öffentlichen Reden beschwor Okubo die türkisch-japanische Allianz und sprach sogar von einer Mission von zwei Ländern in Asien. Da die Prometheisten regelmäßig die türkische Presse auswerteten, war ihnen der Besuch Okubos und die Gründung des „Kaikyo ken Kenkyujo“ [ Japanisches Institut für Islamkunde] durch ihn und weitere japanische Orientalisten, wie Hajime Kobayashi (1904–1963) und Hisao Matsuda (1903–1982), sicher aus der Lektüre der türkischen Medien oder unmittelbar durch Ishaki selbst bekannt. Es ist auch klar, dass es schon lange vor seiner Reise in die Türkei 1936 zu Direktkontakten zwischen den Prometheisten und Okubo gekommen war. Ausschlaggebend für die Kontaktaufnahme war die Dienstreise Ayaz Ishakis nach Japan zu Beginn der 1930er Jahre,130 in deren Rahmen Ishaki die in Japan lebenden Tataren, wie zuvor in Finnland, institutionell organisierte und in die prometheistische Netzwerkarbeit integrierte. Nicht zuletzt dank der 1934 erfolgten Durchführung eines pro-prometheistischen Kongresses der tatarischen Aktivisten Japans in der Stadt Kobe war diese Integration erfolgreich. Ishaki konnte die Herausgabe des Bulletins der japanischen Tataren organisieren. Es kam in der Tat zur Erscheinung von drei Heften im Laufe des Jahres
128 Koji Okubo (1897–1950) war ein bekannter japanischer Orientalist. Er lehrte an der Komazawa University, die der buddhistischen Sekte Soto nahestand. Diese Sekte empfand Nähe zum Islam und den Muslimen. Okubo, der selbst ebenfalls der Sekte Soto angehörte, gründete bereits im Oktober 1933 die „Isuramu Kyokai“ [Islamische Gesellschaft]. Drei Jahre später verfasste er zusammen mit Kobayashi ein programmatisches Werk zum islamischen Kulturkreis in der Gegenwart. Mehr dazu Usuki Akira: An Aspect of Middle Eastern and Islamic Studies in Wartime Japan. A Case of Hajime Kobayashi (1904–1963), in: Annales of Japan Association for Middle East Studies 23/2 (2008), S. 195–214. 129 Nobuo Misawa: Kȏji Okubo and Tatar Exiles in Interwar Japan: Biographical Sketch of his Commitment, in: Abdürreşit İbrahim ve zamanı. Türkiye ve Japonya Arasında Orta Avrasya, hg. von A. Merthan Dündar, Ankara 2018, S. 64. 130 Das von Nobuo Misawa 2014 herausgegebene „Album of Tatar Exiles in Interwar Japan“ enthält Bildaufnahmen von Ishaki wie auch von Okubo. Vgl. Album of Tatar Exiles in Interwar Japan, hg. von Nobuo Misawa, Tokio 2014. Einzelne Fotos sind leider nicht beschriftet. Misawa schrieb im Vorwort, dass die Aufnahmen von Ishaki, Okubo u. a. veröffentlicht werden.
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1934. Danach wurde die Veröffentlichung des Bulletins eingestellt. 131 Ishaki gelang es, sich gegen den in Tokio seit den frühen 1920er Jahren tätigen Imam der Moschee von Tokio, den usprünglich aus Sibirien stammenden Tataren M. Gabdulchai Kurbangali (1889–1972), durchzusetzen. Die Prometheisten warfen Kurbangali Spionage für die Sowjetunion und Sabotage gegen die prometheistische Aktivität in Japan vor. 1934 kam es zum so genannten ‚Vorfall im Wadabashi-Klub‘, einem heftigen, gewalttätigen Streit zwischen den Anhängern der beiden tatarischen Exil-Aktivisten. Ishaki erreichte bei den japanischen Behörden, dass Kurbangali von Tokio in die Mandschurei versetzt wurde. Dem Historiker Misawa zufolge habe Okubo sich dafür entschieden, Ayaz Ishaki zu unterstützen.132 Ishaki organisierte dann nicht nur den bereits erwähnten Kongress der Tataren in der Stadt Kobe, sondern gründete auch 1935 noch eine weitere tatarische prometheistische Zeitung „Milli Bayrak“ [Die nationale Fahne] in Mukden. Diese Zeitung wurde bis 1945 gedruckt und in die Türkei, wo eine große tatarische Community lebte, geschmuggelt. Ishaki scheint Kontakte nicht nur zu Okubo, sondern auch zu einem weiteren japanischen Philologie-Professor, Shiro Hattori (1908–1995), gepflegt zu haben.133 Hattori war mit einer tatarischen Politemigrantin, Magira Ageeva, verheiratet, und sprach fließend Tatarisch. Ageevas Familie wanderte kurz nach der Russischen Revolution in die Türkei aus und sie selbst fungierte als eine wichtige Verbindung von Japan, vor allem Mukden, in die Türkei. Der Initiative der polnischen Annäherung an Japan, geleitet vom Wunsch eine antisowjetische Allianz zu organisieren, kam die Dynamik in der sowjetischen Außenpolitik gelegen. In dieser Zeit kam es zur lange ersehnten Verschlechterung der sowjetischtürkischen Beziehungen, die sich nach fast zwei Dekaden enger Zusammenarbeit erstmals im Zuge der Konferenz in Montreux 1936 abkühlten und 1938 zuspitzten. Im Februar 1938 entschieden Ankara und Moskau die beiderseitige Reduzierung der diplomatischen Vertretungen. Die Türkei schloss ihre Konsulate in Odessa, aber auch in Baku, Erewan und Leninakan (dem heutigen Gjumri) und die UdSSR ihre in Izmir und Kars.134 Die sowjetische Seite verfügte seitdem nur über ein einziges Konsulat in Istanbul und die Türken führten außer der Botschaft in Moskau ebenso nur ein Konsulat in Batumi. Im Mai und Juni 1938 unterzeichnete Ankara Verträge mit Großbritannien und Frankreich, die direkte Unterstützung und Beistand im Falle einer Agression im Mittelmeerraum vorsahen. Umworben vom Westen erhielt die Türkei nicht nur die
131 Vgl. Dilara M. Usmanova: Bjulleten’ tjurko-tatarskogo kul’turnogo obščestva „Idel-Ural“ (g. Kobe), in: Gasyrlar avazy – Echo vekov 1/2 (2017), S. 267–271. 132 Nobuo Misawa: Kȏji Okubo and Tatar Exiles in Interwar Japan: Biographical Sketch of his Commitment, in: Abdürreşit İbrahim ve zamanı, hg. von Dündar, Ankara 2018, S. 56. 133 Mehr dazu siehe Larisa Usmanova: Tatar-Japanese friendship: scientists and diplomats of the Land of Rising Sun speak about Kazan and its inhabitants, in: https://realnoevremya.com/articles/742/print (Zugriffsdatum: 22.03.2019). 134 Vgl. Dimit’r Vandov: S’vetsko-turskite otnošenija i turskija pečat po vremeto na Atatjurk, Sofia 2006, S. 200–201.
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eher arabisch besiedelte Region Hatay, sondern auch Kredite aus London und Paris. Die Öffnung der Türkei gegenüber Europa nahm nach dem Tod Atatürks am 10. November 1938 weiter zu: Die türkische Regierung unterzeichnete nun auch mit Berlin ein Wirtschaftsabkommen. Die stalinistischen Repressalien 1937–38 in der Sowjetunion stellten die ohnehin schwächelnden prometheistischen Kreise vor die kaum erfüllbare Aufgabe, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken bzw. auf diese zu reagieren. Die Kyrillisierung einer Reihe der Turksprachen war eine weitere Herausforderung, da insbesondere die aserbaidschanischen, krim- und kasantatarischen wie auch Turkestaner Prometheisten darin einen nächsten Schritt hin zur Russifizierung erkannten. Während die aserbaidschanische Exilzeitung „Kurtuluş“ in Berlin seit Jahresbeginn 1939 ununterbrochen von der Russifizierung berichtete135, setzten die Polen auf eine Synthese des eigenen Antikommunismus mit dem utopischen Versuch, möglichst viele, vor allem europäische Mächte in einer antisowjetischen Allianz zusammen zu schließen, ohne sich dabei mit ideologischen Fragen auseinanderzusetzen. Włodzimierz Bączkowski veröffentlichte im Frühjahr seinen Essay „Von Hannibal bis Piłsudski“136. In Russland sah er die Inkarnation des Bösen. Idealisierend stellte er die Geschichte dar: „Die Griechen besiegten die Perser, weil sie ihre Freiheitskultur vor der Despotie verteidigten. Rom besiegte die Barbaren durch sein Recht und seine Gesellschaftsordnung.“137 Auch die Polen besiegten die Russen durch „das polnische Recht eines freien Menschen“. Die Griechen, Rom und Polen einerseits und die Perser, Barbaren und Russland andererseits lautete die Dichotomie, die Bączkowski aufstellte. Anders als die Türkei spielte Persien in den geopolitischen Plänen Polens eine zweitrangige Rolle, daher wies er auf den griechisch-persischen Gegensatz in der Antike und nicht auf die osmanischgriechische und türkisch-griechische Konfrontation hin. Jedoch gehe es beim Sieg in der Geschichte auch um die Rolle der Persönlichkeit einzelner Staatsmänner, die sich für die Freiheit des Einzelnen einsetzten. Bączkowski ging dabei auf die Schilderung Hannibals, Napoleons und nicht zuletzt Piłsudskis ein, indem er vor allem den Bericht des Letzteren an den japanischen Kaiser aus der Zeit des russisch-japanischen Krieges zitierte. Bekannterweise wies Piłsudski in diesem Memorandum von 1904 auf die Multiethnizität des Russischen Reiches hin und plädierte für die Nutzung dieser ‚Achillesferse Russlands‘. Piłsudski sei es um die Freiheit der nichtrussischen Völker gegangen. Von Napoleon erwähnte Bączkowski dessen Ansprache an die Italiener während der Einnahme Italiens durch die französische Armee, als Napoleon sich als Befreier der
135 Exemplarisch siehe M. E. Resulzade: „Sovyet patriotizmi“ unvanı altında ruslaştırma, in: Kurtuluş 53 (1939), S. 3–5; Mirza-Bala: Ruslaştırılmış alfabenin hedefi Türk milletlerini ortadan kaldırmaktır, in: Kurtuluş 53 (1939), S. 6–10; ders.: Rus alfabesi ve Türkçemiz, in: Kurtuluş 54 (1939), S. 12–14; ders.: „Yeni Azerbaycan alfabesi“ projesi, in: Kurtuluş 56–57 (1939), S. 4–6. 136 Włodzimierz Bączkowski: Od Hannibala do Piłsudskiego, in: Wschód 10/1 (1939), S. 1–8. 137 Ebenda, S. 1.
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Italiener stillisierte. Ähnlich sah Bączkowski den Auftritt Piłsudskis in Bezug auf die ukrainische Bevölkerung. Er zitierte die Ansprache des Marschalls an die Bewohner der Ukraine vom 26. April 1920: „Allen Bewohnern der Ukraine aller Religionen, Abstammung und Klassenzugehörigkeit gewähren die polnischen Streitkräfte Schutz und Fürsorge“138. „Das Geheimnis der militärischen Wunder liegt darin, dass die Freiheit zahlreiche Freunde hinter der Front des Gegners hat“, schrieb Bączkowski und betonte den Prometheismus Piłsudskis, der an die jagiellonische und napoleonische Tradition angeknüpft habe. Dieser Aufsatz Bączkowskis appellierte an alle „freiheitsliebenden Kräfte“ sich zu solidarisieren und erschien im gleichen Heft auch in italienischer Übersetzung. Es war das erste Mal, dass „Wschód“ etwas auf Italienisch veröffentlichte. Der Anspruch war ersichtlich: Bączkowski ging es darum, das italienische Publikum und die Führung des Landes anzusprechen, die er als gemäßigter und den katholischen Polen wohlgesonnener als das nationalsozialistische Deutschland einschätzte. Auch der Aufsatz eines polnischen Militärexperten139 über Lenin und Clausewitz erschien in gekürzter italienischer Übersetzung.140 Geopolitik, der Traum vom Raum und von der Revision der Karten prägten wie kein zweites Thema den polnischen Diskurs der Prometheisten Ende der 1930er Jahre. Ursprünglich zweitrangig entwickelte sich gerade das Geopolitische zu einem zentralen Element der prometheistischen Diskurse in Warschau. Dies war nicht zuletzt auf die Person Włodzimierz Bączkowski und seine Mitstreiter sowie auf den von Rasulzade treffend als Nervenkrieg beschriebenen Zustand auf dem europäischen Parkett zurückzuführen. Exemplarisch steht dafür die von Bączkowski 1939 gegründete Zeitschrift „Problemy Europy Wschodniej“ [Probleme Osteuropas]. Im Editorial bemängelte Bączkowski, dass die polnische Öffentlichkeit sich einseitig mit der deutschen Expansion und somit den westlichen Machtinteressen beschäftigte und die östliche Politik außer Acht ließe.141 Die deutsche Diplomatie lud er dazu ein, sich mit der nicht zuletzt durch die deutsch-russische Verflechtung deutlich komplexer gewordenen Ostpolitik zu beschäftigen. Tatsächlich stand Deutschland in fast allen Beiträgen im Zentrum. Jan Lipowiecki widmete sich dem Dreieck „DeutschlandBalkan-Kolonien“142 und erkannte im „‚Anschluss‘ Österreichs eine breite Öffnung des Ebenda, S. 6. Vermutlich handelte es sich um den polnischen Nachrichtendienstler Kpt. Jerzy Niezbrzycki (1902– 1968), der das Ostreferat des polnischen Auslandsnachrichtendienstes leitete und seine Beiträge unter dem Pseudonym Ryszard Wraga und in der Zeitschrift „Wschód“ unter dem Pseudonym M. M. veröffentlichte. (Siehe Marek Kornat: Bolszewizm, totalitaryzm, rewolucja, Rosja: początki sowietologii i studiów nad systemami totalitarnymi w Polsce (1918–1939), Krakau 2004, S. 118; Paul W. Blackstock: „Books for Idiots“: False Soviet „Memoirs“, in: The Russian Review 25/3 ( Juli 1966), S. 285; Hiroaki Kuromiya, Andrzej Pepłoński: „The Great Terror“, in: Cahiers du monde russe 50/4 (2009), http://journals.openedition.org/ monderusse/9911 (Zugriffsdatum: 02.03.2021)). 140 Kpt. M.M.: Lenin in margine a Clausewitz, in: Wschód 10/1 (1939), S. 26–27. 141 Problemy Europy Wschodniej 4 (April 1939), S. 209. 142 Jan Lipowiecki: Niemcy-Bałkany-Kolonie, in: Problemy Europy Wschodniej 4 (April 1939), S. 211–223. 138 139
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Deutschen Reiches gen Balkan“143. Lipowiecki wies auf die deutsch-rumänische Annäherung und eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Berlin und Bukarest, nicht zuletzt im Öl-Bereich, hin. Er warnte vor eventuellen deutschen Interessen in Bezug auf das agrarwirtschaftliche Potential der Ukraine sowie in Bezug auf Baku und Tschiaturi im sowjetischen Georgien.144 In einem weiteren Artikel schrieb Józef Łobodowski unter dem Pseudonym Stefan Kuryłło von den Deutschen in der Ukraine.145 Die Zeitschrift „Problemy Europy Wschodniej“ verfügte über andere Autoren als die prometheistischen Vorgänger-Zeitschriften in Polen. Konservative Intellektuelle wie Feliks Zahora-Ibiański und Piotr Dunin Borkowski gehörten zu den neuen Gesichtern des polnischen Prometheismus. Die beiden Autoren waren z. B. früher fast ausschließlich für die ukrainisch-polnischen Beziehungen engagiert und meldeten sich nun auf den Seiten der „Problemy Europy Wschodniej“ zu Wort, als es um die deutsche Außenpolitik ging. „Man soll den Kontinent umgraben“146, schrieb Jan Kowalewski im Mai 1939 in seinem Aufsatz „Das Baltikum – das Schwarze Meer“. Die Botschaft Kowalewskis lautete, „Die Wiederherstellung der Achse Baltikum-Schwarzmeer durch die Routen Weichsel, Saan, Dnister und Prut ist die wichtigste Verpflichtung der jetzigen Generation Polens.“147 Der Anstieg an geopolitischen Veröffentlichungen war eine unverkennbare Reaktion und ein deutliches Transferergebnis der polnischen Beobachtung des intellektuellen Geschehens im westlichen Europa und vor allem in Deutschland.148
Ebenda, S. 215. Ebenda, S. 223. Stefan Kuryłło: Niemcy na Ukrainie, in: Problemy Europy Wschodniej 4 (April 1939), S. 224–234. Jan Kowalewski: Bałtyk – Morze Czarne, in: Problemy Europy Wschodniej 5 (Mai 1939). Ebenda, S. 274. Der Beitrag Józef Zaczeks „Die Weichsel als Wasserstrasse“ war eine Reaktion auf die Monographie eines „deutschen Sammelbands“, der von N. Creutzburg, D. Krannhals und P. Rehder geschrieben wurde. Vgl. Richard Winkel (Hg.): „Die Weichsel. Ihre Bedeutung als Strom und Schiffahrtstrasse und ihre Kulturaufgaben“ in Leipzig 1939 erschien. Vgl. Doc. Dr. Ing. Józef Zaczek: Wisła jako droga wodna, in: Problemy Europy Wschodniej 5 (Mai 1939), S. 281–289. 143 144 145 146 147 148
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9.
Schlussfolgerungen
Der Bericht des aktiven Prometheisten Stanisław Siedlecki vom 14. Januar 1939 war nicht für ein breites Publikum, sondern für Entscheidungsträger im polnischen Nachrichtendienst und Militär gedacht. Er war von einer offensichtlichen Vorkriegsstimmung geprägt. Der einleitende Satz im Bericht „Die prometheistische Bewegung unter den Völkern unter der russischen Herrschaft in der Emigration in Polen“ konstatierte folgendes: „Die Vorbereitung der Materialien für die Diversion [Sabotage, Z. G.] auf dem Gebiet des Nachbarn, gegen den wir gegebenenfalls einen Krieg führen würden, ist, wie man weiß, eine wichtige Aufgabe für jeden Staat.“1 Dem Bericht zufolge waren genau diese „Vorbereitungen“ seit der Ausrufung der Republik in Polen dank der Initiative von Marschall Piłsudski zunächst getroffen worden. Als sich aber Piłsudski aus der Politik in Warschau 1923 zurückgezogen hatte, bedeutete dies, laut Siedlecki: „die Angelegenheit dieser Vorbereitungen hat aufgehört, die damaligen Regierungskreise zu beschäftigen“2. Es sei jedoch ein Anliegen von Piłsudskis „men of trust“ geblieben. Bis zur Rückkehr Piłsudskis im Mai 1926 waren dies vor allem Tadeusz Hołówko im Außenministerium und Tadeusz Schaetzel im Generalstab, die sich damit befassten. In Bezug auf die institutionelle Infrastruktur der prometheistischen Netzwerke seit 1920 hob Siedlecki die Zeitschrift „Przymierze“ (1920–21), den Klub ZZNO (1921–23) und das 1925 gegründete Ostinstitut sowie den 1928 etablierten Klub Prometheus hervor. Neben diesen Schlüsselinstitutionen in Warschau erwähnte Siedlecki noch das von Hołowko ins Leben gerufene „Instytut Badań Mniejszości Narodowych“ [IBMN, Institut zur Erforschung der nationalen Minderheiten] und die „verwandte Einrichtung“, das Wilnaer Ostinstitut. Dabei unterschied Siedlecki die prometheistischen Einrichtungen deutlich von den beiden Letzteren, vom IBMN, das sich mit den binnenpolnischen Minoritäten beschäftigte und von der Wilnaer Denkfabrik, die sich vordergründig mit Russlandstudien befasste und weniger mit den Sabotage-Akten auf dem russischen Staatsgebiet. Siedlecki unterstrich die Vortrags- und vor allem PubliSt. Siedlecki: „Ruch prometejski“ wśród narodów podrosyjskich na emigracji w Polsce, in: Andrzej Grzywacz, Grzegorz Mazur: Ruch prometejski w Polsce, in: Zeszyty historyczne 110 (1994), S. 76. 2 Ebenda, S. 77. 1
Schlussfolgerungen
kationsaktivität des Ostinstituts, das eine Reihe von Monographien prominenter Exilpolitiker, -militärangehöriger und -wissenschaftler wie auch polnischer Wissenschaftler in polnischer Sprache herausgab. Erwähnt wurden zahlreiche „Zeitschriften und Broschüren, die von den Völkern des ‚Prometheus‘ mit Hilfe der polnischen Behörden“3 auf Georgisch, Russisch, Türkisch herausgegeben wurden. Namentlich erwähnt hat Siedlecki die ukrainischen Zeitungen „Tryzub“ und „Tabor“, das nordkaukasische Medium „Severnyj Kavkaz“ und die Pariser Zeitschrift „Prométhée“, die kosakische Zeitschrift „Vol’noe kazačestvo-Vil’ne kozactvo“ sowie das krimtatarische Publikationsmedium „Emel“, das in der Dobrudscha gedruckt und von dort aus verteilt wurde. Mit Genugtuung zählte Siedlecki die Kontaktpersonen Polens innerhalb des politischen Exilantenmilieus auf: Im Falle Georgiens war das die Exilregierung von Noj Žordania. Für die Ukraine war es die Regierung Petljuras und seines Nachfolgers Andrij Levicky. In der aserbaidschanischen Emigration unterhielten die Polen engste Kontakte zu „M. E. Rasulzade […], Mustafa Vekilli, Mir Yagub [Mehdiyev], Azer Tekin und anderen“. Cafer Seydahmet und Ayaz Ishaki waren zentrale Figuren der krimund kasantatarisch-polnischen Zusammenarbeit. Für Kontakte zu den „Ostfinnen“ erwähnte Siedlecki den „großen Freund Polens“, Ignacy Meszeg, und zu den Kosaken, die Gruppe um Ignatij Bilyj. Nachdem Siedlecki die positiven Seiten aufgezählt und von einem „ungewöhnlich langen und herzlichen Bündnis Polens mit den Völkern der prometheistischen Front“ geschrieben hatte, schilderte er den Bruch innerhalb der prometheistischen Netzwerkarbeit „seit 1936 und insbesondere 1938“4. Italien und danach Deutschland wurden von Siedlecki als wichtigste Abwerber und im Endeffekt Störfaktoren der polnisch dominierten, prometheistischen Arbeit gesehen. In diesem Kontext erwähnte Siedlecki den Besuch des italienischen Intellektuellen Enrico Insabato 1934 und des nordkaukasischen Exilintellektuellen Gejdar Bammat 1936 in Warschau. Während Insabato von Siedlecki als Inbegriff der italienischen Einmischung in das prometheistische Konzept dargestellt wurde, wurde die publizistische Tätigkeit Bammats und seiner Gruppe „Kavkaz“ als eindeutig antiprometheistisch eingestuft. Siedlecki schrieb: Die Argumente Gajdars sind sehr stark. Er sagt, dass Polen sich nicht ganz und in voller Kraft für die Unabhängigkeit des Kaukasus einsetzen würde. Ganz anders sei die Einstellung der Staaten, die eine Revision des Vertrags von Versailles anstreben.5
Im abschließenden Teil seines zehnseitigen Berichts stellte Siedlecki fest, dass die prometheistische Aktivität seit dem Tod Piłsudskis zunehmend an Intensität verloren habe: Es sei zu einer „Dekadenz der prometheistischen Bewegung“ gekommen. Die Schlüsseleinrichtungen, wie das Warschauer Ostinstitut, würden unter chroni3 4 5
Ebenda. Ebenda, S. 83. Ebenda.
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scher Unterfinanzierung leiden; die Eliten der prometheistischen Politemigration fühlten sich nicht mehr auf Augenhöhe wahrgenommen: Während viele von ihnen die Zeiten Piłsudskis erlebt hatten, waren danach ab Mitte der 1930er Jahre der polnische Geheimdienstchef und der Leiter der Abteilung Ost des Außenministeriums die höchsten Ebenen im polnischen Establishment, die bereit waren, mit ihnen zusammenzukommen. Siedleckis Aussicht für die prometheistischen Netzwerke war durchaus pessimistisch. Pessimismus war kennzeichnend für die meisten Mitglieder der prometheistischen Netzwerke, auch für Bączkowski, trotz seines Elans und des kämpferischen Tons in „Problemy Europy Wschodniej“. Ein halbes Jahr nach dem Bericht von Siedlecki, am 1. September 1939, wurde Polen von der Wehrmacht überfallen, und zweieinhalb Wochen später marschierte die sowjetische Armee in die Ostgebiete des Landes ein. Von Paris aus schrieb eine der Schlüsselpersonen des polnischen Nachrichtendienstes, der Zuständige für die prometheistischen Netzwerke Major Edmund Charaszkiewicz, einen „Bericht über die Finanzierung der prometheistischen Aktivität“ vom 1. Dezember 1939. Dieser Bericht zeigte, im Vergleich zu dem von Siedlecki, weniger den ideologischen Anspruch der polnischen Unterstützung auf, wie es wiederholt auch von Władysław Pelc und anderen polnischen Diplomaten in den Jahren zuvor dargestellt worden war, sondern skizzierte vielmehr die nachrichtendienstliche und politische Struktur der Netzwerkaktivität. Charaszkiewicz, der eigenen Aussagen zufolge seit 1927 mit der ‚prometheistischen Aufgabe‘ beauftragt worden war, ging auf die Finanzierungsquellen und Strukturen des Netzwerks ein. Neben den Hauptquellen der Finanzierung, wie der Abteilung II des Generalstabs (Oddział II) und dem polnischen Außenministerium, war dies z. B. auch das Ministerium für Bildung und Soziales. Detailliert zählte er die zentralen Institutionen wie z. B. das Ostinstitut in Warschau, die die Infrastruktur der Netzwerke ausmachten, sowie die Publikationsorgane auf.6 Charaszkiewicz legte die polnische Finanzierung der ukrainischen Nachrichtenagentur „Ofinor“ dar, die Büros in Genf, Paris, Rom, Brüssel und Madrid unterhielt. Ebenso erstreckte sich die polnische Unterstützung auf die Petljura-Bibliothek in Paris und die krimtatarischen Studentenvereine in Istanbul und Bukarest. Im Zusammenhang mit der „prometheistischen Aktivität“ der polnischen Behörden seit den 1920er Jahren bis Ende 1939 wurden also diverse Aktivitäten und Strukturen finanziell von Polen gestützt. Während Polen hierfür im Jahr 1927 900.000 Złoty investierte, erreichten die Zahlungen 1932 mit 1.450.000 Złoty ihren Höhepunkt. Danach ließ die Unterstützung nach und belief sich
Charaszkiewicz ging auf die polnischsprachigen Medien „Wschód“ und „Biuletyn Polsko-Ukraiński“, die ukrainischsprachigen Zeitungen wie der „Tryzub“ (Paris), die aserbaidschanischen Zeitschriften „[Azerbaycan] Yurt Bilgisi“ (Istanbul) und „Kurtuluş“ (Berlin) und eine Reihe georgischsprachiger Medien in Warschau und Paris ein.
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in den ersten neun Monaten von 1939 auf 666.000 Złoty.7 Der 1939 verfasste Bericht Charaszkiewiczs kommt aus heutiger Sicht einer Art politischer Memoiren eines ehemaligen polnischen Diplomaten und Geheimdienstlers gleich, in dessen Berufsleben der Prometheismus eine gewichtige Rolle einnahm. Die zwei Berichte aus der unmittelbaren Vorkriegszeit und aus der Zeit gleich nach dem Ausbruch des Krieges bewirkten wenig. Sie sind jedoch wichtige Quellen zur Geschichte der prometheistischen Netzwerke im Europa der Zwischenkriegszeit. Der Prometheismus entwickelte sich zu einem kulturgeschichtlichen Hintergrund der polnischen Annäherung an den Osten Europas, den Kaukasus und die Schwarzmeerregion. Die thematischen Hauptlinien der publizistischen Arbeit der prometheistischen Netzwerke, zu denen mehrere Generationen polnischer Intellektueller wie Olgierd Górka, Włodzimierz Bączkowski und Władysław Pelc gehörten, lassen sich durch fünf wichtige Elemente zusammenfassen. Essentiell war die allgemeine Russlandkritik, die vor allem im 19. Jahrhundert zu einem integralen Teil der polnischen Ost- und Russlandwahrnehmung geworden war. Die Russlandkritik und -skepsis der kaukasischen, ukrainischen sowie tatarischen und turkestanischen Intellektuellen sind im Kontext der (post-)kolonialen Diskurse zu betrachten, die sich von den seit dem 19. Jahrhundert tradierten Unterlegenheitsgefühlen dem Zarenreich gegenüber sowie von der traumatischen Erfahrung mit der Sowjetisierung in den 1920er Jahren ableiten lassen. Die osteuropäische und westeurasische Russlandskepsis ist ein facettenreiches Phänomen, das sich nicht nur aus der Tatsache speist, dass diese Gebiete seit Jahrhunderten von Russland militärisch und politisch dominiert wurden. Auch die Tatsache, dass die nichtrussischen Gesellschaften einer kontinuierlichen, sprachlich-kulturellen Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft des Zarenreichs bzw. der Sowjetunion ausgesetzt und dadurch immens herausgefordert worden waren, trug zu dieser Skepsis bei. Die nichtrussische Russlandkritik und -skepsis ist eine (post-)koloniale Reaktion auf die russische Dominanz. Gleichzeitig blieb Russisch selbst im europäischen Exil und im unabhängigen Polen die Kommunikationssprache der Prometheisten sowie eine der bedeutendsten Sprachen, in denen sie (vor allem die nordkaukasischen und kosakischen Prometheisten) ihre programmatischen Schriften verfassten und Informationen verbreiteten. Es war die russische Exilantengemeinschaft in Europa, wie z. B. der Kreis um die Zeitung „Dni“ von Kerenskij, mit der sich die Prometheisten intensiv austauschten, deren Diskurse sie verfolgten und auf deren Ordnungsentwürfe und -vorstellungen sie reagierten. Die Prometheisten blieben paradoxerweise in dieser Hinsicht ein Teil der exilrussischen Diskurse, in diesem Falle des so genannten Auslandsrusslands [Zarubežnaja Rossija].
Mjr Edmund Charaszkiewicz: 1939, 1 grudnia – Raport o finansowaniu działalności prometejskiej, in: Zbiór dokumentów ppłk. Edmunda Charaszkiewicza, hg. von Andrzej Grzywacz, Marcin Kwiecień, Grzegorz Mazur, Krakau 2000, S. 81–87.
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Ein weiteres bindendes Element war zweifelsohne der Antiimperialismus, der in der polnischen Publizistik bereits Ende des 19. Jahrhunderts einen festen Platz eingenommen hatte. Anfang des 20. Jahrhunderts ließ die antiimperialistische Perspektive bei Hunderten von polnischen, aber auch ukrainischen und kaukasischen Intellektuellen Sympathien für den Sozialismus, Marxismus, und nicht zuletzt für den Bolschewismus entstehen. Die Idee einer kulturellen Autonomie, und später das Selbstbestimmungsrecht der Völker, prägten die Diskurse zwischen Warschau und Tiflis während des Ersten Weltkrieges. Die bereits zwei Jahre nach Verkündung der polnischen Unabhängigkeit, im Jahre 1920, gegründete Zeitung „Przymierze“ popularisierte das antiimperialistische Gedankengut, dessen Grundlagen bereits 1917 im „Manifest des polnischen Volks“ dargelegt worden waren, besonders intensiv. Die antiimperialistische Agitation nahm allerdings im Laufe der 1920er Jahre wieder deutlich ab, da in Polen selbst die Stimmen zugunsten einer Aneignung von Kolonialgebieten in Afrika und Lateinamerika laut wurden und Frankreich, das weiterhin große Gebiete in Übersee kontrollierte, ein enger Verbündeter Polens war. Eine bedeutende Rolle spielte auch der Antikommunismus, der sowohl die Elemente des Antiimperialismus als auch der Russlandskepsis inkludierte. Das Zarenreich und die Sowjetunion wurden gleichgestellt: Hier glich der Tenor der polnischen Diskurse dem der ukrainischen, kaukasischen und turkestanischen. Im Kommunismus sahen die PrometheistInnen einen neuen Versuch Moskaus, das eigene, während des Ersten Weltkriegs erschütterte Staatsgebilde wiederherzustellen und die während des Bürgerkriegs verlorenen Gebiete des ehemaligen Zarenreiches zurückzuerobern. Im Kommunismus, dessen Essenz in den 1920er Jahren nicht nur auf den Schriften von Marx und Engels, sondern auf neueren Publikationen Lenins, Plechanovs und Trotzkis beruhte, entdeckten die AktivistInnen eine stark ausgeprägte Ideologie, die auch in den europäischen Industriegesellschaften viele Sympathisanten, wie z. B. Henri Barbusse, gewinnen konnte. Der Kommunismus wurde von den Mitgliedern der prometheistischen Netzwerke gefürchtet und als Gesellschaftsordnung abgelehnt. Kritisiert wurde die kommunistische Auffassung von Religion: Der staatlich geförderte Atheismus und der bolschewistische Feldzug gegen alle Religionen in den 1920–30er Jahren wurden besonders vehement angegriffen. Die meisten Prometheisten waren zwar Anhänger des Säkularismus, viele von ihnen hatten jedoch eine theologische Ausbildung, wie z. B. der Ukrainer Alexander Lotockij und der Kasantatare Ayaz Ishaki, oder waren in einem religiösen Umfeld sozialisiert worden, wie z. B. der Aserbaidschaner M. E. Rasulzade und der ingermanländische Prometheist Gabriel Kaapre Tynni. Auch die Expansionsbestrebungen der sowjetischen Kommunisten wurden zur Zielscheibe der prometheistischen Publizisten. Die polnische Intellektuellenschicht sah die Gefahr in den 1930er Jahren nicht mehr in der Theorie von Marx und Engels, sondern konkret im Sowjetkommunismus. Der polnische Antikommunismus in der Zwischenkriegszeit reduzierte sich somit weitgehend auf den Antibolschewismus und
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auf die Kritik an Lenin und Stalin. Im sowjetischen Kommunismus erkannte „Wschód“ ein „neouniversalistisches Konzept“, das Moskau „einem Sechstel der Erde aufzuoktroyieren versucht“.8 Darunter verstand man u. a. die Totalisierung der innerstaatlichen Strukturen und den Versuch, die wirtschaftlichen Probleme durch die Terrorisierung der Bevölkerung zu verdecken.9 Zum vierten Element und Bestandteil des Prometheismus gehörte zweifelsohne der Freiheitstopos, der sich aus der polnischen Verfassungstradition des ausgehenden 18. Jahrhunderts und der Tradition der Aufstände der 1830er und 1860er Jahre speisen konnte. Mit dem Freiheitstopos setzte sich die polnische Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auseinander, ähnlich wie auch die georgische und vor allem die ukrainische. In der Zwischenkriegszeit kam es zu einer intensiven Rezeption des literarischen Erbes Adam Mickiewiczs, Juliusz Słowackis10, Zygmunt Krasińskis sowie des prominenten Romanautors Henryk Sienkiewicz. Eine enorme Wirkung auf die Diskurse hatte der Schriftsteller Stefan Żeromski, der den polnischen Freiheitsgedanken besonders radikal der zaristischen Despotie gegenüberstellte, auch wenn er die polnische Aristokratie dabei ebenfalls der Kritik unterzog. Aufgegriffen wurde auch die romantische Poesie der georgischen, aserbaidschanischen sowie der ukrainischen Dichter der Jahrhundertwende. Im Freiheitsgedanken der prometheistischen Deutung gingen die Ideen einer staatlichen, nationalen und individuellen Freiheit ineinander auf. Im Freiheitstopos ließen sich die antiimperialistischen und vor allem die antikommunistischen Komponenten verflechten. An den Freiheitstopos knüpfte die Thematisierung des Antitotalitären in den prometheistischen Diskursen, die Kritik an der Idee eines totalen Staates direkt an. Vor allem in der ersten Hälfte der 1920er Jahre war die antitotalitäre Thematik wichtig in der prometheistischen Publizistik (z. B. in der Zeitschrift „Przymierze“). Die Kritik am Totalitarismus war allerdings ambivalent: Während die Prometheisten die totalitären Strukturen der Sowjetunion scharf verurteilten, wurden die Praktiken im Dritten Reich wenig thematisiert. Diese fünf hier erläuterten Elemente (Russlandskepsis, Antiimperialismus, Antikommunismus, Freiheitsgedanke und Antitotalitarismus) entstanden alle im Zuge der (post-)kolonialen und emanzipatorischen Diskurse im östlichen Europa, das im 19. Jahrhundert in die Habsburger Monarchie, Preußen und das Zarenreich integriert war und 1918 die staatliche Unabhängigkeit erlangte. Im Laufe der 1920–30er Jahre erlebte der Prometheismus, der sich ab 1926 einer gezielten staatlichen Unterstützung
Editorial, in: Wschód 3–4/11–12 (1933), S. 1. Der Editorialtext wurde vollständig auch in englischer Übersetzung gedruckt. 9 Ebenda, S. 3–4. 10 Die polnische Literaturwissenschaftlerin Zofia Strzetelska sah Słowackis Dichtung bereits in ihrer Monographie von 1910 im Kontext des polnischen literarischen Prometheismus. Vgl. dies.: Prometeizm Słowackiego, Lemberg 1910. 8
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erfreute, eine weitere Entwicklung: Der Prometheismus war eine Reaktion auf die ideologischen Herausforderungen seiner Zeit. In der Auseinandersetzung mit den anderen ideologischen Strömungen im damaligen Europa wandelten sich daher die fünf Grundelemente des Prometheismus und die Schwerpunktlegung. Die meisten Mitglieder der prometheistischen Netwerke waren entangled intellectuals bzw. verflochtene Intellektuelle. Paradebeispiele dafür waren Cafer Seydahmet, der zwischen der Krim, Warschau und Istanbul lebte und sich an den polnischen, krimtatarischen und türkischen Diskursen beteiligte, oder Noj Žordania, der sich nicht nur in den georgischen, sondern auch in den europäischen und russischen sozialdemokratischen Kreisen profilieren konnte und auf Französisch, Russisch und Georgisch publizierte. Viele der Prometheisten waren Grenzgänger. Sie fassten Fuß in den politischen Kulturen ihrer Aufnahmeländer, wurden von den lokalen Diskursen beeinflusst und übten ihrerseits Einfluss auf diese lokalen und regionalen Diskurse aus. Dies entsprach andererseits den polnischen Erwartungen.11 Die prometheistischen Medien gaben den nichtrussischen Emigrés die Möglichkeit, den eigenen Standpunkt gegenüber den exilrussischen Zeitschriften zu vertreten, gegen diese zu polemisieren und auf ihre Aussagen zu reagieren. Neben der Suche nach der Identität im Nachkriegszeitalter fand die Weiterentwicklung des polnischen geo- und außenpolitischen Denkens im Spannungsverhältnis zwischen Groß- bzw. Regionalmachtgedanken statt. 1918 setzte man sich noch intensiv mit den Gründen des ‚Untergangs Polens‘ Ende des 18. Jahrhunderts auseinander, wie dies exemplarisch der spätere Rektor der Universität Warschau, Tadeusz Brzeski, in einem längeren Beitrag in der Lemberger geschichtswissenschaftlichen Fachzeitschrift „Kwartalnik historyczny“ tat.12 Nach dem polnischen Sieg über die Rote Armee 1921, und vor allem nach dem Comeback Piłsudskis 1926, kam es zu einer facettenreicheren Auseinandersetzung mit Geopolitik. Daraus gingen verschiedene Ordnungsvorstellungen für Europa und die Welt hervor, die in den Zeitschriften „Przymierze“, „Wschód Polski“, aber auch „Przegląd historyczny“13 und seit 1930 auch in „Wschód“ veröffentlicht wurden. Der Prometheismus ist zweifelsohne das prominenteste Beispiel dieses intellektuellen Engagements, das sich aus dem gestärkten Selbstbewusstsein der polnischen Eliten ergab.
Charaszkiewicz bezeichnete dies „wpływ na ośrodki polityczne i akcje terenową“ [Einfluss auf die politischen Strukturen und die Bodenoperationen] bei der Beschreibung der Residentur in Rumänien, der Türkei und im Iran. Instytut Polski i Muzeum im. gen. Sikorskiego, B.1.6c/10, zitiert nach: Mjr Edmund Charaszkiewicz: 1939, 1 grudnia – Raport o finansowaniu działalności prometejskiej, in: Zbiór dokumentów ppłk. Edmunda Charaszkiewicza, hg. von Grzywacz, Kwiecień, Mazur, Krakau 2000, S. 86. 12 Tadeusz Brzeski: Teorya przyczyn upadku Polski. Studyum metodyczne, in: Kwartalnik historyczny 32/1 (1918), S. 173–240. 13 Vgl. der Beitrag von Franciszek Bujak (1875–1953): Dziejowe znaczenie morza, in: Przegląd historyczny 3/23 (1922/1923), S. 1–16. 11
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Außenpolitisch erlebte die polnische Strategie ein absolutes Fiasko. Die Annäherung an Rumänien stolperte über die polnisch-ungarische Kooperation sowie über die Probleme Warschaus mit der Tschechoslowakei, die eine große Rolle in der „Kleinen Entente“ spielte und eng mit Bukarest zusammenarbeitete. Während Prag die ukrainische Karte gegen Warschau ausspielte, indem es die aus Polen geflohenen ukrainischen Unabhängigkeitsaktivisten aus Galizien und Wolhynien mit Stipendien ausstattete und sogar die UVO (Ukrains’ka Vijs’kova Orhanizacija) infrastrukturell mitunterstützte, unterhielt Polen enge Kontakte zu den slowakischen Separatisten und Autonomisten und zur polnischen Minderheit im tschechoslowakischen Gebiet Teschen. Der engste Verbündete Polens, Frankreich, war zudem insbesondere in den 1930er Jahren an wirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau interessiert. Die Kommunistische Partei Frankreichs wurde im Laufe der Jahre immer bedeutender, was zur Folge hatte, dass die vehemente Kommunismuskritik der Prometheisten auf dem französischen Staatsgebiet weniger unterstützt wurde. Deutschland und Italien ihrerseits unterwanderten die „prometheistischen Aktivisten“ zu eigenen Zwecken und warben viele prominente Prometheisten ab. Die von den Prometheisten abgespaltenen Gruppen, wie z. B. die Kavkaz-Gruppe um Gejdar Bammat in Paris, arbeiteten mit Italien und Deutschland zusammen und sahen sich zunehmend sogar in Opposition zu Polen. Gleichzeitig warben sie ähnlich wie die übrigen Prometheisten für eine Allianz mit der Türkei,14 die in der Zwischenkriegszeit trotz der enormen Anstrengungen Warschaus nicht als Verbündeter Polens gegen die UdSSR gewonnen werden konnte. Ankara duldete die krimtatarischen, zentralasiatischen und aserbaidschanischen Emigrés auf dem eigenen Territorium, weil es im Kontext des eigenen Staatswerdungsprozesses an gut ausgebildeten Fachkräften interessiert war. Sobald sich der politische Inhalt in den prometheistischen Zeitschriften aus Sicht Ankaras negativ auf den staatlich geförderten türkischen Nationswerdungsprozess und auf die sowjetisch-türkischen Beziehungen auswirkte, wurden diese Zeitschriften geschlossen, und sogar ihre Einfuhr in die Türkei untersagt. Finnlands Haltung war ähnlich wie die der Türkei. Helsinki tolerierte die prometheistische Aktivität der Exilkarelen, der finnischen Tataren und einiger Intellektueller. Zu einer aktiven Unterstützung des prometheistischen Vorhabens und einer intensiven finnisch-polnischen Zusammenarbeit ist es aus mehreren Gründen jedoch nicht gekommen. Finnland war bemüht, die ohnehin angespannten Beziehungen zu Moskau nicht zu verschlechtern. Ein weiterer Grund für die finnische Zurückhaltung war die Krise in den polnisch-litauischen Beziehungen, die die gesamte Zwischenkriegszeit begleitete.
Exemplarisch dafür steht der Streit zwischen der Bammat-Gruppe und einer Gruppe georgischer Menschewiki in Italien. Vgl. Das Memorandum der grusinischen Menschewiken. Der Kaukasus und die Türkei, abgedruckt in: Der Kaukasus 3 (April-Mai-Juni 1938), S. 10–13.
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Die prometheistischen Netzwerke litten, wie es bereits von Siedlecki im Bericht angemerkt wurde, unter chronischer Unterfinanzierung. Dies wirkte sich natürlich auf die Effektivität der Arbeit aus. Die Tätigkeit zielte kurzfristig auf die Beschaffung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und langfristig auf die Zerstückelung der Sowjetunion und die Schaffung einer unabhängigen Ukraine, der Kaukasischen Konföderation, der Republik Krim, Ingermanlands und eines kosakischen Staatsgebildes unter der Patronage Polens ab. Das Unterfangen scheiterte jedoch gänzlich. War der Prometheismus eine polnische Erfindung oder eine Form des Transfers, d. h. eine polnische Fortführung europäischer Aktivitäten? Im Zuge der prometheistischen Aktivität kam es z. B. zur Gründung der polnisch-türkischen und anderer Freundschaftsvereine. Diese Art der Institutionalisierung der angestrebten Zusammenarbeit praktizierten viele westeuropäische Staaten, nicht zuletzt Deutschland15, was den polnischen Orientalisten und Diplomaten wohl bekannt war. Dem britischen Amateurhistoriker Stephen Dorril zufolge, der 2001 eine populärwissenschaftliche Geschichte des MI6 vorlegte, wurden die prometheistischen Netzwerke von der britischen Seite, bzw. von Seiten des MI6 bereits in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ins Leben gerufen.16 Polen habe sich erst später durchgesetzt. Dieser Standpunkt wird nicht von der internationalen Prometheismus-Forschung geteilt, weitere Abhandlungen zur Geschichte des MI6 haben das Themenfeld noch nicht aufgegriffen. Abgesehen von den sowjetischen Geheimdienstberichten, die britische Unterstützung für die Polen vermuteten, wurden bis jetzt keine fundierten Indizien des „britischen Ursprungs“ der prometheistischen Netzwerke registriert. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass die Briten die polnische Seite inspirierten und anfänglich infrastrukturell unterstützten. Der Prometheismus als eine Strategie, die nichtrussischen Emigrés europaweit, und darüber hinausgehend in einer Front unter polnischer Regie gegen den Kommunismus und die Sowjetunion zu mobilisieren, scheiterte bereits Mitte der 1930er. In Polen selbst rekrutierte der Prometheismus seine Anhänger aus dem Piłsudski-nahen Umfeld und wurde von den Nationaldemokraten scharf kritisiert. Es wäre falsch zu behaupten, dass der Prometheismus eine dominierende Ausrichtung der polnischen Geisteswelt in der Zwischenkriegszeit war. Jedoch gerade das zu erreichen, forderten der für die Koordination und Finanzierung der prometheistischen Aktivitäten zuständige polnische Nachrichtendienst sowie die entsprechenden Gremien des Außenministeriums in Warschau von den georgischen, ukrainischen, aserbaidschanischen und turkestanischen Emigranten. Auch das wurde nur teils erreicht, obwohl die polnischen Initiatoren und Organisatoren der Netzwerke wie Edmund Charaszkiewicz, Roman Knoll, Tadeusz Hołówko und andere Diplomaten und Nachrichtendienstler Im Februar 1914 kam es zur Gründung der Deutsch-Türkischen Vereinigung. Mehr dazu Sabine Mangold-Will: Begrenzte Freundschaft. Deutschland und die Türkei. 1918–1933, Göttingen 2013, S. 247 f. 16 Stephen Dorril: MI6: Inside the Covert World of Her Majesty’s Secret Intelligence Service, New York u. a. 2002, S. 186 f. 15
Schlussfolgerungen
tatsächlich enorme Kräfte und Zeit investierten, die Vertreter der einzelnen Ethnien zusammenzubringen. So hatten die polnischen Experten z. B. zwischen den einzelnen Gruppierungen der georgischen Exilgemeinschaft in Paris, zwischen den aserbaidschanischen Gruppen von Paris und Istanbul sowie zwischen den einzelnen Personen der Turkestaner Exilgemeinschaft zu vermitteln. Die Idee der Kaukasischen Konföderation entstand gerade aufgrund des polnischen Engagements; die untereinander zerstrittenen Aserbaidschaner, Georgier und Nordkaukasier widmeten sich dann der Agitation für die Kaukasische Konföderation, weil sie nur so weiterhin aus Warschau finanziert wurden. Viele verließen die Netzwerke, weil sie die Seiten wechselten und sich bessere Konditionen im deutschen, japanischen, italienischen oder auch im sowjetischen Kontext erhofften. Einige Intellektuelle dagegen schlossen sich den prometheistischen Netzwerken erst in den 1930er Jahren an; auch die Intensität des Engagements war unterschiedlich. Eine weitere Gruppe der Exilintellektuellen, die vermutlich nicht durchgehend von Polen aus finanziell unterstützt wurde, sympathisierte eindeutig mit den Prometheisten, ließ sich jedoch nicht gänzlich in das politische Engagement einbinden. Zu dieser Gruppe gehörten unter anderen der türkische Linguist und Professor der Universität Istanbul, Ahmet Caferoğlu, oder auch der Historiker Ahmet Zeki Velidi Togan, der sich gerade Anfang der 1930er Jahre von den Prometheisten löste, weil er, ähnlich wie Caferoğlu, erfolgreich eine akademische Laufbahn aufbauen konnte. Am 26. Mai 1929 schrieb Zeki Velidi Togan aus Istanbul an Tadeusz Hołówko noch: “[…] ich bin kein Wissenschaftler, der politische Intrigen führt, ich bin ein Politiker, der leider immer noch als Wissenschaftler über die Runden zu kommen hat und daher unglücklich ist […]. Meine Rolle ist noch nicht gespielt, gerade umgekehrt […]. Ich werde nie auf die Idee kommen, auf mein Soldatenleben zu verzichten“17. Togan forderte von Hołówko mehr Geld, das er für die Publikation seiner wissenschaftlichen Arbeiten brauchte. Togan erhielt die Gelder nicht zuletzt deswegen, weil er politisch argumentierte. Sein akademisches Wirken wiederum verhalf ihm in den 1930er Jahren dazu, seine wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland und später in der Türkei fortzuführen. So ging es auch dem Exilaserbaidschaner Ahmet Caferoğlu, der mit dem Druck der russlandkritischen, jedoch weitgehend „cultural and scholarly“18 einzuordnenden Zeitschrift „Azerbaycan Yurt Bilgisi“ von 1932 bis 1934 im Gegensatz zu den anderen aserbaidschanischen Emigrés die Türkei nicht verlassen musste und sogar zum Professor an der Universität Istanbul im Jahre 1938 ernannt wurde. Mit Polen und seinen
Der Brief Validovs an Hołówko vom 28. Mai 1929, in: Iz istorii rossijskoj emigracii: pis’ma A. Z. Validova i M. Čokaeva (1924–1932 gg.), hg. von Salavat Ischakov, Moskau 1999, S. 71 f. 18 Lowell Bezanis: Soviet Muslim Emigres in the Republic of Turkey (May 1992), S. 78, in: www.dtic.mil/ dtic/tr/fulltext/u2/a251103.pdf (Zugriffsdatum: 24.10.2018). 17
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akademischen Kreisen eng verbunden19, unterstützte Caferoğlu das prometheistische Netzwerk indirekt. Nicht anders sah dies beim baschkirischen Emigranten Fathelkadyr Sulejmanov (1889–1976) aus, der 1925 eine Anstellung am Institut für Turkologie an der Universität Istanbul erhielt und sich unter dem Namen Abdulkadir İnan20 erfolgreich im akademischen Milieu der Türkei integrierte. All dies hatte auch mit der türkischen Politik zu tun, die zwar explizit politisch tätige Emigranten auswies, jedoch viele, die sich wissenschaftlich und literarisch engagierten, durchaus duldete.21 Gescheitert ist das prometheistische Unterfangen nicht nur wegen der deutsch-sowjetischen Okkupation Polens 1939, sondern auch aufgrund der Unterwanderung der prometheistischen Netzwerke und dem Entgegenwirken durch den sowjetischen Geheimdienst. Der sowjetischen Seite gelang es, aktive Mitglieder der prometheistischen Netzwerke, wie Sergo Kuriliszvili 1925, Semjon Petljura 1926, und Noj Ramišvili 1931 physisch zu beseitigen. Nachdem Moskau Anfang der 1920er Jahre z. B. den Leiter der polnischen Residentur in der Sowjetunion, Ignacy Daszyński, anwerben und ein gut funktionierendes Netz an Agentinnen und Agenten in Persien und der Türkei aufbauen konnte, wurden mit „Trest“, „Sindikat 2“ und „Tarantella“ erfolgreiche Projekte zur Desinformation initiiert, die vielen polnischen und nicht-polnischen Prometheisten Geld oder sogar das Leben (Savinkov, Tjutjunnjuk u. a.) kosteten. Bereits im Jahresbericht des sowjetischen militärischen Nachrichtendienstes für den Zeitraum 1924–25 hieß es: „Der wichtigste Gegner der UdSSR, Polen, ist in allen Bereichen sehr detailliert und glaubwürdig erforscht.“22 Aus den 2015 veröffentlichten Dokumenten der GPU wird deutlich, dass die an den diplomatischen Missionen tätigen Vertreter des polnischen Nachrichtendienstes nicht nur in der UdSSR, sondern auch in Deutschland und sogar in Skandinavien unter intensiver Beobachtung der sowjetischen Seite
1937 wurde Caferoğlu zum ausländischen Mitglied der polnischen Vereinigung für Orientalistik (Polskie Towarzystwo Orientalistyczne) gewählt. Vgl. Rocznik orientalistyczny Bd. 13 (1937), Lemberg 1938, S. 210. 20 Inan übersetzte mehrere grundlegende Werke der sowjetischen Orientalisten ins Türkische. Vgl. B. Y. Vladimirtsov: Moğolların ictimai teşkilatı. Moğol göçebe feodalizmi, Ankara 1944. 21 So bestand in Istanbul auch nach der erzwungenen Auswanderung der Politemigranten (wie Mehmed Emin Rasulzade 1929) der Aserbaidschanische Verlag „Azerbaycan neşriyat yurdu“ fort, der regelmäßig russlandkritische, aserbaidschanische Dichtung verlegte. 1934 wurde die Gedichtssammlung „Kurtuluş yollarında. Şiirler mecmuası“ [Auf den Wegen zur Befreiung. Eine Gedichtssammlung] herausgegeben. Gleich am Anfang der Publikation stand die Widmung anlässlich des 16. Jahrestages der aserbaidschanischen Staatsgründung. Zwei Jahre später erschien die Gedichtssammlung des im Istanbuler Exil lebenden, aserbaidschanischen Dichters Elmas Yıldırım (1907, Baku – 1952, Elazığ/Türkei) „Boğulmayan bir ses“ [Die Stimme, die nicht erstickt ist]. Diese Veröffentlichung widmete sich den ‚Freiheitskämpfern‘. Elmas Yıldırım: Boğulmayan bir ses, Istanbul 1936. 22 N 64. Otčet o rabote informacionno-statističskogo otdel Razvedupravlenija Štaba RKKA za 1924–25 operacionnyj god (s 1 oktjabrja 1924 g. po 30 sentjabrja 1925 g.). 7 oktjabrja 1925 g., in: Glazami razvedki. SSSR i Evropa 1919–1938 gody. Sbornik dokumentov iz rossijskich archivov, hg. von Matthias Uhl, Vladimir Chaustov, Vladimir Zacharov, Moskau 2015, S. 217. 19
Schlussfolgerungen
standen.23 Moskau sammelte Informationen bezüglich der militärtechnischen Entwicklung des Nachbarlandes und seiner Truppenbewegungen und ging zumindest Ende der 1920er Jahre davon aus, dass Polen einen Krieg gegen die UdSSR plane.24 Mitte der 1920er Jahre wurde darüber hinaus eine Reihe russisch-, georgisch- und ukrainischsprachiger Zeitungen in Berlin, Paris und Prag gegründet und von Moskau aus gesteuert, die für die Zusammenarbeit mit der UdSSR warben und zur Rückkehr in die Sowjetunion inspirierten. In den 1930er Jahren nahmen diese Trends weiter zu. Gleichzeitig nahmen die Gewaltbereitschaft des sowjetischen Machtapparats und auch das Durchsetzungsvermögen und die Effektivität der Auslandsoperationen deutlich zu: 1931 wurde Tadeusz Hołówko erschossen und Ende der 1930er Jahre gelang es der GPU, den Leiter der Abteilung Ost am polnischen Außenministerium, Tadeusz Kobylański (1895–1967), abzuwerben.25 Zersetzend für die prometheistischen Netzwerke waren darüber hinaus die Aktivitäten der italienischen und deutschen Nachrichtendienste, aber auch zahlreiche inner-prometheistische ‚Weg-vom-Zentrum-Bewegungen‘ innerhalb einzelner Nationalgruppen wie der georgischen, aserbaidschanischen u. a. sowie zwischen den georgischen und den aserbaidschanischen, bzw. den krimtatarischen und den ukrainischen Intellektuellen und Emigrés. Auch das Verhältnis zur Türkei, zu Polen und die Zukunft der Krim stellten Fragen- und Problemkomplexe dar, die die Prometheisten herausforderten. Exemplarisch dafür sind die Publikationen in der ukrainischen Zeitung „Tabor“, die in Polen in ukrainischer Sprache erschien und seit dem Ende der 1920er Jahre ein mit Polen nicht konformes, geopolitisches Denken unter den ukrainischen Exilanten und Intellektuellen popularisierte. So befasste sich Savčenko-Bil’s’kyj mit den Fragen der Meeresengen und plädierte für die „Dominanz der Ukraine am Schwarzen Meer“.26 Was war also der Prometheismus und was hat er kulturgeschichtlich bewegt? Die Gründung eines Ukrainischen Instituts in Warschau, regelmäßiger Unterricht des Georgischen an der dortigen Universität, die Durchführung von Vortagsreihen zu Zentralasien, Krimtataren und anderen Themen am Ostinstitut sowie die Organisation eines mehrtägigen linguistischen Kongresses zur nordkaukasischen Sprachwissenschaft 1936 mit dem ambitionierten Ziel, ein optimales Alphabet für die nordkauka-
Vgl. N 79. Svodka INO GPU o rabote pol’skoj razvedki v Germanii s soprovoditel’nymi dokumentami. 19 janvarja 1928 g., in: Glazami razvedki, hg. von Uhl, Chaustov, Zacharov, S. 255–258. 24 N 81. Svodka INO GPU o podgotovke Pol’ši k vojne s SSSR. 12 avgusta 1928 g., in: Glazami razvedki, hg. von Uhl, Chaustov, Zacharov, S. 261–262. 25 Łukasz Dryblak: Only Prometheanism? The Policy of the Polish state towards selected circles of the Russian emigration in the years 1926–1935, in: Studia z Dziejów Rosji i Europy środkowo-wschodniej 51/1 (2016), S. 105; Konrad Paduszek: Sprawa Tadeusza Kobylańskiego – stan badań, nowe dokumenty i hipotezy, in: Dzieje najnowsze 3 (2015), S. 171–191. 26 Savčenko-Bil’s’kyj: Bosforo-Dardanel’s’ke pytannja i neobchidnist’ panuvannja Ukrainy na Čornomu mori, in: Tabor 4/11 (1929), S. 3–11. 23
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Schlussfolgerungen
sischen Sprachen zu entwickeln, waren nicht nur Initiativen der nichtrussischen Exilaktivisten und der polnischen Aktivisten. Es waren auch verspätete Reaktionen auf die sowjetischen Praktiken. Bereits in den frühen 1920er Jahren entstand sowohl in Sowjet-Russland wie auch an den sowjetisch-gewordenen Peripherien des Kaukasus eine Reihe ideologisch geprägter akademischer Einrichtungen, die sich intensiv mit der Erforschung der lokalen und regionalen Geschichte, Kultur, Literatur und Sprache befassten.27 Eine zweite Dimension war der Ausbau der polnischen Russland-, UdSSR-Forschung und Orientalistik, der nicht zuletzt durch den enormen Beitrag der Prometheisten realisiert wurde. Auch hierbei handelte es sich um die polnische Reaktion auf die sowjetischen Praktiken. Regionalwissenschaften wurden primär als Mittel zum Verständnis und zur Wissensakkumulation ‚über den Feind‘ angesehen und als solche gefördert. Mehrere polnische Denkfabriken, wie z. B. das oben mehrfach erwähnte Ostinstitut in Warschau, enstanden nach der Gründung der Kommunistischen Universität der Nationalen Minderheiten des Westens namens Marchlewski 1921 in Moskau, sowie auch ähnlicher westeuropäischer Einrichtungen. Im Zweiten Weltkrieg fielen die prometheistischen Netzwerke endgültig auseinander. Während am 1. September 1939 die Wehrmacht Polen aus dem Westen attackierte, marschierten die sowjetischen Truppen am 17. September aus dem Osten ein. Der aktive Prometheist, Redakteur des „Przymierze“, Redaktionsmitglied des französischsprachigen „L’Est Européen“ und Mitbegründer des Warschauer Ostinstituts Stanisław Siedlecki beging am 17. September in der wolhynischen Stadt Krzymieniec Selbstmord. Ein Teil der AktivistInnen nahm Kontakt mit den NS-Behörden auf, wie im Falle der kalmückischen Prometheisten Balinov und Balykov, des exilaserbaidschanischen Aktivisten Rasulzade, der Krimtataren Cafer Seydahmet und vor allem Müstecib Ülküsal. Der ukrainische Exilintellektuelle Juryj Lypa, der seit 1920 im polnischen Exil lebte, seine Ausbildung in Posen und Danzig genossen hatte und mit dem Prometheisten Jevvhen Malanjuk zusammenarbeitete, gründete im deutschbesetzten Warschau 1940 das „Ukrains’kyj Čornomors’kyj Instytut (UČI)“ [Ukrainisches Schwarzmeer-Institut]28, das sich der Entwicklung einer ukrainischen geopolitischen Vision rund um die Schwarzmeerregion widmete. Die Tradition der polnischen wissenschaftlichen Einrichtungen aus der Zwischenkriegszeit wirkte auf Lypa inspirierend. Lypa ließ sich in seinen Schriften zur Schwarzmeerdoktrin (1940) und zur Aufteilung Am 16. Mai 1922 entstand die Gesellschaft zur Erforschung des Bezirks Komi (OIKK, Obščestvo izučenija Komi kraja) mit Sitz in Ust’-Sysol’sk. Bestehend aus mehreren Fachgremien wurde ein Jahr später, am 2. November 1923, die „Gesellschaft zur Erforschung und Studium Aserbaidschans“ ins Leben gerufen. Ähnliche akademische Institutionen wurden in Tiflis, Kiew und anderen Städten etabliert, die über eine, vor allem ab Ende der 1920er Jahre, ausgebaute Infrastruktur wie Verlags- und Pressewesen verfügten. Auf der Grundlage von mehreren akademischen Zirkeln in und um Kasan, wurde im Juli 1928 die Gesellschaft zur Erforschung Tatarstans gegründet. 28 Mehr dazu Lev Bykovs’kyj: Ukrains’kyj Čornomors’kyj Institut, München 1970. 27
Schlussfolgerungen
Russlands (1941) offensichtlich auch von dem prometheistischen Grundgedanken inspirieren. Seinem Modell zufolge, das er in Warschau 1939–41 elaborierte, sollte die Ukraine als „Groß-Ukraine“ die politische Führung im ostmittel- und osteuropäischen Raum übernehmen und durch eine enge Zusammenarbeit mit Belarus, Bulgarien und der Türkei zum sicherheitspolitischen Mosaik im Baltikum-Schwarzmeerraum beitragen. „Der Schwarzmeerraum ist der Lebensraum der Ukraine“29, schrieb Lypa in seiner „Schwarzmeerdoktrin“. Auch Smal’-Stoc’kyj passte sich den neuen Begebenheiten an: Er lehrte im deutsch-besetzten Prag und veröffentlichte seine deutschsprachige Abhandlung „Die germanisch-deutschen Kultureinflüsse im Spiegel der ukrainischen Sprache“ 1942 in Leipzig. Im Falle der georgischen und vor allem der ukrainischen Emigration, wie am Beispiel Lypas aber auch Smal’-Stoc’kyjs dargestellt, war die Kollaboration mit Deutschland durchaus verbreitet. Gleichzeitig lehnten viele ehemalige Prometheisten die Zusammenarbeit mit Deutschland ab, befanden sich unter Beobachtung der Gestapo, wurden verschleppt oder interniert, nicht zuletzt, weil sie die polnische Untergrundarmee unterstützten. Bereits 1941 starb unter ungeklärten Umständen Mustafa Čokaev. In Auschwitz starb der georgische Theologe und Prometheist Grigol (Grzegorz) Peradze. Der Begründer der Prometheistischen Liga und exilukrainische Aktivist Mykola Kovalski fand seinen Tod im KZ Dachau. In einem Gestapo-Gefängnis starb Niko Bagrationi, der ehemalige Chef der Prometheistischen Jugendliga. Der prominente polnische Historiker und aktive Prometheist Marceli Handelsman kam im KZ Mittelbau Dora (Nordhausen) um. Der georgisch-polnische Linguist Giorgi Nakašidze, die nordkaukasischen Ingenieure und Aktivisten Balo Bilatti und Barasbi Bajtugan wie auch die Exilmilitärangehörigen Major Konrad Imnadze und Major Veli bey Yedigari befanden sich unter ständiger Beobachtung durch die Geheime Staatspolizei.30 Verständlicherweise stellte die prometheistische Aktivität während des Zweiten Weltkriegs für die zerschlagenen und größtenteils ins Exil verdrängten Strukturen und Gremien des polnischen Staates keine Priorität dar. Polens Territirium war gänzlich okkupiert. Auch Paris, wo sich die meisten georgischen, nordkaukasischen und ukrainischen Prometheisten befanden, und Prag, das Zentrum der kosakischen und kalmückischen Emigration, waren unter deutscher Besatzung. Charaszkiewicz und Schaetzel waren von London aus tätig, von wo aus nun die polnische Exilregierung agierte. Bączkowski ging im Auftrag des polnischen Geheimdienstes nach Rumänien und 1941 in den Nahen Osten. In Palästina gründete er 1943 zusammen mit Stanisław Swianiewicz31 das „Institut des Nahen und Mittleren Ostens – Reduta“, ein Forschungsinstitut
Ebenda, S. 145. George Nakashidse: Professor Smal-Stocki and the Promethean Movement, in: The Ukrainian Quaterly (1968–1969), S. 259. 31 Mehr zu Stanisław Swianiewicz siehe Stanisław Swianiewicz (1899–1997): ekonomista, sowietolog, historyk, hg. von Benon Gaziński, Olsztyn 2010. 29 30
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Schlussfolgerungen
in der Tradition des Warschauer Ostinstituts.32 Er war einer der wenigen ehemaligen Prometheisten, die weiterhin publizistisch Russland und die UdSSR zu bekämpfen versuchten.33 Ähnlich verhielt sich Ahmet Caferoğlu, der 1942 eine sowjetkritische Zeitschrift „Türk amacı“ [Türkische Zielsetzung] gründete. Caferoğlu war zu dem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren Professor der Geschichte der türkischen Sprache an der Universität Istanbul. Das Jahr 1942 brachte neue Möglichkeiten und neuen Spielraum für ehemalige Prometheisten in der Türkei mit sich. Es konnten viele ehemalige Prometheisten krim- und kasantatarischer, nordkaukasischer und turkestanischer Abstammung am Vorabend und unmittelbar nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in die Türkei einwandern, die ihre Neutralität erklärt hatte. Solange die sowjetische Armee Verluste hinnehmen musste und von der Wehrmacht bedrängt wurde, tolerierten die türkischen Behörden die Aktivitäten der „Türk amacı“, für die neben Caferoğlu eine Reihe weiterer Prometheisten wie Abdullah Zihni Soysal, Abdulkadir İnan, wie auch viele andere Emigranten schrieben. Erst nach der Kriegswende 1943 wurde die Zeitschrift geschlossen und 1944 lancierten die türkischen Behörden ein Gerichtsverfahren, von dem einige Autoren der Zeitschrift betroffen waren.34 Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die ehemaligen Prometheisten nun geographisch in zwei Regionen vertreten: In Westeuropa und im Nahen Osten bzw. in der Türkei. Während sich die Schlüsselfiguren des polnischen Nachrichtendienstes in London und Smal’-Stoc’kyj und Rasulzade in der US-amerikanischen Besatzungszone Deutschlands befanden, weilten Bączkowski, Sokolnicki, Seydahmet, Mir Yagub und viele andere in Istanbul, Ankara und weiteren Städten des Nahen Ostens. Im Januar 1946 kam es zum Treffen zwischen Giorgi Nakašidze und Roman Smal’-Stoc’kyj in München.35 Nakašidze erinnerte sich:
Marian S. Wolański: Kierunki działalności i funkcje instytutu wschodniego „Reduta“, in: Przegląd Wschodni 1/17 (1998), S. 171–182. 33 Vgl. Włodzimierz Bączkowski: Russia and Asia, Beirut 1951; ders.: Russian colonialism: The Tsarist and Soviet Empires, New York 1958; ders.: Soviet policy in the Middle East, Washington 1958. 34 Mehr zu „Türk amacı“ siehe Zaur Gasimov: ‚The Turkish Wall‘: Turkey as an Anti-Communist and Anti-Russian Bulwark in the Twentieth Century, in: Rampart Nations. Bulwark Myths of East European Multiconfessional Societies in the Age of Nationalism, hg. von Liliya Berezhnaya und Heidi Hein-Kircher, New York, Oxford 2019, S. 191–192. 35 Die Gruppe verabschiedete ein Memorandum, das von München aus an westliche Diplomaten verschickt wurde. Das Memorandum verurteilte die sowjetische Expansion in Osteuropa und warnte vor einem weiteren Vordringen der UdSSR: „Besides the Promethean nations already oppressed by Soviet Imperialism, there are new victims of the Bolshevik aggression suffering under Stalin’s yoke: the Latvians, the Lithuanians, Estonians, Finns, and the peoples of Central Europe: Poles, Czechs, Slovaks, Hungarians, Austrians, Bulgarians, Rumanians, Albanians, and Yugoslavs. Soviet aggression is openly threatening Korea, Manchuria, China, Turkey and all the peoples of the Near East […]“. Zitiert nach: George Nakashidse: Professor Smal-Stocki and the Promethean Movement, in: The Ukrainian Quaterly (1968–1969), S. 261. 32
Schlussfolgerungen
When the surviving members of the Prometheus finally gathered together in Munich in January of 1946, we seemed to be a terribly disappointed, hopeless and bewildered group. […] Despite our low morale we decided to resume the activities of the Prometheus under completely new conditions […]. At the end of 1946 Prof. Smal-Stocki left us to begin a new life in the United States of America. The Promethean Movement continued its existence some five more years and peacefully came to its end.36
Die Exilanten am Bosporus, die wohl die größte Gruppe ehemaliger Prometheisten ausmachten, setzten ihre publizistische Aktivität konsequent fort. Die türkisch-sowjetischen Beziehungen verschlechterten sich dramatisch, nachdem Moskau Territorialansprüche in Anatolien erhob und blieben schlecht bis zum Tode Stalins. Ankara beantragte die NATO-Mitgliedschaft und ermöglichte die antisowjetische Tätigkeit auf eigenem Territorium. 1947 kehrte Rasulzade mit seiner polnischen Ehefrau Wanda (Leyla) Rasulzade zurück nach Ankara und Seydahmet konnte Bączkowski in Istanbul empfangen. Ihre Aktivitäten blieben von der sowjetischen Seite nicht unregistriert, waren allerdings nicht mehr gefürchtet. Die prometheistischen Netzwerke „peacefully came to its end“, wie dies von Nakašidze beschrieben wurde, trotz einiger Versuche, das Engagement nach dem Zweiten Weltkrieg zu reanimieren. Während die älteren Vertreter der prometheistischen Netzwerke alters- bzw. krankheits- bzw. todesbedingt die politisch-publizistische Bühne verließen, wie z. B. Žordania (1953), Rasulzade (1955) und Seydahmet (1960), arbeiteten andere ehemalige Prometheisten mit den nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen, akademischen antisowjetischen Einrichtungen, wie der von den USA unterstützten Rundfunkstation Radio Free Europe, dem „American Committee for the Liberation of the Peoples of Russia“ und dem 1950 gegründeten „Institute for the Study of the USSR“37 in München, sowie dem vergleichbaren, 1961 etablierten „Türk Kültürünü Araştırma Enstitüsü“38 [Institut zur Erforschung der Türkischen Kultur] in Ankara zusammen. Smal’-Stoc’kyj machte Karriere in den USA, wo er ein Slavic Institute an der Marquette Universität in Milwaukee gründete,39 und dieses bis zu seiner Pensionierung 1965 leitete. Seydahmet, Smal’-Stoc’kyj und Bączkowski standen bis zuletzt mit dem Kreis der exilpolnischen Monatszeitschrift „Kultura“ im Austausch, die ebenfalls von einem ehemaligen Prometheisten und OKM-Aktivisten, Jerzy Giedroyć (1906–2000), von
Ebenda, S. 260–261. Charles T. O’Connell: The Munich Institute for the Study of the USSR. Origin and Social Composition, The Carl Beck Papers in Russian and East European Studies 808 (Dezember 1990). 38 İlker Aytürk: The Flagship Institution of Cold War Turcology, in: EJTS 24 (2017), http://ejts.revues. org/5517 (Zugriffsdatum: 25.10.2018). 39 Er hielt weiterhin sowjetkritische Vorträge, die in der exilukrainischen wie auch in der exilkaukasischen Presse beleuchtet wurden. Vgl. Prof. Smal’-Stockij razoblačaet propagandu imperialistov, in: Kavkaz (Der Kaukasus) 5/10 (Mai 1952), S. 35–36. 36 37
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Schlussfolgerungen
1947 bis 2000 in Paris herausgegeben wurde.40 Giedroyć, der beinahe zwanzig Jahre jünger war als Seydahmet, Bączkowski u. a., druckte ihre Erinnerungen an ihre prometheistischen Aktivitäten der Zwischenkriegszeit in seiner Zeitschrift ab, kultivierte jedoch keineswegs die polnisch-nichtrussische Zusammenarbeit gegen Russland. Vom Prometheismus erbte er insbesondere die Idee der polnisch-ukrainischen Annäherung und Versöhnung. Giedroyć und sein Kreis entwickelten aus dem prometheistischen Erbe der Zwischenkriegszeit ihre eigenen Ordnungsentwürfe für den ostmitteleuropäischen Raum, die viel mehr das polnische Engagement für Belarus und Litauen reflektierten.
Bernard Wiaderny: Kultura und das kommunistisch regierte Polen (1947–1968), in: Forum für osteuropäische Zeit- und Ideengeschichte 1/17 (2013), S. 155–176; ders.: „Schule des politischen Denkens“. Die Exilzeitschrift „Kultura“ im Kampf um die Unabhängigkeit Polens (1947–1991), Paderborn 2018.
40
Anhang
1
Wichtige Organisationen und Medien der prometheistischen Netzwerke. Eine Chronologie1
Jahr
Organisationen (Sitz)
Zeitungen (Sitz)
1918
1
Parallele Geschehnisse Ausrufung der Republiken Georgien, Armenien, Aserbaidschan, der Berglerrepublik (Nordkaukasus), Ukraine, Krim, Polen
1919
Polskie Towarzystwo Wschodnie (W)
„Wschód Polski“ „Svoboda“ (W) „L’Est polonais“ (W)
1920
Klub Gruzińsko-Polski (W)
„Przymierze“ (W); „Głos Podola“ (KP) „Golos Kazačestva“ (W) „Amirani“ (W) „Na rubeže“ (Tb)
1921
Instytut Badań Spraw Narodowościowych (W)
1922
Polskie Towarzystwo Orientalistyczne (L); Towarzystwo Polsko-Japońskie (W)
„L’Est Européen“
1923
Towarzystwo Polsko-Azjatyckie (W); Sojuz Gorcev Kavkaza (Pr)
„Głos Wschodu“ (W); „Yeni Kafkasya“ (I)
1924
Komitee der Kaukasischen Konföderalisten (I) Kaukasisches Komitee (P)
Kaukasus-Mission von Tytus Filipowicz; Sowjetisierung Aserbaidschans und Armeniens
Sowjetisierung Georgiens; Polnisch-Sowjetisches Riga-Abkommen: Savinkov, Filosofov, Petljura u. a. verlassen Polen.
Die Titel der Schlüsselmedien sind hervorgehoben.
Rückzug Piłsudskis aus der Politik
332
Anhang
Jahr
Organisationen (Sitz)
Zeitungen (Sitz)
Parallele Geschehnisse
1925
Klub „Prométhée“ (P)
„Tryzub-Trident“ (P) „Brdzola“ (P)
Mord an Kuriliszwili
1926
Kommittee Unabhängiger Kaukasus (I) Instytut Wschodni (W)
„Prométhée“ (P) „Damoukidebeli Sakartvelo“ (P) „Mamulišvili“ (P) „Sachalcho Sakme“ (P)
Machtübernahme Piłsudskis; Mord an Petljura
1927
Türkistan Milli Birliği; Türkistan Gençler Birliği
„Yeni Türkistan“ (I) „Sprawe narodowościowe“ / „Questions minoritaires“ (W) „Vol’noe KazačestvoVil’ne kozactvo“ (Pr) Bulletin du Comité de l’indépedence du Caucase (P) „Vol’nye gorcy“ (Pr)
1928
Klub „Prometeusz“ (W); Instytut do Badania Ziem Wschodnich Przeczypospolitej Polski OFINOR (G, R) Ukraintag (Buk)
„Azeri-Türk“ (I) „Gorcy Kavkaza“ (W, P) „Milli Yol“ (B)
Mdivani verlässt die Türkei
1929
Orientalistyczne Koło Młodych (W) Towarzystwo Fińsko-Polskie (He)
„Odlu Yurt“ (I) „Yaş Türküstan“ (B) „Samšoblo“ (P)
Rasulzade, Seydahmet verließen die Türkei
1930
Ukraiński Instytut Naukowy (W) Institut Naukowo-Badawczy Europy Wschodniej (Wi)
„Yana Milli Yul“ (B) „Wschód-Orient“ (W) „Emel Mecmuasi“ (Ba, ab 1935 K.) „Bildiriş“ (I)
Mord an Ramišvili
1931
Szkola Wschodoznawcza (W)
„Yeni Turan“ (T)
Mord an Hołówko; Türkische Behörden verbieten den Druck von „Yeni Türküstan“, „Odlu Yurt„und die Einfuhr von „Bildiriş“
1932
Klub Prometheus (Ha)
„Biuletyn PolskoUkraiński“ (W); „Azerbaycan Yurt Bilgisi“ (I) „Istiklal“ (B) „Rocznik Tatarski“ „Manžurs’kyj visnyk“ (Ha)
Polnisch-Sowjetisches Nichtangriffsabkommen
1933
Towarzystwo Polsko-Ukraińskie (W) Klub Prometheus (He)
Prometheistische Partnerorganisationen und -medien
Zeitungen (Sitz)
Parallele Geschehnisse
1934
Jahr
Organisationen (Sitz)
„Severnyj Kavkaz“ (P, W) „Kurtuluş“ (B)
Die UdSSR tritt dem Völkerbund bei; Türkische Behörden verbieten die Einfuhr von „Emel mecmuasi“
1935
„Milli Bayrak“ (Mu)
Tod Piłsudskis
1936
„Myśl Polska“
1937 1938
„La Revue de Prométhée“ (P)
1939
„Problemy Europy Wschodniej“ (W)
B. Ba. Buk. G. Ha. He. I. K. KP L. Mu. P. Pr. R. T. Tb. W. Wi.
2.
Berlin Basardschyk Bukarest Genf Harbin Helsinki Istanbul Konstanza Kamieniec Podolski Lemberg Mukden Paris Prag Rom Tampere Tiflis Warschau Wilna
Prometheistische Partnerorganisationen und -medien
Comité France-Orient (Paris) Akateeminen Karjala Seura (Helsinki) „Journal de Génève“ (Genf) „Türk ocakları“ (Istanbul) Institut Naukowo-Badawczy Europy Wschodniej (Wilna)
333
334
Anhang
3.
Publikations- und herausgeberische Aktivität der prometheistischen Netzwerke
Komitet Gruziński w Polsce [Georgisches Komitee in Polen] Ort: Warschau Godzjaszwili, Aleksander: Zagadnienie Państwa Gruzińskiego w świetle prawa międzynarodowego. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Juljan Makowski, Warschau 1926. Gruzja. Terrytorium i ludność, historia, literatura i sztuki piękne, sytuacja polityczna. Z 25 ilustracjami w tekście i z mapą Gruzji, hg. von Komitet Gruziński w Polsce, Warschau 1939. Instytut Wschodni [Ostinstitut] Ort: Warschau Marian Uzdowski: Afganistan na tle współzawodnictwa rosyjsko-angielskiego, Warschau 1928. Jan Kawtaradze: Gruzja w zarysie historycznym. Mit einem Vorwort von Prof. Marceli Handelsman, Warschau 1929. Dżafar Sejdamet: Krym. Przeszłość, terażniejszość i dążenia niepodległościowe tatarów krymskich. Z 15 ilustracjami i mapką, Warschau 1930. Ignati Mösšeg: Moskwa dawna i dzisiejsza a Narody Podbite północno-wschodniej Europy. Z 11 ilustracjami i mapkami. Mit einem Vorwort von Stanisław Siedlecki, Warschau 1931. Eugeniusz Banasiński: Japonia-Mandżuria: studium polityczno-ekonomiczne. Mit einem Vorwort von Wacław Jędrzejewicz, Warschau 1931. L[eszek]. Kirkien: Między Wisłą a ujściem Dunaju, problem Bałtycko-Czarnomorski, Warschau 1933. Adam Lewak: Dzieje emigracji polskiej w Turcji (1831–1878), Warschau 1935. Mehmed Emin Resul-Zade: Azerbajdżan w walce o niepodległość, Warschau 1938. Abdullah Zihni Soysal: Z dziejów Krymu. Polityka – Kultura – Emigracja, Warschau 1938. Baha Eddin Khoursch: Obrona Twierdzy Achulgo przez Imama Szamila, Warschau 1939.
Publikations- und herausgeberische Aktivität der prometheistischen Netzwerke
Türkistan Türk Gençler Birliği [Turkestan-Türkische Jugendunion] Ort: Istanbul Druckerei: Osmanbey matbaası Osman Kocaoğlu: Türkistan, Istanbul 1936. Ahmetcan İbrahim Okay: Büyük Temir, Istanbul 1936. Cafer Seydahmet Kırımer: Mefkûre ve Mefkûrenin fert ve cemiyet hayatındaki tesiri, Istanbul 1936/7. Muharrem Feyzi Togay: Turani kavimler ve siyasi tarihlerinin esas hatları, Istanbul 1938. Ibrahim Yarkın: Tüskistanda hayvancılık, Istanbul 1938. Muharrem Feyzi Togay: Türkistanın dünya politikasındaki mevkii, Istanbul 1939.
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Bibliographie Quellen (Periodika)
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Personenregister Abdon-Boisson 165, 297 Abutalybov, Ramiz 17, 32, 117, 118, 140, 141, 151, 152 Adam, Volker 15 Adamczewski, Przemysław 12, 211 Agabekov, Georgij 8, 196, 198–202 Ağaoğlu, Ahmed 63, 189, 190, 241 Agasibeyli, Selim 258 Ağat, Mehmet Nurettin 271 Ageeva, Magira 310 Ağuiçenoğlu, Hüseyin 35 Aharonjan, Avetis 115 Ahsan, Abdullah 227, 228 Akçura, Yusuf 15, 63, 64, 126, 189, 190, 195, 241 Akpınar, Yavuz 33, 123, 125 Aksakov 305 Alekseeva, Praskov’ja 232, 234, 235 Alexander, Benjamin F. 295 Alibekof, Atam 154, 160 Alibeyli, Abbas Atam siehe Alibekof Aliyeva, Hicran 39 Allworth, Edward 272 Altstadt, Audrey 55, Amirdžan, Abdul Ali 128 Amiredžibi, Šalva 261, 264 Andican, Ahat 21, 26, 27, 41, 42, 124, 127, 133, 134, 191, 201 Andrievs’kyj, Dmytro 169, 170 Aran, Mehmet Sadık 227, 228 Aras, Orxan 24 Arat, Reşit Rahmeti 13, 292 Arifulla, Ibrahim 226–8 Arsal, Sadri Maksudi 148 Aršaruni, Aršalujs M. 197, 198 Asatiani, Aleksandr 129 Atatürk, Mustafa Kemal 15, 41, 63, 120, 127, 179, 190, 194, 195, 228, 306, 309, 311 Aust, Martin 45 Aydin, Cemil 216 Aytürk Ilker 329
Azertekin, Ali 258, 315 Bachmann, Wiebke 17, 44 Bachmann-Medick, Doris 47 Bączkowski, Włodzimierz 13, 14, 22, 25, 26, 29, 37, 54, 56, 61, 63, 93, 95, 96, 205, 206, 212–5, 220–2, 227, 235, 238, 268, 277, 283– 291, 295, 305, 311, 312, 316, 317, 327, 328–330 Bagrationi, Niko 327 Bajtugan siehe Baytugan, Barasbi Balinov, Šamba 232–6, 326 Balykov, Sanža 232–5, 326 Bammat, Gejdar 34, 35, 70, 71, 116, 131, 151–4, 156, 225, 247, 257–9, 261–5, 293, 297, 315, 321 Bammatov, Gejdar siehe Bammat Banasiński, Eugeniusz 334 Bang-Kaup, Willi 292 Baran, Stefan 84 Baranowski, Bohdan 37 Baranowski, Krzysztof 37 Baras Bh. siehe Baytugan Barbusse, Henri 181, 182, 183, 318 Barthold, Vasilij V. 145 Basok-Melenevskij, Marijan 84, 85 Battal-Taymas, Abdullah 34, 35, 123, 126, 177, 180, 224, 242 Bauer, Otto 305 Baytugan, Barasbi 195, 196, 219, 269, 327 Beck, Józef 227, 278, 279 Bekovič-Čerkasskij, Ėl’murza 195 Bektöre, Saadet 34 Bektöre, Şevki 34 Beneš, Edvard 21 Benzing, Johannes 134, 294, 306, 308 Berzin, Jan K. 129, 130 Besolt, Gazi Han 12, 13 Bezanis, Lowell 124, 127, 323 Bigiyev, Musa Carullah 122, 123, 217–20 Biguaa, Vjačeslav 83, 84 Bilas, Vasyl’ 203 Bilatti, Balo 270, 327
Personenregister
Bilyj, Gnat 146, 230–3, 235, 315 Biłyj, Ignacy siehe Bilyj, Gnat Bobicki, Leon 117, 118, 122 Boczkowski, Hyppolit 161, 162 Bogumiłówna, Jolanta 213 Bogusławski, Aleksandr 100, 103 Boheński, Adolf 220 Boruta, M. 52 Bostan, Chaffi 157, 158 Brockelmann, Carl 143, 300 Bronowski, Witold 238 Bruski, Jan Jacek 40 Bylinin, Viktor K. 30, 151, 248 Caferoğlu, Ahmet 33, 35, 177, 242, 258, 292, 323, 324, 328 Çağatay, Saadet 13, 35, 292 Çağatay, Tahir 35, 42, 134, 135, 136, 292 Calantar, Zaruhi siehe Zarevand Calikatti, Ahmed siehe Calikov Calikov, Ahmed 66, 158, 159, 297, 298 Castagné, Joseph 154 Çavdar, Tevfik 49 Čavišvili, Chariton 164, 165, 183 Čchenkeli, Akaki 115, 116, 131, 151, 154, 165, 235, 260, 261, 297 Čechov, Anton 16 Cehels’kyj, Lonhyn 84–6 Čermoev, Magomet 152 Čermoev, Tapa Abdul-Medžid 70, 71, 115, 131 Chainskyj, Iurii 247 Chapuisat, Edouard 163–5, 337 Charachidzé, David siehe Šarašidze Chara-Davan, Ėrendžen 233, 234 Charaškevič, Ė. siehe Charaszkiewicz Charaszkiewicz, Edmund Kalikst Eugeniusz 31, 39, 134–6, 151, 153, 160, 186, 187, 249, 260, 316, 317, 320, 322, 327 Charlamov, Vasilij A. 233, 236 Charlamova, Tat’jana I. 144 Charwat, Franciszek 225, 227 Chasavnech, Alsu 218 Chasmamedov, Chalil 254, 255, 256, 258, 261 Chatisjan, Aleksandr 116, 235, 297 Chatisov, A. I. siehe Chatisjan Chatteton-Hill, George 305
Chaustov, Vladimir 31, 118, 130, 324, 325 Chavichvily, Khariton siehe Čavišvili Chawżoko, Żanbek 211, 270 Cherkezov, Varlam 153 Chevalley, Abel 203, 297 Chłapowski, Alfred Stefan Franciszek 154 Chłapowski, Roman 213 Chodźko, Alexander B. 59, 74, 75 Chodźko, Witold 298 Chojski, Fatali Chan 67 Cholewianka, Marka 213 Chomiński, Ludwik 101 Chondkarjan, Aršam 188, 192–4, 196, 197 Chopin, Frederyk 75 Choulguine, Alexandre siehe Šul’hyn Churamowicz, Abdul-Hamid 213 Churš(ilov), B. 269 Ciawłowski, Emil 213 Cichocki, Bartosz 24 Çobanzade, Bekir 242 Čokaev, Mustafa 17, 22, 29, 32, 35, 40, 42, 66, 123, 133–6, 148, 149, 153, 154, 177, 180, 187, 190, 191, 196, 201, 203, 216, 218, 235, 249, 292, 303, 323, 327 Čokaeva, Marija Ja. 35 Çokayoğlu, Mustafa siehe Čokaev Copeaux, Etienne 28, 29, 62, 66, 155 Coquet, Louis 164 Courtenay, Baudouin de 100, 102, 111, 138 Čukua, Magomet(-bej) 207, 270 Cwiklinski, Sebastian 32 Čyževs’kyj, P. 150 Czajkowski, Michał 72, 73 Czartoryski, Fürst Adam Jerzy 72, 73, 74, 209, 210, 279, 280, 290 Czukua, Mahomet-Bej siehe Čukua Dąbrowski, Major 295 Dadrian, Vahakn 189 Dangel, Stanislas 111 Danylyšyn, Dmytro 203 Daškevič, Jaroslav 85 Daszyński, Ignacy 324 Daye, Pierre 169 de Gobineau, Arthur 304 de Montfort, Henri 112 Decei, Aurel 12, 13
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Personenregister
Degouy, Robert 296, 297 Delil, Mecdeddin Ahmet 133, 191 Denikin, Anton 70, 71, 112, 168, 232, 233, 236, 275, 276 Dhawan, Nikita 49 Digorski, L. 158 Dingel, Irene 5 Divéky, Adorján 108 Djabagui siehe Džabagi Dmowski, Roman 44, 55, 56, 61, 75, 79, 91, 106, 215, 222, 266, 280 Dobrowolski, Antoni Bolesław 100, 102, 103 Docteur Nosadzé siehe Nozadze Dolgieva, M. B. 112 Dominik, Paulina 112 Dorošenko, Volodymyr 85 Dostoevskij, Fedor 16, 169, 288 Downarowicz, Stefan 213 Dr. Mir Yacoub siehe Mehdiyev, Mir Yaqub Dryhurst, Alfred Robert 153 Dryhurst, Anne Robinson 153 Dubič, K. siehe Dubicz-Panther Dubicz-Panther, Karol 186, 187, 241–3, 249, 256 Duchnowski, Jan 213 Duda, Herbert W. 293, 300 Dugin, A. G. 24 Dulles, Allen W. 151 Dumoulin, A. 180, 181, 183 Dunin Borkowski, Piotr 313 Durkheim, Émile 161 Džabagi, Vassan Girej 112, 113, 128, 157 Džabagiev siehe Džabagi, Vassan Girej Džamaljan, Aršak 171, 266, 294, 295 Dziekan, Marian 272 Dziewanowski, Marian Kamil 56, 78 Eckert, Andreas 49 Ehrt, Adolf 251–3, 300 El Hüsseyni, Seyyit Tahir 124, 127, 218 Elekotti, Tambi 172, 298 Engels, Friedrich 305, 318 Espagne, Michel 45, 47 Evain, Emmanuel 161 Fałkowski, Maciej 43 Ferrero, Guglielmo 169
Filipowicz, Tytus 96, 97, 331 Filosofov, Dmitrij 90, 110, 331 Fiodorow, Hieronim 213, 214 Fourniau, Vincent 41 Freyer, Hans 25 Frolov, Michail F. 230, 231 Frumkina, Marija 145 Furet, François 52 G. G. siehe Gvazava Gabidullin, Chadži Z. 197, 198 Gabrys, Juozas 62–4 Gadžibejli, Džejchun 116, 123, 152, 154, 253, 258, 261. Galajčuk, Bogdan Tadej 273–6 Ganizade, Kemal 125 Gasparjan, Armen 24 Gasprinskij, Ismail 15, 189, 240, 241, 242 Gasztowtt, Tadeusz 77, 112 Gavrilov, Viktor 97 Gaxotte, Pierre 262 Gejdarov, G. 131 Giedroyć, Jerzy 24, 34, 205, 278, 329, 330 Gilley, Christopher 247 Gippius, Zinaida 90 Giray, Sultan Kılıç 297 Girej, Sunž 197, 249, 251, 252 Glovinsky, E. 158 Gnilorybov, Michail N. 230, 231 Godzjaszwili, Aleksander 139, 141, 334 Golczewski, Frank 41, 221, 250, 253, 269 Górka, Olgierd 213, 214, 273, 306, 317 Gorki, Maxim 259 Graber, Ernest-Paul 180–3 Gradovskij Aleksandr 305 Gralewski, Mateusz 59 Grinčenko, Boris 82 Gulevič, Vladimir 24 Gummerus, Edvard Robert 226 Gummerus, Hermann Gregorius 42, 225, 226, 228, 229 Gummerus, Olof Hermann 226 Gvazava, Giorgi 151, 152, 155, 159, 163, 164, 167, 170–2, 174, 175, 190, 191, 203, 204, 231, 235, 249, 299, 301, 302, 306, 308. Hadissian siehe Chatisjan
Personenregister
Haguenin, Émile 64 Halén, Harry 42, 227, 228 Handelsman, Marceli 74, 103, 137, 208, 305, 327, 334 Hardeman, Hilda 247 Hass, Ludwik 41 Hattori, Shiro 310 Herodot, Dmytro 237 Herron, George D. 209 Hǝsǝnli, Cǝmil 18, 41 Hitler, Adolf 289 Hoca, Osman 126, 133 Hostler, Charles Warren 39, 40 Hovi, Kalervo 42, 43, 77 Ibrahim, Arifhan siehe Okay Ibrahimov, Abdurrašid 63, 79 Ilgewicz, Henryka 89 Imanov, Vüqar 41 Imnadze, Konrad 214, 327 Inalcik, Halil 45 Inan, Abdülkadir 41, 134, 324 Insabato, Enrico 306, 315 Ischakov, Salavat 31, 32, 64, 66, 124, 125, 127, 129, 130, 131, 155, 254–6, 259, 260, 323 Ishaki, Ayaz Muhammed 16, 35, 50, 62, 143, 193, 196, 197, 214, 217–20, 224, 225, 226, 238, 242, 273, 292, 296, 299, 308, 309, 310, 315, 318 İshakoğlu, Abdülvahap siehe Oktay Ismaylov, Eldar 5 Ismaylov, Rafiq 5 Israfil, Israfil B. 139 Ivašyna, Dmytro siehe Herodot Jan Młot siehe Bogusławski Jansky, Herbert 293, 300 Jäschke, Gotthard 253, 289, 293, 300, 308 Jasinowski, Bogumil 288 Jaurès, Jean 164, 305 Jędrzejewicz, Janusz 205 Jędrzejewicz, Wacław 334 Jēkabsons, Ēriks 106, 108 Jelinek, Georg 305 Jeremi, Sokrates 206 Jobst, Kerstin S. 53 Johnson, Kelly 150, 151
Jones, Stephen F. 67 Jordaniya, Noy siehe Žordania Kaczyński, Lech 23, 278 Kamienicki, Witold 103 Kanda, Masatane 247, 248 Kantemir(ov), Alichan 128, 129, 131, 298 Karabin, R. 114 Karev, Georgij 266 Károlyi, Mihály Graf 182 Kassimzade, Kassim 152 Katelbach, T. 112 Katharina II 65 Kavtaradze, Jan 143, 208, 334 Kaya, Mehmet Şükrü 241 Kazbek, Rostom 141 Kazimova, Shahla 17, 41 Kâzımzade, Abbas 127, 255, 258 Kedia, Spiridon 12, 131, 258, 262 Kedryn-Rudnytsky, Ivan 273 Kemery, Sandor 182 Kerenskij, Aleksandr 171, 180, 188, 190, 194, 196–8, 265, 317 Keykurun, Naki 101 Keynäs, Vasilij 225, 226 Khomériki, M. 68 Khoursch, Baha Eddin 334 Kickinger, Katharina 25 Kielczyński, Apolinary 12, 13 King, Charles 182, 210, Kiriczok, Sergjusz 214 Kırımal, Edige Mustafa 272–6 Kırımer, Cafer Seydahmet 12–9, 34, 35, 45, 50, 54, 92, 95, 122, 126, 138, 177, 186, 187, 196, 198, 208, 209, 216, 217, 238, 239–43, 249, 252, 253, 268, 270–2, 278, 292, 296, 299, 305, 315, 320, 326, 328, 329, 330, 332, 334, 335 Kırımlı, Hakan 84, 85, 86 Kırımlı, Ibrahim Arslanoğlu siehe Kırımal Kırımlı, Yiğit siehe Kırımal Klimovič, Lucijan 219, 220 Knoll, Roman 117, 118, 128, 129, 146, 147, 322 Kobayashi, Hajime 309 Kobylański, Tadeusz 325 Koc, Adam 205 Kocaoğlu, Osman siehe Hoca
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Personenregister
Kocjubinskij, Michail 302, 303 Kołakowski, Leszek 213 Kolbaja, David 101, 139 Kolerov, Modest 24 Komar, Volodymyr 20, 40, 54, 147 Komarnicki, Tytus 103 Koneczny, Feliks 209 Köprülü, Mehmed Pasha 86 Köprülüzade, Fuat 190, 241, 242 Kornat, Marek 24, 38, 40, 43, 74, 96, 99, 117, 239, 266, 277, 278, 288, 312 Kornilowicz, Tadeusz 103 Koropeckyj, Roman R. 19 Korotaev, Vladimir I. 30, 151, 248 Korwin (Pawłowski), Stanisław 18, 119, 139, 142, 146, 205, 214 Kościuszko, Tadeusz 58, 280 Kosenko, Ilarion 150, 151 Köseoğlu, Tülay 134, 217 Kosmowska, Irina 103 Kotse(f), Pşimaho 257 Kotwicz, Władysław 138 Kowal, Paweł 13, 24, 278 Kowalewski, Jan 313 Kowalewski, Mikołaj 211, 212 Kowalski, Mikolaj 214, 299 Kowalski, Tadeusz 137, 292 Kozłowski, Nina 29 Kramář, Karel 90 Krasiński, Zygmunt 52, 75, 290, 319 Krauzówna, Jolanta 213 Kravčenko, Svetlana 40 Krjukov, Petr 233 Kryczyński, Najman Mirza Leon 102, 268 Kryczyński, Olgierd 268 Krymski, Tomasz siehe Schaetzel Krypski, Wiktor 102 Kucharzewski, Jan 92, 93, 284, 285 Kumuk, Cem 116 Kumuz, Chussejn 270 Kunduch(zade), Ajtek 143, Kurbangali(ev), Gabdulchai 43, 310 Kuriliszwili, Sergo 22, 101, 139, 140, 324, 332 Kurnicki 295 Kuromiya, Hiroaki 42, 43, 61, 78, 285, 312 Kuryłło, Stefan 313 Kurzym, J. 102
Kusber, Jan 45, 46 Kutyłowski, Bohdan 103, 107, 108, 223 Kvinitadze, Giorgi 263 Łagowski, Bronisław 24 Lamouche, Léon 296 Landau, Jacob 217 Langer, Antoni 101 Lavrenova, A. V. 41 Lazzerini, Edward J. 15, 40 Leibbrandt, Georg 252, 253, 269, 290 Leitzinger, Antero 42, 81, 218 Lepkyj, Bohdan 220 Levenko, Š. siehe Rudnyc’kyj Levent, Sinan 242 Lewak, Adam 334 Lewandowski, Józef 26, 27, 35–9, 205 Lewicki, M. 76 Libera, Paweł 26, 27, 29, 32, 38, 39, 42, 43, 60, 118, 122, 134, 136, 186, 202, 205, 219, 220, 225–7, 235, 239, 241, 243, 249, 250–3, 266, 267, 282, 285, 291, 301, 306 Linner, Marja 213 Lipowiecki, Jan 150, 312, 313 Lobanov-Rostovskij, Aleksej B. 295 Łotocki, A. 212, 239, 303, 318 Łuczak, Leon 213 Lunačarskij, Anatolij 145 Lypa, Juryj 271, 326, 327 Mačabelli, G. 262 Mageramov, Mehmet 160, 165 Mahdum, Nasır 133 Mainardi, Lauro 251, 294 Maj, Ireneusz P. 18, 38, 43, 138, 139, 142, 143, 219 Makowski, Juljan 141, 334 Maksudov, Sadri siehe Arsal Małaniuk, Eugeniusz 212, 220 Malanjuk, Jevhen siehe Małaniuk Malicki, Jan 44 Mamoulia, Georges 17, 25, 29, 32, 34, 35, 39, 42, 43, 61, 64, 66, 70, 78, 101, 112, 115–8, 129, 131, 140, 141, 150–3, 255 Mamulija siehe Mamoulia Mandel’štam, Andrej 188, 189, 197, 198 Marcel-Paon, Anie 308
Personenregister
Markert, Werner 253 Marshall, Alex 28, 128 Martin, J(e)an 141, 163, 164, 251, 297, 303, 307 Marx, Karl 305, 318 Masalski, Władysław 142 Masaryk, Tomáš 90, 161, 162 Materski, Wojciech 38, 149 Matsaberidze, Malkhaz 158 Matsuda, Hisao 309 Matvienko, Viktor M. 42 Maurras, Charles 305, 306 Mazadé, Fernand 297 McLean, Neil 13 Mdivani, Semjon 129, 131, 332 Medkov, T. A. 235 Mehdiyev, Mir Kasım 125 Mehdiyev, Mir Yagub 154, 158, 160, 182, 183, 202, 299, 303, 315 Mehmetzade, Mirza Bala 124, 125, 177, 196, 199, 246, 255, 258, 292, 298, 311 Melkonian-Minassian, Shake 187 Menagari, Sandro 12 Menagarišvili, Alexander siehe Menagari Mendeleev, Dmitrij 288, 289 Merabishvili, Gela 23 Merežkovskij, Dmitrij 90 Mickiewić, Adam 19, 20, 57, 74–8, 185, 186, 222, 280, 303, 319 Middell, Matthias 45 Miettinen, A. 229 Miftakhov, Ilyas 126 Mikulicz, Sergiusz 26, 27, 28, 35, 36, 37, 38, 39, 138 Mir Yacoub siehe Mehdiyev, Mir Yagub Misawa, Nobuo 309, 310 Momose, Hiroshi 43 Mošegov, Ignatij 42, 81, 229, 230, 334 Mössheg, I. siehe Mošegov Mossing, Ignacy siehe Mošegov Moszczyński, Antoni 213 Motika, Raoul 17 Mozochin Oleg B. 31, 145 Muharrem, Mehmet siehe Mageramov, Mehmet Müller-Butz, Martin 43 Münschi, Hilal 255, 258, 287, 292, 293, 298, 300
Murs’kyj, Volodymyr (Vasyl’) 8, 200, 239, 240, 247, 248, 249, 250, 251, 269, 271 Musial, Filip 91, 92 Mussolini, Benito 284 Mustonen 226 Nadi, Yunus 195 Nakashidse, George siehe Nakašidze Nakašidze, Giorgi 22, 40, 143, 149, 214, 269, 327–9 Nakaszydze, Jerzy siehe Nakašidze Nalbandian, Zaruhi siehe Zarevand Nalbandian, Zaven siehe Zarevand Nallino, Maria 220 Namitok, Aytek 70, 71, 129, 152, 307 Namitokoff, A. siehe Namitok Napoleon I 72, 74, 78, 304, 311, 312 Napoleon III. 75 Nemenskij, Oleg 24 Niezbrzycki, Jerzy 312 Niminov, Šalvur siehe Balykov Nippold, Ottfried 67 Noack, David X. 39 Nowak, Andrzej 38, 78, 110 Nozadze, Viktor 158, 262 Nydström, Gustaf Ragnar 226 Nys, Ernest 65 Okay, Arifcan Ibrahim 335 Okęcki, Stanisław 43 Oktay, Abdülvahap İshakoğlu 66, 123, 126, 134, 135 Ölçer, Nazan 33, 35 Olenderczyk, Leszek 213 Olensch siehe Oliņš Oliņš, Pēteris 108 Öller, Per Erik 227 Omeljanovič-Pavlenko 235 Orlik, Filip 279, 280 Orlik, Grzegorz 279 Orlovskij, E. 144, 145 Ortay, Selim 273 Osterhammel, Jürgen 49 Otar, Bilge 33 Otar, İbrahim Şükrü 13, 14, 299 Otar, İsmail 13, 14, 33, 246, 272 Özcan, Ömer 12–4
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Personenregister
Özkaya, Yılmaz 33 Öztürk, Kaan 33 Palme, Anton 252 Patek, Stanisław 183, 184 Paulmann, Johannes 45 Pavlovič, Michail 145 Pelc, Władysław Antoni 40, 54, 236, 237, 281, 295, 301, 316, 317 Pélissier, Jean 62, 63, 75 Pepłoński, Andrzej 43, 312 Peradze, Grzegorz 44, 327 Petljura, Semjon 63, 96, 97, 145, 150, 151, 203, 243, 250, 251, 274, 315, 316, 324, 331 Petrażycki, Léon 16 Piłsudski, Józef 14, 17, 20, 21, 26–9, 31, 36–9, 56–62, 77, 78, 88–92, 95, 96, 97, 99, 100, 106, 110, 112, 117, 137, 138, 140, 145–7, 150, 162, 185, 215, 222, 240, 245, 247, 263, 266, 268, 278, 280, 282, 287, 290, 291, 311, 312, 314, 316, 320, 322, 331–3 Piskun, Valentyna 40, 150 Piszczkowski, Tadeusz 238 Pittard, Eugen 208 Pjukkenen, A. Ju. 42 Plechanov, Georgij V. 164, 243, 318 Počs, K. Ja. 38 Pomaranski, Stefan 240 Pomian Krzysztof 34, 205 Poniatowski, Stanisław 268 Potocki, Graf Henryk 138 Prokopovyč, V. 150, 250 Puškin, Aleksandr S. 236, 270, 303 Quliyev, Vilayet 69 Qutqaşınlı, Ismayil 59 Rachmaninov, Sergej 16 Radek, Karl 145 Radwański, Tadeusz 213 Rafael, Lutz 53 Ramišvili, Noj 116, 117, 131, 132, 164, 186, 203, 297, 324, 332 Ramstedt, Gustav John 80, 224, 226, 228, 229 Raś, Maciej 24 Rasulzade, Leyla (Wanda) 329
Rasulzade, Mamed Emin 8, 17, 26, 31, 33, 34, 39, 41, 44, 50, 120–132, 140, 155, 157, 159, 160, 177–80, 186, 190–8, 200, 203, 210, 211, 214, 224, 235, 241, 242, 253–262, 273, 276, 282, 283, 291–3, 296, 297, 300, 303, 304, 306, 311, 312, 315, 318, 324, 326, 328, 329, 332 Renan, Ernest 304 Renaudel, Pierre 68 Renner, Karl 305 Ressoul Zadé, Mehmed Emin siehe Rasulzade Resuloğlu, Mehmet Ali siehe Resulzade Resulzade, Mehmed Ali 127, 258 Resulzade, Mehmet Emin siehe Rasulzade Reychman, Jan 27, 32, 36, 76, 119, 137, 138, 139, 141, 142, 206, 207, 220, 279, 280 Rosenberg, Alfred 290 Rossi, Ettore 124, 126, 127 Roussan, Simone Mazade 308 Rudnyc’kyj, Stepan 271 Rusiński, Władysław 50 Rüstembeyli, Şafi 8, 128, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 262, 298 Saakaschwili, Michail 23 Sackiewicz, Aleksander 213 Sadowski, A. 162 Sadykova, Bachyt 29, 35, 40 Safonov, Valerij N. 31, 145 Said, Edward 21, 51, 54 Šakuli, Mustafa 133 Salakaja, Iosif 138, 139, 141, 298 Salia, Konstantin 262 Salihov, Ahmet siehe Calikatti Salminen, Timo 42 Salski, Vladimir 226, 239 Šamil, Muchammad Said 17, 131, 164, 186, 197, 217, 219, 220, 260, 269 Šamil, Scheich 17, 51, 73, 164 San’an Azer siehe Aran Santoro, Stefano 143 Šarapov, Valerij 42 Šarašidze, David 149, 152, 181, 182, 297 Saukonnen 226 Savčenko-Bil’s’kyj 325 Savickij, Ivan 86 Savickij, Petr 88, 89, 169, 235
Personenregister
Savinkov, Boris 89, 90, 110, 119, 145, 231, 324, 331 Scelle, Georges 164, 167, 174 Schaetzel, Tadeusz 13, 14, 25, 31, 117, 118, 131, 132, 135, 146, 151, 186, 222, 223, 238, 239, 249, 254, 314, 327 Schamyl, S. siehe Šamil, Said Schattkowsky, Ralph 40, 43, 89, 136, 137, 146 Schönpflug, Daniel 45, Schramm, Tomasz 75 Schulze, Reinhard 217 Seignobos, Charles 162 Sejdamet, Dżafer siehe Kırımer Semenov-Tjan-Šanskij, Veniamin 88 Serkov, Andrej I. 41 Šetcel’, T. siehe Schaetzel Seton-Watson, Robert William 162 Ševčenko, Taras 51, 82, 251, 297, 302 Šeych-ul-Islamzade, Alikber Ağa 128, 258, 261 Seydahmet, Cafer siehe Kırımer Seyfried, Kamil Jan 213 Şeyhzamanlı, Naki siehe Keykurun Siedlecki, Stanisław 81, 100, 142, 146, 205, 208, 214, 220, 230, 242, 268, 273, 291, 298, 299, 314, 315, 316, 322, 326, 334 Siekierzyński, Jakub 43 Sienkiewicz, Henryk 57, 319 Simonova, Tat’jana 38, 39 Şimşir, Sebahattin 124–6, 128, 227 Sisyanlı siehe Aran, Mehmet Sadık Siwik, Bronisław 101 Skinner, Quentin 46, 53 Skoropadski, Pavlo 88, 274 Skowrońska, Emilia 213 Słowacki, Juliusz 19, 75, 319 Smal‘-Stoc’kyj, Stepan 82 Smal’-Stoc’kyj, Roman 40, 50, 83, 84, 149, 212, 214, 226, 239, 250, 267–70, 274, 298, 327–9 Smele, Jonathan D. 203 Smogorzewski, Zygmunt 138 Snyder, Timothy 27, 28, 58, 98, 100, 152 Sockov, Lev F. 30, 247–9 Sokolnicki, Michał 14, 31, 37, 77, 328 Sokolov, Boris V. 31 Soultanzadé, Khosrov siehe Sultanzade
Soysal, Abdullah Zihni 240, 241, 292, 328, 334 Spengler, Oswald 90 Spivak, Gayatri 49 Spuler, Berthold 208, 289, 293 Śrocki, Boleslas 112 Stalin, Iosif 12, 143, 144, 145, 269, 319, 328 Staliunas, Darius 54 Staniłko, Jan F. 23 Stempowski, Jerzy 21 Stempowski, Stanisław 103, 148, 205 Strzetelska, Zofia 319 Subhi, Hamdullah Tanrıöver 123, 182 Subhi, Mustafa 120 Šul’hyn, Oleksandr 18, 154, 203, 204, 239, 301, 302, 304–7 Sulejmanov, Fathelkadyr siehe Inan Sultan-Galiev, Mirsaid 194 Sultanov, Gamid 145 Sultanzade, Chosrov B. 128, 129, 152, 156, 157 Šumyc’kyj, N. 154 Survo, Arno 42 Suvčinskij, P. P. 169 Švarcbard, Samuel 150, 151 Svatikov, Sergej G. 231, 235, 236 Svit, Ivan 236, 237 Światłowski, Bartosz 52 Świętochowski, Tadeusz 37, 72 Symonolewicz, Konstanty 220, 238 Szanty, Helena 54 Szawłowski, Hanna 89 Szawłowski, Richard 89 Szczepkowska, Ewa 99 Szpiganowicz, Tadeusz 213 Szurig, Georges 111 Szynkiewicz, Edige siehe Kırımal Szynkiewicz, Jakub 272 Tagizade, Ali siehe Azertekin, Ali Tahirli, A. 124 Talvela, Paavo 226 Targalski, Jerzy 27 Tchokai Oghly, Mustafa siehe Čokaev Tchokaïeff, Moustapha siehe Čokaev Thackeray, Frank W. 61 Tibor, Frank 108 Tisserand, Roger 306
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Personenregister
Tjutjunnjuk, Juryj 324 Togan, Zeki Velidi 18, 21, 26, 32, 35, 41, 126, 133, 134, 148, 323 Togay, Muharrem Feyzi Bey 242, 243, 335 Tolstoj, Leo 288 Topchibachi, Alimardan Bey siehe Topčibaši Topčibaši, Ali Mardan 17, 18, 31, 32, 41, 44, 62, 69–71, 115, 116, 123–5, 127–131, 140, 141, 148, 149, 151–5, 160, 255, 259, 260, 297, 299 Tota, Stanisław 213 Towiański, Andrzej 75 Troc’kyj, Mykola 250, 253 Trockij, Lev 129, 130 Troebst, Stefan 44, 69, 187 Trubeckoj, Nikolaj 87, 169, 189, 196 Tsalikatty, Ahmed siehe Calikov Tugan-Baranowski, Michail 16 Tumanišvili, Pavel 139, 141 Turan, Fikret 35 Türkyılmaz, Selçuk 33 Tynni, Gabriel 226, 229, 318 Tynni, Kaapre siehe Tynni
Voronovič, Ali 272 Voronyj, Mykola 101
Udovičenko 235 Uhl, Matthias 31, 118, 130, 324, 325 Ukrainka, Lesja 200, 303 Ülküsal, Müstecib 34, 240, 326 Umaš(ev), Jusuf 270 Uralgiray, Yusuf 217 Urquhart, David 210 Usmanova, Dilara 310 Usmanova, Larisa 310 Usmi, Abdul Halik 143
Yaqublu, Nasiman 39 Yarkın, Ibrahim 335 Yüce, Nuri 13 Yurdakul, Rengin 33
Vačnadze, David 27, 116, 129, 266 Vandervelde, Émile 67, 68 Vandervelde, Lalla 68 Vandov, Dimit’r 41, 310 Vekilli, Mustafa 125, 131, 257, 258, 298, 315 Vekilov, Mustafa siehe Vekilli Vojtinskij, Vladimir 67 Volodarsky, Boris 199 von Clausewitz, Carl 312 von Gromada, Thaddeus 162 von Jena, Kai 41 von Mende, Gerd 252, 253, 294 von zur Mühlen, Patrik 15, 26
Wakar, Włodzimierz 21, 99, 100, 102–9, 111, 223 Walczak, Henryk 88 Wandycz, Piotr S. 280 Wasilewski, Leon 56, 58, 60, 93, 137, 214, 222, 268 Waszkiewicz, Ludwik 103 Wegnerowicz, Roman 101 Werner, Georges 303, 304, 307 Werner, Michael 45–7 Wojdyno, Wład. 142 Wołoszynowski, Joachim 99, 100, 103, 109, 110, 142 Woytak, Richard 39 Woytinsky, Wladimir siehe Vojtinskij Woźniak, Andrzej 101 Woźnicki, Jan 103 Wraga, Ryszard siehe Niezbrzycki Wrangel, Pjotr 89, 168, 230, 232
Zabello, Mykola 200, 247 Zachariadze, Alexander 117, 122 Zacharov, Vladimir 31, 118, 130, 324, 325 Zaćwilichowski, Stanisław 136, 203 Zaczek, Józef 313 Zahora-Ibianski, Feliks 135, 313 Zajączkowski, Ananiasz 76 Zajączkowski, Stanisław 209 Zakariadze, Alexander siehe Zachariadze Zakhokh, G. 203 Zamoyski, Jan 210 Zangi, Kosta 214 Zaremba, Zygmunt 101 Zarevand, Zaven und Zaruhi 8, 187–193, 195–7, 202, 295 Zaślichowski, Stanisław 136, 203 Zatašans’kyj, I. siehe Kosenko Zdziechowski, Marian 88, 89, 92, 93, 138 Żeleński, Władysław 203
Personenregister
Zięba, Ryszard 24 Zierkowski-Lenoir, Ludwik 72, 280 Ziyadhan, Adil Khan 101, 102 Znaniecki, Florian 138 Žordania, Noj 12, 50, 65–8, 71, 115, 129, 171,
192, 195, 203, 214, 235, 243, 261–3, 296, 297, 299, 315, 320, 329 Žukov, Georgij 14 Żurawski, Radosław Grajewski 210
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1918 wurde die Republik Polen ausgerufen, die ihre Souveränität im anschließenden Krieg gegen Sowjetrussland erfolgreich verteidigen konnte. Allerdings brachte der Rigaer Friedensvertrag von 1921 keine Versöhnung, und Warschau startete, von der UdSSR sicherheitspolitisch und propagandistisch herausgefordert, ein ebenso anspruchsvolles wie aussichtsloses Projekt zur „Zerstückelung“ der UdSSR unter dem Codenamen „Prometheus“. Der polnische Generalstab, der Nachrichtendienst und das Außenministerium gründeten mehrere Forschungseinrichtungen und finanzierten die antisowjetische Agitation,
ISBN 978-3-515-13262-6
9 783515 132626
wie Vortrags- und Pressearbeit sowie Publikationen von Politemigranten aus der Ukraine, Georgien, Aserbaidschan, Nordkaukasus und Zentralasien, die nun in Warschau, Paris, Istanbul und anderen Orten lebten. Ihr langfristiges Ziel war es, die Position Moskaus zu schwächen und Polen als Regionalmacht zwischen dem Baltikum und dem Kaukasus zu etablieren. Zaur Gasimov analysiert die facettenreichen Aktivitäten der prometheistischen Netzwerke während ihrer Entstehung und Entfaltung in der Zwischenkriegszeit.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag