Wandel mit Gewalt?: Der deutsche Protestantismus und die politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren 9783666557712, 9783525557716, 9783647557717


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Wandel mit Gewalt?: Der deutsche Protestantismus und die politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren
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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557716 — ISBN E-Book: 9783647557717

Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke

Reihe B: Darstellungen Band 56

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557716 — ISBN E-Book: 9783647557717

Alexander Christian Widmann

Wandel mit Gewalt? Der deutsche Protestantismus und die politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren

Vandenhoeck & Ruprecht

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Meinen Eltern

Diese Arbeit entstand als Dissertation, eingereicht 2011 an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Gefördert durch eine Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft LE 2393/1-1

Mit 2 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55771-6 ISBN 978-3-647-55771-7 (E-Book)

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung: H Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt 1. Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel . . .

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1.1 Historischer Hintergrund, Frage- und Zielstellung . . . . . . . . . . . . .

9

1.2 Forschungsstand, Methodik und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.1 Deutschlandfrage und kirchliche Ost-West-Gemeinschaft . . . . . . . 35 2.2 „Volkskirche“ und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.2.1 Mediale „Politisierung“ im Zeichen von Krise und Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.2.2 Der (un)politische Widerstand gegen die „Moderne Theologie“ und den kirchlichen „Abfall vom Vaterland“ . 57 2.3 Sozialethische Herausforderungen für den „Weltprotestantismus“ . 66 2.4 Gewalt „von unten“ – Faktor einer kommenden Weltgesellschaft? 2.4.1 Vorbereitungen für die Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Verlauf und Ergebnisse der Weltkonferenz . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die Rezeption von „Genf“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1 „Revolution“ in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.2 „Revolution“ in den Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“ . . . . 2.5.1 „Reformation“ und „Revolution“ im Spannungsfeld zwischen Theologie und Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 „Theologie der Revolution“ und realexistierender Sozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Genf – Uppsala: Vorbereitungen für die Weltkirchenkonferenz 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 78 87 94 94 103 117 117 129 145

2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

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6

Inhalt

3. Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“ . . 161 3.1 Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.2 Die Politisierung des Protestantismus nach dem 2. Juni 1967 . . . . 164 3.3 „Kritische Solidarität“ – Vietnam-Kongress und „Revolution“ in Bad Boll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3.4 Gewalt an Ostern: Wo sich die Geister scheiden . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.5 „Evangelen“ zwischen Camilo Torres und Martin Luther King . . 211 3.6 Kirchliche Stellungnahmen zu den Osterunruhen . . . . . . . . . . . . . . 224 3.7 „Theologie der Revolution“ im Zeichen globaler Umbrüche . . . . . 3.7.1 „Siehe ich mache alles neu!“ – Die Weltkirchenkonferenz 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 Die mediale Rezeption von „Uppsala“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3 „Theologie der Revolution“ und Buchmarkt . . . . . . . . . . . 3.8 Protestantismus und Kirche im Angesicht der zerfallenden Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.1 Der christlich-marxistische Dialog und die Gewaltfrage . 3.8.2 Das (un)heimliche Synodalthema: „Parteiliche“ Kirche und „falsche“ Politisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8.3 Nur Worte an die Jugend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237 237 246 252 261 261 271 276

3.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4. Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973) . . . . . . . . . . 298 4.1 „Volkskirche“ im Streit um das ökumenische „Antirassismusprogramm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Gewaltfrage im Konflikt um den Arnoldshainer Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 „Kompromisse“ und „Glaubenskämpfe“ . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Das „Antirassismusprogramm“ in der DDR . . . . . . . . . . .

298 298 304 314 325

4.2 Kampf um die gute Sache: Protestanten im Zwielicht . . . . . . . . . . 335 4.2.1 Unbehagen an der Gesellschaft und „kreativer“ Hass . . . . 335 4.2.2 „Nützliche Idioten“? Der Protestant als „Sympathisant“ . 340 4.3 Im Schatten des „Terrors“: Der Streit um den Sonderfonds . . . . . 351 4.4 Die EKD und ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Rassismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

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Inhalt

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4.5 Studien über Gewalt in Zeiten „relativer Ruhe“ . . . . . . . . . . . . . . . 363 4.5.1 Rückkehr zur Sachlichkeit? Die Thesenreihe der EKD . . 363 4.5.2 Sturm in Sicht: Reaktionen auf die Studie des ÖRK . . . . 370 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 5. Protestantismus und Kirchen im Zeichen der Polarisierung (1974–1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 5.1 „Tendenzwende“ und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 „Christus oder Sozialismus!“ Ein Kirchenstreit zieht Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Tatort West-Berlin: Der Konflikt um die Verlängerung des „Antirassismusprogramms“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Differenzen im deutsch-deutschen Kirchendialog . . . . . . . 5.1.4 „Pfarrer, die dem Terror dienen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

385

5.2 Westdeutsche Kontroversen über „Befreiung“ und „Solidarität“ . . 5.2.1 Die EKD und die Gewalteskalation im südlichen Afrika . 5.2.2 „Gegen falsche Solidarisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Protestantismus und „Deutscher Herbst“ . . . . . . . . . . . . . .

419 419 428 436

385 391 398 406

5.3 „Änderungsgewalt“ in Afrika: Ökumenische Erkenntnisse und Einsichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 5.3.1 „Gerechte“ Rebellion und „Terror“: Westdeutsche Befindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 5.3.2 Deutsch-Deutsche Kontextualisierungen . . . . . . . . . . . . . . 459 5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 6. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 7. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 8. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 Institutionen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618

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1. Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel 1.1 Historischer Hintergrund, Frage- und Zielstellung Bei „besonderer Verblendung oder Entartung der Regierenden“, räumte der bekannte Erlanger Theologe Paul Althaus im Jahr 1928, als die Weimarer Republik gerade stabil war, ein, „kann es geschehen, daß der Machtkampf um die rechte Leitung des Volkes zum Kriege werden muß (Revolution).“ Auch evangelischen Christen könne es zur „Pflicht werden“, an diesem „gewaltsamen Kampf“ teilzunehmen – trotz „aller Einsicht in seine sittliche Gefahr und zerstörenden Wirkungen“. Angesichts der revolutionsfeindlichen und obrigkeitsgläubigen Traditionselemente im deutschen Protestantismus mag dieser ethische „Leitsatz“ zunächst verwundern. Doch wie viele andere im Kaiserreich sozialisierte evangelische Theologen lehnte der Lutheraner Althaus die Weimarer Republik ab. Vor dem Hintergrund einer in den deutschen Kirchen tief verwurzelten Aversion gegen die liberal-parlamentarische Demokratie und die kapitalistisch-westliche „Massenkultur“ erschien die theologische Befürwortung eines bewaffneten politischen Umsturzes somit durchaus plausibel. Dennoch arrangierten sich die Kirchen mit dem „gottlosen“ Weimarer „System“1. Die antirevolutionäre Festlegung von evangelischer Theologie und Kirche bestimmte letztlich auch deren Verhältnis zur NS-Diktatur. Dies betraf sowohl die „Bekennende Kirche“ (BK) in ihrem „Kampf“ gegen eine nationalsozialistische Verfälschung des christlichen Glaubens und eine Gleichschaltung der Kirchen als auch die späteren theologischen Erörterungen über eine mögliche Beteiligung geistlicher Würdenträger und Laien am Umsturzversuch des 20. Juli 19442. 1 ALTHAUS, Leitsätze, 62f. Zur politischen Haltung des deutschen Protestantismus in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren und seinen „revolutionären“ Erwartungen, NOWAK, Kirche; TANNER, Verstaatlichung; FIX, Universitätstheologie; und GRAF, Zeitgeist. 2 So heißt es im Römerbrief des Paulus: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott [. . .]. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes. [. . .] Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst“. Römer 13 steht wiederum in Spannung zu der – ebenfalls neutestamentlichen – im „Kirchenkampf“ geltend gemachten Paraenäse: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Matthäus 22, 21) bzw. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5, 29).

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Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren ordnungstheologische Entwürfe noch immer präsent. So unterstrich der Lutheraner Walter Künneth, während der NS-Zeit Mitglied der BK, den Gegensatz zwischen einer von Gott eingesetzten Ordnung (Römer 13) und der „Dämonie der Revolution“. Selbst in den unmenschlichsten Situationen sei es dem Christen, geschweige denn der Kirche untersagt, sich gegen einen totalitären Unrechtsstaat gewaltsam aufzulehnen. Künneth räumte allerdings ein, dass qualifizierte „Amtsträger“ wie die Verschwörer des 20. Juli 1944 ein solch „schuldbeladenes und blutbeflecktes politisches Handeln“ als Wagnis vor Gott in Betracht zögen3. Mit dieser Wiederbelebung eines ständischen Widerstandsrechts antwortete Künneth auf das gemeinsame Gutachten der evangelischen Theologen Hans Joachim Iwand und Ernst Wolf zum Braunschweiger Remer-Prozess4. Das von ihnen mit auf den Weg gebrachte Urteil lieferte 1952 einen wichtigen Beitrag, die „Männer des 20. Juli 1944“ von dem noch immer verbreiteten Stigma des Landesverrats zu befreien. Ihr Gutachten war auch theologiegeschichtlich von eminenter Bedeutung, denn sie bemühten sich um eine bekenntnisübergreifende „protestantische“ Position zur Widerstandsfrage. Im Gegensatz zu Künneth stellten beide fest, es gebe eine jeden einzelnen Christen betreffende Pflicht zum notfalls bewaffneten Widerstand – für den in Zeiten Luthers „(noch) undenkbaren Fall einer Dämonisierung weltlicher Herrschaft“. Iwand sah im Attentat auf Adolf Hitler „das Ende einer Epoche“ und forderte eine radikale „Neubesinnung“ über die Widerstandspflicht der Christen gegenüber der Staatsgewalt5. Die Debatte um den protestantischen Gehorsam im modernen Staat konfrontierte die westdeutsche Theologie mit dem Mitte der 1950er Jahre nach wie vor „unbewältigte[n] Problem der Demokratie“6. Diese Zuspitzung seines Göttinger Kollegen Wolfgang Trillhaas 1957 positiv aufgreifend, problematisierte der Lutheraner Helmut Gollwitzer – eine der Hauptfiguren der vorliegenden Untersuchung – die seines Erachtens noch immer unzureichende Bereitschaft evangelischer Kirchen und Laienchristen, sich als Reaktion auf die politischen und moralischen Versäumnisse während der NS-Zeit von einem rein innerlich-individualistischen Heilsverständnis zu lösen und sich gesell3

KÜNNETH, Politik, 316. Es war das wohl bedeutendste Justizverfahren „mit politischem Hintergrund seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und vor“ dem Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 (WASSERMANN, Bewertung, 77). 5 IWAND / WOLF, Entwurf, 14; IWAND, Begründung, 237. Zum (bewaffneten) Revolutionsbzw. Widerstandsrecht aus (kirchen)geschichtlicher und sozialethischer Sicht, ALBRECHT, Revolution; HONECKER, Revolution; STROHM, Revolution; sowie STEINBACH, Widerstand; STROHM, Widerstand; und BIELEFELDT, Widerstandsrecht. 6 TRILLHAAS, Lehre. 4

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Historischer Hintergrund, Frage- und Zielstellung

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schaftspolitisch aktiv zu engagieren. „Für die Rückwärtsgewandtheit unserer theologischen Diskussion“, so Gollwitzer, für ihre „Fixiertheit an vergangene Verhältnisse“ sei es bezeichnend, „in welchem Maße sie sich um das Widerstandsproblem dreht, als entstünde erst in einer Situation, die die Pflicht zum aktiven Widerstand nahelegt, der Konflikt mit dem Wortlaut der neutestamentlichen Paraenäse [von Römer 13, A. C. W.]. Für den alten Obrigkeitsstaat (und für seine pervertierte Restitution im NS-Staat) ist das richtig. [. . .] Gebot mir der Obrigkeitsstaat [. . .], meine politischen Ansichten zurückzustellen und die gegenwärtige Regierung hinzunehmen, so gebietet mir die Demokratie, meine politischen Wünsche zu vertreten [. . .], und bietet mir dafür, gerade um mich von der Alternative zwischen Hinnehmen und Revoltieren zu befreien, loyale Möglichkeiten [. . .]. Sie ist ein Staat, in der der Bürger zwar auch Untertan, aber eben nicht nur Untertan, sondern aktiver Teilnehmer an der Leitung und Gestaltung des Staates ist.“7

Gollwitzer, Jahrgang 1908, wuchs in einem national-konservativen fränkischen Pfarrhaus auf. Die ihn prägenden Lehrer waren Paul Althaus und dessen theologischer Widersacher, der reformierte Theologe Karl Barth8. Zu Beginn der 1930er Jahre wechselte Gollwitzer von romantisch-vorkapitalistischen zu marxistisch-antikapitalistischen Vorstellungen. Im „Kirchenkampf“ gegen die nationalsozialistischen Deutschen Christen (DC) von Anfang an stark engagiert, predigte er nach der Inhaftierung Martin Niemöllers 1937 als dessen Vertreter in Berlin-Dahlem. Zugleich unterrichtete er – wie der später hingerichtete evangelische Widerstandskämpfer und „Märtyrer“ Dietrich Bonhoeffer – am illegalen Predigerseminar der BK in Finkenwalde. Aufgrund seiner Hilfeleistungen für Juden und Kontakte zum politischen Widerstand wurde Gollwitzer mehrmals verhaftet und 1940 mit einem Redeverbot belegt. Im Krieg wurde er als Sanitäter an der Ostfront eingesetzt. 1945 geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1949 zurückkehrte. In seinem 1951 veröffentlichten Erlebnisbericht beschrieb er die Gefangenschaft und schilderte seine Eindrücke vom „Sowjetkommunismus“, von dem er nach späteren Angaben „die Schnauze voll“ hatte9. Bis 1957 lehrte Gollwitzer Systematische Theologie in Bonn. Anschließend übernahm er den Lehrstuhl Evangelische Theologie an der Freien Universität Berlin (FU). 7 GOLLWITZER, Bürger, 49f. Der Tübinger Neutestamentler Ernst Käsemannn zog 1959 Bilanz über die exegetischen Auseinandersetzungen mit Römer 13, KÄSEMANN, Römer. 8 In Abgrenzung gegenüber Althaus und den deutschen „Volkstumstheologien“ der späten 1920er Jahre lehnte die Barthsche Dialektische Theologie es anhand ihres eschatologischen Radikalismus und christologischen Zentrismus kategorisch ab, historische Gegebenheiten und natürliche Ordnungen religiös zu überhöhen. 9 Zit. n. MÜLLER-KENT, Vermächtnis, 122. Sein Erlebnisbericht, GOLLWITZER, Du.

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Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel

Der westdeutsche Protestantismus schien Ende der 1950er Jahre in der Demokratie angekommen. Kirche und Staat hatten zu einem kooperativen Verhältnis gefunden. Staatskirchenverträge schrieben die verfassungsrechtlichen Privilegien der Landeskirchen fest und regelten deren Öffentlichkeitsauftrag. Die Kirchlichkeit war zudem noch immer hoch. Wie die katholische besaß auch die evangelische Kirche in nahezu allen Bereichen des sozialen Lebens eine starke Position. Regelmäßige Konsultationen gewährleisteten, dass sie auch in den politischen Entscheidungszentren der jungen Bonner Republik präsent war10. Für Gollwitzer blieb jedoch offen, „ob die Verwirklichungstendenz der nie fertigen Demokratie“ von den evangelischen Kirchen künftig „nicht nur geduldet, sondern bejaht, unterstützt und mitverantwortet“ werde11. Die kirchliche Öffentlichkeit war zu diesem Zeitpunkt allerdings auf ein anderes gesellschaftspolitisches Thema fokussiert. Im Mittelpunkt stand die nationale Frage, schließlich berührte sie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) als letzte gesamtdeutsche „Klammer“12. Der Kalte Krieg stellte die in ihr zusammengeschlossenen Kirchen in der Bundesrepublik und der DDR vor die doppelte Aufgabe, ihr gesellschaftliches Engagement im Sinne des Erhalts der Nation und der Friedenssicherung auszurichten. Die Schwierigkeit dieses Unterfangens offenbarte sich in der Debatte um die Atombewaffnung (1957–1959). Mit ihrer „Ohnmachtsformel“ artikulierte die EKD am Ende den Willen, die Suche nach einer gemeinsamen protestantischen Friedensethik fortzusetzen; trotz Uneinigkeit über die Mittel und Wege einer Friedenssicherung im atomaren Zeitalter. Die deutschen evangelischen Kirchen gehörten nämlich nicht zu den klassischen Friedenskirchen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie zu dem Schluss gekommen, dass auf Gewalt „kein Segen“ ruht13. Ob das in der Atomdebatte nun eingeübte „Aushalten konträrer Positionen“ den Protestantismus tatsächlich – wie in der Forschung vermutet – zum Pionier des westdeutschen Demokratisierungsprozesses machte, ist fraglich14. Noch immer galt der Grundsatz, Kirche müsse „über den Parteien“ stehen. Walther Künneth verwahrte sich etwa „gegen jede Politisierung der Kirche“ und deren „Überfremdung“ durch „politische Gesichtspunkte“15. Vor der Synode der EKD warnte er, politische Fragen (und Haltun10

WOLFRUM, Demokratie, 70–73; LEPP, Entwicklungsetappen, 46–48. GOLLWITZER, Bürger, 50. Zur Gesamtentwicklung, RUDDIES, Protestantismus. 12 LEPP, Tabu. Dazu unten Kap. 2.1. 13 So das Friedenswort der Eisenacher Kirchenversammlung, die am 13. 7. 1948 auch die Grundordnung der EKD verabschiedete, zit. n. MERZYN, Kundgebungen, 58. Zur Friedensdebatte in den 1950er Jahren, VOGEL, Kirche; MÖLLER, Prozess; und WALTHER, Atomwaffen. 14 Zur These, INACKER, Transzendenz, 372. 15 Künneth, zit. n. NIEMEIER, Kirche [1958], 61. Vgl. WRIGHT, Parteien. 11

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Historischer Hintergrund, Frage- und Zielstellung

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gen) als Glaubensangelegenheit zu qualifizieren und dementsprechend religiös zu überhöhen. Sein Postulat war aber selbst ein Politikum, denn im Unterschied zur Römisch-Katholischen Kirche ist die evangelische Kirche weniger hierarchisch strukturiert, kennt wegen ihrer konfessionellen Pluralität kein Lehramt in Glaubens- und Sittenfragen und besitzt keinen geschlossenen Bestand sozialethischer Positionen. In Fragen ihrer öffentlichen Verantwortung ist sie außerdem durch eine Reihe grundsätzlicher theologischer Konfliktlinien durchzogen16. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Auseinandersetzung des deutschen Protestantismus mit der sogenannten „Gewaltfrage“ der 1960er und 1970er Jahre darzustellen und ihre kirchliche wie gesamtgesellschaftliche Bedeutung und Funktion zu analysieren. Der Untersuchungsschwerpunkt liegt auf den westdeutschen Debatten. Dabei offenbarten sich zwei Entwicklungstendenzen, die den westdeutschen Protestantismus in seiner öffentlichen Präsenz und Wahrnehmung entscheidend prägten: seine innerkirchliche und gesellschaftliche Entwicklungen ineinander verschränkende Politisierung und Polarisierung17. Angesichts semantischer – im Christentum der 1960er und 1970er Jahre generell beobachtbarer – Grenzverschiebungen zwischen den Bereichen Politik und Religion18, kam es im westdeutschen Protestantismus zu einer moralischen Aufladung von Politik, die besonders um „1968“ gesellschaftlich polarisierte. So lehnte der Tübinger Literaturwissenschaftler und Protestant Walter Jens es mit Blick auf die Studentenunruhen in der Bundesrepublik ab, die gesellschaftliche Wirklichkeit allein auf die Sphäre der Politik zu reduzieren; das Politische müsse vielmehr selbst immer wieder transzendiert werden. In der Tageszeitung „Die Welt“ wurde hingegen die Sorge laut, „daß das Evangelium des Friedens und der Liebe in die Form einer politischen Gewaltlehre, eben die des [kommunistischen, A. C. W.] Umsturzes verwandelt“ werde19. Die in diesen Beispielen thematisierte Aufweichung der Trennlinie zwischen Immanenz und Transzendenz manifestierte sich ab Mitte der 1960er Jahre in einem gesellschaftlichen und innerkirchlichen Deutungskampf über das Wesen christlicher Religion und deren Verhältnis zum (Neo)Marxismus. Der kontrovers diskutierte Zusammenhang zwischen der geschichtlichen „Horizontalen“ 16

WILLEMS, Bedingungen, 84f. So die Ausgangshypothese des von Claudia Lepp entwickelten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekts zu den „Kontroversen über Gewalt und gesellschaftlichen Wandel. Der Protestantismus und die politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren“, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstand, LEPP, Gewalt, 524 u. 536. 18 Vgl. EITLER, Gott. 19 KUSCHEL, Walter Jens, 50; WALTHER, Theologie. 17

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Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel

und der eschatologischen „Vertikalen“ generierte neuartige sozialethische (Selbst)anfragen an den Protestantismus und dessen traditionell antimarxistische Haltung. Es wird deshalb geprüft, ob die protestantische Haltung gegenüber sozialrevolutionärer Gewalt auch noch in den 1960er Jahren und im darauf folgenden „roten“ Jahrzehnt20 eine Art Gretchenfrage darstellte. Zusammen mit der Pluralisierung von Wertpositionen stieg in den „langen Sechzigern“, der Zeit zwischen 1958 und 1974, allgemein die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und an der Gestaltung der Gesellschaft aktiv zu partizipieren. Polit-moralische Einstellungen wie Humanität und Solidarität gewannen an Bedeutung. Es entwickelte sich ein „Bürgersinn mit Weltgefühl“21. Zugleich wuchs die Kritik an den institutionellen und sozialen Ordnungen der Bundesrepublik und der westlichen Welt. Die gesellschaftliche Politisierung äußerte sich in Reformbewegungen und provozierte Gegenreaktionen. Zwischen den Generationen entbrannte ein Konflikt um politische und historische Deutungsmuster, Lebensstile und Normen22. Die Schreckensbilder vom Krieg in Vietnam sollten den Entfremdungsprozess gegen Mitte des Jahrzehnts beschleunigen. Das – neomarxistischen Theorien zugeneigte – jugendliche Augenmerk galt weniger den „armen Vettern von Drüben“ als vielmehr den Problemen der „Dritten Welt“, in deren Lösung man den Schlüssel zur globalen Schaffung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit erblickte. Die gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche der 1960er Jahre zogen auch den westdeutschen Protestantismus in ihren Bann – mit all ihren Ambivalenzen. Konservative Kreise betrachteten die nun stark zunehmende Entkirchlichung der Gesellschaft mit Sorge und warnten angesichts theologischer

20

Vgl. KOENEN, Jahrzehnt. KNOCH, Bürgersinn. 22 Zur „Politisierung“ in den 1950er Jahren als Inkubationsphase, SIEGFRIED, Politisierungsschübe. Bei dem Terminus ist die Analysekategorie vom Kampfbegriff zu unterscheiden: Eine politikwissenschaftliche Definition versteht „Politisierung“ als ein „Politisch-Machen“ zuvor „unpolitischer“ Personen und Sachverhalte, als „Vorgang und/oder Ergebnis der Ausdehnung des Politischen, vor allem der Macht, gesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zu treffen“ und in zuvor „unpolitisch“ angesehene Bereiche wie private Lebensführung, Wirtschaftstätigkeit und Kultur einzudringen. In Anlehnung an Max Weber dient der Begriff des Weiteren als Schlagwort einer beabsichtigten bzw. erreichten Gefolgschaftsgewinnung von „Personen, die zu den potentiellen Mitgliedern oder Anhängern oder zu den Adressaten der erhobenen Forderungen gezählt werden“ (SCHMIDT, Politisierung). Von den (un)politischen Gegnern eines solchen Mobilisierungsversuchs, die evtl. selbst nach Machterhalt bzw. Machtgewinn streben, wird „Politisierung“ als negativ konnotierter Kampfbegriff verwendet. Gleiches gilt für diejenigen, die die Beibehaltung des Status quo intendieren. Darüber hinaus kennzeichnet er die Absicht, Ordnungs- und Entscheidungsprinzipien politischer Systeme auf andere gesellschaftliche Bereiche zu übertragen, CLAUSSEN, Politisierung, 24f.; BRINKMANN, Politisierung. 21

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Historischer Hintergrund, Frage- und Zielstellung

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Modernisierungsbemühungen vor einer Entchristlichung der Kirchen. Doch Letztere reagierten nicht nur auf die gesellschaftlichen Veränderungen, sondern waren auch am Puls der Zeit: Durch ihr Engagement in der sich globalisierenden nicht-katholischen Ökumene waren sie relativ früh für die Probleme in der Dritten Welt sensibilisiert; noch bevor die Studentenbewegung das soziale Elend in den Entwicklungsländern aufgriff und die westdeutsche Industriegesellschaft als Mitschuldigen dafür anprangerte23. Mit der Politisierung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und seiner Hinwendung zu gesellschaftlichen und weltpolitischen Fragen rückte die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der internationalen ökumenischen Diskussion. Für deren Umsetzung wollte sich der ÖRK nicht mehr nur diakonisch, sondern auch verstärkt politisch einsetzen. Mit dieser Zielsetzung verband sich – angestoßen durch die Diskussion über revolutionäre Gewaltanwendung im antikolonialen Befreiungskampf – auch die Frage nach der christlichen Legitimität eines gewaltsamen Gesellschaftswandels. Die ökumenische Debatte nahm Mitte der 1960er Jahre Fahrt auf und überdauerte die 1970er Jahre. Gesucht wurden Kriterien für die Bedingungen und Grenzen einer (un)mittelbaren Teilnahme von Christen und Kirchen an sozialrevolutionären Konflikten. Während die evangelischen Kirchen im geteilten Deutschland also gerade dabei waren, eine Friedensethik im Schatten des Kalten Krieges zu entwickeln, konfrontierte sie der ÖRK mit der Frage nach einer möglichen neuen Sinngebung für Gewalt. Der Vorstoß schlug im westdeutschen Protestantismus besonders hohe Wellen, schließlich stand er im Kontext öffentlicher Auseinandersetzungen über die Legitimität politisch motivierter Gewaltanwendung, ausgelöst durch die Studentenunruhen nach dem 2. Juni 1967 und fortgesetzt in der Terrorismusdebatte der 1970er Jahre24. Die von marxistischen Theorien inspirierte Diskussion war auch für die von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bekämpften ostdeutschen Kirchen eine heikle Angelegenheit, denn sie berührte ein Kernelement der staatlich verordneten (atheistischen) Weltanschauung in der DDR. Mit ihrer Teilnahme an der nicht-katholischen Ökumene gerieten die ostdeutschen Kirchen in ein Spannungsfeld an Erwartungen von sowohl EKD als auch SED. Die Gewaltthematik wurde so zu einem potentiellen Spaltpilz der deutsch-deutschen Ökumene. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die antagonistischen Gesellschaftsordnungen beider Staaten bei der theologischen Bewertung sozialrevolutionärer Gewaltanwendung eine Rolle spielten.

23 24

Vgl. JUCHLER, Studentenbewegungen; GRESCHAT, Protestantismus, 115. LEPP, Gewalt, 524f.

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Die Analyse der zu untersuchenden Debatten25 erstreckt sich auf insgesamt vier Teilkontroversen: die einen folgten innerkirchlich-ökumenischen, die anderen gesellschaftlich-nationalen Bezugsereignissen. Dabei handelt es sich um die Debatte im Kontext 1. einer ökumenischen „Theologie der Revolution“; 2. der Studentenbewegung in der Bundesrepublik und West-Berlin; 3. des ökumenischen „Antirassismusprogramms“ (ARP) sowie 4. des westdeutschen Linksterrorismus26. Ausgangspunkt der Debatte um eine „Theologie der Revolution“ war die Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966. Sie verursachte eine rund drei Jahre dauernde (geschichts)theologische und sozialethische Kontroverse. Ihre internationalen Bezugspunkte waren die nordamerikanische Bürgerrechtsbewegung und der Guerillakampf in Lateinamerika. Auf nationaler Ebene entstanden Wechselbeziehungen zur protestantischen Debatte über die Studentenbewegung und die von ihr erörterte Frage nach der Berechtigung und Praxis sozialrevolutionärer Gewalt in der Ersten und Dritten Welt. Außer Evangelischen Studentengemeinden nahmen auch Kirchenvertreter, evangelische Laien und Universitätstheologen an den sowohl öffentlichen als auch bewegungsinternen Auseinandersetzungen bezüglich „Gewalt“ und „Gegengewalt“ teil. Über die Grundlagen und Grenzen kirchlichen Handelns in politischen und sozialen Zusammenhängen wurde ab Herbst 1970 v. a. in der Debatte um das ARP gestritten. Das vom ÖRK aufgelegte Programm sah vor, politischen Freiheitsbewegungen, vornehmlich im südlichen Afrika, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Aussicht, dass die evangelischen Kirchen und Kirchensteuerzahler an der finanziellen Unterstützung sozialrevolutionärer Gewaltanwendung beteiligt sein könnten, löste in Deutschland eine öffentliche Kontroverse aus. Vor dem Hintergrund der westdeutschen Sicherheitsdebatte, in der der Protestantismus und die evangelischen Kirchen verdächtigt wurden, den Linksterrorismus geistig mit verursacht zu haben und ihn moralisch zu rechtfertigen und zu unterstützen, blieb der westdeutsche „Antirassismustreit“ in den 1970er Jahren auf die Gewaltthematik zugespitzt. Er führte darüber hinaus zu jahrelangen Querelen zwischen EKD und ÖRK. Das vom SED-Regime gutgeheißene ökumenische Programm war in den ostdeutschen Landeskirchen ebenso umstritten. Trotzdem ging von ihm die Gefahr aus, die in divergierenden Kontexten operierenden Kirchen in der DDR und der Bundesrepublik weiter voneinander zu entfremden. 25 Der Begriff „Debatte“ wird im Folgenden operationalisiert als kommunikatives Streitgespräch über Sachfragen. Die Termini „Kontroverse“ und „Diskussion“ werden synonym verwendet. „Diskurs“ sei hingegen verstanden als ein abgrenzbarer Zusammenhang von Kommunikation oberhalb der Ebene situativ-singulärer Äußerungen, KELLER / VIEHÖFER, Diskurs, 155. 26 LEPP, Gewalt, 525.

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Historischer Hintergrund, Frage- und Zielstellung

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Die zeitlich verbundenen und verschränkten Kontroversen waren durch ihre Akteure und deren Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster eng gekoppelt. Jede der insgesamt vier Teilkontroversen reichte über den innerkirchlichen Raum mehr oder weniger hinaus. Es wird davon ausgegangen, so die Arbeitshypothese, dass es sich bei der zeitgenössischen Gewaltfrage nicht nur um ein für Theologen bedeutendes sozialethisches Reflexionsfeld handelte, sondern in erster Linie um ein zentrales „innerprotestantisches Kampffeld“. Wechselseitige Bezugnahmen zwischen den einzelnen Teilkontroversen boten den Akteuren die Möglichkeit, Positionen zu (de)legitimieren. Die Polarisierung des westdeutschen Protestantismus konnte sich an der Gewaltfrage entladen, denn sie war der „neuralgische Punkt“ einer Politisierung von Religion und einer Moralisierung von Politik – dies schon aufgrund der pathologischen Assoziationen, die die schillernden Begriffe „Revolution“ und „Gewalt“ in der (west)deutschen Nachkriegswelt zeitigten27. Die innerprotestantische Debatte war deshalb anschlussfähig an den allgemein-politischen Gewaltdiskurs in der Bundesrepublik. Umgekehrt gewährte sie Auskunft über das gesellschaftliche Erscheinungsbild des (verfassten) Protestantismus in den Umbrüchen der 1960er und 1970er Jahre. Vor dem Hintergrund der Entkirchlichung stellt sich etwa die Frage, inwiefern der politisierte Protestantismus seine öffentliche Präsenz steigerte und der gesellschaftlich verbreiteten Institutionenkritik, die auch die Kirchen traf, begegnete. Die Debatten beinhalteten Rückfragen an die Kirchen in beiden deutschen Staaten hinsichtlich ihrer Haltung bezüglich der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Im ostdeutschen Fall gibt die Analyse der innerkirchlichen Diskussion über die „Theologie der Revolution“ und das ARP Einblick in das Staat-Kirchen-Verhältnis und die unter Kirchenführern und Theologen kontrovers erörterte Frage nach der politischen Verantwortung der Kirche im realexistierenden Sozialismus. Für den westdeutschen Protestantismus bedeuteten die Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung und die anschließende Terrorismusdebatte eine Sondierung seiner Einstellung zum demokratischen Rechtsstaat und dessen Gewaltmonopol. In der „Antirassismusdebatte“ ging es darüber hinaus um ökonomische Interessen, und damit zusammenhängend: um die protestantische Haltung gegenüber dem Kapitalismus. Eine weitere national-synchrone Vergleichsebene war das in der Ökumene und in der Studentenbewegung diskutierte Geschehen in der Dritten Welt als Schauplatz des Kalten Krieges28. Die Gewaltdebatten waren somit auch immer

27 28

EBD., 538f. EBD., 529–535.

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„Stellvertreterdebatten“ um die Frage der politischen Ordnung in Deutschland29. Bei der Analyse sind zudem jene sozialethischen Themen aufzuspüren, die auf einer diachronen Vergleichsebene sowohl national als auch international, d. h. in der ökumenischen Debatte, Klärung verlangten: etwa die revolutionsfeindlichen Traditionselemente des deutschen Protestantismus oder die kirchliche Vergangenheit im Dritten Reich; dies vor dem Hintergrund der im Rassenwahn begangenen Gewaltverbrechen. Die politischen Kämpfe in der Endphase der Weimarer Republik und die NS-Widerstandsthematik spielten auch in der allgemeinen westdeutschen Gewaltdebatte eine gewichtige Rolle, schließlich dienten sie im moralischen Schlagabtausch als Mittel, Standpunkte zu legitimieren und delegitimieren. Im Hinblick auf den theologisch-kirchlichen Diskurs stellt sich etwa folgende Frage: Von wem und auf welche Weise wurde Dietrich Bonhoeffer als historische Referenz herangezogen? Außer den Leitfiguren gilt es, auch die Akteursgruppen der Debatten zu ermitteln und zu profilieren, ihre Argumentations- und Deutungsmuster und die dabei verwendeten Gewaltbegriffe herauszuarbeiten und sie auf die gesellschaftspolitischen und kirchlichen Entwicklungen zurückzubeziehen. Gemäß der – auch auf die ostdeutsche Diskussion operationalisierbaren – Arbeitshypothese flossen im Konflikt um die Gewaltfrage neben religiösen Überzeugungen auch innerkirchliche und gesellschaftspolitische Machtfragen mit ein. Schon deshalb, so die Prämisse, ist die Untersuchung der vier Teilkontroversen nicht nur für die Religions- und Kirchengeschichte, sondern auch für die Allgemeingeschichte ein fruchtbares Unterfangen30.

1.2 Forschungsstand, Methodik und Quellen Seit dem 11. September 2001 steht der Themenkreis „Politik und Religion – Terrorismus und Gewalt“ wissenschaftlich hoch im Kurs. Der in den USA vorfindbare religiöse Fundamentalismus machte auch auf das Christentum aufmerksam. Die seither entstandene bzw. wieder neu aufgelegte Literatur verschiedenster Forschungsdisziplinen zur christlich motivierten Gewaltanwendung ist kaum noch zu überblicken31. Für Mediävisten und Frühneuzeithistoriker ist dieses Phänomen mitnichten neu. Neuzeithistorikern hingegen schien die christliche Deutung, Legitimierung und Delegitimierung gewaltsamer Kon29 30 31

Vgl. RUDDIES, Protestantismus, 211f. LEPP, Gewalt, 539. Vgl. u. a. SCHWEITZER, Religion; LIENEMANN, We; und GIRARD, Ende.

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Forschungsstand, Methodik und Quellen

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flikte in modernen Gesellschaften keine wesentliche Rolle mehr gespielt zu haben32. Die Forschung zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts fokussierte sich bislang auf die Haltung der christlichen Großkirchen zur zwischenstaatlichen Gewaltanwendung und die christliche Deutung von Kriegserfahrungen33. Im Fall der innerstaatlichen Gewaltanwendung, d. h. bei sozialen Protesten oder politischen Konflikten, wurden religiöse Deutungsmuster meist außer Acht gelassen34. Dies gilt insbesondere für die christliche Wahrnehmung, Rechtfertigung und Verurteilung politisch motivierter Gewalt im Deutschland der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch in den jüngsten Publikationen zur politischen Kultur und Gewalt in der Bundesrepublik bleibt der Aspekt der religiösen Rechtfertigung oder Verwerfung von Gewalt ausgespart35. Es ist noch offen, inwieweit dieser Umstand im Fall des Katholizismus Berücksichtigung findet36. Die Interaktion des Religiösen mit dem Politischen rückte in den letzten Jahren auf die Agenda der deutschen Zeitgeschichte. Kultur- und sozialgeschichtliche Ansätze erschlossen neue Forschungsfragen und korrigierten die bislang „bipolare Sicht“ auf die „Gesellschaftsbereiche“ Religion und Politik37. Trotz erster Fortschritte steht die zeitgeschichtliche Behandlung des religiösen Feldes in der Bundesrepublik noch immer im Schatten einer seit den 1950er und 1960er Jahren „kommunizierten Krise“: dem Säkularisierungsparadigma38. Es wurde verkannt, dass die im Zuge der Entkirchlichung vielfach belegte Entgrenzung von Religion mit den gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen eng verbunden war. In der religionsgeschichtlichen Erforschung der 1970er Jahre steht die deutsche Zeitgeschichte daher noch am Anfang39. Neben sozialwissenschaftlich fundierten Studien tra-

32

Dazu kritisch, BABEROWSKI, Zeiten. Vgl. HOLZEM, Krieg; KORFF, Alliierte. 34 LEPP, Gewalt, 523f. 35 BULST / GILCHER-HOLTEY / HAUPT, Gewalt; ANDERS / GILCHER-HOLTEY, Herausforderung; und BECKENBACH, Wege. 36 Vgl. zuletzt die Tagung „Katholische Kirche und Gewalt im 20. Jahrhundert“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ an der Universität Münster vom 19. bis 21. 5. 2010. Die Behandlung der 1960er und 1970er Jahre konzentrierte sich dabei auf die Situation in den Ländern Lateinamerikas. 37 BALBIER, Religion, 5. Vgl. RUFF, Religion. Der zitierte Forschungsbericht bezieht sich allerdings nur auf deutschsprachige Veröffentlichungen zur Religion in den USA und transatlantische Vergleiche zum Verhältnis von Politik und Religion. 38 HANIG / STÄDTER, Krise. 39 RÖDDER, Werte, 220–222. Als negatives Beispiel, vgl. JARAUSCH, Ende; als positives Gegenstück, DOERING-MANTEUFFEL / RAPHAEL, Boom, 113–115. 33

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gen auch mediengeschichtlich ausgerichtete Forschungsprojekte dazu bei, diesen dunklen Fleck allmählich zu erhellen. Bei der Untersuchung der gesellschaftlichen und kirchlich-religiösen Wandlungsprozesse in der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre ist es unabdingbar, auch die Medien ins Visier zu nehmen. Die mediale Politisierung in diesen Jahren korrelierte schließlich mit einer Medialisierung des Religiösen. Diese „Kommunikationsrevolution“ wird hier als unabhängige Variable in den Blick genommen, schließlich machte sie weder vor dem „säkularen“ Religionsjournalismus noch vor den (kirchlich gebundenen) evangelischen Medien halt40. Sie offenbarte sich auch im visuellen Bereich: in der Fotografie und den bewegten Bildern des neuen Mediums Fernsehen, wo sich die Verbildlichung von Gewalt zum Objekt und Träger der Politisierung entwickelte. So veröffentlichte die Zeitung „Kirche und Mann“ im Jahr 1966 als Titelbild die Aufnahme eines Vietnamesen, der ein durch Napalm verätztes Kind im Arm hält, mit dem Kommentar: „Auschwitz – Dresden – Vietnam: Menschen vernichten ihre Mitmenschen im Kampf für angeblich höhere Werte.“41 Durch ihren Forschungsgegenstand ist die vorliegende Studie im Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte angesiedelt. Die noch junge Disziplin erfuhr in den letzten zwanzig Jahren wachsende Aufmerksamkeit. Der interdisziplinäre Austausch zwischen Kirchen- und Allgemeinhistorikern generierte neue Akzente mit Blick auf Fragestellungen, Deutungsmodelle und Methoden. Die ganze Vielfalt der geschichtswissenschaftlichen Ansätze hielt in der Folge Einzug in die Kirchengeschichte; insbesondere der kulturgeschichtlich orientierte Zugang42. Nachdem sich die Forschung über Jahrzehnte hinweg auf die Geschichte der evangelischen Kirchen im Nationalsozialismus konzentriert hatte, wandte sie sich in den 1990er Jahren den Kirchen in der DDR zu. Auslöser hierfür war ein innerkirchlicher und wissenschaftlicher Streit um die Beziehungen der Kirchen zum Staatsapparat, dessen Wogen sich allmählich glätteten. Der lange Zeit vernachlässigte westdeutsche Protestantismus geriet dadurch wieder auf die wissenschaftliche Agenda. Auch in der DDR-For40 HANIG, Religion; GETTYS, Kirche. Vgl. die konfessionsübergreifend angelegte Arbeit der Bochumer DFG-Forschergruppe 621 „Transformation der Religion in der Moderne“. Zur „Politik der Öffentlichkeit“, (WEISBROD, Öffentlichkeit, 24f.). Zur Operationalisierung von „Medialisierung“, unten in diesem Kapitel. 41 Kirche und Mann 19 (1966), H. 11, 1. Zu dem Hinweis, KNOCH, Momente, 121. Derzeit ist nicht abzusehen, inwieweit der Gewalt-Aspekt in der Forschung zur religiösen „Visual History“ aufgegriffen wird. Vgl. bislang lediglich bei STÄDTER, Blicke, 345, allerdings mit Bezug auf den Katholizismus. 42 KAISER, Forschungsaufgaben; DOERING-MANTEUFFEL / NOWAK, Zeitgeschichte; und KUHLEMANN, Kulturgeschichte.

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Forschungsstand, Methodik und Quellen

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schung rückte die soziale Rolle der Kirchen in den Vordergrund; die traditionell begründete Engführung auf das Staat-Kirchen-Verhältnis, die die gesellschaftliche Verantwortung des Protestantismus immer im Gegenüber zur Obrigkeit definiert hatte, wurde aufgebrochen43. Darüber hinaus entstanden vergleichend angelegte Arbeiten, die die Geschichte des ost- und westdeutschen Protestantismus nach 1945 synchron in den Blick nahmen. Dabei ging es auch um die in der allgemeinen Zeitgeschichtsforschung diskutierte Frage, wie eine gesamtdeutsche Geschichte für die Zeit zwischen 1945 und 1989 zu schreiben sei44. Religionsgeschichtliche Forschungen zur deutschen Entwicklung in den 1960er und 1970er Jahren liegen bis jetzt nur vereinzelt vor. Sie entstammen – konzilsbedingt – überwiegend der Katholizismusforschung. Auf Seiten der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung hat sich in den letzten Jahren dennoch einiges getan. Zahlreiche Aufsätze und einzelne Tagungsbände bilden den Auftakt für die Erforschung der evangelischen Auf- und Umbrüche in den „langen“ 1960er Jahren45. In diesem Zusammenhang hegen sowohl die kirchliche als auch die allgemeine Zeitgeschichtsforschung Zweifel, ob die Chiffre „1968“ tatsächlich eine historische Zäsur darstellt46. Ein weiterer Gegenstand der heutigen Forschung sind die (Dis)kontinuitäten jener Entwicklungen, die die „langen“ 1960er Jahre prägten47. Der Forschungsstand zu den vier Themenfeldern dieser Studie ist wie folgt zusammenzufassen: 1. Die westdeutsche Debatte um eine „Theologie der Revolution“ führte zu einer Flut an Publikationen, fand aber kaum Berücksichtigung seitens der Wissenschaft48; von ihrer ostdeutschen Rezeption ganz zu schweigen. Die „Theologie der Revolution“ wurde nach einer kurzen Hochphase von anderen „Genetiv-Theologien“, etwa der katholischen Befreiungstheologie, abgelöst. Letztere nahm ihren Grundgedanken, das Bemühen um eine den Herausforderungen der Gegenwart entsprechende Neubestimmung des Verhältnisses von christ43 Vgl. POLLACK, Rolle. Zur Forschungsgeschichte nach 1945 und deren Desiderata, SAUER, Geschichte; FRIEDRICH, Erforschung. Vgl. auch die Auswahlbibliographie, LOOS, Kirchengeschichtsschreibung. 44 LEPP / NOWAK, Kirche; NIETHAMMER, Überlegungen. 45 HEY / WITTMÜTZ, 1968; HERMLE / LEPP / OELKE, Umbrüche; FITSCHEN U. A., Politisierung; und EHMER / LÄCHELE / THIERFELDER, Reform. Eine Auswahlbibliographie bietet LOOS, Kirchen. Zu den Forschungsdesiderata vgl. POLLACK, Protestantismus. 46 HODENBERG / SIEGFRIED, 1968; GASSERT, 1968; und LEPP, 1968, 59f. 47 Vgl. HAUSCHILD, Kirche [2007]; RINGSHAUSEN, Religion. Eine erste Regionalstudie liefert HAGER, Jahrzehnt. 48 Lediglich eine ältere theologische Studie behandelt den Gewaltaspekt in der „Theologie der Revolution“. Aufgrund ihres anders gelagerten Erkenntnisinteresses leistet sie für die vorliegende Untersuchung jedoch keinen Beitrag, SCHMALENBERG, Gewalt.

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lichem Glauben und politischer Ordnung, zwar auf, kritisierte aber ihren „westlichen“ Zuschnitt als für lateinamerikanische Verhältnisse inadäquat49. Die deutsche Debatte rezipierte die – auch aus der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) kommenden – Diskussionsbeiträge der transnationalen ökumenischen Debatte50, die sich ihrerseits an den globalen Aufbrüchen der Katholischen Kirche nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) orientierte. Die Dekolonisation und die politischen und sozialen Missstände in der Dritten Welt bildeten dabei ein überkonfessionelles Bezugsfeld, das die Gewaltfrage „internationalisierte“. Die Globalisierung des ÖRK ist derzeit Gegenstand eines zeitgeschichtlichen Forschungsprojekts, das die Auswirkungen dieses Wandels auf die europäische Ökumene untersucht. Mit Blick auf die vorliegende Arbeit wird daraus die These entlehnt, wonach die Entdeckung kirchlicher Transnationalität auch in der Gewaltthematik zu neuen Fragestellungen und Einsichten in den deutschen Kirchen führte51. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die ökumenische Diskussion um eine „Theologie der Revolution“ die Konflikte in der nationalen Gewaltdebatte zusätzlich verschärfte. Die Rückkoppelungseffekte auf die ökumenische Diskussion dürften daher ambivalent ausgefallen sein, was wiederum die Außenwahrnehmung der deutschen Debatte beeinflusste. 2. Das an argumentativen Wechselbeziehungen reiche Geflecht offenbart inhaltliche Parallelen zum Internationalismus-Diskurs der westdeutschen Studentenbewegung. Deren religiös-idealistischer Einschlag wird selbst in der allgemeinen Forschung neuerdings betont52. Dort herrscht Konsens, dass sich unter der Chiffre „1968“ Jugendrevolte und globaler Protest einerseits sowie längerfristig angelegte politische, gesellschaftliche und kulturelle Transformationsprozesse andererseits verdichteten53. Es bleibt zu klären, inwieweit die 49 STRÜMPFEL, Theologie, 156–160; WERZ, Theologie, 116; und GOLDSTEIN, Revolution. Vgl. DARSCHIN, Hinweise. Zu den sehr unterschiedlichen Traditionssträngen der „Theologie der Revolution“, ANSELM, Revolution, 1344f. 50 Die Ende der 1950er Jahre in Prag gegründete CFK diente den Regierungen der kommunistisch regierten Ostblockstaaten als politisch steuerbare „Gegenökumene“ zum westlich geprägten ÖRK. Vgl. dazu die – gewiss überzeichnete – Untersuchung von LINDEMANN, Sauerteig. 51 Das DFG-Forschungsprojekt trägt den Titel „Auf dem Weg zum globalisierten Christentum: Die europäische Ökumene und die Entdeckung der ‚Dritten Welt‘ zwischen 1966 und 1973“, http://www.ekd.de/zeitgeschichte/aufgaben_projekte/forschungsprojekte/8640.html [21. 4. 2012]. 52 KRAUSHAAR, Achtundsechzig, 268–285. In den Forschungen der Kirchlichen Zeitgeschichte zur Studentenbewegung ist der Themenkreis „Internationalismus – Gewalt – Globale Ökumene“ bislang nicht behandelt worden, vgl. LOOS, Kirchen. 53 Vgl. GASSERT, 1968. Dort wird angeregt, den religiösen und kirchlichen Konnex der Studentenbewegung genauer zu untersuchen. In den USA und Großbritannien soll dieses Milieu eine „völlig offensichtliche“ Vorbedingung gewesen sein (EBD., 13).

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Forschungsstand, Methodik und Quellen

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Dritte Welt in der protestantischen Debatte über „Achtundsechzig“ als Vergleichsebene herangezogen wurde, um „Gegengewalt“ auch in der Bundesrepublik entweder zu rechtfertigen oder zu verwerfen. Bei den Argumentationsund Deutungsmustern ist auf mögliche Querverbindungen zwischen der ökumenischen Gewaltdebatte und dem Dritte Welt-Diskurs der Neuen Linken zu achten. Die kirchliche Rezeption der Studentenproteste ist mit Blick auf den Gewaltaspekt jedenfalls noch unerforscht. Auch die wenigen Aufsätze über protestantische Engagements gehen hierauf nicht ein. Sie widmen sich vorrangig dem allgemeinen Verhältnis evangelischer (Theologie)studierender und Studentengemeinden zur „Bewegung“ oder dem Christsein Rudi Dutschkes, der mit dem „APO-Theo[logen]“ Gollwitzer und dessen Gattin Brigitte eng befreundet war. Zusammen mit seiner Frau Gretchen, einer amerikanischen Theologiestudentin, hatte der Studentenführer bei den Gollwitzers sogar geraume Zeit gelebt54. Die vor diesem Hintergrund gerade in evangelischen Kreisen retrospektiv geäußerte Ansicht, Dutschke sei Pazifist gewesen, ist mittlerweile aber widerlegt55. Dennoch steht auch die Kirchliche Zeitgeschichte vor der Aufgabe, erinnerungskulturelle Überformungen und Deutungskämpfe bei der Historisierung von „1968“ zu berücksichtigen56. Dies führt zur Frage, welche Wirkung die Äußerungen des evangelisch sozialisierten Studentenführers tatsächlich zeitigten, nachdem er in kirchlichem Zusammenhang zur Ausübung revolutionärer Gewalt gegen Menschen befragt wurde; bei der protestantischen Öffentlichkeit im Allgemeinen und der aufbegehrenden, die Schaffung von „Gegenöffentlichkeit“ anstrebenden evangelischen Jugend im Besonderen. Bei der gesamtgesellschaftlichen Kontextualisierung der protestantischen Debatte bieten die Ergebnisse der – in den letzten Jahren intensivierten – historiographischen Auseinandersetzung mit dem Gewaltaspekt in der

54

Vgl. FRIEDRICH, Fakultäten; PAUL, Bewegung; JÄHNICHEN / FRIEDRICH, Krisen; und MARRudi Dutschke. Eine repräsentative Studie zur Politisierung der Studentengemeinden in den 1960er und 1970er Jahren liegt bislang nicht vor. Vgl. MÜLLER, Gemeindeleben; LINCK, Flugzeugentführung. Einen viel versprechenden ersten Ansatz liefert die regionale Vergleichsstudie von SPIX, Elfenbeinturm. 55 KARL, Rudi Dutschke. Der frühere Oberbürgermeister von West-Berlin, Pastor Heinrich Albertz, betitelte den Nachruf auf Rudi Dutschke etwa mit der Überschrift „. . . die Bergpredigt wörtlich verstanden“. Gollwitzer wollte ihn dagegen in „keinem Sinne für das Christliche in Anspruch nehmen“ (zit. n. DUTSCHKE, Marsch, 246f.). 56 Zur Diskussion über den Einfluss von „1968“ auf Theologie und Kirche, HANUSCH, Aufstand; FREY, 68er; und DIETZ, Konservatismus. Es gibt auch Beispiele für ein kirchliches „68erBashing“, BECKER / DIRSCH / WINCKLER, 68er; AMMON, Elend. Sie unterscheiden sich von jenen Betrachtungen, wo die Grenze zwischen sachlicher Kritik und Polemik fließend verläuft, RÜTHERS, Verräter, 212f. u. 217. QUARDT,

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Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel

Neuen Linken jedenfalls gute Möglichkeiten der Hilfestellung; v. a. im Bereich der medialen Wahrnehmung57. 3. Anders als im Fall der „Theologie der Revolution“ liegen zur Rezeption des ARP des ÖRK bereits einige Untersuchungen vor. Die Gewaltfrage, die in der westdeutschen Diskussion die Rassismusthematik in den Hintergrund drängte, wird darin jedoch nicht als zentraler Untersuchungsgegenstand behandelt58. Die bereits 1979 veröffentlichte praktisch-theologische Arbeit von Christel Meyers-Herwartz beschäftigt sich mit der ersten Phase der in den westdeutschen Medien ausgetragenen Auseinandersetzung in den Jahren 1970/ 1971. Sie kommt dabei zu Erkenntnissen über das Kirchenverständnis der an der Diskussion beteiligten Akteursgruppen und deren Einstellung zum Thema Kirche und Politik59. An die Ergebnisse der unveröffentlichten theologischen Dissertation von Hans-Jürgen Schröter aus dem Jahr 1989 wird ebenfalls anzuknüpfen sein. Schröter untersuchte die Motive des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) für dessen öffentliche Befürwortung des ökumenischen Programms. Wegen mangelnden Zugriffs auf kirchliche Archivalien blieben Schröter jedoch wichtige Zusammenhänge und Hintergründe der Auseinandersetzungen zwischen BEK und EKD in der Gewaltfrage verborgen60. In den 1990er Jahren geriet das Thema in den Sog des Streits um eine Neubewertung der DDR-Kirchengeschichte. Gerhard Besier und Armin Boyens konzentrierten sich mit ihren Arbeiten darauf, die Haltung des BEK als Beleg für die „Anpassung“ der ostdeutschen Kirchen an den Staat und die von der SED gesetzten politischen Ziele zu deuten. Die Anpassungs-These ist in der Forschung jedoch sehr umstritten61. Durch die Angriffe von Besier und Boyens herausgefordert, versuchte Günter Krusche den Anpassungsvorwurf mit seiner Studie über die ostdeutsche Rezeption des ökumenischen Programms zu widerlegen. Da es sich bei dem Verfasser um einen Zeitzeugen handelt, der bereits in der Diskussion um eine „Theologie der Revolution“ über die Gewaltfrage theologisch reflektierte und Ende der 1970er Jahre am Gewaltdialog von BEK und EKD partizipierte, ist Krusches Studie für die vorliegende Arbeit durchaus von Bedeutung62. 57

Sofern in Anm. 35 oben nicht genannt: KAILITZ, Worten; DIEWALD-KERKMANN, Gewalt; PORTA, Gewalt; KOENEN, Rudi Dutschke; WIRTH, Versuch; und KÄTZEL, Geschlecht. Zu den Medien, KRAUSHAAR, 1968; ETZEMÜLLER, Feldschlachten; FÜRMETZ, Krawalle; KNOCH, Momente; und VOGEL, Unruhe. 58 Vgl. WILLIAMSON, Strategies, sowie die Regionalstudie von LANGE, Anti-Rassismus-Streit. 59 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption. 60 SCHRÖTER, Rezeption. 61 BOYENS, Rat; BESIER, Programm; und DERS. SED-Staat. Dazu kritisch, GRESCHAT, Bilanz, 17. 62 KRUSCHE, Menschen.

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4. Der Linksterrorismus in der Bundesrepublik der 1970er Jahre blieb lange eine Domäne juristischer, politik- und sozialwissenschaftlicher Studien. Mit dem Ablaufen der Sperrfristen intensivierte auch die zeitgeschichtliche Forschung ihre Auseinandersetzung mit dem noch immer medial präsenten, mythenhaften Phänomen. Noch vor wenigen Jahren konstatierte Klaus Weinhauer, die historiographische Analyse des westdeutschen Terrorismus der 1970er Jahre sei „fast völliges Neuland“. Er plädierte, die Geschichte des Terrorismus stärker kultur- und sozialgeschichtlich zu fundieren: Anhand der These, Terrorismus primär als „Kommunikationsstrategie“ zu betrachten, regte Weinhauer an, zu untersuchen, wie die Existenz und das Handeln terroristischer Gruppen – allen voran der Roten Armee Fraktion (RAF) – in den Medien und anderen Teilen der Gesellschaft interpretiert wurden, welche Sprachbilder und Metaphern dabei Verwendung fanden und welche Dramatisierungsmuster in einzelnen Situationen entwickelt wurden63. Inzwischen liegen medienanalytische Studien vor, die diesem Erkenntnisinteresse folgten und sich mit Weinhauers These auseinandersetzen64. Bei der Untersuchung der protestantischen Terrorismusdebatte wird dieser Ansatz ebenso aufgegriffen wie Weinhauers Postulat, den in der bisherigen Forschung angewandten Dualismus „Terrorismus – Staat“ aufzubrechen, schließlich änderten sich in den 1970er Jahren das Wesen staatlicher Herrschaft und die damit verbundenen gesellschaftlichen Ansprüche und Ordnungsvorstellungen grundlegend. Die Fokussierung auf den vermeintlich übermächtigen Leviathan verschließt die Sicht auf gesellschaftliche Gegenreaktionen auf den Terrorismus und zeichnet von diesem „roten“ wie auch „schwarzen“ Jahrzehnt65 ein Bild, das die gesellschaftlichen Beharrungs- und Wandlungsprozesse in der Bundesrepublik größtenteils ausklammert66. Bei der Analyse der kirchlichen und theologischen Auseinandersetzungen mit dem Terrorismusphänomen gilt es, die Gräben zu berücksichtigen, die die Gesellschaft in der Frage des Umgangs mit dem Linksterrorismus durchzogen67. Das ihn „Ernstnehmen“ bedeutete sowohl aus kon63

WEINHAUER, Terrorismus, 219–223. Zur These, DERS., Terrorismus [1998]. ELTER, Propaganda; KUNZ, Sicherheitsdiskurs; MUSOLFF, Bürgerkriegs-Szenarios; STEINSEIFER, Bombenterror; und DERS., Terrorismus. An Weinhauers These wurde moniert, das primäre Merkmal von Terrorismus bleibe die physische Gewaltanwendung. In abgeschwächter Form müsse sie daher lauten: „Terrorismus kann auch eine Kommunikationsstrategie sein“ (ELTER, RAF, 1060). 65 Vgl. LIVI / SCHMIDT / STURM, Jahre; SCHILDT, Kräfte. Zum „sozialdemokratischen“ Jahrzehnt, FAULENBACH, Siebziger. 66 Dabei gilt es auch den medial konstruierten Bedrohungszustand zu berücksichtigen, der die Staatsgewalt unter Druck setzte, den Sicherheitsapparat aufzurüsten, DIEWALD-KERKMANN, Gewalt, 228f. 67 Zum „Sympathisanten“-Diskurs in den überregionalen Printmedien, BALZ, Terroristen. 64

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servativer als auch (links)liberaler Sicht den „Einstieg in eine Art Dialog mit den Tätern“68. Vor dem Hintergrund der zeitgenössisch diskutierten evangelischen Sozialisation der weiblichen RAF-Gründer dürfte die in kirchlich-protestantischen Kreisen geführte Debatte über die Ursachen des Terrorismus Rückwirkungen auf das gesamtgesellschaftliche Erscheinungsbild des Protestantismus gehabt haben. Wegen der seit Jahren wissenschaftlich diskutierten These, die linksterroristische Gewalt sei als „intellektuelle Kopfgeburt“ der Studentenbewegung entstanden, birgt es kaum Wunder, dass die Forschung das Thema „Protestantismus und Linksterrorismus“ bislang nur unter dem Aspekt des überwiegend evangelischen Familienhintergrunds deutscher Terroristen erörterte69. Danach ebneten ein für den Protestantismus typisches Leiden an der Welt und die ihm zugeschriebene dezisionistische Unbedingtheitsforderung den individuellen Weg in den Terrorismus70. Bei den hier untersuchten Debatten werden auch die (kirchen)geschichtlichen Implikationen des von Ulrike Meinhof schon 1968 angeschnittenen Themas „Widerstand“ (zur Wiederherstellung des Rechtsstaates) beachtet, schließlich konzentrierten sich in ihm jene beiden miteinander konkurrierenden Traditionsstränge, die die politischen Strömungen des deutschen Protestantismus seit jeher auszeichneten: das freiheitlich-emanzipatorische Mandat des Gewissens und das konservierende Prinzip der Ordnung71. In den gesellschaftlichen Diskursen der 1960er und 1970er Jahre wurde „Gewalt“ als Handlungsterminus, der das staatliche Gewaltmonopol und politisch wie privat motivierte Gewaltakte umfasst, durch den auf Karl Marx zurückgehenden Begriff der nicht-staatlichen materiellen Gewalt als Strukturprinzip erweitert. Die Ausdehnung des Gewaltbegriffs auf gesellschaftliche und politische Abhängigkeitsverhältnisse wurde von Literaten, Politikern und sozialen Bewegungen übernommen und aktualisiert72. Von Johan Galtung später 68

REQUATE, Deeskalation, 451. Vgl. die Arbeiten des Sonderforschungsbereichs 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ an der Universität Bielefeld. Dieser deutet „Gewalt als Form der kommunikativen Auseinandersetzung über gesellschaftliche Probleme“ (BULST / GILCHER-HOLTEY / HAUPT, Einleitung, 8). 69 BECKENBACH, Marsch, 246. Vgl. KRAUSHAAR / WIELAND / REEMTSMA, Rudi Dutschke; LANGGUTH, Mythos; KOENEN, Urszenen; und WALTHER, Weg. 70 HERRMANN, Söhne; DIEWALD-KERKMANN, Christ, 233; und JESSE, Ursachen, 18. Vgl. die frühen Studien, FETSCHER, Probleme, 195; SCHMIDTCHEN, Karrieren, 31f. Zum idealtypischen „Protestanten“, GRAF, Protestantismus, 97. Ein transnationaler Vergleich scheidet mangels geeigneter Länder wohl aus. Vgl. JANSEN, Brigate Rosse; PEKELDER, Sympathie; und HAUSER, Deutschland. 71 STAMMLER, Strömungen, 238. Vgl. KRAUSHAAR, 1968, 86f.; MUSOLFF, Bürgerkriegs-Szenarios, 1175. 72 FABER / ILTING / MEIER, Macht, 922 u. 935.

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als „strukturelle“ Gewalt definiert, kritisierte das Konzept ursprünglich Abhängigkeits- und Ungleichheitsverhältnisse in der sich dekolonialisierenden Dritten Welt. Es verwischte allerdings die „Unterschiede zwischen legitimierten und nicht legitimierten gesellschaftlichen Zwängen“ und suggerierte eine „Zwangsläufigkeit“ zwischen solchen Pressionen und manifester physischer Gewalt als „Gegengewalt“. Seine Anwendung auf die innere Ordnung demokratisch verfasster Staaten wie die der Bundesrepublik war deshalb sehr umstritten. Gewaltanalyse geriet zur allgemeinen Gesellschaftsanalyse – „Gewalt“ zum politischen Kampfbegriff par excellence73. Nun ist es das Ziel dieser Arbeit, die Bedeutung und Funktion der Gewaltfrage im deutschen Protestantismus aus kirchen- und kulturgeschichtlicher Perspektive herauszuarbeiten. Die Analyse operiert unter der Annahme, dass sich in den zeitgenössischen Debatten über Gewalt und gesellschaftlichen Wandel die innerprotestantischen Prozesse einer Pluralisierung, Politisierung und Polarisierung im gesellschaftlichen Kontext brennglasartig verdichteten. Die Kontroversen implizierten Machtkämpfe um die Deutungshoheit über gewaltsame Handlungen. Mit der Zuschreibung von Verantwortung für „Gewalt“, so die Arbeitshypothese, konnten gesellschaftliche bzw. kirchliche Zustände, Ereignisse und Entwicklungen dramatisiert und skandalisiert, Personen stigmatisiert und Aktionen provoziert werden74. Denn parallel zur gesellschaftlichen Politisierung entstand in der Bundesrepublik der 1960er Jahren ein Krisendiskurs um das Selbstverständnis der durch das Kirchensteuersystem an den Staat gebundenen „Volkskirche“ und deren Öffentlichkeitsauftrag75. Angesichts der verstärkten „Medialisierung“ von Politik und Religion prägten auch kirchenferne Kreise die Diskussion um die Frage, wie politisch die Kirche überhaupt sein dürfe76. Die Etablierung eines kritischen Religionsjournalismus 73 SCHUMANN, Gewalt, 374. Mit Blick auf die Ausweitung des debattierten Gewaltbegriffs im Untersuchungszeitraum wird politisch motivierte Gewalt hier – eng definiert – verstanden „als Ausübung physischen Zwangs, die prinzipiell kollektiv geschieht, sich sowohl auf Sachen wie auch auf einzelne Menschen oder Gruppen richten kann und deren Akteur in dem Objekt, auf das sie zielen, zugleich das politische System als ganzes oder ein als gegnerisch verstandenes politisches Konzept zu treffen versuchen“ (DERS., Gewalt [2001], 16). 74 LEPP, Gewalt, 539. Vgl. oben 17f. 75 Zu den – auch in Zeiten der Entkirchlichung – bleibend wichtigen volkskirchlichen Handlungsformen, BEINTKER, Einheit. 76 „Medialisierung“ meint nicht nur eine sich ausweitende Durchdringung der Gesellschaft durch die Medien. Indem sich gesellschaftliche Akteure medialen Logiken anpassten, hatten auch gesellschaftliche Entwicklungen bestimmte Mediennutzungen zur Folge (BÖSCH / FREI, Ambivalenz, 9). Dieses Wechselspiel führte zu Grenzverschiebungen zwischen „öffentlichen“ und „privaten“ Kommunikationsräumen und damit zur „Politisierung von Kommunikationskonflikten“. Die Liberalisierung der westdeutschen Öffentlichkeit in den 1960er Jahren war daher sowohl

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in der ersten Hälfte 1960er Jahre gab hierfür den entscheidenden Ausschlag. Sie zeitigte eine nahezu omnipräsente „Deutungskultur“ des Religiösen, ein „komplexe[s] Zusammen- und Gegenspiel von kirchlichen und säkularen Akteuren, von Symbiose und Ausdifferenzierung kirchlicher und medialer Arbeit. Die sich daraufhin neu einstellenden kirchlichen Medienpolitiken, Rundfunksendungen, Akademien und Kirchentage versuchten Antworten auf diese Entfaltung der Medien zu geben und waren dabei [. . .] selbst fester Bestandteil des beschleunigten Strukturwandels kirchlicher medialer Öffentlichkeiten“77.

Im Hinblick auf die gesellschaftliche Debatte über „die sogenannte Politisierung der Kirche“ und die von konservativer Seite erhobene Forderung, die Kirche solle sich aus der Politik gefälligst heraushalten und Seelsorge betreiben, gilt daher folgende – der neueren historischen Gewalt- und Protestforschung entlehnte – Prämisse: „Wenn ‚politisches Handeln‘ dort beginnt, wo Akteure herrschende Wahrnehmungsschemata und Klassifikationsmuster in Frage stellen, [. . .] Situationen oder Ereignisse redefinieren, alternative Bezugswerte oder Leitideen formulieren und damit der etablierten Ordnung eine mögliche andere Ordnungskonzeption entgegensetzen, bieten die Auseinandersetzungen mit dem Gewaltbegriff ein exemplarisches Untersuchungsobjekt, um das Politische als Kommunikationsprozess zu erfassen.“78

Der Gewaltdiskurs war somit ein potentieller Akt semantischer Grenzüberschreitungen. Bei den Debatten wird daher auf die (mediale) Kommunikation über „Gewalt“ zu achten sein. Es bleibt zu klären, inwieweit sich dabei politische mit religiösen Konfliktlinien deckten. Aus sozialethischer Perspektive ging es in den Kontroversen um das Verhältnis von Protestantismus und Politik, d. h. genauer: um die politisch-ethische Verantwortung des evangelischen Christen einerseits und des landeskirchlich verfassten deutschen Protestantismus andererseits. Beide Komplexe bilden zusammen genommen die Leitfrage der vorliegenden Untersuchung. Es gilt herauszuarbeiten, was die Protagonisten unter „politischer Verantwortung“ bzw. „Politik“ überhaupt verstanden. Zu Recht betont der evangelische Sozialethiker Martin Honecker, es sei nicht die Frage, „ob aus Verantwortung oder aus Gesinnung politisch gehandelt wird“. Vielmehr geht es darum, „aus welcher Gesinnung welche Verantwortung mit welcher Zuständigkeit und mit

Ergebnis als auch Wegbereiter der politischen Medialisierung (WEISBROD, Öffentlichkeit, 20–22). Vgl. HERBERT, Wandlungsprozesse. 77 HANNIG, Religion, 10f. 78 BULST / GILCHER-HOLTEY / HAUPT, Einleitung, 18f.

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welcher Fähigkeit wahrgenommen wird“. Denn oftmals ist der gerne benutzte Begriff „Politische Verantwortung“, so Honecker, nicht mehr als eine „Leerformel“79. In ihm konzentrieren sich die Probleme einer politischen Ethik, schließlich rührt er am Spannungsverhältnis von Politik und Moral. Während die Frage der politischen Verantwortung auf individueller Ebene, d. h. vom einzelnen Protestanten, – auch mittels Güterabwägung – subjektiv beantwortet werden kann, setzt sie im verfassten Protestantismus eine nicht-autoritativ verfügbare Klärung des Verhältnisses von politischer Existenz und christlichem Glauben voraus. Kirchen müssen bei der politischen Außenvertretung von Interessen ihr Selbstverständnis und ihre politische Konzeption – ihren sogenannten Öffentlichkeitsauftrag – stets bedenken. In der innerkirchlichen Willensbildung fungieren Einzelne und Gruppen als handelndes Subjekt. Die ihrerseits ebenso daran teilnehmenden Adressaten, in erster Linie Kirchenleitungen und Synoden, werden zu Stellungnahmen und Handeln veranlasst. In diesem Prozess der Herbeiführung öffentlich verbindlicher Entscheidungen sollte den reformatorischen Kirchen „Schrift und Bekenntnis“ als Maßstab dienen. In einer offenen demokratischen Gesellschaft, deren Pluralismus sich in innerkirchlicher Vielfalt widerspiegelt, bilden derartige Aushandlungsmechanismen jedoch das „Einfallstor“ für eine politische Überfremdung des kirchlichen Auftrags zur Evangeliumsverkündigung. „Kirchenpolitik“ war und ist zwar immer eine Geschichte widerstreitender Interessen bei der Vermittlung theologischer Grundüberzeugungen mit kirchenrechtlichen Regelungen und öffentlichen Entscheidungen. „Vermittlung“, so Honecker, bedeutet aber nicht „Deduktion von Politik aus Theologie“ oder Inanspruchnahme von Theologie als „ideologischen Überbau seitens der Politik“80. Die Gewaltdebatten sind auf Grundlage dieser Überlegungen zu analysieren. Gedruckte Medien bilden dabei die vorrangige Quellenbasis, schließlich waren sie in den 1960er und 1970er Jahren – evangelische Nachrichtendienste, Wochenzeitungen, Fachzeitschriften und Monatsblätter mit einbegriffen – das „ideologische Fenster zur Welt“81. Berücksichtigt werden auch die Bereiche Rundfunk und Fernsehen. Bei der Medienanalyse stehen eine Vielzahl interagierender Öffentlichkeiten im Vordergrund82: So wird die massenmediale Perzeption und Rezeption der in evangelischen bzw. kirchlichen Foren ausge-

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HONECKER, Politik, 11. EBD., 18f. 81 FOWLER, Language, 121. 82 Es wird auf den kulturgeschichtlich orientierten Ansatz der historiographischen „Öffentlichkeit“-Forschung zurückgegriffen. Vgl. REQUATE, Öffentlichkeit; FÜHRER / HICKETHIER / SCHILDT, Öffentlichkeit. 80

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tragenen Debatten untersucht, etwa die Wiedergabe oder Kommentierung kirchlicher Stellungnahmen, Buchbesprechungen theologischer und kirchengeschichtlicher Werke, die Berichterstattung über Synoden- und Akademietagungen oder ökumenische Versammlungen sowie Interviews mit kirchlichen Repräsentanten und Universitätstheologen in überregionalen Tages- und Wochenzeitungen. Umgekehrt gilt es zu prüfen, inwieweit der massenmediale Diskurs über die Gewaltfrage, etwa in der Terrorismusdebatte, sich in den evangelischen Medien widerspiegelte. Das Augenmerk gilt möglichen FeedbackWirkungen, die die „säkulare“ (Nicht)Berichterstattung über „Protestantismus und Gewalt“ in evangelischen Medien und Foren zeitigte. In dieser insgesamt sehr heterogenen Kommunikationswelt sind Teilöffentlichkeiten zu identifizieren, die sich über Gemeinsamkeiten definierten, z. B. über Alter, Beruf, historische Erfahrung, politische Ansicht sowie Bekenntnis- und Milieuzugehörigkeit. Im Fall der Zeitschrift „Junge Kirche“ lässt sich etwa prüfen, ob ihre ältere, dem Umfeld der BK nahestehende Leserschaft in der Gewaltfrage geschlossen argumentierte. Gleiches gilt für ihre jüngere Zielgruppe, vornehmlich Theologiestudenten, Vikare sowie Bedienstete an den (Kirchlichen) Hochschulen. Die Untersuchung der innerprotestantischen Kontroversen bleibt nicht auf mediale Kommunikationsräume, wie etwa Zeitungsdiskurse, beschränkt. Behandelt wird eine weitaus größere Zahl miteinander kommunizierender „Öffentlichkeiten“83, von denen einige – insbesondere die ostdeutsche, die deutsch-deutsche und die ökumenisch-transnationale Debatte im ÖRK – nicht allgemein zugänglich waren. Im kirchlichen Bereich existierten jedenfalls sehr unterschiedliche Kommunikationssituationen und -formen84. Angesichts der vielen hier untersuchten und miteinander verwobenen Öffentlichkeiten und der Heterogenität des weiter unten skizzierten Quellenkorpus greife ich den semantikanalytischen Zugriff der historischen Diskursanalyse teilweise auf, um ein bloßes Nachzeichnen der Debatten zu vermeiden. In erster Linie bediene ich mich jedoch eines institutionen-, personen- und ideengeschichtlichen Ansatzes85. Damit wird es möglich, die Protagonisten als religiöse Individuen 83 So definiert Axel Schildt „Öffentlichkeit“ als ein „Ensemble und eine Interdependenz von medialer Produktion, Kommunikation und Rezeption, von systemischen und lebensweltlichen Mustern, von technologischen Dynamiken und kulturellen Bedeutungen, von biographischen und sozialstrukturellen Dimensionen, von Macht- und Diskursformen, existierend in der differenzierten und fragmentierten Form verschiedener Öffentlichkeiten“ (SCHILDT, Jahrhundert, 188). 84 Vgl. MITTMANN, Akademien. 85 Ohne ihren heuristischen Nutzen damit schmälern zu wollen, bleibt festzuhalten, dass auf methodologischem Gebiet noch immer Unklarheit darüber herrscht, was „Diskurs“ eigentlich bedeutet. Vgl. z. B. EDER / SIEDER, Diskursanalysen. Zur Begriffsbestimmung, oben Anm. 25.

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wahrzunehmen, deren politisches Handeln auch aus letztgültigen Glaubenssätzen hervorging bzw. mit diesen in einer Wechselwirkung stand. Die vorliegende Arbeit ist somit jenem teilweise verfemten kirchen- bzw. konfessionsgeschichtlichen „mainstream“ zuzuordnen, dem Kritiker ein trotziges auf der Stelle treten attestieren86. Ihrem kulturgeschichtlich orientierten Zuschnitt tut dies allerdings keinen Abbruch. Um die Dynamiken der vier Teilkontroversen leserfreundlich darzustellen, kombiniert die Arbeit in ihrem Aufbau chronologische mit systematischen Herangehensweisen. Die übergeordneten Kapitel unterliegen einer überwiegend zeitlichen Abfolge: Bei den ersten beiden Kapiteln, den Auseinandersetzungen um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ und die Studentenbewegung, kommt es im Übergang zu zeitlichen Überschneidungen. Die übrigen beiden Kapitel zu den 1970er Jahren behandeln die synchronen, thematisch teilweise verschränkten Debatten um das ökumenische ARP und den westdeutschen Linksterrorismus. Nach einer Einführung über die Entwicklung des deutschen Protestantismus im gesellschaftlichen Umfeld seit Ende der 1950er Jahre und den parallel dazu verlaufenden Wandel im ÖRK, beginnt der eigentliche Untersuchungszeitraum gegen Mitte der 1960er Jahre, vor dem Hintergrund des nach der Kubakrise sich entspannenden Ost-Westkonfliktes. Er endet 1979/1980, als der Kalte Krieg in einen nuklearen Schlagabtausch auszuarten drohte, und der deutsche Protestantismus sich anlässlich der Debatte um eine Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen im geteilten Europa wieder verstärkt der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung zuwandte87. Die Foren der hier untersuchten Debatten waren sowohl kirchenleitende Gremien als auch Gemeindekreise, der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT), Evangelische Akademien sowie die Gegen- bzw. Parallelveranstaltungen der evangelikalen Bewegung. Weitere Austragungsorte waren Evangelische Studentengemeinden, Universitätsveranstaltungen sowie Gesprächsrunden in Fernseh- und Rundfunksendungen. Es beteiligten sich (Universitäts)Theologen, kirchenleitende Personen und Mitarbeiter sowie evangelische Laienchristen, die sich privat, etwa als Kirchgänger oder Kirchensteuerzahler, beruflich oder auch ehrenamtlich – etwa als Synodale bzw. Mitglieder kirchlicher Ausschüsse, z. B. einer der Kammern der EKD – in die Kontroversen einschalteten. Darunter befanden sich insbesondere Politiker, Publizisten, Journalisten, Wissenschaftler und (Theologie)Studenten.

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Vgl. EITLER, Gott, 23. Zum Jahr 1979 als globale Zeitenwende, BÖSCH, Umbrüche.

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Die Debatten wurden anhand einer breiten Basis veröffentlichter und unveröffentlichter Quellen analysiert. Aus dem Bereich des publizierten Schriftguts im Zeitraum 1966 bis 1980 wurden außer Monografien, Textsammlungen, Konferenzdokumenten und Synodalberichten insbesondere Zeitungen, Zeitschriften und Pressedienste88 ausgewertet. Komplett durchgesehen wurden kirchlich-theologische (Fach)Zeitschriften89, christliche Wochenzeitungen90 und – teilweise tendenziöse91 – Monatsblätter mit evangelischer Leserschaft. Unter der Zielvorgabe, ein möglichst breites politisches Spektrum92 abzudecken, sind aus dem Bereich der „säkularen“ Printmedien gleich mehrere überregionale Tages- und Wochenzeitungen ausgewertet worden. Vollständig eingesehen wurden das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und die Wochenzeitung „Die Zeit“, beides „liberal“ orientierte Periodika. Während die Auflagenzahlen der eher konservativen „Christ und Welt“ – in den 1950er Jahren noch eine der führenden deutschen Wochenzeitungen – im Untersuchungszeitraum stagnierten, verzeichnete „Die Zeit“ große Zuwachsraten93. „Der Spiegel“ gründete in den 1960er Jahren wiederum eine eigene Kirchenredaktion. Eine unter 100 evangelischen Pfarrern 1965 durchgeführte Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie ergab, dass jeder Dritte regelmäßig den „Spiegel“ las. Im Fall von „Christ und Welt“ und dem evangelischen „Sonntagsblatt“ – dem späteren „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ – gab

88 Lückenlos durchgesehen wurden die Zentralausgabe und die Reihe „Dokumentation“ des „Evangelischen Pressedienstes“ (epd), der „Evangelische Nachrichtendienst in der DDR“ (ENA) und der „Informationsdienst der Evangelischen Allianz“ (IDEA). 89 In alphabetischer Reihenfolge: „Deutsches Pfarrerblatt“, „Evangelische Kommentare“, „Evangelische Theologie“, „Junge Kirche“, „Kirche und Mann“, „Lutherische Monatshefte“, „Ökumenische Rundschau“, „Pastoraltheologie“, „Stimme der Gemeinde“ und „Zeitschrift für Evangelische Ethik“. Aus dem Bereich der DDR wurden die für kirchliche Mitarbeiter bestimmten – und staatlich immer stärker zensierten – „Zeichen der Zeit“ ausgewertet. 90 Neben den überregional vertriebenen evangelischen Organen „Christ und Welt“, „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt“ und „Junge Stimme“ wurde auch das „Berliner Sonntagsblatt. Die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin-Brandenburg“ (BSBl) untersucht. 91 Dies gilt für die in längeren Zeitabständen veröffentlichten „Nachrichten der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“ (NNED; später: „Erneuerung und Abwehr“), den „Informationsbrief der Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“ (IBKAE) und „Konservativ heute“. 92 Der umstrittene Begriff „Leitmedium“ erweist sich im Bereich des Religionsjournalismus als besonders problematisch – auch mit Blick auf die Entwicklung der bundesdeutschen Presselandschaft in den 1960er und 1970er Jahren. Von charakterisierenden Zuschreibungen wie „populistisch“, „konservativ“, „links“- bzw. „rechtsliberal“ kann insofern nur sehr bedingt gesprochen werden. Vgl. WILKE, Leitmedien. 93 SCHILDT, Zeit, 22. Vgl. LENHARD, Marketing-Strategien.

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Forschungsstand, Methodik und Quellen

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jeder zweite evangelische Pfarrer an, diese zu lesen94. Bei den Tageszeitungen wurde eine auf gesellschaftliche und kirchliche Ereignisse bezogene punktuelle Auswertung vorgenommen. Im Fall des „konservativen“ bzw. „rechtsliberalen“ Spektrums waren dies „Bild“, „Die Welt“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Dem linksliberalen Spektrum sind wiederum die „Frankfurter Rundschau“ (FR) und die „Süddeutsche Zeitung“ zuzuordnen. Als einzige Publikumszeitschrift wurde der „Stern“ ausgewertet. Da dieser sich auf die Entwicklungen in der Katholischen Kirche konzentrierte, zeitigte die Durchsicht leider nur wenige themenrelevante Treffer95. Archivierte Presseausschnittsammlungen ermöglichten zusätzliche Einblicke in die Berichterstattung einzelner Lokal- und Regionalzeitungen. In den Bereich der unveröffentlichten Quellen fallen auch einzelne Manuskripte von Radio- und Fernsehsendungen. Unter den vornehmlich kirchlichen Archiven, die besucht wurden, rangiert das Evangelische Zentralarchiv in Berlin an erster Stelle. Dort wurde besonders intensiv mit den Beständen der Kirchenkanzlei der EKD (hinsichtlich des deutsch-deutschen Dialogs: deren Berliner Stelle), des Kirchlichen Außenamtes der EKD und den Nachlässen führender EKD-Angestellter gearbeitet, darunter auch der umfangreiche Privatnachlass des Universitätstheologen Helmut Gollwitzer. Mit Blick auf die ostdeutschen Kirchen wurden u. a. die Akten des Sekretariats des BEK eingesehen. Da der ebenfalls im Berliner Zentralarchiv verwahrte Bestand der Evangelischen Studentengemeinde in der Bundesrepublik und Berlin (West) kaum Auskünfte bietet über die in örtlichen Studentengemeinden geführten Debatten, wurde auch in den landeskirchlichen Archiven in Berlin, Hamburg, Hannover, Kiel und Nürnberg nach entsprechendem Quellenmaterial gesucht96. Primäres Ziel der dortigen Besuche war es, die Hintergründe der landeskirchlichen Debatten zu beleuchten und Informationen über die Auseinandersetzungen in der EKD, dem ÖRK und den bekenntnisspezifischen kirchlichen Zusammenschlüssen zu ermitteln. Insbesondere die amtlichen und privaten Nachlässe von Landesbischöfen wurden hierfür ausgewertet. Neben Informationsmaterial zu einzelnen Veranstaltungen in den Evangelischen Akademien beherbergen die landeskirchlichen Archive auch Flugblattsammlungen und sogenannte Bewegungsliteratur, was wiederum Rückschlüsse ermöglicht über die kirchliche Wahrnehmung der Neuen Linken in den 1960er und 1970er Jahren. Die Recherchen im Archiv „APO und soziale Bewegungen“ an der 94 Unter katholischen Geistlichen waren es nur sechs Prozent, NOELLE / NEUMANN, Jahrbuch, 325–327. 95 Vgl. DÖRGER, Theologie, 162. 96 Zur Quellenproblematik im Fall der Evangelischen Studentengemeinden, unten Kap. 3.2.

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Einleitung: Protestantismus, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel

Freien Universität Berlin und im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung dienten umgekehrt dem Ziel, zu klären, wie die Bereiche Theologie und Kirche einerseits und der protestantische Gewaltdiskurs andererseits in der Neuen Linken wahrgenommen wurden. Unter diesem Gesichtspunkt wurde auch der in Hamburg mittlerweile zusammengeführte Nachlass Rudi Dutschkes ausgewertet. Im Berliner APO-Archiv fand sich Schriftgut, welches das Engagement junger „Linksprotestanten“ innerhalb der Studentenbewegung ebenso erhellt wie die bewegungsinterne Sicht auf diesen Personenkreis. Mit Bezug auf die „Politisierung“ des westdeutschen Protestantismus in den „langen“ 1960er Jahren wurde auch im Berliner Unternehmensarchiv des Axel Springer Verlags recherchiert. Der von einem gläubigen Protestanten geleitete Medienkonzern war bekanntlich der Hauptfeind der Studentenbewegung; später geriet er ins Visier linksterroristischer Gruppen. Bei der Akteneinsicht interessierte daher die Verlagspolitik des Hauses Springer gegenüber den evangelischen Kirchen im Allgemeinen und dem Protestantismus und seinen Gewaltdebatten im Besonderen97.

97 Leider war es nicht möglich, den dort verwahrten Nachlass Axel Springer einzusehen. Nach dem Erscheinen der Springer-Biografie im Jahr 2007 wurde der Zugang für Außenstehende bis auf weiteres gesperrt. Vgl. SCHWARZ, Axel Springer. Besonders bedauerlich ist dieser Umstand mit Blick auf die 1970er Jahre.

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2. Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968)

Die theologische Diskussion um eine Überprüfung des protestantischen Obrigkeitsverständnisses wurde gegen Ende der 1950er Jahre im deutschlandpolitischen Kontext fortgesetzt (Kap. 2.1). Die Verschränkung des Ost-WestKonflikts mit dem Nord-Süd-Gegensatz zeitigte eine topographische und sozialethische Themenverlagerung in der globalisierten nicht-katholischen Ökumene. Um die Hintergründe der westdeutschen Debatte über das ökumenische Phänomen „Theologie der Revolution“ verständlich zu machen, bedarf es einer Skizze über den gesellschaftlichen Wandel nach dem Berliner Mauerbau, schließlich war die Entwicklung der evangelischen Kirchen in Deutschland mit den Wegstrecken der deutschen Zweistaatlichkeit eng verknüpft (Kap. 2.2). Der auch als zweiter Gründungsakt der Bundesrepublik charakterisierte Modernisierungsprozess wurde begleitet von Kontroversen über kirchliche, politische und theologische Fragen. Die Dekolonisation konfrontierte die deutschen Kirchen mit neuartigen sozialethischen Herausforderungen (Kap. 2.3). Für den revolutionären Neigungen abholden deutschen Protestantismus bedeuteten die ökumenisch verhandelten Stichworte „Nationalismus“, „Rassismus“, „Offenbarung“ und „Gewalt“ empfindliche Anfragen an die eigene Vergangenheit (Kap. 2.4). Aufgrund der (kirchen)politischen und theologischen Situation im geteilten Deutschland, entwickelte die im Jahr 1966 beginnende Auseinandersetzung mit der „Theologie der Revolution“ und der damit assoziierten Gewaltfrage eine eigentümliche Brisanz (Kap. 2.5).

2.1 Deutschlandfrage und kirchliche Ost-West-Gemeinschaft Am 8. Mai 1945 endete die Existenz des Deutschen Reiches als eigenständiges Völkerrechtssubjekt. Schwer wog auch der Verlust der vornehmlich protestantisch geprägten deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße und die damit einhergehende „Überführung“ der Bevölkerung in die weiter westlich gelegenen vier Besatzungszonen. Trotz tiefgreifender konfessioneller und ekklesiologischer Differenzen einigten sich die Kirchenvertreter im Sommer 1945 auf

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eine vorläufige Ordnung der EKD1. Bis zur Verabschiedung ihrer endgültigen Grundordnung in Eisenach 1948 blieb der kirchliche Aushandlungsprozess weiterhin gekennzeichnet durch theologisch wie politisch motivierte Machtkämpfe. Die Trennlinie verlief quer zu der sich allmählich abzeichnenden Abgrenzung der sowjetischen Besatzungszone. In der als gesamtdeutscher Bund bekenntnisverschiedener Gliedkirchen verfassten EKD standen sich – grosso modo – ein lutherischer Mehrheitsprotestantismus und ein von den Kirchlichen Bruderschaften repräsentierter Minderheitsprotestantismus gegenüber. In den Bruderschaften war der entschiedene Flügel des in der BK organisierten „Kirchenkampfes“ versammelt. Nach ihrem Selbstverständnis sahen die Bruderschaften ihre Aufgabe darin, die ekklesiologische und theologische Tradition dieses nicht unmittelbar gegen das NS-Regime gerichteten, vielmehr zum Zweck kirchlicher Selbstbehauptung geführten Abwehrkampfes fortzusetzen2. Sie bekundeten lautstark ihren Unmut gegen eine aus ihrer Sicht an die Zeit vor 1933 anknüpfende kirchenpolitische, theologische wie auch gesellschaftliche „Restauration“3. Auch als Reaktion auf ihre personelle Ausbootung im Konflikt um die ekklesiologische Grundausrichtung der EKD4 nahmen die zunächst primär aus deutschlandpolitischen Motiven zu Pazifisten gewandelten Vertreter dieses bruderrätlichen Flügels, Martin Niemöller und Gustav Heinemann, die nach dem Ausbruch des Koreakrieges virulent gewordene Frage nach einer westdeutschen Wiederaufrüstung zum Anlass, gegen die Außenpolitik unter Konrad Adenauer und deren Billigung seitens der EKD unter dem Vorsitz von Otto Dibelius, dem Bischof von Berlin-Brandenburg, Stimmung zu machen5. Die Opponenten der bruderrätlich-„linksnationalen“ Position lehnten es unter Berufung auf die „Chiffre“ der lutherischen Zwei-ReicheLehre ab, die politische Frage einer Wiederbewaffnung kirchlich zu beantworten und diese Antwort als Position der Kirche nach außen zu vertreten6. In 1 HAUSCHILD, Kirchenversammlung, 19. Zur Frage, inwieweit die EKD als „Kirche“ zu qualifizieren ist, DERS., Kirche [1982], 670. 2 Dazu einführend, NICOLAISEN, Nationalsozialismus, 83f. 3 DIEM, Restauration. Zur Diskussion, MEHLHAUSEN, Restauration, 91f. 4 Dazu die Einleitung bei FIX, Protokolle, 12–18. 5 BECKMANN, Zeitgeschichte [1950], 160–227. Zu diesem Kreis gehörten auch Gollwitzer, Iwand, der Berliner Theologe Martin Fischer sowie Wolfang Schweitzer, Mitarbeiter im Genfer Stab des ÖRK und später Systematiker an der Universität Heidelberg und der Kirchlichen Hochschule Bethel. Zur „linksnationalen“ Positionsbestimmung, vgl. die Auseinandersetzungen um das – auch intern – umstrittene sogenannte Darmstädter Wort des Bruderrates der EKD „zum politischen Weg unseres Volkes“ vom 8. 8. 1947, LEPP, Tabu, 67–74; LUDWIG / SCHRIDDE, Freiheit. 6 ANSELM, Zweireichelehre, 776.

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ihrer privaten politischen Meinung unterstützten sie überwiegend den Kurs der Bundesregierung. Die bruderrätliche Position bezog sich auf das Deutungsmodell von der Königsherrschaft Christi7, nach der kein Bereich – auch nicht der politische – von der Herrschaft Christi ausgenommen sei; vielmehr seien sie im Gehorsam gegenüber Gott dazu aufgerufen, die eschatologische Verheißung vom Anbrechen des kommenden Reich Gottes auf Erden zeichenhaft vorwegzunehmen, indem sie selbst einen aktiven Beitrag zur Verbesserung menschlicher Verhältnisse leisten. Beide Seiten beriefen sich damit auf jene zentralen Deutungsmodelle, die in der Barmer Theologischen Erklärung aus dem Jahr 1934, dem wichtigsten theologischen Dokument aus der Zeit des „Kirchenkampfes“, noch für komplementär angesehen wurden8. Der EKD-interne Streit um die Wiederbewaffnung war daher nicht nur eine tagespolitische Auseinandersetzung um die Frage des politischen Mandats der Kirchen. Die emotional geführte Debatte war ein um Deutungshoheiten geführter Streit um das theologische Erbe der BK. Letztlich endete er in der Selbstisolierung der bruderrätlichen Kreise um Niemöller. Seine vehement von antiwestlichen und antikatholischen Ressentiments getragene friedensethische Forderung nach einer Preisgabe der Westintegration der Bundesrepublik zugunsten der Konstituierung eines neutralen wiedervereinigten Deutschland stieß selbst in wohl gesonnenen EKD-Kreisen auf wachsendes Unverständnis9. Die Forderung nach einem „Dritten Weg“ in der Deutschlandfrage belastete – nonens volens – auch die kirchliche Ost-West-Gemeinschaft in ihrer Funktion als letzte gesamtdeutsche Klammer. Ostdeutsche Kirchenvertreter argwöhnten, jede kirchliche Äußerung zur Wiederaufrüstung der Bundesrepublik sei Wasser auf die Mühlen der DDR-Friedenspropaganda10. Die schwindende Aussicht auf die noch immer herbeigesehnte staatliche Wiedervereinigung unter westlichen Vorzeichen und die gleichzeitige Furcht vor der Entfesselung staatlicher Repressalien stürzten die ostdeutschen Christen in eine „Woge tiefer Depression“11. Mit der Drohung, die gesamtdeutsche EKD-Arbeit zu unter7 Ihr wirkungsmächtigster Exponent nach 1945 war der – bereits oben genannte – reformierte Baseler Theologe Karl Barth. Vgl. BARTH, Christengemeinde. Zur exegetischen Behandlung dieses „vielschichtigen Sachverhalt[s]“ (WALTHER, Königsherrschaft, 311). Vgl. die Pionierstudie von CULLMANN, Königsherrschaft. 8 Vgl. die Thesen II und V. Einen einführenden Überblick samt Arbeitshilfe bietet ERKLÄRUNG. 9 GRESCHAT, Christentumsgeschichte, 272. 10 LEPP, Tabu, 116f. 11 So Dibelius’ Einschätzung während seiner Predigt in der Ostberliner Marienkirche am 2. Advent 1955, zit. n. BECKMANN, Zeitgeschichte [1955], 166. Zur Systematisierung der DDRKirchenpolitik als verdeckte Repression, GOERNER, Kirche, 111.

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binden, forderte die SED die ostdeutschen Kirchenleitungen ultimativ dazu auf, ihre „Überwinterungshaltung“ zugunsten der Mitarbeit am Aufbau des Sozialismus einzustellen12. Seit der doppelten Staatsgründung bestand im Rat der EKD Einigkeit, dass es sich bei der DDR-Führung um eine rechtmäßige Obrigkeit gemäß der Zwei-Reiche-Lehre handelt. Trotz der Verschärfung des kirchenpolitischen Kurses galt auch Mitte der 1950er Jahre noch immer das Diktum des Ratsvorsitzenden: „Eine de facto-Obrigkeit kann von uns immer anerkannt werden, ganz gleich, auf welchem Weg sie zustandegekommen ist; aber sie [die Kirche, A. C. W.] kann nicht schweigen, wenn die Regierung Dinge tut, die verlogen sind. Man kann eine Regierung annehmen und trotzdem sagen: Eine sittliche Autorität hat diese Regierung nicht.“13

Die Drohkulisse der SED zielte letztlich darauf ab, mittels der Autorität kirchlicher Loyalitätserklärungen an der kirchlichen Basis um mehr Vertrauen in die sozialistische Außen- und Innenpolitik zu werben. Die abgerungenen Loyalitätsbekundungen waren wiederum dazu gedacht, einen Keil in die Ost-WestGemeinschaft der EKD zu treiben, indem sie eine Entfremdung der ostdeutschen Kirchenleitungen gegenüber den westdeutschen Landeskirchen bewirkten14. Auf ihrer außerordentlichen Tagung verweigerte die Synode der EKD 1956 die geforderte Loyalitätserklärung. Einer „Bundesrepublikanisierung“ Gesamtdeutschlands erteilte sie in Berlin jedoch ebenfalls eine Absage und verwies auf den provisorischen Charakter beider Staaten15. Die SED reagierte mit weiteren Schritten zur Verdrängung der Kirchen aus dem öffentlichen Leben der DDR. Den Hebel setzte sie bei der Jugend an, jener Zielgruppe, die sie zur Schaffung des sozialistischen Neuen Menschen von Anfang an auserkoren hatte. Parallel zur endgültigen Verdrängung des Religionsunterrichts aus den DDRSchulen erhöhte der Staatsapparat 1957/58 den Druck zur Durchsetzung der 1954 initiierten und als atheistischer Initiationsritus in Konkurrenz zur Konfirmation stehenden Jugendweihe16. Angesichts der von den Landeskirchen unterschiedlich beantworteten Frage nach einer gemeinsamen Reaktion auf diesen staatlichen Vorstoß gelang es der SED, die Heterogenität einer ver12

LEPP, Tabu, 226; BECKMANN, Zeitgeschichte [1956], 149–154. Mitschrift des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser über die Sitzung des Rates der EKD am 11. / 12. 10. 1949, zit. n. LEPP, Tabu, 101. 14 GOERNER, Kirche, 309f. u. 397. 15 LEPP, Tabu, 234f. 16 Vgl. GOERNER, Kirche, 278–280; WENTKER, Einführung. 13

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meintlich geschlossenen kirchlichen Abwehrfront nach außen sichtbar zu machen17. Die kirchliche Verunsicherung verstärkte sich schon deshalb, weil der mit gesellschaftlichen Sanktionen kombinierte staatliche Druck bei der christlichen Bevölkerung allmählich Wirkung zeigte18. Eine öffentlich gelebte christliche Sozialisation war fortan nur noch zum Preis eingeschränkter Bildungs- und Berufsmöglichkeiten zu haben. Zusammen mit der Einführung weiterer atheistischer Ersatzrituale ging die SED in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre somit dazu über, ihren Führungsanspruch in allen Lebensbereichen durchzusetzen. Im Mai 1958 stellte die DDR-Führung den Kontakt zur EKD ein. Die ostdeutschen Kirchenvertreter verabschiedeten daraufhin ein gemeinsames Kommuniqué, in dem sie den Vorwurf eines verfassungswidrigen staatlichen Eingriffs in die Religionsfreiheit zurücknahmen und dabei bekräftigten, dass der im Vorjahr abgeschlossene Militärseelsorgevertrag zwischen EKD und Bundesregierung für die ostdeutschen Gliedkirchen keine Gültigkeit besitze19. Ferner war man dazu bereit, der staatlichen Forderung nach einer Loyalitätserklärung entgegen zu kommen. In der Erklärung heißt es, dass die Kirche „grundsätzlich mit den Friedensbestrebungen der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung übereinstimmt. Ihrem Glauben entsprechend erfüllen die Christen ihre staatsbürgerlichen Pflichten auf der Grundlage der Gesetzlichkeit. Sie respektieren die Entwicklung zum Sozialismus und tragen zum friedlichen Aufbau des Volkslebens bei.“20

Mit dem Kommuniqué hatte die SED die ostdeutschen Kirchen dazu gebracht, faktisch „selber den ersten Schritt“ zugunsten einer organisatorischen EKD-Spaltung zu vollziehen21. Die Erklärung wurde in den Kirchen unterschiedlich kommentiert. Die als gesamtdeutsche Gemeinschaft unierter Landeskirchen verfasste Evangelische Kirche der Union (EKU) verteilte intern eine Handreichung, die die ostdeut17 Zur These, es handele sich hierbei um ein zäsurartiges „Paradebeispiel für die ‚innere Differenzierung‘ zwischen den Landeskirchen“, die einer allgemeinen kirchlichen Anpassung an das SED-Regime den Weg bereitete (BESIER, SED-Staat, 290). Vgl. dazu relativierend, POLLACK, Rolle, 86f. 18 Zum Rückgang der Konfirmandenzahlen bei einem zeitgleich rasanten Anstieg durchgeführter Jugendweihen, vgl. das Beispiel Rostock, DOERING-MANTEUFFEL, Religionspolitik, 270. Zur Entwicklung der Zahl registrierter Jugendweihen in der DDR, WENTKER, Einführung, 163f. 19 Zur mittlerweile relativierten Bedeutung des Militärseelsorgevertrags für die SED-Politik gegenüber der EKD, GOERNER, Kirche, 324–333; DOERING-MANTEUFFEL, Religionspolitik; und BOYENS, Staatssekretariat. 20 Abgedruckt in: NIEMEIER, Kirche [1958], 105f. Vgl. dazu BECKMANN, Kirchen [1958], 137f. 21 GOERNER, Kirche, 398.

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schen Christen zur gesellschaftspolitischen Mitarbeit aufrief und Republikflucht als „glatte Lösung“ ablehnte22. Die ebenfalls gesamtdeutsche Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD), der sich als Kirche verstehende Zusammenschluss lutherischer Landeskirchen, erarbeitete einen Gegenentwurf, der die DDR-Führung als von Gott eingesetzte Obrigkeit gemäß Römer 13 zwar anerkannte, zugleich jedoch betonte, Christen könnten „die Tatsache, in einem atheistischen Weltanschauungsstaat zu leben, nur hinnehmen und erleiden, aber nicht billigen und fördern“23. Trotz gewisser Übereinstimmungen differierten beide Handreichungen in grundsätzlichen Fragen24. Letztlich ging es um die ins Praktische übersetzte Frage nach einer protestantischen Interpretation des Marxismus-Leninismus im Allgemeinen und dessen Atheismus im Besonderen25. Auf EKD-Ebene wurde sie im Dissens beantwortet. Zwei Positionen standen sich gegenüber: Für die eine Gruppe war der Atheismus ein geschichtlich überwindbarer akzidentieller Bestandteil des Marxismus, für die andere Gruppe dagegen ein geradezu konstitutives Element dieser Weltanschauung26. In dieser Situation veröffentlichte der an der Kirchlichen Hochschule WestBerlin lehrende Theologe Martin Fischer seine Schrift „Obrigkeit“, die er Gus22 So der Text der in der DDR hektographierten und „nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“ bestimmten Handreichung „Das Evangelium und das christliche Leben in der DDR“, zit. n. FRIEBEL, Kirche, 268. 23 „Der Christ in der DDR“, VELKD-Handreichung vom 3. 11. 1960, zit. n. BECKMANN, Kirchen [1960], 248. 24 FRIEBEL, Kirche, 245 u. 242. Zu beiden Handreichungen, EBD., 258f. u. 265–271. 25 Vgl. die Studien der „Marxismuskommission der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien“, einer von den Landeskirchen, den Akademien und dem DEKT getragenen Einrichtung. Die Kommission arbeitete seit 1952 mit der Zielvorgabe, die Vielschichtigkeit des „Marxismus“ von wissenschaftlicher Seite her zu beleuchten. Die bipolare Weltsituation in Blick nehmend, fragten sich ihre Mitglieder – u. a. der schon eingangs genannte Berliner Theologe Helmut Gollwitzer –, ob „es noch Ansatzpunkte eines gemeinsamen Gesprächs“ zwischen Ost und West gebe oder ob „sich bereits in der Mitte Europas ein Riß gebildet“ habe, „der zu einem ständig sich ausdehnenden geistigen Vakuum“ führe (METZKE, Vorwort, 6). Der Tod Stalins im Jahre 1953 war dabei ein Hoffnungsschimmer. Und dennoch war die Kommissionsarbeit in den kommenden Jahren nicht allein von der „Einsicht“ bestimmt, „daß die aus dem 19. Jahrh[undert] überkommenen Grundlagen [. . .] bei der Marxinterpretation [. . .] nicht mehr tragfähig sind“. Hinzu kam „ein aktuelle[s] Interesse“ angesichts des Umstandes, daß „viele dieser [die Marxismusinterpretation betreffenden, A. C. W.] Fragen [. . .] neu in Fluß gekommen“ waren (EBD., 8). Es bedingte die vorsichtig formulierte Zuversicht, der von Stalin in ein statisches Legitimationskorsett gezwängte Dialektische Materialismus könnte von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wieder entdeckt und in den Dienst von Reformen gestellt werden. Zur Behandlung des Atheismus-Problems durch die Marxismuskommission, vgl. die schriftliche Überarbeitung eines von Gollwitzer 1958/1959 in zwei Sitzungen vorgetragenen Referats, GOLLWITZER, Religionskritik. 26 GRESCHAT, Römer 13, 65–78; DERS., Anleitung.

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tav Heinemann zu dessen 60. Geburtstag widmete27. Unter Rückgriff auf die Überlegungen der EKU-Handreichung zielte Fischer auf eine Positionsbestimmung der Kirchen gegenüber beiden deutschen Staaten. Er plädierte, die theologische Gesamtbeurteilung neuzeitlicher Ordnungssysteme weniger von funktionalen Maßstäben – wie in These V der Barmer Theologischen Erklärung paradigmatisch dargelegt – abhängig zu machen. Fischer wollte den theologischen Nachweis erbringen, dass es sich bei der DDR um einen Staat ohne Abstriche handelte. Er kritisierte die einseitige kirchliche Parteinahme für den „Westen“. Den Nachweis, worin die Gründe für dieses Verhalten lagen, blieb er jedoch weitgehend schuldig. Dessen ungeachtet zog er aus seiner Grundüberlegung den Schluss, dass auch eine demokratisch gebildete Regierung als Obrigkeit im theologischen Sinn zu verstehen sei28. Mit seiner impliziten Gleichstellung der politischen Systeme in beiden deutschen Staaten gab Fischer wohl29 den entscheidenden Impuls für Dibelius’ sogenannte Obrigkeitsschrift, die dieser unter dem Titel „Obrigkeit?“ dem Landesbischof von Hannover, Hanns Lilje, zu dessen 60. Geburtstag widmete30. In dem nach eigenen Angaben nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmten Privatdruck31 widersetzte sich Dibelius gegen eine theologisch begründete Gleichstellung des DDR-Regimes mit dem demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik als Gott verordnete Obrigkeit. Mit Blick auf die von ihm mitnichten geliebte, dennoch aber favorisierte Demokratie bezweifelte er die Anwendbarkeit des spätmittelalterlichen Obrigkeitsbegriffs auf das westdeutsche parlamentarische Regierungssystem32. Das Regierungssystem der DDR bewertete er am Maßstab seiner persönlichen Erfahrungen im totalitären NSWeltanschauungsstaat. Letztlich sah er sich dazu bewogen, das dortige Herrschaftssystem indirekt als atheistischen „Totalstaat“ zu bezeichnen. Es wäre „Hohn auf die deutsche Sprache“, die Machthaber eines solchen Regimes – ein 27

FISCHER, Obrigkeit, 24–37. EBD., 74–82. 29 Vgl. Dibelius’ Kritik in seinem Brief an Fischer vom 25. 7. 1959, STUPPERICH, Otto Dibelius, 540f. 30 DIBELIUS, Obrigkeit. Die im Folgenden genannten bzw. zitierten Textstellen beziehen sich auf den im Kirchlichen Jahrbuch aufgeführten Textabdruck, NIEMEIER, Kirche [1959], 123–129. 31 Später beteuerte Dibelius, er habe 400 Exemplare „für Berliner und Brandenburger Pfarrer, die sich etwa dafür interessieren sollten“, zur Verfügung gestellt (zit. n. NIEMEIER, Kirche [1960], 66). Folglich dürfte er die Verbreitung in kirchlichen Zirkeln mitnichten abgelehnt haben. Es gibt aber auch Hinweise, dass das Ministerium für Staatsicherheit (MfS) eine systematische Verbreitung veranlasste, KNABE, Republik, 264. 32 NIEMEIER, Kirche [1959], 125. Dafür erntete er auch Kritik, THIELICKE, Staat. Zur weiteren Begriffsklärung, HERMS, Obrigkeit, 723. Zu Dibelius’ Wirken in den verschiedenen Epochen der deutschen Geschichte, FRITZ, Otto Dibelius; STUPPERICH, Otto Dibelius. 28

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System, das er um Gottes „willen überwunden sehen möchte“ – „als ‚Obrigkeit‘ zu bezeichnen“33. Die Schrift endet mit der offenen „Frage, wie der Gehorsam praktisch aussehen muß, den der Christ den rechtmäßigen und den unrechtmäßigen Gewalten zu leisten“ habe34. Die im September 1959 in Umlauf gebrachte Schrift löste deutschlandweite Debatte aus, an der sich Theologen beider Konfessionen, Kirchenführer, Politiker, Publizisten und Angehörige „aller Schichten und Stände“ beteiligten35. Die innerkirchliche Front verlief quer zur innerdeutschen Grenze. Begleitet von der Polemik der SED-Propaganda gegen Dibelius rüsteten sich sowohl Kritiker – in erster Linie aus dem Kreis der diesbezüglich ebenso gespaltenen Kirchlichen Bruderschaften – als auch Befürworter der Obrigkeitsschrift zum (Gegen)Angriff. Mitte Oktober 1959 erreichte Hermann Kunst, der Bevollmächtigte des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland, aus dem Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen die besorgte Anfrage, ob im kirchlichen Bereich eine Anerkennung „der sog. ‚DDR‘“ stattgefunden habe. Kunst versicherte, dass die EKD die deutschlandpolitische Linie der Bundesregierung nicht konterkariere. Die EKD habe trotz wiederholter Forderungen seitens der DDR-Regierung „auf das bestimmteste abgelehnt“, eine „offizielle Anerkennung der Gesamtkirche für die sogenannte DDR“ auszusprechen36. Über die möglichen deutschlandpolitischen Folgen der nun losgetretenen Obrigkeitsdebatte reflektierten auch kirchliche Gremien. Der Ausgang der berlin-brandenburgischen Synode im Januar 1960 und der anschließenden Synode der EKD verdeutlicht das Bemühen aller Beteiligten, der nunmehr stärker wahrgenommenen Gefahr einer kirchlichen Teilung deeskalierend entgegen zu treten. Beide Synoden wiesen die SED-Attacken gegen Dibelius daher entschieden zurück. In ihrem mit großer Mehrheit angenommenen Entschluss verwies die landeskirchliche Synode auf die Beteuerung ihres leitenden Bischofs, keineswegs „zum Ungehorsam gegen staatliche Gesetze“ aufgerufen zu haben37. Dibelius selbst hatte seine Position im Rundfunk der Interallierten Streitkräfte (RIAS) ausführlich erläutert. Er stellte klar, dass auch „noch heute“ der Christ in der DDR „dem Staat untertan zu sein“ habe. Dies33

Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1959], 128. Zum Verlauf der EKD-Synode, EBD., 74–83. EBD., 129. 35 NIEMEIER, Kirche [1959], 135. Zur Debatte, insbesondere den kritischen Stimmen zu Dibelius’ Schrift, VIOLETT-BUCH. Vgl. „Obrigkeit. Salzkraft verloren“. In: Der Spiegel, Nr. 39 vom 23. 9. 1959, 22–24. 36 Briefwechsel zwischen Kunst und Friedrich von Zahn, Mitarbeiter im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, vom 15. 10. 1959 bzw. 12. 11. 1959, zit. n. LEPP, Tabu, 266. 37 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1960], 73. Zum Verlauf der Synode der EKD und dem enormen Presseecho, EBD., 74–83 bzw. STUPPERICH, Otto Dibelius, 559. 34

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bezüglich gebe es „keine Meinungsverschiedenheiten. Ein Bischof, der zur Sabotage von Verkehrsvorschriften auffordert, der muß erst noch geboren werden“; Dissens bestehe vielmehr darüber, „unter welchen Motiven dieser Gehorsam zu leisten“ sei38. Die Notwendigkeit einer am konkreten historischen Ereignis zu fällenden Entscheidung war für ihn der für die eigene Urteilsbindung leitende Maßstab. Diesen Standpunkt hatte er bereits in der Beurteilung des NS-Regimes vertreten39. Die Gehorsamsfrage wurde in beiden deutschen Staaten leidenschaftlich diskutiert. Über das westliche Stimmungsbild gibt eine Ende 1959 durchgeführte Umfrage des Allensbacher Instituts Auskunft40. Die erste Frage lautete: „Wie sehen Sie die Lage für den Christen in der Ostzone, in der die Regierung gegen die Religion kämpft: soll er gehorsam gegenüber der Obrigkeit sein und persönlich ganz als Christ leben, oder soll er sich auch, wo immer es geht, gegen die Regierung wenden?“ Darauf antworteten 48 Prozent der befragten Protestanten, der Christ solle gehorsam sein, und nur 15 Prozent plädierten dafür, „sich gegen die Regierung“ zu wenden. 37 Prozent waren unentschieden. Ferner wurde gefragt: „Wie denken sie darüber, wie sich die Kirche in der Ostzone verhalten solle: soll die Kirche die kommunistische Regierung machen lassen, was sie will, und alle Kraft nehmen, um der Bevölkerung seelischen Beistand zu leisten, oder soll sie sich gegen das Unrecht, gegen die Unterdrückung der Bevölkerung wenden, und, wo es geht, gegen die Regierung arbeiten?“

Trotz des verbreiteten Antikommunismus in der Bundesrepublik sprachen sich nur 19 Prozent der befragten Protestanten für ein politisches Gegenarbeiten aus. Mehr als die Hälfte (56%) sah die Aufgabe der Kirchen eher darin, all ihre Kräfte auf den seelischen Beistand zu lenken. Die westdeutsche Bevölkerung begegnete den von Dibelius zur Diskussion gestellten Überlegungen mit Zurückhaltung41. Zu diesem Meinungsbild trug die wachsende Desillusionierung in der Deutschlandfrage bei: Spätestens nach dem „Berlin-Ultimatum“ des sowjetischen Staatschefs Nikita Chruschtschow 1958 und dem Ausgang

38

RUNDFUNKGESPRÄCH, 48f. So etwa in seiner wenige Monate später gehaltenen Predigt zum Gedenken an die „Opfer [. . .], die der 20. Juli 1944 gefordert“ hatte (DIBELIUS, Es). Dass er deren Gewissenentscheidung positiv würdigte, lag nicht zuletzt an seinen persönlichen Verbindungen zum damaligen Widerstand gegen das NS-Regime, STUPPERICH, Otto Dibelius, 344–351. 40 NOELLE / NEUMANN, Jahrbuch, 489. 41 SCHMIDTCHEN, Protestanten, 238. Die bei katholischen Befragten ermittelten Ergebnisse der Allensbacher Umfrage sind nahezu identisch mit dem Ergebnis der unter Protestanten vorgenommenen Stichprobe. 39

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der alliierten Genfer Außenministerkonferenz im August des folgenden Jahres mehrten sich auch in der Bundesrepublik die Stimmen, die für einen stärker an den politischen Realitäten orientierten Kurs gegenüber der DDR votierten42. Die Skepsis gegenüber dem Wiedervereinigungsmaximalismus der Bundesregierung führte in der EKD zur Forderung, die immer schwerer aufrecht zu erhaltende kirchliche Ost-West-Gemeinschaft stärker koexistenziell auszurichten. Der Obrigkeitsstreit war daher auch eine zwischen den Zeilen geführte Diskussion um das Selbstverständnis der EKD. Die Kritiker des mit Dibelius identifizierten und am Konzept der „Volkskirche“43 ausgerichteten Einheitskurses bemängelten, ein gemeinsames konkretes Handeln sei aufgrund der immer unterschiedlicheren kirchlichen Rahmenbedingungen in beiden deutschen Staaten gar nicht mehr möglich. Zudem verhindere ein solch anachronistisches Beharren die notwendige Durchführung kontextadäquater Kirchenreformen sowohl in den ostdeutschen als auch in den westdeutschen Mitgliedskirchen. Angesichts der fortgesetzten äußeren Angriffe auf die grenzübergreifende Kircheneinheit sahen sich die gesamtdeutschen kirchlichen Gremien nicht nur vor die Herausforderung gestellt, hierzu Stellung zu beziehen; im Umkehrschluss mussten sie ihre kirchliche Gemeinschaft auch theologisch begründen44. Entsprechende Denkanstöße waren in der gesamtdeutschen Jugend- und Studentenarbeit 1957/1958 entwickelt worden. Als Reaktion auf die bedrohte Lage der ostdeutschen Jungen Gemeinde und den dortigen Studentengemeinden reifte in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (AGEJD) und der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland (ESGiD) die Überlegung heran, die grenzübergreifende Gemeinschaft zum Preis einer Stärkung der regionalen Selbstständigkeit besser zu schützen. Im Hinblick auf das angespannte Staat-Kirchen-Verhältnis in der DDR versprach man sich davon die Chance, das SED-Regime zum Druckabbau zunächst gegenüber der ostdeutschen und infolgedessen auch der gesamtdeutschen kirchlichen Jugendund Studentenarbeit zu bewegen. Die Verschiedenheit wurde zum Garanten der Einheit auserkoren45. Die von ESGiD und AGEJD beschlossenen Regionalisierungsmaßnahmen kamen jedoch nicht nur als Reaktion auf den äußeren Druck zustande. Sie

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WOLFRUM, Demokratie, 193; LEMKE, Berlinkrise, 93–172. Dazu weiter im folgenden Kapitel. 44 LEPP, Tabu, 300. 45 Zu den Einheits-Diskussionen im evangelischen Jugend- und Studentenbereich samt ihrer Hintergründe, EBD., 289–316 u. 330–367. Zur „Atom-Diskussion“ in der EKD, EBD., 271–275; NIEMEIER, Kirche [1959], 17–74; und DERS., Kirche [1960], 90–106. 43

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spiegeln auch eine wachsende deutsch-deutsche Entfremdung wider, die sich vor allem auf dem Feld der jugendlichen Begegnungsarbeit bemerkbar machte. In erster Linie handelte es sich um ein Generationenphänomen. Bei den in der Nachkriegszeit sozialisierten Jugendlichen rückte die Entwicklung des „eigenen“ Staates den von den älteren Generationen vermittelten gesamtdeutschen Erfahrungshorizont zunehmend in den Hintergrund. Für diese Generation, die in den Studentengemeinden bereits in den Leitungsgremien saß, zählte die Lebenswirklichkeit im jeweiligen Teilstaat. Während sich in der Bundesrepublik eine von der „Ostzone“ abgewandte westliche Konsum- und Freizeitorientierung unter den jungen „Erfolgsdeutschen“46 bemerkbar machte, bildete sich in den Reihen der jungen ostdeutschen Christen ein die Resignation der Vorjahre ablösendes Selbstbewusstsein heraus, das sich aus dem – ebenfalls nicht vorurteilsfreien – Gedanken speiste, sich von den gegenüber DDR-Verhältnissen indifferenten bzw. überheblichen westdeutschen Begegnungsteilnehmern nicht weiter bevormunden zu lassen47. Auch auf theologischem Gebiet galt der kirchliche Westen nicht mehr als das Maß aller Dinge. Jüngere Studentenpfarrer nahmen die kirchliche Situation in der DDR zum Anlass, kontextadäquate Neuwege zu beschreiten – Reformansätze, die im Westen aufgrund konservativer Widerstände gar nicht erst zur Disposition standen48. Auch in den westdeutschen Kirchen gab es Stimmen, die sich von der Verschiedenheit in der Einheit einen Gewinn für die eigene theologische Arbeit erhofften. In der EKU wurde das Anliegen laut, die „Säkularisierung“ zum gemeinsamen theologischen Bezugspunkt zu machen. In einem von Präses Ernst Wilm auf der Synode der EKU Anfang 1959 verlesenen Wort „an die Brüder und Schwestern in der DDR“ hieß es, man habe „gelernt, dass Eure Fragen und Bedrängnisse auch uns betreffen, ‚die säkularisierte Welt‘ sei schließlich ‚auch bei uns‘“49. In der ESGiD verdichteten sich die Anzeichen für ein abnehmendes Interesse an der Deutschlandfrage und der damit verbundenen kirchlichen Einheit. Vor der Delegiertenkonferenz der ESGiD konstatierte Generalsekretär Peter Kreyssig im Februar 1961, die „Wiedervereinigungshoffnung als eine treibende Kraft“ sei unter den Studenten in beiden Teilstaaten „fast tot“. „Im Zuge der weltpolitischen Entwicklung“ habe sich das Interesse sowohl in den westdeutschen als auch in den ostdeutschen Stu-

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GROSSER, Demokratie, 384. Zur Jugendkultur in der Bundesrepublik der 1960er Jahre, SIEGFRIED, Time. Eine Fallstudie zur jugendlichen Sozialisation in der DDR, die sich allerdings weitgehend auf den Jahrgang 1949 beschränkt, bietet bis dato lediglich WIERLING, Jahr; DIES., Jugend. 48 SOMMER, Beziehungen, 230f.; LEPP, Tabu, 376–378. 49 Zit. n. HILDEBRANDT, Kirche [1959], 284. 47

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dentengemeinden „von Europa und seinen Problemen zugunsten der Entwicklungsländer“ hin abgewandt. Die „Lockerung im gesamtdeutschen Zusammenhang der Gemeinden“ bereite ihm Sorge50. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 gelang es der DDR-Führung, die grenzübergreifende Arbeit der EKD weiter zu behindern. Die unter „handfester Erschwerung“ in Berlin abgehaltene Synode der EKD hatte dies schon im Februar angedeutet51. Unter diesem Eindruck vollzog sich auch die „programmatisch“ gedeutete Wahl Kurt Scharfs zum Nachfolger des „DDR-Antipoden“ Otto Dibelius als Ratsvorsitzender der EKD52. Scharf, der Dibelius später auch als Bischof der Kirche von Berlin-Brandenburg beerbte, gab früh zu verstehen, dass der von den Synodalen ihm erteilte Auftrag zur Wahrung der kirchlichen Einheit nicht an die Auflage gekoppelt sei, „Rechte und Forderungen der Kirche gegenüber den staatlichen Obrigkeiten und vor allem Aufgaben der Kirche gegenüber der Öffentlichkeit um jeden Preis zu opfern.“53 Die SED zeigte sich von den kirchlichen Einheitsbekundungen unberührt und setzte ihre auf Spaltung und Differenzierung abzielende Kirchenpolitik auch nach dem Mauerbau fort. Als ein unmissverständliches Zeichen erwies sich die Ende August vollzogene DDR-Ausbürgerung des neuen Ratsvorsitzenden54. Parallel zum Ausbau der Grenzanlagen zementierte sich in den Köpfen der evangelischen Christen in Ost und West das Bewusstsein, die Deutschlandfrage sei bis auf weiteres „festgemauert“55. Kirchliche Stellungnahmen wie die von der EKD 1961/1962 gesamtdeutsch erarbeitete – und von staatlicher Seite im Osten und konservativen Kreisen im Westen gleichfalls kritisierte – Handreichung „Zur Friedensfrage“ trugen diesem Gedanken Rechnung. Indem sie für eine eigenwillige Interpretation des sowjetischen Koexistenz-Begriffs plädierten, verfolgten die Verfasser die Strategie, die kirchliche Ost-West-Gemeinschaft in den Friedensdienst zu stellen, um sie neu zu legitimieren. Die Handreichung interpretierten sie als christlich begründetes Gegengewicht zu den Bestrebungen der Ostblockstaaten und der CFK, das Thema

50 Zit. n. SOMMER, Beziehungen, 190. Zur „Politisierung“ der ostdeutschen Studentengemeinden in den frühen 1960er Jahre und dem dabei zum Vorschein kommenden „West-OstGefälle“, (NOACK, Studentengemeinden, 106). Zur „Politisierung“ der westdeutschen Gemeinden, unten Kap. 3.2. 51 NIEMEIER, Kirche [1961], 15. 52 WILKENS, Einheit, 294. 53 „Der DDR-Christ und die roten Riten“. In: Der Spiegel, Nr. 18 vom 26. 4. 1961, 46–55, 46. 54 Zum Hergang, NIEMEIER, Kirche [1961], 6f. 55 WOLFRUM, Demokratie, 197.

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Friedenssicherung für politische Zwecke zu vereinnahmen56. Letztere, an deren Gründung sich auch deutsche Theologen und Kirchenvertreter – vornehmlich aus den Kirchlichen Bruderschaften – wie Gollwitzer, Niemöller und Heinz Kloppenburg beteiligt hatten, wandte sich Anfang der 1960er Jahre verstärkt der Deutschlandfrage zu57. Infolge dessen entwickelte sich die CFK zur ökumenischen Bühne deutsch-deutscher Begegnungen, bei denen die Deutschlandpolitik und die kirchliche Einheitsfrage, teils verständnisvoll, teils kontrovers diskutiert wurden58. Im ÖKR rückte die Deutschlandfrage in den Hintergrund. Zu der von 42 deutschen Teilnehmern besuchten Vollversammlung in Neu Delhi im Herbst 1961 hatten nur acht Delegierte der ostdeutschen Mitgliedskirchen eine Ausreisegenehmigung erhalten; ein Umstand, dem der Generalsekretär des ÖRK, der Niederländer Willem Visser ’t Hooft, im Vorfeld der Konferenz vergeblich entgegenzutreten versuchte und den die Konferenzleitung dann auch vor der Vollversammlung anprangerte59. Letztere lieferte mit ihrer öffentlichen „Botschaft an die Christen in Ostdeutschland“ gar einen eigenen kritischen Beitrag60. In der Bundesrepublik und in den Reihen der EKD wurden dennoch Stimmen laut, die dem ÖRK eine Geringschätzung der menschlichen und kirchlichen Folgeprobleme des Mauerbaus vorwarfen. An der Spitze dieser Kritiker stand Otto Dibelius. Mit Bezug auf die Pariser Sitzung des Zentralausschusses (ZA), dem höchsten Organ nach der Vollversammlung, unterstellte er dem ÖRK, die Deutschlandfrage nur aus Rücksicht gegenüber der RussischOrthodoxen Kirche nachrangig zu behandeln. Die beim ÖRK angesiedelte Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten (CCIA) nahm diese Unterstellung zwar ernst61; das Zurücktreten der Deutschlandfrage in der – keineswegs nur auf politische Fragen beschränkten – Programmarbeit des

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NIEMEIER, Kirche [1961], 77–80, dort im Abdruck. Zu ihren weiteren Implikationen und deren Rezeption, LEPP, Tabu, 425–434. 57 STELLUNGNAHME; KRÜGER, Bewegung, 345–348; und LINDEMANN, Sauerteig, 686f. u. 709– 717. 58 Bei den Regionaltagungen der CFK in der DDR kam es darüber hinaus immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Entsandten der ostdeutschen Landeskirchen und den regimetreuen Vertretern der Ost-CDU. Letztere hegten den Verdacht, dass ihre Opponenten mit Hilfe des DDR-Regionalausschusses eine von staatlichen Einflüssen unabhängige oppositionelle Friedensbewegung in der DDR schaffen wollten, EBD., 714. Zum Aspekt einer deutsch-deutschen Begegnung auf CFK-Ebene in der ersten Hälfte der 1960er Jahre und ihrer Bewertung in den Reihen der EKD, LEPP, Tabu, 469–486. 59 BOYENS, Rat, 105f. 60 VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, 348. 61 BOYENS, Rat, 151.

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ÖRK hatte sie allerdings schon in ihrer Berlin-Erklärung offen eingestanden62. In seinem Rückblick auf die Tagung der Vollversammlung nannte Ulrich Scheuner mehrere Gründe. Gegenüber Adolf Wischmann, dem Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes der EKD, konstatierte der in der CCIA engagierte Bonner Staatsrechtler: „Die gewandelte internationale Lage zwingt [. . .] den Westen zu einem Engagement für Deutschland. Es ist bisher loyal erfüllt worden, aber es weckt keine Begeisterung für die deutsche Situation, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der von ihr drohenden Kriegsgefahr erscheint. Man kann ferner – auch ohne den orthodoxen Beitritt – feststellen, dass insgesamt die Ost-West-Spannung weniger im Mittelpunkt stand als früher, dafür aber das Interesse mehr den aufsteigenden [sich von den Kolonialmächten emanzipierenden, A. C. W.] Staaten zugewandt war. Auch das führte eher von den deutschen Dingen hinweg.“63

Angesichts der Status-quo-orientierten Entspannungspolitik nach der KubaKrise schraubte der ÖRK sein Engagement weiter zurück. Die Deutschlandfrage hatte ihre „Schlüsselstellung“ in den Ost-West-Beziehungen vorerst eingebüßt64. Im Frühjahr 1963 bemerkte Scheuner, die CCIA sei bereit, eine formelle Stabilisierung der deutschen Teilung im Interesse der Friedenssicherung in Kauf zu nehmen. Die Blockkonfrontation habe sich zur Dritten Welt und Lateinamerika hin verschoben65. Diesem Gesichtspunkt trug auch die CFK Rechnung66. In den Leitungsgremien der ost- und westdeutschen Studentengemeinden fand die Forderung nach einer weniger „parochial“ fokussierten Behandlung der Deutschlandfrage überwiegend positiven Anklang. Dieser unbedarften, dem jugendlichen „Zeitgeist“ in beiden deutschen Staaten entsprechenden Öffnung jüngerer Protestanten gegenüber einer v. a. friedenspolitisch motivierten globalen Kontextualisierung gesellschaftspolitischer Themen, konnte sich die EKD – auch um ihrer gesamtdeutschen Einheit Willen – nicht verschließen67. Zudem deckte sie sich mit der Programmatik des ÖRK, den Kalten Krieg mit dem Nord-Süd-Konflikt thematisch zu verschränken. Parallel zu den Anfragen der fortan in globalen Koordinaten operierenden Ökumene und den Orientierungsversuchen einer durch Mauer und Stacheldraht getrennt heranwachsenden Nachkriegsgeneration, mehrten sich in der Bundesrepublik Stimmen, die ein Umdenken in der Außen- und Innenpolitik forderten.

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TAGUNG, 531. Brief Scheuners an Wischmann vom 25. 2. 1962, zit. n. LEPP, Tabu, 463f. TAGUNG, 531; BOYENS, Rat, 152f. BESIER, SED-Staat, 567. KOMMISSIONSBERICHTE, 455; KRÜGER, Bericht, 410. LEPP, Tabu, 487 u. 600–602; NOACK, Studentengemeinden, 107f.

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2.2 „Volkskirche“ und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik Deutschland 2.2.1 Mediale „Politisierung“ im Zeichen von Krise und Aufbruch Die EKD sah sich nach dem Mauerbau dazu veranlasst, ihren tradierten Anspruch als „Volkskirche“ neu zu überdenken68. Ausdruck dieser Bemühungen war die bereits genannte Handreichung „Zur Friedensfrage“. Ihre gesamtdeutsche Autorenschaft bemühte sich um eine möglichst unabhängige und kritische Perspektive auf die Gesellschafts- und Wirtschaftsysteme beider deutscher Staaten. Mit ihrem weniger weisungsautoritären, stärker argumentativen und zur Diskussion einladenden Charakter unterschied sie sich von bisherigen EKD-Verlautbarungen. Ungeachtet ihrer gesamtdeutschen Ansprache, blieb sie weiter „im Bannkreis westdeutscher Forderungen und Argumentationsmuster“ verortet69. Ihr neuartiger Stil artikulierte das Verlangen, den volkskirchlich begründeten „Öffentlichkeitsauftrag“70 der Kirchen stärker an der Gesellschaftsentwicklung der Bundesrepublik auszurichten. Ein auf gesellschaftliche Mitgestaltung hin ausgerichtetes volkskirchliches Handeln war in der DDR ohnehin nicht mehr möglich. Das vom Rat der EKD getragene Plädoyer postulierte, „Koexistenz“ kirchlich vorzuleben und die öffentliche Präsenz der evangelischen Kirchen als staatsrechtlich privilegiertes Teilsystem der westdeutschen Gesellschaft stärker zur Geltung kommen zu lassen. Als Volkskirche, die sich das Austarieren von Kontinuität und Wandel zur existentiellen Aufgabe macht, konnten die Landeskirchen es sich nicht erlauben, die in den 1950er Jahren erfolgte „Modernisierung im Wiederaufbau“ tatenlos zu begleiten71. Die Handreichung wurde im Februar 1962 in der Bundesrepublik veröffentlicht. Eine größere öffentliche Aufmerksamkeit blieb ihr aber versagt, denn zur gleichen Zeit traten acht hoch angesehene evangelische Laien mit einer privaten Denkschrift an die Öffentlichkeit – die Devise lautete: „Mehr Wahrheit

68 Zur sowohl deskriptiven als auch präskriptiven Indienstnahme des Terminus „Volkskirche“ und seiner Verwurzelung in der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Protestantismus, HUBER, Volkskirche; SCHRÖER, Volkskirche. Wegen seiner nahezu der Beliebigkeit anheimfallenden Verwendbarkeit kann man auch vom „Mythos Volkskirche“ reden (WELKER, Kirche, 58–60). Eine Periodisierung der innerkirchlichen Diskussion um das Konzept „Volkskirche“ nach 1945 bietet LEIPOLD, Volkskirche. Dessen Studie krankt jedoch an dem Manko, dass die sozialgeschichtlichen Hintergründe der kirchlichen Entwicklung in der Nachkriegszeit darin weitgehend ausgeblendet werden. 69 FRIEBEL, Kirche, 467. 70 Zur Begriffsbestimmung nach 1945, THIELICKE, Kirche. 71 SCHILDT / SYWOTTEK, Modernisierung.

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in der Politik!“72. Der politischen Klasse warfen die Verfasser des „Tübinger Memorandums“ vor, (inter)nationale Realitäten gegenüber der Bevölkerung zu verschleiern und dringend anstehende Entscheidungen aufzuschieben. Dies gefährde das „innere politische Leben der Bundesrepublik“. Die Koppelung von Innen- und Außenpolitik unterlag dem im Memorandum entfalteten Grundgedanken, dass „die Entscheidung darüber, ob unsere Gesellschaftsordnung der Herausforderung durch den Kommunismus gewachsen ist“, in erster Linie „auf den Gebieten der Sozialpolitik und der Kulturpolitik“ fallen würde73. Im Kern ging es den Autoren um eine Initiative zur Förderung eines für unerlässlich erachteten öffentlichen Diskurses. Das Memorandum zeitigte ein enormes Echo, schon des Bekanntheitsgrades ihrer Autoren wegen, von denen die Hälfte dem Führungskreis der Evangelischen Studiengemeinschaft angehörten. Zusammen mit weiteren Persönlichkeiten zählten sie zur intellektuellen Führungsschicht der Bundesrepublik74. Dem Autorenkreis lag es fern, sich – und das Memorandum – den damals gängigen Alternativkategorien „lutherisch“ oder „barthianisch“ bzw. „bruderrätlich“ zuzuordnen. Vielmehr einte sie ihre liberal-demokratische Geisteshaltung, eine Wertorientierung, die in evangelisch-kirchlichen Kreisen keine Selbstverständlichkeit war75. Mittelfristig betrachtet, erreichten die Tübinger Acht das von ihnen selbst gesteckte Ziel, einen tiefer gehenden Reflexionsprozess zu initiieren. Mit Hilfe eines Tabubruchs – der Forderung nach Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze – war es ihnen gelungen, einen empfindlichen Nerv zu treffen. Dies belegen auch die innenpolitischen Reaktionen, die jenseits der offiziellen Statements durchaus verständnisvoll ausfielen76. Der Ratsvorsitzende der EKD verwahrte sich gegen die in den Vertriebenenverbänden und Kirchen laut gewordene Kritik. Scharf verwies auf das vom Rat autorisierte „Wort zur Eigentumsbildung“. Die EKD habe darin ebenso Stellung zu Fragen bezogen, „die von den verschiedenen Interessengruppen sehr verschieden gesehen und beantwortet werden.“77

72 Abgedruckt in: NIEMEIER, Kirche [1962], 75–78. Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, GRESCHAT, Wahrheit. 73 NIEMEIER, Kirche [1962], 75–77. 74 Bei den Verfassern handelte es sich um Hellmut Becker, Joachim Beckmann, Klaus von Bismarck, Werner Heisenberg, Günter Howe, Georg Picht, Ludwig Raiser sowie Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker. Näheres zu den Unterzeichnern findet sich bei GRESCHAT, Kontinuität, 12f. 75 GRESCHAT, Wahrheit, 495. Vgl. RAISER, Wahrheitsanspruch. 76 Dazu im einzelnen, GRESCHAT, Wahrheit, 504–511. 77 SCHARF, Anfang, 2.

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Die im April 1962 vom Rat verabschiedete Studie markiert den als Zäsur beschriebenen Eintritt der EKD in das „Zeitalter der Denkschriften“ – ein Vorgang, der symbolhaft mit dem Wechsel im Ratsvorsitz von Dibelius zu Scharf in Verbindung gebracht wurde. Der Tübinger Jurist Ludwig Raiser, Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung, verwies auf die „zunehmende Komplexität politischer und gesellschaftlicher Probleme“, die zum Entschluss führte, „die Arbeit der Kammern und Ausschüsse stärker zu aktivieren“ und „ihnen längerfristige Aufgaben zu stellen“, denn nur so könne sich die Kirche in politischen Konflikten „mit Aussicht auf Gehör und Wirkung“ öffentlich zu Wort melden78. Die EKD reagierte nicht nur auf die sich verschiebenden „Orientierungslinien des öffentlichen Bewußtseins“79; sie ging selbst dazu über, ihr Plädoyer für eine fachlich fundierte und sachlich ausgerichtete pluralistische Diskussionskultur in den eigenen Reihen vorzuexerzieren. Indem sie Sachverständige aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sowie anderen gesellschaftlichen Bereichen in die beratenden Kammern und Gremien berief, leistete sie ein Doppeltes: Sie vermied den prinzipiellen protestantischen Fehler der Zeit vor 1945, an der Diskussion politischer Fragen mit metapolitischen Beiträgen teilnehmen zu wollen; durch die Hinzuziehung von Sachverständigen, die über den Verdacht einer „klerikalen Moralisierung“ erhaben waren, blieb diese Form politischer Stellungnahme für Parteien, Verbände und Interessengruppen eine Stimme, die es bei der eigenen Entscheidungsfindung zu beachten galt. Darüber hinaus gelang es, ein Medium zu schaffen, dessen methodischer Ansatz sowohl für die Anhänger der Königsherrschaft Christi als auch für die Anhänger der Zwei-Reiche-Lehre akzeptabel war80. Die Leitlinie war die „konkrete Entscheidung aus einem wechselseitigen Zusammenspiel von Glaubenserkenntnissen und vernunftgemäßem Erfahrungswissen.“81 Auch im mittelbaren kirchlichen Umfeld wurde das Tübinger Memorandum als Zeichen des Aufbruchs interpretiert. Mit ihrem Einsatz zugunsten der Etablierung einer offenen Gesprächs- bzw. Streitkultur bestätigten die Acht nicht nur die bislang stillen Kritiker der deutschen Außenpolitik; sie nährten darüber hinaus die Zweifel derjenigen, die zu Beginn der 1960er Jahre nicht 78

EIGENTUMSBILDUNG; RAISER, Einführung, 11–13. Die Denkschrift wurde von der Kammer für soziale Verantwortung der EKD erarbeitet. Zur Literaturgattung „Protestantische Denkschrift“, WORT; PAUSCH, Denkschriften. Zur Entstehungsgeschichte der ersten „Denkschrift“ der EKD, MÜLLER, Ratschläge. 79 RUDOLPH, Zeit, 65; HERBERT, Liberalisierung, 12–14; und HODENBERG, Konsens. Dazu kritisch, HOERES, [Rezension]. 80 RINGSHAUSEN, Kirchen, 38. 81 AUFGABEN UND GRENZEN, 70.

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mehr bereit waren, die „Selbstverständlichkeiten“ der Nachkriegsjahre unhinterfragt hinzunehmen. Die Adenauersche Wahlkampfparole „Keine Experimente!“ aus dem Jahr 1957 hatte ausgedient. Bereits der Ausgang der Bundestagswahl im September 1961 kündigte einen „politischen Klimawechsel“ an. Gerade jene Themen, so das Fazit einer unabhängigen Wahlkampfanalyse, die weite Teile der Bevölkerung für diskussionswürdig hielten – etwa die Ost- aber auch die Sozialpolitik – seien nicht zur Sprache gekommen. Deshalb hätten andere Kreise diese Themengebiete besetzen können82. Die Evangelischen Akademien boten Laien die Möglichkeit, sich über gesellschaftspolitische Fragen zu informieren und auszutauschen. Als Ort institutionalisierter „Dauerreflexion“ verfolgten einige Akademien schon in den 1950er Jahren das Ziel, anhand des „Gesprächsprinzips“ einen protestantischen Beitrag zur „Einübung in die Demokratie“ zu leisten83. Die ersten EKDDenkschriften gelten daher auch als „Höhepunkte“ innerkirchlichen Einflusses der Akademien; umgekehrt waren die Kontakte zu den Kirchen „Spiegelbild[er] kirchlich begleitender Neuorientierung in der Bundesrepublik“84. 1963 würdigte der Rat der EKD ausdrücklich ihren Beitrag „zur Auflösung sozialer Spannungen in der pluralistischen Gesellschaft“. Die Akademien mussten sich allerdings selbst an den Wandel in der politischen Auseinandersetzung, die zunehmend außerhalb des Parteienspektrums geführt wurde, anpassen. Die gesellschaftliche „Unruhe“ wurde in die Akademien nun förmlich „hineingetragen“85. So war es kein Zufall, dass Egon Bahr die Linien der späteren Neuen Ostpolitik in der Akademie Tutzing 1963 erstmals öffentlich skizzierte. Die als „Wandel durch Annäherung“ beschriebene Strategie zielte darauf ab, den Status quo mittels seiner – nur vordergründig paradox anmutenden – Tolerierung zu überwinden86. Nachdem die SPD wenige Jahre zuvor die Revision ihres Verhältnisses zu den Kirchen offiziell beschlossen hatte, fungierten die Evangelischen Akademien zunehmend auch als Begegnungsstätten zwischen Sozialdemokraten und Kirchenvertretern87. Mit ihrer „Westernisierung“ stieß die SPD bei der – sich vom rheinischen Katholiken Adenauer vernachlässigt fühlenden –

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WOLFRUM, Demokratie, 212; WILDENMANN / SCHEUCH, Wahlkampf, 56. SCHELSKY, Dauerreflexion; TREIDEL, Akademien, 228; und neuerdings MITTMANN, Akademien. Zum Beitrag der katholischen Akademien, SCHÜTZ, Begegnung; ROEGELE, Gott. 84 TREIDEL, Akademien, 172 u. 223. 85 DIENST, 377; TREIDEL, Akademien, 42; und MARTINY, Akademien, 72. 86 VOGTMEIER, Egon Bahr, 59–79. Zum Beitrag der EKD zur Neuformulierung der Ost- und Deutschlandpolitik, HECK, EKD. 87 TREIDEL, Akademien, 212f. 83

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protestantischen Bevölkerung auf offene Ohren88; v. a. bei denjenigen, die eine Demokratisierung der politischen Kultur in der Bundesrepublik für notwendig hielten. Die sich wandelnde Medienlandschaft lieferte entscheidende Impulse. Nach dem von Bundeskanzler Konrad Adenauer verlorenen „Fernsehstreit“ setzte die „Vierte Gewalt“ ihren Siegeszug auch in den gedruckten Medien weiter fort89. Die im Herbst 1962 los getretene „Spiegel-Affäre“ hatte nachhaltigen Einfluss90. Sie selbst war Folge eines Ende der 1950er Jahre eingeleiteten Generationenwechsels in den journalistischen Führungsetagen, der dem nunmehr sichtbar werdenden „Übergang vom Konsensjournalismus zur ‚Zeitkritik‘“ den Weg bereitete91. Ohne eine sich in Verkaufszahlen widerspiegelnde gesellschaftliche Nachfrage wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen92. Die „Spiegel-Affäre“ war angesichts dieser öffentlichen Sensibilisierung nur „Katalysator bei der Ablösung einer eher konservativen durch eine liberale Staatsauffassung.“93 Die journalistische „Zeitkritik“ machte sich auch in der religiösen Berichterstattung in Presse, Radio und Fernsehen bemerkbar94. Diese sendeten zunehmend die Forderung nach einer Demokratisierung kirchlicher Strukturen in den Raum95. Politische Fernsehmagazine wie „Report“, „Monitor“ und „Panorama“ gingen in ihrer politischen Inlandberichterstattung dazu über, kirchliche Missstände zu skandalisieren, indem sie diese mit einem politischen Verdikt belegten. Rudolf Augstein und das von ihm herausgegebene Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ versuchten sich seit Ende der 1950er Jahre in theologischer Aufklärungsarbeit; ein Unternehmen, das nicht immer den Geschmack der

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ANGSTER, Konsenskapitalismus; WILDENMANN / SCHEUCH, Wahlkampf, 56. Diese Entwicklung verlief jedoch weiterhin nicht konfliktfrei, war also kein Selbstläufer, HODENBERG, Konsens, 362–390; DUSSEL, Fernsehzeitalter, 677f. Zur Geschichte der Medien in der frühen Bundesrepublik, BAUSCH, Rundfunkpolitik; WILKE, Mediengeschichte. Zu den medialen Umbrüchen in den 1960er Jahren, KREUZER / THOMSEN / HICKETHIER, Geschichte; WEHMEIER, Geschichte. 90 Dazu ausführlich, SEIFERT, Spiegel-Affäre; LIEHR, Aktion. 91 Die Träger dieses Übergangs waren die als „Flakhelfergeneration“ bzw. „skeptische Generation“ umschriebenen „45er“, die ungefähr zwischen 1921 und 1932 Geborenen (HODENBERG, Journalisten, 309). 92 EBD., 45. Dazu ebenfalls skeptisch, SCHEIBE, Suche, 246. Zur aktuellen Diskussion um die These vom Generationenwechsel als Demokratisierungsantrieb, KERSTING / REULECKE / THAMER, Gründung. 93 WINKLER, Weg, 209. 94 HANNIG, Inklusion. 95 DAMBERG / OEHMEN-VIEREGGE / TRIPP, Kirche. 89

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Leserschaft traf und dabei oft mit dem Hinweis auf redaktionelle Kenntnislücken beantwortet wurde96. Das Nachrichtenmagazin ließ es sich z. B. nicht nehmen, den bevorstehenden Elften DEKT in Dortmund einer persiflierten Generalkritik zu unterziehen. Im Interview wurde Ernst Wilm, Präses der gastgebenden westfälischen Landeskirche, gefragt, ob es nicht passender wäre, das Veranstaltungsmotto „Mit Konflikten leben“ in „Mit Illusionen leben“ abzuändern. Selbstbewusst suggerierte der „Spiegel“-Journalist dem Leser, die Kirche wolle „mit modernen Mitteln“ nur „über ihren größten eigenen Konflikt – die Isolierung von den eigenen ‚nominellen‘ Mitgliedern –“, über den „auf dem Kirchentag kaum gesprochen“ werde, hinwegtäuschen. Verärgert entgegnete Wilm: „Kein einziger Teilnehmer des Kirchentages macht sich Illusionen – das ist anscheinend Ihr Lieblingswort – darüber, daß die Evangelische Kirche heute nur von einer Minderheit ernst genommen wird.“97 Der Diskurs über die Entkirchlichung war ohnehin kein Novum mehr. Anlässlich der Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils hatten die Medien das kirchliche „aggiornamento“ für sich entdeckt. Weiter angestoßen durch den Trend der Meinungsumfrage und Fragen nach der inneren Demokratisierung der Bundesrepublik98, veröffentlichten unterschiedlichste Presseformate großräumig angelegte religionssoziologische Beiträge mit dem Anspruch, die Entkirchlichung nicht nur demoskopisch belegen, sondern auch sozialwissenschaftlich „abgesichert“ erklären zu können. Dabei bezogen sie sich auf die Auflösungserscheinungen im katholischen Milieu während der 1950er Jahre, das im Vergleich zum protestantischen Milieu als relativ homogen galt99.

96 LAMPE, Panorama; HANNIG, Inklusion, 50. Vgl. die Replik des Herausgebers, AUGSTEIN, Spiegel-Leser, 14. 97 „Kirchentag mit Peter Frankenfeld?“. In: Der Spiegel, Nr. 30 vom 24. 7. 1963, 24–25, 24. 98 ALMOND / VERBA, Culture. Zur Entwicklung der Demoskopie in der Bundesrepublik, KRUKE, Demoskopie. 99 LEPSIUS, Parteiensystem. Anders als im Katholizismus findet eine auf den deutschen Protestantismus ausgerichtete Milieu-Forschung im protestantischen Binnenpluralismus ihren Ausgangspunkt. Durch das Zusammenwirken von Modernisierungsschüben und der deutschen Sonderweg-These generierte er eine Vielzahl protestantische (Teil)Milieus bildender bzw. verändernder Transformationsprozesse. Die kirchengeschichtliche Forschung begann allerdings erst vor kurzem, das protestantische Milieu im Hinblick auf die Zusammenhänge von nichtkirchlich gebundener protestantischer Alltagswelt und politischer Weltanschauung zu untersuchen, BLASCHKE, Milieus; HERING, Kirchen; und VÖGELE / BREMER / VESTER, Milieus. Mit Blick auf die spezifischen Ausdifferenzierungsprozesse im protestantischen Milieu greift es deshalb zu kurz, aus der katholischen Milieu-Erosion die methodologische Konsequenz abzuleiten, der konfessionelle Milieubegriff stelle „keine wirklich fruchtbare Perspektive“ mehr dar (ZIEMANN, Katholizismus, 419f.). Vgl. RUFF, Religion, 323f. u. 327f.

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Eine Art Blaupause bot die 1962 veröffentlichte „Stern“-Reihe „Gott in Deutschland“100. Auch die im Anschluss daran publizierten Serien anderer Magazine und Zeitschriften zögerten nicht, ihre Erkenntnisse undifferenziert auf die Verhältnisse in den evangelischen Kirchen zu projizieren; Erkenntnisse, die ohnehin das bestätigten, was in vielen katholischen und evangelischen Gemeinden längst kein Geheimnis mehr war. Auf protestantischer Seite hatte der damalige Kirchentagspräsident bereits 1957 eine Diskussion um eine kirchliche „Milieu-Verengung“ entfacht101. Kritikwürdig ist weniger der Umstand, dass die Entkirchlichung in den Umfrage-Reportagen auf eine statistisch belegbare Grundlage gestellt wurde, als vielmehr die Art ihrer journalistischen Erklärung. Insgesamt gesehen deuteten die „45er“-Journalisten, die ihr Berufsethos vom angelsächsischen Journalismus abgeleitet hatten102, den christlichen Glauben pejorativ als eine von den weltlichen Liberalisierungsprozessen abgewandte Jenseitsreligion. Beiden Großkirchen wurde vorgeworfen, das gesellschaftliche Bedürfnis nach einer Demokratisierung und Pluralisierung der menschlichen Lebenswelt – einschließlich des persönlichen Glaubens – vehement abzulehnen. Mit anderen Worten: Die Kirchen behinderten die innere Demokratisierung der Bundesrepublik. Was von Seiten des westdeutschen Religionsjournalismus bis Ende der 1950er Jahre noch als progressiver – weil: unpolitischer – Glaubensrückzug gelobt wurde, galt nun als politisch motivierter Rückschritt103. Nach dieser teleologischen Lesart beschleunigten die Kirchen den Prozess der Entkirchlichung weiter. Die selbstmarginalisierte „Volkskirche“ habe damit auch ihr gesellschaftliches Mitspracherecht verloren. So schloss der erwähnte „Spiegel“-Journalist es kategorisch aus, der kommende Dortmunder Kirchentag hege die Absicht, einen selbstkritischen Gesellschaftsbeitrag zu leisten. Für ihn blieb der Kirchentag, der sich traditionell als Laienbewegung verstand, „ein internes Erbauungsfest für die Minderheit der Frommen in unserem Lande“104. Seine Eigenschaft als „Seismograph, der das vorläufig und kurzzeitig anzeigt“, was Christen in der Welt bewegt, konnte er – selbst wenn er es wollte – nur schwerlich erkennen105. Denn erst mit der Dortmunder Veranstaltung ließ der Kirchentag „sich nun ganz auf die pluralistisch-demokratische Wirklichkeit Westdeutschlands ein.“106 Unpoli-

100 101 102 103 104 105 106

Dazu ausführlich HANNIG, Inklusion, 51–53. BISMARCK, Kirche, 19. HODENBERG, Journalisten, 305. Vgl. HANNIG, Medialisierung, 54. „Kirchentag mit Peter Frankenfeld?“. In: Der Spiegel, Nr. 30 vom 24. 7. 1963, 24. SCHROETER, Kirchentag, 11. EBD., 284.

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tisch waren die bisherigen Kirchentage jedoch keineswegs, denn von 1951 bis 1961 standen sie stets „im Brennpunkt gesamtdeutscher Politik“107. Nach dem Mauerbau hatte der Kirchentag seine Funktion als gesamtdeutsche Klammer allerdings endgültig verloren108. Die Organisatoren nutzten die Gelegenheit, ihn auf eine neue Grundlage zu stellen. Mit dem Thema „Kirchenreform“ postulierten sie ein Kirchenbild, das sich von der Vorstellung distanzierte, die Kirche trete ihrer gesellschaftlichen Umwelt lediglich gegenüber; sie müsse sich vielmehr als integralen Teil einer pluralistischen Gesellschaft begreifen109. Neben dem christlich-jüdischen Dialog110 wandte sich der Dortmunder Kirchentag auch der deutschen „Vergangenheitsbewältigung“ zu111. Angesichts der Vorbereitung des Frankfurter Auschwitz-Prozesses wurde der Versuch unternommen, auch mit Blick auf die Rolle der BK in der „Judenfrage“ die „Leiden und Versäumnisse der Vergangenheit und die unbewältigten Probleme unserer Gegenwart lebendig werden“ zu lassen112. Mit der Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft hatte somit auch der Dortmunder Kirchentag seine Eigenschaft als „Seismograph“ gesellschaftlicher Mentalitätsveränderungen bewiesen. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre standen diese ganz im Zeichen einer „doppelte[n] Zeitgeschichte“113. Die medial begleitete und von Selbstkritik durchzogene Auseinandersetzung mit den Negativerfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte bedingte die Herausbildung eines bundesrepublikanischen Selbstbewusstseins. Dies gründete nicht mehr einzig auf materiellen Erfolgen114. Insbesondere die jüngeren Bundesbürger mussten mit Konflikten leben. Ihre Sorge galt dem eigenen Vorankommen. Trotz des ökonomischen Aufschwungs war es in der Bundesrepublik bis dato nicht gelungen, den Faktor Bildung von der mittlerweile erreichten Prosperität profitieren zu lassen. In einer ab Januar 1964 in „Christ und Welt“ erschienenen Artikelserie machte Georg Picht, Mitverfasser des Tübinger Memorandums, die „Bildungskatastro-

107

EBD., 287. Dies gilt insbesondere für den zehnten DEKT, der unter dem Motto „Ich bin bei euch“ Ende Juli 1961 noch im ungeteilten Berlin stattfand. Zu den Bemühungen der Organisatoren, die Veranstaltung zu „entpolitisieren“, (LEPP, Tabu, 322–329). 108 Dazu PALM, Brüder. 109 SCHROETER-WITTKE, Kirchentag, 217. 110 Seit 1961 existierte auf dem Kirchentag der regelmäßig tagende Arbeitskreis „Juden und Christen“ an dem neben Dorothee Sölle auch Helmut Gollwitzer und seine Ehefrau Brigitte mitwirkten. Dazu SÖLLE, Dialog; LEPP, Helmut Gollwitzer; und SCHOLZ, Hoffnungskraft. 111 Vgl. REICHEL, Vergangenheitsbewältigung; FREI, Vergangenheitspolitik. 112 WOLF / SCHNATH, Konflikten, 205. 113 BRACHER, Bewährung, 10. 114 Dazu kritisch, HABERMAS, Strukturwandel, 144f. u. 217–220.

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phe“ schließlich publik115. Die jüngeren Alterskohorten sahen in einem größeren Bildungsangebot die Möglichkeit zur stärkeren Selbstentfaltung. Mit dem medialen Überschwappen der angelsächsischen Jugendkultur nach Deutschland, drang das jugendliche Individualisierungsparadigma nun auch in den Bereich der Religion vor. Während das Aufbegehren gegen etablierte Konventionen und Normen bereits in der ersten Hälfte der 1960er Jahre zu offenen – teils auch gewaltsamen116 – Auseinandersetzungen mit staatlichen Autoritäten führte, blieb es in den evangelischen Kirchen ruhig; zu ruhig, wenn man bedenkt, dass der Anteil der regelmäßigen Kirchgänger in den Altersgruppen bis zu den Mittvierzigern sich von ungefähr 11 Prozent im Jahr 1963 auf 6 Prozent im Jahr 1967 reduzierte117. Gottesdienste boten freilich keine Gelegenheit zur Diskussion religiöser Deutungsmuster und Glaubensinhalte. Dass es in der evangelischen Jugend aber erheblichen Gesprächsbedarf gab, verdeutlicht der von besonders vielen Jugendlichen besuchte Dortmunder Kirchentag. Das Treffen verlief „nicht ohne Spannungen“ zwischen den Generationen118.

2.2.2 Der (un)politische Widerstand gegen die „Moderne Theologie“ und den kirchlichen „Abfall vom Vaterland“ Mit ihrer Forderung nach einer „politisierten“, den liberal-demokratischen Wertewandel diskursiv vorantreibenden Kirche befeuerte die für Glaubensexperimente begeisterungsfähige Kirchentagsjugend den Streit um eine „Entmythologisierung“ des Neuen Testaments. Ungeachtet früherer Diskussionen um eine historisch-kritische Bibelexegese schuf der „Kirchenkampf“ im Dritten Reich und seine theologischen, der historisch-kritischen Exegese nur begrenzt freundlich gesonnenen Grundlagen den Rahmen dafür, dass sich der Streit um die Thesen des Neutestamentlers Rudolf Bultmann neu entzündete119. Bultmann problematisierte die „Erkennbarkeit Gottes in seiner Offenbarung bzw. die Verifikation der christlichen Verkündigung“, und zwar „in einer Zeit, in der Geschichts- und Naturwissenschaften den Zugang zu ‚objektiven‘ Grundlagen des Glaubens zerstört“ hatten120. Während man von journalistischer 115

PICHT, Millionen; DERS., Bildungskatastrophe. FÜRMETZ, Krawalle. Zum „Spannungsbogen“ zwischen den „Halbstarkenkrawallen“ der 1950er Jahre und der späteren Studentenbewegung (SIEGFRIED, Teenager, 582–584). 117 KÖCHER, Welt, 175. 118 SCHROETER, Kirchentag, 287; SCHMIDT, Überlegungen, 194. 119 Im Fokus stand sein 1941 gehaltener Vortrag über „Neues Testament und Mythologie“ (BULTMANN, Testament). 120 SCHMITHALS, Bultmann, 388. Vgl. neuerdings, HAMMANN, Rudolf Bultmann. 116

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Seite in den 1950er Jahren zögerte, die aufgeworfene hermeneutische Problemstellung „von sich aus“ zu diskutieren, unterließ die Universitätstheologie den Gang an die Öffentlichkeit121. Leitende Kirchenmänner zeigten Scheu, sich über das Auseinanderklaffen von Universitätstheologie und Gemeindefrömmigkeit zu äußern. Nach deren Selbstverständnis waren die Kirchen nicht der Ort zur Diskussion theologisch-akademischer Fragen, schließlich dienten sie einzig der Verkündigung. Die Erfahrung mit der NS-Zeit gab den Ausschlag, dass zahlreiche Pfarrer und Gemeindemitglieder die Bibeltexte als „direkte, unmittelbare Anrede Gottes“ begriffen; den Anfragen der historisch-kritischen Exegese begegneten sie distanziert122. Gegenentwürfe wie eine „Theologie der Heilstatsachen“ waren dennoch nicht mehrheitsfähig123. Kritiker nahmen die Anfang der 1960er Jahre von Kathedern aus verbreitete Lehre Bultmanns zum Anlass, ihren Widerstand als „gesamtbundesrepublikanisches Unternehmen“ zu organisieren124. Vor dem Hintergrund der angekündigten Neuausrichtung des Kirchentages und der Kontroverse um den Rechenschaftsbericht125 des Ratsvorsitzenden vor der EKD-Synode in Bethel im März 1963, wandte sich der gleichnamige „Kreis“ im Juni 1963 erstmals an die breite Öffentlichkeit. In einem „Hirtenbrief“ wurde die momentane Lage als „eine immer schneller zunehmende Glaubensverwirrung“, als „Gottesgericht über uns alle“ gekennzeichnet. Zusammen mit anderen Organisationen und Gruppen, die sich gegenüber der EKD als auf Schrift und Bekenntnis fußend erklärten, verfolgte er das Ziel einer bundesweiten „Sammlung der zerstörten Gemeinde“126. Die Aktivitäten des Bethel-Kreises wurden von den Kirchenlei121 HASSLER, Gutachten, 111. Mit der NS-Religionspolitik in den 1940er Jahren hatte die Universitätstheologie ihre publizistischen Diskussionsorgane fast vollständig verloren. Diese Tradition einer Vermittlung wissenschaftlicher Theologie in den öffentlichen Raum wurde nach 1945 nur noch rudimentär fortgesetzt. 122 GRESCHAT, Protestantismus, 569. 123 KINDER, Wort; SCHMITHALS, Bultmann, 395f.; und GRESCHAT, Protestantismus, 570. 124 STRATMANN, Evangelium, 61. Zum eigentlichen Anlass, EBD., 38f. u. 42f. 125 Scharf bezeichnete die exegetisch-kritische Methode als „zulässige[s] und angemessene[s] Mittel, die ‚Wahrheit für uns‘ [. . .] anschaulich zu machen.“ (zit. n. NIEMEIER, Kirche [1963], 34). Walther Künneth entgegnete, sie sei eine „Fundamentalzerstörung“ und forderte die „Abwehr des Einbruchs der Irrlehre in die Kirche“. Im Vergleich zum „Kirchenkampf“ gegen die DC sei das, „was heute da und dort im Namen der Theologie geboten“ werde, „ungleich gefährlicher, weil viel subtiler und weniger durchschaubar.“ (zit. n. EBD., 36). 126 HIRTENBRIEF; FREY, Geschichte, 8; und STRATMANN, Evangelium, 43f. u. 55–59. Anders als in Westfalen, wurde der Protest in Württemberg nicht von Theologen und Geistlichen, sondern in erster Linie von Laien getragen. Wegen der dort praktizierten Direktwahl der Landessynodalen, gelang es Gewählten, die dem Pietismus entstammten, die vermeintliche Irrlehre der „Modernen Theologie“ im Rahmen der Synode zur Diskussion zu stellen, HERMLE, Evangelikalen, 333. Zur Entwicklung in beiden Landeskirchen, von wo aus „die entscheidenden Aktivitä-

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tungen der benachbarten Landeskirchen im Rheinland und in Westfalen genau beobachtet. Der rheinische Präses Joachim Beckmann bezog klar Stellung: An die Adresse des Bethel-Kreises gerichtet, kritisierte er dessen Vorwurf, die Theologie „sei ungläubig und vom Rationalismus geprägt“, als „ein gefährliches Dogma“ und würdigte Bultmanns „große Arbeit“127. Zur Frage, „ob die neue Theologie eine Gefahr für die Gemeinde“ sei, verwies der lutherische Theologe – in der NS-Zeit Mitglied des Bruderrates der BK – auf Probleme, „wenn sie sich der Theologie überhaupt versagt.“ Mit „ihren Eigentümlichkeiten“ habe sie jedenfalls „sehr schockierend gewirkt“128. Nicht-evangelische Medien sahen gerade darin den Anreiz, die neuen Strömungen der sogenannten Modernen Theologie in großen Serien vorzustellen und zu diskutieren129. Außer der „säkularen“ Presse traten 1963/1964 verstärkt auch kirchliche Nachrichtendienste, gemeindenahe Kirchenzeitungen und der Rundfunk als Diskussionsforen exegetischer Fragen in Erscheinung130. Theologisch geschulte Journalisten wie Heinz Zahrnt, Chefredakteur des (Deutschen Allgemeinen) „Sonntagsblatts“, bedienten eine steigende Nachfrage nach Buchpublikationen zu den neueren Theologien und der virulent gewordenen Frage nach dem historischen Jesus131. Privat veröffentlichte Stellungnahmen kirchenleitender Persönlichkeiten132 zugunsten der historisch-kritischen Exegese bestätigten den Bethel-Kreis in seiner Feststellung eines kirchlichen Notstandes. Die Fronde der „Bekenntnistreuen“ verbreiterte sich. Die Sammlung gleich gesonnener Laien wurde durch Bitt- und Bußgottesdienste in westdeutschen Städten ab 1965 weiter gefördert133. Die Anziehungskraft des Bethel-Kreises auf evangelische Gemeindemitglieder mit konservativem Glaubens- und Kirchenverständnis erhielt anlässlich des Kölner Kirchentags im Sommer 1965 einen weiteren Schub134. Im Zentrum der Kritik stand der Arbeitskreis „Kirchenreform“, personifiziert durch einen Vortrag Dorothee Sölles. Letztere avancierte zur Symbolfigur der „progressiven“ Theologie. Ausgehend von der Frage, wie man nach Auschwitz „Gott

ten“ zur Organisierung der späteren „evangelikalen“ Bewegung ausgingen, (EBD., 327). Zur Bandbreite dieses in Gänze schwer zu fassenden Spektrums, JUNG, Bewegung, 1f.; sowie neuerdings grundlegend, BAUER, Bewegung. 127 BECKMANN, Theologie, 62 u. 75, Hervorhebung im Original. 128 EBD., 56 u. 67, Hervorhebung im Original. 129 ROBINSON, Gott. Vgl. dazu Bultmanns Rezension in der „Zeit“, BULTMANN, Glaube, 18. 130 HASSLER, Gutachten, 113. 131 ZAHRNT / ASMUSSEN, Ich. Vgl. ZAHRNT, Jesus. 132 So z. B. BECKMANN, Erforschung. 133 STRATMANN, Evangelium, 56. 134 FREY, Geschichte, 10.

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loben soll“, plädierte Sölle, Schwester des liberal-konservativen Historikers Thomas Nipperdey, für ein neues kirchliches Selbstverständnis. Die verfasste Kirche dürfe sich nicht mehr als exklusiven Ort begreifen, wo Christus ist, die Welt sei schließlich „säkular geworden“135. Der Bethel-Kreis erachtete die von ihr und anderen „modernen“ Theologen – in Köln noch moderat – vorgetragene Kirchenkritik als Skandal. Mit der Forderung nach einer „Theologie ‚nach dem Tode Gottes‘“ provozierte Sölle den Bethel-Kreis zu weiterer Polemik; der Kirchentag wurde gar als atheistische Neuauflage der von den DC 1933 veranstalteten „Sportpalastkundgebung“ bezeichnet136. Die allgemeine Presse beurteilte ihn überwiegend positiv. In der „Zeit“ hieß es, der „Kirchentag des Dialogs“ sei „keine ‚geistliche Mustermesse‘“ gewesen. Vielmehr habe er sich bemüht, „den ‚Staub von der Bibel‘ zu blasen“. Doch auch in diesem Artikel dominierte die Brille eines kirchlichen Niedergangsschema, denn „entgegen manchen Erwartungen“ habe der Kirchentag ein „überraschend gute[s] Gelingen“ gezeitigt137. Die Dialektik einer „Volkskirche“ zwischen Krisis und Aufbruch führte noch auf einem anderen Gebiet zur innerprotestantischen Frontenbildung: einer Auseinandersetzung, die sich mit der Kontroverse um „Kirchenreform“ und „Moderne Theologie“ zunehmend verschränkte. Neben Bekenntnistreue wurde nun auch ein protestantisches Ja zur deutschen Nation gefordert. So veröffentlichte der Dortmunder Pfarrer Alexander Evertz, während der NSZeit BK-Mitglied und später Soldat im Ostfeldzug, im August 1964 eine Schrift über den „Abfall der evangelischen Kirche vom Vaterland“138. Darin forderte er eine Rehabilitierung des Nationalgedankens. Die Kirchen, so die nationalistische Polemik, seien von einem „‚Linksprotestantismus‘ bestimmt“, der die „Verbindung zwischen christlicher und vaterländischer Gesinnung“ zerrissen habe. Dies führe zur Überzeugung: „Der christliche Glaube verlangt ein klares Nein zur Vaterlandsliebe. Der Christ ist ein Weltbürger, der keine Grenzpfähle mehr kennt, sondern alle Menschen gleich lieb hat. Ein Deutscher aus Hannover oder aus Stuttgart steht ihm nicht näher als ein Neger aus Afrika.“139

135 136

Zit. n. DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG KÖLN 1965, Dokumente, 295 u. 301. FREY, Geschichte, 10; SÖLLE, Stellvertretung. Zur „Gott-ist-tot-Theologie“, HERZOG,

Death. 137

PRESSE; STROTHMANN, Staub; und LORENZ, Vorwort, 5. EVERTZ, Abfall. Zur selben Zeit führten evangelische Wissenschaftler und Publizisten eine von prominenten Protestanten wie Helmut Thielicke angestoßene Diskussion um ein neues deutsches Nationalbewusstsein, LEPP, Tabu, 538–549. 139 EVERTZ, Abfall, 17. 138

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Evertz fasste die im deutschen Protestantismus traditionell verbreitete Aversion gegen Rationalismus, Pluralismus, Individualismus, Amerikanismus sowie Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung zusammen. Unter Rückgriff auf die Ordnungs- und Schöpfungstheologien der 1920er und 1930er Jahre schrieb er: „Wer das Vaterland verachtet, der versündigt sich an der Schöpfung Gottes. Und wer seiner vaterländischen Verpflichtung nicht nachkommt, der lebt nicht im Gehorsam vor Gott.“140 Evertz machte keinen Hehl, dass er dieses „Vaterland“ in den Grenzen von 1937 verortete. Im Juni 1965 bilanzierte er die veröffentlichten Reaktionen auf seine Schrift mit der Feststellung, „nicht nur negative Kritik gefunden zu haben“; außer den Heimatvertriebenen hätten auch „zahlreiche mittlere und kleinere Zeitungen“ positiv reagiert141. In einer Tirade gegen Demokratie und Pressefreiheit kritisierte er „eine bestimmte Richtung, die in den Redaktionsstuben großer Zeitungen und Zeitschriften, in den Funk- und Fernsehstationen, in kirchlichen Presseämtern, ja sogar in den Buchhandlungen“ dafür gesorgt habe, dass seine Schrift, „von Ausnahmen abgesehen“ nicht besprochen wurde142. Eine Art Gegenentwurf zu Evertz lieferte Erich Müller-Gangloff. Der Leiter der Evangelischen Akademie Berlin, Anfang der 1930er Jahre Anhänger der Konservativen Revolution, hatte sich nach 1945 dem christlichen Glauben zugewandt. Im Frühjahr 1965 wagte er einen deutschlandpolitischen Vorstoß143. Unter dem provokanten Titel „Mit der Teilung leben. Eine gesamtdeutsche Aufgabe“ veröffentlichte er „sieben Thesen für ein neues Bewußtsein“144. Die von ihm erhoffte Bannung des Wiedervereinigungsgedankens, dem die „Macht einer gefährlichen Tabuvorstellung“ innewohne, ruhte auf der jungen Generation der „Twens“145. Mit seinen Überlegungen fand er v. a. in den Evangelischen Studentengemeinden Gehör146. Die Organisatoren des Kölner Kirchentags bemühten sich, die Veranstaltung von der Erörterung der von Evertz und Müller-Gangloff aufgeworfenen Fragen freizuhalten. Der Kirchentag war ohnehin auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik ausgerichtet. Nur auf der Schlussveranstaltung erwähnte der neue Kirchentagspräsident Richard von Weizsäcker die Deutschlandfrage, indem er sie unter dem Aspekt der „gemeinsamen Friedensaufgaben der Deutschen“ in einen globalen Kontext

140 141 142 143 144 145 146

EBD., 77. Vgl. ROHLS, Theologie, 290–297 u. 415–421. EVERTZ, Nachwort, 114. EBD., 107. Zur Person, HANUSCH, Erich Müller-Gangloff. MÜLLER-GANGLOFF, Mit, Rückentext. Zur Erläuterung seiner Thesen, EBD., 17–19. EBD., 9 u. 183f. LEPP, Tabu, 575.

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einordnete147. Diese Sichtweise entsprach der wenige Wochen zuvor von Kurt Scharf formulierten Neudefinition der Klammerfunktion der EKD. In seinem Rechenschaftsbericht vor der erstmalig getrennt tagenden EKD-Synode gab der Ratsvorsitzende folgende Ansicht zu Protokoll: „Die Evangelische Kirche in Deutschland ist nicht ein Restbestand alter nationaler Einheit noch ein Vorgriff auf die politische Wiedervereinigung, noch kann sie Sprecherin sein für eine bestimmte Zuordnung der beiden deutschen Teile zueinander [. . .]. Ihre Einheit ist auch [. . .] nicht ein Lehrsatz des Bekenntnisses, eine über die Zeiten hin gültige Glaubensaussage. Aber die Evangelische Kirche in Deutschland ist Kirche über Grenzen hinweg, eine rechtliche und geistliche Wirklichkeit. [. . .] Wir meinen, dass unser Tun und Planen die uns anvertraute Gabe, eine Kirche in Gebieten verschiedener gesellschaftlicher Struktur, verschiedentlicher wirtschaftlicher und politischer Ordnung zu sein, gebraucht hat. Der von Gott uns zugewiesene Ort unserer Existenz hat der Predigt unserer Kirche und ihrem gesellschaftlichen und politischen Dienst die Gelegenheit, die ‚Chance‘ geboten, den Menschen zu zeigen, wie sie ‚auf einander zu‘ denken sollen, und zwar nicht nur den Menschen, die Glieder unser Kirche sind, sondern den Menschen in den getrennten Lagern der Welt von heute.“148

Mit seiner Absage an eine national(staatlich)e Klammerfunktion vertrat Scharf die Position des Rates der EKD. Alexander Evertz und die Anhänger eines deutschnationalen Protestantismus149 deuteten dies als Beleg für eine von „Linksprotestanten“ bestimmte, vom „Vaterland“ abgefallene EKD. Ein „patriotische[s] Weltbürgertum“ forderte hingegen der in Münster lehrende Sozialethiker Heinz-Dietrich Wendland150. In den 1920er Jahren galt Wendland als führender Vertreter der Schöpfungs- und Ordnungstheologien. Nun distanzierte er sich von der Huldigung eines autoritären bzw. totalitären Staatsverständnisses und der theologischen Legitimation nationalistischer Vorstellungen. Wegen des im Dekolonisationsprozess aufkommenden Nationalismus postulierte Wendland eine Völker verbindende Universalethik. Über die Schwierigkeit dieser Aufgabe war er sich allerdings im Klaren151. Die Entwicklung eines neuen Nationalbewusstseins war im Frühsommer 1965 auch vieldiskutiertes Thema im Bundestagswahlkampf. Zeitgenössische

147

Zit. n. DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG KÖLN 1965, Dokumente, 935. Zit. n. FRANKFURT – MAGDEBURG 1965, 7f. 149 So etwa die in der Schriftenreihe „Jedermann“ veröffentlichten Betrachtungen des Johann-Heerman-Kreises, PETERSMANN, Deutschlandfrage; HALFMANN, Christ. Vgl. HUDAK, Friedenskonferenz. 150 WENDLAND, Nationalismus, 103. Bei dem Text handelt es sich um das überarbeitete Manuskript einer 1965 gehaltenen Rektoratsrede an der Universität Münster. 151 EBD., 105. Vgl. GAEDE, Bibliographie. 148

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Beobachter deuteten den Themenschwerpunkt als parteipolitische Reaktion auf die Gründung der rechtsradikalen NPD152. Der evangelische Publizist Eberhard Stammler vermutete hinter der drohenden „neuen nationalen Welle“ den Druck der Heimatvertriebenenverbände153. Die reservierte Aufnahme des von Ludwig Erhard propagierten Konzepts der „formierten Gesellschaft“ verdeutlichte, dass Gegenentwürfe zur pluralistischen Lebenswelt keine gesellschaftliche Tragfähigkeit (mehr) besaßen; sein unter dem Motto „Unsere Sicherheit – CDU“ erzielter Wahlsieg artikulierte ein dennoch weit verbreitetes Bedürfnis nach Geborgenheit154. Die Debatte um die Ostdenkschrift der EKD sollte die gesellschaftliche Unruhe weiter verstärken, denn die Kammer für öffentliche Verantwortung hatte damit ein Tabu aufgegriffen: „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“, so der Titel der mit Zustimmung des Rates im Oktober 1965 veröffentlichten Schrift155. Die Kammermitglieder hatten sich darauf verständigt, einen von den theologischen und politischen Parteien unabhängigen Weg zu beschreiten. Den Rat, sich auf keinem Fall als kirchliches Gremium zum Thema der deutschen Ostgebiete politisch zu äußern, ließ man nicht gelten156. Es wurde betont, dass Theologie und Kirche ohnehin keine unmittelbar anwendbaren politischen Konzepte liefern könnten. Die nun angestellten rechtlichen, ethischen und theologischen Überlegungen zielten darauf ab, „neue Bewegung in die politischen Vorstellungen des deutschen Volkes hineinzubringen und auch den östlichen Nachbarn einen Dialog auf neuer Ebene anzubieten.“ In der Schuldfrage wurden die Kausalbezüge klar herausgestellt: „Die den Deutschen angetanen Unrechtstaten können nicht aus dem Zusammenhang mit der politischen und moralischen Verirrung herausgelöst werden, in die sich das deutsche Volk vom Nationalsozialismus hat führen lassen.“157 Gegenüber dem Ostkirchenausschusses der EKD und den Verfechtern eines deutschnationalen Protestantismus machten die Autoren deutlich, dass die theologischen Elemente des „des Heimatbegriffes [. . .] nach allem nicht dazu dienen, ein unabdingbares Recht des Menschen auf seine, auf die Heimat zu begründen. Auch die mit dem Heimat-

152

LANGNER, Nationalismus, 9. STAMMLER, Welle. 154 ERHARD, Gesellschaft; WOLFRUM, Demokratie, 218f. u. 224f. 155 LAGE. Zu ihrer Entstehungsgeschichte, RUDOLPH, Kirche, 86–149; GRESCHAT, Protestantismus, 559–567. Zur deutschlandpolitischen Bedeutung, HECK, EKD. 156 GRESCHAT, Protestantismus, 561. 157 LAGE, 81 u. 123. 153

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recht verbundenen politischen Ansprüche können sich auf theologische Begründungen zum Heimatverständnis nicht berufen.“158

Ohne Stellung zu beziehen, rührte die EKD damit am Tabu einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Die Denkschrift rief ein breites Echo in kirchlichen und politischen Kreisen hervor159. Das Spektrum reichte von erleichterter Zustimmung bis zu von Hass getragener Ablehnung. Die öffentliche Meinung war tief gespalten160. Es folgten heftige Auseinandersetzungen in Kirchengemeinden, Ausschüssen, Vereinen und Verbänden, v. a. aber in den Evangelischen Akademien161. Trotz Kritik an einem Überborden der politischen Stellungnahme seitens der Theologie, stellte sich eine „für den deutschen Protestantismus ungewöhnlich breite theologische und kirchenpolitische Front“ hinter die Denkschrift162. National(istisch)e Protestanten lehnten den angestellten Konnex von Schuld- und Identitätsfindung kategorisch ab163. Schuld trügen einzig die Nachbarn im kommunistisch regierten Osteuropa. In der Ostdenkschrift sahen sie einmal mehr den Beleg für den kirchlich forcierten „Abfall“ der Gesellschaft vom Vaterland. Den aus ihrer Sicht schlagenden Beweis lieferte die Frühjahrssynode der EKD 1966 mit ihrer die Ostdenkschrift bejahenden, von den westdeutschen Landeskirchen später angenommenen Erklärung164. Noch während der Synode verfassten Evertz und einige (Nicht)Theologen, darunter der Karlsruher Oberlandesgerichtsrat Karl Salm, den Aufruf zur Gründung einer „Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher“. Aus ihrer Sicht fassten „tonangebende Kreise in unserer Kirche“ das Jahr 1945 als „neue Offenbarungsquelle“ auf. Der deutsche Zusammenbruch werde als ein Wort Gottes gedeutet, „dem man politische Weisung entnimmt“; so wie die DC in der „Machtergreifung“ 1933 die Offenbarung Gottes in der Geschichte gesehen hätten. Dieser Fehlentwicklung wolle man nun entgegenwirken. Anstatt aus der Kirche auszutreten, sollten „alle evangelischen Deutschen“ sich der Notgemeinschaft anschließen165.

158

EBD., 113. Dazu HENKYS, Deutschland; HECK, EKD, 160–206; und STEHLE, Osten. 160 WOLFRUM, Demokratie, 223; HENKYS, Denkschrift. 161 RUDOLPH, Kirche, 150–210. 162 GRESCHAT, Protestantismus, 566; HECK, EKD, 175–191. 163 Vgl. z. B. BRAUN, Gericht. 164 BERLIN UND POTSDAM 1966, 470–474; GRESCHAT, Protestantismus, 567. Vgl. VERTREIBUNG. Die Erklärung wurde von der Synode bei einer Stimmenthaltung angenommen, BERLIN UND POTSDAM 1966, 256. 165 Zit. n. HEISELER, Christ, 28, dort im Abdruck, 27f. Vgl. EVERTZ, Kirche [1966], 17. 159

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„Volkskirche“ und gesellschaftlicher Wandel

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Diesen Schritt vollzogen nur Wenige. Die Auffassungen der Notgemeinschaft wurden allerdings „von einer nicht unbeträchtlichen Zahl evangelischer Gemeindemitglieder“ mit konservativem Glaubens- und Kirchenverständnis geteilt, denn sie opponierte gegen die theologische Entwicklung in den evangelischen Kirchen im Allgemeinen und die gesellschaftliche Entwicklung im Besonderen166. Salm propagierte die antimarxistische Verschwörungsthese einer von außen gesteuerten „Entnationalisierung der Deutschen“. Die „Volkswirklichkeit“ nehme in der technischen Massengesellschaft die „Gestalt des vollen Menschseins“ an. Die Kirche sei vom „Virus der ‚Schwarmgeisterei‘“ befallen: Der „Christenmensch“ greife „auf dieser irdischen Welt in anmaßender Überheblichkeit“ hinaus in den „jenseitigen Bereich von Gottes Planen und Handeln“167. Die Notgemeinschaft kritisierte daher auch die mediale Präsenz der „Modernen Theologie“. Zur Jahreswende 1965/1966 sorgten gleich zwei Skandalgeschichten für Furore: Der Frankfurter Theologe Hans-Werner Bartsch forderte in der „Zeit“ die Abschaffung des Weihnachtsfestes. Zur Begründung verwies er auf den Überhang legendenhafter Elemente in der biblischen Weihnachtsgeschichte. Weiteres Aufsehen erregte die siebenteilige „Spiegel“-Serie über das umstrittene Jesus-Buch des amerikanischen Publizisten Joel Carmichael168. Zum Serienauftakt diskutierte Rudolf Augstein dessen These, der historische Jesus habe einen gewaltsamen revolutionären Aufstand gegen die römische Herrschaft intendiert169. Der Bethel-Kreis veranlasste daraufhin die Gründung der „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“170. Die „Enttäuschung“ ob der Wirkungslosigkeit bisheriger Einsprüche gegen die Universitätstheologie und die Untätigkeit der Kirchenleitungen gab den eigentlichen Ausschlag. Rund 22.000 Gläubige besuchten am 6. März 1966 die Gründungsveranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle. Walter Künneth hielt das Hauptreferat. Die über Bekenntnisgrenzen hinweg greifende Unterstützung der Bewegung spiegelte

166

WARMERS, Kirche, 452. Zit. n. LEPP, Tabu, 554 u. PETERSMANN, Kritik, 71. 168 BARTSCH, Weihnachten; CARMICHAEL, Leben. 169 Der Verleger konstatierte, Carmichael habe die biblischen „Texte auf der Suche nach Indizien für einen bewaffneten Aufstand zu sehr strapaziert.“ Die Texte enthielten dennoch ausreichend Material, „um Jesus als einen für die römische Oberherrschaft potentiell gefährlichen Mann und damit, vom noch heute gültigen vorbeugenden Staatsschutzdenken her, für einen Aufrührer auszuweisen.“ (AUGSTEIN, Jesus, 51). Weitere Reaktionen, „Spiegel-Verlag/Hausmitteilung“. In: Der Spiegel, Nr. 14 vom 28. 3. 1966, 3. Über den gewaltsamen „Rebell Gottes“ wird auch noch heute gerne berichtet. Vgl. Der Spiegel, Nr. 17 vom 23. 4. 2011. 170 STRATMANN, Evangelium, 66–70. 167

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sich in der bundesweiten Gründung landeskirchlicher Untergruppen und Arbeitskreise wider. Während diese vornehmlich in unierten oder reformierten Gebieten entstanden, gründeten lutherische Kreise „Sammlungen“, die mit der „Bewegung“ kooperierten171. Zur Vernetzung diente ein „Informationsbrief“ (IBKAE). Im Vergleich zur Notgemeinschaft genoss die (noch) streng getrennt operierende Bekenntnisbewegung öffentlich weit größere Aufmerksamkeit172. Der in den Medien ausgetragene Streit zwischen „bekenntnistreuen“ und „modernen“ Theologen wurde durch journalistische Situationsdeutungen verschärft. „Der Spiegel“ witterte einen zweiten „Kirchenkampf“, dem die Kirchen „handlungsunfähig“ gegenüber standen173. In der Folge brachten auch kirchenleitende Persönlichkeiten ihre unterschiedliche Meinung über die Vorund Nachteile der „weltlichen“ Berichterstattung öffentlich zum Ausdruck. Zusammen mit der Kontroverse um die Ostdenkschrift entstand so der Eindruck, der westdeutsche Protestantismus sei sowohl in politischen als auch theologischen Fragen tief zerstritten. Wie würde er auf die aus dem „Spannungsfeld der Ökumene“174 hervorgegangenen Fragen reagieren?

2.3 Sozialethische Herausforderungen für den „Weltprotestantismus“ Die Dekolonialisierung stellte die christlichen Kirchen Ende der 1950er Jahre vor die Frage, wie ihren politischen, soziökonomischen, kulturellen und theologischen Implikationen zu begegnen sei. Als „Kirchen im Kapitalismus“ wurden sie Zeuge einer gescheiterten internationalen Entwicklungspolitik, die soziale Entwicklungsfortschritte einzig von wirtschaftlichen Zuwachsraten abhängig machte. Der als Korrektiv popularisierte Ansatz vom „sozialen Wandel“ war daher auch ein Impuls zur Überprüfung bzw. Konzeptionalisierung 171

BÄUMER, Bekenntnisbewegung, 36. Dazu HERMLE, Evangelikalen, 334f. Von der „links-liberalen“ Presse als Gruppe evangelischer „Außenseiter“ (STOLZE, Armen) behandelt, stand die Notgemeinschaft im Schatten der Bekenntnisbewegung, deren Anliegen „nahezu bis in die letzte Gemeinde hinein“ getragen wurde (NIEMEIER, Kirche [1966], 79). Lauten Beifall erhielt Erstere einzig von Seiten der NPD, die sich wie die Notgemeinschaft darum bemühte, Stimmen im Lager der Vertriebenen zu gewinnen, SCHIEFLER, Restauration, 115; HUBER, Kirche, 403f. Nachdem „Christ und Welt“ die Gründung der Notgemeinschaft mit Vorbehalten kommentiert hatte, bot sie dieser später – wie „Die Welt“ – die Möglichkeit sich vorzustellen, EVERTZ, Vaterland. Auf Evertz’ Polemik gegen die „Gewalt des Zeitgeistes“ (EVERTZ, Notgemeinschaft) antwortete Georg Picht mit einer Fundamentalkritik an den Positionen der Notgemeinschaft, PICHT, Wo. 173 HARENBERG, Jesus; KNEVELS, Selbstbesinnung. 174 So das – neben der Ostdenkschrift – zweite Hauptthema der im März 1966 tagenden EKD-Synode, BERLIN UND POTSDAM 1966. 172

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kirchlicher Entwicklungshilfestrategien175. Die stärkere Gewichtung nichtökonomischer Variablen bedingte eine Sensibilisierung für sozialethische Fragen, einem von den Kirchen traditionell besetzten Themenfeld. Unter dem Oberbegriff „Wandel“ wurden nun Veränderungen in den Wertesystemen, Modernisierungen in Politik und Verwaltung sowie Investitionen im sozialen Bereich, einschließlich gerechterer Verteilungsmechanismen angesprochen176. Für die Kirchen in den westlichen Industrieländern bot diese Gewichtsverlagerung die Chance, ihr Profil als Akteur auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe zu schärfen. Im Fall der EKD nahm Gottfried Niemeier, theologischer Referent in der Kirchenkanzlei, den Erfolg der ersten beiden Aktionen „Brot für die Welt“ zum Anlass, für neue Formen kirchlicher Diakonie zu werben. Mit den Worten Heinz-Dietrich Wendlands postulierte er: „Gesellschaftliche Diakonie“ müsse die Grenzen der „karitativen Diakonie“ überschreiten, um gesellschaftliche Institutionen zu verändern oder neu aufbauen zu helfen177. Hintergrund war das ÖRK-Studienprojekt „Rapid Social Change“ (1955–1959), dem Wendland und das von ihm geleitete Münsteraner Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften den Stempel aufdrückten178. Ungeachtet der Verlockungen eines aktiveren kirchlichen Einsatzes in der Entwicklungshilfe, implizierte Wendlands Forderung die Gefahr, die Kirchen könnten als politischer Akteur wahrgenommen werden179. Der politische Gewinn einer altruistisch motiviert wahrgenommen Entwicklungshilfe manifestierte sich im Streben der (ehemaligen) Kolonialmächte, die aus der Dekolonisation nun hervorgehenden Nationen nicht in dem Einfluss Moskaus oder Pekings zu überlassen. Die Notwendigkeit, Entwicklungshilfe mit vertrauensbildenden Maßnahmen zu kombinieren, bestimmte aber nicht nur die bilateralen Beziehungen zwischen den Ländern der Ersten und der Dritten Welt180. Die koloniale Erblast wog auch in der Ökumene schwer. Kri175

Zu diesem Zeitpunkt war der protestantische Entwicklungsdienst in Deutschland gerade dabei, sich auf EKD-Ebene zu konstituieren, WILLEMS, Entwicklung, 225–258. Zur Geschichte der Entwicklungspolitik in der Bundesrepublik und den evangelischen Diensten in Übersee, HEIN, Westdeutschen. 176 WILLEMS, Entwicklung, 186. 177 NIEMEIER, Kirche [1960], 106; WENDLAND, Diakonie, 265. 178 ABRECHT, Churches; AUFGABEN UND MÖGLICHKEITEN; WENDLAND, Wege, 136; und DERS., Kirche. Zur Würdigung, REUTER, Übergang. 179 Wendland betonte: „Politische Diakonie kann natürlich nicht heißen ‚Politisierung‘ der Diakonie, also Auslieferung an politische Gruppen, Ideologien, Herrschaftsformen“ (WENDLAND, Diakonie, 263). 180 Die polit-historischen Termini Erste und Dritte Welt erweisen sich im Bereich der Entwicklungshilfe als besonders problematisch. Zur Heterogenität der Länder der Dritten Welt, NOHLEN / NUSCHELER, Welt, 11f.

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tische Anfragen der „jungen Kirchen“ konzentrierten sich dabei nicht allein auf die Schuldverstrickung christlicher Kirchen- und Missionsarbeit während der Kolonialzeit. Vielmehr gingen sie selbst dazu über, sämtliche Traditionsbestände der abendländischen Zivilisation zu hinterfragen181. Hintergrund dieser Skepsis war der in politisch unabhängig gewordenen Staaten wie Ghana und Guinea auftauchende „Neokolonialismus“: die latente Weiterexistenz kolonialer Abhängigkeitsstrukturen in Politik, Ökonomie und Kultur. Die Auffassung, dass zum Umgang mit diesen Missständen und deren Urhebern – einheimische Handlanger mit eingeschlossen – auch drastische Maßnahmen nicht nur legitim, sondern zwingend notwendig sein würden, gewann durch Frantz Fanons „Les Dammnés de la Terre“ enorme Verbreitung in den Ländern der Dritten wie auch Ersten Welt. Der auf Martinique aufgewachsene Psychiater zog aus seinen Erfahrungen im Algerienkrieg den Schluss – so der populäre Tenor einer grob vereinfachenden Rezeption seines 1966 auf Deutsch erschienenen Œuvres –, dass der (Neo)Kolonialismus nur mit Gewalt restlos beseitigt werden könne182. Gewalt wurde nämlich eine kathartische Wirkung zugunsten einer psycho-sozialen Emanzipation zugeschrieben183. Im religiösen Spektrum generierte der von nationalistischen Emotionen getragene anti-neokoloniale Affekt den Wunsch nach einer Inkulturation der christlichen Botschaft und der Konzeption einer kontextuellen „nicht-europäischen“ Theologie. Während sich die römisch-katholische „Universalkirche“ im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) den kritischen Anfragen aus den ehemaligen Kolonien stellte und neue Aufbrüche einleitete184, nutzten 181 Eine Allgemeindefinition des umstrittenen Begriffs versteht darunter die aus der westlichen Missionsarbeit hervorgegangenen Kirchen der Dritten Welt, die heute nominell selbstständig sind, HOLLENWEGER, Kirchen, 454. Zur Begriffsgenese, BIEHLER, Umbruch, 4–6. 182 Einzelne Kapitel des Werks beziehen sich auch auf die postkolonialen Erfahrungen unabhängiger afrikanischer Staaten, FANON, Damnés; DERS., Verdammten. Eine Fehlinterpretation findet sich bereits in dem von Jean Paul Sartre verfassten Nachwort, CHERKI, Frantz Fanon, 255f. Zur weiteren (Fehl)Rezeption der Fanonschen Revolutionstheorie, die Fanon selbst allerdings „rein säkular“ begründete (WOLTER, Subjekt, 96). 183 Fanons Abscheu, „wenn er über die schwere ‚Gegengewalt‘ der Schwarzen sprach und über die Racheakte, die die algerische Revolution mit sich gebracht hatte“, blieb dagegen unerwähnt (BEAUVOIR, Force, 622, übersetzt aus dem Französischen). Vgl. ECKERT, Predigt, 2f. Zur afrikanischen Rezeptionsgeschichte von „Die Verdammten der Erde“, RABAKA, Theory, 165. Zu den Grundlagen einer „christologie négro-africaine de la libération holistique“ und deren Beeinflussung durch Fanon, (AWAZI MBAMBI KUNGUA, Dieu, 16, 19 u. 171). 184 Die Konstitution „Sacrosanctum concilium“ und das Dekret „Ad gentes“ erwiesen sich im Umgang mit der Dekolonialisierung als Wegweiser für ein gewandeltes Liturgie- und Missionsverständnis. Den „profanen“ Aspekt der Entwicklungshilfe berücksichtigte die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, PASTORALKONSTITUTION; SANDER, Kommentar, 763f. u. 812–816. Letztere und „Ad gentes“ dienten als Ausgangspunkt für die Genese der Befreiungstheologien, EBD.,

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protestantische Vertreter der „jungen“ Kirchen die ökumenische Bühne des ÖRK, um ihre Belange zu artikulieren. Wegen der konfessionellen Eigenart des Protestantismus besaßen sie ein ohnehin „autonomeres“ Bewusstsein185. Auf der Vollversammlung in Neu-Delhi reformierte der ÖRK 1961 sein Missionsverständnis, um so auch der größeren Heterogenität in den eigenen Reihen gerecht zu werden. Mit dem Beitritt von 23 Kirchen gewann der 1948 gegründete und nunmehr auf 198 Mitglieder erweiterte Kirchenbund ein wahrhaft globales Antlitz. Mit der gleichzeitigen Aufnahme der orthodoxen Kirchen Osteuropas und dem Beitritt von allein elf afrikanischen Kirchen wurde die „Hegemonie“ der westeuropäischen und nordamerikanischen Kirchen klar relativiert186. Die Vollversammlung erklärte, die Annahme, dass die westliche Kultur „die Kultur sei und daß deswegen ‚christliche Kultur‘ notwendigerweise in eins zu setzen sei mit den Sitten und Traditionen der westlichen Zivilisation, ist ein Hindernis für die Ausbreitung des Evangeliums und ein Anstoß für solche, die anderen Traditionen angehören.“187

Ein „rascher technischer und sozialer Umbruch“ habe ein „revolutionäres Zeitalter“ eingeläutet, welches Christen und Kirchen, „überhaupt alle Menschen und Völker, vor dringende Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Dienstes“ stelle, schließlich seien „alle Bereiche der Gesellschaft“ davon betroffen. Die „technische Entwicklung“ habe den sozialen Umbruch und das „Entstehen vieler neuer Nationen“ bedeutend vorangetrieben188. Die Marktabhängigkeit von „mächtigen Nationen“ habe das fortschrittsbedingte Entwicklungspotential in einigen dieser Länder jedoch konterkariert. Mit dieser Feststellung ging der ÖRK in Neu-Delhi erstmals offen dazu über, den Nord-Süd-Konflikt mit dem Ost-West-Gegensatz thematisch zu verschränken. Angestoßen durch die Frage nach ökumenischer Hilfe für die „jungen“ Kirchen mündete die auch „als Beitrag zur internationalen Stabilität“ verstandene Problemanalyse in der steuerungsoptimistischen Forderung nach einem globalen „Gesamtplan“189. Es

852–855; HÜNERMANN, Kommentar, 284f. Angesichts der nicht abebbenden Literaturflut zur (Wirkungs)geschichte des Konzils sei auf folgende Auswahl verwiesen, WENZEL, Geschichte; BISCHOF / LEIMGRUBER, Vierzig; PESCH, Konzil; WOLF / CLAUS, Länder; und HÜNERMANN, Vatikanum. 185 KOLLBRUNNER, Forderung, 33. 186 LOSSKY U. A., Dictionary, 1233; KRÜGER, Bewegung, 356. 187 VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, 108f. 188 EBD., 104f., Hervorhebung im Original. 189 EBD., 118 u. 106. Zur Popularisierung des „engineering“-Ansatzes zu Beginn der 1960er Jahre, NOHLEN, Steuerungstheorien, 937.

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mehrten sich Zweifel am Konzept der „Responsible Society“, dem sozialethischen Leitbild des ÖRK. Auf der Ersten Vollversammlung in Amsterdam wurde es 1948 noch wie folgt umschrieben: „Eine verantwortliche Gesellschaft ist eine solche, in der Freiheit die Freiheit von Menschen ist, die sich für Gerechtigkeit und öffentliche Ordnung verantwortlich wissen, und in der jene, die politische Autorität oder wirtschaftliche Macht besitzen, Gott und den Menschen, deren Wohlfahrt davon anhängt, für ihre Ausübung verantwortlich sind.“190

Bereits nach der Zweiten Vollversammlung im Jahr 1954 bemühte sich das Genfer ÖRK-Referat „Kirche und Gesellschaft“ um eine Überarbeitung von „Responsible Society“ zugunsten einer stärkeren Berücksichtigung der Dritten Welt191. Doch auch das oben erwähnte Studienprojekt über „Rapid Social Change“ trug nicht dazu bei, den Vorbehalt der „jungen“ Kirchen gegenüber dem symbolgeladenen Begriff zu entkräften. Ungeachtet der schon in Amsterdam formulierten und in Neu-Delhi bekräftigten Absage an beide Ideologien, die „des Kommunismus und [die] des Laissez-faire-Kapitalismus“192, stand er weiter sinnbildhaft für einen westlichen Paternalismus. Heinz-Dietrich Wendland hielt die kritischen Anfragen aus den „Ländern des sozialen Umbruchs“ für berechtigt, forderte die dortigen Kirchen aber gleichzeitig auf, „konkretere Ordnungsbilder zu entwickeln“. Am „Zielbild ‚verantwortliche Gesellschaft‘“ hielt er stellvertretend für die Mehrheit im ÖRK weiter fest193. Im Hinblick auf internationale Fragen und als Reaktion auf das Verlangen der „jungen“ Kirchen nach einer Neuausrichtung der ökumenischen Theologie praktischer Hilfestellung in der Entwicklungspolitik konzentrierte sich der ÖRK seit Neu Delhi 1961 „auf aktives Handeln und auf aktuelle Stellungnahmen“194. Die Vollversammlung lehnte die Erfüllung eines „politischen Dienstes“ als kirchlich unzulässige Identifizierung mit einem „wirtschaftlichen, sozialen oder politischen System“ zwar weiter ab195. Der Genfer Stab beanspruchte für sich nun aber das Recht, politischer „Agenda-Setter“ zu sein: Der ÖRK sehe „sich nicht allein in den Strom des Geschehens hineingerufen“; er sei ihm vielmehr „voraus“. Den Mitgliedskirchen wolle man „geistliche und praktische Führung“ geben zur „christlichen Lösung der aktuellen Fragen und Probleme

190 191 192 193 194 195

LÜPSEN, Dokumente, 50. ABRECHT, Entwicklung, 327f. LÜPSEN, Dokumente, 53; VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, 113. WENDLAND, Begriff, 109. SCHEUNER, Angelegenheiten, 71. VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, 125f. u. 506.

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unserer Zeit“, etwa „Materialismus, Säkularismus, Krieg und Frieden, soziale Gerechtigkeit“196. In den Stellungnahmen zur Weltpolitik offenbarte sich aber das Problem, die Suche nach neuen Wegen und Formen „soziale[r] Diakonie“ theologisch zu konkretisieren197. Ein Thema war die „Kirche inmitten rassischer und völkischer Spannungen“198. In der Frage nach dem legitimen Verhalten im „Kampf um rassische Gleichberechtigung“ empfahl die Sektion „Dienst“ folgende „Methoden des Vorgehens“: Christen sollten der Mahnung des Evangeliums Folge tragen, indem sie all jene Bestrebungen „unterstützen, die auf gewaltlosem Weg“ diese Entwürdigung bekämpften. Die Kirchen sollten sich „mit der unterdrückten Rasse [. . .] identifizieren.“199 In der Aussprache über den Bericht kritisierte ein rhodesischer Delegierter die „ausschließliche Betonung der Anwendung gewaltloser Mittel in zwischenrassigen Konflikten“, indem er sie „der weniger eindeutigen Einstellung zum Gebrauch atomarer Waffen durch westliche Nationen“ gegenüber stellte. Die Vollversammlung beschloss daher ein Studienprogramm über „Gewaltlosigkeit in rassischen Beziehungen aus christlicher Sicht“, und zwar aufgrund der Erkenntnis, dass man die Frage des „raschen sozialen Umbruchs“ genauer studieren und „die wirksamsten Methoden herausfinden“ müsse200. Die Versammlung endete mit der Erkenntnis, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Afrika und Asien eine „Um- und Neubildung der sozialethischen Denktradition aller Kirchen notwendig“ mache201. Dies galt in besonderem Maße für die in Neu-Delhi zu kurz gekommene Frage nach der Rolle des einzelnen Christen in diesem Prozess202. Aufgrund der Minderheitensituation des Christentums in vielen Ländern dieser Kontinente und dem geringen Gesellschaftseinfluss der Kirchen stellte sich diese Frage umso dringlicher. Die Zusammenarbeit mit Nicht-Christen sollte daher auf eine gemeinsame sozialethische Grundlage gestellt werden. Neben dem zwischenreligiösen Dialog kam auch die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in Betracht203.

196 EBD., 161. Es ist fraglich, ob dieser Vorstoß mit den Regularien des ÖRK als Kirchenbund in Einklang stand, LÜPSEN, Dokumente, 21–26; FRIELING, Weg, 73. 197 VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, 506. 198 LÜPSEN, Evanston, 247–268. 199 VISSER ’T HOOFT, Neu-Delhi, 114f. 200 EBD., 127f. u. 206–208. 201 WENDLAND, Dienst, 39, Hervorhebung im Original. 202 SCHEUNER, Angelegenheiten, 69. 203 ROSENKRANZ, Verantwortung.

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Auch in den stärker christlich geprägten Transitionsländern der Dritten Welt gewann der Marxismus an Attraktivität. Die von Moskau gesteuerte – vom ÖRK zunächst als „Gegenökumene“ beargwöhnte – CFK warb um die Gunst der „jungen“ Kirchen204. Das gegen Ende der 1950er Jahre initiierte Unternehmen beschloss, den Nord-Süd-Konflikt nun selbst aufzugreifen. Zur Vorbereitung der Ersten Allchristlichen Friedensversammlung im Juni 1961 wurden der „Neokolonialismus“ und dessen angebliche Unterstützung durch die (westlichen) Kirchen als neues Aktionsfeld festgelegt. Der auf Europa beschränkte Einflussbereich der CFK sollte nicht nur auf Afrika und Asien, sondern auch auf Lateinamerika ausgedehnt werden205. Trotz bescheidener Ergebnisse206 bedingte der im Zuge einer Annäherung an den ÖRK207 verbesserte Informationsaustausch eine Vertiefung der CFK-Studienarbeit zur Frage nach dem politischen Dienst der Christen in revolutionären Umbrüchen. Die „Commission on Christian Engagement in Politics“, eine mit der CFK in Kontakt stehende Einrichtung des Christlichen Weltstudentenbundes (WSCF), dem ökumenischen „Experimentierfeld“ des ÖRK, fungierte als Bindeglied. Sie untersuchte das sozialethische Problem des Übergangs von gewaltlosen Handlungsformen zu physischer Gewalt208. Nach dem brasilianischen Militärputsch im Frühjahr 1964 fokussierten sich CFK und WSCF auf die politisch instabile Situation in Lateinamerika. Sie zögerten nicht, den „Neokolonialismus“ als eigentlichen Urheber des rechtsgerichteten Staatsstreichs in Brasilien verantwortlich zu machen. Beide befürworteten daher den emanzipierenden Charakter der kubanischen Revolution209. Die in Prag tagende Zweite Allchristliche Friedensversammlung verknüpfte „Aspekte der eschatologischen Werke“ mit den „konkreten Pflichten“ eines Christen in (konter)revolutionären Situationen210. So postulierte die CFKArbeitsgruppe „Friedensdienst der Jugend“: „In unserem Vorbereitungsblatt stand der Satz: ‚Christus zerbricht den Glauben an den Status quo.‘ Das soll wohl heißen: wo Revolutionen sind, stehen die Christen

204 Einen ersten Überblick zur facettenreichen Geschichte der CFK bietet die aufgrund ihrer Ergebnisse zum Widerspruch reizende Studie von LINDEMANN, Sauerteig. Vgl. GRESCHAT, Geschichte, 203f. 205 LINDEMANN, Sauerteig, 687–689 u. 692–694. 206 EBD., 707, 716 u. 732. 207 Als Reaktion auf die ÖRK-Vollversammlung in Neu-Delhi wurde in den kommunistischen Regierungen Osteuropas fortan immer wieder die Befürchtung laut, der ÖRK könne die CFK „links überholen“ (EBD., 701). 208 LEHTONEN, Story, 3 u. 34f. 209 BRUCE, World, 111. 210 KLOPPENBURG, Eindrücke, 389; CASTRO, Hunger.

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nicht abseits. Sie stehen im Zentrum der Veränderung. Aber wie stehen sie da? Im Geist und in der Kraft der Liebe! Aber was bedeutet das? Die einen sagen: Wir müssen in jedem Fall auf Gewalt verzichten. Die anderen sagen: Wenn wir in bestimmten Fällen begrenzte Gewalt anwenden, so kann das eine ‚paradoxe Gestalt der Liebe‘ sein. [. . .] Aber was folgt daraus für die Stellung der Christen zu den Revolutionen verschiedener Art? [. . .] Wer hilft uns aus dem Gefängnis der Voreingenommenheiten heraus? Die Zeiten sind längst vorbei, als die Kirche auf alle Fragen die Antwort hatte, als die Kirche die Jugend erzog. Wer weiß heute die rechten Antworten? [. . .] Und welches ist die Funktion der Kirche, wenn sie an der Front der Veränderungen stehen soll? Was uns wahrscheinlich nottut, ist eine ‚Theologie der Revolution‘. Vielleicht muß aber zuerst eine Revolution der Theologie kommen!“211

Dieses geschichtstheologische Deutungsmuster aufgreifend, bemerkte der in Prag anwesende Journalist der FAZ: „Jedes politische Problem um jeden Preis theologisch lösen zu wollen, kann jedenfalls nicht die neue ‚Theologie der Revolution‘ sein, die der wiedergewählte Präsident [Josef L.] Hromádka abschließend forderte.“212 Tatsächlich beinhaltete die in Prag geforderte Revolutionierung der Theologie eine rundweg positive Bewertung revolutionärer Prozesse, indem sie – nach marxistisch-leninistischer Lesart – auch die revolutionäre Gewaltanwendung als Frieden schaffendes Instrument würdigte. Das in der CFK fortan akzentuierte Themenpaar „Revolution und Friede“ unterlag somit dem Motiv, marxistische Interpretationsmuster in die Entwicklung kontextueller Theologien einfließen zu lassen. Gerade die lateinamerikanische Rezeptionsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils ist schlagkräftiger Beweis für die Attraktivität eines solchen Deutungsangebots213. Der 1964 in Prag konstituierte, analog zum ÖRK-ZA jährlich tagende Beratungsausschuss für die Fortsetzung der CFK-Arbeit machte sich die Ausführungen der Jugendkommission 1965 schließlich zu Eigen214. Westeuropäische und nordamerikanische CFK-Aktivisten kritisierten diesen „christlichen Trotzkismus“ als gefährliche Abkehr vom Prinzip der Gewaltlosigkeit, als „christliche revolutionäre Lehre“. Den nun eingeschlagenen Pfad konnten sie dennoch nicht verhindern215. Die verbesserten Beziehungen zum ÖRK bedingten ein Abfärben der CFKPosition auf die Studienarbeit des ÖRK216. Dieser setzte sich weiter mit den ethnischen Spannungen auf dem afrikanischen Kontinent auseinander. Im 211 212 213 214 215 216

Zit. n. KOMMISSIONSBERICHTE, 452. LOJEWSKI, Theologie. BEOZZO, Konzil, 233–238. RESOLUTION, 638. KRITIK, 17 u. 19; CASALIS / KLOPPENBURG, Kritik, 20f.; und BESINNUNG, 658f. Vgl. KLOPPENBURG, Kirche, 403.

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Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968)

Rahmen eines vom ZA 1962 in Paris initiierten Dreijahresprogramms (1962– 1965) erhielt das 1960 errichtete „Sekretariat für Rassische und Ethnische Beziehungen“ den Auftrag, eine Konsultation „allein über die Frage [zu] organisieren, wie in rassischen und ethnischen Beziehungen ein gewünschter Wandel eintreten kann, und im besonderen über Methoden, die von einem christlichen Gesichtspunkt aus akzeptierbar sind, einschliesslich der Gewaltlosigkeit, die zu einem sozialen Wandel führen können, der weit über die besonderen Probleme der rassischen und ethnischen Spannungen hinausgeht.“

Die Referatsarbeit wurde in die – in Paris ebenfalls beschlossene – Vorbereitung einer für das Jahr 1966 anberaumten „Weltkonferenz“ eingebunden217. In diesem Zusammenhang veröffentlichte das genannte Sekretariat zwischen 1962 und 1965 Situationsanalysen über einzelne ethnische Konflikte, etwa in Rhodesien, den USA und Südafrika. Die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung unter der Ägide des baptistischen Geistlichen Martin Luther King jr. lieferte gedankliche Impulse218. Kings sowohl religiös als auch polit-strategisch motivierter Einsatz zugunsten der Entwicklung und Anwendung gewaltloser Formen zivilen Ungehorsams war seit dem „March on Washington“ in aller Munde. Spätestens nach seiner Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis im Dezember 1964 firmierte der von Mahatma Gandhi beeinflusste Bürgerrechtler als globales Vorbild eines christlich motivierten gewaltlosen Widerstands. Dass sich die in den USA vorherrschenden Rahmenbedingungen nicht ohne weiteres auf andere ethnische Krisenherde übertragen ließen, verdeutlicht eine 1964 vom ÖRK mitorganisierte Tagung im rhodesischen Kitwe. Die Gewaltfrage im südlichen Afrika stand im Mittelpunkt. Die „Mindolo-Consultation“ bezweifelte, dass die nicht-weißen Mehrheitsbevölkerungen die rechtliche und soziale Gleichstellung gewaltlos erringen würden. Aufgrund der besonderen Lage in Südafrika219 zog sie den Schluss, physische Gewaltanwendung sei als letztes Mittel zur Herbeiführung aussichtsreicher – dem Ziel der Beseitigung

217

ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Protokoll, 219 u. 225. NONVIOLENCE. 219 Nach dem Massaker von Sharpeville am 16. 3. 1960, bei dem Polizisten wahllos in die Menge friedlich demonstrierender Apartheidgegner schossen, verschärften sich die Repressalien gegen die organisierte schwarze politische Opposition. Dies veranlasste religiös engagierte Persönlichkeiten und viele Kirchen zu einem stärkeren Engagement gegen das Apartheidsystem. Das 1963 gegründete Christliche Institut für das südliche Afrika (CISA) übernahm dabei eine herausragende Funktion, HERMANN, Apartheid, 75–82. „Sharpeville“ bildet auch den Hintergrund einer vom ÖRK einberufenen Tagung in Cottesloe, Südafrika, im Dezember 1960, die die Differenzen zwischen den südafrikanischen Kirchen offen zutage treten ließ und den späteren ÖRK-Austritt der Niederländisch-Reformierten Kirchen wesentlich motivierte, GROTH, Einfluß, 176. 218

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Sozialethische Herausforderungen für den „Weltprotestantismus“

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ethnischer Diskriminierung dienender – Verhandlungen christlich legitim220. Die vom ÖRK in Auftrag gegebenen Detailstudien bildeten somit einen ersten Ansatz zur Formulierung einer ökumenischen Theologie im Kontext von Revolutionen221. Die in der CFK laut gewordene Forderung nach einer (marxistischen) Revolutionierung der Theologie blieb hierbei aber außer Acht. Mit Blick auf die kommende „Weltkonferenz“ stand die protestantisch-ökumenische Sozialethik vor der Herausforderung, eine theologische „Basis“ zur globalen Erörterung – je nach Kontinent, Land und Region – unterschiedlich gelagerter Probleme zu schaffen, auf die sich die Christen sowohl untereinander als auch im Verbund mit Nicht-Christen einigen konnten222. Es reifte die Erkenntnis, dass die Theologie auch mit den Sozialwissenschaften enger zusammen arbeiten müsse223. Kritiker deuteten dies als Versuch, den in den westlichen Industriegesellschaften seit Ende der 1950er Jahre beobachteten Bedeutungsverlust von Religion und Kirche zu kaschieren224. Die von den Verfechtern der entstehenden „Säkularisierungstheorie“ erhobene Kritik ließ außer Acht, dass auch in den Sozialwissenschaften ein Austausch gefordert wurde225. Die „Wiederentdeckung“ des Irrationalen war motiviert durch den Einspruch der „Postmoderne“, der die Planungs- und Steuerungseuphorie der 1960er Jahre stets begleitete226. Der technische Machbarkeitsglaube führte zu neuen Gesprächsansätzen zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Während das Zweite Vatikanum das kirchliche „aggiornamento“ (Papst Johannes XXIII.) im Verhältnis zur Welt allgemein behandelte, konzentrierte sich die in München ansässige katholische Paulus-Gesellschaft auf die postmodernen Widersprüche im Besonderen: Im Rahmen dieses internationalen Gesprächskreises konstatierten Theologen und Naturwissenschaftler, dass der Kalte Krieg die für machbar erachtete technische Lösung des Nord-Süd-Gefälles verhindere. Die Paulus-Gesellschaft startete deshalb den Versuch, die hierfür „verantwortlichen“ Weltanschauungen, den Marxismus und das Christentum, stärker miteinander zu konfrontieren. Der ab 1964 bei ihr institutionalisierte „christlich-marxistische Dialog“ sollte – ausgehend von der Frage nach dem menschlichen Wesen – einen ergebnisoffenen Austausch über den Gegensatz von marxistischer Immanenz und christli220

SMIT, Südafrika, 327; PRACTICE, 43f. Vgl. den differenzierenden Beitrag, ROAD. 222 WENDLAND, Dienst, 40f. 223 WALTHER, Problem, 9. 224 TENBRUCK, Kirchengemeinde, 131; SCHELSKY, Dauerreflexion, 157. 225 WALTHER, Problem, 9; BRECHT, Theorie, 571–573; und FREUND, Politik, 269–271. 226 Noch immer grundlegend, BAUMANN, Modernity. Zur westdeutschen Planungseuphorie, RUCK, Sommer. 221

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cher Transzendenz in die Wege leiten; ganz im Sinne einer „Gesamtverantwortlichkeit um die Zukunft des Menschen“227. Der 1965 in Salzburg veranstaltete Dialog-Kongress erzeugte ein mediales „Weltecho“228. Das Interesse an den vielerorts im Stillen praktizierten christlich-marxistischen Begegnungen nahm dadurch weiter zu229. Auf protestantischer Seite reichten die ersten Ansätze eines christlich-marxistischen Dialogs bereits länger zurück. Unter Ägide ihres Dekans, des Theologen Josef L. Hromádka, hatte die Prager Comenius-Fakultät zwischen 1957 und 1962 erste informelle Gesprächskreise organisiert und damit den Grundstein für das nun aufkommende Phänomen gelegt. Davon zeugt der von ihr ausgeübte Einfluss auf die Arbeit der Paulus-Gesellschaft, der sich bis zum Ende des Prager Frühlings auch in Form einer offiziellen Kooperation niederschlug. In der CFK sollte es Präsident Hromádka jedoch nicht gelingen, den Dialog als weiteres Themenfeld zu etablieren. Die in Prag gesammelten Erfahrungswerte und Anregungen gelangten über die CFK dennoch nach Westeuropa. Der Genfer ÖRK-Stab nahm diese Entwicklungen zwar wahr, unterließ es aber, den Dialog als eigenständiges Thema der bevorstehenden „Weltkonferenz“ aufzugreifen230. In der protestantisch-ökumenischen Sozialethik entstand zugleich eine Strömung, die danach strebte, „die eschatologischen Grundbedingungen des christlichen Glaubens“ aus der „Enge religiös-individualistischer Beschränkung zu befreien“ und sie sozialgeschichtlich „fruchtbar“ zu machen231. Jürgen Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ bildete die Blaupause. In seinem im Herbst 1964 erschienenen, binnen Kürze in zahlreiche Sprachen übersetzten Bestseller232 forderte der reformierte Wuppertaler Systematiker eine gegenwartsbezogene Reorientierung der christlichen Eschatologie als sogenannte Lehre von den letzten Dingen. Die von Moltmann initiierte Denkrichtung zielte im Kern darauf ab, die – nach seinem Befinden – in Vergessenheit gera227

KELLNER, Wissenschaft, 28. DERS., Vorwort, 11. Vgl. die von der Paulus-Gesellschaft herausgegebene Zusammenstellung über die Medienberichterstattung in West- und Osteuropa bzw. Nordamerika, DERS., Christentum. 229 Zum christlich-marxistischen Dialog aus diskursanalytischer Sicht und mit Schwerpunkt auf die von katholischer Seite geführten Gespräche, EITLER, Gott; DERS., Umbruch; und DERS., Politik. Zur Vielschichtigkeit des Dialogs als „Phänomen“, gerade mit Blick auf die protestantischen Teilnehmer, WIDMANN, Gespräch. Zur Gewaltfrage im Dialog, vgl. unten Kap. 3. 8. 1. 230 Erst 1967 ging der ÖRK dazu über, sich auf diesem Gebiet offiziell zu engagieren, BENT, Dialog. 231 WALTHER, Problem, 11. 232 Das Werk wurde innerhalb von zweieinhalb Jahren gleich sechsmal aufgelegt, MARSCH, Einleitung, 7. 228

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tene enge Verknüpfung von christlicher Verheißung und geschichtlicher Gegenwart wieder in den Vordergrund theologischer Arbeit zu stellen233. Der Ansatz liest sich wie ein zeitgenössisches Plädoyer, den starren Gegensatz von marxistischer Immanenz und christlicher Transzendenz neu zu verhandeln. Als später selbst engagierter Dialog-Teilnehmer234 lieferte Moltmann „eine bewusst theologische Parallelhandlung“ zu der säkular-utopischen Hoffnungsvision des Philosophen Ernst Bloch. In Abkehr von der klassisch-marxistischen Religionskritik und dem Historischem Materialismus benutzte Bloch die von ihm konzipierte Ontologie des „Noch-Nicht-Seins“, um den als unversöhnlich geltenden Antagonismus beider Deutungssysteme teilweise aufzubrechen235. Beide einigten sich auf einen Konsens im Dissens236: Trotz einer zukunftsorientierten und am Humanum ausgerichteten gemeinsamen Grundhaltung standen sich der eschatologische Vorbehalt und der Leitgedanke vom atheistischen Prometheus als von der christlichen Schöpfungslehre autonomer, sich selbst schaffender Neuer Mensch, nach wie vor gegenüber. Dies hinderte Moltmann nicht, die eschatologische Hoffnung mit der Blochschen Kategorie des „Novum“237 zu verbinden, um daraus „eine Eröffnung von Geschichte in neuen, unbekannten Möglichkeiten“ abzuleiten. „Handeln und Leiden aus der Hoffnung werden dann revolutionär ohne Re“, d. h. ohne Rückbezug „auf vermeintlich ewige Grundrisse des echten Lebens.“ Moltmann stellte die Machbarkeit einer diesseitigen „Überwindung der Unwürden und der Unmenschlichkeit, in denen der Mensch gehalten wird durch eigene Schuld“, in Aussicht. Er unterließ es aber, diese „Aufgabe praktischer Eschatologie“ handlungsethisch zu konkretisieren, indem er die „neuen, unbekannten Möglichkeiten“ nur andeutete238. Moltmann gab allerdings zu erkennen, dass sich diese auf den Bereich des politischen Handelns und die Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse erstreckten239. Davon zeugt auch die Absage an ein statisches Schöpfungsverständnis, die ihn zu einer grundsätzlich positiven Bewertung revolutionärer Umbruchsituationen bewog240. Mit der Neuformu233

MOLTMANN, Theologie, 11f. Für den deutschsprachigen Raum, vgl. die nahezu zeitgleich veröffentlichten Arbeiten von MARSCH, Gegenwart und SAUTER, Zukunft. Im „Kontextualismus“ der nordamerikanischen protestantischen Sozialethik fand dieser Ansatz ein gewisses Pendant. Vgl. LEHMANN, Ethics. 234 MOLTMANN, Marxisten; DERS., Raum, 123–128; und CASALIS, Frühling, 367. 235 BLOCH, Prinzip; MOLTMANN, Erfahrungen, 90. 236 MOLTMANN, Prinzip, 539f., Wiederabdruck: DERS., Theologie [31965], 313–334. Vgl. DERS., Gespräch. 237 BLOCH, Prinzip. Bd. 1, 218–221. 238 MOLTMANN, Wie, 27; DERS., Kategorie, 256. 239 Dies bestätigte Moltmann auch in der Retrospektive, DERS., Raum, 105. 240 DERS., Kategorie, 256f. u. 261–263.

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lierung christlicher Eschatologie lieferte Moltmann einen weltweit beachteten „Vorstoß in systematisch kaum erschlossenes Neuland“. Das „Zeichen einer sich anbahnenden neuen Fragestellung im Gesamtbereich der Theologie“ war gesetzt241. Dazu gehörte auch die in der protestantischen Ökumene nun aufgeworfene Frage nach Gottes Wirken in den revolutionären Umbrüchen der Gegenwart. Ein Themenkreis, der das vielfach zu einem konservativen Obrigkeitsverständnis neigende deutsche Luthertum besonders herausforderte242.

2.4 Gewalt „von unten“ – Faktor einer kommenden Weltgesellschaft? 2.4.1 Vorbereitungen für die Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 Die Vorarbeiten für eine „Weltkonferenz“ über christliche „Antwort[en] auf die technische und soziale Revolution unserer Zeit“ waren inzwischen vorangekommen. Die für Juli 1966 anberaumte Tagung sollte „Vertreter der Sozialwissenschaften und andere, die sich mit der Entwicklung neuer Formen der Gesellschaft in der gegenwärtigen Welt befassen, mit Theologen zusammenzuführen.“ Der Zentralausschuss des ÖRK billigte ein eigentümliches Delegiertenauswahlverfahren. Im Sinne einer Konferenz, die nicht im Namen der Kirchen, sondern vielmehr zu ihnen sprechen sollte, übertrugen die Mitgliedskirchen dem Genfer Stab das Recht, die Delegierten aus einer Namensliste selbst auszuwählen. Das für ökumenische Konferenzen völlig neuartige Auswahlverfahren sah die Beteiligung vieler Laien und Vertretung von Regionen und Kontinenten „gemäß ihrer Bedeutung in der Weltgemeinschaft“ vor243. Zur Vorbereitung erstellte der Arbeitsausschuss des mit der Konferenzorganisation betrauten Referats „Kirche und Gesellschaft“ eine interdisziplinäre Studienausgabe. Die vier Bände sollten im Januar 1966 erscheinen244. Über „das, wozu diese Weltkonferenz eigentlich da ist“, herrschte ein Jahr davor noch große

241 So die Einschätzung des Tübinger Neutestamentlers Ernst Käsemann, abgedruckt auf dem Rückentitel eines 1967 erschienenen Sammelbandes, der die (inter)nationalen Stimmen zur „Theologie der Hoffnung“ sammelt, MARSCH, Diskussion. 242 Zur häufig simplifizierenden Gleichsetzung des Luthertums mit einer konservativen politischen Gesinnung, vgl. das differenzierte Votum von TRILLHAAS, Beitrag. 243 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1965], 128; KRÜGER, Bewegung [1965–1968], 71 u. 330. 244 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1965], 71 u. 130; [KRÜGER], Weltkonferenz, 19.

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Unklarheit245. Der mit dem Konferenzzweck – der Begegnung von Theologie und Sozialwissenschaften – verbundene Aspekt „Theologische[r] Probleme in der Sozialethik“ wurde folgendermaßen umrissen246: „1. Wie können Christen das Handeln Gottes in Christus in der Geschichte erkennen? [. . .] 2. Gibt es soziale Prinzipien und Formen menschlicher Existenz, die zeitlos gültig sind, oder muss das christliche Evangelium primär in den Begriffen einer schöpferischen Freiheit [. . .] ausgelegt werden? [. . .] 3. Da die Kirchen in einer Vielzahl verschiedenartiger Situationen leben, die eine Vielfalt von sozialethischen Entscheidungen bedingen, [. . .] erhebt sich die Frage nach der Bedeutung einer weltweiten christlichen Diskussion über [. . .] die Einheit und Universalität des kirchlichen Zeugnisses gegenüber der Welt. 4. Wie haben die revolutionären Veränderungen unserer gegenwärtigen Welt die christliche Nachfolge [. . .] beeinflusst [. . .]? Welchen Einfluss haben sie auf unseren christlichen Glauben – negativ oder positiv? Welche Elemente des Evangeliums sind wir in Gefahr zu verlieren, und welche können wie jetzt ganz neu verstehen?“247

Die nordamerikanische protestantische Sozialethik lieferte die wesentlichen Impulse. Ihre beiden Hauptstränge – das von Reinhold Niebuhr, dem „wohl bedeutendsten“ nordamerikanischen Sozialethiker seiner Zeit, geprägte Konzept eines „Christian Realism“, und der von Paul L. Lehmann vertretene „Kontextualismus“248 – bildeten schließlich den Hintergrund für die Formulierung einer „Theologie der Revolution“ durch Richard M. Shaull: Nach Beendigung seiner achtjährigen Tätigkeit als Missionar in Kolumbien kehrte der Presbyterianer Anfang der 1950er Jahre zu einem Aufbaustudium an die Universität Princeton, seine Alma Mater, zurück249. Das Studium bei Niebuhr und Lehmann veranlasste ihn, seine theologische Arbeit stärker gesellschaftspolitisch auszurichten250. Shaull lehrte daraufhin mehrere Jahre in Brasilien (1952–1962). Angesichts der dortigen politischen und wirtschaftlichen Lage, wo er den „sozialen Kampf“ einer „neue[n] Generation Katholiken und Protestanten“ vernahm, sah er sich vor die Wahl gestellt, das theologische Arbeiten

245

ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1965], 131. Als zweites Hauptthema nennt der Bericht des Arbeitsausschusses „Fünf Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft: 1. Das Ringen um wirtschaftliche Gerechtigkeit und soziale Wohlfahrt in einer weltweiten Perspektive; 2. Die Aufgaben und Grenzen des Staates in einem revolutionären Zeitalter; 3. Möglichkeiten und Probleme der technischen Wandlungen; 4. Personen und Gemeinwesen in pluralistischen, säkularisierten und offenen Gesellschaften; 5. Zusammenleben in einer pluralistischen Welt – Strukturen internationaler Zusammenarbeit“ (EBD.). 247 EBD., 132f. 248 Dazu ausführlich, HEBBLETHWAITE, Sozialethik, 510–513. 249 FISCHER, Theologie, 3. Neuerdings zur Person, SANTIAGO-VENDRELL, Theology. 250 SHAULL, Encounter. Ein Verzeichnis seiner Schriften bietet FISCHER, Theologie, 405–411. 246

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entweder „aufzugeben oder mit der Theologie ganz von vorne anzufangen“251. Shaull entschied sich für Letzteres. Sein theologisches Schaffen drehte sich nun um den Gedanken, „dass das Transzendente in der Mitte des menschlichen Lebens begriffen werden muß, besonders an den Punkten, wo das Alte zusammenbricht und das Neue Gestalt gewinnt.“252 Trotz Parallelen zu Jürgen Moltmann grenzte er sich von dessen „Theologie der Hoffnung“ bewusst ab; ihr fehle die „klare Betonung der Gegenwart Gottes in der Mitte des Lebens“253. Auch nach seiner Rückkehr in die USA bildete das politisch instabiler werdende Brasilien weiter den Bezugspunkt seiner theologischen Arbeit254. Das von dem Nordamerikaner Paul Abrecht geleitete Genfer ÖRK-Referat „Kirche und Gesellschaft“ wurde auf den Lateinamerikaexperten nun aufmerksam. Shaulls Konferenzbeitrag rückte in den Mittelpunkt des ersten Vorbereitungsbandes über „Christian Social Ethics in an Changing World“. Im Epilog hieß es dazu: „Since the majority of the readers of this volume will probably come from societies that stress stability and continuity it was decided to introduce them immediately, through Richard Shaull’s chapter, to the experience of Christians who face the more revolutionary choices.“255

Shaull konstatierte eine globale Umbruchsituation. Die Welt sei in arme und reiche Nationen unterteilt. Zugleich formiere sich in jedem Land die Auseinandersetzung zwischen jenen Gruppen, Rassen und Klassen, „who have awakened to their inferior position and those who are reluctant to make way for a new order.“256 Die sich zuspitzende soziale Revolution sei bei entwickelten wie auch unterentwickelten Nationen noch im Frühstadium. Shaull forderte eine radikale theologische Neuorientierung: „The God who is tearing down old structures in order to create the conditions for a more human existence is himself in the midst of struggle. It is his presence in the world and his pressure upon the structures which stand in his way that constitute 251

SHAULL, Perspektive, 126. Während Niebuhrs Einfluss sich in Shaulls wohlwollender Auseinandersetzung mit dem Marxismus bemerkbar machte, beschrieb Shaull die Anziehungskraft Lehmanns rückblickend: „I was excited by the way in which he related the type of theology I had known to social and political issues and made it possible for me to speak theologically in relation to the situation I had come to know in Latin America.“ (zit. n. FISCHER, Theologie, 3 [Anm. 9]). Zur Marxismus-Rezeption bei Niebuhr, HEBBLETHWAITE, Sozialethik, 511. 252 SHAULL, Perspektive, 129. 253 EBD., Hervorhebung im Original. Zu Shaulls späterer Sicht auf Moltmann, unten Kap. 3. 7. 1. 254 FISCHER, Theologie, 406. 255 BENNETT, Issues, 369. 256 SHAULL, Change, 24.

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the dynamics of this process. [. . .] In this context, the Christian is called to be fully involved in the revolution as it develops. It is only at its center that we can perceive what God is doing, understand how the struggle for humanization is being defined and serve as agents of reconciliation.“257

Dass diese humanisierende Aktivität Gottes dem Christen „to a certain extent“ verborgen bleibe, relativierte er mit dem Hinweis auf die christliche Sündenvergebung, „which sets us free to act for our neighbor; free to set the ambiguities of the situation, as well as of our own motivation, and still move ahead; free to participate fully in a struggle involving conflict and the risk of violence, injustice and the power of self-interest, and there know that the power of sin is broken; free to perceive that when the human situation is falling apart, God is picking up the pieces and putting them together again.“258

Shaulls Aufsatz diente den Konferenzorganisatoren als eine zur Diskussion anregende Antithese zum „Responsible Society“-Konzept des ÖRK. Sie intendierten damit die Fortsetzung der Debatte über das 1961 in Neu-Delhi angeschnittene Problem, wie Christen „may find a way admidst tumultuous events from which they see no escape and in which the political choices may seem morally intolerable according to all the ‘principles’ learned in church in the past. How can units of the church live in these situations without either losing their integrity or becoming irrelevant?“259

Die Vorbereitungen für die Genfer Weltkonferenz nahmen in der EKD ab Herbst 1965 Gestalt an. Der Genfer ÖRK-Stab hatte mittlerweile folgende Themen festgelegt: 1. „Möglichkeiten der wissenschaftlichen und technischen Revolution“; 2. „Die politischen und wirtschaftlichen Kräfte der neuen Nationen“; sowie 3. „Die Herausforderung und Relevanz der Theologie für die Revolution“260. Die EKD organisierte für die deutschen Teilnehmer eine dreitägige Vorbereitungstagung. Die inhaltliche Federführung übernahmen Heinz-Dietrich Wendland und sein Mitarbeiterstab im Münsteraner Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften261. Auf einer Besprechung teilte Cornelius A. von Heyl, Mitarbeiter der EKD-Kirchenkanzlei, Wendland und seinen Assistenten Trutz Rendtorff und Hermann Ringeling mit, dass auch die

257

EBD., 33. EBD., 37 u. 41. 259 BENNETT, Issues, 380. 260 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1966], 134–136 u. 86f. 261 Ausschlaggebend hierfür war wohl die Mitarbeit des Instituts beim ÖRK-Studienprojekt „Rapid Social Change“ und Wendlands enger Kontakt zu Abrecht. 258

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ostdeutschen Konferenzteilnehmer an der Veranstaltung im April teilzunehmen wünschten262. Um die vielen Konferenzthemen auf der Tagung in Ostund West-Berlin zumindest anschneiden zu können, sollten die Teilnehmer vorab eine schriftliche Ausarbeitung zu den vier Sektionen erhalten. Von Heyl berichtete dem Kirchlichen Außenamt von einem Treffen mit Paul Abrecht und dessen Mitarbeiterstab im November 1965. Zusammen mit Eberhard Müller, dem Vorsitzenden der Kammer für soziale Ordnung der EKD und Leiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, hatte er in Genf das Problem beklagt, in den Sektionen könne „beinahe alles verhandelt“ werden, „was sozialethisch irgendwie relevant“ sei. Die deutschen Gäste regten daher an, genauer zu fragen, „was wir [. . .] konkret tun können, und zwar nicht nur als Einzelmenschen, sondern als Kirchen“. Für Letztere müsse die Konferenz Fragen beantworten, „wo die aus ihrem Selbstverständnis zu ziehenden Grenzen für ihr Handeln liegen.“ Dass der ÖRK-Stab die Auswahl der Konferenzteilnehmer noch immer nicht abgeschlossen hatte, war ein weiteres Problem. Vor diesem Hintergrund wiederholte von Heyl in Genf die Bitte, bei der Teilnehmerauswahl „nicht zu eigenmächtig“ vorzugehen263. Für weitere Unklarheit sorgte die Bedeutung des im Dezember 1965 zu Ende gegangenen Zweiten Vatikanischen Konzils. Nach der Annahme von „Gaudium et spes“ durch die Konzilsväter am 7. Dezember 1966 lag es nahe, die Weltkonferenz könne als unmittelbare protestantische Antwort auf das thematisch ähnlich anmutende Lehramtsdokument aufgefasst werden264. Während die EKD durch die Entsendung eines Beobachters, des Heidelberger Sys262 Brief von Heyls an das Kirchliche Außenamt der EKD vom 15. 11. 1965 (EZA BERLIN, 6/ 5948). Zur ostdeutschen Vorbereitung und Teilnahme an der Weltkonferenz, einschließlich deren Würdigung, unten Kap. 2. 5. 2. 263 Abrecht hatte gegenüber Hanfried Krüger, Oberkirchenrat (ORK) im Kirchlichen Außenamt der EKD, bereits Monate vorher Schwierigkeiten bei der Auswahl der zu Nominierenden eingeräumt. Insbesondere die passende Auswahl von Personen aus dem politischen Leben bereite den Genfer Verantwortlichen „Kopfzerbrechen“. Brief Abrechts an Krüger vom 23. 4. 1965 (EZA BERLIN, 6/5948). „Im Hinblick auf die Stellung der EKD zwischen Ost und West“ hatte sich der Rat dafür ausgesprochen, keine Politiker zur Konferenz einzuladen. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 4. bis 7. 5. 1965 (EZA BERLIN, 2/1771). 264 Vgl. den Bericht der katholischen Herder-Korrespondenz 20 (1966), 330–335, zum Auftakt der Weltkonferenz. Hierbei sei angemerkt, dass die Pastoralkonstitution, deren Entstehung von z. T. heftigen Auseinandersetzungen begleitet wurde, das Verhältnis von kriegerischer und revolutionärer Gewaltanwendung im atomaren Zeitalter indirekt ansprach, und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass der wahre Friede „nicht die bloße Abwesenheit von Krieg“ sei. (PASTORALKONSTITUTION, 724). Zu den Auseinandersetzungen, SANDER, Kommentar, 682–685 u. 802–811. Zur lateinamerikanischen Rezeption, die unter dem Gesichtspunkt „Frieden versus institutionalisierte und revolutionäre Gewalt“ die Genese der lateinamerikanischen Befreiungstheologien vorantrieb, (BEOZZO, Konzil, 233–235).

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tematiker Edmund Schlink, über die Konzilsverhandlungen stets unterrichtet war265, fragte dessen Heidelberger Kollege und Mitarbeiter der dortigen Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FESt), Heinz Eduard Tödt, zum Auftakt der (west)deutschen Teilnehmertagung, ob „Gaudium et spes“ bei der Vorbereitung überhaupt richtig gewertet wurde266. Zur Einführung in die Diskussion über die Erwartungen an die Weltkonferenz referierte Tödt am nächsten Tag über mögliche Gemeinsamkeiten der Pastoralkonstitution mit den geschichtstheologischen Ansätzen bei Shaull, „aber auch“ Moltmann. Anders als traditionelle Verlautbarungen der katholischen Soziallehre zeichne sich „Gaudium“ durch eine eindrucksvolle Dynamik aus. Die „Hereinnahme der Eschatologie in das Weltgeschehen“ sei dabei ein „hervorstechendes Merkmal“. Für die Kirche bedeute dies das Gebot, „auf das revolutionär zu verwirklichende“ Gottesreich auf Erden hinzuarbeiten, schließlich kenne sie „den Plan Gottes mit der Welt“267. Wie Gollwitzer zog auch Tödt aus seinen Kriegserfahrungen weitreichende, mit Blick auf das Verhältnis von Glauben und Politik jedoch unterschiedliche theologische Konsequenzen: Geboren 1918 in Nordfriesland und aufgewachsen in einem lutherischen Pfarrhaus, hatte Tödt das geplante Theologiestudium nicht nach seinem Wehrdienst beginnen können, sondern musste 1939 am Polenfeldzug teilnehmen. Den anfangs von ihm bejahten Nationalsozialismus lehnte er aufgrund dessen Kirchenpolitik zwar ab; zum Dissidenten sei er mangels „politische[r] Alternative[n]“ aber nicht geworden, so Tödt im Rückblick. Als „Ritterkreuzträger“ hoch dekoriert, kämpfte er schließlich an der Ostfront. Vom Krieg und der fünfjährigen Gefangenschaft in der Sowjetunion gesundheitlich schwer gezeichnet, konnte er erst im Alter von 33 Jahren das geplante Theologiestudium wieder aufnehmen, u. a. bei Karl Barth, der ihn entscheidend prägte. Daneben faszinierte ihn – ebenso wie Gollwitzer – das Vorbild Dietrich Bonhoeffers, den er erst relativ spät, in den 1960er Jahren entdeckte, allerdings

265

SCHLINK, Konzil; SKIBBE, Edmund Schlink, 124–129. Vgl. Schlinks Bericht über das Konzil und dessen Bedeutung für die evangelische Kirche vor der EKD-Synode im März 1966, BERLIN UND POTSDAM 1966, 49–69. 266 Niederschrift über die Vorbereitungstagung für die deutschen Teilnehmer der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft am 18. bis 21. 4. 1966 in Berlin-Spandau (EZA BERLIN, 6/ 5962). 267 Im sozialethischen Bereich war Tödt ein kritischer Dialogpartner Wendlands, WENDLAND, Wege, 207; TÖDT, Theologie. Zusammen mit dem FESt-Mitarbeiter Günter Howe veröffentlichte Tödt Anfang 1966 eigene Betrachtungen zur Weltkonferenz, u. a. zum Zusammenhang von Gewaltlosigkeit und christlicher Eschatologie, TÖDT / HOWE, Frieden, 42. In einem katholischen Bericht zur Weltkonferenz wird dieses Werk als „wichtigste[r] deutsche[r] Diskussionsbeitrag“ bezeichnet (Herder-Korrespondenz 20 (1966), 225).

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„ohne zündendes Einstiegserlebnis“268. Von seinen Kommilitonen unterschied sich Tödt sowohl im Alter als auch in der Lebenserfahrung recht deutlich. Bereits zu Beginn seines Studiums war er für sie eine Art Lehrer. Ab 1963 wirkte er als Ordinarius für Systematische Theologie an der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg. Zu Beginn der EKD-Vorbereitungstagung problematisierte Eberhard Müller die christlich gebotene Mittelwahl bei der Verwirklichung des Gottesreiches. Er habe den Eindruck, dass hinter den geschichtstheologischen Entwürfen von Shaull und dem indischen Theologen M. M. Thomas, dem Vorsitzenden des Arbeitsausschusses des Referats „Kirche und Gesellschaft“, die Absicht stünde, die Anwendung „bestimmter Mittel (Instrumente)“ christlich zu legitimieren, etwa die Distanzierung von der etablierten Gesellschaft bis hin zum „Anschluß an eine gewaltsam revolutionäre Gruppe.“269 Auch die übrigen Tagungsteilnehmer kritisierten die ihrer Ansicht nach unbedarfte, die Ambivalenzen menschlichen Handelns ignorierende Hereinnahme der Eschatologie in den Entwicklungsgedanken270. Nur die göttliche Gnade habe dem per se sündhaften Menschen die Möglichkeit gegeben, als Werkzeug Gottes an der Errichtung von dessen Reich auf Erden teilzuhaben. Die Teilnehmer begründeten damit auch ihre ablehnende Haltung gegenüber „Gaudium et spes“. Paul Abrecht, in Berlin ebenfalls anwesend, betonte, dass die „protestantische Welt“ der Pastoralkonstitution aber überwiegend positiv begegnete. Bei der Weltkonferenz gehe es weniger darum, einen theologischen Konsens diesbezüglich zu erreichen; vielmehr solle eine Annäherung über die wirklich „brennenden Fragen“ der Entwicklungsländer zustande kommen. Dazu bemerkte Gollwitzer, die lutherische Tradition, nach der das Gottesreich einzig von Gott und ohne menschliches Zutun verwirklicht werde, habe in der historischen Rückschau ernüchternd und lähmend zugleich gewirkt. Aller Fortschrittsambivalenz zum Trotz sei es die Aufgabe der heutigen Theologie, eine bloß jenseitig verstandene Eschatologie zu überwinden271.

268

Zit. n. SCHUHMACHER, Ethik, 51 u. 41. Zur Bonhoeffer-Rezeption, unten Kap. 2. 4. 3.2. Niederschrift über die Vorbereitungstagung für die deutschen Teilnehmer der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft am 18. bis 21. 4. 1966 in Berlin-Spandau (EZA BERLIN, 6/ 5962). 270 An der Vorbereitungstagung nahmen – die Teilnehmer mit Gästestatus nicht mit einberechnet – zwölf der letztlich 15 westdeutschen Teilnehmer der Weltkonferenz teil. Vgl. KRÜGER, Appell, 274–280; [ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN], Christians, 212–227. 271 Niederschrift über die Vorbereitungstagung für die deutschen Teilnehmer der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft am 18. bis 21. 4. 1966 in Berlin-Spandau (EZA BERLIN, 6/ 5962). 269

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Die Januarausgabe der „Ökumenischen Rundschau“ bot Außenstehenden die Möglichkeit, sich über die Weltkonferenz zu informieren. Allein vier der insgesamt fünf Beiträge widmeten sich der Frage nach Gottes Wirken in sozialen Umbruchsituationen272. Die sozialethischen Implikationen dieser Frage, der in Berlin ebenfalls thematisierte Mitteleinsatz und der Aspekt seiner christlichen Legitimität, blieben außer Acht. Hermann Ringeling, der zusammen mit Wendland und Rendtorff die theologische Bedeutung der Weltkonferenz untersuchte273, erläuterte das Konferenzthema mit der Bemerkung, es handele sich bei dem Revolutionsbegriff um eine problematische Wiedergabe des gleich lautenden englischen Ausdrucks, denn er lasse im Deutschen „sogleich an gewaltsamen politischen Umsturz denken“. Zwar werde bei der Weltkonferenz „stets auch“ an die antikolonialen und politischen Auseinandersetzungen in Afrika, Asien und Lateinamerika gedacht; der Revolutionsbegriff stehe dennoch, versicherte Ringeling, für einen „langfristigen und friedlich vonstatten gehenden ‚Umbruch‘ der Gesellschaft“. Ungeachtet seines indirekten Hinweises auf die von Shaull und anderen „Rebellen“ postulierte Situationsethik und der Prophezeiung, die Konferenz würde die Kirchen zur „Revision ihrer ethischen Standpunkte“ bewegen, unterließ er es aber, auf die mögliche Erörterung der Gewaltfrage aufmerksam zu machen. Ringeling betonte die „beträchtliche Schwierigkeit“ für den deutschen Leser, dass die Aufsätze der englischsprachigen Vorbereitungsbände erst nach Konferenzende in deutscher Sprache veröffentlicht würden. Die Öffentlichkeit sei bis dahin auf knapp gehaltene Einführungen angewiesen274. Ringeling verwies auf eine vom ÖRK in deutscher Sprache herausgegebene Kleinbroschüre. Anders als das übrige vom ÖRK vertriebene – auch als thematische Ergänzung zu den englischsprachigen Vorbereitungsbänden275 gedachte – Vorbereitungsmaterial276 nannte die nur über den ÖRK beziehbare Broschüre die Gewaltfrage direkt beim Namen: Es gehe um die Berechtigung „ausserkonstitutionelle[r] Formen gewaltsamen und gewaltlosen politischen Handelns“. Die Konferenz werde dabei auch die „neuere ‚Revolution‘ in der Theologie“, Gottes Anwesenheit in den „revolutionären Wandlungen“, thematisieren, und zwar zusammen mit der Frage, ob die For272

RINGELING, Weltkonferenz; SCHWEITZER, Ansatz; und WOLF, Christus. Die in den Beiträgen der „Ökumenischen Rundschau“ diskutierte „Gegenwart Christi in der sozialen Revolution“ bildeten Ringelings Ansicht nach den eigentlichen theologischen „Problemhorizont“ der Weltkonferenz, so der Wortlaut eines Thesenpapiers, das die (westdeutsche) theologische Diskussion auf der EKD-Vorbereitungstagung einleitete (EZA BERLIN, 99/330). 274 RINGELING, Weltkonferenz, 4, 7 u. 10. 275 BENNETT, Ethics; MATTHEWS, Government; MUNBY, Growth; und VRIES, Man. 276 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1966], 133f.; WELTKONFERENZ, 1966; und FAGLEY, Ringen. 273

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mulierung universaler Moralgesetze oder -prinzipien tatsächlich „der rechte Weg“ sei „für die Übersetzung der Liebe in ethischen Entscheidungen“277. Erklärungsbedürftig bleibt, weshalb in dem deutschen Auswahlband, den der ÖRK tatsächlich erst nach Konferenzende veröffentlichte, genau jene Beiträge der englischen Ausgabe nicht aufgeführt wurden, die das Thema sozialrevolutionäre Gewalt dezidiert zur Diskussion stellten278. Bei den Aufsätzen von Shaull und Thomas war gerade dies der Fall: Letzterer berief sich auf das düstere Stimmungsbild im Bericht der „Mindolo-Consultation“. Dabei kritisierte er die angebliche Haltung von „Responsible Society“ in der Gewaltfrage. Laut des späteren Konferenzvorsitzenden gebe es keinen Beweis dafür, dass die „forces of liberal humanism, Christian humanism, or even nonviolent militancy have fully understood the working of the political, economic and social powers that are seeking to consolidate white extremist elements, especially in Africa. Men are thus left for struggling for their rights, with the path of violence their only choice.“279

Ein ebenfalls im deutschsprachigen Auswahlband nicht aufgeführter Beitrag verwies auf die Kontraproduktivität eines gewaltsamen Gesellschaftswandels – zumindest in Westeuropa. Angesichts der voranschreitenden ökonomischen Marktintegration würde ein solches Szenario, „even apart from ethical considerations“, die gesamtwirtschaftliche nationale Produktion zum Erliegen bringen und so eine Massenarmut verursachen, deren Ausmaß nicht zu überschauen wäre. In Westeuropa sei der „revolutionary utopianism and the use of violence that is closely linked with it“ nur noch ein gefährlicher Anachronismus280. Die Textauswahl des deutschen Vorbereitungsbandes suggerierte (daher?), dass vielmehr die zwischenstaatliche Gewaltanwendung als vorrangiges sozialethisches Problem in Genf behandelt werden würde. Den zentralen Beitrag lieferte Gollwitzer mit der These, „dass für den Atomkrieg die Unterscheidung zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg, wenn sie denn überhaupt je berechtigt und praktikabel gewesen sein sollte

277 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Weltkonferenz. Eine Prüfung anhand einschlägiger Verbundkataloge ergab, dass die Broschüre nur in der Deutschen Nationalbibliothek vorhanden ist. 278 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Kirche. Unberücksicht blieben jene Beiträge der englischsprachigen Studienausgabe, deren „Inhalt im deutschsprachigen Bereich im Wesentlichen bekannt oder zugänglich“ waren. Damit wurde der Anspruch erhoben, die für den „deutschen Leser interessantesten Diskussionspunkte“ zu vereinigen (ABRECHT, Vorwort, 8). 279 THOMAS, Peoples, 32; RINGELING, Weltkonferenz, 10. 280 PHILIP, Change, 120f. Die revolutionäre Gewaltfrage wurde auch in den Beiträgen über Lateinamerika und Südafrika ausgeklammert, CARDENAS, Herausforderung, 192–194; KITAGAWA, Mensch, 470–472.

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(ich persönlich bin der Meinung, dass sich viele gewichtige Argumente für sie anführen lassen), nicht mehr anwendbar ist. [. . .] Gottes Nein macht klar, dass der Atomkrieg nicht mehr, wie früher allenfalls ein bellum iustum, ein Mittel des Rechts sein kann, ein Mittel zur Verteidigung oder Wiederherstellung eines Rechtszustandes.“

Im Fall des Ost-West-Konflikts müssten sich die Kirchen darüber klar werden, dass auch mit Gewaltlosigkeit dem Recht gedient werden könne, sollte diese als passiver Widerstand zur Anwendung kommen. Gollwitzers Beitrag bezog sich allerdings auf das Spektrum der kriegerischen Gewaltanwendung. Die „neue Aktualität der alten christlichen Diskussion“ zum Verhältnis von Gewalt und Gewaltlosigkeit sollte ihm erst auf der Weltkonferenz in voller Tragweite bewusst werden281.

2.4.2 Verlauf und Ergebnisse der Weltkonferenz Die Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft tagte vom 12. bis 26. Juli 1966 in Genf. Ihr Thema lautete: „Christen leben in der technischen und gesellschaftlichen Revolution unserer Zeit“. Mit der eigenmächtigen Auswahl der insgesamt 420 Teilnehmer gewährleistete der ÖRK-Stab eine von Laien unterschiedlichster Berufs- und Konfessionszugehörigkeit mehrheitlich besuchte Studienkonferenz, bei der die (Sub)Kontinente Afrika, Asien und Lateinamerika in gleicher Stärke repräsentiert waren wie Nordamerika und (West)Europa282. In seiner Begrüßungsrede dämpfte der Konferenzvorsitzende Erwartungen an eine konsensuale christliche Antwort „auf die Probleme der Kirche in der modernen Welt“283. Schon mit der Wahl des Tagungsortes hatten sich die Organisatoren bemüht, etwaige Verdachtsmomente, es handele sich hier dennoch um eine westlich dominierte Veranstaltung, auszuräumen. Genf signalisierte, „in politischen und sozialen Angelegenheiten neutral zu sein“284. Die abendlichen Plenarsitzungen trugen Züge eines „Weltparlament[s]“, welches die mitgebrachten gegensätzlichen Standpunkte schonungslos offenbarte285. Dass diese Gegensätze auch quer zu den Grenzen einer grob nach nationaler Herkunft, Wohlstandsniveau und politisch-ideologischer 281 GOLLWITZER, Leitsätze, 287–290, Hervorhebung im Original. Den Standpunkt zu bellum justum hatte Gollwitzer bereits 1960 in einem Grundsatzartikel vertreten, GOLLWITZER, Krieg, 68–70. 282 KRÜGER, Bewegung [1965–1968], 330; DERS., Appell, 274–280. Die Römisch-Katholische Kirche entsandte acht Beobachter. 283 Thomas, zit. n. [DERS.], Weltkonferenz, 22. 284 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1965], 143. 285 TÖDT, Kirche, 38.

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Blockzugehörigkeit differenzierenden Weltkarte verliefen, belegt die Plenarsitzung am zweiten Konferenztag: Auf die von Bola Ige, einem nigerianischen Politiker, erhobene Fundamentalkritik an der Entwicklungspolitik der Ersten und Zweiten Welt, reagierte Eduardo Mondlane, der im tansanischen Exil lebende Gründer der Befreiungsfront von Mozambique (FreLiMo), mit kritischen Rückfragen, v. a. bezüglich der Volksrepublik China, die Ige zum Vorbild antikolonialer Emanzipation hochstillisierte286. Tiefe Gegensätze ließ auch die abendliche Plenarsitzung über die „Herausforderung und Relevanz der Theologie in der sozialen Revolution unserer Zeit“ erwarten. Zu Beginn unterstrich Heinz-Dietrich Wendland – im Sinne seiner früheren Forderung nach einer christlichen Universalethik – die Notwendigkeit einer „theologischen Theorie der Revolution“. Der Konferenz präsentierte er ein Papier, welches den Ansatz einer solchen Theorie freilegen sollte287. Die Theorie sollte ein kritisches Verständnis für die von Wendland nun umschriebene, alle Lebensbereiche umfassende „Gesamtrevolution“ bewirken288. Das Phänomen der „totalen Weltrevolution“289 äußere sich im gegenwärtigen Zusammenwirken der großen neuzeitlichen Revolutionen bei den politischen, sozialen und ökonomischen Umwälzungen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Die Kirchen sollten „sich an die Spitze dieses ganzen Zuges der Humanisierung der menschlichen Gesellschaft“ setzen und nicht darauf warten, „daß Marxisten oder Liberale oder Reformisten oder soziale Humanisten dies zuerst tun.“290 Wendland erläuterte seine Forderung anhand eines entwicklungsgeschichtlich-definitorischen Überblicks auf mehrere Revolutionstypen291. Die Konzepte von Karl Marx und dem preußischen Rechtsphilosophen Friedrich Julius Stahl seien das idealtypische Gegensatzpaar für ein totales Revolutionsverständnis. Stahls konservative Auffassung habe im Fall des deutschen Protes286 IGE, Probleme; [KRÜGER], Weltkonferenz, 23; THOMAS / ABRECHT, Structure, 16–20; und SCHULZ, Weltkonferenz, 174. Mondlanes Haltung zur antikolonialen Gewaltanwendung stand dagegen auf einem anderen Blatt. Dazu weiter im folgenden Kapitel. Zu seinem späteren politischen Wirken, vgl. unten Kap. 4.1. 287 Das im Plenum verteilte Papier hieß „Thesen über Kirche und Revolution“ (EZA BERLIN, 99/333). 288 WENDLAND, Kirche [1967], 77 u. 88. So der Wortlaut der schriftlichen Fassung seines Vortrags, die den Inhalt seines vor dem Plenum erläuterten Dokuments wiedergibt. Der Beitrag wurde gekürzt und in englischer Sprache in der „Ecumenical Review“ des ÖRK veröffentlicht, DERS., Church. Vgl. ferner die Skizze vom Ablauf der Plenarsitzung, epd-ZA, Nr. 159 vom 15. 7. 1966, 6. Dazu ergänzend, THOMAS / ABRECHT, Structure, 23f. 289 WENDLAND, Kirche [1966], 86. So der Wortlaut seines offiziellen Konferenzvortrags, der den Aspekt der revolutionären Gewaltanwendung an keiner Stelle anspricht. 290 DERS., Kirche [1966], 77 u. 89. 291 DERS., Kirche [1967], 78–85.

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tantismus noch im „Kirchenkampf“ gewirkt, so dass selbst die BK es nicht vermochte, der nationalsozialistischen Totalrevolution „ein christliches Verständnis der Revolution“ entgegenzusetzen. Dieser antirevolutionäre Geist habe eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Revolutionsphänomen in Deutschland bis dato verhindert. Angesichts des totalen Charakters der jetzigen „Weltrevolution“, so Wendland, sei die bislang vermiedene Auseinandersetzung aber nicht mehr aufschiebbar. Vom „Boden der traditionellen“ ZweiReiche-Lehre aus, so die – gewagte – These, könnten die aufgeworfenen Probleme nicht mehr angegangen werden, schließlich seien die Bereiche Ökonomie, Gesellschaft und Zivilisation nicht mehr allein dem Staat zu überlassen292. Den Gedanken einer spezifisch „christliche[n] Revolution“ verwarf Wendland allerdings. Christen sollten sich vom Marxschen Gedanken der absoluten Revolution ebenso wenig leiten lassen wie von der christlich-chiliastischen Utopie von der perfekten Gesellschaft. Dies bedeutete, dass sie auch in Zukunft „nicht dem Umsturz aller Verhältnisse“ mit Gewalt das Wort reden können. Andererseits dürfe dies aber nicht zu dem Missverständnis führen, man glaube als Christ an die Realisierung einer Gesellschaft ohne Macht- und Herrschaftsapparat. Einer „solchen Utopie“ jage man nicht nach293. Am Konzept einer reformorientierten „Responsible society“ hielt Wendland daher weiterhin fest. Zu Beginn seines anschließenden Referats äußerte Richard Shaull zustimmend die „Hoffnung, daß von jetzt an diejenigen, die auf Grund ihres christlichen Glaubens sich zur Mitarbeit am revolutionären Kampf aufgerufen wissen, sich für theologische und moralische Unterstützung an die christliche Gemeinschaft wenden können.“

Den revolutionären Kampf machte er an drei Punkten fest. Ein rasanter technischer Fortschritt habe die gefährliche Tendenz geschaffen, dass sich die modernen Gesellschaften zu einem wandlungsresistenten totalen System sozialer Beherrschung entwickelten. Shaull berief sich auf Herbert Marcuse, den 1934 in die USA emigrierten Vertreter der „Frankfurter Schule“, dessen Werk „One dimensional man“ in jüngster Zeit v. a. bei nordamerikanischen Studenten – dazu zählte Shaull auch die „Führer der Armen“ in den städtischen Ghettos der USA –großen Eindruck gemacht habe294. Die wachsende Anhängerschaft dieser Sichtweise sei zum Schluss gekommen, dass selbst kleine Reform292 293 294

EBD., 84f. EBD., 95. SHAULL, Herausforderung, 92f.; MARCUSE, One; und DERS., Mensch.

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schritte nur mittels einer Änderung des Gesamten erreicht werden könnten. Zu dieser Erkenntnis sei man in den Entwicklungsländern gekommen, während sie in den technisch fortgeschritten Staaten noch von einer Minderheit geteilt würde. Als zweiten Punkt nannte Shaull das vom französischen Ökonomen André Philip angesprochene Problem einer der „Vermenschlichung“ dienenden Revolution technisierter Gesellschaften. Gerade diejenigen, die Philips Vertrauen in eine sich selbst reformierende Ordnung nicht teilten, bedürften einer Revolutionsstrategie. Ein Studium des militärischen Guerilla-Kampfes biete Aussicht zur Lösung dieses Dilemmas. Diese könne „jedoch auch eine Strategie für eine wirksame politische Aktion revolutionärer Art nahelegen. In der Tat kann die Bildung solcher ‚Guerilla‘-Einheiten [. . .], die ein neues Sozialgefüge schon klar vor Augen haben und sich an einem ständigen Kampf für einen Umbruch innerhalb und außerhalb gewisser sozialer Strukturen engagieren, eine interessante Aussicht für die Bildung einer neuen Gesellschaft in unserer Zeit eröffnen.“295

An diese – nicht weiter konkretisierte – Strategie einer „permanenten Revolution“ knüpfte Shaull die Hoffnung, dass sie bei wachsendem Erfolg der Versuchung entgegenwirke, dass unterdrückte Menschen zu Gewalt griffen. Shaull machte indes deutlich, er persönlich würde „nicht so weit“ gehen wie Wendland und Philip, und auf ein „völlig gewaltloses Vorgehen“ drängen oder darauf zu „bestehen, dass sich die Christen nicht an Gewaltmaßnahmen beteiligen.“ Es könnte durchaus Situationen geben, in denen ein Wandel „nur“ mittels Androhung von Gewalt oder deren tatsächlichem Gebrauch einleitbar sei296. Shaull forderte die Kirchen dazu auf, eine „Ethik für die Revolution“ auszuarbeiten, denn sollten diese „wirklich“ gewillt sein, die von Wendland und anderen ihnen nahe gelegte Aufgabe anzupacken, so müssten sie einen Rahmen schaffen, der die Menschen dazu befreie und ermutige, „diese revolutionäre Verpflichtung anzunehmen“. Dabei distanzierte er sich von Wendland und dessen Grundsatz, dass Christen stets nur mit einer ideologie- und utopiekritischen Haltung der Revolution zuarbeiten dürften. Shaull hielt dies für nachrangig, schließlich kämen andere gesellschaftliche Kräfte – dazu zählte er die „neuen“ lateinamerikanischen Revolutionäre, die linksorientierten Studenten in den USA und die „neuen Philosophen- und Schriftstellergruppen in der

295

SHAULL, Herausforderung, 94f. EBD.; THOMAS / ABRECHT, Structure, 25. In der Folgezeit unterstrich Shaull die vermeintliche Notwendigkeit, dass der von ihm herbeigesehnte Gesellschaftswandel in Lateinamerika nur mittels einer bewusst eskalierend wirkenden Anwendung (konter)revolutionärer Gewalt erreicht werden könne, SHAULL, Gewalt. Dazu ausführlich, FISCHER, Theologie, 11–32. 296

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marxistischen Gesellschaft“ – dieser Sache besser nach297. Eigentliche Aufgabe des Christentums sei vielmehr seine bedingungslose Anpassung an „die dem Revolutionär bekannte Wirklichkeit“. Der kirchliche Dienst an der Welt bestehe einzig darin, „Vorkämpfer jeder sozialen Reform zu sein, ohne dabei Forderungen für das Christentum aufzustellen oder zu versuchen, die Revolution zu christianisieren.“ Die sozialethische Diskussion über „Responsible Society“ hielt er deshalb für überflüssig, schließlich sei es „unsere Aufgabe“, die „Tatsache der radikalen Historisierung all unseres Denken anzuerkennen und deren theologische Folgerungen durchzudenken, wohin wir dabei auch immer geführt werden.“ Zur gerade von jungen Christen geforderten Suche nach einer neuen Sprache des Glaubens gab Shaull abschließend zu verstehen, es bedürfe weniger einer neuen Sprache als vielmehr „Präsenz und Beteiligung an denjenigen Stellen in der Welt, an denen Gott am dynamischsten wirksam“ sei298. Mit seinem Auftritt als Sprachrohr einer „Neuen Generation“299 dürfte Shaull v. a. die jugendlichen Konferenzteilnehmer beeindruckt haben300. Nachdem der dritte Referent, Erzpriester Vitaly Borovoj, das Abendthema aus Sicht der Russisch-Orthodoxen Kirche behandelt hatte301, korrigierte Wendland Shaulls Bemerkung, Philip und er hätten den Christen auf ein rein gewaltloses Vorgehen verpflichtet. Auch blutige Revolutionen, so Wendland, könnten weiterhin notwendig sein302. In der anschließenden Plenardebatte gingen die Meinungen weit auseinander. Grosso Modo standen sich zwei Gruppen gegenüber. Für die eine war es geradezu ein Schock zu vernehmen, dass Revolutionen als normale Form eines 297 SHAULL, Herausforderung, 96. Hinsichtlich der „Philosophen- und Schriftstellergruppen“ sei angemerkt, dass Shaull auch Josef L. Hromádka zu seinen theologischen Lehrern zählte, DERS., Perspektive, 124. Er dürfte über den christlich-marxistischen Dialog in Prag insofern informiert gewesen sein. 298 SHAULL, Herausforderung, 91 u. 97–99. 299 FISCHER, Theologie, 17f. 300 Auf Betreiben der ÖRK-Jugendabteilung wurden 25 Jugendliche als stimmberechtigte Teilnehmer eingeladen. Zusammen mit weiteren jungen Laien bildeten sie eine Art „pressure group“ des WSCF, die in einem rund 150 Personen zählenden Demonstrationsmarsch vor den europäischen Sitz der Vereinten Nationen zog, um v. a. gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, vgl. JK 27 (1966), 464. Vor Beginn der Weltkonferenz hatte der WSCF eine eigene Veranstaltung in Genf abgehalten, RINGELING, Christen, 15 u. 32; [KRÜGER], Weltkonferenz, 31. Die ÖRK-Jugendabteilung veröffentlichte in ihrer Zeitschrift „Risk“ ein Themenheft über „Youth and Revolution“. Neben der (hochschul)politischen und sozialen Mobilisierung der Studenten in den USA und Europa wurden darin die Sorgen junger Lateinamerikaner und deren zunehmende Neigung „towards the ideas of violent revolution“ besprochen (BOLIOLI, Generation, 58). Vgl. oben Kap. 2.3. 301 Dazu [KRÜGER], Weltkonferenz, 24; THOMAS / ABRECHT, Structure, 26. 302 RINGELING, Christen, 21.

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gesellschaftlichen Wandels gelten sollten. Die andere Gruppe wertete die vielerorts beobachteten Wandlungsprozesse als Beweis für Gottes Wirken in der Menschheitsgeschichte303. Jenseits dieser beiden Pole meldeten sich auch stärker differenzierende Stimmen zu Wort. Der britische Ökonom Denys L. Munby lobte das Aufgreifen dieser ethischen Fragen, denn als Laie sei man kirchlicherseits bis dato darüber im Dunkeln gelassen worden304. Mit Blick auf Shaulls Geschichtstheologie fragte er, ob der Amerikaner eine Generation früher nicht auch die Position der DC hätte vertreten können305. Munbys Kommentar machte deutlich, dass sich der abendliche Meinungsstreit weniger in der sozialethischen Betrachtung als vielmehr an der geschichtstheologischen Deutung des Themenkreises „Kirche und Revolution“ entzündete. Die in den Sektionen fortgesetzte Diskussion lief deshalb Gefahr, die „wesentliche Funktion“ der Konferenz für die Ökumene zu verdecken, schließlich sollten die „ungelösten, aber gegenwärtig bedrängenden Lebensfragen gerade der jungen Nationen in schonungsloser Offenheit in die christliche Öffentlichkeit“ getragen werden306. Diesem Anspruch versuchte insbesondere Sektion II gerecht zu werden. In ihrer Diskussion über „Wesen und Auftrag des Staates in einer Zeit des Umbruchs“ befasste sie sich mit dem Aspekt einer „verantwortlichen Beteiligung christlicher Laien am politischen Leben.“ Die Gewaltthematik wurde als „besondere Frage“ in Augenschein genommen. Losgelöst von dem theologischen Sprachspiel über die Geschichte und abgeschottet von den zur Sektionsarbeit nicht akkreditierten Medienvertretern, rückte die christliche Teilnahme bei gewaltsamen Umsturzversuchen zentral in den Vordergrund307; unter dem Gesichtspunkt des (über)positiven Rechts. Nur mit Mühe gelang es Teilnehmern aus den Industriestaaten, den Verdacht ihrer Kollegen aus den Entwicklungsländern auszuräumen, die Fokussierung auf die Termini „Recht“ und „Gesetz“ diene einzig dem Zweck, die Sektion auf die Propagierung eines konservativen Staatsverständnisses festzulegen. Zur Entschärfung kreierte Rendtorff eine zum Konsens erhobene Formel, die dem Recht eine sowohl „schützende“ als auch „schöpferische“ Funktion zumaß. Im 303 So die Einschätzung von Hanfried Krüger, OKR im Kirchlichen Außenamt der EKD, der auf der Weltkonferenz den Presseausschuss der Veranstaltung mitleitete, KRÜGER, Bewegung [1965–1968], 332; DERS., Appell, 275. 304 [KRÜGER], Weltkonferenz, 25; THOMAS / ABRECHT, Structure, 27. 305 RINGELING, Christen, 22. Einen ähnlichen Standpunkt hatte bereits Hans Heinrich Wolf, Leiter des Ökumenischen Instituts Bossey, gegenüber Thomas in der „Ökumenischen Rundschau“ geltend gemacht, WOLF, Christus. 306 RENDTORFF, Revolution, 81. Zum Ablauf der Sektionsarbeit, [KRÜGER], Weltkonferenz, 20 u. 25. 307 THOMAS / ABRECHT, Structure, 32; SCHULZ, Weltkonferenz, 174.

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abschließenden Bericht hieß es erläuternd, das Recht müsse „auf die Gerechtigkeit für alle Menschen abzielen, für Veränderungen offen sein und die verantwortliche Teilnahme der von ihnen Betroffenen wecken.“ Sollte das Recht einer „willkürlichen Staatsmacht“ dienen, so hätten die Menschen „unter Umständen das Recht und die Pflicht zum Ungehorsam.“308 An dieser Formulierung verdeutlichten sich die Grenzen einer ökumenischen Rechtstheologie, der die westdeutschen Sektionsmitglieder – v. a. Helmut Simon, Richter am Bundesgerichtshof (BGH) – noch „am ehesten“ einen konstruktiven Zugang an das „Problem der Revolution“ zutrauten309. Die Sektion einigte sich auf einen dreistufigen Verhaltensplan: Nach Ausschöpfung aller legalen Widerstandsformen sollte der Christ „selbst unter schwierigsten Bedingungen“ gewaltlose Mittel anwenden und sich mit diesen vertraut machen. Der Gedanke, „absolute Gewaltlosigkeit“ sei „die einzig mögliche Position für Christen“, wurde verworfen310. Gewaltanwendung müsse stets als letzte Option betrachtet werden, „die nur in außergewöhnlichen Situationen gerechtfertigt“ sei. Der Bericht verwies auf die Unterdrückungsform der „unsichtbaren Gewalt (violencia blanca)“, die zusammen mit offenen Gewaltformen eine „sehr starke Wirklichkeit unserer Welt“ darstellte; es sei fraglich, ob eine geplante blutige Revolution „nicht ein geringeres Übel“ sei als jene unblutige Gewalt, die „aber die gesamte Bevölkerung zu ewiger Verzweiflung“ verdamme. Die Sektion ließ diesen Grenzfall ebenso unbeantwortet wie die kasuistisch nicht zu fassende Gewaltanwendung als ultima ratio. Es sei dem Christen überlassen, sich an die Kirchen und deren „unterweisenden Dienst“ zu wenden311. Diese sollten sich nur im „vollen Bewußtsein ihrer Grenzen und der Möglichkeit des Irrtums“ politisch betätigen. Mit Rendtorffs Rechtsbegriff wurde schließlich der doppelte theologische „Irrtum“ verworfen, bestehende Gesellschaftsstrukturen mit einer ewigen göttlichen Ordnung gleichzusetzen und Revolutionen eschatologisch zu romantisieren312. Zum Auftrag der Weltkonferenz, der 1968 in Uppsala tagenden Vierten ÖRK-Vollversammlung ihre Berichte, Empfehlungen und Erklärungen zuzuleiten313, riet Sektion II dem ÖRK und seinen Mitgliedskirchen, das theologische Verständnis „der Revolution und besonders der Ethik gewaltloser Aktio-

308 RENDTORFF, Revolution, 82 u. 85; Bericht der Sektion II, KRÜGER, Appell, 151–174, 173. Zur englischen Fassung der Sektionsberichte, [ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN], Christians. 309 SIMON, Leben, 353; RENDTORFF, Revolution, 84; und HEYL, Ergebnisse, 471. 310 Bericht der Sektion II, KRÜGER, Appell, 161 u. 171. 311 EBD., 171 u. 167. 312 EBD., 159f. u. 167. 313 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1965], 144.

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nen“ genauer zu untersuchen314. Der Bericht der Arbeitsgruppe B, die sich aus Mitgliedern der einzelnen Sektionen zusammensetzte, und deren Aufgabe es war, die diskutierten „theologischen Probleme in der Sozialethik“ sektionsübergreifend darzustellen, nannte ein weiteres Studienobjekt: Es seien Situationen zu durchdenken, „in denen die bestehenden Institutionen direkt oder indirekt gewaltsamen Druck auf die Menschen ausüben“. Folglich fänden „einige Christen“ in dem Gedanken Zuflucht, dass ein Wandel nur mittels Gewalt herbeigeführt werden könne315. Die genannten Empfehlungen deckten sich mit der Predigtbotschaft von Martin Luther King, die dieser im Konferenzgottesdienst hatte halten wollen. Da er durch Rassenunruhen in Chicago persönlich verhindert war, mussten sich die Gottesdienstbesucher in der Genfer Kathedrale seine Ansprache auf Tonband anhören316. Die Ergebnisse der Weltkonferenz machten jedenfalls deutlich, dass man nicht darauf hinarbeitete, vom christlich-ethischen Grundprinzip der Gewaltlosigkeit abzurücken. 2.4.3 Die Rezeption von „Genf“ 2.4.3.1 „Revolution“ in den Medien Angesichts der vielen potentiellen Verhandlungsthemen waren die Themensetzung und der Konferenzverlauf im Vorfeld nicht klar absehbar. Die Veranstaltung barg selbst für Eingeweihte erhebliches Überraschungspotential. Ihr Titel und die paritätische Teilnahme von Delegierten aus Ost und West, Süd und Nord ließen vermuten, dass sie „im Zeichen vieler Spannungen“ stehen würde317. Es blieb den Journalisten überlassen, die Konferenzatmosphäre in all ihren Facetten greifbar zu machen. Die Chancen, dies im Verbund zu gewährleisten, standen gut. Die Anwesenheit eines breiten internationalen Spektrums von Presse-, Rundfunk- und Fernsehvertretern signalisierte globales Interesse. Evangelische und „weltliche“ Medien waren gleich stark vertreten318. Westdeutsche Tages- und Wochenzeitungen entsandten jedoch keine Korrespondenten. Im Gegensatz zu TV und Rundfunk, wo neben ARD und ZDF „fast alle deutschen Rundfunkanstalten, einschließlich Deutschlandfunk und Deut-

314

Bericht der Sektion II, KRÜGER, Appell, 174. Bericht der Arbeitsgruppe B, EBD., 248–259, 259. 316 JK 27 (1966), 423. Zum Inhalt seiner Predigt, KING, Klopfen. 317 WALTHER, Zeichen. 318 MAURY, Press, 61; KRÜGER, Bewegung [1965–1968], 331. Ebenfalls anwesend waren rund 50 Vertreter katholischer Medien. 315

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sche Welle“ aus Genf berichteten, demonstrierten sie Desinteresse319. Gleich zu Beginn seines Berichts vor dem Rat der EKD machte Hanfried Krüger auf diese Tatsache aufmerksam320. In der „Zeit“ und im „Spiegel“ wurden selbst rückblickende Beiträge unterlassen; vor dem Hintergrund der sonst recht umfangreichen Religionsberichterstattung des Nachrichtenmagazins – etwa über das Zweite Vatikanische Konzil – ein bemerkenswerter Umstand. Trutz Rendtorff bescheinigte den Printmedien „ökumenischen Provinzialismus“. Im Vergleich zur Konzilsberichterstattung bestehe ein „Mißverhältnis“, das „geradezu grotesk“ anmute321. Es blieb somit der evangelischen Presse, dem Rundfunk und dem Fernsehen322 überlassen, die (West)deutschen über die Veranstaltung zu informieren. Wie von Hermann Ringeling vermutet, stand das Thema „Revolution“ im Vordergrund323. In dieser Hinsicht stimmte die westdeutsche Berichterstattung mit derjenigen in anderen Ländern überein324. Die während der Konferenz in Umlauf gebrachte „Theologie der Revolution“ entwickelte sich zum stehenden Begriff325. Im „Berliner Sonntagsblatt“ zierte sie die Titelgeschichte über die Plenarsitzung mit Shaull und Wendland. Sepp Schelz, Leiter des Evangelischen Publizistischen Zentrums Berlin, erklärte die zurückhaltende Berichterstattung der allgemeinen Presse folgendermaßen: Die Konferenz habe ihre Themen derart akademisch formuliert, dass nur Eingeweihte klar werden konnte, „wie viel Sprengstoff in ihnen“ lag. Wenn aber „der Rektor der Universität Münster“ eine „theologische Theorie der Revolution“ fordere und zugleich deren „Grundzüge“ entwickle, sollten derart „aufregenden Aussagen“ auch der „weltlichen Presse“ Schlagzeilen „wert“ sein326. In seinem „Theologie der Revolution?“ untertitelten Bericht für den Rat der EKD kritisierte Krüger Engführungen der evangelischen Presse auf das Thema „Revolution“. Der Leser müsse den Eindruck gewinnen, 319

HEYDE, Verantwortung, 483; SCHULZ, Weltkonferenz, 166. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 18. / 19. 8. 1966 (EZA BERLIN, 2/ 1771). Dies geht auch aus der schriftlichen Fassung des Berichts hervor, den Krüger im Auftrag des Rates später verfasste (EZA BERLIN, 728/35). Wie bereits erwähnt, leitete der Mitarbeiter des Kirchlichen Außenamtes der EKD auf der Weltkonferenz den Presseausschuss. Vgl. oben 92 [Anm. 303]. 321 RENDTORFF, Herausforderung, 47. 322 Bei der Archivrecherche wurden allerdings keine nennenswerten Fernsehberichte ausfindig gemacht. 323 Sein im Deutschlandfunk gesendeter Vortrag vom 6. 7. 1966 befasste sich mit der Frage „Will Gott Revolution?“ (RINGELING, Christen, 32). 324 MAURY, Press, 67. 325 EBD., 67f. 326 „Theologie der Revolution“. In: BSBl, Nr. 30 vom 24. 7. 1966, 1; SCHELZ, Sprengstoff. 320

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„als ob in Genf die Revolution als legitimes Mittel politischen Handelns sanktioniert und theologisch gerechtfertigt und begründet worden sei, als ob die Ökumene in dem ihr ohnehin schon seit langem angelasteten Linksdrall sich hinter den gewaltsamen Umsturz in aller Welt gestellt habe, diesen fördere und vielleicht sogar dazu ermutige; ja als ob sich die ganze Konferenz nur um das Thema Revolution gedreht habe.“327

Die Erfahrungsberichte westdeutscher Konferenzteilnehmer ließen ein solches Bild freilich nicht entstehen328. Sie unterlagen vielmehr dem Bemühen, den Leser über den Facettenreichtum der Konferenz zu informieren. In der Berichterstattung evangelischer Medien diente der nebulöse Revolutionsbegriff sonst nur als Aufhänger zum thematischen Einstieg. Die Gewaltfrage blieb zumeist außen vor – die Frage einer situativen Revolutionsethik wurde jedoch für „durchaus legitim“ erachtet329. Nüchtern betrachtet wurde die Gewaltfrage war auch in jenen Beiträgen, die mit wortspielerischen Überschriften wie „Mit friedlicher Brutalität“ oder „Theologie für Revolutionäre“ für eine pragmatische Auseinandersetzung zwischen Erster und Dritter Welt plädierten330. Die „Junge Kirche“ überließ es dem Leser, sich ein eigenes Bild zu machen. Dazu offerierte sie eine Zusammenstellung jener Berichte, die der „Ökumenische Informationsdienst“ während der Konferenz veröffentlichte331. Shaulls Position zum Gewaltgebrauch wie auch die Frage, ob „Lateinamerikas Christen Revolution machen“ könnten, rangierten dabei an erster Stelle. Bereits in der Juli-Ausgabe erläuterte Heinz Kloppenburg den Themenschwerpunkt des Heftes mit der herausgeberischen Bemerkung, die aktuellen Entwicklungen in Lateinamerika und Vietnam stellten auch „uns vor die Frage nach der Gewaltanwendung“332. Kloppenburg verwies auf eine vom Internationalen Versöhnungsbund zusammen mit der CFK organisierte Tagung in Montevideo333. In beiden Zusammenschlüssen bekleitete er führende Positionen334. Zur Verdeutlichung der Virulenz der lateinamerikanischen Gewaltproblematik veröffent327 Krügers weiteren Ausführungen zufolge, hatte er den undatierten Bericht nicht vor April 1967 verfasst, EZA BERLIN, 728/35. 328 HEYL, Bericht; DERS., Ergebnisse; HEYDE, Verantwortung; DERS., Revolutionen; und RENDTORFF, Herausforderung. 329 LINNENBRINK, Theologie, 446. 330 THUMSER, Brutalität; SCHMIDT, Geduld. 331 JK 27 (1966), 411–441. 332 KLOPPENBURG, Schriftleiterecke, 412. 333 Laut ihrer Erklärung hielt die Ende Mai 1966 zu Ende gegangene und in der August-Ausgabe der „Jungen Kirche“ dokumentierte Veranstaltung es für nötig, „Grundlagen und Verwirklichung der Gewaltlosigkeit in der lateinamerikanischen Revolution“ genauer zu studieren (JK 27 (1966), 456–459, 459). 334 In der von ihm mit ins Leben gerufenen CFK begleitete er bis 1970 das Amt des Vorsit-

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lichte die Schriftleitung einen Aufsatz zum Tod von Camilo Torres. Der aus politischen Gründen 1965 in den Laienstand versetzte katholische Geistliche hatte sich darauf einer kolumbianischen Guerillabewegung angeschlossen. Anfang 1966 wurde er in einem Feuergefecht mit Regierungstruppen getötet. In dem genannten Beitrag verkörpert Torres als selbstloser, Gott gegenüber „gehorsamer Rebell“ den Gedanken, dass eine aus blutigen Revolutionen und Bürgerkriegen hervorgegangene ungerechte Gesellschaft durch „eine ‚gerechtere, humanere und christlichere soziale Ordnung‘ gewaltsam ersetzt“ werden könne335. Ein in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung engagierter Theologe machte schließlich auf den Unterschied zwischen einer pazifistischen und einer strategisch orientierten Gewaltlosigkeit aufmerksam. Als Anhänger eines sowohl ideell (christlich) als auch pragmatisch motivierten, auf physische Gewalt verzichtenden zivilen Ungehorsams trat er dem marxistischen Vorbehalt entgegen, Gewaltlosigkeit sei „nur eine christliche Sache“. Mit Berufung auf Mahatma Gandhi listete er die politischen Vorteile einer gewaltlosen Strategie auf, um das Vorurteil zu widerlegen, sie zeitige eine prinzipiell geringere Erfolgsaussicht. Angesichts persönlicher Erfahrungen im christlich-marxistischen Dialog hielt er es für notwendig, alle Menschen davon zu überzeugen, dass Gewaltlosigkeit, „eine säkularisierte Weise eines christlichen Verhaltens in Konfliktfällen“ sei, die in der gegenwärtigen „Welt angewandt werden kann und muß“336. Als erster kirchlicher Prominenter veröffentlichte Otto Dibelius seine Gedanken zur Weltkonferenz. Im „Berliner Sonntagsblatt“ gab der Berliner Altbischof Anfang Oktober 1966, wenige Wochen vor seinem Tod, zu Bedenken, er könne zu „einer ‚Theologie der Revolution‘“, dem „dernier cri“ des ÖRK, „nicht früh“ und „nicht bestimmt genug“ Nein sagen. Wegen des bevorstehenden Wechsels im Amt des Generalsekretärs befürchtete er einen folgenschweren Paradigmenwechsel in der Entwicklung des 1948 gegründeten Weltkirchenrates. Verallgemeinernd monierte er einen im 20. Jahrhundert weit vorangeschrittenen „Ausverkauf der geistlichen Substanz der Kirche an die Welt“. Shaulls Geschichtstheologie setze diesen Trend weiter fort. Die zenden des westdeutschen Regionalausschusses, im Versöhnungsbund das des Vorsitzenden des (west)deutschen Zweigs. 335 MALDONADO, Camilo Torres, 376. 336 SWOMLEY JR., Gerechtigkeit, 380–384. Der Verfasser gab an, vor kurzem Prag besucht zu haben. Dort sei er auch mit Vertretern der kommunistischen Nationalen Befreiungsfront Südvietnams zusammen gekommen. Zur westdeutschen Rezeption der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und dem Gesichtspunkt einer protestantischen Ethik des zivilen Ungehorsams, unten Kap. 3.5.

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„Kirche Jesu Christi“ drohe zur bloßen „Humanitätsgesellschaft nivelliert“ zu werden. Kirchlich gesehen gehe es aber „eben nicht nur um die Umwälzung der Verhältnisse auf der Welt, sondern es geht um die Menschen, die alle [. . .] als Egoisten geboren werden, denen aber gesagt werden soll, daß Gott sie dazu berufen hat, diesen ihren Egoismus zu überwinden und ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst – nicht mehr als sich selbst, sondern so, wie sie selbst sich lieben, nicht aber, wie wir es bei den allerneuesten Revolutionen in Afrika erlebt haben, über Leichen zu gehen, um neue Verhältnisse zu gewinnen.“

Dibelius fällte ein überzogen negatives Pauschalurteil über die Weltkonferenz. Kraft seiner Bekanntheit erregte es große Aufmerksamkeit in kirchlichen Kreisen. Die Reaktionen waren gemischt337. Dibelius kritisierte weniger die Konferenz, als vielmehr die allgemeine Ausrichtung des ÖRK seit Anfang der 1960er, v. a. dessen deutschlandpolitische Haltung. So man habe aus Berlin „nur Gollwitzer“ eingeladen338. Letzterer hatte seine Gedanken zum Atomkrieg in Genf weiter präzisiert. Ein mit Massenvernichtungswaffen geführter Konflikt sei kein christlich legitimer gerechter Krieg. Den nuklearen Patt zwischen Warschauer Pakt und NATO könne man daher auch nicht als ein deeskalierend – weil: abschreckend – wirkendes System der Friedenssicherung würdigen. Die deutschen Kirchen, so die Anspielung auf die Ostdenkschrift der EKD, täten gut daran, die OderNeiße-Grenze als Kriegsfolge anzuerkennen. In der von ihm aufgeworfenen Frage nach der Anwendbarkeit von bellum iustum nach 1945 vertrat Gollwitzer die anachronistische These, die Kasuistik dieses ursprünglich römisch-antiken, später durch Augustinus christlich modifizierten Konzepts bedenke nicht den „Klassencharakter der staatlichen Obrigkeit“. Solange sie zwischen der „Rebellion eines mittelalterlichen Aristokraten gegen seinen Lehnsherrn“ und der „neuzeitlichen Revolution“ einer „unterdrückten Bevölkerung“ nicht unterscheide, bleibe sie untauglich. Zur Überarbeitung empfahl Gollwitzer ihre „Abwandlung“ durch Lenin, die besagt, dass „der Kampf des Volkes gegen Unterdrückungsmächte“ gerecht sei. Diesen Aspekt habe man in der „kirchlichen Kriegsethik“ bislang „kaum so ernst genommen [. . .], wie sie es verdient.“339 337

epd-ZA, Nr. 229 vom 16. 10. 1966, 3; ÖPD, Nr. 33 vom 13. 10. 1966, 4; [KRÜGER], Weltkonferenz, 22; und SCHULZ, Weltkonferenz, 174. Mit Genugtuung dürften die „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“ und Walther Künneth reagiert haben. Letzteren hatte Dibelius in seinem Beitrag zustimmend zitiert. 338 DIBELIUS, Kirchen, 1f. Hervorhebung im Original. Vgl. oben Kap. 2.1. 339 So Gollwitzers Vortragstext, den die „Junge Kirche“, in ihrer weiter oben genannten Berichtauswahl zur Weltkonferenz abgedruckte, JK 27 (1966), 436–441, 438f. u. 441. Zu bellum iustum ein- und weiterführend, RUDOLF, Krieg; HOLZEM, Krieg.

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Auf der Sofiaer Tagung des CFK-Beratungsausschusses sprach Gollwitzer im Oktober 1966 über den „Hauptmangel“ seines Genfer Referats, die Gewaltfrage nur auf die traditionelle zwischenstaatliche Kriegsführung hin erörtert zu haben. Aufgrund beider Weltkriege sei das Verständnis von Gewaltlosigkeit als das für Christen „am nächsten liegende Zeugnis“ in den Großkirchen stark gewachsen. Dem stehe die in den anti(neo)kolonialen Auseinandersetzungen beobachtbare Tendenz gegenüber, die Gewaltanwendung christlich zu glorifizieren. In Genf etwa prägte der Emigrant Mondlane, ein „hervorragender Vertreter“ aus Mozambique, den Satz: „‚Es geht darum, daß unsere Menschen im Geiste frei werden. Wenn ein Mann bei uns zum Gewehr greift, dann hat er den entscheidenden Schritt zur Freiheit getan.‘“ Angesichts dieser gegensätzlichen Tendenzen forderte Gollwitzer die CFK auf, die „neuen Aspekte“ des Gewaltproblems genauer untersuchen. Die „nationalen und revolutionären Kampfhandlungen“ in „unterentwickelten Ländern“ seien auch Konflikte im völkerrechtlichen Sinne. Damit suggerierte Gollwitzer, dass der organisierte bewaffnete Kampf einer indigenen Bevölkerung gegen ein koloniales Regierungssystem nicht als Revolution, sondern als zwischenstaatlicher Krieg betrachtet und als solcher für legitim erklärt werden könne. Angesichts seiner Genfer Ausführungen über die bolschewistische Revolutionstheorie liegt es nahe, dass Gollwitzer mit Blick auf Lateinamerika darauf drängte, auch den Neokolonialismus zu berücksichtigen, und zwar unter der Prämisse, dass der dortige revolutionäre Kampf „des Volkes“ gegen transnationale „Unterdrückungsmächte“ geführt werde. Gollwitzer knüpfte die von ihm geforderte Untersuchung jedoch an die Bedingung, allseits kritisch zu sein, „auch gegen uns selbst.“ Die kriegsbedingten Erkenntnisgewinne der jüngeren Zeit brächten umgekehrt aber die Gefahr mit sich, „daß das Lob der Gewaltlosigkeit“ zum „ideologischen Mittel“ verkomme340. In seinem Konferenzbericht für das „Berliner Sonntagsblatt“ versuchte Gollwitzer, die Virulenz der Gewaltfrage „etwas verständlich“ zu machen. Zum Nord-Süd-Konflikt bemerkte er einleitend, „Responsible Society“ sei als „Zielbegriff für das politische Handeln der Christen“ zugespitzt worden auf die Frage nach einer „Theologie der Revolution“. Der trotz christlicher Beteiligung am 20. Juli 1944 „für uns neu[e] und unserer Tradition entgegengesetzt[e]“ Aspekt sei dem deutschen Christentum erst durch die Weltkonferenz klar vor 340 JK 27 (1966), 637. Vgl. den Sofiaer Bericht der Theologischen Kommission zum Thema Revolution, BESINNUNG. In seiner Sofiaer Erklärung forderte der Beratungsausschuss eine „radikale Umwandlung des Denkens und der Arbeit“ im eigenen Umgang mit der „Frage der Revolution“. Sie wurde u. a. abgedruckt in der den Kirchlichen Bruderschaften nahestehenden „Stimme der Gemeinde“ (18 (1966), 685–688).

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100 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Augen getreten. Gollwitzer erläuterte mit marxistischen Ausführungen über die sozioökonomischen Verhältnisse in Lateinamerika, weshalb eine wachsende Zahl katholischer und protestantischer Laien und Geistlicher, etwa der „wie ein Heiliger“ verehrte Camilo Torres, den bewaffneten kommunistischen Guerillakampf dort nicht nur geistig, sondern auch tatkräftig unterstützten. Aufgrund des zunehmenden Gebrauchs körperlicher und geistiger (struktureller) Gewalt seitens der Herrschenden sähen sie keine andere Möglichkeit als den bewaffneten Widerstand. Ähnlich ausweglos gestalte sich die Lage in Südafrika, Angola und Mozambique. Gollwitzer appellierte an den Leser, sich die koloniale Gewalt, von der man in Deutschland bislang „kaum Notiz genommen“ habe, zu vergegenwärtigen. Denn nur in Verbindung mit einer rückblickend selbstkritischen Beantwortung der Gegenfragen der nach „nationaler Unabhängigkeit und sozialem Fortschritt“ strebenden Völker sei es moralisch gerechtfertigt, über die Legitimität christlicher Teilnahme an den dortigen Konflikten zu befinden. Das europaweit üblich gewordene „Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit als die rechte christliche Haltung“ helfe hier nicht weiter. An sein CFK-Votum anschließend, bekräftigte Gollwitzer die These, dass der von ihm marxistisch umschriebene anti(neo)koloniale Kampf als sowohl zwischenstaatlicher wie auch revolutionärer Konflikt klassifizierbar sei. Da es im atomaren Zeitalter keine gerechten Kriege mehr gebe, sei es nunmehr geboten, den an sich sinnvollen Kriterienkatalog von bellum iustum auf innerstaatliche Auseinandersetzungen zu übertragen. Sein Gedankenexperiment lief somit darauf hinaus, die Augustinische Lehre als revolutio iusta zu repristinieren341. Doch wer sollte anstelle der von Gott eingesetzten legitima potestas das zur Erklärung einer revolutio iusta notwendige ius ad revolutionem haben? Gollwitzers Genfer Vortrag gab bereits genügend Anlass für Kritik. Cornelius von Heyl beanstandete den Versuch des lutherischen Theologen, der Lehre vom gerechten Krieg wieder zu Ansehen zu verhelfen. Dabei habe er selbst bewiesen, dass es gerechte Kriege in der Gegenwart nicht mehr geben könne. Die Absurdität dieser Theorie manifestiere sich bei dem von Gollwitzer in den Vordergrund gestellten Bewertungskriterium der anzuwendenden Mittel, dem debitus modus. Dessen gegenüber Kernwaffen angeführtes Kriterium der „Wahllosigkeit der Massenvernichtung“ kommentierte von Heyl mit dem Hinweis, „als ob man seinen Nächsten mit einem konventionellen Gewehr im 341 GOLLWITZER, Revolution [1966]. Wohl erinnerte er sich seiner 1960 gegenüber Kriegen angeführten Analogie, indem er diese nun nicht mehr zur Beurteilung staatlicher, sondern revolutionärer Gewalt verwendete: „Wie sehr auch der Polizeidienst pervertieren kann, so sehr steht bei ihm erst am Ende, was beim K.e [Kriege, A. C. W.] am Anfang steht: Töten nicht als ultima, sondern als prima ratio“ (GOLLWITZER, Krieg, 70f.).

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Dank gegen Gott und im Namen Jesu Christi erschießen könnte!“ Martin Niemöller habe in Genf zu Recht bemerkt, dass es einen gerechten Krieg nie gegeben habe und auch niemals geben werde342. Die übrigen westdeutschen Teilnehmer lehnten es im Gegensatz zu Gollwitzer – und auch Dibelius – ab, die Weltkonferenz unter dem Schlagwort „Theologie der Revolution“ zusammenzufassen. In der ihr gewidmeten Januarausgabe der „Ökumenischen Rundschau“343 trat Wendland „bereits umlaufenden Missverständnisse[n]“ entgegen: „Wir legitimierten in Genf nicht ‚die Revolution‘ durch das Evangelium“. Über die Bedeutung dieses Begriffs, der im Englischen „anders klingt“ als im Deutschen, sei nur mit Mühe eine Einigung erzielt worden sei, denn es musste stets zwischen sozialem Umbruch und politischer Revolution unterschieden werden, so Ringeling. Eine „Theologie der Revolution“ sei von „beliebigen Anmarschwegen“ aus erreichbar. Tödt zog es daher vor, die Leser mit dem „Problem der Revolution“ bekannt zu machen. In etlichen Ländern Lateinamerikas habe es seine „volle Schärfe“ entfaltet, was soviel bedeute wie: „Bruch mit dem geltenden Recht! [. . .] Gewaltanwendung statt Gewaltlosigkeit! Und [. . .] Aussicht auf eine grundlegende Besserung für die breiten Massen heißt heute praktisch: kommunistische Revolution, d. h. Umsturz, Klassenkampf, Enteignung der Privilegierten, Organisation der Arbeit mit den Methoden, wie sie in den kommunistischen Ländern erprobt und entwickelt worden sind. Viele Südamerikaner urteilen, daß dieses der einzige Weg sei, um zu einer gerechteren Sozialordnung zu kommen. Und sie fragen die Kirchen: Hat der Christ ein Recht und eine Verpflichtung, sich an solchen Revolutionen zu beteiligen?“344

Eberhard Müller gab zu bedenken, dass gerade jene Staaten die Freiheitsrechte drastisch einschränkten, die sich ihrer revolutionären Veränderungen „am meisten“ rühmten, „wie z. B. Rotchina.“ Trotzdem erklärte die Konferenz „zu Recht“, der einzelne Christ habe „in gewissen Fällen“ nicht nur das Recht, sondern auch die „Pflicht zu revolutionären Akten“. Es sei jedoch irrig, die Revolution als einen ethischen Wert „an sich“ zu betrachten345. Die genannten Beiträge waren insgesamt bestrebt, das „schlagwortartig herausgestellte ‚Christliche Ja zur Revolution‘“ zu differenzieren. Schon der

342

HEYL, Bericht, 413f. Vgl. JK 27 (1966), 439. Die Schriftleitung begründete diesen Schritt mit dem bis dato „recht bescheidenen Echo“ in den nicht-evangelischen Medien (ÖR 16 (1967), 138). Deshalb offerierte sie eine in Heft 2 und 3 fortgesetzte „Zeitschriftenschau“ zur Weltkonferenz (EBD., 137f., 210 u. 307f.). 344 WENDLAND, Wege, 8, Hervorhebung im Original; RINGELING, Christen, 22; und TÖDT, Kirche, 45. 345 MÜLLER, Revolutionäre, 29. 343

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102 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) jüngeren Geschichte des deutschen Protestantismus wegen sollte die Unterscheidung signalisieren, dass eine Christus bezogene Theologie sich „nicht ohne weiteres für gerade zeitgemäße politische Ideen mißbrauchen lassen“ dürfe346. Diesen Standpunkt machten sie nicht gegen Gollwitzer, dem erfahrenen „Kirchenkämpfer“ der NS-Zeit, sondern Shaull geltend. Letzterer habe eine „Theologie der Revolution“ mit „Revolutionspathos“ zu ungunsten „nüchterner Aufbauarbeit“ in den Entwicklungsländern vorgetragen, so Tödt Anfang 1967 in der „Zeitschrift für Evangelische Ethik“. Dagegen bejahte er Shaulls Forderung, die Theologie müsse sich „von Grund auf“ selbst erneuern, um nicht obsolet zu werden. Ebenfalls gegen Shaull gerichtet, erklärte Christian Walther, Mitarbeiter im Lutherischen Weltbund (LWB) und Privatdozent für Systematische Theologie an der Universität Zürich, in den „Lutherischen Monatsheften“: Revolutionen hätten „nun einmal, wenn auch nicht ausschließlich, mit Gewalt zu tun“. Man könne nicht „abstrakt“ über sie urteilen, v. a. nicht in einer „wohltemperierten Konferenzatmosphäre“ mit sämtlichen „Annehmlichkeiten des Zivilisationskomforts“. Die revolutionäre Problematik stelle sich „höchst konkret“, kritisierte er Shaulls Ruf nach Bildung eines „‚christlich revolutionären Kaders‘“. Für die Kirchen gäbe es keinen Anlass, einem „Revolutionarismus um jeden Preis“ das Wort zu reden. Diesen Standpunkt vertrat auch John C. Bennett in der „Jungen Kirche“. Als Sektionsleiter fiel ihm in Genf auf, dass die westeuropäischen Delegierten am „wenigsten empfänglich“ waren für den schlagwortartigen Ruf nach Revolution. Ausgerechnet die Kontext- und Situationsethiker – wie der noch im Vorbereitungsmaterial von ihm gelobte Shaull – hätten in „höchst verallgemeinernder und unzusammenhängender Weise“ das Wort „Revolution“ in den Mund genommen. Verwundert habe er auch registriert, „wie oft“ Camilo Torres als „Märtyrer gefeiert“ wurde347. Letztlich war es Shaulls Genfer Auftritt, der dafür sorgte, dass die in evangelischen Medien bislang ausschließlich geführte Diskussion um eine „Theologie der Revolution“ im Frühjahr 1967 einen breiteren Teilnehmerkreis gewann. Das Interesse war ökumenischer bzw. entwicklungspolitischer Natur. Ein reformierter Züricher Studentenpfarrer monierte Tödts Kritik an Shaulls „Revolutionspathos“. Es sei kurzschlüssig, wenn man ihm „die ‚Theologie der Revolution‘ im Sinne einer geschichtstheologischen These“ zuschiebe. Zwar habe er „gewisse Thesen sehr zugespitzt“ formuliert, die „darum sehr einseitig“ gewirkt hätten. Letztlich sei er aber „grundsätzlich mißverstanden“ worden.

346 347

HEYL, Bericht, 413; HEYDE, Revolutionen. TÖDT, Bedeutung, 5f.; WALTHER, Revolution, 144f.; und BENNETT, Christ, 109f.

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Shaull habe nicht „die Theologie für die permanente Revolution“ geliefert, sondern sich auf die von ihm persönlich erlebte soziale Lage in Brasilien und den USA bezogen. Wer Shaull verstehen „möchte“, tue gut daran, den Revolutionsbegriff nicht so eng zu fassen, indem er „seine herkömmlichen belastenden Assoziationen tunlichst“ reduziere. Der Sofiaer CFK-Bericht müsse sich hingegen den Vorwurf gefallen lassen, den Begriff auf den gewaltsamen Umsturzversuch ideologisch verengt zu haben. Mit der Alternative „Gewalt/ Gewaltlosigkeit“ komme man dem eigentlichen – weil: „vielschichtiger[en] – Problem der ‚Machtausübung‘“ nicht auf den Grund348. Die Veröffentlichung des deutschsprachigen Konferenzbandes sollte es Interessierten ab Frühjahr 1967 schließlich ermöglichen, sich ein eigenes Bild von Shaulls Vortrag und den „tatsächlich“ in Genf verhandelten Problemen machen349. Eine kritische Auseinandersetzung mit den „Versuchungen der Gewalt“ forderte auch die Ende März veröffentlichte Papstenzyklika „Populorum Progressio“. Angesichts der entwicklungspolitischen Lage Lateinamerikas, v. a. Kolumbiens, existierten „zum Himmel“ schreiende Zustände, in denen der Ruf laut werde, gegen die Menschenwürde „verstoßende[s] Unrecht mit Gewalt zu beseitigen.“ Dennoch dürfe Übel „nicht mit einem noch größeren Übel“ vertrieben werden. Ohne Wertung des in der westdeutschen evangelischen Theologie später artikulierten Vorwurfs, es handele sich hier um eine „nicht mehr“ ausreichende „vorsichtige Bejahung der Revolution“, steht fest, dass somit auch das römisch-katholische Lehramt sich dazu veranlasst sah, zur Gewaltfrage offiziell Stellung zu nehmen350. Von der „Weltpresse“ für „ungewöhnlich empfunden“, fand die Enzyklika ein „überaus starkes“ Echo351, dessen Schwingungen auch in die EKD hineinwirkten. 2.4.3.2 „Revolution“ in den Kirchen Der Rat der EKD wurde von Krüger und von Heyl über den Verlauf der Weltkonferenz unterrichtet. Wegen der unzureichend empfundenen Berichterstattung der allgemeinen Presse erging der Beschluss, Scharf solle bei FAZ und „Die Welt“ offiziell protestieren352. Krüger hielt es für unabdingbar, die „sach348

WILDBOLZ, Revolution, 176f.; DERS., Besinnung, 9f. KRÜGER, Appell. Davon ausgenommen blieben Wendlands Ausführungen über eine „Theorie der Revolution“. 350 FORTSCHRITT, 162f.; BOPP, Progressio, 73. 351 FORTSCHRITT, Rückentext; MÜLLER, Fahnen. 352 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 18. / 19. 8. 1966 (EZA BERLIN, 2/ 1771). Offen bleibt, ob ein Beschwerdebrief tatsächlich versendet wurde. „Die Welt“ veröffentlichte wenige Tage später ihren ersten Artikel über die Weltkonferenz. Trotz polemischer Über349

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104 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) liche Notwendigkeit und theoretische Rechtfertigung der Revolution aus christlicher Sicht“ genauer zu untersuchen. Auf ökumenischen Konferenzen schwinde zudem die „Lust“, sich mit der Deutschlandfrage zu befassen: Fragen, „mit denen wir allmählich auf die Nerven fallen, weil sie in der Gesamtsituation der Welt“ nicht mehr so wichtig erscheine „wie bei uns selbst.“ Auch Gollwitzers Anregungen seien auf taube Ohren gestoßen353. Unter diesem Eindruck beschloss der Rat, neben der westdeutschen CCIA-Landesgruppe auch die beiden Kammern für soziale Ordnung und öffentliche Verantwortung mit der Revolutionsthematik zu befassen354. Die westdeutschen Mitglieder der letztgenannten Kammer diskutierten Ende September über Möglichkeiten, die Friedensfrage eigens in einer Publikation zu erörtern. In seinem Bericht über die Weltkonferenz betonte der Kammervorsitzende Ludwig Raiser die „Mängel im Beitrag der deutschen Theologie“. Gegenüber Erwin Wilkens, dem Geschäftsführer, bemerkte er, die Weltkonferenz habe ihn „tief beeindruckt“. Die deutsche Theologie sei dagegen „anonym und ohne sichtbare Wirkung“ geblieben. Durch die lange mit ihr getriebene „Unzucht“ sei sie von den eigentlichen Weltproblemen quasi abgeschnitten. Leider habe auch die Presse „gar nicht begriffen, was da in Genf eigentlich vor sich gegangen ist“. Für die Nacharbeit einigte sich die Kammer, die Veröffentlichung der Konferenzdokumente zunächst abzuwarten355. Ende Oktober wurden auch die Ökumenereferenten der EKD-Gliedkirchen über die Genfer Fragen informiert356.

schrift hielt er der Konferenz zu Gute, für die weitere Entwicklung der Kirchen bedeutende Fragen aufgeworfen zu haben, BESOZZI, Idealismus. 353 So der Wortlaut von Krügers schriftlichem Bericht „Fragen der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft – Theologie der Revolution?“, den er im Anschluss an die besagte Sitzung im Auftrag des Rates anfertigte. Dem Inhalt ist zu entnehmen, dass er im Frühjahr 1967 verfasst wurde (EZA BERLIN, 728/35). Die schriftliche Fassung von von Heyls Bericht lag schon Ende November 1966 vor. Anders als Krügers Bericht wurde er veröffentlicht, HEYL, Bericht; DERS., Ergebnisse. Vgl. Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD, Außenstelle Bonn, an die Ratsmitglieder vom 22. 11. 1966 (EZA BERLIN, 6/5949). 354 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 18. / 19. 8. 1966 (EZA BERLIN, 2/ 1771). 355 Niederschrift über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD am 30. 9. / 1. 10. 1966, (EZA BERLIN, 2/1362); Brief Raisers an Wilkens vom 21. 8. 1966 (EZA BERLIN, 2/1362). 356 Programm der Tagung der landeskirchlichen Referenten für ökumenische Aufgaben vom 24. bis 27. 10. 1966 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain (EZA BERLIN, 6/5205). Es konnte kein Protokoll ermittelt werden. Anfang März 1967 informierte Tödt auch die Mitglieder der Marxismuskommission der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien über das Konferenzgeschehen, TÖDT, Diskussion.

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In der EKD kam die Debatte über eine „Theologie der Revolution“ erst Anfang 1967 in Gang357. Die ESGiD gab bekannt, ihre Pfingstkonferenz unter das Thema „Religion – Revolution“ zu stellen, um die „Sicht des neueren christlichen Denkens“ zu erörtern. Die Evangelische Akademie Berlin lud ein, über die Genfer Ergebnisse zu diskutieren358. Wenige Tage später erschien in der „Rheinischen Post“ ein Artikel, in dem Kurt Scharf sich als leitender Berliner Bischof und Ratsvorsitzender der EKD über die „Theologie der Revolution“ äußerte. Anlässlich der Einweihung einer Westberliner Ausstellung zum 450jährigen Reformationsjubiläum359 hielt Scharf mit Bezug auf das Eisenacher Friedenswort von 1948 fest, dass auf Gewalt kein Segen ruhe. Eine Theologie der Reformation dürfe jedenfalls keine „Theologie der Revolution“ an ihrer Seite haben. Die christliche Entscheidung zur Anwendung von Gewalt könne, so Scharf, „‚nur nach Ort und Zeit gefällt werden‘“. Doch selbst im Falle der Bejahung – so der Hinweis auf Dietrich Bonhoeffer – bleibe sie ein Akt der Schuldübernahme, schließlich verstoße sie gegen die christliche Pflicht „‚aktleidender Revolution unter Verzicht auf Gewalt!‘“ Auch wegen dem „Verhalten der Studenten in diesen Tagen“ entzündete sich die anschließende Diskussion an den Fragen: „Kann die Auffassung Luthers, es sei besser, unter einer schlechten Obrigkeit zu leiden als sich mit Gewalt gegen sie zu erheben, uns heute noch helfen? Kann die Forderung der Reformatoren lieber mit den Unterdrückten zu leiden als zu ihrer Befreiung Gewalt anzuwenden, heute noch Bestand haben?“360

In Scharfs Biographie heißt es zutreffend, er persönlich sei „theologisch konservativ, aber gesellschaftlich fortschrittlich“ gewesen. Der 1902 geborene Sohn eines preussischen Buchhändlers hatte ein liberales Elternhaus, in dem viel diskutiert wurde. Anders als bei vielen Altersgenossen der „überflüssigen Generation“, die nicht mehr an die Front eingezogen wurde, weckte das Kriegsende

357 Ende Januar wurden die Leitungen der Gliedkirchen auf die für März anberaumte Veröffentlichung der offiziellen deutschen Fassung der Weltkonferenz-Dokumente aufmerksam gemacht. Rundschreiben des Kirchlichen Außenamts der EKD vom 27. 1. 1967 (EZA BERLIN, 6/ 5950). Vgl. KRÜGER, Appell. 358 epd-ZA, Nr. 10 vom 12. 1. 1967, 3; „Von Genf bis Uppsala“. In: BSBl, Nr. 5 vom 29. 1. 1967, 6. 359 Anfang März 1967 veröffentlichte das US-Nachrichtenmagazin „Time“ eine Aufsehen erregende Titelgeschichte über den „gehorsamen Rebell“ Martin Luther („Protestants. Obedient Rebel.“ In: Time [Atlantic Edition], Nr. 12 vom 24. 3. 1967, 48–52). Vgl. epd-ZA, Nr. 72 vom 29. 3. 1967, 5. Zur weiteren Diskussion um das Verhältnis von „Reformation“ und „Revolution“ im Gedenkjahr 1967, vgl. das folgende Kapitel. 360 Friedrich Langhelm, „Scharf: Gewaltanwendung bedeutet Schuld“ (ELAB BERLIN, 55.1/ 689). Ein genauer bibliographischer Nachweis konnte nicht erbracht werden.

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106 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) 1918 in ihm Zweifel am Patriotismus; pazifistisches Denken war ihm dagegen (noch) fremd. Der „Kirchenkampf“, in dem er sich zusammen mit Dibelius an vorderster Front engagierte, stärkte sein bipolares Denken: Die Perspektive des „Endkampfes und des göttlichen Endsieges“ gegen die „Irrlehre“ der DC und die dahinter stehende NS-Ideologie erschien ihm real, die distanziererte historisch-kritische Exegese „funktionierte nicht mehr. Bibelauslegung musste jetzt Wegweisung sein“. Diese Sichtweise bescherte dem „orthodoxen Revolutionär“, der das „politisch Neue mit dem historisch Unaufgebbaren“ verbinden wollte, später – unter den Bedingungen der sich pluralisierenden Bundesrepublik – Kritik von unterschiedlichster Seite361. Auf der Frühjahrstagung der Synode der EKD rückte der scheidende Ratsvorsitzende das Thema Gewalt in den Vordergrund seines Berichts über die Weltkonferenz. Zu den „überraschende[n] Fragen“ von Genf zählte Scharf die „klar definiert und eindrucksvoll begründet[e]“ Frage nach dem Recht auf einen gewaltsamen Umsturz. Ohne ihr die Berechtigung abzusprechen, gab er sich jedoch skeptisch, ob mit einer „speziellen Theologie der Rechtfertigung für gewaltsamen Umsturz“ der „antidämonisch prophetische Kampf des Evangeliums und des Gottessohnes selbst mitgekämpft werden“ könne. Die EKD spreche als „Kirche einer umfassenden reformatorisch-theologischen Überlieferung und Erkenntnis“. Letztlich sei aber gerade sie dazu prädestiniert, sich dieser Frage anzunehmen, denn als Kirche „verschiedener gesellschaftlicher Ordnung“ verfüge sie über einen ganz besonderen Erfahrungsschatz362. Die Entsendung einer gesamtdeutschen EKD-Delegation würde die Diskussion auf der kommenden ÖRK-Vollversammlung im kommenden Jahr allein deshalb bereichern. Scharf schlug damit den Bogen zum Hauptthema der getrennt tagenden Synode: die durch weitere SED-Angriffe akut bedrohte institutionelle Einheit der EKD363.

361 ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 41 u. 110. Vgl. PEUKERT, Republik, 26. Dazu ergänzend, GRAF, Universitätstheologie, 38f. Vgl. auch die Charakterisierung von Scharfs Amtszeit als Ratsvorsitzender der EKD, oben 58. 362 In der Aussprache über Scharfs Bericht machte Ludwig Raiser auf die soeben von der Kammer für öffentliche Verantwortung begonnene (gesamtdeutsche) Arbeit an einer Friedensdenkschrift aufmerksam. In diesem Zusammenhang plädierte Raiser, die in Genf aufgeworfene Frage nach einem christlichen Recht auf Revolution mit dem Gebot der Friedenssicherung in einen „ethischen Zusammenhang“ zu bringen. Die Kammer selbst stünde diesbezüglich aber „noch ganz am Anfang.“ (zit. n. BERLIN UND FÜRSTENWALDE 1967, 97). In der 1968 veröffentlichten „Studie“ wurde dieser Konnex unter dem Stichwort „soziale[r] Weltfriede“ zwar angedeutet. Wegen der deutschlandpolitischen Brisanz des Papiers blieb das Thema Revolution jedoch ausgeklammert (FRIEDENSAUFGABEN, 20). Zu deren Entstehung, LEPP, Tabu, 600–632. 363 Scharf, zit. n. BERLIN UND FÜRSTENWALDE 1967, 33.

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Beide Teile der Synode bemühten sich, der aus politischen Gründen geforderten Trennung und Abgrenzung der ostdeutschen Gliedkirchen eine unpolitisch anmutende kirchlich-theologische Sicht der EKD als Gemeinschaft entgegen zu setzten364. Die Begründung wurde allerdings dadurch erschwert, dass eine gemeinsame theologische Studie zur Einheit der EKD bislang nicht vorlag. Wohl auch deshalb zielte die Nominierung und Wahl des bis dato politisch kaum in Erscheinung getretenen bayerischen Landesbischofs, Hermann Dietzfelbinger, zum zweiten nicht-unierten Ratsvorsitzenden der EKD darauf ab, die Zugehörigkeit der ostdeutschen Landeskirchen zur EKD weiter abzusichern. Die Synode fand in der Bundesrepublik „ungewöhnlich große publizistische“ Beachtung365. Im Zentrum stand nicht die „Theologie der Revolution“, sondern die Diskussion um eine „Theologie der Einheit“. Im Kirchenfunk des Süddeutschen Rundfunks (SDR) warf der Journalist Hans Jürgen Schultz den Synodalen vor, statt „Begründungen“ nur „Bekenntnisse“ zur Einheit geliefert zu haben. Dabei seien „pragmatische und geistliche, politische und heilsgeschichtliche, taktische und seelsorgerliche Begriffe“ in eine „heillose Gemengelage“ geraten366. Bereits auf der Tagung wurde davor gewarnt, angesichts des überbordenden Einheitsdiskurses nicht weiter „heillose Verwirrung“ zu stiften. Die westdeutschen Synodalen setzten sich nicht nur mit der äußerlich bedrohten institutionellen Einheit der EKD, sondern auch mit den inneren Spannungen, dem sich zuspitzenden Gegensatz zwischen der Evangeliumsverkündigung in den westdeutschen Gemeinden und der akademischen Theologie, auseinander. Ein Konflikt, der in der synodalen Vorberichterstattung für gefährlicher gehalten wurde als der kirchenpolitische367. Der Theologische Ausschuss legte hierfür den Entwurf für ein Wort an die Gemeinden vor, der aber derart umstritten war, dass er dem Rat der EKD lediglich als „Material“ übergeben wurde. An die Adresse der Theologie gerichtet hieß es darin: „Wir begegnen Auslegungen der Heiligen Schrift, die der Verkündigung des Wortes und dem Glauben nicht dienen, sondern beides behindern. Die unbedachte Veröffentlichung extremer theologischer Behauptungen und Denkversuche steigert die Verwirrung in unserer Kirche und hilft nicht im Ringen um die Wahrheit.“

364

LEPP, Tabu, 694. Pressespiegel zur Synode in Fürstenwalde und Spandau 1967, 1. bis 7. 4. 1967 (EZA BERLIN, 2/1328). 366 Zit. n. LEPP, Tabu, 697. 367 SCHOMERUS, Synode; BERLIN UND FÜRSTENWALDE 1967, 208. 365

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108 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Die Gemeinde wurde gebeten, „die kritische Theologie“ nicht vorab zu verdammen. Das Gespräch sollten beide Seiten zu suchen, anstatt einander zu diffamieren368. Aus Sicht der „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“ bestand hierfür kein Anlass. Die Synode habe erneut bewiesen, dass die EKD ihren Irrweg fortsetze. Jene „Kräfte“, die den reformatorischen Bekenntnisschriften einen anderen Wesensgehalt geben wollten, seien auch im Jubiläumsjahr dieser „Bewegung“ weiter auf dem Vormarsch. Eines „von vielen Beispielen“ sei Hermann Dietzfelbingers Wahl zum neuen Ratsvorsitzenden. Als Vertreter der „mehr theologisch-seelsorgerlichen Linie“ vertrete er jene „Kräfte, die vom ‚Mythos des Menschen‘“ ausgingen, „bis hin“ zu einem kommunistisch durchdrungenen „neuen ‚Humanismus‘“, wie ihn der „Prager Professor“ Hromádka vertrete369. Der bayerische Landesbischof war aber mitnichten „Linksprotestant“: Wie Gollwitzer entstammte er einem konservativen fränkischen Pfarrhaus. Die gleichaltrigen Lutheraner studierten u. a. in Erlangen bei Paul Althaus. Nach der Enttäuschung über die „Nationale Revolution“ von 1933 engagierte sich Dietzfelbinger im „Kirchenkampf“, besonders in der deutschlandweiten Studentenarbeit der BK. Daraus gingen zahlreiche enge Freundschaften hervor, u. a. mit Eberhard Müller und Horst Bannach, dem ersten Generalsekretär der 1955 gegründeten Evangelischen Akademikerschaft in Deutschland. Laut des konservativen „Bayernkurier“ sei nicht Dietzfelbinger, sondern Scharf der Mann, der die „Politische Diakonie“ der „herkömmliche[n]“ voranstelle370. Angesichts seiner Wahl zum nunmehr stellvertretenden Ratsvorsitzenden sah sich die Bekenntnisbewegung in ihrem Eindruck, die EKD drifte weiter nach „links“, gleich doppelt bestätigt. Mit Blick auf den bevorstehenden DEKT gaben die „Bekenntnistreuen“ nun zu verstehen, dass von einer Spaltung der EKD „unsererseits“ keine Rede sein könne. Schon zu Jahresbeginn hatten sie damit gedroht, den Kirchentag mit Gegenveranstaltungen zu boykottieren371. Unterstützt wurden sie von der weniger erfolgreichen Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher, die sich ab Ende 1966 in den Streit um die „moderne“, historisch-kritische Theologie mit einschaltete. In einem „Grund368

EBD., 209–212. „Die Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘ umfasst die reformatorischen Bekenntnisse“. In: IBKAE (1967), Nr. 7, 5–7, 6. 370 VOGELSGESANG, Bischof. Vgl. DIETZFELBINGER, Veränderung, 54 u. 44f. Zum theologischen Gehalt des nach 1945 etablierten Begriffs „Politische Diakonie“ und seiner polarisierenden Indienstnahme während der Studentenproteste der 1960er Jahre, MEYER, Diakonie. Vgl. GETTYS, Kirche. 371 IBKAE (1967), Nr. 7, 7. Vgl. LEUDESDORFF, Kirchentag. 369

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sätzlichen Wort“ erklärte deren Vorstand, man könne nicht weiter darüber hinweg sehen, „dass sich die Torheiten der Zeit auf allen Gebieten des Lebens“ auswirkten. Ein „theologischer Intellektualismus“ mache die „Felder der christlichen Frömmigkeit kahl“. In der Kirche halte zudem ein „ethischer Relativismus“ Einzug, dass selbst die „unbedingte Gültigkeit“ der zehn Gebote bestritten und „die Unmoral“ verteidigt werden. Angesichts ihrer (ost)politisch motivierten antikommunistischen Haltung beargwöhnte die Notgemeinschaft neben dem westdeutschen CFK-Engagement auch die Annäherung von ÖRK und CFK372. Bekenntnisbewegung und Notgemeinschaft kritisierten den mittlerweile zum Trend aufgestiegenen christlich-marxistischen Dialog373. Mit der weltweit beachteten Tagung der Paulus-Gesellschaft im böhmischen Marienbad erreichte der „institutionalisierte“ Dialog, für den in der Bundesrepublik besonders seine tschechischen Protagonisten in Akademien, Theologischen Fakultäten, Kirchlichen Hochschulen und Studentengemeinden warben, seinen Zenit374. Zu den westdeutschen Teilnehmern der von Katholiken und Protestanten gleichermaßen stark besuchten Veranstaltung zählten u. a. Kirchentagspräsident von Weizsäcker und Jürgen Moltmann, dessen „Theologie der Hoffnung“ intensiv diskutiert wurde375. Für weiteren Gesprächsstoff sorgte die bereits erwähnte Sozialenzyklika „Populorum Progressio“, die „Der Spiegel“ in seinem Bericht über Marienbad vereinfachend als Billigung der Revolution darstellte – unter der einschränkenden Bedingung, dass es sich um eine lange andauernde, menschliche Grundrechte verletzende, folglich dem „Gemeinwohl des Landes“ schadende Gewaltherrschaft handele. Dies könne „etwa auf den Aufstand vom 20. Juli 1944 [. . .] oder auch auf die russische Revolution zutreffen“376. 372 NNED 1 (1966), H. 7/8, 1. Vgl. EvW 21 (1966), 11. Zur Annäherung von CFK und ÖRK, NNED 2 (1967), H. 3/4, 9–10. 373 Im April 1967 startete etwa der Südwestfunk die siebenteilige Sendereihe „Partner von morgen?“, epd-ZA, Nr. 75 vom 1. 4. 1967, 2. Der Süddeutsche Rundfunk (SDR) sendete zu Ostern 1967 ein „Streitgespräch“ zwischen Bloch und Moltmann, das die „Junge Kirche“ abdruckte, JK 28 (1967), 563–568. Die Unterhaltung war Teil der Sendung „Revolution und Theologie“, in der Auszüge aus den Genfer Referaten Shaulls und Wendlands aneinander gefügt wurden. Eugen Kogon kommentierte sie mit der Frage, weshalb die Gewaltanwendung „traditionell stets“ für angebracht gilt, wenn es darum gehe, „überkommene Ordnungen zu bewahren, – warum nicht ebenso, wenn das allgemeine Wohl unter Umständen, die es verhindern, erst zustandegebracht werden muß?“ (zit. n. „Revolution Theologie. Das Neue in unserem Zeitalter“. In: Frankfurter Hefte 22 (1967), 616–630, 630). 374 EITLER, Gott, 261; WIDMANN, Gespräch, 131f.; und epd-ZA, Nr. 15 vom 18. 1. 1967, 6. 375 epd-ZA, Nr. 106 vom 10. 5. 1967, 6; CASALIS, Frühling, 367; und MOLTMANN, Marxisten. 376 „Paulus-Gesellschaft. Mut geweckt“. In: Der Spiegel, Nr. 20 vom 8. 5. 1967, 162–164, 162.

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110 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Vor diesem Hintergrund nahm die Notgemeinschaft nach der EKD-Frühjahrssynode erstmals Stellung zur Weltkonferenz. Dem ÖRK wurde vorgeworfen, „eine spezielle ‚Theologie‘ der Rechtfertigung des gewaltsamen Umsturzes“ zu propagieren377. Da bei der kommenden ÖRK-Vollversammlung in Uppsala hierzu „bindende Beschlüsse“ für alle Mitgliedskirchen zu erwarten seien, „also auch“ für die EKD, sei es von großer Bedeutung, rechtzeitig zu erfahren, welche Haltung sie „zu diesen Vorstellungen“ einnehme. An diesem Punkt beließen die Autoren es vordergründig dabei, „vorerst nur“ Scharfs Ausführungen vor der Frühjahrssynode zu zitieren. Was dann allerdings folgte, war blanke Polemik: „Einen Augenblick“ lang habe Scharf den Anschein erweckt, dass „diese ‚Theologie der Rechtfertigung für gewaltsamen Umsturz‘“ an den reformatorischen Bekenntnisschriften zu messen sei. Tatsächlich aber werde diesen „plötzlich ein ganz neuer Sinngehalt“ seitens der EKD gegeben. Der Beitrag belegt einmal mehr das Bemühen der Notgemeinschaft, sich in den Streit um die „Moderne Theologie“ einzuschalten, um als Bündnispartner der Bekenntnisbewegung der eigenen Marginalisierung zu entgehen. Mit dem Schreckgespenst einer der „Weltrevolution“ zuarbeitenden – von Seiten der EKD gar gebilligten – „modernen“ Theologie verfolgten die Nationalprotestanten um Evertz eine Doppelstrategie: Man stimulierte den in erster Linie religiös motivierten Antikommunismus der Bekenntnisbewegung und deren Anhängerschaft und bediente darüber hinaus die politisch begründeten Ressentiments konservativer Laien gegenüber dem „Linksprotestantismus“. Damit diese Strategie aufging, war es allerdings notwendig, die vermeintliche Nachricht einer von ÖRK und EKD propagierten „Theologie der Revolution“, über die „trotz aller Bemühungen fast nichts“ zu erfahren gewesen sei, in den Kirchengemeinden zu verbreiten378. Wegen ihres überwiegend negativen medialen Erscheinungsbildes und der schwachen Rezeption ihres Nachrichtenblattes, musste sich die Notgemeinschaft zunächst mit der Hoffnung begnügen, die „Theologie der Revolution“ könnte im Streit um die historisch-kritische Exegese schlagwortartig heran gezogen werden379. Zuversichtlich stimmte sie die Wahl eines Lutheraners zum Ratsvorsitzenden der EKD, dessen Amtsantritt sie –

377 So der Titel des namentlich nicht gekennzeichneten Beitrags. Dabei handelt es sich um ein leicht abgeändertes Zitat aus Scharfs Rechenschaftsbericht vor der Frühjahrstagung der Synode der EKD, NNED 2 (1967), H. 5/6, 5–6. 378 EBD., 5. 379 Im Mitteilungsorgan der Bekenntnisbewegung, dessen Auflagezahlen zu dieser Zeit nach oben schnellten, fand das Thema „Theologie der Revolution“ bis 1968 zunächst keine Erwähnung, STRATMAN, Evangelium, 156.

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anders als die Bekenntnisbewegung – positiv würdigte380. Bereits im Februar hatte sich Dietzfelbinger vor der bayerischen Landessynode vom Gedanken an eine „Theologie der Revolution“ distanziert381. Mit Spannung richtete die Notgemeinschaft ihren Blick auf die im Vergleich zum Vorjahr erheblich verschärfte Auseinandersetzung um die „Moderne Theologie“. Auch wegen der vorangeschrittenen Etablierung eigener bzw. der Bekenntnisbewegung nahestehender Gruppen in den EKD-Gliedkirchen, setzten sich sowohl die Landeskirchenleitungen als auch die Landessynoden noch intensiver damit auseinander382. Die um Deeskalation bemühten Kirchenleitungen achteten darauf, etwaige Querverbindungen zwischen dem Streit um die „Moderne Theologie“ und der eigenen Berichterstattung zur Weltkonferenz gar nicht erst aufkommen zu lassen383. Wie in Württemberg wurde „Genf“ nur oberflächlich abgehandelt384. Andere Kirchenleitungen unterließen es, überhaupt von der Weltkonferenz zu berichten385. Neben dem Streit um die „Moderne Theologie“ bot auch die – an der Ostdenkschrift entbrannte und durch Mutmaßungen über eine kommende „Friedensdenkschrift“ angeheizte – Debatte um kirchliche Stellungnahmen zur Politik einen Anknüpfungspunkt, um der „Theologie der Revolution“ ein Entrée zu verschaffen. Die „erste innerkirchliche Kontroverse“ wurde laut Kirchlichem Jahrbuch zwischen Gollwitzer und dem Hannoveraner Landesbischof Hanns Lilje geführt386. Auf der Generalsynode der VELKD warnte Lilje als Leitender Bischof vor den Gefahren einer „Politisierung der Kirche“. Vor dem Hintergrund des gemeinsamen Engagements gegen die DC zogen beide Lutheraner somit unterschiedliche Folgerungen aus dem „Kirchenkampf“387. Als Beispiel einer einseitigen und daher „falsche[n] Politisierung“ nannte Lilje

380

So der Beitrag „Was hat die Synode der EKiD erreicht?“. In: NNED 2 (1967), H. 5/6, 6–7, 6. 381 VERHANDLUNGEN DER LANDESSYNODE DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN BAYERN, Synodalperiode 1966/1972, 29f. 382 NIEMEIER, Kirche [1967], 48; STRATMANN, Evangelium, 131f. 383 So etwa im Fall der Anfang 1967 tagenden bayerischen und rheinischen Landessynoden, VERHANDLUNGEN DER LANDESSYNODE DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN BAYERN, Synodalperiode 1966/1972, 29f.; VERHANDLUNGEN DER 15. ORDENTLICH RHEINISCHEN LANDESSYNODE, Tagung, 103–106 u. 131–134. 384 VERHANDLUNGEN DER 7. EVANGELISCHEN LANDESSYNODE, Protokollband I, 51. 385 Im Fall der zwischen Herbst 1966 und Sommer 1967 mehrmals tagenden Landessynoden in Baden und Hessen und Nassau ist eine Behandlung der Weltkonferenz in den publizierten Synodenprotokollen nicht belegt. 386 NIEMEIER, Kirche [1967], 95. Zu den Vorabeiten an der „Friedensdenkschrift“, oben 106 [Anm. 362]. 387 Vgl. OELKE, Hanns Lilje, 247–255.

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112 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Gollwitzers Kritik am bevorstehenden DEKT. Letzterer hatte moniert, „kein einziger wirklicher Kommunist“ sei als Redner nach Hannover eingeladen worden388. Dies zur „entscheidenden Kategorie“ für die Beurteilung des Kirchentages zu machen, so Lilje, sei ebenso verwerflich wie die Klage derer, „die meinen, unser Vaterland sei verraten“, nur weil „wir uns kritischen, nüchternen, illusionslosen Erwägungen aufschließen“. Eine Politisierung sei v. a. „deswegen“ vehement abzulehnen, weil „gerade die lutherische Kirche immer in dem Verdacht gestanden“ habe, „daß sie hier besonders anfällig sei“. Der Bekenntnisbewegung hielt er im gleichen Atemzug vor, eine zwar nicht politische, dafür aber theologische Einseitigkeit in Form eigentümlicher „Inflexibilität“ zu vertreten389. Die „Theologie der Revolution“ wurde gar nicht angeschnitten: Auf der Generalsynode, die sich neben den Themen „Moderne Theologie“ und „Politisierung“ auch mit möglichen Gemeinsamkeiten mit der Römisch-Katholischen Kirche beschäftigte, nannte Lilje, der sich in Sachen ÖRK und LWB sonst stark engagierte, die Weltkonferenz mit keinem Wort. Selbst dann nicht, als Dietzfelbinger in Bezug auf „Populorum Progressio“ Bedenken anmeldete, ob die lutherische Sozialethik „nicht manches nachzuholen“ habe390. Umso erstaunlicher wirkt die Tatsache, dass die Theologische Kommission des LWB sich zu diesem Zeitpunkt eindringlich mit dem „Problem der Revolution“ auseinandersetzte. Die Ergebnisse, die auf ein thesenartig fixiertes – wegen dem Vorbehalt gegenüber Gewalt – „‚bedingtes Ja zur Revolution‘“ hinausliefen, erschienen Anfang Juli 1967391. Dass die lutherische Generalsynode das Thema nicht behandelte, ist auch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Auf der bereits genannten Tagung der bayerischen Landessynode forderte Wilhelm Mädl, Gemeindepfarrer in Michelau, die Laien vor der „Modernen Theologie“ und deren „Sprachverwirrung und Begriffsklitterung“ besser zu schützen, indem die Pfarrer zunächst die eigene theologische Sprache bereinigten, um das zu vermitteln, „was wir meinen und denken“. Die Verantwortung für die in vielen Gemeinden entstandene Unruhe könne deshalb „nicht nur dem Rundfunk oder dem Fernsehen oder dem ‚Spiegel‘ oder den Illustrierten“ angelastet werden. Jene Publikationsmittel schössen nämlich „mit einer Munition, die ihnen die Herren Professoren 388 LUTHERISCHE GENERALSYNODE 1967, 107. Gollwitzer antwortete mit einem offenen Brief, GOLLWITZER, Politisierung. 389 EBD., 108. 390 EBD., 155. 391 epd-ZA, Nr. 149 vom 4. 7. 1967, 4; KOMMISSION, Wort, 61. Vgl. „Bedingtes Ja zur Revolution“. In: BSBl, Nr. 29 vom 16. 7. 1967, 1. Zur weiteren Kommissionsarbeit an diesem Studienprojekt und dessen Beeinflussung durch die Genfer Weltkonferenz, ASHEIM, Ringen, 5 u. 14–16; KOMMISSION, Reiche, 111f.

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von den Universitäten“ lieferten392. Das Beispiel Walter Künneth zeigt allerdings, dass nicht nur die Fürsprecher und Vertreter der „Modernen Theologie“, sondern auch deren Gegner bereitwillig Nachschub lieferten393. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die „Theologie der Revolution“ schlagwortartig herangezogen wurde, um die Debatte anzuheizen. Außer dem 50. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution gab es hierfür noch einen anderen Anlass. Im März 1967 erschien Eberhard Bethges lange erwartete Bonhoeffer-Biographie. Laut Vorwort könne der Leser außer Persönlichem „auch Zeitgeschichte, Kirchenkampf- und Widerstandsgeschichte“ erwarten, besonders den „singuläre[n] Tatbestand“, dass „zum ersten Mal in der deutschen Geschichte Männer und Christen zu ‚Verschwörern‘ wurden, die dazu weder geboren noch erzogen waren.“394 Das von Lilje herausgegebene (Deutsche Allgemeine) „Sonntagsblatt“ lancierte dazu eine dreiteilige Serie, die Bonhoeffers Weg in den Widerstand in den Mittelpunkt rückte395. Für Aufmerksamkeit sorgte nicht nur die internationale Rezeption Bonhoeffers als einem „Widerspenstigen von exemplarischer Bedeutung“396. Die Biographie erschien zu einem Zeitpunkt, als das Widerstandsbild, welches Politik und Rechtsprechung seit den 1950er Jahren prägten und zelebrierten397, durch einen Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft geradezu konterkariert wurde: nämlich die Ausdehnung des Widerstandsbegriffs auf das gesamte Spektrum politischer Opposition gegen den Nationalsozialismus398. Damit öffnete sich die Sicht auf jene „antifaschistischen“ (kommunistischen) Widerstandsgruppen, die sich durch die „Freiheitliche Demokratische Grundordnung“ (FDGO) von Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes eben nicht legitimiert sahen399. Der genauerer Blick auf die vordemokratisch-ständischen Grundüberzeugungen des konservativbürgerlichen Widerstandes machte es zudem schwieriger, diesen – wie noch in den 1950er Jahren – mit der FDGO geschichtspolitisch zu verknüpfen400. Dessen eigene Verstrickung in das NS-Herrschaftssystem veranlasste die For392 VERHANDLUNGEN DER LANDESSYNODE DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN BAYERN, Synodalperiode 1966/1972, 69. 393 KÜNNETH, Gemeinde. 394 BETHGE, Dietrich Bonhoeffer, 7. 395 DERS., Dietrich Bonhoeffer. 396 STEINBACH, Dietrich Bonhoeffer, 421. 397 Höhepunkt dieses historiographisch gestützten Deutungskonzepts waren die Feierlichkeiten zum 20. 7. 1944 im Jahr 1964, ROTHFELS, Gewissen. 398 SCHMITTHENNER U. A., Widerstand; VAN ROON, Neuordnung. Vgl. STEINBACH, Widerstandsdiskussionen, 113f. 399 Zur Engführung des Widerstandsrechts als ein konservierendes Notrecht zur Verteidigung der FDGO durch die bundesrepublikanische Rechtssprechung, BAUER, Widerstand, 256–261. 400 STEINBACH, Widerstand, 55.; DERS., Widerstandsdiskussionen, 113.

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114 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) schung, Voraussetzungen und Möglichkeiten des Widerstandes neu zu hinterfragen. Angestoßen durch die Diskussion um den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze – der Neuauflage der westdeutschen Debatte über den „Volksaufstand“ am 17. Juni 1953 – und die Diskussion um eine Verjährung von NS-Gewaltverbrechen, gewann nun auch die Frage nach den individuellen Grenzen von Befehl und Gehorsam an Gewicht401. Bethges Studie reihte sich insofern mühelos ein in die zeitgenössische Tendenz, das Thema Widerstand stärker unter ethischen Gesichtspunkten – etwa „Civilcourage“ – zu erörtern402. Die wissenschaftliche Kritik an den Motiven der im Widerstand Aktiven sollte Bonhoeffer allerdings (noch) nicht erfassen403. Wohl deshalb wurde er als Wegbereiter der nach 1945 in Verruf geratenen, von katholischer Seite nun neu aufgelegten „Politischen Theologie“ hochstillisiert404. In den protestantischen Ansätzen fehlte jedoch der BonhoefferBezug405. Die Skepsis des westdeutschen Protestantismus erklärt sich wohl aus dessen Hemmung, den politischen Widerstand im Dritten Reich theologisch zu legitimieren406. Für die theologische Auseinandersetzung mit der Widerstandsproblematik lieferte Bethge somit bedeutende Impulse. Angesichts der aktuellen Diskussion um eine Politisierung der Kirche zeitigte er zusätzliche Brisanz, schließlich sensibilisierte er für die Frage, ob Bonhoeffers Gang in den Widerstand politisch oder christlich motiviert gewesen ist407. Dieser Aspekt erschien auch Karl Barth bemerkenswert408. Die jüngst gebrauchte, durchaus einprägsame Formel vom „politischen Martyrium“ hilft an dieser Stelle jedenfalls nicht weiter409. Vor Beginn des Kirchentages stellte Gollwitzer die Biographie im „Spiegel“ vor. Unter dem Titel „Der Christ als Verschwörer“ skizzierte er Bonhoeffers Weg vom kirchlichen Widerstand gegen die NS-Kirchenpolitik, dem auch er angehört hatte, in den aktiven politischen Widerstand gegen das Regime selbst. 401

EBD., 115; DERS., Dietrich Bonhoeffer. DINGER, Tendenzen, 414. Zu dem von Bonhoeffer in Haft diskutierten, Anfang der 1960er Jahre von John F. Kennedy propagierten Begriff, BONHOEFFER, Widerstand, 13f. 403 KLEIN, Märtyrer, 427. 404 METZ, Problem, 15; MAIER, Vorwort, 12; und DERS., Kritik, 50. 405 PEUKERT, Diskussion; MOLTMANN, Theologie; und HONECKER, Theologie, 42–52. 406 Offen bleibt die Frage, ob das katholische Staatsdenken tatsächlich „diesbezüglich keine Schwierigkeiten“ hatte, so wie der katholische Systematiker Ernst Feil es noch vor kurzem behauptete (FEIL, Rezeption, 445). 407 BETHGE, Dietrich Bonhoeffer, 889–896; WOLF, Widerstandsrecht, 1350; DERS., Kirche, 15 u. 33; DRESS, Widerstandsrecht, 204–206; und SCHAEFER, Verschwörer. 408 BARTH, [Brief]. 409 DINGER, Tendenzen, 406. Zur Problematik eines protestantischen Märtyrerbegriffs, HAUSCHILD, Märtyrer; KURSCHAT, Martyrien. 402

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Gewalt „von unten“ – Faktor einer kommenden Weltgesellschaft?

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Die von ihm für zwar „nicht unberechtigt“ gehaltene Unterscheidung zwischen kirchlichem und politischem Widerstand sei „im Laufe der Zeit“ nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen. Gollwitzer selbst berichtete von einem ihm vor Kriegsbeginn unterbreiteten Angebot, mit einer kommunistischen Widerstandsgruppe dauerhaft in Kontakt zu treten. Dies habe er jedoch ausgeschlagen, um gegenüber der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) „die Anschuldigung einer Verbindung der Bekennenden Kirche“ zur politischen Verschwörung weiterhin „wahrheitsgemäß bestreiten zu können.“ Als er dies Bonhoeffer erzählte, habe dieser zustimmend reagiert. Dessen späteren Eintritt in die politische Konspiration würdigte Gollwitzer als Schritt in „neues politisches Verhalten“, der „neues theologisches Denken“ damit erst ermöglichte. Bonhoeffer habe diesen Wandlungsprozess im Umgang mit „nichtgläubigen Mitverschworenen und Mitgefangenen“ durchgemacht410. An dieser Stelle zog Gollwitzer – hinter vorgehaltener Hand – die Parallele zu seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft, in der er sich ausgiebig mit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung befasste. Wie er später selbst, habe Bonhoeffer „eine Periode strenger Konzentration auf kirchliche Fragen, biblische Auslegung und dogmatische Probleme hinter sich“ gelassen, indem er die Gefahr erkannte, als „unfreie[r] Vertreter eines dogmatisch-ethischen Systems“ dieses seiner Umwelt aufzunötigen. Die in der Haft gewonnene Erkenntnis über die eigentliche „Freiheitsbedeutung des Evangeliums“ – und wohl auch über das nun zu kompensierende Versagen von Bekennender Kirche und eigener Person im Umgang mit dem politischen Widerstand – habe es Bonhoeffer dann prinzipiell ermöglicht, auch mit „Nichtgläubigen“ (politisch) zusammen zu arbeiten411. Gollwitzer hob den von Bonhoeffer 1944 konzipierten „Modellfall“ einer auf „Herrschaft und Privilegien“ verzichtenden „Kirche für andere“ heraus412. Ein solch „ernst genommenes“ Christentum sei auch in der Gegenwart vonnöten413. Seine von Lilje als Indiz für „falsche Politisierung“ kritisierte Forderung, einen linientreuen Kommunisten als Redner zum DEKT Ende Juni nach Hannover einzuladen, erfüllte sich nicht. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Der Frieden ist unter uns“. Überschattet wurde sie durch den gemeinsamen Boykott seitens der Bekenntnisbewegung und der Notgemeinschaft, die die Rednerliste ebenso kritisierten414. Letztere zog gegen den „linksprotestanti-

410 411 412 413 414

GOLLWITZER, Christ, 108f. DERS., Führen, 126–131. DERS., Christ, 109; BONHOEFFER, Widerstand, 433–435 u. 559f. GOLLWITZER, Christ, 109. STRATMANN, Evangelium, 115–125; NIEMEIER, Kirche [1967], 72–75; und HEISELER,

Christ.

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116 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) schen Kirchentag“ gar mit Flugblättern, Veröffentlichungen und einer Gegenveranstaltung zu Felde415. Rückblickend sah sie sich in ihren Vorurteilen bestätigt: Mit „Kritik an den überlieferten und notwendigen Werten und den Ordnungen“ habe der Kirchentag die Losung ausgegeben, „eben einfach ‚das Bestehende zu verändern‘, auf eine völlig unklare und schwärmerische Fata Morgana weltweiter Zukunft hin.“416 Die Notgemeinschaft spielte an auf das bei mehreren Einzelveranstaltungen gebrauchte Schlagwort „Theologie der Revolution“. Vor dem Hintergrund der Studentenproteste, die seit den Ereignissen des 2. Juni in West-Berlin in eine neue Phase getreten waren, ordnete die Arbeitsgruppe „Bibel und Gemeinde“ den Streit um die „Moderne Theologie“ ein in die polarisierende Debatte um eine Reformbedürftigkeit gesellschaftlicher Strukturen und Normen417. Ein Staatsanwalt fragte, ob die „Gabe des Heiligen Geistes“ zum Entfesseln von Revolutionen befähige bzw. „unter gewissen Umständen“ einen „Aufruf zum Anzünden von Warenhäusern“ billige. Diskutiert wurde auch die Frage, ob das lateinamerikanische Thema „Theologie der Revolution“ für westdeutsche Christen relevant sei. Lilje gab ausweichend zu verstehen, das „Kennwort“ sei zunächst nur in der Ökumene aufgetaucht, während des in Genf diskutierten Problems der Güterverteilung zwischen Nord und Süd. Lilje beschwichtigte, nur unter diesem Gesichtspunkt sei von „Revolution und dann also auch von einer Theologie der Revolution“ gesprochen worden, und warnte vor einem „gewissen bourgeoisen Horror“. Gesprächsleiter Hans Dieter Bastian beendete schließlich die Diskussion mit der Feststellung, es gebe „Einmütigkeit“418. Bereits am Vortag wurde die „Theologie der Revolution“ unter positiven Vorzeichen abgehandelt: anlässlich eines ökumenischen Abends zum Thema „Sozialer Weltfriede“, auf dem die Ergebnisse der Weltkonferenz und der Inhalt von „Populorum Progressio“ aus entwicklungspolitischer Perspektive vergleichend diskutiert wurden419. Die Gewaltfrage blieb dabei außen vor. Einzig Richard von Weizsäcker sprach sie auf der Schlussveranstaltung im Niedersachsenstadion direkt an. In einer Kurzansprache zur christlichen Friedensarbeit betonte der Kirchentagspräsident, es sei notwendig, dass Christen und Marxisten zusammenarbeiten. Wohl in Erinnerung an seinen Besuch in

415 416 417 418 419

EBD., 49–51; EVERTZ, Kirche [1967]; und NIEMEIER, Kirche [1967], 106f. Zit. n. EBD., 107. DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG HANNOVER 1967, Dokumente, 510f. EBD., 525–527. EBD., 766–795.

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Gewalt „von unten“ – Faktor einer kommenden Weltgesellschaft?

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Marienbad gab von Weizsäcker zu bedenken, beide Seiten müssten dabei lernen, dass „Gewalt der größte Feind der Revolution“ sei420. Dass es Revolutionen und Bürgerkriege dennoch weiterhin geben werde, hatte Wolfhart Pannenberg am Vortag verdeutlicht. Sie seien nur dort „unnötig und vermeidbar“, so der Mainzer Systematiker, wo demokratisch legitimierte Institutionen einen unblutigen Machtwechsel ermöglichten. Einer internationalen Friedensordnung, die Herrschaftsverhältnisse verewige, indem sie der Frage nach einer „verändernden Gerechtigkeit“ keinen Raum mehr lasse, erteilte er eine klare Absage. Ein solcher Frieden brächte nur die „Friedhofsruhe der Tyrannei“. Gollwitzers These, der „Gedanke des gerechten Krieges“ sei in früheren Zeiten christlich vertretbar gewesen, glaubte er indes verneinen zu können. „Christ und Welt“ zog den Schluss, Pannenberg habe „die Notwendigkeit einer Theologie der Revolution“ zu Recht betont421. Auf die überwiegend konservative Leserschaft dieses Mediums dürfte diese Interpretation eher befremdend gewirkt haben, schließlich war die Rede von der revoltierenden Jugend bereits in aller Munde422.

2.5 Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“ 2.5.1 „Reformation“ und „Revolution“ im Spannungsfeld zwischen Theologie und Weltanschauung Wegen der Berichterstattung über den Kirchentag423 hielt die „Theologie der Revolution“ Einzug in die Debatte um eine „Moderne Theologie“. Spätestens seit dem blutigen Polizeieinsatz gegen Demonstranten anlässlich des SchahBesuchs am 2. Juni 1967 in West-Berlin wetterte die Bekenntnisbewegung nicht mehr einzig gegen die „wissenschaftliche Gewalttat“ der historisch-kritischen Exegese424. Einer kirchlichen „Linkspolitisierung“ meinte man, nun ebenfalls wehren zu müssen. Die ihr nahestehende „Evangelische Sammlung Berlin“ hatte sie auf den Plan gerufen. Letztere war Anfang Juli gegründet worden, und zwar als Reaktion auf die Vermittlungsbemühungen der Westberliner 420

EBD., 812. EBD., 741–743; „Weltfrieden – Gottesfrieden“. In: ChrWelt, Nr. 26 vom 30. 6. 1967, 10– 11, 10. 422 Vgl. etwa die Titelgeschichte „Was denken die Studenten?“. In: Der Spiegel, Nr. 26 vom 19. 6. 1967, 28–40. Zusammen mit Gollwitzers Beitrag über die Bonhoeffer-Biographie war sie in derselben Ausgabe erschienen. 423 Vgl. HARTLAUB, Jugend; DENNERT, Frieden. 424 IBKAE (1966), Nr. 3, 3 [ungekürzt zuerst in: IHLENFELD, Weissbuch, 496]. 421

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118 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Kirchenleitung im Konflikt zwischen Senat und Hochschulverbänden. Angesichts „theologische[r] Fehlentwicklung[en]“, so die Selbstdarstellung, habe der „Druck der Ereignisse“ das Fass nur zum Überlaufen gebracht425. In ihrem „Wort“ an die Gemeinden bezeichnete die „Sammlung“ es als Irrtum, „wenn mit falschem prophetischem Anspruch gesellschaftliche oder geschichtliche Ereignisse oder Programme mit dem Kommen des Gottesreiches vermischt oder identifiziert werden“, und der „Öffentlichkeitsauftrag des Christen“ dadurch „nicht mehr von dem Engagement für bestimmte politische Programme“ abgrenzt werde426. Neben der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher warnte auch die Bekenntnisbewegung vor einer politisierenden Kirche – wenngleich aus anderen Motiven427. Eine offizielle Zusammenarbeit ist nicht belegt428. Für ihre Düsseldorfer Grundsatzerklärung vom 22. November 1967 wählte die „Bewegung“ den Duktus der Barmer Theologischen Erklärung aus dem Jahr 1934. Der in den Barmer Thesen I, II und V proklamierte Absolutheitsanspruch des Evangeliums widersprach schließlich jeglicher ideologischen Überfremdung des kirchlichen Verkündigungsauftrags429. Weiter änderten sich folgende Kontextbedingungen der Debatte um eine „Theologie der Revolution“: Parallel zu ihrer Indienstnahme als kulturpolitischer Kampfbegriff durch in der Studentenbewegung engagierte Protestanten – einschließlich deren Gegner –, nahm die bislang unter rein ökumenischen Vorzeichen und im kleinen Kreis geführte Diskussion weiter Fahrt auf. Die wachsende Teilnehmerzahl erklärt sich aus der gegenseitigen Bereicherung beider Diskursstränge430. Im Hinblick auf die näher rückende ÖRK-Vollversammlung spielten gesellschaftspolitische und „volkskirchliche“ Gesichts425

GEORGE, Sammlung, 57. Zum „2. 6. 1967“ als Zäsur, unten Kap. 3.2. Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1967], 68, dort im Abdruck. 427 Die sich nonchalant als „Rechtsprotestanten“ ausgebenden Mitglieder der Notgemeinschaft bejahten das Recht der Kirche „im öffentlichen Raum mahnend zu reden, [. . .] solange ihr Wort geistliche Mahnung“ bleibe. Mit der Ostdenkschrift habe die EKD sich dieses Recht jedoch selbst versagt (EVERTZ, Abfall, 9; HEISELER, Christ, 10). 428 In den Informationsbriefen der Bekenntnisbewegung wurden für die Jahre 1966 bis 1968 jedenfalls keine Indizien gefunden. Inoffizielle Kontakte – gerade auf regionaler Ebene – sind jedoch nicht auszuschließen. 429 NIEMEIER, Kirche [1967], 70–71, dort im Abdruck. Zum weiteren Verlauf der als Fortsetzung des Dortmunder Treffens gedachten Düsseldorfer Großveranstaltung und den kritischen Stellungnahmen zur Erklärung, v. a. bezüglich ihrer – Sachverhalte verzerrenden – Indienstnahme von „Barmen“, EBD., 72; STRATMANN, Evangelium, 135f. Zu den Thesen, ERKLÄRUNG, 8f. 430 Den landeskirchlichen Ökumenebeauftragten wurde im Juli mitgeteilt, die „Genf“ gewidmete Ausgabe der „Ökumenischen Rundschau“ habe eine „unerwartet große Nachfrage“ erzielt. Der Evangelische Missionsverlag habe deshalb eine Neuauflage beschlossen. Rundschreiben Hanfried Krügers vom 19. 7. 1967 (EZA BERLIN, 6/5950). 426

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Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“

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punkte eine stärkere Rolle. Unter dem Stichwort „Revolution“ schalteten sich nun auch „außen“ stehende – in die Vorbereitung für Uppsala nicht unmittelbar eingebundene – Theologen ein431. Evangelische Medien bildeten weiterhin das alleinige Forum. Der Religionsjournalismus der Massenmedien und die Berichterstattung über die „weltanschaulich“ umkämpften Reformationsfeiern im geteilten Deutschland lieferten weiteren Gesprächsstoff. In seiner Titelgeschichte über den Wittenberger Reformator konstatierte etwa „Der Spiegel“, Luther biete „allen etwas – Katholiken wie Protestanten wie Gottlosen.“ Jeder feiere „den Luther, der ihm gefällt“: „SED-nahe Pfarrer“ benützten seine Werke etwa „wie einen Arzneischrank“, dem man „Brauchbares für jede Lebenslage“ entnehmen könne. Ihrer „SED-Obrigkeit“ seien sie derweil ebenso untertan wie früher jeder Lutheraner jedem, „der ‚Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne Gott‘“. Das Bild vom beliebig gewordenen Reformator diente schließlich als Überleitung zum Ist-Zustand der evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik. Gemäß seiner vorjährigen Diagnose suggerierte das Nachrichtenmagazin einen kirchlichen Substanz- und Bedeutungsverlust. Unter Hochhaltung eines hierarchisch-homogenen Kirchenbildes, das den protestantischen Bekenntnis- und Meinungspluralismus lediglich als Zeichen von Uneinigkeit und Schwäche auslegte, konstatierte „Der Spiegel“, die aus der „revolutionärste[n] Tat“ der Geschichte hervorgegangenen „Kirchen der Reformation“ seien „bewegungsunfähig geworden.“ Die Unterstellung zielte offensichtlich darauf ab, die Reformanstrengungen des post-konziliaren Katholizismus positiv abzuheben: Die evangelischen Kirchen seien nicht in der Lage, „einen Gedanken des alten Luther“ aufzunehmen und „ein evangelisches Konzil“ zu organisieren. Im Wissen über die Aussichtslosigkeit „gewichtige[r] Reformen“ könnten Bischöfe und andere evangelische Kirchenführer „sich risikolos zu den kühnsten Ideen bekennen, etwa zu einer ‚Theologie der Revolution‘ oder zur Abschaffung der Kirchensteuer“432. Die in evangelischen Medien mitunter ebenfalls – nur fundierter – angestellten Zweifel am eigentlichen Sinn und Zweck der Reformationsfeiern führten zu einer Besinnung über die historischen Verdienste des Reformators, gerade hinsichtlich ihrer Praktikabilität bei der Lösung aktueller gesellschaftlicher Fragen und Probleme in der Bundesrepublik. Der Rat der EKD warnte, „alte und neuer Fehler“ zu begehen433. Im Zentrum der Überlegungen stand die vielerorts noch immer als Wegbereiter für den deutschen „Sonderweg“ kritisierte 431 432 433

Zur Vorbereitungsarbeit auf EKD-Ebene, unten Kap. 2. 5. 3. „Mann ohne Maß“. In: Der Spiegel, Nr. 45 vom 30. 10. 1967, 38–52., 42 u. 52. epd-ZA, Nr. 266 vom 18. 11. 1967, 1.

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120 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Zwei-Reiche-Lehre. Wegen der Aktualität der – wiederum vom „Spiegel“ propagierten – Säkularisierungsthese434, traten Beobachter der Meinung entgegen, Luther habe „die weltliche Gewalt freigegeben, so dass sich nicht nur der moderne säkulare, sondern auch der totale Staat entwickeln konnte.“435 Vor dem Hintergrund der Politisierungsdebatte, den instrumentalisierten Reformationsfeiern in der DDR436 und dem 50. Jahrestag der Oktoberrevolution war besonders eine Frage theologisch heikel: Inwieweit handelte der Reformator „politisch“? Die Anhänger des christlich-marxistischen Dialogs skandierten die These, die Reformation sei eine unvollendete politische Revolution gewesen. Die Behauptung war freilich alles andere als neu437. Martin Stöhr, Studentenpfarrer in Darmstadt, begründete den politischen Charakter der Reformation mit Luthers Ja zugunsten der Niederschlagung des Bauernaufstandes438. Im Hinblick auf die Zwei-Reiche-Lehre ging es Stöhr um eine „Aufklärung des Tatbestandes“, dass Luther die „notwendige Reinerhaltung des Evangeliums unter Verzicht auf Gewalt durch das Wort“ keineswegs allein geschafft habe. Er sei lediglich „für eine andere Gewalt“ als die von den Bauern gewünschte eingetreten. Damit habe eine „politische Entscheidung gegen die andere“ gestanden, „und nicht eine geistliche Entscheidung für die reine Reformation und eine weltliche für eine Vermischung mit politischer und gesellschaftlicher Praxis“. Diese Gegenüberstellung sei nicht Luther, sondern seinen Nachfahren anzulasten. Der Reformator selbst habe nicht für ein unpolitisches Evangelium, „für Abstinenz in politicis“ votiert. Angesichts der in Genf 1966 „begonnene[n] Entdeckung neuer Aspekte“, impliziere Gottes Wort „von der Freiheit des Menschen, wie Luther es neu an den Tag gebracht hat“, „politische und soziale Revolution“. Die Gewaltfrage könne jedoch nur situativ entschieden werden. Schon Luther habe einen sozialethischen „Gesamtentwurf christlicher Weltgestaltung“ von der Hand gewiesen439. Auf die – wegen der Niederschlagung des

434

So die im Rahmen der Titelgeschichte „Was glauben die Deutschen?“ veröffentlichte „Spiegel“-Umfrage „Mehr Kochbücher als Bibeln“. In: Der Spiegel, Nr. 52 vom 18. 12. 1967, 56–57. Walther Künneth hob sie wenig später – stellvertretend für die Bekenntnisbewegung – dankend hervor, KÜNNETH, Kirchenkampf. 435 STECK, Reformationsfeiern; RÖHRICHT, Hand. 436 BRÄUER, Kirchenhistoriker. 437 BRÄUER, Martin Luther; KÖPF, Reformation, 157; und LUTZ, Reformation, 125 u. 135. 438 Stöhr zählte zu den Pionieren des christlich-jüdischen wie auch christlich-marxistischen Dialogs in der Bundesrepublik. Seit 1963 organisierte er im Namen der ESG Darmstadt regelmäßige Treffen. Die Evangelische Akademie Arnoldshain fungierte als Veranstaltungsort. 439 STÖHR, Erwägungen, 742–744. Zum Verhältnis „Reformation – Politik“, WOLGAST, Theologie.

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Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“

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Bauernaufstandes – „unvollendet“ gebliebene Reformation ging auch Jan Milič Lochman ein. Der in New York lehrende tschechische Theologe lobte die Vorzüge der „ersten“ (hussitischen) Reformation. Sie habe nicht nur die Kirche, sondern auch die Gesellschaft „der königlichen Autorität Jesu Christi“ zu unterstellen versucht. Den Dissens in der Gewaltfrage hielt er dagegen für zweitrangig; wichtiger sei der sich herauskristallisierende ökumenische Konsens in der Abkehr von der Ordnungstheologie und das Aufgreifen der Revolution als bis dato stiefmütterlich behandeltes Thema in der christlichen Sozialethik440. Dass sich das Interesse an der ökumenischen Debatte um eine „Theologie der Revolution“ vergrößerte, lag auch an Ernst Bloch. Ausschlaggebend war die nicht unumstrittene Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den mittlerweile in Tübingen lebenden marxistischen Philosophen441 und infolgedessen die Wiederauflage seiner 1921 veröffentlichten Abhandlung über den sozialrevolutionären Luther-Widersacher Thomas Müntzer, den Bloch im Buchtitel als „Theologe[n] der Revolution“ würdigte442. In der Studentenbewegung engagierte bzw. sich mit ihr verbunden fühlende Protestanten griffen das Thema „Reformation – Revolution“ gesellschaftspolitisch auf. Friedrich-Wilhelm Marquardt, Gollwitzers Assistent an der FU, wagte den historischen Vergleich mit dem Bauernkrieg: Luther habe die Bergpredigt wörtlich genommen, als er den aufsässigen Bauern das gewaltlose Leiden empfahl. Marquardt hielt es für möglich, dass Luther „tatsächlich nicht nur zur Passivität, sondern immerhin zum passiven Widerstand ermutigt und ermahnt“ habe443. Für Müntzer, der wegen seiner führenden Rolle im Bauernkrieg hingerichtet worden war, fand er dennoch ebenso lobende Worte wie für die staatlichen Reformationsfeiern in der DDR. Das Bekanntwerden doppeldeutiger Aussagen und Vergleiche dieser Art sollte die Vermittlungsbemühen der Westberliner Kirchenleitung zusätzlich belasten: Denn „ohne ähnliches beabsichtigt zu haben“, gewann die „Mehrheit in dieser Stadt“ zunehmend den Eindruck, als stünde die Kirche „auf Seiten der Revolutionäre“. Das Szenario blieb nicht auf Berlin begrenzt, denn „schon melden sich Theologen zu Wort – evangelische Pfarrer im Stammland der lutherischen Revolution – die eine Theologie der Revolution fordern. Die lutherische

440

LOCHMAN, Reformation, 727f. u. 731. KALTENBRUNNER, Friedenspreis. 442 BLOCH, Thomas Münzer [1921]; OHLY, Revolution; und NAMNEEK, [Leserbrief]. Zur Person Müntzers als „Verstörer der Ungläubigen“ (WOLGAST, Thomas Muentzer). 443 MARQUARDT, Reformation, 630. Zu Luthers Schlichtungsversuchen im Bauernkrieg, LEPPIN, Gewaltmonopol, 410f.; GRESCHAT, Haltung. 441

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122 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Lehre von den beiden Reichen wird nicht etwa neu interpretiert oder eingeschränkt. Sie wird abgelöst. [. . .] Revolutionäre Gewaltanwendung – so heißt es weiter – dürfe als Naturrecht gelten. Die Revolutionäre werden nicht nur entschuldigt, worauf sie normalerweise auch verzichten –, sondern dem Christen wird revolutionäre Haltung als gottgeboten nahegelegt, wie weiland die konservative Einstellung zum Staat.“444

In der politisierten, gegen das „Establishment“ aufbegehrenden Studentenschaft dürfte die „Theologie der Revolution“ ebenfalls für Verwunderung gesorgt haben. Trotz aller marxistischen Vorbehalte gegenüber dem „Opiat“ Religion, offenbarte ihr globales Denk- und Analyseraster durchaus Parallelen zum solidarisch-internationalistischen Grundkonsens des Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Letzterer blickte ebenso nach Lateinamerika. Die Nachricht vom Tod des zur Ikone verklärten Berufsrevolutionärs Ernesto „Che“ Guevara sollte das (gemeinsame) Interesse ab Oktober 1967 verstärken. Angesichts der christlichen Legendenbildung über Camilo Torres war es nur eine Frage der Zeit, bis beide Guerilleros in einem Atemzug genannt würden445. In der EKD wurde davor gewarnt, „Theologie der Revolution“ und „Guerilla“ gleichzusetzen. Klaus Lefringhausen, Vorsitzender der Studiengruppe Südliches Afrika in der Kirchenkanzlei, fürchtete negative Folgen für die kirchliche Entwicklungshilfe. Das „theologische Verständnis der Revolution“ und der „Ethik gewaltsamer Aktionen“ werde wegen unterschiedlicher Erfahrungshorizonte zu keinem ökumenischen Konsens führen. Der Dissens könne nur im Rahmen einer „Verantwortungsethik“446, die die Ambivalenzen revolutionärer Umbruchsituationen – etwa das „Gesetz der Rache“ – zu berücksichtigen sucht, minimalisiert werden. Lefringhausen verwies auf das beispielhafte Verhalten Dietrich Bonhoeffers in der „Grenzsituation des Tyrannenmordes“447. Letztlich sei es aber Aufgabe der Sozialwissenschaften und nicht der Theologie, verantwortungsethische Entscheidungen dieser Art vorzubereiten. Die Ökumene müsse einen eigenen Beitrag zur Lösung der „Entwicklungsproblematik“ leisten. Es sei aber „falsch, ‚Gott in einem kirchlichen System getrennt von der Welt‘“ zu halten, indem man im Denken und Handeln eine „‚falsche Dichotomie‘“ schaffe448. Lefringhausen postulierte damit jenen Typus einer politisch 444 SEE, Standortbestimmung, Hervorhebung im Original. Zum „Berliner Kirchenstreit“, unten Kap. 3.2. 445 SANTA ANA, Zeichen; SHAULL, Revolutionäre, 225. Dazu unten Kap. 3. 7. 3. 446 Zur ursprünglichen Bestimmung des „Verantwortungsethikers“ als Gegentyp zum politisch verantwortungslos handelnden „Gesinnungsethiker“, WEBER, Politik, 551. 447 LEFRINGHAUSEN, Problematik, 451f. 448 EBD., 454. Er berief sich dabei auf eine Forderung der Weltkonferenz 1966. Vgl. ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Appell, 174.

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Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“

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aktiven „Wissenschafts- und Öffentlichkeitskirche“, den die Bekenntnisbewegung vehement ablehnte. Für einen verantwortungsethischen Umgang mit dem Thema Revolution votierte auch Herbert Krimm, Leiter des Diakoniewissenschaftlichen Instituts der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Der verabsolutierenden Erhöhung eines revolutionären Aktionismus müssten positive Konzepte mit klarer Zielvorstellung entgegen gebracht werden. Die Frage nach der Revolution hielt er für zweitrangig, denn sie sei „bestenfalls ein vorübergehendes Mittel zu einem sie erledigenden Zweck.“ Aufgrund dieser „doppelten Einbettung“ kämen einer „Theologie der Revolution“ jegliche Bezugspunkte abhanden. Die Christenheit wäre gut bedient, das von der „unruhigen Welt“ ihr „vor die Füße geworfene“ Modewort nicht in „verschärfter und vertiefter Form“ zurück zu geben. Viele Christen täten dies ohnehin nur mit der Absicht, in dieser Welt überhaupt noch Gehör zu finden. Anders als Lefringhausen vertrat Krimm die Auffassung, die Theologie sei durchaus imstande, verantwortungsethische Entscheidungen wie die Gewaltfrage vorzubereiten. Deren ratgeberisches Potential habe man auf der Weltkonferenz lediglich nicht erkannt. Von Genf habe er den Eindruck, als sei die Zwei-Reiche-Lehre dort „überhaupt nicht“ herangezogen worden. Die große Mehrheit der nichtlutherischen Konferenzteilnehmer sei mit diesem Theologoumenon wohl „kaum“ vertraut. In der Gewaltfrage hätten sie sich damit gerade leichter getan, etwa in der Einsicht, dass beide Reiche „niemals ungestraft“ vermischt werden dürften, denn als Bürger im „Reiche Gottes zur Rechten“, das idealiter ausschließlich von Christen gebildet werde, könne von Gewalt „unter keinen Umständen“ die Rede sein, während sie im weltlichen „Reich zur Linken“ zur Tagesordnung gehöre. Für den Christen bedeute Gewalt „keine Heldentat, sondern ein Peccatum“. Er müsse sich darüber stets im Klaren sein, wenn ihn sein Gewissen dazu auffordern sollte449. Als Beispiel nannte Krimm den Kreisauer Kreis. Dessen Widerstand gegen das NS-Regime habe „nicht mit Attentatsplänen“, sondern geistigen Vorarbeiten zum Aufbau eines neuen Deutschland begonnen. Es sei deswegen bedauerlich, dass das Beispiel dieser gegen den „totalen Staat“ gerichteten – somit neuartigen – „Revolution“ der Ökumene nicht zur Klärung vorgestellt wurde. An deutschen Teilnehmern habe es in Genf jedenfalls nicht gemangelt450. 449 KRIMM, Theologie, 38f. Vgl. ANSELM, Zweireichelehre, 777 u. 781; HONECKER, Zweireichelehre, 23. 450 KRIMM, Theologie, 38f. Krimm verwies auf eine jüngst erschienene Studie, die in der Geschichtswissenschaft intensiv diskutiert wurde, VAN ROON, Neuordnung; u. a. vom amtierenden Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier, den Krimm in seinem Beitrag als einen der letz-

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124 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Dass zwischen „‚Aufruhr‘ alter Art und den modernen Revolutionen“ gravierende Unterschiede bestünden, machte auch Gollwitzer geltend. In der Dezember-Ausgabe der von Ernst Wolf herausgegebenen, den Kirchlichen Bruderschaften nahestehenden Zeitschrift „Evangelische Theologie“ betonte er im Vorwort, das Thema Revolution erfahre nun „endlich“ die ihm gebührende theologische Beachtung. Es sei „nicht nur das Gewaltproblem, das – nicht zu einer ‚Theologie der Revolution‘, wohl aber – zu einem neuen Durchdenken des theologischen Problems der Revolution“ zwinge. Der Revolutionsbegriff erstrecke sich nicht mehr einzig auf den Aspekt gewaltsamer Aufstände, und die „historischen“ Revolutionsmodelle seien ohnehin „nur in einigen Ländern aktuell“, etwa in der westdeutschen Theologie, der Gollwitzer einen erheblichen Nachholbedarf im Umgang mit dem Thema bescheinigte. In der aktuellen Neuauflage der „Religion in Gegenwart und Geschichte“ (1957–1965) befasse sich z. B. nur ein historischer Artikel mit diesem Thema, während die theologischen Aspekte von „Revolution“ im Beitrag über das „Widerstandsrecht“ behandelt würden. Der von Ernst Wolf verfasste Artikel sei eine positive Ausnahme, denn er deute die „Ansätze für eine neue Betrachtungsweise“ zumindest an451. Auch im neuen Evangelischen Staatslexikon hatte sich Wolf gegen eine einseitig negative Wertung des Begriffs verwahrt: „Revolution“ bedeute nicht nur „Aufruhr, Revolte, seditio“. Der auf die Wittenberger Reformation anwendbare Terminus impliziere ebenfalls die – auch eschatologisch verstandene – „Idee der Wiederherstellung der alten Ordnung“. Dies führe vor das „Problem“ des Widerstandsrechts, „auf das sich im Rahmen eines konservativen weltanschaul. Ordnungsdenkens vor allem des → Luthertums das Problem der R. als positiv zu bewertender hist. Notwendigkeit zumeist reduziert und von dem aus es zugleich in engen Schranken gehalten wird452“.

Der im selben Lexikon aufgeführte Artikel über „Widerstandsrecht und Widerstandspflicht“ scheint den beklagten Nachholbedarf zu bestätigen: Zur Frage eines Individualrechts „gegenüber dem Staat“ traf der Kirchenrechtler Siegfried Grundmann, die Feststellung, dass für Christen der Widerstandsfall „zuvörderst“ eintreffe, wenn der Staat „hemmend und hindernd“ in die Evanten noch lebenden Mitglieder des Zirkels charakterisierte. Vgl. dessen Rezension, in der er angab, sich im Sommer 1942 „ohne Zaudern“ bereit erklärt zu haben, an einem Attentatsversuch auf Hitler teilzunehmen. Diesen Entschluss habe er mit seiner Gottes- und Nächstenliebe begründet (GERSTENMAIER, [Rezension], 233f.). 451 GOLLWITZER, Einführung, 629; WOLF, Widerstandsrecht, 1689f. 452 Wolf zufolge könne die vorreformatorische klerikalisierte Gesellschaft auch als „Tyrannei“ bzw. gotteswidrige seditio verstanden werden (DERS., Revolution, 1872f).

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geliumsverkündigung eingreife. In einem solchen Fall läge eine Vermengung der beiden Reiche vor. Doch selbst dann sei der Griff zur „gewaltsamen Gegenwehr“ vom Widerstandsrecht nicht gedeckt, „denn im Reiche Christi gibt es keine Gewalt“. „Noch schwieriger“ sei für den Christen die Frage des Widerstandsrechts in jenen Fällen, die ein „Unrechtshandeln der Staatsgewalt“ im „politisch-gesellschaftlichen Bereich“ betreffen453. Just diese Frage, die Gollwitzer als „Spannung zwischen Martin Luther King und Camillo Torres“ beschrieb, durchzog sämtliche Beiträge der genannten Dezember-Ausgabe zum Thema „Theologie der Revolution“454. Die Verfasser waren alles Teilnehmer der Weltkonferenz. An seine Überlegungen zur „unvollendeten Reformation“ anknüpfend, nannte Lochman Hindernisse bei der Formulierung einer „ökumenische[n] Theologie der Revolution“. Problematisch seien die Differenzen hinsichtlich des Revolutionsbegriffs. Als eigentlichen Streitpunkt identifizierte er die Stellung zum Gewaltproblem. In Genf sei die Trennungslinie „gelegentlich“ quer zu den geographischen und konfessionellen Fronten verlaufen. In der „Regel“ aber, so Lochmann, stünden Arme, die auf revolutionäre Gewalt drängten, den Reichen gegenüber. Letztere hätten die Gewalt „scheinbar theologisch, in Wirklichkeit: ideologisch“ problematisiert. Ein theologisch selbstkritischer Umgang mit nicht-theologischen Faktoren sei daher notwendig. Den gegenüber Shaull „und seinen Freunden“ erhobenen Vorwurf einer „neuen (vielleicht ‚roten‘) Variation der ‚deutsch-christlichen‘ Häresie“ ließ Lochman nicht gelten. Trotz seines sprachlich und theologisch unausgegorenen, andererseits aber „verständlichen [. . .] revolutionären Pathos“, sei Shaull kein „Schwärmer“ bzw. „Romantiker der Revolution“. Er habe die von ihm „tief erlebt[e]“ Ambivalenz „jedes revolutionären Engagements“ vielmehr klar zum Ausdruck gebracht. Die Kritiker von Shaulls Genfer Vortrag dürften von diesen Beteuerungen aber wohl kaum überzeugt worden sein455. Shaull kam anschließend selbst zu Wort. Seine geschichtstheologischen Spekulationen klammerte er dabei aus. Stattdessen beschrieb er das Aufkommen einer konfessionsübergreifenden Neuen Christlichen Linken in Lateinamerika456. Camilo Torres sei zum „erste[n] Märtyrer“ geworden. Diese „neue Generation“ habe einen Bewusstseinswandel durchlaufen, der sich in einem „völligen Bruch des Vertrauens in alle christlichen Entwürfe für eine neue 453

GRUNDMANN, Widerstandsrecht, 2506f. Im Gegensatz zur Dritten Welt, so Gollwitzer, sei „der revolutionäre Impuls“ in den Industrienationen mittlerweile „totgelaufen“ (GOLLWITZER, Einführung, 629). 455 LOCHMAN, Theologie, 637f. 456 SHAULL, Kirche, 649. 454

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126 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Gesellschaft“ äußere. Daraus ergäben sich „neue Möglichkeiten“ für einen christlich-marxistischen Dialog. Der Bruch habe außerdem neue „Ansichten über die Art der Sozialrevolution“ geliefert; etwa darüber, dass in einer „Situation, in der die für eine grundlegende Änderung der alten Ordnung arbeitenden Kräfte so begrenzt sind“, auch der „Weg zu Chaos, Anarchie und Gewalt“ gangbar sei457. Charles C. West, Shaulls Princetoner Kollege, behandelte schließlich den Disput zwischen „Revolutionären“, die für eine radikale Neuformulierung entwicklungspolitischer Konzepte eintraten, und reformorientierten „Technologen“. Unter dem Hinweis auf die Heterogenität beider Gruppen betonte West – wie zuvor auch Wendland –, von dem gerne kolportierten Gegensatz zwischen Pragmatikern und revolutionsbegeisterten Theologen könne keine Rede sein458. Der von einem naturwissenschaftlichen Machbarkeitsglauben eingenommene „Technologe“ begehe den Fehler, die Irrationalität im eigenen Denken nicht zu erkennen. Der mit dem Vorwurf der Irrationalität konfrontierte „Revolutionär“ halte dem „Technologen“ wiederum ideologisch bedingtes Denken vor. Dem „Revolutionär“ hielt West die „grundsätzliche Ablehnung jedweder Hypostasierung der Gesellschaft“ zu Gute. Die Gefahr, dass dieser allerdings selbst in einem weltanschaulichen – die Revolution hypostasierenden Korsett – verharrt, erachtete West jedoch für nicht gegeben. Der christliche „Revolutionär“ argumentiere zwar ausgehend von Hegel und Marx, ohne aber „von der Autorität eines dieser Denker oder von der uneingeschränkten Annahme ihrer Systeme abzuhängen.“ West beteuerte, die menschlichen Gedanken und Taten seien „nicht die Gottes“, „so aufrichtig sie auch sein mögen.“ Die Theologie habe dennoch „dringlicher als je zuvor“, „auch auf die Gefahr“ ihrer „Ideologisierung hin“, politisch zu wirken459. Heinz-Eduard Tödt deutete die „Theologie der Revolution“ als „neue Epoche“ in der „Auseinandersetzung und Verbindung“ zwischen Theologie und Marxismus. Eine „Strukturkrise“ in der ökumenischen Sozialethik sei hierfür verantwortlich. Letztlich seien es vier „Erfahrungskomplexe“, die den Ruf nach einer neuen sozialethischen Gesamtstrategie begründeten: 1. das Phänomen einer nordamerikanischen Neuen Linken, und das Engagement der dortigen Bürgerrechtsbewegung; 2. die soziale Konfliktsituation in Lateinamerika; 3. der Vietnamkrieg, und der militärische und moralische Prestigeverlust der 457

EBD., 654, 657 u. 663. WEST, Technologen, 674; WENDLAND, Wege, 7. 459 WEST, Technologen, 671f. u. 683–685. Freilich war und ist die Theologie immer ein weltanschaulicher Prozess. West spricht in diesem Zusammenhang aber von der „Bundesgenossenschaft“ mit der Ideologie (EBD. 684). 458

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Supermacht USA; sowie 4. die durch den aktuellen Misserfolg dieser „perfekteste[n] technische[n] Vernichtungsmaschinerie“ vermehrten Erfahrungswerte im Bereich subversiver Kriegsführung und Guerillataktik. Letztere greife über auf die Theorien zur radikalen Veränderung stagnierender Gesellschaften. Inspiration liefere Mao Zedong mit seiner in der Kulturrevolution derzeit „schroff“ praktizierten Guerillatheorie als sogenannte permanente Revolution. Tödt gab an, diese maoistischen Elemente in Shaulls Genfer Vortrag ebenso vernommen zu haben wie dessen Hinweis auf die inspirierende Wirkung von Marcuses „one dimensional man“460. Mit Blick auf Shaulls Schriften kam Tödt zum Ergebnis, dieser habe eine „Ideologie der Revolution“ wie auch eine mit „genuin“ christlichen Elementen angereicherte „Theologie der Revolution“ verfasst. Bei dieser Synthese aus Theologie und „Gesellschaftsphilosophie“ spiele die „Kategorie des ‚Transzendierens‘“ die tragende Rolle. In Anlehnung an seinen akademischen Lehrer Hromádka461 vertrete Shaull – Bloch zitierend – den Gedanken, dass einzig das Christentum imstande sei, den Revolutionär mit der „Kraft des Transzendierens“ auszurüsten. Das vertrauensvolle Hinarbeiten auf das kommende Reich Gottes genieße „unbedingten Vorrang“. Shaull werte das Bestehende jedoch „allzu undifferenziert“ ab, indem er „innerhalb des Vorfindlichen“ nicht kritisch unterscheide. Insbesondere seine Überzeugung, der Geschichtsverlauf sei erkennbar, könne exegetisch nicht belegt werden. Aufgrund ihrer Doppelerfahrung mit der Interpretation kriegerischer (1914) und revolutionärer (1933/1934) Geschichtsereignisse als (messianische) Gottesoffenbarung stehe die deutsche Theologie solchen Argumenten besonders kritisch gegenüber. Angesichts seiner eigenen Erfahrungen mit Gewalt und Ideologie machte Tödt dies auch gegenüber Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ negativ geltend462. 460 TÖDT, Theologie, 1–5. Die in der „Ökumenischen Rundschau“ Anfang 1968 veröffentlichten Ausführungen basieren auf Tödts Referat vor der westdeutschen CCIA-Landesgruppe am 15. 7. 1967. Im Einladungsschreiben teilte Wilkens mit, man wolle die „Theologie der Revolution“ getrennt von den übrigen Landesgruppen behandeln. Wilkens verwies dabei auf eine gemeinsame Nacharbeitstagung zur Genfer Weltkonferenz. Während dieser Tagung habe in Genf die Meinung vorgeherrscht, „wir [. . .] auf deutscher Seite“ sollten „[uns] der theologischen Seite dieses ganzen Fragenkomplexes besonders annehmen“. Brief Wilkens’ an Hanfried Krüger und Helmut Gollwitzer im Auftrag der CCIA-Landesgruppe vom 18. 3. 1967 (EZA BERLIN, 6/5950). 461 Als Anhänger des geschichtstheologischen Deutungskonzepts vom „Ende des konstantinischen Zeitalters“ lehnte Hromádka die Verbundenheit der Kirche mit den politischen Mächten zwar ab. Seine Haltung zum Ungarn-Aufstand 1956 verdeutlicht, dass er dennoch weiter „konstantinisch“ dachte (MORÉE, Kirchen, 322f.). 462 TÖDT, Theologie, 8–11. Shaulls politischer Messianismus verbinde „Ideologie und Theologie der Revolution“ (EBD., 17). Zur Kritik an Moltmann, DERS., Brief. Vgl. Tödts Lebenserfahrungen, oben 83f.

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128 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Eine weitere Unzulänglichkeit sei die sozialethische Ausrichtung von Shaulls Entwurf. So habe er die „neutestamentliche Auszeichnung der Gewaltlosigkeit“, die Feindesliebe, zu wenig bedacht. Letztere intendiere doch gerade ein „Transzendieren“ des Teufelkreises aus Gewalt und Gegengewalt. Tödt verband diesen Kritikpunkt mit Ausführungen über Shaulls persönlichen Erfahrungshintergrund: Trotz ihres ursprünglichen Zuschnitts auf die lateinamerikanischen Verhältnisse mache Shaulls „Theologie der Revolution“ einen globalen Anspruch geltend. Dafür sprächen die Anleihen bei Marcuses Analyse von der fortgeschrittenen Industriegesellschaft und Shaulls Selbstverständnis als theologischer Mentor der dort protestierenden Studentenschaft. Shaull lehne es ab, an der „Trennungsmauer zwischen Politik und Frömmigkeit“ weiter fest zu halten. In der Vergangenheit sei sie dazu benutzt worden, „die ‚ontokratischen Autoritäten‘“ zu legitimieren. Shaull vertete ferner die Auffassung, politisches Handeln habe sich nicht an einer prinzipiengebundenen christlichen Ethik zu orientieren. Angesichts dessen kommt Tödts abschließender Hinweis, „revolutionäres, mit Gewalt verbundenes Handeln“ sei nur die ultima ratio, einer Mahnung gleich463. Die von Berlin auf westdeutsche Universitäten übergreifende Politisierungswelle blieb dem in Heidelberg lehrenden Sozialethiker freilich nicht verborgen. Vor diesem Hintergrund erweiterte sich der Interessentenkreis des christlichmarxistischen Dialogs. Tödt, der sich auch aufgrund seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft im (Meta)Dialog mittlerweile selbst engagierte, verband damit die Möglichkeit, im sachlich-akademischen Rahmen über das bis dato allzu nebulös verhandelte Schlagwort der „Theologie der Revolution“ aufzuklären. Ihrer Shaullschen Lesart maß er eine wichtige Funktion als Verhandlungsgegenstand bei diesen Begegnungen zu464. Die dabei erörterte Stellung des Protestantismus zum Thema Revolution465 machte auf einen Berührungspunkt mit dem gesellschaftskritischen Sozialismus-Diskurs der Neuen Linken aufmerksam: die mit der Reformationsgeschichte eng verbundene antirevolutionäre Tradition in Deutschland. In der Aussicht, damit auch theologisch uninteressierte junge Laien anzusprechen, initiierten die im Dialog erprobten Evangelischen Akademien nun Veranstaltungen, die das Thema „Protestantismus 463

TÖDT., Theologie 14f., 10 u. 20. EBD., 5 u. 20. Vgl. unten Kap. 3. 8. 1. Zu Tödts Engagement im christlich-marxistischen Dialog, GARAUDY, Dialog; WIDMANN, Gespräch, 133. 465 Diesen Gesichtspunkt hatte Jürgen Moltmann im tschechischen Marienbad in den Vordergrund gestellt. Die Redaktion der „Evangelischen Theologie“ nahm dies zum Anlass, den Vortrag in ihrem bereits genannten Themenheft zur „Theologie der Revolution“ wieder abzudrucken. Ursprünglich hatte sie ihn bereits in der November-Ausgabe abgelichtet, MOLTMANN, Revolution. 464

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und Revolution“ unter dezidiert tagespolitischen bzw. ideologischen Vorzeichen zur Diskussion stellten. Kirchen- und theologiegeschichtliche Fragen waren dabei nur am Rande von Bedeutung466. Symptomatisch hierfür, diente der preußische Gelehrte Friedrich Julius Stahl und dessen antirevolutionäres Staatsverständnis als Bezugspunkt467. Auf einer viertägigen Veranstaltung, die Mitte November 1967 in der Evangelischen Akademie Berlin stattfand, diente Stahl lediglich als figurativer Aufmacher für das Tagungsthema „Revolution“. In der entsprechenden Einladung hieß es mit Bezug auf die Genfer Weltkonferenz: Noch vor hundert Jahren konnte der preußische „Rechtsprofessor“ unter „dem Beifall weitester kirchlicher Kreise“ die These vertreten, dass „Revolution prinzipiell Sünde sei“. Auf der Tagung selbst referierte auch Rudi Dutschke, und zwar im Rahmen der Sektion „Mao Tse-Tung und Fidel Castro. Revolutionstheorie und -praxis in der Dritten Welt“. Der Westberliner Pfarrer Egon Franz reflektierte dazu über den Gedanken, dass auch das Evangelium „eine revolutionäre Intention“ habe. Eine Frage, die zu diesem Zeitpunkt auch besonders ostdeutsche Protestanten umtrieb468. 2.5.2 „Theologie der Revolution“ und realexistierender Sozialismus In der DDR standen die Vorbereitungen für die Genfer Weltkonferenz im Schatten der gefährdeten EKD-Einheit. Mit seiner Absage an ihre national(staatlich) definierte Klammerfunktion verband Kurt Scharf die Absicht, die EKD gegen weitere Angriffe der DDR-Führung besser zu schützen. Den ostdeutschen Gliedkirchen sollte so der Umgang mit dem eigenen Staat erleichtert werden. Der Ablauf der getrennt tagenden Frühjahrssynode1966 stimmte den scheidenden Ratsvorsitzenden zuversichtlich, dass das Prinzip „Eigenständigkeit in der Einheit“ tatsächlich organisierbar sei. Die SED zeigte sich davon jedoch unberührt und setzte ihren Spaltungskurs fort. Staatlicherseits duldete

466 Selbst in den evangelischen Medien veröffentlichte Beiträge zu diesem Thema wiesen mitunter grobe Vereinfachungen in ihren geschichtlichen Darstellungen auf, so z. B. BREDENDIEK, Protestantismus. 467 Dazu ausführlich, KIM, Staat; NABRINGS, Friedrich Julius Stahl. Zu den Fehlinterpretationen seines protestantisch begründeten Staatsverständnisses in Kürze, MÜLLER, Staatslehre, 11–15. 468 Dutschke referierte über die „Theorie der Revolution bei Trotzki und Lenin im Zusammenhang der marxistischen Tradition“ (HIS HAMBURG, RUD 240, 17). Franz war im Übrigen Freund Kurt Gersteins. Nach einem Engagement in der BK war dieser 1941 in die SS eingetreten. Aus Entsetzen über die von ihm persönlich beobachtete Ermordung von Juden in Konzentrationslagern beschloss der noch heute zwiespältig beurteilte „Widerständler in SS-Uniform“, sein Wissen über den Holocaust im Ausland, u. a. im Vatikan, publik zu machen.

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130 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) man die Praktizierung der Einheit nur unter der Bedingung, dass diese nicht nach außen hin sichtbar werde469. Die Entsendung einer gesamtdeutschen Delegation zur Weltkonferenz stand somit nicht zur Debatte. Die Leitungen der östlichen Gliedkirchen der EKD sahen sich vor die Aufgabe gestellt, Genf gegenüber Personen vorzuschlagen, bei denen zu erwarten war, dass ihre Ausreise staatlicherseits nicht verweigert werden würde470. Die Spaltungsmaßnahmen der SED erlitten jedoch einen herben Rückschlag. Trotz einer umfassenden, von „progressiven“ kirchlichen Kräften in der DDR mitgetragenen Propagandakampagne scheiterte ihr Bestreben, die Wahl Scharfs zum Nachfolger von Otto Dibelius im Bischofsamt der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zu verhindern. Das Politbüro verstand die Wahl als Unterstützung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesregierung sowie als Versuch, „das Staatsbewußtsein der Bürger christlichen Glaubens in der DDR [zu] untergraben“471. Zu dieser Einschätzung trug auch die wenige Wochen später getrennt tagende Frühjahrssynode der EKD bei. Die ostdeutschen Synodalen behandelten das Thema „Kirche im ökumenischen Spannungsfeld“. Eingeladen waren renommierte Gäste wie der Generalsekretär des ÖRK Visser ’t Hooft472. In einer Information der Hauptabteilung XX/4 des MfS hieß es, mit „derartigen“ Veranstaltungen solle „eine Tradition“ geschaffen werden, „um über ständige ökumenische Gäste [. . .] eine Anerkennung der EKD zu erzwingen“473. Besorgt zeigte sich das Politbüro auch über den Versuch der EKD, ihre Kontakte zu den Kirchen in den Warschauer-Pakt-Staaten und zur CFK auszubauen: Die „reaktionären Kreise der Kirchen“ forderten nicht mehr die Beseitigung des Sozialismus, sondern seine „Vermenschlichung“474. Außer EKD, ESGiD und Evangelischen Akademien zählte nun auch der ÖRK zu den DDR-feindlichen „kirchlichen Zentralen“. 469 LEPP, Tabu, 665f. Ab dem 1. 1. 1966 musste der Evangelische Pressedienst Ost die Bezeichnung „Ost“ als Zeichen der Korrespondenz zum epd in der Bundesrepublik streichen. Fortan erschien er als „Evangelischer Nachrichtendienst in der Deutschen Demokratischen Republik“ (ENA). 470 Aktenvermerk Walter Pabsts, Ökumenebeauftragter der evangelischen Bischöfe in der DDR und EKD-Referent in der Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR, über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 2. 2. 1966 (EZA BERLIN, 102/167). 471 So der Text einer vom Politbüro im April 1966 übernommenen Vorlage, den das Staatssekretariat für Kirchenfragen und die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des Zentralkomitees der SED ausgearbeitet hatten. Diese trug den Titel „Zur Politik und Taktik der Staatsorgane und der Nationalen Front gegenüber den Kirchenleitungen in der DDR“, zit. n. SED, 477, dort im Abdruck, 475–479. 472 NIEMEIER, Kirche [1966], 2f. 473 Zit. n. LEPP, Tabu, 669. 474 SED, 477f.

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Laut des MfS ignorierten sie die deutsche Zweistaatlichkeit und betrieben damit „politisch ideologische Diversion“475. Die kirchlichen Vorbereitungen für die Weltkonferenz standen somit unter keinem guten Stern. Als diese am 12. Juli 1966 zusammentrat, revidierte das Politbüro gar seinen Entschluss, die nächste Vollversammlung des LWB in der DDR abhalten zu lassen. Die SED-Führung bewertete die kirchenpolitische Entwicklung insgesamt aber positiv. Sie ging davon aus, dass die Zeit für sie arbeitete. Der Differenzierungsprozess sowohl zwischen als auch innerhalb der ostdeutschen Landeskirchen sollte fortgesetzt werden. Um „ständige Einflussnahme auf alle Amtsträger“ – die „realistisch-fortschrittlich“, die „reaktionärfeindlich“ und die „schwankend-unentschieden“ Gesonnenen – herzustellen, setzte die SED-Führung auf Gespräche476. Der Hauptvorstand der Ost-CDU erhielt den Auftrag, flankierende Maßnahmen zu ergreifen477. Trotz ihrer Vorbehalte gegenüber dem ÖRK rückte die SED-Führung nicht von der Zusage ab, einer ostdeutschen Delegation die Teilnahme an der Weltkonferenz zu gestatten. Entscheidend hierfür war die Feststellung der sozialistischen Staatsämter für Kirchenfragen, der ÖRK habe sich an die Positionen der CFK zuletzt deutlich angenähert. Da er bisweilen sogar „darüber hinaus“ ginge, einigten sich die Staatsämter auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem ÖRK. Gezielte Einflussnahme sollte dafür sorgen, dass „Genf“ auf die Linie der CFK weiter einschwenkte, ohne ihr dabei den Rang als „Avantgarde der Ökumene“ abzulaufen. Dafür aber müsse die CFK ihr Profil schärfen478. Die in ihren Reihen laut gewordene Forderung, den christlich-marxistischen Dialog auf die Agenda zu setzen, wurde von sowjetischer – und wohl auch von ostdeutscher Seite – jedoch abgelehnt479. War der „Dialog“ nicht bloß das Instrument für „ideologische Diversion“? Die SED-Führung hielt das neuakzentuierte Ökumeneverständnis der CFK für vorteilhaft: „Ökumene“ implizierte christliche Zusammenarbeit mit Atheisten bzw. Marxisten480. Es setzte den in der CFK entwickelten Begriff christlicher „Proexistenz“ voraus. In der DDR trat insbesondere die CFK-Aktivistin 475 So der Halbjahresbericht 1966 der kirchenpolitischen Abteilung des MfS, zit. n. LEPP, Tabu, 671. Die Aktivitäten der von Müller-Gangloff geleiteten Evangelischen Akademie Berlin wurden besonders kritisch beäugt, insbesondere wegen ihres Engagements im christlich-marxistischen Dialog, SED, 480–485. 476 EBD., 323 u. 477, Hervorhebung im Original. 477 BESIER, SED-Staat, 607. 478 LINDEMANN, Sauerteig, 735, Anm. 403, Quellenverweis auf Anm. 174. 479 EBD.; LOCHMAN, Prag; und PATON, Friedenskonferenz. 480 Bericht der Arbeitsgruppe Ökumene. In: CFK, Nr. 17–18, Januar 1966, 35f.; LINDEMANN, Sauerteig, 739f.

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132 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Elisabeth Adler, Studienleiterin der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg und stellvertretende Generalsekretärin des WSCF in Genf, für ihn ein. Adler plädierte für Ideologie freies Handeln. Weltanschaulich motiviert sei nicht nur die kirchliche Parteinahme für oder gegen ein bestimmtes Politikund Wirtschaftssystem, sondern auch die Orientierung kirchlichen Handelns an eigenen Interessen und an der eigenen Identität. Daraus folgerte sie, man solle nicht „Angst haben vor dem Kommunisten“, sondern „Angst vor der Sterilität der Kirche, vor dem Sterben der Kirche durch sie selbst.“481 Schon wegen ihrer Genfer Tätigkeit lag es nahe, dass Adler zur Teilnahme an der Weltkonferenz eingeladen wurde482. Zusammen mit anderen CFK-Vertretern, darunter Gerhard Bassarak, Leiter der Evangelischen Akademie BerlinBrandenburg und seit 1961 Informeller Mitarbeiter (IM) des MfS483, wirkte sie daraufhin, die Weltkonferenz mit „Pro-Existenz“ bejahenden Beiträgen zu versorgen484. Der Konferenzverlauf zeigte allerdings, dass nicht alle osteuropäischen Konferenzteilnehmer ihre Position teilten485. Für „Pro-Existenz“ warb auch Carl Ordnung, Mitarbeiter im Hauptvorstand der Ost-CDU und Sekretär des CFK-Regionalausschusses in der DDR. Als legitimatorischen Bezugspunkt verwendete er Bonhoeffers Rede von der „mündigen Welt“. Dessen „antifaschistische Haltung“ stehe sinnbildhaft für die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit Nichtchristen, so Ordnung in einer CDU-Propagandaschrift über den politischen Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Dieser habe „die falsche Bindung des Christlichen an die bürgerliche Welt aufgelöst“. Das somit auch ostdeutschen Christen beschiedene „Glück einer neu gewonnenen Freiheit zur Verantwortung in einer sozialistischen Demokratie“ sei von ihm miterkämpft worden. Die DDR sei somit die wahre Erbin seiner Anliegen486.

481

ADLER, Pro-Existenz, 9. Dazu THUMSER, Kirche, 242. Hanfried Krüger teilte dem ÖRK-Stab mit, das Kirchliche Außenamt der EKD habe „sachlich“ keine Einwände gegen Adlers Nominierung. Brief Krügers an das ÖRK-Referat „Kirche und Gesellschaft“ vom 9. 12. 1965 (EZA BERLIN, 6/5948). 483 BULISCH, Presse, 295. Mitte der 1960er Jahre festigte Bassarak seine Position, u. a. als Zensor, bei den „Zeichen der Zeit“, der einzigen evangelischen kirchlichen Monatszeitschrift in der DDR, EBD., 294. 484 Zur personellen Einbindung der CFK in die konzeptionelle Vorbereitungsarbeit der Weltkonferenz, LINDEMANN, Sauerteig, 741f. In Genf nahmen über 60 CFK-Mitarbeiter teil. Anders als Adler nahm Bassarak, Verfasser des einzigen ostdeutschen Beitrages in den englischsprachigen Vorbereitungsbänden, nicht an der Weltkonferenz teil, BASSARAK, Church. 485 Die Delegierten der Russisch-Orthodoxen Kirche lehnten – freilich nicht öffentlich – die Forderung nach einer politischen Verantwortung der Christen ab und verwiesen auf die Unmöglichkeit, in die Kommunistische Partei der Sowjetunion einzutreten, LINDEMANN, Sauerteig, 743. 486 ORDNUNG, Handeln, 28 u. 35f. Zur politischen und theologischen Instrumentalisierung Bonhoeffers in der DDR, KLEIN, Märtyrer, 428–432. 482

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Adler und Ordnung wurden an den Kirchen vorbei zur Weltkonferenz eingeladen. Ordnung zufolge bezeichnete Walter Pabst, Ökumenebeauftragter der evangelischen Bischöfe in der DDR und EKD-Referent in der Kirchenkanzlei für die Gliedkirchen in der DDR, „es als bedauerlich und unverständlich“, „daß zwei Leute aus der DDR (Fräulein Adler und C. Ordnung) eine Einladung zur Konferenz erhalten haben, obwohl sie nicht von der Kirche delegiert worden sind.“ Seine eigene Teilnahme soll „die DDR bzw. Ordnung selbst“ in Absprache mit dem Ökumenischen Institut Bossey durchgesetzt haben. Abrecht habe ihn als Freikirchler eingeladen487. Pabsts Unmut richtete sich gegen die Vehemenz, mit der Ordnung an „die Mitverantwortung der Christen beim Aufbau des Sozialismus“ appellierte. Unter diesem Titel referierte Letzterer Anfang Februar auf der Vorbereitungstagung der Gossner Mission zur Weltkonferenz488. Die „Problematik“ der Genfer Konferenz liege aus „unserer Sicht“ darin, „daß sie zwar von den linken Kräften innerhalb der Ökumene organisiert wird, daß sie aber nichtsdestoweniger von ihrem Grundsatz her ein relativ einseitiges westliches Unternehmen ist.“489 Schon die „Terminologie der Vorbereitungsarbeiten“ mache dies deutlich, in der ausnahmslos Begriffe der westlichen Soziologie auftauchten; ein klarer Beleg für die „tiefe Bindung der Christenheit an die westliche Kultur und Lebenshaltung“, so Ordnung. Zum Thema „Revolution“ bemerkte er, freilich impliziere der Begriff Gewalt. Das heißt jedoch nicht, „daß eine bewaffnete Erhebung mit Blutvergießen zu jeder echten Revolution gehöre. Im Vergleich mit anderen Revolutionen in der deutschen Geschichte war das, was sich in der DDR seit 1945 vollzog, eine ausgesprochen friedliche Revolution, vor allem dadurch, daß von Anfang an Vertreter aller Volksschichten in die Revolution einbezogen waren“490.

Über die Gesamtausrichtung der Konferenz war man im Staatssekretariat für Kirchenfragen sehr unerfreut. Hauptabteilungsleiter Hans Weise monierte ein Zurücktreten des Ost-West-Konflikts zugunsten der Nord-Süd-Problematik491. Bei ihrem Ostberliner Treffen kamen die ost- und westdeutschen Konferenzteilnehmer überein, wenn man auch nicht als „geschlossene“ deutsche

487

Aktenvermerk Ordnungs vom 27. 4. 1966, zit. n. EBD., 744. Im bereits genannten Halbjahresbericht des MfS wird auch die Gossner Mission den feindlichen kirchlichen „Zentralen“ zugeordnet, LEPP, Tabu, 671. 489 EZA BERLIN, 6/5949. 490 Ordnung gebrauchte in diesem Zusammenhang auch das Stichwort der „permanenten Revolution“ (EBD). 491 Auszug Aktenvermerk Pabsts über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 16. 6. 1966, (EZA BERLIN, 102/168). 488

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134 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Delegation auftreten würde, solle man „doch gegebenenfalls zu informativen Besprechungen“ zusammenkommen492. Dabei dürfte auch die causa Reimer Mager zur Sprache gekommen sein. Im Gegensatz zu den übrigen acht Konferenzteilnehmern aus der DDR hatte der Präses der sächsischen Landessynode keine Ausreiseerlaubnis erhalten. Im Juni teilte Weise Pabst mit, Magers Mitgliedschaft im Rat der EKD falle „erschwerend ins Gewicht“. Am 5. Juli erfuhr Pabst, Magers Ausreise sei „nun endgültig“ abgelehnt worden. Den Ausschlag habe eine epd-Meldung gegeben, in der die Konferenzteilnahme zweier Ratsmitglieder angekündigt wurde493. Um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, unterließ es die Konferenzleitung, gegen das Ausreiseverbot öffentlich zu protestieren. Erfreut notierte Ordnung rückblickend, damit habe sie die Haltung „unserer Regierung“ als eine Entscheidung betrachtet, „die sich nicht gegen die ökumenische Arbeit richtet“, sondern mit dem „illoyalen politischen Verhalten von Präses Mager zusammenhing.“ Gollwitzer zufolge koordinierte Ordnung in Genf persönlich den Auftritt der „‚progressiven‘ Delegierten“. Vertreter der CFK – auf ostdeutscher Seite besonders Adler – hätten den „linken Flügel“ weiter gestärkt.494 Ordnung sah in der Weltkonferenz einen „klaren Fortschritt“. „In dem allem“ spiegele sich „die Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Welt zugunsten des Sozialismus wider.“495 Vor der DDR-Regionalkonferenz der CFK folgerte er, die Genfer Beschlüsse verpflichteten die Christen in der DDR zu „Pro-Existenz“ sowie zum Einsatz „gegen jenen anderen deutschen Staat, der auf den Positionen der Konterrevolution steht“496. Die Berichterstattung der „Neuen Zeit“, Zentralorgan der Ost-CDU, beließ es dabei, Borovojs „Ja zur Revolution“ hervorzuheben. Adler machte ihrerseits auf den „katholischen Märtyrer“ Torres aufmerksam497. Der nach Genf entsandte EKD-Synodale 492 Niederschrift über die Vorbereitungstagung für die deutschen Teilnehmer der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft am 18. bis 21. 4. 1966 in Berlin-Spandau (EZA BERLIN, 6/ 5962). Das Protokoll gibt keine Auskunft, welche Konferenzthemen genau gesprochen wurden. 493 Auszug Aktenvermerk Pabsts über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 16. 6. 1966 (EZA BERLIN, 102/168); Aktenvermerk Pabsts über eine Unterredung im Staatssekretariat am 5. 7. 1966 (EZA BERLIN, 102/168). Zwei Tage später bedankte sich Krüger beim epd für den Tipp, die Ost-Delegierten nicht „als ‚EKD-Delegierte‘“ zu bezeichnen. Sonst hätten „wahrscheinlich alle“ keine Ausreisegenehmigung erhalten. Brief Krügers an den epd vom 5. 7. 1966 (EZA BERLIN, 2/168). 494 Bericht Ordnungs über die Weltkonferenz, zit. n. LINDEMANN, Sauerteig, 742f.; Gollwitzer, zit. n. EBD. 495 Bericht Ordnungs über die Weltkonferenz, zit. n. EBD., 744. 496 Bericht Ordnungs über die Regionalkonferenz der CFK am 15. und 16. 9. 1966, zit. n. EBD., 747. 497 Ausschnittsammlung von Beiträgen der in Genf durch einen Korrespondenten vertretenen „Neuen Zeit“ (EZA BERLIN, 2/168).

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Erich Hoffman formulierte wiederum eine vorsichtige Gegenstimme zur „hoffnungsfreudige[n] Bejahung der Revolution“ – im Wissen um die Erwartungen des Staates an kirchliche Presseorge wie „Zeichen der Zeit“498. Der besonders kritisch beäugte ENA beschränkte sich daher auf allgemeine Berichte, die an einzelnen Stellen dennoch kritische Bezüge zur Situation in der DDR aufkommen ließen. Zu Martin Luther King – wie Bonhoeffer durch SED-Propaganda vereinnahmt499 – hieß es, „die Kirche dürfe niemals Herr oder Werkzeug des Staates sein, vielmehr müsse sie dessen Kritiker, Wegweiser und Gewissen sein.“500 Die kirchliche Aufarbeitung der Weltkonferenz geschah hinter verschlossenen Türen. Mitte September 1966 informierten Teilnehmer die landeskirchlichen Ökumenereferenten501. Pabst hatte seine Teilnahme an der Jahrestagung der westdeutschen Ökumenebeauftragten wegen verschärfter Ausreisebedingungen abgesagt502. Laut Krüger waren kirchliche Aktenvermerke über die Weltkonferenz und andere Notizen kirchlicher Bediensteter über Bischofskonferenzen in staatliche Hände gelangt503. In der Evangelischen Akademie Thüringen referierte Pabst über die theologischen Aspekte der Weltkonferenz, u. a. das „Problem des Gesetzes“. Einerseits habe es eine „sichernde und bewahrende Kraft“. Wegen seiner „Starrheit“ erweise es sich „in revolutionären Situationen“ andererseits „oft als hemmend“. Gewaltanwendung sei in Genf nicht „völlig verneint“ worden. Der Christ müsse jedoch „immer im Auge“ haben, welcher Zustand nach einer Revolution faktisch erreicht werde. Zugleich müsse er sich davor hüten, die Revolution „absolut zu setzen.“ In der Nacharbeit, dazu gehöre auch die Teilnahme von Laien bei Pfarrkonventen, solle die „ganze Breite“ der Genfer Diskussion berücksichtigt werden. Letztlich seien „mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben“. Fraglich sei auch, ob die Kirchen angesichts solcher „Überfälle“ nicht überfordert wären. Zudem bestehe die Gefahr, „daß Fragen des Heils durch die Fragen des Wohls weithin überspült werden.“504

498

HOFFMANN, Kirche, 430. Vgl. z. B. den vom Sekretariat des Hauptvorstandes der Ost-CDU herausgegebenen Sammelband, VERMÄCHTNIS. 500 Sonderheft zur Genfer Konferenz, ENA, Nr. 30 vom 27. 7. 1966, 10. 501 ENA, Nr. 38, vom 21. 9. 1966, 5. 502 Brief Hanfried Krügers an Ferdinand Schlingensiepen, Oberkonsistorialrat in der Kirchenkanzlei der EKU, vom 28. 12. 1966 (EZA BERLIN, 6/5204). 503 BESIER, SED-Staat, 615 u. 849. 504 Manuskript „Theologische Aspekte der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966“, Referat gehalten am 8. 12. 1966 in Neudietendorf (EZA BERLIN, 102/169). 499

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136 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Nachdem die ihm überstellten Konferenztexte vervielfältigt worden waren, konnte die kirchliche Nacharbeit für Uppsala im Frühsommer 1967 beginnen505. Die Empfänger waren: 1. Frei- und Landeskirchen sowie Enklaven; 2. Akademien (Magdeburg, Eisenach, Berlin und Meißen); 3. die Schriftleitungen evangelischer Sonntagsblätter; 4. Kirchliche Hochschulen (Berlin, Naumburg, Leipzig) und einzelne ökumenische Einrichtungen506. Die „Ökumenische Rundschau“ gab Hoffmann und Erwin Hinz, der als Mitglied der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen (KPS) ebenfalls nach Genf delegiert worden war, die Möglichkeit, Gedanken über die Weltkonferenz zu veröffentlichen. Hoffmann thematisierte den Revolutionsbegriff. Dessen angelsächsischer Gebrauch sei mit der Assoziation des gewaltsamen politischen Umsturzes nicht so belastet wie im Deutschen. Ohne die Unausweichlichkeit von Revolutionen, „ja in vielen Bereichen ihre Notwendigkeit“, bestreiten zu wollen, sei er in Genf überrascht worden von der Forderung, die „revolutionäre Grundhaltung vom Evangelium her nicht nur anzuerkennen“, sondern diese für geradezu konstitutiv zu halten. Eine solche Forderung, so die SED-kritische Spitze, sei auch im Bauernkrieg laut geworden. Hoffmann mahnte, die unausweichliche „Frage nach der Schuld“ bei der gewissenhaften An- wie auch Nicht-Anwendung von Gewalt als sozialethischen Kompass anzuerkennen. Die persönliche Rechtfertigung, die Luther ebenso hart bedrängt habe, sei in Genf zu wenig bedacht worden. Von diesem Standpunkt aus könnten selbst Entwicklungshilfen und die „revolutionäre Veränderung unerträglicher Sozialordnung“ wie „einst der Ablaß als ‚gute Werke‘ mißverstanden werden.“ Erwin Hinz bejahte Hoffmanns Grundsatz, der an die „Vergebung durch das Kreuz“ Glaubende könne sich nicht der gesellschaftlichen Verantwortung entziehen. Die ostdeutschen Christen müssten die Genfer Erkenntnisse und Impulse daher aufgreifen, um die „Probleme der Revolution, der Ideologie und des Menschenbildes“ in der Gesellschaft der DDR zusammen mit den Marxisten zu behandeln. Zum „echten Dialog“ gehöre allerdings die Spielregel, nicht nur die „unaufgebbaren Gemeinsamkeiten“, sondern auch die „Unterschiede und Besonderheiten“ anzuerkennen. Nur unter dieser Bedingung könnten die Fragen der „christlichen Existenz in der sozialistischen Gesellschaft“ dialogisch behandelt werden. An die DDR-Staatsführung appellierte Hinz – allerdings eher desillusioniert –, eine kirchliche Entspannungspo505 Außer dem Bericht der Arbeitsgruppe B („Theologische Probleme in der Sozialethik“) wurden die Berichte der beiden übrigen Genfer Arbeitsgruppen nicht weiter vervielfältigt. Aufgrund ihres „wenig ertragreichen Inhalts“ sei diese Entscheidung getroffen worden. Rundschreiben Pabsts vom 22. 5. 1967 (EZA BERLIN, 102/169). 506 Versandplan Material „Kirche und Gesellschaft“ (EZA BERLIN, 102/169).

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litik einzuleiten: ein aufrichtiges Anknüpfen an den damals nur taktisch motivierten „‚neuen Kurs‘ im Jahre 1953“507. Hinz’ Dialogverständnis war eine Art Gegenentwurf zu Ordnung. In einem Genf gewidmeten Beitrag zum Thema „Christen und Revolution“ kritisierte dieser den im Westen in Gang gekommenen christlich-marxistischen Dialog. Für beide Seiten sei er „nur dort hilfreich und sinnvoll“, wo er nicht abstrakt akademisch geführt werde. Ein Gemeinsamkeiten und Unterschiede schonungslos aufdeckendes Gespräch kam für ihn nicht in Frage. Der Dialog habe nur dann eine Berechtigung, „wo er gemeinsame Aktionen vorbereitet“ und so zu einer „umfassenderen Gemeinsamkeit im Kampf für eine menschlichere Welt wird.“ Er war somit nur Mittel zum Zweck: die Weltrevolution. „In der DDR z. B.“, wäre er deshalb nur „ein Schritt hinter die seit langem praktizierte kameradschaftliche Zusammenarbeit von Christen und Marxisten“508. Ordnungs Beitrag reiht sich – auch angesichts der staatlichen Reformationsfeiern – ein in das Bild der „sozialistischen Menschengemeinschaft“, welches die SED seit ihrem VII. Parteitag propagandistisch inszenierte. Menschen verschiedener Weltanschauung arbeiteten danach zusammen am Aufbau des Sozialismus509. Der christlich-marxistische Dialog war für Ordnung und die SED hingegen nur das trojanische Pferd ideologischer Diversion. Durch die Regierungsbeteiligung der SPD in der Großen (Bonner) Koalition gewannen entsprechende Befürchtungen seit Ende 1966 weiter an Nahrung. Die Prager Dialogexperimente taten dabei ihr Übriges510. Aufgrund seines Dialogverständnisses hielt Ordnung es für legitim, dass Christen auch an bewaffneten Umsturzversuchen aktiv teilnahmen. Auf der Genf gewidmeten Arbeitstagung der Gossner Mission nahm er hierzu ausgiebig Stellung511. Die „überholten Gesellschaftsstrukturen“ inne wohnende Gewalt sei weitaus bedenklicher als die revolutionäre. Die Revolution erlaube es, „Nächstenliebe nicht nur gelegentlich und vorübergehend nur noch an eini-

507

HOFFMANN, Gedanken, 66; HINZ, Stunde, 63f. Vgl. oben Kap. 2.1. ORDNUNG, Verantwortung, 15f. Der Beitrag erschien in dem politisch gelenkten und zur Sammlung „progressiver“ Theologen bestimmten „Evangelischen Pfarrerblatt“. Zu dessen Image, BULISCH, Presse, 182–187. 509 LEPP, Tabu, 702–704. 510 BESIER, SED-Staat, 628. Die in der ČSSR, aber auch in anderen osteuropäischen Staaten zu dieser Zeit entfalteten Dialogansätze zeitigten angesichts staatlicher Null-Toleranz (zunächst) keine sichtbare Wirkung. Zum christlich-marxistischen Dialog in der DDR in den 1980er Jahren, THIEDE, Dialog. Zu den osteuropäischen Dialogbemühungen, MOJZES, Dialogue. 511 An der internationalen Tagung waren außer ostdeutschen Theologen, darunter Hinz, auch ein großer Anteil westeuropäischer Teilnehmer, u. a. drei Pfarrer aus der Bundesrepublik, anwesend. 508

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138 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) gen Stellen“, sondern dauerhaft „an der Majorität unserer Nächsten“ zu praktizieren. Freilich sei es unzulässig – „so wenig man eine allgemeine Theorie oder Theologie der Revolution entwickeln“ könne – Gewalt „nun auch global für jede Situation“ zu rechtfertigen. Die Gewaltfrage müsse situativ gedacht werden, anstatt in Form allgemein christlich verbindlicher Prinzipien512. Shaulls Geschichtstheologie sei lobenswert, schließlich gebe es „eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Richtung des revolutionären Kampfes und der Richtung von Gottes humanisierendem Handeln in der Welt [. . .]. So weit geht er. Aber er sagt ausdrücklich, daß revolutionäre geschichtliche Prozesse nicht etwa zur zweiten Offenbarungsquelle gemacht werden könnten, wie das die Deutschen Christen mit dem Volkstum gemacht hätten.“513

Ordnungs Forderung nach einem pro-sozialistischen, den SED-Kurs stützenden christlichen Engagement wurde von den übrigen Teilnehmern nur bedingt unterstützt514. Seine Veröffentlichungen riefen selbst die Bundesregierung auf den Plan. Ein in der „Stimme der Gemeinde“515 veröffentlichter Artikel habe die Bundesregierung laut Wilkens dazu veranlasst, die „immer stärker werdende ‚kommunistische Infiltration christlicher Kreise‘“ für „bewiesen anzusehen.“ Dem Bundespresseamt antwortete Wilkens im Namen der EKD-Kirchenkanzlei, er könne die Erregung über diesen Artikel gar nicht teilen. Er persönlich setze auf den Dialog mit „solchen CDU-Leuten“. Die Zeiten der Verweigerung seien vorbei. Ordnungs Positionen, denen er in erster Linie Taktik unterstellte, teile er freilich nicht. Was Ordnung über die „Theologie der Revolution“ da schreibe, sei ohnehin „viel zu pauschal und kurzschlüssig“, jedenfalls nicht repräsentativ für den ÖRK „oder gar für die EKD“. Ordnung sei im Übrigen Methodist516. Die Art und Weise, wie sich die ostdeutschen EKD-Gliedkirchen für die kommende ÖRK-Vollversammlung vorbereiteten, sollte Wilkens bestätigen. Von der Ostberliner Kirchenkanzlei wurde angeregt, folgende „Problemkreise“ zu erörtern: 1. das „Problem der Macht“ als Frage, welche Kriterien „für eine 512 Ordnung vertrat diese Position auch in seinem ausführlichen Bericht über die Weltkonferenz. Er wurde in den „Heften aus Burgscheidungen“, dem Schulungsmaterial der Ost-CDU, Anfang 1967 veröffentlicht, ORDNUNG, Christ, 67. 513 Manuskript Ordnung über „Die Bedeutung der Konferenz ‚Kirche und Gesellschaft‘ für christliche Existenz im Sozialismus“ (EZA BERLIN, 102/171). 514 Arbeitsbericht der Nachtagung zur Konferenz „Kirche und Gesellschaft“ vom 24. bis 28. 4. 1967 in Ost-Berlin (EZA BERLIN, 102/171). 515 ORDNUNG, Verantwortung. 516 Brief Erwin Wilkens’ an Regierungsdirektor Waldemar Wünsche vom 21. 8. 1967 (EZA BERLIN, 99/333).

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Beteiligung des Christen an Machtausübung oder auch welche Begrenzungen im Gewissenskonflikt sich grundsätzlich erkennen oder denken ließen“; 2. die Fragen „Wie ist der Begriff der Revolution christlich zu sehen? Ist die Frage nach einer ‚Theologie der Revolution‘ erfüllbar?“ sowie 3. das Verhältnis der Forderung nach Gewaltlosigkeit zu einer „möglichen Teilnahme oder gar Initiative etwa auch gewaltsamer Veränderungen“ und die Frage nach den Maßstäben aus dem biblischen Zeugnis517. Kurz vor Beginn der Weltkirchenkonferenz in Uppsala berichtete Pabst über die sehr „gründliche Nacharbeit“. Bislang seien insgesamt 37 „z. T. sehr ausführliche“ Stellungnahmen zu den Genfer Dokumenten eingegangen; darunter etliche, hier im Querschnitt vorgestellte, zu den genannten „Problemkreisen“518: Die anhaltinische Landeskirche berief auf ihrer Frühjahrssynode 1967 dazu einen Synodalausschuss. Dieser würdigte die Weltkonferenz als „Ermutigung zu politischer Verantwortung“. Deren Ausübung komme aber weder in „unkritischer Bejahung noch in pauschaler Ablehnung bestehender Verhältnisse“ zur Geltung. „Niemand von uns“ müsse „alles, was geschieht, gedacht und geschrieben wird, mitverantworten.“519 Für den von Hinz favorisierten „echten“ Dialog mit Marxisten sprach sich auch ein namentlich nicht gekennzeichneter Mitarbeiter im Ökumenischen Institut Berlin (Ost) aus. Vor dem Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit der Regionalsynode Berlin-Brandenburg betonte er, die „mangelnde Bereitschaft des Partners“ erschwere den Dialog in der DDR. Kirche und Christen sollten ihn jedoch weiterhin suchen, was Kritik nicht ausschließe. Angesichts der in Genf aufgeworfenen Fragen sollten ökumenische Gespräche geführt werden, besonders mit „revolutionär eingestellten Christen“ in der Dritten Welt520. Deutliche Worte fand auch der Naumburger Systematiker Martin Seils vor dem Ökumenischen Ausschuss der EKU. Zur Frage „Was ist Obrigkeit?“ bemängelte er, man habe sich mit Römer 13 und ähnlichen neutestamentlichen Stellen in Genf „kaum aufgehalten“. Die „schwierigste Frage“ sei aber

517 Auswahl von Problemkreisen für die Nacharbeit zur Weltkonferenz „Kirche und Gesellschaft“ und zur Vorarbeit für die Weltkirchenkonferenz 1968. Für den Gebrauch von kirchlichen Gremien in der DDR, Anhang Rundschreiben Pabsts vom 22. 5. 1967 (EZA BERLIN, 102/169). 518 „Uppsala und die evangelischen Kirchen in der DDR“. In: ENA, Nr. 24 vom 12. 6. 1968, 13–16, 14. 519 Überarbeiteter Bericht Synodalausschuss „Kirche und Gesellschaft“ der Landeskirche Anhalts, vorgelegt auf der Herbsttagung der Synode 1967, Hervorhebung im Original (EZA BERLIN, 102/170). 520 „Kirche im Dialog“. Zur Auswertung der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966. Leitsätze eines Referats vor dem Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit der Regionalsynode Berlin-Brandenburg [Vertraulich] (EZA BERLIN, 102/170).

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140 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) „die nach dem Wie des revolutionären Geschehens, und hier gehen die Meinungen“ völlig auseinander. Persönlich meinte Seils, die von Shaull geforderte „unmittelbare revolutionäre Aktion“ sei keine christliche Option. Im Fall der ultima ratio gelte es zu beachten, dass die christliche Liebe (αγάπη), „so weit ihr Raum auch“ sei, „doch keinen unbegrenzten Handlungsraum eröffne“ und „daß der durch Agape bestimmte Handlungsraum auch überschritten werden“ könne. Die Ansicht, dass der Zweck die Mittel heilige, könne nie „Maxime christlichen Verhaltens werden“. Man könne einen Menschen nicht töten, „weil man die Agape unter den Menschen durchsetzen möchte“, so Seils. Die marxistische Revolutionstheorie rechne zwar „mit der Möglichkeit ‚friedlicher‘ Revolutionen.“ Doch „warum sollten ausgerechnet wir Christen unsere Revolutionstheologie an den Guerillakampf fixieren?“521 Seils Betrachtungen deckten sich mit den Ausführungen seines Kollegen Harald Schultze, der betonte, die „anti-zelotische Entscheidung Jesu“ könne nur schlecht relativiert werden522. Außerdem heilige der Zweck nicht die Mittel. Die „Möglichkeiten des gewaltlosen Kampfes“ seien ohnehin „viel größer, als gemeinhin bewußt“. Die Auseinandersetzung zwischen Martin Luther King und den „Black-Power“Aktivisten zeige dennoch, dass „das Problem auch mit der Entscheidung zur Gewaltlosigkeit“ nicht gelöst sei. Die Aporie bleibe, denn auch Gewaltlosigkeit sei „nicht das Werk, das in sich gerechtfertigt sein“ könne. Die Diskussion über eine Übertragung von bellum iustum auf die Revolution komme nicht ohne die lutherische „Unterscheidung des opus proprium und opus alenium des Christen“ aus523. Diese sei notwendig, „damit nicht – wie es die Gefahr des Messianismus und damit wohl der Theologie der Revolution überhaupt ist – das Evangelium in Gesetz verkehrt“ werde. Ferner gingen Stellungnahmen ein, die den Bericht der Genfer Arbeitsgruppe über „Theologische Probleme in der Sozialethik“ als Ganzes kritisierten. Der Lutherische und Ökumenische Arbeitskreis der pommerschen Landeskirche beanstandete, es werde nicht genau „dargelegt, was unter ‚Heilsgeschichte‘ zu verstehen“ sei. Vielmehr entstehe der Eindruck, als ob eine „Säkularisierung der Heilsbotschaft von der Versöhnung des Sünders mit Gott in Christus“ propagiert werde524. Die „Verborgenheit“ von Gottes Handeln

521 Martin Seils, Die revolutionäre Herausforderung an die Theologie. Vortrag vor dem Pastoralkolleg des Sprengels Potsdam am 3. 2. 1968 und dem Ökumenischen Ausschuss der EKU am 16. 2. 1968 (EZA Berlin, 102/171). 522 Text Ringvorlesung WS 1967/1968, Harald Schultze, „Gerechtigkeit Gottes als Motiv für Revolutionen“ (EZA BERLIN, 102/172). 523 Dazu erläuternd, BÜHLER, Kreuz, 81–84. 524 Bericht des Lutherischen und Ökumenischen Arbeitskreises der Landeskirche (in Greifs-

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werde zu wenig „in Erinnerung“ gebracht. Mit Blick auf den Historischen Materialismus hieß es kritisch, „die Macht der Sünde“ sei „in aller Geschichte wirksam“. Auch das „Liebesgebot“ müsse „als für die christliche Gemeinde verbindliche“ Handlungsnorm stärker betont werden. Daraus ergebe sich „für den einzelnen Christen die Pflicht zur ungeteilten Hingabe an den Nächsten, die sich auch in Rechtsverzicht und Leiden darstellen kann“. In der Stellungnahme des Ökumenischen Arbeitskreises der Oberlausitz hieß es, die „Konfrontation profilierter theologischer Aussagen“ verschiedener Konfessionen wäre für das Gespräch hilfreicher gewesen „als eine Zusammenstellung solch geklitterter theologischer Ansichten.“ Außerdem sei vermieden worden, „konkret zu benennen, wer zu handeln hat.“ Es sei doch ein „Unterschied, ob der Einzelne in seiner sozialethischen Verantwortung angesprochen wird oder die Kirche.“ Der Abschnitt 26 enthalte „sicherlich mehr theologischen Sprengstoff, als Theologen wie Laien zu ahnen scheinen.“ Umgekehrt stelle sich die Frage, wie „man letztlich der Gefahr der Schwärmerei entgehen“ wolle, „wenn theologisch keine klare Unterscheidung der beiden Reiche getroffen wird“525. Der Kirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Thüringen übermittelte eine Stellungnahme, die die Gespräche ökumenischer Arbeitskreise und Pfarrkonvente zusammenfasste. Zur ökumenischen Diskussion über eine „Theologie der Revolution“ wurde angemerkt, hier werde zwischen einem engen, auf Gewalt hinauslaufenden, und einem weiten, prozessual zu verstehenden Revolutionsbegriff, unterschieden. Diesbezüglich seien Gespräche mit Vertretern des Marxismus angeregt worden, „bis hin zu dem Vorschlag“, mit ihnen ein Pastoralkolleg abzuhalten. Auf die „jeder Revolution“ innewohnende Gefahr der „Verabsolutierung“ müsse jedoch stets hingewiesen werden526. Die Unterscheidung zwischen einem engen und einem weiten Revolutionsbegriff charakterisierte auch die von der EKU geförderte Tätigkeit des Arbeitskreises Soziologie und Theologie (AST). Die Arbeitsgruppe „Revolution“ diskutierte den in der sowjetischen Besatzungszone 1945 eingeleiteten Umbruch. Oberflächlich gesprochen, könne dieser „durchaus als politische Revolution“ bezeichnet werden; unabhängig davon, dass er von außen in Gang gesetzt worden sei. Gegen Ordnung erging die Spitze, ob „nicht auch Hitler größere soziale Gerechtigkeit geschaffen“ habe. Die Diskussion um Gewalt als christ-

wald) zum Bericht der Theologischen Arbeitsgruppe B, Teil II, der Konferenz Kirche und Gesellschaft (EZA BERLIN, 102/170). 525 Stellungnahme zu „Kirche und Gesellschaft“ des Ökumenischen Arbeitskreises der Oberlausitz (EZA, Berlin, 102/171). Vgl. KRÜGER, Appell, 255. 526 Abschließende Stellungnahme zur Weltkonferenz Kirche und Gesellschaft (Juli 1966) des Landeskirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (EZA Berlin, 102/171).

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142 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) lich legitime ultima ratio verlief dagegen weniger einmütig: Eine Gruppe habe die Rechtfertigung „grundsätzlich“ bestritten, während die andere „Schwierigkeiten“ einräumte, „wann und wo zu diesen letzten Mitteln gegriffen werden“ müsse527. Höchstwahrscheinlich setzten sich auch die evangelischen Jugendgruppen mit dieser Frage auseinander. Wie im Fall der ostdeutschen Evangelischen Studentengemeinden, die sich seit Sommer 1966 mit der – Ende 1967 dann realisierten – Ost-West-Spaltung der ESGiD befassten528, hatte auch die Jugendkammer Ost keine schriftliche Stellungnahme zur Weltkonferenz abgegeben. Der Schwerpunkt lag vielmehr in der „Verbreitung und Diskussion bei Seminaren von Jugendleitern, Jugendpfarrern und in den Gemeinden“, so WolfDietrich Gutsch, Ökumenereferent der Jugendkammer Ost und Leiter der CFK-Jugendkommission (DDR)529. Den kirchlichen Jugendwerken wurde hierfür eine Dokumentation angeboten. Mit Blick auf die westliche Entwicklungspolitik wurde darin kritisch gefragt, ob „der Revolutionär nur deshalb, weil er ein Revolutionär ist, ein Vertreter der Gewalt“ sei. Die „wirkliche Gewalt“ liege vielmehr im Status quo. In Genf sei allerdings klar geworden, „daß auch das politisch notwendige und ethisch gebotene Handeln den Revolutionär schuldig und damit – im eigentlichen Sinne – der Vergebung bedürftig“ mache530. Angesichts der vielen Stellungnahmen zu den oben genannten „Problemkreisen“ dürfte sich auch die ostdeutsche EKD-Vorbereitungstagung für Uppsala531 mit der „Theologie der Revolution“ befasst haben532. Die westdeutschen Delegierten, die sich am nächsten Tag trafen, wurden darüber in Kenntnis gesetzt533. Über die ostdeutschen „Erwägungen zu einer ‚Theologie der

527

Bericht der Arbeitsgruppe 1 „Revolution“ auf der AST-Jahrestagung in Berlin-Weißensee vom 8. bis 12. 1. 1968 (EZA BERLIN, 102/170). Zur Arbeit des AST, WINTER, Kirche, 218–220. 528 Dazu ausführlich, LEPP, Tabu, 705–741. Die Frage, wie sich die Linkspolitisierung der westdeutschen Gemeinden konkret auf die ESG-Arbeit in der DDR auswirkte, muss an dieser Stelle offen bleiben. Vgl. die Erinnerungen von Klaus-Peter Hertzsch, dem damaligen Leiter der Ostberliner Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinden in der DDR, HERTZSCH, 1968, 99f. 529 Brief Gutschs an Pabst vom 5. 2. 1968 (EZA BERLIN, 102/170). 530 „Der Hunger in unserer Welt. Eine Dokumentation“ (EZA BERLIN, 102/170). 531 Zu den Delegierten gehörte auch Elisabeth Adler. Vgl. „Kirchen in der DDR bereiten sich auf Weltkirchenkonferenz vor“. In: ENA, Nr. 10 vom 6. 3. 1968, 6–7. 532 Es konnte kein Protokoll ausfindig gemacht werden. Pabst habe auf Anfrage hin mitgeteilt, „nichts Besonderes“ über sie berichten zu können. Aktenvermerk Krügers über die Besprechung mit Pabst in Prag am 3. 4. 1968 (EZA BERLIN, 6/5932). 533 Protokoll der Arnoldshainer EKD-Vorbereitungstagung für Uppsala vom 22. bis 25. 4. 1968 (EZA BERLIN, 6/5934).

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Revolution‘“ hatte Günter Krusche, Mitarbeiter im Dresdner Landeskirchenamt, die westdeutsche CCIA-Landesgruppe bereits im November informiert. Der AST-Vorsitzende gab zu verstehen, Revolutionen kämen seiner Meinung nach „lediglich“ als ultima ratio in Frage. Die „permanente Revolution“ lehnte er ab. Den Begriff „Theologie der Revolution“ hielt er für problematisch, schließlich erscheine er „zu analog“ zur „Theologie der Ordnung“. Wie Tödt gab auch Krusche vor den CCIA-Mitgliedern zu Bedenken, dass er Shaulls geschichtstheologische Äußerungen für „höchst problematisch“ hielt534. Ordnungs Bericht über die Weltkonferenz, so der Seitenhieb, sei die bislang einzige christliche Äußerung im Bereich der DDR zum Thema Revolution, andererseits aber „ja keine offizielle kirchliche Stimme“. Zur kirchenpolitischen Situation befand Krusche, eine „neue Revolution“ werde in der DDR sicher nicht stattfinden. Auch dort werde man zum „offenen Widerstand“ als ultima ratio stets nur dann aufrufen können, wenn eine „Humanisierung und Öffnung des Bestehenden“ ausgeschlossen erscheine. Ein solcher Tatbestand sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben. Dafür genügte ihm der „Hinweis auf die ‚neuen Revolutionäre‘ [. . .] unter den Kommunisten“, von denen sich Krusche die Bereitschaft zum ehrlichen Dialog erhoffte. Es wäre „äußerst unangebracht, die jungen Marxisten auf Positionen festzulegen, die sie selbst nicht mehr zu beziehen geneigt sind“535. Aufgrund seiner Bemerkungen über die „vielen Spielarten von Sozialismus“ und die „schwere[n] Auseinandersetzungen“ im marxistischen Lager scheiterten Krusches Bestrebungen, seinen Vortrag in den „Zeichen der Zeit“ zu veröffentlichen. Wegen des Prager Frühlings nahm die Redaktion im Sommer 1968 – kurz vor dessen gewaltsamer Niederschlagung – davon Abstand, ihn der staatlichen Zensur als „Versuchsballon“ vorzulegen. Krusche zufolge gehörte auch der innere Zensor Bassarak zu den Bedenkenträgern536. Letzterer warf den westdeutschen Kirchen und dem ÖRK vor, mit den Stichworten „Revolution“ und „Dialog“ nur einen „modischen Trend“ zu bedienen: Dieser gäbe „den ‚fortschrittlichen‘ Nebelschleier“ ab, „hinter dem die Reaktion ihr Geschäft“ betreibe537. Dem Internationalen CFK-Sekretär war nicht entgangen, dass der ÖRKStab die Entwürfe der CFK zum Thema Revolution beanstandete. Bei einem 534 KRUSCHE, Erwägungen, 160. Die Schriftleitung der „Ökumenischen Rundschau“ charakterisierte Krusches Beitrag als „Ergänzung“ zu Tödts Vortrag vor der CCIA-Landesgruppe (ÖR 17 (1968), 138). 535 KRUSCHE, Erwägungen, 162–165. Vgl. ORDNUNG, Christ. 536 Schriftliche Auskunft von Günter Krusche am 15. 7. 2010. Zu Krusches (späterer) Registrierung als IM des MfS, KRONE / SCHULT, Untertan, 120–128. Zu Krusche, oben 24. 537 So dessen Kritik in der westdeutschen „Stimme der Gemeinde“, BASSARAK, Erwartungen, 372. Vgl. DERS., Theologie, 70–87.

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144 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Treffen in Genf wurde führenden Vertretern der CFK Anfang 1968 mitgeteilt, man sei mit den Konzeptionen „Theologie der Revolution“, „Theologie der Gewalt“ und „Theologie der sozialen Gerechtigkeit“ nicht ohne weiteres einverstanden. Die Gefahr einer solch programmatischen Theologie äußere sich in Pragmatismus und im Verlust ihres Kerns. Umgekehrt hielten die CFK-Vertreter dem ÖRK und seinen Mitgliedskirchen – unzutreffend – vor, aus „theologisch uneinsichtigen Gründen prinzipiell“ gegen revolutionäre Gewalt als ultima ratio zu argumentieren538. Um die allgemeine Annäherung zwischen CFK und ÖRK nicht zu gefährden, sorgten nicht-tschechische CFK-Funktionäre zusammen mit sozialistischen Staatsämtern dafür, dass die „Theologie der Revolution“ auf der Dritten Allchristlichen Friedensversammlung nachrangig behandelt wurde539. Die angebliche „Tatsache“, sie sei „einmütig von allen Seiten abgelehnt“ worden, habe zu den „überraschendsten theologischen Ergebnissen“ gezählt. In der Konferenzbotschaft fehlt allerdings der entsprechende Hinweis540. Wie bei den staatlich gelenkten Vorbereitungen für die ostdeutschen Teilnehmer stand das Thema „Revolution“ auch in Prag Anfang April 1968 im Vordergrund, wenngleich ohne theologische Konnotierung541. Auch Rudi Dutschke, der auf Einladung der CFK-Jugendkommission nach Prag gekommen war, um über Tätigkeiten des SDS zu berichten, blieb die dortige Gewaltdebatte nicht verborgen542. Der von Teilen der Jugendkommission unternommene Versuch, das Plenum zur Diskussion über alternative Sozialismus-Modelle zu bewegen, scheiterte aber543. Ostdeutschen Teilnehmern sollte es ebenfalls nicht gelingen, Dutschke zu einem Statement zugunsten der Anerkennung der DDR zu bewe-

538 So der Wortlaut in dem von CFK-Seite angefertigten Protokoll, zit. n. LINDEMANN, Sauerteig, 755f. 539 EBD., 757–759. Angesichts des „Neuen Kurses“ verzichtete das Prager Staatsamt für Kirchenfragen seit Anfang 1968 auf eine weitgehende Beeinflussung der CFK. Auch deshalb war es nicht mehr zu Absprachen mit den anderen Staatsämtern bereit, EBD., 754. 540 LINKE, Revolution, 269; „Botschaft der III. Allchristlichen Friedensversammlung“. In: Stimme der Gemeinde 20 (1968), 273–279. 541 LINKE, Revolution, 276f. Die vorbereitende DDR-Regionalkonferenz tagte unter dem Titel „Friede und Revolution“ (LINDEMANN, Sauerteig, 758). 542 Auf der Vorderseite des Referatmanuskripts von Milan Opočenský, tschechischer WSCFSekretär und Anhänger des christlich-marxistischen Dialogs, welches Dutschke auf der Rückseite mit handschriftlichen Vermerken versehen hatte, stand u. a. die Frage: „What kind of methods can be effective in South Africa, Angola and for other oppressed people?“ (HIS HAMBURG, RUD 250, 02). 543 LINDEMANN, Sauerteig, 761; epd-ZA, Nr. 80 vom 3. 4. 1968, 1–2. Dutschke arbeitete in der Arbeitsgruppe „Neues Bewusstsein und neue Gesellschaft“ (epd-ZA, Nr. 79 vom 2. 4. 1968, 1–2).

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gen. Stattdessen erfuhren sie von dessen Einreiseverbot nach Ost-Berlin. Pabst zufolge forderte Dutschke, der kurz vor dem Mauerbau nach West-Berlin umgesiedelt war, „die Diktatur über das Proletariat“ in seiner alten Heimat „durch die Diktatur des Proletariats“ abzulösen. Dass Dutschke – in Abwandlung des Marxschen Diktums über die geschichtliche Rolle der Gewalt – ausgerechnet die Theologie (der Revolution) zur Geburtshelferin der „alten Gesellschaft, die mit einer neuen“ vermeintlich schwanger ging, auserkor, erscheint jedoch abwegig544. 2.5.3 Genf – Uppsala: Vorbereitungen für die Weltkirchenkonferenz 1968 In der EKD nahmen die Vorarbeiten für die ÖRK-Vollversammlung Mitte 1967 Gestalt an. Der Rat machte auf zwei entsprechende Tagungen aufmerksam. Bei der ersten sollten die Ergebnisse der Weltkonferenz und deren kirchliche Bewertung im Vordergrund stehen. Außer den Genf-Teilnehmern waren eingeladen: der Deutsche Ökumenische Studienausschuss mit Wendland als Vorsitzenden, die Uppsala-Delegierten der westdeutschen Landeskirchen sowie sämtliche mit diesem Themenkomplex befassten Gremien und Personen. Der ÖRK-Stab hatte derartige Regionalkonferenzen angeregt545. Auch der ÖRK-ZA befasste sich auf seiner Jahrestagung mit den kirchlichen Reaktionen auf die Weltkonferenz – Abrecht und Lochman berichteten. Den beiden ostdeutschen Mitgliedern wurde die Ausreise verweigert546. Krüger notierte, trotz „so heiße[r] Eisen wie ‚Theologie der Revolution‘“ sei die erwartet „lebhafte“ Auseinandersetzung ausgeblieben; möglicherweise habe man Uppsala nicht vorgreifen wollen547. Lochman verband mit dem Schlagwort das „wahrscheinlich schärfste theologische Ringen“ auf der Weltkonferenz. Der reformierte niederländische Völkerrechtler Constantijn Patijn fasste die Bandbreite der Meinungen so zusammen:

544 Aktenvermerk Pabsts über die Teilnahme an der Dritten Allchristlichen Friedenskonferenz 1968, zit. n. BESIER, SED-Staat, 480. Vgl. MARX, Kapital, 779. 545 Kommuniqué der Sitzung des Rates der EKD am 10. / 11. 8. 1967 (EZA BERLIN, 2/1769); Brief Hanfried Krügers an den Lübecker Bischof Heinrich Meyer vom 26. 6. 1967 (EZA BERLIN, 6/5950). 546 Außer Martin Niemöller, dem amtierenden ÖRK-Präsidenten, waren folglich nur die sieben westdeutschen ZA-Mitglieder im griechischen Heraklion anwesend, „Ökumene bedauert Ausreiseverbot für Kirchenvertreter der DDR“. In: BSBl, Nr. 36 vom 2. 9. 1967, 2. 547 „Die Weichen sind gestellt“. Undatierter Bericht von der ÖRK-ZA-Tagung in Heraklion 15. bis 26. 8. 1967 (EZA BERLIN, 728/36).

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146 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) „Was meinen wir, wenn wir sagen, dass das Christentum eine revolutionäre Kraft ist? Umformung der Gesellschaft oder gewaltsame Auflösung der alten Ordnung? Oder nur spezielle Spielarten dieses gewaltsamen Umbruchs? Ist es nicht für die christliche Beurteilung der Revolution von entscheidender Bedeutung zu wissen, was sie zerstört und was sie aufrichtet? Revolution als normales Mittel gesellschaftlichen Wandels ist Unsinn. Es fiel mir schwer, den Flirt des ÖRK mit diesem Schlagwort zu verstehen. Ich bin der Meinung, wir sollten das Wort fallen lassen und den Gedanken einer kräftigen Umwandlung der Gesellschaft festhalten.“548

Lochman sprach sich für gewaltlose Revolutionen aus, hielt es aber für die „ständige Pflicht des Christen, selbst gewaltsame Revolutionen zu bewerten und zu verstehen.“ Damit distanzierte er sich von einer Passage in dem von ihm vorgestellten Entwurf für den Sektionsbericht III „Wirtschaftliche und soziale Weltenwicklung“ der kommenden Vollversammlung. Danach könne es „‚Pflicht der Christen‘“ sein, „‚revolutionäre Maßnahmen zu ergreifen‘“549. In der Diskussion, die zwischen einzelnen ZA-Mitgliedern um diesen Satz entbrannte, machte Niemöller von deutscher Seite aus geltend, entscheidend sei, welche Art von Revolution Christen machen dürften. Seiner Meinung nach komme die Teilnahme an blutigen Revolutionen für diejenigen nicht in Frage, „die berufen sind Christus zu folgen.“550 Der umstrittene Absatz wurde dann auch sprachlich entschärft551. Man beschloss ferner, eine Studienkonferenz über die (offenen) theologischen Fragen der Weltkonferenz in der Sowjetunion abzuhalten552. Außer Theologen und „Gesellschaftswissenschaftlern“ sollten auch römisch-katholische Vertreter daran teilnehmen. Mitte Oktober 1967 traf sich der eingangs genannte Personenkreis zur ersten EKD-Vorbereitungstagung für Uppsala. Mit Blick auf die sozialethischen Auswirkungen der Weltkonferenz beanstandete Wendland die unkritische Bejahung des Modernitätsprinzips. Sowohl in den Genfer Dokumenten als auch in „Gaudium et spes“ seien die „sozialen Dämonen“ nicht angemessen berücksichtigt worden553. Dabei dürfte er auch über die Arbeit der Marxismus548

ÖKUMENISCHER RAT

DER

KIRCHEN, Zentralausschuss [1967], 340. Zu Patijn, JÄHNICHEN,

Patijn. 549

Zit. n. ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1967], 52. Das CFK-Mitglied Lochman war direkt involviert in die konzeptionelle Vorbereitung der Genfer Weltkonferenz. 550 Zit. n. EBD. Weitere deutsche Stimmen sind dem Protokoll nicht zu entnehmen. 551 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Sektionsentwürfe, 59f. 552 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1967], 351–353 u. 79. 553 Protokoll(entwurf) der Tagung zur Weiterarbeit an den Ergebnissen der Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft vom 16. / 17. 10. 1967 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain, veranstaltet vom Kirchlichen Außenamt der EKD (EZA BERLIN, 6/5953); „Aus der Nacharbeit der Weltkonferenz Kirche und Gesellschaft und der Vorarbeit für die IV. Vollversammlung des ÖRK Uppsala 1968“ (EZA BERLIN, 99/337).

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kommission der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien berichtet haben, denn auf deren Sitzung fiel am 9. Oktober der Startschuss zur Inangriffnahme eines von Tödt und Rendtorff verantworteten Buchprojekts zur „Theologie der Revolution“554. Über den innerkirchlichen Diskussionsstand gab die – an die EKD-Vorbereitungstagung anschließende – Jahrestagung der westdeutschen Ökumenereferenten Auskunft555: Pastor Armin Boyens, Mitarbeiter im Genfer ÖRK-Stab, erklärte, die Nacharbeit habe in Deutschland später begonnen als in den übrigen Mitgliedskirchen des ÖRK, „genauer gesagt, nachdem“ die Enzyklika „Populorum Progressio“ im Frühjahr 1967 herausgekommen sei. Ungefähr jeder dritte ökumenische Arbeitskreis beschäftige sich mit der Nacharbeit der Weltkonferenz. Gottfried Klapper, Ökumenereferent im Lutherischen Kirchenamt der VELKD, bezeichnete die „Theologie der Revolution“ als das am meisten behandelte Thema. Die Kirchen dürften von dem Revolutionsbegriff aber nicht „zu reichlich“ Gebrauch machen, sonst würde daraus ein „Scherbenhaufen“ Die Weltkonferenz habe letztlich mehr Fragen aufgeworfen als gelöst. Den von der rheinischen Kirchenleitung dafür eingerichteten Ausschuss hielten die landeskirchlichen Referenten für vorbildhaft: Dieser befasste sich u. a. mit der – von Helmut Simon favorisierten – Frage nach einer Theologie des Rechts und dem Begriff „Theologie der Revolution“. Dabei versuche er, die aus den Gemeinden und Kirchenkreisen kommenden Fragen „herauszudestillieren“, um sie dann nach Genf weiterzuleiten; die Genfer Fragen würden umgekehrt aufbereitet und in die Gemeinden gebracht. Hanfried Krüger zufolge werde die Kammer für soziale Ordnung hier keine Hilfestellung geben. Es sei nichts bekannt, was aus der an sie herangetragenen Bitte des Rates geworden sei. Die „Theologie der Revolution“ stand jedenfalls nicht auf ihrer Agenda556. Den westdeutschen Kirchen bescheinigte Krüger nur unzureichendes Interesse an den Themen der Weltkonferenz. Der Vorsitzenden der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland klagte er: „In dieser Richtung wird in unseren Kirchen immer noch viel zu wenig getan, obwohl die Probleme, die der Strukturwandel der Gesellschaft aufwirft, auch von den Kirchen wohl wirklich nicht mehr übersehen werden dürften. Vielfach leben wir jedoch gerade in den von der lutherischen Reformation her bestimmten Kirchen

554

RENDTORFF, 1968, 79. Dazu unten Kap. 3. 7. 3. Entwurf Protokoll der landeskirchlichen Referententagung für ökumenische Aufgaben vom 18. / 19. 10. 1967 in der Akademie Arnoldshain (EZA BERLIN, 6/5208). 556 Vgl. oben Kap. 2. 4. 3.2. Die Kammer stand in ihrer Arbeit zu den sozialethischen Fragen der Weltwirtschaft und der Entwicklungshilfe noch ganz am Anfang. Empfehlungen der Kammer für soziale Ordnung zur Weiterarbeit an Genf für Uppsala, Anhang Rundschreiben des Kammervorsitzenden von Heyl an die Mitglieder dieses Gremiums vom 7. 7. 1967 (EZA BERLIN, 99/336). 555

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148 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) in der alten Vorstellung der zwei Reiche, wodurch eine gewisse Interessenlosigkeit an der ‚Welt‘ entstanden ist und immer noch besteht.“557

Der Weltkonferenz falle das Verdienst zu, die Kirchen aus ihrer „Geruhsamkeit gegenüber der ‚Welt‘ aufgestört“ zu haben. Dieser Prozess habe – „um nur ein Beispiel zu nennen“ – schon im Zweiten Weltkrieg mit der Neuinterpretation von Römer 13 angefangen. Hier sei „nur an den 20. Juli 1944 oder an die von Bischof [Eivind] Berggrav, notabene: einem Lutheraner!, geführte Widerstandsbewegung in Norwegen erinnert“, so Krüger558. Über die Kammer für öffentliche Ordnung wurde auf beiden Arnoldshainer Tagungen nichts vermeldet. Bei ihren Vorarbeiten für die spätere „Friedensdenkschrift“ der EKD rezipierte die gesamtdeutsch besetzte Kammer die Weltkonferenz unter dem Aspekt „Kriegsverhütung und Friedenssicherung“. In einem so benannten Arbeitsvorhaben sollte die – systemübergreifend – deutsche „Verantwortung für die Dritte Welt“ behandelt werden559. Die theologische Unterkommission der Kammer überlegte, ob „eine ethische Neuerfassung der Problematik von Krieg und Frieden“ überhaupt genüge, „also ob ‚Friede‘“ allein als „Erhaltungsordnung“ verstanden werden könne. Dahinter stehe die „weitergehende Frage, ob die traditionelle Unterscheidung von Gesetz und Evangelium für diesen Fragenkomplex“ ausreiche. In der Unterkommission herrschten nämlich „unterschiedliche Akzentsetzungen hinsichtlich des Verhältnisses des Christen zur Welt“: d. h. „entweder Bewährung des Christen in der Welt oder Mitverantwortung des Christen für die Ordnung in der Welt.“560 Als der ungefähre Rahmen der „Friedensdenkschrift“ Ende Mai 1967 feststand, reflektierte die Kammer über die Umsetzung eines größeren Projekts zum Thema „Friedensforschung“. In dem auf fünf Jahre angesetzten Vorhaben sollten auch die bisherigen Kammerarbeiten über bellum iustum berücksichtigt werden. Im Teilbereich „Modellprobleme kirchlicher Ethik“

557

Brief Krügers an Hildegard Leuze vom 20. 6. 1967 (EZA BERLIN, 6/5207). Vortrag Krüger über „Probleme und Ergebnisse der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft“, München 8. 7. 1967 (EZA BERLIN, 6/5953). Es ist durchaus möglich, dass Krüger nicht in München, sondern auf der Sommertagung des Politischen Clubs in der Evangelischen Akademie Tutzing referierte. Dort sollte über die „Frage der politischen Verantwortung der Kirche“ diskutiert werden („Gerstenmaier beim Politischen Club“. In: Evangelisches Gemeindeblatt für München, Nr. 23 vom 4. 6. 1967, 12). 559 Entwurf für die Niederschrift der Kammersitzung am 17. / 18. 2. 1967 in Frankfurt a. M. (EZA BERLIN, 2/1364). An dieser Sitzung nahmen ausschließlich die westdeutschen Kammermitglieder teil. Vgl. die im folgenden Jahr dann veröffentlichte Denkschrift, FRIEDENSAUFGABEN. Dazu auch oben 106 [Anm. 362]. 560 Entwurf für die Niederschrift der Kammersitzung am 17. / 18. 2. 1967 in Frankfurt a. M. (EZA BERLIN, 2/1364). 558

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war angedacht, „einige der großen ethischen Diskussionen innerhalb der EKD“ zu untersuchen, um sie idealtypisch zu verdichten. Als Untersuchungsgegenstände galten: 1. die Atomdebatte; 2. die Kontroverse um die Ostdenkschrift; 3. das Thema Nationalismus; 4. die CFK sowie 5. die „Theologie der Revolution“ in ihrer Shaullschen Lesart561. Mitte März 1968, kurz nach Veröffentlichung der „Friedensdenkschrift“ in der Bundesrepublik, befassten sich die westdeutschen Kammermitglieder mit der Fortführung des Projekts562. Als Diskussionsgrundlage diente ein von Hans Eberhard Bosse, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kirchenkanzlei der EKD, verfasstes Schriftstück über „mögliche Aufgaben“. Im Kapitel „Lehre vom gerechten Krieg oder Theologie der Revolution“ hieß es dazu: „Der ökumenische Wirbel um eine ‚Theologie der Revolution‘ ist ein vorzüglicher Indikator für die neue Problemlage. Das Stichwort von der Theologie der Revolution, wie sehr von Verfechtern und Kritikern einer Klärung bedürftig, weist dennoch darauf hin, daß die heutigen Konflikte nur durch eine politisch-gesellschaftliche Umwälzung lösbar oder reduzierbar sind. [. . .] Die Theologie steht vor der Aufgabe, die Legitimität der Gewalt im neuen Kontext globaler gesellschaftlicher Umwälzungen neu zu überdenken.“563

Wenige Wochen später beschloss die Kammer, die nun virulent gewordene Aufgabe selbst in Augenschein zu nehmen. Angesichts der eskalierenden Studentenproteste rückten die bundesrepublikanischen Gesellschaftsbezüge dabei in den Vordergrund564. Seit dem 13. DEKT Ende Juni 1967 setzte sich auch dessen ständiges Büro mit der „Theologie der Revolution“ auseinander. Wie bei der Kammer für öffentliche Verantwortung wurde dieses Interesse durch kritische Anfragen der gerade entstehenden (modernen) Friedens- und Konfliktforschung genährt. Diese war dazu übergegangen das bis dato „enge“ Friedens- und Sicherheitsverständnis zu erweitern, indem sie die innerstaatliche, gesellschaftliche Dimen-

561

Dritter Entwurf [Juni 1967] der Beratungsunterlage für das Projekt „Friedensforschung“: „Der Beitrag von Theologie und Kirche zum Frieden im wissenschaftlich-technischen Zeitalter“ (EZA BERLIN, 2/1364). 562 Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich das MfS herauszufinden, welche Christen aus der DDR an der Ausarbeitung der für subversiv erachteten Denkschrift beteiligt gewesen waren, LEPP, Tabu, 644–647. 563 Hans Eberhard Bosse, Kriegsverhütung und Friedenssicherung. Mögliche Aufgaben der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für öffentliche Verantwortung, März 1968. Anhang Rundschreiben Wilkens’ an die Kammermitglieder, 7. 3. 1968, Hervorhebung im Original (EZA BERLIN, 2/1365). 564 Vgl. unten Kap. 3.6. Zur Genese der späteren Denkschriften über sowohl zwischenstaatliche (1969) als auch innerstaatliche Gewaltanwendung (1973), unten Kap. 4. 5. 1.

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150 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) sion des Friedens in ihre Analyse miteinbezog565. Ende 1967 betonte der Generalsekretär des Kirchentags, Hans Hermann Walz, in einem vertraulichen Papier den Zusammenhang zwischen dem Ziel des Weltfriedens und dem „speziellen Problem“ der Teilnahme von Christen an Revolutionen. Man könne die in „gewissen Gebieten“ für Christen „härter“ gestellte Gewaltfrage nicht isoliert, „mit einem gläubigen Dafür oder einem erschreckten Dagegen“ behandeln, „wenn man sich weigert, sie in den größeren [. . .] Zusammenhang des Weltfriedens zu stellen.“ Da „bei uns weithin eine Konfliktethik als Teil einer für die heutige Gesellschaft relevanten christlichen Sozialethik“ fehle, könne „ein Beitrag zur Schaffung von Spielregeln der Konfliktreduzierung und Konfliktskanalisierung“ auch in der Bundesrepublik hilfreich sein566. Einen ebenfalls auf die westlichen Gesellschaftsverhältnisse bezogenen – in der Analyse stärker (neo)marxistisch ausgerichteten – Ansatz verfolgten die politisierten Evangelischen Studentengemeinden. Zu deren „Genf“-Rezeption äußerte sich Hartmut Dreier, Ökumenereferent der ESGiD, auf der Arnoldshainer Tagung der Ökumene-Referenten. Zum besseren Verständnis sei bemerkt, dass die Linkspolitisierung der einzelnen Gemeinden gerade von den überregionalen Leitungsgremien zusammen mit der Geschäftsstelle gefördert und koordiniert wurde567. Dreier nach befinde sich die ökumenische Arbeit der westdeutschen Studentengemeinden in den Händen eines winzigen geschlossenen Personenkreises568. Im Moment seien die „Fragen von der Revolution virulent. Die linksradikalen Studenten haben dieses Thema auf den Tisch geknallt“. „Der beste Beitrag, den wir für die Entwicklung in Afrika und Asien leisten können“, sei, so Dreier, „eine Revolution bei uns“ daheim. Bei den Studenten komme das gut an. Shaulls Aufsatz habe sie sehr beschäftigt. „Plötzlich“ entdeckten sie eine „Parallelität der Interessen“. Die Hochschullehrer fragten sich „zusammen mit den Kirchenämtern“, ob die Studenten „zu 565

KOPPE, Geschichte, 51. Zum Kirchentag, oben 115–117. Auch mit Blick auf die spätere Erörterung der Gewaltthematik sei hier auf den engen Austausch zwischen der Kammer für öffentliche Verantwortung und der Heidelberger FESt verwiesen. Vgl. etwa den Bericht des Westberliner Kammermitglieds Eva Knobloch über ihren kürzlichen FESt-Besuch vom 23. 10. 1967. Darin charakterisierte sie Tödts CCIA-Vortrag über die „Theologie der Revolution“ als Beitrag zur Friedensforschung (EZA BERLIN, 2/1364). 566 Hans Hermann Walz, Der Kirchentag Hannover 1967 im Blick auf die Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft Genf 1966 und die Vollversammlung des Ökumenischen Rates Uppsala 1968 (EZA BERLIN, 99/337). 567 Hierzu wie auch zur Quellenproblematik im Bereich ESG, unten Kap. 3.2. 568 In den „progressiven“ Gemeinden machte sich auch der Einfluss der CFK bemerkbar. An der Westberliner FU existierte schon seit längerem der gemeinsame Arbeitskreis „Theologie der Revolution“, ESG-information. Evangelische Studentengemeinde an der Freien Universität, Nr. 5, Mai 1965 (APO-Archiv BERLIN, 451–452).

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linkspolitisch geworden sind.“ Angesichts des Konflikts führender EKD-Vertreter mit den Leitungsgremien der ESGiD um deren Trennungsbeschluss sprach sich Klapper dafür aus, den Dialog mit der ESG nicht abreißen zu lassen569. Auf das Anfang 1968 (angeblich) noch immer unbehobene Informationsdefizit in den Kirchengemeinden macht folgender Vorgang aufmerksam. Mit dem Ziel, die „Genfer“ Nacharbeit dort stärker voranzutreiben, übersetzten Mitarbeiter der Kirchengemeinde Fischbach/Saar einen in den USA weit verbreiteten Bericht über die Weltkonferenz, der auch die Gewaltfrage tangierte570. Zu einer nennenswerten Verbreitung kam es aber nicht. Nachdem die rheinische Kirchenleitung einen Druckkostenzuschuss verweigert hatte, wandte sich einer der Projektverantwortlichen – privat selbst Teilnehmer der Weltkonferenz – an das Kirchliche Außenamt der EKD. Der Presse, den Landeskirchen „und leider auch weithin“ der EKD warf er vor, das getan zu haben, was nach den Worten des ehemaligen ÖRK-Generalsekretärs Visser ’t Hooft „‚unmöglich‘“ sei: Im Gegensatz zu Radio und Fernsehen hätten sie die Weltkonferenz „ignoriert“571. Leider müsse „gefragt werden, ob dies alles weiter reicht als bis zu den ‚oberen Zehntausend‘ in Kirche und Theologie“. Die „Schallmauer des Schweigens“ sei zu durchbrechen572. Krüger wandte sich daraufhin an das Landeskirchenamt. Dem Kirchlichen Außenamt der EKD käme eine größere Verbreitung sehr gelegen, schließlich sei „der Fragenkreis ‚Kirche und Gesellschaft‘“ in Deutschland nur auf „Spezialisten“ beschränkt, „während dieses Büchlein gerade für eine volkstümliche Darstellung der Probleme“ sorge. Letztlich bleibt offen, ob die rheinische Kirchenleitung sich von Krüger umstimmen ließ und den Druckkostenzuschuss für die Broschüre gewährte573.

569

Entwurf Protokoll der landeskirchlichen Referententagung für ökumenische Aufgaben vom 18. / 19. 10. 1967 in der Akademie Arnoldshain (EZA BERLIN, 8/5208). Zum ESGiD-Trennungsbeschluss, LEPP, Tabu, 722–724. 570 MOSLEY, Christen, 22f. u. 29. Vgl. DERS. Christians. 571 In einem Interview gab Visser ’t Hooft wenig später zu verstehen, er verspüre „keine große Vorliebe“ für den missverständlichen Begriff „Theologie der Revolution“. Es sei aber „nicht uninteressant gewesen“, zu vernehmen, dass man „gerade in Deutschland“ so geredet habe, als ob der ÖRK „auf einmal eine ganz revolutionäre Bande geworden sei.“ Als Niederländer komme er persönlich aus einer „anderen Situation“. („Die Zeit der mutigen Schritte. 20 Jahre Ökumenischer Rat – Ein Gespräch mit Willem A. Visser ’t Hooft“. In: DASBl, Nr. 7 vom 18. 2. 1968, 14). 572 Brief Pfarrer Hans Unfrichts an Krüger vom 6. 2. 1968 (EZA BERLIN, 6/5953). 573 Brief Hanfried Krügers an OKR Arnold Friedrich Nieland vom 7. 2. 1968 (EZA BERLIN, 6/5953). Laut Unfricht habe die Kirchenleitung beanstandet, nicht im Vorfeld über das geplante Projekt unterrichtet worden zu sein. Brief Pfarrer Unfrichts an Krüger vom 6. 2. 1968 (EZA BER-

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152 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Ihre eigenen – von den landeskirchlichen Ökumenereferenten für vorbildlich erachteten – Anstrengungen standen dagegen auf einem anderen Blatt. Zu den „Uppsala“ vorbereitenden Stellungnahmen, zählte ein von Klaus-Martin Beckmann, Referent im Sozialwissenschaftlichen Institut der rheinischen Landeskirche, verfasstes Papier zum Thema „‚Rasse‘ und ‚Revolution‘“: Wegen der Deutschlandfrage berge „soziales oder politisches Engagement“ in sich „die Gefahr der Kirchenspaltung“, und zwar im Westen wie im Osten „und im Verhältnis von Ost und West“, so Beckmann. In diesem Zusammenhang nannte er die in der Bundesrepublik diskutierte Obrigkeitsfrage. Die hiesige evangelische Theologie müsse dennoch offen sein für die drängenden Probleme anderer Völker, zumal diese Fragen „alle in das kirchliche Denken und Handeln ‚zuhause‘ zurückschlagen“, etwa durch die „revolutionäre[n] Gruppen des Unbehagens“ in der Bundesrepublik574. Ein vom Kirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover initiierter Ausschuss kritisierte, die Berichte der Weltkonferenz für Uppsala unterschieden nicht zwischen Christen und Kirchen. Der einzelne Christ sei allein als Bürger zum politischen Denken und auch Handeln berufen. Die Kirche hingegen könne „nicht primär eine politische Aktionseinheit“ sein. Nur „in Ausnahmefällen“ werde sie über verbale Äußerungen hinausgehen. Mit Blick auf die Weltkirchenkonferenz hieß es: „Wir grenzen uns damit ab gegen eine Theologie, nach der ‚Kirche‘ sich erst und nur im Einsatz für politische oder gesellschaftliche Aufgaben konstituiert.“575 Die EKD veranstaltete Anfang März eine Informationsveranstaltung für die kommende ÖRK-Vollversammlung – dies vor dem Hintergrund der Studentenunruhen576. Christian Walther referierte über Möglichkeiten und Grenzen einer „Theologie der Revolution“. Die Theologie gleiche derzeit einem „Gummiband mit unbegrenztem Ausdehnungseffekt“. Fraglich bleibe nur, „wann es LIN,

6/5953). Unfricht galt als sehr schwieriger Charakter. Laut seiner Personalakte lag er mit der Düsseldorfer Kirchenleitung des Öfteren im Clinch (AEKR DÜSSELDORF, 1 OB009/U 19). 574 Klaus-Martin Beckmann, „Rasse“ und „Revolution“ als Fragen ökumenischer Sozialethik. Stellungnahme zu Genf (EZA BERLIN, 6/5929). Beckmanns Beitrag war bei weitem nicht die einzige Stellungnahme der rheinischen Landeskirche zur Revolutionsthematik. Vgl. etwa das anonyme Manuskript „Soziologische Trends revolutionärer Bewegungen“ (EBD.). Weitere kirchliche Stellungnahmen – auch aus der Bundesrepublik, jedoch nicht zur „Theologie der Revolution“ – wurden vor Beginn der ÖRK-Vollversammlung von der ÖRK-Studienabteilung veröffentlicht. „Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft – Kirchliche Stellungnahmen“. In: ÖD 4 (1968), H. 2, 51–62. 575 Stellungnahme zu einigen Ergebnissen der Genfer Konferenz für Kirche und Gesellschaft, Hervorhebung im Original (EZA BERLIN, 6/5953). 576 epd-ZA, Nr. 52 vom 1. 3. 1968, 7. Zur medialen Bedeutung dieser Veranstaltung, unten Kap. 3.1.

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Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“

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dann doch einmal“ reiße. Die „Theologie der Revolution“ sei jedoch keinesfalls neu. Dies belegten die Beispiele Thomas Müntzer, die Münsteraner Wiedertäufer und die Religiösen Sozialisten. Neuartig für die gegenwärtige „Theologie der Revolution“ sei: 1. eine „neue Erfahrung der Geschichte“, d. h. keine „ewige Wiederkehr des Gleichen“; 2. sie sei Ausdruck für die „Ordnung und Gestaltung der Gesellschaft“ im Sinne einer Bereitschaft zu politischer Verantwortungsübernahme; 3. stehe sie sinnbildhaft für die „universelle Solidarität mit leidenden Menschen“577. Es sei daher „äußerst kurzsichtig, in den revolutionären Strömungen der Gegenwart nur Staats- und Wohlstandsverdrossenheit oder Rabaukentum zu sehen.“ Diese mögen sich zwar „hier ebenso ankristallisieren wie Geschmack- und Taktlosigkeiten“, etwa die in Genf 1966 „allen Ernstes“ erhobene Forderung, „kirchliche Ausbildungsstätten für Guerilleros“ einzurichten. Zumindest in „kirchlich orientierten Kreisen“ seien die zuletzt genannten Denk- und Verhaltensformen, so die vorsichtige Einschätzung, „nicht das eigentliche Antriebsmoment.“578 Für einen vorsichtigen, die Ambivalenzen stärker berücksichtigenden Umgang mit der Revolutionsthematik plädierte auch die ÖRK-Konsultation über die (offen) theologischen Fragen der Weltkonferenz. Zu der sechstägigen Veranstaltung waren allein vier westdeutsche Theologen im März nach Sagorsk, nahe Moskau, angereist. Die insgesamt 40 Teilnehmer einigten sich über die Notwendigkeit, den Revolutionsbegriff theologisch genauer zu erörtern579. Dem Zugang dienten folgende Punkte: 1. Angesichts der eschatologischen Totalerneuerung solle die Theologie stärker das dynamische Verhältnis zwischen den Faktoren „Ordnung“ und „Gerechtigkeit“ herausarbeiten; 2. Christen müssten ihre Kräfte dem Versöhnungsdienst widmen, um einen „gewaltlosen Verlauf“ des revolutionären Umbruchs zu bewerkstelligen oder – falls dies „unmöglich“ sei – die Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren. Jene Christen, die sich „gerade um ihrer Verantwortung willen“ an revolutionärer

577

Die Auflistung, die man durchaus mit einem Hinweis auf die DC ergänzen oder fortsetzen könnte, ist in der veröffentlichten Fassung nicht enthalten, WALTHER, Theologie; „Revolution und was danach?“ Bemerkungen zur gegenwärtigen Theologie der Revolution. Vortrag, gehalten am 1. 3. 1968 in Hannover – Informationsgespräch, von Christian Walther, Genf (EZA BERLIN, 6/5953). 578 WALTHER, Theologie, 221f. 579 Außer Tödt, Wendland und dem Hamburger Neutestamentler Ulrich Wilckens zählte der Wuppertaler Systematiker Wolf-Dieter Marsch zu den Anwesenden. Ostdeutsche Theologen und Laien nahmen an der Konsultation, die Repräsentativität für die im ÖRK vertretenen „Haupttraditionen und geographischen Gebiete“ beanspruchte, nicht teil („Theologische Fragen im Bereich von ‚Kirche und Gesellschaft‘. Erklärung der Konsultation in Sagorsk“. In: ÖD 4 (1968), H. 2, 75–87, 75 u. 81f).

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154 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) Gewalt beteiligten, seien auf „das Verständnis, die Sympathie und die Gebete“ der Mitchristen angewiesen; 3. Die Theologie müsse klar stellen, dass das Ergebnis jeder Revolution immer noch „Welt“ sei und nicht das Reich Gottes. Auch sie könne die „Mehrdeutigkeit politischer Ethik“ nicht beseitigen. Die „Universalität der Kirche“ solle daran erinnern, „daß auch unser politischer Gegner oder Feind im vollen Sinne Mensch ist.“ Die Theologie sei aufgefordert, den Kirchen bei der „Linderung des durch Revolution verursachten Leidens“, Hilfe zu leisten. 4. Angesichts der interdependenten Vernetzung nationaler Wirtschaftssysteme müsse auch die mit Revolutionen einhergehende Gefahr der „Hungersnot und des Elends in vielen Teilen der Welt“ Berücksichtigung finden. Dies dürfe aber nicht zum „bloßen Festhalten am Status quo“ führen. Die „jetzigen nationalen und internationalen Strukturen“ seien mittelfristig jedenfalls nicht imstande, den „Hungertod von Millionen Menschen“ zu verhindern; sie kämen daher „teilweise ‚destruktive[n] Strukturen‘“ gleich580. Wolf-Dieter Marsch würdigte die Konsultation als einen über viele „Vorbelastungen“ aufklärenden „Gewinn“. In den „‚alten‘, westlichen Kirchen“ habe man unter „Revolution“ bislang einzig „den – zudem gewaltsamen – Aufruhr gegen Gottes Weltregiment, Umsturz der bestehende[n] Staatsgewalt, Chaos und Anarchie“ verstanden. Den auf der Weltkonferenz anwesenden Theologen sei wiederum vorzuwerfen, das Thema „vielleicht zu unkritisch und unpräzise zur Diskussion“ gestellt zu haben. Mit ihren bewusst vorläufig charakterisierten Ergebnissen habe die Konsultation jedenfalls einen wichtigen „Brückenschlag zwischen Genf und Uppsala“ geleistet581. Eine solche Funktion wurde auch der westdeutschen Vorbereitungstagung der EKD beigemessen, die unter dem Eindruck der „Osterunruhen“ am 22. April 1968 in Arnoldshain begann. Laut Karl-Alfred Odin gehe es in Uppsala um die „Kardinalfrage“: „Wie stellt sich die Kirche zur Revolution?“. Da Odin die Gewaltdebatten von März 1968 bis Mitte der 1970er Jahre als Stimme der FAZ im Bereich Evangelische Kirche begleitete, sei der 1922 in Leipzig geborene Publizist kurz vorgestellt: In Kriegsgefangenschaft begann der studierte Jurist und Philosoph sich für evangelische Theologie zu interessieren. Nach dem Zweitstudium leitete Odin bis 1961 den epd-Landesdienst Hessen-Nassau. Bis zu seinem Ruhestand arbeitete er dann für die FAZ als Redakteur und Reisekorrespondent. In deren Nachruf wurde er als ein Publizist gewürdigt, der großes kirchliches Ansehen genoss, „gerade weil er sich zu einer bestimmten Richtung nicht zuordnen ließ. Es hieße zu vereinfachen, wollte man ihn 580 JANOWSKI, Studientagung, 265f.; „Theologische Fragen im Bereich von ‚Kirche und Gesellschaft‘. Erklärung der Konsultation in Sagorsk“. In: ÖD 4 (1968), H. 2, 82–84. 581 MARSCH, Sagorsk, 303 u. 306.

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Deutsche Kontroversen um eine „Theologie der Revolution“

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als einen Verfechter der Mitte beschreiben.“ Im Verhältnis der Kirchen zur Politik „sah Odin eine schwierige Balance; ein Sichfernhalten wäre ihm als Weltfremdheit erschienen, der heiklen Sache des Sicheinlassens war er sich bewußt.“ An den Kirchen in der DDR konnte er dies „studieren“, „zumal an der heimatlichen sächischen Landeskirche“582. Zur Einführung der von Odin kommentierten EKD-Tagung betonte Ulrich Scheuner den Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit. Man dürfe nicht Gewalt „in internationalen Konflikten ablehnen und gleichzeitig Bürgerkriege und Revolution befürworten“583. Mit Blick auf das übergeordnete Thema der ökumenischen Vollversammlung „Siehe, ich mache alles neu!“584 konstatierte Scheuner, in Uppsala müssten sämtliche Stellungnahmen am „Fundament theologischer Art, das man mit der Theologie der Revolution zu errichten gesucht“ hatte, ansetzen. Deren Shaullsche Lesart dürfte die in Arnoldshain anwesenden Jugendteilnehmer585 ebenso interessiert haben wie die nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in heimischen Gefilden brisant gewordene Frage, wie die „Repression der ‚violencia blanca‘ gebrochen“ werde könne586. Auch deshalb sei es in Arnoldshain „ziemlich lebhaft“ zugegangen. Doch „gerade das“ sei von den Jugendteilnehmern für „anregend“ empfunden worden, gab Krüger dem Ökumenereferenten der AGEJD, Konrad Lübbert, zu verstehen. Diesen Eindruck hätten sie ihm persönlich gegenüber bezeugt587. Lübbert dürfte dies wiederum erfreut haben, denn aus seiner Zustimmung zur sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO) und den Sozialismus-Parolen der Studentenbewegung machte er keinen Hehl. Auch aus diesem Grund hatte der AGEJD-Vorstand ihm wenige Wochen zuvor die Kündigung ausgesprochen, sie später jedoch wieder zurück genommen588.

582

ODIN, Vorbereitung; „Fest in der Überzeugung und ohne Falsch“. In: FAZ, Nr. 38/7 vom 13. 2. 1992, 5. 583 Protokoll der Arnoldshainer EKD-Vorbereitungstagung für Uppsala vom 22. bis 25. 4. 1968 (EZA BERLIN, 6/5934). 584 Das Thema war bereits Anfang 1965 festgelegt worden, ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1965], 48–51. 585 Dieser Personenkreis wurde nicht von den ÖRK-Mitgliedskirchen delegiert. Dazu unten Kap. 3. 7. 1. 586 Referat Scheuner mit dem Vermerk „Vom Verfasser nach der Tonbandabschrift hergestellte Kurzfassung“ (EZA BERLIN, 6/5934). 587 Brief Krügers an Pfarrer Konrad Lübbert vom 17. 5. 1968 (EZA BERLIN, 6/5934). 588 Zu den Hintergründen, LEPP, Tabu, 648.

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156 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968)

2.6 Zusammenfassung Zu Recht konstatierte eine Studie rückblickend, die „Theologie der Revolution“ ist ein „legitimes Kind der ökumenischen Sozialethik. Ihre Geburt fand nicht erst 1966 auf der ‚Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft‘ statt, wie viele meinen“589. Die Globalisierung des ÖRK und die damit einhergehende Verschränkung des Ost-West-Konfliktes mit dem Nord-Konflikt zeitigte eine thematische Neuorientierung in der ökumenischen Studienarbeit der frühen 1960er Jahre. Vertreter der „jungen“ Kirchen Afrikas und Asiens nutzten die ökumenische Bühne, um auf die gesellschaftlichen Folgeprobleme der Dekolonisation aufmerksam zu machen. An die westlichen Mitgliedskirchen gerichtet, formulierten sie kritische theologische, mit politischen Implikationen behaftete Fragen: etwa nach dem für Christen und Kirchen angemessenen Verhalten in sozialrevolutionären Umbrüchen. Im Anschluss an seine früheren Untersuchungen über „Rapid Social Change“ griff der ÖRK diese Fragen auf. Die nach der Kubakrise vordergründig eingeleitete Entspannungspolitik bestätigte ihn in seinem Ansinnen, die bislang unter zwischenstaatlichen Vorzeichen verhandelte Friedensfrage unter dem Aspekt innerstaatlicher Gewaltanwendung neu zu erörtern. Die daraus hervorgegangenen Erkenntnisse bildeten schließlich den ersten Ansatz zur Formulierung einer ökumenischen Theologie im Kontext von Revolutionen. Wesentliche Impulse lieferte die von den Ostblockstaaten gesteuerte Christliche Friedenskonferenz. Ihre Revolutionsanalysen über den anti(neo)kolonialen Kampf stießen im ÖRK jedoch auf theologische Skepsis. In der Programmatik seines linkspolitisierten Genfer Stabes manifestierte sich dessen ungeachtet die – im erweiterten ÖRK vorherrschende – Tendenz, den Steuerungs- und Planungsoptimismus der 1960er Jahre ins Theologische zu übersetzen. In den westdeutschen Landeskirchen blieb die Beschäftigung mit „Rapid Social Change“ auf ökumenische Sozialethiker begrenzt. Aufgrund ihrer Eigenschaft als letzte gesamtdeutsche Klammer beschäftigte sich die EKD mit den Grundfragen christlicher und kirchlicher Existenz in den Gesellschaftsordnungen beider deutscher Staaten. Angestoßen durch die „Obrigkeitsdebatte“ und die wenig später „zementierte“ deutsche Teilung, begann in den ost- und westdeutschen Landeskirchen ein Reflexionsprozess über das theologische Selbstverständnis der EKD. Ihre nationalstaatlich definierte Funktion als Klammer wurde unter dem Ratsvorsitz von Kurt Scharf zur historisch-moralischen Verantwortungsgemeinschaft umkodiert. Der ihr aufgetragene, genuin christlich

589

HOFFMANN, Kreuz, 11.

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Zusammenfassung

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motivierte Friedensdienst sollte damit auch vor ideologischen Vereinnahmungsversuchen geschützt werden. Angesichts der Klagen über einen kirchlichen Reformstau in Ost und West erklang die Forderung, den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen stärker an der jeweiligen Gesellschaftsentwicklung auszurichten. Die EKD unternahm daher eigene Anstrengungen zur Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik. Die dadurch weiter forcierte Polarisierung des Protestantismus offenbarte sich auf politischem und theologischem Terrain. Anlässlich der Ostdenkschrift wurde der EKD vorgeworfen, sich über ihr kirchliches Mandat hinweg in die Politik eingemischt zu haben. Nationalistische protestantische Kreise hielten ihr vor, vom „Vaterland“ abgefallen zu sein und einen internationalistischen „Linksprotestantismus“ zu predigen. In den Kirchengemeinden formierte sich Widerstand gegen die vom massenmedialen Religionsjournalismus zunächst hofierte „Moderne Theologie“. Ein Vorgang, der parallel zur Berichterstattung über die Entkirchlichung den Eindruck erweckte, als handele es sich bei den religionsjournalistisch oft zugespitzt dargestellten akademischen Entwürfen um ein weiteren Beleg für die Säkularisierungsthese. Nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils entstand so das verzerrende und simplifizierende Bild einer reformunwilligen bzw. dazu unfähigen Evangelischen Kirche. Ging es Medien wie dem „Spiegel“ etwa nur darum, das nicht Offenkundige sichtbar zu machen: die reformerischen Aufbrüche auf katholischer Seite und die konservativen Tendenzen auf protestantischer Seite?590 Bezeichnend dafür wurde die international beachtete Genfer Weltkonferenz von der westdeutschen Presse geradezu ignoriert. Ihre Vorgeschichte und Konzeption ließ erwarten, dass die Gewaltfrage ein zentrales Thema sein würde. Außen stehenden Interessenten blieb dieser Umstand jedoch verborgen. Selbst in theologischen Fachzeitungen wurde nur auf die im Englischen positiv konnotierte Vieldeutigkeit des in Deutschland historisch vorbelasteten Revolutionsbegriffs hingewiesen. Diesen Sachverhalt aufgreifend, postulierte HeinzDietrich Wendland in Genf eine theologische Theorie der Revolution. Als geläuterter ehemaliger Vertreter deutscher Ordnungstheologie stellte er sie in den Dienst der Ideologie- und Utopiekritik. Der US-Amerikaner Richard Shaull formulierte die Gegenposition. Seiner These nach offenbarte sich Gott im lateinamerikanischen Guerillakampf. Die Analogien zur Geschichtstheologie der nationalsozialistischen DC waren offenkundig. Die von den westdeutschen Teilnehmern geteilte Position spiegelte sich in den Konferenzergebnissen größtenteils wider. Es wurde abgelehnt, Gewaltlo-

590

Vgl. LEPP, Ergebnisse, 244.

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158 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) sigkeit zur einzigen Handlungsform für Christen in gesellschaftlichen Konflikten zu erklären. Der kasuistisch nicht fassbare Grenzfall christlicher Gewaltanwendung als ultima ratio blieb dahingestellt. Die eschatologische Romantisierung der Revolution wurde jedoch ebenso verworfen wie der Gedanke, bestehende Gesellschaftsstrukturen mit einer ewigen göttlichen Ordnung gleichzusetzen. Helmut Gollwitzer warnte – ausgerechnet vor der CFK –, die Forderung nach Gewaltlosigkeit ideologisch zu instrumentalisieren. Nachdem er die Gültigkeit der Lehre vom Gerechten Krieg im atomaren Zeitalter auf der Weltkonferenz bestritten hatte, postulierte er, sich auf den MarxismusLeninismus berufend, ihre Wiederbelebung als Lehre von der Gerechten Revolution. Die übrigen westdeutschen Konferenzteilnehmer widersprachen. Die Debatte über eine „Theologie der Revolution“ fand weiterhin nur in theologisch-kirchlichen Medien statt. Umstritten waren weniger ihre sozialethischen als vielmehr geschichtstheologischen Aspekte. Der unter ökumenischen Vorzeichen geführte Diskurs wurde durch die Veröffentlichung der päbstlichen Enzyklika „Populorum Progressio“ inhaltlich und personell erweitert. Das politisch instabile Lateinamerika bildete die gemeinsame Referenz. Zu den gesellschaftlichen Fragen der Bundesrepublik wurden (noch) keine unmittelbaren Bezüge hergestellt. Die EKD sah in der Weltkonferenz einen Beleg für das weiter geschwundene Interesse im ÖRK, sich mit der Deutschlandfrage auseinanderzusetzen. Es reifte die Erkenntnis, dass künftig andere Konflikte über den Weltfrieden entschieden. Der Ratsvorsitzende sah die darin Chance, das neu definierte theologische Profil der EKD zu stärken. Vor der Synode erläuterte Scharf den ethischen Zusammenhang zwischen dem christlichen Gebot der Friedenssicherung und der Frage nach einem christlichen Revolutionsrecht. Die in antagonistischen Gesellschaftsordnungen operierende EKD hielt er für geradezu prädestiniert, einen Beitrag zum Weltfrieden zu erarbeiten. In Anlehnung an Dietrich Bonhoeffer und das Eisenacher Friedenswort von 1948 stellte er allerdings klar, dass die Theologie der Reformation keine Gewalt segnende „Theologie der Revolution“ an ihrer Seite haben könne. Die antipluralistische Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher polemisierte gegen Scharf und suchte den Schulterschluss mit der „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“. Das Thema „Theologie der Revolution“ war für sie der Schlüssel, sich in den Streit um die „Moderne Theologie“ einzuschalten. Die – nach ihrem Selbstverständnis – unpolitische Bekenntnisbewegung sollte zudem als Bündnispartner für die eigene politische Agenda, den Kampf gegen den von ÖRK und CFK geförderten „Linksprotestantismus“ in der EKD, gewonnen werden. Deren vermeintlich linke Unterwanderung sah man durch den vielerorts in Gang gekommenen christlich-marxistischen Dia-

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Zusammenfassung

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log belegt. Der im Zeichen der Studentenproteste stehende DEKT rief auch die Bekenntnisbewegung auf die Barrikaden. Der Streit um die historisch-kritische Exegese verschärfte sich. Schon deshalb achteten die Kirchenleitungen darauf, die Synoden nicht mit dem emotionsbeladenen Schlagwort „Theologie der Revolution“ zu konfrontieren. Durch die Verschränkung der Diskussion um eine Linkspolitisierung des Protestantismus mit dem Streit um die historisch-kritische Exegese erweiterten sich die Bezüge der Debatte um eine „Theologie der Revolution“. Ungeachtet der Unruhe an den Universitäten blieb sie zunächst weiter im kirchlichen Raum verortet. Religionsjournalistische Darstellungen benutzten „Theologie der Revolution“ vereinzelt nur als Aufhänger bzw. Ausdruck einer durch die Studentenproteste vermeintlich manifest gewordenen Säkularisierung. In der kirchlichen Vorbereitung für die Vollversammlung des ÖRK in Uppsala wurde über die geschichtspolitische Frage debattiert, inwieweit es sich bei der Wittenberger Reformation um eine (unvollendete) Revolution handelte. Jüngere, aber auch ältere Theologen postulierten angesichts der Negativerfahrungen des deutschen „Sonderwegs“, den sie mit der antirevolutionären lutherischen Tradition meinten geradlinig begründen zu können, eine politische Theologie. Die in der ökumenischen Diskussion nur beiläufig thematisierte Zwei-ReicheLehre sollte damit „transzendiert“ werden. In entwicklungspolitischen Fragen wurde das Bemühen deutlich, an den Internationalismus-Diskurs der Neuen Linken anzuknüpfen. Der Gewaltbegriff wurde auf (unsichtbare) Gesellschaftsstrukturen ausgeweitet. Der christlich-marxistische Dialog war ohnehin in Mode gekommen. Schon deshalb warnte Heinz-Eduard Tödt vor einer unkritischen Rezeption der Shaullschen „Theologie der Revolution“ seitens junger Theologiestudenten. Zusammen mit anderen (Universitäts)Theologen befürchtete er eine Neuauflage der DC unter linken Vorzeichen. Die Notwendigkeit, die antirevolutionäre Tradition des deutschen Protestantismus „verantwortungsethisch“591 zu überdenken, stellten allerdings auch sie nicht in Frage. In den ostdeutschen Landeskirchen stand das Thema „Theologie der Revolution“ im Schatten der staatlichen Kirchenpolitik. Die SED begegnete dem ÖRK mit größtem Misstrauen. Sie hielt die Themen der Weltkonferenz zwar für geeignet, den Kirchen ein öffentliches Bekenntnis zur Mitarbeit in der „revolutionär“ erkämpften Gesellschaftsordnung abzuverlangen. Der mit der Ostdenkschrift identifizierte Linksrutsch in der EKD und die „konterrevolutionäre“ Reformbewegung in der ČSSR sorgten jedoch für große Irritationen; besonders mit Blick auf die CFK und den in Prag vorexerzierten christlich-

591

Vgl. oben 27.

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160 Konflikte um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ (1961–1968) marxistischen Dialog. Hinter der ökumenischen Debatte um eine „Theologie der Revolution“ witterten SED und Ost-CDU letztlich den Versuch, alternative Sozialismusmodelle zu propagieren. Die in den Landeskirchen erarbeiteten Stellungnahmen spiegelten wiederum eine ideologiekritisch begründete Ablehnung der Shaullschen Geschichtstheologie wider. Wie in den westdeutschen Kirchen betonte eine große Mehrheit, dass auch der Zweck die Mittel nicht heiligen könne. Die Frage nach dem christlichen Gesellschaftsengagement war in der atheistischer werdenden DDR somit aufs Neue gestellt. Den westdeutschen Landeskirchen bescheinigte das EKD-Außenamt hingegen nur unzureichendes Interesse an den Themen der Weltkonferenz. Tatsächlich blieb die Diskussion auf überwiegend akademische Zirkel begrenzt. Im Fall der Evangelischen Kirche im Rheinland gab es dennoch tatkräftige Bestrebungen, den Facettenreichtum der „Theologie der Revolution“ in den Gemeinden zur Diskussion zu stellen. Über die Notwendigkeit ihrer kritischen Erörterung bestand auch im ÖRK Einigkeit. Ihre friedensethischen Bezüge wurden von den Organisatoren des DEKT und der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD beherzt aufgegriffen. Und auch in den politisierten Evangelischen Studentengemeinden nahm das Junktim „Frieden – Revolution“ allmählich Gestalt an.

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3. Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“ Die Thematisierung wie auch Anwendung politisch motivierter Gewalt hielt durch „1968“ Einzug in die Geschichte der Bundesrepublik. Zusammen mit dem Topos „Dritte Welt“ gehörte „Gewalt“ zu jenen „Ursprungsmythen“, aus der die „Bewegung“ ihre Kraft zur Kritik an den vermeintlichen Trägern des westlich-demokratischen „Systems“ – d. h. Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus – schöpfte (Kap. 3.1)1. Auch die westdeutschen Kirchen waren von dem Gewaltdiskurs betroffen, schließlich ergriff die Politisierungswelle auch die protestantische Jugend, besonders die Evangelischen Studentengemeinden (Kap. 3.2 bis 3.6). Die von westdeutschen Medien bislang nur randläufig rezipierte Kontroverse um eine ökumenische „Theologie der Revolution“ stand nun im Zeichen der weltweit „unruhigen“ Jugend (Kap. 3.7). Es stellt sich die Frage, wie der polarisierte Protestantismus sich sowohl in seiner direkten Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung als auch in der öffentlichen Debatte über die Gesellschaftskritik der Neuen Linken, die auch die Institution Kirche betraf, positionierte. Angesichts der bewegungsinternen Querelen in der Gewaltfrage, die eine Radikalisierung der Protestmethoden und schließlich die Spaltung der Neuen Linken bewirkten, soll zudem das Selbstverständnis des „Linksprotestantismus“ genauer untersucht werden (Kap. 3.8).

3.1 Hintergründe Anfang September 1966, nur wenige Wochen nach der Genfer Weltkonferenz, markierte die 21. ordentliche Delegiertenkonferenz des SDS den „Moment, in dem die ‚Unruhe der Studenten‘“ mit Rudi Dutschke ein mediales Gesicht bekam2. Der Prestigegewinn des antiautoritären Flügels im SDS manifestierte sich auch im Beschlussprotokoll, wo den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt besondere Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Der Vietnamkrieg galt nun als

1 2

LEPP, Gewalt, 531; KRAUSHAAR, Achtundsechzig, 80. FREI, 1968, 99.

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

„Modellfall kolonialer Revolution und Konterrevolution“. Der US-Imperialismus, so die Ansicht, gewinne daraus „das technische und taktische Instrumentarium“, „das die erfolgreiche Bekämpfung sozialer Revolutionen“ für „immer und überall“ ermöglichen sollte3. Durch die theoretische Verknüpfung von Marcuses Aufsatz „Repressive Toleranz“ mit den 1965/1966 ebenfalls in deutscher Sprache erschienenen Werken Frantz Fanons und Ernesto „Che“ Guevaras rückte die Debatte über Gewalt als Protestmittel bzw. Instrument zur Herbeiführung eines gesellschaftlichen Wandels im SDS in den Vordergrund4. Der von Dutschke bereits 1966 geprägte Terminus „Stadtguerilla“ war eine Herausforderung für die von der Neuen Linken bis dato praktizierten Aktionsformen des zivilen Ungehorsams5. Die aus ihr hervorgehende Studentenbewegung agierte somit schon früh im „Magnetfeld“ der Gewaltfrage6. Dem entsprach die Tendenz, den Gewaltbegriff auszuweiten. Nicht erst nach den Geschehnissen des 2. Juni 1967 in West-Berlin wurde Gewalt durch Demonstranten visuell und inhaltlich hervorgehoben – selbst in „liberal“ geltenden Medien wie dem „Spiegel“7. Dass die Neigung, den Gewaltbegriff auszudehnen, „gesamtgesellschaftlich“ gegeben war, verdeutlicht auch die im Herbst 1966 ausgelöste Diskussion um die Bewertung von Sitzblockaden: Auch die Gegner des studentischen Protests machten ein weites Gewaltverständnis geltend bzw. entwickelten es. Die gesellschaftliche Problemlage kann – zugespitzt – wie folgt beschrieben werden: „Kein Land der europäischen Zivilisation hat, im gesellschaftlichen Binnenverhältnis nicht weniger als in kriegerischen Expeditionen nach außen, eine so stark mit sozialpsychologischen Mechanismen von Schuld und Abwehr versetzte Gewalterfahrung wie Deutschland. So erweist sich der ’68 weltweit angestoßene Gewaltdiskurs in diesem Lande als besonders kompliziert.“8

Der Gewaltdiskurs der Neuen Linken stellte tradierte obrigkeitsstaatlich-autoritäre Denkstrukturen als „repressiv“ bloß. Die seit Anfang der 1960er sich weiter pluralisierende Gesellschaft sollte gezwungen werden, „konträre Positio3 Zit. n. JUCHLER, Studentenbewegungen, 124. Zur Geschichte des SDS, ALBRECHT, SDS; KRITIDIS, Opposition. 4 MARCUSE, Toleranz; FANON, Verdammten; GUEVARA, Partisanenkrieg. Zu deren Rezeption im SDS, JUCHLER, Studentenbewegungen, 117–125; KLIMKE, Alliance, 266 [Anm. 110]; ZAHAR, Frantz Fanon, 49. Schon zu ihren Anfängen interessierte sich die Neue Linke für Fanons Werk, KALTER, Eigene. Vgl. auch den geistigen Einfluss der im Januar 1966 veranstalteten Trikontinentalen Konferenz im kubanischen Havanna. 5 KRAUSHAAR, Achtundsechzig, 242–245; DERS., Protestkultur. 6 DERS., Achtundsechzig, 82. Dazu skeptisch, GASSERT, 1968, 14. 7 KEPPLINGER, Einfluß, 321. 8 NEGT, Achtundsechzig, 49. Zum späteren „Laepple-Urteil“ des BGH, unten Kap. 3. 8. 3.

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Hintergründe

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nen, aggressiv vorgetragene Ansprüche und provokatives Verhalten“ im offenen Meinungsaustausch zu bewältigen9. Weimars langer Schatten war nicht zu übersehen: Er äußerte sich einerseits in dem konservativen Ruf nach Wiederherstellung von „Ruhe und Ordnung“. Andererseits offenbarte er sich in einem recht eigentümlichen linksintellektuellen Unbehagen an der westdeutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung10. Bezeichnend dafür war die öffentliche Debatte um die Notstandsgesetzgebung. Bereits vor der Bildung der Großen Koalition war auch im kirchlichen Raum „eine zunehmende Verschärfung der Diskussion“ zu erkennen11. Am 2. Juni 1967 erörterte die Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD – in Anwesenheit des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium Ernst Benda – den Umstand, „daß sich gerade kirchliche Gruppen“ in die „Front der Notstandsgegner eingereiht“ hätten. Die Kammer kritisierte „eine alles Maß überschreitende, die legitimen Erfordernisse staatlicher Existenz übersehende oder leugnende und die Träger der Staatsmacht verdächtigende Feindseligkeit. Umgekehrt lässt es auch der Gesetzgeber an dem nötigen Vertrauen auf eine freiwillige Mitwirkung der Bürger an der Bewältigung von Notständen fehlen“.

Man war sich einig, dass es nicht „Aufgabe der Kirche sein könne und müsse, zu den vielen Einzelfragen in der Ausgestaltung der Notstandsgesetzgebung Stellung zu nehmen.“ Noch viel weniger dürfe sie sich „öffentlich in diese Front“ politisch einreihen. Auch zu einer Stellungnahme des Rates der EKD könne „im gegenwärtigen Zeitpunkt und bei der augenblicklichen Sachlage“ nicht geraten werden12. Nach dem Berliner Schah-Besuch und dem Polizeieinsatz vor der dortigen Oper wurden nun aber immer mehr Stimmen laut, die gerade dies forderten. Sowohl die jüngeren als auch älteren (protestantischen) Notstandsgegner sahen sich in ihren Befürchtungen bestätigt. Unter diesem Eindruck sah sich auch die aus den Ostermärschen hervorgegangene „Kampagne für Abrüstung“ – neben dem SDS mittlerweile das politisch-organisatorische Zentrum der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition (APO) – dazu veranlasst, ihr gesellschaftskritisches Profil weiter zu schärfen. Trotz aller Solidaritätsbekundungen betrachtete man die Studentenbewegung mit

9

DOERING-MANTEUFFEL, Grundordnung, 284. GUSY, Schatten; PAYK, Faszination. Im Fernsehen wurde „Ruhe und Ordnung“ als (Anti)parole benutzt, VOGEL, Unruhe, 176–199. 11 NIEMEIER, Kirche [1966], 174. 12 Bericht Ludwig Raisers über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung am 2. 6. 1967 (EZA BERLIN, 2/1370). Der Bericht wurde den Landeskirchenleitungen zugesandt. Eine umfassende Untersuchung der im Folgenden weithin ausgeklammerten (protestantischen) Debatte um die Notstandsgesetze steht noch aus. 10

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

gemischten Gefühlen; nicht zuletzt aufgrund der im SDS propagierten Strategien und Methoden13.

3.2 Die Politisierung des Protestantismus nach dem 2. Juni 1967 Der von Karl-Heinz Kurras, einem Westberliner Polizeibeamten und – wie sich 2009 herausstellte – IM des MfS, verschuldete Tod des Studenten Benno Ohnesorg bestätigte bei vielen im linken politischen Spektrum beheimateten Protestanten ihr Urteil über die Bundesrepublik14. In Heidelberg organisierten Studenten einen Schweigemarsch. Ein gegen Heinrich Albertz, den amtierenden Oberbürgermeister von West-Berlin, gerichtetes Plakat trug die Aufschrift „Vorsicht, Herr Pastor läßt schiessen!“15. Noch in der Nacht zum 3. Juni hatte Albertz voreilig erklärt, die Demonstranten seien für Ohnesorgs Tod verantwortlich16. Anlässlich der Überführung von Ohnesorgs Leichnam drückte Helmut Gollwitzer in einer Gedenkansprache die Hoffnung aus, „dass die Bewegung der Unruhe, des Protestes gegen autoritäre Tendenzen, des Aufbruchs zur Verwirklichung von Demokratie nun auch diesen zurückhaltenderen Teil der Studentenschaft, zu dem Benno Ohnesorg gehörte, ergriffen hat [. . .]. Jeder von euch, die am Freitagabend bei der Demonstration dabei waren, könnte jetzt in diesem Sarge liegen. Jedem von uns kann eines Tages das Gleiche geschehen, solange [sic] Polizei wie bisher belehrt und ausgebildet wird.“17

In einem „Wort an die Berliner“ hatte Bischof Scharf bereits am 6. Juni eine Untersuchung der Ereignisse, samt ihrer „tieferen Ursachen“, eingefordert. Auch wegen der einseitigen – das Vorgehen von Polizei und „Jubel-Perser“ davon ausnehmenden – Kritik, die die Medien des Springer-Verlags am Ver13

OTTO, Ostermarsch, 162f. u. 1969. Außerdem zur Entwicklung der APO, RICHTER, Oppo-

sition. 14 Die schwäbische Pfarrerstochter und spätere RAF-Terroristin Gudrun Ensslin soll noch am Abend des 2. 6. 1967 hysterisch geschrien haben: „Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz – mit denen kann man nicht argumentieren!“ (AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 60; BECKER, Children, 88). Es gibt aber auch Personen, die sich an diese Szene im Republikanischen Club West-Berlin nicht erinnern können, HAUSER, Baader, 127. 15 HILDEBRANDT, Und, 14. Das in dem Schriftzug enthaltene Doppel-S war in Form von SSRunen ausgeschrieben. 16 Zu den Hintergründen, SACK, Reaktionen, 182f.; ALBERTZ, Blumen, 246f. Es ist wohl bekannt, dass er aus diesem Schritt, den er in der Folgezeit zutiefst bedauerte, nicht nur politische Konsequenzen zog, SCHUSTER, Heinrich Albertz, 262. 17 Zit. n. NEVERMANN, Juni, 38.

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halten der Demonstranten übten18, warnte Scharf vor einer weiteren Vergiftung des geistigen Klimas in der „Frontstadt“ des Kalten Krieges. Dabei würdigte er Ohnesorgs pazifistische Haltung, der im Übrigen Mitglied der ESG (FU) war19. Als Reaktion auf dessen Tod wandte sich die ESG per Aufruf an die Westberliner und bat um Verständnis für die Lage der Studenten. Christen sollten sich nicht verführen lassen, „andere Menschen als ‚Subjekte‘ und ‚Elemente‘ zu bezeichnen.“ Vielmehr müssten die „brutale[n] Polizisten zur Rechenschaft gezogen werden! Denken Sie daran, daß das 5. Gebot für alle gilt.“20 Am 5. Juni wandte sie sich erneut per Flugblatt an die Bevölkerung. Es sei nicht richtig, „daß Demonstrationen zu Straßenschlachten“ ausarteten. „Wir rechtfertigen keine Steinwürfe.“21 In der von Niemöller mit herausgegebenen „Stimme der Gemeinde“ wurde dies als ein Akt „besonderer Selbstdisziplin“ gelobt. Man dürfe „diese Studenten“ nicht alleine lassen22. Die örtliche Kirchliche Hochschule solidarisierte sich mit den Studenten und stellte für drei Tage den Lehrbetrieb ein. Zusammen mit dem Lehrkörper veröffentlichte die Studentenschaft eine Resolution, in der an alle Studenten appelliert wurde, sich „der Mittel des gewaltlosen Widerstandes zu bedienen, wie sie Martin Luther King und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung beispielhaft praktizieren.“23 Zuvor hatte Theodor Ebert, Mitarbeiter am OttoSuhr-Institut der FU, über die Planung und Vorbereitung solcher Demonstrationen informiert24. Die Veröffentlichung seiner Dissertation zur „Theorie und Praxis des gewaltfreien Widerstands“ stand kurz bevor. Die anvisierte Buchbesprechung durch Rudi Dutschke im „Spiegel“ kam aber nicht zustande25. Abgesehen von seinen Beiträgen über die „Gewaltfreie Aktion“, so

18

Dafür bezeichnend waren namentlich nicht gekennzeichnete Kommentare wie „Das ist Terror“ (In: Berliner Zeitung Nr. vom 3. 6. 1967, 3) oder „Demonstrieren Ja! Randalieren Nein!“ (In: Bild (Berlin), Nr. 127 vom 3. 6. 1967, 1). Zur Rolle der Berliner Presse als „vierte oder eigentliche Gewalt“, (SACK, Reaktionen, 186–190). 19 SCHARF, Wort, 1; NIEMEIER, Kirche [1967], 169. 20 Zit. n. EBD. 21 ESG an der Freien Universität, Informationsblatt Nr. 5 (APO-Archiv BERLIN, 451–452). 22 KOCH, Studenten, 452f. 23 „‚Freiheit aufs höchste gefährdet‘. Stellungnahme der Kirchlichen Hochschule zu den Unruhen“. In: BSBl, Nr. 25 vom 18. 6. 1967, 3. 24 EBERT, Planung. Das Referat bildete den Auftakt mehrerer Beiträge über gewaltfreie Demonstrationstechniken in der „Jungen Kirche“. 25 DERS., Aufstand. Im Rückblick gab Ebert an, mit Dutschke nur einmal diesbezüglich telefoniert zu haben. Zu diesem Zeitpunkt habe Dutschke das Buch wohl noch nicht gelesen. Das auf ihn verübte Attentat habe die Besprechung dann verhindert. Schriftliche Auskunft von Theodor Ebert am 29. 6. 2010.

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der Titel der ab 1969 von ihm herausgegebenen Zeitschrift, sollte Ebert die spätere Gewaltdebatte in der EKD auch als Synodaler begleiten26. Die sechs Westberliner Studentenpfarrer unterstrichen ebenfalls das Recht auf gewaltlose Demonstrationen. Im Brief an ihre westdeutschen Amtsbrüder konzedierten sie, die bisherigen Mittel seien „nicht immer gut und überzeugend“ gewesen27. Der Münchener Studentenpfarrer Johannes Seiß vermutete ein „grundlegendes Missverständnis vom Sinn der Demonstration“ als ein demokratisches Instrument. Auf einer Hochschulveranstaltung erklärte er, „unreflektierte Vorurteile“ bildeten „ebenso wie politische Abstinenz“ die Voraussetzung für „politische Verführung“. Dies sei all jenen zu sagen, „die Vergleiche zwischen solcher politischen Aktivität und den Massenaufläufen der Nazizeit ziehen zu müssen glauben.“28 Angesichts weiterer Enthüllungen über die Polizeiaktion sendete Wolfgang Schweitzer, Leiter der Kirchlichen Hochschule Bethel, ein Telegramm an Albertz. Per Rundschreiben informierte er Angestellte und Studenten über diesen Vorgang. Als Rektor forderte er Albertz zum Rücktritt auf, sollte – so der Telegrammtext – „auch nur etwas wahr sein“ an den „heutigen Berichten in FAZ und Zeit“. Er begründete diesen Schritt mit dem Hinweis, es errege „besonderen Anstoß“, wenn „ein Pastor als Bürgermeister jene Missgriffe begangen“ habe. Es könnten „Lagen eintreten, in denen der Rektor einer Kirchlichen Hochschule einen Pastor daran erinnern“ müsse, „wenn das Christentum nicht in Verruf geraten soll.“ Schweitzer verwies auf die Kirchengeschichte: „Da die öffentliche Meinung bei uns in diesen Dingen wenig entwickelt ist, sondern auf Grund jahrhundertelanger theologischer Irrlehre zunächst immer auf Seiten der ‚Obrigkeit‘ steht, bleibt nichts anderes übrig, als daß vom Staat möglichst unabhängige Männer und Frauen, zumal solche, die von Amtswegen die Freiheit verteidigen sollen, mit dem ganzen Gewicht, das sie der Sache geben können, für die Freiheit und die Menschenrechte eintreten.“29

Über die Ausgestaltung des Demonstrationsrechts wurde nun auch in evangelischen Medien debattiert. Sepp Schelz, Leiter des Evangelisch Publizistischen Instituts Berlin, meinte, die Studentenschaft solle es sich nicht so einfach 26 Zusammen mit Ossip Kurt Flechtheim veranstaltete Ebert im Wintersemester 1967/1968 ein Seminar zur „Gewaltfreien Direkten Aktion“ (EZA BERLIN, 686/834). Dazu unten Kap. 3.5. 27 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1967], 168. Im Kirchlichen Jahrbuch heißt es, die Studentenpfarrer hätten sich hiermit „als erste kirchliche Amtsträger“ hinter die Demonstranten gestellt hätten (EBD.). 28 Johannes Seiß, Evangelische Studentengemeinde. Undatiertes Manuskript (APO-Archiv BERLIN, R8). 29 Rundbrief Schweitzers vom 9. 6. 1967 (APO-Archiv BERLIN, 1623). Zu Schweitzer, oben 36.

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machen, „die Schuld bei der Polizei zu suchen.“ In der Kolumne „Offen gesagt“ vertrat Schelz im „Berliner Sonntagsblatt“ die Ansicht, die Eier- und Tomatenwürfe hätten nicht nur den Gewaltexzess vor der Berliner Oper provoziert: „Müssen denn noch mehr Menschen sterben, bis man in diesen Kreisen einzusehen beginnt, dass Freiheit nicht gleich Anarchie ist?“ Die Atmosphäre sei „seit einiger Zeit“ von „kleinen Studentenklüngeln“ angeheizt worden und habe damit zu bedauernswerten Pauschalurteilen gegen die gesamte Studentenschaft geführt. Im Bestreben, den Gast aus Persien zu schützen, so die zynische Bemerkung, sei man „offensichtlich übers Ziel hinausgeschossen.“ Damit sei „unser Staat“ leider „als Polizeistaat in Erscheinung“ getreten30. Ähnlich argumentierte der Journalist Jürgen Engert in „Christ und Welt“: „Die Schwierigkeiten, denen die Polizei gegenüberstand“ seien „anzuerkennen.“31 Wohl auch als Antwort auf Engerts und Schelz betonte Reinhard Tietz, Studentenpfarrer an der Technischen Universität (TU) in West-Berlin, den zäsurartigen Charakter des 2. Juni. Das politische Klima habe sich auch im Westen verändert. Die Studenten stünden bundesweit geeint „im Protest“. Er sei nicht mehr hochschulpolitisch motiviert, sondern richte sich nun „gegen unsere Gesellschaftsordnung“. Sorge bereite ihm folgender Einschnitt: Man habe es „bislang – seit 1945 – für ausgeschlossen gehalten, dass bei uns politische Meinungsverschiedenheiten noch einmal mit direkter Gewaltanwendung ausgetragen werden könnten.“ Die christlichen Gemeinden seien deshalb dazu berufen, „kritische Solidarität“ mit den Studenten zu üben32. In West-Berlin stand die Kirche gleich am nächsten Tag vor dieser Herausforderung. Aus Solidarität mit dem Kommunarden Fritz Teufel beantragten Studenten die Abhaltung eines Hungerstreiks in der Kirche von Neu-Westend. Teufel war wegen eines – letztlich nie nachgewiesenen – Steinwurfs vor der Oper verhaftet worden und saß in Untersuchungshaft. Angesichts seiner Beteiligung an den skurril-provokanten Satireplänen der Kommune I, etwa dem „Pudding-Attentat“, war er zudem angeklagt, zur Brandstiftung aufgerufen zu haben33 – ein auf dem DEKT wenig später diskutierter Vorgang34. Aufgrund von Informationspannen strömten am 20. Juni rund 100 protestwillige Men-

30

SCHELZ, Freiheit. ENGERT, Schuss. 32 TIETZ, Studenten. 33 Anlässlich eines Brüsseler Kaufhausbrandes, bei dem am 22. 5. 1967 mehr als 300 Menschen den Tod fanden, hatten Mitglieder der Kommune I zwei Tage später das Flugblatt „Warum brennst du, Konsument?“ verfasst (APO-Archiv BERLIN, K 1). 34 Vgl. oben 116. 31

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

schen zur West-End-Kirche. Dort erfuhren sie, dass die zuständige Kirchenleitung die Freigabe der Kirchenräume zur Abhaltung des Hungerstreiks verweigerte. Ein Hungerstreik sei wegen der angespannten Lage „kein geeignetes Mittel der Verständigung“, so die Begründung der Kirchenleitung, die sich ihrerseits jedoch gesprächsbereit zeigte35. Da sich die Kirche dennoch weiter füllte, „blieb nichts anderes übrig, als eine geordnete Diskussion über die speziellen und allgemeinen Absichten der Studenten hinzunehmen und zu versuchen, sie dabei zum Verlassen der Kirche zu bewegen.“36 Bevor die Diskussion endete, ergriff Rudi Dutschke das Wort. Gemeindepfarrer Manfred Engelbrecht bat ihn hierfür auf die Kirchenkanzel37. Das Bild des zornig dreinblickenden Studentenführers wurde in den folgenden Tagen in zahlreichen (über)regionalen Zeitungen abgelichtet. „Mit rauer Stimme, ‚die Einrichtungen des Klassenfeindes ungerührt nutzend‘“, habe Dutschke die „‚hoffnungslose Situation der Kirche in unserer Gesellschaft‘“ beklagt. Diese habe doch die Aufgabe, „‚die Seite der Entrechteten zu unterstützen‘“. Sie solle daher der Ort sein, „‚wo wir wirklich noch sicher sind‘“38. Nachdem der angekündigte Hungerstreik am nächsten Tag in den Räumen der ESG (TU) fortgesetzt, dann aber – auch dank der Überredungskunst des zuständigen Studentenpfarrers Karl-Behrnd Hasselmann – vorzeitig beendet worden war, versuchte Scharf, in der causa Teufel zu vermitteln. Er kritisierte, die bewaffneten „Jubel-Perser“ seien unbehelligt geblieben, während unbewaffnete Studenten verhaftet und angeklagt wurden39. Scharfs Angebot, Teufel eine feste Bleibe zu vermitteln, um so den Haftgrund der „leichtlöslichen Wohnverhältnisse“ zu entkräften, wurde vom Kommunarden selbst abgelehnt. Laut Scharf habe Teufel das Angebot aus „grundsätzlichen politischen Erwägungen“ (gegenüber der Kirche) ausgeschlagen40. Scharfs Vermittlungsbemühungen und die Ereignisse in der Neu-WestendKirche erzürnten bürgerlich-konservative Gemeindemitglieder. Sie werteten sein Engagement als Ausdruck falscher Parteinahme. Ein Vorwurf, den die Westberliner Kirchenleitung entschieden zurückwies. Die vom Springer-Verlag herausgegebene „Berliner Morgenpost“ überzog Scharf mit Vorwürfen. In 35 So der Wortlaut des von Scharf am 30. 6. 1967 versandten Briefs „An die Gemeindeglieder, die zu den studentischen Demonstrationen Stellung genommen und dabei am Verhalten der Kirche Kritik geübt haben“, zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 20–26, 21. 36 EBD., 22. 37 ENGELBRECHT / GÖPFERT, Atheist, 152f. 38 Zit. n. „Knisterndes Gefühl“. In: Der Spiegel, Nr. 27 vom 26. 6. 1967, 32–34, 32 u. „Umstrittener Hungerstreik“. In: BSBl, Nr. 27 vom 2. 7. 1967, 2. 39 ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 133. 40 Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 23.

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der „Welt“ schrieb ein Leser: „Wie vor 2000 Jahren wäre die Tempelaustreibung die richtige Antwort gewesen.“41 Angesichts der bereits vor dem 2. Juni diskutierten Frage nach einer „Politisierung der Kirche“ entbrannte nun eine – den Verhältnissen der „Frontstadt“ entsprechend – eigentümliche Debatte um die „Politische Diakonie“42. So kündigte eine Schöneberger Kirchengemeinde ihr Abonnement von „Kirche und Mann“ mit der Begründung, das im Auftrag der Männerarbeit der EKD herausgegebene „Monatsblatt für Fragen der Zeit“ sei politisch linkslastig geworden43. Wie im Fall der Evangelischen Sammlung Berlin verdeutlicht, hatte die causa Teufel das Fass nur zum Überlaufen gebracht44. So bemerkte Generalsuperintendent Hans-Martin Helbich, einer der Protagonisten des in der Folge weiter schwelenden Konflikts, politische Versammlungen dürften weder in Kirchen noch in Gemeinderäumen stattfinden. Als Urheber dieser Fehlentwicklung machte Helbich, der als Sprachrohr vieler „Gemeindemitglieder, vor allem aber auch Mitbürger“ auftrat, eine „ganz bestimmte theologische Konzeption“ aus. Damit angesprochen war Gollwitzer, der in der „Welt“ beschuldigt wurde, seine Studenten aufgefordert zu haben, „nur ordentlich Rabatz zu machen, ‚damit der Schah Berlin nicht mit Teheran verwechselt‘“45. Helbichs Stellungnahme veranlasste 19 renommierte, mehrheitlich dem Lehrkörper der Kirchlichen Hochschule angehörige Theologen zu einem offenen Protestbrief46. Ein Westberliner Pfarrer verteidigte Helbich und verwies auf Dutschkes „Spiegel“-Interview. Mit seinem Ja auf die Frage „Predigen Sie Gewalt?“ habe Dutschke die „Maske fallen lassen“. In Neu-Westend sei „nichts anderes“ geschehen „als die Praktizierung der bekannten marxistisch-leninistischen Methoden, die Möglichkeiten, die eine Gesellschaft bietet, skrupellos auszunutzen, um die Gesellschaft und ihre Einrichtungen zu stürzen.“47

41

EBD., 27; „Scharf von Dutschkes Auftritt nicht beglückt. Ausweichende Auskunft des Berliner Bischofs“. In: Berliner Morgenpost, Nr. 151 vom 2. 7. 1967, 1 u. 2.; und PLAGEMANN, [Leserbrief]. 42 Vgl. oben Kap. 2. 5. 1. Zum weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung, BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN. Eine Skizze der in den evangelischen Medien geführten Politisierungsdiskurse bietet GETTYS, Kirche. Zu den theologischen Hintergründen, MEYER, Diakonie. 43 GEORGE, [Leserbrief]. Dieser Akt wurde wiederum von anderen Lesern kritisiert, BRONGER, [Leserbrief]. 44 Vgl. oben 117f. 45 HELBICH, Generalsuperintendent; ZEHM, Lust. 46 Unter anderem abgedruckt in: BSBl, Nr. 30 vom 23. 7. 1967, 4. 47 HASPER, Sache, 3; „Wir fordern die Enteignung Axel Springers“. In: Der Spiegel, Nr. 29 vom 10. 7. 1967, 29–33, 32. Zur ambivalenten (christlichen) Haltung des Studentenführers in der Gewaltfrage, unten Kap. 3.5.

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Der mediale Topos vom „roten Rudi auf der Kanzel“ gab der westdeutschen Debatte um eine „Politisierung der Kirche“ weiter Nahrung. Am 16. September sendete der NDR den Mittschnitt einer Diskussionsrunde zum Thema „Wozu ist Kirche da?“. Darin bekannte sich der bereits genannte Gemeindepfarrer von Neu-Westend zu den „studentischen Minderheiten, die von einer selbstsicher erscheinenden, aber von Angst getriebenen Gesellschaft diffamiert würden.“ Mit ihren Demonstrationen stellten die Studenten „nicht revolutionäre Gewalt, sondern Gewaltlosigkeit und Ohnmacht“ dar48. In der Westberliner ESG (FU) war man zu diesem Zeitpunkt dabei, einer Gleichsetzung von Gewalt- mit Machtlosigkeit gerade zu wehren. Rückblickend konstatierte Studentenpfarrer Hasselmann, sowohl Kirche als auch Studentenschaft seien im Sommer 1967 zu wenig über die sogenannten gewaltfreien Aktionen informiert gewesen. Das kirchliche Informationsdefizit habe Helbich in seiner oben zitierten Stellungnahme selbst demonstriert, als er zu den Geschehnissen in Neu-Westend schrieb: „Hier sind uns ganz praktische Konsequenzen vorgeführt worden, die aus einer ganz bestimmten theologischen Konzeption kommen . . . Die Kirche müsse, so sagt man, an Haupt und Gliedern reformiert werden . . . Ihre Verkündigung und Seelsorge müsse neu orientiert sein. Ihr gesellschaftliches Engagement verlange politische Diakonie. Bei all dem drängt sich freilich die Frage nach vorne: Und welche Rolle spielte dabei noch der gekreuzigte und auferstandene Christus als Heiland und Herr der Welt?“49

Genau „diese Frage“, so Hasselmann, habe die „theologische Hilflosigkeit und Uninformiertheit“ weiter Kreise in den evangelischen Kirchen verraten. In den USA würden gewaltlose Widerstandsformen „wie der Hungerstreik gerade von der christlichen Bürgerrechtsbewegung Dr. Martin Luther Kings seit langem praktiziert.“ Der Hungerstreik im ESG-Zentrum habe „zum ersten Mal diese Möglichkeiten zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung vor Augen geführt.“ Trotz der für das weitere Studium der Gewaltfreiheit hilfreichen Gründung der Kritischen Universität im Sommer 1967, so Hasselmann, habe dieses Beispiel in der Studentenschaft keine Schule gemacht. Seine eigene Gemeinde sei mit den Arbeitskreisen „Marcuse und die Theologie“ und „Zur gewaltfreien direkten Aktion“ an dieser Einrichtung „sofort“ beteiligt gewesen50. 48

epd-ZA, Nr. 213 vom 16. 9. 1967, 3. Zit. n. HASSELMANN, Gemeinde, 73. 50 NIEMEISTER / STADT, Provokationen, 73–75. Vgl. sein Referat auf der Konferenz der westdeutschen Studentenpfarrer vom 11. – 15. 9. 1967 in Berlin-Spandau, HASSELMANN, Gemeinde, 18. 49

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In der Kirchenkanzlei der EKD wurden die Entwicklungen nach dem 2. Juni zunächst nur zur Kenntnis genommen. Scharf wandte sich an die Kammer für öffentliche Verantwortung mit der Bitte, sich damit auseinander zu setzen. Deren Geschäftsführer teilte ihm darauf mit, es bestehe derzeit „keine große Freudigkeit“, „eine ausführliche Denkschrift“ zu erarbeiten51. Im Herbst 1967 änderte sich dies grundlegend, denn nun standen die ESG – und mit ihnen die evangelischen Kirchen – im Fokus der allgemeinen Berichterstattung über die Studentenbewegung. Auslöser der bundesweit Kreise ziehenden Debatte um eine Politisierung der ESG war folgender: Der Gemeindekirchenrat der berühmten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche weigerte sich, diese den sieben Westberliner Studentengemeinden wie bisher üblich für Semestergottesdienste zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung teilte er ihnen mit, man könne „das Verhalten der Studentengemeinde in der jüngsten Zeit nicht ohne Kritik und Widerspruch hinnehmen“52. Nachdem sich der Gemeindekirchenrat von den Studentenpfarrern nicht umstimmen ließ, machten diese den Vorgang an den Universitäten schließlich publik. Selbst „Die Welt“ kritisierte, man habe die ESG „mit altpreußischer Härte“ ausgesperrt. Es sei unangemessen, ihr „die Kirchentür vor der Nase zuzuschlagen.“ Denn „noch mehr als die politische Öffentlichkeit“ müsse die „christliche Gemeinschaft abweichende Meinungen ertragen und sich mit ihnen auseinandersetzen.“53 Der evangelische Publizist Reinhard Henkys kommentierte im Sender Freies Berlin (SFB), die Pfarrer und Laien der Kirchengemeinde „unternehmen offenbar den Versuch, die Studenten politisch im konservativen Sinne zur Räson zu bringen“54. Der Konflikt verschärfte sich, als ein mutmaßliches ESG-Mitglied zu Beginn von Helbichs Gottesdienst in der Gedächtniskirche versuchte, von der Kanzel aus eine Erklärung abzugeben. Er wurde von Kirchendienern jedoch gewaltsam daran gehindert und aus der Kirche geführt55. Der Gemeindekirchenrat heizte den Konflikt weiter an56. Bischof Scharf verurteilte das Verhalten des Studenten, stellte sich im Grundsatz aber auf die Seite der ESG. Laut „Bild“ hielt er es für „unerhört, daß ein Gemeindekirchenrat einer anderen Gemeinde der gleichen Kirche“ die „Kirche verweigert.“ Scharf vermute, die „Aussperrung“

51

Brief Erwin Wilkens’ an Scharf vom 25. 7. 1967 (EZA BERLIN, 2/4341). Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 30. 53 „Gedächtniskirche sperrt Studentengemeinden aus“. In: Die Welt (Berlin), Nr. 264 vom 11. 11. 1967, 9. 54 Abgedruckt in: JK (28) 1967, 732. 55 „Student von der Kanzel geholt“ [gekennzeichnet mit dem Kürzel: „rb“]. In: Bild (Berlin), Nachtausgabe vom 13. 11. 1967, 3. 56 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1967], 175. 52

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richte sich auch gegen Gollwitzer, der vor den Studenten predigen sollte57. Dessen angeblicher Aufruf, „ordentlich Rabatz“ zu machen, wurde von der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher in ihrem jüngsten Pamphlet aufgegriffen. „Der Spiegel“ druckte die Passage in einem Portrait über die Notgemeinschaft – laut Erwin Wilkens „von ‚kirchlichen Analphabeten‘ verfasst“ – ab: Gollwitzer habe dazu beigetragen, „das notwendige Klima für jene Eskalation des akademischen Provotariats zu schaffen, die ein hoffnungsvoller junger Mensch mit seinem Leben bezahlen mußte.“ Zu Niemöller hieß es: „Dieser Wortführer (des) selbstmörderischen Pazifismus“ lasse sich sogar „von Mauermördern feiern“58. Während der Konflikt um die Westberliner Studentengemeinden in der Bundesrepublik weitere Kreise zog, befasste sich auch der Rat der EKD mit dem Thema ESG. Unter dem Tagesordnungspunkt „Politisierung der Studentengemeinde“ wurde in erster Linie über den Anfang November publik gewordenen Trennungsbeschluss der ESGiD diskutiert. Da sie eine Entnationalisierung der Gemeinschaftsform intendierte, war der Tagesordnungspunkt durchaus zutreffend formuliert59. Die von westdeutschen ESGiD-Vertretern verfasste Presseerklärung hatte zu gravierenden Verstimmungen im Verhältnis zur EKD geführt60. Dies blieb den Medien freilich nicht verborgen. So bemerkte Karl-Alfred Odin, die ESG werfe der EKD vor, „die DeutschlandAuffassung der Bundesregierung übernommen zu haben.“ Ihre Vertreter propagierten alternativ die „Übernahme der kommunistischen Zweistaatentheorie“61. Der Generalsekretär der ESGiD, erklärte im SDR-Kirchenfunk: „Für die Studenten hier in der Bundesrepublik ist dieser Schritt sicherlich auch Ausdruck ihres Wunsches und ihres Willens, soweit es sein muß, auch gegen offizielle Stimmen in der Politik und in der Kirche, auf ihre Weise zu versuchen, einen Beitrag zu einer Entspannung zu leisten in einem Konflikt, der den Studenten – je länger, je mehr – eine Belastung zu sein scheint für die Handlungsfreiheit auch unseres Staates hier.“62

57 BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 29; „Bischof unterstützt die Studenten“ [gekennzeichnet mit dem Kürzel: „rb“]. In: Bild (Berlin), Nachtausgabe vom 14. 11. 1967, 3. 58 Zit. n. „Apfel und Rute“. In: Der Spiegel, Nr. 48 vom 20. 11. 1967, 74. 59 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 15. 11. 1967 (EZA BERLIN, 2/1769). Auch die am nächsten Tag in Ost-Berlin tagende Kirchenkonferenz der EKD bewies, dass man den Teilungsbeschluss in den richtigen Kausalzusammenhang eingeordnet hatte. Letztere setzt(e) sich aus den Leitungen der Gliedkirchen zusammen, LEPP, Tabu, 729f.; NOACK, Studentengemeinden, 106. 60 Abdruck in: NIEMEIER, Kirche [1967], 176f. 61 ODIN, Bischof. Vgl. auch DERS. Präzedenzfall. 62 Heinrich-Constantin (Heiko) Rohrbach, zit. n. LEPP, Tabu, 726.

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Kirchlicherseits äußerte sich zunächst nur der Hamburger Landesbischof, Hans-Otto Wölber, öffentlich über die Politisierung der westdeutschen ESG63. Vor der Landessynode warf er ihr vor, die Leitungsgremien nicht informiert zu haben. Wölber zweifelte, ob die Studentengemeinden überhaupt noch ein Mandat der EKD oder deren Gliedkirchen besaßen; womöglich hätten sie nicht einmal mehr die Unterstützung der jungen evangelischen Generation an den Universitäten, schließlich sei ein „erheblicher Schrumpfungsprozeß der Studentengemeinden“ zu beobachten: „Schrumpfen sie, weil sie sich soweit ins Politische verströmen, oder fliehen sie aus der Verschrumpfung in die Politik?“ Einer Politisierung der Kirchen kündigte Wölber, der 1964 noch als Vertreter einer reformfreudigen jungen Generation zum Bischof gewählt wurde, ebenfalls den Kampf an. Die „Theologie der Revolution“ deutete er als „Mißverständnis totaler Revolution“ und Ausdruck einer den Fortbestand der „Volkskirche“ bedrohenden Säkularisierung64. Doch waren die rund 120 auf Westdeutschland und West-Berlin verteilten Studentengemeinden tatsächlich alle „linkspolitisiert“? Erfuhr ihr Selbstbild durch den 2. Juni einen Wandel, der sich auch in der Gewaltfrage manifestierte? Schon die unterschiedlichen Politisierungsgrade der Studentenschaften an den ohnehin „progressiven“ Westberliner Hochschulen verbieten eine Gleichsetzung der insgesamt sieben dortigen Studentengemeinden: Die TUStudenten vollzogen etwa einen – verglichen mit ihren FU-Kommilitonen – „zeitverzögerten Wandel der Aktionsformen von intermediären über appellative zu direkten Aktionen“65. Mit Blick auf die Linkspolitisierung der ESG muss auch zwischen den westdeutschen ESGiD-Gremien und einzelnen Studentengemeinden differenziert werden66. Neben dem jeweils unterschiedlichen kirchlichen, städtischen und universitären Umfeld prägte auch die Gesamtarbeit des Dachverbandes das (hochschul)politische Selbstverständnis einer örtli-

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Generalsuperintendent Helbich schrieb er privat, es sei „einfach eine Niederlage, [. . .] daß so viele in dieser Materie, die wir Politik nennen, nicht mehr sachlich diskutieren können. Aber das Evangelium ist mächtiger. [. . .] Ich denke auch an die Früchtchen, die wir jetzt als Kandidaten, Vikare und Hilfsprediger im Sinne der modernen Theologie haben.“ Brief Wölbers an Helbich vom 18. 12. 1967 (NEK KIEL, 11.02/1770). 64 epd-ZA, Nr. 275 vom 20. 11. 1967, 6. Seine Ausführungen zur „Theologie der Revolution“ waren Teil eines auf der Klausurtagung des Rates der EKD Anfang Januar 1968 gehaltenen Referats (WÖLBER, Politisierung, 141). 65 SPIX, Abschied, 329. 66 Zur Organisationsstruktur der ESGiD, die nach dem Trennungbeschluss auf westdeutscher Seite als „Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik und Berlin-West“ fungierte, VOLONTIERI, Hahn.

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chen ESG67. Seit 1962 orientierte sich die ESGiD am Leitmotiv einer an Information, Dialog und dem Abbau von Gegensätzen interessierten, nichtsdestotrotz streitbaren Gemeinde. Die „unbedingte Parteinahme für eine gesellschaftliche oder politische Ordnung“ sei ebenso unzulässig „wie die Ablehnung derselben.“68 Die Geschäftsstelle der ESGiD machte sich dieses Leitmotiv unter zunehmend „linken“ Vorzeichen, im Sinne eines neomarxistischen Dritten Weges, zu Eigen. Ihre Auslegung war aber nicht unumstritten69. Zu den Verfechtern einer Linkspolitisierung zählte der Heidelberger Studentenpfarrer Martin Schröter. Als Vorsitzender des Vertrauensrates, dem obersten Beschlussorgan der ESGiD, forderte er bereits 1965 eine „tiefgreifende Politisierung“ der Universitäten: „Werden wir uns zu dieser Revolution aus dem Geist für den Frieden bereit finden? [. . .] Der Weg der Scheinrevolution in der DDR und der Weg der Restauration in der BRD, beide so nah und parallel beieinander [. . .] müssen aus dem Geist und um des Friedens willen revolutioniert werden. [. . .] Daß wir uns dabei, z. B. als Studentengemeinde, in unserer politischen und moralischen Reputation gefährden und aufs Spiel setzen, wird ja gar nicht zu vermeiden sein“70.

Der Linksrutsch innerhalb der ESGiD spiegelte sich auch in den Arbeitstagungen zur politischen Bildung wider. Sie galten als „Beitrag zur Selbstbefreiung durch kritische Rationalität im Rahmen der ESG“71. Der Vietnamkrieg, der sogenannte Spätkapitalismus, die Notstandsgesetze und Einführungen in den Marxismus standen dabei im Mittelpunkt. 1970 wurde (vertraulich) Bilanz gezogen: „Eines ist sicher nicht erfolgt, nämlich das Bereitstellen apologetischen Materials für Antisozialisten und Antikommunisten. Der weitaus überwiegende Teil der Teilnehmer konnte zu einer sachgerechten Einschätzung und sympathisierenden Haltung gegenüber der sozialistischen Bewegung gebracht werden“72.

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Zur Frage, inwieweit sich die ESG ab den späten 1960er Jahren zu einem „linksalternativen Milieu“ entwickelte, WIDMANN, Linksprotestantismus. 68 „Leitsätze für das politische Zeugnis der Studentengemeinden zu innen- und außenpolitischen Fragen“, beschlossen auf der Elften ordentlichen Delegiertenkonferenz der ESGiD, Februar/März 1962, zit. n. ALBRECHT, Studentengemeinde, 104. 69 Vgl. etwa den Bericht der ESG Köln zum Wintersemester 1961/1962, SPIX, Abschied, 171. 70 Referat „Partnerschaft innerhalb der ESGiD“, Höchst/Odenwald, 30. 1. 1965 (SOMMER, Grenzüberschreitungen, 240–250, 249). 71 Undatiertes Schreiben an die Mitarbeiterkreise der Studentengemeinden. Beilage zum Jahresprogramm 1968 (LKA HANNOVER, 33a/290); Walter Motzkau, 5 Jahre res novae (EZA BERLIN, 36/1439). 72 EBD.

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Derartiges Engagement zeigte auch die aus Studenten und Studentenpfarrern zusammengesetzte ESGiD-Hochschulkommission. Im Dezember 1967 veröffentlichte sie Thesen über die „Politische Verantwortung der christlichen Gemeinde“. Christlicher Glaube stehe „nicht über allen Fronten“. Er müsse „parteilich“ werden. „Unterlassene Parteinahme“ bedeute wiederum „Unterstützung der etablierten Herren, Mächte und Verhältnisse.“73 Wie reagierten nun die einzelnen Studentengemeinden? In der Auseinandersetzung um die Gedächtniskirche demonstrierten sie Solidarität mit den Berliner Schwestergemeinden74. Pauschalisierende Klagen wie die des Hamburger Bischofs dürften das Gemeinschaftsgefühl nur verstärkt und das Verhältnis zur sogenannten Amtskirche weiter belastet haben75. Auf einem anderen Blatt stand dagegen die Frage, wie auf den 2. Juni politisch zu reagieren sei. 1969 notierte der Frankfurter Studentenpfarrer Gerhard Wendland: „Zur Diskussion steht nicht das linke Engagement einzelner Glieder der Studentengemeinde. Das individuelle Engagement war in der traditionellen Theologie und ihrer ethischen Konzeption immer grundsätzlich freigegeben. Das Problem, das im Raum steht, ist die schockierende, häufig als fragwürdig empfundene Tatsache, dass einzelne Gemeinden sich als ganze politisch gebunden haben. Das überschreitet den Bereich herkömmlicher theologischer Vorstellungen.“76

Im Juni 1967 war es dagegen schon ungewöhnlich, dass sich eine ESG überhaupt als Gesamtgemeinde äußerte77. So schaltete die ESG Marburg eine Ohnesorg gewidmete Anzeige in der „Oberhessischen Presse“, um ihre Solidarität mit den anderen Hochschulgruppen zu demonstrieren. Sprecher der Gemeinde charakterisierten dies als bewusst politische Stellungnahme – allerdings ohne bestimmte Richtung und somit getreu dem Leitmotiv einer den politischen Binnenpluralismus respektierenden Gemeinde78. Die eigentliche ESG-Arbeit oblag der „Kerngemeinde“: ein „soziales Faktum“, dem „der einzelne nicht kraft seiner Mitgliedschaft, sondern kraft seines

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VERANTWORTUNG, These 14. NIEMEIER, Kirche [1967], 175. 75 Ungeachtet seines Einsatzes zugunsten der Westberliner Studentengemeinden kritisierte Scharf als Mitglied des Rates der EKD die Haltung des Dachverbandes, LEPP, Tabu, 724. 76 WENDLAND, Solidarisierung, 10. 77 In Bonn etwa herrschte noch „beschauliche Ruhe“ (MÜLLER, Gemeindeleben [Teil III], 74). 78 KUBITZA, Geschichte, 256f.; Blick in die Kirche 2 (1967), H. 5, 8–11. Die auf dem Freiwilligkeits- und Partizipationsprinzip basierende Mitgliedschaft in einer ESG war (und ist) für alle Studierenden ohne Ansehen der Staatsangehörigkeit, der Konfession und des Geschlechts möglich. Damit grenzt(e) sich die ESG von den verbandsartigen politischen Hochschulgruppen ab. Dazu ausführlich, ALBRECHT, Studentengemeinde. 74

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Mittuns“ angehörte79. Zu diesem engeren Kreis zählte(n) neben den gewählten Vertrauensstudenten auch der/die bei der Landeskirche angestellte(n) Studentenpfarrer. Wie in den Fällen Saarbrücken und Köln belegt, war die Art der Verabschiedung politischer Stellungnahmen immer wieder umstritten80. So erklärte der Saarbrücker Studentenpfarrer im Juni 1968 vor der Kreissynode: „Parteiische Stellungnahme ist unumgänglich, aber sie muß demokratisch zustande kommen und das auch zu erkennen geben. Deshalb ging unserem Notstandstransparent eine Abstimmung bzw. Befragung voraus [sic] und erhielt es den Zusatz: ‚Unser Mehrheitsbeschluß: . . .‘“.

Sowenig sich „die Saarbrücker Verhältnisse mit denen in Berlin, Frankfurt usw. vergleichen lassen“, so springe „doch der Unterschied zu den Bedingungen von vor einem Jahr“ hier vor Ort ins Auge. Die Thesenreihe der ESGiDHochschulkommission habe jedenfalls „wertvolle Dienste“ geleistet81. Das Verhältnis zur Neuen Linken beschäftigte auch die übrigen Studentengemeinden. Anfang 1968 konstatierte Generalsekretär Rohrbach die Gefahr, „daß wir [. . .] unseren Anspruch, Hochschulgemeinde zu sein, aufgeben. [. . .]. Ich bin mir bewußt, daß eine solche Lösung durchaus attraktiv erscheinen kann. Man ist dann zum Beispiel das Problem des gespaltenen politischen Urteils los: Wer den Kurs der Mehrheit nicht mitmachen will, gehört dann einfach nicht mehr dazu, er kann ja wegbleiben.“82

Andererseits würde die ESG „im Konzert der hochschulpolitischen Gruppen“ zur „Bedeutungslosigkeit herabsinken.“ Gerade durch ihr „Nicht-Festgelegt sein“ habe ihr Votum Gewicht. Rohrbach schloss, man stehe dennoch „viel zu sehr mitten darin, um distanziert abwägend darüber urteilen zu können.“ Die internen Politisierungsdebatten bleiben mangels Quellen83 leider ebenso im Dunkeln wie die zugehörigen Diskussionen um eine „Theologie der Revolution“. Dass die ESG nicht nur in Berlin (TU), sondern auch in Münster und 79

„Gemeinde und Verband“, Thesen der ESG Köln, undatiert, zit. n. EBD., 100. EBD., 102. 81 Jahresbericht Günther Braun über die Evangelische Studentengemeinde des Saarlandes für die Kreissynode 1968, zit. n. HORSTMANN / MÜLLER, Kraft, 33. 82 Heinrich-Constantin Rohrbach, „Das Gemeindeverständnis der ESG“. Anhang Schreiben der EKD-Kirchenkanzlei an die Ratsmitglieder und Kirchenleitungen der EKD vom 28. 1. 1968 (EZA BERLIN, 6/8092). 83 Aufgrund verloren gegangener bzw. vernichteter Aktenbestände ist eine mikroanalytische Untersuchung der oft nur lückenhaft dokumentierten ESG-Arbeit in vielen Fällen unmöglich. Dies gilt insbesondere für die Studentengemeinden in Göttingen, Heidelberg und Marburg. Selbst gut geordnete, nicht den Landeskirchenarchiven übergebene Materialbestände wie derjenige der ESG Tübingen geben wenig Aufschluss über die interne Diskussion nach dem 2. 6. 1967. Vgl. MÜLLER, Gemeindeleben [Teil II], 89. 80

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anderen Universitätsstädten vom SDS zu den „bewährten Mitstreitern“ gezählt wurde, ist in erster Linie auf deren logistische Hilfestellung zurück zu führen. Durch das zur Verfügung Stellen eigener Räumlichkeiten an alle studentischen Gruppen gab sie insofern auch dem SDS die Möglichkeit, für eigene Belange zu werben84. Die These, die ESG habe „als Institution mit einem überparteilichen und integren Ansehen“ den Aktivitäten und Forderungen des SDS „einen überparteilichen Charakter“ verliehen, erscheint jedoch zu weit gegriffen85. Noch war die Raumvergabepraxis kein Politikum. Universitätsleitungen, die wie in Aachen auf Überparteilichkeit pochten, warfen der ESG aber vor, davon abgewichen zu sein. Schon ein einziger Arbeitskreis konnte dazu beitragen, das öffentliche Erscheinungsbild der Gesamtgemeinde zu verändern86. Wegen der angespannten Lage in West-Berlin bemühte sich Bischof Scharf weiter um Vermittlung. Anfang Dezember referierte er im Republikanischen Club, seit Frühjahr Treffpunkt der Neuen Linken, über „Kirche und Politik“: Kirchliche Stellungnahmen bejahte er zwar grundsätzlich. Sie dürfe nicht schweigen zum Vietnamkrieg oder zum griechischen Militärregime. Fraglich sei aber die Form ihrer Äußerungen. Die Kirche habe „das Gebot der Feindesliebe geltend zu machen“ und müsse zur Versöhnung aufrufen. Auf die Frage, ob die Anwendung von Gewalt zur Wiederherstellung des Rechts nicht auch kirchlich zu rechtfertigen sei, antwortete Scharf, ein solcher Widerstand könne – dies lehre der 20. Juli 1944 – im Einzelfall christlich gerechtfertigt werden. Es sei mit dem kirchlichen Auftrag jedoch unvereinbar, daraus eine „Theologie der Gewaltanwendung“ zu entwickeln. Die kirchliche Lehre müsse „ein aktueller, nicht prinzipieller Pazifismus“ sein87. Gollwitzer widersprach: Die Kirche bedürfe durchaus einer neuen „Theorie der Gewalt“ nach der ehemals gültigen Lehre Augustins. Laut des Berliner „Tagesspiegel“ forderte er Misstrauen gegenüber jeglicher Gewalt. Wenn sie aber angewendet werde, dann sei „eher die revolutionäre Seite als der staatlich legitimierte Apparat zu unterstützen.“88 84 In den Räumen der ESG (FU) erläuterte Herbert Marcuse seine Gesellschaftsanalyse. Der SDS hatte ihn für die Vorlesung „Das Ende der Utopie“ nach West-Berlin eingeladen, PAUL, Bewegung, 181; MARCUSE, Ende. 85 Bericht des SDS-Münster für das Wintersemester 1966/1967, 2. 4. 1967, zit. n. SPIX, Abschied, 174. 86 MÜLLER, Gemeindeleben [Teil I], 131f. 87 Zit. n. „Gegen eine Theologie der Gewaltanwendung“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „ga“]. In: BSBl, Nr. 51 vom 17. 12. 1967, 1. Für seine Winterkampagne „50 Jahre Konterrevolution sind genug“ gründete der Republikanische Club (West-Berlin) im Juli 1968 den Arbeitskreis „Kirche und Revolution“. Vgl. die Bekanntmachung (Berliner Extra-Dienst, Nr. 60-II vom 27. 7. 1968, 3). 88 Zit. n. „Kirche soll politisch Stellung nehmen“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 6765 vom 9. 12. 1967, 8.

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Wenige Tage später referierte Scharf vor rund 200 höheren Polizeibeamten. Dabei äußerte er sich über die Situation der Studenten und deren Motive. Entscheidend sei der Umgang mit ihnen. An die Beamten appellierte er, „immer zu argumentieren, wo es irgendmöglich ist.“ Scharf würdigte auch den Einsatz der Studentenpfarrer. Sie seien „nicht radikal“, sondern bemühten sich, auf die Studenten mäßigend einzuwirken. Gewalt sei manchmal zwar unvermeidlich, doch „sicherlich nicht immer das wirkungsvollste Instrument der Auseinandersetzung“, gab Scharf den Polizisten mit auf den Weg89. Kurz vor Weihnachten äußerte sich Erwin Wilkens zur gegenwärtigen Situation in der EKD. Im ZDF nannte er drei wesentliche Merkmale: 1. „Die Unruhe, die den deutschen Protestantismus bis auf den Grund erfasst“ habe; 2. die Gefährdung der EKD-Einheit sowie 3. die Gefahr einer Politisierung der Kirche. Die Unruhe spiegele die gegenwärtige Weltentwicklung wider, die „sich bereits jetzt in der Revolution befinde.“ Für die Kirchen käme es darauf an, ob sie zu dem notwendigen Gespräch „mit den bestimmenden geistigen Mächten der Zeit“ fähig sei und ob sie helfen könne, das Chaos zu bändigen, das sich „eben auch im Schoße der Revolution bereit hält“. Die Einheit der EKD könne nur vom Wesen kirchlicher Gemeinschaft, nicht aber mit politischen Forderungen begründet werden. Sie aus politischen Motiven spalten zu wollen, treffe die Kirche an ihrem empfindlichsten Punkt: die Auffassung von ihrer Unabhängigkeit vom Staat, die als besonderes Erbe des „Kirchenkampfes“ gelte. Die Gefahr der „Politisierung“ erachtete der 1914 im Emsland geborene Lutheraner und ehemalige Mitstreiter der BK hingegen für geringer als oft behauptet, wenngleich auf dem „linken“ wie auf dem „rechten“ politischen Flügel kirchliche Gruppen existierten, die Anlass zur Sorge gäben. Das Schlagwort werde von denen gebraucht, die eine kirchliche Unterstützung ihrer eigenen politischen Position vermissten. Wie Scharf gab auch Wilkens zu verstehen, die Kirche habe „überhaupt keine politischen Auffassungen im engeren Sinne zu unterstützen“. In dieser „so komplizierten Welt von heute“ müsse sie allerdings „oft auch sehr konkret werden“90. Die evangelische Kirche kam auch über die Weihnachtsfeiertage hinweg nicht aus den (politischen) Schlagzeilen. Im Mittelpunkt stand weiter der Konflikt um die Westberliner Gedächtniskirche. Der SDS hatte die Kirchengemeinde zum Repräsentanten des bürgerlichen „Establishments“ und damit „Spezialfeind der Studenten“91 erklärt: Während des Gottesdienstes kam es an 89

Zit. n. epd-ZA, Nr. 289 vom 16. 12. 1967, 1. Zit. n. epd-ZA, Nr. 291 vom 19. 12. 1967, 2. Zum jungen „Kirchenkämpfer“, WILKENS, Bekenntnis, 15–29. 91 ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 138. Bereits im August wurde in der kriegsversehrten Kirchen90

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Heiligabend zu einer Protestaktion, bei der Jugendliche mit Plakaten gegen den Vietnamkrieg protestierten. Der Gottesdienst wurde abgebrochen. Aufgebrachte Kirchenbesucher entrissen Demonstranten die Spruchbänder und drängten sie handgreiflich aus der Kirche hinaus. Rudi Dutschke versuchte auf die Kanzel zu gelangen, um dagegen zu protestieren. Im anschließenden Gemenge erlitt er eine Kopfplatzwunde92. Während des Silvestergottesdienstes kam es zu einer erneuten Protestaktion. Die Demonstranten forderten in Sprechchören eine Diskussion und protestierten für mehr Redefreiheit in der Kirche. Herbei gerufene, von den Demonstranten mit Schmährufen und dem Entzünden von Knallkörpern empfangene Polizisten sorgten schließlich für die Fortsetzung des Gottesdienstes. Die Kirchenleitung verurteilte die Störungen mit der Klarstellung, Demonstrationen und Diskussionen gehörten „nicht in den Gottesdienst“. Die Gemeinde könne sich nicht durch Demonstrationen Diskussionen aufnötigen lassen. Zugleich bedauerte man die „Reaktionen des Hasses und vorschnelle Urteile aus den verschiedenen Gruppen“93. In einem Brief an die Bediensteten der Landeskirche kritisierte Scharf beide Vorfälle. Die aus dem ganzen Bundesgebiet ihn ereilende „Flut“ an Zuschriften sei „von flammendem Zorn diktiert“. Beide Seiten forderten, „gegenüber der anderen Gruppe Gewalt anzuwenden – polizeiliche, kirchenregimentliche, disziplinarische Gewalt – zumindest fordern sie ultimativ eine Verurteilung des Andersgesinnten.“94 Der Gemeindekirchenrat veröffentlichte eine Broschüre zu den Geschehnissen, die schließlich selbst Gegenstand einer medialen Kontroverse wurde95. 30 zumeist junge Pastoren aus Bremen und Braunschweig wandten sich per offenen Brief an den Gemeindekirchenrat und forderten ihn auf, sich bei Dutschke zu entschuldigen. Ein Sprecher der bremischen Landeskirche erklärte gegenüber der „Welt“, man dürfe daraus aber nicht den Schluss ziehen, die Pastoren „verträten bedingungslos Dutschkes radikale Forderungen.“ Im SPD-nahen „Telegraf“ hatte Dutschke zuvor seine eigene Sicht dargelegt.

ruine eine größere Anzahl an Rauchbomben gezündet. An dieser „symbolischen Sprengung“ war auch Gudrun Ensslin beteiligt (KOENEN, Urszenen, 126f.). 92 NIEMEIER, Kirche [1967], 175. Gegen einen 60jährigen Westberliner wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Oktober 1968 wurde er zu einer Geldstrafe, „ersatzweise 40 Tage Gefängnis“ rechtskräftig verurteilt („Stockschlag gesühnt“, Berliner Morgenpost Nr. 238 vom 12. 10. 1968, 5). 93 Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 37. 94 Zit. n. EBD., 40f. Scharf äußerte sich ferner öffentlich. Vgl. „Scharf: Methoden der Studenten können nur verbittern“, epd-Landesdienst Berlin, Nr. 2 vom 5. 1. 1968 (ELAB BERLIN, 55.1/ 685). 95 WAS IST GESCHEHEN? Zum weiteren Hergang dieses Strangs der Debatte um eine Politisierung, GETTYS, Kirche, 224–234.

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Der darin beschriebene Hergang zeichnete ein völlig anderes Bild als der polemische Artikel der „Welt“96. Über die Art der Durchsetzung kirchlicher Gemeindeordnungen wurde auch im neuen Jahr bundesweit diskutiert. Besonderes Aufsehen erregte die Störung von Helmut Thielickes Gottesdienst im Hamburger „Michel“. Die Predigten des renommierten Theologen und – im Gegensatz zum „Dialogpartner“ Gollwitzer – „Antipoden“ der Neuen Sozialen Bewegungen waren in der Hansestadt eine Art Gesellschaftsereignis97. Dass sich die Provokationen in Grenzen hielten, lag daran, dass Thielicke in Absprache mit dem Kirchenvorstand „Vorsichtsmaßnahmen“ ergriffen hatte, indem er eine größere Zahl von Bundeswehrsoldaten zum Gottesdienst einlud98. In Zivil gekleidet traten diese zwar nicht sonderlich in Erscheinung, sorgten aber dennoch – angesichts der Diskussion über Dutschkes Verletzung – für große Aufmerksamkeit99. Die Vorgänge im Michel hatten eine Vorgeschichte: Thielicke – für seine Exzentrik bekannt – suchte am 11. Dezember 1967 die Konfrontation. Anstatt der Vorlesung hielt er eine Philippika unter dem Titel „Armes Deutschland“. Sie schloss mit dem Satz: „Den Talar, unter dem ‚der Muff von tausend Jahren‘ sein soll, hat man mir früher einmal mit Gewalt ausgezogen.“100 Thielicke empfand es als Zumutung, dass man ihm mit unwahren Behauptungen seine Vergangenheit in der NS-Zeit ebenso vorwarf wie seinen beim Individuum ansetzenden, die Ordnungstheologien ablehnenden ethischen Ansatz101. Thielicke kritisierte die Medienberichterstattung über die Studentenproteste. Besonders dem Fernsehen warf er vor, die Studenten zur Inszenierung provokativer Aktionen zu verführen102. Angesichts der Spekulationen über die Anwesenheit von Bundeswehrsoldaten in seinem Gottesdienst, wandte sich Thielicke auch an die gerade gegründeten „Evangelischen Kommentare“. Der Redaktion hielt er vor, sich „unrichtigen Nachrichten“ angeschlossen zu 96

„Pastoren: Gewalt in der Kirche fehl am Platz“. In: Die Welt (Berlin), Nr. 303 vom 30. 12. 1967, 8; „Gebete und Prügel“. In: Telegraf, Nr. 28 vom 28. 12. 1967, 11. 97 HERING, Thielicke. Zur Charakterisierung, THIELICKE, Helmut Thielicke; LEPP, Helmut Gollwitzer. 98 THIELICKE, Gast, 406ff. 99 So z. B. JOSUTTIS, Rudi Dutschke. 100 THIELICKE, Kulturkritik; DERS., Vorlesung. 101 DERS., Vorfälle, 20. Den Terminus „Kulturkritik“ hatte Thielicke schon in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus 1944/1945 verwendet, FRIEDRICH, Helmut Thielicke, 256. Zur theologischen Kritik an sowohl Paul Althaus, seinem Lehrer, als auch Karl Barth, EBD., 248–251. Zu Thielickes Mitgliedschaft in der BK und seinen Kontakten zum politischen Widerstand, MOHAUPT, Helmut Thielicke. 102 THIELICKE, Fernsehen, 1f. Vgl. VOGEL, Unruhe, 277. Zur Geschichte der „Mediengewalt“, OTTO, Medien.

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haben103. Bundesjustizminister Heinemann, der mit Thielicke im Meinungsaustausch über mögliche Strategien zur Beruhigung der Lage an den Universitäten stand, zeigte sich empört. Er schrieb Gollwitzer: Was Thielicke sich mit der „Mobilisierung der Bundeswehroffiziere geleistet hat, übersteige alle Hutschnüre!“104 Nun setzte sich auch der Rat der EKD mit den Gottesdienststörungen auseinander105. Die Vorgänge in Hamburg und West-Berlin machten Schule. Etwa in Heidelberg, wo es unter Beteiligung der örtlichen ESG allerdings nur zu Störungen der Universitätsgottesdienste kam. Heinz-Eduard Tödt, der sich bereits in den 1950er Jahren für die Probleme und Belange seiner damals viel jüngeren Kommilitonen interessierte, war bereit, in der Peterskirche mit Studenten – darunter Theologiestudenten, die als SDS-Mitglieder auftraten – zu diskutieren. Die Predigt fiel aus. Vor diesem Hintergrund stellte er wenige Wochen später klar: „Nicht Revolution ist das aktuelle Thema, sondern Provokation.“106 Auch Rudolf Augstein warnte vor einer Hysterie: Für ihn waren keine „rote[n] Faschisten“ am Werk. Der Verleger hielt die vielerorts angestellten Vergleiche mit Weimar für eine „geradezu groteske Verzerrung der Proportionen“. Mit Ausnahme Ohnesorgs sei schließlich kein Mensch bislang ernsthaft verletzt worden. Der Sachschaden sei insgesamt geringer als die Kosten, die die Ausschreitungen beim Auftritt der Rolling Stones 1965 auf der Berliner Waldbühne verursacht hätten. Für bedenklicher hielt er vielmehr Folgendes: „Wo immer die Provokateure eine Institution aufs Korn nehmen – Kirche, Justiz, Polizei, Presse –, enthüllt sie ohne Erbarmen mit sich selbst den Mangel an Selbstverständnis im gesellschaftlichen Bezugssystem. [. . .] Kein provokativer Dutschke hätte auf die Idee verfallen können, zwecks Entlarvung des Bestehenden die Bundeswehr zum Kanzelschutz aufzubieten.“107

Ältere kirchliche Würdenträger, die wie Hans Asmussen, der erste Leiter der EKD-Kirchenkanzlei, die Weimarer Wirren erlebt hatten, deuteten die Gottes103

Brief Thielickes an die Schriftleitung der „Evangelischen Kommentare“ vom 30. 5. 1968, zit. n. DERS., Vorfälle, 23. Vgl. „Ein anderes Bewußtsein. Sollen Diskussionen Bestandteil des Gottesdienstes werden?“. In: EvKo 1 (1968), 121–127, 124. Die dortige Schilderung beruft sich auf einen Artikel in der „Welt“, QUAST, Michel. 104 Brief Heinemanns an Gollwitzer vom 22. 1. 1968 sowie Brief Heinemanns an Thielicke vom 8. 1. 1968 (APO-Archiv BERLIN, R8). 105 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 10. bis 15. 1. 1968 (EZA BERLIN, 2/ 1772). 106 „Ein anderes Bewußtsein. Sollen Diskussionen Bestandteil des Gottesdienstes werden?“. In: EvKo 1 (1968), 121–127, 125f.; TÖDT, Protest, Hervorhebung im Original. Zu Tödts Biographie, SCHUHMACHER, Ethik, 36. Vgl. oben Kap. 2. 4. 1. 107 AUGSTEIN, Zahltag.

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dienststörungen weniger gelassen. In einer Umfrage, die „Christ und Welt“ zur Frage des Umgangs mit Demonstranten durchgeführt hatte, beklagte Asmussen die seiner Meinung nach absichtliche „Entheiligung der Stätten“. Auf die Diskussionsforderung sei „mit den im Kirchenkampf bewährten Rezepten“ zu antworten. Die Gemeinden sollten „alle sogenannten Gottesdienste meiden, die den neuen Kult dulden.“ Unter keinen Umständen dürfe man sich „auf die Absichten der Rabauken einlassen.“ Asmussen fragte nach den Fehlern der Älteren, die solche „grauenhaften Früchte gezeitigt“ hätten. Er selbst machte die „Preisgabe der Autorität“ dafür verantwortlich. Für den 30 Jahre jüngeren Frankfurter Pfarrer René Leudesdorff blieb es dagegen ein Rätsel, was die Kirchen falsch gemacht hätten, dass nun so „nachdrücklich“ gestört werde108. Die Gemeinde habe trotz allem ein Recht auf den Gottesdienst als kultische Feier. Dies dürfe aber nicht zur Liturgie als Selbstzweck verführen und von den „ethischen Pflichten der Gemeinde“ ablenken. Zusammen mit dem Landesbischof von Kurhessen-Waldeck, Erich Vellmer, votierte er dafür, den Dialog mit den Studenten zu suchen. Nach Vellmer sollten sich die Kirchen selbst als Forum für sachliche Diskussionen zur Verfügung stellen, um Gottesdienststörungen vorzubeugen. Bei der Suche nach den Ursachen des Protests sollte nicht übersehen werden, dass mit den Aktionen offenbar „immer noch“ die Vorstellung verbunden sei, die evangelische Kirche bilde „den Raum für Protestaktionen“. Das Wort Protestari heiße schließlich „für etwas zeugen“. Auf der anderen Seite wende sich der Protest auch gegen etwas, „das bekämpft wird.“ Die Kirche werde als „bürgerliche Interessengruppe“ angesehen; das solle sie nicht sein, denn der christliche Glaube „hatte zu allen Zeiten, wenn er lebendig war, immer auch etwas Revolutionierendes, gerade weil er wußte, daß im Grunde nicht Revolutionen, sondern Gottes Tat die Zukunft schafft“109.

108 Als Student hatte Leudesdorff an der gewaltfreien „Besetzung“ Helgolands 1950/1951 teilgenommen, um gegen die Nutzung der zwangsevakuierten Insel als britisches Bombentestgebiet zu protestieren. 109 „Wenn die Demonstranten kommen. Eine Umfrage: Was soll man bei Gottesdienststörungen tun?“. In: ChrWelt, Nr. 5 vom 2. 2. 1968, 8. Der Artikel wurde ergänzt mit einer Ablichtung, die ein Kirchengemäuer zeigt. Daran war ein Schild angebracht mit der Aufschrift „Zutritt nur für Beter“. Das Foto wurde kommentiert mit der Frage „Nutzt dieses Schild der Kirche?“ (EBD).

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„Kritische Solidarität“ – Vietnam-Kongress und „Revolution“ in Bad Boll 183

3.3 „Kritische Solidarität“ – Vietnam-Kongress und „Revolution“ in Bad Boll Der SDS rückte die Gewaltfrage nach dem 2. Juni 1967 weiter in den Vordergrund110. Der formelhafte Kompromiss „Gewalt gegen Sachen ja, gegen Menschen nein“, auf den man sich im SDS bis dato geeinigt hatte, wurde in Frage gestellt111. In der Praxis vollzog sich dieser Wandel jedoch weniger rigoros wie in der Theorie. Anfang November erklärte Dutschke im ARD-Magazin „Monitor“, die Studentenbewegung werde nur durch Provokationen öffentlich wahrgenommen112. In der Folge kam es – unter dem Suffix -in – zu weiteren Protest- und Störaktionen. Die Zusammenstöße mit der Polizei häuften sich. Es entstand eine Eskalationsspirale, in der Teile der „Bewegung“ und der „angstbesetzte“, durch den Springer-Verlag artikulierte „Institutionalismus“ sich gegenseitig hochschaukelten113. Die Entwicklung blieb auch Gollwitzers Assistent nicht verborgen. Nachdem er die Studenten bislang uneingeschränkt unterstützt hatte, warnte Friedrich Wilhelm Marquardt nun vor in Gewalt umschlagenden „irrationalen“ Protesten114. Im Vorfeld des Internationalen Vietnam-Kongresses, den der Westberliner SDS organisierte, sah sich auch die Frankfurter ESG zur kritischen Stellungnahme genötigt. Der SDS hatte in Frankfurt ein teach-in über „Waffen für den Vietcong“ veranstaltet. Darin bezichtigte er die Aktion „Brot für die Welt“ der Mitschuld an der Not in der Dritten Welt. Die ESG verteilte darauf ein Flugblatt, in dem sie die Forderung, „Brot für die Welt“ durch „Waffen für die Dritte Welt“ zu ersetzen, scharf kritisierte: Der SDS habe behauptet, „die rein humanitäre Aktion verschleiere die Notwendigkeit einer revolutionären Umstrukturierung“ in vielen Entwicklungsländern. Zwar 110 Laut einer im Juli 1967 erhobenen Allensbach-Umfrage bekannten sich nur 14 Prozent der befragten Studenten zu den Zielsetzungen des SDS, ALY, Kampf, 80f. 111 DUTSCHKE / KRAHL, Organisationsreferat. Vgl. Habermas’ Fundamentalkritik am SDS, HABERMAS, Scheinrevolution. Den häufig zitierten Vorwurf des Linksfaschismus bedauerte er jedoch später – auch weil er den „neuen Stellenwert“ des gewaltlosen Widerstandes als „sinnvolles, legitimes und sogar notwendiges Mittel“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen habe, DERS., Protestbewegung, 139, 151 u. 191. Zum ambivalenten Verhältnis zwischen „Frankfurter Schule“ und Studentenbewegung, KAILITZ, Worten. 112 DUTSCHKE, Marsch, 79. 113 Vgl. NEGT, Achtundsechzig, 59–61. In West-Berlin verfügte der Verlag über eine Pressekonzentration von mehr als 70 Prozent. Die These ihrer „Bewußtseinsmanipulation“ steht jedoch auf einem anderen Blatt (KRAUSHAAR, Achtundsechzig, 321); SEITENBECHER, Cäsar, 60–61 u. 76; KRUIP, Welt, 15f. Zum Religionsjournalismus des Springer-Verlags, unten Kap. 3.4. 114 „Studenten und Demokratie“, Vortrag, gehalten am 29. 1. 1968 vor der ESG Mainz (MARQUARDT, Studenten, 33–46, 46).

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stimme man dem SDS zu, „wenn er auch von der Kirche fordert, die Probleme der Dritten Welt als politische Probleme zu erkennen und nicht aus Unwissenheit und Scheu vor politischem Engagement ungerechte Gesellschaftsstrukturen zu verfestigen.“ Es sei dennoch „abstrakt und unmenschlich“, wenn er „Brot für die Welt“ aus „einer bestimmten politischen Konzeption heraus“ anprangere. Die ESG untermauerte ihre Kritik mit einem Marcuse-Zitat und schlug den SDS damit gewissermaßen mit dessen eigenen Waffen: „‚Wir müssen endlich einmal wieder lernen, [. . .] dass humanitäre und moralische Argumente nicht bloß verlogene Ideologie sind, sondern zentrale gesellschaftliche Kräfte werden können und werden müssen. Wenn wir das von vornherein als unsere Argumentation ausschließen, verarmen wir in einer Weise, die uns waffenlos macht gegenüber den stärksten Argumenten der Verteidiger des Bestehenden.‘“115

Giselher Wirsing, Chefredakteur von „Christ und Welt“, meinte Parallelen zwischen der Entwicklung des Vietnamkrieges und der Radikalisierung der Studentenproteste wahrzunehmen. Der Beginn der nordvietnamesischen TetOffensive am 31. Januar habe zu einer „einschneidenden Wandlung“ der Weltlage geführt. In der Bundesrepublik flamme „seit einer Woche ein Terrorismus auf, der keine Randerscheinung mehr ist.“ Plötzlich gebe es „eine Art Vietkong auf eigenem Boden“. Wirsing zog daraus den völlig überzogenen Schluss, man könne „nach den Vorfällen der letzen Wochen“ nicht mehr daran zweifeln, „daß die Kerntruppe des SDS nach einem wohlüberlegten Plan in der Bundesrepublik eine Art Guerillakrieg beginnen will, der auf eine Eskalation des Terrorismus abzielt.“116 Inmitten der Vorbereitungen für den Vietnam-Kongress verließ Rudi Dutschke am 11. Februar das unruhige West-Berlin in Richtung schwäbische Provinz. Die Evangelische Akademie Bad Boll hatte ihn zu ihrer Tagung „Novus Ordo Saecularum oder: Das Problem der Revolution in Deutschland“ eingeladen. Die dreitägige Veranstaltung drehte sich um die Frage, ob „die Gesellschaft der Bundesrepublik der Revolution bedarf“117. Die Akademieleitung um Eberhard Müller gestattete es dem Studentenführer allerdings nicht, selbst zu referieren. Um Bedenken, Dutschke könne die Akademie als agitatorische Bühne nutzen, zu zerstreuen, teilte Müller den Akademiefreunden mit, es sei vorgesehen, Dutschke mit „bekannten“ Ordinarien – wie Flechtheim 115 Undatiertes Flugblatt, Evangelische Studentengemeinde an der Universität Frankfurt am Main (APO-Archiv BERLIN, 449–450); MARCUSE, Diskussion, 57f. 116 WIRSING, Vietkong. Dass Wirsing bereits im Dritten Reich als Publizist Karriere machte, war bekannt. 117 So der Wortlaut in der Einladung, http://www.ev-akademie-boll.de/akademie/geschichte/ dutschke-bloch/# [21. 4. 2012].

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oder dem Juristen Werner Maihofer – „zu konfrontieren“118. Die Akademieleitung entgegnete einem Leserbrief in der „Stuttgarter Zeitung“, bei der kommenden „Revolutionstagung“ gehe es nicht um eine Schockierung ihrer Zuhörer, sondern um ein notwendiges Gespräch. Das Christen aufgetragene „Amt der Versöhnung“ stehe schließlich im Mittelpunkt119. Die Tagung begann in Abwesenheit Dutschkes mit einer Abendveranstaltung. Ernst Bloch las aus seiner erweiterten Auflage von „Thomas Münzer als Theologe der Revolution“120. Wolf-Dieter Marsch referierte am nächsten Tag über den Hergang der Genfer Weltkonferenz und den nicht nur von westdeutschen Teilnehmern artikulierten Widerspruch gegen Richard Shaulls Referat. Einer „bestimmten theologischen Richtung (ich nenne den Namen Jürgen Moltmann)“, der Marsch sich eigenen Angaben zufolge selbst verbunden fühlte, werde nun „eine bedingungslose, unkritische und uneindeutige Option“ für „revolutionäre Gebärde und Aktion“ unterstellt121. Er selbst meide daher bewußt den Ausdruck „Theologie der Revolution“. Das „revolutionäre Bewusstsein des Christen“ verlange im Übrigen, so Marsch weiter, genau das, was dem Revolutionär eigentlich nicht passieren dürfe, nämlich „keinen todsicheren, totalen und umfassenden Fahrplan für eine allumfassende Welterneuerung zu haben, sondern statt dessen sich die bestehende Welt und sich selbst immer wieder genau anzusehen, kritisch zu prüfen und die bestehende sogar anzunehmen, notfalls leidend, das Zeichen des Nazareners vor Augen.“122

Der Wuppertaler Theologe wandte sich damit an die „kleine radikale Minderheit“ anwesender Studenten. Nachdem der Politologe Flechtheim für gewaltlose Revolution geworben hatte, erhob der Tübinger Vorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Anspruch auf die Diskussionsleitung. Die Stimmung „drohte zu kippen“. Der „Antrag“ wurde von der Mehrheit jedoch überstimmt, so dass das Gespräch doch noch fortgesetzt werden konnte123. Am nächsten Tag warteten nicht nur die über 200 Tagungsteil118

Zit. n. WALTHER, Bad Boll, 152. Zit. n. epd-ZA, Nr. 20 vom 24. 1. 1968, 2. Zum Selbstverständnis der Akademien, oben Kap. 2. 2. 1. 120 BLOCH, Thomas Münzer [1969]. 121 Im „Spiegel“ wurde der „revolutionäre Inhalt“ von Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ als „Grund des ungewöhnlichen Buch-Erfolges“ gehandelt („Kinder des Protests“. In: Der Spiegel, Nr. 4 vom 22. 1. 1968, 93–96, 93). 122 „Christliche Eschatologie und revolutionäres Bewusstsein“, überarbeitete Bandabschrift (EZA BERLIN, 87/867). Vgl. die im April veröffentlichte Überarbeitung seines Referats, MARSCH, Bewusstsein, bzw. in Auszügen, DERS., Christen. 123 WALTHER, Bad Boll, 152; FLECHTHEIM, Plädoyer. Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich der RCDS, seine Attraktivität innerhalb der Studentenschaft durch eine Distanzierung von CDU/ CSU zu steigern, SPIX, Abschied, 122f. 119

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nehmer, sondern auch insgesamt 47 akkreditierte Journalisten auf Dutschkes verspätete Ankunft124. Die Akademieleitung hatte das Angebot der Göppinger Polizei, 300 Meter entfernt ein 100 Mann starkes mobiles Einsatzkommando in der örtlichen Turnhalle versteckt in Stellung zu bringen, zuvor dankend ausgeschlagen; Eigenitiativen seitens der Ordnungshüter wurden ebenso abgelehnt125. Es blieb friedlich. Die Podiumsdiskussion verlief im Umgang – v. a. zwischen Dutschke und Bloch – zwar harmonisch, wurde aber nichtsdestotrotz mit offenem Visier geführt. Bezeichnend dafür war Flechtheims jovial umschriebene Frage an Dutschke, ob die „traditionellen Formen revolutionärer Gewaltanwendung“ des 18. und 19. Jahrhunderts nicht durch „zeitgemäßere Formen gewaltloser Aktionen“ ersetzt werden müssten. In diesem Sinne vermutete er, „die Faust eines jeden Polizeiwachtmeisters oder jedes Möbelpackers“ sei stärker als diejenige des „Herrn Dutschke“, worauf dieser süffisant antwortete, er habe „mal Schwerathletik“ getrieben126. In der Sache antwortete Dutschke – in Anlehnung an Marcuse –, die Revolution beginne nicht mit Gewalt, schließlich sei „die Existenz der Konterrevolution“ eine sublime Form „permanente[r] Gewaltanwendung“. Im „Spätkapitalismus“ werde sie „tagtäglich“ ausgeübt, verwandele sich aber genau dann, „wie am 2. Juni“, in „manifeste Gewalt“, wenn „die Beherrschten“ anfingen, „anti-autoritär zu kämpfen.“ Dutschke betonte, man könne und werde die Polizeimethoden „nicht militärisch im Sinne der Vietcong“ bekämpfen. Im griechischen Militärputsch sah er dagegen Anzeichen für eine Verschärfung der Auseinandersetzung. Die Ablehnung von Guerilla-Methoden beziehe sich daher nur auf das „gegenwärtige Maß“ an „Repression“ in der Bundesrepublik. Mit anderen Worten: Nur zum jetzigen Zeitpunkt könne „Gewalt gegen Menschen“ nicht als „revolutionäre Gewalt“ legitimiert werden. Den Tyrannenmord hielt Dutschke prinzipiell für gerechtfertigt; „solche Praktiken“ aber gegen Mitglieder der Bundesregierung „und andere Charaktermasken“ anzuwenden, sei „falsch, unmenschlich“ und konterrevolutionär, schließlich seien diese „jederzeit austauschbar“. Darauf fragte ihn Marsch, ob er „den Gedanken der produktiven, nicht-repressiven Toleranz

124 Dutschke gab an, das erste Flugzeug aus West-Berlin schlicht verschlafen zu haben. Angesichts der Versuche des dortigen Senats, den geplanten Vietnam-Kongress zu verhindern, sei er kaum zur Ruhe gekommen, WALTHER, Bad Boll, 152f. Währenddessen tagte der Bundestag im Rahmen einer Aktuellen Stunde über die Studentenunruhen. 125 GEIGER / ROETHER, Dutschke, 62; MAUZ, Schwierigkeiten, 30. 126 Dieses und die folgenden Zitate entstammen dem Tonbandprotokoll, das „Der Spiegel“ fast ungekürzt auf elf Seiten abdruckte („Heiterkeit in die Revolution bringen“. In: Der Spiegel, Nr. 10 vom 4. 3. 1968, 38–57).

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innerhalb unseres bundesrepublikanischen Systems überhaupt zu denken“ vermag. „Meines Erachtens“, so Marsch, „ist die Toleranz als Fähigkeit der Relativierung des eigenen Standpunkts und als Fähigkeit, den Standpunkt des anderen zu ertragen ein kostbares Gut der Zeit nach 1945. Ich fürchte aber, dass rein sozialpsychologisch die Herausforderung von Aggressivität in unserer zugegebenermaßen elenden, unsicheren gesellschaftlichen Situation Effekte zeitigt, die Sie nicht wollen, die Sie aber als verantwortlicher Bürger mit überdenken müssen. Ich meine die Provokation nach rechts.“127

Dutschke müsse bei der Ingangsetzung des von ihm geforderten demokratischen Lernprozesses auch die zu „Gegenagressionen“ tendierende „bürgerliche Mitte“ berücksichtigen. Dutschke sprach darauf von der Notwendigkeit, den Lernprozess mit gesellschaftlichen und innerkirchlichen „Basisgruppen“ zu forcieren. Fidel Castro habe kürzlich gesagt, die katholische Kirche sei „innerhalb der kommunistischen Weltbewegung“ mittlerweile „eine revolutionäre Gruppierung“ – zumindest „teilweise, während die kommunistischen Parteien impotente Kirchen geworden sind.“ Diese Entwicklung treffe auch auf die westdeutschen evangelischen Kirchen zu. Der aus einer „total isolierten Situation“ herkommende SDS habe deshalb seine „sektiererische[n] Eierschalen“ abzulegen. Man habe „nicht erwartet, dass wir jemals zur Avantgarde einer relativen Massenbewegung werden können.“128 Abschließend bedankte sich der Marxist Bloch bei dem über 50 Jahre jüngeren Studentenführer „für die Zerstörung eines Klischees, das sich bei interessierten Kreisen zum Teil gebildet hat, die also einen Butzemann hinstellen müssen mit dem Messer zwischen den Zähnen. Wir haben Warmes, nicht im mindesten Sektiererisches, Breites, in tiefer Toleranz gehört. Das ist ein neuer Ton auch in der revolutionären Bewegung, wie mir scheint.“129

„Ein anderer Dutschke?“, fragte der Kommentator der „Zeit“130. Der Berichterstatter des „Spiegel“ stimmte mit Ja. Nur eine „dem Unverständnis entspringende Gewalt“ könne Dutschkes „Gefolgsmann“ werden. Diesen Eindruck drängten auch dessen „Kernsätze“ auf. Der Verfasser machte allerdings deutlich, dass er sich seiner Sache nicht ganz sicher war131.

127 128 129

EBD., 49. EBD., 54. EBD., 57. Die Begegnung in Bad Boll markierte den Beginn einer fortwährenden Freund-

schaft. 130 „Ein Hauch von Revolution“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „v.K.“]. In: Die Zeit, Nr. 7 vom 16. 2. 1968, 14. 131 MAUZ, Schwierigkeiten, 32f.

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Akademieleiter Müller notierte im Rückblick, Dutschke habe „zweifellos“ einen undemokratischen Toleranzbegriff vertreten132. Einem über die Tagung erbosten Freund erklärte er, sie habe die „Krawallmacher“ dazu genötigt, „sich sachlich zu äußern“ und damit „zu enthüllen.“ Diesen Eindruck konnte Müller auch in Gesprächen mit Polizei- und Bundeswehrvertretern erfolgreich vermitteln. Weniger einsichtig zeigten sich die mit der Akademie kooperierenden Unternehmer133. „Die Welt“ würdigte das von der ältesten Evangelischen Akademie in der Bundesrepublik erbrachte „Kunststück, in der gegenwärtigen explosiven Erregung ein Gespräch zwischen Professoren und dem SDS-Agitator“ herbeigeführt zu haben und dieses „friedlich, fast familiär“ wieder zu beenden. Von Gewalt, so die Überschrift, habe er „diesmal nicht“ gesprochen134. Auch im Bericht des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ stand der vermeintliche Gewaltverzicht Dutschkes und „seiner Gesinnungsfreunde“ im Vordergrund135. Andere Berichte hingegen zeichneten ein weniger harmonisches Bild. In der „Stuttgarter Zeitung“ hieß es mit den Worten Maihofers, die Nebel seien „nur partiell“ gelichtet136. Die „Schwäbische Zeitung“ interpretierte Dutschkes Äußerungen über die Kirchen als „Suche nach ‚nützlichen Idioten‘“ (Lenin). Der Theologe Marsch habe, „direkt gefragt, ob eine revolutionäre Lage gegeben sei, geantwortet: ‚Nein, noch nicht.‘“ Trotz seiner „Sympathien für die jungen Revolutionäre“ wollten die anwesenden Studenten von Marschs Warnungen angeblich nichts wissen. „Immer wieder“ drängten sie „nach einer Rechtfertigung für die Gewalt.“137 Dazu hieß es im zweiten Artikel der „Welt“, vor Dutschkes Ankunft hätte die Tagung einen „Blick in den Abgrund“ vermittelt. Flechtheims Appell, keine „verletzende Gewalt“ anzuwenden, sei „zuwenig für die Ungeduld der radikalen, zornigen jungen Theologen, Juristen, Soziologen und Pädagogen“. Unter „dem Dach der Kirche“ sei es daher laut geworden. Das anschließende Gespräch zweier Studenten habe bewiesen, 132 MÜLLER, Revolution, 2. Der epd berichtete ebenfalls von Dutschkes Ausweichen, als Marsch seinem „Toleranzgedanken auf den Grund gehen wollte“ (epd-ZA, Nr. 36 vom 12. 2. 1968, 6). 133 Zit. n. WALTHER, Bad Boll, 155. 134 „Diesmal sprach Rudi Dutschke nicht von der Gewalt“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „-uhl“]. In: Die Welt (Berlin), Nr. 36 vom 12. 2. 1968, 4. 135 HÄHNLE, Professor. 136 Zit. n. dem Pressespiegel der Akademie-eigenen Hauszeitschrift, Aktuelle Gespräche 16 (1968), H. 1/2, 34–36, 35. 137 Zit. n. EBD., 36. Die „Notgemeinschaft“ verstand Dutschkes Auftritt als taktisches Manöver: Man wollte „die kirchlichen Kreise nicht zu abgrundtief erschrecken, weil man den gegen den Zugriff der Ordnungsmacht gesicherten Raum zu dringend braucht für das, was nun kommen soll“ (NNED 3 (1968), H. 3, 4).

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dass „bürgerliche, brave Kommilitone[n] der Faszination der Gewalt zu erliegen droht[en].“138 In West-Berlin spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen SDS und Senat indes weiter zu. Am 13. Februar untersagte Letzterer die Genehmigung einer zum Abschluss des Vietnam-Kongresses geplanten Demonstration. Tags darauf erklärte Dutschke, man wolle „keine Provokationen, sondern eine organisierte, disziplinierte Massenaktion“ und werde daher „alle Steinewerfer selbst festnehmen.“139 Der Senat hielt an seinem Beschluss fest. Zusammen mit dem Sozialdemokratischen Hochschulbund und weiteren Hochschulgruppen stellte die Westberliner ESG über den Rechtsanwalt Horst Mahler nun den Antrag auf Zulassung einer modifizierten Kundgebung. Vertreter der Kirchenleitung versuchten weiter zu vermitteln140. Nachdem in Gesprächen mit dem SDS auf eine gewaltlose Demonstration gedrungen worden war, wandte sich der Bischof brieflich an die Westberliner Gemeinden. Die Kirchenleitung sei besorgt, die Ereignisse des 2. Juni könnten sich „wiederholen, ja [. . .] vervielfachen.“ Scharf verwies auf die Vietnam-Erklärung der gerade zu Ende gegangenen Westberliner Tagung der EKU-Synode und bat um die Bekanntgabe und Erörterung der beigefügten Erklärung in den Wochenendgottesdiensten. Sollte, so Scharf, der Versuch zu nicht genehmigten „Demonstrationen unternommen werden und sollten sich daraus heftige Zusammenstöße auf den Straßen unserer Stadt ergeben, sollen unsere Kirchen Zufluchtsorte für gefährdete Passanten sein. [. . .] Wir wollen in diesen Tagen Gott inständig darum bitten, dass nicht Gewalt geschieht, auf der nie Segen ruht“141.

Die ESG wandte sich per Flugblatt an die Öffentlichkeit. Unter der darauf abgelichteten Synodalerklärung hieß es, die Erklärung der EKU-Synode beweise „wie notwendig die am Sonntag [. . .] geplante Vietnam-Demonstration ist. [. . .] Mitglieder der Kirchenleitung [. . .] haben mehrmals [. . .] sich für die Genehmigung [. . .] eingesetzt, weil sie wie viele Christen der Mobilisierung von Gewalt gegen einen berechtigten und notwendigen Protest entgegentreten wollten. [. . .] Trotzdem hat der Senat [. . .] eine Notsituation geschaffen. Ein Polizeieinsatz, wie ihn Berlin seit Jahren nicht gesehen hat, ist geplant. Wir appellieren an alle Polizeibeamten, jede Gewaltanwendung gegen Demonstranten zu vermeiden, auf keinen Fall aber Schusswaffen und Tränengas einzusetzen. Wir appellieren an die Bevölkerung, selbst wenn

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PFUHL, Tomaten. Zit. n. HASSELMANN, Gemeinde, 89. 140 EBD., 90. 141 Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 43f. Dort im Abdruck einschließlich der VietnamErklärung der Synode der EKU (West), EBD., 43–45, 45. 139

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sie die Demonstration ablehnt, sich durch niemanden gegen die Demonstration aufhetzen zu lassen, sondern mit ihnen über die Ziele ihrer Aktion zu diskutieren“142.

Nachdem der von der ESG mitgetrage Antrag abgelehnt worden war, scheiterte auch der von weiteren Persönlichkeiten, unter ihnen Günter Grass und Martin Fischer – früher Leiter der BK-Studentenarbeit, nun Ordinarius an der Kirchlichen Hochschule –, unternommene Versuch, eine Demonstrationsgenehmigung zu erreichen. Auf Antrag der ESG und des Liberalen Hochschulbundes erließ das zuständige Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung, so dass die Demonstration doch noch stattfinden konnte. Laut Studentenpfarrer Hasselmann hätte die ESG es allerdings „schwer gehabt“, an dem zweitägigen Kongress im Audimax der TU teilzunehmen, wäre sie dazu eingeladen worden. Ob ESG-Mitglieder ihn besuchten, bleibt offen143. Hasselman spielte an auf den Gewaltdiskurs, der sich – dies belegen Dutschkes Redebeiträge („In Vietnam werden auch wir tagtäglich zerschlagen, und das ist nicht ein Bild und ist keine Phrase“144) – auf der Veranstaltung weiter verschärfte. Angesichts der gewalttätigen, von der Polizei teilweise geduldeten Übergriffe durch Gegendemonstranten, die der selbst gewaltlos, dafür aber „militant“ agierende Demonstrationszug am 18. Februar erlitt, gewann die „Gewaltoption“ weiter an „Evidenz“145. An der Vietnam-Demonstration nahm auch die ESG teil. Mit Bannern und Flugblättern erging der Hinweis, dass auch die Kirchenleitung sich für die Genehmigung eingesetzt habe, schließlich habe auch sie „der Mobilisierung von Gewalt gegen einen berechtigten und notwendigen Protest entgegentreten“ wollen146. Die Kirchenleitung distanzierte sich wiederum ihrerseits von den „Aufforderungen zu Mord und Gewalt“, die trotz des weitgehend friedlichen Ablaufs der Demonstration „während des Vietnam-Kongresses und durch Plakate im Zusammenhang der Demonstration geschehen sind.“ Die Rede, die der ESG-Sprecher auf der Schlusskundgebung hielt, blieb hingegen unkommentiert147. Dieser hatte den Kongress als Fortschritt der „antiautoritären Opposition“ bezeichnet. Christen verlangten 142 143 144

Zit. n. HASSELMANN, Gemeinde, 91f. Zit. n. EBD., 88; BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 45. SDS WESTBERLIN / INTERNATIONALES NACHRICHTEN-

UND

FORSCHUNGSINSTITUT, Kampf,

123. 145 PETTENKOFER, Gewalterfahrung, 115; GILCHER-HOLTEY, Transformation, 214f. Teil der „relativ militanten Demonstrationstechnik“ war das medial in Szene gesetzte untereinander eingehakte Vorwärtsstürmen in Blöcken (FICHTER / LÖNNENDONKER, Geschichte, 126). Vgl. DAVIS, Terror, 157. 146 „Mobilisierung von Gewalt?“. In: BSBl, Nr. 8 vom 25. 2. 1968, 2. 147 Mitteilung aus der Sitzung der Kirchenleitung vom 20. 2. 1968, zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 47; „Stellungnahme der Kirchenleitung“. In: Bild (Berlin), Nr. 144 vom 21. 2. 1968, 2.

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„Kritische Solidarität“ – Vietnam-Kongress und „Revolution“ in Bad Boll 191 „daß ihre Kirche die selbstverständliche Identifikation mit der bestehenden gesellschaftlichen Wirklichkeit aufgibt, um sich der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit wieder zu verpflichten. Immer mehr setzt sich moralischer Protest um in konkrete, verändernde Aktionen. Die Opposition braucht aber eine Strategie [. . .]; es kann [. . .] nicht nützen, wenn sie das ständig virulente Potential an Gewalt in dieser Gesellschaft herausfordert, anstatt es durch aufklärende Aktionen zu überwinden. Vietnam ist das Zeichen unserer Zeit. Wer diesen Krieg beenden will, muß heute wissen, daß er in unserer Gesellschaft die Ursachen von Unterdrückung abschaffen muß.“148

„Trotz dieser eindeutigen Parteinahme“ sei die ESG an der FU, so Hasselmann, mit ihrer „Rolle bei diesen Ereignissen“ nicht zufrieden gewesen149. Sein Amtsbruder an der TU verfasste zusammen mit einem Mitglied der ESGHochschulkommission einen Erfahrungsbericht über ihre Demonstrationsteilnahme, den das Bonner Hochschulreferat schließlich allen westdeutschen Studentengemeinden zusandte. Hinsichtlich des Verhaltens einzelner ESG-Mitglieder bei kommenden Demonstrationen sei zu fragen: „Haben wir uns unter allen Umständen gewaltfrei zu verhalten? Auch wenn man im Gegensatz zum SDS es ablehnt, über Notwehrorganisation vorherige Ratschläge zu verbreiten, so erscheinen vorherige Überlegungen über Möglichkeiten und Grenzen berechtigter Notwehr sinnvoll. Damit sahen wir uns erstmals konkret mit dem bislang für uns relativ theoretischen Problem von Gewaltfreiheit und Gewaltanwendung konfrontiert.“150

Als Reaktion auf die Demonstration der (angereisten) Vietnamkriegsgegner und als Sympathiebekundung der Westberliner gegenüber ihrer Schutzmacht USA wussten Senat, Parteien und Gewerkschaften „keine bessere Antwort als eine administrierte Konterrevolution“, so „Der Spiegel“. Auf der Großkundgebung vor dem Schöneberger Rathaus herrschte am 21. Februar gar „Pogromstimmung“151, in deren Folge nicht nur junge Passanten, die man für Studenten hielt, tätlich angegriffen wurden152.

148

Zit. n. HASSELMANN, Gemeinde, 92f. Vgl. epd-ZA, Nr. 42 vom 19. 2. 1968, 2. HASSELMANN, Gemeinde, 93. 150 Bericht über Vietnam-Demo vom 18. 2. 1968 an alle Evangelischen Studentengemeinden, von Reinhard Tietz und Dieter Vogel, 12. 3. 1968 (EZA BERLIN, 734/10). 151 „Und sei es mit Gewalt“. In: Der Spiegel, Nr. 9 vom 26. 2. 1968, 23–26, 23; HERMANN, Kurs. 152 Vgl. den Protestbrief eines Westberliner Pfarrers an Klaus Schütz, den Regierenden Oberbürgermeister. Als er einer am Boden liegenden jungen Frau zu Hilfe kommen wollte, sei er selbst tätlich angegriffen worden, „Und sei es mit Gewalt“. In: Der Spiegel, Nr. 9 vom 26. 2. 1968, 23– 26, 25f. 149

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Alexander Evertz holte in der „Welt am Sonntag“ nun zum großen Schlag gegen die „Politische Diakonie“ aus. Seit 1945 in der EKD gehätschelt, habe sie sich zu einer regelrechten „Gefahrenquelle für Kirche und Staat“ entwickelt. Die von Hasselmann im Namen der ESG erklärte „‚weitgehende Solidarität‘“ mit der Linken belege, es gebe „kirchliche Stimmen“, die „ganz offen ihre Sympathien“ mit jenen Gruppen bekunden, die „mit Terror und GuerillaKrieg auf die Zerstörung unserer Demokratie hinzielen.“ In „Genf und anderswo“ sei man dabei, „eine ‚Theologie der Revolution‘ zu entwerfen.“ Man wolle offenbar „nicht fehlen, wenn die Strategen der Weltrevolution zum ‚letzten Gefecht‘ aufrufen.“ Ungeachtet seiner früheren Tiraden gegen den westlichen Pluralismus präsentierte sich Evertz nun als Verteidiger der westdeutschen Verfassungsordnung: Nachdem sich die evangelische Kirche mitschuldig am Emporkommen des Nationalsozialismus gemacht habe, weil sie „im Gegensatz zur Demokratie gestanden“ sei, beteiligten sich kirchliche Gruppen heute auch „an der Unterhöhlung unserer zweiten deutschen Demokratie.“ Einer „erfreulichen Pressemeldung“ zufolge habe Dietzfelbinger die bayerischen Studentenpfarrer als Landesbischof dazu ermahnt, ihren Seelsorgeund Verkündungsdienste nicht durch „Festlegung auf bestimmte politische Meinungen und Gruppen zu hindern und zu mindern“. Die Mahnung, so Evertz, gelte allerdings „der ganzen Evangelischen Kirche.“153 Ende Februar tagten Rat und Kirchenkonferenz der EKD in West-Berlin. Im Mittelpunkt standen die „Lage der Jugend“ und die „Theologie der Revolution“. „Die Welt“ berichtete. Tödt konstatierte ein Übergreifen der Studentenproteste auf weitere gesellschaftliche Bereiche, u. a. „die Oberklassen der höheren Schulen und die Kirchen.“ Letztere sollten sich der Frage nach Reformen stellen, um nicht in eine „Zwangssituation“ zu geraten. Ebenfalls zur Sitzung der Kirchenkonferenz eingeladen, beurteilte Ludwig Raiser, Rektor der Universität Tübingen und Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, die Bereitschaft der älteren Generation, sich dem „stürmischen Auftreten der Jugend“ zu stellen, für „erschreckend gering“. Da auch „blindes Nachgeben“ unzulässig sei, komme es auf „das rechte Maß an Geduld und Festigkeit“ an, um diese „Autoritätskrise durchzustehen.“154 Auf der Ratssitzung stand wiederum die „Theologie der Revolution“ im Mittelpunkt. Deren theologische „Bewältigung“ wurde für die Herbsttagung der Synode 153 EVERTZ, Bethaus. Die Betrachtungen des Sprechers der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher zur „Revolution von links“ erschienen im Herbst dann auch im Buchformat, DERS., Kirche [1968]. 154 „Kirchenkonferenz berät Lage der Jugend“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „ga“]. In: Die Welt (Berlin), Nr. 52 vom 1. 3. 1968, 3.

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anvisiert. Man verwies auf die „Revolution der Welt“, die wenige Tage zuvor von der – erstmals getrennt tagenden – Synode der EKU in Ost- und WestBerlin zur Kenntnis genommen wurde155. Deren Hauptthema lautete: „Die Evangelische Kirche und der soziale Frieden in der Welt“ Die westdeutschen Synodalen befassten sich mit dem Vietnamkrieg und der Frage, wie mit den in Genf 1966 behandelten Themen seitens der EKU umzugehehen sei156. Die Synodalen bekamen hierzu einen Fragenkatalog „der Entwicklungsländer an die Industrienationen“ vorgelegt. Darin hieß es: „Glaubt ihr, das Thema ‚Revolution‘ theologisch sachgemäß beantwortet zu haben, wenn ihr es dogmatisch einordnet. [. . .] Seid ihr euch bewußt, daß euch kirchengeschichtlich erstmals ein theologisches Thema aufgegeben ist, daß nicht eurer Situation entstammt und deshalb nur im partnerschaftlichen Dialog mit uns richtig beantwortet werden kann? [. . .] Merkt ihr nicht, daß wir mit der Frage nach der ‚Theologie der Revolution‘ einen dynamischen Zeitfaktor in die Ethik einführen, weil uns für Evolutionen manchmal die Zeit fehlt und daß eurer bislang statischen Ethik dieser Zeitfaktor fehlte? [. . .] Könnt ihr nicht außer einer theologischen Antwort uns eure sozialwissenschaftlichen Einsichten so aufbereiten, daß sie uns vor romantischem Utopismus bewahren können?“157

Die Synode schnitt auch das Thema Gewalt als „Extrem christlichen Engagements“ an158. Inwieweit dabei Bezüge zu den Studentenprotesten und den Geschehnissen am Tagungsort West-Berlin hergestellt wurden, bleibt unklar159. Präses Beckmann mahnte an, „Revolution“ nicht als „Revolte“ zu verstehen, wie „es in unserer Tradition gewöhnlich geschah.“160 Vor diesem Hintergrund erschienen ab März zahlreiche Beiträge, die das Phänomen „Theologie der Revolution“ ausschließlich im Kontext der Studentenproteste thematisierten. Wolf-Rüdiger Schmidt, Religionsjournalist beim ZDF, konstatierte im „Deutschen Pfarrerblatt“, „die kirchliche Öffentlichkeit“ beginne nun das nachzuholen, was in Genf 1966 „in einem anderen Zusammenhang, aber unter der gleichen Thematik manifest wurde.“ Von einem Nachholprozess könne jedoch „nur dann“ die Rede sein, wenn sie nicht bei

155

Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28. / 29. 2. 1968 (EZA BERLIN, 2/

1772). 156

Vgl. dazu die Anstrengungen in der Evangelischen Kirche im Rheinland, oben Kap.

2. 5. 3. 157

LEFRINGHAUSEN, Fragen, 21f. THIMME, Kirche, 49f. 159 Sowohl in den untersuchten Medien als auch in der Dokumentation zur Synodaltagung, deren Veröffentlichung die Synode autorisierte, konnten keine näheren Hinweise gefunden werden, EVANGELISCHE KIRCHE DER UNION. 160 BECKMANN, Tätigkeitsbericht, 99. 158

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

„Oberflächenphänomenen“ wie der bloßen Verurteilung der Vorgänge als „Rabaukentum“ oder der „neutralisierenden Einordnung“ als das wiederkehrende „alte Generationenproblem“ stehen bleibe. Bad Boll habe die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung in bundesrepublikanischen Bezügen verdeutlicht. Es verwundere ihn aber nicht, dass die „Problematik einer Theologie der Revolution“ sich bei der Gewaltfrage zuspitze161. Die journalistisch sehr gut besuchte EKD-Informationstagung zur kommenden ÖRK-Vollversammlung trug andererseits dazu bei, dass nun auch die allgemeinen Medien über das Phänomen „Theologie der Revolution“ berichteten. In der „Stuttgarter Zeitung“ wurde den Lesern mitgeteilt, in Genf habe 1966 eine „wahre Revolutionseuphorie“ geherrscht, frei nach dem Motto: „Revolutionäre aller Konfessionen vereinigt Euch“. Den „Radikalen hierzulande“, die den „revolutionären Kampf“ auch in der Bundesrepublik für notwendig erachteten, komme „die Theologie der Revolution offenbar“ gerade recht. Mittlerweile seien auch die Kritiker erwacht, die darin eine „Saat der Gewalt“ aufgehen sehen. Eine „nicht geringe Zahl“ Theologiestudenten, Vikare und Pfarrer machten mit den Radikalen „gemeinsame Sache“. Mancherorts seien angehende junge Pfarrer gar „die Säulen des SDS“. Sei es „im Tübinger Stift oder in den norddeutschen Theologieschulen – überall gehen die Schlagworte“ der APO um. Studentenpfarrer, die wie Klaus Bockmühl in Heidelberg den Vorrang der Theologie vor der Politik verteidigten, gerieten wiederum in Konflikt mit den „studentischen Aktivisten. Die Konsequenz: Der Pfarrer trat zurück.“162 Wolfgang Schweitzer klagte, die kirchliche Öffentlichkeit wäre durch eine „ökumenische Diskussion“ auf die Studentenunruhen besser vorbereitet gewesen, hätte sie sich „im Wintersemester 1966/1967 und im Frühjahr 1967 intensiver und konstruktiver“ mit der Genfer Weltkonferenz auseinander gesetzt163. Schweitzer kritisierte Tödts Ausführungen in der „Ökumenischen Rundschau“. Dieser hatte – Shaull zitierend – bezweifelt, dass „gezielter Druck, der sich bis zur Gewaltanwendung“ steigere, einen Gesellschaftswandel im Sinne „humanitären Fortschritts erzeugen“ könne. Dem entgegnete nun Schweitzer, „Gegendruck“ bleibe auch bei gewaltlosem Widerstand nicht aus. Er tat dies unter dem unmittelbaren Eindruck der Attentate auf Martin Luther King und Rudi Dutschke am 4. bzw. 11. April. Da der SDS davor „kaum“ weiter gegangen sei „als King und seine Freunde“, stelle 161 SCHMIDT, Demonstrationsbewegungen, 194f., Hervorhebung im Original. Vgl. auch LOTZ, Begriff, ebenfalls im „Deutschen Pfarrerblatt“ (April-Ausgabe). 162 MÜLLER-HÜLSEBUSCH, Geistliche. Zur Walthers Ausführungen in Hannover, oben Kap. 2. 5. 3. 163 SCHWEITZER, Theologie, 174.

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auch der deutsche Studentenführer „kein Gegenbeispiel“ dar. Schweitzer zog daraus den sibyllinischen Schluss, offenbar wecke „jeder Widerstand Gegendruck.“ Geboten sei daher die offene Überwindung von Gegensätzen, „nicht ihre Vertuschung.“ Dies sei „mehr als das Prinzip der Gewaltlosigkeit.“164

3.4 Gewalt an Ostern: Wo sich die Geister scheiden Am Gründonnerstag 1968 wurde Rudi Dutschke von einem jungen Rechtsradikalen in Berlin niedergeschossen. Der Studentenführer überlebte schwerverletzt. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Per Flugblatt rief der örtliche SDS die APO dazu auf, sich noch am Abend im Audimax der TU zu versammeln. Es kursierte die Meinung, „Springer“ habe „mitgeschossen“. Nicht nur in West-Berlin, sondern auch im übrigen Bundesgebiet fühlten sich die Evangelischen Studentengemeinden zur Anteilnahme aufgerufen. Noch am selben Abend verteilte etwa die Mainzer ESG folgendes Flugblatt. Darin stand: „Wir können als Christen nicht Karfreitag feiern, ohne zu sehen, wo heute das Wort der Wahrheit und das Eintreten für die Unterdrückten mit Gewalt zum Schweigen gebracht werden soll. [. . .] Wer hier als Christ gleichgültig bleibt und schweigt, verrät seinen Herrn. Wer nicht sieht, wohin dieser Staat schon wieder geraten ist, nimmt seine christliche Verantwortung nicht ernst.“165

Am Karfreitag erklärte Bischof Scharf im RIAS, „alle, die wir in dieser Stadt leben“, seien „mitschuldig an dem Anschlag auf Rudi Dutschke“. Auch an jene „andern, die Ihr Euch nicht nach Christus nennt“, erging die Bitte, auf Gewalt zu verzichten166. In seiner Münchener Karfreitagspredigt bat der Ratsvorsitzende der EKD alle evangelischen Geistlichen, gemäß der Versöhnungstat Jesu vermittelnd zu wirken, „so nötig und beanspruchend manch anderes Engagement heute sein“ könne. „Diese Welt und Gesellschaft“, so Dietzfelbinger, müsse „wohl verändert werden.“167 In Berlin-Zehlendorf verließ eine Reihe von Gemeindegliedern den Gottesdienst, als der Pfarrer vor Beginn seiner Pre-

164

EBD., 180, Hervorhebung im Original. Zu Tödt, oben ausführlich Kap. 2. 5. 1. Zit. n. „Die Oster-Unruhen in Berlin und in der Bundesrepublik: Augenzeugenbericht, Flugblätter, Dokumente, Interviews“. In: Der Spiegel, Nr. 18 vom 29. 4. 1968, 32–60, 33. 166 Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 48, Hervorhebung im Original. 167 Zit. n. epd-ZA, Nr. 88 vom 16. 4. 1968, 2. Rückblickend erklärte er, er habe versucht, „der mit explosiver Spannung geladenen Gemeinde vom Text 2. Kor. 5, 19–21 her ein Wort zur Versöhnung zu sagen“. Dabei war er „dankbar, daß es nicht zu größeren Störungen“ durch Demonstranten gekommen sei (DIETZFELBINGER, Veränderung, 293). 165

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digt zustimmend ein Flugblatt des SDS zitierte, in dem die Schuld am Dutschke-Attentat „Springer“ und dem Senat angelastet wurde. In Frankfurt gestattete ein Pfarrer Demonstranten, vor Beginn des Gottesdienstes zur versammelten Gemeinde zu sprechen. Hans-Jürgen Krahl, Bundesvorstandsmitglied des SDS, erklärte, man wolle den Gottesdienst nicht stören; vielmehr erhebe man Klage gegen das Attentat. Nach dem Gottesdienst sei es laut epd zur Diskussion zwischen Studenten und Gemeinde gekommen. Ein ähnlicher Vorgang habe sich in Bremen abgespielt. In einem „Beat-Lokal“ wandte sich dort ein Studentenpfarrer an Jugendliche, indem er sie zur „Fortsetzung des gerechten Kampfes“ mit „den Mitteln der absoluten Gewaltlosigkeit“ aufforderte168. Die Organisatoren der regionalen Ostermarschkundgebungen verteilten am selben Tag Flugblätter in den Gottesdiensten. In Braunschweig wurden die Kirchgänger dazu aufgerufen, bei der Kundgebung am Ostersamstag „gegen jede Anwendung von Gewalt und Terror“ zu demonstrieren und sich dabei „nicht durch Äußerungen und Handlungen anderer provozieren zu lassen. Form, Inhalt und Aussage unserer Aktionen“ müssten „in jeder Hinsicht unseren Zielen entsprechen.“169 Ungeachtet aller Appelle kam es über die Osterfeiertage hinweg zu Straßenschlachten zwischen Polizisten und zumeist jugendlichen Demonstranten. Die Auseinandersetzungen erlangten ein in der Geschichte der Bundesrepublik bis dato unbekanntes Ausmaß. Ausgangspunkt der von West-Berlin auf bundesdeutsche Groß- und Universitätsstädte übergreifenden „Osterunruhen“ waren die gewaltsamen Übergriffe auf das an der Mauer gelegene Springer-Hochhaus am Abend des Gründonnerstags. Demonstranten versuchten – durch einen Molotov-Cocktails verteilenden agent provocateur weiter ermuntert170 – die Auslieferung von Zeitungen, v. a. der „Bild“, durch den symbolischen Einsatz von Gewalt gegen Sachgegenstände zu verhindern171 Die Vorgänge machten Schule: Unter der Parole „Enteignet Springer!“ kam es auch in westdeutschen Städten zu entsprechenden Versuchen, die Zeitungsauslieferungen mit Gewalt zu verhindern172. Die Bilanz der in Stand- und Fernsehbildern wirkungsmäch168

Zit. n. EBD., 3f. Erklärung der Kampagne für Demokratie und Abrüstung, Regionalausschuss Niedersachsen vom 12. 4. 1968, zit. n. BRUNOTTE, Rebellion, Flugblatt Nr. 68, dort im Abdruck. 170 Vgl. KRAUSHAAR, Bombe, 173 u. 173–181; KOENEN, Jahrzehnt, 128; und AUST, BaaderMeinhof-Komplex, 72f. 171 Vgl. den Bericht der „Zeit“ über das überzogene Vorgehen der Polizei, HERMANN, Aufstand. 172 In der Nacht vom 12. auf den 13. 4. 1968 soll ein Freiburger Vikar in Esslingen an der dortigen Aktion gegen den Springer-Verlag mitgewirkt haben. National-konservative Laien beschwerten sich daraufhin bei der badischen Kirchenleitung und der Landessynode. Deren 169

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tig festgehaltenen Unruhen lautete: zwei Tote sowie unzählige Verletzte unter Demonstranten, Polizisten und unbeteiligten Beobachtern. Es wurden Strafverfahren gegen rund 300 Studenten und 100 Schüler eingeleitet173. Angesichts der ersten Ausschreitungen vor Springer-Filialen warnten Studentenpfarrer und Universitätstheologen, die die gegen den Verlag gerichteten Demonstrationen an sich guthießen, vor einer weiteren Eskalation. An der Ruhr-Universität Bochum suchte der dort lehrende Theologieprofessor HansEckehard Bahr das Gespräch mit Studenten. Auf einer Großveranstaltung am Ostersamstag erinnerte er an das gewaltlose Vorgehen Martin Luther Kings, dessen Mitarbeiterkreis er 1966 noch persönlich angehört hatte174. Der ebenfalls bekennende „Linksprotestant“ Martin Schröter hielt es für notwendig, dass gerade die evangelische Jugend sich an den Demonstrationen beteilige, um mit gewaltlosen Methoden „humanisierend“ zu wirken. In diesem Sinne wandte sich sein Essener Kollege, Pfarrer Manfred Barkat, in einem offenen Brief an den SDS. Darin bezeichnete er das Vorgehen gegen die Springer-Filialen als illegitim, schließlich erzeuge Gewalt nur Gegengewalt175. Am Ostersonnabend wandte sich Kurt Scharf im ZDF an die „Studenten, den Republikanischen Club und die Jugendlichen“. Sie müssten sich allgemein fragen, „ob ihr Verhalten in den letzten Nächten dem berechtigten Anliegen ihres Vorbringens wirklich dienlich“ gewesen sei176. Schon am selben Nachmittag hatte sich die Situation in West-Berlin weiter zugespitzt. Während eines Demonstrationszuges auf dem Kurfürstendamm drängten Polizeieinheiten eine Gruppe von über 200 Demonstranten in eine Seitenstrasse ab. „Ohne jede Vorwarnung“ sei es dann zu einer „Kesselschlacht nach dem Vorbild des 2. Juni“ mit mehr als einem Dutzend Verletzten gekommen. Die eingeschlossenen Demonstranten wurden verhaftet und in die Sammelstellen mehrerer Polizeiinspektionen gebracht177. Das „Kesseltreiben“ war „Anlaß und Auftakt“ für zurückhaltende Reaktionen interpretierte Hans-Georg von Studnitz, der stellvertretende Chefredakteur von „Christ und Welt“, als Beleg für die „Verwirrung, die die ‚Theologie der Revolution‘ unter den Pfarrern stiftet“ (STUDNITZ, Gott, 116–118, 118); VERHANDLUNGEN DER LANDESSYNODE DER EVANGELISCHEN LANDESKIRCHE IN BADEN, 25. Zur „braunen“ Vergangenheit des Publizisten von Studnitz, LONGERICH, Propagandisten, 158. 173 SCHILDT, Rebellion, 141. 174 JÄHNICHEN / FRIEDRICH, Krisen, 129. Weiter dazu im folgenden Kapitel. 175 epd-ZA, Nr. 88 vom 15. 4. 1968, 3; „Gewaltmaßnahmen verschlimmern die Situation“. In: DtPfrBl 68 (1968), 373. 176 Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 50. 177 HERMANN, Aufstand. Der oben zitierte Bericht der „Zeit“ entspricht der Darstellung des „Tagesspiegel“. Dieser berichtete anhand der Gegenüberstellung von Augenzeugenberichten mit dem offiziellen Polizeibericht, „Von der Straßenschlacht zur Diskussion“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 68751 vom 17. 4. 1968, 5.

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eine mehrstündige Straßenschlacht auf West-Berlins „Schaufensterstraße“, bei der beide Seiten die „Beherrschung“ verloren178. Nachdem die im besetzten Audimax der TU Versammelten noch am Abend den Gedanken einer Befreiungsaktion diskutiert, diesen jedoch letztlich verworfen hatten, kam es am Ostersonntag erneut zu – allerdings noch schwereren – Zusammenstößen. Im Glauben, die Freilassung der im „Kessel“ Verhafteten stünde kurz bevor, fuhren Autokorsos am späten Abend zu den Polizeigefängnissen, um die Entlassenen abzuholen. Die dortige Polizeileitung deutete dies als Auftakt der wohl kolportierten Befreiungsaktion und gab den Befehl zur Räumung der Straße. Laut Augenzeugen stürmten Polizisten „ohne Vorwarnung“ aus dem Gebäude und schlugen „wahllos und mit ungewöhnlicher Härte“ auf Demonstranten, Autoinsassen und Schaulustige ein179. Nach dem Bekanntwerden des Polizeieinsatzes gewannen jene Stimmen Oberwasser, die für drastischere „Gegengewalt“ plädierten. In dieser kritischen Situation erklärten sich Scharf und Gollwitzer auf Anfrage der Demonstranten hin bereit, zu später Stunde in das TU-Audimax zu kommen, um auf die dort versammelten Studenten und Jugendlichen beruhigend einzuwirken. Der Journalist Hans Schwab-Felisch, Leiter des Düsseldorfer WDR-Studios, zog den Schluss, die Kirchen bzw. ihre Repräsentanten würden offenbar doch noch gebraucht180. Der Bischof sicherte zu, die ihm geschilderten Polizeimethoden gegenüber dem Senat anzuprangern, sollten die ihm dargelegten Berichte, wahr sein. Zur Gewaltfrage erklärte Scharf, dessen Ausführungen immer wieder durch z. T. sarkastische Zwischenrufe unterbrochen wurden, er könne „hier als Mann der Kirche und in persönlicher Überzeugung Ihnen nur sagen“, dass eine systematische Organisation von Gegengewalt die Gewalt „der anderen Seite nur wieder“ steigern werde. Da die Demonstranten nach den Ereignissen der letzten Tage „weithin die Leidenden“ gewesen seien, sei eine Situation entstanden, in der Gespräche „erfolgreich“ verlaufen könnten. Scharf riet daher, „daß Sie in Aktion bleiben ohne Gewaltanwendung.“181 Gollwitzer zeigte sich „erfreut“ über die Äußerungen 178

EBD.; HERMANN, Aufstand. EBD.; „Von der Straßenschlacht zur Diskussion“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 68751 vom 17. 4. 1968, 5. 180 SCHWAB-FELISCH, Sprache, 97f. Gollwitzer war soeben von einem zweimonatigen USAAufenthalt zurückgekehrt. Später erklärte er, die Anfrage zunächst abgelehnt zu haben, schließlich sei er über die Vorkommnisse der letzten Tage „zu wenig im Bilde“ gewesen (GOLLWITZER, Frage, 167). 181 Zit. n. ERK, Gewissen, 271–275, 272f. Vgl. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 50–56, 52– 54. Die hier abgedruckten Ausführungen des Bischofs entsprechen der Tonbandabschrift (ELAB BERLIN, 55.1/686). 179

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des Bischofs und stellte sich auf die Seite der Studenten. Das „Fernziel“ eines „funktionierenden sozialistischen Staat[es]“ sei „mit revolutionären Methoden“ aber nicht zu erreichen. Er empfahl, zwischen „violence und power“ zu unterscheiden, und zwar in folgendem Sinne: „Erstens auf keinen Fall Gewalt gegen Menschen [. . .] Und das kann der eine aus gewissentlichen Gründen und aus Respekt vor dem Leben eines anderen bejahen und der andere kann es aus politischen und technischen Gründen bejahen. Aber wer fünf Minuten nachdenkt, weiß, daß von studentischer Seite [. . .] nichts Schlechteres geschehen kann, als das, wenn einer von uns [. . .] Gewalt gegen Menschen anwendet, und auch wenn es Polizisten sind. Und bei Gewalt gegen Sachen sollte eisern die Linie eingehalten werden, daß nur rational gezielte Gewalt gegen Sachen gerechtfertigt ist. Und alles andere nicht.“182

Scharf meldete sich im Verlauf der Diskussion nochmals zu Wort. Es gelte, der „Totalität der Eindimensionalität, um Marcuse zu zitieren“, zu wehren. Er selbst fühle sich verantwortlich, „auch die Motive derer zu bedenken, die ebenfalls zu unserer Kirche gehören und die auf der anderen Seite stehen“. Seine eigene Waffe und die der Kirche sei „allein das Wort“. Die Frage einer manipulierenden Pressekonzentration könne nur in gesetzlichen Bahnen beantwortet werden; die jüngsten Aktionen gegen den Springer-Verlag würden dessen Abonnentenzahlen nur noch weiter erhöhen. Gewalt gegen Sachen dürfe nicht zu Feuerbränden führen, durch die eine „breite öffentliche Gefährdung eintreten“ könne. Kirchlicherseits habe man sich stets gegen „jede Art des Krieges“ gewandt. In diesem Moment ertönten mehrere Zwischenrufe, u. a. den Ausspruch „Weihwasser für Gewehre“ betreffend. Scharf entgegnete, dies sei „Propaganda, die nicht zutrifft.“ In der evangelischen Kirche seien „Waffen nicht geweiht worden.“ Weitere Zwischenrufe zur Militärseelsorge kommentierte er mit dem Hinweis, sie habe eine „völlig andere Funktion“ als hier dargestellt183. Schon die Zwischenrufe verdeutlichen, dass Scharfs pastorale Äußerungen – v. a. sein Vorbehalt gegenüber Gewalt gegen Sachen – beim Publikum weniger gut ankamen als Gollwitzers Sozialismusrhetorik. In der angespannten Lage machte auch der Ton die Musik. Das Gros der Anwesenden zollte Scharf dennoch Respekt184. Noch überraschender waren am nächsten Tag die insgesamt wohlwollenden Reaktionen, als Heinrich Albertz ohne Personenschutz die Höhle des Löwen betrat, um dort die eigenen Versäumnisse im Umgang mit den Geschehnissen des 2. Juni 1967 anzuprangern. Sowohl im Audimax als auch in seiner Rede auf dem Hammarskjöldplatz rief der nunmehr wieder als 182 183 184

Zit. n. EBD. Zit. n. ERK, Gewissen, 55f. Vgl. TREULIEB, Marsch, 156f.; HERMANN, Aufstand. Zur Person Kurt Scharf, vgl. oben 105f.

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Pastor wirkende ehemalige Regierende Bürgermeister zu einem umfassenden Gewaltverzicht auf185. Bei der Großveranstaltung verteilten die Berliner Studentengemeinden ein gemeinsam verantwortetes Flugblatt. Wegen des Springerschen „Progrom-Journalismus“, so die Erklärung, sähen viele Studenten „keine andere Möglichkeit mehr“, ohne den „Einsatz von Gewalt“ Gehör zu finden186. Während es in West-Berlin am Ostermontag relativ „ruhig“ blieb, trat in München genau das ein, was man in der geteilten Stadt befürchtet hatte. Während einer Anti-Springer-Aktion wurden ein Pressefotograf sowie ein Student durch geworfene Gegenstände so schwer verletzt, dass sie ihren Kopfverletzungen später erlagen187. Die erste Todesmeldung verschärfte die nach den Feiertagen geführte Diskussion um Gewalt gegen Sachen. Bereits vor den Osterunruhen hatten die von Andreas Baader und Gudrun Ensslin gelegten Frankfurter Kaufhausbrände eine weitere Gewaltentgrenzung angedeutet. Am 17. April veröffentlichte „Der Tagesspiegel“ eine von den Allgemeinen Studierendenausschüssen (AStA) der FU, der TU und der Kirchlichen Hochschule West-Berlin verantwortete Erklärung. Diese bejahten die Gewalt gegen Sachen als „einzig möglichen“ Weg „zur Artikulation“188. Noch am 19. April, als die Medien bereits ausgiebig über die erste Münchener Todesnachricht berichteten, wurde die Erklärung in Flugblättern weiter vertrieben189. Zwei Tage zuvor hatte an der Kirchlichen Hochschule eine Feierstunde zum Gedenken an Martin Luther King stattgefunden. Martin Fischer würdigte dessen „wohldurchdachte Theorie der Gewaltlosigkeit“. Der christliche Glaube habe den Ermordeten vor Haltlosigkeit bewahrt. Auf Bitte des AStA diskutierten Studenten und Professoren schließlich über die Gewaltfrage. Als ein Student die Zerstörung von Produktionsmitteln als mögliche revolutionäre Methode ins Spiel brachte, stellten die Professoren – darunter Gollwitzer, der zuvor über seine Teilnahme an Kings Beisetzung in Atlanta berichtet hatte – die Gegenfrage: „Wo steht das im Evangelium, und wenn Ihr schon im Evangelium nicht Bescheid wißt, wo steht das bei Marx?“, dem es bekanntlich um den Besitz von Produktionsmitteln gegangen sei190. Noch am selben Tag erklärte das als Repräsentativorgan 185 EBD.; SCHUSTER, Heinrich Albertz, 260–266; „Die Bewegung der jungen Generation“. In: JK 29 (1968), 360–370. 186 Zit. n. epd-Grüner Dienst, Nr. 13 vom 18. 4. 1968, 3–4, 4, dort im Abdruck. 187 „Gewisse Scheu“. In: Der Spiegel, Nr. 18 vom 29. 4. 1968, 74–77. 188 „Warum Gewalt?“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 6871 vom 17. 4. 1968, 6. 189 Diesen Schluss lässt das auf diesen Tag datierte Flugblatt mit der Überschrift „Gewalt“ zu (APO-Archiv BERLIN, R 6–1383). Zu den Geschehnissen in München, MASCHNER, Tod. 190 Zit. n. „Diskussion in der Kirchlichen Hochschule über Gewaltanwendung“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 6872 vom 18. 4. 1968, 6; FISCHER, Martin Luther King. Zur Diskussion, vgl.

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der APO auftretende „Aktionskomitee“, „im Zweifel“ lehne man auch Gewalt gegen Sachen ab, um Menschenleben nicht zu gefährden191. Mit Blick auf die Demonstrationen zum 1. Mai mehrten sich in der ESG aber die Bedenken hinsichtlich der Durchhaltung dieser Position. Nachdem der ESG-Vertreter im „Aktionskomitee“ berichtet hatte, seine Stimme sei dort „ohne jedes Gewicht“, entschlossen sich Studentenpfarrer Hasselmann und die vier Vertrauensstudenten der ESG (FU) ihre Sorgen und Beobachtungen der Gemeinde per Rundbrief mitzuteilen. Rückblickend beklagte Hasselmann, der Brief sei „von vielen Zeitungen“ als „Sensationsmeldung“ über eine „grundsätzliche Distanzierung“ der ESG (FU) von der APO aufgemacht und interpretiert worden. Nur „Der Tagesspiegel“ habe sich an den Wortlaut gehalten192. Dort hieß es, Hasselmann und die Vertrauensstudenten kritisierten, „die ‚noch sehr undeutliche Führungsspitze‘ der sogenannten außerparlamentarischen Opposition sei ‚für uns mindestens so unansprechbar wie das Schöneberger Rathaus‘“193. Auf ihrer Gemeindeversammlung berief die ESG (FU) am 19. April einen Ausschuss, der eine mögliche Erklärung zur Gewaltfrage ausarbeiten sollte. Hasselmann appellierte an die Anwesenden, „wir sollten jetzt den Mut haben, an unsere eigene Adresse zu formulieren, was nicht mehr von uns mitgemacht werden kann.“ Es genüge nicht, die Münchener Todesfälle zu bedauern, wenn die „Trauer nicht durch Erkenntnisse und Tat begleitet“ würden. Eine Entsolidarisierung sei dennoch nicht beabsichtigt, schließlich seien die Politiker „allein schuld, ‚daß Demonstranten ihre Sache nur noch mit Gewalt meinen durchsetzen zu können‘“. Der ebenfalls anwesende Studentenpfarrer der TU, Reinhard Tietz, äußerte Zweifel, ob eine differenzierte Erklärung zur Gewaltfrage in der Öffentlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt „richtig“ verstanden werde. Es sei zu befürchten, dass sie als Distanzierung von der APO aufgefasst werde194. Wohl auch deshalb blieb die erarbeitete Stellungnahme weiterhin als „Entwurf“ gekennzeichnet. In dem Flugblatt hieß es gleich eingangs zur Frage der Solidarität, eine

„‚Gewalt gegen Sachen‘ befürwortet. Stellungnahme der Studentenausschüsse von FU und TU“. In: Die Welt (Berlin), Nr. 91 vom 18. 4. 1968, 3. 191 Die Mitteilung wurde auf dem oben genannten Flugblatt „Gewalt“ abgedruckt (APOArchiv BERLIN, R 6–1383). 192 HASSELMANN, Gemeinde, 97f. Die Berichterstattung in der „Welt“ entsprach allerdings nicht dem von Hasselmann gezeichneten Bild. Vgl. „Studentenpfarrer: Keine Beteiligungsmöglichkeit“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „bi“]. In: Die Welt (Berlin), Nr. 92 vom 19. 4. 1968, 3. 193 „Evangelische Studentengemeinde zur außerparlamentarischen Opposition“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 6873 vom 19. 4. 1968, 6. Vgl. HASSELMANN, Gemeinde, 98f. 194 Zit. n. EBD., 100f.

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„Distanzierung läge eindeutig im Interesse derer, die ihre Verantwortung für die täglich neuen Toten in Vietnam, die täglich neu Verhungernden in den Entwicklungsländern und die täglich neue Manipulation in unserer Gesellschaft erfolgreich aus ihrem Gewissen verdrängen.“

Die APO habe bislang „die Erfahrung gemacht, daß ihre Anliegen erst dann in das öffentliche Bewußtsein oder gar das der Politiker gedrungen sind, wenn sie Gewalt angewendet hat.“ Man sehe daher „keine Möglichkeit, die Mitglieder der APO auf das Prinzip der Gewaltlosigkeit zu verpflichten“195. Anderen Evangelischen Studentengemeinden, etwa der ESG Bonn196, fielen Plädoyers für Gewaltlosigkeit wesentlich leichter, wenngleich auch sie gegen den Springer-Verlag protestierten. Die Westberliner Situation war und blieb freilich eine andere197. Davon zeugt allein der Umstand, dass die ESG an der besetzten TU in diesen Tagen offenbar keine Stellungnahme zur Gewaltfrage „wagte“. Man zog es wohl vor, „Kritische Solidarität“ vor Ort zu praktizieren, indem man auf Kundgebungen für gewaltfreie Demonstrationstechniken warb. Für ein solches Vorgehen entschied sich auch die ESG Marburg. In Frankfurt verteilten Mitarbeiter der Evangelischen Jugend Flugblätter mit auf Deeskalation abzielenden Verhaltensempfehlungen198. Indes mehrten sich jene Stimmen, die Gollwitzer und Bischof Scharf Einseitigkeit vorwarfen. Vor dem Berliner Abgeordnetenhaus äußerte Peter Lorenz, Fraktionssprecher der CDU, sein Entsetzen darüber, „daß der evangelische Theologe Gollwitzer in der TU Gewalt gegen Sachen für legitim erklärt“ habe. Die Münchener Geschehnisse seien Beleg für die Unverantwortlichkeit einer solchen Meinungsäußerung, so Lorenz199. Gollwitzer bemerkte im „Tagesspiegel“, die Situation sei derart angespannt gewesen, dass es für eine Diskussion über Gewalt gegenüber Sachen „keine Zeit mehr“ gegeben habe. Von einer

195

Entwurf, Evangelische Studentengemeinde an der Freien Universität Berlin (APO-Archiv BERLIN, R 6–1383). 196 MÜLLER, Gemeindeleben [Teil III], 74. 197 Andererseits blieb die Stimmung auch in kleineren westdeutschen Universitätsstädten wie Münster angespannt: Am 17. 4. 1968 forderte Trutz Rendtorff auf einer vom SDS einberufenen öffentlichen Kundgebung – vor laufenden Fernsehkameras – zur argumentativen Konfliktaustragung auf. Rendtorff, den man als jungen Ordinarius eingeladen hatte, machte deutlich, „wo die Grenzlinie zu den Sprechern der sich formierenden ‚Bewegung‘ verlief.“ (RENDTORFF, 1968, 69– 73). 198 KUBITZA, Geschichte, 259; „Empfehlungen für Demonstranten und Polizisten“, Politischer Arbeitskreis der Ev. Jugend, Ev. Mädchenwerk in Hessen und Nassau, Ev. Jungen- und Jungmännerwerk Groß-Frankfurt, Ev. Stadtjugendpfarramt Frankfurt (APO-Archiv BERLIN, R 6–1383). 199 Zit. n. FREIE UNIVERSITÄT BERLIN, Hochschule, 88.

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Befürwortung könne daher keine Rede sein200. Im SFB erklärte er, er freue sich, „aus dem Munde bisheriger Gewaltbefürworter“ auf einmal „solche Abscheu“ zu vernehmen. Dass die Jugend nun bereit sei, die Gewalt gegen Sachen „kritischer zu prüfen“, sei „nicht selbstverständlich, wenn wir an die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland in den zwanziger Jahren denken.“201 Scharf geriet ebenfalls in die Schusslinie. Im SFB wies Sepp Schelz Lorenz’ Vorwurf zurück, der Bischof habe für die Studenten unzulässig Partei ergriffen202. Am selben Tag wandten sich 33 Schutzpolizisten per Eilbrief an die Kirchenleitung. Darin beklagten sie, während der Osterunruhen keinen seelischen Beistand erfahren zu haben. Scharf antwortete schriftlich und räumte ein, die engere Fühlungnahme versäumt zu haben. „Vergessen jedoch haben wir Sie nicht.“ Außerdem erläuterte er die Beweggründe für seinen nächtlichen Auftritt in der TU. Er selbst habe „vor jeder“ Anwendung von Gewalt gegen Personen und Sachen strikt gewarnt. Die Ethik des Neuen Testaments lehre, dass aus Gewalt nichts Gutes kommen könne203. Bereits am 16. April zierte dieser Satz die Überschrift eines großflächigen Artikels in der „Welt“, in dem sowohl Scharfs als auch Gollwitzers Vermittlungsbemühungen gelobt wurden204. Da Gollwitzer seine Äußerungen zur Gewalt gegen Sachen weiter verteidigte, und Scharf es unterließ, sich – wie gefordert205 – davon zu distanzieren, riss die Diskussion nicht ab. Außer seinen Westberliner – den Kurs der dortigen Kirchenleitung ohnehin kritisierenden – Gegnern meldeten sich nun auch jene Stimmen wieder zu Wort, die die Entwicklung der EKD unter seiner Amtszeit als Ratsvorsitzender ablehnten. Wegen der Ostdenkschrift hielt der Pressedienst der Heimatvertriebenen ihm vor, sich anstatt den Flüchtlingen „jenen Rechts- und Gesetzesbrechern in gewissen Kreisen der evangelischen Kirche“ zuzuwenden. So mancher „Parteigänger der Terroristen“ gehöre der ESG an und unterstütze somit u. a. die „Rechtfertigung des politischen Mordes“. Daher bedürfe es einer „strenge[n] Kirchenzucht gegenüber den Irrenden“206.

200

GOLLWITZER, [Leserbrief]. DERS., Frage, 167 u. 169. Gollwitzer verfasste hierauf Thesen, die er noch im Sommersemester in einer Vorlesung an der FU zur Diskussion stellte. Dazu unten Kap. 3. 7. 1. 202 Der Kommentar wurde am 19. 4. 1968 ausgestrahlt, Manuskript (ELAB BERLIN, 55.1/ 689). 203 Zit. n. ERK, Gewissen, 268–270, 268f. Der Briefwechsel wurde nur in Auszügen publik gemacht. Vgl. epd-ZA, Nr. 105 vom 7. 5. 1968. 204 BILGES, Gewalt. Gollwitzers Äußerungen zur Gewalt gegen Sachen wurden hingegen nicht erwähnt. 205 Vgl. z. B. KALISCH, [Leserbrief]. 206 Zit. n. epd-ZA, Nr. 97 vom 26. 4. 1968, 4. 201

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

Die Diskussion um Gewalt gegen Sachen blieb nicht auf West-Berlin beschränkt207. Karl-Alfred Odin, die „evangelische“ Stimme der FAZ, monierte, die revoltierenden Studenten hätten sich in den „Büchern über gesellschaftspolitische Theorien blind gelesen“208. Die Debatte um Gollwitzer und Scharf veranlasste westdeutsche Theologen, sich zu äußern. Wegen der Diskussion um die Politisierung der ESG und der nun auch in den allgemeinen Medien behandelten „Theologie der Revolution“ erfuhren sie besondere Aufmerksamkeit. So erschien in der „Frankfurter Rundschau“ ein Artikel über Hans-Werner Bartsch. Einleitend zu seiner Vorlesung über „Politische Folgerungen aus dem Evangelium“ bezeichnete der – für schillernde Aussagen bekannte – „moderne“ Theologe Gewalt gegen Sachen als „legitime Widerstandshandlung“. Keine Behörde habe bislang auch nur „den kleinsten Schritt“ getan, um „der Hetze von Bild ein Ende zu setzen“209. Mehr Aufsehen erregte die am selben Tag veröffentlichte „politische Stellungnahme“ Ernst Käsemanns. Laut epd habe er sich „seit 20 Jahren“ nicht mehr derart öffentlich geäußert. Unter dem Titel „Versäumnisse von 20 Jahren“ nahm der Tübinger Ordinarius – wie Scharf und Gollwitzer während der NS-Zeit zeitweise inhaftiert – Anstoß an einer Rundfunkrede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Der ehemalige Marinerichter hatte im Vorfeld der Landtagswahl, bei der die NPD im Südweststaat mit 9,8 Prozent ihr bestes Wahlergebnis verbuchte, ein scharfes polizeiliches Vorgehen im Falle weiterer Studentendemonstrationen angekündigt. Käsemann konstatierte, er wisse nun, warum er am 28. April „auf keinen Fall die CDU“ wählen werde: Diejenigen, „die nicht schrieen, als die halbe Welt verbrannte und Millionen umkamen, haben plötzlich wieder eine Stimme und singen das alte Lied von Autorität und Ordnung, das die Deutschen schon stets faszinierte. Man bekämpft die Symptome der eigenen Krankheit kräftig bei den anderen.“

Käsemann, der Verfasser von „Römer 13, 1–7 in unserer Generation“ stellte klar: „Auch ich bin für wahre Autorität und Ordnung. Auch ich bin für Gewaltlosigkeit und gegen Ausschreitungen.“ Jenen „Obrigkeitsstaat“ aber, der

207 Ende der 1960er Jahre durchgeführte Umfragen ergaben, dass nur zwischen zwei bis sechs Prozent der westdeutschen Gesamtbevölkerung die politisch motivierte Gewaltanwendung gegen Sachen billigte. Bei Jugendlichen unter 29 Jahren mit hohem Bildungsgrad pendelten die Werte – je nach Art der Tat – zwischen 18 und 22 Prozent, KEPPLINGER, Bedingungen. 208 ODIN, Theorien. Unter dem Titel „Theologie der Revolution“ hatte er sich schon Ende März über den Auftritt „progressiver“ Gruppen auf der Synode der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau empört, DERS., Theologie. Vgl. VERHANDLUNGEN DER KIRCHENSYNODE, 92f., 109–111 u. 131f. 209 „Theologe verurteilt Polizei“. In: FR, Nr. 96 vom 24. 4. 1968, 13.

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sich unter der Ägide der CDU in den letzten Jahren „neu“ gebildet habe, lehne er ab. Unter „solchen Umständen“ wirke das „christliche Firmenschild“ genauso „obszön“ wie die schlagwortartige Proklamation der Gewaltlosigkeit. Als parteiloser „Fachidiot unter vielen“ werde er „fortan mit der rebellierenden Jugend demonstrieren.“210 Der evangelische Publizist Eberhard Stammler – bis 1972 Mitglied der CDU – machte in den „Evangelischen Kommentaren“ auf die „inzwischen problematisch“ erscheinende, von Mahatma Gandhi und Martin Luther King geprägte „Kampfweise“ der Gewaltlosigkeit aufmerksam. Von der APO „importiert“, habe sie durch die Kontextualisierung mit der Guerillataktik außereuropäischer Revolutionen eine weitere Nuance bekommen, so dass sie nun ein staatspolitisches Problem „ersten Ranges“ darstelle. Es sei weniger problematisch, dass sie „mitunter“ in physische Gewalt umschlage als vielmehr die Frage, wo die Grenze zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit genau liege. „Noch kritischer“ werde die Beurteilung, wenn nun zwischen Gewalt gegen Sachen und Personen „ein prinzipieller Unterschied“ festgestellt werde. Stammler verwies auf die Friedensbewegung, die „gern“ mit der prinzipiellen Gewaltlosigkeit in Verbindung gebracht werde. Es bestehe jedoch kein Zweifel, dass dieses Prinzip als Kampfmittel gedacht sei: Mögen diese auf die öffentliche Meinung abzielenden „Pressionen“ auch als „symbolische Akte des Widerstands“ deklariert werden, so handele es sich dabei „offenkundig“ um Methoden zum Erzwingen einer „revolutionären Strategie“. Die Vertreter der Staatsgewalt seien zur Durchsetzung der rechtsstaatlichen Ordnung nun einmal verpflichtet, und die sich als Reaktion darauf verstehende Gewaltanwendung könne – wenngleich durch Polizeimethoden „geradezu provoziert“ – nicht dasselbe Maß an Legitimität beanspruchen211. Stammlers Ausführungen über die Friedensbewegung sensibilisieren hinsichtlich eines Vorgangs, der sich auf dem Westberliner Kurfürstendamm am Ostersonntag abspielte. Das fotografisch vielfach festgehaltene Ereignis gibt – einzigartig – Aufschluss über die mediale Rezeption „christlicher“ Teilnahme an den Osterunruhen: Am Nachmittag des 15. April versammelten sich auf dem Wittenbergplatz rund 1.000 vornehmlich jugendliche Teilnehmer zur geplanten Kundgebung der „Kampagne für Frieden und Abrüstung“ anlässlich

210 Zit. n. BRUNOTTE, Rebellion, Flugblatt Nr. 42, 1. „Der Spiegel“ druckte die Äußerung zusammen mit Gollwitzers Stellungnahme vom 21. 4. 1968 in Auszügen ab, „Sonst schlafen uns die Füsse ein. Urteile über die Gewaltanwendung“. In: Der Spiegel, Nr. 20 vom 13. 5. 1968, 44– 47, 47. Vgl. KÄSEMANN, Römer. 211 STAMMLER, Gewalt.

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der bundesweiten – vorerst letzten – Ostermärsche212. Laut „Tagesspiegel“ wuchs die Menge später auf mehr als 3.000 Personen an. Auf Plakaten und Spruchbänder wurde u. a. „Gegen Springer und Gewalt“ demonstriert. Es bildete sich „ein Demonstrationszug, der sich in Richtung Kranzler-Eck in Bewegung setzte. An der Spitze ein großes Holzkreuz, in der Menge Spruchbänder und rote Fahnen [. . .]. Über einen Polizeilautsprecher wird darauf hingewiesen, die Demonstration sei nur ‚in lockerer Form auf den Bürgersteigen genehmigt‘. Die Demonstration auf den Fahrbahnen sei illegal und müsse aufgelöst werden. Die Demonstranten besetzen daraufhin auch die zweite Fahrbahn der Tauentzienstraße. Kurz darauf ist die Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße blockiert. Fortwährend Polizeidurchsagen mit Hinweis auf die Strafbarkeit des Aufenthaltes [. . .]. Der Zug wird von Polizeiketten und Wasserwerfern in zwei Teile gespalten [. . .]. Eine kleine Gruppe von Demonstranten schart sich um den Träger des großen Holzkreuzes und hält mehrerer Minuten lang den Strahlen der Wasserwerfer stand. Einer aus der Gruppe bricht zusammen und wird beiseite gezogen. Aus der Menge fliegen fortwährend Eier, Farbeier, Steine, Plakatstöcke und Knallkörper. Um 16 Uhr 10 ein harter Polizeieinsatz, mit wahllosem Schlagstockgebrauch, einzelne Demonstranten schlagen mit Latten, ein Verkehrspolizist wird mehrfach getroffen und wehrt sich ebenfalls mit einer Latte. [. . .] Aus Fässern, Kisten, Latten und Karren errichten Jugendliche eine Barrikade. [. . .] Lautsprecherdurchsage: ‚Die Polizei kennt keine Gnade mehr.‘ [. . .] Während die Nebenstraßen, teilweise auch mit Schlagstockeinsatz, geräumt werden, rückt die Polizei gegen 17 Uhr 20 schlagartig ab. Der Verkehr auf dem Kurfürstendamm beginnt wieder zu fließen.“213

Die Bilder des demonstrativ den Wasserwerferstrahlen entgegengestemmten Kreuzes zierten bundesweit die Presseberichte über die Westberliner Osterunruhen. Insofern spielten „christlich“ konnotierte Topoi nicht nur „in den Gedankengängen vieler Rebellen“214, sondern auch in der medialen Wahrnehmung eine zentrale Rolle. Die aus mehreren Blickwinkeln aufgenommenen Bilder wurden unterschiedlich interpretiert. Das Gros der Aufnahmen zeigt die Nutzung des Holzkreuzes als demonstrativen Akt gegenüber einer Wasserwerfer-Mannschaft. In der Bilddokumentation des „Spiegel“ hieß es, Ostermarschierer reckten „trotzig ein Kreuz in den Strahl des Wasserwerfers.“ Das entsprechende Bild wurde umrahmt mit Aufnahmen verletzter Ostermärschler,

212 Nach dem Dutschke-Attentat führten v. a. die Differenzen in der Gewaltfrage zum Bruch zwischen den Organisatoren der Kampagne und dem SDS, OTTO, Ostermarsch, 174f.; COOPER, Paradoxes, 114f. 213 „Von der Straßenschlacht zur Diskussion“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 68751 vom 17. 4. 1968, 5. 214 SCHWAB-FELISCH, Sprache, 98.

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die von Polizisten „niedergeknüppelt“ wurden215. „Bild“ kommentierte eine ähnliche Momentaufnahme folgendermaßen: „Sie schrecken auch vor dem Kruzifix als Schlagwerkzeug nicht zurück.“216. Im „Tagesspiegel“ und der „Welt“ wurde wiederum ein Foto abgelichtet, auf dem sich ein einzelner Polizist den Trägern des Holzkreuzes entgegenstemmte; direkt daneben stürmten mit Holzlatten bewaffnete Demonstranten nach vorne. Obwohl das Bild ein vergleichsweise offensives Verhalten der Demonstranten suggeriert, hieß es im Bildkommentar der „Welt“ dazu lediglich, „Ostermarschierer und außerparlamentarische Opposition“ seien „mit Transparenten, Kruzifixen und roten Fahnen“ über den Kurfürstendamm gezogen217. Während das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ dieselbe Aufnahme ebenso zurückhaltend kommentierte218, fragte das „Berliner Sonntagsblatt“ zu einer wiederum defensiv anmutenden Aufnahme, ob es sich bei diesem Akt um das „Symbol eines Bekenntnisses“ oder um einen „Missbrauch des Kreuzes“ handele219. In ihrem bilderlosen Bericht über Gollwitzers und Scharfs nächtlichen TU-Besuch gab die „Frankfurter Rundschau“ weiter Auskunft. Unter dem Titel „Statt der Polizei stellte die Kirche die Ruhe her“ hieß es, als „beredter Verfechter der Gewaltlosigkeit“ habe ein evangelischer Theologiedoktorand sein mitgebrachtes Kreuz „fest in der Hand über den Köpfen Tausender junger Menschen“ gehalten. „Der Strahl des Wasserwerfers vermochte ihn nicht umzuwerfen. Das besorgte ein Greifkommando der ebenso zahlreich erschienenen Polizei. Erst als er seitlich abgetrieben war, setzte es Hiebe auf den Kopf. Befund des Krankenhauses, in das der Doktorand eingeliefert wurde: Gehirnerschütterung.“220

Zum Motiv des emporgehobenen Holzkreuzes, das später Ikonenstatus erlangte221, verteilte eine Arbeitsgruppe „Politische Aufklärung und gewaltlose 215

„Aufruhr in West-Berlin“. In: Der Spiegel, Nr. 17 vom 22. 4. 1968, 51–59, 54–56. Bild (Berlin), Nr. 89 vom 16. 4. 1968, 4. 217 Die Welt (Berlin), Nr. 89 vom 16. 4. 1968, 3. „Der Tagesspiegel“ kommentierte: „Am Ostersonntag: Demonstranten mit Kreuzen und Transparenten im Strahl des Wasserwerfers“, Der Tagesspiegel Nr. 6871 vom 17. 4. 1968, 5. 218 „Mit dem Kreuz gegen Wasserwerfer: Demonstranten blockieren den Verkehr an der Joachimstaler Straße“. In: DASBl, Nr. 16 vom, 21. 4. 1968, 7. 219 BSBl, Nr. 16 vom 21. 4. 1968, 1. 220 SERKE, Polizei. Auch nach einem im September 2009 geführten Telefonat mit dem Verfasser [A. C. W.] und einer Bedenkzeit war der Träger des Holzkreuzes nicht dazu bereit, sich über die Umstände zu äußern. 221 GÖPFERT, Jesus; „ESG information“, Sommersemester 1972, ESG Hamburg (APO-Archiv BERLIN, 449–450); ZINT, Zintstoff; SCHILDT, Rebellion, 141; ETZEMÜLLER, Feldschlachten, 6; DECKER, Norbert Adrian; und Zeitzeichen 9 (2008), H. 9, Titelblatt. Das Motiv wurde im Fernsehen sowohl zeitgenössisch als auch in der Retrospektive vielfach gesendet, VOGEL, Unruhe, 88f. 216

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Aktion“ ein Flugblatt, das zur Teilnahme an den Westberliner Maifeiern aufrief. Mit dem Titel „Schauen Sie auf dieses Bild – Was sehen Sie?“ warnten die Herausgeber vor „Verfälschungen in der Springerpresse“. Dem „Bild“-Kommentar, der das Holzkreuz als „Schlagwerkzeug“ interpretierte, wurde ein „Tatsachenbericht“ gegenübergestellt: „Ein Christ unserer Stadt“, der „im Sinne Martin Luther Kings gewaltlos“ demonstrierte, sei „nach kurzem Zögern von der Polizei zusammengeschlagen“ worden. Daraufhin hätten sich einige Demonstranten schützend um ihn „und um das Kreuz“ geschart und es weiter aufrecht gehalten222. Auch die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland (EAiD) setzte sich mit der „publizistische[n] Gewalt“ des Springer-Verlags auseinander223. In Gummersbach kamen die Vertreter der rund 8.000 Mitglieder zählenden Vereinigung darüber ein, Springer trage eine „Mitverantwortung an den Osterunruhen“. Dem Verleger wurde per Telegramm mitgeteilt, man sei der Ansicht, „Mitbürger und Minderheiten unseres Volkes“ würden „diffamiert, Haß und physischer Gewalt ausgesetzt und zu radikalen Reaktionen gedrängt.“ Eine weitergehende Stellungnahme erhielt Axel Caesar Springer von Generalsekretär Pfarrer Horst Bannach. Tags zuvor war das „Wort zur gegenwärtigen innenpolitischen Lage“ der Deutschen Presse-Agentur zugesandt worden224. Die Situation sei bestimmt „durch selbstgefälligen Immobilismus, durch in Polizeiaktionen ausweichende Ratlosigkeit [. . .] der politischen Verantwortlichen, durch Momente eines radikalisierenden Gerechtigkeitsfanatismus bei den Protestierenden, durch raffiniert ausgeklügelte Meinungsmanipulation seitens übermächtiger Pressekonzerne und durch die apolitische Haltung breiter Bevölkerungskreise“225.

In seiner Antwort an Bannach, die „Die Welt“ später in Auszügen veröffentlichte, zeigte sich Springer über die Kritik als „Protestant“ sehr betroffen. Seine „religiöse Einstellung zu Kirche und Gemeinde, Staat und Gesellschaft“ sei durch das „Altonaer Bekenntnis“ vom 11. Januar 1933 geformt worden. Er sei der Ansicht, dass die Barmer Theologische Erklärung dadurch „erst“ möglich wurde226. Von seinem persönlichen religiösen „Standort in der Evangelischen Die zeitgenössischen Bildkommentatoren überließen es dem Zuschauer, selbst zu entscheiden, wie sie die bewegten Bilder einordnen wollten, so die schriftliche Auskunft von Meike Vogel am 4. 10. 2010. 222 APO-Archiv BERLIN, R 6–1384. 223 GOLLWITZER, Frage, 170. 224 Zit. n. SPRINGER, Berlin, 226f. Vgl. epd-Grüner Dienst, Nr. 17 vom 14. 5. 1968; „Evangelische Akademiker und Axel Springer“. In: LM 7 (1968), 354–357. 225 Zit. n. JK 29 (1968), 370. 226 Zit. n. EBD., 230f.; „Dieser Staat ist wert, verteidigt zu werden. Eine Antwort des Verlegers

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Kirche“ aus verwehre er sich „nicht gegen das brüderliche Wort, mit äußerster Entschiedenheit aber gegen jene Tendenzen, die Kirche und ihre Organisation zu einer pressure-group revolutionärer Bestrebungen zu denaturieren.“ Im Sinne einer strikten Trennung von Politik und Religion erläuterte Springer anschließend seinen politischen Standort. Der Akademikerschaft entgegnete er, die Gewalt gehe nicht von seinem Hause aus, „das dazu gar nicht in der Lage“ sei, sondern einzig von den „radikalisierten Studentengruppen“. Die „Unruhe auf den Straßen“ werde keine „grundsätzliche Veränderung“ der verlegerischen und redaktionellen Arbeit seines Hauses bewirken. Es richte sich weiter gegen „jeden Radikalismus von rechts und links“227. In seiner unveröffentlichten Antwort hielt Bannach dem Verleger vor, Politik betrieben und die Studenten bei der Bevölkerung „verhaßt gemacht“ zu haben. „Wer hat sie ‚langbehaarte Affen‘ genannt? Und wer hat [. . .] die böse Forderung ausgesprochen, dass man die Unruhestifter unter den Studenten ausmerzen müsse?“ Als Gleichaltriger zeigte sich Bannach „geradezu erschrocken“ über Springers Berufung auf das nach dem dortigen „Blutsonntag“ 1932 von Pastor Hans Asmussen maßgeblich erarbeitete Altonaer Bekenntnis228: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es das im Nachkriegsprotestantismus noch gibt: die Meinung, das Reich Gottes verpflichte uns, weil es nicht von dieser Welt sei, zu politischer Tatenlosigkeit. Ich wundere mich, dass bei Ihnen der Kirchenkampf keine anderen Erfahrungen hinterlassen hat. Wer sich in der kirchlichen Bewegung jener Jahre auch nur ein wenig auskennt, weiß, dass sich die Bekenntnisse dieser Zeit nicht nur gegen den politischen Messianismus zur Wehr gesetzt, sondern gleichzeitig die Verantwortung beschrieben haben, die die Christen in dieser Welt haben.“229

In den nicht-evangelischen Medien blieb der Briefwechsel außen vor230. Der Leiter des Evangelischen Publizistischen Zentrums Berlin zeigte Verständnis Axel Springer – Warnung vor einem neuen Totalitarismus“. In: Die Welt (Berlin), Nr. 112 vom 14. 5. 1968, 8. Bereits Ende März erschien in der „Welt“ ein Artikel, der – gemäß Springers Ansicht – die „unverminderte Aktualität“ des Bekenntnisses „auch für unsere Zeit, für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirche“ unterstrich (KLEPZIG, Bekenntnis). Zur Einschätzung des Altonaer Bekenntnisses, in dem die Demokratie als eine illegitime „schwache“ Obrigkeit dargestellt wurde, WORT UND BEKENNTNIS, 23; NOWAK, Kirche, 225– 227; und LUDWIG, Bekenntnis. 227 Zit. n. SPRINGER, Berlin, 231–235. 228 NOWAK, Kirche, 226f. Zu Asmussen, oben 181f. 229 Brief Bannachs an Springer vom 4. 6. 1968 (EZA BERLIN, 686/835). 230 Weder „Der Spiegel“ noch „Die Zeit“ druckten einen der Briefe ab. Im Fall des „Spiegel“ wohl auch deshalb, weil Springer gegenüber Bannach die Ausführungen seines Konkurrenten Augstein zitierte. Dieser hatte sein „Verständnis für die Lernprozesse des SDS“ zuvor für beendet erklärt (AUGSTEIN, Knüppel). Wegen seines beendeten „Flirt[s] mit der Revolution“ (FREI, 1968, 143), war Augstein wohl darauf bedacht, sein eigenes Haus nicht zur Zielscheibe der Studentenbewegung werden zu lassen, SEITENBECHER, Cäsar, 43.

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für die Beschwerde der Akademikerschaft; Springer habe „nicht immer gut“ argumentiert231. Dagegen notierte Reinhard Mumm, der persönliche Referent des EKD-Ratsvorsitzenden, Springers Antwort sei „nicht nur gewandt, sondern von einer höheren Warte geschrieben.“ Bannach erwecke den Eindruck, als spreche er im Namen aller Mitglieder der Akademikerschaft. „Daß ein Pfarrer das Verlangen nach Ruhe und Ordnung“ tadele, sei „merkwürdig.“232 Dietzfelbinger, seit dem Kirchkampf mit Bannach befreundet, gab selbst keine Stellungnahme ab. Von Horst Mahnke233, dem Geschäftsführer des Redaktionellen Beirats, dem die Chefredakteure und die leitenden Mitarbeiter des Springer-Verlags angehörten, bekam Springer die Nachricht, die Frage einer Pressekonzentration werde nun „auch in der Kirche verstärkt“ diskutiert. Bischof Lilje habe auf der Vorbereitungstagung der EKD für Uppsala dazu „beiläufig geäußert“, er werde die Kammer für publizistische Arbeit der EKD, der er vorstand, zu diesem Thema einberufen234. Mahnkes Mitteilung war ein darüber berichtender FAZ-Artikel von Odin beigefügt. So gebe es in der EKD juristische Überlegungen, wonach der Bundestag wegen der verfassungsrechtlich garantierten Informationsfreiheit dazu angehalten sei, eine Pressekonzentration zu unterbinden. Es werde darüber reflektiert, ob „die Nichterfüllung eines solchen Verfassungsauftrages möglicherweise ein Widerstandsrecht wecken könnte.“ Die Arbeiten stünden aber noch am Anfang, und die „Meinungen innerhalb der Kirche“ gingen „weit auseinander“235. Angesichts seiner Enttäuschung über die Evangelische Akademikerschaft verstärkte die Mitteilung, dass selbst der Leitende Bischof der VELKD seinem 231

SCHELZ, Antwort. Undatierter Vermerk Mumms für Landesbischof Dietzfelbinger (LAELKB NÜRNBERG, 132/183). 233 Mahnke war die mit Abstand fragwürdigste Person in Springers engerem Mitarbeiterkreis. Als SS-Hauptsturmführer hatte er im SD-Hauptamt das Referat „Marxismus, Sozialismus und Freimaurerei“ geleitet. Im Russlandfeldzug zog er mit der Einsatzgruppe B bis vor Moskau und fand nach anschließender „Frontbewährung“ noch während des Krieges Unterschlupf im Auswärtigen Amt. In den Jahren seiner Geschäftsführung (1965–1968) bei Springer machte er die zentrale Nachrichtensammelstelle zum „Ausspähungsinstrument“. Mahnke hielt den Verleger in kirchlichen und religiösen Angelegenheiten – hier war Springer besonders „zu packen“ – auf dem Laufenden. Aus Sorge vor einer möglichen Enttarnung ließ dieser ihn Ende 1968 „wie eine heiße Kartoffel fallen“ (SCHWARZ, Axel Springer, 326–329). 234 Schreiben Mahnkes an Springer betreffend „Landesbischof Lilje“ vom 30. 4. 1968 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O. 10). 235 Mahnke hielt Odins Ausführungen für rein spekulativ, EBD.; ODIN, Kirche. Die Kammer erarbeitete schließlich ein Sachverständigengutachten – keine Denkschrift – mit dem Titel „Gesellschaft und öffentliche Kommunikation in der Bundesrepublik“, das der Rat der EKD entgegennahm und „interessierten“ Stellen und Persönlichkeiten in Kirche, Staat und Gesellschaft zuleiten ließ (NIEMEIER, Kirche [1968], 135–138). 232

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Verlagshaus mit Skepsis begegnete, Springers Befremden über den angeblichen Linksrutsch der Amtskirche, auch außerhalb West-Berlins236. Jüngeren evangelischen Studenten und Theologen, die sich in der Studentenbewegung engagierten, blieb dies aber verborgen. Aus deren Sicht repräsentierte Lilje den Typus eines modernisierungsresistenten lutherischen Bischofs, der ein politisches Engagement der Kirche ablehnte. Trotz seines Verständnisses für die „Aufsässigkeit junger Menschen gegen die ‚Verholzung und Verhärtung des Bestehenden‘“, betonte Lilje die „unüberschreitbare Grenze“ zwischen dem christlichen Glauben und dem gewaltsamen Umsturz bestehender Ordnungen. Diese Linie sei auch mit Blick auf die Verhältnisse in Übersee klar zu ziehen237.

3.5 „Evangelen“ zwischen Camilo Torres und Martin Luther King Nach den Osterunruhen behauptete Gollwitzers Assistent in der „Stimme der Gemeinde“, die Studentenrevolte sei „eine religiöse Bewegung.“ Vor dem Studentenausschuss der rheinischen Landessynode erläuterte Marquardt die „merkwürdige und zum Nachdenken zwingende Beobachtung“, dass „gerade junge Christen besonders konzentriert am Protest beteiligt sind.“ „Auffallend viele Pastorensöhne und Theologiestudenten“ seien im SDS und in der Bewegung engagiert. Diese dienten nicht nur als „Transformationsstationen des Bewußtseins“, sondern auch dem Theologiestudium. Zweieinhalb Jahre später musste er dann jedoch feststellen, die Studenten seien „seit 1967, jedenfalls hier in Berlin, fast alle drauf und dran, der Theologie davonzulaufen, ohne ihrer richtig ansichtig geworden zu sein.“238 Ungeachtet der religiösen – romantisch-utopischen – Aufladung der Studentenbewegung239 standen evangelische Theologiestudenten unter großem Druck, die eigene Fächerwahl gegenüber „engagierten“ Kommilitonen und „Genossen“ zu rechtfertigen, denn:

236

SCHWARZ, Axel Springer, 471. So Lilje in einem Vortrag zum Thema „Wie revolutionär muß die Kirche sein?“, zit. n. epd-ZA, Nr. 67 vom 19. 3. 1968, 1. Dem entsprach Liljes Haltung gegenüber den „Männern“ des 20. 7. 1944: Nach eigenen Worten habe er den Kontakt zu diesem Personenkreis 1943 nicht ausdrücklich gesucht, er habe ihn aber auch nicht verhindert. In Gestapohaft geriet Lilje schließlich nicht als aktiver Widerständler, sondern als Seelsorger, OELKE, Hanns Lilje, 388. Zur weiteren Charakterisierung seiner Person, SIEGMUND, Bischof, 190. 238 MARQUARDT, Mordanschlag, 264; DERS., Studenten, 68; und DERS., Vorwort, 11. 239 KRAUSHAAR, Achtundsechzig, 268–285. 237

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

„Die Germanisten konnten die blaue Blume rot färben, Juristen konnten in Arbeitsgerichtsprozessen das Proletariat verteidigen, Pädagogen konnten Kinder repressionsfrei erziehen, Naturwissenschaftler und Ingenieure (so es solche in der Bewegung überhaupt gab) konnten die Produktivkräfte entwickeln, Sinologen die Worte des Vorsitzenden Mao interpretieren, Kunststudenten Plakate malen, Psychologen den [. . .] Zwangscharakter des faschistoiden Kleinbürgers entlarven, und Ökonomen, Soziologen und Politologen waren überhaupt unentbehrlich für die Revolution. Aber Theologen?“240

Laut eines damaligen Theologiestudenten monierten viele seiner Kommilitonen, es fehle der Universitätstheologie am notwendigen – „richtigen“ – Praxisbezug, dem vermeintlichen Nonplusultra eines zur Bewusstseins- und Gesellschaftsveränderung dienenden Studiums. Das Gros der 1967/1968 an Theologischen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen angebotenen Lehrveranstaltungen strahlte geringe Attraktivität aus. Auf Grundlage der oft nur „angelesenen“ Schriften Blochs und Marcuses und vor dem Hintergrund eines selektiv aufgenommenen – einen simplen Atheismus generierenden – Marx, dürfte ein von Georg Picht angebotenes religionsphilosophisches Seminar mit „Übungen zu Adorno, Negative Dialektik“ als „reaktionär“ angesehen worden sein. Gleiches dürfte bei Veranstaltungen zur Marxschen Religionskritik der Fall gewesen sein241. Für diejenigen evangelisch sozialisierten Studenten, die nicht wie Gudrun Ensslin den Weg einer religionsfeindlichen „Selbstsäkularisierung“ beschritten oder ihre Religiosität nach innen kehrten, wurden „Parteilichkeit“ und „Solidarität“ zu zentralen Stichwörtern242. Was beide Gruppen wiederum einigen konnte, war die im Vergleich zum Katholizismus größere protestantische Anfälligkeit für einen dem Ideal der Gemeinschaft verpflichteten moralisch(ir)rationalen Rigorismus243. Mit Blick auf die Haltung des deutschen Protestantismus in der NS-Zeit offenbarte er sich in den 1960er Jahren in Unterlassungsklagen, die sich in eigentümlicher Manier auch gegen die väterliche Generation der „Kirchenkämpfer“ und deren politische Einstellung gegenüber dem NS-Regime richteten. Eine dieser ambivalenten Eltern-Kind-Beziehungen 240

HENKEL, Theologen, 120f. HANUSCH, Aufstand, 258; DERS., Es, 61–65. Zu den Vorlesungen, PICHT, Seminar; STEINBACH, Religion. 242 ENSSLIN / VESPER, Notstandsgesetze, 66; ENSSLIN, Nachbemerkung, 284; und HANUSCH, Aufstand, 259. In der NS-Zeit gab es unter Theologiestudenten die Tendenz, sich angesichts erlebter Ausgrenzung und Anfeindung als die „besseren“ Nationalsozialisten darzustellen, MEISIK, Theologiestudium, 198–205 u. 301–305. 243 PLESSNER, Grenzen, 20–22; VOIGT, Aktivismus, 131. Vgl. auch die heutige Diskusson, FREY, 68er; DIETZ, Konservatismus. Sie ist von fragwürdigen Homogenisierungsversuchen abzugrenzen, AMMON, Elend. 241

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war der Generationenkonflikt im Stuttgarter Pfarrhaus Ensslin. Nach der Urteilsverkündigung im Prozess zur Frankfurter Kaufhausbrandstiftung äußerte sich Helmut Ensslin über die Motive seiner Tochter: „Was sie sagen wollte, ist doch dies: eine Generation, die am eigenen Volk und im Namen des Volkes erlebt hat, wie Konzentrationslager gebaut wurden, Judenhaß, Völkermord, darf die Restauration nicht zulassen. Darf nicht zulassen, dass die Hoffnungen auf einen Neuanfang, Reformation, Neugeburt verschlissen werden. Das sind junge Menschen, die nicht gewillt sind, diese Frustration dauernd zu schlucken und dadurch korrumpiert zu werden. Für mich ist erstaunlich gewesen, daß Gudrun, die immer sehr rational und klug überlegt hat, fast den Zustand einer euphorischen Selbstverwirklichung erlebte, so wie geredet wird vom heiligen Menschentum. Das ist für mich das größere Fanal als die Brandlegung selbst, dass ein Menschenkind, um zu einer Selbstverwirklichung zu kommen, über solche Taten hinweggeht.“244

Im ESG-Alltag manifestierte sich folgender Umstand: Selbst „progressiven“ Pfarrern, die wie Manfred Engelbrecht die Proteste öffentlich unterstützten, ging die jugendliche Lust am Umkrempeln bisweilen zu weit. Zu seiner nebenamtlichen Tätigkeit als Studentenpfarrer an der Post-Hochschule in NeuTempelhof bemerkte er rückblickend, die „Radikalisierung“ sei eindeutig antikirchlich motiviert gewesen. „Das heißt: Bei diesen Studenten war auch das Verständnis für die christliche Substanz nicht mehr vorhanden.“245 So wurde Engelbrechts Münchener Kollege Walter Joelsen, der der Studentenbewegung ebenso wohl gesonnen gegenüber stand und als Redner für sie eintrat, während einer Vietnam-Demonstration als „Klerikalfaschist“ verspottet – angesichts seines biographischen Hintergrunds eine besonders bittere Erfahrung246. Wegen des Legitimationsdrucks, der auf ihnen lastete, suchten die in der Studentenbewegung engagierten „Evangelen“247 nach „christlichen“ Identifikationsfiguren, die auch in der Neuen Linken allgemein Anerkennung fanden: etwa Rudi Dutschke, der mit einer amerikanischen Theologiestudentin verhei244

Zit. n. AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 78. Vgl. WIRTH, Narzissmus, 272–274. Helmut Ensslin war 1938 wegen Verstoß gegen das „Heimtücke“-Gesetz denunziert und verurteilt, schließlich amnestiert worden und hatte sich, um weiteren Konflikten zu entgehen, 1941 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet. Nach dem Krieg orientierte er sich weiterhin an Niemöllers „Stimme der Gemeinde“, ohne sich allerdings selbst im Streit um die Wiederbewaffnung und die Westbindung politisch zu engagieren, KOENEN, Urszenen, 100. Vgl. ENSSLIN / VESPER, Notstandsgesetze, 131f. u. 155f.; ENSSLIN, Trennungsstrich, 116f. 245 Zit. n. ENGELBRECHT / GÖPFERT, Atheist, 156. 246 Joelsen, obwohl evangelisch getauft, musste als sogenannter Halbjude von 1944 bis 1945 Zwangsarbeit leisten. Mündliche Auskunft von Walter Joelsen am 24. 6. 2009. 247 So der Registraturbegriff im APO-Archiv BERLIN, 449–450 u. 451–452. Zu dessen Entstehung, BECKER / SCHRÖDER, Studentenproteste, 23–26.

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ratet war. Sie machte ihn auch mit Gollwitzer bekannt248. Nachdem die mediale Verbreitung von Dutschkes Bild auf der Kanzel einen erst vagen – Gegensätzlichkeiten suggerierenden – Konnex zwischen der Studentenbewegung und dem Bereich „Kirche und Glauben“ hergestellt hatte, erfuhr dieser durch das später als Voltaire-Schrift vertriebene ARD-Fernsehinterview mit Günter Gaus Anfang Dezember 1967 eine neue Akzentuierung. An Gaus’ Interviewführung fällt auf, dass er die Fragen zu Dutschkes persönlicher Religiosität mit dessen Motivation zum gesellschaftspolitischen Engagement unmittelbar in Beziehung setzte – dies an gleich mehreren Stellen: „Gaus: [. . .] Sie stammen aus der Mark Brandenburg, haben in der DDR gelebt und gehörten als Schüler zur jungen Gemeinde der evangelischen Kirche [. . .]. Sie haben sich selbst einmal als ziemlich vom christlichen Sozialismus beeinflusst bezeichnet, wie ich nachlesen konnte – und sie waren couragiert genug, den Wehrdienst in der DDR zu verweigern. Würden Sie für ihre revolutionären Ziele notfalls auch mit der Waffe in der Hand eintreten?“

Dutschke erwiderte ohne Zögern: „Klare Antwort: Wäre ich in Lateinamerika, würde ich mit der Waffe in der Hand kämpfen. Ich bin nicht in Lateinamerika, ich bin in der Bundesrepublik. Wir kämpfen dafür, dass es nie dazu kommt, dass Waffen in die Hand genommen werden müssen. Aber das liegt nicht bei uns. Wir sind nicht an der Macht. [. . .] Diejenigen, die Leid heraufbeschwören, die Höhe der Gewalt wird bestimmt von der anderen Seite, nicht von uns. Und das ist der Ausgangspunkt unserer eigenen Einschätzung – der Rolle der Gewalt in der Geschichte“.

Später fragte ihn Gaus, ob er nach wie vor ein Christ sei: „Dutschke: Was heißt Christ? Heute sind Christen und Marxisten in diesen entscheidenden Grundfragen, in diesen geradezu emanzipatorischen Interessen – Friede, und es gibt noch andere – da sind wir uns einig. Wir kämpfen für gemeinsame Ziele. Der Pater in Kolumbien, der an der Spitze der [sic] Guerillos steht und mit der Waffe in der Hand kämpft, ist ein Christ! Und der revolutionäre Marxist anderswo ist auch ein . . .“

Hier unterbrach ihn Gaus mit der Frage, welche Rolle für ihn das Transzendente spiele. „Dutschke: Ja für mich war immer [die] Gottesfrage nie eine Frage. Für mich war schon immer die entscheidende schon realgeschichtliche Frage: Was hatte Jesus da eigentlich getrieben? Wie wollte er seine Gesellschaft verändern und welche Mittel benutzte er? Das war für mich immer schon die entscheidende Frage.“ 248 Zur ausgiebig dargestellten persönlichen Religiosität des Studentenführers, HAGER, Rudi Dutschke, 780.

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Anschließend fragte ihn Gaus, ob „Mitleid die herrschende Triebfeder“ seines politischen Handelns sei, worauf Dutschke antwortete, er denke, „daß Mitleid nicht die entscheidende“ sei, schließlich gebe es „nicht nur ein geschichtliches Gesetz des gegenseitigen Kampfes“, sondern „vielleicht auch ein geschichtliches Gesetz der gegenseitigen Hilfe und Solidarität.“ Letzteres zu realisieren, scheine ihm „wichtige Triebkraft“ seines Handelns zu sein249. Im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) gab Dutschke Ende Januar 1968 – während der Gottesdienststörungen – zu verstehen, das Christentum müsse seinen „militanten, kämpferischen Aspekt“ zurückgewinnen. Angesichts der von ihm betonten Nächstenliebe kann Dutschkes Verhältnis zur Gewalt letztlich nur als ambivalent bezeichnet werden250. Deshalb irritierte ihn auch Ernesto „Che“ Guevaras Affirmation von Hass als Antriebskraft, etwa im Vorwort der Übersetzung von dessen Schrift „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam!“, das Dutschke mitverantwortete251. Die Verehrung, die die Studentenbewegung dem Guerillero entgegenbrachte, ging nach dessen Tod im Oktober 1967 über in einen Märtyrerkult. Der nun geborene „Mythos“ förderte unter evangelischen Studenten das Interesse an der ökumenischen Debatte um eine – mit Camilo Torres personifizierbare – „Theologie der Revolution“252. Anlässlich einer Lateinamerika-Veranstaltung an der Westberliner TU machten ESG-Mitglieder auf die Parallelität der Interessen aufmerksam, lehnten es jedoch ab, in Guevara „nur das Idol eines gewalttätigen Guerilla-Kriegers“ zu sehen. Um den eigenen Diskussionsstand zu erläutern, druckten sie Passagen aus dem Berichtband zur Genfer Weltkonferenz 1966 auf der Rückseite ihres Flugbattes ab, u. a. den Hinweis, dass auch Christen revolutionäre Gewalt „nicht a priori“ ausschließen253. Vor dem Attentat hatte Dutschke die sozialrevolutionäre Gewaltanwendung in der Dritten Welt bejaht, sie im Falle der Bundesrepublik verneint. Infolge der eigenen Gewalterfahrung überkamen ihn nun aber jene Hassgefühle, vor deren gefährlichem Einfluss er zuvor noch gewarnt hatte. Sein radikales Analy-

249 Zit. n. DUTSCHKE, Marsch, 39 u. 51–53. Der von Gretchen Dutschke-Klotz abgedruckte Wortlaut des Interviews entspricht weder im Umfang noch im Ablauf dem gesendeten Interview. Vgl. PROTOKOLL, 16f. Zur Geschichte des Voltaire-Verlags, ROTH, Verlag. 250 Zit. n. KARL, Rudi Dutschke, 785. In einem Beitrag zu seiner „radikalen Frömmigkeit“ heißt es, Dutschke habe „trotz“ der von ihm betonten Nächstenliebe eine ambivalente Haltung eingenommen (HAGER, Rudi Dutschke, 785). Weiter dazu, KAILITZ, Worten, 130–140. 251 SALVATORE / DUTSCHKE, Vorwort, 7. 252 Vgl. oben Kap. 1. 5. 1. u. 1. 5. 3. Zum „Mythos“, SONNTAG, Che Guevara, Klappentext; KEPPELER, Marlboro-Mann. 253 „Warum kann ein Westberliner Student bestürzt sein über den Tod Che Guevaras?“ Undatiertes Flugblatt (APO-Archiv BERLIN, 451–452). Vgl. KRÜGER, Appell, 196.

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tikschema, wonach Gewalt mit demselben Maß an Gegengewalt beantwortet werden müsse, führte ihn zum Schluss, dass nunmehr auch in der Bundesrepublik die Zeit für revolutionäre Gewalt gekommen sei. Mit wachsender Distanz zur eigenen Gewalterfahrung wurden Dutschkes Aussagen schließlich wieder ambivalenter254. Prinzipieller Gewaltverzicht blieb ihm weiterhin fremd255. War die Ermordung Martin Luther Kings etwa nicht ein weiterer Beweis für die „Naivität“ einer pazifistischen Haltung? Bereits vor dem Attentat in Memphis hatten die in der Studentenbewegung engagierten Anhänger des schwarzen Bürgerrechtlers einen schweren Stand. Nach den Rassenunruhen in den Ghettos von Detroit beschloss die 22. ordentliche Delegiertenkonferenz des SDS im September 1967 eine Solidaritätserklärung mit „Black Power“. Die Resolution bezeichnete King als „bürgerlichen Führer“, dessen Anstrengungen dazu verurteilt seien, am strukturellen Rassismus der US-Gesellschaft zu scheitern256. Noch wenige Jahre zuvor hatten die Neue Linke und der SDS die Schriften des Nobelpreisträgers und die in den USA angewandten Protestformen des gewaltlosen Widerstandes kontrovers diskutiert. Ihr antiautoritärer Gehalt stieß nicht nur auf Gegenliebe257. Die Verbindungslinien zwischen der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der dort aufkommenden Studentenbewegung war auch der westdeutschen Neuen Linken nicht entgangen. Wesentlichen Anteil am Import der „direkten Aktion“, der Strategie begrenzter Regelverletzung, hatte Michael Vester258. Während seines Studienaufenthalts in den USA 1961/1962 hatte der ehemalige SDS-Bundesvorsitzende, der einem Niemöller nahen evangelischen Elternhaus entstammte, an der Formulierung der programmatischen Port-Huron-Erklärung des amerikanischen SDS mitgewirkt. Vesters Interesse an der Entwicklung gewaltloser Protestformen entsprang der Suche nach einem Dritten Weg zwischen Ost und West259. Nachdem die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen 1964/1965 formaljuristisch durchgesetzt worden war, rückte die unverändert schlechte wirtschaftliche und soziale Situa254

DUTSCHKE, Pamphlet, III–V; KARL, Rudi Dutschke, 256. Diese Haltung ließ Dutschke in seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Attentat erkennen. Am 15. 3. 1970 referierte er in der Londoner Dietrich-Bonhoeffer-Kirche über das Thema „Gibt es eine Revolution ohne Gewalt?“, Redemanuskript (HIS HAMBURG 310, 04). 256 Zit. n. KLIMKE, Power, 565. 257 FICHTER / LÖNNENDONKER, Geschichte, 93. 258 VESTER, Strategie. 259 Entscheidende Wegmarken seiner politischen Sozialisation waren die westdeutsche Wiederbewaffnung und „Restauration“ unter Adenauer sowie die Enttäuschung über die Niederschlagung der Volksaufstände in der DDR und Ungarn 1953 und 1956, KLIMKE, Alliance, 10f. Zu Vesters Einfluss auf die Port-Huron-Erklärung, EBD., 18–26 u. 54. Vgl. KRAUSHAAR, Protestkultur. 255

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tion der Afroamerikaner in den Vordergrund. Angesichts unvermindert fortgesetzte rassistischer Übergriffe – etwa durch den Ku-Klux-Klan – wurde der Ruf nach bewaffnetem Schutz immer lauter. Mit dem Aufkommen von „Black Power“ als neuem militantem Selbstwertgefühl im Jahre 1966 stellten die radikalen Fraktionen in der Bürgerrechtsbewegung den religiös-idealisierten, in erster Linie pragmatisch motivierten gewaltfreien Konsens der Bürgerrechtsbewegung immer mehr in Frage. Ihr Ziel war nicht die politisch-rechtliche Gleichstellung, sondern eine grundsätzliche Gesellschaftsveränderung260. Auch wegen seines Einsatzes für die Beteiligung von Weißen in der Bürgerrechtsbewegung geriet King immer mehr ins Hintertreffen. Entscheidend war aber seine Haltung in der Gewaltfrage261. Die Selbstverteidigungsprogramme, die er zur Durchführung gewaltloser Protestaktionen und zum Schutz seines eigenen Lebens für teilweise notwenig erachtet hatte, geißelte er als verschleierte Form aggressiver Gewalt262. Seiner Aussage nach gefährdeten sie sowohl den gewaltfreien Geist der Bewegung als auch deren Legitimität. Dennoch stärkte „Black Power“ Kings Verhandlungsposition als Vertreter der moderaten (christlichen) Bürgerrechtsbewegung – die Militanten suchten umgekehrt die Nähe des Friedensnobelpreisträgers263. Im Zuge der Proteste gegen den Vietnamkrieg, den die Fanon rezipierenden „Black Power“-Aktivisten als Zwangseinsatz schwarzer Sklaven brandmarkten, gewann der radikale Teil der Bürgerrechtsbewegung im westdeutschen SDS immer größere Bedeutung. Dutschke und der antiautoritäre Flügel hielten die Aktionen von „Black-Power“ für ein effektives Beispiel, wie in einem ähnlich hochindustrialisierten Land – der Bundesrepublik – Che Guevaras Aufruf zur Schaffung weiterer Vietnams zu verwirklichen sei264. Die an Guevaras Fokustheorie angelehnte – auf Avantgardismus im SDS abzielende – Strategie der Provokation und Eskalation hatte mit Vesters ursprünglichem Konzept der „direkten Aktion“ nur noch wenig gemein265.

260

Dazu ausführlich, CARSON, Zeiten; JUCHLER, Studentenbewegungen 32. King verstand sich selbst als Vertreter eines nicht-doktrinären „realistischen Pazifismus“, der „die pazifistische Haltung unter den gegenwärtigen Umständen für das kleinere Übel hält.“ (zit. n. GIRARDI, Gewalt, 65). 262 Wie Fanon sah auch King in der Protestgewalt der Unterdrückten eine Chance emotionaler Katharsis: „Vielleicht hat Fanon in gewisser Hinsicht etwas psychologisch Richtiges gesehen“, räumte er kurz vor seinem Tod im Frühjahr 1968 ein (KING, Testament, 32). 263 WENDT, Martin Luther Kings, 50f. Zum Konzept „Protected nonviolence“, DERS., Spirit, 193–197. 264 KLIMKE, Power, 565; JUCHLER, Studentenbewegungen, 111f. 265 KLIMKE, Alliance, 64–67; GILCHER-HOLTEY, Transformation, 209f.; und KRAUSHAAR, Protestkultur, 265. 261

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Während seines knapp neun Monate währenden USA-Aufenthalts 1966 befasste sich auch Hans-Eckehard Bahr mit den Erscheinungsformen gewaltlosen Widerstands. Als Mitarbeiter in Kings Chicagoer Umfeld gelangte der Theologe – „aus Deutschland kommend, mitten aus dem Freund-Feind-Denken des Kalten Krieges“ – zur Erkenntnis, dass „pazifistisches Verhalten“ letztlich doch kein „passives Vermeidungsverhalten“ sei266. Nach seiner Berufung an die Bochumer Ruhr-Universität beschäftigte ihn die Frage, wie sich die gewaltfreie Praxis der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung für die APO „übersetzen“ und nutzen ließe267. Dahinter stand die Absicht, die Kirchen für „Aktionen des aktiven Widerstands, als direkter Protest“ gegen „irrational werdende Politik“ – v. a. die Vietnampolitik der USA, aber auch die „inneren Widersprüche“ der „spätbürgerlichen“ westdeutschen Gesellschaft – zu gewinnen268. Das Thema seiner ersten Bochumer Lehrveranstaltung im Wintersemester 1967/1968 lautete „Reformation und Revolution“. Mit dem Anknüpfen an den „linken Flügel“ der Reformation wollte Bahr die theologische Legitimität gesellschaftsverändernden kirchlichen Handelns aufweisen. In der kirchlichen Öffentlichkeit Bochums führte sein Engagement schon bald zu heftigen Kontroversen mit dem Superintendenten und der westfälischen Kirchenleitung. Angesichts seines Aufrufs zum Gewaltverzicht während der Osterunruhen, vermutete der AStA, Kings ehemaliger Mitarbeiter sei vielleicht bald „ein Wortführer der neuen Linken“269. In der Diskussion um eine „Theologie der Revolution“ wurde Bahrs theologischer Ansatz hingegen als „Degradation des Wortes“, so der Vorwurf eines gleichaltrigen Bochumer Kollegen, und Ausdruck einer „Theologie des Unfugs“ abgetan270. Im oben genannten Vorwort seines mitherausgegebenen Werkes über die „Kirchen als Träger der Revolution“ nahm Bahr Anfang 1968 auch zur westdeutschen Rezeption der Genfer Weltkonferenz kritisch Stellung: „Mühsam und seltsam akademisch“ habe man versucht, „sich bewußt zu werden, was in Genf zur Sprache“ kam. „Theoretische Überlegungen“ würden angestellt über „Legitimität, mehr noch über Illegitimität von Gewaltanwendung bei politischen Revolutionen.“ Die amerikanischen Kirchen verhielten sich im Gegensatz dazu vorbildhaft271. Das Buch solle daher „Einblicke“ geben „in ein noch schwebendes Verfahren“.

266 267 268 269 270 271

BAHR, Martin Luther King, 57. Vgl. BAHR / EBERT, Vorwort, 6. BAHR, Vorwort, 7. Vgl. DERS., Weltfrieden. Zit. n. JÄHNICHEN / FRIEDRICH, Krisen, 134. GRÄSSER, Theologie, 694f. BAHR, Vorwort, 7.

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Trotz seiner an sich eindeutigen Haltung in der Gewaltfrage272 gab Bahr hier jedoch Rätsel auf. Oder wie ist das von ihm an den Anfang gesetzte – gewissermaßen modernisierte – Bonhoeffer-Diktum zu deuten? „Wenn ein Wildgewordener mit seinem Wagen über den Kurfürstendamm rast, kann man als Christ sich nicht damit zufrieden geben, die toten Opfer zu beklagen und zu beerdigen. Man muß auf der Stelle zuspringen und den Mann vom Steuer reißen. Das jedenfalls war Bonhoeffers Überzeugung schon Jahre vor Kriegsbeginn.“273

Irritiert zeigte sich ab Frühjahr 1967 auch die Presse über Martin Luther King und „dessen neue Position“. Kings demonstrativer Schulterschluss mit der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung führte nicht nur in den USA zu polemischen Mutmaßungen, King argumentiere pro-kommunistisch und suche darüber hinaus die Nähe zu „Black Power“274. Im Bericht des 1939 in die USA emigrierten „Christ und Welt“-Korrespondenten hieß es dazu, „Kings Voraussage, dieser Sommer werde blutige Rassenaufstände“ bringen, „ähnelt bedenklich einer offenen Drohung mit Gewalt.“275 Als sich die Prophezeiung im Juli dann tatsächlich bewahrheite, und King zum zivilen Ungehorsam aufrief, geriet das von westdeutschen Medien bis dato gezeichnete Bild weiter ins Wanken276. Der sinkende „Stern des gemäßigten Bürgerrechtskämpfers“ eröffnete dem westdeutschen Leser nun unmittelbare Bezüge zu den heimischen Studentenprotesten nach dem 2. Juni277. Wegen seines Aufrufs zum „Massen-Ungehorsam“ gewannen die Zweifel an Kings gewaltloser Haltung weiter Nahrung. Er galt fortan als „Apostel der Gewalt“278. Da ihm Menschleben „heilig“ waren, distanzierte er sich von der in den „riots“ angewandten interpersonellen 272 Bahr stand in engem Kontakt mit jenen Politikwissenschaftlern des OSI, darunter Theodor Ebert, die sich zusammen mit Studenten und Assistenten der Kirchlichen Hochschule WestBerlin und Mitgliedern der dortigen ESG (FU) im Arbeitskreis „Zur gewaltfreien direkten Aktion“ der Kritischen Universität engagierten, BENEDICT / EBERT, Vorwort, 6. 273 BAHR, Vorwort, 7. Vgl. BONHOEFFER, Kirche, 353f. 274 MUEHLEN, Drohung. 275 EBD. Interpretationen dieser Art waren auch in der „Welt“ zu lesen, BENEDICT, Beispiele, 110. 276 KING, Aufruf. Vor seinem ersten Deutschlandbesuch im September 1964, bei dem King die Ehrendoktorwürde der Kirchlichen Hochschule in West-Berlin verliehen wurde, kursierte in Berliner Kirchenkreisen die Warnung, ihn nicht sprechen zu lassen. Man befürchtete „eine ‚Politisierung‘ der christlichen Botschaft“ (GIESE, Steine). King besuchte zudem die DDR, wo man ihn bis über seinen Tod hinaus aus unterschiedlichsten – freilich auch propagandistischen – Gründen verehrte. Vgl. VERMÄCHTNIS; VAHL, Martin Luther King; LEHMANN, [Rezension]; und KING, Weg [1965]. 277 MUEHLEN, Aufruf. 278 Zu den dahingehenden Voten, LOKOS, House, Klappentext u. 457–459.

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Gewalt. Allerdings befürwortete er Plünderungen und die von ihm als sozialer Protest verstandene Gewalt gegen Privateigentum, mitunter auch Brandstiftungen279. Angesichts der Weigerung der US-Regierung, den Aufruhr zu „belohnen“, ließ King es offen, ob diese Art der Gewalt noch „strategisch wirksam sei“ – dazu müsste sie „Massendimensionen“ von „nationalem Umfang“ erreichen und sich zudem „internationalisieren“280. Kings Zweifel blieben auch Hans-Jürgen Benedict nicht verborgen. Zur Situation der Afroamerikaner konstatierte Bahrs Bochumer Assistent Anfang 1968, King wisse, dass er unter den Bedingungen einer Industriegesellschaft operiere. Die „Revolte der Machtlosen“ sei der Gewalt der „herrschenden Schichten“ daher „von vornherein unterlegen.“281 Vor dem Hintergrund seines von Bahr betreuten Dissertationsvorhabens über das – laut Arbeitstitel – „Friedenszeugnis der Kirchen“ trieben Benedict und Bahr die Frage um, ob Kings Methode einer gewaltlosen Konfliktaustragung auch auf nicht-demokratische Verhältnisse übertragbar sei282. Unter dem Eindruck des Vietnamkriegs und der Nachricht vom Tod Ohnesorgs verfasste Benedict am 3. Juni 1967 – den „unterlassenen Widerstand im Faschismus vor Augen“283 – einen Brief an Hannah Arendt. Bahr, der sie 1966 in Chicago persönlich kennengelernt hatte, hatte ihn hierzu ermuntert. Im Zusammenhang mit seinen kritischen Anfragen an Arendts Totalitarismusverständnis284 nahm Benedict zur jüngst überarbeiteten – die Verhältnisse in der Volksrepublik China mitberücksichtigenden – Ausgabe von „The Origins of Totalitarism“ Stellung285. Zu Arendts früheren Ausführungen „Über die Revolution“ bemerkte er: „Wenn Sie selbst dort Revolution und reine Machtpolitik in Antithese setzen, gibt es dann nicht verschiedene Formen von Gewalt, nämlich eine, die um ihrer selbst willen eingesetzt wird und eine andere, die auf ihre eigene Abschaffung zielt? Ist die Gewalt wirklich generell ‚stumm‘ oder spricht nicht der gewaltsame Widerstand der Unterdrückten in der Dritten Welt Bände?“286

279 King, Gewaltlosigkeit, 88–91; epd-ZA, Nr. 171 vom 29. 7. 1967, 1; und „Martin Luther King gegen Gewalttaten“. In: ChrWelt, Nr. 31 vom 4. 8. 1967, 2. 280 KING, Gewaltlosigkeit, 93 u. 100. 281 BENEDICT, Beispiele, 121; KING, Weg [1968], 52. 75–78; und DERS., Gewaltlosigkeit, 99. 282 BAHR, Martin Luther King, 103; BENEDICT, Friedenszeugnis. 283 Diese Erfahrung habe ihn, 1941 geboren, „in die Protestgeschichte unserer Zeit“ geführt (BENEDICT, Ungehorsam, Klappentext). 284 Vgl. hierzu wie auch über die weiteren Hintergründe des Briefwechsels, BENEDICT, Totalitarismus; KRAUSHAAR, Hannah Arendt. 285 ARENDT, Introduction, x–xii. 286 BRIEFWECHSEL, 4, dort in Faksimile. Vgl. ARENDT, Revolution, 19–21.

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Ein halbes Jahr später, erhielt Benedict eine ausführliche Antwort der 1933 emigrierten jüdischen Wissenschaftlerin. Ungeachtet gewisser Konzessionen im Bereich der Totalitarismusfrage kritisierte Arendt den moralisch-utopischen Rigorismus der westdeutschen Studentenbewegung, den sie im Brief des evangelischen Theologen – wenngleich aus transatlantischer Sicht – stellvertretend manifestiert sah: „Es gibt keine Gewalt, die durch blosse Gewalt gesiegt haette. Gewiss gibt es den gewaltsamen Aufruhr der Unterdrueckten, der noch nie zu irgendetwas geführt hat, wenn nicht der bestehende Machtapparat bereits unterminiert war. Es ist immer Ohnmacht, die ungeheure blinde Wut der Ohnmaechtigen, die sich in Gewalt entlaedt. Wo sie siegt, ist am naechsten Tag das Chaos da – nichts sonst; und zwar aus dem einzigen Grunde, weil diejenigen, die ihr Muetchen gekuehlt haben, am naechsten Tag auseinanderlaufen. Von daher kommt kein Widerstand. Etwas Aehnliches, naemlich ein Irrtum, scheint mir in einer anderen Bemerkung von Ihnen zu liegen. Sie schreiben, der Vietnamkrieg haette den Studenten ‚die Einheit der Welt neu bewusst gemacht und die Notwendigkeit ihrer Veraenderung.‘ Nun, was das Letztere angeht, koennten wir uns rasch verstaendigen; aber die ‚Einheit der Welt‘, wenn sie damit mehr meinen als Solidarisierung, ist ein Traum. Die Welt ist nur technisch eine Art von Einheit. In jeder anderen Beziehung, vor allem aber [. . .] in den Chancen fuer eine politische Entwicklung in Richtung der Freiheit, sieht jedes Land heute anders aus. Nehmen Sie den Guerillakrieg. Keine Frage, eine hoechst wirksame Kampfweise fuer unterdrueckte Voelker: vor allem gegen fremde Eroberer. Aber wie viele Voelker glauben Sie wohl sind imstande einen solchen zu organisieren? Vergessen Sie nicht, der Ausdruck Dritte Welt ist ein rein negativer Begriff – alle Voelker, die weder im amerikanischen noch im russischen Machtkreis stehen. Glauben Sie ernstlich, daß sie dies bereits einigte? Was nun das Letzte angeht: Keine Frage, es geht uns an, wenn in Persien, Vietnam und Brasilien ‚unwuerdige Zustaende‘ herrschen, aber es liegt wahrhaftig nicht an uns. Das, scheint mir, ist eine Art umgekehrter Groessenwahnsinn. Probieren Sie einmal, Politik in Persien zu machen, und Sie werden rasch davon geheilt sein. Ihre Verantwortung ist zu verhindern, dass in Deutschland unwuerdige Zustaende herrschen und dass Studenten, die demonstrieren, totgeschossen werden, Damit, fuerchte ich, werden Sie bereits alle Haende voll zu tun haben. [. . .] Politik ist [. . .] ja auch noch immer die Kunst des Moeglichen, und die Moeglichkeiten der Menschen [. . .] sind immer limitiert. Solche Grenzen nicht anzuerkennen, ist Groessenwahnsinn, auch wenn er sich hinter sehr erhabenen Gefuehlen verbirgt. Und er ist in der Politik, und nicht zuletzt in Deutschland, sehr gefaehrlich. [. . .] Worauf es politisch ankommt, ist limitiert denken lernen. Das ist fuer Leute wie Sie und mich, die aus einer so gewichtigen und grossartigen philosophischen Tradition wie der deutschen kommen, nicht ganz leicht“287.

287

BRIEFWECHSEL, 7f., dort in Faksimile.

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

Aufgrund von Indiskretionen und fraglichen Vergleichen Benedicts endete der Briefwechsel im Unfrieden288. Seine Ansichten zur Gegengewalt flossen wohl auch ein in Arendts Essay „Macht und Gewalt“. Den Vertretern der Neuen Linken, insbesondere den westdeutschen, riet sie, ihre marxistische Gewaltrhetorik zu überdenken. Die politische Verwirrung in Fragen der Opposition rühre daher, dass Gewalt und Macht gleichgesetzt würden. Letztere, so Arendt, komme aber nie aus den Gewehrläufen289. Die Frage, inwieweit Benedict sich dadurch beeindrucken ließ, bleibt offen. An seiner marxistischen Gewaltrhetorik hielt er im Falle der Dritten Welt jedenfalls weiter fest290. Sein Arendt gegenüber angestelltes Gedankenspiel über Gewalt als gordischer Knotenschlag fand in seinen Veröffentlichungen jedoch keinen weiteren Niederschlag. Insgesamt, so der Eindruck, näherte er sich Kings Position, revolutionäre Gewalt sei in Industriegesellschaften allein strategisch nicht zu befürworten, (wieder) an291. Rückblickend behauptete er, „nicht unter dem Druck“ gestanden zu haben, „das von den Eltern Versäumte durch besonders militante Kampfformen wettmachen zu müssen.“ Hatte ihn sein Doktorvater etwa überzeugt? Oder war es der Unmut über die westdeutsche Presse, die Martin Luther King nach dessen Ermordung wieder als Vertreter einer gewaltlosen „Ergebung in die Verhältnisse“ darstellte292. Neben Bahr und Benedict gewann auch Heinrich W. Grosse den Eindruck, dass Politik und Medien das Bild des „gemäßigten“ Bürgerrechtlers anlässlich der Osterunruhen „wiederbelebten“293. Nach Beendigung seines Vikariats studierte Grosse 1967/1968 in den USA, wo er an diversen Projekten von Kings Bürgerrechtsbewegung mitwirkte294. Laut Benedict gab es einen erheblichen Unterschied zwischen der „liberalen“ und der „konservativen“ Berichterstattung über King: Dem Springer-Verlag und der FAZ hielt er vor, den Toten gegen die Studentenbewegung zu instrumentalisieren. Dort erscheine er nun wieder als antikommunistischer „Apostel der Gewaltlosigkeit“, der einer von

288

KRAUSHAAR, Hannah Arendt, 11–13; BENEDICT, Totalitarismus, 104. ARENDT, Macht, 54, 57 u. 99–103. 290 BENEDICT, Totalitarismus, 101–104; DERS., Friedensversammlung, 268f.; und DERS., Ungehorsam, 44. 291 DERS., Prophezeiungen, 112. Diesen Standpunkt formulierte er zwischen Februar und März 1968, d. h. noch vor den Attentaten auf King und Dutschke. 292 DERS., Ungehorsam, 44f.; DERS. Licht, 62. 293 EBD.; BAHR, Gandhi; GROSSE, Macht [1971], 13–19; und DERS., Macht [2008], 14. 294 DERS., Macht [1971], 12. Von dort aus hielt er die beiden Bochumer u. a. über die Geschehnisse und die Berichterstattung in den USA auf dem Laufenden. Zudem betreute er Gollwitzer während dessen USA-Aufenthalt. Mündliche Auskunft von Heinrich W. Grosse am 15. 4. 2009. 289

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„Evangelen“ zwischen Camilo Torres und Martin Luther King

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Radikalen („Black Power“) provozierten Gewalt zum Opfer gefallen sei295. „Liberalen“ Medien hingegen, wie etwa der „Zeit“, warf Benedict vor, unpolitisch berichtet zu haben, da sie Kings soziales Engagement und dessen „militant nonviolence“ ausklammerten296. Damit versuchte er, das im Umfeld des SDS gezeichnete Negativbild des Bürgerrechtlers als korrumpierter braver „Onkel Tom“ zu korrigieren. Letztlich war es aber der Springer-Verlag, der die Bemühungen „progressiver“ und „brüderrätlicher“ Theologen untergrub, zu beweisen, dass Kings gewaltlose Militanz eben doch nicht überholt sei297. Einen entsprechend schweren Stand hatten jene in der „Bewegung“ engagierten „Evangelen“, die sich noch immer auf King beriefen. Während der für King organisierten Trauerfeier vor dem Schöneberger Rathaus kam es zu massiven Störaktionen durch Studenten. Mit Zwischenrufen und Flugblättern warfen sie dem Regierenden Oberbürgermeister vor, gewaltlosen Protest zu heucheln298. Der antikirchliche Affekt war auch bei dieser Aktion kaum zu übersehen299. In ihren Bemühungen, über Kings militante Gewaltlosigkeit aufzuklären, erhielten Bahr und Benedict Unterstützung durch die „Junge Kirche“300. Deren Beiträge trugen dazu bei, Kings Programm der Gewaltfreiheit zu kommunizieren. Die in der ESG geführte Debatte über Gewalt und Solidarität wurde dadurch wohl mitbeeinflußt. Die Herausgeber lancierten schließlich ein Flugblatt, das die Parallelen zwischen den Attentaten auf King und Dutschke akzentuierte. Es liege ihnen aber fern, „Black Power zu verurteilen und uns von denen zu distanzieren, die in einer gewaltsamen Revolution in Lateinamerika die einzig übrig gebliebene Lösung sehen.“ Den Kirchen, die 295

BENEDICT, Licht, 69f. EBD., 62f u. 72; SCHWELIN, Ende. Im Fall des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ schwankte Benedict zwischen Ablehnung und verhaltener Zustimmung. Zahrnts Äußerungen über King, den „Märtyrer“, lehnte er ab (EBD., 71f.; ZAHRNT, Ich, 1). Über das „Berliner Sonntagsblatt“ äußerte er sich nicht. Schelz hatte am Ostersonntag darin betont: „Was den gewaltlosen Widerstand betrifft, so hat King immer wieder darauf hingewiesen, dass er keine Methode für Feiglinge ist. Es wird Widerstand geleistet.“ (SCHELZ, Martin Luther King, Hervorhebung im Original). 297 Vgl. FISCHER, Martin Luther King. Kings Ablösung durch „Black Power“ wurde besonders in den Voltaire-Flugschriften propagiert. Vgl. KOPKIND, Gewaltlosigkeit. Die deutsche TextÜbersetzung besorgte Gudrun Ensslin. Im Rahmen eines Schüleraustauschs hatte sie 1958/1959 ein Jahr in den USA gelebt. 298 BENEDICT, Licht, 60. 299 Vgl. das von der Kommune I verteilte Flugblatt „Kein schöner Mord in dieser Zeit oder Es lohnt sich doch, Charaktermasken umzubringen“, datiert auf den 6. 4. 1968 (HIS HAMBURG, RUD 250, 09). 300 Benedict arbeitete fortan als ständiger Mitarbeiter, JK 29 (1968), 315. Vgl. „10 Gebote für einen freiwilligen Kämpfer der Gewaltlosigkeit in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung“. In: JK 29 (1968), 356. 296

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

sich auch nach Kings Tod nur schwer dazu durchringen konnten, ihn zum Namensgeber ihrer Einrichtungen zu machen301, warf Kloppenburg vor, „immer erst dann“ aktiv zu werden, „wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“302

3.6 Kirchliche Stellungnahmen zu den Osterunruhen Nach den Osterunruhen kritisierte die „Frankfurter Rundschau“ die „Schweigende Kirche“. Geradezu „hilflos“ stünden die christlichen Kirchen der Unruhe gegenüber: „Sie, die immer behaupten, einen bedeutenden Teil dieser Gesellschaft zu repräsentieren, schweigen. Von den bescheidenen Vermittlungsversuchen eines ev. [. . .] Bischofs einmal abgesehen [Kurt Scharf, A. C. W.], leben die Amtskirchen im Augenblick auf einem fremden Stern. [. . .] Wenn Terror, Gewalt und Anarchie sich breitmachen, dann oft deshalb, weil es an verbindlichen Wegweisern fehlt. Aufgabe der Kirche wäre es heute, der jungen Generation Orientierung in die Zukunft zu geben. Mit patriarchalischen Zurechtweisungen im Stil vergangener Zeiten, wird diese rebellierende Jugend allerdings nicht zu befrieden sein.“

Die Kirchen sollten vielmehr versuchen, den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen „vom Evangelium her einen neuen Sinn zu geben“303. Ohne Theologiebezug hatte sich am Vortag die AGEJD zu Wort gemeldet. Der lose Zusammenschluss aus Trägern landeskirchlicher und freikirchlicher Jugendarbeit appellierte an den Bundestag, „nicht bloß die Symptome der Proteste“ der jüngeren Generation anzuprangern, sondern „mit dem Willen zur Veränderung“ nach den Ursachen zu fragen. Von der Bundestagsdebatte am 30. April erwarte man konkrete „Aktionen zur Demokratisierung des politischen Lebens“. Nur 301

In Hamburg wandte sich die ESG am 25. 7. 1968 an die Kirchenleitung mit der Bitte, das ESG-Heim in der Grindelallee nach King zu benennen. Das Martin-Luther-King-Haus wurde im Juni 1969 schließlich eingeweiht. Zu den Vorgängen, NEK KIEL, 32.01/3880 u. 32. 01. 1/ 164. 302 „Martin Luther King und Rudi Dutschke“, Undatiertes Flugblatt von Heinz Kloppenburg (EZA BERLIN, 686/7209), abgedruckt in der Mai-Ausgabe der „Jungen Kirche“, JK 29 (1968), 312–314. 303 „Schweigende Kirche“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „ben-S“]. In: FR, Nr. 98 vom 26. 4. 1968, 3. Die folgende Auswertung basiert auf der Anfang Juli 1968 endenden Erfassung zeitlich unmittelbarer öffentlicher Reaktionen auf die Osterunruhen. Der Anspruch einer repräsentativen – alle Landeskirchen umfassenden – Analyse wird freilich nicht erhoben. Die späteren kirchlichen Äußerungen zu den Studentenunruhen standen überwiegend im Kontext mit der – hier gesondert erläuterten – Debatte um die Weltkirchenkonferenz in Uppsala im Juli 1968. Dazu weiter im folgenden Kapitel.

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Kirchliche Stellungnahmen zu den Osterunruhen

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so könnten „Gewalt und Gewaltandrohung in der politischen Auseinandersetzung“ künftig vermieden werden. Die jungen Menschen hätten ein Recht mit ihrem Beitrag, „auch wenn er in Form von Demonstrationen und massiver Kritik erfolgt“, in die politische Willensbildung miteinbezogen zu werden304. Der Hamburger Landesbischof, Hans-Otto Wölber, nahm als erster landeskirchlicher Repräsentant öffentlich Stellung: in Form eines an evangelische Jugend und Studenten gerichteten „Hirtenwortes“, einer ansonsten eher in der katholischen Kirche beheimateten Form der Stellungnahme305. Er begründete dies mit der zunehmenden, das Leben „anderer“ aufs Spiel setzenden „Härte der Aktionen und Reaktionen“. Nichts dürfe unversucht bleiben, um zur Gewaltlosigkeit zurück zu finden. Alle müssten zurückstecken. Da Autorität nicht „durch prinzipielle Härte“ entstehe, müsse gerade der Staat vorangehen. Einem Teil „unserer jungen Generation“ hielt Wölber, der in der evangelischen Jugendarbeit lange hauptberuflich tätig war, vor, man könne „nicht internationale Gewalt ablehnen, aber gesellschaftliche Gewalt fordern.“ Selbst „gerechte Ziele sprechen uns nicht frei von der Sünde, die wir auf dem Wege zu ihnen begehen würden.“ Angesichts seines Engagements gegen eine – die Entkirchlichung seiner Ansicht nach nur beschleunigende – Politisierung betonte Wölber: „Wir müssen uns aber nicht nur von der Gewalt lösen, sondern der Versuchung eines politischen Glaubens und von dem verderblichen Wahn, es könne eine Gruppe unsere Welt für sich allein beanspruchen. Es gibt keine vollkommenen Ordnungen. Mit dieser Erkenntnis sind wir zweifellos nicht befreit von der Aufgabe, uns für eine bessere Ordnung einzusetzen. Aber wir sind befreit vom Fanatismus, von Selbstgerechtigkeit, von schrecklichen und ungerechten Vereinfachungen und auch von der Blindheit gegenüber den nicht geringen Möglichkeiten der vorhandenen Ordnung. Eine solche Haltung hilft uns auch, dem Gegner einen gerechten Platz zu geben.“

Wölber versicherte, dass die Kirche, „wo sie es vermag, vermittelnd zu wirken“ gedenke, wenngleich dies „nicht immer öffentlich geschehen“ könne306. Drei Tage später wandte sich der Ratsvorsitzende der EKD an die Bundestagsfraktionen. Dietzfelbinger riet, die politischen Hintergründe der Unruhen, v. a. „wo sie in Gewalttätigkeiten ausgeartet sind“, zu durchleuchten. „Zugleich aber“, so sein Eindruck, seien in allen Demonstrationen und Diskussionen auch zwischenmenschliche „Grundprobleme“ manifest geworden, die „wir alle“ möglicherweise zu lange übersehen hätten, „deren Vernachlässigung aber 304 305 306

Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1968], 129f., dort im Abdruck. EBD., 130f.; epd-ZA, Nr. 98 vom 27. 4. 1968, 1 u. 6f.; und KIRCHE, 248f. Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1968], 130f.

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einem Volk mit demokratischer Staatsform nicht gut“ bekomme. Wegen des „Wirtschaftswunders“ stelle sich etwa die Frage, wo der steigende Überdruss, insbesondere unter jungen Menschen, an der Wohlstandsgesellschaft herrühre. Am Ende unterstrich Dietzfelbinger das Gesetz und dessen „unbestreitbare notwendige Stelle“; andererseits gelte auch die „Erkenntnis“, dass die gesellschaftliche Ordnung trotz aller Bemühungen brüchig bleibe und deshalb „ständiger kritischer Besinnung und gegenseitiger Anfrage“ bedürfe307. Anfang Mai diskutierte der Rat der EKD „ausführlich“ über die Osterunruhen308. In einem Pressekommuniqué hob er drei Fragenkomplexe heraus. Mit Blick auf die „staatliche Gewalt“ gelte es, die eigentlichen Ursachen der Autoritätskrise in Staat und Gesellschaft zu erkennen. Da staatliche Autorität jedoch nur „von innen heraus“ wieder herstellbar sei, stelle der „oft unumgängliche Einsatz“ staatlicher Machtmittel lediglich ein „Notbehelf“ dar. Der zweite Punkt betraf die jugendliche Anwendung von Gewalt. Revolutionäre Gewalt sei in einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft „sittlich“ unverantwortbar. Die Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Sachen und Personen sei zudem „unbrauchbar“. Die Geschichte habe bewiesen, dass ein „System der Gewaltlosigkeit leicht an eine Grenze gerate, an der sie in Gewalttätigkeit umschlage oder die andere Seite zu Gewalttätigkeiten provoziere oder gar nötige.“ Momentan sei es mit dem „Zugeständnis eines Demonstrationsrechts bei gleichzeitiger Beschränkung aller Beteiligten auf Gewaltlosigkeit nicht getan.“ Die Rolle der Demonstration als legitimes Mittel gesellschaftlicher Auseinandersetzung müsse neu beschrieben, rechtsstaatlich gesichert und vor gesellschaftsschädlicher „Entartung“ bewahrt werden. Für Kirche, Staat und Gesellschaft sei es unzulässig – so der dritte Punkt –, „Bestehendes um jeden Preis zu rechtfertigen und mit den Mitteln äußerer Gewalt zu erhalten.“ Auch die kirchliche Ordnung bedürfe der Anpassung an die „rapiden“ gesellschaftlichen Wandlungsprozesse. Für die Bundesrepublik stelle sich die Frage, ob sie ohne illegale Gewaltanwendung „von oben oder von unten her“ zu „notwendigen“ Reformen fähig sei. Abschließend teilte der Rat mit, man habe weitere Schritte zu den genannten Punkten beschlossen; auch hinsichtlich der Möglichkeiten eines „weiteren“ kirchlichen Beitrags zur Lösung dieser Probleme309. In diesem Sinne beschloss die Kammer für Öffentliche Verantwortung auf ihrer Sitzung am 3. und 4. Mai, sich selbst einen Überblick über die Studentenunruhen zu

307

Zit. n. KIRCHE, 249. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 2. / 3. 5. 1968 in West-Berlin (EZA BERLIN, 2/1772). 309 Zit. n. epd-ZA, Nr. 102 vom 3. 5. 1968, dort im Abdruck. 308

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machen310. Ludwig Raiser begann, für eine ausführlichere Stellungnahme des Rates einen Entwurf auszuarbeiten. Dazu wurden Studentenpfarrer und Mitglieder der Gesamt-ESG nach Frankfurt eingeladen. Auf der gemeinsamen Tagung berichteten sie, darunter Studentenpfarrer Tietz311, über den Gewaltdiskurs an den Hochschulen im Allgemeinen und in der ESG im Besonderen312. Die Ratserklärung stieß in der Öffentlichkeit auf Zuspruch und Ablehnung313. Wegen ihrer Ausgewogenheit wurde sie in evangelischen Medien wohl nahezu kommentarlos abgedruckt. Besondere Zustimmung erhielt sie in der „Berliner Morgenpost“, die die kirchliche Absage „an jede revolutionäre Gewalt“ in den Vordergrund stellte314. Während „Die Welt“ das Kommuniqué in Auszügen abdruckte, veröffentlichte die FAZ den Wortlaut in Gänze und bemerkte, es handele sich hier um kein verbindliches „Wort“ der evangelischen Kirche. Im „Tagesspiegel“, der es auf Seite eins großflächig abdruckte, wurde die Forderung nach kirchlicher Anpassung hervorgehoben. Die „Süddeutsche Zeitung“ akzentuierte wiederum die geforderte Neuformulierung des Demonstrationsrechts. In der „Zeit“ wurde gar nicht darüber berichtet315. Laut

310

EZA BERLIN, 2/1360. Auf der Mitgliederversammlung der Westberliner Landesgruppe der Evangelischen Akademikerschaft war Tietz mit Thomas Nipperdey heftig aneinander geraten. Dorothee Sölles älterer Bruder kritisierte die in einem „neuen Klerikalismus“ gipfelnden „‚antipluralistischen, intoleranten und antidemokratischen‘“ Aktivitäten der örtlichen Hochschulgemeinden. Sie bedienten sich, so Nipperdey, einer „absurden Theorie der Unterscheidung“ zwischen Gewalt gegen Personen und Sachen. Tietz entgegnete, die vielen Diskussionen dienten nur der Ablenkung von der Tatsache der Veränderungsbedürftigkeit des gesellschaftlichen Lebens. Theoretische Verhandlungen über Gewalt und Gewaltlosigkeit hätten deshalb ihren Sinn verloren. „Evolution und Revolution“ seien keine „echten Alternativen mehr“ („Kritik an politischer Aktivität“. In: BSBl, Nr. 20 vom 19. 5. 1968, 2). 312 Schreiben der Kirchenkanzlei der EKD an die Mitglieder der Kammer für öffentliche Ordnung vom 12. 6. 1968 (EZA BERLIN, 2/1365); Referat Walter Motzkaus „Über die Lage an den Hochschulen“ während der Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung am 21. 6. 1968 (EZA BERLIN, 734/9). Im Einladungsschreiben wurden folgende Komplexe unterschieden: 1. Hochschulpolitik; 2. Gesellschaftspolitik; 3. Kirche (EZA BERLIN, 2/1635). Zur späteren Diskussion um die Frage einer weiteren Stellungnahme des Rates, unten Kap. 3. 8. 3. 313 So das Fazit im Rechenschaftsbericht der EKD für das Jahr 1968, EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Rechenschaftsbericht, 91. 314 „Absage der Kirche an jede revolutionäre Gewalt“. In: Berliner Morgenpost, Nr. 103 vom 4. 5. 1968, 2. 315 „Rat der EKD: Gewalt nicht zu verantworten“ [gekennzeichnet mit dem Kürzel: „rb“]. In: Die Welt, Nr. 104 vom 4. 8. 1968, 6; „Aufruf der Kirche zur Besinnung“. In: FAZ, Nr. 107 vom 8. 5. 1968, 4; „Wort der EKD zur innenpolitischen Unruhe in Deutschland“. In: Der Tagesspiegel, Nr. 6885 vom 4. 5. 1968, 1; und „Rat der EKD für Reformen ohne Gewalt“ [gekennzeichnet mit dem Kürzel: „ki“]. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 109 vom 6. 5. 1968, 6. 311

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EKD-Rechenschaftsbericht war das Gros der Kritik derart gekennzeichnet, als gehe es dem Rat nur „um Ordnung und Autorität als Selbstzweck“316. Konservative evangelische Laien wie Hans-Georg von Studnitz interpretierten sie wegen ihres „‚Sowohl-als-auch‘-Stil[s]“ als „Freibrief“ für Studenten und Polizei, „für die Gewalt und gegen die Gewalt, für den Staat und gegen die Gesellschaft.“ Ausgerechntet „hier“ lasse es die evangelische Kirche an einem verbindlichen Wort fehlen. Stattdessen offeriere sie „widersprechende Hirtenworte und Handreichungen“317. Die dahingehenden Voten übersahen jedoch (bewusst?) die Bemühungen des Rates und dessen Mitglieder, einen klärenden Beitrag in der Gewaltdebatte zu leisten: Im Anschluss an seinen „Hirtenbrief“ baten Hamburger Jugendund Studentenpastoren Wölber, eine Klärung der (verfassungs)rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit gewaltfreien Aktionen anzustoßen. Nach der Ratssitzung teilte er den Pastoren mit, der Rat hege auf seine Initiative hin die Absicht, bei den Bundesministerien für Justiz und Inneres „rechtsstaatliche Definitionen der Gewaltlosigkeit herbeizuführen.“318 Am nächsten Tag informierte er auch die Hamburger ESG über das Ansinnen des Rates, mit den „zuständigen Instanzen, z. B. der Justiz“ Fühlung aufzunehmen. Der „Kern unserer gegenwärtigen Problemstellung“ liege in der Suche nach rechtsstaatlich definierbaren „neuen Formen der Demonstration und Protestaktionen, die der Notwendigkeit gesellschaftlichen Wandels Nachdruck verleihen sollen“. Früher habe man das Mittel des Streiks „auch anders gesehen“319. Der Jugendkonvent der hamburgischen Landeskirche bat Wölber um ein klärendes öffentliches Gespräch über dessen „Hirtenwort“320. Diesem Gesuch schlossen sich auch die Hamburger ESG und die Fachschaft der EvangelischTheologischen Fakultät an. Letztere nahm per offenen Brief Stellung und fragte den Bischof, ob er bei den „tatsächlich geschehenen Gewalttaten“ eigentlich berücksichtigt habe, dass es bei Demonstrationen „nur zu unorganisierten Gewalttaten“ gekommen sei. Die Studentengruppen hätten sich hiervon

316

EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Rechenschaftsbericht, 91. STUDNITZ, Gott, 172f. Zu dessen Vita, ASMUSSEN, Hans-Georg von Stunditz. 318 Brief Wölbers an vier Hamburger Pastoren vom 7. 5. 1968 (NEK KIEL, 13.54/50). 319 Brief Wölbers an die ESG Hamburg vom 8. 5. 1968 (NEK KIEL, 13.54/50). Am 21. 4. 1968 hatte die Hamburger ESG per Flugblatt angekündigt, dass sich die Studentenverbände in Zukunft um gewaltlose Aktionen bemühen wollen, „Wo stehen die Christen?“ In: DtPfrBL 68 (1968), 419–420, 419. 320 Brief vom Vorstand des Jugendkonvents der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate an Bischof Wölber vom 26. 4. 1968. Dieser Brief und die im Folgenden dem Ereignisverlauf entsprechend zusammengefassten Schriftwechsel und Notizen sind Teil einer vom Jugendkonvent erstellten Dokumentation, Hervorhebungen im Original (NEK KIEL, 13.54/50). 317

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jedoch distanziert. Neue Protestformen seien notwendig, um Gewalt durch Studenten ebenso auszuschließen „wie die auch von Ihnen beklagte Unverhältnismäßigkeit der Mittel“ seitens Polizei „und Regierung.“ Auf Protest könne man aber nicht verzichten, einen Protest, der auch „passive Gewalt“ wie rechtswidrige Sitzstreiks oder die Nichtbeachtung von Bannmeilen beinhalte. In diesem Ringen sei es Aufgabe der Kirche, nicht nur zu vermitteln, sondern den Wandel auch „aktiv“ voranzutreiben. Wölber erklärte sich zur öffentlichen Diskussion zwar bereit, forderte als Bedingung aber eine neutrale Gesprächsleitung. Der Diskussion sollte außerdem ein Gespräch zwischen Juristen und Vertretern von ESG, Fachschaft und Jugendkonvent vorausgehen. Da sich die Studenten in erster Linie für die öffentliche Diskussion bzw. Bloßstellung des Bischofs interessierten, versuchten sie – mehrmals vergeblich –, Wölber auf ein konkretes Datum festzulegen. Nachdem der Termin und der Teilnehmerkreis für das juristische Vorgespräch ihnen mitgeteilt worden war, erinnerten sie den Bischof, er habe für das öffentliche Gespräch noch immer keinen Termin angeboten. Sollte es ihm „nicht möglich sein, die abgesprochene Reihenfolge einzuhalten“, so entfalle „damit die Motivierung“ zur Teilnahme an dem juristischen Vorgespräch. Wölber antwortete, er sei „bestürzt“ über dieses „demonstrative Desinteresse“ an den Fragen „gewaltloser Aktionen“. Es sei es nicht einzusehen, weshalb das Gespräch mit den Experten „für Sie wertlos“ sei. Schon aufgrund der Fühlungnahme, die Hermann Kunst, der Ratsbevollmächtigten bei der Bundesregierung, „in dieser Sache“ inzwischen aufgenommen hatte, bezeichnete Wölber die Haltung der Studenten als Schande. Letztere antworteten, ein „‚juristisches‘ Gespräch in nichtöffentlichem Rahmen“ sei „kein Ersatz“ für die öffentliche Diskussion. Wölber hatte dies allerdings gar nicht behauptet. Auch nach seiner Abreise zur Weltkirchenkonferenz nach Uppsala kam keinerlei Gespräch mehr zustande. Der Gesprächsfaden war gerissen, das Klima vergiftet321. Auch auf der Maitagung der westdeutschen Regionalsynode der VELKD äußerte sich Wölber über den Generationenkonflikt. Mit Bezug auf seine laufende Auseinandersetzung mit den Hamburger Studenten rief er den im „Kir321 Vgl. epd-Nord vom 20. 6. 1968 (NEK KIEL, 13.54/50). Zu den in der Regel diskreten Fühlungnahmen von Hermann Kunst konnten keine weiteren Hinweise gefunden werden. In seinem Lagebericht vor der Gesamtkonferenz Evangelischer Militärseelsorger bejahte er ausdrücklich den jugendlichen revolutionären Impuls. Von den Regierenden wünsche er sich eine selbstkritischere Haltung. Andererseits sei die Freiheit „ein so hohes Gut, daß gegenüber Angriffen auf Leben und Besitz der Bürger keine Nachsicht geübt werden dürfe“, so der Nachrichtenblock eines sich auf den epd berufenden norddeutschen Kirchenblattes vom 12. 5. 1968 (Ostfriesischer Sonntagsbote 105 (1968), 234). Vgl. „Mehr Verständnis für die Jugend“. In: Unsere Kirche, Nr. 18 vom 5. 5. 1968, 2.

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chenkampf“ wichtig gewordenen Satz „Kirche muss Kirche bleiben“ in Erinnerung. Dies schließe jedoch nicht aus, dass sie sich den gegenwärtigen Problemen und Diskussionen „in vollem Umfange“ stelle. Schulmeisterliche Reaktionen griffen zu kurz. Von der Synodaldebatte über die unter dem Stichwort „Theologie der Revolution“ verhandelte Gewaltthematik zeichnete er folgendes Bild: „Es klang vorhin so, als seien wir hochempfindlich gegen die Tatsache, daß Gewalt gebraucht wird. Aber ich meine, gerade wir von der lutherischen Kirche her müssten uns fragen, an welcher Stelle wir da eigentlich empfindlich sind. Denn auf der anderen Seite wissen wir doch ganz genau, daß es in der Welt doch ganz anders zugeht und daß Machtgebrauch dazu gehört und daß wir vielleicht in dem permanenten gesellschaftlichen Umbruch, in dem wir uns befinden, tatsächlich nicht anders die Dinge hinbekommen werden, als indem Macht gegen Macht steht.“322

Auch die übrigen Redebeiträge ließen eine insgesamt wohlwollende Reaktion auf die Studentenproteste erkennen. Im nach Abschluss der Synodaltagung bekanntgegebenen Kommuniqué der VELKD-Bischofskonferenz hieß es: „Um des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt willen“ müssten die Christen und die Kirchen politische Verantwortung übernehmen. Dabei dürften sie sich „nicht von denen hindern lassen, die den Glauben auf die Innerlichkeit beschränken oder gesellschaftliche Probleme ausklammern, oder von denen, die der Kirche aus gesellschaftspolitischen Gründen das Wort verbieten wollen.“ Politische Verantwortung dürfe aber nicht zur Politisierung der Kirche führen. „Solche Verwechslung“ verfälsche „die Politik und die Kirche.“ Die „Utopie einer perfekten politischen gesellschaftlichen Ordnung“ sei dem Christen verwehrt323. Der Berichterstatter des Synodalausschusses zur Gesamtsituation, Pastor Hartmut Sierig, erinnerte an das ihn „bewegende“ Motiv mit dem Holzkreuz im Wasserwerferstrahl – seiner Ansicht nach eine „Bußbewegung“, die darauf hindeute, dass das protestantische „Phänomen des Gehorsams“ besonders aus-

322 LUTHERISCHE GENERALSYNODE 1968, 24f. u. 208f. Wölber forderte die Synode auf, die Frage zu prüfen, ob jenen „Kräften, die Neuordnung, Besserung und größere Gerechtigkeit und Humanisierung wollen, wirklich eine Portion Macht und Gewalt zugestanden werden“ könne (EBD., 209). In seiner über alle Rundfunkanstalten sowie in ARD und ZDF ausgestrahlten Osteransprache hatte Gustav Heinemann das Demonstrationsrecht zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung als Bundesjustizminister grundsätzlich bejaht. „Ausschreitungen und Gewalttaten“ würden jedoch „genau die gegenteilige öffentliche Meinung“ erzeugen. Zugleich betonte er aber: „Wer mit dem Zeigefinger [. . .] auf den oder die vermeintlichen Anstifter oder Drahtzieher zeigt“, sollte bedenken, dass gleichzeitig „drei andere Finger auf ihn selbst zurückweisen“ (zit. n. JK 29 (1968), 311). 323 Zit. n. JK 29 (1966), 355, dort im Abdruck.

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Kirchliche Stellungnahmen zu den Osterunruhen

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gelegt werde. Der Gehorsam gelte weniger der etablierten Autorität als vielmehr der „Instanz“ Menschlichkeit. Im Übrigen, so das Fazit des Ausschusses, zeitigten die Studentenproteste positive Impulse für einen kirchlichen Aufbruch. Das „speziell“ lutherischen Kirchen anhaftende Klischee, „sakrale Insel[n] im Strom der an ihr vorbeifließenden Geschichte“ zu sein, werde beseitigt. Einer Geschichtstheologie aber, die anstelle des Krieges „den Bürgerkrieg“ setze „und ihn am Ende womöglich“ auch noch heilige, bestreite man das „Pathos“324. Der Leitende Bischof der VELKD hielt den „klischeehaftige[n] Gebrauch“ von „Theologie der Revolution“ für „unverzeihlich“. In der Bundesrepublik, so Lilje, werde sie in drei „Schichten“ diskutiert: 1. stehe sie für den in westlichen Ländern artikulierten Willen, für unbefriedigend erachtete Gesellschaftsstrukturen zu verändern. Auf eine „ganz andere Weise“ werde sie 2. in Verbindung mit der Dritten Welt diskutiert. Hier sei „von richtiger, blutiger, umstürzlerischer Revolution“ die Rede. 3. stehe sie für theologische Besinnung über das Christentum als „permanente Revolution“ und dessen ständige Bereitschaft, „das Verholztwerden, das Routinierte, das was sich festgefahren hat“, zu überwinden und in den „Prozeß einer ständigen Erneuerung hineinzugeben.“325 Waldemar Wilken, Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsdienst in der hamburgischen Landeskirche, stimmte Lilje „völlig“ zu326, fragte aber auch nach der „anderen Seite“ des Stichworts, die Lilje nicht erwähnt habe. Der Ausdruck habe auch mit Blut, „brutaler Gewalt“, Terror und roten Fahnen zu tun. Hiervon könne er im Neuen Testament nichts finden. Theologie habe also anscheinend „doch etwas zu tun mit dem fatalen Ausdruck der Ideologie.“ Anfang der 1930er Jahre bekämpfte man das verhasste demokratische „System“, heute heiße es „Establishment“. „Es gehört doch zu den überraschendsten Dingen, daß 20 Jahre erst vergangen sind; man spricht jetzt schon wieder von einer verholzten Demokratie [. . .]. Wir hatten ein bisschen zuviel Unruhe, und jetzt heißt es schon wieder: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht. Und dies sagt ausgerechnet ein Volk, das eine ganze Welt in totale Unruhe gestürzt hat.“

Wilken ging über zur Frage, ob Theologie das gleiche sei wie Ideologie. Diese Gleichsetzung habe man im „Kirchenkampf“ doch „von innen“ her überwunden. Mit Blick auf das, „was in unseren jungen Theologiestudenten und in 324

LUTHERISCHE GENERALSYNODE 1968, 113–115. EBD., 166. Vgl. FRANZ, Evangelium. 326 In der Bekenntnisbewegung zeigte man sich angesichts Liljes vorheriger Warnung vor einer Politisierung der Kirche negativ „überrascht“ über dessen weitere Äußerung: „‚Es ist uns nicht erlaubt, von der Trias Marx, Marcuse, Mao keine Kenntnis zu nehmen‘“ (SÖHLMANN, Klarheit, 10). 325

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

den Köpfen der Vikare“ zugehe, hielt er die allseits beschworene Gelassenheit für fehl am Platz, denn es gebe durchaus eine Gruppe, die versuche, „die Ideologie der Revolution“ theologisch zu unterbauen. Diejenigen, die dies versuchten, seien „glatte Häretiker.“327 Auf der Außentagung der hamburgischen Landessynode zum Thema „Politik und Religion“ stieß Helmut Schmidt, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, in die gleiche Kerbe. Die Ausführungen des Synodalen gipfelten in der Forderung an Theologen, die Zwei-Reiche-Lehre einzuhalten. Als „jemand, der mit Gesellschaftswissenschaft und mit politischer Analyse kraft seines Berufes etwas vertrauter ist als manch anderer“, hielt Schmidt es für erstaunlich, dass sich die evangelischen Kirchen „hundert Jahre lang mit wenigen Ausnahmen der geistigen Herausforderung des Marxismus nicht gestellt haben, und daß nun zum Schluss einige auf den Spätmarxismus hereinfallen und irgendeine Art von Vermählung zustande zu bringen versuchen.“ Ihn grausten die sogenannten Notstandspastoren, die „uns besuchen kommen in Bonn und uns mit ihrer Gesinnung überschütten, von der Sache aber keine Ahnung haben.“328 Es gebe wohl zu viele „‚Theologiewissenschaftler‘“, Soziologen und Politologen. Man habe „vielzuviel Leute, die sich einbilden, von allem etwas zu verstehen.“ Er halte mehr davon, „dass wir alle unseren Beruf genau kennen und uns zu den Dingen, die andere Berufserfahrung und anderes Berufswissen voraussetzen, ein bißchen vorsichtiger äußern“. Diese Maxime

327 EBD., 174f. Kurz nach Ende der Synodentagung erschien in der „Welt“ ein Artikel von Christian Walther zur „Theologie der Revolution“. Im Vorspann hieß es, „evangelische Pfarrer, die die revolutionäre Gewalt predigen“, seien „keine Seltenheit mehr. Von welchen geistigen Voraussetzungen gehen diese ‚Theologen der Revolution‘ aus? Kann man sie noch als Kinder des Gotteswortes ernst nehmen?“ (WALTHER, Theologie). 328 SCHMIDT, Theologie, 277 u. 279. Am 8. 5. 1968 hatten rund 500 Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter – im Vorfeld des „Sternmarsches“ vom 11. 5. 1968 – in Bonn demonstriert. Dabei trugen sie Transparente mit Aufschriften wie „1933 Ermächtigungsgesetz – 1968 NS-Verfassung“ oder „Nie wieder Thron und Altar“ (KRAUSHAAR, 1968, 166f.). Wie bei den anderen Demonstrationen gegen die am 30. 5. 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze wurden auch in Bonn Pfarrer im Talar gesichtet, so der Auszug aus dem Protokoll über die Sitzung des Rates der EKD am 14. 6. 1968 (EZA BERLIN, 2/1371). Vor der zweiten parlamentarischen Lesung der Notstandsgesetzte vertrat die Stuttgarter ESG-Geschäftsstelle in einer Erklärung die – irrige – Ansicht, der vorliegende Entwurf die Bundesregierung sei eine Ermächtigung, die Bundeswehr bei „inneren Unruhen“ einzusetzen („Meinungen“. In: EvKo 1 (1968), 352–353, 353). In einem offenen Brief an die Mitglieder des Bundestages hatten 2.721 Pfarrer und Kirchliche Mitarbeiter ihre Solidarität mit dem Kuratorium „Notstand der Demokratie“ am 9. 4. 1968 erklärt. Zu den Mitunterzeichnern gehörte auch Helmut Ensslin (EZA BERLIN, 2/1371). Im Juni wiederholte Dietzfelbinger im Interview die Feststellung der VELKD-Bischofskonferenz, ein Pfarrer dürfe sein „Amtskleid nicht zur Bekundung oder Durchsetzung seiner eigenen politischen Überzeugung gebrauchen“ („Politik und Kirche nicht verfälschen“. In: BSBl, Nr. 23 vom 23. 6. 1968, 2).

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Kirchliche Stellungnahmen zu den Osterunruhen

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gelte auch für Theologen und die Kirche als Ganzes. Als Anspielung auf Hermann Ringelings Referat über die Weltkonferenz 1966 und die eschatologischen Komponenten der Shaullschen „Theologie der Revolution“ gab Schmidt zu bedenken, dass auch die Kirche Gottes Wille „in bezug auf die Geschichte und das heißt: auf die politische Entwicklung nicht im voraus wissen“ könne329. Zu den Osterunruhen hatte sich Schmidt bereits in der Bundestagsdebatte am 30. April geäußert. Da „jede Gewalt“ den „Keim des Bösen“ in sich berge, lehne er es ab, gegenüber der Gewalt gegen Sachen keinen Einwand zu erheben. Es müsse nun jene Saat gejätet werden, die in den „unglaublichen, ja nun weiß Gott nicht nur von Jugendlichen erfundenen Formulierungen“ stecke. Wie sich später herausstellen sollte, dachte er dabei an den Theologen Gollwitzer330. Auch die braunschweigsche Landessynode tagte unter dem Eindruck der Osterunruhen331. Landesbischof Gerhard Heintze plädierte für einen kirchlichen Ausbruch aus verfestigten Formen. Sämtliche – auch kirchliche – Institutionen trügen nämlich die Gefahr in sich, als Einengung und autoritärer Zwang zu wirken332. Während in den Zeitschriften der reformierten Kirchen keine kirchliche Stellungnahmen erschienen333, veröffentlichte die Württemberger Kirchenleitung inmitten der Osterunruhen ein Wort an die Gemeinden334. An dem Papier, das vage nach den geistigen Hintergründen der – „trotz mancher Auswüchse“ – für berechtigt erachteten „Unruhe unter der Jugend“ fragte, ist die Veröffentlichungsgeschichte bemerkenswert: Auf ihrer Märztagung diskutierte die Landessynode darüber, ob das vom Synodalausschuss für Jugend und Unterricht verfasste Dokument überhaupt veröffentlicht werden solle. Letztlich beschränkte man sich darauf, das Wort zustimmend zur Kenntnis zu nehmen und es der Kirchenleitung anheim zu stellen, es bei Bedarf zu publizieren. Die Befürworter einer Veröffentlichung argumentierten, man müsse die Behandlung der Thematik nach außen hin sichtbar dokumentieren. Die kirchliche Auseinandersetzung werde von der (kirchlichen) Öffentlichkeit ohnehin erwartet. Der Ludwigsburger Pfarrer Peter Spambalg hielt es für 329 SCHMIDT, Theologie, 279f. Vgl. auch den später überarbeiteten Diskussionsbeitrag, SCHMIDT, Theologie. 330 VERHANDLUNGEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 9011. Dazu unten Kap. 4. 2. 2. 331 Anders als die – außerordentlich einberufene, im Juni 1968 tagende – Regionalsynode West der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg kamen die landeskirchlichen Synoden in Bayern, Bremen, Hannover, Hessen-Nassau, Kurhessen-Waldeck, Württemberg sowie im Rheinland vor dem Osterwochenende zusammen. Sie tagten dann erst wieder im Herbst. 332 „Meinungen“. In: EvKo 1 (1968), 352–353, 353. 333 Das ergab jedenfalls die Durchsicht der „Reformierten Kirchenzeitung“. 334 Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg, Nr. 15 vom 11. 4. 1968, 5.

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

unzulässig, am politischen Radikalismus, sei er nun rechts- oder linksgerichtet, vorüberzugehen „ohne irgend etwas zu tun“. Er persönlich hätte dazu gerne die Evangelische Akademie Bad Boll eingeschalten. Unter den Befürwortern einer intensiven Beschäftigung mit den Studentenunruhen gab es aber auch Stimmen, die eine Veröffentlichung skeptisch sahen. Rolf Scheffbuch, Leiter des landeskirchlichen Jugendwerkes, betonte, es sei „schon mit Recht“ darauf hingewiesen worden, dass die Jugend „von Erklärungen wenig“ halte: „Die jungen Leute wollen mitbestimmen. Sie wehren sich gegen die Predigt [. . .]. Sie sind gegen die ganze Institution der Kirche. Das ist ihnen alles von vorn bis hinten verdächtig, auch ein solches Wort. Wir müssen sehen, dass wir jungen Menschen gegenüber mit so einem Wort nicht so viel ausrichten. Ich bitte noch einmal, sich gründlich zu überlegen, ob wir dieses Wort verabschieden wollen.“335

Die rheinische Landessynode beriet schon im Februar über eine Erklärung. Im damit betrauten Öffentlichkeitsausschuss lehnten einige Mitglieder es ab, sich überhaupt damit zu beschäftigen336. Der Entwurf wurde nicht veröffentlicht. Zusammen mit dem hochrangig besetzten Ausschuss für Studentenfragen hatte der Öffentlichkeitsausschuss den Auftrag erhalten, die Ursachen und Hintergründe der Studentenproteste zu erforschen und Gespräche mit den Studenten aufzunehmen337. Der in mehreren Sitzungen erfolgte Austausch mit Studenten führte weder zu einem „Ergebnis, oder gar zu einer gemeinsamen Vorlage“338. Präses Beckmann, selbst Mitglied des Studentenausschusses, äußerte sich nach den Osterunruhen distanziert über die Studentenbewegung. Die APO sei zwar legitim, jedoch stelle sich die Frage nach der Art und Weise, wie sie Öffentlichkeit praktiziere. Er zeigte sich nicht sicher, ob die „Methoden der Opposition nicht die Demokratie überhaupt gefährden.“339 Für Mitte Mai lud der Öffentlichkeitsausschuss zu einer Diskussionsrunde über „Probleme der studentischen Opposition“ ins Düsseldorfer Haus der Diakonie ein, etwa zur Frage, ob die „verschiedenen Distinktionen [Gewalt gegen Sachen aber nicht gegen Per-

335 VERHANDLUNGEN DER 7. EVANGELISCHEN LANDESSYNODE, Protokollband I, 466, die Diskussion, 465–467. Zur Politisierung der Landessynode, OEHLMANN, Synode. 336 Die Begründungen lauteten: „Zu geringe Information über die Vorgänge“ sowie „Abneigung gegen Klamauk einer Minderheit“ (VERHANDLUNGEN DER 16. AUSSERORDENTLICHEN RHEINISCHEN LANDESSYNODE, 172). 337 MÜLLER, Gemeindeleben [Teil I], 130. Informationen zur weiteren Tätigkeit des Ausschusses für Studentenfragen finden sich in den einschlägigen Akten des Landeskirchlichen Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, AEKR DÜSSELDORF. 338 VERHANDLUNGEN DER 17. AUSSERORDENTLICHEN RHEINISCHEN LANDESSYNODE, 247. 339 „Beckmann: Spielregeln der Demokratie beachten“. In: Der Weg. Evangelisches Sonntagsblatt im Rheinland, Nr. 17 vom 28. 4. 1968, 6.

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Kirchliche Stellungnahmen zu den Osterunruhen

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sonen] in konkreten Situationen“ überhaupt durchzuhalten seien340. Auch in der – den Studenten sonst so wohl gesonnenen – Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland wurde die „Gegengewalt“ kritisch hinterfragt. In ihrem Rundbrief berichtete der Teilnehmer eines Ostermarsches über einen Vorgang, der ihn zur Frage führte, ob der Begriff überhaupt noch verantwortet werden könne: „Mir sind auf dem Ostermarsch von einem Ordner optisch Prügel angeboten worden [. . .], weil ich gefragt hatte, ob das Plakat ‚Johnson ist ein Mörder‘ eine politische Forderung sei. Ich sehe es nicht so gern, wenn im Fernsehen gezeigt wird, wie drei Studenten ihre Zaunlatten auf dem ungeschützten Kopf eines Verkehrspolizisten so lange herunterdreschen, bis die Latten zerbrechen. ‚Nicht rührselig werden‘, hat der SDS-Vorsitzende angesichts des Todes des Journalisten in München erklärt. Auswüchse?“341

Wenige Tage nach den Osterunruhen tagte auch die badische Landessynode. Ohne Gegenstimme billigte sie den von drei Synodalen gestellten Antrag, die am Karfreitag abgegebene Erklärung des Landesbischofs sich zu Eigen zu machen. In seiner – in den Gottesdiensten – verlesenen Erklärung äußerte sich Hans-Wolfgang Heidland betroffen über die Ermordung von Martin Luther King und zog dabei Parallelen zum Dutschke-Attentat, die in einer Spitze gegen den Springer-Verlag endeten: „Der politische Mörder“ sei meist nur „Vollstrecker des Hasses, der lange zuvor mit Worten angeheizt wurde.“ Die Passionszeit, so Heidland, erinnere daran, dass auch das Kreuz „das Ende einer solchen Eskalation des Bösens“ gewesen sei. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahl betonte er: „Wer, und sei es im Wahlkampf, Rufmord begeht“, rufe Mörder auf den Plan. Ferner gelte: „Wer, und sei es zu einem vermeintlich guten Zweck, den Haß schürt, gerät auf einen Weg, der am Ende über Leichen führt. [. . .] Der Christ ist nicht Hüter einer falschen Autorität und verteidigt auch keine überfällige Machtposition in Kirche und Gesellschaft. Er steht auf Seiten des Neuen und der Zukunft, wenn die Konvention zu Ungerechtigkeit und Lüge führt. Aber er kämpft dagegen ohne Haß und Zynismus und verzichtet auf Gewalt.“

Der letzte Satz war ausschlaggebend dafür, dass der emeritierte Freiburger Nationalökonom Constantin von Dietze sich als einziger Synodaler der Stimme enthielt. Er habe an den 20. Juli 1944 gedacht, „und da bin ich zweifelhaft, ob diese Erklärung alles deckt.“342

340

So der Wortlaut des Einladungsschreibens (EZA BERLIN, 734/6). Auszug aus dem Rundbrief Nr. 2 der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland (EZA BERLIN, 734/6). 342 VERHANDLUNGEN DER LANDESSYNODE DER EVANGELISCHEN LANDESKIRCHE IN BADEN, 39f. 341

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Vor der Westberliner Regionalsynode würdigte auch Kurt Scharf den „20. Juli“ als zentralen Erfahrungshintergrund für die „gesellschaftliche Funktion der Kirche in unserer Stadt“, so das Thema der Ende Juni einberufenen Sondertagung. Er wies den Vorwurf zurück, die Kirchenleitung habe „Unordnung und revolutionärer Gewalt den Weg bereiten“ wollen. Scharf zitierte das Pauluswort, wonach Gott „nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ sei (1. Kor. 14, 33). Frieden bedeute mehr als Ordnung, setze Konflikt voraus und sei daher nicht das Ende der Spannung, „sondern die Form, vorhandene Spannung auszutragen.“ Reformen und Veränderungen, im Sinne „notwendige[r] Wandlung gewordener Herrschaft, auch einmal Revolution, wie die des 20. Juli 1944“, müssten „so geplant und gefördert werden, dass die alte Ordnung zu neuer“ werde. Auch mit Blick auf den Streit zwischen ESG und Gedächtniskirchengemeinde, dem eigentlichen Anlass für die Einberufung der Synode, betonte er, die Kirchenleitung habe zu sachlichen Verhandlungen der Beteiligten helfen, aber keineswegs nur beschwichtigen wollen: „Es ging uns nicht um einen Frieden um jeden Preis in der geistigen Auseinandersetzung.“ Selbst Kritiker der Kirchenleitung hätten nicht bestritten, dass „die Kirche als Institution“ einen „unmittelbaren Auftrag an die Gesellschaft“ habe343. Die Synode rief in ihrem Beschluss „in Erinnerung, daß das Heil in [. . .] Jesus Christus Zentrum der uns aufgetragenen Botschaft“ sei, „nicht aber irgendein zum Evangelium erhobenes politisch-soziales Programm.“ Der ständige Theologische Ausschuss wurde beauftragt, sich mit der theologischen Begründung der „Politischen Diakonie“ genauer zu befassen344. Sepp Schelz fand lobende Worte. Weil die Meinungen zur Wertung des Beschlusses weit auseinandergingen, liege es nunmehr an den Gemeinden, zu zeigen, ob sie ihn überhaupt ernst nähmen345. Der Berliner Pfarrer Otto Perels setzte sich nun zur Wehr gegen die „Vereinfachungen in der säkularen Publizistik“. Anstoß seiner im Editorial der „Lutherischen Monatsheften“ veröffentlichten Kritik waren die „schablonisierende[n]“ Kommentare Reinhard Henkys, Mitarbeiter der epd-Zentralredaktion (Berlin): sowohl über die Westberliner Osterunruhen als auch über die dortige Synodaltagung. Von einem „‚theologisch und politisch konservative[n]‘“ synodalen Lager könne keine Rede sein; die theologischen „Ausprägungen“ hätten vielmehr „große Variationsbreite, eine noch viel größere die politischen“, so Perels. Die theologische Vielschichtigkeit spiegele sich auch in den 343 Zit. n. epd-ZA, Nr. 140 vom 22. 6. 1968, 5 u. „Immer neu zum Gespräch bereit“. In: BSBl, Nr. 26 vom 30. 6. 1968, 4. 344 Zit. n. BERLIN. STUDENTEN. CHRISTEN, 78–81, 79. 345 SCHELZ, Antwort.

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Synodalbeschlüssen wider. Damit widersprach er Henkys These, die Kritik des „‚bürgerlichen Kirchentums‘“ am Verhalten der ESG sei „nicht in erster Linie theologisch, sondern gesellschaftlich“ motiviert346. Ohne Perels Vorhaltungen gegenüber Henkys genauer zu werten, bleibt festzuhalten, dass sein Hinweis durchaus zutraf. Selbst die bundesweit agierenden Organisationen und Gruppen, die sich auf Schrift und Bekenntnis fußend erklärten, waren sich in ihrem theologischen Widerstand gegen die „Moderne Theologie“ mitnichten immer einig. Anfang Juni 1968 fragten etwa die Herausgeber des Informationsbriefs der Bekenntnisbewegung, ob die Evangelische Sammlung Berlin die „Richtung verloren“ habe347. Henkys Hang zur Simplifizierung, so Perels, manifestiere sich auch in dessen Erlebnisbericht über die Osterunruhen, die u. a. das „Evangelische Gemeindeblatt an der Saar“ abgedruckte. In Tagebuchnotizen hatte Henkys das an Karfreitag von ihm selbst beobachtete Verhalten der Westberliner Polizei als völlig überzogen beschrieben. Laut Perels habe Henkys es dagegen unterlassen, über die Steinwürfe von Demonstranten auf Polizisten zu berichten. Abschließend forderte Perels, solche Vereinfachungen im „kirchlichen Bereich“ nicht einreißen zu lassen348. Eine erste Bewährungsprobe war die Berichterstattung über die in Uppsala weiter verhandelte „Theologie der Revolution“.

3.7 „Theologie der Revolution“ im Zeichen globaler Umbrüche 3.7.1 „Siehe ich mache alles neu!“ – Die Weltkirchenkonferenz 1968 Vom 4. bis 19. Juli trat die Vierte Vollversammlung des ÖRK in Uppsala zusammen. Anders als bei der Weltkonferenz 1966 stellten die von den westlichen Mitgliedskirchen direkt – ohne Einflussmöglichkeit des Genfer Stabes – entsandten Teilnehmer die Mehrheit der insgesamt 704 Delegierten. Die westdeutschen Kirchen entsandten allein 29 Delegierte349. Ferner waren mehr als 400 Teilnehmer ohne Stimmrecht und rund 750 Journalisten angereist350. 346

PERELS, [Editorial]; HENKYS, Ungereimtes, 1f. „Hat die ‚Evangelische Sammlung Berlin‘ die Richtung verloren?“ In: IBKAE (1968), Nr. 15, 19–20. 348 HENKYS, Ostern, 3; PERELS, [Editorial]. 349 Die ostdeutschen Mitgliedskirchen, deren Uppsala-Teilnahme hier nicht weiter behandelt wird, entsandten 14 Delegierte, so der vom Kirchlichen Außenamt der EKD Anfang 1968 mitgeteilte Stand („Starke Beteiligung“. In: BSBl, Nr. 3 vom 21. 1. 1968, 1). 350 GOODALL, Einleitung, XIV–XV. Im Kirchlichen Jahrbuch bemerkte Hanfried Krüger aus Sicht des Kirchlichen Außenamtes der EKD, die Vertretung von Laien, Frauen, der Jugend und 347

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

Laut ihrer Abschlussbotschaft tagte die Konferenz angesichts „aufsehenerregende[r]“ wissenschaftlicher Fortschritte, dem Protest revoltierender Studenten sowie dem Erschrecken über politische Morde und kriegerische Zusammenstöße351. Die 127 vom ÖRK-Exekutivkomitee ernannten Jugendteilnehmer forderten von der Vollversammlung gleich zu Beginn einen „Beitrag zum totalen Engagement der Kirchen und des Einzelnen“ zugunsten der Schaffung sozialer Gerechtigkeit. Gleichzeitig kritisierten sie das Durchschnittsalter der Delegierten. Damit sei eine „imperialistische und patriarchalische Haltung in der Struktur und Theologie des ÖRK verewigt“. Kaum überraschend zählte die Beschäftigung mit der „revolutionären Gärung unserer Zeit“ und dem „Aufruhr“ gegen „jedes öffentliche und religiöse ‚Establishment‘“ zu den „offensichtlichste[n]“ Kennzeichen der Vollversammlung352. Doch wie beantwortete das stimmberechtigte „Establishment“ die jugendliche Forderung nach weltlicher Umsetzung der eigens zum Konferenzthema erhobenen Losung „Siehe, ich mache alles neu!“ (Offb., 21, 5)? Zählte das Verhältnis von Theologie und Revolution nicht zu den noch immer ungeklärten Fragen, die die Genfer Weltkonferenz aufgeworfen hatte? Als Leitlinie betonte Generalsekretär Visser ’t Hooft im Eingangsreferat, die horizontale Zuwendung zur Welt müsse sich immer an der (eschatologischen) Vertikalen orientieren – und umgekehrt353. Die Vollversammlung nahm daher Abstand vom Begriff „Theologie der Revolution“. Gleiches galt für den von Bahr und Benedict favorisierten Begriff „Kirchen als Träger der Revolution“. Stattdessen favorisierte sie – zwar nicht expressis verbis – eine Theologie der Erneuerung. Nach den Worten von Reinhard Frieling, Mitarbeiter des Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim, der in Uppsala als Berichterstatter wirkte, bedeutete dies vielmehr ein Hin- und Herschwanken „zwischen Establishment und Revolution“. Die „Revolutionäre“ müssten „prüfen, ob ihre Aktionen wirklich der Aufbruch der neuen Menschheit in Christus“ seien oder „ein bloßes aggiornamento an den Zeitgeist.“354 Auch in der Gewaltfrage folgte die Vollversammlung den Beschlüssen der Sagorsker Expertenkonferenz355. Man tagte im Schatten von Martin Luther

der Dritten Welt sei „unzulänglich und fragwürdig“ gewesen (KRÜGER, Bewegung [1965–1968], 441). Die Namen der Teilnehmer sind im offiziellen Bericht aufgelistet, MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 428–463. 351 EBD., 1. 352 Zit. n. GOODALL, Einleitung, XV–XVII. Die zusammen mit dem WSCF ausgewählten Jugendteilnehmer hatten sich auf einer Vorkonferenz untereinander abgestimmt und der Vollversammlung Empfehlungen unterbreitet. 353 Zit. n. KRÜGER, Bewegung [1965–1968], 446. 354 FRIELING, Uppsala, 37. Vgl. DERS., Aufbrüche, 181; STRÜMPFEL, Theologie, 159. 355 Vgl. oben Kap. 2. 5. 3.

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„Theologie der Revolution“ im Zeichen globaler Umbrüche

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Kings Ermordung, der ursprünglich die Predigt im Eröffnungsgottesdienst hätte halten sollen. Am Ende wurden die Mitgliedskirchen aufgefordert, Kings „Beispiel“ den eigenen „Gliedern vor Augen zu stellen, damit ihr eigenes christliches Zeugnis vertieft werde.“ Dazu solle der ZA erörtern, wie der ÖRK Studien über gewaltlose Methoden zur Herbeiführung sozialen Wandels fördern könne356. Die Vollversammlung beschloss zudem die Ausarbeitung eines „Studien- und Aktionsprogramms“ zur „Beseitigung des Rassismus“. Der weiße Rassismus sollte im Sinne der Schaffung von Frieden und Gerechtigkeit, d. h. unter dem Gesichtspunkt der Kriegs- und Revolutionsprävention ins Visier genommen werden. Die Empfehlungen zur Inangriffnahme eines solchen Programms waren Teil des von Helmut Simon vorgelegten Berichts des Ausschusses über „Kirche und Gesellschaft“. An die Weltkonferenz 1966 anknüpfend, wurde nahe gelegt, die sowohl konservierende als auch verändernde Funktion des Rechts genauer zu untersuchen. Auch diese Empfehlung wurde von der Vollversammlung angenommen. Damit machte sie die von Rendtorff und Simon 1966 in Genf erhobene Forderung nach einer Theologie des Rechts sich zu Eigen357. Folgende Fragen sollten untersucht werden: „Wenn das Recht ungerechte Verhältnisse zementiert, können revolutionäre Konflikte entstehen. Lassen sich diese nicht ausreichend unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Widerstandsrechts beurteilen? Welche ethischen Parallelen bestehen zwischen kriegerischer Gewaltanwendung zwischen den Staaten und gewaltsamen Änderungen der Herrschaftsstruktur innerhalb eines Staates? Wie kann durch gewaltlose Strategie dringend notwendige Veränderung wirksam erreicht werden?“358

Delegierte aus den Entwicklungsländern warfen den Westeuropäern vor, revolutionäre Konzeptionen immer sofort mit Gewalt in Verbindung zu bringen. Die Enttäuschung hierüber klang auch in den Beiträgen der Entwicklungsländer an359. Auf diesen Aspekt machte der indische Konferenzvorsitzende Thomas in seinem Abendvortrag aufmerksam. Thomas, in Genf 1966 noch Wortführer einer geschichtstheologischen „Theologie der Revolution“, betonte, als Alternative zur Revolution habe man nun den Begriff „kraftvolle Umformung der Gesellschaft“ geprägt; sonst mache man „die Strategie der Gewalttätigkeit zum wesentlichen Bestandteil der Revolution. Radikaler Wandel in der Machtstruktur“, nicht Gewalt, sei „das Wesentliche der Revolution.“ Andererseits sei Gewalttätigkeit „potentiell immer gegenwärtig.“ Das „eigentliche Problem“ sei 356 357 358 359

MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 284. Vgl. epd-ZA, Nr. 164 vom 20. 7. 1968, 3a. MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 251–257, 253f. EBD., 251f. u. 256. LEFRINGHAUSEN, Uppsala, 61.

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die Frage, „wie das Evangelium als Versöhnung und Gemeinschaft innerhalb der Strategien des revolutionären Machtkampfes zu verwirklichen“ sei360. Gemäß seinen Ausführungen, war das Stichwort „Theologie der Revolution“ in den Sektionsberichten nirgends anzutreffen. Das christliche Ja zu Gewalt als ultima ratio durchzog die Sektionsberichte wie ein roter Faden. Gleich vier der insgesamt sechs Sektionen äußerten sich dementsprechend. Zugleich betonte die Sektion III über „Wirtschaftliche und soziale Weiterentwicklung“ die „besondere[n] Möglichkeite[n]“ der Kirchen, „zur Entwicklung einer Strategie“ zugunsten eines gewaltlosen sozialen Umbruchs beizutragen. Im Bericht der Sektion VI über die „Suche nach neuen Lebensstilen“ hieß es dazu ergänzend: „Wenn etwas mit Gewalt erworben wurde, besteht die Neigung, es mit Gewalt zu erhalten. Das gilt von der Vergangenheit, insofern sie zur gegenwärtigen Weltunordnung geführt hat, und für die Zukunft, insofern sie von Revolutionen und Guerillas vorbereitet wird. Revolutionen sind gewöhnlich Reaktionen gegen herrschende Gewalttätigkeit, wo andere Möglichkeiten zur Veränderung versagt werden. Hier steht die Relevanz unseres Glaubens auf dem Spiel. Christlicher Machtgebrauch zielt darauf ab, den Kreis zu sprengen, in dem Gewalt neue Gewalt gebiert.“361

Die Vollversammlung traf sich nicht nur „um zu hören“. Das von ihr beschlossene Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Rassismus entsprang der allgegenwärtigen Tendenz, die Probleme der Welt, über die man bislang immer nur geredet habe, selbst anzugehen, getreu der Abschlussbotschaft: „Beteiligt euch an dieser Vorwegnahme des Reich Gottes, und lasst heute schon etwas von der Neuschöpfung sichtbar werden“362. Die unter Beifall der Jugendteilnehmer vom ÖRK-Stab im Vorfeld gesetzten, v. a. von den Delegierten der Entwicklungsländer unterstützten Impulse waren nicht unumstritten. Ältere Mitglieder der ökumenischen Bewegung warnten vor zuviel „Weltinnenpolitik“363. Im „Uppsala-Bericht“ der „Evangelischen Kommentare“ hieß es, dem ÖRK und seinen Mitgliedskirchen seien die Grenzen eines Auftritts auf politischem Terrain aufgezeigt worden. Die Hindernisse hätten sich „nicht etwa aus einer restriktiven Auffassung“ des kirchlichen Auftrags „in rebus politicis“, sondern vielmehr aus den „politisch gegensätzlichen Bindungen“ der Mitgliedskirchen ergeben364. Politische Fallstricke offenbarten sich bereits in den Bemühungen 360

Zit. n. EBD.; MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 171; und epd-ZA, Nr. 159 vom 15. 7. 1968, 9. MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 49 u. 97. Zu den Stellungnahmen der beiden übrigen Sektionen, EBD., 30 u. 70. Vgl. FRIELING, Uppsala, 42. 362 MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 1; GRESCHAT, Protestantismus, 117. 363 EBD. 364 „Ökumene zwischen Routine und Erneuerung. Ein Uppsala-Report“. In: EvKo 1 (1968), 430. 361

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um eine gemeinsame Erklärung zu dem besonders emotional behandelten Biafra-Konflikt (1967–1970). Es zeigte sich erst später, dass die in Uppsala beschlossenen, vor Ort jedoch missbrauchten humanitären Hilfsmaßnahmen den Bürgerkrieg verlängerten365. Aus Uppsala zurückgekehrt, zog Wölber in einem Informationsbrief an „seine Hamburgische Kirche“ Bilanz. Er habe eine „Tagung kirchlicher Selbstkontrolle“ erlebt. Erstaunlich sei der „überraschend weite ökumenischen Konsens [. . .] in der Wahrung der Substanz bei aller Aufgeschlossenheit für Erneuerung“. Man habe die „Schwelle des Aufbruchs“ überschritten. Die Suche nach neuer Menschlichkeit inmitten rapider Weltveränderungen und den damit verbundenen Krisen sei der zentrale und alles beherrschende Gedanke gewesen. Auch die Motive der unruhigen Jugend strömten in die alten Kirchen ein. Ein billiger, die Ambivalenz menschlicher Existenz ignorierender Reformismus, sei jedoch abgewehrt worden. „Die Theologie der Revolution“ habe „keine Lösungen gebracht, sondern eine Lage gedeutet, und sie scheint auch spürbar zu ‚westlich‘ gedacht zu sein.“ Hans Thimme, Vizepräsident der westfälischen Landeskirche, erklärte, die Vollversammlung habe sich nicht zu einem „billigen Triumphalismus“ verführen lassen. Man dürfe nicht zu viel erwarten. Ein „reformatorischer Durchbruch“ zur „Wiedervereinigung der Kirchen“ sei nicht erfolgt. Ebensowenig habe man eine „billige“ Formel „zur Aufhebung der theologischen Spannungen“ wie „zur Beseitigung von Ungerechtigkeit, Unfreiheit und Hunger“ gefunden. An den letztgenannten drei Punkten gebe es für die heimischen Gemeinden noch „am meisten zu lernen, umzudenken und neue Dimensionen zu erschließen“. Nächstenliebe schließe auch „die Fernen in Afrika, Asien und Südamerika ein.“ Keine Kirche und Gemeinde könne dahinter mehr zurück366. Den westdeutschen Jugendteilnehmern ging der ökumenische Aufbruch nicht weit genug. Dieter Vogel, Studentischer Obmann des ESG-Dachverbandes, klagte in der ESG-Zeitschrift „Ansätze“: „Alle waren sich einig: die Rebellion der Jugend fand nicht statt.“ Als Ursache dieser „fatalen Bilanz“ nannte er den Kompromisszwang unter den Jugendteilnehmern. Deshalb sei nur „ein Abglanz radikaler Systemkritik“ zustande gekommen, „der die Liberalen des

365 MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 155–165. Vgl. hierzu das derzeit noch bearbeitete Dissertationsvorhaben von Lutz Neumann über „Die Republik Biafra in der deutschen Politik, 1967– 1970“. 366 Beide Stellungnahmen zit. n. epd-ZA, Nr. 165 vom 22. 7. 1968, 2. Zu den weitere Äußerungen westdeutscher Delegierter, vgl. die Uppsala-Dokumentationen Nr. 1 bis 7 im Grünen Dienst des epd (Nr. 22–28/1968).

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kirchlichen Establishments“ kaum erregte367 Vor der Weltkirchenkonferenz hatte der Arbeitskreis für Mission und ökumenische Beziehungen der GesamtESG ein Thesenpapier erarbeitet, das allen westdeutschen Uppsala-Teilnehmern unterbreitet wurde. Darin stand: „Die Industrieländer haben immer subtilere Formen der Repression entwickelt zur Aufrechterhaltung von Produktionsbedingungen und Besitzverhältnissen. Entsprechend intellektuell bleibt zuerst der Protest und Widerstand; er bezeichnet aber damit nur die umso größere Gefahr in der Gesellschaft. [. . .] In der Dritten Welt werden Ausbeutung und Unrecht noch wesentlich offener praktiziert, ihre Mittel sind andere, darum zeigt sich hier der Widerstand in anderen Formen bis hin zum Guerilla-Krieg. [. . .] Da die Weltgeschichte als Einheit verstanden und erlebt wird, ist Protest und Widerstand insgesamt zu sehen, es gibt keine Abgrenzung im Inhalt; nur sind Kritik, Theorie und Praxis unterschiedlich im Bezug auf die gesellschaftlich unterschiedlichen Verhältnisse.“368

Ob alle Jugendteilnehmer diesen Standpunkt teilten, bleibt ungeklärt. In den Verhandlungen der von Ludwig Raiser geleiteten Sektion IV über „Wege zu Gerechtigkeit und Frieden in internationalen Angelegenheiten“ traten sie geschlossen auf und forderten eine Veränderung des Absatzes über die atomare Kriegsführung im Sektionsbericht. Er solle festhalten, dass die Christen aufgerufen sind, „neue Wege des Friedens“ zu suchen369. Die Haltung zur konventionellen Kriegs- und innerstaatlichen Revolutionsführung war damit allerdings nicht geklärt. Über die heterogene Zusammensetzung der westdeutschen Jugenddelegation gibt der Bericht des Norwegers Øyvind Foss, von 1977 bis 1982 Studentenpfarrer in Heidelberg, Aufschluss. Während seines Theologiestudiums in West-Berlin erfuhr er über seinen engen Freund, den späteren RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe, von dem Ansinnen zweier im SDS engagierter Jugendteilnehmer, beide ebenfalls Theologiestudenten, ihre Uppsala-Reise zum Aufbau eines konspirativen Netzwerkes in Schweden und Norwegen zu nutzen370. Ob sie darüber hinaus zur Christlichen Weltstudentenkonferenz des WSCF weiterreisten, die unmittelbar nach der ÖRK-Vollversammlung im finnischen Turku begann, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage nach ihrem „revolutionären“ Ansinnen. Zu der zehntägigen Veranstaltung wurden über 300 Studenten aus etwa 80 Ländern erwartet. Über die Hälfte der Delegierten stammte aus Ländern der Dritten Welt. Der westdeutsche ESG-Dachverband

367

VOGEL, Jugend, 7. „Die Herausforderung der Kirche durch einen weltweiten Protest und Widerstand“. In: DtPfrBl 68 (1968), 343–344. 369 MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 61. 370 FOSS, Terrorist, 94. 368

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entsandte zehn Teilnehmer. Angesichts heftiger Auseinandersetzungen zwischen „Reformern“ und „Revolutionären“ geriet die Konferenz zum Desaster. Die spätere regionale Aufsplitterung des WSCF deutete sich hier bereits an371. Zur Eröffnung am 22. Juli erläuterte Jürgen Moltmann seine sieben Thesen über „Gott in der Revolution“. Wohl in Bezug auf die Weltkirchenkonferenz, an der er zuvor selbst teilgenommen hatte, konstatierte Moltmann in eine fundamentale Identitätskrise, in die das Christentum durch „die neue revolutionäre Situation“ geraten sei. „Es gibt keine ‚Theologie der Revolution‘, sagen manche besorgte Bischöfe. Sie haben auch Recht. Theologie der Revolution ist auch keine Theologie für Bischöfe, sondern eine Laientheologie der leidenden und kämpfenden Christen in der Welt. Aber auch abgesehen davon, muß man sagen, daß es solange keine Theologie der Revolution geben wird, wie es nicht zu einer Revolution in der Theologie kommt. Solange Christen nicht revolutionär wirken, haben sie auch kein Recht, über Revolution theologische Reden zu halten. Darum hat auch die Kirche kein Recht zu einer ‚Theologie der Revolution‘ in der Welt, wenn sie nicht selbst von Grund auf reformiert wird.“

Das „Problem von Gewaltanwendung und Gewaltlosigkeit“ sei ein „Scheinproblem“. Es gebe „nur die Frage nach berechtigter und unberechtigter Gewaltanwendung und die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel gegenüber den Zielen.“ Vor dem Hintergrund der Gewaltdebatte unter den westdeutschen Studenten stellte Moltmann allerdings klar: „Man muß schon auf dem Weg mit der Zukunft unmittelbar anfangen und auch in der Übergangszeit schon menschlich existieren.“ Folglich dürfe man in den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt „nur begrenzt eintreten“, wolle man ihn überwinden und abschaffen. Dies sei die „innere Aporie“ revolutionären Handelns. Wer sich hier das Gesetz des Gegners vorschreiben lasse, sei „noch nicht der neue Mensch.“ Martin Luther King habe sich diesem Gesetz entzogen. „Genau damit“ sei er „für die Mächtigen bedrohlicher als die Machtpropheten“ geworden. Zum Schluss zitierte er einen Studenten, „der den Spruch von Che Guevara abwandelte: ‚Es ist der Beruf jedes Liebenden, Revolution zu machen; es ist die Pflicht jedes Revolutionierenden, Liebe zu machen.‘“372 371

„Weltstudentenkonferenz“. In: JK 29 (1968), 502. Zur Geschichte des WSCF, LEHTOStory, 70–79. 372 MOLTMANN, Gott, 566 u. 570f. Anfang 1966 hatte Moltmann Hanfried Krüger mitgeteilt, er mache sich „zunehmend Gedanken“ über „eine Theologie der Revolution oder rapid social change“. Er fragte diskret nach Möglichkeiten, „auf irgendeine Weise“ an der Weltkonferenz teilnehmen zu können. Trotz Krügers Fürsprache beim Genfer ÖRK-Stab blieb Moltmann die Teilnahme verwehrt. Brief Moltmanns an Krüger vom 8. 1. 1966 sowie dessen schriftliche Antwort an Moltmann vom 24. 1. 1966 (EZA BERLIN, 6/5948). NEN,

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Moltmanns Vortrag wurden in der evangelischen Jugendarbeit aufmerksam registriert. Seine Thesen blieben auch Richard Shaull nicht verborgen. Letzterer war im Anschluss an die Weltstudentenkonferenz im finnischen Otaniemi zum neuen Vorsitzenden des WSCF gewählt worden373. Nach Princeton zurückgekehrt, äußerte er sich gegenüber Pastor Hans-Ulrich Kirchhoff, Geschäftsführer des AGEJD-Studienreferats, positiv überrascht über Moltmanns Thesen. Shaull dankte ihm für den Hinweis „about the recent direction of Moltmann’s thought“, gab dabei aber zu bedenken: „The only problem I still have is that of the necessity of expressing our basical theological perspectives in terms which are meaningfull to the present generation of secular students.“374 Das AGEJD-Studienreferat konstatierte „springflutartiges“ Interesse an Moltmanns Thesen. Vor ihrer Veröffentlichung in der Oktober-Ausgabe der „Evangelischen Kommentare“ waren sie als Studientext erschienen. Die von Gollwitzer im Sommersemester verfassten und in einer FU-Vorlesung zur Diskussion gestellten „Thesen zur Gewalt“ wurden im selben Format publiziert. Beide Texte seien verständlich und „diskutabel“ und eigneten sich für die evangelische Jugendarbeit, so die Mitteilung an die damit betrauten Träger375. Gollwitzers Thesenreihe, die die „Junge Kirche“ im September veröffentlichte, begann mit einer weit gefassten Gewaltdefinition. Die Parallelen zu Galtungs späterer „Strukturelle Gewalt“-Definition sind offenkundig: „Unter Gewalt sei hier verstanden das Vorgehen gegen Menschen, durch das diese anderen Menschen vergewaltigt, d. h. zu etwas, was sie nicht wollen, gezwungen oder in ihrem Leben geschädigt werden.“376 Die Thesen 3, 4 und 5 zusammen genommen, betonte Gollwitzer – im Sinne der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre: „Der mit Christus Verbundene hat Abscheu vor Gewalt. [. . .] Gewaltlosigkeit befreit die Phantasie. [. . .] Darum muß christliche Gemeinde eine Schar von Kämpfern gegen die Gewalt sein und in ihrem eigenen Bereich alle Gewalt ausschließen. Im

373

LEHTONEN, Story, 102. Vgl. DASBl, Nr. 35 vom 1. 9. 1968, 12. Brief Richard Shaulls an Hans-Ulrich Kirchhoff vom 26. 9. 1968, Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.] (EZA BERLIN, 182/306). Im Vorwort, welches Shaull eigens für den deutschen Sammelband seiner Aufsätze 1970 verfasst hatte, behauptete er, seine Theologie sei von den Studenten zusehends für irrelevant erachtet worden: „Je mehr sie sich politisch engagierten, desto weniger kümmerten sie sich darum. Und wenn sie die Theologie ernst nahmen, dann mussten sie entdecken, dass sie ihnen eher hinderlich als nützlich war“ (SHAULL, Zwischenstation, 10). 375 Undatierte Mitteilung des Studienreferats der AGEJD (EZA BERLIN, 2/1561). 376 GOLLWITZER, Revolution [1968]. Galtung fasste den Begriff weiter: „Strukturelle Gewalt“ liege dann vor, „wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“ (GALTUNG, Gewalt, 57). 374

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gesellschaftlichen Bereich gilt ihr Kampf dem möglichsten Abbau von Gewalt. [. . .] Gänzlicher Abbau von Gewalt ist nicht möglich, solange die Neigung zur Gewalt in uns Menschen vorhanden ist. Darin liegt die Notwendigkeit, Gewalt durch Gewalt einzudämmen. [. . .] Wo aber legalisierte Gewalt dem Machtbedürfnis von einzelnen und Gruppen und der Ausbeutung von Menschen dient, verliert sie ihre Rechtfertigung.“

In den Thesen 6 und 7 nahm Gollwitzer zur tötenden Gewalt Stellung. Hier erreiche die Fragwürdigkeit der Gewalt ihren Höhepunkt: „Tötende Gewalt schneidet dem Menschen die Zeit ab, ist Raub [. . .] aller Möglichkeiten. Zu töten ist einzig das Recht dessen, der das Leben gibt. Hier erreicht auch die Legalisierung der Gewalt ihre eigentliche Bedeutung: Eindämmung von Gewalt durch Gewalt impliziert Eindämmung von tötender Gewalt durch Androhung und Ausübung tötender Gewalt. Dazu kann der Mensch sich das Recht nicht nehmen; es muß ihm gegeben werden von dem, der allein über das Leben verfügen kann. Darum geschieht Legalisierung der Gewalt als ein Vollzug göttlichen Auftrags, von eigener Gewalt zu lassen und zugleich Gewalt einzudämmen. Das ist der Sinn von Röm. 13, 1–7. Dies bedeutet für einzelne Arten tötender Gewalt: a) Notwehr mit Todesfolge ist unter Gottes Gebot nicht erlaubt als Ausübung eines eigenen Rechtes, sondern höchstens als vertretungsweise Ausübung der von Gott beauftragten staatlichen Gewalt. b) Der staatlichen Gewalt ist nur die Eindämmung der ungerechtfertigten Gewalt befohlen, aber nicht die Ausrottung, die ihr nicht möglich ist, und nicht die Vergeltung, die sich Gott selbst vorbehalten hat (Röm. 12, 19). Darum ist die theologische Rechtfertigung der Todesstrafe [. . .] abwegig. c) Der Ausübung kollektiver tötender Gewalt in Kriegen und Revolutionen [. . .] wird der mit Christus Verbundene als Glied der neuen Welt mit allen Kräften widerstehen und für die Verhinderung und Abschaffung solcher Gewalt sich mit allen Kräften einsetzen. Die Nicht-Beteiligung wird ihm in allen Fällen näherliegen als die Beteiligung.“

Die Nicht-Beteiligung aber, so der Tenor der beiden letzten Thesen, könne nicht als allgemeines Prinzip gelten; „absolute“ Gewaltlosigkeit sei schließlich unmöglich. Anders als Moltmann nahm Gollwitzer zur „Theologie der Revolution“ keine Stellung. Schon bald aber sah er sich zu einer entsprechenden Erweiterung der Thesenreihe veranlasst. Mit gutem Grund stellte Kirchhoff im Vorwort zu Moltmanns Thesen fest, „Theologie der Revolution“ drohe „zum griffigen Schlagwort“ zu werden377.

377

Vorwort AEGJD-Studientext Nr. 5 (EZA BERLIN, 2/1561).

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3.7.2 Die mediale Rezeption von „Uppsala“ Keine der vorangegangenen Weltkirchenkonferenzen fand ein derart starkes mediales Echo wie die Vierte Vollversammlung in Uppsala. In der Bundesrepublik378 hatte das Kirchliche Außenamt der EKD auf eine gezielte Einbindung der Medien in die Vorbereitungsphase hingewirkt. Die während und nach der Genfer Weltkonferenz 1966 beklagte Geringschätzung seitens der Presse sollte sich nicht wiederholen379. Mit über 70 Sendestunden berichteten Rundfunk und Fernsehen hingegen wieder äußerst ausführlich, so Otmar Schulz, theologischer Referent in der Ökumenischen Centrale der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. Wie im Fall der Weltkonferenz hatte Schulz auch die Uppsala-Berichterstattung umfassend ausgewertet. Die Presseberichterstattung habe ein exorbitantes Ausmaß erreicht. Insgesamt sieben prall gefüllte Leitz-Ordner habe er zu seiner Analyse herangezogen: 1.648 „Berichte der ‚säkularen‘ Presse, der Tages- und Wochenzeitungen, 215 Berichte der ‚kirchlichen‘ Presse und 42 Kommentare der Rundfunk- und Fernsehanstalten.“ Schulz bemerkte, es hätte ihn „des öfteren gereizt“, allein über die Fehler der nicht-evangelischen Berichterstattung einen Beitrag zu schreiben. Schulz nannte auch Beispiele aus „Christ und Welt“ oder dem „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“. In der Sache aber, so die „Ehrenrettung“, hätten die von ihm genannten Blätter, etwa die FAZ, zumeist korrekt berichtet380. Im Gegensatz zu den evangelischen Fachzeitschriften waren die Tages- und Wochenzeitungen auch zur zeitlich unmittelbaren Berichterstattung angehalten. Doch auch bei den kirchlichen Wochenzeitungen konnten umfassende Vorkenntnisse, d. h. Wissen über Verlauf, Ausgang und Nacharbeit der Vollversammlung, nicht vorausgesetzt werden. Diesen Aspekt nannte auch Sepp Schelz in seinem Uppsala-Bericht beim Namen. „Weltkirche in 378

In der DDR zog der ENA – die Gewaltthematik ausklammernd – ein negatives Fazit. In Uppsala seien die Akzente von einer konservativen Theologie gesetzt worden. Die mit dem Motto „Siehe, ich mache alles neu!“ verbundenen Erwartungen seien enttäuscht worden, ENA, Nr. 30 vom 24. 7. 1968, 2–15. Der Bericht der „Zeichen der Zeit“ betonte die strukturelle Gewalt des Kapitalismus, warnte aber vor dem Teufelskreis der Gewalt, „Umschau. Botschaft der Vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen“. In: ZdZ 22 (1968), 388–392. Bassarak, dem „inneren“ Zensor der „Zeichen der Zeit“, hatte die „Stimme der Gemeinde“ es abermals gestattet, sowohl seine Erwartungen als auch seine Enttäuschung über die Weltkonferenz zu veröffentlichen. Die häufige Nennung des Revolutionsbegriffs in den Vorbereitungspapieren hatte er schon im Vorfeld als Modetrend, als reaktionären „Nebelschleier“ kritisiert (BASSARAK, Erwartungen, 372); DERS., Enttäuschungen. 379 Vgl. oben Kap. 1. 4. 3.1. Zu den entsprechenden Maßnahmen, EZA BERLIN, 6/5926 u. 6/ 5934. 380 SCHULZ, Welt, 265.

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Aktion“, so der Buchtitel, hätte „eigentlich“ mit einem Fragezeichen versehen werden müssen. Zwar seien die Sektionsberichte mit dem Revolutionsbegriff sehr „behutsam“ umgegangen; der Einfluss von Genf 1966 sei dennoch unverkennbar381. Quasi stellvertretend für die ersten Nachberichte evangelischer Fachzeitschriften notierte Christian Walther in den „Lutherischen Monatsheften“, die „Theologie der Revolution“ habe eine „höchst untergeordnete Rolle“ gespielt. Es bedürfe allerdings der zeitlichen Distanz, die Uppsalaer Ereignisse „in ihrer Tragweite und Wirkung richtig zu beurteilen.“382 Auch Karl-Alfred Odin war sich hierüber im Klaren. Bereits im Vorfeld hatte er die FAZ-Leser über Uppsala informiert. Den Konnex zwischen der ökumenischen Debatte um die „Theologie der Revolution“ und den Studentenunruhen hatte er dabei schon angedeutet. Nachdem er beide Diskurse im Vorbericht noch getrennt behandelt hatte, schlug er zu Konferenzbeginn den direkten Bogen. Vor dem Hintergrund der Beiruter Konferenz über weltweite Zusammenarbeit in Entwicklungsfragen, die der ÖRK zusammen mit einer päpstlichen Kommission im April organisierte, bezeichnete Odin es als „bemerkenswert“, dass in der „Frage der revolutionären Gewalttätigkeit“ zwischen Katholiken und Protestanten „kein Unterschied“ bestehe. Das Beiruter Einleitungskapitel lese sich „wie die Kurzfassung einer Theologie der Revolution“. Zwar werde „Revolution ohne Gewalt“ darin für möglich gehalten; im Nachsatz heiße es aber, wenn „‚Ungerechtigkeit so im Status quo verwurzelt‘ sei, könne ‚das Gewissen der Menschen als letzten Ausweg sie in voller und klar erkannter Verantwortung ohne Haß und Erbitterung zur gewaltsamen Revolution führen.‘“ Man möchte sich fragen, so Odin, „was das für Gewaltanwendung sein“ solle, „die nicht von Haß und Erbitterung begleitet wäre.“ Der Unterschied „zu früher“ sei bestechend: Die „‚Gewalt von unten‘ ist in der Kirche jetzt Streitfrage und nicht mehr wie noch vor einem Jahrzehnt fast rundheraus verurteilt.“ Die „Theologie der Revolution – soweit man von einer so jungen Erscheinung schon als fester Größe sprechen darf – hält am legitimen Schwertgebrauch fest“, nur spreche sie die Legitimität „nicht mehr von vornherein ‚denen oben‘ zu“383. Erleichtert stellte er gegen Konferenzende dann aber mit Blick auf die Sektionsberichte und die dortige Bezugnahme „auf die Theologie der Revolution“ fest: Christen könnten sich, „falls alle anderen Mittel versagen“, als letzten Ausweg zur „illegale[n] Gewaltanwendung“ zwar verpflichtet fühlen. Das Ziel, so Odin – den Schulz als „ausgezeichnete[n]“ Korrespondenten lobte –, müsse aber sein, schnellstmöglich „die Freiheit wieder381 382 383

SCHELZ, Weltkirche, 7 u. 71. WALTHER, Uppsala, 445 u. 447. ODIN, Mauern; DERS., Themen.

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herzustellen.“384 Wohl auch deshalb konstatierte Bischof Lilje im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“, der Verlauf der Weltkirchenkonferenz müsse viel positiver beurteilt werden, „als man vorweg hatte vermuten können“385. Diesen Eindruck vermittelte auch „Die Welt“, die wie die FAZ nahezu täglich berichtete. Zu Konferenzbeginn hatte es dort geheißen: Allein schon der Ausdruck „läßt viele Christen schaudern – mit Recht, sofern damit nichts anderes gemeint ist als die modische Anpassung der Theologie an sozialrevolutionäre Gewalttätigkeit.“ Der Verfasser kritisierte außerdem einen Bericht des ARDMagazins „Report“, in dem tschechische und kolumbianische Pfarrer zur „Theologie der Revolution“ befragt wurden. Die Geistlichen hätten die „pseudotheologische Argumentation“ dabei „auf die Spitze“ getrieben. Am „Report“-Bericht selbst wurde moniert, zur „Herstellung der Balance“ hätte er „mehr zur Differenzierung des Schlagwortes sagen sollen.“386 Die Bilanz der „Welt“ fiel schließlich versöhnlich aus. Man habe allgemein registriert, „daß die Vertreter einer ‚Theologie der Revolution‘ in Uppsala keinen Boden gewonnen haben.“ Nicht zuletzt „am Widerstand der orthodoxen Theologen“ seien „alle derartigen Bemühungen schon in den Ansätzen steckengeblieben.“387 Die Frage der christlichen Haltung zur revolutionären Gewalt sei dennoch allgegenwärtig gewesen, so Manfred Linz, Leiter des NDR-Kirchenfunks, im seinem Kommentar vom 16. Juli, den auch der WDR sendete. Die Gewaltfrage sei weniger als Generationenkonflikt388 beantwortet worden; vielmehr werde sie zusammen mit der übergeordneten „Frage, zu welchen Entscheidungen heute der Glaube verpflichtet“, verhandelt: „Was heißt das heute, ein Mensch zu sein? Was dürfen wir dann und was nicht? Das sind Fragen, deren Beantwortung [. . .] Christen trennen oder vereinen. [. . .] Mit einem Satz: In der Weltkirche treten Fraktionen an die Stelle der Konfessionen. Es hat wenig Sinn, diesen [. . .] Namen zu geben wie ‚Konservative‘ und ‚Progressive‘.

384

DERS., Ziel. Zwischen dem 4. und 19. 7. 1968 erschienen in der FAZ allein zwölf Artikel des Korrespondenten Odin. Neben Schulz’ 45-seitiger Medienanalyse wurde die umfangreiche Presseausschnittsammlung des EKD- Außenamts ausgewertet. Letztere ist im Evangelischen Zentralarchiv in über 30 Einzelakten verwahrt, EZA BERLIN, 6/5012–5044. Auf dieser Basis war es möglich, auch die Berichterstattung regionaler Tages- und Wochenzeitungen über Uppsala unter dem Gesichtspunkt „Theologie der Revolution“ und „Gewalt“ zu untersuchen. 385 LILJE, Kirche, 1. 386 „Pfarrer in Report“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „B.N.“]. In: Die Welt, Nr. 158 vom 10. 7. 1968, 9. 387 HARMS, Weltkirchenrat. Vgl. EZA BERLIN, 6/5024. 388 Laut Schulz sei über „kaum jemand so viel geschrieben worden“, wie über die Jugendteilnehmer (SCHULZ, Welt, 286).

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Aber man kann [. . .] doch sagen, daß es zwei Arten von Christen gibt, die sich untereinander schnell zusammenfinden und gegenüber der anderen Art wachsende Schwierigkeiten haben.“389

Revolutionäre Gewalt war freilich nur eines der brisanten Themen über die berichtet wurde. „Die Zeit“ und „Christ und Welt“ kritisierten gleichermaßen die für misslungen und naiv erachteten „Ausflüge in die schiere Politik“390. Die in Uppsala favorisierte Durchführung gewaltloser Revolutionen wurde beiderseits ebenso wenig thematisiert wie im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“. Als eine der wenigen überregionalen Tageszeitungen machte die „Süddeutsche Zeitung“ auf das beschlossene „Studium gewaltloser Taktiken“ dezidiert aufmerksam. Angesichts dessen habe Uppsala, so die Überschrift, ein „positives Urteil über Revolutionen“ gefällt391. Derartige Titel zierten besonders die Artikel regionaler Tageszeitungen. Im Vorfeld der Weltkirchenkonferenz berichtete etwa der „Mannheimer Morgen“ über „Die revolutionäre Herausforderung“ und „Die Frage nach der Gewalt“, die nun „auch für die Kirchen gestellt“ sei. In der „Rheinischen Post“ wurde gefragt: „Müssen Christen Revolutionäre sein?“ Im weiteren Konferenzverlauf erteilten die hier untersuchten Artikel dem Leser dann aber den einschränkenden Hinweis, die Vollversammlung habe „Für Revolution ohne Gewalt“ („Mannheimer Morgen“ vom 18. Juli) votiert392. Doch nicht immer fiel die Entwarnung derart eindeutig aus. In den Artikeln zum Sektionsbericht III über „Wirtschaftliche und soziale Entwicklung“ akzentuierten reißerisch formulierte Überschriften revolutiosbejahende Positionen: etwa „Revolutionen sind notwendig“ („Schwäbisches Tagblatt“ und „Schwäbische Donauzeitung“), „Christliche Revolutionäre“ („Nürnberger Zeitung“) oder „‚Theologie der Revolution‘. Zweifel an der revolutionären Kraft des traditionellen Christentums“ („Wetzlarer Neue Zeitung“). Dagegen selten erfolgte in Überschriften – wie in der „Augsburger Allgemeinen“ – der direkte Hinweis auf die Warnung des Sektionsberichts, „Revolution“ mit Gewaltanwendung gleichzusetzen. Einen insgesamt ambivalenten Eindruck dürften Artikel im Stile der „Saarbrücker Zeitung“ hinterlassen haben. Dort lautete die Überschrift „Kirchen rufen 389

Zit. n. EBD., 287f. „Brückenschlag in Uppsala“. In: Die Zeit, Nr. 30 vom 26. 7. 1968, 8; STUBBE, Kluft. In seiner Uppsala-Bilanz für „Die Zeit“ äußerte sich Linz nicht zum Thema „Theologie der Revolution“ und „Gewalt“, LINZ, Mana. 391 „Positives Urteil über Revolutionen“. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 170 vom 16. 7. 1968, 5. Laut Schulz sei über die Sektionsarbeiten überwiegend negativ berichtet worden. Den Arbeitsberichten habe man zumindest mehr Qualität bescheinigt als den anfangs vorgelegten Arbeitsentwürfen, SCHULZ, Welt, 280–282. 392 EZA BERLIN, 6/5012 und 6/5025. 390

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in Uppsala zu revolutionärer Aktion auf“. Zum Hinweis „Revolution ist nicht identisch mit Gewalt“ hieß es dann aber, es gebe Länder, in denen der revolutionäre Umbruch durchaus gewaltsame Formen annehmen könne393. Freilich waren damit Entwicklungsländer – genauer: die politisch instabilen Staaten Lateinamerikas – und nicht die Bundesrepublik gemeint. Dies wurde auch im Uppsala-Bericht von Radiodienst Evangelisches Deutschland betont. In Uppsala seien die „Probleme“ der Revolution „immer wieder“ diskutiert worden394. Bereits in den Vorberichten regionaler Tageszeitungen wurden die „revolutionären Christen“ Lateinamerikas und Shaulls „Pionierarbeit“ („Mannheimer Morgen“) in den Vordergrund gestellt. Oft fiel dabei der Name Camilo Torres, dem „Der Spiegel“ in seinem reißerischen Bericht über die Weltkirchenkonferenz ganz besondere Bedeutung zumaß, denn „Deutschlands evangelische Spitzen-Christen gaben fern der Heimat sich und anderen Rätsel auf: Im schwedischen Uppsala beratschlagten die Führer der Evangelischen Kirche in den beiden letzten Wochen über Revolution und Gewalt fast so intensiv wie über Nächstenliebe und Barmherzigkeit.“

Dem wurde eine Äußerung von Papst Paul VI. kontrastierend gegenüber gestellt. Paul VI. hatte es sich verbeten, „als Wegbereiter der ‚sogenannten Theologie der Revolution und der Gewalt‘ zitiert zu werden.“ Die nichtkatholischen Kirchenführer hätten dagegen „anders“ reagiert: „Ihnen ist auch Revolution recht. Wer allerdings den Aufstand gegen die Obrigkeit nicht gutheißen wollte, verwässerte den Begriff und verstand unter Revolution lieber nur den Fortschritt der Technik oder die ‚Sehnsucht nach Neuem‘. Doch die Minderheit, für die Revolution auch und vor allem gesellschaftlicher Umsturz ist, setzte [. . .] immerhin durch, daß in etlichen Dokumenten die Gewalt ‚zumindest als letzter Ausweg‘ den christlichen Segen erhielt.“

In diesem Zusammenhang schlug „Der Spiegel“ den Bogen zu den Studentenprotesten: „Der Revolutions-Rausch überkam die Christen in den letzten Monaten so schnell wie die linken Studenten. Die einen wie die anderen haben in Südamerika ihren Märtyrer und in Nordamerika ihren Ideologen. Der Christen-Che ist der kolumbianische katholische Priester Camilo Torres, der die Soutane auszog, sich ‚der Revolution aus Liebe zum Nächsten‘ verschrieb und im Guerilla-Krieg erschossen wurde. Und der Marcuse der Frommen ist der Princeton-Professor Richard Shaull, der aus Altem und Neuem Testament, aus Marx und Marcuse ein Programm christlicher Revolution entwickelte.“395 393 394 395

EZA BERLIN, 6/5025. Vgl. MÜLLER-RÖMHELD, Bericht, 45. „Ein Abschied von gestern“, Tonbandabschrift (EZA BERLIN, 6/5016). „Sechs Päpste“. In: Der Spiegel, Nr. 30 vom 22. 7. 1968, 96.

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In seiner anschließenden Ausgabe nahm „Der Spiegel“ die Veröffentlichung von Che Guevaras Tagebuch zum Anlass, den Guerillero im Titelblatt als Christus-ähnlichen „Erlöser aus dem Dschungel“ zu präsentieren. Im ersten Teil der ihm gewidmeten „Spiegel“-Serie hatte „Che“ die Tatsache eines christlich motivierten Guerillakampfes selbst angesprochen. In einem noch zu Lebzeiten mit ihm geführten Interview betonte Guevara, er fühle sich mit Camilo Torres „sehr verbunden“. Über dessen Werdegang sagte er weiter: „Der Pfarrer mußte sich entscheiden, ob er die Absolution erteilen oder seinen Nächsten durch eine Salve aus der Maschinenpistole ins Jenseits befördern sollte. Er hat sich für die Maschinenpistole [sic] entschiedem, und deswegen wird ihm auf Erden wie im Himmel viel verziehen werden.“396

Vor diesem Hintergrund setzte auch der „Münchner Merkur“ seinen UppsalaBericht unter den Titel „Im Namen Gottes und Che Guevaras“397. Wohl auch deshalb sah sich ein bayerischer Pfarrer dazu veranlasst, in der Rubrik „100 Zeilen zur Besinnung“ der „Jungen Stimme“ mahnend Stellung zu beziehen. „In den Zeitungen“ sei über einen „Studentenpfarrer in Südamerika“ berichtet worden, der sein Pfarramt aufgegeben und sich einer revolutionären Gruppe angeschlossen habe. Damit habe er sich zweifellos in „Gegensatz zur Kirche und ihrer Tradition“ gebracht. Selbst der Idealismus könne nicht verhindern, dass Blut fließe. Die Christen seien deshalb immer gut beraten gewesen, „wenn sie von einem gewaltsamen Umsturz nichts gehalten haben.“ Dieser Satz bleibe „jedoch nur dann wahr, wenn sofort hinzugefügt wird: Die Abneigung gegen die Revolution muß mit der Bereitschaft verbunden sein, die Zustände zu ändern, unter denen Unzählige leiden.“ Solche Bereitschaft aber hätten die Christen in der Vergangenheit „häufig“ nicht aufgebracht, weil sie die jeweiligen Verhältnisse als gottgewollt hinnahmen. Der Pfarrer appellierte daher an die jungen Leser, einen „dritten Weg“ zu beschreiten: „Verzicht auf Gewalt, aber Energie und Zähigkeit in Verfolgung der Ziele, die als richtig anerkannt werden.“398 Ein Hamburger Student entgegnete darauf in einem Leserbrief: „Kann denn unter Blutvergießen niemand eine bessere Welt errichten? Haben nicht auch blutige Revolutionen Verbesserungen erreicht?“ Der aufgezeichnete dritte Weg, „so schön“ hier auch aufgezeigt, sei für den besagten Studentenpfarrer wohl nicht gangbar gewesen. Beim „speziellen Fall Südamerika“ sei die Entscheidung für Gewalt wohl die richtige gewesen. „‚Besonnenes‘ Revolu-

396 Zit. n. „‚Alles in Feuer und Blut ersticken!‘“. In: Der Spiegel, Nr. 31 vom 29. 7. 1968, 62– 63, 62. Zu den päpstlichen Äußerungen, FEIL / WETH, Diskussion, 329f. 397 Vgl. SCHULZ, Welt, 266. 398 LUBKOLL, Revolution.

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tionsgeschrei“ könne daher durchaus mit dem Glauben an Gott vereinbart werden399. Zu Jahresende erschien, ebenfalls in der „Jungen Stimme“, der Artikel „Mit Jesus in den Guerillakrieg“. Dazu hieß es im Vorspann: „Revolution ist aktuell. Auch in der Kirche“. Wer allerdings „vermutet, die Theologen kümmerten sich um das Thema ‚Revolution‘ nur deshalb, weil es auch sonst im Augenblick vielfach diskutiert wird, der täuscht sich. Die innerkirchlichen Auseinandersetzungen um die ‚Theologie der Revolution‘ haben vielmehr zu einem Zeitpunkt begonnen, als – zumindest in der westdeutschen Öffentlichkeit – das Interesse für alles, was mit der Thematik ‚Revolution, Unruhen, Dritte Welt usw.‘ zusammenhing, noch außerordentlich gering war (selbst unter den Studenten).“400

Folgerichtig sollte die „Theologie der Revolution“ auch den westdeutschen Büchermarkt früher oder später erreichen bzw. erobern. 3.7.3 „Theologie der Revolution“ und Buchmarkt „Das Thema Revolution ist hierzulande plötzlich wieder aktuell [. . .]. Auf keinen Fall aber sollte man sich den Horizont der Urteilsbildung durch die bundesrepublikanische Szenerie begrenzen lassen, wenn Bewegungen zur Diskussion stehen, für die ein globaler Maßstab keine Übertreibung ist. In der protestantischen Ökumene jedenfalls ist Revolution – in den verschiedensten Bedeutungsvarianten – das meistverhandelte Thema auf annähernd allen Kontinenten. [. . .] Die protestantische Ökumene stellt eine übernationale und überkontinentale Öffentlichkeit mit überkirchlicher Tendenz dar. Hier können die politischen und gesellschaftlichen Konflikte verschiedener Erdteile vor einem gemeinsamen Forum zur Darstellung gebracht werden.“401

So warnten Tödt und Rendtorff vor dem Eindruck, ihr im Mai 1968 im Suhrkamp-Verlag erschienenes Werk „Theologie der Revolution“ sei aus einer rein theologie- und politikgeschichtlich deutschen Perspektive geschrieben. Mit dem Taschenbuch sollte eine erste theologische Klärung und Einordnung des für global erachteten Phänomens versucht werden; dies mittels „unabhängig voneinander“ verfasster Analysen402. Ferner erhofften sie sich eine Diskussions-

399

MÖLLER, [Leserbrief]. GÖPFERT, Jesus. 401 RENDTORFF / TÖDT, Vorwort, 7. 402 Das Werk beinhaltet Tödts bereits weiter oben erläuterten Vortrag vor der CCIA-Landesgruppe. Rendtorff lieferte eine „Strukturanalyse“ über den modellhaften Aufbau einer „revolutionären Theologie“. Lateinamerika diente ihm als Bezugspunkt. Neben der deutschen Übersetzung 400

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erweiterung „in einem Land, das zwar ökonomisch stark“ sei, es bisher aber nicht verstanden habe, „seine Probleme im eigenen Haus und vor einem internationalen oder ökumenischen Forum rational durchsichtig“ zu machen. Vor dem Hintergrund des Revolutionsdiskurses in und über die Studentenbewegung sollte das „vollmundige Pathos bei Gegnern und Verfechtern von Revolution und der auf sie bezogenen theologischen Argumentation“ durch die Konzentration auf Sachfragen ersetzt werden403. Das bis 1970 in vier Auflagen von insgesamt über 40.000 Exemplaren veröffentlichte Werk wurde ein „Bestseller“. Allein die bereits 10.000 Exemplare umfassende Erstauflage war für ein theologisches Sachbuch äußerst ungewöhnlich. Auf der vom SDS gestörten Frankfurter Buchmesse 1968 soll die Buchpräsentation besonderes Aufsehen erregt haben404. Auch im nicht-deutschsprachigen „protestantischen“ Ausland wurde es aufmerksam registriert405. Von den unzähligen Rezensionen in evangelischen Zeitungen einmal abgesehen, wurde es auch in (über)regionalen Tages- und Wochenzeitungen 1968/1969 vorgestellt406. In der „Fachzeitschrift des Vereins Deutscher Volksbibliothekare“ lautete die Besprechung: „Der Gegenstand der [. . .] Abhandlung [. . .] ist hochaktuell. [. . .] Es handelt sich insgesamt bei dem Band um eine äußerst wichtige Publikation, die [. . .] nicht minder katholischen Christen auf neue Weise ihre aus dem Christentum folgende Verantwortung für die Menschen in der Dritten Welt nachdrücklich vor Augen führt. Wegen dieser Wichtigkeit wird der Band auch schon kleineren Büchereien empfohlen.“407

Dagegen hieß es in „Kirche und Mann“, er reflektiere mit politikwissenschaftlichen und theologischen Termini den „gesamten Problemkreis“. Der Laie stehe „ehrfürchtig dabei“ und verstehe wenig. „Solange die Wissenschaftler

von Shaulls Beitrag zur Genfer Weltkonferenz 1966 sind daher auch Stellungnahmen aus den dortigen evangelischen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche abgedruckt. Vgl. SHAULL, Change. 403 RENDTORFF / TÖDT, Vorwort, 8. 404 Mündliche Auskunft von Trutz Rendtorff am 4. 1. 2010. In „Christ und Welt“ war von einer regelrechten Barrikadenschlacht die Rede, KAUFMANN, Jagd. Zur „Polizeimesse“, SEYER, Buchmesse. 405 Der spätere Heidelberger Studentenpfarrer Øyvind Foss stellte es bereits Juni 1968 im norwegischen „Dagbladet“ vor, FOSS, Revolusjonens. Die niederländische Übersetzung erschien noch im selben Jahr. 406 Dabei stütze ich mich auf eine Rezensionssammlung, die der Suhrkamp-Verlag mir freundlicherweise zur Verfügung stellte. 407 STAMMEN, [Rezension].

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Fachchinesisch sprechen“, bräuchten „die Gewaltigen der Erde vor einer Theologie der Revolution wenig Sorge haben.“408 Gemäß ihrer Ziele trugen die Analysen durchaus zur Erhellung des meist nur schlagwortartig verhandelten Phänomens bei409. Tödts „Inhaltsanalyse“ bestach durch ihre klar strukturierte, gerade für Laien einfach formulierte Erläuterung der Shaullschen Revolutionstheologie. Deren Nähe zum Revolutionsdiskurs im SDS wurde ebenso unmissverständlich herausgearbeitet wie die geschichtstheologischen Komponenten. Rendtorffs „Strukturanalyse“ befasste sich mit der lateinamerikanischen Revolutionstheologie – laut Rendtorff eine „ins Politische gewendete“, zu linker „Orthodoxie“ neigende „Offenbarungstheologie“410. Das Geschichtstheologische generiere „jene Objektivität, die die revolutionäre Position davon entlastet, mit ihrer eigenen Überzeugung argumentieren zu müssen, und die es ihr erlaubt, das, was sie selbst als Minderheit vertritt, mit dem Anspruch der Allgemeinheit, eben theologisch auszusprechen. Die Theologiebedürftigkeit korrespondiert jedoch auch mit der sozialen Verunsicherung christlicher Revolutionäre. Theologische Konzeptionen geben dort Halt, wo in der Trennung von der Kirche deren institutioneller Rückhalt wegfällt.“

Die „Stellung zur Revolution“ erkläre den „Gewinn, den christliche Orientierung aus einer eigenen revolutionären Theologie“ ziehe. Die Entstehung einer Revolutionstheologie bedeute, dass Christen nicht mehr „unmittelbar mit dem Problem der säkularen Revolution“ konfrontiert würden, schließlich befreie es sie von der Stellungnahme „im Pro und Contra“ zur marxistischen Revolution und mache es ihnen leichter, sich über Revolutionen überhaupt zu äußern – auch in der Gewaltfrage, denn aus Sicht der traditionellen christlichen „Ethik erscheint dies leicht als die Kardinalfrage. Das leuchtet ein, weil sie an einem unabänderlichen Kanon ethischer Normen oder an der sittlichen Verantwortung des einzelnen orientiert ist. Für die revolutionäre Theologie indes hat diese Frage einen anderen ideologischen Stellenwert. Einmal entworfen, kennt diese Theologie die Frage nicht mehr in der Form, ob man sich in einer anderswo definierten Revolution als Gewaltanwendung beteiligen darf und sie [. . .] rechtfertigen kann. Alle Fragen sind der Einsicht untergeordnet, dass Revolution um Gottes willen nötig ist. [. . .] Das erste Gebot ist die Konsequenz der Teilnahme an Gottes Handeln; die – 408 „Suche nach dem Frieden“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „ee“]. In: Kirche und Mann 21 (1968), H. 11, 6. 409 Gollwitzer kritisierte die Wahl des Buchtitels: Theologen seien schon dabei, „aus den ersten Versuchen, sich dem Problem der Revolution zu stellen, das abstrakt-idealistische System einer ‚Theologie der Revolution‘ aufzubauen“, um es „mit akademischer Kritik“ dann gleich wieder „abzubauen“ (GOLLWITZER, Christen, 74). 410 RENDTORFF / TÖDT, Theologie, 73f. Tödts „Inhaltsanalyse“ war der bereits erläuterte CCIA-Vortrag. Vgl. oben Kap. 2. 5. 1.

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vielleicht unvermeidliche – Gewaltanwendung wird zum partikularen Problem, sie hat keinen primären theologisch-ethischen Stellenwert mehr.“

Das Verhältnis zur säkularen Revolution werde ferner umgekehrt. Die christliche Berufung zur Revolution statte sie mit dem „Charisma göttlicher Sendung“ aus. Damit werde sie nicht nur theologisch legitimiert. Die christliche Revolutionsbewegung laufe nicht darauf hinaus, bei Revolutionen einfach „mitzumachen“; sie verleihe „jeder Revolution“ erst ihren „wahren Sinn“: „Brüderlichkeit und Koinonia“ würden „zum Bindemittel für die gesamte Bewegung sozialer Erneuerung deklariert.“411 Rendtorff kritisierte schließlich Marcuses Ansichten über „Ethik und Revolution“: Laut Marcuse sei nur jene revolutionäre Gewaltanwendung legitim, die der Herstellung und Beförderung menschlicher Freiheit und menschlichen Glücks diene. Daraus folgerte Rendtorff, das Mittel-Zweck-Verhältnis sei das „ethische Problem“ der Revolution. Sollten die Mittel daher „Opfer“ bedeuten, dann sei es nach Marcuse „sehr wohl möglich“, zwischen legitimen und illegitimen Opfern zu unterscheiden. Die Lehre vom bellum iustum, so Rendtorff, finde so „eine Aktualisierung für die Revolution.“ Marcuses Argumentation enthalte jedoch mehr als diese Kasuistik, denn sie laufe darauf hinaus, die ethische „Kategorie der Veränderung für die Partei der Revolution zu reservieren.“ Dies sei jedoch nur möglich, wenn „die Welt und die Gesellschaft als ganze“ veränderungsunfähig und -resistent erschienen. „Ein solches Ganzes“ sei aber unbekannt412. Das Werk wurde kontrovers rezensiert. Rundweg positive Besprechungen waren selten413. Der ZDF-Religionsjournalist Wolf-Rüdiger Schmidt warf Rendtorff in „Christ und Welt“ vor, „das Thema dem Handlungsdruck der geschichtlichen Atmosphäre“ zu entziehen. Die revolutionären theologischen Aussagen stünden zweifelsohne nicht „auf der Höhe“ deutscher hermeneutischer Überlegungen. Rendtorffs Sicht wirke „dennoch recht unökumenisch, eine formal kritische Rationalität“, die sich theologisch argumentierend der Notwendigkeit entziehe, „der Sachproblematik nachzugehen.“ Hier werde diskutiert, als ginge es nur „darum, eine neue akademische Wirklichkeit zu interpretieren.“ Tödt komme der revolutionären Problematik wesentlich näher. Die „wohl alle durch die dialektische Theologie hindurchgegangenen“ Theologen fürchteten „eine rote Variante der Deutschen Christen.“ Das dürfe jedoch kein Grund sein, sich „nicht mit der Sache auseinanderzusetzen.“ Auch in der wesentlich positiveren Besprechung der im Herbst veröffentlichten Koproduk-

411 412 413

EBD., 63–65. EBD., 101–105; MARCUSE, Ethik. LANGNER, [Rezension].

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tion „Kirchen als Träger der Revolution“ (Bahr/Bennedict) machte Schmidt geltend, theoretische Überlegungen hielfen in Fragen der Gesellschaftsänderung „nur bedingt“ weiter. Deshalb lobte er Bahrs bewussten Entschluss, sich „mühsamer theoretischer Überlegung etwa über Legitimität oder Illegitimität von Gewaltanwendung“ zu verweigern414. Trotz einzelner Zweifel an Shaulls Haltung in der Gewaltfrage, bemühten sich auch die übrigen Rezensenten, Shaull gegenüber Rendtorff/Tödt in Schutz zu nehmen415. Wolf-Dieter Marsch betonte, man könne den Vertretern „dieser ‚linken Orthodoxie‘“ nicht nachsagen, sie verleugneten „mit ihrem Ja zu revolutionärer Praxis“ einen zentralen Artikel des christlichen Glaubens: „die theologia crucis, das heißt die Bereitschaft, jene Humanisierung unserer Welt leidend zu erwarten, für eine Versöhnung zwischen den Fronten zu wirken, sich also nicht dogmatisch-elitär oder gar klassenkämpferisch für eine Verwirklichung revolutionärer Ziele einzusetzen. Sie stehen zwischen den Fronten: die revolutionäre Erwartung ist stets durch die Bereitschaft, dem Gekreuzigten nachzufolgen, gebrochen. Mann kann sie Revisionisten oder gar Masochisten schimpfen!“416

Hans-Werner Bartsch schrieb in der „Zeit“, so „instruktiv“ die beigefügten (lateinamerikanischen) „Materialien“ auch seien, der Erfolg der Analysen erscheine fraglich. Die dortigen Verhältnisse mit denjenigen in der Bundesrepublik gleichsetzend, warf er Tödt vor, sich der an Shaull gerügten Undifferenziertheit selbst schuldig zu machen, wenn er die „‚schrittweisen Gesellschaftsänderungen‘“ folgendermaßen charakterisiert: „‚Das beginnt mit dem teach-in und dem sit-in und steigert sich bis zur Gewalt.‘ Der von revolutionären Kräften ausgeübte Druck ruft angeblich entsprechenden Gegendruck hervor; als ob nicht gerade der revolutionäre Druck in den lateinamerikanischen Staaten und in den Gettos der Millionenstädte Nordamerikas durch den unerträglichen Druck der herrschenden Minderheit hervorgerufen wäre!“

Tödts Misstrauen gegenüber einer „Theologie der Revolution“, so der Vorwurf, habe zwei Gründe: 1. tiefes „Mißtrauen“ gegen Revolution überhaupt, das einer weiteren Diskussion „nicht mehr würdig“ sei; 2. liege Tödts Haltung in seiner persönlichen „Systemimmanenz“ begründet. Als Theologe, „der das

414 Schmidt, Variante. Im Oktober 1968 wurde Bahrs Sammelband „Weltfrieden und Revolution“ in den „Evangelischen Kommentaren“ besprochen. Über den Beitrag des Soziologen Sven Papcke hieß es, dessen „Darstellung der Bedeutung des revolutionären Krieges als Mittel zur Erreichung des Friedens [. . .] möchte einem das Gruseln lehren.“ (Lück, [Rezension]). Vgl. Papcke, Weltrevolution bzw. Bahr, Weltfrieden. 415 HUFENDIEK, Thema, 213–215 u. 225. 416 MARSCH, Legitimierung, 319.

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Bestehende reformieren möchte“, sehe er „‚in den Aporien einer Eschatologie‘“ eine „Regression des kritischen Bewußtseins.“417 Die „Konjunktur revolutionärer Schriften à la Che Guevara“ ergriff in der zweiten Hälfte des Jahres 1968 auch evangelische Buchverlage. Ein nicht unwesentlicher Impuls war die im August verabschiedete Erklärung der Theologischen Kommission des LWB, die christliche Ethik könne in Ausnahmefällen auch die Gewaltanwendung gegen „pervertierte Rechtsordnungen“ sanktionieren418. Unter dem Titel „Und sei es mit Gewalt“ veröffentlichte z. B. der Peter Hammer Verlag die deutsche Übersetzung einer italienischen Erstausgabe über die „Revolution in Guatemala“. Letztere war zunächst im Verlag Giangiacomo Feltrinellis erschienen419. Das Buch schloss mit einer theologischen Reflexion über das zunächst Beschriebene: „Gewiß, ein Gott, der über Leichen geht, kann schwerlich der Gott sein, dessen Zukunft Jesus angesagt hat. Aber ein Gott [. . .], der an lebenden Leichen vorübergeht, ist es auch nicht, er ist es noch weniger“420. Weiter unten hieß es dann: „Jesus erwartet die von den Propheten verheißene Revolution Gottes. Mit der Revolte der Hoffnung begann für den Nazarener die alles umwälzende Revolution Gottes. Er selbst war ihr Anfang. Er erhob sich und forderte auf, sich zu erheben“.

Darauf folgte der Schluss, es gehe nicht an, die Revolution Gottes nur zu verheißen, ohne den Aufstand zu proben. Wer sich darauf beschränke, die Liebe nur zu verkündigen, entscheide sich ebenso für Mord und Totschlag, für die Gewalt, wie der Partisan421. Im Nachwort wurde das Thema Guatemala für deutsche Leser aktualisiert: „Verstrickt in die Weltwirtschaft haben wir alle Teil an der Ausbeutung auch in diesem Land.“ Es folgte eine Aufzählung von Menschen, die angeblich im Namen der Kirche verfolgt, gefoltert und ermordet wurden: Juden, Andersgläubige, Freidenker, Bauern, Wiedertäufer, Ketzer, Sozialisten, Kommunisten „und neuerdings hierzulande Studenten“. Sollte man daher auch „hierzulande einmal zu dem Schluß kommen ‚. . . und sei es mit Gewalt‘“, werde „die Gewalt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nicht vorübergehen.“422 1969 erschienen dann auch die ersten deutschsprachi-

417

BARTSCH, Christen, 62f. SKRIVER, [Rezension], 169; KOMMISSION, Verhältnis, 68. 419 Später verkehrte Feltrinelli im terroristischen Umfeld Italiens. Der glühende „Che“Anhänger und Freund Rudi Dutschkes starb 1972 bei dem Versuch, einen Hochspannungsmasten zu sprengen. Vgl. FELTRINELLI, Service. 420 CASTÃNO, Gewalt, 104. Zum „linken“ Buchhandel, FÜSSEL, Politisierung; SONNENBERG, Verband. 421 EBD., 107f. Vgl. DERESCH, Thema, 64f. 422 DEBUS, Revolte, 104 u. 108. Hier sei bemerkt, dass Horst Mahler als Baaders Rechtsan418

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gen Bücher über das Sujet einer von Camilo Torres vorexerzierten christlichen Praxis; darunter ein Sammelband, der in der von Bahr herausgegebenen Reihe „Konkretionen – Beiträge zur Lehre von der handelnden Kirche“ im evangelischen Furche-Verlag veröffentlicht wurde423. Katholische Verlage traten freilich stärker in Erscheinung424. Es kamen aber auch Bücher auf den Markt, die den Akzent stärker auf die – Lateinamerika – umgestaltende Macht christlicher Gewaltlosigkeit legten. Ende 1968 erschien der Bericht über eine Tagung des Internationalen Versöhnungsband in Wien, an der Theologen und Laien verschiedener christlicher Konfessionen aus Ost- und Westeuropa sowie der Dritten Welt teilnahmen. Das Taschenbuch wurde von Heinz Kloppenburg, der sich im „revolutionärpazifistischen“ Bund sehr engagierte, für Vorträge und Unterricht weiter empfohlen425. Im Herbst erschien das von Theodor Ebert und Hans-Jürgen Benedict herausgegebene Werk „Macht von unten“. Auf die „Praxis in der Bundesrepublik“ zugespitzt, wurden darin auch die Ergebnisse des an der Kritischen Universität gebildeten Westberliner Arbeitskreises „Zur gewaltfreien direkten Aktion“ zusammengefasst426. In diesem Zusammenhang veröffentlichte der von Horst Bannach, Generalsekretär der EAiD und bekanntlich Springer-Kritiker, gegründete Radius-Verlag ein Buch über „Gewaltfreie Aktion als theologisches Problem“. Der Bericht hielt die Ergebnisse eines im Februar 1969 an der Evangelischen Akademie Berlin veranstalteten Seminars fest. Vorausgegangen war eine im Herbst 1968 dort ebenfalls veranstaltete Diskussion zwischen Ebert und Bernd Rabehl, Bundesvorstandsmitglied des SDS, über revolutionäre Methoden427. Im Tagungsband erläuterte Heinrich Treblin als „Stimme“

walt der Idee verfiel, während des Frankfurter Kaufhausbrandstifterprozesses im Oktober 1968 eine Passage aus Hermann Hesses „Steppenwolf“, dem Kultroman der „transatlantisch“ aufbegehrenden Jugend, zu verlesen, weil sie, so Mahler, eine „verschlüsselte Darstellung des sozialen Gehalts der Tat der Angeklagten“ enthielt. Mahler gab sie stark abgeändert wieder: „Das Leben gegen die Zerstörungsmacht dieser Welt zu behaupten, kann nur heißen, das System der Zerstörungsmaschinen zu zerstören, und so gesellt sich zu ihm [der Hauptfigur] der Theologe, dem Theologie dieser Welt Tat bedeutet, und sie beginnen . . . mit der ‚Hochjagd auf Automobile‘. Wie Wild werden sie abgeschossen und verenden mit ihren Insassen [. . .]. Vor allem, man muß handeln . . . Und am Ende steht dann doch die Schuld. Allerdings eine Schuld, die auf die Welt zurückfällt . . . Sie haben um der Menschlichkeit willen Menschen getötet.“ (Mahler zit. n. KOENEN, Urszenen, 174). Vgl. das Original, HESSE, Steppenwolf, 230–243. 423 LÜNING, Camilo Torres. 424 TORRES, Apostolat; DERS., Revolution; und HOCHMAN / SONNTAG, Christentum. 425 GOSS-MAYR / GOSS-MAYR, Revolution; KLOPPENBURG, [Rezension]. 426 BENEDICT / EBERT, Vorwort, 6. 427 MAECHLER, Aktion. Wie der spätere Linksterrorist Horst Mahler, vollzog Rabehl in den 1990er Jahren eine Hinwendung zum Rechtsradikalismus.

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der westdeutschen Friedenskirchen die seiner Ansicht nach global geltenden „Folgerungen für die Politik der gewaltfreien Aktionen heute“: „Gewaltfreie Aktionen schließen [. . .] Gewalt gegen Personen aus, nicht aber Gewalt gegen Sachen [. . .]. Sofern es sich nicht um knechtende und tötende Gewalt, die dem anderen die Möglichkeit eigener Entscheidung nimmt, handelt, können unter Umständen Gewalttäter auch durch handgreifliche Gewalt davor geschützt und daran gehindert werden, sich und andere ins Unglück zu bringen.“428

Der Beitrag des früheren „Kirchenkämpfers“ ist wegen seines Globalanspruchs bemerkenswert. In der „Stimme der Gemeinde“ hatte er die Ansicht vertreten, tötende Gewalt dürfe nicht ultima ratio eines Christen sein. Dazu bemerkte die Redaktion, man halte Treblins Beitrag mit Blick auf die „unterdrückten Schichten in den Ländern der Dritten Welt“ an diesem Punkt für „diskussionsbedürftig“429. Unter dem Titel „Christenheit im Angriff“ erschienen im Frühjahr 1969 Christian Walthers Betrachtungen „zur Theologie der Revolution“. Das Werk war Teil der Reihe „Aspekte moderner Theologie. Informationen für Nichttheologen“ des Gütersloher Verlagshauses. Es sollte dazu beitragen, den Aufbau und die Intention dieses, so Walther, jungen theologischen Versuchs zu verstehen. Gleich eingangs betonte er, die „Theologie der Revolution“ spiele – gemessen an der Bedeutung, die ihr in Westeuropa beigemessen werde – in Afrika und in Lateinamerika „nur noch eine nebengeordnete Rolle“. Er selbst habe folgende Erfahrung gemacht: „Ein Slumbewohner in einer Großstadt Lateinamerikas darauf befragt, warum man nicht gegen die unerträglichen Verhältnisse revoltiere, gab lakonisch zur Antwort: ‚Dazu sind wir zu arm.‘“ Möglicherweise sei man in Europa, so Walther, „zu reich, um sich den Luxus leisten zu können, wenigstens gedanklich mit der Revolution zu spielen, die doch in Wahrheit ein ernstes Problem ist.“ Die „Theologie der Revolution“ vermittele dennoch wertvolle Einsichten und Denkanstöße. In einer Pfarrerkonferenz sei unlängst festgestellt worden, dass jeder Schritt hinter sie zurück Stillstand bedeute. Allein die positive Aufnahme des Revolutionsbegriffs sei ein „wirklich revolutionäres Geschehen in der Theologie selbst“. Mit Blick auf die Studentenbewegung warnte Walther, ihr eschatologischer Gehalt dürfe nicht zum Revolutionspositivismus führen; die Grenze zwischen Utopie und Ideologie verlaufe fließend. „Ordnungspositivismus oder Revolutionspositivismus“ seien jedenfalls keine Alternative430. An dieser Stelle, im Hang zur prinzipiellen

428 429 430

TREBLIN, Evangelium, 27f. DERS., Volk, 590 u. 595. WALTHER, Christenheit, 7f., 17 u. 20.

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Negation, enthülle die Shaullsche Spielart der Revolutionstheologie ihre Verwandtschaft zu Marcuses Denken. Walther plädierte für die Ausbildung einer „Theorie der kirchlichen Praxis angesichts der Frage nach der Rolle und Funktion der Christenheit in den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.“ Die vorherige Ermittlung eines theoretischen Rahmens sei für die Kirchen unabdingbar. „Die Aufgabe, dieses Vakuum zu beseitigen, ist allerdings dort noch nicht in den Blick gekommen, wo man sich auf den in den Kirchen selber anzutreffenden Aktionswillen zurückzieht und behauptet, er könne nicht warten, bis das alles geklärt und die Aktionen selber durch Begriffsdefinitionen, wie z. B. ‚revolutionäres Engagement‘ oder ‚legitime Gewaltanwendung‘ abgeklärt seien. Eine solche Haltung kann allenfalls nur zu einem Vulgärpragmatismus führen, für den die Devise gilt: Erst handeln, später denken.“431

Ein im evangelischen Christian-Kaiser-Verlag erschienener Sammelband zog im Sommer Bilanz über die „Diskussion zur ‚Theologie der Revolution‘“. Mit der Gegenüberstellung einzelner Autorenbeiträge zum „Für und Wider einer ‚Theologie der Revolution‘“ überließen die Assistenten Jürgen Moltmanns und Johann Baptist Metz’ es dem Leser, sich ihr eigenes Urteil zu bilden. Sie räumten ein, dass das Pro, darunter Gollwitzers und Moltmanns Thesenreihen, „sehr viel breiter“ vertreten sei als das – von überwiegend ausländischen Theologen vertretene – Contra432. Die katholischen Beiträge des Bandes beschäftigten sich „vornehmlich“ mit der Situation in Lateinamerika. Da das Gewaltproblem dort „offenkundig eines der dringendsten revolutionstheologischen Probleme“ sei, setzte sich ein weiteres Kapitel mit der Frage „King oder Che?“, so der Untertitel von Walter Dirks’ Beitrag, auseinander433. Das von den Herausgebern akzentuierte Dilemma der – mehrheitlich katholischen – lateinamerikanischen Christen kam auch in Dom Hélder Camaras berühmten Pariser Vortrag zum Tragen. Der brasilianische Bischof hatte dort Ende April, kurz vor Beginn der Mai-Unruhen anlässlich der polizeilichen Räumung der Universität Sorbonne, erklärt: „Ich achte diejenigen, die sich im Gewissen verpflichtet fühlten, sich für die Gewalt zu entscheiden. – aber nicht die bequeme Gewalt der ‚Salon-Revolutionäre‘, sondern die Gewalt derjenigen, die ihre Aufrichtigkeit mit dem Opfer ihres Lebens bewiesen haben. Meiner Meinung nach verdienen die Memorien von Camilo Torres und Che Guevara ebensoviel Achtung wie die von Pastor Martin Luther King. Ich klage die 431

EBD., 30f. u. 41–43. FEIL / WETH, Einleitung, XII. 433 EBD., IX u. XIV. Der Aufsatz des katholischen Publizisten war ursprünglich in der Oktober-Ausgabe der „Frankfurter Hefte“ 1968 erschienen, DIRKS, Beginn. 432

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„Theologie der Revolution“ im Zeichen globaler Umbrüche

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wirklichen Gewalttäter an: Alle die – seien sie von links oder von rechts –, die Gerechtigkeit verletzen und den Frieden verhindern.“434

Die Herausgeber stellten fest, die „europäische ‚Theologie der Revolution‘“ habe ihren „Tatort“ noch nicht gefunden. Hierbei deuteten sie an, dass das „Gewaltproblem“ beim „Für und Wider einer ‚Theologie der Revolution‘“ eine wesentliche Rolle spiele435. Der Tübinger evangelische Systematiker Reiner Strunk warf Rendtorff vor, sich dieser Diskussion zu entziehen. Dabei verteidigte er Marcuse. Rendtorff, so der Vorwurf, sei im Verlauf seiner Überlegungen dazu übergegangen, „die ethische Legitimation für einen revolutionären Umwandlungsvorgang überhaupt“ zu bestreiten436. Abschließend konstatierte Wolf-Dieter Marsch, die Diskussion über die „Theologie der Revolution“ sei mittlerweile „etwas erschöpft“437. Tatsächlich war auch der christlich-marxistische Dialog von Ermüdungserscheinungen gekennzeichnet.

3.8 Protestantismus und Kirche im Angesicht der zerfallenden Bewegung 3.8.1 Der christlich-marxistische Dialog und die Gewaltfrage Mit dem Einmarsch in die Tschechoslowakei beendete der Warschauer-Pakt im August 1968 den Prager Frühling. Die Militärintervention war Wasser auf die Mühlen derer, die an der Wandlungsfähigkeit des Sowjet-Kommunismus zweifelten. Sie führte auch zum Abbruch des christlich-marxistischen Dialogs in der Tschechoslowakei438. In der CFK verschärften sich die Spannungen. Spätestens nach ihrer „Säuberung“ wurde sie international bedeutungslos439. Vor seiner Absetzung schrieb Präsident Hromádka in einem Memorandum, 434

CAMARA, Gewalt, 267. FEIL / WETH, Einleitung, XIVf. 436 STRUNK, Aspekte, 283f. Strunks Beitrag ist die überarbeitete Fassung seines am 9. 7. 1968 gehaltenen Referats vor der Nürtinger Pfarrkonferenz. 437 MARSCH, [Rezension], 417. An anderer Stelle wurde „Zur Kritik der Revolutionstheologien“ bemerkt, ihre „eigentliche Malaise“ sei der Umstand, dass sie im Grunde „nichts als Theologie sind“, d. h. sie „stehen [. . .] in nahezu keinem funktionalen Bezug zu analytisch erhobenen revolutionären Situationen“ (SCHULZE, Kritik, 239, Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]). 438 Zum konfessionsübergreifenden christlich-marxistischen Dialog in der ČSSR und in der Bundesrepublik, oben Kap. 2.1. Zu den Gesprächsansätzen in der DDR, Kap. 2. 5. 2 sowie zum protestantischen Metadialog im Kontext von „Revolution“, „Reformation“ und „Theologie der Revolution“, Kap. 2. 5. 1. 439 OHSE, Protestantismus, 141f.; RICHTER, Protestantismus, 416. 435

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Der westdeutsche Protestantismus und die Gewaltfrage um „1968“

das die Dialog-Zeitschrift „Neues Forum“ Anfang 1969 veröffentlichte, an östliche und westliche CFK-Aktivisten: „Dieser Tag ist vielleicht ein nicht wiedergutzumachender Schock, besonders für wahre Sozialisten [. . .]. Die Nazis waren unsere Hauptfeinde [. . .] Aber am 21. August fielen unsere Freunde und Verbündeten in unser Land ein, ohne eingeladen zu sein. [. . .] In der kommenden Zeit unserer Tätigkeit werden wir herausgefordert [. . .], wesentlich strenger miteinander zu sein. [. . .] Wir haben gehandelt, als seien wir verpflichtet, unter allen Umständen [. . .] Ansichten und Aufträge durchzuboxen, und wir hatten nicht den Mut, einander anzuhören und Entscheidungen frei, in einem wirklichen Dialog zu treffen.“440

Hromádkas marxistischer Dialog-Partner, der Prager Philosophieprofessor Milan Machovec, hatte sich bereits im August an die deutschsprachigen Dialog-Anhänger gewandt: Tief „leidend mit meinem blutenden Volk“, bat er darum, „die abscheuliche Gewalttat“ nicht mit dem Kommunismus zu identifizieren. Der „humanistische Sozialismus“ habe eine Schlacht, nicht aber den „endgültigen Sieg“ verloren, denn „zum ABC des Leninismus gehört: der Sozialismus kann nur Angelegenheit des freien Menschen, der freien Nationen sein.“ Vertausche man ihn mit dem „exportierten Panzersozialismus für versklavte Vasallenländer“, sei „alles entstellt und kompromittiert.“441 In der Bundesrepublik blieb der Renegat ein weiterhin gern gesehener Gastredner, wenn in Evangelischen Akademien und an Theologischen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen über die Zukunft des christlich-marxistischen Dialogs debattiert wurde. Erst in den 1970er Jahren sollte er die Repressalien des „Panzersozialismus“ in voller Härte zu spüren bekommen. Im Dezember 1968 referierte Machovec in der Evangelischen Akademie Bad Boll über das „Panorama der Gewalt“ und die Aspekte eines „modernen Marxismus“. Laut „Die Welt“ sei der Zuhörersaal voll besetzt gewesen. Kein Tagungsteilnehmer habe sich diesen „Höhepunkt“ entgehen lassen wollen. Dem Westen habe er ins Stammbuch geschrieben, „Gewaltlosigkeit allein sei kein Signum für ein erfülltes Leben, für das Humanum“; es gebe auch „‚friedliche Wege der Selbstzerstörung‘“, etwa „‚die blödsinnige Idee des Konsumentenglücks‘“. Insgesamt aber, so „Die Welt“, habe „die Warnung vor der Gewalt“ alles übertönt. Jeder Kommunist, so Machovec, müsse ein Vorbild für

440 „Christentum und Sowjetokkupation“. In: NF 16 (1969), 64–74, 69 u. 73. Mit dem „Neuen Forum“ und der 1968 gegründeten „Internationalen Dialog Zeitschrift“, die unter nationaler Redaktion stehend u. a. in Frankreich und Italien herausgegeben wurde, verfügte der christlich-marxistische Dialog in der Bundesrepublik auch über eigene Periodika. Zu den weiteren Formen der Informationsbeschaffung und des Austauschs, EITLER, Politik, 278f.; DERS., Gott, 262f. 441 MACHOVEC, Panzersozialismus.

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Gewaltlosigkeit sein. Die Niederschlagung des Prager Frühlings sei kein Konflikt zwischen Revolution und Konterrevolution gewesen, „sondern ein Konflikt der Gewalt mit der Gewaltlosigkeit.“ Machovec sah Parallelen zu den Studentenprotesten im Westen: Wie die Prager Bewegung seien sie antiautoritär, skeptisch gegenüber alten Wegen und Tabus. Beide stützten sich auf den jungen Marx. Die „Warnung vor der Gewalt“ habe Machovec auch an dieser Stelle in Bad Boll ertönen lassen: „Die besten Ideen, stellte er fest, ließen sich am besten mißbrauchen von Fanatikern, es gebe auch ‚senile 20jährige‘, gebe auch die ‚fatale Tendenz zum etablierten Negativismus‘. Und der revolutionäre Kommunist Machovec traf, vollkommen unaufgefordert, diese Wahl: Wenn er zwischen jungen Radikalen und alten Hofräten zu wählen hätte, würde er sagen: ‚Die weisen, alten Hofräte sind immer noch besser als die Fanatiker, die für ihre Idee die Welt opfern könnten.‘“442

War die Gewaltfrage nun tatsächlich die „Gretchenfrage“ im christlich-marxistischen Dialog der 1960er und 1970er Jahre443? Wer waren die sogenannten Dialogiker? Auf Seiten der Atheisten und Agnostiker waren es gesprächsbereite Neomarxisten: Sie alle, Ost- und Westeuropäer, verband das Merkmal, dass sie entweder als „freie Marxisten“ weder theoretisch noch praktisch-politisch einer kommunistischen Parteidisziplin unterlagen oder sich – selbst wenn sie weiterhin Parteimitglieder waren – durch die kritische Distanz selbständigen Denkens von der Parteidisziplin mehr oder minder emanzipiert hatten. Die hier relevante Frage aber bleibt: „Ist dieser neomarxistische Revisionismus ein strategisches Manöver, das bei unveränderten Zielen nur die Mittel unter dem Gesichtspunkt der Effektivität in gewandelter Situation ändert? In diesem Falle wäre die Praxis der Gewalt nur suspendiert, sei es, daß sich die Situation in Zukunft wieder ändert, sei es, daß sich der ‚Reformismus‘ als ein prinzipieller Irrtum herausstellt, weil der Charakter des Ziels letztlich eine Praxis der Gewalt erzwingt. Oder ist das Ziel als Ziel der Geschichte tatsächlich aufgegeben und zu einer quasi naturrechtlichen Norm gewandelt, die nur noch ‚humanistisch‘ beschränkte Mittel zuläßt?“444

Im westdeutschen Protestantismus zählten zunächst Bahr, Marsch, Moltmann und Gollwitzer zu den prominenten Verfechtern eines christlich-marxistischen Dialogs445. Ende der 1950er Jahre hatte Letzterer vor der Marxismuskommis-

442 „Prag – ein Konflikt zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „uhl“]. In: Die Welt, Nr. 293 vom 16. 12. 1968, 5. 443 EITLER, Gott, 296. 444 MATZ, Gewaltproblem, 69. 445 Vgl. EITLER, Gott, 258.

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sion der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien folgendes Votum abgegeben: „Der Dialog erzwingt das Verlassen der resignierten Distanz, in der der Historiker eine geschichtliche Bewegung als Einheit mit notwendiger und unaufhebbarer Verknüpfung ihrer wesentlichen Momente sieht. Im Dialog geht es gerade um die Auflösung solcher Verknüpfung; ihre Notwendigkeit darf, weil sie eine historische ist, nur als eine relative angesehen werden, die wie die Geschichte selbst nach vorne noch offen und unentschieden ist.“446

Unmittelbar nach der Niederschlagung des Prager Frühlings meinte er, es gebe keinen „Anlaß, zu resignieren und auch nicht Anlaß, die sozialistische Kritik am kapitalistischen System, die gerade durch die Krise der Entwicklungspolitik neue Aktualität erhalten“ habe, „für widerlegt zu halten.“ Die Reformbewegung in der ČSSR habe eine „Erneuerung des Sozialismus zum Inhalt“ gehabt. Sie sei darin „vorwärtsweisend“ gewesen447. Das Ziel des Dialogs sei letztlich die praktische Zusammenarbeit zwischen Christen und Marxisten. Hierfür bedürfe es lediglich einer „partielle[n] Übereinstimmung“. Dieser Haltung entsprang wohl Gollwitzers Forderung, den Dialog auch mit linientreuen Kommunisten zu führen448. Tödt zufolge käme man damit über das „unverbindliche Stadium“ hinaus, in dem sich die „vielfältigen Dialoge“ bisher bewegt hätten. Hinsichtlich der „Marxismus-Diskussion in der ökumenischen Bewegung“ zog Tödt im März 1967 vor derselben Kommission kritisch Bilanz – auch in Abgrenzung gegenüber Gollwitzer, der den Marxismus in der stalinistischen Sowjetunion ebenfalls als Kriegsgefangener studiert hatte: „Es ergibt sich also die Frage, was es bedeutet, daß der Marxismus, der als geschlossene wissenschaftliche Lehre konzipiert ist, faktisch vor allem durch Einzelelemente, die dem Kontext der Gesamtlehre entrissen sind, weiterwirkt und so in der politisch-geschichtlichen Realität für viele akzeptabel wird.“

Im ÖRK akzeptiere man den Marxismus zwar „nie als ein Ganzes, als geschlossene Ideologie“, kenne aber „bestimmte Gedanken und Motivgruppen in ihm“ an. Die „entgegenkommende Grundstimmung“ rühre „wesentlich daher“, dass sowohl der Marxismus als auch die ökumenische Bewegung „darauf aus sind, die asozialen Folgen des ‚Kapitalismus‘, seiner Varianten und Weiterbildungen zu überwinden.“ Eines der damit verbundenen „Grundprobleme“, so Tödt, sei die „Unterscheidung zwischen den wertvollen Kräften und Zielen des Marxismus und den abzulehnenden Elementen.“ Entweder unterscheide man „zeit446 447 448

GOLLWITZER, Religionskritik, 2. Zu den Hintergründen, oben 40 [Anm. 25]. DERS., Vorwort, 10. DERS., Leitsätze, 19. Vgl. oben Kap. 2. 5. 1.

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lich, indem man das Endziel, die vollkommene Gesellschaft abhebt von den fragwürdigen oder abzulehnenden gegenwärtigen Methoden und Erscheinungen“. Oder man unterscheide „qualitativ, indem man bestimmte humanistische Elemente absondert von den ahumanen.“ Die positiven Elemente interpretiere man dagegen „gern als säkularisierte christliche Zielvorstellungen (Reich Gottes – vollkommmene Gesellschaft)“; dies oft in der Annahme, dass sie „zu ihrer vollen Verwirklichung des christlichen Glaubens bedürfen“. Der christliche Glaube und der Marxismus teilten demnach den „Protest gegen das ungerechte Vorfindliche“ und den „Willen zum Transzendieren desselben.“ Gegenüber dieser Marxismus-Lesart sei kritisch zu fragen, „ob es angeht, die gegenwärtige Praxis mit dem Hinweis auf gute Endziele zu rechtfertigen; denn wie sollen gegenwärtig fragwürdige Mittel, Institutionen und Verhaltensweisen in der Lage sein, eine vollkommene Gesellschaft zu produzieren?“449 Für christliche Anhänger des Dialogs war diese Frage aber nicht der Punkt, an dem sich die Geister schieden: Etwa bei jener Genfer Tagung, mit der der ÖRK im April 1968 der Empfehlung der Weltkonferenz 1966 nachkam, den christlich-marxistischen Dialog auf die Agenda zu setzen oder auf der ersten Studientagung evangelischer und katholischer Sozialethiker über „Das Humanum und die christliche Sozialethik“ Ende Mai 1969 in Mönchengladbach450. Angesichts der von Tödt aufgeworfenen Frage nach der Legitimität moralisch „fragwürdige[r] Mittel“ argumentierten auch christliche Dialog-Teilnehmer in den dialektischen Kategorien Hegelscher Geschichtsphilosophie. Letzterer hatte die Geschichte bekanntlich als Prozess der Selbstwerdung Gottes beschrieben, der sich „als absolut gesetzte Vernunft in der Geschichte“ in Thesen und Antithesen zu einer sämtliche Widersprüche aussöhnenden Synthese entwickele. Das hatte bekanntlich Folgen: „Die wichtigste Konsequenz für die Tradition der marxistischen Gewalttheorie, die sich aus der Hegelschen Geschichtsphilosophie ergibt, besteht darin, daß sich für das politische Handeln im allgemeinen und das Gewaltproblem im besonderen keinerlei normativen Gesichtspunkte mehr ergeben. [. . .] An die Stelle der ethischen Kategorien ‚gut‘ und ‚schlecht‘, menschlich oder unmenschlich, treten [. . .] die geschichtsphilosophischen Kategorien ‚progressiv‘ und ‚reaktionär‘, wobei hinter den Progressiven nicht nur das bessere Recht, sondern auch die Gewißheit des Sieges steht“451.

449

TÖDT, Marxismus-Diskussion, 39f., Hervorhebung im Original. BENT, Thema; RAUSCHER, Humanum, 183–196. 451 MATZ, Gewaltproblem, 62. In einer frühen Arbeit über die Problematik des christlichmarxistischen Dialogs wird die Übernahme der Hegelschen Erwartung als „undialogisch“ kritisiert (SPIEKER, Neomarxismus, 224). 450

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So veröffentlichte das „Neue Forum“ Anfang 1969 einen Artikel (ihres Redaktionsmitglieds) Gollwitzer unter dem bezeichnenden Titel „Liebe mit Gewalt“. Allein die Aufmachung ist bemerkenswert. Zum einen steht die editoriale Bemerkung „Revolution = Gewalt gegen Gewalt“ in großen Lettern452. Die Herausgeber ergänzten die Thesen zum anderen mit einem Zitat des Philosophen Roger Garaudy, zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs. Garaudy sagte in Heidelberg: „Wir haben nie die Wahl zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit, sondern immer nur zwischen zwei Arten der Gewalt, und niemand kann uns die konkrete Verantwortung abnehmen, in jedem einzelnen Fall zu entscheiden, wo die geringere, der freien Entfaltung des Menschen dienlichere Gewalt liegt [. . .]. Die vorübergehende Gewalttätigkeit des revoltierenden Sklaven zu verurteilen, bedeutet, an der stetigen, stummen Gewalttätigkeit dessen, der ihn in Ketten hält, mitschuldig werden.“453

Außer Gollwitzer machte – zumindest von Seiten westdeutscher evangelischer Theologen – auch Dorothee Sölle mit provokanten Äußerungen über den Dialog von sich reden. Anfang 1968 zog sie Bilanz über den gegenwärtigen Stand der Gespräche. In Anlehnung an Garaudy beklagte Sölle, nun sei „zwar alles gesagt, aber nichts getan“, um der seelischen Verelendung des Menschen, so die im Neomarxismus gebrauchte Kategorie des jungen Marx, gemeinsam ein Ende zu setzen. An ihrer Argumentation fällt auf, dass sie – anders als Gollwitzer – ihrer neomarxistischen Gewaltdiagnose keine wirkliche Problematisierung der „Therapiemittel“ folgen ließ454. Zwar betonte sie, die „Frage nach der Methode der Realisation“ sei im Dialog bisher „nicht genügend bedacht“ worden. Christentum und Marxismus gäben darauf „dieselben altmodischen Antworten eines Humanismus.“ Letzterem hielt Sölle gleichzeitig zugute:

452

Die Erweiterung der Gewalt-Thesen vom Sommersemester 1968 erschien Frühjahr 1969 auch im Buchformat, GOLLWITZER, Revolution [1969]. Zentral war folgende These: „Die von der theologischen Tradition (in bedingter und begrenzter Weise) gerechtfertigte kriegerische Gewaltanwendung ist problematischer als die von der theologischen Tradition verworfene revolutionäre Gewaltanwendung. Denn a) bei letzterer kann (mit den gleichen Kriterien [für den Fall des bellum iustum, A. C. W.]) ebenfalls die Unterscheidung zwischen revolutio iusta und revolutio iniusta vollzogen werden; b) im Falle der revolutio iusta handelt es sich um Gewinnung besserer, menschenwürdigerer Ordnung (Lenins Begriff des bellum iustum), im Falle des bellum iustum nur um Erhaltung der bestehenden Ordnung“ (DERS., Liebe, 76, Hervorhebung im Original). 453 Garaudys Ausführungen sind Teil eines Vortrags, den er am 9. 12. 1967 auf einer Podiumsdiskussion, u. a. mit Tödt und Georg Picht, an der Ruprecht-Karls-Universität hielt. Garaudy war von der Evangelisch-Theologischen Fakultät und dem AStA zu der Dialog-Veranstaltung eingeladen worden, GARAUDY, Dialog. 454 GOLLWITZER, Liebe, 76f.

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„Der Marxismus hat der Utopie ein Ende gesetzt, weil er sich weigerte, das Problem zu vernachlässigen, das in der Frage nach den Mitteln beschlossen liegt, die zu dieser Zukunft führen. Seine Aufmerksamkeit gilt der dazwischenliegenden Zeitspanne, in der die revolutionäre Arbeit den Menschen dort faßt, wo er sich konkret befindet, und ihn schließlich zum Siege führt“455.

Theoretische Diskussionen hielt Sölle somit für unangebracht – anders als etwa ihr Bruder, Thomas Nipperdey, der zu diesem Zeitpunkt gegen eine neomarxistische Dogmatisierung der Geschichtswissenschaft ankämpfte456. In der gemeinsamen „Praxis“ erhoffte sie sich wiederum eine hegelianische Aufhebung aller möglichen Differenzen und Probleme. Da während der Studentenproteste auch moderater argumentierende evangelische und katholische Dialogteilnehmer wie Moltmann, Metz oder Karl Rahner medial als „RevolutionsTheologen“ dargestellt wurden, erfuhr die zahlenmäßig eher randständige Gruppe um Gollwitzer und Sölle relativ große Aufmerksamkeit457. Mit ihrer Forderung, dem Dialog Taten folgen zu lassen, standen Gollwitzer und Sölle jedoch keineswegs allein. Heinz Kloppenburg warnte im Frühjahr 1968 davor, den christlich-marxistischen Dialog als „Flucht in die Aktionslosigkeit“ zu verstehen. „Aktion“ bedeutete für ihn allerdings eher gewaltfreie Revolution458. Hans-Jürgen Benedict forderte vor der Studentenpfarrerkonferenz eine Revolutionierung der Verhältnisse anstelle des Einzelnen459. Kritische Stimmen deuteten die zum Gemeinplatz erhobene Praxis-Forderung als Flucht in den Aktionismus, um von unüberbrückbaren Differenzen abzulenken460. Selten jedoch wurde der Vorwurf in den evangelischen Medien derart drastisch formuliert wie von Günter Rohrmoser, in den 1970er Jahren einer der einflussreichsten konservativen Theoretiker in der Bundesrepublik: „Wer hier zu widersprechen geneigt ist, setzt sich dem Verdacht aus, kein Menschenfreund zu sein und die Geschäfte böser, an bloßer Unterdrückung, an sich überflüssig gewordener und darum irrationaler Herrschaft zu betreiben. [. . .] Der Wille, diese Geschichte, die durch den Kommunismus selbst in aller Welt in Gang gekommen ist, zu einem halbwegs guten Ende zu bringen, läßt ihn nach Partnern in

455

SÖLLE, Christentum, 152. Vgl. MATZ, Gewaltproblem, 66f. Vgl. MOMMSEN, Gesichter, 410–414. 457 „Wie Hochhuth“. In: Der Spiegel, Nr. 33 vom 12. 8. 1968, 83. 458 KLOPPENBURG, Martin Luther King, 314. Vgl. etwa die hier stichwortartig aneinander gereihten Stationen seines Lebenswegs: BK – ÖRK-Flüchtligsabteilung (1947–1950) – Internationaler Versöhnungsbund – Christlich-Jüdischer Dialog – „Kampf dem Atomtod“-Bewegung – Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen – CFK. Vgl. GRESSEL, Versöhnung. 459 „Die zweite Phase der Revolution“. In: BSBl, Nr. 38 vom 22. 9. 1968, 2. 460 SPIEKER, Neomarxismus, 227. 456

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unserer Welt Ausschau halten, die wenigstens in diesem guten Willen mit ihm übereinstimmen. Vielleicht besteht das Positive, aber auch die Grenze einer Theologie der Revolution in der Gegenwart darin, daß sie, merkwürdig unbewegt durch die Erfahrungen, die Menschen mit den Revolutionen in unserem Jahrhundert zu machen gezwungen waren, von der Substanz christlichen Glaubens in das Gespräch nicht mehr einzubringen vermag als die radikal eschatologisch begründete Zuversicht, dass es genüge, einen solchen entschlossenen Willen zu haben, um die Welt im Interesse befriedeter, autonomer und von allem Zwang freigewordener Menschlichkeit zu ändern.“461

In einem „Streitgespräch“ mit Metz und Machovec bemerkte Karl Rahner, der christlich-marxistische Dialog sei erst durch „Formalisierungen der Standpunkte“ möglich geworden: „Sind wir einander wirklich so nahe? Ich möchte eine solche Formalisierung durchaus nicht nur negativ sehen. Dadurch, daß wir das machen, bekommen wir ja überhaupt erst einen gewissen Ausgangspunkt für das Gespräch. Es entstehen dadurch richtige, wenngleich formale Parallelitäten, von denen aus man dann überhaupt erst miteinander reden kann. Trotzdem: eine solche Formalisierung täuscht vielleicht nur eine Versöhnung unserer Standpunkte vor, die im Grunde genommen dennoch nicht gegeben ist. Nüchtern gesagt: Ich weiß eigentlich [. . .] immer noch nicht, was unter Humanismus zu verstehen ist.“462

Eine frühe Studie attestierte den westdeutschen Dialog-Anhängern beider Konfessionen eine gewisse „Standortlosigkeit“. Die von der Studentenbewegung initiierten kritischen Anfragen an die Theologie – etwa nach der gesellschaftlichen bzw. politischen Funktion der Kirchen und ihrer inneren Demokratisierung – hätten die theoretische Auseinandersetzung mit dem Marxismus „und dem Atheismus“ überlagert. Angesichts dieser „Introversion“, so die These, sei selbst den christlichen Akademikern der Paulus-Gesellschaft 1968 der Standpunkt, die eigene Meinung, abhanden gekommen. Eine kritische gemeinsame Wahrheitssuche sei durch eine Art Selbstrelativierung der christlichen Seite abgelöst worden463. Ohne die These mit Blick auf die Formalisierung diametraler Gegensätze464 einer genaueren Bewertung zu unterziehen, kann festgehalten werden: Nähert man sich dem in unterschiedlichsten Foren ausgetragenen christlich-marxistischen Dialog mit dem Maßstab ergebnisoffener Gespräche gleichberechtigter Partner, in dem beide Seiten zu Beginn – wie 461

ROHRMOSER, Menschheit, 10. MACHOVEC / METZ / RAHNER, Christ, 297, Hervorhebung im Original. 463 SPIEKER, Neormarxismus, 234. 464 Angedeutet seien hier nur die übergeordneten Themen: „Immanenz“ (Prometheus) vs. „Heilserwartung“ (Jesus Christus), „Religionsfreiheit“, „Klassenherrschaft“ bzw. -„kampf“ sowie „Kapitalismus“. 462

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etwa im interreligiösen oder interkonfessionellen Dialog465 – die Möglichkeit des Eingeständnisses divergierender Standpunkte bzw. „letzter Wahrheiten“ einräumen, so drängt sich der Schluss auf, dass sich der Dialog zwangsläufig festfahren musste. Letztlich sprechen mehrere Gründe für die Hypothese, dass das Problem der revolutionären „Gegengewalt“ im christlich-marxistischen Dialog der 1960er Jahre im Rahnerschen Sinne formalisiert wurde. Sowohl in den deutschsprachigen Dialog-Zeitschriften als auch in den – nicht wenigen – Dialog-Beiträgen hier ausgewerteter Medien wurde die Gewaltfrage seitens der Dialog-Anhänger466 nicht problematisiert. Sölles Bilanz ist hierfür beispielhaft: Im Vordergrund stand die strukturell herrschende Gewalt „von oben“. Durch sie, so der Gedankengang, erfährt die dagegen aufgebrachte, bezeichnenderweise nur vage umschriebene Gegengewalt ihre ethische Relativierung als Antithese. Die damit vermeintlich generierte Synthese wurde nicht weiter hinterfragt. Das Thema „Gegengewalt“ zählte auch nicht zu den „immanenten Hindernissen“467 des Dialogs, schließlich standen sich auch keine homogenen Blöcke gegenüber. Vor der Paulus-Gesellschaft betonte Moltmann, man unterscheide „auf der einen Seite zwischen einem konservativ-staatskirchlichen und einem häretisch-oppositionellen Christentum, einem konstantinischen und einem chiliastischen. Auf der anderen Seite hat man einen stalinistischen von einem humanistischen Marxismus zu unterscheiden gelernt. Diese gegenseitigen Selbstunterscheidungen sind sehr hilfreich.“468

Auch die vieldiskutierte „Theologie der Revolution“ trug zur Formalisierung bei. Aus neomarxistischer Sicht kam deren überraschend „‚unchristlich differenziert‘“ wahrgenommenes Verhältnis zur „Gegengewalt“ den eigenen Vorstellungen von der Gesellschaftsveränderung entgegen469. Insofern kann auch

465 So z. B. der von 1946 bis 1975 tagende Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland, SCHWAHN, Arbeitskreis. 466 In den hier untersuchten evangelischen Medien klang durchaus die kritische Frage an, welche Rolle die Revolution im Dialog eigentlich spiele, SCHLICHTING, [Editorial]; ROHRMOSER, Freiheit. Verglichen mit den 1970er Jahren, meldeten sich in der zweiten Hälfte der 1960er recht wenige Stimmen diesbezüglich zu Wort. 467 SPIEKER, Neomarxismus, 245. Im Literaturbericht des „Evangelischen Erzieher“ über die „Theologie der Revolution“ ist von der Entdeckung einer „innere[n] Verwandtschaft“ die Rede (RINGSHAUSEN, Theologie, 379). In der „Internationalen Dialog Zeitschrift“ unterstrich der Rezensent von Tödt / Rendtorff („Theologie der Revolution“) das „ungewöhnlich“ große Interesse „auch bei Nicht-Theologen“ (LORENZMEIER, [Rezension]). 468 MOLTMANN, Christentum, 161. 469 SPIEKER, Neomarxismus, 203.

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nicht von einer Ausklammerung oder Tabuisierung der Gewaltfrage gesprochen werden. Gingen Neomarxisten wie Machovec nicht umgekehrt auf die Christen zu, indem sie angesichts der Erfahrung mit dem „Panzersozialismus“ gewaltlosen Revolutionen einen größeren Stellenwert einräumten? Aus Sicht der Studentenbewegung war der christlich-marxistische Dialog in seiner institutionalisierten Form dennoch belanglos. Einen Beweis für den gescheiterten „Dialog mit der Jungen Linken“ lieferte der „Kongreß der jungen Generation“, den die Paulus-Gesellschaft im Oktober 1968 in Bonn ausrichtete. Während das „Establishment“, die eingesessenen Dialogteilnehmer aus Ost und West, an der Tagesordnung zum Thema „Evolution oder Revolution der Gesellschaft“ festhielt, setzten westdeutsche Studentenvertreter und ihre zahlreich nach Bonn eingeladenen europäischen Kommilitonen auf ein aktionsorientiertes konfrontatives Dialogklima470. Auch um „drohenden Auseinandersetzungen vorzubeugen“, wurde die „studentisch gesprengt[e]“ Veranstaltung von der Kongressleitung vorzeitig beendet471. In der Frage, ob in der Bundesrepublik „überhaupt die Möglichkeit bestehe, durch Reformen eine neue Situation zu ermöglichen“, prallten die Meinungen nicht nur zwischen den Generationen aneinander472. Für seine Beschreibung von „Gegengewalt“ als „Akt der Emanzipation“ und „Zeichen der Hoffnung der Unterdrückten“ erfuhr der Theologiestudent Frank von Auer, Bundesvorsitzender des Liberalen Studentenbundes in Deutschland, von gleich mehreren Kommilitonen energischen Widerspruch. Einer entgegnete, Gewaltlosigkeit erfordere physischen Mut in sämtlichen Handlungen. Jesus sei „ein Extremist der Liebe“ gewesen. Gewaltlosigkeit sei durchaus „universell“, d. h. auch in Lateinamerika „praktikabel“473. Die Fronten verliefen letztlich quer zur Unterscheidung „Jung/Alt“, „Marxist/Christ“. Nach dieser „höchst informativen Konfusion“ reifte selbst beim „Establishment“ die Erkenntnis, dass der institutionalisierte Dialog in seiner bis dato praktizierten Form überholt sei474. Im „Postdialog“ der 1970er Jahre war fortan nicht mehr das Gespräch, sondern die „Aktion“ von Interesse. Nach dem Ende des Prager Frühlings richtete sich der Fokus auf die politischen Vorgänge in Lateinamerika. Fasziniert vom chilenischen Sozialismusmodell, engagierte sich Sölle in der 1971 gegründeten und international vernetzten Bewegung „Christen für den Sozialismus“. Deren

470 Das Referat von Hans-Jürgen Krahl fiel ohnehin aus, weil der SDS-Vertreter gar nicht erst erschienen war, DIERTH, Evolution, 731. 471 NENNING, Paulus-Gesellschaft; KELLNER, Evolution, 351; und LINK, Evolution. 472 DIERTH, Evolution, 732; KELLNER, Evolution, 335–350. 473 Zit. n. EBD., 337 u. 346. 474 NENNING, Paulus-Gesellschaft.

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Tätigkeit stieß v. a. in der ESG auf Resonanz. Nach dem chilenischen Militärputsch 1973 gewann das Thema (Gegen)Gewalt zwar wieder an Bedeutung; mittels Rückgriff auf die bewährten Formalisierungen der 1960er Jahre wurde es jedoch schnell nebensächlich: getreu der Marxschen Devise, die „Waffe der Kritik“ könne die „Kritik der Waffen“ nicht ersetzen.475 Die „Solidarität in der Praxis“ hatte andere Probleme.

3.8.2 Das (un)heimliche Synodalthema: „Parteiliche“ Kirche und „falsche“ Politisierung Anfang Oktober 1968 kam die Synode der EKD in Berlin-Spandau zu ihrer Regionaltagung (West) zusammen. Unter dem Thema „Die Zukunft der Kirche und die Zukunft der Welt“ sollten die „großen ökumenischen Versammlungen 1966 bis 1968“ bilanziert werden476. Das „heimliche“, die Medien beherrschende Thema, war aber die Sorge um den Erhalt der gesamtdeutschen EKD477. Als Antwort auf die zu Ende gegangene ÖRK-Vollversammlung fasste die Synode weit reichende Beschlüsse auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe; u. a. brachte sie das in Bochum angesiedelte Sozialwissenschaftliche Institut der EKD und die Gründung der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst auf den Weg478. Die unter dem Eindruck der Studentenproteste tagende Synode hatte sechs Jugendliche zur Teilnahme und Mitarbeit in den Ausschüssen eingeladen. Teil des „Experiments“ war auch die Anwesenheit einer Gruppe, die sich als „Kritische Synode“ zu erkennen gab; ihr gehörten v. a. Theologiestudenten, Vikare und junge Pfarrer an479. Für „lebhafte Diskussionen“ sorgte Gollwitzers Referat über „Die Weltverantwortung der Kirche in einem revolutionären Zeitalter“. Der Uppsala-Teilnehmer erörterte die aus seiner Sicht relevanten Fragen und Probleme einer Aufnahme und Umsetzung der in Schweden gefassten Beschlüsse in den westdeutschen ÖRK-Mitgliedskirchen. Von seinem Manuskript weitgehend abwei475 Vgl. GIRARDI, Gewalt; BORNÉ, Christen. Kritische Diskussionen wie in der „Jungen Kirchen“ waren selten, RUPNOW, Frage; WIESNER, [Leserbrief]. Zum „Postdialog“ der 1970er Jahre, WIDMANN, Gespräch, 136–141. 476 WILKENS, Einführung, 8. Vgl. MARX, Kritik, 385. 477 Dies ergab die Durchsicht des EKD-eigenen Pressespiegels (EZA BERLIN, 2/1254 u. 1255). Vgl. „Das heimliche Synodalthema“. In: BSBl, Nr. 41 vom 13. 10. 1968, 1; LEPP, Tabu, 831f. Mit der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) und dem Auszug der acht ostdeutschen Landeskirchen aus der EKD wurde das Ende der Einheit im Frühsommer 1969 besiegelt. 478 BERLIN-SPANDAU 1968, 354. 479 WILKENS, Einführung, 9.

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chend, soll Gollwitzer in „spürbarem Kontakt mit den jugendlichen Radikalen“ referiert haben480. Das Stichwort „Theologie der Revolution“ sei umstritten, schließlich beschäftige sich „eine solche“ Theologie auch mit dem „alten kirchlichen Verbot von Revolutionen“. Das eigentlich Aufregende und Besorgniserregende sei aber das theologisch „weniger Wichtige“, denn es handele sich um „nichts anderes als eine Variation“ des Gewaltproblems. Die christliche Ethik habe sich schon immer mit Gewalt, v. a. in Kriegen, auseinandergesetzt. Es sei fraglich, ob das von einer „großen Tradition der Großkirchen“ aufgestellte Revolutionsverbot noch haltbar sei. Es grenze an „Schizophrenie“, sich in Kriegen nicht pazifistisch zu verhalten, es im „Falle der Revolution“ aber „auf einmal“ zu sein. Seine Nachbetrachtungen über die Weltkonferenz 1966 wieder aufgreifend, fragte Gollwitzer, ob es eine revolutio iusta geben könne. Die „Hauptfrage“ der „Theologie der Revolution“ sei aber eine andere. Sie erhebe vielmehr den Anspruch, als „mobile Theologie“ auf neue Verhältnisse einzugehen und „neue Fragestellungen aufzunehmen“. Das Evangelium sei „ein Blicken nach vorn“, ein „Ruf zum Wagnis, zu neuen Ufern, so absurd sie dann auch erscheinen“ mögen. Deshalb sei „das Übersetzen“ zu wagen, damit das Christentum nicht wie im 19. und 20. Jahrhundert missbraucht werde als „Ideologie bestehender Ordnung“481. Dies führte ihn zum Stichwort „Weltverantwortung“: Dass der einzelne Christ als Staatsbürger zu politischem und sozialen Engagement berufen sei und sich dem nicht entziehen dürfe, dass es Weisungen des Evangeliums gebe, die durch kirchliche Verkündigung vermittelt werde, sei wohl unbestritten. Fraglich sei vielmehr, was „Weltverantwortung“ im gegenwärtig „revolutionären Zeitalter“ für die Kirche „als ganze“ bedeute. Angesichts der in Uppsala zentral verhandelten Bereiche „Demokratisierung“ und „Entwicklungspolitik“ könne „traditionelle Caritas“ im Sinne bloßer Symptomkurierung nicht mehr genügen; die Ursachenbeseitigung werde damit entweder für unmöglich erklärt oder – „wegen irgend einer“ Zwei-Reiche-Lehre – politischen Instanzen überlassen482. Die revoltierende Jugend habe dies verstanden, denn sie wisse: 480 So die Atmosphärenbeschreibung im „Deutschen Pfarrerblatt“, BÜCHSEL, Lernprozesse, 910. Zum Vergleich: GOLLWITZER, Weltverantwortung; BERLIN-SPANDAU 1968, 157–176 bzw. 78–100. 481 BERLIN-SPANDAU 1968, 160. Wenige Wochen nach der EKD-Synode erschienen Gollwitzers Thesen über die revolutio iusta im Buchformat. Er widmete das Werk den Berliner Studenten. Darin bekräftigte er seine Forderung, die Augustinische Lehre zu repristinieren. Der Versuch stützte weiterhin auf der anachronistischen These, die Augustinische Kasuistik habe den „Klassencharakter“ staatlicher Obrigkeit nicht erkannt, GOLLWITZER, Christen, 75–80. Vgl. oben 266 [Anm. 452]. 482 EBD., 165f.

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„Der nächste ist nicht nur ein einzelner Mensch, nicht ein isoliertes Ding, sondern, marxistisch geredet, mindestens auch ein Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse. Wer ihm helfen will, darf also bei der einzelnen Not nicht stehenbleiben; gesellschaftliche Verhältnisse müssen geändert werden.“

Wie in Uppsala gefordert, sollten die Kirchen daher politischen Druck auf die entwicklungspolitischen Entscheidungsträger ausüben; „bei unserem merkwürdigen Demokratieverständnis“ würde dies aber gleich als „Pression“ kritisiert werden483. Zu Wölbers „Schreckensbild einer politisierten Kirche“ nahm Gollwitzer ebenfalls Stellung; bei näherer Betrachtung ließe es sich „doch auflösen.“ Man dürfe nicht zwischen dem „eigentlichen“ Auftrag der Kirche, der Evangeliumsverkündigung, und der Wahrnehmung politischer Verantwortung unterscheiden. Es gebe keine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebensache, sondern höchstens die Differenz zwischen „Zentrum“ (Evangelium) und „Peripherie“ (Politik). Die Konsequenzen des Evangeliums seien jedoch nicht Nebensache, sondern Frucht und Ziel (Eph. 2,10). Im „Streit der Zwecksetzungen der obersten Werte“ seien die Christen von „vornherein Partei“. Gottes Philanthropie mache sie zum „Bundesgenossen aller ehrlichen Humanisten“, unabhängig ob Christen oder Nicht-Christen. Im Streit über Mittel und Zweck gebe es aber den „Streit des Verstandes“. Hier sei Vorsicht geboten im Umgang mit kirchlichen Worten. Wer aber „in konkreter Lage zu konkreter Liebestat anleiten“ wolle, „wie es die Kirche tun soll“, dürfe sich aus der Frage der Mittelwahl „nicht vornehm heraushalten“. Sowohl Gott als auch Teufel lägen im Detail. Fallweise sei es „möglich und nötig“, dass die Kirche in ihren verfassten Organen „sich nach ihrem Verstand [. . .] und mit ihrem Wort für die eine Praxis, für das eine Mittel gegen die andere einsetzt.“ Zwar könne sie sich irren und blamieren. Aus reiner Selbstliebe dürfe sie sich aber nicht scheuen. Die „wahre kirchliche Autorität“ sei nicht gefährdet, wenn die kirchlichen Organe nach außen hin demonstrierten, dass man sich das Urteil nicht leicht gemacht habe. Die Einheit der Kirche sei ohnehin etwas nicht Vorgegebenes; als „neutrale Größe“ könne sie jedenfalls nicht fortbestehen. Damit werde sie aber nicht gleich zur politischen Partei. Im „schlechten Sinne“ politisiert sei die Kirche – so die recht undifferenzierte Bezugnahme auf die NSZeit – „nicht dann, wenn sie in politischen Fragen Ja und Nein sagt, sondern dann, wenn dieses Ja und Nein nicht aus aufmerksamen Hören des Evangeliums als ein Versuch, die Konsequenzen des Evangeliums zu erkennen und ihnen gerecht zu werden

483

EBD., 168; DERS., Weltverantwortung, 84–86.

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heute, entsteht – dann, wenn das Ja und Nein neben dem Evangelium herkommt aus anderen Quellen und Bindungen, die dann, um mit Barmen zu reden, sicher ‚gottlose Bindungen‘ sein werden. Diesen [. . .] und dieser falschen Politisierung unterliegt, wie die Erfahrung zeigt, eine Kirche und eine Frömmigkeit gerade dann, wenn sie meint unpolitisch sein zu können, was ja in dieser Welt [. . .] schlechterdings unmöglich ist.“

Eine „verantwortliche Politisierung“ sei ihre „einzige Rettung“. Dies bedeute „immer“ Parteilichkeit484. Gollwitzers Referat wurde nicht nur auf der Synode kritisch kommentiert. Odin zufolge sei sein Antrag auf Verjüngung der Synode nur von den auf der Tribüne versammelten Studenten begrüßt worden485. In der „Welt“ hieß es: „Für Gollwitzer und seine Gesinnungsfreunde ist die westliche Demokratie (‚der Kapitalismus der großen Monopole‘) kaum besser als der ‚bürokratische Sozialismus im Osten‘“. Der „Revolutionsmythos à la Che Guevara“ fasziniere ihn, „politische Emotion“ überschatte seine „rationale Urteilskraft.“ Mit „dieser gefühlsbetonten Einseitigkeit“ führe er seine „Konzeption von der Partei ergreifenden Kirche ad absurdum.“486 Der niederländische Gastreferent, Historiker und Diplomat Max Kohnstamm unterstrich wiederum vor der Synode, über die Notwendigkeit eines politisch-kirchlichen Dienstes sei er mit Gollwitzer „völlig einig“. Die parteiliche Kirche lehne er aber „radikal“ ab. Unter politischem Dienst verstand Kohnstamm einen erzieherischen Beitrag „zum verantwortlichen Denken“ über politische Mittel, „ohne dass die Kirche selbst“ hierzu Stellung beziehe. Auch diesbezüglich war er mit Gollwitzer uneins: „Wenn wir über Hunger sprechen, wenden Sie sich, um eine Lösung zu finden, an Marx. Für mich nun ist Marx einer der größten Soziologen aller Zeiten, der aber meiner Meinung nach uns völlig untaugliche Mittel an die Hand gibt, um die wirtschaftlichen Probleme von heute zu lösen. [. . .] Es ist aber auch möglich, dass ich mich irre. Es ist aber auch möglich, daß Sie sich irren. Eines aber können wir nicht tun: wir können nicht denken oder sagen, daß wir, weil wir anders über die Mittel denken, nicht derselben Kirche angehören oder daß der eine wirklich ‚Philanthrop‘ ist und der andere nicht. [. . .] Ich sprach heute morgen über die Kreuzzüge. Ich kann und darf als Politiker nicht vergessen, was unter dem Ruf ‚Gott will es‘ in der Welt von Christen an Furchtbarem geschehen ist.“487

484

BERLIN-SPANDAU 1968, 169–171. ODIN, Schwierigkeiten. Dazu BERLIN-SPANDAU 1968, 174f. 486 CONRAD, Dilemma. 487 KOHNSTAMM, Stellungnahme. Zur Vita des engagierten „Europäers“, HARRYVAN / VAN DER HARST, Max Kohnstamm. 485

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Laut des Synodalausschusses „Weltverantwortung der Kirche“ herrschte ein allgemeiner Dissens zur Frage kirchlicher „Parteiergreifung“488. Wölber gab zu bedenken, sie könne nicht in den Kategorien „‚parteilich‘ oder ‚neutral‘“ operieren; vielmehr gehe sie „einen heiklen Weg mit Abgründen auf beiden Seiten“. Wer das Evangelium, „mit dem Gott dem Richten widersprochen hat“, will, müsse „das Kreuz auf sich nehmen, selbst angeklagt zu werden, weil er nicht Partei ergriff.“ Gollwitzer bemerkte, man dürfe nicht vergessen, dass die Bibel ein „parteiliches Buch“ sei, „parteilich für die Elenden und Unterdrückten“. Darauf Wölber: „Aber die Bibel ergreift eben auch die Partei der Sünder. Und das heißt [. . .] auch: der Unterdrücker.“ Dies relativiere „erheblich, wenn wir im Auftrage der Kirche sprechen.“489 Die EKD-Synode endete mit Verbalattacken der „Kritischen Synode“ („Ihr Heuchler!“, „Ihr Blinden!“, „Unbußfertige!“ und „Mietlinge!“) gegen das Plenum. Die Beschlüsse zur Entwicklungshilfe gingen ihr nicht weit genug. In einem Flugblatt hatte die Gruppe gefordert, sämtliche Kirchenmittel für Entwicklungsprogramme [!] „Vertretern sozialrevolutionärer Länder und Gruppen“ in Afrika, Asien und Lateinamerika „zur freien Verfügung“ zu stellen490. Die Hälfte der jugendlichen Gastgruppe schloss sich der „Kritischen Synode“ an und verließ mit ihr vorzeitig den Sitzungsraum. Die übrigen Studenten bezeichneten es als „unnötig“ und bedauernswert, dass das „sachbezogene Gespräch“ unter dem „Gesetz des ‚revolutionären Handlungszwanges‘“ beendet wurde491. Die Medien setzten das Experiment „Kritische Synode“ mit Gollwitzers Ausführungen direkt in Bezug. Das Gesamtbild der Synode erhielt dadurch eine nicht selten negative Färbung492. Im konservativen „Rheinischen Merkur“ war von einer kirchlichen „Flucht in die Zukunft“ die Rede: „Im Kauderwelsch um die ‚Theologie der Revolution‘“ werde vergessen, dass sich der Christ nach dem Ausbruch einer Revolution „unverzüglich“ auf die andere Seite, nämlich die ihrer Opfer, zu schlagen habe493. In der Kirchenkanzlei der EKD war man

488

KRECK, Bericht, 153. Beide zit. n. WILKENS, Zukunft, 162 u. 165. 490 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1968], 92. 491 BERLIN-SPANDAU 1968, 312–316; WILKENS, Einführung, 9f. Vgl. DIETZFELBINGER, Veränderung, 294. 492 EZA BERLIN, 1254 u. 1255. Vgl. oben 272 [Anm. 481]. 493 BECKMANN, Flucht. Gollwitzers Vortrag über die „Theologie der Revolution“ erntete freilich auch in der kirchlich-theologischen Öffentlichkeit viel Kritik. Vgl. HONECKER, Planung, 577. Bundestagspräsident Gerstenmaier monierte Gollwitzers „biblisch unmöglichen“ Versuch, eine „politische Mobilmachung der Kirche“ zu bewirken (GERSTENMAIER, Politik, 612). Die „Lutherischen Monatshefte“ druckten wiederum sein am Reformationstag gehaltenes Referat in der Berli489

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der Ansicht, die Presse habe „ein sehr unzureichendes Bild“ gezeichnet. Der „Jagd nach Knüllern“ sei nachgehetzt worden, „manchmal ja auch ein wenig ohne guten Willen“494. Dies war offenbar auch in der Radio- und Fernsehberichterstattung der Fall. Anfang November erörterte der Rat die „einseitige Behandlung von Vorgängen im kirchlichen Raum durch die Massenmedien“. Es wurde erwogen, dass sich die bevorstehende Konferenz der Evangelischen Rundfunk- und Fernseharbeit damit näher befassen solle495. Die Synode der EKD war längst nicht das einzige „Skandal“-Thema aus den Bereichen Theologie und Kirche, das im Herbst 1968 mediale Beachtung fand. Die „Theologie der Revolution“ wurde nun selbst „links“ überholt. Unter „progressiven“ Theologiestudenten machte gar das Wort vom „Apologet[en] Gollwitzer“ die Runde496. 3.8.3 Nur Worte an die Jugend? Im September 1968 beschloss der Rat der EKD, im Falle eines „Wiederauflebens“ der „Unruhe unter der Jugend“ eine ausführliche Stellungnahme abzugeben. Die EKD-Synode sollte damit aber nicht weiter beschäftigt werden497. Ludwig Raiser hatte inzwischen einen ersten Entwurf erarbeitet498. Unmittelbar nach den Osterunruhen vertrat er als Rektor der Universität Tübingen vor 3.000 Studenten die Auffassung, die „Bewegung“ habe die Chance versäumt, die Bevölkerung aufzurütteln und für eine Reform der Demokratie zu werben. Die jüngsten Äußerungen einiger Politiker belegten mangelndes Verständnis für die berechtigte Empörung der Studenten499. Im Entwurf ergänzte Raiser, „Verständnis“ bedeute aber nicht „Billigung aller Ziele, auch der radikalen Gruppen und der von ihnen verwandten Methoden, sich durch Provokationen Geltung zu verschaffen.“ Die Kirche müsse hier Widerspruch anmelden. „Gesetzlosigkeit“ sei ein „schlechter, meist verhängnisvoller Anfang für jedes

ner Gedächtniskirche zur „klärende[n] Orientierung im gegenwärtigen Gespräch um Kirche und Politik“ ab (EBD., 610). 494 Namentlich nicht gekennzeichneter Brief der Kirchenkanzlei an den EKD-Synodalen Walter Bauer vom 16. 10. 1968 (EZA BERLIN, 2/1770). 495 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 7. / 8. 11. 1968 (EZA BERLIN, 2/ 1770). 496 RINGSHAUSEN, Theologie, 381; THEOLOGIESTUDENTEN 1969, 49. 497 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 19. / 20. 9. 1968 (EZA BERLIN, 2/ 1772). 498 Vgl. oben Kap. 3.6. 499 „Opposition unerlässlich“. In: EvKo 1 (1968), 292.

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Streben nach einer neuen, besseren Ordnung“. Auch „gewaltloser Widerstand“ verwandele sich „allzuleicht in Tumult oder Terror“ gegen Andersdenkende, unterdrücke „also die Freiheit.“ Im selben Atemzug warnte er vor groben Vergleichen mit dem protestantischen Widerstand gegen das NS-Regime, denn „was dort als letztes Mittel in einer ausweglos gewordenen Lage ergriffen wurde, taugt nicht zum Vorbild für das Alltagshandeln in einem vielleicht mit Mängeln behafteten, aber dem Recht verpflichteten Staat.“ All jenen, die nur nach „Wiederherstellung von Ordnung rufen“, sei ebenso gesagt, dass „Unterdrückung die Unruhe unter der Jugend nicht beseitigt und ihre Ursachen nicht“ ausräume500. Der Rat kam zur Ansicht, Raisers Entwurf bedürfe der Überarbeitung. Es sei nicht berücksichtigt, dass auch die evangelische Kirche „zu den Angriffsobjekten der Jugend“ gehöre501. Der Tübinger Studentenpfarrer und Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Helmut Aichelin, übernahm die Überarbeitung. Zwar äußerte er sich zufrieden über Raisers Entwurf; die „geistige[n] Hintergründe“ des Protests müssten allerdings stärker beleuchtet werden. Aichelin bemühte sich, Raisers Entwurf dahingehend zu überarbeiten, dass er „noch mehr“ die „Wellenlänge“ der jungen Generation erreiche. Wesentliche Änderung sind seiner Anfang Oktober dem Rat zugeleiteten Überarbeitung nicht zu entnehmen502. Für die Veröffentlichung einer Studie über die „Hintergründe und Ziele der neuen Revolte der Jugend“ sprachen sich Ende Oktober auch die Teilnehmer der EKD-Nacharbeitstagung zu Uppsala aus. In einer Resolution an den Rat hieß es, sie solle verdeutlichen, „wie fruchtbar und anregend diese Bewegung für die Kirche ist.“503 In die positive Bewertung der (globalen) Protestbewegung mischten sich aber auch nachdenklichere Töne. Die Tagung konstatierte, Uppsala habe „die Politisierung der Nächstenliebe“ eingeführt504. Heinz Zahrnt, Chefredakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“, betonte, es sei notwendig, die Frage nach dem eigentlichen Auftrag der Kirche, „nach 500 501

EZA BERLIN, 2/1360. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 19. / 20. 9. 1968 (EZA BERLIN, 2/

1772). 502 Brief Aichelins an Erwin Wilkens vom 1. 10. 1968 (EZA BERLIN, 2/1360). Die Erläuterung des überarbeiteten Entwurfs hinterlässt bei Greschat einen widersprüchlichen Eindruck, denn er schreibt: „Der Schlussteil mahnte Ruhe und Ordnung an“. (GRESCHAT, Protestantismus, 112). 503 Antrag an den Rat der EKD betreffend Anfertigung einer Studie über die Hintergründe und Ziele der neuen Revolte der Jugend (EZA BERLIN, 6/5210). 504 „Offene Fragen, Informationen und Anregungen für die Weiterarbeit und Praxis im Anschluß an die IV. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968 und die Nacharbeitstagung der EKD in der Akademie Arnoldshain Oktober 1968. Zusammengestellt von Pastor Kurt Ziesen“ (EZA BERLIN 6/5939).

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ihrem Proprium, auszudiskutieren“. Allerdings interessiere die „Frage nach der Verwechselbarkeit des christlichen Zeugnisses mit dem Handeln von Nichtchristen die Menschen außerhalb der Kirche“ wenig. Jungen Protestanten erschien diese Frage ohnehin zweitrangig, wenn nicht irrelevant. So urteilte auch ein Mitarbeiter der bayerischen Kirchenleitung. Zwischen September 1968 und Februar 1969 habe er insgesamt 35 Referate zum Thema „Uppsala“ vor Pfarrkonferenzen, Bezirkssynoden, Gemeindeabenden und vor dem Landesjugendkonvent gehalten. Das „Problem der ‚Theologie der Revolution‘“ sei fast ausschließlich von jugendlichen Teilnehmern angesprochen worden. Dabei wurde „teilweise die Meinung vertreten, die Kirche müsse dazu helfen, daß etwa in Südamerika Revolutionen geschehen können. Ohne Gewalt seien Strukturveränderungen nicht zu erreichen. Das Argument, daß es nicht Aufgabe der Kirche sei, die Anwendung von Gewalt zu fördern, wurde nicht überall akzeptiert.“505

Das seit Frühjahr avisierte Projekt einer EKD-Stellungnahme war sehr umstritten. Der Rat nahm die Resolution der Arnoldshainer Nacharbeitstagung zur Kenntnis und beschloss, sie in einem eigenen „Wort zur Unruhe in der Jugend“ zu „verwerten“506. Von einer ausführlichen Studie war nicht mehr die Rede. Weshalb, darüber geben die Notizen Reinhard Mumms, des persönlichen Referenten des Ratsvorsitzenden, Auskunft. In einer Mitteilung an Dietzfelbinger gab Mumm zu bedenken, Raisers Entwurf enthalte „durchaus berechtigte“ Erwägungen. „Manche Passagen“ würden aber, „falls sie an die Öffentlichkeit kommen, neuen Unwillen unter Studenten erregen.“ Mumm fragte, ob „das jetzt angebracht“ sei. „In summa“ stellte er fest: „Dieser ganze Entwurf zeigt, wie problematisch solche politischen Worte sind. Sie möchten die Gemeinden anreden [. . .], bleiben aber doch wohl in der Regel Material für die Presse.“ Für eine Veröffentlichung sah Mumm im September keinen zwingenden Anlass, denn sie wäre „vermutlich nur Gegenstand der Polemik von verschiedensten Seiten.“507 Diesem Standpunkt blieb er auch gegenüber Aichelins Überarbeitung treu508. Indes sorgte ein anderes „kirchliches“ Ereignis für medialen Gesprächsstoff: das am 1. Oktober 1968 erstmalig veranstaltete Politische Nachtgebet. Dank 505 OKR Werner Hofmann, Kurzbericht über Referate zum Thema Uppsala, Anhang seines Briefs an Hanfried Krüger vom 25. 2. 1969 (EZA BERLIN, 6/5940). 506 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 12. / 13. 12. 1968 (EZA BERLIN, 6/5210). 507 „Vermerk betreffend Entwurf Raiser für den Rat der EKD bezüglich Studentenunruhen“ vom 13. 9. 1968 (LAELKB NÜRNBERG, 132/183). 508 Vermerk Mumms vom 25. 10. 1968 (LAELKB NÜRNBERG, 132/183).

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ihrer inszenierten Anbindung an die Studentenproteste erreichten die von einem ökumenischen Arbeitskreis um Dorothee Sölle initiierten Gottesdienste große öffentliche Aufmerksamkeit. Das Kölner Beispiel machte auch in westdeutschen Städten und im Ausland Schule509. Das Modell eines monatlichen politischen Gottesdienstes war bestimmt durch den Dreischritt „Information – Meditation – Diskussion mit Vorschlägen zur Aktion“. Jedes Mal stand ein konkretes Thema im Mittelpunkt. Bereits der Name „Politisches Nachtgebet“ war eine Provokation: eine „ungewohnte, publizistisch reizvolle Verbindung eher privater religiöser Intimität [. . .] mit radikalen politisch-theologischen Geltungsansprüchen.“510 Im „Stern“ lautete der Aufmacher: In der reformierten Kölner Antoniterkirche „verweigern Katholiken und Protestanten ihrer kirchlichen Obrigkeit den Gehorsam und halten einen neuen Gottesdienst.“511 Die Besucher waren alles andere als jugendliche Revoluzzer. So bemerkte ein älterer Ingenieur: „Ich sah die Leute auf der Straße stehen. [. . .] Ich wollte mir das eigentlich nur mal ansehen. Aber dann bin ich drin geblieben. Und das nächste Mal bringe ich meine Frau mit. Ich bin seit Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen. Ich weiß auch nicht, ob das richtig ist, was die machen. Mit dem, was die politisch sagen, bin ich vielfach gar nicht einverstanden. Ich habe immer CDU gewählt. Aber die machen da was, was einen zum Nachdenken bringt . . .“512

Aus Sicht der rheinischen Kirchenleitung war die aufgehobene Trennung von Gottesdienst und Politik glatte Häresie. Politische Folgerungen aus dem Evangelium zu ziehen, so Präses Beckmann in Berufung auf „Barmen“ und den „Kirchenkampf“, sei Sache des Einzelnen, nicht der Kirche als Ganzer. Bei einem Treffen mit dem Arbeitskreis zog Beckmann gar einen emotionsgeladenen DC-Vergleich513. Die rasche Popularisierung der Politischen Nachtgebete wurde durch den öffentlichen Streit um Sölles Theologie „nach dem Tod Gottes“ (Auschwitz) weiter befördert. Sölle suchte geradezu die Polarisierung: Kritische Einwände, auch von theologischen Freunden, fegte die Verfechterin eines „praktischen“ christlich-marxistischen Dialogs „mitunter ziemlich unwirsch vom Tisch.“514 In der ersten Zeit war die Antoniterkirche stets über-

509

Dazu ausführlich, CORNEHL, Dorothee Sölle; DERS., Ich; und SEIDEL / ZIELS, Aktion. CORNEHL, Ich, 337; DERS., Dorothee Sölle, 266. 511 GRUBBE, Nachtgebet, 84. 512 Zit. n. EBD., 89. 513 SÖLLE / STEFFENSKY, Nachtgebet, 132–134. Zu den weiteren öffentlichen Reaktionen auf das erste Politische Nachtgebet, EBD., 129–154. 514 CORNEHL, Dorothee Sölle, 269. Vgl. SÖLLE, Gegenwind. Zu ihrem theologischen Ansatz, oben 59f. 510

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füllt, so dass die Nachtgebete jeweils am Folgetag wiederholt wurden515. Bereits im ersten Nachtgebet brachte Sölle ihre kirchenoppositionelle Haltung mit einem „Glaubensbekenntnis“ zum Ausdruck: „Ich glaube an Jesus Christus der recht hatte, als er ‚ein einzelner, der nicht machen kann‘ genau wie wir an der Veränderung aller Zustände arbeitete und darüber zugrunde ging an ihm messend erkenne ich wie unsere Intelligenz verkrüppelt unsere Phantasie erstickt [. . .] ist jeden Tag habe ich Angst daß er umsonst gestorben ist weil er in unseren Kirchen verscharrt ist weil wir seine Revolution verraten haben in Gehorsam und Angst vor den Behörden“516.

Das übergeordnete Thema hieß „CSSR – Santo Domingo – Vietnam“. Durch die Gleichsetzung der Niederschlagung des Prager Frühlings mit der Vietnamund Mittelamerikapolitik der USA wurden alternative Sozialismusmodelle quasireligiös überhöht. Die Trauer über die Niederschlagung des Prager Frühlings währte im ökumenischen Arbeitskreis nicht lange. Sölles Hoffnungen ruhten fortan auf dem lateinamerikanischen Subkontinent. Das sechste – „Glaube und Politik“ betitelte – Kölner Nachtgebet rückte die Widerstandsikonen Bonhoeffer und Torres daher „ökumenisch“ in den Mittelpunkt: „Revolution“ sei nicht nur erlaubt, sie sei geradezu „verpflichtend für Christen, die in ihr die einzige und angemessene Möglichkeit sehen, die Nächstenliebe zu allen zu verwirklichen.“517 Außer dem Politischen Nachtgebet und der „Kritischen Synode“ machte auch die SDS-nahe „Celler Konferenz“ Schlagzeilen. Ende September trafen sich dort rund 60 Studierende, Assistenten, Pfarrer und Vikare zum „Kritischen Theologentag“. Zusammen mit bundesweit rund 50 kirchenkritischen Reform- und Aktionsgruppen518 teilte die Konferenz die Ansicht, im „Streit um die Bibel“ säßen die Kontrahenten „im gleichen Boot“. Das Schiff sei „nicht nur leck“, sondern befinde sich auch auf falschem Kurs. Es sei daher an der Zeit, „das Evangelium soziologisch und sozialrevolutionär zu verstehen, die Kirche zu revolutionieren, Theologie als gesellschaftsbezogene Wissenschaft zu treiben, von Gott politisch zu reden, den Gottesdienst umfunktionierend zu politisieren, die Predigt durch Information und Diskussion zu ersetzen, die im Abseits der Gesellschaft stehende Gemeinde zu einem Kampfinstrument gegen den Spätkapitalismus und

515

CORNEHL, Dorothee Sölle, 267. SÖLLE / STEFFENSKY, Nachtgebet, 27. Das Zitat gibt die im Original fehlende Interpunktion wider. 517 EBD., 105–127, 118. CORNEHL, Ich, 341. 518 LANGE / LEUDESDORFF, Kirche. 516

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alle ausbeuterischen Strukturen in der Welt umzufunktionieren usw. Marx, Mao und Marcuse, [Ludwig] Feuerbach und [Sigmund] Freud werden für diese Weise des Theologisierens bemüht, die die bisher vertretenen theologischen Positionen rechts liegenlassen, und links überholen will. Elemente der Theologie ohne Gott, der Gott-ist-tot-Theologie und der Theologie der Revolution werden eklektisch übernommen und zur Begründung und Ausformung der sozialrevolutionären Programmatik verwandt.“519

Trotz ihrer Rhetorik und der Aktionsformen, die sie von der Studentenbewegung adaptierten, wurden selbst die „Celler“ Kleingruppen mit dem „von links“ kommenden Vorwurf konfrontiert, nicht konsequent genug zu sein. Auf der weitaus besser besuchten zweiten Konferenz im März 1969 entgegnete das Bochumer „Kollektiv 17“ auf die Kritik, sich in der abgeschriebenen Kirche zu engagieren, man verstehe sich als „revolutionäre Sozialisten“, die „nicht gegen die Kirche, sondern gegen die herrschende Gesellschaftsordnung, die sich der Kirche bedient (kämpfen). Sie verlassen aber die Kirche nicht, weil sie erkannt haben, daß die Kirche gute Möglichkeit bietet, diesen Kampf zu führen. Die Kirche hat alles, woran es der sozialistischen Opposition in der BRD noch fehlt: viel Geld, Gebäude, Beziehungen. Und die Sozialisten der Celler Konferenz sind die einzigen, die ein festes Konzept haben, was man mit der Kirche anfangen soll.“520

Dem war allerdings nicht so, denn die dritte „Celler Konferenz“ beschloss im September 1969 die Selbstauflösung. Den SDS ereilte im Spätherbst 1968 faktisch dasselbe Schicksal. Eine bedeutende Wegmarke war die sogenannte Schlacht am Tegeler Weg in Berlin-Moabit am 4. November 1968 anlässlich des Ehrengerichtsverfahrens gegen gegen den späteren RAF-Mitbegründer Horst Mahler. Es gab erstmals mehr verletzte Polizisten als Demonstranten521. In der „Zeit“ war vom Ende des „Waffenstillstandes“ die Rede: „Das Wintersemester hat begonnen, die Protestwelle rollt wieder.“ Die „Schlacht“ war dennoch nur der Pyrrhussieg einer gewaltbereiten Minderheit. Die Geister schieden sich, der SDS zerfiel

519

Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1968], 22. Zit. n. JÄHNICHEN / FRIEDRICH, Krisen, 131; LANGE / LEUDESDORFF, Vorwort, 7. Vgl. „Rote Bibeln“. In: Der Spiegel, Nr. 14 vom 31. 3. 1969, 65. 521 BECKENBACH, Marsch, 242. Am 4. 11. 1968 erschien in der linksorientierten Publikumszeitschrift „konkret“ der Artikel „Warenhausbrandstiftung“ von Ulrike Meinhof. Die evangelisch sozialisierte Journalistin erklärte in ihrer Kolumne: „Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch.“ (MEINHOF, Warenhausbrandstiftung). Vgl. PRINZ, Lebensgeschichte, 153; KREBS, Ulrike Meinhof. Am selben Tag zeigte das ARD-Magazin „Panorama“ das „Portrait einer Brandstifterin: Gudrun Ensslin“ (VOGEL, Unruhe, 237). 520

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weiter522. Die polarisierende Wirkung der Straßenschlacht zeichnete sich wenige Tage später auf einer AStA-Veranstaltung im TU-Audimax ab. Dem SDS wurde vorgeworfen, die nach den Osterunruhen erzielte Übereinstimmung, Gewalt nicht gegen Personen anzuwenden, über Bord geworfen zu haben. Gollwitzer ergriff das Wort. Lenin zitierend, bezeichnete er es als lächerlich, die gegenwärtige Situation als revolutionär zu beschreiben. Nur Faschisten hätten mit Gewaltanwendung kein Problem; Christen und Sozialisten hingegen dürften keine Menschenleben gefährdende Situation heraufbeschwören. „Wer will, dass die studentische Bewegung zerschlagen wird und innerlich zerfällt, der soll weiter solche Aktionen machen.“523 Laut „konkret“ betonte er, bis „auf absehbare Zeit“ gebe es „keine Möglichkeit für den Übergang von Gewalt gegen Sachen auf Gewalt gegen Personen.“ Die Gewaltbereitschaft fördere lediglich die „Brutalisierung der Polizei“524. Rückblickend unterstrich der SDS-Vertreter und Diskussionsleiter Jürgen Treulieb: „Daß unsere Neigung zur Gewaltanwendung an diesem Abend gestoppt wurde, war neben unseren eigenen Problematisierungen“ auch „sehr stark“ auf Gollwitzers Rede zurückzuführen. Es gab aber auch Kritik. Im Bonner „General-Anzeiger“ galten „progressive“ Theologen wie Gollwitzer und Moltmann nun als Zauberlehrlinge: Man könne ihnen „und mehreren anderen evangelischen Theologen und Theologieprofessoren mit Goethe nur zurufen: ‚Herr, die Not ist groß! Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht los.‘“525 Bei den „Celle“ nahestehenden Theologiestudenten fanden sie kein Gehör (mehr). Diese drängten nun ihrerseits als „Meinungsführer“ in den Vordergrund. Bei der Immatrikulationsfeier an der Kirchlichen Hochschule WestBerlin lehnte ein Studentenvertreter sowohl die „Theologie der Hoffnung“ als auch die „der Revolution“ ab. Beide seien spekulativ und ohne Praxisbezug526. Ein in Umlauf gebrachtes Flugblatt bezeichnete Gollwitzers „Revolution“ als hölzernen „Sozialdemokratismus“527. Im Tübinger Adolf-Schlatter-Haus, dem Sitz der dortigen ESG, diskutierte Ernst Käsemann am 11. November mit Theologiestudenten über „Kirche im Spätkapitalismus“. Infolge einer heftigen Auseinandersetzung über Wesen und Auftrag der Kirchen brachten Studenten ein Flugblatt in Umlauf. Der „Partisan Käsemann“, der sich nach Ostern auf 522 „Pflastersteine statt Argumente“ [unterzeichnet mit Kürzel: „S. E.“]. In: Die Zeit, Nr. 45 vom 8. 11. 1968, 3; FREI, 1968, 149. Vgl. KRAUSHAAR, Achtundsechzig, 91f. 523 Zit. n. FREIE UNIVERSITÄT BERLIN, Hochschule, 116. Vgl. TREULIEB, Marsch, 158. 524 Zit. n. SCHNEIDER / RÖHL, Pflastersteine, 49. 525 TREULIEB, Marsch, 156f.; FRANK, [Leserbrief]. 526 „Rede des Studentenvertreters zur Immatrikulationsfeier am 23. 10. 1968 an der Kirchlichen Hochschule, Berlin“ (ELAB BERLIN, 45/393). 527 Zit. n. THEOLOGIESTUDENTEN 1969, 49.

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die Seite der Studenten geschlagen hatte, wurde bezichtigt, „die bestehenden Klassenunterschiede“ theologisch zu konservieren528. Zwar distanzierte sich die Fachschaft Evangelische Theologie von den persönlichen Beleidigungen; die Angriffe gegen das Neue Testament („großangelegter Massenbetrug“) wurden jedoch nicht verurteilt. Selbst die „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“ fragte verwundert, weshalb „sogar“ Theologen wie Käsemann nun „als unkritisch und konservativ“ galten529. Neben West-Berlin und Gießen zählte Anfang 1969 auch Heidelberg zu den Zentren der Unruhen. Angesichts überzogenener Polizeiaktionen drohte die „Saat der Gewalt“ nun auch in der „Provinz“ aufzugehen530. In Flugblättern wetterte die SDS-Projektgruppe Theologie Heidelberg gegen kirchliche Vermittlungsbemühungen: „Der Versöhnungsschleim“ diene nicht dem Abbau bestehender Widersprüche. Damit, so der Vorwurf, förderten die „scheinliberalen Tödt-Jünger“ nur die Verfälschung gesellschaftlicher Probleme531. Aus Furcht vor einer Gewalteskalation im Wintersemester 1968/1969 bat der Vorsitzende der Studentenpfarrerkonferenz der ESG, Reinhard Tietz, die EAiD um Hilfe. Auf ihrer Mitgliederversammlung regte er Anfang Oktober eine Stellungnahme zur Gewaltfrage an. Ein Projektkreis des badischen Landesverbandes erarbeite daraufhin einen ausführlichen Diskussionsbeitrag. Den Studentengemeinden sollte er helfen, in den befürchteten Auseinandersetzungen „den richtigen Weg zu finden“532. Die ESG-Geschäftsstelle koordinierte zu diesem Zeitpunkt bereits Maßnahmen zur Einrichtung eines interdisziplinären Arbeitskreises. Das an der Universität Heidelberg schließlich angesiedelte Projekt wurde von der FESt (zunächst) unterstützt533. Für die Diskussion in den Studentengemeinden lag zunächst aber nur der Beitrag der badischen Akademikerschaft vor. Dem Titel nach ging es um die „Frage der Anwendung 528 Zit. n. EBD., 49. In der Diskussion hatte Käsemann gewarnt: „Wenn man sich schon verkaufen muß, dann an kein System, sondern Personen [. . .]. Als Christ und Theologie weiß ich, daß der einzelne verändern kann: Jesus hat etwas verändert, Luther, [Ulrich] Zwingli, Che Guevara –, ich bin für die Partisanen.“ (zit. n. EBD., 51). 529 HILLE, Käsemann, 16. 530 „Die Saat der Gewalt“. In: Die Zeit, Nr. 43 vom 17. 1. 1969, 8; NAGEL, Provinz, 206–212. In der „Jungen Stimme“ hieß es, nicht nur in Heidelberg „zerprügelt Polizei die Autorität des Staates“ (GLOSSNER, Prügelstrafe). 531 Das zitierte Flugblatt wurde während der Predigt von Landesbischof Heidland am 9. 2. 1969 in der Heiliggeistkirche verteilt (EZA BERLIN, 2/17630). 532 Schreiben Evangelische Akademikerschaft, Landesverband Baden, an die Stuttgarter ESGGeschäftsstelle vom 30. 10. 1968 (EZA BERLIN, 37/151). 533 Brief Gerta Scharffenorths, Studienleiterin der FESt, an Rolf Thoma, Studiensekretär in der ESG-Geschäftsstelle, vom 10. 12. 1968 (EZA BERLIN, 36/2772); Rundschreiben vom 14. 11. 1968 betreffend „Arbeitskreis: Gewaltanwendung als Mittel politischen Handelns“ (EZA BERLIN, 734/6). Vgl. HUNGAR, Thesen.

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von Gewalt, um notwendige Veränderungen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen“. Sie könne nur anhand eines „konkreten“ Blicks auf die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik geklärt werden. Die Mittel zur Gesellschaftsänderung seien anhand des in Genf 1966 erarbeiteten Kriterienkatalogs zu bestimmen534. Mit „Blick auf die BRD“ wurde festgestellt: „Unsere Gesellschaft – und spiegelbildlich mit ihr das Parlament – ist, statt die [verfassungsrechtlichen, A. C. W.] Möglichkeiten fortschrittlicher Entwicklung voll zu nutzen, weitgehend einem selbstgerechten oder auch ängstlichen Immobilismus verfallen, indem sie sich an das Vorhandene klammert, das Problembewusstsein für die Notwendigkeit von Reformen verdrängt oder die Kraft, als notwendig erkannte Reformen durchzuführen, nicht aufzubringen vermag. Das bewirkt, dass wir heute vor einem ganzen Katalog von Gefährdungen bzw. ungelösten Aufgaben unserer verfassungsmäßigen Ordnung stehen: [. . .] Parteienkartell, Ohnmacht der Opposition, Übergewicht der Exekutive, Pressekonzentration; Notstandsgesetzgebung; Bildungspolitik; Strafrechts- und Strafvollzugsreform; Mitbestimmung; Friedens- und Ostpolitik; Probleme der dritten Welt und der Entwicklungshilfe; Komplizenschaft des Schweigens zu Vietnam u. a. m.“

Den Studenten komme das Verdienst zu, „breites Bewusstsein für diese Situation geweckt zu haben.“ In einem Jahr hätten sie erreicht, was Politik und Journalismus seit 1945 nicht gelungen sei: Die Verbesserung von Politik und Demokratie werde offen diskutiert. Besonders die Protestmethoden hätten dies bewirkt. Damit sei deutlich geworden, „dass die eingefahrenen Spielregeln nicht mehr ausreichen, um die verfestigten Machtverhältnisse in der Verfassungswirklichkeit so aufzubrechen, daß die grundgesetzliche Ordnung voll funktioniert“. Symbolische „Widerstandshandlungen“ könnten daher „in Betracht“ gezogen werden. Da jede Rechtsordnung aber auf Einhaltung ihrer Gesetze bestehe, würden sie freilich „ihren Preis kosten“. Auf Gewalt sei im Zweifel zu verzichten, v. a., wenn Gewalt gegen Sachen, die „hier allein in Betracht“ käme, Menschen körperlich beinträchtigen könnte. Interpersonelle Gewalt käme nur als Nothilfe für andere in Betracht. Mit Verweis auf Habermas wurde außerdem vor zwei Missverständnissen gewarnt: erstens, „daß unser Aktionsspielraum“ durch eine „in Revolutionierung zu überführende Situation bestimmt sei; zweitens, dass unser Aktionsspielraum durch eine internationale Einheit des antikapitalistischen Protestes bestimmt“ werde. In den „theologischen Erwägungen“ hieß es abschließend: „Die Selbstsicherheit in der Negation des Bestehenden kann, als theologia crucis maskiert, Symptom selbstherrlicher theologia gloriae sein.“535 534 535

EZA BERLIN, 37/83/151. Vgl. KRÜGER, Appell, 170–172. EZA BERLIN, 37/83/151. Vgl. HABERMAS, Scheinrevolution.

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Der Konflikt mit der Evangelischen Akademikerschaft und die Aktivitäten der Kammer für Publizistische Arbeit wirkten bei Axel Springer noch immer nach536. Unter dem Eindruck des Berliner Kirchenstreits und den neuerlichen Berichten über das Politische Nachtgebet stellte er bei einem Empfang klar: „Dies ist ein christliches Zeitungshaus.“ Vor den anwesenden Chefredakteuren argwöhnte er, „dass es Männer im Talar sein könnten, die beweisen wollen, dass Gott tot ist und die Christus zum Sozialrevolutionär machen möchten.“537 Den zwei Tage später erfolgten Start der fünfteiligen Serie „Rebellen im Namen Christi“ im „Hamburger Abendblatt“ empfand Springer daher als Affront538. Besonders anstößig war für ihn der Umstand, dass sich eines seiner Blätter zum „Lautsprecher gewisser Exzentriker“ gemacht habe, so Springer im Brief an Chefredakteur Martin Saller. Es sei „bedenklich“, wenn berichtet werde, „daß Che Guevara das Vorbild vieler Theologiestudenten“ sei. Die kritische Auseinandersetzung mit Moltmann und Shaull sei in der Serie ebenfalls unterlassen worden. „Der dritte Imperativ unseres Hauses – Kampf gegen Radikalismus jeglicher Art –“ beziehe sich „nicht nur auf politische, sondern auch auf religiöse Extremisten.“539 Der Vorwurf war aber unzutreffend: Schon im Titel warnte der Moltmann und Shaull betreffende Artikel vor der „Gefahr einer neuen Schwarmgeisterei“. Auf das Gewaltproblem, „dem für jeden Christen neuralgischen Punkt des Themas ‚Revolution‘“ wurde ebenso kritisch hingewiesen: „Hinzu kommt, daß diese radikale Theologie eine Entscheidung für die Gewalt sehr nahelegt, wenn nicht gar provoziert. Denn sie erklärt offen, dass umfassende Änderungen in unserer angeblich total ‚manipulierten‘ Gesellschaft ‚auf normalem Weg‘ kaum noch zu erreichen seien.“540

536

Vgl. oben Kap. 3.4. Manuskript zur Ansprache anlässlich eines Empfangs im Westberliner Verlagshaus Axel Springer nach der Einweihung des Gemeindezentrums der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde in Berlin-Kreuzberg am 22. 12. 1968 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O. 5). Im Februar 1969 bat Springer Mahnke, zu überlegen, ob es möglich und empfehlenswert sei, den vier Grundsätzen des Verlagshauses ein fünftes – christliches – Axiom hinzuzufügen. Auch mit Blick auf die gegenwärtige Diskussion um die „innere Pressefreiheit“ hielt Mahnke den Schritt für vorteilhaft. Nach langem Abwägen des Für und Wider empfahl er, die Frage „noch offen“ zu lassen. „Im Sinne der immer flüssiger werdenden Wertemaßstäbe unserer heutigen Gesellschaft“ sei ein fünftes Axiom aber „nur zu begrüßen“. Brief Mahnkes an Springer vom 11. 3. 1969 (EBD.). 538 HOEPFNER, Evangelium. 539 Brief Springers an Martin Saller vom 23. 1. 1969 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O. 5). Das Schreiben hatte Horst Mahnke entworfen. Es wurde im „Spiegel“ später veröffentlicht. Vgl. „Hinweis auf die Existenz des Teufels“. In: Der Spiegel, Nr. 17 vom 21. 4. 1969, 81. Zu Sallers Versetzung, SCHWARZ, Axel Springer, 535. 540 HOEPFNER, Gefahr. Hervorhebung im Original. 537

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Chefredakteur Saller verteidigte sich mit dem Argument, man habe „durch sachliches Einsteigen in eine kritische Diskussion eher“ mäßigend wirken wollen. In der Behandlung der Hamburger Studentenunruhen habe man „doch mit sichtbarem Erfolg“ beigetragen, „die Lage zu entschärfen und eine winzige Minderheit mehr und mehr zu isolieren.“541 Springer informierte zahlreiche evangelische und katholische Theologen über seinen Saller-Brief. Während Lilje nur dankend antwortete, schrieb Wölber, er teile die Sorge „über die dominierende Publizität, die diese Theologie hat“. Zugleich bemerkte er nicht unkritisch, „der gute Journalist“ solle sich weigern, Gegensätze zu schärfen. Dies sei „auch eine demokratische Aufgabe.“ In diesem Zusammenhang ist auch Wölbers ausgedehnte Pressearbeit zu sehen, mit der er die „Volkskirche“ gegen die Entkirchlichung zu verteidigen suchte. Helmut Thielicke empfand wiederum „Trost, dass ein Mann wie Sie so denkt.“ Es sei „nur ein Jammer, dass solche Ausführungen intern bleiben.“ Thielickes Rat, „so etwas“ zu veröffentlichen, setzte Springer dann auch in die Tat um542. Andererseits trug der Springer-Verlag bzw. – wie sich später herausstellen sollte – der Verleger selbst dazu bei, dass die beargwöhnte „Minderheitentheologie“ medial präsent blieb. Das „Hamburger Abendblatt“ war kein Einzelfall543. Im Dankesschreiben für den Saller-Brief teilte Pfarrer Heinrich Grüber, ehemals EKD-Bevollmächtigter bei der Regierung der DDR, dem Verleger mit, auch im Hause Springer gebe es Journalisten, die in dieser Angelegenheit „gar kein Verständnis“ zeigten544. Anstatt der kurz darauf ad acta gelegten Stellungnahme zur „Unruhe der Jugend“ gab der Rat der EKD am 31. Januar 1969 eine Presseerklärung heraus. Er teile „die Besorgnis weiter Kreise in der Bundesrepublik über die zunehmende Radikalisierung der Auseinandersetzung in gesellschaftlichen und politischen Fragen. Die gleiche Erscheinung zeige sich auch im Bereich von Kirche und Theologie. Die von einigen Gruppen vertretene und zum Teil mit großem publizistischen Aufwand betriebene sozialrevolutionäre Umdeutung der christlichen Botschaft kann [. . .] nicht länger unwidersprochen hingenommen werden. [. . .] Der Rat appelliert daher an die besonnenen Kräfte auf allen Seiten, für eine konstruktive Begegnung zwi-

541

Brief Martin Sallers an Springer vom 30. 1. 1969 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O.

5). 542 Brief Liljes an Springer vom 14. 3. 1969; Brief Wölbers an Springer vom 19. 2. 1969; und Brief Thielickes an Springer vom 10. 2. 1969 (EBD.). Zur regen Pressetätigkeit des Hamburger Landesbischofs, HERING, Wölber. 543 NELLESSEN, Kirchen. 544 Brief Heinrich Grübers an Springer vom 12. 2. 1969 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O. 5).

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schen kritischen Gruppen einerseits und den Verantwortlichen in Kirche, Staat und Gesellschaft andererseits einzutreten.[. . .] Es sei an der Zeit, die Kräfte der Zerstörung durch gemeinsame Arbeit an wirklicher Erneuerung zu überwinden.“545

„Der Spiegel“ ließ sich davon freilich nicht abhalten, Publicity trächtige Skandalgeschichten in den Vordergrund zu stellen. In der Titelgeschichte „Gewalt gegen Gewalt?“ wurde wenige Tage später das „Glaubensbekenntnis“ des Heidelberger AStA-Vorsitzenden veröffentlicht. Das SDS-Mitglied war als Rädelsführer wegen Land- und Hausfriedensbruch angeklagt. In seiner Erklärung teilte der evangelische Theologiestudent mit, er gehöre zu denjenigen, die „die Phrasen der herrschenden Klasse von Gewaltlosigkeit nicht mehr ertragen konnten, [. . .] die im Theologiestudium gemerkt haben, wie diese Wissenschaft ihre Ergebnisse den Massen vorenthält [. . .]. Ich [. . .] habe gestern die reaktionäre Predigt des Gefängnispfarrers öffentlich unterbrochen [. . .]. Ich bin geschützt durch die Solidarität der Genossen und Kommilitonen. Ich habe den Kampf gegen die politische Justiz aufgenommen.“546

Der Saller-Brief erschien Ende April im „Spiegel“. Den eigentlichen Impuls lieferte Springers Austritt aus der berlin-brandenburgischen Landeskirche, mit dem er gegen deren vermeintliche Linkspolitisierung protestierte. Ihm war zu Ohren gekommen, dass Bischof Scharf davor warnte, die Bundespräsidentenwahl in der geteilten Stadt abzuhalten547. Schelz gegenüber empörte er sich, die Kirche wolle ihm „ständig und unaufgefordert“ politische und wirtschaftliche Ratschläge erteilen; zugleich verzichte sie „mehr und mehr“ darauf, ihm „das bereitzustellen, wofür ich die Kirche tatsächlich brauche: Frieden mit Gott, [. . .] Trost und Zuspruch und auch Gewissenserforschung“. Die „Politische Diakonie“ der Landeskirche wollte er nicht auch noch mit Kirchensteuer-

545 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1969], 111, Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]. Stattdessen sollte eine Dokumentation über Stellungnahmen zur Bildungs- und Hochschulpolitik angefertigt werden. Zugleich wurde der Vorschlag unterbreitet, ein „Wort an den theologischen Nachwuchs“ zu veröffentlichen. Ein Beschluss wurde nicht gefasst. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13. / 14. 3. 1969 (EZA BERLIN, 2/1773); Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Rates vom 14. 3. 1969 (EZA BERLIN, 2/17626). 546 „Ich habe den Kampf aufgenommen“. In: Der Spiegel, Nr. 7 vom 10. 2. 1969. Zu den Hintergründen, NAGEL, Provinz, 216–225. 547 Scharf fürchtete, der dortige Wahlakt könnte für die EKD das Ende ihrer gesamtdeutschen Organisationsform besiegeln. Die Gründung des BEK war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr aufzuhalten, LEPP, Tabu, 857f. Vgl. unten Kap. 4. 1. 4. Im Norddeutschen Rundfunk (NDR) hieß es, Scharf habe die Bedenken der Kirchenleitung in einem „vertraulichen Brief“ nur dem Regierenden Bürgermeister mitgeteilt. Bereits „nach 24 Stunden“ habe „die Vertraulichkeit Löcher“ bekommen. Manuskript der NDR-Rundfunk-Sendung „Auf ein Wort“ vom 19. 3. 1969 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O. 5).

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beiträgen unterstützen548. „Der Spiegel“ nahm die Verbalattacken des Springer-Verlags gegen Scharf wiederum zum Anlass, den Saller-Brief mit einem ironischen Artikel über den „Neu-Berliner, der sich selbst als ‚fromm‘ bezeichnet“, zu kommentieren549. Durch die causa Scharf verhärteten sich zum einen die Fronten im Berliner Kirchenstreit. Zum anderen erhielt die westdeutsche – inmitten des Bundestagswahlkampfes geführte – Diskussion um die Politisierung der Kirche weiter Nahrung. Per Kommuniqué empörte sich der Rat der EKD über die „in Presseberichten“ geäußerte „Polemik“ gegen seinen stellvertretenden Vorsitzenden550. Die EAiD verabschiedete auf ihrer Vertreterversammlung Mitte April eine Erklärung „Zur gegenwärtigen Lage in der Bundesrepublik“. Wieder war es der badische Landesverband, der sie einbrachte – die Sicht auf die Studentenproteste war nun aber weitaus skeptischer551. Beibehalten wurde dagegen die Kritik am „veralterten Zustand unserer Gesellschaft“. Man habe sich lange damit zufrieden gegeben, die Unruhe als „blossen Ausdruck einer verfehlten Hochschulreform“ zu betrachten. Die „Revolte“ habe mittlerweile auf die Schulen und „mannigfache andere Institutionen“ übergegriffen. Es sei „sicherlich keine Schwarzmalerei, den aggressiven Protest als eine Revolution neuen Typs“, als „Angriff auf die herrschenden Institutionen“ zu bezeichnen. Zur Debatte stehe das „‚System‘“, die „Demokratie schlechthin“. Selbst NS-Widerstandskämpfer würden als Faschisten denunziert. Der als „Kern“ nach außen in Erscheinung tretende Teil der Studentenbewegung habe die Zerschlagung von Demokratie und Justiz offen als Ziel proklamiert. „Fragwürdige Strafen“ weckten kein Unrechtsbewusstsein; „im Gegenteil“, auch „völlig Unbeteiligte“ hätten „zunehmend das Gefühl“, dass die Gerichte und die Legislative im Unrecht sind. Es herrsche „Unsicherheit über die Spielregeln unseres Staates“, 548 Brief Springers an Schelz vom 19. 3. 1969 (AS-UA BERLIN, NL Horst Mahnke, O. 5.); KRUIP, Welt, 237f.; und SCHWARZ, Axel Springer, 535. 549 Sowohl der Saller-Brief als auch der folgende Artikel erschienen in derselben Ausgabe, „Beten für den Bischof“. In: Der Spiegel, Nr. 17 vom 21. 4. 1969. Vgl. auch die Leserbriefe unter dem Titel „St. Springer“. In: Der Spiegel, Nr. 20 vom 12. 5. 1969, 15–18. Zu einer etwas anderen Sichtweise, HANNIG, Axel Springer, 208. 550 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1969], 69. Im Kirchlichen Jahrbuch ist von einer „interessenorientierte[n] Presse“ die Rede (EBD., 68). Die Kammer für soziale Ordnung der EKD arbeitete indes an der Fertigstellung ihrer Denkschrift über die „Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen“. Dazu unten Kap. 4. 1. 1. 551 Ein Göttinger Jurist warnte allerdings vor zuviel Konzilianz gegenüber der Studentenbewegung. Die „Gefahr unkritischer Selbstsicherheit“ impliziere, „Andersdenkende allzu leichten Herzens ziehen“ zu lassen. Karl Michaelis, Der Weg der Evangelischen Akademikerschaft. Zur Begründung der Notwendigkeit einer selbstkritischen Überprüfung, vom 28. 3. 1969 (EZA BERLIN, 87/817).

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also „über das, was erlaubt und was nicht erlaubt ist.“ Um „noch größeres Unheil“ zu vermeiden, forderte die EAiD vom Bundestag eine Novellierung des Demonstrationsrechts, v. a. der einschlägigen Tatbestände des Strafgesetzbuches von 1871 und einiger Vorschriften des Versammlungsgesetzes aus dem Jahr 1955. Der Gesetzgeber sollte auch eine Amnestie für alle im Zusammenhang mit Demonstrationen von Polizisten und Demonstranten begangenen Straftaten verhängen. Davon auszunehmen seien „Kapitalverbrechen“ wie Tötungsdelikte und Brandstiftungen. Angesichts der drohenden Prozesswelle sei nur so eine Überlastung der Gerichte zu verhindern552. Besonders große Sorgen bereitete der EAiD die Linkspolitisierung der ESG. „Westberliner Zustände“ waren im Bundesgebiet freilich nicht anzutreffen553. Ende Januar 1969 veranstaltete die Akademie Bad Boll eine Begegnung zwischen der Evangelischen Akademikerschaft und württembergischen Studentengemeinden. Akademieleiter Müller und Studentenpfarrer Wendland begrüßten zwar das gesellschaftspolitische Engagement, warnten aber vor der Identifikation „mit einer bestimmten Ideologie“554. Im Juli wandte sich Müller an den Generalsekretär der Gesamt-ESG. Angesichts der Umstrukturierungsmaßnahmen, die nach dem Trennungsbeschluss der ESGiD eingeleitet wurden, gewann Müller den Eindruck, radikale Gruppen beabsichtigten „eine Art Machtübernahme“ in der Stuttgarter Mercedesstrasse. Als ehemaliger Generalsekretär frage er sich, ob die ESG nicht in Gefahr sei, „in ähnlicher Weise einer

552 „Zur gegenwärtigen Lage in der Bundesrepublik“ (APO-Archiv BERLIN, 449–450). Vgl. NIEMEIER, Kirche [1969], 139–142. Im Herbst 1968 hatte die EAiD den Rat der EKD gebeten, ihre Vorschläge für eine Amnestie an die Bundesregierung weiterzuleiten. Der Rat beauftragte daraufhin die Kammer für öffentliche Ordnung, sich damit auseinanderzusetzen. Letztere teilte ihm im März mit, er solle das Ergebnis der Gesetzesnovellierung erst einmal abwarten. Ende November 1969 beschloss der Rat, Bundestag und Bundesregierung diskret mitzuteilen, dass die EKD eine Amnestie bejahe. Damit folgte er der Kammer. Deren Vorsitzender lehnte eine Amnestie jedoch ab: Raiser verwies auf „die Zahl der schlechthin anarchistischen und kriminellen Elemente unter denen, die innerhalb und außerhalb der Universitäten Zerstörungen angerichtet haben.“. Der SDS sei zwar gespalten, doch die Zeit für einen Schlussstrich sei noch nicht reif. Brief Raisers an Gollwitzer vom 16. 11. 1969 (EZA BERLIN, 686/816). Vgl. die Niederschriften über die Sitzung des Rates der EKD vom 29. bis 31. 11. 1968, am 13. / 14. 3. 1969 und am 27. / 28. 11. 1969 (EZA BERLIN, 2/1773); und Schreiben der Kirchenkanzlei der EKD an die Ratsmitglieder vom 21. 11. 1969 (EZA BERLIN, 2/17629). 553 Im Frühjahr 1969 ereignete sich an den Berliner Staatlichen Ingenieursakademien folgender Vorfall: Ein innerhalb der hießigen Studentengemeinde gebildeter „Streikrat“ nutzte die ESG-Räume regelmäßig für SDS-Zwecke. Der Studentenpfarrer, der sich dagegen widersetzte, wurde von der Gruppe schließlich „abgesetzt“, das Gemeindehaus „okkupiert“ (ELAB BERLIN, 37/205 u. 45/393). 554 epd-ZA, Nr. 28 vom 3. 2. 1969, 3.

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politischen Heilslehre zu erliegen, wie das im Jahr 1933 der Fall war“555. Zudem wurde bekannt, dass das Bundesinnenministerium die ESG zu den „wichtigsten Gruppen im Reservoir der radikalen Linken“ zählte: In einer Dokumentation über die Studentenproteste zog es den Schluss, die ESG nehme zwar in vielen grundlegenden Fragen „Abstand vom SDS“ und lehne dessen radikale Thesen und Methoden ab. Bei zahlreichen Gemeinden – genannt wurden Berlin, Frankfurt, Freiburg und Bonn – sei jedoch starke Verbundenheit mit den Thesen sozialrevolutionärer Gruppen festzustellen. Die ESG habe sich im Sinne des SDS geäußert, ohne aber „bedingungslos“ mit ihm zusammenzuarbeiten556. Die unterschiedlichen Radikalisierungsgrade einzelner Studentengemeinden manifestierten sich auch in der Vorbereitungsphase für den 14. DEKT in Stuttgart557. Da „Celle“ nahestehende Gruppen wie die ESG Bochum es ablehnten, am Kirchentag im Juli 1969 überhaupt teilzunehmen, blieb es den gemäßigten Studentengemeinden überlassen, „das, was sie in der Unruhe an der Universität in den letzten 1 ½ Jahren gelernt haben, in die Kirchen hineinzutragen.“558 Zu den befürchteten gewalttätigen Ausschreitungen sollte es auf dem mit Kontroversen geradezu überschütteten Kirchentag jedenfalls nicht kommen559. Hitzig geführte Debatten über die Entwicklungspolitik und provokante Aktionsformen, etwa Transparente mit der Aufschrift „Gott ist rot“, sorgten zusammen mit der Teilnahme der Bekenntnisbewegung im „Streit um Jesus“ für medialen Gesprächsstoff560. „Christ und Welt“ berichtete überwiegend negativ über Marx „am Neckar“561. Eberhard Stammler lobte hingegen

555 Brief Müller an Jürgen Hilke vom 11. 7. 1969 (EZA BERLIN, 36/2459). Zur Umstrukturierung, VOLONTIERI, Hahn, 56f. 556 Zit. n. epd-ZA, Nr. 156 vom 11. 7. 1969, 1. 557 Zur Gruppendynamik in der ESG als linksalternatives „Milieu“, WIDMANN, Linksprotestantismus, 223–227. 558 Vermerk Friedebert Lorenz’, Studienleiter im ständigen Kirchentagsbüro, Fulda, über ein Gespräch zwischen ESG-Vertretern, vornehmlich aus dem südwestdeutschen Raum, und den Kirchentagsorganisatoren am 9. 6. 1968 in Hirsau (EZA Berlin, 71/2822). Zum weiteren Engagement der „progressiven“ ESG Tübingen und ihrer „noch ‚unpolitische[n]‘“ Schwestergemeinde in Stuttgart, WIDMANN, Studentengemeinden. 559 „Diskussion und Demonstrationen“. Notizen von einer Studientagung der Evangelischen Akademie Bad Boll am 8. 11. 1968 (EZA BERLIN, 71/2822). 560 PRÄSIDIUM DES DEUTSCHEN EVANGELISCHEN KIRCHENTAGES, Kirchentag; „Freiheit genommen“. In: Der Spiegel, Nr. 30 vom 21. 7. 1969, 33. Die offiziellen Kirchentagsplakate mit dem Titel „Hungern nach Gerechtigkeit“ wurden über Nacht mit dem Aufkleber „Durst nach Revolution“ gewissermaßen „ergänzt“. 561 MARTIN, Marx. Den Organisatoren des Kirchentags wurde vorgeworfen, von der Lage in der Dritten Welt und der marxistischen Herausforderung keine Ahnung gehabt zu haben. An

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die gewaltlose Auseinandersetzung als „gutes Beispiel – ein Test, von dem die Öffentlichkeit eine Menge lernen“ könne562. Laut des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ seien Demonstranten bei ihrem Versuch, in den Stuttgarter Landtag einzudringen, nicht von der Polizei, sondern von Mitdemonstranten überzeugt worden, es sei besser „gewaltlos zu protestieren und aufzuklären als sich mit der Polizei zu prügeln.“563 Auf der Veranstaltung selbst wurde über „Macht und Gewalt“ debattiert564. Eine Vorlesungsreihe widmete sich dem Themenkreis „Recht, Gerechtigkeit und Gewalt“: Während Machovec als „Dialogiker“ über „Marxismus zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit“ referierte, unterstrich Tödt die „vernünftige Chance“ gewaltfreier Aktionen565. Deren Kriminalisierung durch das geltende Strafrecht wurde in der Nachberichterstattung zum Kirchentag ebenso problematisiert wie die polizeiliche Gewaltanwendung bei Demonstrationen566. Die Staatsanwältin Barbara JustDahlmann, Mitglied im badischen Landesverband der Evangelischen Akademiker, kritisierte, „die alten Maßstäbe für Recht und Gewalt“ seien „zweifelhaft“ geworden. Auch sie wisse „die perfekten Antworten zum Thema ‚Gerechtigkeit und Gewalt‘ nicht mehr so sicher wie vor zehn oder zwanzig Jahren“, so die Kritikerin der aus ihrer Sicht unzureichenden Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik567. Bereits 1961 hatte sie in der Evangelischen Akademie Loccum einen in Politik und EKD vielbeachteten – weil: kontroversen – Impuls gesetzt568. Die Diskussion um die Frage „Was ist Gewalt?“ bzw. „Was dürfen Demonstranten?“ gewann durch das „Laepple-Urteil“ des BGH anderer Stelle hieß es, den Kirchen sei „zweifellos mehr Verwirrung als Trost und Erbauung“ beschert worden (HAMPE, Technik). 562 STAMMLER, Insel. Vgl. dessen frühere Aussagen, oben 205. Ähnlich argumentierte Theodor Ebert vor dem 33. Bergedorfer Gesprächskreises, an dem auch Gollwitzer teilnahm. Die am 21. 7. 1969 veranstaltete Tagung diskutierte über „Gewalt und Aggression“, http://www.koerberstiftung.de/fileadmin/bg/PDFs/bnd_33_de.pdf [21. 4. 2012]. 563 GESCHKE, Tage. Anders als „Christ und Welt“ zeichnete das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ ein positives Gesamtbild. 564 PRÄSIDIUM DES DEUTSCHEN EVANGELISCHEN KIRCHENTAGES, Kirchentag, 714–772. 565 EBD., 820–869. In „Christ und Welt“ wurde die Reihe kritisch kommentiert: Solle „man die Berechtigung zum Widerstand messen an den zu erwarteten Opfern von Gewalt und Gegengewalt?“ Die Diskussion falle zurück auf Bonhoeffer und die Frage nach Schuld und Buße: Das Publikum sei „dieser christlichen Einsicht gegenüber hilflos“ gewesen (HAERLIN, Vorlesungsreihe). 566 Vgl. HARMS, Gesellschaft. 567 JUST-DAHLMANN, Glücksache. Als Beispiel nannte sie einen Tübinger Studenten, der wegen einer Ohrfeige an einem Polizisten zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde, während jener Rentner, der Dutschke in der Gedächtniskirche eine Platzwunde zugefügt hatte, nur eine geringe Geldstrafe entrichten musste. 568 Vgl. WEINKE, Gesellschaft, 40f.

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Anfang August weiter Nahrung. In der „Zeit“ war mit Blick auf die „so weite Formel für Gewalt“ vom „Fehlurteil“ die Rede. An anderer Stelle hieß es, eine Verkehrsblockade sei demnach „nicht nur eine strafbare Nötigung; sie ist auch ein ‚Exzeß‘, ein ‚Gewaltakt‘ und ‚Terror einer militanten Minderheit‘“. Sämtliche juristischen Bemühungen um einen „Interessenausgleich auf dem Boden des Grundgesetz“ würden durch das Urteil nun untergraben569. Auch die Evangelische Akademie Loccum geriet in die Schlagzeilen. Der Leiterkonvent hatte beschlossen, die Jugendbildungsarbeit zum Jahresende einzustellen. Akademieleiter Hans Bolewski erklärte, im letzten Jahr habe es sich abgezeichnet, dass die eigene Jugendbildungsarbeit „sich zunehmend von den Realitäten des politischen und betrieblichen Alltags löste und allzusehr vom Vokabular und Geist einer gewaltsamen Revolutionierung der Gesellschaft lebte.“ Der Konvent sehe in der Entscheidung die einzige Möglichkeit, eine bedeutsame Einrichtung der Akademie und damit diese selbst vor dem Verdacht und der Gefahr zu bewahren, als verstünde sie unter politischer Bildung einseitige und pauschale Gesellschaftskritik. Betriebliche Ausbildungsleiter, Gewerkschaftsvertreter und Jugendteilnehmer hätten „‚die einseitige Ausrichtung‘“ der Lehrgänge in jüngster Zeit kritisiert. In der „Zeit“ wurde vermutet, das Jugendbildungsteam sei den älteren Konventsmitgliedern ein Dorn im Auge gewesen. Der schwelende – Eingeweihte und die hannoversche Landeskirche seit langem beunruhigende – Streit sei nun „vehement“ nach außen gedrungen570. Auch deshalb erklärte der Rat am 25. September, kurz vor der Bundestagswahl: „Wir müssen uns hüten vor der Verführung durch radikale Parolen. Die uns angebotenen sozialrevolutionären Thesen lassen realistische Ziele vermissen. Wir brauchen entschlossene Reformen, aber eine klare Absage an revolutionäre Schwärmereien.“571

An den Evangelischen Akademien waren Veranstaltungen über „Marxismusinterpretation“, „Entwicklungspolitik“, „Lateinamerika“, „Theologie der Revolution“ bzw. „Christ und Revolution“ mittlerweile Gang und Gebe572. In der

569 Schmid, Demonstranten; Ders. Gewalt; und „Vorrang. Das Urteil im Fall Laepple“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „P. D.“]. In: DASBl, Nr. 33 vom 17. 8. 1969, 15. Zum Urteil, Offenloch, Erinnerung, 95–101. 570 Zit. n. epd-ZA, Nr. 191 vom 21. 8. 1969; WEINSHEIMER, Angst. 571 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1969], 102. Vgl. REITZ, Altar. 572 Anfang Februar 1969 veranstaltete die Evangelische Akademie Tutzing das Seminar „mao tse-tung. ho tschi minh. che guevara“ für Gymnasiasten. Im Programmheft hieß es dazu: „Revolutionsromantik bestimmt die Szene. Darum ist kritische Analyse notwendig. [. . .]. Man muß die Frage erlauben, ob [. . .] Gewalt wirklich therapeutische Wirkung hat.“ Für Ende November war

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Durchführung unterschieden sie sich allerdings vom Bildungsangebot der Gesamt-ESG573. Die Themenabende und Arbeitskreise einzelner Studentengemeinden standen wiederum auf einem anderen Blatt. Ein häufig behandelter Topos war „Jesus von Nazareth als Revolutionär“ und sein Verhältnis zu den Zeloten574. Ende 1969 trat der Erlanger Neutestamentler Martin Hengel daher auch dem Eindruck entgegen, als sei der historische Jesus ein Gewalt bejahender politischer Widerstandskämpfer gewesen575.

3.9 Zusammenfassung Der „2. Juni 1967“ wurde auch in den evangelischen Medien kontrovers diskutiert. Die von West-Berlin sich ausbreitende „Unruhe unter der Jugend“ versetzte dem westdeutschen Protestantismus einen weiteren Polarisierungsschub576. Der Tod ihres Mitglieds Benno Ohnesorg veranlasste die bis dato apolitisch geltende ESG zu Solidaritätsbekundungen mit der Studentenbewegung. Der Grundsatz eigener Überparteilichkeit wurde entsprechend der jeweiligen Politisierung einzelner Gemeinden unterschiedlich überdacht und neu definiert. Studentenpfarrer unterstrichen das Recht auf gewaltfreie Demonstrationen und stellten sich auf die Seite der Protestierenden. Politisch konservative Kirchenkreise beklagten hingegen die aus ihrer Sicht linksradikale Westberliner ESG. In den Vermittlungsbemühungen der um Deeskalation bemühten Kirchenleitung witterten sie Parteinahme zugunsten der Studenten. Der in der „Frontstadt“ schwelende Streit um die „Politische Diakonie“ eskalierte. Er griff über auf Westdeutschland und heizte die auch dort sich verschränkenden Debatten über das politische Mandat der Kirchen und die „Moderne Theologie“ weiter an. Beide verdichteten sich zu einer gesellschaftlichen Kontroverse über die Politisierung von Kirche und privatem Glauben. Rudi Dutschkes Kirchen- und Kanzelauftritte und die von Berlin aus Schule machenden Gottesdienststörungen hatten zur Folge, dass der mediale Konnex „Kirche und Studenten“ bzw. „Gewalt in der Kirche“ präsent blieb und weiter ein „Kritisches Seminar“ über „Martin Luther King oder Frantz Fanon?“ anberaumt (EZA BERLIN, 2/14876). 573 In der Reihe „Res Novae“ wurde 1969 z. B. ein Seminar „‚Über 50 Jahre Konterrevolution sind genug‘. Rosa Luxemburg und die Revolution 1918“ angeboten (LKA HANNOVER, 33a/290). 574 Programm der ESG Hannover zum Wintersemester 1969/1970 (LKA HANNOVER, 33a/ 165). 575 HENGEL, Jesus [1969]. Es folgten mehrmalig aufgelegte Buchpublikationen, DERS., Jesus [1970]; DERS., Gewalt. 576 Vgl. oben Kap. 2. 2. 2.

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polarisierte. Hehre (christliche) Motive wurden den Protestierenden kaum zugebilligt – am wenigsten von Seiten des Springer-Verlags. Den Studenten gegenüber wohl gesonnene Theologen widersprachen dem Eindruck wiederkehrender „Weimarer Zustände“ und warben für einen nüchternen Umgang mit den Provokationen der Jugend. Die Generation der ehemaligen „Kirchenkämpfer“ zog letztlich sehr unterschiedliche – gemessen an heutigen pluralistisch-demokratischen Standards auch fragwürdige – Konsequenzen aus den persönlichen Erfahrungen mit Gewalt, Krieg und Weltanschauung und deutete die Studentenbewegung ambivalent. Der eigene bzw. theologische Nachwuchs warf ihr pauschal vor, dem Nationalsozialismus politisch nicht widerstanden zu haben. Doch selbst jüngere Theologen rätselten über die Motive des in die Kirchen hineingetragenen Protests. Rudi Dutschkes öffentlich vieldiskutierte Religiosität entsprach dieser Dialektik antibürgerlicher Kritik an der Institution Kirche und ihren historischen Fehlentwicklungen. Seine Äußerungen dürften bei Theologiestudenten einen Identifikationsprozess eingeleitet haben. Danach war es durchaus möglich, Christ und Sozialist zu sein. Glaube und Theologie mussten lediglich im Sinne der „richtigen“ Gesellschaftsanalyse revolutioniert und transzendiert werden. Sahen nicht auch lateinamerikanische Revolutionstheologen in Gewalt aus Nächstenliebe eine christliche Option? Sozialismusaffine „Evangelen“ hatten in der „Bewegung“ einen dennoch schweren Stand. Diese Erfahrung machten auch die Westberliner Studentengemeinden. Angesichts der sich verschärfenden Gewaltrhetorik im SDS übte sich die ESG daher bundesweit in „Kritischer Solidarität“. Nach der Revolutionstagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll griffen allgemeine Medien das Schlagwort „Theologie der Revolution“ auf und übertrugen es auf die nun unter studentischen Vorzeichen geführte Debatte um den „Linksprotestantismus“. In evangelischen Medien wurde dagegen gehadert, die kirchliche Öffentlichkeit wäre auf die Studentenunruhen besser vorbereitet gewesen, hätte sie sich intensiver mit der Genfer Weltkonferenz 1966 und der dort angestoßenen ökumenischen Gewaltdebatte auseinander gesetzt. Während der Osterunruhen appellierten Kirchenführer, Studentenpfarrer und Universitätstheologen, weiterhin gewaltfrei zu demonstrieren. Der Protest gegen den Springer-Verlag wurde in der Sache zwar gutgeheißen. Die dabei symbolisch angewandte Gewalt gegen Sachen geriet jedoch ins Zwielicht und entzweite die unter Solidaritätszwang stehende Westberliner ESG. Obwohl es ihnen gelungen war, die Berliner Studenten von weiterer „Gegengewalt“ abzuhalten bzw. den Unmut über fragwürdige Polizeimethoden zu ventilieren, wurden Scharf und Gollwitzer öffentlich angefeindet. Letzterer kam in den Ruf eines geistigen Brandstifters. In der von ihm mitentfachten Debatte über

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Zusammenfassung

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die Legitimität von Gewalt gegen Sachen meldeten sich auch andere Theologen bundesweit zu Wort. Ernst Käsemann sah sich zur „politischen“ Stellungnahme genötigt, um gegen die Wiederkehr einer obrigkeitsstaatlichen Politik von „Ruhe und Ordnung“ öffentlich zu protestieren. Mit Kritik an der „publizistischen“ Gewalt des Hauses Springer erregte auch die Evangelische Akademikerschaft großes Aufsehen. Axel Springer forderte wiederum eine strikte Trennung von Politik und Kirche. Sein Verhältnis zur eigenen Landeskirche und zur EKD wurde nachhaltig gestört. Der gläubige Protestant zog private wie auch berufliche Konsequenzen, die sich in der Religionsberichterstattung seines Medienkonzerns künftig widerspiegeln sollten. Die Stellungnahmen aus dem Raum der evangelischen Kirchen ließen insgesamt erkennen, dass man die Studentenproteste auch nach den Osterunruhen für gerechtfertigt hielt. Das Thema „Gegengewalt“ wurde in den evangelischen Medien sowohl generationen- als auch bekenntnisübergreifend kontrovers diskutiert, etwa in der „Jungen Kirche“ oder der „Stimme der Gemeinde“. Kirchliche Äußerungen deuteten den jugendlichen Protest als „heilsame Unruhe“ zugunsten gesellschaftlicher wie auch kirchlicher Reformen. Das Phänomen einer „Theologie der Revolution“ wurde diesbezüglich durchaus positiv gewürdigt. Die unter Theologiestudenten kursierende Forderung, das „Establishment“ abzuschaffen, weckte allerdings dunkle Erinnerungen an die früheren Polemiken gegen das Weimarer „System“ und nährte Zweifel am Demokratieund Toleranzverständnis der evangelischen Jugend. Die Bischofskonferenz der VELKD lehnte die Utopie einer perfekten Gesellschaftsordnung daher nicht nur aus theologischen Gründen ab. In diesem Kontext forderte Helmut Schmidt auch ältere Theologen dazu auf, die Zwei-Reiche-Lehre einzuhalten. Als Synodaler erinnerte er an die unterschiedlichen Kompetenzen von Politikern und Theologen. Der Rat der EKD sprach sich wiederum dafür aus, die Hintergründe der Studentenunruhen genauer zu untersuchen, um die eigentlichen Ursachen der Infragestellung gesellschaftlicher Normen und Autoritäten zu bestimmen. Dem traditionell gegen den deutschen Protestantismus ins Feld geführten Vorwurf bedingungsloser Obrigkeitstreue und Staatsfixiertheit begegnete er mit einer um Differenzierung bemühten Stellungnahme zu den Osterunruhen. Der Rat bejahte das rechtsstaatlich gezähmte Gewaltmonopol und koppelte es an die Notwendigkeit seiner demokratischen Legitimierung. Im Sinne der Rechtsbewahrung plädierte er für eine Neufassung des Demonstrationsrechts. Der als Kritiker einer – die Entkirchlichung seiner Ansicht nach nur beschleunigenden – Politisierung von Kirche und ESG bekannte hamburgische Landesbischof wirkte als Impulsgeber. Nicht nur in den Auseinandersetzungen um Wölbers „Hirtenwort“ wurde deutlich, dass kirchliche Stellungnahmen schon wegen ihrer paternalistischen Aufmachung von studentischer

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Seite vorverurteilt wurden. Auch im Umgang mit der „eignen“ (evangelischen) Jugend wuchs folglich die Unsicherheit. Aus Sicht der Studentenbewegung handelte es sich bei den (kirchlichen) Nachrufen zum Tod Martin Luther Kings um Gewaltlosigkeit heuchelnde Maßnahmen des „Establishments“. Da sich der SDS mit „Black Power“ identifizierte, versuchten „Linksprotestanten“ wie Hans-Eckehard Bahr, über Kings militante Gewaltfreiheit aufzuklären. Sein Assistent warf den Medien vor, King als „Apostel der Gewaltlosigkeit“ wieder entdeckt zu haben, nachdem sie ihn zuvor noch als kommunistischen „Apostel der Gewalt“ diffamiert hatten. Benedict selbst bezweifelte jedoch die Durchsetzungschancen gewaltfreier Revolutionen in der Dritten Welt. So argumentierten auch die Anhänger des christlich-marxistischen Dialogs. Weltanschauliche, anthropologische und ethische (Grund)Differenzen wurden dabei, wenn nicht tabuisiert, so zumindest formalisiert. Die „Theologie der Revolution“ und der gewaltlose tschechoslowakische Widerstand gegen den „Panzersozialismus“ suggerierten die beiderseitige Annäherung auf sozialethischem Terrain. Der akademische Dialog wich dem formalisierend wirkenden Ruf nach gemeinsamer Aktion. Die Konjunktur revolutionärer Schriften à la Che Guevara ergriff evangelische Verlage und eroberte den sich herausbildenden politischen Büchermarkt. Romantisch verklärende Belletristik über den mit „Gewehr und Soutane“ geführten Guerilla-Kampf fesselte „Evangelen“ und „Linkskatholiken“ gleichermaßen. Man verstand sich als Teil einer globalen Bewegung. Die Politisierung überwand somit auch konfessionelle Barrieren. Die wissenschaftliche Diskussion über das Phänomen „Theologie der Revolution“ neigte vor dem Hintergrund der studentischen Radikalisierung ihrem Ende zu. Teil der Bilanz war die aporetische Feststellung, dass bewaffnete revolutionäre Gewalt als individuelle ultima ratio nicht verurteilt werden dürfe. Projektionsfläche dieser Überlegungen war nicht die Erste, sondern Dritte Welt. Erleichtert nahmen deutsche Kirchenvertreter zur Kenntnis, dass das 1966 aufgeschlagene Kapitel einer ökumenischen „Theologie der Revolution“ zumindest in seinen geschichtstheologischen Bezügen in Uppsala zu Grabe getragen wurde. Die ökumenische Vollversammlung räumte gewaltlosen Revolutionen oberste Priorität ein. In der massenmedialen Berichterstattung blieb dieser Aspekt jedoch unterbelichtet. Im Vordergrund standen die aufbegehrende Jugend und der überwiegend negativ kommentierte Auftritt des ÖRK als weltpolitischer Akteur. Auch die deutschen Kirchen wurden als „revolutionär“ dargestellt. „Theologie der Revolution“ war in aller Munde. Helmut Gollwitzer rückte das vermeintlich zu Grabe getragene Phänomen schließlich wieder in den Mittelpunkt und warb vor der Synode der EKD für die theologische Legitimität einer revolutio iusta. Die in Uppsala erörterte Frage nach der politi-

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schen Verantwortung der Kirchen wurde mit Blick auf die „Volkskirche“ weiter verhandelt und endete in einer generationsübergreifenden Kontroverse über „falsche“ und „richtige“ Politisierungen. Die Zerfallserscheinungen innerhalb der Studentenbewegung führten auch unter linkspolitisierten Theologiestudenten zur Bildung kurzlebiger Kleingruppen. Sie einte die Kritik an der verfassten Kirche. Die „Theologie der Revolution“ wurde selbst „links“ überholt. In der EKD wuchs der Unmut über das mediale Erscheinungsbild von Kirche und Theologie. Der Rat der EKD reagierte sichtbar nervös und kritisierte die „von einigen Gruppen vertretene und zum Teil mit großem publizistischen Aufwand betriebene sozialrevolutionäre Umdeutung“ des Evangeliums. Wer damit konkret gemeint war, blieb offen: die Celler Konferenzen, die selbst von einem älteren bürgerlichen Publikum besuchten Politischen Nachtgebete oder die in einem Springer-Organ veröffentlichte Serie über „Rebellen im Namen Christi“? Um der antikirchlichen Polemik an den Universitäten und der konservativen Kritik an einer allzu politisch gewordenen Kirche nicht weitere Munition zu liefern, blieb das lange vorbereitete Wort der EKD zu den Studentenunruhen in der Schublade. Aus Sorge über die Entwicklungen innerhalb der ESG meldete sich vielmehr die Evangelische Akademikerschaft zu Wort. Ihre Stellungnahme zur Gewaltfrage in der Bundesrepublik sollte den Studentengemeinden helfen, den richtigen Weg zu finden. Doch selbst in der Akademikerschaft gab es mittlerweile erhebliche Zweifel an den gesetzlichen Maßstäben für Recht und Gewalt. Die mediale Berichterstattung über den – bis 1973 vorerst letzten – DEKT brachte die Polarisierung im westdeutschen Protestantismus schließlich klar zum Ausdruck. Der Streit über die gesellschaftspolitische Verantwortung der Kirche ging weiter.

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4. Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973) Mit dem Zerfall der Studentenbewegung hielt der Linksterrorismus Einzug in die Bundesrepublik. Inmitten der Debatte über eine globale Zunahme terroristischer Gewalt beschloss der Weltkirchenrat, die vom Kalten Krieg überlagerten Befreiungskämpfe in der Dritten Welt finanziell zu unterstützen. Aufgrund der Querelen um eine „Theologie der Revolution“ waren Kontroversen bereits vorprogrammiert, sowohl in West- als auch Ostdeutschland (Kap. 4.1). Evangelische Christen und Theologen gerieten zudem öffentlich in den Verdacht, mit der Roten Armee Fraktion (RAF) zu „sympathisieren“ (Kap. 4.2 u. 4.3). Während die evangelischen Kirchen in anderen Teilen Europas und der Welt die Gewaltfrage im Streit um das ökumenische ARP unbefangener diskutierten, ging es im deutschen Protestantismus um die „Lehren“ aus der NS-Zeit. So bezweifelten kirchliche Dritte-Welt-Gruppen die auf Gewaltfreiheit und Aussöhnung abzielende Strategie der EKD zur Überwindung der Apartheid (Kap. 4.4). Um einer kruden Gleichsetzung der südafrikanischen Freiheitskämpfe mit dem westdeutschen Linksterrorismus zu wehren und die Polarisierung in den eigenen Reihen zu lockern, veröffentlichte die EKD eine Thesenreihe, die die protestantische Gewaltdebatte einer Art Zwischenbilanz unterzog und dabei Orientierungshilfen für die aktuelle gesellschaftliche Diskussion anbot (Kap. 4.5).

4.1 „Volkskirche“ im Streit um das ökumenische „Antirassismusprogramm“ 4.1.1 Hintergründe Am 2. September 1970 beschloss das ÖRK-Exekutivkomitee in Arnoldshain, als Teil des in Uppsala initiierten und 1969 in seinen Grundzügen vom Zentralausschuss einstimmig gebilligten „Programme to combat Racism“ (PCR), im Deutschen besser bekannt als ARP, besonders afrikanische Befreiungsbewegungen mit einem Sonderfonds finanziell zu unterstützen. Der zunächst bewil-

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„Volkskirche“ im Streit um das ökumenische „Antirassismusprogramm“

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ligte – eher symbolisch gemeinte – Betrag in Höhe von 120.000 US-Dollar wurde aus ÖRK-Reserven aufgebracht1. Unter den Empfängern befanden sich Organisationen, die Gewalt als Mittel zur Herbeiführung einer gerechteren Gesellschaftsordnung einkalkulierten. Vor der Arnoldshainer Tagung hatten sie versichert, die Gelder würden nicht für militärische Zwecke verwendet. Deshalb billigte das Exekutivkomitee die von einem Beraterausschuss – ohne deutsche Beteiligung – erarbeiteten Vergabekriterien: „Die Zuwendungen sollen nicht so sehr zur Unterstützung von Wohlfahrtseinrichtungen, die die Folgen des Rassismus zu mildern suchen [. . .], als vielmehr für Organisationen zur Bekämpfung des Rassismus eingesetzt werden. [. . .] Die Zuwendungen sollen mit Vorrang zur Bewußtseinsbildung und zur Stärkung der organisatorischen Fähigkeiten rassisch unterdrückter Völker dienen. [. . .] Diese Zuwendungen sind an keinerlei Kontrolle über den Verwendungszweck gebunden; gleichzeitig jedoch verpflichten sie das Programm zur Bekämpfung des Rassismus auf den Kampf dieser Organisationen für wirtschaftliche, soziale und politische Gerechtigkeit.“2

Richard von Weizsäcker und weitere Mitglieder des Exekutivkomitees beteiligten sich nicht an der Abstimmung. Der Kirchentagspräsident erachtete die in Arnoldshain vorgelegten Unterlagen, insbesondere über Charakter und Ziele der Empfängerorganisationen, für nicht ausreichend3. Der Beschluss und der Umstand, dass die EKD und die Landeskirchen über ihre Mitgliedsbeiträge an den ÖRK mittelbar an der Unterstützung gewaltbereiter politischer Organisationen beteiligt waren, führte in der westdeutschen Öffentlichkeit zu großer Bestürzung. Klaus-Martin Beckmann, nun Mitarbeiter des 1969 gegründeten Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, beschrieb die Lage: „Die Telefone der entsprechenden kirchlichen Institutionen, der Kirchenleitungen, der Kanzleien, des Kirchlichen Außenamtes und ähnlicher Einrichtungen standen nach den ersten Pressemeldungen nicht mehr still. Die Fragen waren: ‚Werden wir nun durch unsere Kirchensteuer Waffenkäufe der Organisationen finanzieren, die gegen unsere eigenen Entwicklungshelfer, Monteure, Ingenieure, etwa am CaboraBassa-Staudamm, antreten?‘ ‚Finanziert die Kirche heute gewalttätige Organisationen?‘‚Ist es nicht besser, aus der Kirche auszutreten?‘“4.

1 Das gesamte ARP war ein sehr kleiner Finanzposten: Von 1970 bis 1978 betrug er drei Millionen US-Dollar, LEFEVER, Weltkirchenrat, 79. 2 Zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 53f. Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]; EpdD, Nr. 40/1970, 2–6. 3 „Politik ohne Dogmen“. In: EvKo 3 (1970), 89–92, 92. 4 BECKMANN, Rassenfrage, 9.

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Der Beschluss löste auch in Westeuropa und in den USA kontroverse Diskussionen aus5. In Südafrika wurde er scharf kritisiert6. Durch das einzigartige Kirchensteuersystem und die aktuelle Terrorismus-Debatte erfuhr die westdeutsche „Antirassismusdebatte“ eine besondere Brisanz. Die Diskussion um die Grundlagen und Grenzen kirchlichen Handelns ging weiter. Im Februar 1970 erschien die lange erwartete EKD-Denkschrift über Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen. Sie mahnte an, die gesellschaftliche und politische Mitverantwortung des einzelnen Christen von derjenigen der Kirche zu unterscheiden. Der Unterschied sei „aber keinesfalls derart“, dass sie es „ausschließlich ihren Gliedern überlassen dürfte, zu gesellschaftlichen und politischen Fragen Stellung zu beziehen.“7 Die entwicklungspolitische Verantwortung der Kirchen wurde nach dem Stuttgarter Kirchentag 1969 intensiv diskutiert. ESG, AGEJD und „kirchliche“ Dritte-Welt-Gruppen forderten die EKD mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, etwa „Hungermärschen“, dazu auf, sich für eine Reform der staatlichen Entwicklungshilfe einzusetzen. Der Kirchliche Entwicklungsdienst sollte ebenfalls im sozialistischen Sinne reformiert und ausgeweitet werden. Konstruktiv argumentierende Kräfte gaben dabei den Ton an. Radikale, rein negativ argumentierende Gruppen waren in der Minderheit8. Innerkirchlich wie auch außerhalb entstand ein bisweilen gegenteiliger Eindruck. In der Berichterstattung über den DEKT wurde suggeriert, die radikale Jugend habe das Heft in die Hand genommen. Das Ergebnis war ein „fatales Bild der Konfusion im deutschen Protestantismus“9. 5 RICHTER, Protestantismus, 427–433. Zur Diskussion in der Schweiz, VISCHER, Kirchengeschichte, 298. 6 In den öffentlichen Stellungnahmen „schwarzer“ Kirchen wurde er – allerdings auch aus Sorge vor Repressalien seitens des Apartheidsregimes – indirekt kritisiert als verhängnisvolle Ermunterung zu Gewalt. Selbst die Protestbriefe farbiger Kirchenführer wurden vom Genfer Stab zurückgewiesen, RICHTER, Protestantismus, 430. Hierzu wie zur Haltung der „weißen“ Kirchen ausführlich, WEISSE, Südafrika. Als einzige südafrikanische Organisation erhielt der im Exil operierende Restbestand des moderaten African National Congress (ANC) Mittel aus dem Sonderfonds. Nach dem Massaker von Sharpeville 1960 und dem Verbot der Organisation war die gesamte Führung verhaftet worden. Der Aufbau einer Untergrundorganisation scheiterte, HERMANN, Apartheid, 278–280. Vgl. oben 74 [Anm. 219]. 7 AUFGABEN UND GRENZEN, 63. 8 HEIN, Westdeutschen, 144–147. Seit 1970 gab es an der kirchlichen Basis vermehrt Initiativen zur Gründung von Solidaritäts- und Aktionsgruppen, SPLIESGART, Theologie, 193; RÜTHER, Caritas. Zur Entstehungsgeschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, BALSEN / RÖSSELL, Solidarität; SEIBERT, Proteste; und OLEJNICZAK, Dritte-Welt-Bewegung. 9 WOLF, Echo. Der Bevollmächtigte des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung klagte, es sei in Stuttgart „zum Verzagen“ gewesen: „Erstaunlich war nicht, was die Jugend fragte, sondern das, was sie nicht wissen wollte.“ Über die Folgen einer Totalumwälzung für die Ernäh-

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Für weitere „publizistische Unruhe“ sorgten um die Jahreswende 1969/ 1970 Berichte über zunehmende Kirchenaustritts- und schwindende Gottesdienstbesucherzahlen. Dazu bemerkte die erste empirische Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD: „Die konservative Presse sah in der überraschenden Entwicklung eine Quittung für zersetzende Wirkungen der ‚modernen Theologie‘ und für das politische Engagement der Kirche. [. . .] Freilich erwies sich alsbald die Unsicherheit über die Zahlen und erst recht über die Motive der Austretenden als Handicap.“10

Die höchsten Austrittsquoten wurden in den Großstädten Hamburg und West-Berlin verzeichnet. Den einen war die Kirche zu modern, den anderen zu konservativ. Heftige Kontroversen löste Kurt Scharfs Neujahrspredigt aus, in der er die Zahlen als kirchliche Gesundschrumpfung interpretierte, um auf die vielschichtigen Motive aufmerksam zu machen. Die Springer-Medien berichteten empört. Dass auch Jüngere der Kirche den Rücken kehrten, berührte die Kritiker der „‚rote[n] Kirche‘“ in West-Berlin nur am Rande11. Unterstützung erhielten sie von Scharfs Hamburger Bischofskollegen. Wölber monierte, die religiösen Impulse der Kirche blieben „heute hinter ihrer sozialen und sozialpolitischen Aktivität zurück.“ Angesichts der Diskussion um die Erhebung eines Konjunktur-Zuschlags zur Lohnsteuer forderte er eine Senkung der Kirchensteuer12. Da die Kirchensteuereinnahmen Rekordhöhe erreicht hatten, wurden auch pekuniäre Motive als Austrittsgrund in Betracht gezogen. „Der Spiegel“ berichtete ausgiebig über das Verhältnis „Immer voller werdende Kassen – immer leerer werdende Kirchen“. Hermann Dietzfelbinger widersprach im Interview als EKD-Ratsvorsitzender dem „Skandalgeruch“ kirchlicher Verschwendungssucht. Die Mehreinnahmen entsprächen der Ausdehnung kirchlichen Engagements auf verschiedenen Gebieten, „neuerdings vor allem in der Entwicklungshilfe.“ Entscheidend sei die individuelle Einstellung zu den kirchlichen Aufgaben: „Bejahe ich sie, dann werde ich auch für das Geld der Kirche offenere Hände und Sinne haben, bejahe ich sie nicht, kommt auch das Geld in ein anderes Licht.“ Unabhängig davon müsse über-

rungssituation mache sie sich keine Gedanken: „daß den Menschen auch noch das Stück Brot genommen“ werde, „das sie jetzt noch haben.“ Brief Hermann Kunsts an den Göttinger Juristen Karl Michaelis vom 1. 9. 1969 (EZA BERLIN, 1.97/817). 10 HILD, Kirche, 8f. Vgl. POLLACK, Rückkehr, 128 u. 134. 11 SEE, Kirche; NELLESSEN, Mär. 12 Zit. n. GUNDLACH, Seelsorge. Dazu HILD, Kirche, 9f. Zu Wölbers Kampf gegen eine kirchliche Politisierung und die Verbitterung, welche die persönlichen Anfeindungen seitens der Studentenbewegung in ihm bewirkten, weiter oben, insbesondere die Kap. 3.6, 3. 8. 2 u. 3. 8. 3.

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prüft werden, ob sie dem Auftrag der Kirche entsprechen13. Nach dem Ende des Biafra-Konflikts Anfang 1970 gerieten sogar die humanitären Hilfsmaßnahmen der Kirchen in den Verdacht, den Bürgerkrieg verlängert zu haben. Mit diesem Argument lehnte die siegreiche nigerianische Regierung das Angebot kirchlicher Hilfswerke ab, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Über die Rechtmäßigkeit der Luftbrücke diskutierte die EKD-Synode auf ihrer Stuttgarter Tagung. Befürworter wie Theodor Schober, Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, erklärten, wegen der Hungerkatastrophe sei es unumgänglich gewesen, schmutzige Hände zu riskieren. Dem ÖRK warf er hingegen Untätigkeit vor14. Weiterer Hintergrund der westdeutschen Auseinandersetzung um den Arnoldshainer Beschluss war die Terrorismusdebatte. Nach dem Vorbild der uruguayischen „Stadtguerilla“ verübte die Gruppierung „Tupamaros“ zwischen Herbst 1969 und Sommer 1970 Brand- und Sprengstoffanschläge gegen Justiz, Polizei, Kaufhäuser sowie amerikanische und jüdische Einrichtungen. West-Berlin, aber auch München waren die Tatorte. Die Gruppe wurde in Windeseile bundesweit bekannt. Die seit dem Zerfall der Studentenbewegung und dem Beginn des sozialliberalen Reformprojekts sich perspektivlos fühlende Neue Linke sah in ihr eine Art „Robin-Hood-Gruppe“15. Nach außen demonstrierte sie Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, etwa der Befreiungsfront von Mozambique (FreLiMo). Letztere wurde vom Sonderfonds des ARP unterstützt16. Die Anschläge wurden mit der konservativen Kritik an Scharfs „roter Kirche“ in Verbindung gebracht. Angesichts des durch die Studentenproteste mitentfachten Streits um die Politische Diakonie klagte der Journalist Matthias Walden, ein Gegner der Neuen Ostpolitik, Anfang 1970:

13

„‚Mit der Kirchensteuer am kritischen Punkt‘“. In: Der Spiegel, Nr. 13 vom 24. 3. 1969, 52. Vgl. „Unbeteiligte Dritte“. In: Der Spiegel, Nr. 49 vom 12. 12. 1969, 52–65, 52; „Auf Wunsch würdig“. In: Der Spiegel, Nr. 46 vom 10. 11. 1969, 107–109. Zu den Hintergründen der „dagobertinische[n] Phase“ seit 1961, (HAUSCHILD, Kirche [2007], 64f.). 14 epd-ZA, Nr. 91 vom 11. 5. 1970, 3. Zu einer anderen Sichtweise, JANOWSKI, Solidarität. 15 KRAUSHAAR, Subkultur, 267–269; DERS., Bombe; und STURM, Tupamaros. 16 Anfang 1969 wurde der FreLiMo-Gründer Eduardo Mondlane bei einem Bombenanschlag getötet. Über den Teilnehmer der Weltkonferenz 1966 wurde auch in den evangelischen Medien berichtet, denn er galt als moderater Wandler „zwischen den Fronten“ (GERMANI, Mord). In der westdeutschen Debatte um „Arnoldshain“ galt er nun als politischer Führer, der „lange“ versuchte, „ohne Gewaltanwendung auszukommen, bis er zur Verzweiflung getrieben sagen musste, es geht nicht mehr“, so das Votum einer württembergischen Synodalen, die die Speisung des Sonderfonds mit Kirchensteuergeldern durchaus kritisch betrachtete (VERHANDLUNGEN DER 7. EVANGELISCHEN LANDESSYNODE, Protokollband III, 1266). Zu Mondlane, vgl. oben Kap. 2. 4. 2.

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„Ein schwächliches Wort gegen die Gewalt wurde gesprochen. Es ließ die Peinlichkeit des Schweigens, das ihm vorangegangen war, mehr erkennen als vergessen. Erst als die Saat der Gewalt, über die lange eine schützende Hand gehalten worden war, Sprengbomben getrieben hatte, zog sich diese Hand – nicht ohne Verlegenheit – zurück!“

Die Kirchenaustrittszahlen standen im Mittelpunkt des Artikels17. In der „Zeit“ wurde „Terrorismus“ auf eine säkularisierungsbedingte „schwindende Verbindlichkeit“ des Christentums in der westlichen Welt zurückgeführt18. Während hier ein „Mangel an moralischem Engagement“ als Ursache des „wachsenden Aggressionsbedürfnisses“ ausgemacht wurde, rückten linksliberale Medien vielmehr das Gegenteil in den Vordergrund: Anlässlich der Entführung und Ermordung von (deutschen) Diplomaten gewann der „revolutionäre“ Kampf, den lateinamerikanische Geistlicher gegen soziales Elend führten, weitere Publizität. Wenige Tage vor dem Arnoldshainer Beschluss startete „Der Spiegel“ seine Lateinamerika-Serie mit dem Titel „Da hilft nur noch Gewalt“. Kurz darauf erschien in der „Stern“-Serie „Südamerika vor der Sintflut“ der Artikel „Schießen kann christlich sein“19. Einen Monat nach der blutigen Befreiung Andreas Baaders wandte sich die im Aufbau befindliche (spätere) RAF erstmals an die Öffentlichkeit. Die zur militärischen Ausbildung in den Nahen Osten abgetauchte Gruppe um Baader, Ensslin, Mahler und Meinhof kündigte weitere Gewalt in der Bundesrepublik an. Dem Staat und seinen Repräsentanten erklärten sie offen den Krieg. Auf einem dem „Spiegel“ übergebenen Tonband stellte Ulrike Meinhof klar: „Natürlich kann geschossen werden.“20 Auch als Reaktion auf die rapide Zunahme linksextremistischer Gewalttaten rüstete die Westberliner Polizei auf. Helmut Gollwitzer protestierte gegen die Verabschiedung des sogenannten Handgranatengesetzes. Entsprechend der damals verbreiteten „linken“ Hysterie fürchtete er ein „Abgleiten des Rechtsstaates in den Polizeistaat“. Aus verständlicher „Verzweiflung“ über die „Gewalt in unserer Gesellschaft“, so Gollwitzer im SFB, neige selbst die studentische Opposition nun zu Gewalt. Wer aber „an Molotov-Cocktails bastelt, und Häftlinge mit Beretta-Schüssen 17 Walden, Matthias: Nicht: Tretet aus! Sondern: Tretet an! In: Welt am Sonntag, Nr. 1 vom 4. 1. 1970, zit. n. EpdD, Nr. 1/1970, 1–2, 1, dort im Abdruck. 18 DÖNHNOFF, Geißel. 19 GRUBE, Bombe; „Der Mord an Graf Spreti. Terror gegen Terror“. In: Der Spiegel, Nr. 13 vom 16. 4. 1970, Titelblatt; „Tupamaros und Guerillas. ‚Da hilft nur noch Gewalt‘“. In: Der Spiegel, Nr. 36 vom 31. 8. 1970, Titelblatt; „Guerillas im Cockpit“, Nr. 38 vom 14. 9. 1970, Titelblatt; und JAENICKE, Schießen. 20 „Und natürlich kann geschossen werden“. In: Der Spiegel, Nr. 25 vom 15. 6. 1970, 74f. Zur Deutung, MUSOLFF, Terrorismus.

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befreit“, dürfe sich „nicht wundern, wenn ebensolche Gewalt auf ihn zurückschlägt.“21 Die „Tupamaros“ bekamen die intensivierten staatlichen Fahndungsaktivitäten schon bald zu Spüren. Dieter Kunzelmann, der führende Kopf, wurde im Juli verhaftet. Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik verübte die RAF ab Ende September erste Banküberfälle, um den bewaffneten Kampf finanzieren zu können. In der Öffentlichkeit machte sie als „Mahlergruppe“ bzw. „Baader-Meinhof-Gruppe“ oder „-Bande“ von sich reden. Auch die frühe RAF strahlte den „Robin-Hood“-Effekt aus. Der diskursive Ausschluss der „Gruppe“ war im liberalen Spektrum noch „längst keine ausgemachte Sache“; die Grenze zwischen studentischer „Spassguerilla“ und Terrorismus war fließend22. Wegen ihrer Sozialarbeit für „Heimzöglinge“ wurde den Mitgliedern hehre Motive unterstellt23. In evangelischen Medien blieb dieser Aspekt zunächst noch außen vor. Über die im Sommer 1970 allgegenwärtige Assoziationskette „Gewalt – Revolution – Terror – Anarchie“ gibt auch Jürgen Moltmanns Hauptreferat vor der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Nairobi Auskunft. Darin revidierte er seine 1968 aufgestellte These, die Gewaltfrage sei nur ein „Scheinproblem“: „Veränderung ohne Versöhnung führt zum Terrorismus. Das sollten die Revolutionäre heute erkennen. Denn erst mit der Versöhnung wird der Zwang der bösen Tat, die fortzeugend Böses muß gebären, gebrochen. [. . .] Zwar kann es sein, dass auch Christen [. . .] verzweifeln und die Zuflucht zur Gewalt als letzten Ausweg akzeptieren. Aber sie können die Gewaltanwendung nicht rechtfertigen.“24

4.1.2 Die Gewaltfrage im Konflikt um den Arnoldshainer Beschluss Das Thema „Kirche und revolutionäre Gewalt“ dominierte rund zehn Wochen lang die massenmediale Medienberichterstattung über den Bereich Theologie und Kirche. In Christel Meyers-Herwartz’ Studie über die erste Phase der west21 Gollwitzers Ausführungen und seine Kritik am gewaltsamen Vorgehen der Westberliner Polizei gegen Demonstranten wurden von Polizeipräsident Klaus Hübner heftig kritisiert. Es folgte ein regelrechter Schlagabtausch in der Zeitschrift „Neue Politik“. Er blieb nicht der letzte, GOLLWITZER, Anfängen, 4; JK 31 (1970), 425–426. Vgl. Neue Politik 15 (1970), H. 27, 2. Zum „Handgranatengesetz“, ENGERT, Polizei. 22 BALZ, Sympathisanten-Diskurs, 323. Vgl. WALTHER, Weg; HAKEMI, Manifest. 23 Der Leiter des Diakonischen Werkes in Frankfurt zeigte sich von Gudrun Ensslin sehr angetan: „Sie suchte das Gespräch. Wenn eine Begnadigung erfolgt wäre“, hätte er sie „durchaus bei der Evangelischen Kirche angestellt, [. . .] als Sozialarbeiterin.“ (zit. n. AUST, Baader-MeinhofKomplex, 87). Zu Meinhofs Filmprojekt „Bambule“, EBD., 100–108. 24 EpdD, Nr. 34/1970, 8. Vgl. HONECKER, Beitrag, 58 u. 94f. Vgl. oben 243.

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deutschen Auseinandersetzung um das ARP heißt es, der „Bezug zu gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen zur Herstellung größerer Öffentlichkeit brauchte nicht durch die Presse“ oder ähnliches hergestellt werden. Er sei in der dem ARP „mitgegebenen Situationsdefinition (Gewalt, Krise des kirchlichen Mitglieder- und Finanzbestandes, Identifizierbarkeit und Legitimation kirchlicher Handlungen)“ bereits enthalten gewesen25. Auffälligstes Merkmal des Streitverlaufs war die „Problemverschiebung“ von „Rassismus“ auf „Gewalt“26. Laut Meyers-Herwartz habe der Protestbrief des EKD-Ratsvorsitzenden an ÖRK-Generalsekretär Eduard C. Blake Mitte September 1970 eine mediale Konzentration auf das Thema „Revolutionäre Gewalt“ verursacht. Der Protest der südafrikanischen Regierung, der ÖRK fördere kommunistische Organisationen und „terroristische“ Gewalt, sei in den Medien nur wenig beachtet worden27. Dietzfelbinger verwies auf den Protest „nicht weniger“ Kirchenmitglieder, „Revolutionsregierungen“ mit Kirchensteuergeldern zu unterstützen. Bei einigen unterstützten Organisationen sei fraglich, ob die „Zweckbestimmung“ des kirchlichen Dienstes, „gewaltlose Maßnahmen zu fördern“, eingehalten werde. „Manche Glieder der Kirche“, insbesondere Kenner der Verhältnisse in der Dritten Welt, überlegten sich daher, ob sie weiter der Kirche angehören wollen. Wenige Tage später erklärte die Kirchenkanzlei der EKD, Vergleiche mit Biafra seien „abwegig“; schon wegen der Zweckkontrolle der verwendeten Hilfsgüter. In „jedem Einzelfall“ müsse geprüft werden, ob die Kirchen gewaltbereite Bewegungen unterstützen können, so berechtigt deren revolutionäre Ziele auch erscheinen mögen28. Dietzfelbingers Brief wurde in „allen Presseorganen“ vorgestellt und kommentiert. Der Briefinhalt setzte den Rahmen für die weitere mediale Thematisierung des ARP29. Der von Karl-Alfred Odin verfasste erste große FAZ-Artikel trug etwa die Überschrift „Kein deutsches Kirchengeld für afrikanische Gue25

MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 326. In diesem Kapitel stütze ich mich auf die Presseauswertung von Meyers-Herwartz’ Studie. Ihr Untersuchungszeitraum erstreckt sich auf den Zeitraum September 1970 bis Ende Februar 1971. Bereits Mitte Dezember sei die „Karriere“ des ARP als öffentliches Thema zu Ende gewesen. Der Auswertung liegen insgesamt 560 Ausgaben von drei Tages- und vier Wochenzeitungen zugrunde: FAZ, FR, „Die Welt“, „Christ und Welt“, „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt“ und „Der Spiegel“. Meyers-Herwartz fand darin 209 Thematisierungen des ARP in Form großer Artikel, Kommentare, Berichte und Randmeldungen (EBD., 88f.). Zu den weiteren Phasen der deutschen „Antirassismus-Debatte“ in den 1970er Jahren, WILLIAMSON, Kirche; BESIER, Programm. Zu den kirchlichen Stellungnahmen der umfassend dokumentierten ersten Phase, BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm. 26 LANGE, Anti-Rassismus-Streit, 251. 27 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 132. Vgl. WEISSE, Südafrika, 54. 28 Zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 52 bzw. 64. 29 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 132.

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rilla“. Vor dem Bekanntwerden des Briefinhalts hieß es noch in der „Zeit“, das ARP sei „kein Programm für eine Revolution mit dem Maschinengewehr.“30 Das große Medieninteresse erklärt sich „zweifellos“ dadurch, dass die allgemeine Presseberichterstattung „Terrorismus“ im Herbst 1970 einen hohen Stellenwert einräumte. Meyers-Herwartz lässt es allerdings offen, ob der in den stark ablehnenden Voten vorfindliche Gebrauch des Begriffs „Terroristen“ tatsächlich „immer Charakteristikum einer bestimmten Situationsdefinition“ war oder nur ein „Reflex“ auf Schlagzeilen. Sie schlussfolgerte, mit Dietzfelbingers Brief habe keine Auseinandersetzung über Gewalt, „sondern ein Selbstverständnisprozeß der deutschen Volkskirche“ begonnen. In seiner posthum veröffentlichten Konfliktanalyse kam der Theologe Ernst Lange zu einem ähnlichen Befund: Anlässlich des ARP werde unter der Themenstellung „Gewalt/Gewaltlosigkeit“ und „Kirchlicher Versöhnungsauftrag“ die Frage nach Einheit und Funktion der Kirche in einer pluraler werdenden Gesellschaft verhandelt. Das erstgenannte Thema sei aber keineswegs „nur ein Vorwand“, sondern besitze eigenen Stellenwert. Es gehe um Gewalt „in der ganzen Welt und hierzulande“31. Da die nicht-evangelische Presse erst auf die Äußerungen kirchenleitender Gremien und Personen hin reagierte, stellt sich zunächst die Frage nach dem Verlauf der innerkirchlichen Debatte32. Auf der ersten Sitzung des Rates der EKD nach „Arnoldshain“ erläuterte Dietzfelbinger die Gründe, die ihn zu seinem Brief an Blake bewogen hatten. „Unruhe, Widerspruch, aber auch Zustimmung“ sei in den Gemeinden laut geworden. Den Brief habe er mit Präses Thimme, zugleich Vorsitzender der ÖRK-Kommission für Zwischenkirchliche Hilfe, Flüchtlings- und Weltdienst, abgesprochen. Auch dessen Bedenken seien in Arnoldshain nicht berücksichtigt worden. Von Weizsäcker berichtete, wegen der „noch nicht ausreichenden Informationen über die Empfänger und das noch nicht ausdiskutierte Problem von Gewaltanwendung und Gewaltlosigkeit“ habe eine Minderheit dort vergeblich dafür plädiert, von einer Abstimmung abzusehen. Nach „eingehen-

30 ODIN, Kirchengeld; BINDER, Christen. Laut Meyers-Herwartz wies die FAZ die „mit Abstand ausführlichste“ Berichterstattung über das ARP auf (MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 88f.). 31 LANGE, Anti-Rassismus-Streit, 260. Hervorhebung im Original. Lange akzentuierte die Erfahrungskomplexe „Unbewältigte Vergangenheit“ (Weimar, NS), „Studentenbewegung“, „Antikommunismus“, „Theologie der Revolution“ und „Ökumene“. Zu Letzterer deutete der ehemalige ÖRK-Mitarbeiter an, dass ein sozialethisches Thema die ökumenische Kooperation nicht nur auf nationaler, sondern auch auf globaler Ebene behindere und damit dem eigentlichen Sinn von „Ökumene“, d. h. Überwindung der Kirchenspaltung, zuwider laufe (EBD., 257). Vgl. RICHTER, Protestantismus, 430. 32 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 132.

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de[r]“ Debatte konstatierte der Rat gegenüber der Presse, in der „breiten Öffentlichkeit“ und in den Gemeinden habe es nicht an Missverständnissen und Entstellungen über die eigentlichen Absichten des ARP gemangelt. Es sei „noch weitere Arbeit“ zur Frage nötig, wie die Kirchen „dem hier aufbrechenden Zwiespalt in ihrem Handeln besser gerecht werden können“; z. B. wie auf Befreiungsbewegungen eingewirkt werden könne, dass sie „friedliche Lösungen für ihre Ziele anstreben“. Dem ÖRK-Stab wurde empfohlen, „die Hergabe von Geldern an eine genauere Zweckbestimmung“ zu binden „und ihre Verwendung im Einzelfall“ transparenter zu machen33. Zuvor hatte der LWB-Präsident Mikko Juva erklärt, das ARP sei „ein Akt des Glaubens.“ Auf Worte müssten Taten folgen. Es kam zum Konflikt zwischen LWB und VELKD. Wenig später widerriefen die Repräsentanten des LWB ihre Haltung im Sinne der VELKD34. Deren Generalsynode erklärte am 9. Oktober in Eutin: „Wir verkennen nicht, daß es Christen geboten sein kann, das Recht des Nächsten notfalls auch mit Gewalt zu verteidigen oder zu erkämpfen [. . .]. Die Kirche selbst aber würde durch Anwendung von Gewalt ihrem Zeugnis widersprechen und ihre Bemühungen um Versöhnung und Frieden unglaubwürdig machen. Sie verfehlt auch ihren Auftrag, wenn sie andere Mittel zur Verfügung stellt, die direkt oder indirekt Gewaltanwendung fördern.“35

In der VELKD und im Rat der EKD herrschte Unmut über die Haltung des Genfer ÖRK-Stabes. Blakes öffentliche Antwort an Dietzfelbinger vom 6. Oktober vergrößerte ihn: Die Befürchtung, die Sonderfonds-Mittel könnten zweckentfremdet werden, sei offenbar noch nicht überwunden. Der ÖRK habe Gewalt zur Lösung von Konflikten „bisher“ abgelehnt. Mit dem Hinweis auf die – oben genannte – „Mindolo-Consultation“ von 1964 ließ Blake erkennen, im südlichen Afrika bleibe „nur noch ein Weg: Gewalt“. Der Frage kirchlicher Unterstützung gewaltbereiter Gruppen könne „nicht länger“ ausgewichen werden. Die Mittelverteilung aus dem Sonderfonds erfolge unter Berücksichtigung eines „neuen Faktors“. Es gebe „keinen Zweifel“, dass Gerechtigkeit ohne eine gerechte Machtverteilung unmöglich sei. Gott habe „immer wieder“ 33 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 23. / 24. 9. 1970 (EZA BERLIN, 2/ 1774); Kommuniqué des Rates der EKD vom 24. 9. 1970, zit. n. BECKMANN, Anti-RassismusProgramm, 72 u. 73. Thimme war auch Vorsitzender der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst der EKD. 34 Dazu MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 218–220. Juvas Hinweis, die Organisationen hätten versicherten, die Mittel für nicht-militärische Zwecke zu verwenden, wurde in der deutschen Berichterstattung ausgeklammert (EBD., 65); „Worte genügen nicht“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „S. M. D.“]. In: EvKo 3 (1970), 566–568. 35 Zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 89f., Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.].

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gezeigt, dass er auf Seiten der Machtlosen stand, „nicht um ihre Machtlosigkeit zu billigen, sondern um Gerechtigkeit zu schaffen.“ Der Sonderfonds strebe daher nach Machtumverteilung. Darauf erklärte die VELKD-Kirchenleitung, der ÖRK habe „sein bisheriges Prinzip der Gewaltlosigkeit der Kirche aufgegeben“, ohne die eigenen Mitgliedskirchen zu konsultieren36. Blake hatte evangelischen Bischöfen im „Spiegel“-Interview vorgeworfen, das Wort „Gewalt“ hochgespielt zu haben. Die Einwände hätten „mehr beeindruckt“, wenn sie von Personen mit der „pazifistischen Einstellung“ Niemöllers vorgebracht worden wären. Im ZDF-Interview erklärte Blake, er meine damit Niemöllers Haltung „gegenüber dem Osten“. An einer Debatte über Menschenrechte hinter dem „eisernen Vorhang“ zeigte Blake hingegen wenig Interesse37. So entstand der – den eigentlichen Sachverhalt verzerrende, die Kirchensteuerproblematik ausklammernde – Eindruck, als diktierten „kriegstreiberische“ westdeutsche Bischöfe rassistisch unterdrückten Minderheiten Gewaltlosigkeit. Theologen, die den Kirchlichen Bruderschaften nahestanden, unterstützten diesen Vorwurf. Gollwitzer meinte im SFB, Gewaltlosigkeit werde den Unterdrückten gepredigt, „nicht aber den Unterdrückern.“ Das Evangelisch-Theologische Seminar an der FU hielt dem Rat der EKD und der VELKD-Kirchenleitung in einem offenen Brief vor, die Kirche dürfe nicht den moralischen Schiedsrichter spielen, wann Gewalt angebracht sei. Wolfgang Schweitzer identifizierte nicht nur Restbestände kolonialistischen Denkens. Wie in den Debatten um die „Theologie der Revolution“ und die Studentenunruhen warf er der EKD vor, ein überkommenes Obrigkeitsverständnis zu pflegen: „Dieselben Kreise, die es 1958 abgelehnt hatten, mit kirchlichen Voten gegen eine mögliche atomare Aufrüstung der Bundeswehr Stellung zu nehmen, wurden jetzt nicht müde zu betonen, daß die Kirche immer nur Gewaltlosigkeit zu predigen habe. [. . .] Umgekehrt erscheinen diesen Kreisen die Friedensbemühungen der Oekumene dadurch desavouiert zu sein, dass man auf dieser Seite plötzlich Sympathien für Guerillas zeigte, die inzwischen sogar die europäischen Flughäfen unsicher machten. [. . .] Diejenigen, die sich verleiten ließen, gegen [. . .] Arnoldshain Front zu machen, sind nach wie vor durch eine theologische Tradition geprägt, die der ‚Obrigkeit‘ grundsätzlich ohne Vorbehalt das Monopol der physischen Gewalt zugesteht.“38

36

Zit. n. EBD., 93. Blake zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 28–30; „Das Wort ‚Gewalt‘ wird hochgespielt“. In: Der Spiegel, Nr. 43 vom 19. 10. 1970, 102; und BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 91. Zu „Mindolo“, vgl. oben Kap. 2.3. Zur Menschenrechtspolitik des ÖRK in Blakes Amtszeit, RICHTER, Protestantismus, 421f. 38 „Anti-Rassismus-Programm der Kirche“. In: FR, Nr. 265 vom 14. 11. 1970, 4; Gollwitzer, 37

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In Widerspruch zu seiner öffentlichen Antwort an Dietzfelbinger, kritisierte Blake, die westdeutsche Presse und „verschiedene Erklärungen deutscher Kirchenführer“ hätten betont, der ÖRK habe „seine traditionelle Unterstützung von Aktionen der Gewaltlosigkeit“ aufgegeben. Dies sei nicht richtig39. Doch wie sollte jene „Umverteilung der Macht“ bewerkstelligt werden? Wölber forderte darüber ein „klares Wort“. Die EKD solle Möglichkeiten „der positiven und gewaltlosen Aktion gegen den Rassismus suchen.“40 Darauf beschloss der Rat der EKD, die Problematik des Sonderfonds und die Gewaltfrage genauer zu untersuchen. Die damit beauftragte Kammer für öffentliche Verantwortung war sich in der Beurteilung von „Arnoldshain“ allerdings ebenso uneins wie der Rat. Angesichts der Erfahrung mit Biafra gab es „stark divergierende“ Meinungen zur Frage, ob die Kirche sozialrevolutionäre politische Gruppen humanitär unterstützen dürfe. Unter Hinweis auf den Nationalsozialismus und die Studentenunruhen betonte die Kammer, man sei durch den akuten Anlass zu einem „vertieften Nachdenken“ über „‚Macht‘, ‚Gewalt‘ und ‚Legitimität‘“ gezwungen. Zum Sonderfonds konstatierte der Rat, es gelte zu vermeiden, dass die Kirche in dieser Angelegenheit „‚mehrzüngig‘“ redet41. Mit Verweis auf das Eisenacher Friedenswort von 1948 schrieb Dietzfelbinger besorgt an Wölber: „Wie oft“ wurde in der EKD „gesagt, daß auf der Gewalt kein Segen ruhe. Neulich hatte ich in den Sitzungen den Eindruck, daß manche Brüder all diese Äußerungen vergessen haben.“ Die Ratsmitglieder zogen offenbar unterschiedliche Schlussfolgerungen aus der deutschen Schulderfahrung nach 1945. Im Fall des Ratsvorsitzenden überwogen offenbar die persönlichen Erfahrungen als Studentenpfarrer und Lazarettseelsorger42. Wie Kurt Scharf war auch Dietzfelbinger von den Erinnerungen an das in den 1930er Jahren alltäglich „vor Augen“ liegende – jeweils besuchte – Konzentrationslager (Sachenhausen bzw. zit. n. JK 31 (1970), 641; Offener Brief an den Rat der EKD und den Rat der VELKD (EZA BERLIN, 686/8564); und SCHWEITZER, Macht, 153. Zu Niemöllers selektivem Pazifismus, oben Kap. 2.1. 39 Brief Blakes an Wölber und Dietzfelbinger vom 6. 11. 1970 (NEK KIEL, 11.02/118). Christian Walther hielt es für „außerordentlich schwer, jetzt der nachträglichen Versicherung aus Genf zu glauben“, der ÖRK habe mit seinem Beschluss „‚weder explizit noch implizit‘“ Gewaltanwendung gutgeheißen (WALTHER, Rassismus, 12). Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, Nr. 267 vom 16. 11. 1970, 2. 40 Brief Wölbers an Dietzfelbinger vom 12. 10. 1970 (NEK KIEL, 11.02/118). 41 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 15. / 16. 10. 1970 (EZA BERLIN, 2/ 1775); Brief Raisers an Dietzfelbinger vom 16. 10. 1970 (EZA BERLIN, 650/179). 42 Brief Dietzfelbingers an Wölber vom 24. 10. 1970 (NEK Kiel, 11.02/118). Vgl. DIETZFELBINGER, Veränderung, 89 f. u. 131f. Rückblickend notierte er zum Streit um den Sonderfonds, die Schuld „trieb uns vor allem zur Versöhnung und nicht zur Unterstützung der Gewaltanwendung“ (EBD., 306).

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

Dachau) geprägt43. Scharf, mit dem Dietzfelbinger seit dem „Kirchenkampf“ freundschaftlich verbunden war – dies vor dem Hintergrund der zahlreichen, nach 1945 ausgebrochenen Streitigkeiten zwischen vielen „Brüdern“44 der BK –, sah im Sonderfonds eher ein Zeichen an die Völker der Dritten Welt, als eine „reale Bedeutung“ für die gewaltbereiten „wenigen Widerstandsgruppen“. Da der „Tatbestand komplex“ sei, plädierte auch Scharf für eine Spendenfinanzierung des Sonderfonds. Vor der Westberliner Regionalsynode sprach sich der stellvertretende Ratsvorsitzende dafür aus, die im Folgenden erläuterte Entscheidung einer Landeskirche zu respektieren45. Am 24. Oktober beschloss die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, den Sonderfonds mit Haushaltsmitteln in Höhe von 100.000 Deutschen Mark (DM) zu unterstützen. Zur Aufstockung dieses Betrags wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Mit Blick auf die Haltung der VELKD betonten die Befürworter, nicht nur der einzelne Christ, sondern auch die Kirche dürfe sich der Mitverantwortung für politische Gerechtigkeit und der Solidarität mit denjenigen, die darum notfalls auch Gewalt anwendeten, nicht entziehen. Die Synode erklärte, sie gehe davon aus, dass die Mittel humanitären Zwecken dienten. Der Entscheid zugunsten der Bereitstellung von Kirchensteuermitteln fiel mit 90 zu 78 Stimmen denkbar knapp aus46. Sowohl in als auch zwischen den westdeutschen Kirchen entbrannten heftige Auseinandersetzungen. Die Bischofskonferenz der VELKD sah gar die Einheit der EKD gefährdet47. Kirchenpräsident Helmut Hild unterstrich wiederum die Rechtmäßigkeit der synodalen Entscheidung, nachdem die leitenden Juristen der EKD-Gliedkirchen in einem öffentlich viel beachteten Votum die Legitimität der Bereitstellung von Kirchensteuermitteln angezweifelt hatten48.

43

ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 46; DIETZFELBINGER, Veränderung, 59f. EBD., 221. Dazu bemerkte Dietzfelbinger, bei den regelmäßig aufgetretenen Differenzen, „die gewissermaßen quer durch die Bekenntnisse liefen“, seien dennoch „die dahinter liegenden konfessionellen Unterschiede“ zwischen Lutheranern, Unierten und Reformierten „häufig leicht zu erkennen“ gewesen (EBD.). 45 Zit. n. NIEMEIER, Kirche [1970], 150. 46 BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 100–104. 47 epd-ZA, Nr. 212 vom 28. 10. 1970, 1. Wölbers Vorhaltung, die Landeskirche in Hessen und Nassau habe ohne vorherige Absprache gehandelt, entgegnete Hild, es hätten „keine verbindliche Erklärung[en] von EKD-Gremien vorgelegen“. Die Folgen des Beschlusses habe man jedoch nicht erwartet. Brief Wölbers an Hild vom 10. 11. 1970 sowie dessen schriftliche Antwort vom 14. 11. 1970 (NEK KIEL, 11.02/119). 48 Letztere argumentierten, die Bestimmung der Geldleistung für humanitäre Zwecke könne „nicht von Gewalttätigkeiten getrennt werden.“ Wer aber sein „eigenes Geld für revolutionäre Gewaltanwendung ausgeben“ wolle, werde „dies vor seinem Gewissen verantworten.“ (zit. n. 44

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Wegen des nun öffentlich ausgetragenen Streits kirchlicher Repräsentanten über den Beschluss Hessen-Nassaus blieb das Thema „Kirche unterstützt Guerilla“ medial präsent49. Gegner wie Befürworter des gesamten ARP nutzten die gestiegenen Kirchenaustritte als Argument50. Scharfs Widersacher, Generalsuperintendent Helbich, schrieb Hild, man habe in West-Berlin „sowieso schon“ viele Kirchenaustritte. „Meint Ihre Synode, daß sie damit ein Beispiel geben will, wie sie ihre Kirchensteuer verwendet? Gerade das hat die Kirchensteuerzahler – d. h. also die, die meist der Kirche fernstehen – besonders aufgebracht.“51 Auch die Spendenaktion „Brot für die Welt“ geriet in arge Bedrängnis. Die Verantwortlichen wiesen Vorwürfe, sie unterstütze „revolutionäre und terroristische Gruppen“ zwar zurück; dennoch standen sämtliche „humanitäre Aktionen“ der Kirchen nun unter Generalverdacht. Als einer der sechs Präsidenten des ÖRK wurde Hanns Lilje mehrmals gebeten, eine klärende Stellungnahme abzugeben52. Lilje wandte sich als Bischof an die Pastoren seiner hannoverschen Landeskirche und erklärte, Gewalt könne nicht zu den Mitteln gehören, mit denen die Kirche „‚die Forderung auf Gerechtigkeit durchsetzt‘“; sie würde sich sonst unglaubwürdig machen. Die These einzelner revolutionärer Gruppen, ihren Forderungen notfalls mit Gewalt Gehör verschaffen zu müssen, sei psychologisch verständlich, doch sei es „zweifelsfrei“ nicht „Aufgabe der Kirche, sich an so etwas“ mit Kirchensteuern zu beteiligen. Nachdem die Landessynode sich Liljes Standpunkt fast einstimmig zu Eigen gemacht hatte, warf ein Konvent Hannoveraner Theologiestudenten ihm fälschlicherweise vor, er lehne sowohl das gesamte ARP als auch individuelle Gewalt als christliche ultima ratio ab. Lilje antwortete, die Kirche könne Gewalt „nicht prinzipiell bejahen“ und empfahl den Studenten, im Sinne ihres Wunsches nach „Pluralität in unserer Kirche“ ein Spendenkonto einzurichten. Einem weiteren offenen Brief entgegnete Lilje, es sei „nicht recht“, seine Haltung „sofort als Verschleierungsversuch ohne alle Differenzierung des Urteils zu denunzieren.“53 Zur gleichen Zeit verteilte die ESG Hannover folgendes Flugblatt:

BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 106f.). Brief Hilds an die Vorsitzenden der Kirchenleitungen vom 29. 10. 1970 (EZA BERLIN, 87/1095). 49 Vgl. die Gegenüberstellung in der „Zeit“, WÖLBER, Geld; KRATZ, Geld. 50 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 148 u. 168. Nach der Tagung der VELKD-Generalsynode wurde Wölber vorgeworfen, er habe die Kirchenaustritte auf die Hinwendung der Kirche zu gesellschaftlichen Fragen zurückgeführt und benutze sie als „Waffe in der innerkirchlichen Auseinandersetzung“ (epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen, Nr. 146 vom 6. 10. 1970). 51 Brief Helbich an Hild vom 29. 11. 1970 (LAELKB NÜRNBERG, 74/29g). 52 epd-ZA, Nr. 199 vom 10. 10. 1970, 3; die schriftlichen Anfragen an Lilje (LKA HANNOVER, L3 III/1890). 53 Zum Votum der Landessynode, epd-ZA, Nr. 233 vom 28. 11. 1970, 5. Offene Briefe des

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„Wir hören: Die Kirche muß Diskriminierenden und Diskriminierten in gleicher Weise das Wort der Versöhnung predigen. Wir fragen: Waren demnach die Juden im Warschauer Ghetto in gleicher Weise betroffen wie die sie ausräuchernden SSKommandos? [. . .] Wir freuen uns: über die plötzliche Entdeckung der Mündigkeit der Gemeinde. Wir fragen aber, warum wir bisher nie über die Verwendung von Steuermitteln für Kirchtürme, Orgeln etc. gefragt worden sind? [. . .] Wir hören: Kirche darf nur durch das Wort wirken, nicht durch Gewalt. Wir fragen: Ist die Unterscheidung möglich? [. . .] Kann eine Schlagzeile von ‚Bild‘ nicht mehr Gewalt entbinden als ein Molotov-Cocktail?“54

Durch die tagespolitisch verhandelten Themen „Kirchensteuer/Kirchenaustritte“, „Gewalt/Guerilla“ interessierten sich auch eher kirchenferne Kreise für den Streit um das ARP. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau erhielt eine Flut an Zuschriften, in denen v. a. Personen aus dem gut situierten Mittelstand den – wohl seit längerem erwogenen – Kirchenaustritt androhten oder vollzogen. Der Tenor war ungefähr folgender: „Die evangelische Kirche ist [. . .] eine politisch-sozialistische Kirche geworden, und ich bin als Unternehmer nicht bereit, eine Organisation zu finanzieren, die eine soziale, freie Marktwirtschaft nicht mehr unterstützt bzw. Gruppen und Ansichten huldigt, die dies untergraben [. . .]. Wir sind nicht bereit, daß ungefragt unser hohes Kirchensteueraufkommen [. . .] für solche Zwecke verwendet wird. Wir fragen uns: wo ist die Demokratie in der Kirche selbst? Und wir sind aufgrund der schwierigen [. . .] Wirtschaftslage gezwungen, überhöhte Sozialleistungen an unsere Mitarbeiter abzugeben und deshalb nicht mehr in der Lage, ein derart überhöhtes und nicht zweckmäßiges Steueraufkommen für die evangelische Kirche zu zahlen.“55

„Die Welt“ berichtete weniger über die Haltung des Genfer ÖRK-Stabes als die der Landeskirche Hessen-Nassaus. Zu Alexander Evertz’ Artikel „Kirchensteuer für Revoluzzer“ in der „Welt am Sonntag“ bemerkt Meyers-Herwartz, er reihe sich „inhaltlich bruchlos“ ein in die gesamte Kommentierung des ARP in der „Welt“. Die Tageszeitung monierte eine voranschreitende Linkspolitisierung der EKD nach den Studentenprotesten: Die Ansichten „einer Theologie, die von den Kirchen [. . .] das Ja zur politischen Revolution erwartet, müssen inzwischen über die radikalen Gruppen hinaus Resonanz gefunden haben. Wie wäre es sonst möglich, daß Kirchen wie die Hessen-Nassauische mit den

Konvents Hannoveraner Theologiestudenten an Lilje vom 12. 12. 1970 und 29. 1. 1971 sowie dessen schriftliche Antworten vom 21. 12. 1970 bzw. 3. 2. 1971 (LKA HANNOVER, L3 III/1890). 54 LKA HANNOVER, L3 III/1890. 55 Zit. n. MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 164. Zu den weiteren Reaktionen, HERBERT, Höhen, 281.

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Argumenten der ‚Theologie der Revolution‘ Bewegungen finanzieren, die sich in ihrem politischen Kampf auf eben jene Theologie berufen!“56

In der „Frankfurter Rundschau“ wurde gewarnt, das ARP polemisch auf die Frage „Wird die Kirche jetzt Gewalt und Terror unterstützen?“ zuzuspitzen. Für die „theologischen Spitzfindigkeiten“ der „lutherischen Kirchen und ihrer Repräsentanten“ gab es dennoch kein Verständnis57. Doch gerade der VELKD bescheinigte Heinz Zahrnt im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“, einen – verglichen mit ihrer bisherigen Tradition – „radikalen milden“ Schritt gemacht zu haben. Eine „reinliche Scheidung in ‚Christen‘ und die ‚Kirche selbst‘“ sei dennoch nicht möglich. „Biafra“ und die kirchliche Entwicklungshilfe an autoritäre lateinamerikanische Regimes verdeutlichten, dass die Kirche – ob sie handele oder nicht – immer in politische Verstrickungen und Ambivalenzen geraten werde58. Angesichts „der bedrohlichen Zunahme der Gewalttätigkeit“ fragte Odin, ob sich die Kirche daran „beteiligen“ dürfe: „Wo dient Gewalt revolutionärer Bewegungen der Eindämmung entarteter staatlicher Gewalt und der Entwicklung neuer Ordnungen, die Raum für Leben schaffen, und wo werden sie zum Terrorismus?“59 Genau diese Frage umtrieb die im Herbst 1970 tagenden Synoden in ihren Debatten über das ARP. Unter Pfiffen und Zwischenrufen warnte der holsteinische Landesbischof Hübner vor der VELKD-Generalsynode in Eutin, „Verhältnisse in anderen Erdteilen regeln zu wollen, ohne sich um unseren eigenen Erdteil“ zu sorgen. In der Bundesrepublik gebe es „Gruppen, die unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen richtig leiden“, „sich wundreiben und dagegen angehen.“ Die einen versuchten, die Verhältnisse auf „legitime Weise“ zu ändern, die anderen meinten hingegen nur mit dem „Aufruf zum radikalen Umsturz“ ihre gesellschaftspolitischen Ziele zu erreichen. Hier müsse differenziert werden. „Wir werden jedem Tupamaro [in Uruguay, A. C. W.] [. . .] jede humanitäre Hilfe leisten wollen; aber wir werden die Bewegung als solche, meine ich, nicht mit kirchlichen Mitteln unterstützen wollen. [. . .] Ich meine, daß [. . .] wir die Probleme [. . .] in der von uns selbst übersehenen Situation prüfen. [. . .] Wo wird die Schwelle übertreten? Ich halte es für völlig unvertretbar, dass man sagt: Bei uns ist natürlich

56 57 58 59

MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 111; NELLESSEN, Kathederthesen. NÜSSE, Mark. ZAHRNT, Kirche. ODIN, Gewalt. Zum Terrorismusbegriff in den deutschen Printmedien, BEERMANN, Begriff,

41f.

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Gewaltanwendung nicht erlaubt, aber in Brasilien ist sie natürlich notwendig und christlich gefordert.“60

Vor der württembergischen Landessynode riet Klaus-Martin Beckmann davon ab, die unterstützten „Freiheitsbewegungen“ als „Guerillas“ abzustempeln. Der ÖRK wolle keine „revolutionären Aktionen“ fördern. Die Synodale Anne-Lore Schmid machte hingegen auf das „Problem der Repräsentanz“ aufmerksam. Bei der Förderung von Organisationen müsse zuvor geprüft werden, „wer denn die Breite der schwarzen Bevölkerung“ repräsentiere. Zur Verdeutlichung unternahm sie – ähnlich wie Hübner in Eutin – einen Vergleich, der laut Protokoll auf „Widerspruch“ stieß: „Wir haben auch in unserem Staat Gruppen, die sich überfahren fühlen; ich denke an die Mahlergruppe. Man kann aber wohl nicht sagen, sie würden in irgendeiner Weise die Bevölkerung repräsentieren.“ Darauf beschloss die Synode, es gehöre nicht zum kirchlichen Auftrag, gewaltbereite politische Gruppen mit kirchlichen Mitteln zu fördern. Zugleich unterstützte sie den Arnoldshainer Beschluss, „im Vertrauen auf die Zusage der unterstützten Bewegungen“, die Mittel „nur für humanitäre Zwecke“ zu verwenden. Diesen letzten Antrag unterstützten auch die Jugendsynodalen. Der mit 43 Jagegenüber 20 Neinstimmen – bei 7 Enthaltungen – zustande gekommene Beschluss brachte die tiefe Zerrissenheit der Synode offen zum Ausdruck61.

4.1.3 „Kompromisse“ und „Glaubenskämpfe“ Mit Ausnahme Hessen-Nassaus fassten die übrigen westdeutschen Landessynoden keinen Beschluss, den Sonderfonds mit Kirchensteuergeldern zu fördern. Die Westberliner Synode stellte fest, man habe ein gemeinsames Urteil „noch nicht“ finden können. Als Kompromiss wurde beschlossen, ein Spendenkonto für den Sonderfonds einzurichten. Dessen Anhänger unterschieden zwischen „Terroristen“ und „‚seriösen‘ Widerstandsgruppen“62. Auch in Westfalen spielte die Berücksichtigung des 20. Juli 1944 eine wesentliche Rolle. Die Landessynode erklärte: „Die Kirche kann sich von diesen ihren Gliedern nicht distanzieren, auch wenn sie nicht in ihrer Gesamtheit deren Entscheidungen teilt.“63 60

LUTHERISCHE GENERALSYNODE 1970, 220f. epd-ZA, Nr. 221 vom 10. 11. 1970, 2; VERHANDLUNGEN DER 7. EVANGELISCHEN LANDESSYNODE, Protokollband III, 1267, 1337 u. 1353. Dazu ausführlich, HERMLE, Lied. Zu Schmids Haltung gegenüber Mondlane, oben 302 [Anm. 16]. 62 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 274–276; epd-Za, Nr. 231 vom 25. 11. 1970, 3. 63 BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 92. Zu den Debatten weiterer Landessynoden, MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 233–326. 61

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Wie in Hannover ignorierten auch andere Landessynoden Dietzfelbingers „dringende Bitte“, bis zum Abschluss des Meinungsbildungsprozess in der EKD keine eigenen Beschlüsse zu fassen. Mit Blick auf das für Anfang Dezember anberaumte Spitzengespräch zwischen EKD und ÖRK bemühte sich der Ratsvorsitzende vergeblich, dem Genfer Stab eine geschlossene Haltung der EKD zu demonstrieren64. Aus Rücksicht gegenüber der EKD entschied die hessen-nassauische Kirchenleitung, den einmalig freigestellten Kirchensteuerbetrag auf ein Sperrkonto zu transferieren und den Ausgang des Münchener Gesprächs abzuwarten65. Nach einer Unterredung mit Hild verkündete der Rat der EKD in einem Kommuniqué, man bedauere den „weithin in der deutschen Öffentlichkeit bestehenden falschen Eindruck“, der ÖRK „beabsichtige unmittelbar oder mittelbar Gewaltanwendung in der Rassenauseinandersetzung zu fördern oder zu bejahen.“ Der Rat gab sich zuversichtlich, dass die „noch bestehenden Meinungsunterschiede“ in dem Münchener Gespräch ausgeräumt würden. Wegen der Debatte um Kirchenaustritte, die der Beschluss Hessen-Nassaus ausgelöst hatte, sah sich der Rat zu dieser beruhigend wirkenden Stellungnahme genötigt66. Heinz Eduard Tödt kritisierte die von Wölber ausgesprochenen, von den Medien „agitatorisch“ verbreiteten „Angstvisionen“ und votierte für eine Zweckkontrolle der Sonderfondsmittel67. Wenige Tage vor dem Münchener Gespräch nahm auch der rheinische Präses Beckmann den ÖRK in Schutz. Es sei ein „völliges Missverständnis“ der Arnoldshainer Beschlüsse, so Beckmann in „Christ und Welt“, „wenn man behauptet, hiermit sei die ‚Theologie der Revolution‘ oder die neue Lehre von der gerechten Revolution praktiziert worden.“ Man könne nicht sagen, der ÖRK unterstütze „revolutionäre Freiheitsgruppen (‚Guerillas‘), indem er ihnen für ihre Waffen Mittel bereitstellt und damit ‚Gewaltsamkeit‘ bejaht.“ Aus rechtlichen Gründen sprach er sich dennoch dafür aus, den Sonderfonds nur mit Spenden zu unterstützen. Diese Haltung vertrat schließlich auch die Landessynode – wegen der Gewaltfrage war selbst dieses Arrangement weiter sehr umstritten68. Über die Ausgangslage des 64 Brief Dietzfelbingers an die Vorsitzenden der Kirchenleitungen der Gliedkirchen der EKD vom 28. 10. 1970, zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 105f. 65 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 11. / 12. 11. 1970 (EZA BERLIN, 2/ 1775). 66 EBD.; epd-ZA, Nr. 224 vom 15. 11. 1970, 11. 67 „Der Süden Afrikas – ein zweites Vietnam?“. In: EvKo 3 (1970), 723–726, 724. Vgl. dazu die theologische Kontroverse zwischen Tödt und Wölber um christliche „Weltverantwortung“, HONECKER, Beitrag, 78–86. Zu Wölbers Pressetätigkeit, oben Kap. 3. 8. 3. 68 BECKMANN, Ökumene; epd-ZA, Nr. 228 vom 21. 11. 1970, 5. Auch in reformierten Kreisen wurde das (gesamte) Programm angefeindet, KAMINSKY, Kirche, 298f.

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Münchener Gesprächs gibt auch ein Brief Albert van den Heuwels an Reinhard Mumm, Dietzfelbingers rechte Hand, Auskunft. Der Informationsreferent des Genfer ÖRK-Stabes signalisierte, die Differenzen zwischen ÖRK und EKD würden in München ausgeräumt. In der Debatte um das ARP sei „der Ton der Diskussion vielleicht“ das größte Problem: „Die Deutschen hören in dem, was bei uns gesagt wird, eine Zustimmung zur Gewalt, wir hören in den deutschen Beiträgen immer wieder eine Arroganz, die das kirchliche Versagen in der Rassenfrage nicht zugeben will. Aber in persönlichen Briefen ist das glücklicherweise anders. Auch mit Bischof Wölber habe ich einen sehr aufschlussreichen Briefkontakt, wobei verschiedene Fragen geklärt werden konnten.“

Wegen der westdeutschen Kirchensteuerproblematik plädierte van den Heuwel für Spendenaktionen. Über eine Kontrollierung der Verwendungszwecke könne verhandelt werden. „Die ganze Sache mit der Gewalt“ sei ihm dennoch „eigentlich unklar.“ Natürlich dürfe die Kirche keine Gewalt fordern. Das Problem liege vielmehr in der strukturellen Gewalt. „Dort gibt es Gewalt.“ Rund vier Wochen nach dem Münchener Gespräch antwortete Mumm, es gehe „doch um mehr als nur um einige Informationslücken oder um Fehler in der Kommunikation.“69 Tatsächlich endete die Münchener Konsultation nach über sechs Stunden im offenen Dissens70. Ein Kommuniqué kam nicht zustande. Auf der Pressekonferenz erklärte Blake, man sei „weder praktisch noch theologisch“ zu einer Übereinstimmung gekommen. Die Gewaltfrage sei nicht die zentrale Frage des ARP; in Deutschland sei sie aber zu einer solchen gemacht worden. Dietzfelbinger erklärte im Namen der EKD-Delegation, trotz der „guten Aussprache“ seien die Fragen über Gewalt und Gewaltlosigkeit von Genfer Seite her unbeantwortet geblieben. Laut „Der Spiegel“ sei Blake, verärgert über die „dauernden Gewalt-Tiraden der EKD-Funktionäre“, „nur mit Mühe am vorzeitigen Aufbruch“ gehindert worden. In „Christ und Welt“ hieß es, Blake habe „auch jetzt noch nicht“ einsehen wollen, dass die Gewaltfrage „aufs engste“ mit dem ARP-Beschluss verbunden sei. Zuvor hatte derselbe Autor betont, die Strategie des Genfer ÖRK-Stabes laufe „schlicht gesagt“ darauf hinaus, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben71. Blake und van

69 Brief van den Heuwels an Mumm vom 30. 11. 1970 und dessen Antwort vom 31.12. 1970 (LAELKB NÜRNBERG, 132/207). 70 Die EKD-Delegation setzte sich aus acht Mitgliedern des Rates, zwei Mitgliedern der VELKD-Bischofskonferenz, den Kammervorsitzenden Raiser und Thimme, Mitarbeitern des Kirchlichen Außenamtes sowie der Kirchenkanzlei der EKD zusammen. Zur Besetzung beider Delegationen, ÖR 20 (1971), 84. 71 Blake und Dietzfelbinger, zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 156f.; „Verschie-

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den Heuwel argumentierten mit den Worten Dom Hélder Camaras, die Gewalt von unten reagiere lediglich auf diejenige von oben: die primäre Gewalt. Camaras Standpunkt, die an sich berechtigte sekundäre Gewalt provoziere nur tertiäre Gegengewalt, klammerten sie dagegen aus72. Intern notierte ein Mitglied des Genfer Stabes: „If our task is one of combat, then the strategy must necessarily be military.“73 Wölber fragte im Münchener Gespräch, ob der ÖRK bei der theologischen Begründung seiner Unterstützungsaktion „auch jene radikalen Theologien mit einschliesse, die revolutionäre Gewalt für das Evangelium halten“. Er erhielt die letztlich ausweichende Antwort, Gott sei ein befreiender Gott74. In ihrer Erklärung über das Münchener Gespräch stellte die ÖRK-Delegation fest, die Konsultation habe zur Kenntnis genommen, dass sich einige unterstützte Organisationen zur „Gegengewalt“ als „Wagnis verpflichtetet gefühlt haben“. Darauf entgegnete Dietzfelbinger: „Von unserer Geschichte her ist allerdings die Problematik noch differenzierter.“75 Wölber teilte ihm wenige Tage später mit: „Wir müssen dem schrecklichen Motiv wehren, dass in dieser Welt als ultima ratio nur noch Gewalt bliebe“. Die „Genfer Herren“ seien nicht bereit gewesen, „nur einen Millimeter von ihren Vorstellungen“ abzurücken. Er frage sich „noch immer“, weshalb ihnen folgende Punkte nicht genügten: „Eine entschiedene humanitäre Hilfe mit klar definierten Projekten in der ganzen Breite von Bildung bis Brot und natürlich auch in den Gebieten gewalttätiger Konfrontation, aber in verlässlicher partnerschaftlicher Abstimmung über die einzelnen Vorhaben. [. . .] Weiterhin natürlich eine Förderung gewaltloser Freiheitsbewegungen. Weiterhin, wo es irgend möglich ist, eine Stützung von Kirchen in den entsprechenden Gebieten, denen man die Entscheidung im Vertrauen auf einen christlichen Weg überlassen wird und schließlich eine Mitarbeit bei der Entwicklung von Methoden gewaltfreien Widerstandes.“76

Mit Blick auf die zweite Konsultation notierte Mumm, das von Baldwin Sjollema, dem Direkter des ARP, in München geforderte Widerstandsrecht sei

dene Sprachen“. In: Der Spiegel, Nr. 50 vom 7. 12. 1970, 102–103, 103; STUBBE, Einigung; und DERS., Hessen-Sieg. 72 CAMARA, Spirale. Im Juni 1970 weilte Camara auf Einladung des SFB in West-Berlin. In einer TV-Sendung erklärte er, er halte „sekundäre“ Gewalt als Mittel gegen strukturelle (primäre) Gewalt für wenig „sinnvoll“. Dies lehre die Erfahrung Lateinamerikas. Kommunisten diffamierten ihn daher als „Utopisten“ (RAEBEL, Gewalt). 73 Zit. n. RICHTER, Protestantismus, 429. 74 Protokoll des Münchner Gesprächs vom 1. 12. 1970. Schreiben der Kirchenkanzlei der EKD an die Teilnehmer vom 17. 2. 1971, dort im Anhang (NEK KIEL, 11.02/118). 75 Zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 158f. 76 Brief Wölbers an Dietzfelbinger vom 4. 12. 1970 (NEK KIEL, 11.02/118).

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„außerordentlich problematisch“. „Wenn man dieses Recht generell proklamiert“, müsse es „für alle gelten“, für diejenigen „von links oder von rechts.“ Ein „übertriebenes Widerstandsrecht“ führe aber zu „Gruppenanarchie“ und „Chaos.“ Der ÖRK müsse daher „gebeten werden, uns davon zu überzeugen, daß er Gewalttaten auch nicht indirekt unterstützt und nicht politisch einseitig handelt.“ In der Kirchensteuerfrage hielt Dietzfelbingers Referent selbst „Spenden und Kollekten“ für „problematisch“: Der Missbrauchsvorwurf würde zwar verstummen; die Folge wäre aber „ein leidiger Streit um diese Spenden in der Pfarrerschaft und in den Gemeinden“. Kirchenamtliche Empfehlungen für Spenden und Kollekten seien „angesichts der ernsten Bedenken gegen verschiedene ‚Freiheitsorganisationen‘ nicht zu verantworten.“77 Inwieweit Mumms Vorgesetzter diese Haltung teilte, bleibt offen. In seinem Vorwurf, westdeutsche Bischöfe argumentierten in der Sonderfonds-Debatte unglaubwürdig, erhielt Blake Zuspruch vom „Gewalt“-Arbeitskreis der ESG. Am 1. Dezember, dem Tag des Münchener Gesprächs, trat das 1969 konstituierte Gremium mit Thesen zur „Rassismus-Diskussion in der EKD“ erstmals an die Öffentlichkeit. Der VELKD wurde vorgeworfen, das Vorliegen struktureller kolonialer Gewalt mit „individualethischen Kategorien“ zu verschleiern. Die Unterscheidung zwischen „Christen“ und „Kirchen“ sei ebenso problematisch wie der „ins Feld geführte Begriff vom ‚Versöhnungsauftrag der Kirche‘“. Auch die EKD müsse beweisen, dass sie es mit ihrer Gewalt verneinenden Haltung ernst meint, indem sie nicht nur die antikoloniale Gewalt von unten verurteile. EKD und Vertreter der Landeskirchen wurden aufgefordert, auf diejenigen westdeutschen Firmen einzuwirken, die sich am Bau des Cabora-Bassa-Staudamms in der portugiesischen Kolonie Mozambique beteiligten, dass diese ihre Tätigkeit dort einstellten. Der Rat der EKD sollte sich ferner dafür einsetzen, dass westdeutsche Waffenlieferungen an den NATO-Partner Portugal nicht (weiter) gegen die FreLiMo in Mozambique und Angola eingesetzt würden78. Hermann Kunst wandte sich darauf an die Bundesregierung. Das Auswärtige Amt antwortete, die Waffen seien nicht zum Gebrauch in den überseeischen Gebieten bestimmt; wegen restriktiver Vorgaben seien sie dort auch nicht zur Anwendung gekommen. Die Darstellung der

77

Vermerk Mumms vom 7. 12. 1970 (LAELKB NÜRNBERG, 132/69). Zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 147–153. Im Brief an Dietzfelbinger behauptete ESG-Generalsekretär Jürgen Hilke, deutsche Kampfflugzeuge würden genau dort eingesetzt, „wo die bundesrepublikanischen Kirchen ihre finanzielle Hilfe unter Hinweis auf die christlich gebotene Gewaltlosigkeit versagt“ hätten (zit. n. EBD., 143). Zur Entstehung des Arbeitskreises, oben 283f. 78

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ESG sei falsch79. Die Frage, inwieweit die Kirchen auf die am Cabora-BassaProjekt beteiligten Firmen einwirkten, bleibt offen. Anfang Dezember fand in Köln das Politisches Nachtgebet „Kirchensteuern für Revolutionäre – Steuern für Kolonialherrschaft?“ statt. Es wurde gefragt, wie die Spirale der Gewalt (Camara) durchbrochen werden könne. Dagegen hieß es im meditativen Teil: „Wenn Gewalt hilft, dann nur solche, die Verhältnisse schafft, in denen Gewaltanwendung nicht mehr nötig ist.“80 Bevor der Rat der EKD am 9. Dezember zusammentrat, um seine erste Stellungnahme zum ARP zu erarbeiten, bestätigte die Synode Hessen-Nassaus ihren Entschluss, dem Sonderfonds 100.000 DM aus Kirchensteuermitteln zur Verfügung zu stellen. Anders als im Oktober stellte sich nun eine breite Mehrheit hinter den Entschluss. Der Antrag, das Geld nur Organisationen zugute kommen zu lassen, die auf Gewalt verzichten, wurde abgelehnt. Die Hildsche Devise „Vertrauen ist christlicher als kontrollieren“ setzte sich durch. Wölber gegenüber vertrat er im Namen der Landeskirche die Ansicht, das Gewaltproblem sei „nicht erstrangig“81. Der Rat konstatierte, dass „auch innerhalb der EKD unterschiedliche Standpunkte und unterschiedliche Folgerungen gezogen werden.“82 Niemöller wies im ZDF-Interview den Vorwurf, seine Landeskirche habe die Einheit der EKD gefährdet, zurück. Diese Art von Einheit gebe es gar nicht. Man habe nicht einmal eine Abendmahlgemeinschaft und sei sich auch in Glaubensfragen nicht einig. Es sei daher nicht verwunderlich, dass die Meinungen auch in ethischen Fragen auseinander gingen. Niemöller meinte, mit seinem Ja zum ARP habe sich seine persönliche Haltung zum Pazifismus nicht geändert. Die Verpflichtung der Kirche zur Hilfe gelte auch dann, wenn eine Organisation unter Umständen mit Gewalt vorgehen müsse. Es gehe darum, Menschen in Not zu helfen und nicht zu fragen, „wer diese Menschen sind und ob sie unserer Meinung sind“83. Innerhalb des Rates gingen die Ansichten ebenfalls auseinander. Wilhelm Niesel, Präses und Moderater des Reformierten Bundes, hielt das für Februar anberaumte zweite Gespräch mit „Genf“ für aussichtslos. Als Gast ebenfalls anwesend, erklärte

79 Brief des Auswärtigen Amtes an Hermann Kalinna, OKR beim Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesregierung, vom 14. 1. 1971 (EZA BERLIN, 650/148). Vgl. auch die öffentliche Stellungnahme, epd-ZA, Nr. 13 vom 19. 1. 1971, 7. 80 KIRCHENSTEUERN, 21–23. 81 epd-ZA, Nr. 240 vom 8. 12. 1970, 1; „Vertrauen ist christlicher als kontrollieren“. In: Der Spiegel, Nr. 47 vom 16. 11. 1970, 56–65; und Brief Hilds an Wölber vom 14. 11. 1970 (NEK KIEL, 11.02/118). 82 Zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 163. 83 Zit. n. JK 31 (1970), 700.

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Ludwig Raiser, eine Absage würde praktisch aber den Abbruch der Beziehungen zum ÖRK bedeuten84. Das Jahr 1970 endete im Konsens über den Dissens. Da ein ÖRK-Austritt von keiner Kirche ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, und die Kontrahenten sämtliche Mittel der Konflikteskalation mittlerweile ausgeschöpft hatten, rückte die ÖRK-Zentralausschusstagung im äthiopischen Addis Abeba Anfang 1971 in den Vordergrund. Nichtkirchliche Medien stellten ihre Berichterstattung weitgehend ein85. Während der ZA in Äthiopien tagte, erachtete Lilje es vor dem Rat der EKD als ermutigend, trotz aller Diskussion mehrten sich die Anzeichen, „daß die spezifischen Dienste der Kirche wieder mehr in das Bewußtsein der Gemeindemitglieder und der Öffentlichkeit rücken“86. Die Zusammensetzung der nach Addis Abeba gereisten westdeutschen Delegation erleichterte dort das Zustandekommen einer gemeinsamen Entschließung über die Weiterführung des ARP87. Sie wurde ohne Stimmenthaltung angenommen. An ihrer Ausarbeitung beteiligten sich Bischof Scharf und Präses Thimme, die einzigen westdeutschen Teilnehmer des Münchener Gesprächs88. Gegenüber dem epd erklärten sie, die westdeutschen Bedenken seien in den neuen Empfehlungen weitgehend berücksichtigt worden89. Teilweise entstand so der fälschliche Eindruck, als habe das ARP eine Form erhalten, die den deutschen Einwendungen „voll Rechnung“ trug90. Zu Recht hieß es dagegen in „Christ und Welt“, die Beschlüsse bestätigten die Entscheidungen von Canterbury und Arnoldshain. Den westdeutschen Teilnehmern wurde vorgeworfen, angesichts ihrer Zustimmung zum „nur unwesentlich modifizierten“ ARP hätten sie ihren „scheinbaren Gesinnungswandel“ öffentlich begründen müssen. Die „pauschalen Subsidien an mehr oder minder umstrittene ‚Befreiungsbewegungen‘“ blieben tatsächlich unangetastet. Es wurde sogar beschlossen, 84 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 9. und 11. 12. 1970 (EZA BERLIN, 2/ 1775). 85 MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 228 u. 137. 86 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13. / 14. 1. 1971 (EZA BERLIN, 2/ 1775). 87 Vgl. MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 228 u. 304. 88 Scharf erklärte über „München“, die EKD-Delegation habe in der Frage der Modalitäten und der Kontrolle keine einheitliche Position eingenommen. In der theologischen Frage nach einer Förderung von Gewalt sei man sich „nicht so fern“ gewesen. Interview vom 4. 12. 1970 (zit. n. ERK, Gewissen, 332). 89 epd-ZA, Nr. 12 vom 18. 1. 1971, 1–2. Über die vertraulichen Ausschussberatungen gibt der offizielle Protokoll- und Berichtsband keine weiteren Auskünfte, ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1971], 65–68. 90 ODIN, Kompromiß. In der „Welt“ erschien zu dem Beschluss lediglich eine Kurzmeldung, „Weltkirchenrat sagt Ja“. In: Die Welt, Nr. 14 vom 18. 1. 1971, 1.

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den Sonderfonds auf 500.000 US-Dollar aufzustocken91. Neu war nur der Akzent, der ÖRK könne und wolle sich „nicht vollständig“ mit einer „politischen Bewegung identifizieren“. Von einer „Verlagerung der Schwerpunkte“ des ARP auf „gezielte Einzelprojekte“ war, anders als Scharf und Thimme dies behaupteten, nicht die Rede. Die Mitgliedskirchen sollten lediglich nochmals „auf Sonderprojekte und -programme“ im Rahmen des ARP „aufmerksam“ gemacht werden92. Klaus-Martin Beckmann betonte, „diese Möglichkeit“ sei „vor lauter Diskussion um Gewalt und Gewaltlosigkeit in der BRD“ bislang „gar nicht beachtet“ worden93. Anstatt hierzu Stellung zu beziehen, forderte der ZA den ÖRK angesichts wachsender „Besorgnis“ unter den Christen in „allen Teilen der Welt“ dazu auf, eine Studie über „gewaltlose und gewaltsame Methoden des sozialen Wandels“ zu erarbeiten. Das Referat „Kirche und Gesellschaft“ erhielt den entsprechenden Auftrag94. Der „Gesamttrend“ der Beschlüsse, so Beckmann, komme den Bedenken „aus dem lutherischen Raum und aus der BRD“ zwar entgegen. Es werde aber „weiterhin viel Auseinandersetzung“ darüber geben, „ob Gelder besser von Kirche zu Kirche gegeben werden sollen, ob für den Sonderfonds nur freiwillige Gaben angemessen sind und ob Gelder nur projektgebunden gegeben werden sollen.“ Im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ hieß es, Addis Abeba gebe den Mitgliedskirchen „Hausaufgaben mit Zündstoff“95. Das für Februar anberaumte zweite Gespräch zwischen EKD und ÖRK wurde einvernehmlich abgesagt. Die westdeutschen ZA-Mitglieder sollten zunächst den Rat der EKD, die Kirchenleitungen und die EKD-Synode über die Beschlüsse unterrichten. Diese Gespräche, so Thimme, könnten „jetzt ohne Druck tagespolitischer Sensation und emotionaler Belastung“ stattfinden96. In seinem (unveröffentlichten) Teilnehmerbericht über die ZA-Tagung meinte Ulrich Scheuner, die „vielfach auf Anregung von deutscher Seite“ in die Resolution aufgenommenen Zusätze – darunter der Passus, wonach sich der ÖRK nicht mit politischen Gruppen identifizieren könne – sollten es den westdeutschen Kirchen „leichter machen“, die Beschlüsse von Addis Abeba aufzunehmen97. Letztlich gelang es Scheuner und den übrigen westdeutschen 91

SCHILLING, Krach. Vgl. WILLIAMSON, Kirche, 288. So der Wortlaut der verabschiedeten Resolution, zit. n. BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 217. 93 DERS., Rassismus, 522. 94 Zit. n. DERS., Anti-Rassismus, 217; ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1971], 74. 95 BECKMANN, Rassismus, 553; GIROCK, Hausaufgaben. 96 epd-ZA, Nr. 15 vom 21. 1. 1971, 5; epd-ZA, Nr. 20 vom 28. 1. 1971, 6. 97 Bericht Ulrich Scheuners vom 9. 2. 1971 (EZA BERLIN, 87/1096). 92

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Teilnehmern, die Synode der EKD zur Annahme des leicht modifizierten ARP zu bewegen: Die Zustimmung wurde erstens dadurch erleichtert, dass auch der Rat die Gesamtheit des Programms positiv in den Vordergrund rückte98. Von Weizsäcker lehnte es daher auch ab, von einer „Wiederholung von Arnoldshain“ zu sprechen. Raiser gab dem ÖRK-Stab allerdings eine wesentliche Mitschuld an dem „Unglück“, dass in der deutschen Öffentlichkeit nur der Sonderfonds in Erscheinung trat. Über die öffentliche Wirkung kirchlicher Stellungnahmen, v. a. Dietzfelbingers Protestbrief, äußerte er sich nicht99. Die synodale Zustimmung wurde zweitens durch das – in Addis Abeba eingeführte – Prinzip „multiple strategies“ erleichtert: Es gebe nicht eine „einzige“ weltweit „geeignete Strategie zur Bekämpfung des Rassismus“. An die Mitgliedskirchen erging der Aufruf, selbst „Strategien und Aktionsprogramme“ zu entwickeln100. Vor diesem Hintergrund beschloss die Synode: Der Kirche sei „jegliche Sanktionierung von Gewalttätigkeit verwehrt, aber die Grundsatzfragen über den Gebrauch von Gewalt in Gebieten sozialen Umbruchs bedürfen gründlicher und umfassender Untersuchungen.“ Noch ehe das Ergebnis von Addis Abeba vorlag, hatte der Rat die Kammer für öffentliche Verantwortung damit beauftragt, eine entsprechende Studie zu erarbeiten. Der Rat erhielt von der Synode wiederum den Auftrag, das Studium multipler Strategien voranzutreiben101. Der als Kompromiss dargestellte Beschluss war in erster Linie ein „Konsens in der Ermattung“. Nicht ganz zu Unrecht erklärte der Genfer Stab, „Arnoldshain“ sei gar „nicht modifiziert“ worden102. In der EKD dominierte nun jedoch die Einsicht, dass eine Fortsetzung der monatelangen Auseinandersetzung nicht im Interesse des deutschen Protestantismus und der Ökumene sein könne103. Der Eindruck einer volkskirchlichen Identitätskrise in Zeiten der Entkirchlichung stand ohnehin breit im Raum. Um weitere Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen, hatte der Rat dem Präsidium der EKDSynode empfohlen, weder ÖRK-Vertreter noch Jugenddelegierte einzuladen. Die Provokationen der „Kritischen Synode“ auf der Herbsttagung 1968 zeig-

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BERLIN 1971, 115. Zum Beschluss der Synode, CHRISTOPH, Kundgebungen, 44. BERLIN 1971, 115. Wolfgang Schweitzer kritisierte, „die ‚Klärungen‘ von Addis Abeba“ erweckten „eher den Eindruck einer halben Rechtfertigung dieser gespenstigen Vorgänge“ (SCHWEITZER, Macht, 163). 100 BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 219f. Der Aufruf war allerdings schon im Entwurf für das ARP enthalten, den der ÖRK-ZA auf seiner Sitzung in Canterbury billigte. Vgl. EBD., 24– 32, 30. 101 Zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 44. Vgl. BERLIN 1971, 116; WILLIAMSON, Kirche, 288. 102 Brief van den Heuwels an Mumm vom 17. 3. 1971 (LAELKB NÜRNBERG, 132/207). Diese Sichtweise machte der ÖRK-Stab auch öffentlich geltend, HEUWEL, Programm. 103 LANGE, Anti-Rassismus-Streit, 238; MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 230 u. 307. 99

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ten noch immer Nachwirkungen. Das Präsidium folgte der Empfehlung und lud AGEJD-Delegierte, die auf der Frühjahrstagung nicht weiter negativ aufgefallen waren, als „jugendliche Gäste“ ein104. Ein Antrag, Vertreter bewaffneter Befreiungsbewegungen einzuladen, blieb vor diesem Hintergrund ohne Erfolg105. Der Ratsvorsitzende beförderte vielmehr selbst den öffentlich viel diskutierten Eindruck vom gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirchen. Sein im Rechenschaftsbericht ausgerufener „Glaubenskampf“ sollte die Presseberichte über die Synode beherrschen. An seine Ausführungen über das ARP und die deutsche Schulderfahrung anschließend, sprach Dietzfelbinger von einer „Epoche geistlicher Verwirrung“: „Anders gesagt: wenn nicht alles täuscht, so stehen wir heute in einem Glaubenskampf, einem Kirchenkampf, gegenüber dem der Kirchenkampf des Dritten Reiches ein Vorhutgefecht war. Das Unheimliche dabei ist, dass dieser heutige Kampf vielleicht kaum erkannt, zu allermeist verharmlost wird und unter Tarnworten wie Pluralismus voranschreitet.“106

Sepp Schelz wertete die Tagung als Beleg für den allgemein erlahmten Reformeifer der Kirchen. Auf der vorjährigen Frühjahrssynode sei er noch zu spüren gewesen107. Mit seinem umstrittenen Vergleich gab Dietzfelbinger Auskunft über Motivlagen, die zumindest sein Verhalten im Streit um das ARP wesentlich bestimmten, etwa das aus der BK abgeleitete Drängen auf ein koordiniertes Vorgehen der Kirchen108. Der Berliner Sozialethiker Theodor Strohm nannte einen weiteren – damit verbundenen – Aspekt: „Es geht um die Haltung der Kirche gegenüber dem nationalsozialistischen Gewaltregime, das auf Rassismus und Völkermord gesetzt hatte. [. . .] Die Kirche hat die

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Notiz für Adolf Wischmann zur Ratssitzung am 13. / 14. 1. 1971 vom 19. 1. 1971 (EZA BERLIN, 6/7352); Brief Ludwig Raisers, Präses der Synode der EKD, an Klaus Lubkoll, Generalsekretär der AGEJD, Eingangsstempel: 18. 1. 1971 (EZA BERLIN, 182/40). Zur „Kritischen Synode“, vgl. oben Kap. 3. 8. 2. 105 Unterschriftenliste einer nicht näher erläuterten „Initiative zur gegenwärtigen Auseinandersetzung über das Rassismusprogramm des Ökumenischen Rates der Kirchen“ (EZA BERLIN, 2/7932). 106 BERLIN 1971, 33f., Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]). Zum Presseecho, MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 304 u. die Presseauswertung über die Synode (EZA BERLIN, 2/ 8092). Die Bekenntnisbewegung lobte freilich sein „mutiges Wort“ (IBKAE (1967), Nr. 29, 2); KÜNNETH, Kirchenkampf. Zusammen mit ihren Landesgruppen und weiteren „evangelikalen“ Sammlungsbewegungen, u. a. der Evangelischen Sammlung Berlin, hatte sie am 7. 10. 1970 die „Konferenz der Bekennenden Gemeinschaften Deutschlands“ gegründet, BÄUMER / BEYERHAUS / GRÜNZWEIG, Weg, 24–29. 107 SCHELZ, Wasserzusatz. 108 Vgl. DIETZFELBINGER, Veränderung, 83.

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äußerste Konsequenz zur Verhinderung des Völkermordes und des Rassenmordes nicht gezogen, es wäre ein revolutionärer Akt gewesen.“109

In einem epd-Interview über seinen Vergleich erklärte Dietzfelbinger: „Reden und Schweigen kann gleichermaßen zur Schuld führen, deshalb werden wir auch nicht durch unser Tun gerechtfertigt. In der Anti-Rassismus-Frage zum Beispiel kann ich tun was ich will. Ohne schmutzige Hände geht das in diesem und in jenem Falle nicht.“110

Rückblickend auf Bonhoeffer, den er persönlich kannte, notierte Dietzfelbinger in seinen späteren Erinnerungen, er habe sich zu dessen „Art von Widerstand nicht berufen“ gefühlt, was dieser „durchaus anerkannte“, denn, so Dietzfelbinger mit Bezug auf die Verantwortung der Kirchen während des Nationalsozialismus, „ein Märtyrer stirbt einmal“, ein „Hirte“ müsse dagegen „hundertmal sterben.“111 In der Öffentlichkeit zeitigten die „Klärungen“ der Berliner EKD-Synode nicht die erhoffte Wirkung. Die Ökumene-Referenten der Landeskirchen beklagten, die Diskussion gehe größtenteils „so weiter, als habe es Addis Abeba nicht gegeben“ und als sei der Sonderfonds „weiterhin das massgebende Stück“ des ARP. In den Ortsgemeinden fehlten zu einer „richtigen Meinungsbildung einfach die nötigen Informationen“. Dies sei auch auf den Synodentagungen deutlich geworden112. Den allgemeinen Medien wurde nicht selten Desinformation vorgeworfen. Im Vorfeld der bayerischen Landessynodentagung berichtete etwa der „Münchener Merkur“ über den Ausgang der EKDSynode unter der Überschrift „EKD gibt Geld für Revolutionäre“. Dietzfelbingers Referent hatte sich bei der Redaktion zuvor mehrmals darüber beschwert, sie suggeriere den Eindruck, als segneten evangelische Kirchen den Guerillakampf mit Kirchensteuergeldern113. Vor dem Hintergrund der sich

109

STROHM, Kirche, 532. Dietzfelbinger hatte kurz vor der Erläuterung seiner KirchenkampfThese erklärt: „Wir in Deutschland haben vielen anderen Völkern [. . .] eines voraus: das ist die Erfahrung der Schuld.“ (BERLIN 1971, 29). Die Unterstützung von Gewalt wurde in „Christ und Welt“ als Abkehr vom Christentum dargestellt. Hierin liege der eigentliche „Kern des Glaubenskampfes“ (STUBBE, Glasperlenspiele). 110 Tonbandabschrift des am 29. 3. 1971 aufgezeichneten Interviews. Ob Dietzfelbinger es zur Veröffentlichung freigab, bleibt offen (EZA BERLIN, 81/3/287). 111 DIETZFELBINGER, Veränderung, 93 u. 117. 112 Niederschrift über die Sitzung der Ökumene-Referenten der Landeskirchen am 22. 4. 1971 (EZA Berlin, 6/5215). Auch die Kirchenkonferenz der EKD beklagte ein Informationsproblem. Niederschrift über die Sitzung der Kirchenkonferenz am 18. 5. 1971 (EZA Berlin, 2/1775). 113 „EKD gibt Geld für Revolutionäre“. In: Münchener Merkur, Nr. 43 vom 22. 2. 1971, 1; MUMM, [Leserbrief]; und dessen Brief an die Chefredaktion des „Münchener Merkur“ vom

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verschärfenden Terrorismusdebatte blieb dieses Bild auch in den Folgemonaten im Raum114. In den innerkirchlichen Auseinandersetzungen um das ARP wurde der Linksterrorismus weiterhin nur mittelbar kontextualisiert. Der „Antirassismusstreit“ fand in den allgemeinen Medien vorerst keinen Widerhall mehr. Die konsensuale Ermattung hielt somit weiter Bestand. Am Beschluss des ÖRKExekutivkomitees, dem Sonderfonds zusätzliche Mittel – ausschließlich Spendengelder – zuzuführen, nahm lediglich die Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher Anstoß. In einem offenen Brief warnte sie die Gliedkirchen der EKD vor einem neuen „Biafra-Abenteuer“. Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass das ARP die bislang meisten Einzelspenden aus der Bundesrepublik Deutschland erhalten hatte115.

4.1.4 Das „Antirassismusprogramm“ in der DDR Für die evangelischen Kirchen in der DDR und die deutsch-deutschen Kirchenbeziehungen barg das Programm ebenfalls reichlich Zündstoff. Es war die erste größere Aktion, an dem sich der neu gegründete BEK öffentlichkeitswirksam beteiligte, d. h. sowohl in der Ökumene als auch in der DDR116. Der Bund agierte im Spannungsfeld von Erwartungen seitens SED-Regierung und EKD. Letztere lehnte die unter Zwang herbeigeführte Bundgründung zwar ab, ließ sie aber ohne öffentlichen Protest geschehen. Albrecht Schönherr, Verwalter des Bischofsamtes in Berlin-Brandenburg und maßgeblicher Architekt des BEK, sah in einem von der EKD unabhängigen Kirchenbund die Chance, 10. 12. 1970 (LAELKB NÜRNBERG, 132/69). Vgl. LM 10 (1971), 199–200. Zum Verlauf der bayerischen Landessynodentagung im März 1971, MEYERS-HERWARTZ, Rezeption, 238– 243. 114 Nachdem im Februar die erste bundesweite Fahndungsaktion gegen den „Staatsfeind Nr. 1“ angelaufen war, und die Medien großflächig über die ersten Gerichtsprozesse berichtet hatten, wurden im Sommer bzw. Herbst 1971 die ersten Todesopfer beklagt, sowohl auf Seiten der „Baader-Meinhof-Gruppe“ bzw. „-bande“ als auch auf Seiten der Polizei, WEINHAUER, Terrorismus, 226; AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 175 u. 197. 115 LANGE, Anti-Rassismus-Streit, 238; epd-ZA, Nr. 177 u. 182 vom 10. bzw. 17. 9. 1971, 1 bzw. 7f.; und EpdD, Nr. 44/1971, 2–22. Zur Notgemeinschaft und der Spendenstatistik, epdZA, Nr. 185 u. 193 vom 22. 9. bzw. 4. 10. 1971, 5. 116 Nach dem Inkrafttreten der neuen DDR-Verfassung im April 1968 war für die Kirchen in der DDR die Zusammenarbeit mit und die Zugehörigkeit zur EKD verfassungswidrig geworden. Nach der Gründung im Juni 1969 signalisierte der BEK mit Artikel 4, 4 seiner Ordnung, dass man mit der EKD in einer „besondere[n] Gemeinschaft“ selbständiger Partner weiter zusammenarbeiten wolle. Die gesamtdeutsche Gemeinschaft der evangelischen Christenheit sollte künftig aber nicht mehr sichtbar werden. Diese Formel machte es vielen, „wenn nicht den meisten“ ostdeutschen Kirchenvertretern erst möglich, die Einheit der EKD preiszugeben (LEPP, Tabu, 927).

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eigene ekklesiologische Reformvorstellungen um- und durchzusetzen. Durch Gesprächskontakte zu Staats- und Parteivertretern vergrößerte er seinen persönlichen Einfluss auf den Gründungsprozess. Der BEK und die übrigen Kirchen hingen weiter am Finanztropf des Westens. Insbesondere die jüngere und mittlere Generation ostdeutscher Kirchenvertreter unterstützte Schönherrs Kurs zur Neustrukturierung der Kirche entsprechend des spezifischen gesellschaftlichen Kontextes: „Unter den gegebenen Bedingungen, daß nämlich zwischen der DDR und der BRD [. . .] die Grenze zweier antagonistischer Gesellschaftsordnungen verläuft, wird der Feststellung [. . .] zuzustimmen sein: ‚Die Staatsgrenzen [. . .] bilden auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmöglichkeiten.‘ [. . .] Kirchliche Organe sollen dem Zeugnis der Kirche dienen. Wenn sie das nicht mehr können, müssen sie verändert werden.“117

Die Kirchenvertreter sahen sich im Wettlauf mit der Zeit und versuchten mit initiativem Handeln, dem Staat gegenüber soviel kirchlichen Freiraum wie möglich zu schaffen. An der darüber bewusst in Unkenntnis gehaltenen kirchlichen Basis wuchs das Misstrauen, die Bischöfe könnten die Kirchen gegenüber dem Staat gefügig machen118. Zum Zeitpunkt des Arnoldshainer Beschlusses hatte die SED den BEK noch nicht anerkannt. Sie verfügte damit über ein weiteres Drohmittel zur Durchsetzung ihrer kirchenpolitischen Differenzierungs- und Spaltungspolitik. Außen- und wirtschaftspolitisch spielte ihr das ARP in die Karten119. Rassismus galt als das vermeintlich alleinige Übel der kapitalistischen westlichen Welt und konnte propagandistisch gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Zweiten Welt ausgespielt werden. Für ihr Ziel, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, konnte das Regime die Kirchen einspannen, schließlich versprach die Aufnahme in die Vereinten Nationen eine erhebliche Vereinfachung der Formalitäten bei ökumenischen Besuchsreisen120. Die ostdeutschen Kirchen konnten sich von einem internationalen Prestigegewinn zudem entgegenkommende Maßnahmen erhoffen. Umgekehrt war es für sie geradezu 117 Zit. n. WILKENS, Kirchen [1968], 242. Zum breiten Meinungsspektrum in den ostdeutschen Kirchen zur Bundgründung und der Eigendynamik, die er als multikausaler Prozess in Gang setze, LEPP, Tabu, 921–924. 118 EBD., 924. 119 Dazu ausführlich, VAN DER HEYDEN, DDR; DERS. / SCHLEICHER / SCHLEICHER, Solidarität. 120 Auf der ZA-Tagung in Addis Abeba wurde die Mitgliedschaft des BEK im ÖRK beschlossen. Die Landeskirchen und die kirchlichen Zusammenschlüsse in der DDR, d. h. VELKD und EKU, hatten zuvor entschieden, dass der BEK die ökumenischen Beziehungen nach außen wahrnehmen sollte, BESIER, Programm, 256; „DDR-Delegation in Genf“. In: BSBl, Nr. 6 vom 8. 2. 1970, 2.

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selbstmörderisch, das ARP abzulehnen. Dieser Schritt wäre einer demonstrativen Konterkarierung der DDR-Außenpolitik gleichgekommen. Fest steht: Am 24. Februar 1971 wurde der BEK durch die Regierung der DDR offiziell anerkannt. Damit endete ein 13 Jahre andauernder Zustand der Sprachlosigkeit zwischen Staat und Kirche. Zwei Wochen zuvor hatte das SED-Politbüromitglied Paul Verner auf einer Präsidiumssitzung der Ost-CDU in einer programmatischen Rede erklärt: Die Kirchen der DDR stellten sich hinter das ARP „und objektiv auch gegen die weniger aus theologischen denn aus politischen Motiven eingenommene Kontrovershaltung evangelischer Kirchen in der BRD gegen dieses Anti-Rassismus-Programm.“121 Verner lobte damit den auch in ostdeutschen Kirchenzeitungen abgedruckten Brief Schönherrs an ÖRK-Generalsekretär Blake vom 9. Januar 1971. Als Vorsitzender der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL), dem Leitungsorgan des BEK, hatte Schönherr dessen Zustimmung zum ARP und dem Arnoldshainer Beschluss erklärt. Die Vergabekriterien für den Sonderfonds – „zwar ohne Kontrolle, doch nicht für Gewaltanwendung“ – seien „nicht ohne Risiko“. Wegen „der in der Geschichte angehäuften Schuld der Weißen“, die Kirchen eingeschlossen, halte man es aber für „vertretbar und gerechtfertigt“; auch weil die geförderten Organisationen eine humanitäre Verwendung „zuverlässig versichert“ hätten. „Arnoldshain“ stehe in Kontinuität mit früheren ökumenischen Beschlüssen zum Rassismus. Dessen Überwindung sei „heute ein Modellfall für die umfassende Verwirklichung der Allgemeinen Menschenrechte.“ Dem BEK sei es aber wichtig, dass bei der Umsetzung des ARP „das Zeugnis vom Kreuz, an dem unser Herr sich selbst geopfert hat, um der Versöhnung zu dienen, nicht verdunkelt“ werde. Die Kirchen müssten „konkret Partei ergreifen“ und durch „situationsgerechte Maßnahmen“ helfen. Schönherr kündigte an, der BEK werde zu einer Sonderspende im Rahmen von „Brot für die Welt“ aufrufen. Die Spenden sollten für Projekte im Ausbildungs- Sozial- und Gesundheitswesen bestimmt sein122. Inwieweit diese erste aus der DDR kommende kirchliche Stellungnahme zum ARP mit der EKD abgesprochen war, kann hier ebenso wenig geklärt werden wie die Frage nach staatlicher Einflussnahme. Da die KKL ihr Votum lange hinauszögerte und deshalb sowohl von Seiten des Regimes als auch aus den Reihen der kirchlichen – von Ost-CDU und CFK beeinflussten – Jugendarbeit „EKD-Nähe“ unterstellt wurde, scheint eine opportunistische Haltung eher abwegig123. Die Protokolle der Ende 1969 eingerichteten gemeinsamen 121 122 123

Zit. n. WILKENS, Kirchen [1971], 214. Zur Anerkennung, 217–222. epd-ZA, Nr. 9 vom 13. 1. 1971, 6f., Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]. Einen anderen Schluss lässt die – hier überzeugend argumentierende – Dissertation von

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„Beratergruppe“, dem still und leise operierenden inoffiziellen Austauschgremium von BEK und EKD, geben zu diesen Fragen keine weitere Auskunft124. Auf eine mögliche staatliche Einflussnahme machte im Dezember 1970 der epd aufmerksam: Der vom Regime sonst kritisch beäugte ENA hatte erklärt, die kirchliche Diskussion in der DDR werde „ohne jene Hektik“ geführt, die die westdeutsche kennzeichne. Im Westen würden „Fehlurteile“ hinsichtlich der „Ausübung von Gewalt bei der Bekämpfung des Rassismus“ produziert. Kirchenleute hätten sich „von den Schlagzeilen einer bestimmten Presse“ beeindrucken lassen125. Wenige Tage nach Veröffentlichung der BEK-Stellungnahme erhielten ausgewählte EKD-Mitarbeiter ein vertrauliches epdDokument über die Entstehungshintergründe des Votums. In der Diskussion der 24-köpfigen KKL habe sich gezeigt, dass „vor allem“ bezüglich der Unterstützung Gewalt anwendender Organisationen die westdeutschen Einwände gegen das ARP geteilt würden. In dem Brief an Blake sei daher „die Absicht, gewaltloses Vorgehen zu fördern, besonders hervorgehoben worden.“126 Angesichts der ostdeutschen Debatte um eine „Theologie der Revolution“ (1966– 1968) gewinnt die Warnung vor einer „Verdunkelung des Kreuzes“ an Plausibilität. Schröter vermutet hinter der Stellungnahme der KKL eine „Doppelstrategie“: „Es ergab sich praktisch nach außen für die weltweite ökumenische Gemeinschaft der Eindruck, daß der BEK das Programm in allen seinen Bestandteilen unterstützte, während nach innen – gestützt durch die Formulierungen des Spendenaufrufs aber vor allem durch Kommentare verschiedener kirchlicher Gremien – sich die Sammlung kaum noch von anderen Hilfsaktionen unterschied.“127

Hans-Jürgen Schröter nicht zu, SCHRÖTER, Rezeption, 49–68. Schröter identifizierte „Analogie[n] zu Stellungnahmen aus der Jugend- und Studentenarbeit der BRD“: Der Ökumenische Jugenddienst des BEK (ÖJD) um Wolf-Dietrich Gutsch, mittlerweile geführt als IM „Dietrich“ des MfS, hielt der KKL vor, ihre Parteinahme für Unterdrückte bringe nur einen „faulen ‚Gemeindefrieden‘“. Im Sinne entschiedener „Parteilichkeit im internationalen Klassenkampf“ seien „Polarisierungen“ in der Kirche notwendig. Insbesondere junge Christen hätten die Herausforderung angenommen und mit „eigenen Aktionen weitergeführt“ (EBD., 157). Vgl. KRUSCHE, Menschen, 50–52. Zu Gutsch, LINDEMANN, Sauerteig, 839f. Vgl. oben Kap. 2. 5. 2. 124 Dies wohl mit gutem Grund, schließlich war deren Existenz dem MfS durchaus bekannt. Zu den Sitzungen vom 15. 9. und 16. 11. 1970 konnte kein Protokoll ermittelt werden, EZA BERLIN, 4/67. Zur Konstituierung der Beratergruppe, SILOMON, Anspruch, 153. 125 Zit. n. epd-ZA, Nr. 238 vom 5.12. 1970, 4; ENA, Nr. 47 vom 25. 11. 1970, 5–7, 6. 126 epd-Vertraulich, Nr. 1 vom 14. 1. 1971, 2 (EZA BERLIN, 650/63). 127 Vgl. oben Kap. 2. 5. 2. SCHRÖTER, Rezeption, 139. Zum Spendenaufruf, den in der Bundesrepublik die „Junge Kirche“ abdruckte, WILKENS, Kirchen [1971], 326–331 bzw. JK 30 (1971), 202f.

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Bedeutete die Warnung vor der „Verdunkelung“ etwa ein Signal an die EKD? Im Oktober 1970 hatte die Kirchenkonferenz der EKD erklärt, die Kirche müsse von Gewalt abraten, wenn „sie ihre Verkündigung der frohen Botschaft nicht verdunkeln“ wolle128. Laut der epd-Meldung habe Schönherr in einem vertraulichen Gespräch erläutert, weshalb der Bund das ARP einstimmig unterstütze. Erstens sei die Situation in der DDR „angenehmer“, denn anders als im Falle der EKD blase dem BEK nicht der „Gegenwind der politischen Publizistik und infolgedessen auch nicht die emotionale Kritik“ entgegen. Zweitens sei die Beteiligung mit Kirchensteuermitteln am Sonderfonds „von vornherein ausgeschlossen“ gewesen. Zum einen „mangels Masse“, zum anderen „jedoch, weil Erkundungen bei der Regierung“ ergaben, dass „auch in diesem Falle der Kirche ein Devisentransfer nach Genf staatlich nicht ermöglicht“ worden wäre. Folglich konnten nur Sachmittel an die Organisationen geliefert werden. Wollte die KKL also Gelder transferieren, konnte bzw. durfte dies aber nicht? Schönherr betonte, alle Festlegungen im Westen seien ohne Rücksicht auf möglicherweise andere Erwägungen im BEK geschehen. Selbst habe man aber „jede polemische Profilierung gegenüber Äußerungen der EKD oder der westlichen VELKD vermieden“. Den eigenen Beschluss vom 9. Januar wolle man „nicht als massive Kritik an den westlichen kirchlichen Entscheidungen interpretiert sehen.“ Die Kirchen in der DDR hätten ihrer eigenen Verantwortung als unmittelbare Mitgliedskirchen des ÖRK entsprechen müssen. Das eigenständige Engagement in der Rassismusfrage werde seitens der SED jedoch „nicht so gern“ gesehen. Anders als das CDU-Organ „Neue Zeit“ habe denn auch der staatliche Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst keine Meldung darüber gebracht. In der KKL sei auch das „Opportunismus-Problem“ diskutiert worden. Dies habe dazu geführt, dass in dem Brief an Blake die Überwindung des Rassismus als „‚Modellfall für die umfassende Verwirklichung der Allgemeinen Menschenrechte‘“ gekennzeichnet wurde. Eine Stellungnahme hierzu, so Schönherr, eröffne die Möglichkeit, „unter Rückgriff auf diese Erklärung auch, wenn es nötig wird, für die Menschenrechte in Fällen einzutreten, in denen es politisch alles andere als opportun ist.“129 Schröter urteilte somit zu Recht, die „gegenseitige Zurückhaltung“ von EKD und BEK sei bis ins Jahr 1974 „besonders auffällig“ gewesen130.

128 Die wörtliche Parallele ist auch einem Schreiben der VELKD-Kirchenleitung an Blake zu entnehmen, BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 96 u. 118. Vgl. SCHRÖTER, Rezeption, 102. 129 Zit. n. epd-Vertraulich, Nr. 1 vom 14. 1. 1971, 2f., Hervorhebung im Original (EZA BERLIN, 650/63). 130 SCHRÖTER, Rezeption, 170.

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Die auf Bundesebene beschlossene Unterstützung des ARP war in den ostdeutschen Landeskirchen äußerst umstritten. Eine diakonisch motivierte Hilfsbereitschaft war in den Kirchengemeinden freilich vorhanden. In den Kommentaren des ÖJD wurde sie als bloßes „Kurieren an den Symptomen“ abgewertet. Mit einer derartigen „Verlagerung auf die Ideologie“ war in den Gemeinden aber „keine müde Mark“ zu gewinnen131. Vor der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes hielt Bischof Hans-Joachim Fränkel der KKL Ende März vor, sie habe die Frage nach der Unterscheidung des Engagements von Christen und Kirchen „nicht ausreichend“ bedacht. Der Arnoldshainer Beschluss habe daher auch ein „weltweites Echo“ gefunden, das von „freudiger Zustimmung bis zu schroffer Ablehnung reichte“. Laut Fränkel beschloss die Kirchenleitung, den Spendenaufruf des BEK mit folgender Erklärung weiterzuleiten: „Wir haben als Kirche für allseitige und nicht einseitige Geltung der Menschenrechte einzutreten. Die Überwindung des Rassismus ist auch für uns ein Modellfall der Verwirklichung der Allgemeinen Menschenrechte. [. . .] Wir bestimmen aber, daß die von unseren Gemeinden aufgebrachten Spenden nur solchen Bewegungen zugute kommen, die nicht die Methoden der Geiselnahme oder des Geiselmordes anwenden und bei denen der Ökumenische Rat erwarten darf, daß sie nicht eine Tyrannei durch eine andere ablösen werden, sondern eine gerechtere und freiere Gesellschaftsordnung schaffen wollen“.

So äußerte sich auch die Leitung der Evangelischen Kirche der KPS auf ihrer Synodentagung Anfang November 1971. Es habe nicht nur in den westdeutschen, „sondern auch aus unseren eigenen Kirchen Widerspruch gegen eine Beteiligung“ am ARP gegeben. Das Eintreten für das ARP „solle nur ablenken von unserer Verpflichtung, auch in unserem Raume für die Menschenrechte einzutreten.“ Die Kirchenleitung sei sich bewusst, dass sie „nur dann glaubwürdig Stellung nimmt, wenn sie sich zugleich für die Geltung der Menschenrechte im eigenen Land einsetzt.“132 Nach dem Bekannt werden des Spendenaufrufs meldete ein Neukirchener Pfarrer Schönherr gegenüber unverhohlen Kritik an. Dem Bischof schrieb er: „Fehlt nicht noch ein ‚Aufruf zur Aktion für Anti-Klassenkampf und Anti-Klassenhaß-Programm‘? Unter Klassenkampf und Klassenhaß verstehen wir die Unterdrückung von Menschen durch Menschen anderer Weltanschauung und insbesondere die anmaßende Überzeugung von Überlegenheit und Vorrechten derer, die Klassenkampf und -haß predigten.“

131 132

EBD., 46f. Zit. n. WILKENS, Kirchen [1971], 328–332.

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In seiner brieflichen Antwort entgegnete Schönherr schroff, den „Arbeiterund Bauernstaat“ quasi bejahend: „Im Gegensatz zu dem Rassismus wird man nicht bestreiten können, daß dem Klassenkampf eine Berechtigung nicht abzusprechen ist. [. . .] Ich glaube, man sollte bei aller verständlichen Verärgerung über die seltsamen Erscheinungen das geschichtlich Berechtigte des Klassenkampfes nicht außer acht lassen.“133

Zwei Wochen vor dem KKL-Beschluss vom 9. Januar war in mehreren Bezirkszeitungen der Ost-CDU ein Artikel erschienen, in dem Schönherr das ARP klar bejahte. Laut Schröter griff er darin „genau die Schwerpunkte“ auf, die das Staatssekretariat für Kirchenfragen von den Kirchen eingefordert hatte. An die Adresse der Kirchenleitungen erklärte der KKL-Vorsitzende und frühere Bonhoeffer-Schüler: „Es geht letzten Ende gar nicht um Gewalt und Gewaltlosigkeit, nicht einmal darum, ob es nicht legitime Gründe gibt, dem Terror der Unterdrücker mit Gewalt zu begegnen. Hinter all diesen Problemen [. . .] steht das elementare Problem der Menschenwürde.“ Zwei Absätze weiter oben nannte Schönherr explizit das Stichwort „Menschenrechte“134. Die Nennung lag keineswegs im Interesse des Staatssekretariats. Im Rückblick bezeichnete Günther Krusche das ARP zugespitzt als „trojanisches Pferd“, mit dessen Hilfe die Menschenrechtsthematik noch vor der Unterzeichnung der HelsinkiSchlussakte 1975 in die Gemeinden getragen werden konnte. In der DDR galt „Menschenrechte“ als westlicher Begriff, der sich im Dienste des „imperialistischen Klassenfeindes“ gegen den Aufbau des Sozialismus richtete. Die SED „gewährte“ lediglich sozialistische „Bürgerrechte“. Für die SED war das ARP ein ambivalentes Unterfangen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurden selbst energische Anhänger einer konstruktiven kirchlichen Mitarbeit in der kommunistischen Gesellschaft misstrauisch beäugt. Wie die Diskussion um eine „Theologie der Revolution“ belegt, standen theologische Begründungsmuster generell unter Verdacht, „ideologische Diversion“ zu betreiben. Die Anhänger einer stärker „kritisch-konstruktiven“ Linie lebten von daher zweifellos „gefährlich“135. Schönherrs Argumentation muss unter Berücksichtigung dieses Hintergrunds betrachtet werden. Seine Ausführungen verdeutlichen, dass der Begriff „Menschenrechte“ allerdings auch „staatstragend“ in Anspruch genommen wurde. Die „Gewalt“ betreffenden Formulierungen in

133

Beide zit. n. BESIER, Programm, 264. Zit. n. WILKENS, Kirchen [1970], 197–199; SCHRÖTER, Rezeption, 63. Schönherr zitierte aus der im Sommer 1970 in Evian verabschiedeten Resolution des LWB zur Frage der Menschenrechte. Vgl. EVIAN, 191–193. 135 KRUSCHE, Menschen, 68f. u. 88f.; SCHRÖTER, Rezeption, 92. 134

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der Stellungnahme des BEK zum ARP waren deshalb wohl weniger auf Schönherrs Betreiben zurückzuführen. Der vom Facharbeitskreis III „Ökumenische Diakonie“ der Ökumenekommission des Bundes (FAK) erarbeitete Entwurf war „nach lebhafter Diskussion“ von den Mitgliedern der KKL verändert worden. Die in der Sitzung erhobenen Einwände bezüglich der Gewaltproblematik flossen erst nachträglich in die endgültige Stellungnahme ein. Die Vorarbeit des für die Beschäftigung mit dem ARP zuständigen FAK III war somit durchaus umstritten136. Von Schönherr protegiert, wirkte der von gewiss staatsnahen „avantgardistischen Gruppierungen“ (ÖJD, ESG und CFK) besetzte FAK III auf einen „Denk- und Lernprozess“ in den Gemeinden hin. Intern war von einem „Erziehungsprozess“ die Rede. Aufgrund personeller Verbindungen wurde der FAK dabei vom Genfer ÖRK-Stab tatkräftig unterstützt137. Im Konflikt mit der EKD suchte dieser wiederum den Schulterschluss mit dem FAK. In seiner Antwort auf die Stellungnahme des BEK erklärte Blake, sie sei „doppelt nützlich, geht aus ihr doch eindeutig hervor“, dass das ARP in Addis Abeba „keineswegs“ geändert worden ist. Doch anders als von Blake behauptet, konnte der Brief des Bundes zur erst später erfolgten Entschließung von Addis Abeba noch gar nicht Stellung bezogen haben. Blakes Brief wurde in den vom FAK regelmäßig herausgegebenen „Informationen zum Antirassismusprogramm des ÖRK“ abgedruckt138. Zusammen mit Schriftgut aus Blockparteiquellen gaben die in der Reihe abgedruckten ÖRK-Materialien Auskunft über die unterstützten Befreiungsbewegungen. Die ideologisch überfrachteten Inhalte thematisierten weithin den polit-ökonomischen Aspekt einer Bekämpfung des Rassismus. Theologische Betrachtungen spielten dabei keine große Rolle. In den Landeskirchen stieß die Kampagne auf wenig Gegenliebe. Selbst der BEK machte kaum Anstalten, sie zu fördern139. Es gibt sogar zahlreiche Hinweise, die darauf hindeuten, dass der BEK die Öffentlichkeitsarbeit des FAK sabotierte: aus Sorge, die zur Passionszeit ausgerufene Spendenaktion könne zum Fiasko werden und damit das Regime auf den Plan rufen. Offiziell ließ der BEK verlauten, das – in Wahrheit statistisch schöngefärbte – hohe Aufkommen der ersten Sonderspende für das ARP sei eine Auswirkung des in seinem 136

epd-Vertraulich, Nr. 1 vom 14. 1. 1971, 2f. (EZA BERLIN, 650/63). Viele Auslandsreisen waren nur mit Zuschüssen in konvertibler Währung durchführbar. Das SED-Regime stellte den Kirchen hierfür nichts zur Verfügung, wenngleich es sich davon einen Prestigegewinn erhoffte. Somit bezahlte die ökumenisch als eher konservativ wahrgenommene EKD auch die Reisekosten der – aus Genfer Sicht – „progressiven“ Ökumeniker des BEK. 138 Zit. n. Schröter, Rezeption, 168. Vgl. ENA, Nr. 50 vom 15. 12. 1971, 2; Besier, Programm, 267. 139 SCHRÖTER, Rezeption, 111–115. 137

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Namen herausgegebenen Infomaterials. Bei einer breiteren Wirkung wäre das Sammelergebnis allerdings wohl (noch) negativer ausgefallen. Tatsächlich war der Großteil der Spenden von einem „traditionellen Karitas-Verständnis“ getragen. Die von den Landeskirchen herausgegebenen Zeitschriften betrieben eine dementsprechend ausgerichtete Werbung140. Als eine Art Krisentreffen ist daher auch die erste Multiplikatorenkonferenz des BEK im Oktober 1971 anzusehen. In einer Auswertung beklagte der FAK III die „recht unterschiedliche und unbefriedigende Beschickung der Konferenz“. Wie wenig die Landeskirchen das Anliegen der Tagung mit trugen, verdeutlichen folgende Zahlen: Von den 48 Teilnehmern waren nur 19 Delegierte der Landeskirchen. Von den vier eingeladenen KKL-Mitgliedern erschien lediglich Schönherr141. Im Rückblick auf seine Teilnahme an der zweiten Multiplikatorenkonferenz, die genau ein Jahr später stattfand, beklagte der ÖJD-Aktivist Giselher Hickel gegenüber führenden Mitarbeitern des FAK, er bezweifle, „daß der Consensus zwischen denen, für die die DDR im Prinzip ‚auch nur ein Unrechtsstaat‘ ist, gegen den eigentlich eine ‚zweite Front‘ zu errichten wäre, und denen, die in diesem Staat einen brauchbaren Partner sehen, weil wesentliche Züge seiner Außenpolitik den Interessen der betroffenen Völker sehr nützlich sein können, ich bezweifle, daß der Consensus zwischen solchen Positionen haltbar und vor allem wünschenswert sein kann.“142

Bereits im Bericht über die erste Multiplikatorenkonferenz kamen beide Positionen entsprechend zur Geltung: „Sozialistische Länder unterstützen die Befreiungsbewegungen, wir kommen also in eine Partnerschaft mit Kommunisten.“ Weiter unten hieß es dann: „Solidarität heißt nicht, Flucht aus der eigenen Situation. Sie verhilft zur Erkenntnis, daß der ‚Schnupfen‘ in der DDR nicht vergleichbar ist mit dem ‚Geschwür‘ im Süden Afrikas.“143 Wegen der allgegenwärtigen Bedenken in den Landeskirchen gegen eine „Verdunkelung des Kreuzes“ konzentrierte sich das theologische Hauptreferat auf die Gewaltfrage. Es referierte Günther Krusche. An seine früheren Ausführungen 140 EBD., 115–121. Das Aufkommen der ersten Spendenaktion betrug rund 900.000 Mark der DDR. Davon wurde mehr als die Hälfte dem staatlichen Afro-Asiatischen Solidaritätskomitee zur Verfügung gestellt. Zu dessen Materiallieferungen an antikoloniale Kampforganisationen, u. a. an die FreLiMo, gehörten 1971 auch paramilitärische Güter, SCHLEICHER, Solidaritätskomitee, 197. Dem BEK wurde im August hingegen zugesichert, sämtliche Hilfsaktionen dienten dem Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen, SCHRÖTER, Rezeption, 136f. 141 EBD., 122. 142 Brief Hickels an Christa Lewek und Elisabeth Adler vom 1. 11. 1972, zit. n. BESIER, Protestantismus, 262f. 143 Zit. n. KRUSCHE, Menschen, 105.

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zur „Theologie der Revolution“ anschließend, berührte Krusche, seit 1970 Studiendirektor am Lückendorfer Predigerseminar, die Frage nach der Parteilichkeit der Kirche im politischen Kampf. Es gelte zu berücksichtigen, dass die Kirche „in gewisser Weise“ über den Fronten stehe, denn „überall“ stünden „Christen diesseits und jenseits der bestehenden Fronten.“ In der Gesellschaft dürfe die Institution Kirche nicht „als politischer Faktor einseitig Partei“ ergreifen. „Gerade deshalb ist sie frei, für diejenigen einzutreten, die keinen Fürsprecher und keinen Rechtsbeistand in der bestehenden Gesellschaftsordnung haben. Das schließt jedoch nicht den Appell an ihre in die Gesellschaft und deren Machtstrukturen ‚hineingesandten‘ Glieder aus, diese Gesellschaft zum Guten zu verändern – notfalls mit Gewalt.“

Krusches Vortrag fand Eingang in die vierte Informationsbroschüre des FAK. Die „Zeichen der Zeit“ druckten ihn ebenfalls ab. Als eine der wenigen in der DDR übrig gebliebenen kirchlichen Monatszeitschriften thematisierte sie zu diesem Zeitpunkt die vielschichtige ekklesiologische Formel „Kirche im Sozialismus“144. In den Kirchengemeinden blieb das ARP sehr unbeliebt. Dies ergab eine zwischen April und September 1972 erhobene Repräsentativumfrage des – das ARP bejahenden – Arbeitskreises der Landesjugendkonvente: Angeschrieben wurden die insgesamt 212 Superintendenturen des BEK. Die 95 Rückantworten gaben über das Meinungsbild in 2.612 Gemeinden Auskunft. Hinzu kommt, dass Superintendenturen, die das ARP ablehnten, in einigen Fällen gar nicht antworteten. Zahlenmäßig fällt auf, dass die ablehnenden Stellungnahmen mehr als das Doppelte der befürwortenden ausmachten. Allein 58 Prozent der das ARP ablehnenden Voten machten als Hauptkritikpunkt geltend: „Keine Unterstützung von Gewalt/gegen Waffenfinanzierung/Anzweiflung der Glaubwürdigkeit rassisch Verfolgter/Anfrage der Vergabe ‚ohne Kontrolle‘“. Ohne dies zu belegen, stellte Schröter fest: „Man sieht hieran, dass die in der EKD vordergründig hochgespielte Gewaltfrage sowie die Polemik gegen [die] Vergabe von Geldern ohne Kontrolle auch einen starken Einfluß auf die DDR-Gemeinden ausgeübt hat.“145 Den Ökumene-Referenten des BEK ließen Funktionäre des Staatssekretariats für Kirchenfragen wissen, man habe

144 KRUSCHE, Kirche, 83; SCHRÖTER, Rezeption, 110; ZdZ 26 (1972), 141–147; und BULISCH, Presse, 317 u. 354. 145 SCHRÖTER, Rezeption, 148f. Die Diskussion um die „Theologie der Revolution“ in der DDR ausklammernd, schrieb er, die westdeutsche Debatte habe die Gewaltfrage im BEK „erst zu einem Thema gemacht“ (EBD., 190).

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den „Eindruck, daß fremde Gedanken systematisch von außen in die Pfarrerschaft infiltriert würden“. Pabst widersprach: „Ich sagte, daß eine Minderheit der Pfarrer und Kirchengemeinden dem Antirassismusprogramm zurückhaltend gegenüberstehe [. . .], doch sei mir von einer ausdrücklichen Gegenkonzeption gegen die kirchenpolitische Linie des Bundes und von einer systematischen Propaganda gegen die Aktivitäten des ÖRK nichts bekannt.“146

In der Bundesrepublik war das ARP jedenfalls sehr umstritten – dies vor dem Hintergrund der dortigen Gesellschaftsdebatte über linksterroristische Gewalt, die im ostdeutschen Protestantismus allerdings wohl eher mit Gleichgültigkeit rezipiert wurde.

4.2 Kampf um die gute Sache: Protestanten im Zwielicht 4.2.1 Unbehagen an der Gesellschaft und „kreativer“ Hass Am 15. Juli 1971 verstarb das zwanzigjährige RAF-Mitglied Petra Schelm während eines Schusswechsels mit der Hamburger Polizei. Zehn Tage später veröffentlichte das Allensbacher Institut die Ergebnisse einer Repräsentativumfrage über „Baader-Meinhof: Verbrecher oder Helden?“. Von rund 1.000 Befragten meinten 51 Prozent, die Gruppe handele „auch heute noch vor allem aus politischer Überzeugung“. 82 Prozent kannten sie. Jeder vierte Bundesbürger im Alter unter 30 Jahren gestand „gewisse Sympathien“ für die RAF ein. Jeder zehnte Norddeutsche erklärte sich bereit, gesuchte Gruppenmitglieder für eine Nacht zu beherbergen. Im Bundesdurchschnitt war es jeder zwanzigste. Für die Polizeifahndung konstatierten die Demoskopen ein „schwieriges sozialpsychologisches Klima“147. Angesichts der in unzählige leninistische, maoistische, stalinistische und trotzkistische Kleingruppen zerfallenen Studentenbewegung kommunizierten die Aktivisten der Neuen Linken das paranoide „Gefühl, selbst Objekt staatlicher Verfolgung und Gewalt geworden zu sein.“148 Unter dem Stichwort „Strukturelle Gewalt“ ergriff das vom Misstrauen gegenüber dem parlamentarischen Rechtsstaat (im „Spätkapitalismus“) genährte Bedrohungsgefühl auch

146 Aktenvermerk Pabsts über eine Unterredung im Staatssekretariat für Kirchenfragen am 5. 12. 1972, zit. n. BESIER, Programm, 266. 147 Zit. n. EBD., 189; NOELLE / NEUMANN, Jahrbuch, 237f. Vgl. KEPPLINGER, Statusdevianz. 148 DAVIS, Terror, 159. Zur Genese der sogenannten K-Gruppen, KÜHN, Enkel. Zu den undogmatischen Sponaneisten, KRAUSHAAR, Sponti-Szene.

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die nicht-gewaltbereite Mehrheit der Neuen Linken149. Die Entwicklung machte auch vor Theologiestudenten nicht Halt. In Marburg verteilte der Pfarrersohn und Theologiestudent Kornelius Burghardt im Sommersemester 1970 das mehrseitige Flugblatt „Für Militanzstrategie und für gefallene Engel“. Mit Berufung auf Mao Zedong unterstrich Burghardt, Mitglied des Marburger Arbeitskreises „Kritische Theologie“: „Nun erkennen wir permanent, dass die bestehende Gesellschaftsordnung uns zerstören will [. . .]. Unser Fehler, den wir bis jetzt gemacht haben, ist, dass wir mit ungeeigneten und unzulänglichen Mitteln unsere Befreiung erkämpfen wollen: Nicht durch die Rationalisierung und Überprüfung überlieferter Denk- und Lebensvorstellungen befreien wir uns [. . .]. Wir können uns nicht in den bestehenden Anforderungen der Umwelt emanzipieren, sondern müssen uns mit aller Gewalt loslösen von ihnen, müssen unsere Befreiung in von uns gewählten Räumen suchen. Diese Freiräume bekommen wir nicht freiwillig von der Gesellschaft, sondern haben sie uns zu erkämpfen gegen Reaktion, die Technokratie, mit allen Mitteln, angefangen von dem passiven Widerstand bis hin zum Bombenlegen. Denn es geht um unsere Selbstbehauptung. Nur in diesem Freiräumen kann es uns gelingen, den ‚Feind totzuwachsen‘.“150

Der Bischof von Kurhessen-Waldeck teilte der EKD-Kirchenkanzlei darauf mit, es sei „wohl Zeit, dass die Kirchen sich auch Gedanken machen, ob sie solche Theologen als Pfarrer aufnehmen wollen.“ Die kirchlichen Ausbildungsreferenten wurden auf den Fall Burghardt aufmerksam gemacht151. Wie sich später herausstellen sollte, gewährte der Student Ulrike Meinhof Anfang 1971 für eine Nacht Unterschlupf und stellte der polizeilich Gesuchten Reisepass, Führerschein und Personalausweis zur Verfügung152. Mit der Gewalt „alltäglicher Lebensverhältnisse“ befasste sich auch der interdisziplinäre ESG-Arbeitskreis „Gewalt“153. Aufgrund finanzieller Engpässe und persönlicher wie auch inhaltlicher (politischer) Differenzen wurde ein weit vorangeschrittenes Buchprojekt letztlich doch nicht realisiert. Auch die bera149

Zum generationellen „Wahn der Zeit“, (KOENEN, Urszenen, 303–329). EZA BERLIN, 2/17630. 151 Brief Bischof Vellmers an die Kirchenkanzlei der EKD vom 10. 4. 1970; Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Ausbildungsreferenten der Gliedkirchen der EKD vom 5. 5. 1970 (EZA BERLIN, 2/17630). 152 Im Mai und September 1971 half er ihr erneut. Anfang 1974 wurde Burghardt zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. Vgl. Bericht des Präsidiums der Regionalsynode in Sachen des Vikars Kornelius Burghardt vom 20. 3. 1974 (ELAB BERLIN, 45/ 309). Dazu unten Kap. 5. 1. 1 u. 5. 1. 4. 153 Arbeitsbericht 1970, vorgelegt auf der Dritten ordentlichen Delegiertenkonferenz der Evangelischen Studentengemeinde in der Bundesrepublik und Berlin (West), April 1971 (AESG TÜBINGEN, oDK). 150

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tende FESt reduzierte ihr Engagement154. Folgende, von mehreren Mitgliedern des losen Arbeitskreises vertretene These ging ihr wohl doch zu weit: Die „noch heute gültige Monopolisierung der legitimen Gewaltsamkeit war einmal ein angemessenes Mittel“. Nun sei sie „zum Teil wirkungslos, darum archaisch.“155 Dementsprechend kritisierte Johannes Degen, Bahrs Bochumer Assistent, die strukturelle Gewalt der „spätbürgerlichen Formaldemokratie“: Die „sozial einseitige Aneignungsgewalt“ sei „Grundelement der bundesrepublikanischen Verhältnisse“. Da „strukturell vermittelte Ungerechtigkeiten“ den „ungerechten Herrscher“ früherer Tage abgelöst hätten, sei auch das „alte Widerstandsrecht“ obsolet geworden. „Ein eigentümliches Relikt des alten Widerstandsrechts“, so Degen, stelle die „These dar, Gewaltanwendung sei nur als ultima ratio gerechtfertigt.“ Zur Relativierung des staatlichen Gewaltmonopols führte er jene „strukturell vermittelt[e] Gewalt“, ins Feld, die sich im Attentat Josef Bachmanns an Dutschke „entlud“. Mit seinem Suizid habe Bachmann als Unterdrückter „den blinden Haß der gesellschaftlichen Unterdrücker gegen sich selbst“ gerichtet. Die „gesellschaftliche Gewalt“ sei hier „verinnerlicht“ worden, „rückbezogen auf das schwächste Glied“, d. h. „den einzelnen.“156 Den „Aktionismus“ der RAF könne man daher ohne Berücksichtigung seiner Entstehungsbedingungen nicht verstehen: Der „richtige Ansage-Charakter“ der Parole „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ sei „als Tat-Legitimation mißverstanden“ worden. Damit schade die RAF der „sozialistischen Opposition in der BRD“, weil sie „subversiv, das heißt gewaltsam, geheim und damit zunächst ohne das Interesse an einer politischen Mobilisierung der Lohnabhängigen“ operiere. „Theologisch“ sei folglich zu berücksichtigen, „dass die Bedingungen von Heil weithin im materiellen Substrat der Gesellschaft liegen“. Die „scheinprogressive Dynamisierung der Theologie durch die christliche Eschatologie“ lehnte er daher ebenso ab wie Tödts und Rendtorffs utopiefeindliche Kritik an der „Theologie der Revolution“. „Theologisch sollten wir nicht zuerst Kain, den bösen, zur Gewalt neigenden einzelnen apostrophieren (was den herrschenden Gewalten schon immer eine Legitimation zur Eindämmung befreiender Gewalt von unten verschaffte), sondern in Solidarität mit Abel handeln.“157

154 Brief Rolf Thomas, ESG-Geschäftsstelle Stuttgart, an Helge Siemers, ESG Heidelberg, vom 14. 2. 1969; Rundbrief Thomas an die Mitglieder des Arbeitskreises vom 12. 5. 1971 (EZA BERLIN, 36/2773). 155 HUNGAR, Thesen, 45. 156 DEGEN, Phänomenologie, 240–242; DERS., Problem, 99. Zu Letzterem, vgl. die zustimmenden Betrachtungen von Rolf Thoma, Leiter des ESG-Arbeitskreises, THOMA, [Rezension]. 157 DERS., Phänomenologie, 248f.; DERS., Problem, 106–114. Mit Blick auf das ARP vertrat

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Degens Argumentation entspricht jener Position, die die Mehrheit der Neuen Linken gegenüber „Baader-Meinhof“ vertrat: Deren Strategie und Avantgardismus erfuhren zwar Kritik; aufgrund gleich gelagerter Ansichten und Ziele lehnte man es jedoch ab, sich von der Gruppe zu entsolidarisieren158. Über die moralischen Beweggründe ihrer Taten wurde auch in evangelischen Zeitschriften diskutiert. So deutete der Heidelberger Vikar Wolfgang Lienemann, selbst Mitglied des ESG-Arbeitskreises, den Linksterrorismus als „verständliche[n] Ausdruck dessen, der mit maß-losem Anspruch eine menschliche Solidarität einklagt“, die „in Vergangenheit und Gegenwart verweigert wird“. Die „Maßlosigkeit der Negation“ folge „der Maßlosigkeit der Frage, die keine Antwort findet und sich nicht beruhigen“ lasse159. Zur nicht endenden Diskussion über das revolutionäre Jesusbild bemerkte Willi Marxen Weihnachten 1970 im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“: „Wen das Elend und noch mehr das Unrecht in der [. . .] Dritten Welt nicht zur Ruhe kommen läßt, wird [. . .] die Revolution für [. . .] christlich gefordert halten. Und er wird dies mit Hilfe des Neuen Testaments zu belegen suchen. Andererseits, wer sich gegen Gewalt auflehnt, wie wir sie an verschiedenen Stellen der Welt, selbst im eigenen Land wahrnehmen, wer sieht wie hier Verrohung um sich greift, wie Menschenleben gar nichts mehr wert sind, gar gekidnappt werden, der wird für Ruhe und Ordnung eintreten. Und wieder frage ich: Wer wollte nicht auch gerade darin ein christliches Motiv entdecken? Nur, und das ist nun eben die Schwierigkeit, beides zusammen scheint nicht zu haben zu sein. Aber beides wird aus Jesusbildern abgelesen. Irgendwie scheint hier doch etwas nicht zu stimmen.“160

In ihrer Debatte über „strukturelle Gewalt“ hielten auch Theologiestudenten es für wert, das therapeutische Dogma des Sozialistischen Patientenkollektivs in Heidelberg zu diskutieren. Im „Patienten-Info Nr. 1“ des Anfang 1970 gegründeten Kollektivs hieß es: „Das System hat uns krank gemacht, geben wir dem kranken System den Todesstoß!“161. Auch die im ESG-Arbeitskreis Degen die These, die „abstrakte Behandlung der Gewaltfrage“ liege in der „Orientierungsnot“ des gehobenen Bürgertums begründet: Die „heute in verantwortlichen“ Positionen tätigen Kreise, hätten ihre „letzten eigenständigen und zureichend begründeten Urteile über die Gesellschaft“ in den 1920er und 1930er Jahren gebildet. Daher gebe es Grund zur Annahme, dass in der Debatte „andere als sozialethische Interessen nachträglich gerechtfertigt“ würden (DERS., Phänomenologie, 245). 158 Vgl. DAVIS, Terror, 160. 159 LIENEMANN, Anfragen, 366. 160 MARXSEN, Revolutionär. 161 Zit. n. AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 180. Im Sommer 1971 erhärtete sich der Verdacht, das Kollektiv unterstütze die RAF. Bei Hausdurchsuchungen stellte die Polizei Waffen sicher. Das Kollektiv beschloss darauf die „Selbstliquidierung“. Einige Mitglieder gingen in den Untergrund. Vgl. „Auf Sparflamme“. In: Der Spiegel, Nr. 33 vom 9. 8. 1971, 30–32, 30.

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„Gewalt“ engagierten Psychologen und Theologen erörterten die Methoden des Patientenkollektivs162. Gleiches dürfte für die Arbeiten von Peter Brückner gegolten haben. Gegen den Hannoveraner Ordinarius für Psychologie wurde Anfang 1972 ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Er wurde vom Dienst suspendiert. In seinem neuen Buch unterbreitete er die These, alle Neurosen, Aggressionen und Depressionen seien gesellschaftlich verursacht. Den „Frieden der Unterdrückung“ müsse der moderne Revolutionär „unfriedlich aufkündigen“, damit die „Brüderlichkeit“ der heilen Welt entstehe163. Im Februar 1972 sorgte die ESG Nienburg daher für Aufsehen. Unter dem Titel „Unbehagen an Links“ veranstaltete sie einen Diskussionsabend mit dem Suspendierten164. Wenige Wochen zuvor hatte Dorothee Sölle im „Merkur“ gefragt: „Gibt es einen schöpferischen Haß?“ Laut Sölle sei Ulrike Meinhofs Verhalten nur auf die „tiefe Wurzel“ ihres Hasses auf die Gesellschaft zurückzuführen. Deshalb befreite sie den „politischen Gefangenen“ Baader mit Waffengewalt. In der später überarbeiteten Fassung ihres Beitrags ersetzte Sölle diese Stelle durch folgende Formulierung: „Ein Verhalten, wie das von Baader und Meinhof, das objektiv der Reaktion nützt, indem es das Alibi zur Zerschlagung der Linken liefert, kann nicht nur nach seinem eigenen Selbstverständnis beurteilt werden. Es wird von der Blindheit bestimmt, die für ohnmächtigen Haß charakteristisch ist.“165

Diesem kontraproduktiven Hass stellte Sölle den „schöpferischen“, „revolutionären“ Hass in Jesu Predigt gegenüber. Dieser Tatbestand lasse sich „nicht weginterpretieren oder verschleiern“, schließlich habe Jesus gesagt: „Meinet nicht, daß ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt. 10, 34). Solcher Hass setze den Glauben voraus, „daß man Recht und Unrecht unterscheiden“ könne. So werde auch Hass, „verstanden als die Identifikation mit den Opfern des Unrechts“, notwendig. Man könne von Meinhof sagen, „daß sie einen Verstand zu verlieren hatte.“ In diesem Kontext fragte Sölle, ob „man alle Gewalttaten aus politischen Motiven von vornherein als sinnlos und irrational anse-

162 Arbeitsbericht 1970, vorgelegt auf der Dritten ordentlichen Delegiertenkonferenz der Evangelischen Studentengemeinde in der Bundesrepublik und Berlin (West), April 1971 (AESG TÜBINGEN, oDK). 163 Zit. n. „Messer in der Tasche“. In: Der Spiegel, Nr. 6 vom 31. 1. 1972, 72. Vgl. BRÜCKNER, Sozialpsychologie. Zur causa Brückner, AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 146f. u. 170. 164 „Unbehagen an Links. Sammlung von Argumenten“ [Programm] (LKA HANNOVER, 33a/ 210); epd-Landesdienst Niedersachsen/Bremen, Nr. 24, 1972, 2. 165 SÖLLE, Hass [1972], 10; DIES., Hass [1978], 83.

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hen“ könne166. Sölles Aufsatz blieb nicht unbeantwortet. Hans Jürgen Schultz, Mitarbeiter im SDR-Kirchenfunk, erklärte, der Protest und die Kritik Jesu seien nicht durch „Hass“ motiviert gewesen. Vielmehr habe er dessen Ursachen „bloßgelegt und nicht den vulgären zu einem ‚kreativen Haß‘ veredelt, sondern eine radikale Alternative angedeutet.“167 Die Publizistin Gisela Uellenberg beschrieb ihre Kritik als „Unbehagen“ eines „Parteigängers“. Auch sie sah in Meinhof ein monatelang gejagtes „Wild“. Dennoch fragte sie: „Aber hassen wir, wenn wir Verhältnisse, sagen wir die Ausbeutung von Menschen hassen, im Grunde nicht doch die Ausbeuter?“ Camilo Torres und Che Guevara hätten ihre Gegner nicht gehasst. Ihnen sei es gelungen, ihren „diffusen Hass“ zu „rationalisieren“, indem sie ihn in den „Dienst von Visionen oder Zielen“ stellten168. In ihrer Replik an Schultz und Uellenberg hielt Sölle an ihrer Position ohne Einschränkung weiter fest. Sie ergänzte: „Vielleicht ist es dieser theologische Hang zur Provokation, der mich verlockt, semantische Grenzen zu überschreiten.“169

4.2.2 „Nützliche Idioten“? Der Protestant als „Sympathisant“ Durch die verbesserte Abstimmung zwischen den Innenministerien der Länder und dem Bundeskriminalamt erhöhte sich im Herbst 1971 der Fahndungsdruck der staatlichen Terrorismusbekämpfung. Der „Krieg“ der RAF ging dennoch weiter. Ende Oktober wurde der erste Polizeibeamte von einem ihrer Mitglieder in Hamburg erschossen. Bei einer Hausdurchsuchung unweit des 166

DIES., Hass [1972], 12f. u. 16. SCHULTZ, Jesus, 132. Schultz war bereits im Streit um die „Moderne Theologie“ mit Sölle aneinander geraten, SÖLLE, Sachen, 543. 168 UELLENBERG, Haß, 106f. Es sei kritisch angemerkt, dass auch die Organisatoren des Holocaust ihren Hass „rationalisierten“. Vgl. HERBERT, Studien, 203–245; WILDT, Generation. 169 SÖLLE, Replik, 93. Im Mai 1973 beantragte Sölle, Meinhof in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf besuchen zu dürfen. Die Bundesanwaltschaft lehnte das Gesuch jedoch ab. Auf dem Kirchentag beschrieb sie die Hungerstreiks inhaftierter RAF-Mitglieder wenig später als Kampf gegen die Übermacht struktureller Gewalt. Dementsprechend äußerte sie sich auch im Südwestfunk, DIEWALD-KERKMANN, Christ, 241; PETERS, Irrtum, 316; und DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG DÜSSELDORF 1973, 196. Vgl. die Kritik der Bekenntnisbewegung, „Der Kirchentag 1973 – eine Demaskierung der Kirche?“. In: IBKAE 8 (1973), Nr. 42, 12. Sölle stellte im November einen zweiten Besuchsantrag, der ebenfalls abgelehnt wurde. Die Bundesanwaltschaft erklärte, Sölle stehe „der Ideologie“ der RAF „zumindest nicht ablehnend“ gegenüber (zit. n. JK 35 (1974), 101). In einem Brief an ihre Schwester Christiane kommentierte Gudrun Ensslin den ersten abgelehnten Antrag sarkastisch: „die arme sölle, musste sich den vernichtenden vorwurf gefallen lassen, sie unterstütze revolutionäre . . . und das – hat sie dann doch schleunigst gelassen, logisch.“ (ENSSLIN, Trennungsstrich, 109). 167

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Tatorts entdeckte die Polizei ein verlassenes Versteck der Gruppe. Ein mit handschriftlichen Anmerkungen Ulrike Meinhofs versehenes „Schwarzbuch Kirche“ wurde dabei sichergestellt. Im Namensregister hatte sie 32 „progressive“ Theologen gekennzeichnet. Laut eines später veröffentlichten Ermittlungsberichts sollten die Personen um Unterstützung, etwa bei der Wohnungsbeschaffung, gebeten werden170. In West-Berlin suchten Fahnder auch Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“, eine anarchistische „Konkurrenzorganisation“ zur RAF, benannt nach Benno Ohnesorgs Todestag. Ihre Gallionsfigur, Georg von Rauch, wurde im Dezember von Zivilbeamten erschossen. Später stellte sich heraus, dass der Flüchtende zuerst geschossen hatte. Das Gefühl unmittelbarer persönlicher Bedrohung griff auf Polizisten über, getreu dem Motto: „Wer zuerst schießt, überlebt“. In der linksalternativen Subkultur galt der erschossene Kieler Professorensohn als unschuldiges Opfer staatlicher Repression. Er wurde fortan zum Märtyrer aufgebaut. Nahezu schizophren fürchteten immer mehr Aktivisten und Anhänger der Neuen Linken, der sozialliberal regierte Bundesstaat hole nun offen zum Schlag gegen sie aus171. Von Rauchs Beerdigung geriet zum Politikum. In seiner Ansprache betonte der Flensburger Pastor Theodor Christiansen vor anwesenden Journalisten, er hätte es sich nicht träumen lassen, dass er „einmal an einem Sarge stehen würde, um die Ehre eines Menschen zu verteidigen, der in den Zeitungen – in einer unglaublich leichtfertigen Weise – als Verbrecher und als Bandenmitglied bezeichnet“ werde. Dem Toten „und seinen Freunden“ sei es um eine „neue Ethik“ im Sinne der Weltverbesserung gegangen. Von Rauch, Ensslin und Meinhof gerieten auf den „Weg der kompromißlosen Konsequenz“. Auf ihrer „Suche nach dem Recht“ sei ihnen „Unrecht geschehen [. . .] – großes Unrecht.“ Er habe es „nicht geglaubt, aber jetzt“ wisse er es: „Auch in Gefängnissen der Bundesrepublik geschehen Gewalttaten an politischen Gefangenen“. Christiansen zog daraus folgende Konsequenz: Zwar könne er sich „mit Georg von Rauch und seinen Freunden nicht identifizieren – eine solche plumpe Anbiederung würden sie sich auch mit Recht verbitten. Aber ich solidarisiere mich mit ihnen. Denn unser Ziel ist das gleiche: das Recht des anderen und damit eine bessere und gerechtere Welt. Hier treffen sich Marxismus und Christentum.“

Für von Rauchs „Freunde“ hoffte er, „daß sie in ihrem Gehetztsein und in ihrer verzweifelten Ohnmacht kein Menschenleben töten“. Die Öffentlichkeit nahm von der Grabrede des Pastors zunächst keine Notiz. Durch die sich nun 170

BAADER-MEINHOF-REPORT, 87; SCHMIDT, Schwarzbuch, 379–385. DAVIS, Terror, 160 u. 165; AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 221 u. 239; und „Geschwärzte Hände“. In: Der Spiegel, Nr. 3 vom 10. 1. 1972, 60–62. 171

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verdichtende Mediendebatte über mögliche Komplizen und Helfershelfer der RAF sollte sich dies jedoch bald ändern172. Ausgangspunkt des sogenannten Sympathisanten-Diskurses war ein Banküberfall in Kaiserslautern zwei Tage vor Weihnachten 1971. Die Täter erschossen einen Polizeibeamten und entkamen. „Bild“ machte voreilig die RAF hierfür verantwortlich. Mit der Formel „6 gegen 60 Millionen“ nahm der Schriftsteller Heinrich Böll die Vermutungen der „Bild“ zum Anlass, stellvertretend für das linksliberale intellektuelle Spektrum mit dem „System“ Springer abzurechnen. Der Artikel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ erschien im „Spiegel“. Darin forderte Böll eine nüchterne Betrachtung der auf vermeintlich sechs Personen zusammengeschrumpften „Baader-Meinhof-Gruppe“. Zugleich überschüttete er „Bild“ mit überzogenen Faschismus-Vorwürfen. Der kritisierten Bedrohungsrhetorik des Springer-Verlags hielt er den ebenso emotionalen Bedrohungsdiskurs der (Neuen) Linken entgegen173. „Bild“ konterte schon am nächsten Tag mit gleichen Waffen: „Böll, dieser christliche Denker, bedient sich im ‚Spiegel‘ einer Sprache, die Gemeinschaftswerk Karl-Eduard Schnitzlers und Joseph Goebbels sein könnte.“174 Die Mediendebatte um „Sympathisanten“ als „Gesinnungstäter“ und „Terroristenhelfer“ war nun losgetreten. Auch Protestanten gerieten in den Strudel dieser „Kulturkampf“ ähnlichen Auseinandersetzung: Als im Prozess gegen den kurzzeitig an RAF-Aktionen beteiligten „Kronzeugen“ Karl-Heinz Ruhland die ersten Namen bürgerlicher „Helfer“ fielen, titelte „Bild“: „Pfarrer und Professor halfen der MeinhofBande“. Gemeint waren Peter Brückner, ein (katholischer) Pfarrer und ein WDR-Mitarbeiter. Laut Ruhland hätten sie Meinhof und ihm Unterschlupf gewährt175. Die nordrheinwestfälische CDU startete darauf eine Kampagne

172

Die Grabrede wurde in der Märzausgabe 1972 der „Jungen Kirche“ abgedruckt, CHRISTIAAnsprache, 155f. Der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesregierung fragte Christiansen, ob er folgende Behauptung belegen könne: „Es ist bekannt, daß in Gefängnissen der Bundesrepublik Untersuchungsgefangene zum Verhör nackt ausgezogen wurden, daß sie – auf dem Boden liegend – mit Füßen getreten wurden, ins Gesicht getreten, daß sie noch nach Wochen entstellt waren“ (EBD., 157). Kunst bat ihn um Beweismaterial und versicherte, sein möglichstes zu tun, „daß solche skandalösen Vorgänge bestraft und für die Zukunft abgestellt werden.“ Christiansen antwortete, „auf Bitten einer Regierungsbehörde“ habe er das Material bereits nach Bonn geschickt, so dass auch der Bundesjustizminister unterrichtet werde. Brief Hermann Kunsts an Christiansen vom 17. 4. 1972 sowie dessen schriftliche Antwort vom 25. 4. 1972 (EZA BERLIN, 742/348). 173 BÖLL, Gnade. Zum „Sympathisanten-Diskurs“ ausführlich, BALZ, Terroristen, 76–81. 174 „Narren, Hofnarren, blutige Narren“ [gekennzeichnet mit dem Kürzel: „N. N.“]. In: Bild (München), Nr. 8 vom 11. 1. 1972, 3. 175 BERNEY / CAMPENHAUSEN, Pfarrer. Vgl. „In die Bank und durchgeladen“. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 24. 1. 1972, 28–47, 31. NSEN,

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gegen den vermeintlichen WDR-„Rotfunk“. Dessen frühere Zusammenarbeit mit der Journalistin und Drehbuchautorin Meinhof wurde Klaus von Bismarck, dem Intendanten, angelastet. Weil sich das Präsidiumsmitglied des DEKT weitere Schritte gegen den beschuldigten WDR-Redakteur bis zur Klärung vorbehielt, kam auch er in den Ruf eines „Sympathisanten“176. Axel Springer war über die Vorgänge gut unterrichtet. Gegenüber Bischof Scharf beklagte er die politische und „geistige Entwicklung in unserem Land.“ Die Universitäten machten „Riesenschritte auf dem Weg, marxistisch-leninistische Kaderschulen zu werden.“ Evangelische Theologen, Studenten wie auch Lehrende stünden oft „an der Spitze derer, die diese Richtung vorbereitet und eingeschlagen“ hätten. Springer verwies auf seinen Konflikt mit der Evangelischen Akademikerschaft nach den Osterunruhen 1968. Das zu Ende gehende Jahr habe seine Bedenken gegenüber der evangelischen Kirche weiter „vertieft“. Nur wenige Kirchenvertreter hätten z. B. gegen das bundesweit aufgeführte Theaterstück „Martin Luther und Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung“ von Dieter Forte protestiert. Scharf antwortete privat. Im Gegensatz zu Springer, der im Übrigen auch seine Haltung im Streit um den Sonderfonds des ARP heftig kritisierte, hielt er es als „rundherum“ anerkennenswert, „daß linke Gruppen in der Jugend unter vielem, was geworden ist, leiden.“ Dass aber „einzelne unter den linken Gruppen gänzlich geschichtslos meinen, nach radikalen – womöglich blind gewalttätigen – Akten aus dem Nichts einer totalen Zerstörung eine neue gerechtere Ordnung schaffen zu können“, sei „verantwortungslos, töricht und der Grund dafür, daß sie so wenig an Reformen erreichen.“ Dem Verleger stellte er die Gegenfrage: „Dient eine Berichterstattung über die Baader-Meinhof-Gruppe dem nüchternen Urteil der breiten Öffentlichkeit über das, was in dieser Sache passiert? Ich finde die verübten Gewalttaten der Gruppe entsetzlich, habe aber den Eindruck, daß die über das faktisch zu Berichtende hinausgehende Verdächtigungen eine öffentliche Hysterie erzeugen und vor allem auch unsere Polizei [. . .] in ein inneres Dilemma hineinführen, das ihnen eine Lösung ihrer Aufgabe fast unmöglich macht.“177

Die „Bild“-Berichterstattung über den Polizistenmord in Kaiserslautern wurde auch in evangelischen Medien emotional diskutiert. In der „Jungen Stimme“ – nun Teil des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ – hieß es dazu in einem 176

Dazu ausführlich, SCHMID, Intendant, 372–374. Brief Springers an Scharf vom 31. 12. 1971; SPRINGER, Berlin, 248–251. Scharfs Antwortbrief war auf Januar 1972 datiert (ELAB BERLIN, 38/476). Zum ARP, vgl. Scharfs undatierte Äußerung, ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 98. Wegen der Unzugänglichkeit seines Nachlasses konnte Springers Wirken sowohl in der „Sympathisanten“-Debatte als auch im „Antirassismusstreit“ nicht näher untersucht werden. Vgl. oben Kap. 1.2. 177

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Vorspann: „Hinter der Maske jedes Bankräubers vermutet man Baader-Meinhof, jeder Schußwechsel steht in mutmaßlicher Beziehung zu ihnen: ‚Wenn es die Gruppe nicht gäbe, so müßte man sie erfinden.‘“ Ein Leser kritisierte, man könne „nur hoffen, daß es auch der ‚Jungen Stimme‘ nicht gelingt, Sympathisanten für den Staatsfeind Nr. 1“ zu werben178. In der „Stimme der Gemeinde“ wurde gefragt, ob die ‚Baader-Meinhof-Bande‘ politisch etwa „nur ein willkommener Anlaß“ sei „zur Demonstration ‚rechtsstaatlicher Gewalt‘ und zu falschen Identifikationen?“ Dagegen erklärte der Soziologe Erwin Scheuch, ein Kritiker der (späten) Studentenbewegung, in „Christ und Welt“: „Mit der Ausdehnung des Sprachgebrauchs von Gewalt auch auf Handlungen innerhalb des Rechts soll der Hintergrund zwischen Legalität und Illegalität als Bewertungskriterium von Handlungen verwischt werden. Noch weiter ist der Sprachgebrauch für Gewalt bei Neomarxisten, den Theologen der Revolution oder der extremen Linken.“179

Für Aufsehen sorgte Mitte Januar die Predigt von Pfarrer Hans Joachim Oeffler, Pfarrer der Kirchengemeinde Rodenbach bei Kaiserslautern. Mit Bezug auf die Frankfurter Kaufhausbrandstiftung 1968 konstatierte Oeffler, die öffentliche Behandlung der „Baader-Meinhof-Bande“ erwecke den Eindruck, als werde ein neuer „Sündenbock“ für das gesellschaftliche Versagen in der sozialen Frage gesucht. „Das sind keine Mörder, das sind keine Verbrecher ihrem Wesen nach, sondern das sind Menschen, an deren Scheitern an der Gesellschaft die Gesellschaft schuldiger ist als sie selber.“180 Die „Bild“-Kritik am Katholiken Böll zielte darauf ab, die Forderung des „christliche[n] Denker[s]“ nach „Gnade“ für Meinhof als fatalen Ausdruck politischer Naivität zu stigmatisieren181. Damit wurde zweierlei suggeriert: Böll repräsentiere die „stille Reserve“ der RAF, eine zahlenmäßig große Gruppe

178

KESTING, Staatsfeind; MAY, [Leserbrief]. SCHÄFER, Baader-Meinhof-Gruppe, 73; SCHEUCH, Riese. Scheuch galt 1967 noch als das liberale Idol der Kölner Studentenschaft. Zusammen mit weiteren westdeutschen Professoren engagierte er sich im Ende 1970 gegründeten Bund Freiheit der Wissenschaft, der sich zum Ziel setzte, den gesellschafts- und bildungspolitischen Folgen der Studentenbewegung entgegenzuwirken. Vgl. DERS., Wohlstandsgesellschaft; BAVAJ, Demokratisierer; und WEHRS, Protest. 180 Zit. n. JK 33 (1972), 261f. Nach Protesten schaltete sich die Kriminalpolizei ein. Deren Erkundigungen unter Gemeindemitgliedern beschrieb Oeffler in einer Kanzelerklärung als dreisten „Anschlag des Rufmordes, ein Anschlag in der Reihe der laufenden Attacken.“ Dies seien „Methoden der Gestapo“ (zit. n. EBD., 263). Zur Diskussion, „Beten für Radikale“. In: Kirche und Mann 25 (1972), H. 7, 9. 181 Böll forderte freilich nicht Straffreiheit oder „freies Geleit“ für die RAF. Die von ihm kritisierte Gnadenlosigkeit drücke sich in der vermeintlichen Vernichtung der Gesuchten aus. Vgl. BRAUN, Verständigung. 179

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„linker“ Intellektueller, die die Verbrechen aus politischer Überzeugung insgeheim billigten. Zudem verkörpere er jenen Typus Weberscher „Gesinnungsethiker“, deren christliche „Gutgläubigkeit“ die Terroristen erkannt und sich – dies zeige Bölls Forderung nach „freiem Geleit“ – bereits zunutze gemacht hätten. Nach dieser Lesart dienten intellektuelle „Linksprotestanten“ nicht nur als Quartiergeber, sondern auch als Fürsprecher der RAF. Da die protestantische Sozialisation von Meinhof und Ensslin bereits bekannt war, verwies „Die Welt“ – gewiss nicht zufällig – auf die „Bande der Gesinnung“. Die in den Medien des Springer-Verlags sonst übliche Charakterisierung der RAF als ein Haufen Krimineller kam hier nicht zum Tragen182. Dabei spielten auch die öffentlichen Appelle von Helmut Ensslin und Meinhofs Pflegemutter, der Historikerin Renate Riemeck, eine Rolle. Anders als Riemeck183 wandte sich Pfarrer Ensslin nicht an den eigenen Zögling, sondern an die „sehr große“ Zahl all jener Eltern, „die von den Verstehensschwierigkeiten ihrer Kinder in besonders gravierender Weise“ betroffen seien. Als „exponierter Vater“ suggerierte er die Existenz eines großen Reservoirs junger Westdeutscher, das aufgrund ähnlich negativer Sozialisationserfahrungen dazu disponiert sei, wie seine Tochter in den terroristischen Untergrund zu gehen. Ensslin bemühte sich, dem „Mißverständnis“ vorzubeugen, als wolle er den „Verständnis- und Toleranzraum“ um die RAF vergrößern. Wegen seines gesellschaftskritischen Erklärungsansatzes war ein solcher Verdacht jedoch schwer von der Hand zu weisen. In dem bereits genannten Ermittlungsbericht hieß es dazu: „Ein älterer evangelischer Pfarrer, der sozialistisch denkt, mag vielleicht die Übertretung des [sic] achten Gebotes übersehen, um bei der Jugend ‚in‘ zu sein. Stehlen von Bankgeldern, Waffen, Kraftfahrzeugen mag ihm nicht so böse erscheinen. Vermag er aber auch für die Übertretung des [sic] sechsten Gebotes als Christ und Geistlicher eine Entschuldigung finden? Dies Gebot hat die Gruppe der ‚RAF‘ schon sehr früh ‚umfunktioniert‘ in: ‚Du sollst töten – wenn es ein Pig ist!‘“ [= gemeint sind Beamte und vermeintliche Repräsentanten des Staatsapparates, den die RAF als ‚Schweinesystem‘ bezeichnete, A. C. W.]184. 182

KREMP, Bande. Vgl. BALZ, Terroristen, 89f. Letztere schrieb Mitte November 1971 in einem offenen Brief: „Gib auf Ulrike!“. Drei Wochen später wurde Meinhofs Antwortschreiben in West-Berlin gefunden. Ihrer „Sklavenmutter“ entgegnete sie sarkastisch: „Wir Haussklaven haben nicht das Recht, die Herren, die jene Aufseher mit den Ochsenziemern ausschicken, zu verjagen. Ihr Haus in Ordnung zu halten, ist unsere Pflicht. Kind, versündige dich nicht. Tu Buße, mag die Strafe der Herrschaft auch fürchterlich sein. Es ist Gottes Wille. Sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über dich hat. Ulrike gib auf! Verflucht der Gott, der Sklaven zu seiner Zerstreuung schuf“ (zit. n. Baader-Meinhof-Komplex). 184 ENSSLIN, Eltern; BAADER-MEINHOF-REPORT, 71. Vgl. KOENEN, Urszenen, 323. Wenige 183

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Die Terroristenjagd ging weiter. Beide Seiten hatten den Finger schnell am Abzug. In der „Sympathisanten“-Debatte meldete sich nun auch Gollwitzer zu Wort. „In dieser Geiferflut“ sei Bölls eigentlicher Appell völlig untergegangen: die „Frage nach Maßnahmen, die beiden Seiten, Verfolgern und Verfolgten“ aus der „Sackgasse“ helfe. Gollwitzer forderte, die Kirchen sollten anhand ihres althergebrachten Asylrechts bei staatlichen Behörden erreichen, dass auf (neutralem) kirchlichem Boden eine Diskussion zwischen flüchtigen Terroristen und Vertretern der Neuen Linken stattfinden könne. In Gesprächen mit inhaftierten RAF-Mitgliedern sollte eine „korrigierende Wirkung“ erreicht werden185. Es kam anders. Im Mai verübte die RAF bundesweit Sprengstoffanschläge. Ihr lange vorbereiteter „Krieg“ gegen den Staat richtete sich auch gegen die in der Bundesrepublik stationierten US-Streitkräfte. Bei Anschlägen in Frankfurt und Heidelberg wurden vier Soldaten getötet. Die RAF verspielte damit ihren letzten Kredit. Gollwitzer distanzierte sich öffentlich vom RAFTerrorismus: „Die verschiedenen Gruppen der linken Bewegung haben der Wahnsinnsstrategie der Baader-Meinhof-Gruppe längst eine entschiedene Absage erteilt. Wer tötet, bessert nichts. Wer Menschenleben verachtet, ist nicht geeignet, die Misere unserer Gesellschaft zu überwinden. Die Bombenleger, wer sie auch immer seien, betreiben nichts als politischen Schaden, ebenso diejenigen, die sie unterstützen.“

Die Anschläge bezeichnete er als „Gegenterror“. Die Verantwortung dafür sei nämlich „bei denen zu suchen, die seit Jahren den über das vietnamesische Volk herabregnenden Bombenmord rechtfertigen. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn dann einige aus der Bahn geratene Leute auch hierzulande meinen, Bomben rechtfertigen zu können.“186

Gollwitzers Erklärung hatte einen persönlichen Hintergrund. In einer ZDFSendung erinnerte Helmut Schmidt an die Mitverantwortung von Theologen, die 1968 die Gewalt gegen Sachen gerechtfertigt hätten:

Wochen vor der Baader-Befreiung hatte Gudrun Ensslin gegenüber Meinhof ein „Gegenbekenntnis“ zur eigenen protestantischen Herkunft formuliert: Alle zehn Gebote müssten gebrochen werden. In einer Welt aus Gewalt sei „Du darfst nicht töten“ in „Du mußt töten“ umzuwandeln (AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 107). 185 GOLLWITZER, Gnade, 8 u. 11. Gollwitzer verwies auf Kurt Scharfs Appell an die Westberliner Pfarrer im Vorfeld des Vietnam-Kongresses 1968, bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten die Kirchen zu öffnen, um Flüchtenden dort Asyl zu gewähren. 186 Die Erklärung wurde in mehreren Tageszeitungen abgedruckt. Vgl. GOLLWITZER, Mir.

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„Das war keine Rundfunksendung oder Fernsehsendung, das war irgendwo an einer Universität gesagt worden von einem erlauchten Professor, einem Theologen. Ich kann mich gut erinnern, wie mich das tief erschreckt hat, weil hier ein Anfang einer Largesse, einer Gesinnung des Geschehenlassens sichtbar wurde, sogar noch der Entschuldigung. Nur meine ich, daß das alles nun nicht von Staats wegen geändert werden kann“187.

Schnell wurde klar, wen er damit meinte. Dem Bundesverteidigungsminister warf Gollwitzer vor, er habe sich ohne weitere Kenntnis über die damaligen Vorgänge zu dieser Äußerung „hinreißen“ lassen. Deshalb schickte er ihm den Text seiner Rundfunkansprache vom 21. April 1968. Schmidt räumte ein, bei seiner Bemerkung habe er an Gollwitzer gedacht: „Auch nachdem ich heute Ihre mir freundlicherweise übersandte Erklärung gelesen habe, [. . .] bin ich immer noch der Meinung, daß Ihre [. . .] am 14. 4. 1968 [. . .] geäußerten Worte meine Billigung nicht finden können. [. . .] Ihre Erklärung vom 29. 5. 1972 kann ich nicht auf mich beziehen und muß deshalb darauf hier nicht antworten.“188

Nach deren Erscheinen meldete sich eine Vielzahl weiterer kritischer Stimmen zu Wort, etwa der Historiker Arnulf Baring, der mit Gollwitzer auch einen privaten Schlagabtausch führte189. Kurt Scharf verteidigte den vermeintlichen „Sympathisanten“ im ZDF. Gollwitzer habe Gewalt 1968 nicht gerechtfertigt. Gerhard Stoltenberg, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Mitglied des Evangelischen Arbeitskreises von CDU/CSU, warf den evangelischen Kirchen in derselben Sendung vor, sie hätten dem Mitte der 1960er Jahre begonnen „Einbruch einer militanten Spielart des Neo-Marxismus“ in den eigenen Reihen nicht Einhalt geboten. Die „Baader-Meinhof-Bande“ habe schließlich mit Kaufhausbränden begonnen, was von manchen als „moralische Handlung“ verteidigt worden sei190. Wie Pfarrer Ensslin erhielt auch Gollwitzer zahlreiche Zuschriften, darunter auch wohlwollende. Eine 25-jährige teilte ihm mit, sie

187

Auszug aus dem Manuskript der ZDF-Sendung „Journalisten fragen – Politiker antworten“ vom 25. 5. 1972 (EZA BERLIN, 686/718). 188 Da Gollwitzer seine Erklärung auch anderen übermittelt hatte, schickte Schmidt eine Kopie seiner Antwort an Bundespräsident Heinemann und Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher. Brief Gollwitzers an Schmidt vom 29. 5. 1972 (EBD.) sowie dessen schriftliche Antwort vom 7. 6. 1972, zit. n. SOELL, Helmut Schmidt, 647. 189 BARING, Topf. Gollwitzer verfasste einen Leserbrief an „Die Zeit“, der nicht abgedruckt wurde. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Zu seiner privaten Korrespondenz mit Baring, EZA BERLIN, 686/718. Vgl. auch die Auseinandersetzung in der FAZ, DÜRIG, [Leserbrief]; GOLLWITZER, [Leserbrief]. Ferner ging Gollwitzers Streit mit dem Berliner Polizeipräsidenten in die nächste Runde, epd-ZA, Nr. 109 vom 9. 6. 1972, 2. 190 Zit. n. epd-ZA, Nr. 120 vom 26. 2. 1972, 1.

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wolle unbedingt „etwas für Baader-Meinhof“ tun, erhielt aber die Antwort, es bestehe „kein Anlaß, diese Gruppe zu romantisieren oder gar von ihr zu träumen“. Die Führungsriege der ersten RAF-Generation war inzwischen verhaftet. Der „Sympathisanten“-Diskurs ging unvermindert weiter191. Wieder eckte Gollwitzer an. Im Bayerischen Rundfunk kritisierte er das „erbärmliche Niveau“, auf das die Gewaltdiskussion „dank der gezielt hochgesteigerten Entrüstung über die Bombenleger“ gesunken sei. „Wo nicht mehr nach Erklärung gesucht und an den Ursachen gearbeitet“ werde, sei „der Totalitarismus der Gewalt unter legaler Maske aufs neue“ nach Deutschland eingekehrt192. Gollwitzer kam nicht allein zu diesem Schluss. In der von Niemöller mitherausgegebenen „Stimme der Gemeinde“, der „Jungen Kirche“ und im „Radius“, dem Forum der Evangelischen Akademikerschaft, standen die „Gesellschaft der Anständigen“ und die an ihr „verzweifelten Desperados“ im Mittelpunkt der Terrorismusdebatte193. Ein Arbeitskreis der Evangelischen Industriejugend und Berufsschülerarbeit Nürnberg identifizierte gar „Parallelen“ zum Dritten Reich. Den EKD-Ratsvorsitzenden fragte er in einem offenen Brief: „Ist nicht auch Jesus Christus als Staatsfeind Nr. 1 in der Gesellschaft von Gewaltverbrechern hingerichtet worden? Hat nicht auch Jesus Christus am Kreuz die Aufrichtigkeit einer seiner kriminellen Mitverurteilten anerkannt?“ Der bayerische Landesbischof antwortete, „die Gnade, die Jesus dem Schächer gewährt hat“, habe „die Verurteilung durch das weltliche Gericht nicht aufgehoben.“ Auch das müsse „uns zu denken geben.“ Dem Ruf nach Versöhnung stimme er zu. „Gerechtigkeit und Versöhnung“ könnten „freilich auch zusammengehören“. Die Kirchen müssten darauf achten, dass die seelsorgerlichen Kontakte mit den Inhaftierten und deren Angehörigen nicht eingeschränkt würden. Ferner würden sie, „soweit uns dies möglich ist“, zur Versachlichung der politischen Diskussion beitragen müssen194. Die Berichte über Helmut Ensslin und den „Gesinnungskomplizen“ Gollwitzer sensibilisierten die Öffentlichkeit für das Thema „Protestantismus und

191 EZA BERLIN, 686/718. Ensslin gab an, täglich 50 bis 60 Briefe zu erhalten. Anlässlich der Verhaftung seiner Tochter am 7. 6. 1972 dürfte folgendes „Bild“-Zitat besonderen Unmut erregt haben: „Meine Tochter hat bis zuletzt Format bewiesen. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen.“ Tatsächlich habe er zwei aufdringlichen Journalisten erklärt: „Gemessen am Niveau jahrelanger Berichterstattung der Bild-Zeitung hat Gudrun immerhin noch Format bewiesen“ (zit. n. epdZA, Nr. 113 vom 15. 6. 1972, 3). 192 GOLLWITZER, Problem, 138. 193 HARBSMEIER, Gesellschaft; BARTSCH, Gewalt; KUENZLI, Polarisierung; und GARSTKA, Sicherheit. 194 Offener Brief des Arbeitskreises, Eingangsstempel 27. 6. 1972, sowie Dietzfelbingers Antwort vom 4. 8. 1972 (EZA BERLIN, 2/8628).

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Gewalt“195. Mit einer biographischen Skizze über „Gollwitzers Weg zu einer Theologie der Revolution“ versuchte Odin dies in der FAZ genauer zu beleuchten. Gollwitzers „lutherischer und marxistischer Denkansatz“ liege in einem nicht eindeutigen Wertesystem begründet. Die „sittliche Wertordnung“ des Katholizismus sei dem Protestantismus fremd: „Nicht ein Moralsystem entscheidet, sondern das von Gott geleitete Gewissen, das an die Bibel gebunden ist und mit Vernunft, unter Ausschluß von Vorurteilen, die Verhältnisse prüft.“ Diese „permanente Überforderung sittlicher Entscheidungsfähigkeit“ sei, so Odin, „wahrscheinlich“ auch „ein Grund für das Erlahmen des christlichen Glaubens.“196 Neben dem WDR-Intendanten geriet auch Manfred Linz, Leiter des NDRKirchenfunks, unter „Sympathisanten“-Verdacht. In einem Kommentar über den „willkommene[n] Feind“, den er vor den Bombenanschlägen verfasst hatte, bezeichnete Linz die RAF als gesellschaftlichen „Sündenbock“. Ihre Mitglieder hätten als Sozialarbeiter die Hoffnung verloren, „auf diese Weise etwas Wesentliches“ zu ändern. Laut dem „Spiegel“ meldete „Die Welt“ Protest an. Die Kieler Landesregierung habe beschlossen, eine „Rechtsaufsichtsmaßnahme“ gegen den NDR-Intendanten einzuleiten. Und die „Kölnische Rundschau“ forderte, man müsse jedem „den Boden entziehen“, der die Taten der RAF „theologisch, psychologisch, soziologisch oder sonstwie zu erklären“ versuche197. Im Politischen Nachtgebet wurde wenig später dagegen protestiert;

195 Dabei spielten auch der sogenannte Radikalenerlass und die damit ausgelöste – hier nicht weiter untersuchte – Debatte um die „DKP-Pfarrer“ eine Rolle. Die Diskussion um den Ausschluss verfassungsfeindlicher Geistlicher aus dem öffentlichen Dienst wurde v. a. in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau geführt. Nach ihrem Alleingang in der Debatte um das ARP, geriet die Landeskirche weiter in den Ruch, „rot“ zu sein. Vgl. „Nestwärme gesucht“. In: Der Spiegel, Nr. 26 vom 29. 6. 1972, 59–60. Zur allgemeinen Diskussion, BRAUNTHAL, Loyalität; JESSE, Berufsverbote. 196 ODIN, Denkansatz, 11. Anders als Sölle erhielt der „Sympathisant“ Gollwitzer im Mai und im August 1973 Genehmigungen, die inhaftierten RAF-Mitglieder Ensslin und Meinhof zu besuchen. Auch im brieflichen Gedankenaustausch sollte es ihm bei keiner der beiden Inhaftierten gelingen, kritische Selbstreflexionen über die „Strategie“ der RAF auszulösen, LEPP, Helmut Gollwitzer, 238–240. Andererseits scheiterte Ensslins Versuch, Gollwitzer für die „Sympathisanten“ instrumentalisierende Kampagne gegen „Isolationsfolter“ zu gewinnen. Die paranoiden Klagen der „Anti-Folter-Komitees“ hielt er für übertrieben. Vgl. Brief Gollwitzers an Gudrun Ensslin vom 17. 5. 1973 (EZA BERLIN, 686/723); AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 283; und PETERS, Irrtum, 315. 197 Zit. n. „Fetzen fliegen“. In: Der Spiegel, Nr. 25 vom 12. 6. 1972, 73–75, 74; LINZ, Angst, 69 u. 71; SCHMID, Intendant, 374. Laut epd erklärte Linz, er bedauere nun einige Formulierungen, EpdD, Nr. 24/1972, [Einleitung]. Zum weiteren Hintergrund: Bei einem Bombenanschlag auf das Hamburger Springer-Hochhaus wurden am 19. Mai insgesamt 17 Verlags-Mitarbeiter verletzt, zwei davon schwer, AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 246–248.

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Gegenstand der Kölner Veranstaltung war der „willkommene Feind“ der „reaktionären Kräfte“198. Inzwischen war auch Christiansens Grabrede publik geworden. Ende Juni 1972 teilte das Kieler Landesschulamt dem Landeskirchenamt ohne Begründung mit, man könne der Bitte, Christiansen im Schuldienst weiter zu beschäftigen, nicht entsprechen. Nach öffentlichen Auseinandersetzungen wurde es Christiansen im Oktober gestattet, wieder Religion zu unterrichten. Dieser erklärte vor der Probsteisynode Flensburg, er habe die Rede „mit Bangen und Zittern“ gehalten. Ihn umtrieb die „Angst, es könne mir nicht gelingen, mich schützend vor die Angehörigen zu stellen“. Er nannte Georg von Rauch zusammen mit Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof „allein deswegen – und das muss doch jedem mitdenkenen Leser klargeworden sein“, um auch das Ehepaar Ensslin und Renate Riemeck vor Anfeindungen zu schützen. Am 18. Oktober erklärte Ministerpräsident Stoltenberg in der ARD: „Nicht eine Predigt am Grab, sondern ihre Verbreitung als Aufsatz, als Sonderdruck, löste die heftige Auseinandersetzung über Pastor Christiansen aus. Wer so schwerwiegende Angriffe gegen unseren Staat und seine Verfassungsorgane zur Verständlichmachung der Aktionen von Terroristen vorträgt, muß sich selber der kritischen Diskussion stellen. Diese kritische Beurteilung durch die Landesregierung ist grundsätzlich auch von unserer evangelischen Landeskirche in ihrer Stellungnahme anerkannt, im Gegensatz zu dem Mehrheitsbeschluss der Flensburger Synode.“199

Der Sympathisantenvorwurf traf insbesondere Juristen. Mitte Juli verhaftete die Polizei den Stuttgarter Anwalt Jörg Lang. Dazu hieß es im „Spiegel“, der Verdacht treffe „einen Mann, der im Freundeskreis eher als Reformer denn als Radikaler gilt.“ In seinem Wohn- und Studienort Tübingen habe der 32-jährige Pfarrersohn „schon in Jugendjahren“ ein „sozialpolitisches Engagement“ entwickelt200.

198

BAADER-MEINHOF, 10. Die Bremer St. Martini Kirchengemeinde kündigte an, ihren schwach besuchten Sonntagsgottesdienst einmal im Monat durch ein unkonventionelles „Sonntagsgespräch“ zu ersetzen. Das Thema der für Mitte September anberaumten ersten Veranstaltung lautete „Mitleid mit der Baader-Meinhof-Bande?“ (epd-ZA, Nr. 151 vom 8. 8. 1972, 3). 199 Die zitierten Erklärungen waren Teil einer Dokumentation, die den Pastorinnen, Pastoren und Synodalen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins zugänglich gemacht wurde (EZA BERLIN, 686/722). Vgl. den Bericht der „Zeit“, BIEBER, Predigt. 200 „Bewegung getroffen“. In: Der Spiegel, Nr. 31 vom 24. 7. 1972, 62. Wieder auf freiem Fuss setzte sich Lang vor Prozessbeginn 1974 in den Nahen Osten ab. Nach Ablauf der Verjährungsfrist kehrte er 1982 zurück in die Bundesrepublik. Zuvor hatte er 1973 zusammen mit seinem Kollegen Klaus Croissant das erste der später berüchtigten „Komitees gegen die Isolationsfolter“ gegründet, AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 233 u. 323.

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Im Schatten des „Terrors“: Der Streit um den Sonderfonds

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4.3 Im Schatten des „Terrors“: Der Streit um den Sonderfonds Der schwelende Konflikt um das ARP blieb von der Terrorismusdebatte 1971/ 1972 weithin unberührt. Etwaige Querverbindungen waren in den Medien nur vereinzelt anzutreffen. Nach den Anschlägen auf die Olympischen Spiele in München wurde die EKD in der Fernausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung“ der Mitschuld bezichtigt. Sie lasse „‚Befreiungsorganisationen‘ hohe Summen aus Kirchensteuermitteln“ zukommen. „Wenn man zu Recht Terror verabscheut, dann sollte man konsequenterweise diesen überall und in jeder Form verurteilen und nicht heimlich unterstützen.“ Der Leserbrief blieb ohne Echo201. Wie oben dargelegt, bezog sich der Streit um protestantische „Sympathisanten“ in erster Linie auf die Gewaltdebatte während der Studentenproteste. Der Streit um das ARP blieb hier (zunächst) außen vor. Weder die Bekenntnisbewegung noch die sie umwerbende Notgemeinschaft meldeten sich zu Wort. Letztere würdigte das ARP gar als „redlich“, sofern es zur gewaltlosen Überwindung von „Terrorstrukturen“ beitragen wolle. Das Programm dürfe „aber nicht als ‚Evangelium‘ hingestellt werden, sondern müsse als Konsequenz aus dem Evangelium interpretiert werden.“202 Dabei gab es durchaus Gelegenheiten, den Anfang 1971 ausgehandelten „Konsens der Ermattung“ in Frage zu stellen. Nach der Landeskirche in Hessen und Nassau, beschloss die Evangelisch-Reformierte Kirche in Nordwestdeutschland – eine der kleinsten Landeskirchen –, dem Sonderfonds jährlich 10.000 DM aus Haushaltsmitteln zuzuführen. Der Beschluss des Landeskirchentags fiel unmittelbar nach der „Mai-Offensive“ der RAF203. Im Vorfeld der Tagung des ÖRK-ZA Mitte August 1972 in Utrecht trat Hanfried Krüger vom Kirchlichen Außenamt der EKD der auch in anderen westlichen Mitgliedskirchen geäußerten Meinung entgegen, nach „Arnoldshain“ drohe man schon wieder vom Genfer Stab „überfahren oder vor vollendete Tatsachen

201 MERK, [Leserbrief]. In derselben Zeitung erschien daraufhin die Klarstellung eines badischen Synodalen, VIEBIG, [Leserbrief]. Vgl. Erwin Wilkens’ Dankesbrief an Joachim Viebig vom 27. 9. 1972 (EZA BERLIN, 2/8657). 202 „Kritik am Anti-Rassismus-Programm des Weltkirchenrates“. In: NNED 7 (1972), H. 3, 9. 203 PRINZ, Programm; epd-ZA, Nr. 106 vom 6. 6. 1972, 2. Vgl. EpdD, Nr. 26/1972 u. Nr. 39/ 1972. Das Arrangement blieb in der Folge sehr umstritten. Die Hauptversammlung des Reformierten Bundes tagte daher auch unter dem Thema „Gewalt und Gegengewalt“ (epd-ZA, Nr. 199 vom 13. 10. 1972, 1). Ende 1976 beschloss der Landeskirchentag, Haushaltsmittel nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn der volle Betrag durch Spenden nicht erreicht werden sollte, epd-ZA, Nr. 233 vom 1. 12. 1976, 4.

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gestellt zu werden.“ Das entstandene Misstrauen sei nur schwer wieder auszuräumen, so Krüger in „Christ und Welt“204. Bischof Wölber wandte sich im Namen der VELKD-Kirchenleitung an Generalsekretär Blake und bat, seine „Autorität dafür einzusetzen, daß nicht Beschlüsse gefaßt“ würden, „die die Gemeinschaft in und unter den Kirchen einer Zerreißprobe“ aussetzten. Nach den Terroranschlägen sei eine „erregende Situation“ entstanden. Die Gewaltthematik werde „neu diskutiert.“ So forderte etwa Liljes Nachfolger, Landesbischof Eduard Lohse, vor der Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Hannover, die Kirche müsse jeden Versuch der Gewaltrechtfertigung zurückweisen. Der scheidende ÖRK-Generalsekretär äußerte Wölber gegenüber Verständnis, „daß einige Gruppen“ nach den jüngsten Terrorakten „jeglicher Form der Gewaltanwendung äußerst mißtrauisch gegenüber“ stünden. Er selbst gab sich jedoch „überzeugt, dass die Kirchen in der Lage sind, die Abwegigkeit eines solchen Vergleichs aufzuzeigen“205. Wenige Tage später erhielt Wölber einen Drohbrief. Den Hintergrund bildeten Versuche, Hamburger Großunternehmer zu erpressen: „Wir sind der Rest der RAF, noch gross genug, um denen Feuer zu machen, die glauben sagen zu müssen, dass wir zerstört seien. [. . .] Sie sind ein Mann Gottes, Sie sollen die Aufgabe übernehmen, diese hirnverbrannten Idioten davon zu überzeugen, dass zu bezahlen ist [. . .]. Ihnen geben wir die Verantwortung, wir kennen Sie und die meisten Pastoren und Mitarbeiter des Landeskirchenamtes. Sie werden [. . .] den Geldüberbringer spielen. [. . .] Wenn Sie sich weigern, dann gehen wir rücksichtslos gegen Kirchengebäude und kirchliche Einrichtungen vor und werden die Bevölkerung unterrichten, wie sich die Kirche verhält.“206

In der allgemeinen Berichterstattung über die Utrechter ZA-Tagung spielten der Sonderfonds und die Gewaltthematik keine nennenswerte Rolle. Die Mitglieder erörterten nur mittelbar damit zusammenhängende Fragen. Mit der Wahl Philip Potters, einem farbigen Methodisten aus Dominica, zu Blakes Nachfolger verbanden Beobachter den Anbruch einer neuen Ära: „Kirche in Aktion, aktives Christentum [. . .]. So handfest seine Forderungen sind, so wenig ist er selber der Typ des hemdsärmeligen Kirchenpolitikers wie Blake, der oft mit dem Kopf durch die Wand wollte, wenn es darum ging, Kirche als weltliches Machtmittel durchzusetzen, ob im Rassismusstreit oder in der Verdammung des

204

KRÜGER, Genf. Brief Wölbers an Blake vom 19. 6. 1972 sowie dessen schriftliche Antwort vom 14. 7. 1972 (NEK KIEL, 11.02/118). Zu Lohses Äußerungen, „Keine Rechtfertigung von Gewalt“. In: FAZ, Nr. 143 vom 24. 6. 1972, 4. 206 „Von RAF an Bischof Dr. Wölber“, 22. 7. 1972. Wölber erstattete sofort Strafanzeige (NEK KIEL, 11.02/1777). 205

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Vietnamkrieges. Der neue Mann am Genfer Ruder kennt da schon eher die Grenzen seiner Aufgabe. Zuerst geht es um die Kirche [. . .]. Die Kirchen müssen erst einmal untereinander ins reine kommen, ehe sie sich der Welt zur Konfrontation stellen und sich zu ihrer Richterin aufwerfen.“207.

Für Unruhe sorgte nur eine Falschmeldung des epd. Danach fördere die EKD den in Utrecht aufgestockten Sonderfonds mit Kirchensteuergeldern. Gegenüber Adolf Wischmann, dem Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes, klagte Dietzfelbingers Referent über entstandene Missverständnisse – zumindest in der bayerischen Landeskirche. Bis auf den genannten Leserbrief in der „Neuen Zürcher Zeitung“ brachte die Meldung jedoch keine weiteren Reaktionen hervor. Auch Wischmann hielt sie für „schlicht falsch und verzerrt“. Mumms Kritik am Genfer ÖRK-Stab entgegnete er, „für uns alle ist es so, dass unser Vertrauen zum ökumenischen Rat in Utrecht eher gewachsen als geschwunden ist.“ Man habe den „Eindruck, dass der einseitige politisch-ideologische Trend in Utrecht weithin aufgehalten und in bessere Bahnen gelenkt worden“ sei. Mit dieser Einschätzung lag Wischmann letztlich aber falsch208. Ende September besuchte Bundespräsident Heinemann den ÖRK in Genf. Seine zustimmenden Äußerungen zum ARP verursachten jedoch kein größeres öffentliches Echo. Gerhard Rost, Vorsitzender der vorläufigen Kirchenleitung der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, meinte, es sei „gelinde gesagt unverständlich“, dass der Bundespräsident die Kirchen seines Landes „indirekt auffordert, Aktionen zu unterstützen, die auf ‚Umverteilung der Macht in bestimmten Teilen der Erde‘ abzielen, das heißt die revolutionären Charakter tragen.“ Heinemann hätte wissen müssen, „wie umstritten“ das ARP „gerade in den deutschen Kirchen ist“209.

207 So der Kommentar der „Zeit“, STROTHMANN, Pastor. Weitere Pressestimmen, epd-ZA, Nr. 164 vom 25. 8. 1972, 1. Zur Utrechter Tagung selbst, weiter im folgenden Kapitel. 208 Brief Mumms an Wischmann vom 1. 9. 1972 sowie dessen schriftliche Antwort vom 11. 9. 1972 (LAELKB NÜRNBERG, 132/200). Zur Unruhe in der bayerischen Landeskirche, epdZA, Nr. 166 vom 29. 8. 1972, 3. 209 Zit. n. epd-ZA, Nr. 220 vom 13. 11. 1972, 4. Später wurde bekannt, dass Heinemann das ARP mit einer privaten Spende in unbekannter Höhe unterstützte. Vgl. JK 34 (1973), 45.

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

4.4 Die EKD und ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Rassismus Kenner der Lage in Südafrika vermuteten hinter der Kritik, die der Rat der EKD am Sonderfonds des ARP übte, andere Gründe als die von ihm angegebenen: In Wahrheit sei es nicht um den verantwortlichen Umgang mit Kirchensteuermitteln, sondern um den Druck westdeutscher Unternehmen gegangen. Rückblickend notierte Werner Simpfendörfer, Generalsekretär des Ökumenischen Leiterkreises der Akademien in Deutschland, in Südafrika tätige Unternehmer hätten nach dem Arnoldshainer Beschluss beim Ratsvorsitzenden „interveniert“. Dietzfelbingers Protestbrief an Blake sei von der Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen diktiert gewesen. „Von da an“ sei die kirchliche Förderung revolutionärer „Gewalt“ in Deutschland zu dem Thema geworden, das am engsten mit der protestantischen Ökumene assoziiert wurde. Entsprechende Belege lieferte Simpfendörfer aber nicht. Auch in Dietzfelbingers Nachlässen konnten keine Hinweise gefunden werden, die Simpfendörfers These verifizieren210. Anfang 1972 wandte sich der Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika erstmals an die Öffentlichkeit. Ihm gehörten kirchliche Mitarbeiter an, die in verschiedenen Missionsgesellschaften im südlichen Afrika tätig waren; darunter Einige, die das Apartheidsregime hatte ausweisen lassen. Die „Mainzer Erklärung“ bildete den Auftakt einer langen Reihe von Stellungnahmen zur Kirchenpolitik des EKD-Außenamtes in den 1970er Jahren. Der Arbeitskreis vertrat die Ansicht, die öffentliche Unterstützung des ARP seitens der EKD sei mit der fortgesetzten Unterstützung der in Südafrika ansässigen deutschsprachigen lutherischen Kirchen unvereinbar: „Der deutsche Kirchensteuerzahler unterstützt weiße evangelische Apartheidskirchen. Die Mehrheit der Glieder der deutschsprachigen Gemeinden und ihre Leitungsorgane haben sich dem rassistischen System angepasst und unterstützen es. [. . .] Gelegentliche Kontakte mit nicht-weißen Gemeinden sind Ausnahmen und haben Alibifunktion. [. . .] In der gegenwärtigen Situation können nur noch deutliche Schritte helfen. Ein Unterstützungsstopp der Kirchensteuermittel seitens der

210 SIMPFENDÖRFER, Platz, 12. Vgl. oben Kap. 4. 1. 2. Bei den eingesehenen Archivbeständen handelte es sich um Dietzfelbingers Nachlass als Ratsvorsitzender der EKD (EZA BERLIN, 81/3), als Landesbischof (LAELKB NÜRNBERG, Pers. CXXXVIII) sowie um seinen Privatnachlass (LAELKB NÜRNBERG, Pers. CXXXIII). In einer jüngst veröffentlichten Studie über das Verhalten der EKD im Südafrikakonflikt wird die – dennoch – mögliche Einflussnahme westdeutscher Unternehmer nicht angeschnitten, HERMANN, Apartheid, 28f.

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EKD ist deshalb dringend geboten. Nur so kann die EKD vor unseren schwarzen und farbigen Partnerkirchen wieder glaubwürdig werden.“211

Vor diesem Hintergrund übergab die Kammer für öffentliche Verantwortung dem Rat der EKD am 16. März 1972 ihre Empfehlungen zur Inangriffnahme der in Addis Abeba beschlossenen „multiplen Strategie“. Die Stellungnahme war zusammen mit Mitgliedern der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst erarbeitet worden. Dabei wurde deutlich, „welche methodischen und inhaltlichen Schwierigkeiten bestehen, praktikable Vorschläge zur Verwirklichung der Beschlüsse von Addis Abeba und Spandau zu machen.“ Über die „Art des Vorgehens“ gab es in der gemeinsamen Ad-Hoc-Kammer unterschiedliche Auffassungen: „Während die einen geneigt sind, die wirtschaftliche Verteilung der Gewichte in der Welt generell als Ausfluß des kapitalistischen oder marktwirtschaftlichen Systems zu begreifen, weisen andere zu Recht auf die augenfällige Übereinstimmung in der Politik kapitalistischer und sozialistischer Industrieländer gegenüber den Völkern der Dritten Welt und auf die ebenfalls unverkennbaren Unterschiede in der Politik solcher Länder , die dem gleichen ‚Lager ‘ angehören, gegenüber der Dritten Welt hin.“212

Im Oktober teilte Dietzfelbinger der Synode mit, der Rat habe folgende ihm empfohlenen Studienprojekte vorgesehen bzw. vergeben: Zum einen sollte ein Blick auf die wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zum südlichen Afrika geworfen werden. Zum anderen sollten die rüstungswirtschaftlichen Beziehungen „zu Gebieten akuter Rassenkonflikte“ untersucht werden213. Dem ÖRK-ZA gingen Studienprojekte nicht weit genug. Auf seiner Utrechter Sitzung im August stand vielmehr die Frage eines Rückzugs von Investitionen aus Südafrika im Mittelpunkt der Verhandlungen über das ARP. Der Rat der EKD widersetzte sich dieser Entwicklung, indem er bereits im Vorfeld erklärte, dadurch würden „gerade die Unterprivilegierten am schwersten getroffen“ und die politische Situation „noch mehr verhärtet“214. Der Rat schlug vor, vielmehr 211 So die Mainzer Erklärung, zit. n. KREMKAU, EKD, 86. Zum Arbeitskreis, HERMANN, Apartheid, 58–63. 212 Empfehlungen der Kammer für öffentliche Verantwortung zu den Beschlüssen des Zentralausschusses des ÖRK von Addis Abeba (Dokument 55 B 6) und des dazu ergangenen Auftrages der Synode der EKD vom 21. 2. 1971 (EZA Berlin, 650/149); Rundschreiben Wilkens’ an die Mitglieder der Kammer vom 29. 3. 1972 (EZA Berlin, 2/8603). 213 Zit. n. KREMKAU, EKD, 41. 214 Zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 90. Der Rat vertrat die Ansicht, es komme darauf an, vor Ort „diejenigen Kräfte und Tendenzen zu unterstützen, die sich [. . .] für den Abbau der Rassenschranken einsetzen [. . .] und sich um Fortsetzung des Dialogs bemühen“. Gemeint waren das bereits genannte Christliche Institut für das südliche Afrika (CISA), eine bewusst gewaltfrei agie-

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

durch Gespräche mit Vertretern ausländischer Industrie- und Wirtschaftsunternehmen die Situation der schwarzen Mehrheitsbevölkerung zu verbessern. Er selbst stellte dazu in Aussicht, mit deutschen Unternehmen diesbezüglich Kontakt aufzunehmen. Richard von Weizsäckers Kritik an den Vorschlägen zum Investitionsstopp fand in Utrecht aber nicht die notwendige Unterstützung. Sie wurden mit großer Mehrheit angenommen; sehr zur Freude westdeutscher Ökumene-Kreise und Dritte-Welt-Gruppen. Außer Lilje stimmten allerdings auch die übrigen sechs westdeutschen Delegierten dem Beschluss zu215. Die Vorschläge der EKD wurden vom ZA dagegen nur „zur Kenntnis“ genommen216. Dietzfelbingers Referent klagte, trotz Warnungen schwarzafrikanischer Kirchenführer seien sie einfach „an den Rand geschoben“ worden. Daraufhin erklärte der Rat, er sehe einen Investitionsstopp weiter kritisch, „auch ganz abgesehen von seiner Durchführbarkeit.“217 Im Vorfeld der Utrechter Tagung schrieb Christian Walther dem Landesbischof von Hannover, der 1970 entbrannte „Sturm“ könne „wieder losgehen, denn das Rassismusproblem ist bei uns auch zu einem Instrument geworden, Kirchenpolitik zu machen.“218 Entsprechende – die tatsächliche Position der EKD verkennende – Befürchtungen, die westdeutschen Kirchen könnten als Hauptgeldgeber des in Finanznot geratenen ÖRK ein Einlenken Genfs im Konflikt um den Sonderfonds erzwingen, indem sie ihre Zuwendungen kürzten, bewahrheiteten sich aber nicht. Im Gegenteil: Nach der Utrechter Tagung stand fest, dass sie ihre Beiträge erhöhten219. Noch in deren Vorfeld hatte Helmut Simon, nun Richter am Bundesverfassungsgericht, „die wohlhabende deutsche Kirche“ kritisiert, selbst nicht geholfen zu haben, die 1971 in Addis

rende regierungskritische Organisation, und der ebenfalls „gemischtrassig“ besetzte Südafrikanische Kirchenrat (SACC). Letzterer lehnte sowohl den ARP-Sonderfonds als auch einen Investitionsstopp ab. Ohne die enge – keineswegs konfliktfreie – Zusammenarbeit mit der EKD wäre der Kirchenrat den Angriffen der südafrikanischen Regierung im Laufe der 1970er wohl erlegen (HERMANN, Apartheid, 75–82, 121 u. 147–151). Zum CISA, oben 74 [Anm. 219]. 215 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1972], 29–32; WILLIAMSON, Kirche, 289; GRESCHAT, Protestantismus, 182; und epd-ZA, Nr. 167 vom 30. 8. 1972, 1. 216 Zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 92. 217 Brief Mumms an Wischmann vom 11. 9. 1972 (LAELKB NÜRNBERG, 132/200); Kommuniqué über die Sitzung des Rates der EKD am 21. / 22. 9. 1972, zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 98. 218 Brief Walthers an Lohse vom 24. 5. 1972 (LKA HANNOVER, L3 III/1890). 219 GEPPERT, Tage. Den landeskirchlichen Ökumenereferenten hatte Blake mitgeteilt, er hoffe, dass die westdeutschen Kirchen ihre finanziellen Zusagen trotz des Streits um den Sonderfonds 1971 und 1972 einhalten. Auszug aus der Aussprache nach Blakes Referat auf der Jahrestagung des Kirchlichen Außenamtes für Ökumene-Referenten in Arnoldshain, 13. 10. 1970 (EZA BERLIN, 6/5214).

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Abeba in Auftrag gegebene ÖRK-Studie über Möglichkeiten gewaltfreier Veränderung finanziell abzusichern. Angesichts der Diskussion über den Sonderfonds sei dies einfach „peinlich“. Für das zweijährige Studienprojekt war nur von der hamburgischen Landeskirche bis dato Geld zur Verfügung gestellt worden220. Der ÖRK hatte im Oktober 1971 bekannt gegeben, der Großteil der erforderlichen Projektmittel könne nicht dem allgemeinen ÖRK-Haushalt entnommen werden. Wegen der kritischen Finanzsituation müssten die Gelder anderweitig aufgetrieben werden. Ob die Studie in dem anvisierten Rahmen verwirklicht werde, bleibe offen221. Befürworter einer kirchensteuerfinanzierten Unterstützung des Sonderfonds hegten daher den Verdacht, die EKD agiere in ihrer Gewalt ablehnenden Haltung unglaubwürdig. Während der Utrechter Tagung schrieb der Ratsvorsitzende an 84 deutsche Unternehmen, die in Südafrika Niederlassungen unterhielten. Mit dem Hinweis auf das sich verschärfende Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen erging an sie die Bitte, die gesetzlichen Möglichkeiten zur Verbesserung von Lohn- und Arbeitsbedingungen auszuschöpfen, um „die sozialen Rechte der benachteiligten Bevölkerungsgruppen“ zu verbessern222. Anfang 1973 konstatierte die Synode der EKD auf ihrer Bremer Tagung, man sehe mit zunehmender „Besorgnis, dass das System rassischer Diskriminierung [. . .] unausweichlich zu einer Eskalation der Gewalt führen muss. [. . .] Wir möchten alles uns Mögliche dazu beitragen, dass gerechte und menschenwürdige Verhältnisse für alle Menschen im südlichen Afrika auf friedliche Weise geschaffen werden.“

Man wolle der benachteiligten Bevölkerungsmehrheit „in Zukunft noch mehr als bisher helfen“223. Als die Antworten auf Dietzfelbingers Brief vorlagen, zeigte sich, dass von den 49 antwortenden Unternehmen nur 20 bereit waren, an den Firmengesprächen der EKD teilzunehmen. Viele Firmen kritisierten den ÖRK und die Verbalattacken der Dritte-Welt-Gruppen. Aus der EKDinternen Auswertung ging hervor, dass die antwortenden Unternehmen die Lage in Südafrika im Gegensatz zur Synode für „durchgehend“ stabil hielten. Soweit sie „in der Lage“ waren, heißt es weiter, „den EKD-Kurs von dem des

220

EvKo 5 (1972), 161; JK 33 (1972), 45. „Gewalt, Gewaltlosigkeit und der Kampf um soziale Gerechtigkeit“. In: ÖR 20 (1971), 438–446, 446. Bereits in Addis Abeba hatte der ZA beschlossen, das Projekt nicht mit Haushaltsmitteln zu finanzieren. Wischmann erklärte, es müssten „entsprechende Deckungsmittel“ gefunden werden (ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1971], 74). 222 Zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 93. 223 Zit. n. KREMKAU, EKD, 49. 221

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

ÖRK zu unterscheiden“, hofften sie, „die EKD für eine günstige Selbstdarstellung der deutschen Wirtschaft zu gewinnen.“224 Wenige Wochen vor der ersten Runde der vertraulichen Firmengespräche wurde in der FAZ enthüllt, dass weiße Pastoren in den von der EKD mit unterhaltenen deutschsprachigen Kirchen Südafrikas das Sechsfache des Gehalts ihrer schwarzen Amtsbrüder erhielten. Odin fragte, weshalb die EKD „nicht wenigstens anklingen ließ, dass die Kirche mit den Gehältern der Wirtschaft in einem Boot sitze.“ Der Widerspruch bringe sie ins Zwielicht. „Rechtstechnisch“ könne die EKD für sich aber „ins Feld führen, daß nicht sie, sondern die deutschen Missionsgesellschaften“ die unterschiedlichen Gehälter nach Hautfarbe verantworten. Die in der Evangelischen Akademie Bad Boll anwesenden Unternehmensvertreter machten sich die Enthüllung dennoch zu Eigen und drängten die hochkarätig besetzte EKD-Delegation in die Defensive. Deren Verhandlungsposition war durch diesen – den Sachverhalt simplifizierenden – Einwand nachhaltig erschüttert225. Die Synode stellte sich hinter den Rat. Anfang Juni wurde er von ihr gebeten, die Gespräche fortzusetzen, „um die Menschen in Südafrika zu unterstützen, die trotz der stärker werdenden Spannungen hoffen, daß eine gewaltfreie Änderung der Verhältnisse noch möglich ist.“226 Durch die Enthüllung der FAZ erfuhr der 1972 erhobene Vorwurf des Mainzer Arbeitskreises Südliches Afrika neue Brisanz. Insbesondere (kirchliche) Solidaritätsgruppen sahen sich in ihrer Forderung nach einem Investitionsstopp bestätigt. Im rechten politischen Spektrum wurden Stimmen laut, die der EKD Nachgiebigkeit gegenüber dem ÖRK vorwarfen. Mitte Mai 1973 konstatierte der Publizist von Studnitz in der „Welt am Sonntag“, die deutsche Wirtschaft sei „offensichtlich nicht bereit, sich von den Kirchen in ein südafrikanisches [sic] Boxhorn zu jagen.“227 Wenige Wochen zuvor hatte er Dietzfelbinger gegenüber angeregt, die Mitgliedschaft der EKD und somit auch die, der ihr angehörenden Landeskirchen im ÖRK aufzukündigen. Hauptkritikpunkt war das ARP und Dietzfelbingers „abwartende Haltung gegenüber dem Drängen ‚progressiver‘ Kräfte“ in der EKD, den ÖRK in seinem politischen Engagement in Afrika stärker zu unterstützen. Dieser fördere den bewaffneten „Terrorismus“ gegen unbewaffnete Farmer und deren Frauen und Kinder.

224 „Unternehmer-Argumente. Zur Frage von Privatinvestitionen und sozialer Gerechtigkeit im südlichen Afrika. Ein Überblick zusammengestellt aus der Korrespondenz zwischen dem Ratsvorsitzenden der EKD und deutschen Firmen“, 14. 5. 1973 (EZA BERLIN, 81/3/283). 225 ODIN, Geld. Zum Gesprächsverlauf, HERMANN, Apartheid, 136. 226 Zit. n. KREMKAU, EKD, 76. 227 Zit. n. HERMANN, Apartheid, 133.

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Die EKD und ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Rassismus

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„Wie die Baader-Meinhof-Bande“ scheue er „das Licht und die Konfrontation mit Sicherheitskräften.“ Wolle die Kirche daher mit „anvertrauten Mitteln des deutschen Kirchensteuerzahlers, ja womoeglich“ mit „Almosen und Kollekten den Völkermord in Afrika finanzieren helfen?“ Dietzfelbinger antwortete, ein Austritt wäre „schwerwiegend und weitgehend“. Von Studnitz’ Unterstellung wies er zurück. Zum Sonderfonds stellte er klar, dass es eine bequeme deutsche „Selbstrechtfertigung“ nicht geben dürfe. Von Studnitz ließ nicht locker. In einem zweiten Brief empfahl er, Druck auf den ÖRK auszuüben. Dessen Finanznot hielt er für einen günstigen „Augenblick, in dieser Richtung etwas zu tun“228. Mumm bemerkte, von Studnitz’ erster Brief sei „typisch“ für dessen publizistische Arbeit: „Gegen die Schwarz-Weiß-Malerei von links setzt er die umgekehrte Schwarz-WeißMalerei von rechts. Die Politik der Rassentrennung übersieht er, oder er verteidigt sie. Von den Berichten der Polizeimethoden will er offenbar nichts wissen.“229

Wenige Wochen später griff Mumm von Studnitz’ Anregungen auf. Eigentlicher Anlass war ein von Baldwin Sjollema, Direkter des ARP, in Oslo gehaltener Vortrag über die Lage im südlichen Afrika. Laut Mumm sei es bemerkenswert, wie offen Sjollema „die destruktiven Absichten des ÖRK“ ausspricht. Ansätze für eine Verbesserung würden diffamiert. Hier gehe es „nicht mehr um Versöhnung, sondern um das Entfachen einer politischen Revolution.“ Von Studnitz habe daher Recht mit seiner Äußerung: „Diesen ÖRK dürfen Kirchen nicht mehr unterstützen.“ Die EKD und die Landeskirchen müssten prüfen, „wie sie ihre Mitgliedschaft fühlbar einschränken, vor allem in finanzieller Hinsicht“. Dies sei „offen“ zu begründen230. Empört konstatierte der Rat der EKD, Sjollema habe „unverhüllt zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen aufgerufen“. Man könne dies „nicht auf sich beruhen lassen“, denn die Äußerungen berührten frühere Beschlüsse des ÖRK. Die „Linie“ des Münchener Gesprächs vom Dezember 1970, wonach der Sonderfonds nur humanitäre Zwecke fördere, werde „außer Acht“ gelassen. Der Rat beschloss, einen Beschwerdebrief an den ÖRK-Stab zu senden. Außerdem betonte ein Kommuniqué, es könne nicht Aufgabe der Kirche sein, in die poli228 Briefe von Studnitz’ an Dietzfelbinger vom 5. bzw. 24. 3. 1973 sowie dessen schriftliche Antwort vom 19. 3. 1973 (EZA BERLIN, 81/3/288). 229 Vermerk Mumms vom 19. 3. 1973 (LAELKB NÜRNBERG, 132/193). Nachdem von Studnitz angekündigt hatte, seinen ersten Brief öffentlich zu machen, druckte die Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher ihn samt der Antwort des Ratsvorsitzenden in den eigenen Nachrichten ab, NNED 8 (1973), H. 5/6, 24–26. 230 Undatierter Vermerk Mumms. Zu Sjollemas Rede, vgl. die Meldung „Nur Neuverteilung der Macht“, epd-ZA vom 16. 4. 1973 (beides in: LAELKB NÜRNBERG, 132/193).

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

tischen Auseinandersetzungen Südafrikas mit Unterstützung von Gewalt einzugreifen und die Konfrontation zu fördern231. In diesem Sinne beschloss die VELKD-Kirchenleitung zwei Wochen später die Einrichtung eines „Fonds für Gerechtigkeit und Versöhnung“. Über die Gründung einer „lutherischen Alternative“ zum ARP war bereits Anfang 1971 spekuliert worden. Ende Oktober 1973 erteilte die Generalsynode der VELKD ihr Plazet: Ihre Gliedkirchen wurden aufgerufen, den Fonds finanziell zu unterstützen. Die Gelder waren für das südliche Afrika bestimmt. Über ihre Verwendung sollte allein die „Federation of Lutheran Churches in Southern Africa“ entscheiden. Die eng mit dem bereits genannten Südafrikanischen Kirchenrat (SACC), dem eigentlichen Namensgeber des Fonds, zusammenarbeitende Dachorganisation umfasste mehrheitlich „farbige“ lutherische Kirchen. Anders als im Fall des ÖRK-Sonderfonds lautete das Vergabeprinzip hier „Von Kirche zu Kirche“232. Die EKD leitete dem ÖRK wiederum einen Bericht über eigene Aktivitäten „im Rahmen“ des ARP zu. Mit dem Hinweis auf die 1971 definierten „multiplen Strategien“ wurden die in Utrecht präsentierten Vorschläge als „echte Alternative“ zum Investitionsstopp angepriesen. Der neu konstituierte Rat folge unter dem Vorsitz von Helmut Class, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Württemberg, der Bitte der Synode, die Firmengespräche fortzusetzen233. Angesichts der ersten Ölkrise gingen die Gespräche in wirtschaftlich angespannten Zeiten weiter. Die Leverkusener Begegnung vom 19. Dezember 1973 ist relativ gut dokumentiert. Auf die Frage, weshalb das Thema Südafrika den Kirchen so wichtig sei, antwortete Kirchenpräsident Hild, das „politischethische Engagement der Kirchen“ sei „nicht beliebig [. . .], sondern eine Gewissensfrage, ob man zu den Vorgängen“ dort schweige oder nicht, zumal es gute Gründe für die Annahme gebe, „dass wir direkt oder indirekt an den Rassenkonflikten beteiligt oder zumindest von ihnen tangiert sind.“ Präses Thimme bat, man solle „nun nicht mehr über gegensätzliche Ideologien, sondern über konkrete Möglichkeiten der Firma Bayer sprechen.“ Im Rahmen gesetzlicher Möglichkeiten sei „demonstrativ mehr zu tun, um eine gewaltfreie Entwicklung zu sozialer Gerechtigkeit und Rassengleichheit zu fördern.“ Laut Gesprächprotokoll fügte er hinzu: „Die rassistische Realität heize die sozialen Probleme Südafrikas an und erzeuge Furcht vor einem gärenden Strudel, der die westlichen Gesellschaften und ihre Industrie härter treffen würde als die 231 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 10. / 11. 5. 1973 (EZA BERLIN, 2/ 1779); NIEMEIER, Kirche [1973], 77. Zu „München“, vgl. oben Kap. 4. 1. 3. 232 LUTHERISCHE GENERALSYNODE 1973, 343f., 411–413 u. 572. Vgl. KORTZFLEISCH, Fonds. Zu den Spekulationen, BECKMANN, Rassismus, 556. 233 Zit. n. Christoph, Kundgebungen, 135.

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Die EKD und ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Rassismus

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Kirche, die auch in einer Katakombenexistenz Bestand haben könne“. Die Unternehmer empfahlen wiederum der EKD, sich von der „Revolutionslinie“ des ÖRK zu distanzieren. Ihr linker Flügel richte zuviel Schaden an. Sie solle daher erst die eigenen Verhältnisse „in Ordnung bringen, bevor sie sich mit den Firmenproblemen in anderen Ländern befasse. Grundsätzlich mische sich die Industrie nicht in Politik ein.“ Im Übrigen stelle sich die Frage, weshalb sich die EKD nicht zuerst um die Menschen in der DDR, Nordirland und der Sowjetunion kümmere234. Die angespannte Gesprächsatmosphäre kennzeichnete auch die weiteren, bis 1975 fortgesetzten Begegnungen. Die Unternehmen waren letztlich nicht bereit, die von kirchlicher Seite gewünschten Zugeständnisse zu gewähren. Angesichts unterschiedlicher Interessen und Durchsetzungsmöglichkeiten bestand von vornherein eine asymmetrische Verhandlungsposition. Nach dem Beschluss des Rates der EKD vom August 1975 wurde mit dem – seitens der südafrikanischen Regierung immer stärker angefeindeten – SACC vereinbart, die Gespräche im Land der Apartheid fortzusetzen235. Aus Angst vor staatlichen Einschränkungen zeigten die dort operierenden deutschen Firmen dem SACC gegenüber jedoch starke Berührungsängste236. Im September 1976 erhielt die EKD-Kirchenkanzlei eine von ihr in Auftrag gegebene Studie zum Verlauf der Firmengespräche. Gottfried Wellmer, ein junger Heidelberger Journalist und Kenner des südlichen Afrika, hatte sie nach Auswertung des gesamten Schriftguts verfasst. Das Ergebnis war eine „Fundamentalkritik“ der Südafrikapolitik der EKD. Letztere verpflichtete Wellmer angesichts seines Befundes zu strikter Vertraulichkeit – dies gilt noch heute. Über den Inhalt der Studie geben außer einem zeitgenössischen Aufsatz Wellmers nur die Auszüge einer jüngeren Arbeit Auskunft: Danach sei es eigentlich schade,

234 Zit. n. HERMANN, Apartheid, 134–136. Nach der Utrechter Tagung brach Odin eine Lanze für die westdeutschen Kirchen. In der FAZ schrieb er, sie „beziehen zu Hause gewöhnlich Prügel, weil ihnen dort Neigung zur Revolution unterstellt wird. Im Ökumenischen Rat dagegen schwimmen sie mit dem Programm der Evolution gegen die Flut revolutionärer Stimmungen“ (ODIN, Kollisionskurs). 235 Die Partnerschaft mit dem südafrikanischen Kirchenrat war nicht konfliktfrei. Im November 1974 lehnte die Synode der EKD es ab, den Aufruf des SACC an weiße wehrpflichtige Südafrikaner zur Kriegsdienstverweigerung demonstrativ zu unterstützen. Ein entsprechender Antrag wurde mit der Begründung zurückgewiesen, es handele sich hierbei um eine unzulässige Einmischung in die Innenpolitik Südafrikas. Aus dem Protokoll der Debatte geht hervor, dass auch der im Juli zurückgetretene Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Synodale Erhard Eppler, von einer Zustimmung abriet, BERLIN-SPANDAU 1974, 423. 236 HERMANN, Apartheid, 140 u. 142.

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

„dass die EKD so ungeschickt war, [. . .] zusätzliche Aufmerksamkeit auf das Scheitern der Firmengespräche zu lenken, indem sie der kritischen Öffentlichkeit Anlass zu der Vermutung gab, sie hätte etwas zu verbergen. Eine sorgfältige Lektüre der inkriminierten Studie ergab nämlich, dass die EKD im Vergleich zu den Firmen gar nicht so schlecht da stand, denn die besseren Argumente waren auf ihrer Seite.“237

Die EKD wollte womöglich nicht als Urheber einer radikalen Industrieschelte wahrgenommen werden. Für die Firmengespräche hätte dies wohl das Aus bedeutet. Endgültige Klarheit kann nur der uneingeschränkte Zugang zu dem Text bringen. In seinen publizierten Betrachtungen kritisierte Wellmer den nicht-öffentlichen Charakter der Gespräche. Die „Initiativen von kirchlichen Ökumenegruppen, Jugendgruppen, Dritte Welt-Gruppen, Akademien, Studentengemeinden“ seien damit außen vor geblieben. Im Übrigen habe die öffentliche Meinung „zu wenig Druck“ auf die Gesprächspartner ausgeübt. Wellmer teilte die Ansicht des ÖRK: „Die von der EKD früher ausgegebene Devise für die Firmengespräche ‚Nicht Konfrontation, sondern Dialog‘ war damals wie heute der Situation im südlichen Afrika nicht angemessen. Die Konfrontation ist da. Sie läßt sich nicht aus der Welt reden. Friedlich kann diese Konfrontation nur gelöst werden, wenn im Sinne der Entschließung des Zentralausschusses des Weltkirchenrates die heute Mächtigen die Macht an die heute Machtlosen abgeben.“238

Über die Umsetzungschancen dieses Wunschgedankens und die Nebenwirkungen eines Wirtschaftsboykotts äußerte sich Wellmer hingegen nicht. Laut seiner Auftragsstudie sei die EKD nicht bereit gewesen, die „gesellschaftliche Bedingtheit“ ihrer entschiedenen Gewaltablehnung einzugestehen. Ihr Grundproblem sei Kontextferne. Sie solle eingestehen, „dass sie ihren Beitrag zum gewaltlosen Kampf gegen den Rassismus erst sehr spät, wenn nicht zu spät, nur zögernd, wenn nicht sogar verzögernd, und auf bisher recht erfolglose Art und Weise geleistet hat.“ Dieser Forderung allerdings selbst widersprechend, notierte Wellmer, die (südafrikanische) Gewaltproblematik und die sachlichen Überlegungen der EKD ignorierend: Da sie „alle Maßnahmen, die möglicherweise staatliche Gewaltmaßnahmen provozieren könnten, vermeiden will“, stelle sich die Frage, ob die „legalistische Fixierung“ der EKD die von ihr „behauptete Solidarität mit den Unterdrückten“ nicht „gefährdet und in Frage stellt“239.

237

EBD., 224. WELLMER, Strategie, 13. Wellmers Auffassung von der „öffentlichen Meinung“ war wohl sehr realitätsfremd. 239 Zit. n. HERMANN, Apartheid, 225. 238

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Die EKD und ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen den Rassismus

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Über die gesellschaftliche Bedingtheit ihrer Haltung in der Gewaltfrage hatte bereits die Thesenreihe der Kammer für öffentliche Verantwortung im Frühjahr 1973 Auskunft gegeben. Außer deren Entstehungsgeschichte und öffentlicher Rezeption geben auch die Reaktionen auf die Gewalt-Studie des ÖRK hierüber Aufschluss.

4.5 Studien über Gewalt in Zeiten „relativer Ruhe“ 4.5.1 Rückkehr zur Sachlichkeit? Die Thesenreihe der EKD Mitte Mai 1973 publizierte die Kammer für öffentliche Verantwortung Thesen über „Gewalt und Gewaltanwendung in der Gesellschaft“. Wenige Wochen vor Beginn der Südafrika gewidmeten Firmengespräche hatte der Rat ihrer Veröffentlichung zugestimmt. Er machte sie sich nicht zu Eigen. Vielmehr billigte er sie nur als zeitlich unmittelbaren „Diskussionsbeitrag“. Unter den Ratsmitgliedern herrschte jedoch keine „allgemeine Zustimmung“ – im Gegensatz zur „keineswegs homogen“ besetzten Kammer240. Zentraler Bezugspunkt der Thesen war der Streit um den Sonderfonds des ARP. Der Rat ließ verlauten, sie dienten einer Versachlichung der Diskussion241. Eine Unterkommission hatte unter der Leitung des Kammervorsitzenden Roman Herzog, Staatsrechtler und ab 1973 Bevollmächtigter der rheinlandpfälzischen Landesregierung beim Bund, im Dezember 1971 damit begonnen, eine „umfassende Äußerung zum Gewaltproblem“ zu erarbeiten242. Die Kammer hielt eine Veröffentlichung aus drei Gründen für ratsam: Erstens sei die Leitung der EKD den Kirchengemeinden noch immer eine Stellungnahme zum ARP schuldig. „Ähnliches“ gelte für die „allgemeine Öffentlichkeit“, und drittens möchte die EKD einen Beitrag zur Gewalt-Studie des ÖRK leisten; Vorschläge der Mitgliedskirchen seien schließlich erwünscht243. 240 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 15. / 16. 3. 1973 (EZA BERLIN, 2/ 8629); GEWALT, 63 (= Vorwort). 241 Vgl. oben 322f. Kommuniqué von der Sitzung des Rates der EKD am 5. / 6. 4. 1973, zit. n. NIEMEIER, Kirche [1973], 71. Ebenfalls am 15. 5. 1973 publizierte die noch junge Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst ihre erste Denkschrift. Anders als im Fall der Thesenreihe machte sie sich der Rat zu Eigen, ENTWICKLUNGSDIENST. 242 Neben Herzog gehörten der Kommission folgende Kammermitglieder an: Martin Honecker, Hans Eberhard Bosse und Horst Zillessen, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. 243 Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD an die Mitglieder der Kammer für öffentliche

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

Ende Juni 1972 lag der erste Entwurf vor. Die Kommission hatte ihn während der „Sympathisanten“-Debatte und der „Frühjahrsoffensive“ der RAF erarbeitet. Laut Vorwort habe sich die Diskussion um das ARP in der Bundesrepublik „weitgehend auf die Gewaltfrage zugespitzt“. Dies sei auf mehrere Gründe zurückzuführen: „Die umfassende Diskussion, die nach 1945 über die Frage des Widerstands gegen totalitäre Regime und im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung über die Frage der Kriegsdienstverweigerung stattgefunden haben, machen es verständlich, daß auch das Anti-Rassismus-Programm vorwiegend unter diesem Gesichtspunkt erörtert wurde. Dieser Verlauf der Diskussion, [. . .] aber auch gesellschaftliche Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit machen es notwendig, grundsätzliche Erwägungen zum Gewaltproblem anzustellen.“244

Die Kammer begriff die Thesen als Fortsetzung ihrer Thesen über den „Friedensdienst der Christen“ aus dem Jahr 1969, in der die Lehre vom gerechten Krieg kritisch überprüft wurde. Die politische Verantwortung der Kirchen blieb außen vor. Im Mittelpunkt stand nun die innerstaatliche Gewaltanwendung. Die ältere Thesenreihe hatte betont, es reiche nicht aus, Frieden nur als Abwesenheit von Krieg zu verstehen. Zur neuen „Phase christlicher Friedensethik“ gehöre die Einsicht, dass Frieden „auf Kosten sozialer Gerechtigkeit“ nur ein „Scheinfriede“ sei. Trotz ihrer Bestrebung, anhand eines möglichst eng gefassten Gewaltbegriffs zu operieren, hielt die Kammer es daher für unmöglich, die Aspekte struktureller Gewalt aus ihren Überlegungen auszuklammern245. Dazu hieß es allerdings einschränkend, der „allzu rasche Entschluß zur Gegengewalt“ mache „oft unfähig, den Ursprung der Gewalt und der Unterdrückung zu erkennen. Selbst das subjektive Betroffensein durch strukturelle Gewalt, obwohl möglicherweise ein Grund zu individueller Notwehr, ist daher noch kein hinreichendes Argument für ‚gesellschaftliche Notwehr‘.“246

Verantwortung vom 29. 3. 1972; Niederschrift über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung am 3. / 4. 3. 1972 (EZA BERLIN, 2/8603). 244 Thesen zur Gewaltfrage. 1. Entwurf vom 23. / 24. 6. 1972, 1 (EZA BERLIN, 2/8628). In der Endfassung war an dieser Stelle sogar vom „Umsichgreifen von Gewalttätigkeit in unserer Gesellschaft“ die Rede (GEWALT, 65). 245 FRIEDENSDIENST, 39 u. 45; Thesen zur Gewaltfrage. Erster Entwurf vom 23. / 24. 6. 1972, 1f. (EZA BERLIN, 2/86281). Vgl. Ludwig Raisers Anfrage an Erwin Wilkens vom 15. 8. 1972 (EBD.). Zur friedensethischen Arbeit der Kammer und dem Einfluss der Weltkonferenz 1966, oben 148f. 246 GEWALT, 74.

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Studien über Gewalt in Zeiten „relativer Ruhe“

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Im Anschluss an die Thesen zum Friedensdienst und der „dort vollzogenen“ Ablehnung von bellum iustum gab die Kammer – auch in Abgrenzung gegenüber Gollwitzer – zu verstehen, die neuen Thesen seien keine „Legitimation einer Lehre von der gerechten Revolution“. Die „Erfahrungen mit totalitären Unrechtsstaaten“ lehrten, dass die Gewaltfrage vom Charakter des Staates „selbst“ abhänge. Die Endfassung verwies auf die Feststellung von These V der Barmer Theologischen Erklärung: „Von diesem Standpunkt aus sind die besonderen Befugnisse und Machtmittel, die dem Staat zugesprochen werden, in ihrer Einmaligkeit insoweit legitim, als er seiner lebensschützenden und lebenserhaltenden Aufgabe gerecht wird, die Würde und Freiheit seiner Bürger achtet und unentwegt für die Verbesserung ihres sozialen Status und für die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit wirkt. Staaten, die dazu nicht bereit sind, erheben den Anspruch auf ein uneingeschränktes Monopol der Gewalt daher zu Unrecht. [. . .] Nur Staaten mit einer Rechtsordnung, in der die Unterdrückung des Menschen prinzipiell unerlaubt und, wo sie vorkommt, ihre Beseitigung mit gewaltfreien Mitteln wahrscheinlich ist, werden sich dieser kritischen Anfrage der christlichen Ethik stellen können. Der parlamentarisch-demokratische, die freiheitlichen Grundrechte garantierende Rechtsstaat ist in all seiner Unvollkommenheit eine denkbare Antwort auf diese Herausforderung. Doch mögen [. . .] auch andere Staatsformen bestehen oder sich entwickeln, die diesem Anspruch gerecht werden.“

Zur Tradition des („protestantischen“) Widerstandsrechts in Deutschland wurde klar gestellt: „Ein lückenloses Gewaltmonopol jedes Staates, wie es früher gelegentlich behauptet wurde und dann freilich auch zur Unzulässigkeit jeglicher Gewaltanwendung gegen den Staat führen müßte, hat es weder historisch gegeben, noch läßt es sich ohne die eindeutige Ausrichtung des einzelnen Staates an den genannten humanen Zwecken rechtfertigen.“247

Das „protestantische“ Widerstandsrecht und seine bekenntnisspezifische Ausgestaltung, v. a. in der Frage nach der theologischen Rechtfertigung von Gewalt als ultima ratio, konfrontierte die Kammer mit dem besonderen Problem der Stellungnahme: Im ersten Entwurf hieß es, die Frage, ob dem Untertan ein Recht zu aktivem gewaltsamen Widerstand gegen eine ungerechte Obrigkeit zusteht, „wurde von den Reformatoren unterschiedlich“ beantwortet. Die „sich verschlingenden theologischen, naturrechtlichen, staatsrechtlichen und politischen Argumente“ könnten „hier im einzelnen“ nicht „dargestellt und geprüft werden“. Nach der Ablösung der reformatorischen Obrig-

247

EBD., 73f.

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keitslehre durch ein demokratisches Staatsverständnis sei die „Idee der Menschenrechte“ der heutige Ausgangspunkt eines Widerstandsrechts. Die Formen seien letztlich „mannigfaltig: Sie reichen von der schlichten Gehorsamsverweigerung über Formen des passiven Widerstandes und der gewaltfreien Aktion bis zur Ausführung eines aktiven, im äußersten Falle auch gewaltsamen Widerstandes.“ Das christliche Urteil könne Gewalt aber „niemals gutheißen.“248 Dietzfelbingers Referent hielt den ersten Entwurf für schlicht „verfehlt“. Die Thesen müssten „anders abgefaßt“ werden. Ihre „erste Aufgabe“ sei es, vom Neuen Testament und „vom Bekenntnis her“ diese Fragen zu behandeln. Man werde dann aber „an eine Grenze kommen, die nicht überschritten werden kann.“ Das Neue Testament kenne keinen zivilen Ungehorsam, erst recht keine „‚Strategie‘“ in diese Richtung. Erörterungen über die ultima ratio könne man anstellen, „aber wie will man sie theologisch begründen?“ Der Ratsvorsitzende signalisierte dem Geschäftsführer der Kammer, er teile diese Einschätzung249. Mumm hielt seine Grundsatzkritik auch gegenüber dem zweiten – nur geringfügig geänderten – Entwurf aufrecht: „Wo bleibt die Lehre vom doppelten Regiment Gottes? Ist die ‚Obrigkeitslehre‘ wirklich abgelöst?“ Das Kammermitglied Alard von Schack war ebenfalls nicht einverstanden. Der Bonner Publizist kritisierte, das Pendel dürfe nicht „vom lutherischen Obrigkeitsdenken zum entgegengesetzten Extrem“ ausschlagen250. In den dritten Entwurf wurde daher eine Passage über christliches Leiden aufgenommnen. Laut der nur geringfügig geänderten Endfassung sei es dem Christen geboten, seinen Glauben „zu bewähren und zu bezeugen. Das christliche Zeugnis des Leidens weist in einer viel klareren und überzeugenderen Weise auf die Versöhnungsbotschaft des Evangeliums und die Heilzusage Gottes hin, als dies bei Gewaltanwendung geschehen kann.“

Der einzelne Christ könne sich aber auch nicht der Stellungnahme entziehen in Situationen, „in denen faktisch Gewaltanwendung geschieht, da Schweigen als Billigung von Gewaltanwendung gedeutet und die einseitige Empfehlung an die Unterdrückten zum Gewaltverzicht geradezu als Zustimmung zur Unterdrückung aufgefaßt werden kann und überdies einer Gewöhnung an Gewalttätigkeit den Weg bereitet, der sich der Christ unter allen Umständen zu widersetzen hat. Wenn sich Christen auf 248

Thesen zur Gewaltfrage. Erster Entwurf vom 23. / 24. 6. 1972 (EZA BERLIN, 2/8628). Vermerk Mumms vom 30. 6. 1972, Anhang Brief Dietzfelbingers an Erwin Wilkens vom 18. 7. 1972 (EZA BERLIN, 2/8628). 250 Brief Alard von Schacks an Wilkens vom 25 7. 1972 (EBD); Thesen zur Gewaltfrage. Zweiter Entwurf vom 20. 7. 1972 (EBD.). 249

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Grund des an sie ergangenen Aufrufs Gottes in Jesus Christus als Anwalt der Unterdrückten und Rechtlosen verstehen, so stehen sie auch vor der Notwendigkeit zu prüfen, ob Unterdrückung und Unrecht möglicherweise nur durch Gewaltanwendung beseitigt werden können.“

Zum Bonhoefferschen Aspekt der „Schuldverstrickung“ hieß es abschließend, christliche Ethik berufe sich „nicht gesetzlich auf einzelne Bibelstellen“, „zumal diese im Blick auf die Erlaubtheit oder das Verbot von Gewaltanwendung untereinander widersprüchlich wären.“251 Als die Kammer Ende 1972 den Abschluss ihrer Arbeiten bekannt gab, forderte Mumm – weiter vergeblich – eine Revision der Thesenreihe. „Von der Kirche“ erwarte man „nicht eine solche Feststellung, die alles offen läßt, sondern eine klare Stellungnahme!“252 Mumm kritisierte vehement die Äußerungen über das ARP. Der erste Entwurf traf nämlich die – in der Endfassung unverändert übernommene – Feststellung, weder das ARP „noch die vorliegenden Thesen wollen zur Gewaltanwendung aufrufen.“253 Mumm hielt dies für eine unzulässige „nachträgliche Rechtfertigung“ der „Politik“ des ÖRK seitens der EKD. Vergebens forderte er folgende Neuformulierung: „Das Anti-Rassismus-Programm [. . .] will nicht zur Gewaltanwendung aufrufen. Aber die aufgrund dieses Programms verteilten Gelder an politische Organisationen, die Gewalt anwenden, [sic] verstrickt den Ökumenischen Rat in einer nicht mehr vertretbaren Weise in die Methoden dieser Organisationen; [. . .] auch wenn diese Gelder für humanitäre Zwecke gegeben werden.“254

Wenn die Vermutung zutrifft, dass Mumm und Dietzfelbinger in der Beurteilung der Thesen übereinstimmten, dann wird auch klar, weshalb sie vom Rat nur billigend zur Kenntnis genommen wurden. Das Bekannt werden von Sjollemas Osloer Rede dürfte die Bedenkenträger im Rat jedenfalls bestätigt haben255. Die allgemeinen Reaktionen auf das Erscheinen der Thesenreihe blieben davon unberührt. In der „Süddeutschen Zeitung“, die die Thesen in Gänze abdruckte, hieß es über den Streit um das ARP, die Veröffentlichung falle in

251

GEWALT, 83–85. Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 14. / 15. 12. 1972 (EZA BERLIN, 2/8628); Undatierter Vermerk Mumms betreffend die Thesen zur Gewaltfrage, vierter Entwurf vom 8. 12. 1972 (LAELKB NÜRNBERG, 132/193). 253 GEWALT, 82. 254 Vermerk Mumms vom 2. 8. 1972 betreffend die Thesen zur Gewaltfrage, zweiter Entwurf vom 20. 7. 1972, sowie sein undatierter Vermerk über den vierten Entwurf vom 8. 12. 1972 (LAELKB NÜRNBERG, 132/193). 255 Vgl. oben 359f. 252

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„eine Zeit relativer Ruhe“. Odin verband mit ihr „die Rückkehr zur Sachlichkeit“. Es gehe nicht an, dass man „aus den Schaumstoffsesseln klimatisierter Bürohochhäuser mit erhobenem Zeigefinger zu Partisanentrupps im afrikanischen Busch hinüberzeigt, um zu sagen, was dort Rechtens, gewaltsame Umwälzung unerträglicher Zustände ist, und was nicht.“ Im Interview mit der katholischen „Herder-Korrespondenz“ stellte Herzog mehrmals klar, das ARP sei zwar der Anlass, nicht aber das Thema der Thesenreihe gewesen256. In der „Welt“ wurde bemerkt, die EKD akzeptiere Gewalt „nur als äußerstes Mittel“. Die Aussage der Kammer, dass weder die Thesen noch der ÖRK zur Gewaltanwendung aufriefen, wurde kommentarlos wieder gegeben257. Heinz Kloppenburg monierte in der „Jungen Kirche“, die Thesenreihe lasse letztlich mehr Fragen offen, als sie beantwortete. „Sie enthält manche Feststellungen, die bisher im Raum der Kirche nicht deutlich waren: so die Anerkennung, dass es Gewaltausübung nicht nur durch den Staat, sondern auch durch die Struktur eines gesellschaftlichen Systems geben, und dass eine Gegengewalt ‚von unten‘ legitim sein kann. [. . .] Aber diese grundsätzliche Anerkennung wird mit so vielen Einschränkungen versehen“.

Es sei „schlechthin verwunderlich“, dass die Schrift „völlig an der Frage vorbeigeht, wie sich alle diese Erwägungen zu der schlichten und eindeutigen Weisung der Bergpredigt verhalten.“ Es heiße zwar, dass Letztere den Christen vor die Frage eines prinzipiellen Gewaltverzichts stelle. „Ist das aber alles, was eine kirchliche Denkschrift über Gewalt und Gewaltverzicht [. . .] zu sagen hat?“ Die neueren Arbeiten des ÖRK „zu diesem Problem“ seien „bei aller Vorsicht ihrer Aussagen doch wesentlich hilfreicher“258. Ähnlich argumentierte Hans Norbert Janowski, Chefredakteur der „Evangelischen Kommentare“. Die Kammer wende sich zu einem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit, „wo sie die Beruhigung der Gemüter als eine Chance für Kommunikation wahrnehmen“ könne. 256

Herder-Korrespondenz 27 (1973), 331–337, 332. „Kirchenworte über Gewalt“. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 113 vom 17. 5. 1973, 4; ODIN, Protestantismus; und „Evangelische Kirche akzeptiert Gewalt nur als äußerstes Mittel“. In: Die Welt, Nr. 113 vom 16. 5. 1973, 6. Vgl. „Gewalt als äußerstes Mittel“. In: FR, Nr. 113 vom 16. 5. 1973, 4. 258 JK 34 (1973), 638–639. Kloppenburg nannte den Bericht einer vom ÖRK veranstalteten Konsultation, die Anfang September 1972 in Cardiff stattfand. Die von rund 50 Teilnehmern besuchte Veranstaltung diente dem zweijährigen ÖRK-Studienprojekt „Gewalt, Gewaltlosigkeit und der Kampf um soziale Gerechtigkeit“. Der Tagungsbericht floss ein die abschließende Studie, die das ÖRK-Referat „Kirche und Gesellschaft“ dem ZA Mitte 1973 vorlegen sollte. Vgl. KRÜGER, Bewegung [1969–1972], 89–110, 89. Dazu weiter im folgenden Kapitel. Während Günther Krusche in Cardiff anwesend sein konnte, musste Martin Honecker seine Teilnahme als einziger westdeutscher Vertreter aus persönlichen Gründen kurzfristig absagen. Vgl. EZA BERLIN, 2/8628. 257

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„Andererseits macht es ihr der verspätete Eintritt in die Diskussion schwer, im Grabenkrieg zwischen den schwerfälligen Geistern der christlichen Tradition verhärtete Fronten abzubauen. Daher die Janus-Gesichter von Argumentation und Funktion der Denkschrift: Vor dem Hintergrund des herkömmlichen staatsfrommen Gewaltverzichts zugunsten der Ordnungsmächte wirken die Thesen als ein mutiger Schritt nach vorn. Im Blick auf die Schärfe der Probleme der Gewaltanwendung, mit der wir heute konfrontiert sind, nimmt sie die eher blasse Gesichtsfarbe eines zaghaften Vermittlungsversuches an.“

Die Schrift werde „mit Sicherheit eines leisten“: Dem „politischen Establishment“ dürfte es in Zukunft „schwerer fallen“, sich „in jeder Situation zur Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols umstandslos auf die christliche Lehre“ berufen zu können. Bundesjustizminister Gerhard Jahn lobte sie allerdings ohne Einschränkung. Ihre Argumentationskette sei „ein überzeugender Nachweis für die Aktualität der Diskussion“259. Martin Honecker wies im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ darauf hin, die Thesen seien im Kontext der jüngsten „Ausbrüche politisch motivierter Gewaltkriminalität in der Bundesrepublik“ zu interpretieren260. Trutz Rendtorff unterstrich in den „Lutherischen Monatsheften“, „worum es eigentlich“ geht: „die Frage der Autorität des Staates und seiner Rechtsordnung.“ Die Thesen leisteten einen ersten Beitrag. Angesichts der zeitgenössischen „Flut von Vulgärsoziologismen“ komme es gerade im Interesse des Wandels und der Freiheit darauf an, „aus der bestimmten Negation von Unrecht und Unterdrückung nicht die abstrakte Negation überindividueller Strukturen und Abhängigkeiten überhaupt abzuleiten.“ Die Ablehnung von Gewalt könne „nicht besser“ formuliert werden, „als durch einen solchen Katalog der Bedingungen“, unter denen sie zulässig ist. „Die Argumentation der Kammer wird erst schlüssig, wenn man sieht, dass die Thesen an dieser kritischen Stelle genau das definieren, was Aufgabe rechtmäßigen staatlichen Handelns ist, wenn auch zum Teil mit negativen Formulierungen. Das alleine gibt auch dem Begriff ‚Gegengewalt‘ seinen Sinn: Grundsätzlich ist nur solche Gewalt zu legitimieren, die selbst vom ‚Charakter des Staates‘ bestimmt ist, nicht die Abschaffung des Staates, sondern die bessere Erfüllung seiner Aufgaben [. . .]. Insofern kann es zum Gewaltmonopol des Staates im Prinzip keine Alternative geben.“261

Zu diesem Zeitpunkt war die – letztlich irrige – Auffassung verbreitet, der Linksterrorismus sei Geschichte. So bemerkte die „Westdeutsche Zeitung“:

259

JANOWSKI, Sorgen. Brief Jahns an Hermann Kunst vom 17. 5. 1973 (EZA BERLIN, 2/

8629). 260 261

HONECKER, Friede. So auch der Hinweis in „Christ und Welt“, STUBBE, Denkschriftenflut. RENDTORFF, Gewalt.

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„Für die Menschen bei uns ist dieses Thema allerdings nicht gerade akut. Und darum möchte man der Kammer raten, sich lieber wieder hautnäheren Problemen zuzuwenden.“262 Wilkens zog als Geschäftsführer der Kammer folgende Bilanz: Er habe „von vornherein nicht mit einem großen publizistischen Echo gerechnet und eigentlich auch recht behalten, obwohl das Interesse in einschlägigen Kreisen sehr groß und der Absatz entsprechend ist.“263 4.5.2 Sturm in Sicht: Reaktionen auf die Studie des ÖRK Ende August 1973 nahm der in Genf tagende ZA den Bericht über das zweijährige ÖRK-Studienprojekt „Gewalt, Gewaltfreiheit und der Kampf für soziale Gerechtigkeit“ entgegen. Das 1971 in Addis Abeba beschlossene Vorhaben hatte einen doppelten Bezugspunkt: 1. die in Uppsala 1968 gefasste „Martin-Luther-King“-Resolution, die den ÖRK dazu aufrief, Studien über gewaltfreie Methoden zur Herbeiführung sozialen Wandels zu unterstützen264; 2. die Auseinandersetzung um das ARP und den Sonderfonds. Letzterer bildete den eigentlichen Bezugspunkt der Studie. Die in der Bundesrepublik kontrovers diskutierte Verantwortung von Christen und Kirchen wurde allerdings nicht thematisiert. Vor dem Hintergrund des in Addis Abeba formulierten Grundsatzes, der ÖRK identifiziere sich „nicht vollständig mit einer politischen Bewegung“, hielt der vom Referat „Kirche und Gesellschaft“ erstellte Bericht vielmehr fest: „Es ist uns eindeutig bezeugt, dass Jesus von Nazareth keine Gewalt gegen die Mächtigen im Namen der Schwachen, der Armen und der Leidenden gebraucht hat, obwohl er sich mit ihnen identifizierte und sie sich für die Verkündigung des Evangeliums als besonders offen erwiesen. Die Geschichte beweist vielmehr, daß er selbst die ungerechte Gewalt der Mächtigen erlitt bis hin zu seinem Tode am Kreuz.“

Über die Konsequenzen dieses „für uns in unserer Zeit“ gegebene „Beispiel“ waren sich die Verfasser – stellvertretend für die gesamte Christenheit – „nicht einig“265. Der Konsens beschränke sich auf folgende Punkte: 1. gebe es bestimmte Formen, Ziele und Mittel der Gewaltwendung, die mit dem christ-

262

„Kirche und Gewalt“. In: Westdeutsche Zeitung vom 16. 5. 1973, 6 (EZA BERLIN, 2/

8629). 263

Brief Erwin Wilkens’ an Martin Honecker vom 21. 8. 1973 (EZA BERLIN, 2/8629). Die „Gewaltfreie Aktion“ wurde im oben genannten Cardiff-Bericht viel ausführlicher behandelt, KRÜGER, Bewegung [1969–1972], 89–110. 265 „Gewalt, Gewaltfreiheit und der Kampf für soziale Gerechtigkeit“. In: ÖR 22 (1973), 533–548, 542 u. 548. 264

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lichen Glauben unvereinbar seien; 2. sei man „davon überzeugt, dass die Kirche und die Widerstandsbewegungen der Methodik und Technik der Gewaltfreiheit [. . .] noch längst nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet“ hätten; 3. lehne man „einige allzu schnell und leicht formulierbare Postulate der Gewaltfreiheit, die in der jüngsten Debatte immer wieder“ auftauchten, ab266. Die Autoren teilten mit, ihre Reflexionen beruhten auf „konkreten Erfahrungen“. Der Bericht nannte „einige spezifische Gebiete“, in denen „das Problem der Gewalt Christen heute vor einen qualvollen Gewissenkonflikt stellt“: Südafrika, Lateinamerika, Nordirland, die von Israel besetzten Gebiete und – vor dem Hintergrund ihres militärischen bzw. verdeckten Engagements in Vietnam und Lateinamerika – die USA267. In der Aussprache über den Studienbericht bemängelten zahlreiche ZA-Mitglieder, die Situation in den Ostblockstaaten werde damit vollständig ausgeblendet. Die auf Betreiben osteuropäischer Kirchenvertreter vollzogene Streichung des Hinweises auf Osteuropa werteten sie als Beleg für die Einseitigkeit des ÖRK in politischen Fragen. Dessen Glaubwürdigkeit und Integrität stünden auf dem Spiel. Trotz der an sich nachvollziehbaren Einwände war die Mehrheit nicht dazu bereit, den Bericht um Hinweise auf das „christliche Dilemma“ in „vielen Teilen“ Asiens, Afrikas sowie in Osteuropa zu ergänzen. Die relativ große Zahl an Enthaltungen wurde erst auf Bitten ins Protokoll aufgenommen. Es wurde in Aussicht gestellt, das Thema Osteuropa im Rahmen einer ÖRK-Konsultation über Menschenrechte im kommenden Jahr zu behandeln268. Für den westdeutschen, zu diesem Zeitpunkt vorwiegend innerkirchlich geführten „Antirassismusstreit“ war die Verabschiedung der ÖRK-Studie brisant. Den Ausschlag gaben drei zeitnahe Ereignisse: Vor Beginn der ZATagung wies das VELKD-Kirchenamt die Behauptung des Südafrikanischen Rundfunks zurück, die VELKD habe der in Mozambique ansässigen linksgerichteten Befreiungsorganisation FreLiMo ihre Unterstützung im Kampf gegen die Kolonialmacht Portugal zugesagt. Auf Einladung des SPD-Bundesvors-

266

EBD., 544f. EBD., 540f. In diesem Zusammenhang konstatierte der ZA, die „begriffliche und semantische Klärung“ über „Gewalt“ müsse fortgesetzt werden. Er spielte damit an auf Galtungs Definition struktureller Gewalt, die in Cardiff kontrovers diskutiert wurde (EBD., 535). Vgl. KRÜGER, Bewegung [1969–1972], 92. 268 ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1973], 17–21; Müller-Römheld, Kontinuität, 520f. Im „Berliner Sonntagsblatt“ erging der Hinweis, amerikanische Delegierte teilten den „‚westdeutschen‘“ Standpunkt im Streit um das ARP: Die Bedenken westdeutscher Kirchen gegenüber der Förderung gewaltbereiter Organisationen seien „in keiner Weise ein Selbstgespräch, sondern vielmehr eine Hilfe für andere Mitgliedskirchen des ÖRK, nach Prüfung der Einwände endgültig Stellung zu nehmen“ (RIEGER, Rassismus). 267

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tands weilten gerade FreLiMo-Vertreter in Bonn. An den Gesprächen nahmen auch Vertreter von EKD und VELKD teil. Die Gäste warfen der sozialliberalen Bundesregierung vor, Portugal militärisch zu unterstützen und die Kämpfe damit zu verlängern. Die Gastgeber sagten zu, den Vorwurf zu prüfen. Daraufhin berichtete „Die Welt“, die SPD werde den Kampf der FreLiMo fortan unterstützen269. Zur Kritik aus Südafrika erklärte das VELKD-Kirchenamt, die Gespräche hätten rein informativen Charakter; es gebe keine Hinderungsgründe, humanitäre Hilfe in Notsituationen zu leisten270. Zugleich wurde bekannt, dass kirchliche Aktionsgruppen – v. a. die Evangelische und Katholische Jugend – einen bundesweiten „Angola-Sonntag“ organisierten. Die Evangelische Akademie Arnoldshain unterstützte sie271. Dazu kommentierte „Die Welt“: In Angola und Mozambique werde „kein ‚Befreiungskampf‘ im Namen der Mehrheit der Bevölkerung“ geführt. Das Gegenteil sei der Fall. Zur FreLiMo und den rivalisierenden Untergrundbewegungen Angolas – allesamt Empfänger von Sonderfonds-Mitteln – hieß es: „Ihr Terror richtet sich überwiegend gegen die schwarze Bevölkerung. [. . .] Wollen die Kirchen also [. . .] Untergrundkämpfern Unterstützung gewähren, die auf den Feldern Angolas und Mozambiques vom Ostblock gelieferte Minen verlegen? [. . .] Aus guter Absicht folgt oft Böses, und der hohe moralische Anspruch nährt sich nicht selten aus Unkenntnis.“272

Nachdem sich die katholische Deutsche Bischofskonferenz von der ökumenischen Aktion distanziert hatte, erfuhr Dietzfelbinger, dass die EKD durch das Publizistische Sachverständigengremium273 an der Aktion beteiligt war. Laut des – nunmehr – ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden hätte die Aktion mit den 269 „Frelimo-Führer beschuldigt Bonn der Verlängerung der Kämpfe“. In: Die Welt, Nr. 181 vom 6. 8. 1973, 5; „SPD unterstützt Frelimo im Kampf gegen Portugal“. In: Die Welt, Nr. 182 vom 7. 8. 1973, 1–2. 270 epd-ZA, Nr. 159 vom 17. 8. 1973, 4. 271 Vgl. HEIN, Westdeutschen, 245. Zur Beteiligung der Akademie Arnoldshain, epd-Nachrichtenspiegel, Nr. 37 vom 12. 9. 1973, 5. Weiter ausführlich, EZA BERLIN, 650/318. 272 „Kirchliche Moral“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „B. B.“]. In: Die Welt, Nr. 188 vom 14. 8. 1973, 4. Zu den angolanischen Empfängern der Sonderfondsmittel, BECKMANN, Anti-Rassismus-Programm, 57. 273 Das „Publizistische Sachverständigengremium der EKD für Fragen der Entwicklungspolitik und des Kirchlichen Entwicklungsdienstes“ war im Sommer 1971 auf Beschluss des Rates geschaffen worden. Unter dem Vorsitz von OKR Günter Linnenbrink, Referent für Entwicklungspolitik in der Kirchenkanzlei der EKD und Geschäftsführer sowohl der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst als auch der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst, erarbeitete das Gremium, dem auch Journalisten angehörten, Konzepte zur entwicklungspolitischen „Bewusstseinsbildung“. Vgl. WILLEMS, Entwicklung, 311; LINNENBRINK, EKD; und DERS., Entwicklungsdienst.

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Landeskirchen abgestimmt werden müssen. Zum vermeintlich eigenmächtigen Vorgehen des Gremiums bemerkte der bayerische Landesbischof: Wenn „immerhin 47.100 DM Kirchensteuermittel für eine Aktion eingesetzt werden, deren Problematik von vornherein“ klar sei, „dann muß die Ebene der Verantwortung von Anfang an breiter angelegt sein.“274 Die Kirchensteuermittel seien laut „Die Welt“ von der Kirchenkanzlei bewilligt worden. Helmut Class erklärte als neuer EKD-Ratsvorsitzender: Sollten hier und da „derart einseitige propagandistische Gottesdienste“ abgehalten werden, so stelle man es den Gläubigen anheim, „diese Gottesdienste nicht geräuschlos zu verlassen.“275 Angesichts der ohnehin im Raum stehenden Debatte über das politische Mandat der Kirchen erregte die Veröffentlichung des FDP-Thesenpapiers „Freie Kirchen im freien Staat“ besonderes Aufsehen. Im Sinne einer Trennung von Staat und Kirche wurde angeregt, den staatlichen Kirchensteuereinzug zu beenden. Die Kirchen sollten ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlieren. Deren Protest ließ nicht lange auf sich warten. Der Leiter der EKD-Kirchenkanzlei, Walter Hammer, sah in dem Papier eine „massive Kampagne gegen das Grundgesetz“. Erwin Wilkens fragte, „ob sich eine politische Partei nicht zuviel zutraue, wenn sie Bereiche zu reglementieren suche, die tief in das Leben des Einzelnen und in das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Gruppen eingriffen.“276 In dieser für die Kirchenleitungen angespannten Lage wurde bekannt, dass die ÖRK-Studie die Verhältnisse im Ostblock nicht beim Namen nannte277. Die im obigen Kommentar der „Welt“ angestellten Befürchtungen schienen bestätigt. Noch im Vorfeld der Genfer Tagung hatte der Leiter des Kirchlichen Außenamts der EKD der Chefredaktion vorgeworfen, sie lasse den Eindruck

274

Brief Dietzfelbingers an die Kirchenkanzlei der EKD vom 24. 8. 1973 (LAELKB NÜRN138/224). Wenig später erklärte auch der Kirchenrat der hamburgischen Landeskirche, der „Angola-Sonntag“ bleibe eine Eigeninitiative der Evangelischen und Katholischen Jugend, die nicht zwischen den Kirchen abgesprochen sei. Das Hamburger Jugendpfarramt erklärte, dies komme einer Distanzierung von der geplanten Informationsaktion „aus formalen Gründen“ gleich. An der eigenen Beteiligung halte man weiter fest. Der Aufruf zum Engagement zugunsten der afrikanischen Bevölkerung in den portugiesischen Kolonien bedeute keineswegs eine „unkritische Solidarisierung mit Befreiungsbewegungen“ (zit. n. epd-ZA, Nr. 176 vom 11. 9. 1973, 3). 275 Zit. n. „Kritik der Kirche an ‚Angola-Sonntag‘“. In: Die Welt, Nr. 191 vom 17. 8. 1973, 5. Das Hamburger „Ostpreussenblatt“ titelte „Kirchensteuer für Terror?“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „E.B.“]. In: Das Ostpreußenblatt, Nr. 34 vom 25. 8. 1973, 1. 276 Hammer zit. n. WAHL, Kritik; Wilkens zit. n. „FDP-Thesen stoßen bei Kirchen und Parteien auf Kritik“. In: Die Welt, Nr. 200 vom 29. 8. 1973, 1–2, 1. Vgl. dazu sehr ausführlich, ESCH, Kirche. 277 ODIN, Studie; „Studie über Gewalt schließt osteuropäische Länder aus“. In: Die Welt, Nr. 201 vom 29. 8. 1973, 5. BERG,

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entstehen, als verdrängten politische Fragen die Theologie. Verglichen mit ihrer weiter oben dargelegten Einschätzung der bewaffneten Konflikte in Mozambique und Angola fiel die Berichterstattung der „Welt“ aber moderat aus. Ein Kommentar betonte, der ÖRK sehe nun die „Gefahren der Einäugigkeit“. Dass es zur offenen Auseinandersetzung über Osteuropa kam, bedeute ein „Tabubruch“: Seit dem ÖRK-Beitritt der orthodoxen Kirchen Osteuropas (1961) sei es hierzu nicht mehr gekommen278. Weniger positiv urteilte der Bericht in „Christ und Welt“279. Ende September befasste sich der Rat der EKD mit den Ergebnissen der ZA-Tagung und der Nichtberücksichtigung des Ostblocks280. Per Pressekommuniqué wurde verlautet, man habe sich „sehr eingehend“ mit den Fragen des ARP und den damit noch immer verbundenen Missverständnissen befasst. Wohl mit Blick auf den „Angola-Sonntag“ hieß es dazu: „In der deutschen Öffentlichkeit werde immer noch nicht hinreichend erkannt, dass die ungelösten Rasseprobleme, die sich zum Teil mit den Restbeständen des Kolonialzeitalters und der wirtschaftlichen Unterentwicklung eines großen Teils der Länder der Erde eng berühren, einen explosiven Gefahrenherd für den Weltfrieden bedeuten und einen Verstoß gegen elementare Menschenrechte darstellen.“

Die global verbreitete Unentschlossenheit, politische Lösungen zu erarbeiten, sei eine wesentliche Quelle für zunehmende „Gewalttätigkeiten und revolutionären Umtriebe“. Angesichts öffentlich entstandener Missverständnisse stellte der Rat klar, dass er Gewalt kategorisch ablehne. Die in den Kammer-Thesen eingeräumte Möglichkeit der ultima ratio blieb unerwähnt. „Mit Nachdruck“ wurde vielmehr betont, Gewalt, „von welcher Seite auch immer“, sei als politisches Mittel ungeeignet und verursache „nach aller geschichtlicher Erfahrung“ neues Unrecht und Leid281. An die Adresse kirchlicher Dritte-Welt-Gruppen und die an den Universitäten spontan gebildeten Chile-Solidaritätskomitees282

278 OHNESORGE, Weltkirchenrat; Brief Adolf Wischmanns an die Chefredaktion von „Die Welt“ vom 20. 8. 1973 (EZA BERLIN, 634/453). Über deren Zurückhaltung kann nur spekuliert werden. Spielte etwa Axel Springers religiös motivierter Einsatz für sowjetische Dissidenten einerseits und seine neuerliche Begeisterung für die Spiritualität der orthodoxen Kirche andererseits eine Rolle? Vgl. SCHWARZ, Axel Springer, 535–537. 279 SCHELLBERG, Ökumene. 280 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28. / 29. 9. 1973 (EZA BERLIN, 2/ 1780). 281 Zit. n. epd-ZA, Nr. 191 vom 2. 10. 1973, 6–7, 6. In „Christ und Welt“ stand, es wäre ein „Irrtum“, anzunehmen, der Rat sei mit den Thesen der Kammer nicht einverstanden (STUBBE, Denkschriftenflut). 282 Im Lehrsaal des neu gegründeten Praktisch-Theologischen Ausbildungsinstituts in WestBerlin hing über dem Kreuz ein Chile-Plakat, das ein Gewehr zeigte und verkündete: „Der

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erging der Hinweis, man könne nicht für einen friedlichen Ausgleich im OstWest-Konflikt eintreten „und gleichzeitig in anderen Teilen der Welt gewalttätige Auseinandersetzungen hinnehmen oder gar fördern.“ Wohl mit Blick auf die Arbeit der Kammer erklärte der Rat zur „Richtigstellung andersartiger Darstellungen und Vermutungen“: Zusammen mit den Leitungen der Gliedkirchen sei man „zu keiner Zeit und mit keiner Maßnahme“ von der eingeschlagenen Linie im Streit um das ARP und den Sonderfonds abgewichen. Die politische Unterstützung gewaltbereiter Bewegungen widerspreche dem kirchlichen Auftrag, Frieden und Gerechtigkeit zu fördern. Zum FDP-Papier erklärte er, es sei „freilich“ nur „Ausschnitt aus einer umfassenden Diskussion“, die auch innerkirchlich „seit langem“ geführt werde283. Über die Gewalt-Studie des ÖRK und deren Prononcierung gewaltfreier Kampftechniken äußerte sich der Rat hingegen nicht. Odin lobte ihre „ungewöhnlich[e]“ Ausgewogenheit. In der „theologischen Begründung“ sei sie aber „dürftig“. Wegen ihrer globalen Ausrichtung lasse sie die „Meinung“ der deutschen Studie „als eine mögliche neben zwei anderen gelten.“ Jedenfalls werte sie nicht284. Theodor Ebert, Herausgeber der Zeitschrift „Gewaltfreie Aktion“, beurteilte die EKD-Thesen weniger kritisch285. Die ÖRK-Studie begriff er wiederum als Beitrag zur Legitimation des ARP. Über die Sonderfonds-Problematik äußerte sich der EKD-Synodale hingegen nicht. Im NDR-Radiogespräch mit Martin Stöhr, nun Leiter der Evangelischen Akademie Arnoldshain, hatte Ebert zu verstehen gegeben, dass er das Arrangement des Sonderfonds guthieß: Wolle man mit den geförderten Organisationen auch über deren Methoden sprechen, dann müsse man „zunächst einmal Solidarität bewei-

Kampf geht weiter“ (RUFF, Marsch, 15). Zur (gemeinsamen) Chile-Solidarität der Evangelischen und Katholischen Studentengemeinden, RUPFLIN, Kirche; WIDMANN, Linksprotestantismus, 229. Zum Engagement der bundesweit über 50 Chile-Komitees, das wegen der Fraktionierung, die die sich befehdenden (un)dogmatischen Gruppen der Neuen Linken in die Bewegung hineintrugen, ebenso schnell zusammenbrach, wie es entstand, BALSEN / RÖSSEL, Solidarität, 302–354. 283 Zit. n. epd-ZA, Nr. 191 vom 2. 10. 1973, 6–7, 7. Zwar berichtete „Die Welt“ – anders als die FAZ – über die Erklärung des Rates. Der Beitrag thematisierte jedoch ausschließlich das FDP-Papier, „Evangelische Kirche bereit zum Gespräch“. In: Die Welt, Nr. 230 vom 2. 10. 1973, 5. 284 ODIN, Ernüchterungen, 525. Im Zeitzeugeninterview erklärte Linnenbrink, ursprünglich habe die Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst die Gewalt-Studie der EKD ausarbeiten wollen. Das Ergebnis wäre dann freilich globaler, weniger auf die westdeutschen Verhältnisse ausgerichtet gewesen, HERMANN, Apartheid, 35. 285 EBERT, Verteidigung; MENKE-GLÜCKERT, Schlupfwinkel; und JANOWSKI, Konflikte. In den folgenden beiden Jahren erschienen weitere vergleichende Betrachtungen, z. B. BUCHOLZ, Gewaltproblem u. LIENEMANN, Weltkirchenrat.

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

sen.“286 Den Kammer-Thesen hielt er zugute, sie wagten sich in der theoretischen Darstellung gewaltfreier „Kampftechniken“ weiter vor. Das Handlungskonzept der Gewaltfreien Aktion werde in beiden Schriften aber nicht konkret genug beschrieben. Dies erwecke den fälschlichen Eindruck, als handele es sich dabei nur um ein schwaches machtloses Instrument in Form eines „neutralen Krisenmanagements“. Damit aber würde der „schwerstwiegende Vorwurf, den gewaltsame Revolutionäre den Befürwortern der gewaltfreien Aktion machen, bestätigt.“ Das Fehlen einer „vorbereiteten Sozialen Verteidigung“ habe sich im chilenischen Militärputsch soeben tragisch offenbart. Roman Herzog erklärte wenige Monate später, die Kammer sehe die Erfolgschancen gewaltfreier Widerstandsformen durchaus skeptisch: „Das ist einer der vielen Punkte an dem deutlich wird, daß uns die Empirie, die Sie in diesen Thesen so selten finden, ständig vor Augen war. Wir haben uns die Beispiele gewaltfreier politischer Aktionen, die die Geschichte ja in nicht allzu großer Zahl bereithält, sehr genau angesehen und dabei gemerkt, daß dort, wo diese gewaltfreien Formen von Widerstand sich durchsetzen konnten, ganz bestimmte Bedingungen gegeben waren [. . .]. Wenn wir etwa an Gandhi denken [. . .], der sich mit seiner gewaltfreien Bewegung durchgesetzt hat, dann muß doch auch gesehen, daß Gandhi sich vorwiegend deswegen durchsetzen konnte, weil er es mit einem Gegner zu tun hatte, der selbst von gewissen ethischen Prinzipien ausging. [. . .] Er konnte auf die Dauer damit rechnen, daß die englische Regierung von der Meinung ihres rechtsstaatlich und demokratisch denkenden Volkes abhängig war.“287

Laut Ebert sei es am wichtigsten, dass die EKD gewaltfreie Aktionen „als etwas begreift, das man nicht den Negern empfiehlt, sondern in der Bundesrepublik selbst praktiziert.“ Denn „nur was vor Ort erprobt ist“, könne auch im transnationalen Engagement umgesetzt werden. Mit Blick auf die Firmengespräche ließ er erkennen, „Boykottaufrufe und Dividendeneinbußen“ könnten der unternehmerischen „Gewissensschärfung“ nachhelfen. Momentan am „stärksten entwickelt“ sei das kirchliche Engagement im Bereich der Bürgerinitiativen. Man müsse damit rechnen, dass auch die Bereitschaft zunehme, neben legalen Protestmethoden „auch die Kampfmittel des demonstrativen zivilen Ungehorsams einzusetzen.“ Die „Begleitumstände“ der so genannten RotePunkt-Aktionen – gemeint sind Protestaktionen gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr – und Häuserbesetzungen seien „hier nur erste Anzeichen“. Für die in Bürgerinitiativen engagierten Christen sei es eine wichtige Aufgabe, „erfolgversprechende gewaltfreie Strategien zu entwickeln“ und 286 Das am 8. 4. 1973 gesendete Gespräch wurde in der Oktober-Ausgabe der „Jungen Kirche“ abgedruckt, „Wer segnet die Waffen der Revolution?“. In: JK 34 (1973), 606–610, 606. 287 Herder-Korrespondenz 27 (1973), 334, Hervorhebung im Original. Vgl. GEWALT, 79f.

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Studien über Gewalt in Zeiten „relativer Ruhe“

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die Kontraproduktivität von „Gegengewalt“ zu erläutern. Ebert schlug vor, (auszubildende) Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter und Gemeinden über die Technik der gewaltfreien Konfliktaustragung besser zu informieren; Denkschriften alleine reichten jedenfalls nicht aus288. Im rechten wie auch linken politischen Spektrum Kirchen naher Kreise wurde die Kritik an der EKD mit Blick auf das ARP wieder lauter. In den allgemeinen Medien fand sie allerdings kaum Widerhall. So wandte sich der Vorstand der Evangelischen Notgemeinschaft (früher: Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher) mit einem Spendenaufruf „für die Opfer des Terrorismus im südlichen Afrika“ an die Öffentlichkeit: Die Spenden des ÖRK ermöglichten es dortigen Terroristengruppen, andere Gelder für Waffenkäufe zu verwenden. Damit hätten sich viele Kirchen bzw. ihre Leiter „für den Zeloten Barabas und seinen ‚Freiheitskampf‘ und gegen den barmherzigen Samariter entschieden.“ Der Notgemeinschaft sei es bisher leider nicht gelungen, „ein direktes oder indirektes Schuldigwerden deutscher Kirchen unmöglich zu machen.“ Mit dem Spendenkonto „Terroristenopfer“ wolle man – „stellvertretend für unsere Kirchen“ – allen Opfern des Partisanenkriegs in Angola, Mosambik und Rhodesien, ohne Ansehen ihrer Rasse, Religion und [!] politischen Überzeugung helfen. Eine unkontrollierte Unterstützung irgendwelcher Organisationen und Menschen komme aber nicht in Frage289. Der Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika wandte sich an den Ratsvorsitzenden Class und bat, die EKD solle ihre Haltung zum ARP erneut prüfen. Die 1970/1971 geführte Diskussion müsse wieder aufgegriffen werden. Zum Kommuniqué des Rates äußerten sich die Mainzer hingegen nicht. Ihr Brief bezog sich vielmehr auf das immer stärker bedrängte Christliche Institut für das südliche Afrika. Damit sei erneut bewiesen, „daß die südafrikanische Regierung alle friedlichen Versuche zur Lösung der Probleme des Landes mit immer mehr Gewalt beantwortet“290. Die Wahl West-Berlins zum Tagungsort der kommenden Sitzung des ÖRK-ZA prophezeite weitere Spannungen. Im August 1974 sollte dort über die Verlängerung des ARP-Mandats abgestimmt werden. Nicht nur der Streit um Scharfs vermeintlich „rote Kirche“ barg zusätzlichen Zündstoff291. Die 288

EBERT, Verteidigung, 591–593. Zit. n. epd-ZA, Nr. 226 vom 20. 11. 1973, 3. Der Spendenaufruf wurde weder in der „Welt“ noch in der FAZ öffentlich gemacht. Zu diesem Zeitpunkt starteten die Medien des Springer-Verlags eine Spendenaktion für die Opfer des Jom-Kippur-Krieges, dem Auslöser der ersten Ölkrise. 290 Zit. n. epd-ZA, Nr. 231 vom 28. 11. 1973, 3. 291 Im Mittelpunkt stand der sogenannte Ordinationsstreit am Praktisch-Theologischen Ausbildungsinstitut und die Behauptung von Generalsuperintendent Helbich, Scharfs Widersacher, das Predigerseminar sei ein einziges „rotes Meer“. Dies rief wiederum konservative und „evangeli289

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

Entscheidung für Berlin war vor Beginn der Genfer ZA-Tagung 1973 bekannt gegeben worden. Gleiches galt für die Ankündigung, dass das ÖRK-Exekutivkomitee auf Einladung der ostdeutschen Kirchen im Februar 1974 im brandenburgischen Bad Saarow tagen werde. Nach der Genfer Kontroverse über strukturelle Gewalt und Unterdrückung in Osteuropa ließ die kommende Sitzung somit eine Fortsetzung in der „Frontstadt“ des Kalten Krieges erwarten. Zur Genfer ZA-Tagung bemerkte der Chefredakteur der „Evangelischen Kommentare“: „Hier hatte sich der Ost-West-Konflikt verspätet entzündet: Mitten auf der Kreuzung zwischen Nord-Süd und Ost-West-Konflikt, während man den Blick nach Süden wandte, trat der europäische Konflikt bei der Rückfrage nach den Verhältnissen in Europa aus der fast verschütteten Versenkung hervor. Er wurde zwar mit dem Begriffsarsenal der fünfziger Jahre bestritten, aber es geschah bei diesem Anlass zum ersten Mal, daß er als politischer Konflikt überhaupt artikuliert wurde. Seit dem Beitritt der orthodoxen Kirchen in Neu-Delhi litt die ökumenische Bewegung unter der Last eines politischen Schweigens“292.

West-Berlin als Tagungsort stieß im Rat der EKD auf geteilte Meinung293. Zur Vorbereitung für die kommenden ökumenischen Herausforderungen organisierte die Kirchenkanzlei im Dezember eine Mitarbeitertagung über das Thema „Kirchenbegriff und Theorie kirchlichen Handelns“. Günter Linnenbrink verfasste hierzu ein Arbeitspapier mit dem Titel „Konsensus und Konflikt. Überlegungen zum Problem unterschiedlicher politischer und theologischer Überzeugungen in der Kirche. Dargestellt an der Frage der Gewalt und der ökumenischen Partnerbeziehungen“294. Unterstützt wurde er dabei von Ernst Lange. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit im Genfer ÖRK-Stab maß Lange, seit 1973 OKR in der Planungsgruppe der Kirchenkanzlei, dem Thema Kommunikation größte Bedeutung zur Verbesserung der Beziehungen zwischen EKD und ÖRK bei. Die Erkenntnis reifte während seiner eigenen Untersuchung des „Antirassismus-Streis“ in der Evangelischen Kirche Hessen-

kale“ Gruppen auf den Plan. Zusammen mit gleichgesonnenen Gruppierungen aus dem westeuropäischen Ausland beargwöhnten Letztere das politische Engagement des ÖRK und – damit zusammenhängend – dessen Missionsverständnis, FRIELING, Aufbrüche, 186, 186f.; HERMLE, Evangelikalen, 342–344; und BÄUMER / BEYERHAUS / GRÜNZWEIG, Weg, 216f. Dazu ausführlich unten Kap. 5. 1. 1. u. 5. 1. 2. 292 JANOWSKI, Konflikte, 608. 293 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 28. / 29. 9. 1973 (EZA BERLIN, 2/ 1780). 294 Anhang Rundbrief Ernst Langes an die Referenten der Kirchenkanzlei vom 5. 12. 1973 (EZA BERLIN, 650/318).

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Studien über Gewalt in Zeiten „relativer Ruhe“

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Nassaus295. Linnenbrink bemerkte, die Verständigungsschwierigkeiten innerhalb des ÖRK lägen v. a. in sozialethischen Fragen begründet. Die Genfer Weltkonferenz 1966 habe die Diskussion „in entscheidender Weise“ verändert. Kirchenvertreter aus den ehemaligen Kolonialgebieten seien „z. T. aktiv“ an den Kämpfen zur Beendigung der Kolonialherrschaft beteiligt gewesen. Die „befreiende Wirkung“ der biblischen Botschaft hätten sie daher auch für den politisch-gesellschaftlichen Bereich „als relevant“ empfunden. Diese Erfahrungen seien den westlichen Kirchen bislang aber kaum verständlich gemacht worden296. Christian Walther interpretierte die „positive Einstellung zur Gewaltanwendung“ auch als bewusste Abgrenzung gegenüber der westlichen Tradition. „Für eben diese“ werde es nämlich „als charakteristisch“ angenommen, dass sie dem Christen Gewaltanwendung verbiete297. In diesem Sinne habe Generalsekretär Potter in Genf bemerkt, die Ökumene müsse sich losmachen von dem „Streben, um jeden Preis Konsensus und Gemeinsamkeit in Erklärungen und Zielsetzungen verwirklichen zu wollen. [. . .] Hierbei kommt es nicht auf Konsensus an, sondern auf Kommunikation durch Zusammenarbeit und Konflikt, der auf beiden Seiten den Weg offen läßt für ein gegenseitiges Sichkorrigieren“298.

Walther wertete die ÖRK-Studie daher als neuartigen Versuch, das Gespräch zwischen den Gruppen „offenzuhalten“. Unverkennbar sei die Absicht, zu einer Strategie der gewaltlosen Gesellschaftsveränderung beizutragen. Die auf der Weltkonferenz 1966 eingeschlagene Richtung werde somit „nur bedingt fortgesetzt“. Dies mindere aber nicht die Gefahr, dass sich die bestehenden Gegensätze weiter verfestigen299.

4.6 Zusammenfassung Der Beschluss des ÖRK, auch gewaltbereite politische Befreiungsbewegungen ohne Zweckbindung der Mittel finanziell zu unterstützen, war für die evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten äußerst brisant. Die westdeutsche

295

SCHLOZ, Einleitung, 15. Vgl. oben Kap. 4. 1. 2. „Konsensus und Konflikt“, EZA BERLIN, 650/318. 297 „Problemlage in der gegenwärtigen Diskussion über die Gewalt“, 15. 3. 1974. Bei dem Schriftstück handelt es sich um eine Auswertung der Reaktionen auf die Thesenreihe der Kammer für öffentliche Ordnung. Letztere hatte Walther im November 1973 den entsprechenden Auftrag erteilt (EZA BERLIN, 650/180). 298 Zit. n. EpdD, Nr. 35/1973, 11. 299 So sein Beitrag für die „Ökumenische Rundschau“, WALTHER, Ökumene, 3 u. 8. 296

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

Kontroverse stieß gleich zu Beginn auf massenmediales Interesse. Kirchliche Repräsentanten der jeweiligen Position nutzten die Medien als Forum ihrer Auseinandersetzungen. Es ging nicht mehr nur um das christlich legitime Individualverhalten in innerstaatlichen Konflikten, sondern um eine mögliche Unterstützung sozialrevolutionärer Gewalt durch den Kirchensteuerzahler. Der öffentliche Streit um den Sonderfonds war eine willkommene Ergänzung der medialen Berichterstattung über die Entkirchlichung einerseits und die globale Zunahme politisch motivierter Gewalt andererseits. Innerkirchlich spielte die politisierte Debatte über Reform und Ausweitung der Entwicklungshilfe eine besondere Rolle. Das Ende des Biafra-Konflikts hatte in der EKD auch zu größerem Bewusstsein über die Ambivalenzen kirchlicher Hilfsaktionen geführt. Der von Emotionen getragene Ruf nach Solidarität mit den Armen und Entrechteten wurde dadurch allerdings nicht leiser. Die Debatte über die politische Verantwortung der Kirchen ging vor diesem Hintergrund weiter. Gegner einer unkontrollierten Weitergabe kirchlicher Finanzmittel befürchteten eine Zweckentfremdung der zur Verfügung gestellten Gelder und warnten vor einer dem Versöhnungsdienst widersprechenden Entfremdung des politischen Mandats der Kirche. Der linkspolitisierte Stab des ÖRK und die westdeutschen Kritiker dieser Position vertrauten wiederum der unverbindlichen Zusage der Empfänger, die Gelder für rein humanitäre Zwecke einzusetzen, und betonten den Symbolcharakter des Arrangements. Der gegen Kritiker des Sonderfonds erhobene Vorwurf, Opfern rassistischer Diskriminierung die Solidarität zu verweigern, wog angesichts der NS-Vergangenheit moralisch schwer. Die Leitungsgremien von EKD und VELKD wurden verdächtigt, die Diskussion auf das Gewaltproblem zugespitzt zu haben. Letztere standen unter dem Eindruck teils ökonomisch, teils politisch motivierter Kirchenaustrittsdrohungen. Handlungsdeterminierend waren diese aber nicht. Der lange kolportierte Vorwurf, der EKD-Ratsvorsitzende sei dem Druck in Südafrika tätiger Unternehmer erlegen, konnte letztlich weder verifiziert noch falsifiziert werden. Die deutsche NS-Vergangenheit beeinflusste Befürworter und Kritiker des Sonderfonds gleichermaßen. In Verbindung mit der zeitgenössischen Frage nach Wesen und Funktion von „Kirche“ in einer sich pluralisierenden und „säkularisierenden“ Gesellschaft führten die Versuche der „Vergangenheitsbewältigung“ zu gegensätzlichen Auffassungen. Bezeichnend dafür war die Art und Weise, wie der EKD-Ratsvorsitzende seine Haltung mit den – auch sonst gerne herangezogenen – Erfahrungen des „Kirchenkampfes“ begründete. Hermann Dietzfelbingers Sorge, dass die EKD mehrzüngig redet und uneinheitlich handelt, sollte sich bewahrheiten. Den aus der deutschen Gewalt- und Schulderfahrung hervorgegangenen Grundsatz, dass auf Gewalt kein Segen

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Zusammenfassung

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ruht, legten die Mitglieder des Rates der EKD unterschiedlich aus. Angesichts der fehlenden Abendmahlgemeinschaft und Differenzen in Glaubensfragen war es für Martin Niemöller kaum überraschend, dass die EKD auch in sozialethischen Fragen sich nicht einig war. Die Synodaldebatten und das hohe Spendenaufkommen für den Sonderfonds offenbarten die Zerrissenheit des westdeutschen Protestantismus im Streit um das „Antirassismusprogramm“. Die Fronten verliefen quer zu den Alters- und Bekenntnisgrenzen. Die VELKD lehnte die Bereitstellung von Kirchensteuergeldern zwar entschieden ab. Gleichzeitig konzedierte sie dem einzelnen Christen – nicht der Kirche – ein moralisches Recht auf bewaffneten Widerstand. Der zäsurartige Charakter ihrer Erklärung ging in der Debatte jedoch nahezu unter. Jenseits der Kirchensteuerfrage betrachteten westdeutsche Lutheraner den Sonderfonds und dessen Unterstützung unterschiedlich. Der in (nicht)evangelischen Medien geführte Schlagabtausch über „Gewalt“ folgte der argumentativen Strategie einer Legitimierung durch Delegitimierung: Halbwissen und gestreute Fehlinformationen sorgten in konservativen Reihen für Spekulationen, die EKD fördere „terroristische“ Gewalt. Dem entsprach die verbreitete Gleichsetzung des Sonderfonds mit dem dadurch weiter diskreditierten Gesamtprogramm. In der ESG ertönte der von prominenten Vertretern der Kirchlichen Bruderschaften unterstützte – und als Nachklang zur friedens- und deutschlandpolitischen Debatte der 1950er Jahre deutbare – Vorwurf, mit ihrer einseitigen Ablehnung der Gewalt „von unten“ protegiere die EKD die von Bundesregierung und Wirtschaft geförderte „koloniale“ bzw. „strukturelle“ Gewalt „von oben“. Der Stereotyp vom obrigkeitstreuen deutschen Protestantismus diente zur plakativen Absicherung ihrer Argumente. Ausgehend von einem historisch-nationalen Schuldmotiv erblickte man im Befreiungskampf der Dritten Welt das Subjekt für das eigene gesellschaftliche Heil. Bedenkenlos teilten sie daher auch die Forderung des Genfer Stabes nach einem kirchlichen Beitrag zur politischen Machtumverteilung im südlichen Afrika. Der Rat der EKD kam schließlich zur Erkenntnis, dass die Differenzen mit dem ÖRK nicht nur kommunikativer, sondern vielmehr inhaltlicher Natur waren. Ein einvernehmlicheres Verhältnis pflegten dagegen der kapitalismuskritische Genfer Stab und der neu gegründete Kirchenbund in der DDR. Da das ARP der SED propagandistisch in die Karten spielte und sich der BEK um seine staatliche Anerkennung bemühte, wäre es für die Konferenz der ostdeutschen Kirchenleitungen geradezu selbstmörderisch gewesen, das Programm nicht gutzuheißen. Der Vorwurf, sie handelte aus opportunistischen Gründen, ist letztlich unhaltbar. Die Kirchensteuerproblematik war in der DDR ohnehin nicht gegeben. Bis zur bejahenden Stellungnahme des BEK zum ARP vergin-

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

gen dennoch Monate. Im Widerspruch zum Menschenrechtsverständnis der Ostblockstaaten bezeichnete er das Programm als Modellfall zur Verwirklichung der Menschenrechte. Die Äußerungen des KKL-Vorsitzenden Schönherr belegen, dass der Begriff „Menschenrechte“ aber auch „staatstragende“ Verwendung fand. Seit der Niederschlagung des Prager Frühlings standen selbst theologische Äußerungen, die einen konstruktiven christlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben in der DDR forderten, im Verdacht, „ideologische Diversion“ zu betreiben. Über die Hintergründe der Stellungnahme des Kirchenbundes war man in der EKD informiert. Die KKL beklagte zwar die fehlende Abstimmung, empfand das eigene Votum jedoch nicht als Kritik an den westdeutschen Vorbehalten gegenüber dem Sonderfonds. Zu einem deutsch-deutschen Zankapfel wurde er bis dato nicht. Man übte sich vielmehr in gegenseitiger Zurückhaltung. Viele KKL-Mitglieder teilten zudem die westdeutsche Kritik am Sonderfonds. Der umstrittene Versuch des avantgardistischen FAK III, einen politischen „Erziehungsprozess“ in den Gemeinden zu initiieren, scheiterte auch am Widerstand der Landeskirchen. Die gesammelten Spenden kamen nur aufgrund eines traditionellen Karitas-Verständnisses zustande. Das Arrangement des Sonderfonds stieß auch an der kirchlichen Basis auf starke Ablehnung. Staatlicherseits vermutete man wiederum ein Abfärben westdeutscher Bedenken. Auch in der Bundesrepublik schwelte der Streit um den Sonderfonds weiter. Der zeitgenössische Eindruck vom gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Kirchen schien bestätigt: Mit fragwürdigen politischen Programmen, so die Lesart, versuchten sie nur darüber hinwegzutäuschen. Die kirchliche Aufbruchstimmung der 1960er Jahre war passé, der Reformeifer erlahmte. Der Ratsvorsitzende der EKD witterte im Streit um das ARP gar Anzeichen für einen noch gefährlicheren zweiten „Kirchenkampf“. Evangelische Laien und Theologen, die der zerfallenen Studentenbewegung nahestanden, waren hingegen von einer anderen Krisenvorstellung ergriffen: dem Gefühl, in einer krank machenden Gesellschaft zu leben. Angesichts des aufkommenden Linksterrorismus und staatlicher Gegenmaßnahmen fürchteten sie gar die Zerschlagung der Neuen Linken. Der für den Protestantismus nicht untypische Gewissensernst und sein Hang zu irrationalen Überreaktionen verstärkte diese Wahrnehmung. Unter Indienstnahme neomarxistischer und sozialpsychologischer Ansätze entstand so ein theologischer Krisendiskurs über Mittel und Wege, die strukturelle Gewalt der „spätkapitalistischen“ Gesellschaft zu bekämpfen. Die am Gemeinschaftsideal orientierten Wahrnehmungsmuster erinnern dabei stark an die im konservativen deutschen Protestantismus des frühen 20. Jahrhunderts verbreitete antiwestliche Aversion gegenüber Individualismus, Kapitalismus, Materialismus und Parlamentarismus. Nicht wenige evangelische

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Zusammenfassung

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Laien und Theologen attestierten „Baader-Meinhof“, für eine gute Sache zu kämpfen. Im Sympathisantendiskurs gerieten daher auch linksliberale evangelische Publizisten, Pfarrer und Universitätstheologen in den Verdacht, „Gesinnungstäter“ zu sein. Im Rückblick auf die Studentenunruhen warf Axel Springer der gesamten evangelischen Kirche vor, dem Terrorismus einen geistigen Nährboden bereitet zu haben. Im Gegenzug kritisierte Kurt Scharf die öffentliche Hysterie, die er durch Springer-Organe geschürt sah. In den evangelischen Medien wurden derartige Berichte über den „Staatsfeind Nr. 1“ ebenso kritisiert wie die von konservativer Seite geforderte Einschränkung eines gesellschaftskritischen Dialogs über die Ursachen des Terrorismus. In der von moralisierenden (Selbst)Anklagen gegen die Gesellschaft gezeichneten Debatte spielte die protestantische Herkunft von Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof eine wesentliche Rolle. Noch in Freiheit hatten sie „progressive“ Theologen als „nützliche Idioten“ im Sinne Lenins ausgemacht. Der Sympathisantendiskurs blieb vom Konflikt um das ARP zwar weitgehend unberührt. Letzterer verlagerte sich hin zur Frage nach den gebotenen Mitteln zur Überwindung der Apartheid in Südafrika. Die in der Bundesrepublik verübten Terroranschläge mehrten auf kirchlicher Seite aber Bedenken gegenüber einer theologischen Billigung von Gewalt als politisches Mittel. Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Not der schwarzen Mehrheitsbevölkerung und aus Furcht vor einer weiteren Gewalteskalation lehnte der Rat der EKD den vom ÖRK beschlossenen Investitionsstopp ab. Alternativ zu dessen Konfrontationsstrategie startete die EKD mehrjährige Gesprächsrunden mit am Kap tätigen Unternehmen. Ihr Versuch, verbesserte Arbeitsbedingungen für farbige Angestellte zu erreichen, scheiterte aber am Widerstand der Unternehmer. Die Debatte um das politische Mandat der Kirchen instrumentalisierend, sprachen sie der EKD das Recht ab, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Kirchliche Dritte-Welt-Gruppen brandmarkten hingegen die für „legalistisch“ erachtete Südafrikapolitik der EKD und hegten Zweifel an deren Glaubwürdigkeit. Kapitalismus war für sie nicht das Mittel zur Abschaffung des institutionalisierten Rassismus, sondern dessen eigentliche Stütze. Der letztlich ungerechtfertigte Vorwurf, die Kirchensteuergelder empfangende „Volkskirche“ handelte aus wirtschaftlichem (Eigen)interesse und täuschte ihre Gewalt ablehnende Haltung nur vor, hielt sich weiter hartnäckig. Nachdem die Gewalt-Thesen der Kammer für öffentliche Verantwortung in einer vom Linksterrorismus relativ verschonten Phase überwiegend positiv und ohne großes Echo rezipiert worden waren, nahm der „Antirassismusstreit“ in der kirchlichen Öffentlichkeit wieder Fahrt auf. Im Mittelpunkt stand die politische Einseitigkeit des ÖRK. Die Nicht-Erwähnung des Ostblocks in der ökumenischen Gewalt-Studie schien diesen Verdacht weiter zu bestätigen. Öffent-

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Kampf gegen Rassismus und „Stadtguerilla“ (1970–1973)

lich beachtete Ereignisse wie der in Teilen kirchensteuerfinanzierte „AngolaSonntag“ bewogen den Rat der EKD zu einer Missverständnisse ausräumenden Stellungnahme, in der er seine Haltung zum Sonderfonds bekräftigte. Mit seinem kategorischen Nein gegenüber politisch motivierter Gewalt brachte er seine Skepsis gegenüber den Thesen der Kammer nunmehr auch öffentlich zum Ausdruck. Wegen der anberaumten Abstimmung über eine Verlängerung des ARP-Mandats verhieß die bevorstehende Westberliner Tagung des ÖRKZentralausschusses weiteren Konfliktstoff – auch wegen des Streits um die „Politische Diakonie“ in der Frontstadt des Kalten Krieges.

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5. Protestantismus und Kirchen im Zeichen der Polarisierung (1974–1980) Mit dem gesellschaftlichen Wiedererstarken konservativer Positionen gewann der Vorwurf, die EKD trete dem Linksradikalismus in den eigenen Reihen nicht entgegen, weiter an Gewicht (Kap. 5. 1. 1 u. 5. 1. 2). Im Streit um eine Korrektur des ARP hielt auch die „evangelikale“ Gegenbewegung den Kirchen vor, auf einem Auge blind zu sein. Dabei mehrten sich nun doch Anzeichen für die Existenz einer deutsch-deutschen Konfliktlinie (Kap. 5. 1. 3). Schon wegen des Wiederaufflammens linksterroristischer Gewalt in der Bundesrepublik und den Spekulationen über kirchliche Helfershelfer (Kap. 5. 1. 4) zeigten sich die westdeutschen Kirchen insgesamt weniger dazu bereit, revolutionäre Entwicklungen wie die Gewalteskalation im südlichen Afrika (Kap. 5. 2. 1) unter dem Aspekt einer gnädigen Führung Gottes zu sehen. Während der Linksprotestantismus sich besonders schwer tat, die Motive der RAF zu verurteilen, bekräftigte der Mehrheitsprotestantismus sein Ja zum freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat (Kap. 5. 2. 2 u. 5. 2. 3). Noch unter dem Eindruck des „Deutschen Herbstes“ wurde in der EKD erstmals offen über einen ÖRKAustritt diskutiert, nachdem dieser dazu übergegangen war, die Machtumverteilung im südlichen Afrika aktiv zu beeeinflussen (Kap. 5. 3. 1). Die Gewaltfrage dort tangierte auch den deutsch-deutschen Kirchendialog. Bevor dieser sich anlässlich des Kalten Krieges 1979/1980 wieder der „klassischen“ Friedensfrage zuwandte, erörterte er den Einfluss der jeweiligen Gesellschaftsordnung auf die theologische Bewertung von „Änderungsgewalt“ (Kap. 5. 3. 2).

5.1 „Tendenzwende“ und Gewalt 5.1.1 „Christus oder Sozialismus!“ Ein Kirchenstreit zieht Kreise Der Westberliner Kirchenstreit spitzte sich Anfang 1974 weiter zu. Es ging um die Umwandlung des Predigerseminars in ein Praktisch-Theologisches Ausbildungsinstitut (PTA). Die 1970 beschlossene Reform gestattete den mehrheitlich „links“ stehenden Pfarramtskandidaten mehr Selbstgestaltungsrechte bei ihrer Ausbildung und räumte den Sozialwissenschaften einen größeren Stellenwert ein. Zusammen mit den örtlichen Medien des Springer-Verlags warfen

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Protestantismus und Kirchen im Zeichen der Polarisierung (1974–1980)

„bekenntnistreue“ und politisch konservative – CDU-nahe – Gruppen der Kirchenleitung um Kurt Scharf vor, damit eine marxistische Unterwanderung der Kirche zu fördern1. Scharf hatte die Reform selbst vorangetrieben. Als „orthodoxer Revolutionär“ ging es ihm um die Zukunftsfähigkeit der Kirche. In diesem Sinne wollte „er nicht Altes konservieren, sondern mit den Jungen – auch wenn sie vorübergehend auf Abwegen wandelten – Neues gestalten.“2 Durch den publik werdenden Fall Kornelius Burghardt sahen sie sich seine „konservativen“ Gegner in ihrem Verdacht bestätigt: Das Landgericht Frankfurt verurteilte den Vikar wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Während seines Marburger Theologiestudiums hatte Burghardt Ulrike Meinhof 1971 Unterschlupf gewährt. Angesichts seiner früheren Flugblattaktion erklärte die Strafkammer, Burghardt sei trotz allem kein Propagandist der Gewalt3. Nach dem „Spruch der weltlichen Richter“, so der Kommentar der „Zeit“, traten in Berlin die „kirchlichen Eiferer“ an. Scharf und anderen – ihrer Ansicht nach – Verantwortlichen warfen sie vor, Burghardt trotz des laufenden Ermittlungsverfahrens 1972 in den Ausbildungsdienst des PTA aufgenommen zu haben. Dessen Vergangenheit sei bewusst verschwiegen worden. Die Kirchenleitung bedauerte, über die Vorgänge um Burghardt erst durch die Presse erfahren zu haben und kündigte an, auch die Umstände zu untersuchen, die zu dessen Wahl ins Leitungsgremium des PTA geführt hatten4. Gollwitzer heizte den Konflikt weiter an. Im SFB lobte er Burghardts Verhalten als „rechte Einstellung eines Jüngers Jesu“. Es folgte ein gewagter Vergleich mit der NS-Zeit: Hätte sich, so Gollwitzer, „der Satz von der eigenen Gewissensentscheidung gegenüber staatlichen Gesetzen tiefer bei uns eingeprägt, dann wäre es nicht vorgekommen, daß evangelische Christen dem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit den Vorrang gegenüber der Menschlichkeit geben, wie es in der Hitlerzeit geschehen ist, als es darauf ankam, entgegen den staatlichen Gesetzen Juden und andere verfolgte Menschen zu verbergen und zu retten.“

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski, protestierte umgehend in der „Berliner Morgenpost“5. Angesichts des „Ordinationsstreits“ 1

WILKENS, Kirche, 120f.; AHLHEIM / WIESINGER, Auge, 53–59 u. 100f. Vgl. oben 374 [Anm. 282]. 2 ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 110f. 3 Vgl. KINNIGKEIT, Theologe; „Der Fall Burghardt“. In: BSBl, Nr. 3 vom 20. 1. 1974, 1–2. Zu Burghardts Flugblatt, oben Kap. 4. 2. 1. 4 PETERSEN, Gefahr; RUFF, Marsch, 15. Zur Erklärung der Kirchenleitung, JK 35 (1974), 103–104, 103. 5 Gollwitzer, zit. n. JK 35 (1974), 102–103, 103; EpdD, Nr. 18/1974. Im Vorjahr hatte

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am PTA gewann die causa Burghardt weiter Publizität6: Eine Gruppe von 15 Vikaren verweigerte ihre Ordination durch Generalsuperintendent Helbich, Scharfs konservativem Widersacher. Da dieser das PTA als „rotes Meer“ bezeichnet hatte, zog die Gruppe es vor, vom Bischof ordiniert zu werden. Trotz seiner Vermittlungsbemühungen hielten „bekenntnistreue“ Gruppen Scharf vor, ein „sozialistisches Amtsverständnis“ zu pflegen. Die von ihnen ausgegebene Parole „Bekennt Farbe – Christus oder Sozialismus!“ wurde in der Wochenzeitung „Christ und Welt“, die zu diesem Zeitpunkt einem weiteren Rechtsruck anheim fiel, nahezu kritiklos wiedergegeben7. Im Kirchlichen Jahrbuch ist von einer „heftigen Pressekampagne“ die Rede8. Die bundesweite Rezeption des Berliner Kirchenstreits stand im Zeichen der öffentlichen Debatte um eine „Tendenzwende“9. Die unter dem Eindruck der Ölkrise sich formierende Gegenbewegung zum „linken“ Zeitgeist wurde durch eine mediale (Wieder)Wertschätzung christlich-konservativer Positionen begünstigt. Linksliberale Medien deuten die in den 1960er Jahren noch gelobte Hinwendung der Kirche zu gesellschaftlichen und politischen Fragen als Verzweiflungstat, den „Dinosaurier“ mit dem Überbordwerfen sämtlicher Traditionen zu modernisieren. Die Anzahl kirchenbezogener Reportagen nahmen in der Folge stark ab. 1974 schloss etwa „Der Spiegel“ seine in den 1960er Jahren gegründete Kirchenredaktion10. Herausgefordert durch die nach ihrer Ansicht „linke“ Vereinnahmung der Bildungspolitik und die Verrohung der Sitten – durch die Freigabe von Pornographie und die geplante Liberalisierung des Paragraphen 21811 – gaben auch die „Evangelikalen“ ihre politische Zurückhaltung auf. Der ab 1972 wöchentlich herausgegebene „Informations-

Gollwitzer einen israelfeindlichen offenen Brief der Gesamt-ESG entschieden kritisiert, Widmann, Linksprotestantismus, 230. Vgl. diesbzüglich auch seine Kritik an der Neuen Linken (Lepp, Helmut Gollwitzer, 238–240) und den Konflikt mit Ulrike Meinhof, die den palästinensischen Terroranschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 verteidigte. Handsignierte Mitteilung Meinhofs an Gollwitzer vom 14. 11. 1973 (EZA Berlin, 686/722). 6 Gollwitzer, zit. n. JK 35 (1974), 102–103, 103; EpdD, Nr. 18/1974. 7 FUHRMEISTER, Sammlung, 3; STUBBE, Sünden. Dazu kritisch, HENKYS, Amtsverständnis. 1980 fusionierten „Christ und Welt“ und der „Rheinische Merkur“. Bis dahin verzeichneten sie weiter stagnierende Auflagenzahlen, LENHARD, Marketing-Strategien. 8 WILKENS, Kirche, 121. 9 Vgl. ZUNDEL, Man. Zur zeitgeschichtlichen Charakterisierung der 1970er als nicht nur „rotes“, sondern auch „schwarzes“ Jahrzehnt, KOENEN, Jahrzehnt; SCHILDT, Kräfte; und LIVI / SCHMIDT / STURM, Jahre. 10 HANIG, Religion, 357f. Zur weit verbreiteten Erwartung, die Evangelische Kirche solle weniger Stellung zu politischen Fragen nehmen, RINGSHAUSEN, Religion, 26. 11 Zur protestantischen Abtreibungsdebatte, die 1974 besonders emotional verhandelt wurde, MANTEI, Abtreibung.

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dienst der Evangelischen Allianz“ (IDEA) entwickelte sich zum zentralen Organ konservativer Christen; der Begriff „evangelikal“ wurde so bundesweit bekannt gemacht12. Die Kritiker einer „linken Unterwanderung“ der evangelischen Kirche nutzten auch „Konservativ heute“ als Forum. Unter der Leitung des Berliner Politologen und Synodalen Klaus Motschmann entwickelte sich die 1970 gegründete Zeitschrift zu einem wichtigen Diskussionsorgan der „Tendenzwende“. Deren Leserschaft war über die „krypto-christlichen“ Umtriebe in West-Berlin daher bestens – einseitig – informiert13. Motschmann zählte dort zu den Mitorganisatoren einer „Bekenntnisversammlung“, die unter Berufung auf den „Kirchenkampf“ Mitte März einen kirchlichen Notstand ausrief. Die Bezugnahme hatte Symbolcharakter: Wenige Tage zuvor war die EKU-Synode in Spandau zusammen getreten, um des 40. Jahrestages der Barmer Bekenntnissynode zu gedenken. Der Theologische Ausschuss präsentierte ein länger vorbereitetes Votum, welches die zweite These der Barmer Erklärung zum politischen Auftrag der Kirche – ebenfalls gegenwartsbezogen – interpretierte. Auch wegen des Abschnitts „Zur Frage der Gewalt“ lehnte der Heidelberger Neutestamentler Erich Dinkler das Votum, an dessen Erarbeitung er sich ursprünglich beteiligt hatte, ab: „Die richtige Verbindung von Glauben und Handeln wird falsch ausgelegt, insofern Handeln aus Glauben an Christus unbedacht ersetzt wird durch eine am Telos und Ideal orientierte ‚griechische‘ Ethik der Humanität. [. . .] Barmen wollte die Politisierung der Gemeinde verhindern, hier wird sie zur Forderung erhoben.“14

Als Reaktion auf die „Bekenntnisversammlung“ bekräftigte die Westberliner Synode auf ihrer Sondertagung im April ihre Gemeinschaft als Kirche. Der These vom kirchlichen Notstand erteilte sie mit Berufung auf „Barmen“ eine Absage – ungeachtet des verschärften Kirchenstreits. Über das Einende und Trennende hatte zuvor die EKU-Synode festgehalten:

12 Vgl. SCHNEIDER, Was; MÜLLER, Evangelikal. Zur Gesamtbewegung, BAUER, Bewegung. Zu IDEA’s Trägern, HERMLE, Evangelikalen; und COCHLOVIUS, Allianz, 656. Zu dessen Öffentlichkeitsarbeit, HILLE, IDEA. Die Evangelische Notgemeinschaft nannte ihr Mitteilungsblatt 1973 bezeichnenderweise um in „Erneuerung und Abwehr“. 13 SCHILDT, Kräfte, 460. Der Themenkreis „Revolution – Protestantismus – Gewalt“ wurde regelmäßig bedient. Vgl. OETTLE, Revolutionierung, 31f.; RÖHRMANN, Friedrich Julius Stahl sowie die Kritik an den Gewalt-Thesen der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, MOTSCHMANN, Anti-Clausewitz. 14 DINKLER, Begründung, 259 u. 273f. Das Votum behandelte die Gewaltfrage im Zusammenhang mit der Debatte um den Sonderfonds des ARP, VOTUM, 257f. Zur Synodentagung, EpdD, Nr. 15/1974.

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„Übereinstimmung besteht darin, daß die Kirche dem Absolutheitsanspruch von Ideologien zu widerstehen hat. Strittig ist, inwieweit kirchliche Organe mit Blick auf die politische Urteilsbildung und Praxis Stellung nehmen sollen und wann dies eine Politisierung von Verkündigung und Theologie bedeutet.“15

In Westdeutschland wurde diese Frage in der Debatte über die ESG diskutiert. Ein „Christ und Welt“-Interview mit Helmut Thielicke hatte den Stein ins Rollen gebracht. Der Hamburger Theologe warf den Studentengemeinden pauschal vor, „Kristallisationspunkte des Extremradikalismus“ zu sein. Hier werde „ein winziges Häuflein völlig säkularer Linkspropagandisten mit kirchlichen Geldern ausgehalten.“ Der Vorwurf galt in erster Linie der Hamburger ESG und dem Dachverband. Thielickes Pauschalkritik provozierte bundesweiten Protest16. Generalsekretär Friedrich Grotjahn zog positiv Bilanz über das politische Engagement der ESG seit Ende der 1960er Jahre. Auf der Delegiertenkonferenz der Gesamt-ESG erklärte er, sie habe sich damit angreifbar gemacht. „Schwierigkeiten“ bei der „Politisierung“ bereite ihr weiterhin die bürgerliche „Klassenlage“ ihrer Mitglieder. Nehme man den „Vorwurf ‚marxistische Kaderschmiede‘ als Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, ernst“, könne man „nur konstatieren, daß dies die Möglichkeiten einer ESG bei weitem übersteigt.“ Aus ihrem „moralischen Anspruch heraus“ neigten die Mitglieder zu einem „aktivistischen Engagement“; die „subjektivistische anarchistische Haltung“ manifestiere sich in „revolutionäre[r] Ungeduld, die oft unmittelbar“ der Einsicht folge, „daß die Verhältnisse beschissen sind“, so der Generalsekretär17. Die Delegiertenkonferenz erteilte daher auch folgendem Schriftstück ihre demonstrative Unterstützung: Ein von Pastor Wolfgang Grell, Pastor in Hamburg, verfasster offener Brief forderte den nordrhein-westfälischen Justizminister Posser dazu auf, die – vermeintliche – „Isolationshaft“ gegen die in KölnOssendorf einsitzenden „politischen Gefangenen“ Meinhof und Ensslin aufzuheben. Nach bundesweiter Verschickung unterzeichneten – letztlich nur – 76 Theologen das Schreiben18, darunter die ebenfalls in Hamburg tätige Pastorin 15

Zit. n. WILKENS, Kirche, 123. Zur Berliner Sondertagung, EpdD, Nr. 24/1974. „Wandlung der jungen Semester. Interview mit Professor Helmut Thielicke“. In: ChrWelt, Nr. 5 vom 25. 1. 1974, 22. Vgl. die Zuschriften an „Christ und Welt“, Nr. 9 vom 1. 3. 1974, 22, und die Privatpost an Thielicke, StUb HAMBURG, Bca 22–12, darunter der zustimmende Brief des Hamburger Bischofs Wölber vom 8. 3. 1974 (StUb HAMBURG, Bca 22–15). Zur Hamburger ESG und dem linksradikalen Milieu, LINCK, Flugzeugentführung. 17 Bericht Friedrich Grotjahns vor der Sechsten ordentlichen Delegiertenkonferenz, 25. bis 29. 3. 1974, Höchst, Odenwald [= Anhang des Rundschreibens der Kirchenkanzlei der EKD an die Leitungen ihrer Gliedkirchen vom 2. 5. 1974] (EZA BERLIN, 6/8244). 18 EZA BERLIN, 2/14073; LINCK, Kirchenamt. Die bis dahin strenge Einzelhaft wurde für 16

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Edda Groth. Sie stand 1974 im Mittelpunkt der überregional beachteten Auseinandersetzung um jene schleswig-holsteinischen „Polit-Pastoren“, die sich im Kommunistischen Bund Westdeutschland engagierten. Als Reaktion auf ihren offenen Brief „zur Frage der Zusammenarbeit mit Kommunisten in der Kirche“ erklärte die Kieler Kirchenleitung Ende Juni, Groth propagiere Gewalt bejahende Thesen, die mit dem kirchlichen Auftrag unvereinbar seien. Groth erwiderte, die Kirche heuchle Pazifismus: „Nur wenn jemand wie ich aufgrund der Analyse der Klassengesellschaft in der BRD zu der Konsequenz kommt, daß revolutionäre Gewalt auch hierzulande notwendigerweise angewendet werden muß, um kapitalistische Gewalt zu brechen, wird für die Kirche eine Distanzierung von der Gewaltanwendung notwendig. [. . .] Aktuell, heute 1974 ist die Situation des bewaffneten Umsturzes in der BRD nicht gegeben. Aber landauf und landab verbreiten Reformer und Revisionisten die Illusion vom friedlichen Übergang [sic] zu Sozialismus, als gäbe es die Möglichkeit, den Kapitalismus im Interesse des Volkes durch Mehrheitsbeschlüsse abzuschaffen. [. . .] Wenn wir bei den sich zuspitzenden Klassenkämpfen die Illusion der Gewaltfreiheit des Klassenkampfes nähren, führen wir das Volk nicht nur in die sichere Niederlage, sondern liefern das Volk obendrein wehrlos schlimmstem Terror und Tod aus, wie uns das Beispiel Chiles lehrt.“

Die Kirchenleitung beschloss, ein Amtszuchtverfahren gegen Groth einzuladen. Ende November trat die Pastorin der Simeon-Kirchengemeinde aus der Kirche aus. Mehr als zwei Dutzend Gemeindemitglieder taten es ihr schließlich gleich19. Die in „Christ und Welt“ behandelten Fälle „ESG“ und „Edda Groth“ bescherten den konservativen Kombattanten des Berliner Kirchenstreits weitere Munition. In beiden Fällen meldete sich Jens Motschmann, Pastor in Itzehoe, im Sinne seines Bruders Klaus zu Wort20. Aufgrund der bevorstehenden Berliner Tagung des ÖRK-ZA zeigte der von der Landessynode Ende April mühsam errungene Burgfrieden bald große Risse. Zusammen mit anderen „evangelikalen“ Gruppen hegten die „Bekenntnistreuen“ der Stadt den Plan einer globalen „Gegen-Ökumene“. Die Ende Juni von der Landessynode verabschiedete Erklärung „Unser Ja zur Ökumene“ kam daher erst nach heftigen

beide vielmehr gelockert, nachdem Ensslin im Februar nach Köln verlegt worden war. Nach ihrer Verlegung nach Stuttgart-Stammheim im April 1974 verbesserten sich ihre Haftbedingungen bekanntlich weiter, AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 295. 19 Groth, zit. n. EpdD, Nr. 56/1974, 12. Zur Erklärung der Kirchenleitung, EpdD, Nr. 32/ 1974, 52. Vgl. Manfred Grells Darstellung des Konflikts um die „Polit-Pastoren“, GRELL, Parteinahme. 20 MOTSCHMANN, [Leserbrief]; DERS., [Leserbrief]. Vgl. NOLTE, Taten.

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Auseinandersetzungen zustande21. Unter dem Titel „Kommt eine neue Reformation?“ berichtete „Die Zeit“ über eine europaweite Polarisierung des Protestantismus. Laut „Christ und Welt“ sei sie in Deutschland aber besonders intensiv22. In seinem Rechenschaftsbericht vor der schleswig-holsteinischen Landessynode erklärte Bischof Hübner, den Streit um den Sonderfonds und die Auseinandersetzung mit den eigenen „Polit-Pastoren“ aufgreifend: „Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß im Jahre 1974 das Barmer Bekenntnis von 1934 stärker ins Bewußtsein trat. Das geschah wohl nicht nur, weil es das 40. Jubiläumsjahr war. Die ‚Tendenzwende‘, die heute in aller Munde ist, bringt es mit sich, daß viele wieder nach den Erfahrungen der Geschichte fragen und in ihr nach Orientierungspunkten für den gegenwärtigen Kurs fragen. Daß die Barmer Bekenntnis-Synode 1934 möglich wurde, hängt sicher damit zusammen, daß die Männer von damals den Mut hatten, von der Mittelpunktstellung Christi in der Welt und im Zeitgeschehen auszugehen.“23

5.1.2 Tatort West-Berlin: Der Konflikt um die Verlängerung des „Antirassismusprogramms“ Im Februar 1974 tagte das Exekutivkomitee des ÖRK erstmals in der DDR. Die in Bad Saarow gefassten Entschlüsse ließen erkennen, dass eine Verlängerung des ARP-Mandats auf der Westberliner ZA-Sitzung im August mehr als wahrscheinlich sein würde. Der umstrittene Sonderfonds erhielt den bislang größten Jahresetat. Spenden der Regierungen Norwegens, Schwedens und der Niederlande hatten eine Aufstockung auf insgesamt 450.000 US-Dollar möglich gemacht24. Der bayerische Landesbischof wandte sich darauf in einem offenen Brief an Generalsekretär Potter. Aufgrund der „uns zugegangenen Berichte“ über die Tagung „musste“, so Dietzfelbinger, „weithin der Eindruck entstehen“, als bestehe das ARP 21

Darin wurde erklärt: „Unterstützung von Gewalt ist der Kirche verwehrt. Sie wird aber nicht selten durch Untätigkeit oder durch Hilfeleistung in Konfliktgebieten in Zwielicht geraten und sogar in Schuld verstrickt werden. Die Gefahr, schuldig zu werden, darf die Kirche nicht an notwendigen Handeln hindern.“ (zit. n. KRÜGER, Kirche, 288). Zur Tagung der Westberliner Synode, WILKENS, Kirche, 124. 22 GIROCK, Reformation; STUBBE, Pluralismus. 23 Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung, vorgelegt auf der 48. Landessynode der EvangelischLutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins im November 1974, 2 (NEK KIEL, 98.08/50). 24 epd-ZA, Nr. 37 vom 21. 2. 1974, 1; EpdD, Nr. 19/1974. Nach den vorjährlichen Querelen über die nicht erwähnten Ostblockstaaten in der Gewalt-Studie des ÖRK wurde das Thema Menschenrechte nicht angeschnitten. Eine ÖRK-Veranstaltung sollte hierüber im österreichischen St. Pölten im Oktober beraten.

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„allein im Verteilen von Mitteln aus dem Sonderfonds und als sei dieser Sonderfonds eine aus Steuermitteln unserer Kirchen getragene Aktivität. [. . .] Die Folge ist, daß auch ernsthafte Glieder unserer Gemeinden im Vertrauen zum Ökumenischen Rat wankend werden und in der Meinung, es würde ‚Terror und Gewalt‘ mit ihren Kirchensteuern finanziert, der Kirche überhaupt den Rücken kehren. Da und dort werden auch Stimmen laut, die den Austritt der Kirche [. . .] in Bayern aus dem Weltrat der Kirchen fordern. Jedenfalls läßt sich beobachten, daß wegen der scheinbar einseitigen Konzeption des Ökumenischen Rates selbst Kreise, die der Genfer Zentrale traditionell eng verbunden sind, in ihrer Leidenschaft für die [. . .] Ökumene ermatten.“25

Die bayerische Kirchenleitung reagierte damit auf den Druck mehrerer Unternehmer. Diese hatten im Zuge der vorjährlichen Spekulationen um den „Angola-Sonntag“ versucht, eine Kirchenaustrittswelle zu initiieren26. Der Vorwurf, die eigene Kirche hafte für ökumenische „Terroristenprogramme“ wurde auch in anderen Landeskirchen lauter. Das Diakonische Werk der EKD musste gar dem „Scheinargument“ widersprechen, die Aktion „Brot für die Welt“ mache „Gelder für den Waffenkauf“ frei27. Der drei Jahre schwelende Streit über das ARP flammte wieder offen auf. Die Massenmedien erreichte er allerdings erst Wochen später. Wie in Bremen wurde die „weltanschauliche, theologische und politische Polarisierung“ auch in der hannoverschen, der pfälzischen und der schleswig-holsteinischen Landeskirche „offenkundig“28. Im nördlichsten Bundesland waren die synodalen Mehrheitsverhältnisse jedoch anders gelagert: Im Gegensatz zu Bischof Hübner stellte sich die Landessynode hinter das gesamte ARP. Der Sonderfonds sollte aber weiterhin nur mit Spendengeldern unterstützt werden29. Anders als in der ersten Phase des „Antirassismusstreits“ meldeten sich nun auch die Evangelikalen lautstark zu Wort. Ihnen war das gesamte Programm ein Dorn im Auge, schließlich verkörperte es das „seit Genf 1966 und Uppsala 1968“ gewandelte Missionsverständnis des ÖRK30. Im Zuge der Weltmissionskonferenz von Bangkok Ende 1972 konzentrierte der 1969 gegründete Konvent Bekennender Gemeinschaften um Walter Künneth und den Tübinger

25

Zit. n. epd-ZA, Nr. 72 vom 11. 4. 1974, 6f. Vgl. den offenen Brief eines Allgäuer Unternehmers, der sich in den Firmengesprächen der EKD engagierte, epd-ZA, Nr. 34 vom 18. 2. 1974, 3. Die Kritiker einer „rechten“ Unterwanderung der evangelischen Kirche sahen in der Initiative „nur die Spitze eines Eisberges“ (AHLHEIM / WIESINGER, Auge, 128). 27 epd-ZA, Nr. 59 vom 25. 3. 1974, 2. 28 epd-ZA, Nr. 73 vom 16. 4. 1974, 5; epd-ZA, Nr. 49 vom 11. 3. 1974, 3. 29 epd-ZA, Nr. 93 vom 15. 5. 1974, 5. Vgl. HERBERT, Solidarität, 524f. 30 SCHEFFBUCH, Bangkok, 25. Vgl. FRIELING, Aufbrüche, 186f. 26

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Missionswissenschaftler Peter Beyerhaus seinen publizistischen Widerstand auf das ARP. Bereits im März 1970 hatte er eine „Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“ verabschiedet. Darin verwahrte er sich gegen die „schwärmerische Ideologie“, als ob „unter der anonymen Wirksamkeit Christi in der Weltgeschichte die gesamte Menschheit schon in dieser Weltzeit einem Zustand allgemeinen Friedens und Gerechtigkeit zugehe“; insbesondere „die Ineinssetzung von Fortschritt, Entwicklung und sozialem Wandel mit dem messianischen Heil und ihre fatale Konsequenz, dass Beteiligung an der Entwicklungshilfe und revolutionärer Einsatz in den Spannungsfeldern der Gesellschaft die zeitgenössischen Formen christlicher Mission seien.“31 Die ZA-Sitzung nahm man daher zum Anlass, einen europäischen Bekenntniskonvent in der Berliner Philharmonie abzuhalten – auch im Gedenken an den 40. Jahrestag von „Barmen“. In der Langfassung der „Berliner Ökumene-Erklärung“ vom 22. Mai 1974 hieß es: „Gewaltsame Veränderung der sozial-politischen Verhältnisse erscheint vielen als Fortsetzung der Erlösungstat Christi. Darum werden bewaffnete Befreiungsbewegungen [. . .] mit kirchlichen Geldern unterstützt. [. . .] Schwärmerische Bewunderung erfahren die angeblichen Erfolge des Maoismus und anderer totalitärer Systeme. [. . .] Sollte es [. . .] zu keiner Umkehr im ÖRK [. . .] kommen, so fordert eure Kirchen und Missionen auf, ihre Mitgliedschaft [. . .] zu überprüfen und diese zu verlassen [. . .]. Verweigert in jedem Falle widerchristlich verfälschten Unternehmungen eure Unterstützung. Dazu gehören insbesonderheit der ‚Sonderfonds‘ [. . .], [. . .] sowie der ‚Dialog mit Vertretern der Religionen und Ideologien in unserer Zeit‘.“32

Ein vom Genfer Stab versandter „Vorschlag“ zur Erneuerung des ARP-Mandats stieß nicht nur bei „Bekenntnistreuen“ auf Bedenken. Die antiwestliche Tendenz des Papiers erregte in der EKD allgemein Widerspruch33. Vier Wochen später weilten Vertreter der württembergischen Landeskirche in Genf. Vom 16. bis 18. Juni diskutierte die Delegation, der auch „bekenntnistreue“ (pietistische) Synodale wie Rolf Scheffbuch angehörten, mit führenden ÖRKMitarbeitern über die Vorlage. Zwar distanzierten sich die Gastgeber von Äußerungen, die Gewalt als „Instrument der Erlösung“ rechtfertigten; Scheffbuch hielt dennoch folgende „fundamentale“ Unterschiede fest: Erstens 31

Zit. n. BÄUMER / BEYERHAUS / GRÜNZWEIG, Weg, 206f. Zit. n. KRÜGER, Kirche, 280 u. 287. Die Kurzfassung wurde u. a. abgedruckt in: BSBl, Nr. 22 vom 2. 6. 1974, 4–6. Vgl. SCHEFFBUCH, Ökumene-Erklärung, 229. Vor dem Hintergrund des Kirchenstreits wurde gespottet, die Philharmonie sei „nur zu einem Drittel besetzt“ gewesen (AHLHEIM / WIESINGER, Auge, 129). 33 Im anhängigen Schreiben bat Generalsekretär Potter die Mitgliedskirchen um eine Stellungnahme, EpdD, Nr. 33, 94–103 [beide Dokumente dort im Abdruck]. Vgl. auch EvKo 7 (1974), 566. 32

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gefährde die (politische) Parteilichkeit die anzustrebende Einheit der Christen; zweitens nehme der ÖRK für sich eine prophetische Vision in Anspruch, den Willen Gottes mehr aus der geschichtlichen Situation als aus der Bibel ablesen zu können34. Unüberbrückbare Differenzen kennzeichneten auch die – ebenfalls in Genf veranstaltete – Begegnung von ÖRK-Mitarbeitern mit dem Rat der EKD. Nachdem der epd das Gesprächsprotokoll veröffentlicht hatte, autorisierte der darüber erzürnte Rat die Publikation des versöhnlicher gehaltenen Berichts von Ernst Lange35. Im Fall des Genfer „Vorschlags“ sprach auch Lange Klartext: Der Rat konstatierte „sein Erstaunen, ja sein Befremden“, dass „auf die nun Jahre hindurch vorgetragenen Einwände der Mitgliedskirchen in der Bundesrepublik und in anderen Ländern auch nicht mit einem Wort eingegangen worden sei“. Hinzu kam, dass der von Elisabeth Adler, Mitarbeiterin des BEK, verfasste offizielle ÖRK-Bericht über die ersten fünf Jahre des ARP in der Bewertung dieser Einwände „ausgesprochen unerfreuliche Untertöne“ aufwies36. Der Rat bekräftigte seine Kritik an der Genfer Vorlage in einer öffentlichen Stellungnahme. Das ARP werde „mehr und mehr“ ein „Testfall für die Tragfähigkeit der ökumenischen Gemeinschaft“. Die Konzentration auf den „‚weißen‘ Rassismus“ der westlichen Industrienationen suggeriere eine einseitige Beurteilung der weltpolitischen Lage. Da der Rassismus aber „viele Gesichter hat und überall zu Hause ist“, empfahl der Rat, das Programm in den „größeren Zusammenhang der Durchsetzung der Menschenrechte“ zu stellen. Einem unveränderten Arrangement des Sonderfonds könne man nicht zustimmen; eine solche Praxis käme einer „Identifizierung mit politischen Gruppen gleich“. Dadurch würden Zweifel ausgelöst, ob „ausreichend über das Problem der Gewaltanwendung nachgedacht“ werde. In der Vorlage würde „nicht mehr von der Notwendigkeit“ einer multiplen Strategie gesprochen. Der Rat listete daher die „speziellen Beiträge“ der EKD zur Bekämpfung des Rassismus auf, etwa die Firmengespräche37. Mitte Juli schrieb auch Bischof Wölber an die vier

34 Zit. n. LANGE, ÖRK-Mitarbeiter, 9, einem IDEA-Bericht. Scheffbuchs Fazit stand im Einklang mit der Pressemitteilung der Landeskirche, die das Gespräch trotz ungeklärter Fragen als „offen und sachlich“ bezeichnete (epd-ZA, Nr. 116 vom 21. 6. 1974, 1). Vgl. sein kritischeres Privtfazit, SCHEFFBUCH, Liebesmühe. 35 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 30. / 31. 8. 1974 (EZA BERLIN, 2/ 1781); EpdD, Nr. 33/1974, 14–38; und LANGE, Bericht. 36 EBD., 381; ADLER, Beginning. Ihr Bericht wurde von Rudi Bellmann, einem hochrangigen Mitglied des SED-Politbüros, positiv begutachtet, BRÄUER / VOLLNHALS, DDR, 258; KRUSCHE, Menschen, 173. Zu Adlers Tätigkeit im FAK III und ihrer umstrittenen Teilnahme an der Weltkonferenz 1966, vgl. die Kap. 2. 5. 2. u. 5. 1. 3. 37 Zit. n. KRÜGER, Kirche, 262–267. Vgl. oben Kap. 4.3.

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westdeutschen Mitglieder des ÖRK-ZA, um ihnen die „Erwartungen“ der VELKD-Kirchenleitung an die kommende Berliner ZA-Tagung mitzuteilen. Vor dem Hintergrund des im Vorjahr eingerichteten VELKD-Fonds „für Gerechtigkeit und Versöhnung“ forderte Wölber eine Stärkung des Prinzips „multiple strategies“. Sollte der ÖRK nicht dementsprechend beauftragt werden, müssten sich „die Kirchen bei uns“ dazu entschließen, im Fall des ARP nicht mehr an der Ökumene zu teilzunehmen38. Eine Woche später erschien ein offener Brief, der die Stellungnahme des Rates attackierte. Zum Teil namhafte Hochschullehrer, Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter und Synodale warfen dem Rat vor, Forderungen zu erheben, die „die Substanz“ des gesamten Programms „verändern und aufheben müßten.“39 Der Rat erwecke den Anschein, als sei seine Haltung „von den Erwartungen der wirtschaftlich Mächtigen bestimmt“. Er hätte „zumindest“ darauf hinweisen müssen, dass auch in der EKD „nicht wenige eine andere Auffassung“ vertreten, im Fall des Sonderfonds gar zwei ihrer Gliedkirchen. Das ARP sei 1971 auch mit den Stimmen der westdeutschen Delegierten als Ganzes beschlossen und von der EKD-Synode angenommen worden. Der Brief verwies zudem auf die am 16. Juli veröffentlichte Erklärung des BEK, die die Genfer Vorschläge zur Verlängerung des ARP bejahte40. Noch vor Bekanntgabe der ostdeutschen Erklärung konstatierte der epd, die in der Bundesrepublik und West-Berlin geführten Auseinandersetzungen um den ÖRK seien in den vergangenen Monaten „immer heftiger“ geworden. „Jetzt“, einen Monat vor der Westberliner ZA-Tagung, sei ein neuer Höhepunkt erreicht41. Im epd-Interview warnte Wilkens als Vizepräsident der EKD-Kirchenkanzlei, die Diskussion „unnötig zu dramatisieren“. Wegen der Auseinandersetzung um die Stellungnahme des Rates nahm sie bis zum Beginn der Berliner Tagung am 11. August allerdings noch an Schärfe zu. Werner Dollinger, stellvertretender Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises von CDU/CSU und Mitglied der EKD-Synode, hielt die am Rat geübte Kritik für unhaltbar42. Wölber bekräftigte wiederum die Position der VELKDKirchenleitung: Man werde, so Wölber im Interview mit der „Welt“, einen 38

Zit. n. epd-ZA, Nr. 142 vom 29. 7. 1974, 1. Zit. n. JK 35 (1974), 484. Zu den über 70 Unterzeichnern gehörten u. a. Helmut Gollwitzer, Heinrich Albertz, Eberhard Bethge, Wolfgang Schweitzer, Martin Niemöller, Theodor Ebert und Heinz-Eduard Tödt. In den folgenden Tagen unterzeichneten weitere 50 Personen den Brief, epd-ZA, Nr. 155 vom 15. 8. 1974, 3. 40 EBD., 485. Zum vermeintlich deutsch-deutschen Gegensatz, weiter im folgenden Kapitel. 41 EpdD, Nr. 33/1974, Vorwort. 42 epd-ZA, Nr. 150 vom 8. 8. 1974, 3. Zum Wilkens-Interview, epd-ZA, Nr. 140 vom 25. 7. 1974, 7–9, 7. 39

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Mehrheitsentscheid zugunsten der Genfer Vorschläge nicht akzeptieren. Der dann zu beschreitende „Weg der Non-Participation“ würde bedeuten, nicht einmal mehr „an den Gremien, die diese Dinge zu beraten und zu steuern haben“, teilzunehmen. Der Hamburger Bischof verwies auf die Politisierung der ESG: Sie belege, „daß der Versuch der politisierten Kirche zur Nicht-Kirche geführt hat.“43 Der baden-württembergische Kultusminister Wilhelm Hahn erklärte, angesichts ihrer allgemeinen Zunahme müsse der Zentralausschuss den Einsatz von Gewalt zur Lösung politischer Probleme verurteilen44. Wegen des örtlichen Kirchenstreits war das mediale Augenmerk auf den gastgebenden Berliner Bischof gerichtet. Dieser hielt die Kritik am ÖRK für unberechtigt. Der Sitzungsverlauf habe bewiesen, so Scharf in der Deutschen Welle, dass der ÖRK politisch nicht einseitig handelt; seine Arbeit sei zu 80 Prozent biblisch begründet und theologisch orientiert45. Die Veranstaltung endete tatsächlich relativ harmonisch: Der ZA billigte eine Beschlussvorlage, die den Genfer Vorschlag zur Verlängerung des ARP-Mandats vollständig ersetzte. Das Arrangement des Sonderfonds blieb zwar unverändert; die vom Rat der EKD beanstandete „weltpolitische und theologische Begründung“ des Programms wurde in der neuen Vorlage aber sprachlich entschärft. Das ARP wurde auch nicht für weitere fünf Jahre verlängert; vielmehr sollte es auf der nächsten Vollversammlung Ende 1975 weitere Richtlinien erhalten. Die Notwendigkeit „multipler Strategien“ wurde ebenfalls betont; der Vorschlag, das ARP in den größeren Zusammenhang der Menschenrechte zu stellen, hingegen abgelehnt. Zur Begründung des Sonderfonds hieß es, man wolle darauf hinweisen, dass das ARP „immer und überall zu gewaltfreien Aktionen ermutigt“. Es erging der Beschluss, das Studium der Gewaltfreiheit zu intensivieren46. Von den westdeutschen ZA-Mitgliedern stimmte einzig Richard von Weizsäcker gegen die Entschließung zum Sonderfonds. Anders als im Jahr 1971 sah er sich nun nicht mehr in der Lage, „für ihn“ vor der Synode der EKD zu werben. In der Beurteilung des Sonderfonds vertraten auch die Ratsmitglieder unterschiedliche Auffassungen, wenngleich man die Kirchensteuerfinanzierung weiterhin geschlossen ablehnte. Per Pressekommuniqué forderte der Rat, den in Berlin begonnenen „Meinungsbildungsprozeß“ fortzusetzen.

43

GURATZSCH / LARASS, Interview; epd-ZA, Nr. 151 vom 9. 8. 1974, 2. epd-ZA, Nr. 154 vom 14. 8. 1974. Der promovierte Theologe und stellvertretende Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises von CDU/CSU hatte zentralen Anteil am medialen Durchbruch der konservativen „Tendenzwende“, WEHRS, Protest, 91. 45 EpdD, Nr. 40/1974, 119. 46 epd-ZA, Nr. 153 vom 13. 8. 1974, 5; EpdD, Nr. 40/1974, 107–112; und ÖKUMENISCHER RAT DER KIRCHEN, Zentralausschuss [1974], 37–42. Vgl. auch EvKo 7 (1974), 568f. 44

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Jedenfalls achte man den Entschluss „mancher Christen und Gruppen in der evangelischen Christenheit in Deutschland“, den Sonderfonds mit Spenden zu unterstützen. Die VELKD-Kirchenleitung ließ verlauten, man werde sich auch künftig um Gespräche zwischen den Vertretern der verschiedenen Auffassungen bemühen. „Klare Möglichkeiten der Unterstützung des gewaltfreien Einsatzes gegen den Rassismus“ seien aber nicht geschaffen worden. Die VELKD müsse deshalb weiter eigene Wege suchen47. Die Medien bewerteten den Tagungsausgang unterschiedlich. Laut Odin sei eine ideologische Überfrachtung des ARP nicht nur aufgrund westdeutscher Einwände verhindert worden; das Programm enthalte aber weiterhin „ideologischen Ballast“. So urteilte auch „Die Welt“. Gleichzeitig veröffentlichte sie von der südafrikanischen Regierung geschaltete Anzeigen, die behaupteten, der ÖRK habe „seinen Segen und die finanzielle Unterstützung für Terroristen“ gegeben48. Das ZDF erhielt einen Beschwerdebrief der EKD-Kirchenkanzlei: Wilkens protestierte gegen den Beitrag „Weltkirchenrat mit Scheuklappen“, den das viel gesehene konservative „ZDF-Magazin“ von Gerhard Löwenthal am 21. August gesendet hatte. Der Vorwurf der politischen Einseitigkeit, so Wilkens, vermittle ein „verzerrtes Bild“ vom ÖRK. „Verhängnisvoll“ sei auch die Forderung des Moderators, die EKD solle sich vom ÖRK distanzieren und in Seelsorge und Diakonie künftig eigene Wege gehen. Bei der Erörterung des ARP sei die westdeutsche Kritik, die die Fortführung des Programms in der jetzigen Form mit ermöglicht habe, verschwiegen worden. „Mit einiger Anmaßung“ werde „gesagt, das Verhältnis der Kirchen zur Gewalt bleibe verschwommen“. „Hier würde ich am liebsten sagen: ‚Sie haben keine Ahnung und sollten schweigen‘“. Die größte „Fehlleistung“ sei aber der „Beginn des Filmes, in dem der Auftritt einer mit der Baader-Meinhof-Bande sympathisierenden Demonstrationsgruppe gezeigt wird.“ Es wäre nur fair gewesen, so Wilkens, wenn der Bericht Scharfs Gesamtvotum zu dieser Demonstration gezeigt hätte; stattdessen habe man seine „Feststellung ‚Dies ist Terror‘ weg geschnitten“49. In einem Kommentar des Hessischen Rundfunks wurde die Haltung der EKD wiederum aus einem ganz anderen Grund kritisiert:

47 epd-ZA, Nr. 154 vom 14. 8. 1974, 1; Von Weizsäcker und die Stellungnahme des Rates, zit. n. KRÜGER, Kirche, 268f.; die Stellungnahme der VELKD, zit. n. epd-ZA, Nr. 159 vom 21. 8. 1974, 1. 48 ODIN, Änderungen; OHNESORGE, Kirchen; und „Kirchen handeln ohne Mandat“. In: Die Welt, Nr. 191 vom 19. 8. 1974, 5. 49 Undatierter Brief Erwin Wilkens’, EZA BERLIN, 650/376. Vgl. epd-ZA, Nr. 162 vom 26. 8. 1974, 1. Infratest bescheinigte dem „ZDF-Magazin“ 1974 Einschaltquoten von rund 20 Prozent, SCHILDT, Kräfte, 466.

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„Was hat sich in Berlin am Antirassismusprogramm geändert, so daß die ganze Kontroverse der Vorwochen als überholt gelten konnte? Wenn man kein Wortfetischist ist, d. h. niemand, der glaubt, nur weil sich auf dem Papier etwas ändert, ändert sich auch in der Wirklichkeit etwas, wird sagen müssen, es hat sich nichts geändert. Der Lärm, den der Rat der EKD geschlagen hat, war also nur verbal erfolgreich. War dieser Lärm überhaupt nötig? Gut, Genf hatte die antiwestlichen Töne vielleicht etwas übertrieben. Nun sind sie weg. Aber ändert das z. B. etwas an der Mentalität der afrikanischen Christen, die sich vom Westen mehr ausgebeutet fühlen als vom Kommunismus?“50

5.1.3 Differenzen im deutsch-deutschen Kirchendialog „DDR-Kirchen anderer Meinung“, so das Urteil westdeutscher Tageszeitungen nach der Veröffentlichung der beiden Stellungnahmen, in denen sich der Rat der EKD und die KKL über die Genfer Vorschläge zur Verlängerung des ARP-Mandats am 15. bzw. 16. Juli äußerten51. Tatsächlich bejahte die KKL das gesamte ARP. Dass der Sonderfonds auch in den ostdeutschen Landeskirchen nach wie vor äußerst umstritten war, gab ihr Votum nur indirekt zu erkennen: „An kritischen Stimmen und Auseinandersetzungen“ habe es nicht gemangelt. „Manchen schien das Engagement für die fernen Nächsten angesichts eigener Probleme oder eine Solidaritätsaktion, die im eigenen Lande opportun ist, fragwürdig.“ Der ÖRK habe sich „eindeutig auf die Seiten der unterdrückten Farbigen“ und „gegen die Interessen der reichen weißen Welt gestellt; gerade darum“ sei die Kritik an dem Programm „in den Ländern dieser Welt am schärfsten gewesen.“52 Die Erklärung des Kirchenbundes sei „in Kenntnis“ der westdeutschen Bedenken gegenüber einer Fortsetzung des ARP gefasst worden, so der epd. Der Wortlaut des am 15. Juli veröffentlichten EKD-Votums sei aber noch nicht bekannt gewesen53. Wilkens bestritt eine „tiefgreifende Differenz“. Beide Dokumente seien aus „unterschiedlichen Blickwinkeln“ verfasst und könnten daher nicht verglichen werden. Es sei auch keine neue Erkenntnis, dass unterschiedliche gesellschaftliche Standorte sich auf die theologische Arbeit auswirkten. Beide Seiten lebten „nach wie vor“ in der gemeinsamen reformatorischen Tradition54. Auch Scharf widersprach dem Eindruck eines Ost-West-Gegen50

Zit. n. HERBERT, Solidarität, 528. „DDR-Kirchen anderer Meinung“. In: FR, Nr. 162 vom 17. 7. 1974, 2. Vgl. die Presseausschnittsammlung (ELAB BERLIN, 55.5/1474). 52 Zit. n. LINGNER, Kirchen [1974], 479. 53 epd-ZA, Nr. 134 vom 17. 7. 1974, 1. 54 epd-ZA, Nr. 140 vom 25. 7. 1974, 1. 51

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satzes. Es lägen unterschiedliche, nicht gegensätzliche Voten vor. Allein aus währungspolitischen Gründen könnten die ostdeutschen Kirchen zum Sonderfonds gar nichts beitragen, erklärte er gegenüber der Deutschen Welle. Tatsächlich bemühte sich der BEK im ersten Halbjahr 1974, 50.000 Ost-Mark in den Sonderfonds direkt einzubringen. Der Versuch geschah anlässlich der portugiesischen „Nelkenrevolution“, die ein schnelles Ende der blutigen Kämpfe in Portugals Kolonien erwarten ließ55. Für die Kritiker des Rates der EKD war die deutsch-deutsche Divergenz nun „unverkennbar“. Karl Herbert, der ehemalige stellvertretende Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, meinte, man solle sie „nicht herunterzuspielen suchen.“56 Bischof Hübner erklärte vor der eigenen Landessynode: „Am schwersten trifft mich persönlich der Umstand, daß die Frage nach dem Sonderfonds von den evangelischen Schwesterkirchen in der DDR positiv, von uns aber negativ beantwortet wird. Das muß für nichtdeutsche Kirchen unsere theologischkirchliche Argumentation in Zweifel ziehen und wirkt wie das Trumpf-As für die Behauptung, wir seien eben doch nur unverbesserliche Rassisten und rückständige Theologen, während die DDR-Kirchen an diesem Punkt weitergekommen seien. Sind wir also doch in Ost- und Westdeutschland so verstrickt in unsere jeweiligen politischen Umweltbedingungen, daß die Theologie nur noch Alibi-Funktion hat?“57

Diese Frage beschäftigte auch die inoffizielle Beratergruppe von BEK und EKD. Als Zeichen ihrer gestiegenen Wertschätzung gehörten der Gruppe seit Anfang 1974 nicht nur der gesamte KKL-Vorstand, sondern auch drei Mitglieder des Rates der EKD als ständige Mitglieder an. Zur Neubesetzung der westlichen Seite vermerkte Olav Lingner, Leiter der Berliner Stelle der EKD-Kirchenkanzlei, im Januar: Nachdem seinen Mitgliedern – außer Scharf – (wieder) die Einreise nach Ost-Berlin gestattet sei, werde der Rat „nunmehr selbst die Verantwortung für die Gespräche mit den Kirchen der DDR“ übernehmen58. In Anwesenheit des Ratsvorsitzenden tagte die Beratergruppe am 19. Juni in Ost-Berlin. Mit Blick auf die für Mitte Juli erwarteten Stellungnahmen

55 SCHRÖTER, Rezeption, 202. Erst Ende 1976 wurde die Anfrage von staatlicher Seite abschlägig beantwortet, und zwar erneut mit dem Hinweis auf die Devisenknappheit in der DDR. Vgl. oben Kap. 4. 1. 4. 56 HERBERT, Solidarität, 523. Zu Scharf, EpdD, Nr. 40/1974, 119. Herbert hatte den offenen Brief an den Rat mitverfasst, weshalb der Ratsvorsitzende ihm gegenüber (privat) protestierte. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 30. / 31. 8. 1974 (EZA BERLIN 2/ 1781). 57 Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung, vorgelegt auf der 48. Landessynode der EvangelischLutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins im November 1974, 2 (NEK KIEL, 98.08/50). 58 Zit. n. SILOMON, Anspruch, 215.

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zur Genfer Vorlage sprach der KKL-Vorsitzende Schönherr die „Bitte“ aus, man möchte im Falle des ARP „nicht auseinanderdividiert“ werden. Es sei auch in der DDR „nicht nur“ auf Zustimmung gestoßen. Der Bund werde es trotzdem fortführen. Die westlichen Mitglieder teilten mit, die Genfer Sitzung des Rates der EKD habe „keine Fortschritte gebracht“; er werde seine Hilfe „mit dem Menschenrechtsprogramm verbinden“. Zur Aussprache vermerkte das Protokoll, es gebe keine „einheitliche Linie oder Front“ unter den Kirchen, die das ARP ablehnten. Keine Kirche messe der Gewaltfrage aber „solche Bedeutung zu wie die EKD.“ Sie müsse sich „vor einem Kotau vor den Evangelikalen hüten.“ Der Bund habe das ARP aufgegriffen, „weil sich hier die Möglichkeit einer Praktizierung der gesellschaftlichen Mitverantwortung“ biete. Man habe „immer betont“, dass das „Kreuz Christi nicht verdunkelt“ werden dürfe; der Bund sehe im ARP einen „Modellfall“ für das „Wahrnehmen der Menschenrechte“59. Die im letzten Satz – und in der ersten Stellungnahme des Bundes aus dem Jahr 1971 – genannten Stichworte fanden im neueren Votum des Bundes jedoch keinerlei Erwähnung. Anders als drei Jahre zuvor nahm die KKL den vom FAK III erarbeiteten Entwurf am 12. Juli ohne Änderungen an60. Bei der Entstehungsgeschichte des BEK-Votums gilt es aber zu berücksichtigen, dass das Staat-Kirchen-Verhältnis 1973/1974 besonders angespannt war. Beim nächsten Treffen der Beratergruppe, das vermutlich kurz vor der Westberliner ZA-Tagung stattfand, berichtete der KKL-Vorstand über die Rezeption der Ostverträge in der DDR. Wie in der Vergangenheit sei der Effekt eingetreten, dass es im Zuge einer Verbesserung der deutsch-deutschen Beziehungen zu „ideologischen Verhärtungen“ kam. Und da die Kirche als „potentieller Gegner der Ideologie“ gelte, habe sie dies stets besonders zu spüren bekommen61. So hatten die westdeutschen Mitglieder ein Jahr zuvor Folgendes erfahren: Bei seinem Wittenberg-Besuch habe man Generalsekretär Potter vertraulich mitgeteilt, das Eintreten der ostdeutschen Kirchen für das ARP sei „nicht problemlos“, weil so der Eindruck entstehen könnte, sie schwämmen „im Fahrwasser“ der DDR-Außenpolitik62. Parallel zu den Opportunismus-Vorwürfen in den Kirchengemeinden sah sich der BEK mit weiteren staatlichen Erwartungen konfrontiert. Ende Januar 1974 empfing das Staatssekretariat für Kirchenfragen den KKL-Vorstand. Mit Blick auf die divergierende Haltung der EKD zum ARP unterstrich Staatssekretär Hans Seigewasser die Notwen59 60 61 62

Vermerk über die Sitzung der Beratergruppe am 19. 6. 1974 (EZA BERLIN, 101/359). SCHRÖTER, Rezeption, 198. Vgl. oben Kap. 4. 1. 4. Undatierter Vermerk Lingners, zit. n. SILOMON, Anspruch, 222. Vermerk über die Sitzung der Beratergruppe am 5. 6. 1973 (EZA BERLIN, 4/69).

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digkeit, die entsprechenden „Konsequenzen auf gesellschaftlicher Ebene“ zu ziehen, was letztlich bedeute, dass der „Kampf gegen Krieg und Unterdrückung“ immer auch eine „antiimperialistische Komponente“ haben müsse63. In der EKD zeigte man viel Verständnis für die Brüder in der DDR. Ende Juni 1973 teilte Cornelius von Heyl, mittlerweile Synodenpräses der EKD, Schönherr mit, dass die ostdeutschen Kirchen „mit einem großen Vertrauensvorschuß rechnen dürfen und daß wir gewiß sind, daß auch dann, wenn wir Sie nicht sofort verstehen, keinen anderen Ausweg und kein andres Ziel haben als den einen Herrn unserer eigenen Kirche. Wir werden Ihr Vertrauen in gleicher Weise brauchen, denn die Gefahr von Mißverständnissen ist bei dem uns gegebenen Auftrag, den Weg der Kirche in der westlichen Konsumgesellschaft zu finden, fast größer.“

Von Heyl schloss mit der Hoffnung, im Dialog nicht nur die „Gemeinsamkeiten“, sondern auch die „Verschiedenheiten fruchtbar werden“ zu lassen64. Die Schwierigkeit der konkreten Umsetzung manifestierte sich im Fall des BEKPapiers „Vietnam und wir“. Da von der Kriegsbeteiligung Nordvietnams darin keine Rede war, schrieb Wilkens Anfang Februar 1974 an Lingner, dessen Kritik er teilte: „Je einseitiger sich unsere Freunde in der DDR in politischen Stellungnahmen entwickeln, desto schwieriger wird auch eine konstruktive Kommunikation. Und vielleicht ist es ja auch Aufgabe der Kommunikation, einer solchen einseitigen Entwicklung wiederum entgegenzuwirken. Im Grunde genommen geht es dabei ja um die mich seit langem wieder beschäftigende Frage, bis zu welcher Grenze kirchliche Äußerungen in politischen Angelegenheiten kirchlich-theologisch legitimiert sind.“65

Als Zeichen dafür, dass der Aspekt divergierender politischer Wahrnehmung beide Seiten stärker sensibilisierte, tagte die Beratergruppe im März über „Öffentliche Äußerungen kirchenleitender Personen“. Die EKD-Vertreter unterbreiteten das bereits genannte Arbeitspapier „Konsens und Konflikt“, welches die Thematik anhand der Gewaltfrage erörterte. Trotz aller Verständnisbekundungen beklagte Lingner, der BEK habe bestimmte Problemkomplexe, zu denen er sich hätte äußern sollen, „ausgeklammert“ und geschwiegen. Außer dem Vietnam-Papier nannte Lingner keine veranschaulichenden Beispiele. Die Vertreter des Bundes stimmten seiner Analyse grosso modo zu,

63 Zit. n. SILOMON, Anspruch, 217. Zum wachsenden Unmut über das „politische“ Engagement der Kirchen, SCHRÖTER, Rezeption, 205–210. 64 Zit. n. SILOMON, Anspruch, 210. 65 Zit. n. EBD., 216.

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betonten aber die Notwendigkeit, positive Errungenschaften der DDR als solche hervorzuheben. Im Fall der ostdeutschen Kirchen sei leider immer wieder zu beobachten, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit ihrer Evangeliumsverkündigung von ihren Äußerungen zu politischen und gesellschaftlichen Tagesfragen abhängig gemacht werde66. Wenige Tage vor der ZA-Tagung trafen sich KKL-Vorstandsmitglieder mit dem Ratsvorsitzenden Class und dem Präsidenten der EKD-Kirchenkanzlei in Ost-Berlin zur Beratung. Sie verlief sehr freundschaftlich. Dessen ungeachtet bemerkten die KKL-Vertreter, dass es für den Bund vorteilhaft gewesen wäre, wenn vor der Verabschiedung des Wortes, welches der Rat zum 25. Jahrestag des Grundgesetzes abgab, eine Rücksprache mit den Kirchen in der DDR stattgefunden hätte. Man sehe sich nun selbst mit der staatlichen Erwartungshaltung konfrontiert, eine ähnliche Äußerung zum Jubiläum der DDR-Gründung zu tätigen67. Reinhard Henkys warb in den „Evangelischen Kommentaren“ um mehr Verständnis für die Äußerungen ostdeutscher Kirchenleitungen. Die Erklärung des BEK zur Verlängerung des ARP nannte er als Beispiel. Henkys appellierte nicht nur an die Westdeutschen, schließlich spiele „das Fehlen eines ausreichenden kirchlichen Kommunikationssystem in der DDR eine Rolle, das dazu führt, daß die dortigen Christen häufig sehr wenig über die gesamt-kirchliche Lage und die Gründe für aktuelle Entscheidungen von Kirchenleitungen und Synoden unterrichtet sind und daher ihre Maßstäbe zur Beurteilung der eigenen Situation den westlichen Medien entnehmen.“68

In den ostdeutschen Kirchengemeinden dürfte die Ablehnung des ARP durch diesen Effekt weiter zugenommen haben. Der BEK betrieb ohnehin kaum Werbung in Sachen ARP. Die im Herbst 1974 beschlossene dritte Spendenaktion endete 1975, was das Aufkommen betrifft, in einem Fiasko69. Der Unmut richtete sich auch gegen die politische Einseitigkeit des ÖRK. Über dessen Vorschlag zur Verlängerung des ARP schrieb die Leitung der „schlesischen“ Kirche am 11. Juli 1974 nach Genf, man halte eine Erneuerung des Mandats zwar für richtig. „In Bezug auf die Durchführung“ sei man aber der Meinung, dass sie

66

Vermerk über die Sitzung der Beratergruppe am 21. 3. 1974 (EZA BERLIN, 4/70). Vgl. SILOAnspruch, 220f. Zu Linnenbrinks Arbeitspapier, oben 378f. 67 SILOMON, Anspruch, 223. 68 HENKYS, Weg, 746. 69 SCHRÖTER, Rezeption, 202. Dazu Schröter: „Das schlechteste Ergebnis der drei Sammlungen machte eine Kluft zwischen den offiziellen Verlautbarungen [. . .] und dem Meinungsbild in den Gemeinden deutlich“ (EBD.). MON,

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„hinsichtlich der Frage der Gewalt differenziert erfolgen muß. Diese Frage kann nicht ohne weiteres ausgeklammert werden. Es ist zu überlegen, ob nicht der ganze Kampf gegen den Rassismus in den weiteren Horizont des Eintretens für die Durchsetzung der Allgemeinen Menschenrechte in der ganzen Welt gestellt werden muß, damit nicht bestimmte ernste und bedrückende Fragen außer Ansatz bleiben.“70

Hinter den Kulissen entbrannte ein Streit über das gesellschaftspolitische Engagement des Kirchenbundes. Nicht wenige Kirchenleitungen kritisierten die Aktivitäten des FAK III und stellten dessen Existenz offen in Frage71. Elisabeth Adler sorgte nicht nur im Rat der EKD für Empörung. Im Oktober 1974 veröffentlichte die ostdeutsche Wochenzeitung „Die Kirche“ einen Beitrag der FAK-Mitarbeiterin, der die Vorbehalte gegenüber einer Verlängerung des ARP scharf kritisierte: „Noch immer“, so Adler, sei auch „für unsere Gemeinden“ zutreffend, „daß das Programm [. . .] ein ‚umstrittenes‘ [. . .] ist. [. . .] Sicher hängt das zusammen mit dem starken Eindruck, den der gewaltlose Kampf Martin Luther Kings auf die Gemeinden machte, man hat diesen ideologisiert und als den für den Christen einzig möglichen angesehen. Oft wird darüber ein anderer protestantischer ‚Heiliger‘ vergessen. Dietrich Bonhoeffer [. . .]. Umstritten ist und war das Programm vor allem in Westeuropa, ganz besonders in der BRD, der Schweiz und Großbritannien. [. . .] Die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen [zum südlichen Afrika, A. C. W.] sind eng, gute Investitionsmöglichkeiten, hohe Profite durch billige (schwarze) Arbeitskräfte, strategisches Interesse der NATO am Erhalten des weißen Brückenkopfes im südlichen Afrika spielen eine wichtige Rolle. Die Kirchen nennen ihre Gründe meist nicht für ihre ablehnende Haltung, allenfalls werfen sie [. . .] dem ÖRK Einseitigkeit in der Beurteilung der weltpolitischen Situation vor.“72

Der Artikel blieb nicht unkommentiert. Angesichts des später eingefahrenen Spendenergebnisses dürften die Proteste eines Buckower Pfarrers nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein. Alfred Luckau schrieb an die Redaktion, „es gibt anscheinend einige Leute, die nichts Besseres zu tun“ haben, „als die Kirchen in der BRD ständig anzugreifen.“ Nachdem er auch den Ökumenereferenten des BEK angeschrieben hatte, antwortete Walter Pabst, dass auch er „manche Formulierungen“ in Adlers Beitrag „nicht für weise“ halte. Einzelne Passagen seien nicht geeignet, für das ARP zu werben „bzw. Vorurteile dort abzubauen, 70 Zit. n. KRUSCHE, Menschen, 112, dort im Abdruck. Schröter nennt lediglich eine landeskirchliche Stellungnahme – die des Konsistoriums von Berlin-Brandenburg –, die die Genfer Vorlage bejahte, SCHRÖTER, Rezeption, 195. Der Nachrichtendienst ENA berichtete über keine dieser Stellungnahmen. Stattdessen druckte er die Stellungnahme der EKD in Auszügen ab, ENA, Nr. 29 vom 17. 7. 1974, 8. 71 Dazu ausführlich SCHRÖTER, Rezeption, 205–210. Zum FAK III, oben Kap. 4. 1. 4. 72 ADLER, Programm.

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wo sie noch vorhanden sind.“ Zur „Situation in der EKD“ fragte er Luckau „ohne jede Überhebung“, ob nicht auch er der Meinung sei, dass die „ökonomische Seite der Sache die Stellung unserer westdeutschen Freunde zu beeinflussen“ drohe73. Der Leiter der Berliner Stelle der EKD-Kirchenkanzlei drängte indes auf eine Klärung über die „Funktionen und Zuständigkeiten“ der Ost-West-Beratergruppe. Im Oktober 1974 kündigte Lingner an, sich mit dem BEK über offene Fragen verständigen zu wollen, um nach nun fast fünf Jahren die „Beratergruppe behutsam in den Griff zu bekommen“. Den potentiellen Gesprächsinhalt hatte er in einem Papier skizziert: Abgesehen vom wechselseitigen Informationsaustausch habe das Gremium „noch keine gemeinsamen Anliegen gefunden“ bzw. ihre Debatten, wie im Fall des ARP und der Menschenrechtsfrage, mit erheblicher Verzögerung geführt, so dass sie von KKL und Rat nicht berücksichtigt werden konnten. Das Ziel müsse ja nicht zwingend eine Konsensfindung in bestimmten Sachfragen sein. Nur müsse grundsätzlich darüber befunden werden, ob die Beratergruppe die „richtige Schleuse“ für gemeinsame Anliegen sei und wie sie diese „rechtzeitig und ausreichend vorbereitet“ in den Rat und die KKL tragen könne. Sollte dies der Fall sein, müsste die Gruppe über den aktuellen Diskussionsstand im Rat und in der KKL unterrichtet sein74. Das von Lingner avisierte Gespräch fand am 6. November in Ost-Berlin statt. Beide Seiten konstatierten übereinstimmend ihre Unzufriedenheit mit der derzeitigen Konstruktion der Beratergruppe. Differenzen, die aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Situation der ost- und westdeutschen Kirchen entstünden, seien „in gegenseitigem Vertrauen“ offen zu legen. Der Informationsaustausch sollte zugunsten einer gründlichen Beratung von speziellen Fragen, „die erkennbar [. . .] beide Seiten existenziell betreffen und partnerschaftliches Handeln erfordern“, reduziert werden. Umfassenden Referaten seien zuvor erarbeitete und an die Teilnehmer versandte „Thesen, bzw. Skizzen oder Problemanzeigen“ vorzuziehen75. Drei Wochen vor Beginn der St. Pöltener ÖRK-Konsultation über Menschenrechte erörterte auch die Beratergruppe dieses Thema. In seinem Sitzungsvermerk notierte Lingner: „Das eigentliche Problem im Zusammenhang mit den Menschenrechten würde verschüttet, wenn eine Gegensätzlichkeit zwischen den Kirchen der EKD und den Kir73 Briefe Luckaus an die Wochenzeitung „Die Kirche“ und Pabst, beide vom 14. 10. 1974, sowie Pabsts Antwort vom 27. 1. 1975, zit. n. KRUSCHE, Menschen, 113–116. 74 Brief Lingners an Walter Hammer vom 14. 10. 1974, mit Anlage, zit. n. SILOMON, Anspruch, 225f. 75 So der Wortlaut des KKL-Protokolls, zit. n. EBD. 227. Vgl. auch EBD., 231.

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chen in der DDR künstlich hochgezüchtet würde. Sie gibt es im Grunde nicht. Gemeinsam ist beiden Kirchen die Verlegenheit, mit der sie vor den unaufgearbeiteten theologischen Fragen stehen. Gemeinsam ist auch ihre Verlegenheit angesichts der Frage nach der Durchsetzung der Menschenrechte für andere (mit Gewalt) in den Bereichen, in denen die Verletzung der Menschenrechte so offensichtlich ist, daß sie auch das einfachste Recht auf Leben infrage stellt. Die Kirchen der Dritten Welt werden darauf drängen, daß die Kirchen der Ökumene sich zum Anwalt für die Durchsetzung der Menschenrechte durch internationale Gremien machen. Sie werden die Kirchen der Ökumene dazu bewegen wollen, sich für die Gewalt als äußerstes Mittel zur Wahrung und zur Durchsetzung primitivster Menschlichkeit zu gestatten.“

In einer Lingner wohl nicht zuzuordnenden handschriftlichen Bemerkung hieß es weiter, die EKD müsse sehen, dass die Menschenrechtsverletzungen in der DDR „qualitativ und quantitativ nicht mit denen in Südafrika und Chile zu vergleichen sind.“76 Gegenüber dem Ulmer Prälaten Hans von Keler, Präsidiumsmitglied der EKD-Synode, sprach sich Lingner dafür aus, die Beratergruppe mit der Vorbereitung für die im November anstehende Fünfte Vollversammlung des ÖRK in Nairobi zu befassen. Nach der Verlängerung des ARP gelte es zu vermeiden, dass die Vertreter von Bund und EKD zu „entgegengesetzten Äußerungen über die anstehenden Fragen kommen“77. Damit meinte er die Befreiungskriege im südlichen Afrika. Die erste ÖRK-Vollversammlung auf afrikanischem Boden sollte unter dem Motto „Jesus befreit und eint“ zusammentreten78. Lingners Bemühungen hatten Erfolg. Es gelang sogar, eine gemeinsame Tagung der Nairobi-Delegierten für den 30. April in Ost-Berlin anzusetzen. Die Begegnung musste jedoch verschoben werden. Lingner hatte von Manfred Stolpe, zu dieser Zeit Leiter des BEK-Sekretariats, erfahren, dass ZDF-Vertreter überraschenderweise in Ost-Berlin aufgetaucht seien und darum gebeten hätten, das Treffen zu filmen und „für das Fernsehen kommentierend“ auswerten zu dürfen. Beide tappten im Dunkeln, wer das ZDF über die Tagung informiert haben könnte79. Wie im folgenden Kapitel dargelegt, hegten westdeutsche Medien zu diesem Zeitpunkt ein besonderes Interesse an den Vorgängen in den evangelischen Kirchen. Das inoffizielle Treffen der Nairobi-Delegierten fand deshalb erst Ende August statt. Dabei kam es zu einer offenen Aussprache über das ARP, in der sie sich über die jeweiligen gesell-

76 Vermerk Lingners über die Sitzung der Beratergruppe am 1. 10. 1974 (EZA BERLIN, 4/ 1335). Zum Ausgang der St. Pöltener Tagung, unten Kap. 5. 2. 1. 77 Brief Lingners an von Keler vom 21. 2. 1975 (EZA BERLIN, 4/1335). 78 Vgl. KRÜGER, Bericht. 79 Brief Lingners an Hammer und Wilkens vom 10. 3. 1975, zit. n. SILOMON, Anspruch, 230.

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schaftlichen Widerstände informierten80. Im Hinblick auf die ÖRK-Vollversammlung drohten somit keine negativen Überraschungen. Die Beratergruppe machte sich daran, die kontextuelle Bedingtheit der afrikanischen Theologie besser zu verstehen – besonders die Aspekte „Kampf“ und „Befreiung“. Daraus ließen sich wiederum Einsichten für den deutsch-deutschen Dialog gewinnen81.

5.1.4 „Pfarrer, die dem Terror dienen“? Der Berliner Kirchenstreit eskalierte im Herbst 1974 endgültig, und zwar aus folgendem Anlass: Nach dem Tod des hungerstreikenden RAF-Terroristen Holger Meins und der Ermordung des Berliner Richters Günter von Drenkmann gerieten kirchliche Mitarbeiter in den Verdacht der Mitwisserschaft. Die Öffentlichkeit vermutete einen Racheakt der RAF. Erst später stellte sich heraus, dass Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“ versucht hatten, den Kammergerichtspräsidenten am 10. November zu entführen. Als sich dieser wehrte, erschossen sie ihn. Die Täter hinterließen kaum Spuren. Tage später verhaftete die Berliner Polizei die kirchliche Sozialarbeiterin Undine Zühlke. Als Gefängnisseelsorgerin hatte Zühlke Kontakt zu in Moabit inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter Ulrike Meinhof82. Angesichts des näher rückenden Prozessauftakts in Stammheim verharrte die Führungsriege der RAF im Hungerstreik, um nicht nur zusammengelegt, sondern auch verhandlungsunfähig erklärt zu werden. Nach Zühlkes Festnahme meldete sich Kornelius Burghardt freiwillig zur Vernehmung. Der vorbestrafte Vikar wurde ebenfalls festgenommen. In einer ersten Stellungnahme erklärte die Berliner Polizei am 19. November, es bestehe der Verdacht, Zühlke habe einen von Meinhof geschriebenen Zettel an Burghardt weiter gegeben. Es gebe Anlass zur Vermutung, „daß eine Entführung geplant gewesen sei.“83 Die Erklärung lieferte dem Springer-Verlag Stoff für Spekulationen. Die Kritiker des Bischofs rüsteten zum Angriff und forderten seinen Rücktritt. Auf einer Pressekonferenz bestätigte Scharf, Mein80 Es erübrigt sich, die oben genannten Punkte hier erneut auszuführen. Vermerk über das Treffen zwischen Nairobi-Delegierten der EKD und des Bundes am 29. / 30. 8. 1975 (EZA BERLIN 4/1339). Vgl. KRUSCHE, Menschen, 122, dort Abdruck des entsprechenden Tagesordnungspunktes. 81 Vermerk über die Sitzung der Beratergruppe am 17. 6. 1975 (EZA BERLIN, 101/359). 82 Meinhof wurde Ende August vorübergehend zum Prozess nach West-Berlin verlegt. Es ging um ihre Beteiligung an der gewaltsamen Befreiung Andreas Baaders 1970, AUST, BaaderMeinhof-Komplex, 296. 83 Zit. n. AUST, Ehre, 18.

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hof am 23. Oktober zusammen mit Zühlke besucht zu haben. Gegen den Bischof wurde daraufhin Strafanzeige erstattet. Ihm wurde vorgeworfen, eine geplante Straftat nicht angezeigt zu haben. Peter Boenisch witterte in „Bild“ noch am selben Tag „Handgranaten im Talar“. Im NDR-Interview schloss der Ratsvorsitzende der EKD nicht aus, die Ereignisse in West-Berlin könnten dazu genutzt werden, „innerkirchliche Diskussionen, die einen ganz anderen Hintergrund haben, erneut und öffentlich zur Sprache zu bringen“. Er habe den Eindruck, dass „politische Vorverständnisse einzelne Sachfragen überlagern“84. Scharfs Meinhof-Besuch war bereits länger bekannt. In der „Berliner Morgenpost“ hieß es Ende Oktober, der Bischof versuche „private Beziehungen zu Terroristen“ zu pflegen. Scharf widersprach, indem er klar stellte, Meinhof im seelsorgerlichen Dienst besucht zu haben. Über den Gesprächsinhalt gab er daher keine Auskunft85. Vielmehr ließ Scharf verlauten, in seiner Amtstätigkeit bereits viele Gefängnisinsassen besucht zu haben, darunter lebenslang verurteilte Nationalsozialisten. Da er sich in der NS-Zeit sowie später in der DDR für politische Gefangene eingesetzt hatte, trafen die Vorwürfe bei ihm einen sensiblen Punkt, schließlich war er selbst von der Gestapo insgesamt sieben Mal in „Schutzhaft“ genommen worden86. Sein Meinhof-Besuch hatte nun einen besonderen Grund: Anfang Oktober hatten rund 50 – teils bewaffnete – Demonstranten die Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche besetzt. Das „Häftlingskollektiv“ forderte die Kirchenleitung auf, sich für die Aufhebung der „Isolationsfolter“ gegen inhaftierte RAF-Mitglieder einzusetzen. Die Gemeindeverantwortlichen verzichteten auf Polizeihilfe und suchten den Dialog. Nach zwei Tagen räumten die Besetzer gewaltlos das Feld. Ihre Personalien wurden nicht aufgenommen. Die Kirchenleitung lobte die Deeskalationsstrategie der Pfarrer und erklärte sich bereit, einer Abordnung der Besetzer für weitere Gespräche zur Verfügung zu stehen. Den wahnwitzigen Vorwurf der „Isolationsfolter“ wies sie aber stets zurück. Aus diesem Grund scheiterten sowohl die Gespräche mit dem „Häftlingskollektiv“ als auch der Besuch einer Delegation der Kirchenleitung bei den Inhaftierten. In einer öffentlichen Erklärung warfen 51 Theologen und 26 kirchliche Mitarbeiter ihr vor, die Forderungen der Inhaftierten zur Beendigung des Hungerstreiks abgelehnt zu haben. Unter kirchli-

84 Class zit. n. epd-ZA, Nr. 229 vom 28. 11. 1974, 3; BOENISCH, Handgranaten. Zu den Details der bundesweit geführten Auseinandersetzung, vgl. die insgesamt über 200 Seiten umfassenden EpdD, Nr. 1/1975 u. Nr. 6/1975. 85 EpdD, Nr. 1/1975, 8f. 86 ZIMMERMANN, Kurt Scharf, 48f. u. 71. Vgl. WEINKE, Abrechnung, 141–145.

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chen Mitarbeitern wuchs gleichzeitig die Angst vor Racheakten87. Nach der Rückkehr aus seinem Urlaub wurde Scharf mitgeteilt, „daß Kirchenleitung und Justizverwaltung den Gesamtvorgang mit äußerster Sorge beobachteten, und daß in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit versucht werde, eine mögliche Eskalation zu verhindern.“ Das „Häftlingskollektiv“ hatte zuvor vage gedroht, es werde in Berlin viele Tote geben, sollte einer der Hungerstreikenden sterben. Scharfs Meinhof-Besuch unterlag somit der Absicht, die befürchtete Eskalation abzuwehren88. Da Meinhof sowohl geistig als auch körperlich angeschlagen war, begleitete ihn Zühlke als „Dolmetscherin“. Meinhof übergab ihm einen Zettel mit den „Gesprächsbedingungen“. Die Liste enthielt die Namen von Inhaftierten, die ebenfalls besucht werden sollten. Zühlke erhielt ein Duplikat, das sie der Anstaltsleitung zeigte, um die Namen der für die Besuchserlaubnis zuständigen Richter zu erfahren. Auf dem Dokument notierte sie dann die Namen der ihr genannten Personen. Scharf nahm die Liste ebenfalls mit nach Hause, allerdings ohne Wissen der Justizbehörden; „möglicherweise“ ein Verstoß gegen die Anstaltsordnung, jedoch kein strafgesetzlicher Tatbestand89. Am 3. November begann die Herbsttagung der EKD-Synode in West-Berlin. Zu den Verhandlungsgegenständen zählte u. a. die Forderung nach einer Humanisierung des Strafvollzugs90. Am nächsten Abend fand im Haus der Kirche eine Podiumsdiskussion über das gleiche Thema statt, in deren Anschluss einige kirchliche Mitarbeiter, darunter Ausbilder des PTA, das Ergebnis besprachen. Zühlke und Burghardt waren ebenfalls anwesend. Dabei tauchte das Gerücht auf, die EKD-Synode solle vom „Häftlingskollektiv“ gestört, Synodale gar „festgesetzt“ werden, um auf diese Weise die Synode zu veranlassen, sich für die Hungerstreikenden einzusetzen91. In Begleitung des Gefängnisgeistlichen besuchte Zühlke am nächsten Tag Ulrike Meinhof, um sie auf die Gerüchte anzusprechen. Im Glauben, die Zelle werde abgehört, 87 Bericht Georg Flors, Leiter des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Region West), auf der Sitzung der Kirchenkonferenz der EKD am 17. 10. 1974 (EZA BERLIN, 2/1782). Vgl. auch die offizielle Stellungnahme der Kirchenleitung vom 7. 11. 1974, EpdD, Nr. 6/1974, 47. 88 Bescheid zur Einstellung des Verfahrens gegen Kurt Scharf vom 13. 1. 1975 (ELAB BERLIN, 38/615). 89 EBD.; AUST, Ehre, 19; und DERS., Baader-Meinhof-Komplex, 296f. 90 Die Entschließung vom 7. 11. 1974 unterstützte schließlich diese Forderung, EpdD, Nr. 55/1974, 95. 91 Laut Ermittlungsbericht soll Burghardt – entgegen seiner Darstellung – „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ das „‚Gerücht‘“ von der Festsetzung „zuerst erwähnt“ haben. Einstellungsverfügung vom 31. 10. 1975 der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin in dem Ermittlungsverfahren gegen Zühlke u. a., 86f. (ELAB BERLIN, 38/607).

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notierte Letztere mehrere Sätze: Meinhof widersprach dem Gerücht, es seien Aktionen gegen Synodale geplant; stattdessen sollten „Typen aus Justiz oder Politik“ genommen werden. Sie forderte „Militanz!“ Zühlke nahm das Papier an sich und verließ die Haftanstalt, ohne die Vollzugsbeamten darüber zu informieren. Nach ihrer Verhaftung gab sie zu Protokoll, den Zettel am nächsten Morgen vernichtet zu haben. Später informierte sie Burghardt über ihre Begegnung mit Meinhof. Scharf zufolge habe der Vikar ihm „anläßlich einer flüchtigen Begegnung“ mitgeteilt, die Synode sei von keiner Störung mehr bedroht. Laut dem späteren Ermittlungsergebnis „bestehen keine Zweifel“, dass der Vikar Meinhofs Erklärung an Vertreter des „Häftlingskollektivs“ weitergegeben habe. Scharf gab später zu Protokoll, erst nach Zühlkes Festnahme von dem „Kassiber“ und der geplanten „Festsetzung“ erfahren zu haben; die hierzu vernommenen kirchlichen Mitarbeiter bestätigten seine Angaben. Gegen Burghardt und Zühlke wurde keine Anklage erhoben92. Nach der oben genannten Presserklärung vom 19. November zeigte sich „Bild“ schon am nächsten Tag gut informiert: Zühlke soll Meinhof vorgeschlagen haben, einen Geistlichen zu entführen, um RAF-Mitglieder freizupressen. „Meinhof wehrte ab: Laßt mich mit den Schweinen von der Kirche zufrieden! Wir gehen an die höchste Stelle der Justiz!“ „Der Spiegel“ urteilte vorsichtiger: „Ob nur naiv, ob schuldhaft verstrickt – mit der Szene vertraut immerhin sind beide Emissäre“93. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand aber Scharf; auch wegen seiner Rolle bei der Aufnahme Burghardts in das PTA. Ende Dezember wurde schließlich publik, dass Scharf die ihm von Meinhof überreichte Liste mit nach Hause genommen hatte. Die „Berliner Morgenpost“ berichtete vom „Brief“-Schmuggel und forderte den Bischof noch am Silvestertag (erneut) zum Rücktritt auf94. Durch Jean-Paul Sartres Stammheim-Besuch hatte der Sympathisanten-Diskurs Anfang Dezember ohnehin neuen Auftrieb erhalten. Scharfs Freunde organisierten eine große Vertrauenskundgebung. Zu den Rednern gehörten u. a. Heinrich Böll, Martin Fischer und Altbundespräsident Heinemann. Zugleich mangelte es nicht an Stimmen, die die Vermittlungsbemühungen des Bischofs während der Osterunruhen 1968 in Erinnerung riefen. Im Panorama-Interview erklärte Heinrich Albertz, nun wieder Pastor in BerlinSchlachtensee: 92 EBD., 75–88; Bescheid zur Einstellung des Verfahrens gegen Kurt Scharf vom 13. 1. 1975, 4 (ELAB BERLIN, 38/615, 19). 93 „Bild“, zit. n. AUST, Ehre, 18. „Botschaft für Undine“. In: Der Spiegel, Nr. 48 vom 25. 11. 1974, 34. 94 Vgl. EpdD, Nr. 6/1975, 76f.

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„Ich finde es langsam [sic] als eine unverschämte Zumutung, daß jeder von uns, wenn er sich mit dem Thema befaßt, [. . .] erst eine liturgische Erklärung abgeben muß, daß er gegen Terror und Gewalt sei. Wir sind gegen jeden Terror und gegen jede Gewalt, gegen jede, also auch gegen den Terror von Mehrheiten gegen Minderheiten und den Terror von Mächtigen gegen Machtlose.“95

Der Rat der EKD hatte am 27. November nämlich folgende Stellungnahme abgegeben: „Gewaltanwendung und Terror sind auf keinen Fall Mittel zur Gesellschaftsreform. Wir bedauern, daß in der Verkündigung der Kirche da und dort die Ablehnung von Gewalt gegen Sachen oder Personen in den letzten Jahren nicht immer hinreichend deutlich gemacht worden ist. Terror muß als Terror bezeichnet werden. Verbrechen dürfen nicht beschönigt werden.“96

Manfred Linz kommentierte im NDR – 1972 noch selbst als „Sympathisant“ verdächtigt –, die Kritik richte sich nicht gegen Scharf, sondern Gollwitzer „und einige seiner Schüler“. In einem Brief an den Ratsvorsitzenden erklärte dieser empört, er befinde sich in „grundsätzlicher Übereinstimmung“ mit den Gewalt-Thesen der Kammer für öffentliche Verantwortung. Vielmehr sei es der Rat, der seine Ablehnung von Gewalt gegen Sachen in den vergangenen Jahren „überhaupt nicht deutlich gemacht“ habe. Gollwitzer verwies auf die „an Kriegsverbrechen reichste Kriegsführung, nämlich die amerikanische in Vietnam“. Class bat Wilkens, in seinem Namen zu antworten. Dieser teilte Gollwitzer, seinem früheren BK-Weggefährten, mit, er wisse nicht, wen die Verfasser des verabschiedeten Entwurfs gemeint hätten. In der Ratssitzung, an der er selbst teilgenommen habe, sei auch Scharf anwesend gewesen. Wilkens gab zu erkennen, der Name Gollwitzer sei nicht zur Sprache gekommen; seine Formel von der Gewalt gegen Personen und Sachen sei ohnehin „in den einschlägigen Sprachgebrauch“ eingegangen. Mit Hinweis auf die „Theologie der Revolution“ und den ARP-Sonderfonds betonte Wilkens, es gebe „bei manchen Gruppen in unserer Kirche und auch bei manchen Predigern den unleugbaren Tatbestand einer gewissen Unsicherheit in Fragen der Gewaltanwendung“97. Damit kritisierte er wohl auch die Haltung seines Freundes Martin Fischer, den er aus der BK kannte. Bischof Kunst hielt diesem wiederum vor:

95 Zit. n. EpdD, Nr. 1/1975, 73. Zur Solidaritätsveranstaltung, ALBERTZ U. A., Pfarrer, 43–59. Heinemanns Brief an Meinhof sorgte wenig später für erregte Diskussionen im Bundestag, HOFFMANN, CDU. Die „Junge Kirche“ druckte den weiteren Briefwechsel ab, JK 36 (1975), 41f. 96 Zit. n. EpdD, Nr. 1/1975, 51. 97 Brief Gollwitzers an Class vom 13. 12. 1974 sowie Wilkens Brief an Gollwitzer vom 20. 12. 1974 (EZA BERLIN, 2/8630). Manfred Linz’ Kommentar vom 30. 11. 1974, zit. n. EpdD, Nr. 1/1975, 55.

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„Im Grunde geht es doch seit Jahren um die Äußerungen der sogenannten politischen Theologie bzw. der ideologisch-neomarxistischen Indoktrinationen.“ Dieses substanzlose „Reden in der Kirche von der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ und von der Zustimmung für die Gruppen, ‚die die Welt verbessern wollen‘, lässt jede Deutung offen bzw. diese Vokabeln sind ohne inhaltliche Bestimmung“. Kunst schloss: „Begreifen Sie, [. . .], mich quält der geistige Zustand, in dem wir uns befinden, und dies ja nun wahrhaftig nicht nur in Berlin.“98 Im Gespräch mit Mitgliedern des Rates der EKD bekundete Bundeskanzler Schmidt – einmal mehr – seinen Unmut über die Erscheinungsformen „revolutionärer Theologie“99. In Westdeutschland sahen sich die Leitungen der Landeskirchen dazu veranlasst, „ihre“ Studentengemeinden noch genauer unter die Lupe zu nehmen; v. a. deren Innenleben, für das sich – nach der von Thielicke losgetretenen Debatte – nun auch kirchenferne Schichten interessierten. Gerhard Stoltenberg kritisierte, von den Kirchenleitungen werde hingenommen, dass Studentengemeinden „Aufrufe zur Rechtsverletzung, zum Klassenhaß und Gruppenhaß aktiv unterstützen“100. Das äußere Erscheinungsbild einer ESG wurde besonders durch Gästegruppen geprägt. So nutzten die vielerorts gegründeten „Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD“ ESG-Räumlichkeiten für eigene Veranstaltungen. Wie sich später herausstellte, spielten sie eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung der zweiten RAF-Generation101. Im Fall der Hamburger ESG erteilte die zuständige Kirchenleitung einem örtlichen Komitee, das seit mehreren Semestern in ESG-Räumen getagt hatte, Mitte Dezember Hausverbot102. Die sogenannte Kerngemeinde, zu der auch die Studentenpfarrer gehörten, sah darin einen schwerwiegenden Eingriff in das vermeintliche Selbstbestimmungsrecht der ESG. Das Verhältnis zur Kirchenleitung war allerdings schon länger belastet103. Betrachtet man ihre militanten Äußerungen, so wird deutlich, dass die ESG das Vorgehen der Kirchen98

Brief Kunsts an Fischer vom 9. 12. 1974, zit. n. GRESCHAT, Protestantismus, 151. Wenige Tage vor von Drenkmanns Ermordung wurde Schmidt in Hamburg Zeuge einer Gottesdienststörung durch ein „Anti-Folter-Komitee“. Dazu hieß es in „Bild“: „Kanzler Schmidt in Kirche niedergebrüllt“, vgl. BALZ, Terroristen, 96. Zur Bonner Unterredung mit den Ratsmitgliedern, epd-ZA, Nr. 232 vom 3. 12. 1974, 2. 100 Zit. n. IDEA, Nr. 47 vom 9. 12. 1974, 3; „Stoltenberg fordert Abgrenzung gegen die Theologie der Revolution“. In: Die Welt, Nr. 281 vom 3. 12. 1974, 5. Zu Thielicke, vgl. oben Kap. 5. 1. 1. 101 Vgl. AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 324–326. 102 LINCK, Flugzeugentführung, 82; ESG-info zu „Hausverbot im Martin-Luther-King-Haus gegen das ‚Folterkomitee‘“ (HIS HAMBURG, Bestand Wiedenmann). 103 Am 15. 2. 1975 schrieb Studentenpfarrer Wolfgang Wiedenmann an Gollwitzer, der Hamburger ESG stünden „‚Endkämpfe‘“ bevor (HIS HAMBURG, Bestand Wiedenmann, K-O). 99

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leitung mit den „repressiven“ Praktiken des Staates gegenüber der Neuen Linken und den inhaftierten RAF-Mitgliedern direkt in Bezug setzte: Ihnen allen, so die Wahrnehmung, drohte die Zerschlagung durch einen vermeintlich faschistischen Gewaltapparat. Aufgrund ihres Selbstverständnisses, die Neue Linke „überparteilich“ zu repräsentieren – ein im Übrigen allgemeines Signum der ESG in den 1970er Jahren –, hatte zumindest die Hamburger ESG es bis dato unterlassen, sich von der RAF, einschließlich ihrer Mitglieder, klar zu distanzieren104. Das heißt nicht, dass sie deren Strategie bejahte. Sowohl für die Kerngemeinde als auch für die linksradikalen Gastgruppen bedeuteten die Todesfälle Meins und von Drenkmann eine Zäsur. Mit Blick auf die RAF und die „Bewegung 2. Juni“ erklärte die ESG in einem Flugblatt, sie lehne „das Prinzip der Rache und [. . .] der Abschreckung ab. [. . .] Einen Mord als politisches Mittel lehnen wir ab. [. . .] Diese Gruppen haben bisher stets jeden politischen Zusammenhang mit der Linken [. . .] gemieden. Und die Linke stellt an sie die berechtigte Forderung: Aufgabe der individualistischen, zerstörerischen Praxis.“105

Drei Jahre später versicherte der ehemalige Studentenpfarrer Alfred Petersen, dem Bischof von Schleswig, die ESG habe sich im November 1974, „als diese Frage [. . .] unabweislich geklärt werden mußte, [. . .] intern und öffentlich ganz klar [von] Mord und Terror als politisches Mittel distanziert. [. . .] In dem Augenblick, wo dies etwa nicht mehr der Fall sein sollte (was ich allerdings keinesfalls erwarte), würde ich mein Amt sofort zur Verfügung stellen.“106

Für die (protestantischen) Komitee-Mitglieder bedeuteten die NovemberEreignisse ebenfalls einen Einschnitt. Rückblickend erklärte der ehemalige RAF-Terrorist Karl-Heinz-Dellwo: „Nach dem Tod von Holger Meins lief in der Evangelischen Studentengemeinde in Hamburg einer von der Ärztegruppe [die wohl zum Komitee gehörte, A. C. W.] herum, fuchtelte wild mit den Händen über dem Kopf und sagte: ‚Jetzt hilft nur noch ne Flugzeugentführung!‘ Ich habe ihn angeguckt und gedacht, mein Gott, wenn die Kleinbürger Revolution machen, dann greifen sie zum potentiellen Massaker.“107

Auch in den übrigen westdeutschen Studentengemeinden setzte von Drenkmanns Ermordung intensive(re) Diskussionen über die Legitimität terroristi104 LINCK, Flugzeugentführung, 81. Vgl. HIS HAMBURG, Bestand Wiedenmann, Mappe zum Tod von Holger Meins. 105 Flugblatt der ESG Hamburg (Auflage: 3.000 Stück), APO-Archiv BERLIN, 449–450. 106 Brief Wiedenmanns an Alfred Petersen vom 14. 9. 1977 (HIS HAMBURG, Bestand Wiedenmann, K-O). 107 KAMPF, 24. Vgl. AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 325.

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scher Gewalt in Gang. Es ist davon auszugehen, dass sie in einmütigen Absagen an den Terrorismus endeten. Inwieweit diese Klärungsprozesse sich auch auf die Gewaltfrage in Lateinamerika und im südlichen Afrika erstreckten, bleibt offen108. In ihrer Außendarstellung waren es „umfassend“ verstandene Gewaltabsagen, die den RAF-Terrorismus mit der staatlichen „Isolationsfolter“ bzw. „Repression“ auf eine Stufe stellten109. Das mediale Bild vom „marxistischen Kampfverband“ verfestigte sich110. Gleichzeitig konterkarierte es das in der ESG ebenso verbreitete Ansinnen, die Terrorismusdebatte zu versachlichen. So verkündete die Theologische Kommission der Gesamt-ESG in ihrem Einladungsschreiben zu einer für Mitte Februar anberaumten Veranstaltung, man wolle die Diskussion über „Macht und Versöhnung“ fortsetzen. Dies sei „um so dringlicher, als das Gewaltproblem in der letzten Zeit in der BRD erneute Aktualität erlangt hat. Eine differenzierende Diskussion scheint in der Öffentlichkeit kaum mehr möglich.“111 Deshalb weigerte sich auch die ESG Osnabrück, ihre Einladung an Rudi Dutschke, als Redner aufzutreten, zurückzuziehen. Nach der Beerdigung von Holger Meins war Dutschke öffentlich ins Zwielicht geraten. Die rechte Hand zur Faust geballt, hatte er vor dessen Grab gerufen: „Holger, der Kampf geht weiter!“ Solidarisierte sich der frühere Studentenführer etwa mit der RAF? Seine im „Spiegel“ veröffentlichte Erläuterung vermochte die Hannoveraner Kirchenleitung jedenfalls nicht überzeugen. Aufgrund der Ereignisse forderte sie die ESG vergeblich dazu auf, Dutschke wieder auszuladen. Das Argument, damit würde sie sich einmal mit der öffentlich attackierten evangelischen Kirche solidarisieren, ließ die ESG ihrerseits aber nicht gelten112. 108 Vgl. etwa die Themenhefte „Der gekreuzigte Christus. Die Opfer der Gewalt“ bzw. „Versöhnung und Klassenkampf“, die die ESG Göttingen zusammen mit der örtlichen Katholischen Studentengemeinde erstellte (LKA HANNOVER, 33a/313). Vgl. darüber hinaus das Theologische Forum „Christentum – Aufforderung zur Revolution?“ (Wintersemester 1974/1975) der ESG Hannover (LKA HANNOVER, 33a/165). 109 Vgl. die von einem Arbeitsausschuss der Gesamt-ESG erarbeitete „Dokumentation über die Vorgänge in den letzten Wochen“ (APO-Archiv BERLIN, 453). 110 Vgl. STÄCKER, Indizien. In Württemberg trat die Evangelische Konferenz für Studentenarbeit, ein Zusammenschluss von Studentenpfarren und -gemeinden, diesem Vorwurf mit einer Presseerklärung entgegen. Man sei um eine „unbefangene und kritische Auseinandersetzung“ mit marxistischen Gedankengängen bemüht, (epd-ZA, Nr. 1 vom 2. 1. 1975, 7). 111 Die Seminartagung sollte in Hannover stattfinden, LKA HANNOVER, 33a/313. 112 Zur Auseinandersetzung mit der Kirchenleitung, HIS HAMBURG, RUD 470, 02 sowie EZA BERLIN, 686/8978. Dutschke sagte schließlich aus gesundheitlichen Gründen ab. Nach seiner Rückkehr ins dänische Aarhus schrieb er Brigitte und Helmut Gollwitzer am 4. 12. 1974, trotz der „fast reaktionären Rolle der RAF“ sollte es „das Interesse der Linken sein, den Genossinnen und Genossen im Knast eine kritische Solidarität und Kooperation zukommen zu lassen.“ (HIS HAMBURG, RUD 158, 01). Vgl. DUTSCHKE, [Leserbrief].

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Die evangelischen Kirchen sahen sich tatsächlich an den Pranger gestellt. Der Rat der EKU begrüßte am 3. Dezember 1974 zwar die EKD-Ratserklärung, kritisierte zugleich aber die „tendenziöse“ Berliner Berichterstattung. Presse, Rundfunk und Fernsehen wurden aufgerufen, bei der Wahrheit zu bleiben. Tags darauf erschien in der Illustrierten „Quick“, einem Medium des Heinrich Bauer Verlags, der Artikel „Pfarrer, die dem Terror dienen“113. Die Überschrift sprach für sich. Der Untertitel suggerierte, außer Scharf seien noch weitere „hohe Kirchenvertreter ins Zwielicht“ geraten. Die EKD-Kirchenkanzlei beschwerte sich daraufhin beim Deutschen Presserat114. Die Berliner Kirchenleitung schloss sich ihr an und ergänzte die eigene Beschwerde mit dem Gesuch, neben dem „Rheinischen Merkur“115 auch vier (über)regionale Zeitungen des Springer-Verlags öffentlich zu rügen. Das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ warf „Quick“ vor, die journalistische Sorgfaltspflicht zu verletzen116. Karl-Alfred Odin teilte der Kirchenkanzlei hingegen mit, er hätte von einer Klage abgeraten, denn der „von Ihnen gewählte Weg der Antwort“ wirke sich nur „nachteilig für die Kirchen“ aus. Gollwitzer kritisierte wiederum Odins Berichterstattung. Der FAZ-Redakteur habe 1973 noch differenziert geschrieben. Odin antwortete, man beurteilte die Berliner Ereignisse offenbar verschieden117. Die kirchlichen Beschwerden erwiesen sich tatsächlich als Bumerang. Nach eingehender Prüfung erklärte der Deutsche Presserat, die beanstandete Berichterstattung sei trotz Überzeichnungen durch die Pressefreiheit gedeckt. Die Kirchen forderte er auf, „ihre eigene Verantwortung zu überdenken“, schließlich

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„Pfarrer, die dem Terror dienen“. In: Quick, Nr. 50 vom 5. 12. 1974, 68–69. Vgl. „EKD bringt Terrorartikel vor den Presserat“. In: FR, Nr. 294 vom 19. 12. 1974, 4. 115 In der Ausgabe vom 29. 11. 1974 war von einer „Unterwanderung der Kirche“ durch die „legitime[n] Nachfolger“ der DC die Rede, d. h. „jenen Pfarrern, Vikaren und Theologiestudenten in brauner Uniform“ (zit. n. FLUCHBLATT, 95). Zur Auseinandersetzung im Rheinland, KAMINSKY, Kirche, 317f. 116 EpdD, Nr. 6/1975, 7–26; „Wie eine Illustrierte manipuliert“. In: DASBl, Nr. 1 vom 5. 1. 1975, 10–11. 117 Brief Odins an Claus-Jürgen Roepke, Medien- und Öffentlichkeitsreferent in der EKDKirchenkanzlei, vom 19. 12. 1974 (EZA BERLIN, 2/17635); Brief Gollwitzers an Odin vom 6. 12. 1974 sowie dessen Antwort vom 27. 12. 1974 (EZA BERLIN, 686/7521). Odins FAZ-Beiträge sind abgedruckt in: EpdD, Nr. 1/1975, 33 u. 66. Hier sei angemerkt, dass er erst nach dem Bekannt werden von Scharfs „Kassiber-Schmuggel“ seine Zurückhaltung aufgab, ODIN, Bischof. Im Lauf der weiteren Kontroversen um die Gewaltfrage hielt sich Odin – sei es im Zusammenhang mit dem ARP oder der Terrorismusdebatte – erstaunlich zurück. Der „Altmeister der kirchlichen Publizistik“ trat dabei erst 1989 in den „Unruhestand“, so die Einführung der ihm gewidmeten Festschrift (WÖLFLE, Botschafter). Vgl. auch den Nachruf, oben 154f. 114

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seien sie durch ihre „über Gebühr zurückhaltende Informationspolitik ins Zwielicht dieser Auseinandersetzung geraten“118. Die evangelische Kirche kam auch in den folgenden Monaten nicht aus den Schlagzeilen. Bundesweit gerieten evangelische Gefängnisgeistliche in den Ruch, „mehr Sympathisanten als Seelsorger zu sein.“119 Die CDU griff Scharfs „Kassiber-Schmuggel“ bereitwillig auf – in Berlin herrschte Wahlkampfstimmung. Ihr Spitzenkandidat, Peter Lorenz, warb mit dem Slogan „Berliner leben gefährlich“120. Ende Februar, 71 Stunden vor der Wahl, wurde er nun selbst von der „Bewegung 2. Juni“ gekidnappt. Die Entführer forderten die Freilassung von Inhaftierten, die der Gruppe nahestanden. Außerdem verlangten sie, Heinrich Albertz solle die freigepressten Gefangenen auf ihrem Flug in den Jemen als Austauschgeisel begleiten. Sollte Benno Ohnesorgs Tod ihn nun einholen? Trotz allzu verständlicher Angst bekundete er nach Gesprächen mit Scharf seine Bereitschaft, sich als Pastor zur Verfügung zu stellen. Ein öffentlicher Auftritt mit Vertretern der Kirchenleitung sollte seine Vermittlerrolle unterstreichen. Das Fernsehen zeigte, wie Albertz zusammen mit den Delinquenten ins Flugzeug stieg. Der Austausch glückte, Lorenz kam frei und Albertz kehrte wohlbehalten wieder zurück121. In den evangelischen Medien wurde die Hoffnung laut, jene Stimmen, die dem Protestantismus geistige Nähe zum Terrorismus unterstellten, würden nun verstummen122. Sie bewahrheiteten sich nicht. Vor dem Gefangenenaustausch hieß es in der „Bild“, Albertz „sei ein glückloser Mann mit Doppelkinn und freudlosem Blick, unentschlossen, weich, gescheitert, ein Mann, der zum Anwalt von Anführern geworden und hoffnungslos nach links außen abgedriftet“ sei. Die Terroristen hätten sich „den unscheinbaren Expolitiker und Friedensprediger als Unterpfand dafür ausgesucht, dass sich unser Rechtsstaat dem Unrecht beugt.“ Nach Albertz’ Rückkehr erklärte der von Franz-Josef Strauß gegründete „Bayernkurier“, „der zur Geisel emporglorifizierte Genosse“ habe die Terroristen gar mit „Kinder“ angesprochen123. Im „Stern“-Interview lieferte Albertz sowohl seinen als auch Scharfs Kritikern weitere Munition, indem er erklärte, er habe sich [!] wie ein Gefängnispfarrer gefühlt. Er würde sich „freuen, wenn viele junge 118

Zit. n. „Presserat übt Kritik“. In: BSBl, Nr. 16 vom 20. 4. 1975, 1. „Nur in schwarz“. In: Der Spiegel, Nr. 43 vom 20. 10. 1975, 50–52. Vgl. BALZ, Terroristen, 99. 120 JANOWSKI, Christsein, 25; BUCERIUS, Heinrich Böll. Vgl. AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 326. 121 SCHUSTER, Heinrich Albertz, 277–300. 122 HENKYS, Profile. Die Redaktion des „Deutschen Pfarrerblatts“ rief auf zur „Selbstbesinnung“. Vgl. den darunter abgelichteten Beitrag, OSENBERG, Berlin. 123 „Bild“, zit. n. HENKYS, Albertz; „Bayernkurier“ vom 22. 3. 1975, zit. n. JK 36 (1975), 212. 119

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Leute, die hier frei herumlaufen, sich so höflich“ benähmen124. Löwenthals „ZDF-Magazin“ nahm den Gefangenenaustausch zum Anlass, Scharfs „Kassiber-Schmuggel“ in zwei aufeinander folgenden Sendungen zu kritisieren125. Die Terrorismus-Debatte wurde durch das Stockholmer Geiseldrama noch weiter verschärft. Ein RAF-Kommando war am 25. April 1975 in die Deutsche Botschaft eingedrungen. Die letztlich gescheiterte Geiselnahme endete mit Toten und Schwerverletzten. „Quick“ veröffentlichte darauf einen Artikel, der Bundesverfassungsrichter Helmut Simon und dessen Familie in die Nähe der RAF rückte. Im Vorspann hieß es über den kirchlich engagierten Laien, niemand könne sich „seine Familie und seine Verehrer aussuchen.“ In einer Stellungnahme erklärte Simon, „die Zielrichtung“ sei „unverkennbar: Wieder einmal soll von einem Repräsentanten aus dem sozial-liberalen, evangelischen Lager der Eindruck entstehen, als sei bei ihm das Gemeinwohl nicht gerade gut aufgehoben.“126 Nach Lorenz’ Freilassung debattierte der Bundestag am 13. März 1975 über einen Entwurf zum 13. Strafrechtsänderungsgesetz. Der Entwurf zielte darauf ab, Gewalt befürwortende Äußerungen juristisch besser ahnden zu können. Die 1976 ins Strafgesetzbuch aufgenommenen Paragraphen 88a und 130a gehörten zu den umstrittensten Parlamentsentscheidungen auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung. Die parlamentarische Opposition warf der Bundesregierung vor, das Problem zu verharmlosen. Der erste Gesetzesentwurf sah vor, generell denjenigen zu belangen, der in Schriften oder bei Versammlungen öffentlich zu bestimmten Gewalttaten anleitet oder sie befürwortet. Schriftsteller und Publizisten protestierten, damit würde jede missliebige Publikation, zahlreiche Klassiker der Weltliteratur, ja sogar die Bibel verboten werden können. FDP und SPD reagierten: In den Ausschussberatungen kam man schließlich darüber ein, den neuen Straftatbestand enger zu fassen. In der hitzig geführten Parlamentsdebatte erinnerte Bundeskanzler Schmidt die Zwischenrufer daran, dass er die „künstliche Unterscheidung“ von Gewalt gegen Sachen

124

LEHMANN, Aden, 60. Nachdem sich Scharf über eine „massive Irreführung der Öffentlichkeit“ in der ersten Sendung vom 19. 3. beklagt hatte, kartete Löwenthal am 2. 4. 1975 nach. Brief Scharfs an die ZDFLeitung und die „Magazin“-Redaktion vom 29. 3. 1975 (ELAB BERLIN, 38/614); Abschrift der zweiten Sendung (ELAB BERLIN, 55.1/696). 126 „Der Bundesrichter und die Terroristin – Eine Geschichte in Briefen“. In: Quick, Nr. 21 vom 15. 5. 1975, zit. n. EpdD, Nr. 23a/1975, 2; Simons Erklärung ist dort ebenfalls in Gänze abgedruckt, EBD., 4–5, 4. Vgl. „Der Richter, die Terroristin und ‚Quick‘“. In: FR, Nr. 122 vom 30. 5. 1975, 18; LEICHT, Räson, 40. Zum weiteren Hintergrund, vgl. die – erst im März 1975 bekannt gewordene – Sonthofener Rede von Franz-Josef Strauss, ENGELMANN, Schwarzbuch, 177–200. Dazu DÜX, Sicherheitsdebatte. 125

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und Gewalt gegen Personen bereits 1968 vor demselben Hause kritisiert hatte. Schmidt warnte vor einer „Verkennung der anarchistisch-terroristischen Zielrichtung jener Minderheit, die sich in Wahrheit doch über ihre eigenen Sympathisanten lustig macht, indem sie sie als schwachsinnige Mitläufer“ betrachte127. Die am selben Tag zusammen getretene Delegiertenkonferenz der ESG reagierte empört. In einem offenen Brief an den Rat der EKD und die Kirchenleitungen erklärte sie zum Gesetzesentwurf, im Falle seiner Umsetzung würde Gollwitzer z. B. ebenso strafrechtlich belangt werden „wie die Befürwortung des Antirassismusprogramms.“ Das oberste Beschlussorgan der GesamtESG stellte ferner fest: „Zwar betont der demokratische Staat immer wieder seine Toleranz, Veränderungen zuzulassen. Tatsache ist aber, daß so gut wie alle Reformbemühungen in unserem Staat derzeit ad acta gelegt wurden. [. . .] Zu diesem Rechtsstaat gehört auch zunehmend eine diesen Rechtsstaat disqualifizierende Rechts- und Polizeipraxis, die dem Hohn spricht, was die EKD-Erklärung [vom 27. November, A. C. W.] unter Hinweis auf ‚geordnete Mittel staatlicher Macht‘ ausspricht. Angesichts dieser Tatsache ist ein Treuebekenntnis gegenüber dem Staat vom Glauben her bedenklich, wenn nicht unmöglich. Die Verpflichtung der Kirche, Gott – um des Menschen willen – mehr zu gehorchen als dem Menschen, bindet sie, rechtzeitig Einspruch zu erheben oder Widerstand zu leisten gegen Tendenzen und Prozesse des Staates, die das Menschsein des Menschen diskreditieren. Mit der Betonung solcher Rechtzeitigkeit erinnern wir an die zu spät oder nicht erfolgte Reaktion der Kirche im NS-Staat (Kirchenkampf). [. . .] Die Ratserklärung bedauert, ‚daß in der Verkündigung der Kirche da und dort die Ablehnung von Gewalt gegen Sachen oder Personen in der letzten Zeit nicht immer hinreichend deutlich gemacht worden ist.‘ Demgegenüber fordern wir die Kirche auf, sich solche Worte nicht von Seiten der den Staat tragenden Mächtigen aufzwingen zu lassen, sondern – in Rückgewinnung prophetischer Rede und Handlungsweise – die Gewalt von oben nicht länger zu verschweigen, sondern sie in all ihren zerstörenden und erniedrigenden Erscheinungen zu entlarven und zu ächten. Treuebekenntnisse zum Staat haben sich für die Kirche nie ausbezahlt. [. . .] Jetzt soll man Gott mehr gehorchen als solcher ‚FDGO‘.“128

127 Zit. n. ANTI-TERROR-DEBATTEN, 92. Zum Gesetzgebungsverfahren, EBD., 79f.; ZIMMER, Gewalt. 128 Offener Brief der Siebten ordentlichen Delegiertenkonferenz der ESG, 14. 4. 1975 (EZA BERLIN, 2/14045). Dementsprechend argumentierte auch die Bewegung „Christen für den Sozialismus“ (CfS): Eine „kritische Auseinandersetzung mit dem Problem der Gewalt“ solle damit „von vornherein unterbunden“ werden. „Nicht der verzweifelte Terrorismus kleiner Gruppen“ sei die Gefahr, sondern die „in Form von Sondergesetzen sich ausweitende Gewalt des Staates“, hieß es im offenen Brief der CfS-Delegiertenkonferenz an den Rat der EKD und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken vom 8. 6. 1975 (EZA BERLIN, 81/4/276). Auf der von rund 600 Teilnehmern besuchten Veranstaltung in der Heidelberger (Neuen) Universität hatte Sölle das Programm der CfS vorgestellt. Getreu dem Motto „Gott ist rot“ soll sie gar die Zusammenarbeit

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Der Rat der EKD zeigte sich empört über die teils „diffamierend[en]“ Passagen129. Bereits Ende November 1974 war man übereingekommen, die „öffentliche Erregung und innerkirchliche Unruhe“ sei „über Berlin hinaus von einer gesamtkirchlichen Bedeutung“130. Auf Drängen der Berliner Kirchenleitung erklärte die Kammer für öffentliche Verantwortung sich Anfang 1975 bereit, das komplexe Thema „Terrorismus“ zu untersuchen. Gegen Jahresende wurde der einzurichtende Unterausschuss unter der Leitung von Roman Herzog mit folgender Aufgabenstellung betraut: Eine „derartige“ Untersuchung müsse „fragen – ohne die Gesamtmotivationslage der Terroristen ergründen zu wollen, da dieses die Kraft der Kammer überfordert –, wieso es zu der auffallenden Sympathie für Terroristen im kirchlichen Bereich kommt und wie Menschen aus dem kirchlichen Bereich Terroristen werden. Auch bedarf es von vornherein einer stärkeren Differenzierung innerhalb der Gruppe ‚Terroristen‘, in der politische Terroristen, Sympathisanten, Mitläufer und echte Gewalttäter verschieden zu beurteilen sind. Insbesondere ist der Problemkreis Terrorismus zum Radikalen-Problem scharf abzugrenzen.“131

Als Arbeitsgrundlage dienten die Ergebnisse einer Klausurtagung, die die Evangelische Akademie Berlin zum Gewalt- und Terrorismusproblem Anfang März veranstaltet hatte. Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem angemessenen „Umgang der christlichen Gemeinde mit Gewalttätern“. Mit Blick auf die Kreuzberger Kirchenbesetzung hatte Friedrich-Wilhelm Marquardt ein gleichnamiges Thesenpapier verfasst. Marquardt meinte: „Kirchenbesetzungen, aber auch die erzwungene Begleitung von Gewalttätern, werden zu einem gehörigen Teil als symbolische Akte aufgefaßt. Die Kirche besitzt gerade für viele Nicht-Christen noch einen Wert als Symbol für eine Gerechtigkeit, die weiter reicht als die Gerechtigkeit anderer gesellschaftlicher Institutionen. [. . .] Andererseits werden Kirchen besetzt, um die Christen herauszufordern; sie sollen in einem konkreten Fall Ideale verwirklichen, die allgemein als christlich angesehen werden. [. . .] Die Gemeinde hat mitunter [. . .] Christen [= ESG-Mitglieder, mit der Sowjetunion gefordert haben, um einer „drohenden Faschistisierung“ in der Bundesrepublik entgegenzutreten (LEWITIN-KRASNOW, Schlechte; SCHLAPPA, Dorothee Steffensky-Sölle). In ihrem schriflichen Programmentwurf erklärte Sölle: „Noch sind nicht alle Widersprüche zwischen Glauben und sozialistischem Engagement aufgehoben, die zentralen Fragen der Feindesliebe, der Gewaltlosigkeit nicht ausdiskutiert. Erst im Befreiungskampf selber können sie [. . .] aufgehoben werden.“ (SÖLLE, Christen, 21). Vgl. oben Kap. 3. 8. 1. Zur synchronen Auseinandersetzung um die Frage „Müssen Christen Sozialisten sein?“, WIDMANN, Gespräch, 138–141. 129 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 23. / 24. 5. 1975 (EZA BERLIN, 2/ 17633). 130 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 27. 11. 1974 (EBD.). 131 Niederschrift über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung am 12. / 13. 12. 1975 (EZA BERLIN, 2/8603).

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A. C. W.], die sich in der geistigen und seelischen Welt der Gewalttäter auskennen. [. . .] Die Gemeinde sollte solche Mitglieder, statt sie zu verdrängen oder abzustoßen, zur Mitarbeit und Mithilfe rufen, bevor es zur kritischen Lage kommt und erst recht in ihr. [. . .] Erfahrungsgemäß ist es unvermeidbar, daß wir [. . .] zum Sprachrohr der Forderungen der Terroristen gemacht werden. [. . .]. Der Einsatz von Polizei kann für die Kirche nur die letzte Möglichkeit von Gewaltüberwindung sein.“

Marquardts Darlegungen stießen größtenteils auf Zustimmung. Eine kritische Anfrage machte geltend, die Kirche werde nicht nur als Symbol höherer Gerechtigkeit, „sondern auch als Instrument für politische Erpressung gesucht und benutzt“132. Der bayerische Landeskirchenrat hielt es wiederum für notwendig, die Themen „Macht“, „Gewalt“ und „Terrorismus“ unter pastoraltheologischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Eine ad hoc eingerichtete Arbeitsgruppe bekam auf Initiative des scheidenden Landesbischofs Dietzfelbinger den Auftrag, theologische Hilfen für den Dienst der Evangeliumsverkündigung, der Seelsorge und der demokratischen Jugend- und Erwachsenenbildung zu erarbeiten. Das „Problem von Macht und Gewalt“ sei ohnehin „zum weltweiten ökumenischen Problem geworden.“133.

5.2 Westdeutsche Kontroversen über „Befreiung“ und „Solidarität“ 5.2.1 Die EKD und die Gewalteskalation im südlichen Afrika Durch die Debatte über dem „Terror dienende Pfarrer“ geriet das kirchliche Eintreten für das ARP weiter ins Zwielicht. Mit einer Informationskampagne versuchte etwa die Leitung der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau, dem von konservativen Kreisen genährten Eindruck zu wehren, als bestünde das Programm nur aus dem umstrittenen Sonderfonds134. Gleichzeitig meldeten sich immer mehr Laien und Theologen zu Wort, denen Spendenaufrufe und Kollekten für den Fonds nicht weit genug gingen. Die Institution Kirche demonstrierte ihrer Ansicht nach zu wenig Solidarität mit dem Befreiungskampf im südlichen Afrika. Angesichts des immer brutaler vorgehenden Apartheidregimes sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen Südafrikas sei es ein Wunschbild, schuldlos zu bleiben. In der sehr spenden132 „Umgang der christlichen Gemeinde mit Gewalttätern“ (EZA BERLIN, 2/8560); „Anfragen an das Papier von Professor Marquardt bei der Konsultation am 3. März 1975“ (ELAB BERLIN, 38/610). 133 Niederschrift über die erste Sitzung des Arbeitskreises „Macht und Gewalt“ am 8. 7. 1975 (LKA MÜNCHEN, 15/10–0-11, O. Nr. 5). Vgl. GREIFENSTEIN, Macht. 134 EVANGELISCHE KIRCHE IN HESSEN UND NASSAU, Herausforderung.

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freudigen rheinischen Landeskirche gelang es diesem Personenkreis erstmals 1975, eine Kreissynode dazu zu bewegen, dem Sonderfonds eigene Haushaltsmittel zuzuführen. Was folgte, war ein jahrelanger Verfassungsstreit, schließlich gestattete die Landesynode nur die Spendenfinanzierung135. Die konflikterprobten Evangelischen Akademien setzten die Lage im südlichen Afrika nun auf die eigene Agenda. Die Apartheid und die wirtschaftliche Verflechtung der Bundesrepublik mit Südafrika gerieten fortan stärker in den Fokus der Öffentlichkeit; ein nicht unwesentlicher Verdienst der Akademiearbeit. Mit ihrem Entschluss, außer schwarzen afrikanischen Theologen auch die Vertreter politischer Befreiungsbewegungen einzuladen, erregten die Akademieleiter schon im Tagungsvorfeld (bewusst) Aufsehen. Ein herausragendes Beispiel war die Veranstaltung „Verflechtung mit Südafrika“ der Evangelischen Akademie Hofgeismar im Januar 1975. Sie endete in einem Eklat, der bundesweit Schlagzeilen machte. Während der Tagung standen sich zwei Gruppen gegenüber: Auf der einen Seite ein schwarzafrikanischer Theologe, der von einer – weiter unten erläuterten – Gruppe engagierter Apartheidsgegner begleitet wurde; auf der anderen Seite ein Vielfaches an Anhängern der DeutschSüdafrikanischen Gesellschaft, die einem radikalen Gesellschaftswandel am Kap ihr beschwichtigendes Programm „Partnerschaft statt Gewalt“ entgegen stellte: weniger beschönigend auch als „Politik der getrennten Entwicklung“ bezeichnet. Nachdem der afrikanische Gast Parallelen zwischen der Situation der schwarzen Christen in Südafrika und dem „Kirchenkampf“ in der NS-Zeit gezogen hatte und dabei wiederholt durch Zwischenrufe gestört wurde, verließ er in Begleitung der Apartheidsgegner protestierend die Veranstaltung. Akademieleiter Ulrich Nembach hielt den vorzeitigen Auszug für ungerechtfertigt. Die Gruppe habe keine Bereitschaft zum Dialog gezeigt, so Nembach gegenüber dem epd. Zu Beginn der Tagung hatte sie erfolglos eine Programmänderung gefordert. Die Referentenauswahl bevorteilte ihrer Ansicht nach den Standpunkt des Apartheidregimes136. Die meisten anderen Veranstaltungen verliefen unter umgekehrten Vorzeichen, so die Sichtweise „bekenntnistreuer“, dem Apartheidsregime nahestehender Gruppen. Im März veranstaltete die Akademie Tutzing eine Tagung über das ARP „in der gegenwärtigen politischen Entwicklung Afrikas“. Helmut Matthies, Mitherausgeber des wenig später veröffentlichen ersten „Rotbuch[s] Kirche“, kritisierte, keiner der acht Referenten habe den Standpunkt Südafri135

Dazu ausführlich, SCHROER, Herausforderungen, 481–483; DERS., Sonderfonds. epd-ZA, Nr. 4 vom 7. 1. 1974, 4. Vgl. die EpdD, Nr. 18/1975, 20–30, sowie Nembachs rückblickende Betrachtung, „Ein ausgeprägter Sinn für Neues“. In: Chrismon 7 (2007), H. 11, 27–32, 29f. 136

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kas vertreten. Laut „Rheinischer Merkur“, so Matthies, habe ein „aus der ‚DDR‘ angereister“ Vertreter einer afrikanischen Befreiungsorganisation nicht nur zum „Terrorkrieg“ in Südafrika, sondern auch „zum Guerillakrieg gegen Deutsche“ aufgerufen. Der epd-Bericht zeichnete jedoch ein viel differenzierteres Veranstaltungsbild. Wie die „Evangelischen Kommentare“ später berichteten, wandte sich die Südafrika-Abteilung der Siemens AG an die südafrikanische Botschaft, um über die Vorgänge „in gewissen Organisationen“ zu protestieren. Dem Schreiben war die Kopie eines Briefes beigelegt, in dem die Pressestelle des bayerischen Landeskirchenamtes der Siemens-AG mitteilte, der Landeskirchenrat bedauere die Einseitigkeit der Tagung; sie werde „‚deshalb noch ein Nachspiel haben‘“. Matthies nannte zwei weitere Tagungen in den Evangelischen Akademien Bad Boll und Arnoldshain, bei denen die „durch Kirchensteuer getragenen“ Akademien, so Matthies, ebenfalls keine „gegensätzliche[n] Standpunkte zu Wort“ kommen ließen. Die „andersdenkende Minderheit“ habe die Bad Boller Tagung über „Die Zukunft Namibias/Südwestafrikas und die Kirchen“ vorzeitig verlassen137. Zusammen mit der Evangelischen Notgemeinschaft warfen die „Bekenntnistreuen“ den Akademieleitungen und der EKD in der Folge vor, sich auf die Seite gewaltbereiter „Terroristen“ gestellt zu haben; den epd bezichtigten sie, „Propaganda statt Information“ zu betreiben. An der Schaffung einer wirklich „kritischen Öffentlichkeit“ waren sie freilich weniger interessiert138. Dieses Ziel verfolgten die in Hofgeismar anwesenden Mitglieder der „AntiApartheid-Bewegung“ (AAB). Die Ein-Punkt-Bewegung war 1974 auf Initiative des Mainzer Arbeitskreises Südliches Afrika gegründet worden. Da sich die EKD den eigenen Forderungen, u. a. nach einem Investitionsstopp, widersetzt hatte, beschloss der Arbeitskreis, sich verstärkt der nichtkirchlichen Öffentlichkeit zuzuwenden. Über die „Mitbeteiligung der westdeutschen Gesellschaft“ an den Verhältnissen im Apartheidsstaat war man sich bewusst. Folglich, so die Ansicht, musste auch gesellschaftskritisch gewirkt werden139. Die Zusammenarbeit mit den nicht-kirchlich gebundenen, dem K-Gruppen-Milieu nahestehenden Dritte-Welt-Gruppen war für einige Mitglieder des Arbeitskreises ein Problem: Da sie sich mit gewaltbereiten Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika nicht öffentlich solidarisieren, geschweige denn identifizieren woll-

137 MATTHIES, Zerrbild; epd-ZA, Nr. 48 vom 10. 3. 1975, 5; und EvKo 9 (1976), 50. Vgl. MOTSCHMANN / MATTHIES, Rotbuch. Laut Kirchliches Jahrbuch wurde das „Rotbuch“ „von einflußreichen Kreisen gefördert (z. B. in Springer-Zeitungen abgedruckt), so daß es binnen kurzem zigtausendfach verbreitet war“ (HAUSCHILD, Grundfragen, 87). 138 Vgl. IDEA, Nr. 43 vom 6. 10. 1975, 2–3; MOTSCHMANN, Pressedienst. 139 Zit. n. BACIA / LEDIG, Früchte, 22. Vgl. oben Kap. 4.3.

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ten, brachen sie ihre Mitarbeit in der AAB frühzeitig ab140. Im Vorfeld der AAB-Gründung wandte sich der Friedensforscher und Anhänger der Gewaltfreien Aktion Wolfgang Sternstein an die Mainzer: Er begrüßte zwar den „Versuch, aus dem kirchlichen Getto herauszukommen“, wies zugleich aber auf den „Mangel an – sagen wir Vertrautheit mit der politischen Landschaft und dem politischen Geschäft überhaupt“ hin. Die geplante AAB würde „von ihrer Zielsetzung und ihrem Charakter her eine große Anziehungskraft auf jene linken Gruppen in der BRD“ ausüben, „die ebenfalls im bewaffneten Kampf das einzige Mittel sehen, so ehrenwerte Ziele wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Menschenrechte zu verwirklichen.“ Sternstein teilte die Sorge, die „radikale bundesrepublikanische Linke“ könnte in der künftigen AAB „das Heft in die Hand nehmen“. Der Mainzer Arbeitskreis würde nicht hinausgeworfen, sondern „als Aushängeschild zur Werbung in den Kreisen der Kirchen und der linken Mitte“ benutzt141. Sternsteins Befürchtungen sollten sich z. T. bewahrheiten. Wenige Wochen nach der Gründung entbrannte im Vorstand ein Streit über das politische Selbstverständnis der AAB. Dementsprechend unterschiedlich fiel auch die Beurteilung der Befreiungsbewegungen aus. Die Kontakte zu den verschiedenen Organisationen und die Auseinandersetzung mit deren Strategie- und Zielvorstellungen sollten sich zu einem nahezu alles bestimmenden Thema entwickeln142. Laut Theodor Ebert hätte die AAB eine gewaltfreie Strategie „nur verfolgen können, wenn sie in erster Linie auf die kirchliche Partnerschaftsarbeit gesetzt hätte.“143 Die EKD stand sowohl der AAB als auch der Informationsstelle Südliches Afrika, mit der die AAB eng kooperierte, misstrauisch gegenüber144. Die Öffentlichkeitsarbeit der Informationsstelle wurde zwar begrüßt – anfangs auch vom Rat –, jedoch zeigten sich Vorbehalte gegenüber ihrer politischen Ausrichtung. So verhinderte Richard von Weizsäcker im ÖRK-Exekutivkomitee, dass beide Vereinigungen finanzielle Zuweisungen aus dem ARP-Sonderfonds erhielten. Ein anschließendes Gespräch mit Vertretern der EKD, darunter Kurt Scharf, verhärtete die Fronten145. Wochen später nahm die AAB am 140

HERMANN, Apartheid, 64. Offen bleibt, welche Rolle die ESG in der AAB spielte. Vgl. Die Frage könnte anhand einer Auswertung des Duisburger Archivs für alternatives Schrifttum beantwortet werden. Dort lagert der gesamte Aktenbestand der 1994 aufgelösten AAB. 141 Zit. n. BACIA / LEDIG, Früchte, 25f. 142 EBD., 34–36 u. 171. 143 So der Wortlaut der wohl unveröffentlichten Rezension „Von den Mühen der Solidarität“ von BACIA / LEDIG, Früchte, die Ebert dem Verfasser [A. C. W.] freundlicherweise zur Verfügung stellte. 144 Die Informationsstelle war 1971 in Bonn gegründet worden. Ihre Veröffentlichungen waren von einem neomarxistischen Ansatz geprägt. Vgl. HERMANN, Apartheid, 64f. 145 „Genf bewilligt Rekordsumme“. In: BSBl, Nr. 17 vom 27. 4. 1975, 2; HERMANN, Apart-

EBD.

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DEKT in Frankfurt teil. Mit einem Infostand beteiligte sie sich am „Markt der Möglichkeiten“. In der Arbeitsgruppe „Menschen zwischen Macht und Ohnmacht“, die auch Bundeskanzler Schmidt besuchte, brachte sie eine Resolution ein, die die Bundesregierung dazu aufforderte, ihre militärische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit dem Apartheidsregime einzustellen und das Konsulat im südafrikanisch verwalteten Namibia zu schließen. Dort führte die linksgerichtete – und mit Sonderfonds-Mitteln unterstützte – South West Africa People’s Organization (SWAPO) einen Guerillakrieg gegen die südafrikanische Armee. Damit, so der Bericht im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“, war die Gewaltfrage auch beim Kirchentag „auf dem Tisch“146. Im September gelangten Dokumente an die Öffentlichkeit, die die nukleare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der Republik Südafrika belegten. Die AAB geriet in den Verdacht, das vom südafrikanischen ANC zunächst veröffentlichte Material aus der südafrikanischen Botschaft in Bonn entwendet zu haben. Der Vorwurf, die AAB stehe in Diensten Moskaus erhielt weiter Nahrung147. Die Enthüllung brachte nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EKD in Verlegenheit. Südafrika hatte den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet. Nur wenige Wochen vor Beginn der Fünften Vollversammlung des ÖRK in Nairobi erhielt die EKD ein Fernschreiben der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz. Letztere fürchtete, durch die „Enthüllungen“ könne es zu einer „höchst gefährlichen Eskalation des Rassenkonfliktes“ und zu einem „offenen Kernwaffenkrieg“ kommen. Man wisse, „dass Ihre Kirchen unsere Unterstützung für die Befreiungsbewegungen entschieden ablehnen mit der Begründung, dass sie gegen jede Gewaltanwendung und jeden Militarismus seien“. Die EKD wurde deshalb aufgefordert, Druck auf die Bundesregierung und deutsche Firmen auszuüben. Pretoria solle nicht in die Lage versetzt werden, „den ganzen afrikanischen Kontinent und den Weltfrieden“ zu bedrohen. Fünf Tage später antwortete der Ratsvorsitzender Class brüsk: Da man „keine Begründung für Ihre ungewöhnlich weitreichenden Vorhalte“ habe finden können, weise man diese zurück und bitte darum, sie „nicht mehr zu wiederholen.“148 Um die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen, heid, 69; BACIA / LEDIG, Früchte, 41; und Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 23. / 24. 5. 1975 (EZA BERLIN, 2/1782). 146 BACIA / LEDIG, Früchte, 42; GLOSSNER, Macht. Zum „Markt der Möglichkeiten“ und der Frage, ob der Kirchentag damit zu einer Neuen Sozialen Bewegung wurde, SCHROETER-WITTKE, Kirchentag, 219–222. 147 Bis heute ist unklar, wie die Dokumente in den Besitz des ANC gelangten. Hinter der Operation steckten vermutlich östliche Geheimdienste, BACIA / LEDIG, Früchte, 62f.; HERMANN, Apartheid, 65. 148 Im Newsletter des Gesamtafrikanischen Kirchenrates wurde Class’ „emotional tone and insulting context“ beklagt (zit. n. HERMANN, Apartheid, 96).

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gab die EKD-Delegation zu Beginn der ÖRK-Vollversammlung am 23. November eine Erklärung heraus: Die EKD teile die Befürchtungen ihrer afrikanischen Schwesterkirchen und werde daher alles in ihrer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass eine nukleare Kooperation „in direkter und indirekter Weise zum Aufbau nuklearer Waffensysteme in Afrika beiträgt“149. Eine Konsultation von EKD und Gesamtafrikanischer Kirchenkonferenz sollte Letztere weiter verärgern. Nach den zweitägigen Gesprächen in der Akademie Arnoldshain gab sich die EKD-Delegation im Mai 1976 davon überzeugt, „die Weitergabe nuklearer Technologie“ diene nur „friedlichen Zwecken“; die Bundesregierung unterhalte „keine unmittelbare“ Zusammenarbeit mit Südafrika150. In einem Brief an Hans Hirschmann, Vorsitzender der Siemens-Tochter Kraftwerkunion, betonte Class, man habe diese Position „bis an den Rand des Scheiterns der Konferenz durchgehalten.“ Hirschmann hatte sich zuvor an ihn gewandt, um „Mißverständnisse aufzuklären“, die die Kirche „offensichtlich [. . .] immer wieder“ dazu veranlassten, vor Lieferungen nuklearer Anlagen zu warnen. Wegen Äußerungen von dritter Seite habe sein Unternehmen keinen Zuschlag erhalten. Durch ungeklärte Umstände gelangte der Briefwechsel Ende 1976 an die Öffentlichkeit. Neben der AAB und der 1975 gegründeten „Pro Oekumene-Initiative in Württemberg“151 empörte sich auch der aus der Studentenbewegung hervorgegangene „Berliner Extra-Dienst“ über den „Eiertanz“ des Landesbischofs. Besonders umstritten war der erste – oft verkürzt zitierte – Absatz, in dem Class die Haltung der EKD zur Lage im südlichen Afrika skizzierte: Freilich wisse man, „daß das Programm der getrennten Entwicklung Südafrika aus seinem großen Dilemma herausführen soll. Aber wir sind der festen Überzeugung, daß es nicht tief genug greift und nach wie vor einseitig an den Interessen der Weißen orientiert ist. Vor allem ist dieses Programm einem Wettlauf mit der Weltmeinung, mit der Dynamik der Entwicklung in ganz Afrika mit dem Gewicht der humanitären Menschenrechtsidee und mit den Interessen der östlichen Weltmacht nicht gewachsen. Je mehr und je länger sich die südafrikanische Regierung gegen die Erkenntnisse

149 Zit. n. HOHNSBEIN, Eindrücke, 20. Die Erklärung wurde von Kirchenpräsident Hild und Heinz Joachim Held, dem Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes der EKD, unterzeichnet. 150 Zit. n. HERMANN, Apartheid, 97. Vgl. EpdD, Nr. 23a/1976. Unter Theologiestudenten wurde dies anders gesehen. Vgl. den an Class gerichteten offenen Brief von Mitgliedern des renommierten Evangelischen Stifts Tübingen vom 7. 5. 1976 (AES TÜBINGEN, R2 4/8). 151 Die Initiative verstand sich als Gegengewicht zu dem pietistisch-konservativen „Synodalgesprächskreis Lebendige Gemeinde“, dessen Ziel es war, die Mitgliedschaft der württembergischen Landeskirche im ÖRK ruhen zu lassen bzw. ganz aus dem ÖRK auszutreten. Zu den eigentlichen Auseinandersetzungen, HERMLE, Lied. Vgl. auch HERMANN, Apartheid, 131; GRÜNZWEIG, Ludwig-Hofacker-Vereinigung, 82f.

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wehrt, einen gründlichen Kurswechsel vornehmen zu müssen, desto größer muß die unausbleibende Katastrophe werden, zum Scheitern der ganzen Welt.“152

Wegen der Nuklear-Affäre hatte die ÖRK-Vollversammlung für die EKDDelegierten denkbar schlecht begonnen. Es ging das Gerücht um, die afrikanischen Delegationen hätten erwogen, den Ausschluss der Westdeutschen zu beantragen153. Schon im Vorfeld wurde befürchtet, die im „Bann der politischen Befreiungsbestrebungen der Dritten Welt“ stehende Konferenz würde sich zum Tribunal über die Vertreter der Kirchen aus der westlichen Welt entwickeln. Rückblickend konstatierte Helmut Hild jedoch „mehr Gemeinsamkeit als erwartet“154. Die „Bekenntnistreuen“ sahen dies freilich anders155. Die Losung „Nächstenliebe als Klassenkampfparole“ ging von Nairobi ebenso wenig aus wie der Versuch, die „konkrete Utopie“ einer Beseitigung des Rassismus geschichtstheologisch zu überhöhen156. Auch die revolutionäre Gewaltanwendung erhielt nicht die befürchtete Absolution. Allerdings scheiterte der Zusatzantrag des als Apartheidsgegner bekannten Anglikaners Philip Russell, dem späteren Erzbischof von Kapstadt, Zuwendungen aus dem Sonderfonds auf jene Organisationen zu beschränken, die „nicht erwarten lassen, dass sie schwere Schäden oder menschliche Verluste verursachen.“ Der Antrag wurde mit etwa 330 gegen 60 Stimmen bei etlichen Enthaltungen abgelehnt. Während die lutherischen Bischöfe Hübner, Wölber und Hans-Heinrich Harms, Bischof von Oldenburg, den Antrag unterstützten, stimmte Kirchenpräsident Hild dagegen. Im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ stand, „nur einer“ der 27 EKD-Delegierten habe gegen das gesamte ARP votiert157. Auch die „wachsende Rolle“ der Menschenrechte wurde positiv hervorgehoben. Damit habe sich „ein alter Wunsch der Deutschen“ durchgesetzt. In der „Zeit“ wurde die – vorsichtiger formulierte – Hoffnung ausgesprochen, dass es in Zukunft keine ökumenischen „Zonen des Schweigens“ mehr geben werde158. Vor dem Hintergrund der KSZE-Schlussakte von Helsinki gab es in

152

Brief Hirschmann an Class vom 26. 5. 1976 sowie dessen – von Wilkens verfasste – Antwort vom 9. 7. 1976 (EZA BERLIN, 81/4/131). Vgl. HERMANN, Apartheid, 97–100; WILLEMS, Entwicklung, 262. Zum Artikel des „Berliner Extra-Dienstes“, Brief Wilkens’ an Cornelius von Heyl vom 19. 11. 1976 (EZA BERLIN, 81/4/131). 153 LOCHMAN, Kampf, 218. 154 HILD, Nairobi, 90. Zu den Erwartungen, vgl. die Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 23. / 24. 5. 1975 (EZA BERLIN, 2/1782). 155 BOCKMÜHL, Jesus; HILLE, Zusammenfassung. 156 VENZKY, Flucht; KRÜGER, Bericht, 243. 157 EBD., 72f.; NEWBIGIN, Nairobi, 157; HOHNSBEIN, Eindrücke, 21; und KORTZFLEISCH, Fonds. 158 EBD.; VENZKY, Flucht.

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Nairobi mehrere Initiativen, die Ostblockstaaten an den selbst verpflichtenden Charakter von Korb III zu erinnern. Aus Rücksicht gegenüber der RussischOrthodoxen Kirche wurde nach langer Diskussion von dem Antrag Abstand genommen, die Sowjetunion wegen Missachtung der Religionsfreiheit zu verurteilen159. Bereits in St. Pölten war das Recht auf Religionsfreiheit nur unter Vorbehalten in den dort entworfenen Basiskatalog an Menschenrechten aufgenommen worden. Es musste mit dem letzten Platz vorlieb nehmen, schließlich, so der Einwand vieler Teilnehmer, könne es vom Westen „missbraucht“ werden. Die sozialen Menschenrechte wurden dagegen zentral platziert. Den Missbrauchsvorwurf machten nun die russisch-orthodoxen Delegierten in Nairobi geltend; gleichzeitig unterstrichen sie die Bedeutung des ARP. Nach Informationen des Staatssekretariats für Kirchenfragen verkündete Moritz Mitzenheim, von 1945 bis 1970 thüringischer Landesbischof, eine Missachtung der Menschenrechte sei in den sozialistischen Staaten „nicht gegeben“. Auf „dieser Ebene“ gebe es „zwischen Kirche und Staat keine Differenzen“160. Zu den – später jedoch stark relativierten – „Lernprozesse[n]“ von Nairobi zählte eine kritischere Sicht auf den Sonderfonds. Laut einem Kommentar der „Zeit“ wuchsen „Zweifel, ob Befreiungsbewegungen auch wirklich Befreiung bringen, ob sie nicht bloß neue Abhängigkeiten und neue Unterdrückung schaffen.“161 Der unter kubanischer und südafrikanischer Beteiligung geführte Bürgerkrieg in Angola stimmte auch die afrikanischen Delegationen nachdenklich, denn in diesem Konflikt spielte die Hautfarbe keine wesentliche Rolle. So würdigte „Christ und Welt“ die Einsicht des ÖRK, endlich auch den „schwarzen“ Rassismus erkannt zu haben162. Der EKD standen dennoch neue Konflikte bevor. Eine Art Vorgeschmack lieferte der folgende, in „Christ und Welt“ veröffentlichte Leserbrief: „Der Weltkirchenrat und wir als seine Gliedkirche sind bereits mitschuldig durch die Unterstützung der kommunistischen ‚Befreiungsbewegungen‘ an dem Chaos in

159

NEWBIGIN, Nairobi, 157f.; HOHNSBEIN, Eindrücke, 20. Rat und Kirchenkonferenz der EKD begrüßten dennoch den Beschluss der Vollversammlung, „der Durchführung der Menschenrechte“ in den Signaturstaaten der Schlussakte „besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden“. Auszug aus dem Kommuniqué der gemeinsamen Sitzung vom 18. bis 20. 12. 1975 (zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 253). 160 Zit. n. RICHTER, Protestantismus, 427. Zu St. Pölten, EBD., 423; EpdD, Nr. 5/1975, 44. Vgl. dazu die – auf das ARP gerichtete – Stellungnahme des EKD-Außenamtes und den Bericht der ostdeutschen Teilnehmer der ÖRK-Konsultation, EBD., 5f. bzw. LINGNER, Kirchen [1974], 501f. 161 REIN, Heil. 162 „Die Ökumene ist unregierbar“. In: ChrWelt, Nr. 52 vom 19. 12. 1975, 20. Vgl. LOCHMANN, Kampf.

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Angola, an dem Tod von zirka 60 000 Menschen. [. . .] Wenn es unseren Delegierten in Nairobi jetzt nicht gelingt, den Weltkirchenrat von der Unterstützung weiterer Gewaltanwendungen abzuhalten, sollte die EKD ihm die Finanzen sperren, oder besser, aus ihm austreten.“163

Der Chefredakteur der „Evangelischen Kommentare“ fragte, ob durch den Bürgerkrieg zwischen drei Befreiungsbewegungen nicht auch das gesamte ARP diskreditiert sei, schließlich erhielten die sich nun gegenseitig bekämpfenden Organisationen Mittel aus dem Sonderfonds164. Nach dem vorläufigen Sieg der von Kuba unterstützten Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA) und dem südafrikanischen Rückzug titelte „Der Spiegel“ „Wird Afrika rot?“165. Durch den Wegfall der Kolonialmacht Portugal sah sich das Apartheidsregime von den Befreiungsbewegungen in Angola, Namibia und Rhodesien unmittelbar bedrängt. Die mit sowjetischen Waffen geführten Guerilla-Attacken mehrten sich; die zivilen Opfer waren unterschiedlicher Hautfarbe. Nach dem Ende des Vietnamkriegs galt das geostrategische Augenmerk nunmehr dem „Kap ohne gute Hoffnung“166. Der in der NATO befürchtete Dominoeffekt spiegelte sich in der westdeutschen Auseinandersetzung um das ARP wider. In den evangelischen Medien entbrannte eine unter ideologischen Vorzeichen geführte Debatte über die Motive und Methoden der mit Sonderfonds-Mitteln geförderten „Befreiungsbewegungen“167, v. a. über diejenigen der SWAPO. Die Sorge um die Unversehrtheit der deutschsprachigen Bevölkerung in Namibia, einschließlich ihrer lutherischen Kirchengemeinden, sorgte vor dem Hintergrund der kolonialen Erblast im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika für besonders emotionale Diskussionen168. Nach der brutalen Niederschlagung des Soweto-Aufstandes im Juni 1976 standen die Zeichen auf Sturm. Die Ausbildungslager des militärischen Arms

163

WEITZEL, [Leserbrief]. JANOWSKI, Verlegenheit. Vgl. „Gotteslose Versklavung“. In: Der Spiegel, Nr. 6 vom 6. 2. 1976, 90. 165 „Wird Afrika rot? Castros Legionäre“. In: Der Spiegel, Nr. 12 vom 15. 3. 1976. 166 OBERMAN, Kap. 167 Zur Auseinandersetzung über die Gewalt-Eskalation in Rhodesien, SEIZ, Gewalt; TOELLE, Weißen. 168 GROTH, Ringen; SANDER, Hoffnung. Vgl. die Titelgeschichte „Südwestafrika. Die Deutschen müssen raus!“. In: Der Spiegel, Nr. 45 vom 1. 11. 1976. Zur evangelikalen Kritik an der „Namibia-Woche“, die die AGEJD zusammen mit dem Bund der Katholischen Jugend bereits im Vorjahr durchgeführt hatte, MOTSCHMANN, Namibia-Woche; epd-ZA, Nr. 205 vom 23. 10. 1975, 5. Zur SWAPO aus heutiger Sicht, „Falsche Helden“. In: Der Spiegel, Nr. 43 vom 22. 10. 2007, 155. 164

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des ANC füllten sich rasch mit jugendlichen Flüchtlingen, und der Glaube an eine gewaltfreie Überwindung der Apartheid schwand weiter. Den südafrikanischen Kirchen bereitete die Parole „Mit Gewalt zur Gerechtigkeit“ schwere Gewissenskonflikte169. In der Bundesrepublik erregte der Besuch von Premier Balthazar Vorster einen Sturm der Entrüstung – mit Ausnahme der evangelikalen Bewegung auch in kirchlichen Kreisen170. Die EKD wurde aufgerufen, ihre Haltung in der Frage wirtschaftlicher Investitionen in Südafrika zu revidieren171. Angesichts der gegensätzlichen Berichte von Gottfried Wellmer und Eberhard Müller zum Verlauf der Firmengespräche172 empfahl der Rat der Synode, sich erst nach Fertigstellung der Investitionsstudie des SACC festzulegen. Der staatlicherseits bedrängte Südafrikanische Kirchenrat hatte die Untersuchung als Reaktion auf den Soweto-Aufstand in Auftrag gegeben. Die EKD reagierte unsicher, schließlich gab das mit ihr ebenfalls kooperierende CISA seine jahrelange Befürwortung von Investitionen auf. Obwohl es sich stets für einen evolutionären Wandel in Südafrika stark gemacht hatte, war das Institut bereits im Vorjahr von der Regierung Vorster zur staatsgefährdenden Organisation erklärt worden. Wegen der damit verbotenen Einfuhr ausländischer Geldmittel geriet das CISA nun in akute Existenznot. Dazu hieß es in den „Lutherischen Monatsheften“, Pretoria lege anscheinend „keinen Wert mehr auf gewaltfreie Gesellschaftsveränderungen“173.

5.2.2 „Gegen falsche Solidarisierung“ Am 7. April 1977 ermordete ein RAF-Kommando Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter. Vier Wochen später gelang es der Singener Polizei, die RAF-Mitglieder Verena Becker und Günter Sonnenberg festzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt galt Letzterer als der mutmaßliche Attentäter im 169 VENZKY, Gewalt. Zum Aufstand, HERMANN, Apatheid, 154–160. Vgl. „Es gibt Grenzen für das, was ein Volk ertragen kann“. In: DASBl, Nr. 26 vom 27. 6. 1976, 10; KLEINSCHMIDT, Feuer. 170 JK 37 (1976), 401. Vgl. die „Spiegel“-Ausgabe Nr. 27 vom 28. 6. 1976. Im IDEA gedachte man vielmehr dem zehnjährigen Jubiläum der Genfer Weltkonferenz, denn: „Je lauter die Welt unter den Todessalven des Terrorismus aufschreit, um so stiller wird es um eine fromme These, die dem Schrecken den Weg ebnen half: Die Theologie der Revolution.“ (KASTELAN, Theologie). 171 GROHS, Investitionen. 172 Der Vorsitzende der Kammer für soziale Ordnung der EKD lehnte die im September vorgelegten Empfehlungen der Wellmer-Studie ab. In seiner alternativen Stellungnahme hielt Müller „wirtschaftliche Boykottmaßnahmen“ eher dafür geeignet, das Apartheidsystem zu zementieren, „statt es abzubauen“ (zit. n. HERMANN, Apartheid, 228). Vgl. oben 361f. 173 JEZIOROWSKI, Rassenpolitik, 396; WILLIAMSON, Kirche, 294f.

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Fall Buback. Ohne Vorwarnung eröffnete er das Feuer auf die Beamten, von denen er mehrere schwer verletzte. Sonnenberg erlitt schließlich selbst einen Kopf-, Becker einen Beinschuss. Der Festgenommene wurde in die Tübinger Universitätsklinik eingeliefert174. Zwei Wochen später, am 16. Mai, übermittelte der dortige Fachschaftsrat Evangelische Theologie eine mit Blumen versehene Grußbotschaft an Sonnenberg. Die insgesamt 28 Theologiestudenten teilten ihm mit: „Lieber Günther Sonnenberg, Du bist hier nach Tübingen gebracht worden, wo wir in der Fachschaft ev. Theologie in der politischen Auseinandersetzung mit den Kräften stehen, mit denen auch Du zu tun hast. Wir suchen darin vermutlich andere Formen als Du (lehnen z. B. tötende Gewalt im Kampf um eine bessere Form des Zusammenlebens ab). Wir wünschen Dir und uns, daß wir in nicht allzuferner Zukunft in einer Gesellschaft leben, in der Entfremdung aufgehoben, Haß und Gewalt überflüssig, Solidarität und Zärtlichkeit die menschlichen Umgangsformen sein werden. Übrigens wünschen wir das auch den Polizisten, die dann allerdings nicht mehr notwendig sein werden. Mit besten Genesungswünschen!“

Der Brief entfachte bundesweit eine Welle der Empörung175. Nach den Mitbewohnern des Tübinger Stifts distanzierte sich auch die Fachschaftsvollversammlung von den Äußerungen: d. h. im Namen der 1.200 Tübinger Theologiestudenten. Die Resolution wurde allerdings nur mit einer knappen Mehrheit verabschiedet. Es folgten Solidaritätsbekundungen an vielen Universitäten176. Der bayerische Landeskirchenrat verkündete, die Theologiestudenten „seiner Landeskirche“ lehnten „politischen Terror, Mord und Gewalt entschieden“ ab177. Die Debatte um den Sonnenberg-Brief stand im Zeichen der „MescaleroAffäre“. Am 25. April war in der Göttinger AStA-Zeitung der sogenannte Buback-Nachruf erschienen. Ein anonymer Student hatte darin seine „unmittelbare reaktion“ auf den „abschuß von buback“ als „klammheimliche freude“ charakterisiert. Im Textverlauf wurde diese erste Reaktion stark relativiert; er endete mit einer Absage an jede „strategie der liquidierung“. Der aus dem Umfeld der undogmatisch-spontaneistischen Linken kommende Text beinhaltete kritische Anfragen sowohl an die orthodoxen K-Gruppen als auch an das 174 „Dritte Generation“. In: Der Spiegel, Nr. 20 vom 9. 5. 1977, 30–32. Aus heutiger Sicht, MINKMAR, Erkenntnis. 175 Zit. n. EpdD, Nr. 33a/1977, 3. Zu den Reaktionen (in der Presse), EBD. 176 EBD., 6f.; Erklärung der Studenten und Mitarbeiter des Evangelischen Stifts vom 17. 5. 1977 (AES TÜBINGEN, 640, 3). Zu den Solidaritätsbekundungen, vgl. die Flugblattsammlung, KLEIN, Studentengemeinden. 177 PFLÄSTERER, Sturm, Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]; EpdD, Nr. 33a/1977, 8.

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Vorgehen der für elitär empfundenen RAF. Die Parallelen zum SonnenbergBrief sind unverkennbar: „Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), [. . .] dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: zur Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden.“

Die Situation in der Bundesrepublik sei mit der staatlichen Unterdrückung in Argentinien und Spanien jedenfalls nicht vergleichbar. Die Liquidierungspolitik der RAF entspreche vielmehr der „Strategie der Herrschenden“; ihr fehle die sozialrevolutionäre Perspektive, die Verankerung „im Volk“178. Die westdeutsche Öffentlichkeit erkannte die eigentliche Intention von „Mescaleros“ Botschaft freilich nicht. Auch wegen seiner selektiven Wiedergabe in den Medien wurde der „Nachruf“ als Aufruf zum Terrorismus gewertet. Eine grundsätzliche Gewaltabsage beinhaltete er nicht. Die Universitäten rückten fortan als das Milieu der „Klammheimlichen“ in den Fokus von Ermittlungsbehörden und Politik. Für Aufsehen sorgte der Bundeskongress Evangelischer Theologiestudenten, der Mitte Mai in Göttingen stattfand. Die Veranstaltung tagte über „Freiheit durch Widerstand“ und endete mit einer Solidaritätsbekundung für „Mescalero“. In der FAZ wurde hierzu kritisch gefragt, „welch Geistes Kinder“ Theologiestudenten, Vikare, Pfarrer und Hochschullehrer eigentlich seien, „die diese Haltung einnehmen?“179 Bereits vor „Mescalero“ und dem Sonnenberg-Brief waren die evangelischen Kirchen in die Schlagzeilen geraten. „Bild“ zitierte Inge Buback, die Witwe des Ermordeten: Die evangelische Kirche habe „viel Schuld an der Entwicklung“. So kämen aus der Evangelischen Akademie Hamburg „Worte, die den blanken Kommunismus-Marxismus“ predigten180. Bubacks Tod beschäftigte auch das Referentenkollegium der EKD-Kirchenkanzlei. In einer dem Rat zugeleiteten Gesprächszusammenfassung hieß es, „der erhebliche Anteil an Extremisten, die aus der evangelischen Jugendarbeit hervorgegangen sind“, gebe zu denken. Sie 178 Zit. n. SPILLER, Sympathisant, 1234f. Vgl. MUSOLFF, Bürgerkriegs-Szenario, 1179; BALZ, Terroristen, 101. 179 TEERSTEGEN, Gottesmänner. Bischof Lohse verurteilte die Beschlüsse der rund 350 Teilnehmer zählenden Veranstaltung. Vgl. die Presseausschnittsammlung (EZA BERLIN, 650/284). 180 VOSS, Witwe. Im Brief an Joachim Ziegenrücker, dem damit angesprochenen Akademieleiter, bedankte sich Inge Buback für dessen Anteilnahme. Ihm gegenüber bereute sie, sich auf das „Bild“-Interview eingelassen zu haben. In dem Artikel sei „manches“ falsch wiedergegeben worden. Das oben Zitierte stimme „wenigstens dem Sinn nach“. Die Marxismus-Affinität „junge[r] angehende[r] Geistliche[r]“ gebe ihr jedenfalls Rätsel auf. Buback beschrieb sich als eine aus der DDR stammende gläubige Christin. Kopie des Briefs von Inge Buback an Joachim Ziegenrücker vom 27. 4. 1977 (EZA BERLIN, 650/284).

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seien „darin bestärkt worden, sich ganz an eine Sache hinzugeben, keine faulen Kompromisse zu schließen“181 Der Stuttgarter Pfarrer Wolfgang Borowsky hatte zuvor behauptet, die RAF sei durch „ein ihnen günstiges Klima in den Kirchen gestärkt“ worden. In einem – auch als Flugblatt vertriebenen – offenen Brief „an die Kirchen in der Bundesrepublik“ erklärte der ARP-Kritiker, kirchliche Distanzierungsversuche überzeugten nicht, „wenn mit kirchlichen Geldern entsprechende Gruppen in Übersee unterstützt werden“. Die EKDKirchenkanzlei widersprach umgehend dem „unverantwortlich[en]“ Vergleich182. Zum Sonnenberg-Brief erklärte die württembergische Kirchenleitung vor der Landessynode, die Grußaktion habe Vertrauen gegenüber der Kirche zerstört. In einer schriftlichen Stellungnahme betonte Class als EKD-Ratsvorsitzender, Äußerungen einzelner Studenten könnten nicht der Kirche als Ganzer angelastet werden. Die Kirche sei von der Verantwortung für ihre künftigen Pfarrer aber nicht entbunden. Die Gesellschaft müsse darauf hinwirken, dass die „gesamte junge Generation ein Ja zu unserem sozialen Rechtsstaat finden kann“183. Die Württemberger Kirchenleitung fragte ihre Theologiestudenten, ob angesichts der emotionalen Spannungen in der Bevölkerung es nicht gerade Aufgabe des Christen sei, Ängste abzubauen, anstatt diese zu vermehren184. Die Tübinger Briefschreiber hatten nämlich im Nachhinein erklärt, es sei ihre Absicht gewesen, gegen die „wieder aufflammende Forderung nach Todesstrafe und Lynchjustiz ein Zeichen zu setzen“ und darauf aufmerksam zu machen, dass es dringend notwendig sei, „öffentlich über Ursachen und Beweggründe des Terrorismus zu diskutieren“185. Diese Art der Zeichensetzung wurde in den evangelischen Medien relativ nüchtern kommentiert; Kontroversen wie im „Radius“ blieben die Ausnahme186. Eberhard Stammler kritisierte die „schlichte Einfalt“ der zugrunde gelegten Situationsanalyse: „Weil in der ‚Bild‘-Zeitung dem verwundeten Sonnenberg der Tod gewünscht wurde, sahen sie schon die ganze Bundesrepublik unter dem Gespenst der Lynchjustiz.“ In den „Lutherischen Monatsheften“ hieß es: „Der Verlust von Realität und Rationalität bei den Studenten ist gefährlich, nicht minder gefährlich ist 181

„Mord an Buback – Attentat gegen den Rechtsstaat“, verfasst von OKR Rüdiger Schloz, Referent für Studien- und Planungsfragen, 19. 4. 1977 (EZA BERLIN, 2/8561). 182 epd-ZA, Nr. 72 vom 14. 4. 1977, 4; JK 38 (1977), 394. Das Flugblatt trug den Titel „Schluß mit der Unterstützung des Internationalen Terrorismus!“ (KLEIN, Studentengemeinden, o. S.). Vgl. BOROWSKY, Brief. 183 epd-ZA, Nr. 107 vom 6. 6. 1977, 4; epd-ZA, Nr. 101 vom 26. 5. 1977, 3. 184 Rundbrief an die württembergischen Theologiestudenten vom 23. 6. 1977 (AES TÜBINGEN, R2 5/2). 185 Zit. n. KEIL, Verlust. 186 KEHRER, Zeichen; SCHMIDHÄUSER, Nachtrag.

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aber die Reaktion der Öffentlichkeit, die eine unheimliche Angst verrät.“ So warnte Ludwig Raiser, den freiheitlichen Rechtsstaat „nicht selbst Schritt für Schritt zu entwerten, weil wir meinen, der Gewalttätigkeit des erklärten Gegners des Rechtsstaates nur mit struktureller Gewalt begegnen zu können. Gewiß gehört es zu den unabdingbaren Aufgaben des Staates, Leben und Freiheit seiner Bürger zu schützen und dem Bösen zu wehren. Was lutherische Tradition, gestützt auf Römer 13, dazu sagt, soll nicht zurück genommen werden. Aber wie wichtig die rechtsstaatlichen Garantien auch bei der Erfüllung dieser Staatsaufgabe bleiben, lehrt ein Blick auf die Weltsituation. In allen Kontinenten mehren sich die Staaten, in denen das Postulat der inneren Sicherheit dazu herhalten muß, Diktaturen zu rechtfertigen.“187

Der Kommentar der „Zeit“ betonte, der Sonnenberg-Brief sei weder „Ausweis politischer Klugheit“ noch ein bloßer „Dummejungenstreich“. Dennoch gelte der Voltairesche Ausspruch: „Ich verabscheue deine Überzeugung, aber ich werde bis zum Äußersten kämpfen, damit du sie äußern kannst.“188 Die Tübinger ESG sah in ihrer Stellungnahme zum Sonnenberg-Brief einen gefährlichen Drahtseilakt. Intern wurde befürchtet, das Papier könne der Gemeinde gar „den Kopf“ kosten189. Der Hintergrund war folgender: Auf Initiative der pietistischen Mehrheitsfraktion „Lebendige Gemeinde“ hatte die württembergische Landessynode die ESG Ende November 1976 aufgefordert, ihren Arbeitskreises „Christen für den Sozialismus“ einzustellen. Die ESG müsste ansonsten mit finanziellen Einbußen rechnen. Die Studentengemeinde widersetzte sich der Forderung und erklärte, sie freue sich, dass, „wie uns immer wieder versichert wurde“, „auch die württ. Landessynode eine Auseinandersetzung mit dem Sozialismus für nötig hält. Eine Auseinandersetzung erfordert jedoch, daß darin verschiedene Standpunkte zugelassen sind. Einer davon ist der der Landessynode, die die Propagierung der marx.-len. Ideologie für unvereinbar mit dem Auftrag der Kirche hält, behauptet, daß die CfS eben diese propagiert und sonst nichts gelten läßt. Ein anderer, der der CfS Tübingen, die sich [. . .] als Christen verstehen, die aus ihrem Glauben sozialistische Konsequenzen gezogen haben. Die von der Landessynode und uns befürwortete Auseinandersetzung wird allerdings zur Farce geraten, sollte die Synode im Herbst versuchen, durch eine Streichung der Gelder die gesamte Arbeit der ESG aufzulösen, weil sie sich damit das Recht herausnimmt, das Selbstverständnis von Christen besser beurteilen zu können als diese selbst.“190

187

KEHRER, Zeichen; STAMMLER, Bestürzung; und RAISER, Freiheit, 328. „Blumen für Sonnenberg“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „H.J.K.“]. In: Die Zeit, Nr. 24 vom 3. 6. 1977, 6. 189 Handschriftliches „Protokoll des Sonder-GR am 26. 5. 1977“ (AESG TÜBINGEN, O. GR). 190 ESG Tübingen, Programm für das Sommersemester 1977, 16f. (AESG TÜBINGEN, O. 188

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Westdeutsche Kontroversen über „Befreiung“ und „Solidarität“

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Die ESG widersprach dem Vorwurf, die CfS sei verfassungsfeindlich. Irrig sei ferner, anzunehmen, die internationale Bewegung rufe „verantwortungslos und rücksichtslos“ zu Gewalt auf. Eine solche Unterstellung gehe „an den geschichtlichen Realitäten“ vorbei. Als „beispielhaft“ wurde „hier nur auf den Lebenslauf von Camillo Torres und auf die Politik der südafrikanischen Befreiungsbewegungen“ verwiesen191. Interpretationsspielraum gewährten auch die Raumvergabekriterien der Tübinger ESG: Es müsse geprüft werden, „ob bei der Veranstaltung mit Blick auf Veranstalter oder die Thematik der begründete Verdacht besteht, daß Gewalt verherrlicht oder die Arbeit für die Verwirklichung von Friede, Gerechtigkeit und Menschenwürde verächtlich gemacht oder erschwert werden soll.“192 Während der laufenden Gespräche mit Kirchenleitung und Landessynode veröffentlichte die ESG Anfang Juni ihre Stellungnahme zum SonnenbergBrief: Aufgrund der bisherigen Reaktionen könne sie „nicht nur in empörter Distanzierung verharren.“ Die „mißverständlichen Formulierungen“ seien „nur zum Teil“ dafür verantwortlich, dass die Absicht des Briefes öffentlich „kaum aufgenommen“ wurde; vielmehr habe es an der „Bereitschaft“ gemangelt, sich mit den Ursachen des Terrorismus und der „Problematik, d. h. mit der Sinnlosigkeit eines bewaffneten Kampfes“ in Westeuropa, auseinanderzusetzen. „Mit jeder ihrer Aktionen bestätigen und sichern die Nachfolgeorganisationen der RAF [d. h. deren ‚zweite Generation‘, A. C. W.] ihre Voraussetzung, die sie bekämpfen: Herrschaft. Die Gewalt der Terroristen ist also ein Produkt der Gewalt des Systems; der sinnlose Reflex dieses Systems.“193 Die Landessynode nahm zu dieser Erklärung keine Stellung und beschloss, im Herbst über den Finanzposten der Tübinger ESG gesondert abzustimmen194. Indes wehrte sich auch die ESG Hannover gegen den angeblichen Versuch des Landeskirchenamts, ihre Arbeit „zu liquidieren“, so der AStA der TU Hannover. Die Kirchenleitung widersprach umgehend. Die mit Polizeihilfe durchgesetzte Schließung des ESG-Gebäudes sei wegen dessen programmatischer Umbenennung nach Thomas Mün[t]zer erfolgt. Eigentlicher Streitpunkt war

Semesterprogramme). Vgl. epd-ZA, Nr. 14 vom 20. 1. 1977, 4. Zur Bewegung der CfS, oben 417 [Anm. 128]. 191 Undatierte Stellungnahme zu den Vorwürfen [Anfang 1977], 5 Seiten (AESG TÜBINGEN, GR). Die Diskussion drehte sich um das „Quebeck-Papier“, das auf einer internationalen CfSTagung 1975 verabschiedet worden war. Vgl. EpdD, Nr. 10/1978, 57–62. 192 Kriterien für die Vermietung von Räumen des Adolf-Schlatter-Hauses, Anlage zum Protokoll der Kuratoriumssitzung vom 2. 2. 1977 (AESG TÜBINGEN, O. Raumanträge). 193 Flugblatt der ESG Tübingen (Auflage: 1.500 Stück), abgedruckt in: KLEIN, Studentengemeinden, o. S. 194 epd-ZA, Nr. 107 vom 6. 6. 1977, 4. Dazu weiter im folgenden Kapitel.

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die Neubesetzung der vakanten Studentenpfarrerstellen; die Kerngemeinde lehnte alle von der Landeskirche ihr vorgeschlagenen Kandidaten ab. Bei der Einweihung des „Thomas-Münzer-Hauses“ begründete der Braunschweiger Studentenpfarrer Herbert Erchinger die Namensgebung mit dem Argument, damit sollten die Fehlentwicklungen des Luthertums deutlich gemacht werden. „Als Kirche, als ESG“ wolle man „die Komplizenschaft mit den herrschenden Mächten aufgeben“195. Vor dem Hintergrund der – gerade in Niedersachsen geführten – Debatte um „Mescalero“ provozierte die ESG weiter: Das Haus wurde besetzt und „wiedereröffnet“, zahlreiche Kirchen mit sozialistischen Kampfparolen und roten Hähnen, dem ESG-Symbol, beschmiert. Die Regionalpresse zeigte sich entsetzt über den reformatorischen „Prediger der Gewalt“ und sprach – in Anspielung auf die RAF – von der „Thomas-MünzerBande“196. Aus Sicht der (kirchlichen) Öffentlichkeit waren die von der spontaneistischen Linken adaptierten Selbstinszenierungen keineswegs nur jugendlichem Leichtsinn entsprungene „Schwärmereien“197. Die Diskussionen um „Mescalero“ und den „Sonnenberg-Brief“ veranlassten Gollwitzer nun zu dem Schritt, gegen „falsche Solidarisierung“, so der Titel seines Beitrags im „Berliner Extra-Dienst“, Einspruch zu erheben198. „Ohne Beifall von der falschen Seite zu scheuen und ohne damit die Kritik an den Rechtswidrigkeiten der Prozesse gegen ‚Terroristen‘ und den Haftbedingungen“ zu mindern, stellte er fest, „all jene Rechtswidrigkeiten“ und „Repressalien“ seien auch Folge der „Kriegsaktionen“ gegen diesen Staat. Darüber „zu jammern, nachdem man sie selbst heraufbeschworen“ habe, sei „kindisch“. Die „‚Revolutionäre‘“ hätten die Todesstrafe selbst eingeführt. Die „Stammheimer“ seien nicht mehr als „Genossen“ zu bezeichnen. Man dürfe sie „nicht zu Objekten unseres Mitleides“ machen; „‚Distanzierung‘“ genüge „hier nicht mehr“. Nach dem Karlsruher Attentat hatte Gollwitzer beschlossen, für die hungerstreikenden RAF-Mitglieder „keinen Finger“ mehr zu rühren. Gudrun

195

Zit. n. epd-Landesdienst Niedersachen/Bremen, Nr. 19 vom 27. 5. 1977, 1. Vgl. den undatierten Bericht des Landeskirchenamtes über die Situation in der ESG Hannover (LKA HANNOVER, 33a/321). 196 So die Artikel in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und der „Celleschen Zeitung“ vom 23. 6. 1977. Vgl. die Presseausschnittsammlung (LKA HANNOVER, 33a/321). Vgl. HAUSCHILD, Grundfragen, 105f. 197 Vgl. BERGENGRUEN, Studentenrevolte, 78–84. Im Rückblick meinte Erchinger, die Kirche habe viel „geleistet gegenüber radikalisierten Schülern und Studenten: die mussten den Weg der RAF [. . .] nicht beschreiten, weil es Institutionen, Gruppen, Gemeinden, Pfarrer gab, die sie ernst genommen haben und das in ein gewaltfreies Engagement münden ließen.“ (zit. n. HOLLENBACH, Kirchen, o. S.). 198 GOLLWITZER, Solidarisierung. Abgedruckt auch in: EpdD, Nr. 33a/1977, 15.

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Ensslins „blödsinnige Parole ‚Den Widerstand bewaffnen‘“ führte ihn zur Erkenntnis, einem „Mißverständis“ auferlegen zu sein: Nach vier Jahren Gesprächspause meinte er bei Ensslin „wenigstens Ansätze zu einer Selbstkritik hinsichtlich der früheren RAF-Strategie“ vernommen zu haben199. Nachdem sie ihm erneut Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte, stattete er ihr Ende Januar einen Besuch ab. Der anschließende Briefwechsel endete im letztlich finalen Gesprächsabbruch. Ensslin teilte ihm mit, sie nehme die von ihm mitgebrachten „fischköpfe“ nicht an200. Aus Protest über die verkürzte Wiedergabe des „Mescalero“-Artikels in den Medien publizierte Anfang Juli eine Gruppe von über 40 Hochschullehrern die Dokumentation „Buback – Ein Nachruf“. Ziel war es, „eine Diskussion über Gewaltanwendung in Gang“ zu setzen, um weitere Gewalt zu verhindern und um „rechtsstaatliche Freiheitsgarantien zu erhalten.“201 Gollwitzer verweigerte die Unterschrift. Den Initiatoren schrieb er, er werde die „üblich gewordene Methode, sich mit Linken, die geprügelt werden, kritiklos zu solidarisieren“, nicht mehr mitmachen. Er sehe „auch nicht ein, wieso sie den Betroffenen wirklich nützen“ könnte. „Mescalero“ hätte „seine Ablehnung der Gewaltanwendung“ in einer anderen „Verpackung“ liefern müssen202. Als im Oktober, mitten im „Deutschen Herbst“, bekannt wurde, dass den niedersächsischen Herausgebern ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren angedroht worden war, unterzeichnete auch Gollwitzer die Protest- und Solidaritätsbekundung weiterer Hochschullehrer. Die von ihnen eingeforderte Treueerklärung an den Staat lehnte er ab203. Anfang Juli geriet auch der Bonner Alttestamentler Lienhard Delekat unter „Sympathisanten“-Verdacht. Delekat hatte ein von Studenten erstelltes Flugblatt unterzeichnet, welches den „Buback-Nachruf“ gekürzt wiedergab; jene Passagen, die den Ermordeten verunglimpften, waren geschwärzt. Dennoch wurde gegen ihn ein Disziplinar- und Strafverfahren eingeleitet. In der „Bonner Rundschau“ und im „General-Anzeiger“ wurde der Ordinarius heftig attackiert. Ein Theologieprofessor lerne „die Folgen der Naivität kennen“, hieß es im Kommentar von „Christ und Welt“. Das Editorial machte das allgemeine

199 Brief Gollwitzers an Klaus Croissant vom 17. 4. 1977 (EZA BERLIN, 686/722). Vgl. oben 349 [Anm. 196]. 200 Brief Ensslins an Gollwitzer vom 28. 2. 1977 (EZA BERLIN, 686/722). 201 „Erklärung zu Mescalero“. In: EvKo 10 (1977), 556. Vgl. AGNOLI U. A., Dokumentation. 202 Brief Gollwitzers vom 9. 7. 1977 (EZA BERLIN, 686/855). 203 Erklärung gegen die Disziplinierung der Herausgeber der Dokumentation „Buback – Ein Nachruf“, Oktober 1977 (EZA BERLIN, 686/855). Dazu ausführlich, SPILLER, Sympathisant, 1250f.

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„Klima des Wertepluralismus“ dafür verantwortlich, dass „manche die Kunst des Neinsagens“ angeblich verlernten204.

5.2.3 Protestantismus und „Deutscher Herbst“ Am 30. Juli 1977 wurde der Bankier Jürgen Ponto von einem RAF-Kommando ermordet. Die Auseinandersetzungen um „Mescalero“ verschärften sich: Der „Sympathisanten“-Vorwurf konzentrierte sich auf den „häßlichen“ – weil: kritische Fragen stellenden – Intellektuellen205. Der westdeutsche Protestantismus war in gleich mehrfacher Weise davon betroffen: Außer Theologiestudenten und -professoren gerieten auch geistliche Würdenträger – wieder – in den Fokus. Außer dem Sonnenberg-Brief zeitigte auch der Berliner Kirchenstreit Nachwirkungen; etwa im Leitartikel der FAZ über Pontos Ermordung: „Die Terroristen können sich, was das Äußerliche und Materielle angeht, heute selbst helfen. Sie brauchen dazu keine netten oder hilflosen Professoren und Pastoren und Publizisten mehr. Aber was die Terroristen brauchen, das sind die Leute, die [. . .] ‚Verständnis‘ zu Papier und zu Gehör bringen [. . .]. Diese Sympathisanten, die nie einem Terroristen Nachtlager und Reisegeld gegeben haben, sind die wirklich gefährlichen. Sie haben zwar ‚nichts getan‘, sie haben nur ihre Meinung gesagt, sie haben nur nachgedacht.“206

Deutliche Worte fand der spätere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Leiter der FESt und Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung: Die Solidarisierung mit den Zielen der Terroristen sei „selbst dann“, wenn sie mit der Ablehnung tötender Gewalt als Mittel einhergehe, „eine Perversion des Denkens.“ Da die RAF keine Erklärung zu Pontos Ermordung abgab, sei der bei ihr sonst „übliche Versuch, einem wahnsinnigen Verbrechen rationale Motive zu unterschieben“, ausgeblieben. Damit räume sie selbst ein, dass „terroristischer Mord“ kein „verstehbarer Ausdruck gesellschaftlicher Konflikte“ und „kein begründbares Mittel“ zur Veränderung der Gesellschaft sein könne. Letztere müsse sich selbstkritisch fragen, ob der „Zusammenhang zwischen Ethik und Politik so brüchig geworden“ sei, dass Menschen „deshalb meinen, sie könnten verbrecherische Morde mit politischen Rechtfertigungen versehen“. Huber erinnerte an Heinrich Albertz’ Wort 204

FISCH, Wärme; „Hausbotschaft“. In: ChrWelt, Nr. 29 vom 8. 7. 1977, 2. Vgl. MÜCKEBER„Mescalero-Affäre“ u. „Vom Stein, der ins Rollen kam“, eine Dokumentation der Bonner Fachschaft Evangelische Theologie (EZA BERLIN 686/856). 205 STAMMLER, Intellektuellen. 206 FROMME, Sie. GER,

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zum Sonntag: „‚Wer brutale Gewalt übt, wer mordet, der zerschneidet jeden Lebenszusammenhang‘“207. Zwei Wochen später erklärte Albertz in derselben Sendereihe: „Das 5. Gebot [. . .] gilt für jeden von uns, alle die Macht haben, Gewalt auszuüben, also auch Regierungen und Konzerne, Großbanken und Gewerkschaften, Parteien und Verbände, ja auch die großen Kirchen. Wer die Mordtaten von Terroristen glaubwürdig verurteilen will, muß zuerst sich selber fragen, wo er Gewalt ausübt, die Leben zerstört: etwa durch Geldanlagen in Ländern, in denen Menschen gefoltert und liquidiert werden [. . .]. Es ist unsere Gesellschaft, die ihre Mörder produziert.“

Laut „Frankfurter Rundschau“ stieß Albertz’ Ansprache bei „konservativen Zeitungen“ auf massive Kritik. Der epd habe sie daher in ihrem gesamten Wortlaut veröffentlicht208. Am 5. September begann der „Deutsche Herbst“ 1977. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wurde in Köln entführt, die ihn begleitenden Polizisten ermordet. In den folgenden Wochen herrschte eine Art staatlicher Ausnahmezustand. Der überwiegende Teil der Medien folgte der Bitte des überparteilichen „Großen Krisenstabes“ unter Bundeskanzler Schmidt, mit ihrer Berichterstattung der RAF nicht in die Hände zu spielen. Die Presse übte sich in „freiwilliger Selbstzensur“. Wegen der Nachrichtensperre und des damit einhergehenden Story-Mangels erschienen vielfach zusammenfassende Rückblicke über den Terrorismus in der Bundesrepublik. Die bekannten Anklagen gegen „Sympathisanten“ wiederholten sich209. Vor dem Hintergrund der Debatte über eine – der Terrorismus-Abschreckung vermeintlich dienenden – Wiedereinführung der Todesstrafe veröffentlichten die „prominenten Sympathisanten“ Böll, Albertz, Gollwitzer und Scharf einen viel beachteten Appell an die Entführer210. In den (über)regionalen Tageszeitungen wurde er überwiegend ablehnend kommentiert, v. a. folgender Satz: „Seien Sie sich klar, daß weiteres Töten alles vernichtet, was Sie erreichen wollen und unabsehbare Folgen für unser Land haben wird, auch für Ihre Freunde in den Gefängnissen!“ Der Kommentar des „Tagesspiegel“ begrüßte zwar die Erklärung, vermutete jedoch, sie müsse in den Ohren „normaler Bundesbürger recht befremdlich klingen“. Die Unterstellung „edler Ziele, die ‚Sie erreichen wollen‘“, hieß es weiter, dürfte „nicht mehr“ der Realität entsprechen. An der Spitze der Kritiker standen die wenig differenzierenden Kommentare des Springer-Verlags. In der

207 208 209 210

HUBER, Gift, 494. „Pfarrer Albertz und das 5. Gebot“. In: FR, Nr. 196 vom 25. 8. 1977, 4. BALZ, Terroristen, 109; AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 513. BALZ, Terroristen, 109f.

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„Bild“-Zeitung war vom misslungenen Versuch der Appellierenden, sich ein „Alibi“ zu verschaffen, die Rede211. Kurt Scharf, seit Ende 1976 im „aktiven“ Ruhestand212, stellte in einer ARD-Sendung über „Sympathisanten“ dann – allerdings erst Monate später – klar, der Appell sei vielmehr auf Wunsch der baden-württembergischen Landesregierung geschrieben worden213. Neben dem genannten Aufruf sorgte auch der Streit um die Stuttgarter Stiftskirche bundesweit für Aufsehen. Es gab sogar Morddrohungen gegen kirchliche Mitarbeiter. Laut Medienberichten, allen voran die des „Münchener Merkur“, habe sich der Gemeinderat geweigert, die Trauerfeier für die in Köln ermordeten Polizeibeamten in der Stiftskirche stattfinden zu lassen. Die Kritiker dieses „Skandals“ argumentierten, die Kirche sei in der Vergangenheit oft genug von den „Anti-Folter“-Komitees missbraucht worden. Der Gemeinderat hatte tatsächlich nur erklärt, die Gemeindeordnung sehe keine staatlichen Trauerfeiern vor; diese würden üblicherweise in staatlichen Räumen abgehalten. Die Bestattungsfeiern seien ohnehin jenen Gemeinden vorbehalten, denen die Polizisten angehörten214. Die kurz darauf veröffentlichte Erklärung des Rates der EKD zur SchleyerEntführung thematisierte ebenfalls das Staat-Kirchen-Verhältnis. Konservative Kirchenkritiker deuteten sie als längst überfällig gewordene Distanzierung vom protestantischen „Sympathisantentum“ einerseits und Treueerklärung zum Staat andererseits. Der Bundeskanzler bedankte sich per Telegramm215. Es gab aber auch Kritik. In der „Jungen Kirche“ und der „Neuen Stimme“ (bis 1974: 211 „Tagesspiegel“ vom 13. 9. 1977 und „Bild“ vom 12. 9. 1977, beide zit. n. EpdD, Nr. 41/ 1977, 30 u. 27. Weitere Pressestimmen, EBD., 23–38. Vgl. auch den ausnahmslos zustimmenden Kommentar der „Zeit“, „Die Stunde der Phrasen“. In: Die Zeit, Nr. 39 vom 16. 9. 1977, 52. „Der Spiegel“, von Gerhard Löwenthal als „Hauspostille der Baader-Meinhof-Bande“ bezeichnet, kritisierte die über „Intellektuellen“, „Theologen“ und „Journalisten“ geschwunge „Keule“. Seine „Sympathisanten“-Serie startete er, so die Ankündigung, mit der „aus der Bergpredigt“ entlehnten Überschrift „‚Mord beginnt beim bösen Wort‘“ („Hausmitteilung“. In: Der Spiegel, Nr. 41 vom 3. 10. 1977, 3). 212 Scharf blieb weiter Mitglied des Rates der EKD. Vgl. die ZDF-Sendung „Ein unbequemer Christ“ vom 26. 12. 1976, Abschrift in Auszügen (ELAB BERLIN, 55.1/697). 213 Auszugweise Abschrift der Sendung „Sympathisanten? Albertz, Gollwitzer, Scharf“ des Hessischen Rundfunks, gesendet am 17. 3. 1978 (EZA BERLIN, 686/8974). Vgl. JK 39 (1978), 211. Die Sendung wurde in der „Welt“ als „Rehabilitations-Schau“ kritisiert (LOEWENSTERN, Mohrenwäsche). 214 Vgl. EpdD, Nr. 41/1977, 53–64. Die bayerische Landeskirche warf dem „Münchener Merkur“ vor, „seit einiger Zeit“ keine Gelegenheit auszulassen, „um die evangelische Kirche als ‚linkslastiges Gespenst‘“ darzustellen (EBD., 64). 215 Erklärung des Rates der EKD zum Terrorismus vom 16. 9. 1977, HAUSCHILD, Kirche [1976/1977], 143–146. Zum Presseecho, EpdD, Nr. 41/1977, 40–45. Zu Helmut Schmidt, EBD., 42.

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„Stimme der Gemeinde“) wurde der EKD vorgeworfen, die staatliche Obrigkeit im Sinne des (konservativen) Zeitgeistes unkritisch zu bejahen. Der Streit über die Auslegung der Barmer Theologischen Erklärung kam wieder einmal neu zur Geltung. Dem Rat wurde vorgeworfen, er berufe sich auf These V, ohne die „Gesamtintention“ der Erklärung zu beachten216. In der ESG und unter Studentenpfarrern wurde der gewaltsame Widerstand gegen das NSRegime mit dem Kampf gegen die strukturelle Gewalt in der Bundesrepublik verglichen – die Unterschiede dabei grob fahrlässig nivellierend217. Der Vizepräsident der EKD-Kirchenkanzlei hielt „Kreisen der Pfarrerschaft“ im Gegenzug vor, den ersten Satz folgender Passage der Ratserklärung aus dem Zusammenhang gerissen zu haben: „Nur ein starker Staat kann ein liberaler sein. Stark aber ist der Staat in erster Linie durch die gemeinsamen Überzeugungen und Wertvorstellungen seiner Bürger. Die Verpflichtung auf die unserer gesellschaftlichen Ordnung vorgegebenen Werte bildet die Grundlage unserer politischen Existenz und ermöglicht den weiten Raum der Freiheit, in dem Menschenrecht und Menschenwürde beheimatet sind. Diese Grundlage der Freiheit bestimmt aber auch deren strikt zu wahrende Grenze. Dem tragen Gesetzgebung und Polizeigewalt in unserem Land angemessen Rechnung.“218

Der Chefredakteur der „Lutherischen Monatshefte“ kritisierte, gerade deshalb hätte der Rat auch sagen sollen, „ein starker Staat müsse ein liberaler“ bleiben219. Für noch mehr Gesprächsstoff sorgte das Eingeständnis des Rates, die EKD trage eine Mithaftung für die „Geschehen dieser Wochen“. Man sei dem „einseitig konfliktbetonten Verhalten“ in der eigenen Mitte nicht deutlich entgegen getreten und habe „Gebot und Verheißung Gottes nicht klar genug verkündigt.“ Die katholische Deutsche Bischofskonferenz machte sich hingegen „nur“ den Vorwurf, den „nihilistischen Strömungen“ in der Gesellschaft nicht genügend Einhalt geboten zu haben220. Die unterschiedlichen Schuldeinge216

„Drei Stellungnahmen zur Erklärung des Rates der EKD über Terrorismus“. In: JK (38) 1977, 571–575; KRECK, Staatsbejahung, 5; und „Betroffen, bestürzt, empört . . .“. In: Neue Stimme 29 (1977), H. 12, 11. 217 Vgl. die Dokumentation der Veranstaltung „Gewalt, Widerstandsrecht und demokratische Veränderung“ der ESG Braunschweig vom 27. 10. 1977 und die anschließende Kontroverse in der „Evangelischen Zeitung“ (HIS HAMBURG, RUD 470, 04). 218 Erwin Wilkens, Stellungnahme „zu kritischen Anfragen an die Erklärung des Rates“, 1. 3. 1978 (EZA BERLIN, 650/381); die Erklärung des Rates, zit. n. HAUSCHILD, Kirche [1976/ 1977], 143f., Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]. 219 KORTZFLEISCH, Terrorismus-Appelle. 220 Wegen seiner Äußerungen vor dem hannoverschen Pfarrertag geriet Altbischof Scharf erneut in die Kritik. Er hatte erklärt, es sei ein Versäumnis der „Herrschaft Ausübenden“ gewesen, sich zur Zeit der Studentenunruhen nicht auf Gespräche mit der Jugend eingelassen zu haben. Helmut Thielicke widersprach dieser Schuldzuweisung („Mitschuldig am Terror“ [unter-

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ständnisse wurden in der Presse z. T. vergleichend gegenübergestellt221. Wie in der „Welt“ ertönten dabei kritische Bemerkungen über die „Rolle kirchlicher Gelder beim Kampf afrikanischer Terroristen“ und den schädlichen „Geist, der aus gewissen evangelischen Akademien über das Land“ gekommen sei222. Nach Ende des „Deutschen Herbstes“ verwahrte sich Class vor der EKDSynode Anfang November gegen die Vorwürfe. Dabei verteidigte er auch den ÖRK. Angesichts der akuten „Terrorismus-Furcht im eigenen Land“ seien die gestreuten Gerüchte unverantwortlich gewesen, so der Ratsvorsitzende223. In der ESG sorgte man sich weniger um das Image der Kirchen. Anlässlich der Schleyer-Entführung wandte sich die Gesamt-ESG dezidiert politisch an alle Studentengemeinden. Der RAF wurde vorgeworfen, „die linke Bewegung“ in Misskredit gebracht zu haben: Hier handelten „kleinbürgerliche oder großbürgerliche Kreise nach den Maßstäben ihrer Klasse; sie führen ihren Amoklauf nur in ihrem eigenen Namen durch.“ Sie seien daher „politische Gegner“ (der ESG). Die „gerechte Empörung und der bewaffnete Protest von Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt“ würden dadurch schwer diskreditiert224. Nach der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ am 13. Oktober durch palästinensische Terroristen hatte sich der Druck, die in Stammheim einsitzende Führungsriege der RAF in einer Austauschaktion freizulassen, erhöht. Bundeskanzler Schmidt und den Mitgliedern des Krisenstabes standen schwere Gewissensentscheidungen bevor. Die EKD unterhielt mit ihnen seelsorgerliche Kontakte225. Dessen ungeachtet beobachteten staatliche Behörden die Vorgänge in den Kirchen weiter mit Sorge. Der badische Bischof, HansWolfgang Heidland, berichtete dem Rat über Eindrücke, die er in Gesprächen

zeichnet mit dem Kürzel: „sbl“]. In: BSBl, Nr. 41 vom 9. 10. 1977, 1); THIELICKE, Verständnis, 564. Nach erneuten medialen Verbalattacken gegen den Altbischof entgegnete das „Berliner Sonntagsblatt“, es werde übersehen, dass Scharf an der Terrorismus-Erklärung des Rates beteiligt war, SCHARF, Christen, 1; DERS., Mitschuld. 221 Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 21. 9. 1977, zit. n. EpdD, Nr. 41/1977, 43. Zu den Pressestimmen, EBD., 44f. 222 LOEWENSTERN, Mut. Vgl. auch die Kritik des Hamburger Bischofs am ARP, WÖLBER, Haftung, 21. 223 Zit. n. EpdD, Nr. 48/1977, 61. 224 Zit. n. JK 38 (1977), 526–528, dort im Abdruck. Dem Rat wurde am 30. 9. 1977 mitgeteilt, die Erklärung vom 12. 9. 1977 sei kein öffentliches Votum. Sie solle vielmehr Diskussionen innerhalb der ESG anregen (EZA BERLIN, 2/14046). 225 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 5. 11. 1977 (EZA BERLIN, 2/8291). Der Bundeskanzler bedankte sich beim Ratsvorsitzenden. Er habe die „große Hilfe“ seitens der EKD nicht vergessen. Brief Schmidts an Class vom 29. 11. 1977 (EZA BERLIN, 2/2298). Vgl. dazu, SOELL, Helmut Schmidt, 684–687.

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mit Justizvertretern und der Bundesanwaltschaft gewonnen hatte: Die Behördenvertreter machten demnach „ein sehr distanziertes und zunehmend kritisches Verhältnis gegenüber der evangelischen Kirche deutlich“; insbesondere die „Weltfremdheit junger Theologen“ und deren Gesellschaftskritik sei kritisiert worden226. Wilkens schrieb Roman Herzog, er selbst sei in den vergangenen Wochen von gewissen „Publikations-Organen wieder in die linke EKDEcke“ geschoben worden. Die EKD habe sich mit der von ihm mitverfassten Ratserklärung mehr schlecht als recht „aus der Affäre gezogen.“ Die Beschäftigung mit dem Terrorismus sei „vielleicht“ auch „zu früh“ ad acta gelegt worden227. Die Kammer für öffentliche Verantwortung hatte ihre entsprechenden Arbeiten im November 1976 eingestellt. An den vorangegangenen Sitzungen waren auch führende Mitarbeiter des Bundeskriminalamts, u. a. Präsident Horst Herold, anwesend. Im Juni 1976 berichtete etwa Gerhard Boeden, Leiter der Terrorismus-Abteilung, gutgläubige Pfarrer verstrickten sich „hoffnungslos“ im „Argumentationsnetz ihrer ideologisch fixierten Klienten“. Die Tätigkeit des von Herzog geleiteten Unterausschusses endete ohne nennenswertes Ergebnis. Die angestrebte Klärung der Frage, „wieso es zu der auffallenden Sympathie für Terroristen im kirchlichen Bereich“ komme, blieb aus228. Wilkens notierte, der Bericht des Unterausschusses sei ohne Gebrauchswert. Nach dem Ende des „Deutschen Herbstes“ bekräftigte er seine Forderung, die Ursachen des Terrorismus und die protestantische Haltung in der Gewaltfrage eingehender zu untersuchen. Die Auseinandersetzung um das ARP veranlasste ihn schon bald, zumindest das zweite Thema persönlich genauer zu erörtern229. Die Suche nach Ursachen und Wegbereitern des Terrorismus wurde nach dem „Deutschen Herbst“ unter parteipolitischen Vorzeichen fortgesetzt. Die parlamentarische Opposition hatte den Burgfrieden bereits während des staatlichen „Ausnahmezustandes“ aufgekündigt. Die von CDU-Generalsekretär

226

Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 13. / 14. 10. 1977 (EZA BERLIN, 2/

8291). 227

Brief Wilkens’ an Herzog vom 13. 10. 1977 (EZA BERLIN, 2/8569). Zur Aufgabenstellung des Unterausschusses, oben 418. Rundschreiben der Kirchenkanzlei an die Mitglieder der Kammer für öffentliche Verantwortung vom 15. 11. 1976 (EZA BERLIN, 2/ 8595); Niederschrift über die Sitzung der Kammer für öffentliche Verantwortung am 18. / 19. 6. 1976 (EZA BERLIN, 2/8604). 229 Brief Herzogs an Class vom 19. 4. 1977 (EZA BERLIN, 2/8561); Interne Anweisung Wilkens’ [Kirchenkanzlei der EKD] vom 25. 4. 1977 (EZA BERLIN, 2/8561). Vgl. Wilkens’ Skizze „Von den Ursachen des Terrorismus“ vom 1. 11. 1977. Das vierseitige Papier hatte Wilkens als Vorlage für den Rat erarbeitet (EZA BERLIN, 2/8570). 228

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Heiner Geißler betriebene Herausgabe einer Zitatsammlung über „Sympathisanten“ und „Verharmloser“ kam in der Öffentlichkeit allerdings nicht gut an. Der Versuch, außer den üblichen Verdächtigen auch Teile der Regierungsparteien – sogar den Bundeskanzler – an den Pranger zu stellen, scheiterte kläglich230. Im Falle Gollwitzers war er dennoch von „Erfolg“231. Ungeachtet der offiziell demonstrierten Schulterschlüsse von Staat und Kirchen, etwa bei der Trauerfeier für den ermordeten Arbeitgeberpräsidenten oder Schmidts Regierungserklärung232, rückte der Protestantismus als geistiger Wegbereiter des Terrorismus weiter in den Fokus der Öffentlichkeit. Für Aufsehen sorgte Jillian Beckers Buch „Hitler’s Children“. Die aus Südafrika stammende Schriftstellerin versuchte am Beispiel von Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin zu belegen, dass viele RAF-Terroristen einem protestantisch geprägten Milieu entstammten233. Der Topos vom „unheiligen Märtyrer“ und „Schwärmer“ faszinierte auch die Forschung. Deren Ursachenforschung blieb vom „Sympathisanten“-Diskurs jedoch nicht unbeeinflusst; manche Tagung stand ganz im Zeichen der sogenannten Tendenzwende234. Die „Bekenntnistreuen“ deuteten den Linksterrorismus ohnehin als logische Folge einer von Gott abgefallenen Gesellschaft. Den späteren Befund einer für das Bundesinnenministerium erarbeiteten Studie dürften daher auch sie bejaht haben: Ein „religiös inhaltsleer gewordener“ Protestantismus sei demnach das „formale Erziehungsgefäß für Ideologen und Überzeugungstäter. Die besondere religiöse Sozialisation oder Desozialisation der deutschen Terroristen öffnete ihr Bewußtsein für neue Inhalte, für die Konstruktion eines absoluten Bewußtseins, das seine Erkenntnisse Wirklichkeit werden lassen muß, es gibt nur noch zwei Wege: entweder die Resignation oder die Mission mit der Waffe.“235

Der statistisch belegte Nachweis, wonach mehr als zwei Drittel der Terroristen evangelischen Milieus entstammten, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die von Strafverfolgungsbehörden und Medien gezogene Verbindungslinie 230

Vgl. das Vorwort, GEISSLER, Verharmlosung, 4f. Zu den ersten Reaktionen, „Kohls Hagen“. In: Der Spiegel, Nr. 43 vom 17. 10. 1977, 41–42. Wilkens hatte dem Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU zuvor versichert, sein persönlicher Einsatz gegen eine Hexenjagd habe „keine parteipolitische Note“. Brief Wilkens an Helmut Kohl vom 6. 10. 1977 (EZA BERLIN, 650/284). Vgl. „Klima der Verketzerung“. In: EvKo 10 (1977), 690. 231 In den folgenden Monaten setzte sich Gollwitzer gegen zahlreiche Leserbriefe, die sich auf das CDU-Pamphlet stützten, öffentlich zur Wehr. Er erhielt darüber hinaus Morddrohungen. Vgl. EZA BERLIN, 686/853f. 232 BALZ, Terroristen, 307. 233 BECKER, Children. Dazu STAMMLER, Terror; GREIFFENHAGEN, Kinder. 234 ALTMANN, Märtyrer. Vgl. GEISSLER, Weg; SCHMIDTCHEN / KASCH, Entchristlichung. 235 SCHMIDTCHEN, Karrieren, 32. Vgl. PADBERG, Verantwortung, 7; KASCH, Terror.

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bei genauerer Betrachtung recht vage blieb. Gleiches galt für ihre religionssoziologische Einordnung236. Die Eindrücke bündelnde Wirkungsmacht der Medien offenbarte sich auch im Feindbild der „bewaffneten Mädchen“237. Zusammen mit gegensätzlichen Frauenbildern – der „Sphinx“-hafte dominante Auftritt der Ensslin einerseits, das verwahrloste und von Selbstzweifeln geplagte maskuline Erscheinungsbild der Meinhof andererseits – lieferte das christlich Sozialisierten gerne zugeschriebene pazifistische Klischee ausreichend Stoff für das mediale Faszinosum der schießenden Pfarrerstochter. Dazu hieß es in einer weiteren Studie: „Das Abgleiten der großbürgerlichen Tochter in den Untergrund kann [. . .] durch den Wunsch motiviert sein, aus ihrer Isolation [. . .] herauszukommen [. . .]. Die terroristische Tat ist ihre ‚Feuerprobe‘ der Bewährung, der Ausweis ihrer Solidarität mit den anderen, Symbol ihrer Ablehnung der eigenen sterilen Welt; [. . .] Verantwortungsgefühl zu haben, wurde ihr schließlich beigebracht; ihre christliche Erziehungsmoral ist der Pfahl in ihrem Fleisch; und sie liefert ihr die Rationalisierung zur Entladung ihrer unausgelebten Aggressionen. Darin trifft sie sich mit der Tochter aus der protestantischen Provinz.“238

Ein damit eng verbundenes Interpretament war die „Emanzipationsthese“. So schrieb der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, der Terrorismus sei das kriegerische „Abenteuer, an dem endlich nicht nur Männer, sondern auch Pfarrerstöchter teilnehmen dürfen.“ Rudolf Augstein bemerkte mit Blick auf den fanatischen Gerechtigkeitssinn der „Schülerin“ Ensslin, an terroristischem Nachwuchs werde es auch weiterhin nicht fehlen239. Die spektakuläre Festnahme der Pfälzer Pfarrerstochter Christine Kuby schien diese Panik machenden Bilder zu bestätigen240. Eberhard Stammler klagte in den „Evangelischen Kommentaren“, die „Terrorismus-Kritik“ habe sich auf den Protestantismus regelrecht „eingeschossen“. Das jüngste Beispiel sei eine gegen den „linkslastigen Kirchenfunk“ gerichtete Dokumentation der CSU-Landesgruppe im Bundestag, der Stammler dasselbe Schicksal prophezeite wie Geißlers Zitaten-

236 SCHMIDTCHEN, Karrieren, 31. Dazu DIEWALD-KERKMANN, Christ, 243 u. CLAUSSEN, Widerstand. Vgl. auch die in gegenwärtigen Zusammenhängen diskutierte Frage, ob Luther „Sympathisant der Gewalt“ gewesen sei (STECK, Luther, 563f.). 237 Dazu ausführlich, BALZ, Terroristen, 198–231. 238 KORTE-PUCKLITSCH, Frauen, 125. Vgl. KOENEN, Urszenen, 120. 239 DÜRRENMATT, Sie; AUGSTEIN, Blut. Vgl. DIEWALD-KERKMANN, Frauen; COLVIN, Ulrike Meinhof. 240 Kuby war nach einem Schusswechsel in Hamburg verletzt festgenommen worden. Ermittlungsbehörden und Medien erhofften sich Informationen über die Schleyer-Entführung, an der sie maßgeblich beteiligt gewesen war, AUST, Baader-Meinhof-Komplex, 644; „Befehl erhalten“. In: Der Spiegel, Nr. 5 vom 31. 1. 1978, 66–67.

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sammlung. Als besonders empörend empfand er einen Kommentar der „Kölnische Rundschau“ über linke „Pfarrerstöchter“, denn unter den Genannten, u. a. Ensslin und Kuby, befand sich auch Elisabeth Käsemann, die Tochter des bekannten Tübinger Theologen241. Elisabeth Käsemann lebte seit 1968 in Lateinamerika. Nach ihrem Studium wirkte sie in Argentinien als Sozialarbeiterin. Weil sie Dissidenten zur Flucht ins Ausland verhalf, wurde Käsemann im März 1977 von der argentinischen Militärjunta entführt, gefoltert und schließlich ermordet. Im Juni gelang es Ernst Käsemann, den Leichnam seiner Tochter nach Deutschland zu überführen. Der Bundesregierung warf er vor, sich für die Verschwundene nicht eingesetzt zu haben; „ein Mercedes“, so Käsemann, wiege „zweifellos mehr als ein Menschenleben“. Der emeritierte Theologe erklärte, er wolle damit auf die Realitäten in diesem aus westdeutscher Sicht so „zauberhaften Land“ hinweisen242. Wenige Tage nach dem Fund von Schleyers Leichnam beschloss die württembergische Landessynode, der Tübinger ESG genau jene Finanzmittel zu streichen, über die die Gemeinde frei verfügen konnte. Im Streit um den Arbeitskreis „Christen für den Sozialismus“ blieben die Fronten weiter verhärtet. Vor dem Hintergrund des „Deutschen Herbstes“ machte sich die Synode die Auffassung der pietistischen „Lebendigen Gemeinde“ zu Eigen: Letztere konnte sich „die Konsequenzen aus der marxistischen Analyse“ nur „als Gewalt und Terror“ vorstellen243. Aus Solidarität mit der ESG verkündete Käsemann darauf seinen Kirchenaustritt. Im „Spiegel“-Interview bezeichnete er es als „schlimm“, dass die „Radikalenpolitik Filbingers synodal unterstützt“ werde; die Parallelen zu seiner früheren „politischen Stellungnahme“ (1968) waren offenkundig. Auf die Frage, wem das Christentum eigentlich näher stehe, dem Marxismus oder dem Kapitalismus, antwortete Käsemann, er würde „eine Affinität wirklichen Christentums zum Kapitalismus schlechtweg leugnen.“ Die Affinität zum Marxismus sei durch „bestimmte biblische Grundeinsichten, aber auch durch die Rivalität der beiden Heilslehren“ zwar gegeben, jedoch müsste dies „sorgfältig nach pro und contra“ geklärt werden, so Käsemann. Wegen seiner Ankündigung fand der Streit um die Tübinger ESG bundesweit Beachtung – selbst in kirchenfernen Kreisen244. Auch in anderen Landeskir241 242

STAMMLER, Reichtum, 129. So der Wortlaut seiner in mehreren Zeitungen abgedruckten Erklärung, KÄSEMANN, Mör-

dern. 243 Zusammenfassung des Gesprächs von Mitgliedern der Tübinger CfS-Gruppe mit Vertretern der Synode in Stuttgart vom 12. 5. 1977 (AESG TÜBINGEN, O. GR). 244 Vgl. EpdD, Nr. 1/1978 u. 10/1978; Käsemann, zit. n. „Ein Christ muß radikaler sein“. In: Der Spiegel, Nr. 48 vom 21. 11.1977, 122–124. Zu Käsemanns früherer Stellungnahme, oben 204f.

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chen bzw. Bundesländern verschärften sich die (kirchen)politischen Konflikte um die ESG245. Aufgrund der synodalen Mehrheitsverhältnisse blieb der württembergische Streit allerdings einzigartig.

5.3 „Änderungsgewalt“ in Afrika: Ökumenische Erkenntnisse und Einsichten 5.3.1 „Gerechte“ Rebellion und „Terror“: Westdeutsche Befindlichkeiten Die Terrorismusdebatte zeitigte Folgen für den kirchlichen Umgang mit der Gewaltfrage im südlichen Afrika. Als Reaktion auf den Soweto-Aufstand reflektierte die Vollversammlung des LWB im Juni 1977 über die Frage, ob nicht eine lutherische Lehre von der Gerechten Revolution entwickelt werden müsse. Die erstmals in Afrika tagende Vollversammlung verabschiedete ferner eine Resolution, die die Lage in Südafrika – genauer: die Rassentrennung innerhalb der Kirchen – zur Bekenntnisfrage erhob. Von einem „Gegengewalt“ legitimierenden „ethischen“ status confessionis, der sich – wie später oft geschehen – fälschlicherweise auf Bonhoeffers Haltung in der „Judenfrage“ berief, war jedoch nicht die Rede246. Heinz-Eduard Tödt bezweifelte, dass die „Denkanstöße“ des LWB in der angespannten „Stimmungslage des kirchlichen Lebens“ in der Bundesrepublik goutiert würden247. Angedrohte Kirchenaustritte veranlassten etwa die nordelbische Kirchenleitung, sich von dem gesamten ARP öffentlich zu distanzieren. Damit beugte sie sich dem in „einigen Presseorganen“ artikulierten Vorwurf, sie sanktioniere Terrorismus. Um „jedes Mißverständnis auszuschließen“, erklärte sie Ende August, die nordelbische Kirche verabscheue „jede Form des Terrorismus, von welcher Seite und an welchem Ort er auch praktiziert“ werde. Ihre Haltung sei bestimmt von den Erfahrungen der BK, die damals „aktiven gewaltlosen Widerstand gegen die Willkürherrschaft eines Unrechtssystems geleistet“ habe248. Als Entgegnung auf derartige Distanzierungen erklärte Martin Stöhr auf einer deutsch-namibianischen Kirchenkonsultation nur wenige Tage spä245

Vgl. WIDMANN, Linksprotestantismus, 231–235. Vgl. BONHOEFFER, Kirche, 353f. Zur Bonhoeffer-Rezeption, MAYER, Kirchenspaltung, 38– 50; WÜSTENBERG, Bonhoeffer-Rezeption. Zur Tagung in Dar-es-Salaam, Tansania, EpdD, Nr. 30/1977; KORTZFLEISCH, Revolution. Vgl. HERMANN, Apartheid, 175–183. 247 Zit. n. „Martin Luther in Afrika“. In: EvKo 10 (1977), 481–482, 482. Vgl. TÖDT, Vollversammlung, 301. 248 Erklärung der Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, EZA BERLIN, 2/7267. 246

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ter: „Entscheidungen des Glaubens von gestern können – bei gleichem Wortlaut – heute Entscheidungen des Unglaubens sein.“ Analog zur Situation der schwarzen Christen Südafrikas stünden auch die westdeutschen Christen nicht mehr „vor einem Scheideweg (zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit), sondern auf dem Weg der Gewalt.“249 Diesen Standpunkt vertrat der Arnoldshainer Akademiedirektor auch auf der Königsteiner Tagung zur Auswertung der EKD-Firmengespräche. Die international besetzte Konsultation stand im Schatten des Verbots von 18 oppositionellen Organisationen in Südafrika – darunter das auf Gewaltfreiheit setzende CISA – und dem weltweit beachteten Foltertod des schwarzen Bürgerrechtlers Steve Biko. In einem Tagungsbericht konstatierte das EKDAußenamt, die Lage dürfe „nicht länger auf ‚Fehler‘ der Weißen zurückgeführt werden, sondern auf einen ‚deliberative act‘“, nämlich „bewußtes Tun.“ Deshalb sei auf jene „schwarze Stimme“ zu hören, die das Ende aller Investitionen „in die weiße Zentralwirtschaft“ fordere250. Da der SACC sich in seiner in Königstein präsentierten Investitionsstudie nicht eindeutig für einen Investitionsstopp aussprach, blieb auch die EKD in dieser Frage weiterhin unentscheiden. Anlässlich der Veröffentlichung des offiziellen Tagungsberichts erklärte der Rat, ein Investitionsstopp sei „keine wirkliche Alternative“. Er laufe nur auf eine „symbolische Demonstration von Solidarität mit der schwarzen Opposition“ hinaus; dies entspreche nicht dem Wunsch des SACC als Partner der EKD251. Gleichzeitig versagte er der (gewaltfreien) Aktion „Kauft keine Früchte aus Südafrika!“ die Unterstützung. Der Rat hegte Zweifel an der kirchlichen Legitimität eines Boykott-Aufrufs. Die Evangelische Frauenarbeit in Deutschland wurde deshalb gebeten, von ihrer im November 1977 gestarteten Aktion Abstand zu nehmen – sehr zum Unmut der mit Südafrika- und Entwicklungsexperten besetzten EKD-Gremien, etwa dem neu gegründeten Ausschuss für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik252. In seiner Stellungnahme zur SACC-Studie hatte der Rat im Juni 1978 kurz zuvor erklärt: Wegen der 249

So der Wortlaut seines überarbeiteten Vortrags, STÖHR, Frage, 55. Der Bericht bedauerte die Abwesenheit der Ratsmitglieder. Gleiches galt für die „unerwartete Absage“ der geladenen Vertreter der Bundesregierung. Gesamtbericht der Konsultation „Sozialethische Aspekte der wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit der Republik Südafrika“ vom 19. bis 21. 10. 1977 (EZA BERLIN, 6/2917). Vgl. den erst im März 1978 veröffentlichten offiziellen Tagungsbericht, EpdD, Nr. 16/1978. 251 EpdD, Nr. 16/1978, 3. Zur SACC-Studie, HERMANN, Apartheid, 183–188 u. 229f.; WILLIAMSON, Kirche, 295f. Vgl. oben 428. 252 HERMANN, Apartheid, 234–236. Zum Boykott, BACIA / LEDIG, Früchte, 46–55; SCHMIDTBIESALSKI, Früchte. 250

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„erschreckenden“ Schuld, die die deutsche Christenheit im Nationalsozialismus auf sich geladen habe, sei die Kirche „gewiß keine Einrichtung zur Durchsetzung politischer und gesellschaftlicher Theorien, keine sozialrevolutionäre Aktionsgemeinschaft und keine wirtschaftliche Interessenvertretung“. An die nicht-deutschen Kirchen richtete er die Bitte, „die von uns begangenen Fehler“ nicht zu wiederholen. Der Rat hielt an seiner „multiplen Strategie“ zur Bekämpfung des Rassismus somit weiter fest. Zu Jahresanfang hatte er unterstrichen, es gelte „zu beweisen, daß wirtschaftliches Handeln dazu hilft, die Apartheid zu überwinden, statt sie zu festigen.“253 Seine ablehnende Haltung gegenüber dem Früchteboykott bestärkte jene Kritiker, die wie Hans-Jürgen Benedict meinten, der Rat handele als „Wächter der Gewaltlosigkeit“ unglaubwürdig254. Nach dem LWB befasste sich auch der Genfer ÖRK-Stab mit der Frage einer „gerechten Auflehnung“ in Südafrika. Im Januar 1978 erhielten die Mitgliedskirchen das für Diskussion und Stellungnahme bestimmte Hintergrundpapier „Südafrika heute – Hoffnung um jeden Preis?“. Das vom niederländischen ARP-Direktor Sjollema redigierte Dokument vertrat die These, der Weg für einen gewaltlosen Wandel sei nun „offiziell versperrt“. Die „neue Lage“ erfordere eine kirchliche Definition der „gerechten Auflehnung“. Die Verfasser erinnerten an das Beispiel der Widerstandskämpfer im nationalsozialistisch besetzten Westeuropa und die vorbildliche Haltung Dietrich Bonhoeffers. Da man „ihre Sache als gerecht und ihre Methoden als diszipliniert“ ansehe, bezeichne man sie heutzutage auch nicht als „Terroristen“. Der gegenwärtige Terrorismus in Europa sei mit der „schwarze[n] Revolution in Südafrika“ jedenfalls nicht vergleichbar. Der Hinweis richtete sich ausdrücklich an die westdeutschen Kirchen. Zu Recht vermutete Wilkens, das (inoffizielle) Papier werde in der Bundesrepublik bald „großen Ärger“ auslösen255, denn es reihte sich ein in die seit November 1977 geführte Auseinandersetzung um Gollwitzers Thesen zur „gerechten Revolution“. Im „Rheinischen Merkur“ hatte Walter Schmithals, Leiter der Kirchlichen Hochschule West-Berlin, seinen Berliner Kollegen bezichtigt, der RAF „und ihren Anhängern moralische Schein-

253

Zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 344. u. 338. Vgl. BENEDICT, Rat. Fragwürdig erwies sich v. a. jener historische Vergleich, mit dem der nordelbische Bischof die Aktion der Evangelischen Frauenarbeit später ablehnte. Hübner erklärte, auch die antisemitische Propaganda des NS-Regimes habe mit einem Boykott begonnen, epdZA, Nr. 80 vom 25. 4. 1979, 6. 255 Brief Wilkens’ an Herzog vom 18. 1. 1978 (EZA BERLIN, 2/8569). Zum Hintergrundpapier und den Reaktionen in der (kirchlichen) Öffentlichkeit, EpdD, Nr. 6/1978, 10–12; EpdD, Nr. 17/1978. 254

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gründe“ zur Rechtfertigung ihrer Taten und Ansichten geliefert zu haben256. Eine im Januar veranstaltete Südafrika-Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain stand ebenfalls im Schatten des „Deutschen Herbstes“. Der von einem ehemaligen niederländischen Widerstandskämpfer geschilderte Gewissenskonflikt beeindruckte sowohl die anwesenden „Rotbuch“-Autoren als auch die südafrikanischen Oppositionsvertreter. Letztere waren in der Gewaltfrage untereinander zerstritten257. Der Versuch des Genfer Hintergrundpapiers, die „repressive“ staatliche Gewalt in Südafrika mit einer kaum verhüllten Legitimierung von Gegengewalt zu beantworten, traf in der Bundesrepublik gleich mehrere neuralgische Punkte – bei seinen Kritikern wie auch Befürwortern258. Auslöser der Debatte war die in Übereinstimmung mit der Kirchenkonferenz erfolgte Zurückweisung des Papiers durch den Rat der EKD. Die Kontroverse blieb allerdings auf kirchliche Öffentlichkeiten beschränkt; der Themenkreis „Kirche und Gewalt“ war infolge des „Deutschen Herbstes“ inzwischen massenmedial „abgearbeitet“. „Südafrika“ blieb laut Mainzer „Allgemeine Zeitung“ ein „heißes Thema in kirchlicher Diskussion“259. Die Kritikpunkte des Rates der EKD betrafen in erster Linie die Vorgehensweise des Genfer Stabes – das getrübte Verhältnis der vergangenen Jahre zeigte Nachwirkungen260. Der Rat kritisierte 1. die Legitimation des Papiers, auch aus Sorge um einen weiteren Imageschaden des damit identifizierten Weltkirchenrats in der Bundesrepublik; 2. die Selbstermächtigung einer Dienststelle des ÖRK, die politische Lage in Südafrika ohne Absprache mit den dortigen Kirchen beurteilen zu können; 3. den NS-Vergleich und die Berufung auf Bonhoeffer; 4. die Definition des Anti-Apartheidkampfes als „gerechte Sache“, obwohl eine verbindliche

256

SCHMITHALS, Schuld; GOLLWITZER, Thesen. Vgl. den Rundbrief der Kirchenkanzlei der EKD an alle Ratsmitglieder und leitende Geistliche der EKD-Gliedkirchen vom 3. 1. 1978 (EZA BERLIN, 2/7266). Gegenstand der Kontroverse waren nicht Gollwitzers Nachbetrachungen zur Genfer Weltkonferenz 1966, sondern eine im Sommersemester 1970 von ihm vorgestellte Thesenreihe, die seine früheren Betrachtungen zusammenfasste, „Sozialismus und Revolution“. In: JK 31 (1970), 431–437. Vgl. oben Kap. 2. 4. 3.1. 257 REIN, Gewalt, 133; „Christen zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit“. In: JK 39 (1978), 86–88. Das zweite „Rotbuch“ widmete sich ausgiebig dem „Terrorjahr“ 1977, MOTSCHMANN / KÜNNETH, Rotbuch. 258 Eine von den FESt-Mitarbeitern Wolfgang Huber, Christine und Wolfgang Lienemann verantwortete Auswertung der Reaktionen stellte fest, dass die Antworten „fast ausnahmslos“ aus Westeuropa kamen. Davon stammten rund 90 Prozent aus der Bundesrepublik (HUBER / LIENEMANN, Südafrika, 54). 259 Zit. n. EpdD, Nr. 17/1978, 42. 46a. In einer Kurzmitteilung lobte „Die Welt“ die Antwort des Rates der EKD als „überfällig“ gewordene „bürgerliche Maulschelle“ (zit. n. EBD., 46a). 260 Vgl. etwa die Empörung über Sjollemas Osloer Rede im Frühjahr 1973, oben 319.

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Begriffsbestimmung seitens des ÖRK noch gar nicht vorliege, sowie 5. den Anstoß, die in den „meisten“ ÖRK-Mitgliedskirchen verworfene Lehre vom gerechten Krieg als revolutio iusta zu repristinieren261. Eine von Karl Herbert und Martin Stöhr verfasste und von rund 100 teilweise recht bekannten Persönlichkeiten, etwa Eberhard Bethge262, unterstützte Anfrage hielt dem Rat vor, mit der Zurückweisung des Papiers verweigere er „solidarisches Mitdenken an dem ethischen Problem“. Damit folge er dem Vizepräsidenten der EKDKanzlei, der in dem Genfer Papier „nur eine fragwürdige ‚Lehre von der gerechten Rebellion‘ und damit deren allgemeine Rechtfertigung“ sehe263. Tatsächlich deutete Wilkens den Genfer Vorstoß als weiteres Indiz für eine „Retheologisierung säkularisierter Heilslehren“: Diese Entwicklung trage eine Mitverantwortung an dem, laut Wilkens, irrationalen Phänomen des Terrorismus. Dass die Christenheit in der Gewaltfrage „wieder neu ins Stottern“ geraten sei, liege an der christlichen Anpassung an „weltliche“ (marxistische) „Gesellschaftslehren“. In dem von Herbert und Stöhr beanstandeten Artikel gab Wilkens – auch angesichts der Gewalt, die er als Ritterkreuzträger an den Fronten des Zweiten Weltkrieges persönlich erlebt hatte – zu bedenken, eine Lehre von der gerechten Revolution würde die „Wiederbelebung“ von bellum iustum und damit eine Zurücknahme der „sittliche[n] Verwerfung des Krieges“ bedeuten. Im Sinne Bonhoeffers stellte er klar, der Ausdruck „gerecht“ sei in diesem Kontext viel zu sehr „dem Mißverständnis der Gerechtsprechung ausgesetzt, als daß er von einer Kirche der Reformation, die eine Ethik der Rechtfertigung um Christi willen durch den Glauben zu lehren hat, für Krieg und Revolution übernommen werden dürfte. Es wäre abwegig, eine mehr vernünftig und naturrechtlich gewonnene Wertordnung zu vertreten, die wie ein Koordinatennetz für alle denkbaren Entscheidungsfälle von vornherein die Bedingungen für sündig oder nicht sündig festlegt. Eine derartige

261

Kommuniqué über die gemeinsame Sitzung von Rat und Kirchenkonferenz der EKD vom 25. 2. 1978; Brief des Rates an die leitenden Funktionsträger des ÖRK vom 14. 3. 1978, zit. n. EpdD, Nr. 17/1978, 32 u. 38. 262 Bethge attestierte der EKD, sie weigere sich, Bonhoeffers „Schritt“ in den politischen Widerstand – auch aus Verunsicherung über die nationale Terrorismusdebatte – nicht als ein „Paradigma“ anzuerkennen, „das vorausnahm, was auch kirchlichen Gemeinschaften eines Tages klarer aufgehen und in der einen oder anderen Form aufgegeben sein könnte“ (BETHGE, Widerstand, 53). 263 HERBERT / STÖHR, Solidarität. Vgl. die ins Persönliche gehende Kontroverse zwischen Wilkens und dem Soziologen Gerhard Grohs. Der spätere Vorsitzende der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst befürwortete energisch einen Investitionsstop. Seiner Ansicht nach habe der Rat das Hintergrundpapier aus Angst, als Sympathisant „denunziert“ zu werden, abgelehnt (GROHS, Rebellion, 404). Dazu WILKENS, Gewaltanwendung. Vgl. Brief Wilkens an Grohs vom 31. 5. 1978 (EZA BERLIN, 81/4/221).

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Kasuistik versagt in Situationen, in denen sich die ausweglose Verstrickung in den Schuldzusammenhang der Welt so aufdrängt, daß ein Handeln nur noch unter Anfechtung und Vertrauen auf die Vergebung möglich ist.“264

Aus Sicht des Mainzer Arbeitkreises Südliches Afrika lief die EKD Gefahr, frühere Fehler im Falle Südafrikas zu wiederholen. Im Dritten Reich hätten die Kirchenvertreter christliche Widerstandskämpfer wie Bonhoeffer „im Stich“ gelassen265. Angesichts der Terrorismus-Erklärung des Rates vom September 1977 wurde nun auch die Vermutung laut, die Abwehr einer revolutio iusta stehe in Zusammenhang mit der Re-Absolutierung des staatlichen Gewaltmonopols. Deshalb weigerte sich auch Wolfgang Schweitzer, außer bellum iustum auch eine revolutio iusta prinzipiell zurückzuweisen. Der Leiter der Kirchlichen Hochschule Bethel war nach wie vor der Auffassung, der Rat fordere strikten Gewaltverzicht im Sinne eines überkommenen obrigkeitsstaatlichen Gewaltmonopols. Die Vergleiche mit Bonhoeffer und der NS-Zeit hielt er für berechtigt. Schweitzer fragte: „Muß die Warnung des Rates vor ‚undifferenzierten‘ Übertragungen nicht den Eindruck erwecken, als wichen wir Deutschen Überlegungen aus, die für uns peinlich sind?“266 Wilkens und der Rat erhielten freilich auch Zuspruch. Ex-Bundestagspräsident Gerstenmaier kritisierte den epd. Dieser habe es in den vergangenen Jahren, so der frühere NS-Widerstandskämpfer, unterlassen, über „die in Genf praktizierte Verwerfung der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre“ zu berichten. Während seines Südafrika-Besuchs habe ihm Außenminister Pik Botha im freundlichen Gespräch versichert, die Regierung unternehme „ihr möglichstes“, Weiße und Schwarze vor einer „Nacht der langen Swapomesser“ in Namibia zu bewahren267. Im Hörfunkkommentar des NDR/WDR kritisierte auch Manfred Linz die Vorgehensweise des Genfer Stabes. Noch „schwerwieg264

Erwin Wilkens, „Überlegungen zur Gewaltfrage“, 15. 1. 1978 (EZA BERLIN, 2/8572); WILWiderspruch. Vgl. die Langfassung, EpdD, Nr. 17/1978, 9–15. Dazu biographisch, WILKENS, Bekenntnis, 30–60. Martin Honecker bemerkte in „Christ und Welt“, die Lehre vom Gerechten Krieg feiere in der marxistisch-leninistischen Theorie ohnehin eine Renaissance als „Rechtfertigungsideologie“ (HONECKER, Krieg). 265 Zit. n. EpdD, Nr. 17/1978, 40. Letztlich aber wusste Bonhoeffer, dass die (Bekennende) Kirche seinen Weg nicht mitgehen konnte und durfte. Dazu MAYER, Kirchenspaltung, 48. 266 SCHWEITZER, Grenzen. Vgl. oben 308. Vgl. auch JANOWSKI, Preis. 267 Brief Gerstenmaiers an Class vom 6. 3. 1978 (EZA BERLIN, 81/4/221). Vgl. GERSTENMAIER, Notizen. In Namibia drohte der Friedensplan der Vereinten Nationen im Sommer zu scheitern. Da die SWAPO an ihrem alleinigen Machtanspruch im Falle der Unabhängigkeit festhielt und die Zusammenarbeit mit gemäßigteren einheimischen Organisationen ablehnte, drohte der Guerillakrieg gegen Südafrika in einen Bürgerkrieg umzuschlagen. Vgl. KIENZLE, Wettersturz; „Wir werden die Macht nicht teilen“. In: Der Spiegel, Nr. 31 vom 31. 7. 1978, 85; und „Wortlos zurück“. In: Der Spiegel, Nr. 39 vom 25. 9. 1978, 143–144. KENS,

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ender“ sei sein unvorsichtiger Umgang mit dem „hochgefährlichen geistigen Sprengsatz“ einer revolutio iusta. Solidarität sei zwar gefragt, „aber doch nicht eine christliche Rechtfertigung jenes Aufstandes, der ja Blut und Tränen in einem unvorstellbaren Ausmaß kosten wird.“ Zugleich aber monierte Linz die im „schulmeisterlichen Ton“ vorgetragenen Kritikpunkte des Rates. Heinz Joachim Held, Präsident des Kirchlichen Außenamtes der EKD, teilte diese Auffassung, formulierte sie jedoch zurückhaltender. Held empfahl eine empathischere Stellungnahme, die die von der Apartheid selbst Betroffenen stärker ansprechen sollte. Mit Hinweis auf die Gewalt-Thesen der Kammer für öffentliche Verantwortung folgerte er: „Wenn es richtig ist, daß eine Entscheidung zur Gewaltanwendung nur [. . .] unter Furcht und Zittern getroffen werden kann, so kann eine Entscheidung für die Gewaltlosigkeit in einer äußersten Notsituation ebenfalls nur unter Furcht und Zittern getroffen werden.“268

Wilkens widersprach dieser Ansicht, teilte aber – auch biographisch bedingt269 – Helds Auffassung, die EKD müsse ein „umfassenderes Südafrika-Konzept“ erarbeiten. „Nur so“ könne der „phantasielosen“ These, Lösungen seien nur unter Gewaltanwendung zu erreichen, konstruktiv begegnet werden. Der Rat nahm beider Wünsche auf und beauftragte sie, zusammen mit Scharf und Präses Thimme eine differenziertere zweite Stellungnahme zu erarbeiten270. Die innerkirchliche Debatte über die Gewaltfrage im südlichen Afrika und den ÖRK kam auch in den folgenden Wochen nicht zur Ruhe. Zum einen wegen der – im nächsten Kapitel behandelten – Antwort des ostdeutschen Kirchenbundes auf das Hintergrundpapier, zum anderen wegen der Vergabepraxis des ARP-Sonderfonds. Zunächst machte es den Anschein, als würden Gollwitzers Betrachtungen zum Genfer Papier Aufsehen erregen. Im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ attestierte er dem Rat der EKD ein „Verwirrspiel“ ethischer „Kategorien“: Einerseits wohne der Rat den Feierlichkeiten zum 20. Juli 1944 und dem 17. Juni 1953 alljährlich bei, „von den Sympathien für den ungarischen

268 Linz, zit. n. EpdD, Nr. 17/1978, 41f. Brief Helds an Class vom 22. 3. 1978 (EZA BERLIN, 81/4/221). Vgl. JANOWSKI, Preis, 130. 269 Nach dem Abitur war Wilkens im März 1933 der SA beigetreten. Wegen energischen Protests gegen antisemitische Ausschreitungen sei er im Sommer dann aus ihr „ausgestoßen“ worden. Die Abkehr vom Nationalsozialismus und der beginnende „Kirchenkampf“ hätten ihn schließlich zum Theologiestudium und Engagement in der BK bewogen (WILKENS, Bekenntnis, 13–16). 270 Wilkens’ Überblick und die Diskussion der Reaktionen auf das Hintergrundpapier bis zum 6. 4. 1978 (EZA BERLIN, 4/1340); epd-ZA, Nr. 110 vom 12. 6. 1978; und HERMANN, Apartheid, 249.

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Aufstand“ von 1956 ganz zu schweigen; andererseits versuche er den Schwarzen einen „grundsätzliche[n] Pazifismus als allein christliches Verhalten aufzureden“. Das Hintergrundpapier sei für ihn eine Steilvorlage, sämtliche traditionellen Widerstände im Luthertum gegen den Gedanken einer „gerechten Revolution“ zu mobilisieren. Im südlichen Afrika, so Gollwitzer, richte sich der Widerstand nicht gegen von Gott eingesetzte legitime Obrigkeiten, sondern Kolonialregime. Die Kategorie des bellum iustum sei daher die „zuständige Kategorie“ für die dortige Gewaltfrage. „Gerade für das deutsche Luthertum“ sei der bewaffnete Aufstand gegen Fremdunterjochung „bis 1945 der Exemplarfall“ eines „gerechten Krieges“ gewesen. Gollwitzer erinnerte an seinen Erlanger Lehrer Paul Althaus, der 1932 in seinem Kommentar des Römerbriefes das Revolutionsrecht für genau einen Fall behauptet hatte, nämlich „den Sturz einer das Volk in fremde Abhängigkeit führenden Regierung (Weimarer Republik)“271. Gollwitzers Äußerungen wurden von einem anderen Ereignis überschattet. Aus politischen Gründen hatte der Genfer Stab beschlossen, die marxistisch orientierte Patriotische Front von Simbabwe, dem damaligen Rhodesien, mit Sonderfonds-Mitteln zu unterstützen. Der früher ebenfalls geförderte Vereinigte Afrikanische Nationalkongress (UANC) ging leer aus. Im Gegensatz zu der von Robert Mugabe – dem späteren Diktator des 1980 unabhängig gewordenen Landes – geleiteten Patriotischen Front, suchte er einen friedlichen Ausgleich mit dem weißen Minderheitsregime. Der im Frühjahr ausgehandelte Übergangsprozess wurde von der Patriotischen Front jedoch nicht akzeptiert. Der Guerillakrieg, dem außer weißen Farmerfamilien und (farbigen) Einheimischen auch christliche Missionare zum Opfer fielen, ging weiter. Da westdeutsche Medien ausgiebig über die Gräueltaten der Patriotischen Front, u. a. Abschüsse von Zivilflugzeugen, berichteten, nahmen auch die breite Öffentlichkeit an den Geschehnissen in Rhodesien Anteil272. Vor dem Hintergrund der nationalen Terrorismusdebatte setzte die Evangelische Notgemeinschaft ihre Spendenkampagne für „Terror“-Opfer im südlichen Afrika weiter fort. Um jegliche Mitverantwortung am Sonderfonds von der Hand zu weisen, machte die Kirchenleitung der VELKD auf ihren Alternativfonds „Versöhnung und Gerechtigkeit“ aufmerksam273. 271

GOLLWITZER, Gewalt. Zu Althaus, vgl. oben 9f. epd-ZA, Nr. 154 u. 185 vom 10. 8. 1978 bzw. 25. 9. 1978, 6 u. 2. Vgl. „Immer grausamer“. In: Der Spiegel, Nr. 27 vom 3. 7. 1978, 94–95; „Erst die Macht“. In: Der Spiegel, Nr. 35 vom 28. 8. 1978, 92–94. Unter Missionaren war die Frage der Selbstverteidigung mit Waffengewalt umstritten, YOUNGHUSBAND, Pater. 273 RUFF, Spende; DERS., Terrorkrieg. Die terroristische Gewalterfahrung beherrschte auch die anschließende Herbsttagung der VELKD-Generalsynode, HAUSCHILD, Kirche [1978], 72–74. 272

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Vor allem in den „westlichen“ Mitgliedskirchen wurde gegen die Genfer Entscheidung protestiert. Die Heilsarmee, Gründungsmitglied des ÖRK, suspendierte gar vorläufig ihre Mitgliedschaft. Trotz neuer Berichte über Gräueltaten an weißen und schwarzen Zivilisten hielt der Stab an seiner Entscheidung fest. Zur Kritik des Schweizerischen Kirchenbundes erklärte Sjollema im eidgenössischen Fernsehen, die Förderung des UANC wäre ebenfalls eine – Partei ergreifende – „politische Entscheidung“ gewesen274. Die Kirchenkanzlei der EKD sah dies anders. Sie deutete den Schritt als Zäsur, denn bei der Sonderfonds-Förderung seien bis dato ausschließlich „humanitäre Kriterien“ in Anspruch genommen worden. Laut Wolfhart Pannenberg entmutige der ÖRK gerade jene „schwarzen Kräfte“, die sich für Versöhnung einsetzten. Auch „farbige“ südafrikanische Kirchenführer erklärten, die Genfer Zentrale habe sich vom „Mandat der Versöhnung“ entfernt275. In der ökumenischen Debatte blieb die zweite Stellungnahme des Rates zum Genfer Hintergrundpapier eine Randnotiz. Sein bekräftigter Vorwurf, Genf folge „mehr dem politischen Kalkül“ und vernachlässige sowohl „spezifische kirchliche Aufgaben“ als auch „die Suche nach alternativen politischen Möglichkeiten“, gewann im ÖRK an Gewicht276. Und dennoch bestätigte das in Helsinki tagende Exekutivkomitee die Entscheidung des Genfer Stabes per Mehrheitsentscheid. Gegen die Stimme des westdeutschen Vertreters fasste er zudem den Entschluss, nun auch einzig die SWAPO zu fördern – trotz des von ihr heraufbeschworenen Bürgerkriegs277. In den westdeutschen Kirchen führte dies vielerorts zur Auffassung, das Maß sei nun endgültig voll. Die EKD sprach von der Notwendigkeit, ihr Verhältnis zum ÖRK grundlegend zu überdenken. Wilkens erklärte im Deutschlandfunk, der ÖRK sei zur „quasi mitkriegsführenden Organisation“ geworden. Nach dem Hintergrundpapier habe er sich endgültig in eine Sackgasse manövriert. „Stellvertretend“ für die Unmutsäußerungen in den Landeskirchen forderte die „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“ die Synode der EKD zum ÖRK-Austritt auf278. Die Landeskirche von Schaumburg-Lippe kündigte an, ihre Mitgliedschaft ruhen zu lassen. In Württemberg 274

STUBBE, Heilsarmee; MIERAU, ÖRK. Zu Sjollema, epd-ZA, Nr. 194 vom 6. 10. 1978, 3. Erklärung der Kirchenkanzlei, zit. n. epd-ZA, Nr. 160 vom 21. 8. 1978, 1; Brief Pannenbergs an Class vom 13. 8. 1978 (EZA BERLIN, 81/4/222). Zu den afrikanischen Stimmen, MIERAU, ÖRK. 276 Gegenüber den Medien wurde sie als „Zusammenfassung der Position der EKD in der Südafrikaproblematik“ vorgestellt (EpdD, Nr. 38a/1978, 2 u. 14). 277 epd-ZA, Nr. 196 vom 26. 9. 1978, 3. 278 Wilkens, zit. n. epd-ZA, Nr. 210 vom 30. 10. 1978, 6; Offener Brief der Bekenntnisbewegung vom 30. 10. 1978 (HAUSCHILD, Kirche [1978], 43f.). 275

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führte eine entsprechende Initiative zur synodalen Vertrauensabstimmung über Landesbischof Class. Wohl nur deshalb entschied sich eine dennoch knappe Mehrheit für den Verbleib im ÖRK. Auf Class’ Anraten als Ratsvorsitzender hin hatte die EKD-Synode dafür votiert, den ÖRK weiter „brüderlich-kritisch“ zu begleiten279. Daher unterstützte sie das von Rat und Kirchenkonferenz beschlossene Vorgehen: Beide hatten am 21. Oktober zum Verbleib im ÖRK aufgerufen. Der Rat sollte „geeignete Schritte“ einleiten, um den ÖRK zur Änderung der Organisation und Vergabepraxis des Sonderfonds zu bewegen280. In einem Memorandum zum Verhältnis zwischen EKD und ÖRK gestand der Rat am 6. November ein, über die „Frage, ob und wieweit“ die Kirchen „direkt oder indirekt bewaffnete Gewalt unterstützen können“, herrsche in der EKD „keine Einmütigkeit“. Sie agierten nicht unbeeinflusst von der Politik, schließlich seien auch ihre Glieder Teil „der gesellschaftlichen Ordnung“, in der „Kirche existiert“. Vor der EKD-Synode bemerkte Class, die Gewaltfrage sei das „Paradigma der Theologie des politischen Handelns der Kirche“ geworden. Aufgrund der Versäumnisse „unserer eigenen Geschichte“, hieß es in dem Memorandum weiter, könne es aber nicht Aufgabe der Kirche sein, bewaffnete Kämpfe zu unterstützen. Es sei zudem fraglich, ob das Arrangement des Sonderfonds die 1970 festgelegte „Intention“ des ARP überhaupt noch fördere, denn „spätestens“ seit dem angolanischen Bürgerkrieg gehe es „nicht mehr nur um die Überwindung des weißen Rassismus, die Beseitigung bisheriger Unrechtsstrukturen, sondern auch um die Struktur der künftigen Gesellschaftsordnung“. Ferner widerspreche die einseitige „Option“ für die Patriotische Front dem 1971 in Addis Abeba vereinbarten Grundsatz, dass sich die Kirche mit politischen Gruppen „niemals voll identifizieren“ könne. Zusammen mit einer „Reihe anderer Kirchen“ hielt der Rat es für illegitim, dass sich der Genfer Stab über „solche Fragen“ hinwegsetze. In einer Kirchengemeinschaft wie dem ÖRK sei es „auch nicht dienlich“, sie per Stimmmehrheit zu entscheiden281. In einem Rundfunkkommentar für die Dritten Programme lobte Martin Linz den Ausgang der Betheler EKD-Synode. Vom Austritt deutscher Kirchen könne keine Rede mehr sein. Die befürchtete „Selbstisolierung“ der EKD sei

279

epd-ZA, Nr. 209 vom 27. 10. 1978, 3; epd-ZA, Nr. 223 vom 17. 11. 1978, 2. Kommuniqué über die gemeinsamen Sitzungen von Rat und Kirchenkonferenz vom 19. bis 21. 10. 1978; Beschluss der Synode der EKD zum Memorandum des Rates der EKD vom 10. 11. 1978, beide zit. n. CHRISTOPH, Kundgebungen, 377 u. 432. 281 Das Memorandum, zit. n. EBD., 382, 385–387. Class’ Bericht, zit. n. HAUSCHILD, Kirche [1978], 76. 280

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abgewendet worden. In diesem Zusammenhang spielte auch die gemeinsame Erinnerung an die Nachkriegszeit und die – trotz Kriegsschuld und Nationalsozialismus relativ – freundliche Aufnahme der EKD im Weltkirchenrat eine Rolle. Laut Linz drohten die Kirchen auch „nicht mehr“ mit Beitragskürzungen für den in Finanznot geratenen ÖRK. Entsprechende Vermutungen, die EKD würde die von ihr gewünschten Änderungen am Sonderfonds auf diese Art zu erreichen suchen, erwiesen sich aber letztlich als haltlos282. Die europaweite Forderung nach einer Überprüfung und Revision des Sonderfonds war auch dem ÖRK-Stab nicht entgangen. Laut Held habe selbst in Genf ein Umdenken eingesetzt. Der Leiter des Kirchlichen Außenamtes der EKD empfahl dem Rat, den „grundsätzlichen Denkprozeß“ nicht durch „zu scharfe Kritik“ zu gefährden283. Mit dieser Einschätzung sollte Held tatsächlich Recht behalten. Im Januar 1979 erklärte Generalsekretär Potter auf der ZATagung des ÖRK in Kingston, Jamaika, der Sonderfonds müsse in den 1980er Jahren an eine „weitaus“ komplexere Situation angepasst werden. So sah es auch der Genfer Stab. Angesichts der westeuropäischen Bedenken folgten die Delegierten Potters Vorschlag, einen eineinhalbjährigen „Beratungsprozess“ über die Fortsetzung des ARP einzuleiten284. Das Arrangement des Sonderfonds blieb bis auf eine – für die deutsche Kirchensteuerproblematik wichtige – Einzelheit unverändert. Sanktioniert wurde nur die bereits seit Mai 1978 angewandte Regelung, dass auch die Verwaltungskosten des Sonderfonds ausschließlich über zweckbestimmte Spendengelder bestritten wurden. Damit erfüllte sich zumindest eine der in Bethel beschlossenen Forderungen der EKD-Synode. Kritiker warfen der EKD nicht ganz zu Unrecht vor, die haushaltsrechtliche Verselbständigung des Sonderfonds fälschlicherweise als Verhandlungserfolg der EKD-Delegation öffentlich verkauft zu haben285. Über den Verlauf der ZA-Tagung zeigte sich Held „grundsätzlich zufrieden“, gab vor dem Rat der EKD jedoch zu erkennen, dass die unterschiedlichen Positionen zwischen den „westlichen“ und den „jungen Kirchen“ auch in

282 Abschrift des am 17. 11. 1978 gesendeten Kommentars (EZA BERLIN, 2/85103). Im Leitartikel der „Neuen Stimme“ wurde der EKD vorgeworfen, sie betreibe eine finanzielle „Erpressungspolitik“ und kaschiere ihre fehlende politische Neutralität (WERNER, Politisch). Vgl. LINZ, Ökumene, 29; „Keine Sanktionen gegen den Weltkirchenrat“. In: BSBl, Nr. 47 vom 19. 11. 1978, 2; und HAMMER, Situation, 17. 283 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 8. / 9. 9. 1978 (EZA BERLIN, 2/ 8291). 284 EpdD, Nr. 6/1979, 12 u. 25. Zur Haltung des Genfer Stabes, EBD., 34–52, 51. 285 Vgl. das u. a. von Martin Stöhr und Karl Herbert als EKD-kritischen Beitrag zum Beratungsprozess verfasste Memorandum „Ökumenische Freiheit und Verantwortung“. In: Neue Stimme 31 (1979), H. 8, 25–29, 26.

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Zukunft nicht überbrückbar wären. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den ÖRK-Gremien betonte Held, es sei einfach „nicht mehr“ der Weltkirchenrat des Jahres 1948286. Zur Kingstoner Tagung und dem alles beherrschenden Nord-Süd-Konflikt hieß es in den „Evangelischen Kommentaren“: „Die scharfen Reaktionen, mit denen die Schwarzafrikaner die Kritik einiger europäischer Kirchen am Sonderfonds kurzerhand als Rassismus zurückwiesen, und die Weigerung, die Kriterien [. . .] angesichts der veränderten Lage einer Prüfung zu unterziehen, führt deutlich vor Augen, daß es in diesem Streit gar nicht nur um das Antirassismusprogramm und die Befürwortung oder Verwerfung von Gewaltanwendung im Widerstand geht.“287

Mit Blick auf die Spandauer Frühjahrstagung der EKD-Synode teilte Held dem scheidenden Ratsvorsitzenden daher mit, es gebe im ÖRK „Probleme, Divergenzen und Polarisationen“, mit denen man „wohl noch lange“ werde leben müssen. Held begriff sie auch als Chance, die Polarisierung in der EKD zu überwinden: „Wir müssen uns doch alle der (vom anderen Partner besser als von uns selbst erkannten) Politisierung bewußt werden, in der wir selber stecken.“ Nur dann könne man „aufrichtig miteinander umgehen und voneinander lernen“288. Die Frühjahrstagung der EKD-Synode, so der Bericht der „Zeit“, sei tatsächlich von der Einsicht über die Unvermeidlichkeit, „Mit Konflikten leben“ zu müssen, so die Anspielung auf das Kirchentagsmotto von 1963, geprägt worden. Die erstmalige Teilnahme evangelikaler Gruppen an dem seit 1967 boykottierten DEKT und der Generationenwechsel in den kirchlichen Leitungsgremien gäben Hoffnung, dass die „ideologische Polarisierung“ nicht mehr so heftig ausgetragen werde. Die vom „Kirchenkampf“ geprägten Geistlichen, so die weitere Begründung, räumten für jene den Platz, „die von den Erfahrungen einer ‚normalen‘ Kirche geprägt sind.“ Für sie sei es nicht mehr „die Kernfrage, wieviel Welt die Kirche verträgt, welche Art der Frömmigkeit angemessen ist, ob der Theologie der Befreiung oder der Theologie der Bewahrung Vorrang gebührt, ob es

286

Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 25. / 26. 1. 1979 (EZA BERLIN, 2/

8291). 287 JANOWSKI, Christen, 62. Auch andere Kommentatoren unterstrichen die alles in den Schatten stellende Bedeutung des Konflikts zwischen der Ersten und Dritten Welt, GROHS, Bericht; „Kirchengelder für gewaltsame Befreiung?“ [unterzeichnet mit dem Kürzel: „D.St.“]. In: Die Zeit, Nr. 3 vom 12. 1. 1979, 8. 288 Brief Helds an Class vom 23. 3. 1979 (EZA BERLIN, 2/8041). In seinem Rechenschaftsbericht vor der EKD-Synode griff Class diese Betrachtungen positiv würdigend auf, WILKENS, Grundsatzfragen, 71. Vgl. EBD., 21.

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eine politische Diakonie geben darf oder eine diakonische Politik, ob das Antirassismus-Programm [. . .] gebilligt werden kann oder nicht.“

Ob die Wahl des neuen Rates der EKD wirklich einen „Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte des deutschen Protestantismus“ darstellte, sei dahingestellt289. Unter dem Ratsvorsitz Eduard Lohses erhielt das von Held geleitete Kirchliche Außenamt jedenfalls mehr Freiheit im Umgang mit dem ARP und der Gewaltproblematik im südlichen Afrika. Lohse vertrat öffentlich die Ansicht, auch die Weltchristenheit müsse mit Kompromissen leben; „schon“ die Christen in der DDR sähen den Sonderfonds „anders“. Die westdeutschen Kirchengemeinden stünden daher „noch ziemlich am Anfang eines Lernprozesses“, so Lohse auf dem Jahresempfang im Kloster Loccum290. Insgesamt betrachtet, war das Jahr 1979 also durchaus eine Zäsur. Mit dem in Kingston beschlossenen „Beratungsprozess“ verband das Kirchliche Außenamt die Hoffnung, eine ökumenische Annäherung zwischen „Nord“ und „Süd“ einzuleiten. Im September 1979 signalisierte das ÖRK-Exekutivkomitee, hierzu müssten auch die Anliegen der „reichen“ Kirchen berücksichtigt werden. Für die Teilnahme an der Londoner Rhodesienkonferenz gewährte er der Patriotischen Front einen – zweckgebundenen – Finanzbetrag aus dem Sonderfonds. Die Organisation, so die Begründung, wäre sonst nicht in der Lage, die Kosten ihres technischen Personals selbst zu tragen. Sowohl EKD als auch VELKD unterstützten diese Maßnahme mit eigenen Finanzspritzen. Damit folgten sie Helds Auffassung, es handele sich um einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Beilegung des Rhodesienkonflikts291. Gleichzeitig verdeutlichte die Presseerklärung der Arnoldshainer Konsultation von EKD und ÖRK über „theologische Grundsatzfragen“, dass eine „inhaltliche Übereinstimmung“ trotz „erkennbarer Ansätze besseren gegenseitigen Verstehens“ in weiter Ferne lag. An der viertägigen Veranstaltung nahmen außer westeuropäischen und einem ostdeutschen Kirchenvertreter auch Repräsentanten der evangelikalen Bewegung teil. Da Letztere ihr „erklärte[s] Nein“ zum ÖRK auch dort unterstrichen, geriet das „bewußte Ja“ der EKD „zum gemeinsamen Weg“ in der Ökumene in den Hintergrund292. Zum Abschluss des Beratungsprozesses im Juni 1980 bekräftigte die EKD ihre Haltung. Auf die Frage, ob die rund einjährige Diskussion in den ÖRKMitgliedskirchen zu neuen Erkenntnissen mit Blick auf die Weiterführung des 289

STROTHMANN, Kirche. Zur ersten Tagung der sechsten EKD-Synode, EpdD, Nr. 46/1979. Zit. n. epd-ZA, Nr. 7 vom 10. 1. 1979, 3. Vgl. HERMANN, Apartheid, 262f. 291 epd-ZA, Nr. 185 vom 24. 9. 1979, 3; epd-ZA, Nr. 229 vom 26. 11. 1979, 1. 292 epd-ZA, Nr. 190 vom 1. 10. 1979. Vgl. Helds persönlichen Bericht über die vom ihm geleitete Tagung, EpdD, Nr. 46/1979, 96–108. 290

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ARP in den 1980er Jahren geführt habe, hieß es in einer Stellungnahme, die das Kirchliche Außenamt zusammen mit der Kirchenkanzlei der EKD und dem Kirchenamt der VELKD zur Auswertung des Beratungsprozess erarbeitet hatte: Es sei „das Bewußtsein dafür gewachsen“, dass „gewaltsamer Widerstand nicht verurteilt werden kann. Daneben bemerken wir freilich, daß in vielen Kreisen das Mißtrauen gegenüber einer Gewaltanwendung überhaupt gewachsen ist, selbst wo sie als äußerstes Mittel in auswegloser Lage angesehen wird. Das hängt mit der Erfahrung zusammen, daß gewaltsame Lösungen politischer und gesellschaftlicher Probleme in der Regel nicht zu einer neuen Gesellschaftsordnung der Freiheit und Menschenwürde geführt haben.“

Man bringe dies aufgrund der eigenen „schuldhaft[en]“ deutschen Geschichte zum Ausdruck, wisse aber, dass diese Erfahrung „nur im Bewußtsein unserer gemeinsamen Betroffenheit durch die heutigen Probleme in das ökumenische Gespräch“ eingebracht werden könne; die konkrete Entscheidung sei von den Betroffenen ohnehin selbst zu fällen. Im ÖRK müssten sich die Kirchen deshalb „gegenseitig Verständnis für ihre jeweilige“ gesellschaftliche Situation aufbringen, „zumal niemand“ dem „Verdacht politischer Parteilichkeit ganz entgehen“ könne. Deshalb erging auch der Aufruf, die Kritiker des ARP nicht in die Nähe von Unterdrückern zu rücken293. Auf der – die regionalen Beratungsprozesse zusammenfassend – abschließenden Weltkonsultation im niederländischen Nordwijkerhout war dies jedoch genau der Fall. Die Delegierten aus der Dritten Welt waren klar in der Überzahl. Die gegen den Sonderfonds vorgebrachten Einwände der EKD fanden „nicht einmal mehr Zuhörer“; dabei war die westdeutsche Delegation durchaus „progressiv“ besetzt. So erklärte Lothar Coenen, OKR im Kirchlichen Außenamt: „Wir sind zu langsam im Prozeß des Umdenkens. Ich wage nicht einmal um ihr Verständnis zu bitten.“ Trotz seiner Beteuerung, auch er sei gegen eine Änderung der Sonderfonds-Kriterien, scheiterte Helmut Simons Antrag, die einwöchige Konferenz möge zumindest 15 Minuten darüber debattieren294. In seinem Konferenzbericht betonte Simon, die Europäer müssten begreifen, dass der ÖRK „gerade durch den Sonderfonds viel Ansehen und Vertrauen in der Dritten Welt gewonnen“ habe; Vorbehalte fänden „derzeit kein Verständnis“. Wenig überraschend folgte der ZA der Konsultationsempfehlung, den Sonderfonds einschließlich seiner Vergabekriterien unverändert zu lassen295. 293 „Überlegungen aus der EKD über die Beteiligung der Kirchen an der Bekämpfung des Rassismus“, zit. n. EpdD, Nr. 29a/1980, 9–11. Vgl. epd-ZA, Nr. 110 vom 11. 6. 1980, 1–2. 294 Coenen, zit. n. VÖGELI, EKD; Simon, zit. n. epd-ZA, Nr. 117 vom 23. 6. 1980, 4. 295 SIMON, Antwort, 472; EpdD, Nr. 44–45/1980, 92. Zum ZA-Beschluss, epd-ZA, Nr. 162 vom 25. 8. 1980, 3.

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Der „Antirassismusstreit“ ging in den 1980er Jahren weiter. Das „institutionelle Dilemma“ der EKD als eine mit der globalen Ökumene verbundene, gesellschaftlich verortete und nicht nach dem Freiwilligkeitsprinzip organisierte „Volkskirche“ blieb bestehen296. Die Erfahrungen der 1970er Jahre bedingten allerdings eine gewachsene Sensibilität. Den Blick auf das neue Jahrzehnt gerichtet, unterstrich das Kirchliche Außenamt, die innerkirchlichen Spannungen würden „nachweislich um so härter, je deutlicher“ die „Frage der wirtschaftlichen Verquickung“ und damit die im ARP „enthaltene Forderung nach Veränderung der politisch-wirtschaftlichen Machtstrukturen an uns selbst zutage tritt.“297 In diesem Zusammenhang machte Wolfgang Huber auf einen Agendenwechsel aufmerksam: „Wer heute von der Ökumene redet, redet vom Konflikt. Er redet nicht nur von ihm, sondern nimmt an ihm teil. Er nimmt so an ihm teil, wie die ökumenische Bewegung selbst teil hat an den Konflikten, die unsere Welt durchziehen und sich in vielen Hinsichten von Tag zu Tag verschärfen.“298

Angesichts der veränderten Großwetterlage in der Weltpolitik gerieten das ARP und die in diesem Kontext diskutierte Gewaltfrage sowohl in der EKD als auch im ÖRK in den Hintergrund. Der spätestens mit dem NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979 wieder verschärfte Ost-West-Gegensatz und die damit einhergehende Gefahr eines Atomkriegs bedingten, dass die protestantische Auseinandersetzung über den Friedensdienst der Kirchen nun (wieder) unter dem Gesichtspunkt der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung fortgesetzt wurde. Dieser Entwicklung unterlag auch der deutsch-deutsche Kirchendialog über das Thema „Änderungsgewalt“. 5.3.2 Deutsch-Deutsche Kontextualisierungen In den ostdeutschen Kirchen war das ARP schon 1975/1976 in den Hintergrund geraten. Das Ergebnis der letzten Spendenaktion hatte erneut verdeutlicht, dass die kirchliche Basis das Programm ablehnte. Der damit einhergehende Vorwurf, mit seinem Eintreten für das ARP betreibe der BEK eine opportunistische Anpassung an das SED-Regime, wog schwer. Nach der demonstrativen Selbstverbrennung des Zeitzer Pfarrers Oskar Brüsewitz nährten westdeutsche Medien, insbesondere die des Springer-Verlags, ihn weiter.

296 297 298

WILLIAMSON, Kirche, 298. COENEN, Kirchen, 5. Vgl. KIRCHLICHES AUßENAMT DER EKD, Was. HUBER, Streit, 11.

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In der DDR ging die Nachricht um, Brüswitz sei als Christ am Sozialismus zerbrochen und habe deshalb ein Zeichen setzen wollen. Vor diesem Hintergrund distanzierte sich der BEK vom ARP, indem er eine Themenverlagerung zugunsten anderer ÖRK-Programme, etwa dem in Nairobi 1975 beschlossenen „Antimilitarismusprogramm“, vorantrieb. Die Turbulenzen im Fall Brüsewitz verursachten wiederum eine Verschlechterung des Staat-Kirchen-Verhältnisses. Das am 8. März 1978 zustande gekommene „Spitzengespräch“ zwischen dem KKL-Vorstand und dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker sollte die Wogen aber nur oberflächlich glätten299. Der Vorwurf der Vereinnahmung wurde dennoch lauter. Der Bund begegnete ihm u. a. mit dem Konzept „Friedenserziehung“, um gegen die für Herbst geplante Einführung der staatlichen „Wehrerziehung“ zu protestieren. In Gesprächen mit führenden Vertretern des SED-Regimes stellten die Vertreter des Bundes klar, die Kirche vertrete keinen strengen Pazifismus, betrachte die Rüstungssituation aber mit großer Sorge300. Mitte März kritisierte Reinhard Groscurth, Ökumenereferent in der EKUKirchenkanzlei, die Reaktion des Rates der EKD auf das Genfer Hintergrundpapier. Trotz der bitteren Erfahrung, die BEK und EKD bei der Verlängerung des ARP 1974 mit ihren unterschiedlichen Voten gemacht hätten, sei nun wieder nicht „daran gedacht“ worden, sich mit dem Bund abzustimmen. Der BEK zeige sich davon „offensichtlich“ unberührt und plane eine eigene Stellungnahme301. Tags zuvor war das Genfer Papier auch in der gemeinsamen Beratergruppe von BEK und EKD erstmalig zur Sprache gekommen. Da die ostdeutschen Teilnehmer noch nicht über das Dokument verfügten, konzentrierte sich die Sitzung auf den Ausgang des „Spitzengesprächs“302. Angesichts der Bedeutung, die dem Treffen mit Honecker im Vorfeld zugemessen wurde, hatte die KKL das Hintergrundpapier kaum beachtet. Der FAK III sollte auf Grundlage bisheriger Stellungnahmen des Bundes zum ARP ein erstes kurzes Votum erarbeiten. Laut Schröter wurde es erst nach seiner Versendung nach Genf am 18. Mai vom KKL-Vorstand richtig zur Kenntnis genommen. Auf der daraufhin einberufenen Vorstandssitzung entbrannte eine Kontroverse über Inhalt und Wirkung des Briefes. Es wurde beschlossen, ein theologisches Votum zum Abschnitt „Ein Gerechter Kampf“ des Hintergrundpapiers erstellen zu lassen. Den Auftrag erhielt nicht der – nun erst recht – umstrittene FAK III, sondern 299 300 301 302

SCHRÖTER, Rezeption, 213–225; SILOMON, Anspruch, 249–257 u. 266–275. EBD., 280. Zum „Wehrunterricht“, LINGNER, Kirchen [1978], 355–362. Brief Groscurths an Held vom 15. 3. 1978 (EZA BERLIN, 4/1340). Vermerk über die Sitzung der Beratergruppe am 14. 5. 1978 (EZA BERLIN, 4/1340).

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die in Konkurrenz zu ihm stehende Theologische Studienabteilung303 und der beim Bund angesiedelte Ausschuss „Kirche und Gesellschaft“. Mit der Versendung des umstrittenen Votums war das Kind allerdings schon in den Brunnen gefallen: Um die Kirchenkanzlei der EKD darüber frühzeitig zu informieren und den Vorgang zu relativieren, sollte Wilkens ein Exemplar erhalten304. Das beigefügte Schreiben liest sich wie eine Entschuldigung; eine „Heraufbeschwörung von Kontroversen“ sei nicht beabsichtigt gewesen305. In der KKL war man sich darüber im Klaren, dass der Genfer Stab nicht zögern würde, die Antwort des FAK zu veröffentlichen. Der darin formulierte Gegensatz zur Haltung der EKD lag auf der Hand: Im Namen des BEK wurde erklärt, man habe es „bisher“ unterlassen, sich zur „Frage der wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung des südafrikanischen Regimes durch ausländische Staaten und Firmen“ zu äußern. Nun stelle man aber „ausdrücklich fest, daß wir die Bemühungen“ des ÖRK, „zum Abbruch wirtschaftlicher Beziehungen aufzurufen, voll unterstützen.“ Aufgrund der Wilkens übermittelten Vorwarnung, schlug die Veröffentlichung letztlich keine größeren Wellen, weder in der EKD noch in der westdeutschen Öffentlichkeit – trotz des Streits um den Früchteboykott. Im Fall des Abschnitts „Ein Gerechter Kampf“ wäre dies freilich anders gewesen. Hierzu teilte der FAK mit, man werde über die „aufgeworfenen theologischen Fragen nachdenken“ und den ÖRK „an diesem Denkprozeß teilnehmen lassen.“ Man sehe aber, dass die in Addis Abeba 1971 verabschiedete Devise, Gewalt anwendende Rassismusopfer nicht zu verurteilen, angesichts der „neuen Lage in Südafrika weiter entwickelt“ werden müsse306. Lingner betrachtete die Stellungnahme des FAK mit Sorge. Von der kommenden Sitzung der Beratergruppe erhoffte er sich „einige Klarheiten“ über den von ihm gewonnen Eindruck: „Was im Zusammenhang mit dem Sonderfonds mühsam kaschiert werden konnte, könnte jetzt offen zutage treten: Die Kirchen in der DDR und die Kirchen in der EKD kommen in einer sehr grundsätzlichen theologischen Frage zu widersprüchlichen Aussagen und Meinungen. Hier kann die Glaubwürdigkeit der theologischen Position der protestantischen Kirchen in Frage gestellt werden.“

303 Die Studienabteilung war 1973 als Einrichtung der Gliedkirchen des Bundes und der gliedkirchlichen Zusammenschlüsse gebildet worden. Kirchenleitungen, die das gesellschaftspolitische Engagement des FAK III ablehnten, förderten die stärker „theologisch“ arbeitende Abteilung, SCHRÖTER, Rezeption, 207–210 u. 230. 304 SCHRÖTER, Rezeption, 227–229. 305 Begleitschreiben Leweks an Wilkens vom 25. 5. 1978 (EZA BERLIN, 4/1340). 306 Brief des FAK III an den ÖRK vom 18. 5. 1978, zit. n. LINGNER, Kirchen [1978], 337. Zur Veröffentlichung der Antwort des FAK III durch den ÖRK, epd-ZA, Nr. 122 vom 28. 6. 1978, 2.

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Den Mitgliedern der Beratergruppe teilte der Leiter der Berliner Stelle der EKD-Kirchenkanzlei mit, er werde deshalb die in der DDR – erstaunlicherweise – unbekannte Gewalt-Thesenreihe der Kammer für öffentliche Verantwortung „in ausreichenden Exemplaren“ am 12. Juni mit nach Ost-Berlin bringen307. Lingners Befürchtungen sollten sich zunächst nicht bewahrheiten. Laut Wilkens zeitigte das Treffen eine unerwartet große „Übereinstimmung in der Beurteilung des Hintergrundpapiers und der Lage in Südafrika“. Er teilte Class mit, die EKD solle die Antwort des FAK „nicht überbewerten, sondern den weiteren Verlauf der Dinge abwarten.“ Schönherr teile „offenbar nicht die verharmlosende Deutung des Papiers aus Genf“. „Interessant“, so Wilkens, sei auch dessen Einspruch „gegen die Vergleichbarkeit zwischen NS-Widerstand und Südafrika“. Schönherr habe ihn mit den Worten begründet, die BK habe schließlich, „‚ja nicht den 20. Juli gemacht.‘“ Der KKL-Vorsitzende habe auch einer „Inanspruchnahme“ Bonhoeffers, seinem Lehrer, „ausdrücklich“ widersprochen. Zu Südafrika bemerkte der ostdeutsche Bischof Fränkel, ein bekannter Kritiker des Sonderfonds wie auch des SED-Regimes, es sei gefährlich und utopisch gegenwärtig das Prinzip „Ein Mann – Eine Stimme“ zu fordern. Auch in anderen Ländern nähmen sich Minoritäten das Recht, Macht über Mehrheiten auszuüben. Diese Tatsache könne keineswegs das Recht auf Rebellion oder Revolution begründen. Wäre dies so, müsste es auch für jene Länder gelten, in denen kommunistische Minderheiten ohne oder gegen den Willen der Mehrheit regierten308. Im Einvernehmen mit Wilkens regten ostdeutsche Gesprächsteilnehmer an, eine Theologische Konsultation über die Gewaltfrage im Rahmen der Beratergruppe durchzuführen. Die Thematik schien geeignet, den seit längerem anvisierten theologischen Gesprächskreis in die Tat umzusetzen. Der Rat der EKD und der Vorstand der KKL gaben grünes Licht309. Die erste Konsultation fand am 12. Oktober in Ost-Berlin statt. Ausgangspunkt der 15-köpfigen Runde war die Stellungnahme des Rates der EKD zum Genfer Hintergrundpapier. Die Konsultation hinterließ bei Lingner einen „zwiespältigen Eindruck“: Die von ihm vermutete „theologische Differenz“ sei „offen zutage getreten“. Dem 307 Brief Lingners an Groscurth vom 1. 6. 1978, Anlage seines am selben Tag versandten Briefs an die westdeutschen Mitglieder der Beratergruppe (EZA BERLIN, 2/1341). 308 Brief Wilkens an Class vom 15. 6. 1978 (EZA BERLIN, 4/1341); Vermerk über die Sitzung der Beratergruppe am 12. 6. 1978 (EZA BERLIN, 4/1341). Zu Fränkel, der 1979 nach Marburg übersiedelte, oben 330. 309 Briefe Wilkens an Lingner vom 30. 6. und 14. 8. 1978 (EZA BERLIN, 4/1341); Auszug der Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes der KKL am 25. / 26. 7. 1978 (EZA BERLIN, 101/ 360); und SILOMON, Anspruch, 275–284. Vgl. oben 401.

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soeben pensionierten Bischof von Schleswig, ebenfalls Teilnehmer der fünfstündigen Begegnung, schrieb er im Nachgang: „Das Gespräch hat mir den Eindruck vermittelt, daß die Brüder in der DDR (mit Ausnahme von [. . .] [Kurt] Domsch [dem Präsidenten des sächsischen Landeskirchenamtes und stellvertretenden KKL-Vorsitzenden, A. C. W.]) sich stark bemühen, die Gewalt im Zusammenhang mit einer Befreiung in Südafrika theologisch zu rechtfertigen. Dabei muß man selbstverständlich anerkennen, daß die Brüder in der DDR nicht leichtfertig reden, sondern ihre Sicht der Dinge theologisch verantwortbar begründen möchten. Das Ziel aber, die Gewalt theologisch als zulässiges Mittel anzuerkennen, wird in den Gesprächsbeiträgen [. . .] überdeutlich.“310

Petersen teilte Lingners Auffassung. Er selbst berichtete dem Rat der EKD, die ostdeutschen Gesprächspartner hätten sich „intensiv“ um eine theologische Rechtfertigung von „Änderungsgewalt“ bemüht. Einerseits hätten sie die „theologische Ausgewogenheit und Differenziertheit“ der Stellungnahme des Rates zum Hintergrundpapier positiv gewürdigt, andererseits sei ihnen der „‚ausgesprochen westdeutsche‘ Charakter“ aufgefallen. Sie interessierten sich insbesondere für die „Alternativen, die wir anbieten, wenn wir zum Gewaltverzicht anmahnen“311. Tatsächlich drehte sich die Konsultation, so der Tenor des protokollierten Gesprächsverlaufs, um die – auch in der DDR kontrovers diskutierte – Frage, ob die Kirche politisch Stellung beziehen dürfe. So fragte Domsch: „Ist sie legitimiert, politische Programme und Strategien zur Durchsetzung von Zielen, die für richtig erkannt wurden, zu entwickeln?“ Trutz Rendtorff, seit 1968 Ordinarius in München, pflichtete ihm bei und fragte nach der kirchlichen Kompetenz, überhaupt „da mitzumischen“; Rendtorff wollte die Gewaltfrage „konkret politisch erörtert“ wissen, in Südafrika gehe es ja um „Änderungsgewalt, also um Machtwechsel“312. Dies aufgreifend, protokollierte Lingner: „Wohl gibt es eine theologische Begründung für die Ablehnung der politischen Apartheid. Jedoch läßt sich weder eine bestimmte andere Staats- und Gesellschaftsordnung noch bestimmte Mittel zur Durchsetzung des politischen Zieles mit theologischen Argumenten abstützen. Das macht es so schwierig, Gewalt oder andere politische Mittel zur Durchsetzung der Änderung der Apartheidspolitik theologisch zu

310 Brief Lingners an Alfred Petersen vom 17. 10. 1978, zit. n. KRUSCHE, Menschen, 130, dort im Abdruck. 311 Niederschrift über die Sitzung des Rates der EKD am 20. / 21. 10. 1978, zit. n. SILOMON, Anspruch, 288. 312 Vermerk Uwe-Peter Heidingsfelds, Pfarrer im Ökumenisch-Missionarischen Institut Berlin (West), über die Theologische Konsultation vom 12. 10. 1978, zit. n. KRUSCHE, Menschen, 124–130, 126f.

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beurteilen. Aus dem theologischen Nein gegenüber einer bestimmten politischen und gesellschaftlichen Situation folgt nicht zwingend ein theologisches Ja für eine bestimmte andere politische Ordnung oder ein theologisches Ja für bestimmte politische Mittel zur Durchsetzung einer anderen Ordnung.“313

Mit Blick auf die von allen Beteiligten gewünschte Fortsetzung des Gesprächs betonte Christoph Demke, der stellvertretende Vorsitzende des BEK-Sekretariats, man müsse erörtern, „ob wir in und bei unserem Reden erkennen können, daß wir von unterschiedlichen politischen Erfahrungshorizonten herkommen“. Hinter der „westdeutschen Allergie“ vermutete er selbst eine Haltung, die „bereits Konflikte und ihr Entstehen“ nur als „Negativum“ ansehe. Helmut Zeddies, Leiter des Kirchenamtes der VELKD (DDR), sah darin Reste obrigkeitsstaatlichen Denkens. Die im Dialog über Römer 13 artikulierten Obrigkeitsverständnisse spiegelten in Wirklichkeit nur die unterschiedlichen – grosso modo: auf westdeutscher Seite „positiven“, auf ostdeutscher Seite „negativen“ – Erfahrungen der Gesprächsteilnehmer im Umgang mit dem eigenen politischen Herrschaftssystem wider: So hielt der Wittenberger Theologe Michael Beintker es „für in der DDR Lebende für schwieriger, den Standpunkt oberhalb der Parteien beizubehalten“. Wenn man so, d. h. wie die Westdeutschen, Position beziehen wolle, sei „sicherzustellen, daß man dadurch nicht von der Seite der Unterdrückten abrückt.“ In diesem Zusammenhang bescheinigte Lingner den ostdeutschen Gesprächsteilnehmern, insbesondere Günter Krusche, das Wort „Solidarität“ zum Gemeingut erhoben zu haben, während Rendtorff davor warnte, das Evangelium als „konfliktsteigernden Faktor“ zu betrachten. Lingner beging hierbei einen – salopp formuliert: „typisch westdeutschen“ – Fehlschluss, indem er Beintkers Fürsprache zugunsten des afrikanischen Befreiungskampfes als Ausdruck der „marxistisch-leninistische[n] Lehre von der führenden Rolle der Partei als die kämpferische Vorhut der Arbeiterklasse“, interpretierte314. Am 4. Dezember diskutierte auch die Beratergruppe über die gesellschaftliche Bedingtheit kirchlicher Stellungnahmen zur „Änderungsgewalt“. Dabei ging es auch um das Verhältnis zwischen EKD und ÖRK. Im Vorfeld argwöhnte Fritz Viering, Landessuperintendent der lippischen Landeskirche, die „besondere Gemeinschaft“ von EKD und BEK existiere nur auf dem Papier: „In Wirklichkeit leben wir nebeneinander, als hätten wir keine gemeinsame Geschichte“. Ohne es zu wissen, hätten sich die Kirchen „ganz schön ihren 313

Vermerk Lingners über die Theologische Konsultation am 12. 10. 1978 (EZA BERLIN, 4/

1342). 314 Vermerk Heidingsfelds über die Theologische Konsultation am 12. 10. 1978, KRUSCHE, Menschen, 126–129; Brief Lingners an Petersen vom 17. 10. 1978, zit. n. EBD., 131.

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Gesellschaftssystemen angepasst“. Man nutze „nicht die seltene Chance, daß Kirchen in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen gemeinsame Fragen besprechen, die alle angehen.“ Viering meinte, die KKL sei „ihrem Staat“ gegenüber „freier“ als der Rat der EKD in seinem Verhältnis zur Bundesregierung. Was die ostdeutschen Kirchen zur „Wehrerziehung“ gesagt hätten, nötige ihm „Bewunderung“ ab. Nach der Sitzung antwortete Lingner, beim Gewaltbegriff erschwerten unterschiedliche Sprachregelungen den Verständigungsprozess. Dennoch zeichne sich „langsam“ die Tendenz ab, gemeinsame Themen zwischen Ost und West zu erörtern. Es sei ohnehin nicht das Ziel, zu gemeinsamen Aussagen und Voten zu kommen315. Demke kam zu einem ähnlichen Fazit. Zur Vorbereitung für die Januar-Tagung des ÖRK-ZA auf Jamaika informierte er den Vertreter des Bundes im ZA, den sächsischen Landesbischof Johannes Hempel, über den Gesprächsverlauf. Trotz aller Unterschiede sei „auch auf unserer Seite von einer ‚kirchlichen Bewilligung bewaffneter Gewaltanwendung‘ nicht die Rede“ gewesen, obwohl Vertreter der EKD „dies“ so vermuteten316. Beim Treffen der Beratergruppe teilten die ostdeutschen Vertreter mit, im BEK sei noch keine „abschließende Meinungsbildung“ zu diesem Themenkomplex erfolgt317. Auf Nachfrage des Publizisten Henkys hätten mehrere Brüder aus der DDR zu verstehen gegeben, dass die KKL die „Zwischenantwort“ des FAK „nicht gebilligt“ habe. Lingner deutete diese Auskunft als „späteres Abrücken“ vom FAK und als Beweis dafür, dass auch weitere „maßgebliche Sprecher der Kirchen in der DDR“ sich „nicht auf diese Linie drängen lassen“ wollten318. Außer Domsch zählte er hierzu Fränkel, der eine „sehr dezidierte“, mit dem EKD-Memorandum vom 6. November tendenziell übereinstimmende Stellungnahme abgegeben habe. Schönherr hingegen könne Gewalt als Mittel zur Befreiung von Unterdrückten „hinnehmen“. Mit dem Fingerzeig auf die Geschichte der Befreiungskämpfe habe er betont, die deutschen Kir-

315

Brief Vierings an Lingner vom 30. 11. 1978 sowie dessen Antwort vom 7. 12. 1978 (EZA BERLIN, 2/1342). 316 Brief Demkes an Hempel vom 8. 12. 1978 (EZA BERLIN, 101/361). 317 Vermerk Lingners über die Sitzung der Beratergruppe am 4. 12. 1978, datiert auf Dezember 1978, zit. n. SILOMON, Anspruch, 292. 318 Von Bedeutung ist dabei der Umstand, dass Hempel Schönherrs autoritären Auftritt „als der Repräsentant des Bundes“ offen kritisierte. Den KKL-Vorsitzenden hatte er am 14. 4. 1978 gebeten, dafür zu sorgen, „daß die Repräsentanten der Gliedkirchen, d. h. konkret wohl der Vorstand und die Mitglieder der KKL als die Wirklichkeit des Bundes in den Blick gerückt bleiben.“ Brief Hempels an Schönherr vom 14. 4. 1978 (zit. n. SILOMON, Anspruch, 274, Hervorhebung im Original). Lingner wusste, dass Schönherrs Verhalten in der KKL umstritten war, EBD., 272 u. 275. Vgl. oben 330.

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chen hätten „zu anderen Zeiten, wenn sie selbst betroffen waren, ohne besondere Scheu die gewaltsame Lösung politischer Unterdrückung für möglich gehalten“ und nicht nur gerechtfertigt, sondern auch unterstützt319. Wenig später wandte sich Lingner an Hempel und den Ökumenereferenten des BEK Pabst. Das Schreiben unterlag der Absicht, Hempels Abstimmungsverhalten auf der ZA-Tagung im Sinne der EKD zu beeinflussen. Lingner verwies auf die Austrittsdebatte und die „zum Zerreißen“ angespannte Stimmung in der EKD. Ferner regte er an, „vielleicht“ gebe es für Hempel Möglichkeiten, „die anstehenden Probleme“ zusammen mit den westdeutschen ZA-Mitgliedern zu besprechen320. Ob ein solches Treffen tatsächlich statt fand, bleibt ungeklärt. Laut Schröter geben weder die archivierten Unterlagen des BEK noch der offizielle Bericht bzw. die Kommentare zu Kingston Auskunft darüber, wie Hempel reagierte. Im Interview mit der sächsischen Kirchenzeitung „Der Sonntag“ gab dieser später zu erkennen, dass er die Intention des Sonderfonds für richtig hielt. Schließlich könne er jene nicht verurteilen, die im Kampf „gegen ihre Armut“ zur Waffe als letztem Ausweg griffen. Gleichzeitig fragte er – wie Domsch und Fränkel – nach dem Mandat der Kirchen, politisch Stellung zu beziehen. Die Kritik am Sonderfonds rechtfertigend, erklärte Hempel, deutsche Kirchenvertreter seien „von lebendigen Erinnerungen an unsere eigenen Kriege geprägt, ja gezeichnet“321. Während der ZA-Tagung setzte die personell fast unveränderte Konsultationsgruppe ihr theologisches Gespräch am 9. Januar fort. Ausgangspunkt der Unterredung war der mündliche Bericht Götz Planer-Friedrichs, Referent in der Theologischen Studienabteilung, über die Konzeption des vom KKL-Vorstand in Auftrag gegebenen Votums über den Abschnitt „Ein Gerechter Kampf“ des Genfer Hintergrundpapiers: Die noch im Anfangsstadium befindliche Arbeit solle keinen irgendwie gearteten Konsens über den für „unglücklich“ erachteten Begriff „Gerechte Rebellion“ feststellen; vielmehr gehe es um die Urteilsbildung angesichts der konkreten Situation Südafrikas322. Aufgrund der begrenzten Informationsmöglichkeiten sei es aber äußerst schwierig, sich 319

Zit. n. EBD., 292–294. Brief Lingners an Hempel und Pabst vom 11. 12. 1978, zit. n. KRUSCHE, Menschen, 133; dort einschließlich der Anlagen im Abdruck, EBD., 134–142. Lingner bedauerte Hempels Abwesenheit beim Treffen der Beratergruppe, denn unter den ostdeutschen Bischöfen habe seine Meinung „erhebliches Gewicht“. Vermerk Lingners über die Sitzung am 4. 12. 1978 (zit. n. SILOMON, Anspruch, 293). 321 SCHRÖTER, Rezeption, 235; „Der Sonntag“, Nr. 9 vom 4. 3. 1979, 2, zit. n. EBD., 236. 322 Rückblickend bezeichnete Heidingsfeld es als erstaunlich, dass keine der beiden Delegationen den Namen Bonhoeffer ins Spiel brachte. Mündliche Auskunft von Uwe-Peter Heidingsfeld am 30. 3. 2011. 320

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von der DDR aus zur dortigen Lage zu äußern. Das eigentliche Ziel, so Planer-Friedrich, sei die Schaffung „sozialer Gerechtigkeit“323. In der Aussprache mahnte Rendtorff an, den Begriff zu konkretisieren: „Der Oberbegriff von Gewalt ist doch Wandel. Daß dieser nötig ist, darin sind sich [. . .] alle, von rechts bis links, einig. Wenn dem so ist, dann muß energisch nach den [. . .] Schritten auf dieses Ziel hin gefragt werden, also nach Heimatrecht, Eigentumsrecht, Staatsbürgerrecht, Vereinigungsrecht, Ausbildungschancen, Freizügigkeit, politischer Betätigung für die Schwarzen. Werden diese Punkte diskutiert, dann wird man auch konkreter über Wandel und Mittel sprechen. So wird das vage Ziel soziale Gerechtigkeit greifbarer.“

Von ostdeutscher Seite wandte Zeddies ein, „natürlich“ manifestiere sich Rassismus in sozialer Ungerechtigkeit, er sei jedoch letztlich nicht in gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Faktoren begründet. Rassismus „ist doch nicht bloß Ausdruck der Klassenstruktur.“ Diese Überlegung aufgreifend, plädierte Rendtorff für eine „Entsymbolisierung der Gewalt-Vokabel“; die Aussage „Rassismus ist Sünde“ bedürfe ebenso der „Entmythologisierung und Differenzierung.“ In diesem Sinne problematisierte Domsch die in kirchlichen Papieren seiner Ansicht nach fehlende Warnung vor Gewalt als ultima ratio. Im Anschluss an Krusches Hinweis, dass „auch Europa Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einem revolutionären Akt“ verdanke, vermutete Zeddies, dass „‚wir hier in der DDR offener sind für revolutionäre Handlungen‘“; zugleich habe er den Eindruck, kirchliche Kreise in der Bundesrepublik machten angesichts der Studentenunruhen und des Terrorismus „eine gegenläufige Bewegung“ durch. Es sei daher gut, auf diesen „Ideologie-Verdacht“ aufmerksam zu machen. Beintker plädierte, „die eigene Ratlosigkeit ruhig einzugestehen, ein Bekenntnis der Ohnmacht abzulegen.“ In der „eigenen (DDR-)Situation“ erfahre man etwa „ständig die Ungangbarkeit von Reformen“. Aus westdeutscher Sicht vermerkte daher Lingner, in der Gewaltfrage komme man „je nach Einstellung zur Revolution“ zu sehr „unterschiedlichen Wertungen. Dabei werden auch [. . .] der jeweilige gesellschaftliche Kontext und die eigene Erfahrung im politischen Betrieb eine Rolle spielen. Die Lehre von Gott dem Schöpfer, der eine erhaltende und bewahrende Macht ausübt, widerstrebt der Bereitschaft, in der Geschichte mit ‚Sprüngen‘ und ‚Brüchen‘ zu rechnen. Nur der konfliktreiche Wandel wird als theologisch möglich oder gerecht angesehen. Aber die Erfahrung zwingt doch dazu, die theologischen Positionen zu überprüfen.“ 323 Vermerk Heidingsfelds über die Theologische Konsultation am 9. 1. 1979 (EZA BERLIN, 101/364). Vgl. darüber hinaus den von Lingner angefertigten Vermerk, KRUSCHE, Menschen, 142–152.

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Das Treffen endete sehr harmonisch. Man erklärte sich bereit, Ende Mai erneut zu tagen, sollte die weitere Entwicklung – die ZA-Tagung in Kingston bzw. das erwartete theologische Votum der KKL – es erforderlich machen. Zeddies betonte, ein Nicht-Zusammentritt lasse „keinerlei negative Aussage“ zu324. Lingners schriftlicher Vermerk führte den Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes der EKD zum Schluss, ostdeutsche Theologen könnten „uns bei einem anderen, modifizierten Verständnis von revolutionären Vorgängen und revolutionärer Gewaltanwendung helfen.“ Held ging noch weiter. Seiner Ansicht nach sei es theologisch „gar nicht einzusehen, dass Gottes Schöpfungshandeln und sein bewahrendes Walten in Natur und Geschichte nur unter den Kategorien der Aufrechterhaltung der Ordnung (d. h. aber im Sinne eines ‚Obrigkeitsstaates‘) verstanden wird. Es müsste theologisch doch auch möglich sein, in revolutionären Vorgängen oder gewaltsamen geschichtlichen Umbrüchen ebenfalls in verborgener Weise Gott in seinem Walten am Werk zu sehen. Damit ist natürlich nicht eine Befürwortung und erst recht nicht eine theologische Rechtfertigung von blutiger revolutionärer Gewaltanwendung ausgesprochen.“

Die EKD müsse sich für derart ungewohnte Gedankengänge in der ökumenischen Diskussion öffnen. Held befürwortete daher die Fortsetzung der Theologischen Konsultation325. Dies tat auch der BEK. Zum Bedauern der EKD teilte Demke mit, der Bund sei an der Fortsetzung derartiger Gespräche zwar interessiert; anstatt der Gewaltfrage wolle man nun aber das Verhältnis der Kirchen zum ÖRK erörtern. Der anberaumte Gesprächstermin wurde daher von ostdeutscher Seite fallen gelassen326. Wie Zeddies betont hatte, beinhaltete die Absage „keinerlei negative Aussage“. Entgegen Krusches späterer Bewertung bewirkten die Konsultationen also durchaus eine Annäherung der Standpunkte in punkto Gewalt327.

324 Vermerk Heidingsfelds über die Theologische Konsultation am 9. 1. 1979 (EZA BERLIN, 101/364); Vermerk Lingners über die Theologische Konsultation am 9. 1. 1979, zit. n. KRUSCHE, Menschen, 149. 325 Brief Helds an Lingner vom 30. 4. 1979 (EZA BERLIN, 6/7771). 326 Brief Lingners an die westdeutschen Teilnehmer vom 22. 5. 1979 (EZA BERLIN, 6/7771). Vor diesem Hintergrund nahm Hempel im September an der weiter oben genannten Arnoldshainer Konsultation von EKD und ÖRK teil, EpdD, Nr. 46/1979, 110. Vgl. SILOMON, Anspruch, 296, 307 u. 323. 327 KRUSCHE, Menschen, 80. Lingner zufolge wirkte die Diskussion des Genfer Hintergrundpapiers wie ein reinigendes Gewitter. „Rückblick auf 15 Jahre Beratergruppe“, vorgetragen auf der Sitzung der Beratergruppe vom 19. 6. 1985 (EZA BERLIN, 101/3134). Allerdings erklärte Heidingsfeld, Zeddies’ Statement gebe ihm auch noch im Rückblick „Rätsel“ auf (Mündliche Auskunft von Uwe-Peter Heidingsfeld am 30. 3. 2011).

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Dies belegt die Endfassung des Anfang Juli 1979 veröffentlichten Votums der KKL zum Genfer Hintergrundpapier. Die Betrachtungen und Anstöße der westdeutschen Gesprächsteilnehmer spiegelten sich darin bejahend wider. Ungeachtet offizieller Verlautbarungen ging das vom KKL-Vorstand einmütig verabschiedete Dokument deutlich auf Distanz zur vorläufigen Antwort des FAK III328. In der Investitionsfrage übernahm es sogar die Haltung der EKD: „Wenn ausländische Staaten und Wirtschaftsunternehmen aus Eigeninteresse, auf das sie nicht verzichten zu können meinen, in Südafrika investieren, so wäre mindestens zu fordern, daß sie eine Entwicklung fördern, die den Schwarzen gleichberechtigte Partizipation ermöglicht und sie zu ihrer Wahrnehmung befähigt (Lohn, Bildungschancen, Mitspracherechte).“

Gleiches galt für die von Rendtorff geforderte Reformstrategie: „Das Ziel des Kampfes gegen Rassismus ist die Herstellung besserer menschlicher Gerechtigkeit. Es empfiehlt sich daher, den Kampf für Gerechtigkeit als Zielorientierung zu unterscheiden von den anzustrebenden Teilergebnissen dieses Kampfes und den Mitteln, durch die sie herbeigeführt werden sollen.“329

Bei der Mittelwahl wurde vor der „Versuchung“ gewarnt, Gewalt als gerechten Kampf „zu verklären“. Im Sinne „kritischer Solidarität“ sollte das Gespräch mit den betroffenen Kirchen intensiviert werden. Trotz „aller berechtigten und zu erörternden Kritik an Einzelentscheidungen [etwa die einseitige Förderung der Patriotischen Front in Rhodesien, A. C. W.] und bei aller notwendigen Überprüfung und Wirkung“ wurde der Sonderfonds offiziell weiter bejaht330. Aufgrund der Spannungen zwischen seinen Verfassern, der Theologischen Studienabteilung einerseits und den im Ausschuss „Kirche und Gesellschaft“ vertretenen Mitgliedern des FAK III andererseits, war das Votum stark kompromissorientiert. Staatliche Misstöne antizipierend, wurde Rassismus v. a. auf kapitalistische Faktoren zurückgeführt; gleichzeitig wurde aber erklärt, „strategische Interessen“ überdeckten die Wahrnehmung von Unrecht und Entwürdigung in Südafrika. „Das Ausmaß unserer Beteiligung“ – so die Spitze gegen

328 SCHRÖTER, Rezeption, 230–233. Im Begleitschreiben des Lingner zugesandten Votums stand: „Wir denken gern an die Gespräche mit Vertretern der EKD in dieser Sache zurück, die für unsere Meinungsbildung [. . .] fruchtbar waren.“ (zit. n. EBD., 230). Bei der zweiten Konsultation hatte Lewek erklärt, das Votum werde in „Kontinuität“ zum Zwischenbescheid des FAK stehen. Vermerk Heidingsfelds über die Theologische Konsultation am 9. 1. 1979 (EZA BERLIN, 101/364). 329 Votum zur Frage der Gewaltanwendung im Kampf gegen den Rassismus in Südafrika, abgegeben von der Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR am 6. / 7. 7. 1979, zit. n. LINGNER, Kirchen [1979], 486–492, 491, dort im Abdruck. Vgl. SCHRÖTER, Rezeption, 232f. 330 LINGNER, Kirchen [1979], 486f. u. 490f.

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die DDR-Außenpolitik – sei „gar nicht voll auszumessen.“331 Lingner kritisierte den „Kompromißcharakter“ des Papiers. Wie Wilkens sah er darin einen „untauglichen Versuch, es allen recht zu machen“. Den westdeutschen Mitgliedern der Beratergruppe teilte er mit, der „Meinungsstreit“ gehe offenbar „durch die EKD wie durch den Bund“332. Angesichts „kurzfristig nicht zu lösen[der] Fragen“ legte die Beratergruppe das Thema gegen Jahresende zu den Akten333. Vor diesem Hintergrund reduzierte der BEK sein Engagement für das ARP weiter. Am Beratungsprozess des ÖRK nahm er de facto schon gar nicht mehr teil. Das Programm blieb in der DDR ein Ladenhüter: eine Angelegenheit überwiegend marxistisch orientierter Kleingruppen. Damit, bilanzierte Schröter, war man gegen Ende des Jahrzehnts zum „Ausgangspunkt von 1970“ zurückgekehrt334. Kurz vor der Verabschiedung des Votums berichtete das KKL-Mitglied Eberhard Natho der Beratergruppe, der Staatssekretär für Kirchenfragen habe „klipp und klar“ vor einem „Rückfall in die Zeit vor 1971“ gewarnt. Laut Schönherr befürchtete Seigewasser, die Kirchen könnten sich „‚ins Schlepptau der Bundesrepublik nehmen lassen‘“. Der Staat, so die Einschätzung des KKLVorsitzenden, sei aber nicht an einer Konfrontation interessiert. In diesem Zusammenhang notierte Groscurth, Hempel habe Schönherrs anbiedernde Haltung gegenüber Seigewasser hinter hervor gehaltener Hand kritisiert. Natho zog den Schluss, es habe Zeiten gegeben, in denen die Beziehungen zum Staat entspannter gewesen seien. Nun hege er den „Verdacht, daß wir uns als normal eingeredet haben, was keineswegs normal ist.“335 Trotz aller persönlichen Differenzen scheute sich die KKL nicht, im Konflikt um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen im geteilten Europa gegen die SED-Propaganda offen Position zu beziehen. In einem „Wort an die Gemeinden“ erklärte sie, Frieden könne nur auf Grundlage von Versöhnung und Vertrauen entstehen, während die Initiativen der Nationalen Front in der DDR die Gegensätze eher verschärften. Christlicher Glaube mache den Friedensdienst in der DDR erforderlich336. Spätestens nach dem NATO-Doppel331

EBD., 489, Hervorhebung durch den Verfasser [A. C. W.]. Vgl. SCHRÖTER, Rezeption,

231. 332 Brief Lingners an den Ulmer Prälaten Hans von Keler vom 19. 9. 1979 (EZA BERLIN, 4/ 1344); Brief Lingners an die Mitglieder der Beratergruppe vom 19. 9. 1979 (EBD.). 333 Vermerk Demkes über die Sitzung der Beratergruppe am 17. 12. 1979 (EZA BERLIN, 688/1). 334 SCHRÖTER, Rezeption, 244. 335 Vertraulicher Vermerk Groscurths vom 3. 7. 1979, zit. n. SILOMON, Anspruch, 309f.; Vermerk Lingners über die Sitzung der Beratergruppe am 2. 7. 1979 (EZA BERLIN, 4/1343). 336 Wort des BEK an die Gemeinden in der DDR vom 1. 11. 1979, FALKENAU, Kundgebun-

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beschluss konzentrierten BEK und EKD ihre Beratungen auf dieses Problemfeld. Ihr gemeinsames „Wort zum Frieden“, das sie zum 40. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges im August veröffentlichten, war ein erster Schritt337. Die im Juni 1980 veranstaltete zweite Theologische Konsultation war nun der „Friedensfrage“ gewidmet. Die Beratungen über „die Freiheit und Bindung der Kirche in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Systemen“ gingen weiter338.

5.4 Zusammenfassung Der im Zuge der ersten Ölkrise immer lauter werdende Ruf nach einer politisch-kulturellen „Tendenzwende“ war den protestantischen Gewalt-Kontroversen deutlich zu entnehmen. Die politische Mobilisierung konservativer Protestanten lieferte ihrerseits gewichtige Impulse zur Etablierung einer Gegenöffentlichkeit zum „linken“ Zeitgeist. Hofiert durch die mediale Wiederwertschätzung christlich-konservativer Positionen, rückte der Berliner Kirchenstreit in den Mittelpunkt einer bundesweiten Debatte über eine vermeintlich linke Indoktrinierung der Kirchen. Das emotionsgeladene Jubiläum der Barmer Theologischen Erklärung bildete den diskursiven Bezugsrahmen. Sowohl im Konflikt um das Westberliner PTA als auch in der Kontroverse um eine Verlängerung des „Antirassismusprogramm“ offenbarte sich die Verwobenheit politischer und religiöser Konfliktlinien. Der Rekurs auf „Terror“ und „Gewalt“ erwies sich dabei als (de)legitimierender Trumpf. Die sich weiter unpolitisch gebärdende und zunehmend international vernetzte evangelikale Bewegung schaltete sich dabei ein in den Streit um das ökumenische Programm. Dem ÖRK hielt sie vor, damit eine schwärmerische Heilslehre zu vertreten. Die antiwestliche Programmatik seines Genfer Stabes führte in der EKD wiederum zu schweren Verstimmungen über die politische und theologische Ausrichtung der nicht-katholischen Weltökumene. In der konkreten Beurteilung des Sonderfonds schieden sich sowohl in den west- als auch ostdeutschen Landeskirchen weiterhin die Geister, wenngleich die Stellungnahmen des BEK eine bedenkenlose Zustimmung suggerierten. gen, 320f. Vgl. auch Schönherrs kritischen – der Öffentlichkeit jedoch unbekannten – Begleitbrief an Willi Stoph, den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, EBD., 322–325. 337 EBD., 305–307. Es handelte sich dabei um die erste offizielle gemeinsame Stellungnahme seit der Gründung des BEK. Das letzte „gesamtdeutsche“ Votum war „Die Friedensaufgaben der Deutschen“ aus dem Jahr 1968. Vgl. oben 148. 338 SILOMON, Anspruch, 322–324; Vermerk Manfred Stolpes über die vierte Theologische Konsultation am 10. 10. 1980 (EZA BERLIN, 101/653).

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Wegen des energischen Widerstandes an der kirchlichen Basis und internen Querelen distanzierte sich Letzterer gar still und leise von dem gesamten Programm. In der gemeinsamen Beratergruppe von EKD und BEK beklagten deshalb beide Seiten die von den Kirchen in der Bundesrepublik und der DDR gegenwärtig gemachte Erfahrung, dass bereits einzelne kirchliche Äußerungen über tagespolitische Fragen ausreichten, die Glaubwürdigkeit der Evangeliumsverkündigung wirksam anzuzweifeln. Im Fall des ARP wurde den ost- und westdeutschen Kirchen vorgeworfen, sich opportunistisch zu verhalten und die Interessen der „Mächtigen“ zu bedienen: War es im Fall des BEK das politisch hochexplosive Thema Menschenrechte, so setzte sich die EKD dem von kirchlichen Dritte-Welt-Gruppen verbreiteten Verdacht aus, dem südafrikanischen Befreiungskampf die gebotene Solidarität zu versagen. Die „gesellschaftskritisch“ wirkende Anti-Apartheid-Bewegung verzettelte sich wiederum selbst in den Fallstricken ihrer solidarisch motivierten Zusammenarbeit mit gewaltbereiten linken Gruppierungen und Organisationen. Wie eingangs erwähnt, wurde die evangelische Kirche in der Bundesrepublik zur Zielscheibe auch rechter Gesellschaftskritik. Polizeiliche Ermittlungen gegen (führende) kirchliche Mitarbeiter im Mordfall Günter von Drenkmann brachten den von unbedachten An- und Gegenklagen begleiteten Berliner Kirchenstreit zur Eskalation. Konservativ ausgerichtete Medienformate, allen voran die (über)regionalen Zeitungen des Springer-Verlags und Gerhard Löwenthals „ZDF-Magazin“, nährten den auf Westdeutschland übertragenen Eindruck eines dem Terrorismus Vorschub leistenden, insgesamt links unterwanderten Protestantismus. Das kirchliche Eintreten für das ARP geriet dadurch weiter ins Zwielicht. Konservative bzw. „bekenntnistreue“ Gruppierungen warfen den Evangelischen Akademien und der EKD vor, afrikanische „Terroristen“ zu fördern. Auch die politische Öffentlichkeit beschäftigte sich mit der nun vermeintlich aufgehenden Saat einer „Theologie der Revolution“. Größte Sorge bereitete den Kirchenleitungen das linksradikale Gebaren einzelner Evangelischer Studentengemeinden und deren Gastgruppen, insbesondere die mit der RAF solidarisch verbundenen „Anti-Folter-Komitees“. Im Hamburger Fall wurde deutlich, dass die ESG terroristische Gewalt aus polit-strategischen Gründen zwar ablehnte, sich dabei jedoch schwer tat, ihre Solidarität mit den inhaftierten Genossen aufzukündigen. Der von Bonhoeffer 1944 aufgestellte Grundsatz „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ prägte ihr sozialistisches Selbstbewusstsein. Die damit provozierten Konflikte sorgten besonders im „bleiernen“ Jahr 1977 für öffentliches Interesse und Mutmaßungen. Nach dem endgültigen Scheitern seines Dialogs mit Gudrun Ensslin kritisierte selbst Helmut Gollwitzer die unter Theologiestudenten verbreiteten Soli-

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Zusammenfassung

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daritätsbekundungen mit den in Stammheim inhaftierten RAF-Mitgliedern. Zugleich kritisierte er die von westdeutschen Hochschullehrern eingeforderte Treueerklärung an den Staat. Die anlässlich des „Deutschen Herbstes“ abgegebene Stellungnahme des Rates der EKD über Sinn und Zweck des freiheitlichdemokratischen Rechtstaates ließ ältere Kontroversen um die theologische Deutungshoheit über „Barmen“ neu aufflammen. Der in den Kirchlichen Bruderschaften erhobene – in der ökumenischen Debatte über Südafrika erneuerte – Vorwurf, die EKD propagiere ein überkommenes Obrigkeitsverständnis korrespondierte mit dem unter jungen Theologen verbreiteten Krisendiskurs über eine vermeintliche Wiederkehr faschistischer Zustände. Mit ihrem – staatlicherseits angeregten – Appell an die Schleyer-Entführer sorgten die „üblichen Verdächtigen“ (Albertz, Böll, Gollwitzer und Scharf) ungewollt dafür, dass der Protestantismus wieder in den Strudel der „Sympathisanten“-Debatte geriet. Die vom Rat eingeräumte Mithaftung der evangelischen Kirchen tat das Übrige. Schon deshalb wurde die in Wissenschaft und Medien geführte Suche nach den Ursachen des Terrorismus auf den Protestantismus aufmerksam. Der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD gelang es allerdings nicht, die zusammen mit dem Bundeskriminalamt registrierten „Sympathie“-Werte im kirchlichen Bereich genauer zu erklären. Angesichts der terroristischen Gewaltwelle in der Bundesrepublik wehrten westdeutsche Kirchenleitungen dem von konservativer Seite genährten Eindruck, die Kirchen unterstützten Gewalt anwendende (sozialistische) Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika. Der politisch motivierte Versuch des ÖRK, mit Hilfe des Sonderfonds in die dortigen Auseinandersetzungen um eine Machtumverteilung einzugreifen und die Ausgestaltung einer künftigen Gesellschaftsordnung auf Kosten moderater Kräfte zu beeinflussen, führte die EKD an die Grenzen ihrer ökumenischen Belastbarkeit. Sowohl in der Austrittsdebatte als auch in der theologischen Kontroverse um die überwiegend abschlägig beantwortete Frage nach einer gerechten Rebellion bildeten der „Kirchenkampf“ und die Haltung der BK zum 20. Juli 1944 den diachronen, der Systemwettstreit im Kalten Krieg den synchronen Bezugspunkt. Der scheidende Ratsvorsitzende der EKD bezeichnete die Gewaltfrage folgerichtig als das Paradigma einer politisch handelnden Kirche. Um dem Verdacht einer politisierenden Kirche nicht weiter Vorschub zu leisten, lehnte der Rat es ab, Boykottaktionen gegen Südafrika zu unterstützen. Die von ihm favorisierte und mit der Erfahrung der NS-Zeit begründete Strategie einer gewaltfreien Überwindung der Apartheid konnte er den schwarz-afrikanischen Kirchen jedoch noch viel weniger glaubhaft vermitteln als den bürgerlich-liberal orientierten Mitgliedern der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland. Fortan blieb es einer jüngeren Generation kirchenleitender Theologen überlassen, die

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vermeintliche Glaubwürdigkeitslücke der EKD in Sachen Gewalt auf ökumenischer und nationaler Ebene zu schließen. Mehr Verständnis erfuhr die EKD hingegen im Dialog mit dem BEK. Beide Seiten nutzten das Thema „Änderungsgewalt“, um sich über den zweifellos fortgeschrittenen Entfremdungsprozess in theologischen und politischen Fragen zu vergewissern. Die Entstehungsgeschichte der Stellungnahmen zum Genfer Hintergrundpapier machte auch vier Jahre nach den Turbulenzen um die Verlängerung des ARP deutlich, dass die „besondere Gemeinschaft“ von BEK und EKD unter einem Kommunikationsproblem litt. Die von westlicher Seite befürchtete Divergenz in der theologischen Beurteilung der Gewaltfrage sollte sich in den Dialogrunden jedoch nicht bewahrheiten: weder in der Frage nach einer „gerechten“ Rebellion noch in der Beurteilung von Bonhoeffers Verhältnis zur BK. Beide Seiten kamen im Dialog über Römer 13 zwar zur Erkenntnis, dass die deutsche Teilung zu einer unterschiedlichen theologischen Anpassung an die jeweilige gesellschaftliche Entwicklung geführt hatte. Das aus den Gesprächen über Gewalt, Krieg und Revolution wieder gestärkt hervorgegangene Bewusstsein über den gemeinsamen Erfahrungshorizont blieb von den differierenden politischen Wahrnehmungsmustern allerdings unberührt.

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6. Schlussbetrachtung In seinen „Überlegungen zum Problem unterschiedlicher politischer und theologischer Überzeugungen in der Kirche“ konstatierte der Vorsitzende der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst der EKD Ende 1973, die Gewaltfrage mache tiefgreifende „Differenzen im Verständnis des politischen Mandats der Kirche bzw. in der Frage nach der gebotenen Gestalt des konkreten christlichen Glaubens erkennbar. [. . .] Allen ist gemeinsam [. . .] eine tiefe Differenz in der Beurteilung der politischen Situation, der damit bezogenen politischen Positionen und der sie ebenfalls mitbestimmenden Interessen. Dies gilt jedoch auch für die Konflikte in der Gesellschaft. Kirchenspezifisch werden sie erst dadurch, daß die jeweils bezogene Position als die vom Evangelium geforderte aktuelle Gestalt des konkreten christlichen Gehorsams reklamiert wird. Wenn man dieses Verhalten mit sozialpsychologischen Kategorien interpretierte, so würde man das als eine kirchentypische Rationalisierung politischer Gegensätze bezeichnen können. Jedoch trifft eine solche Interpretation, abgesehen davon, daß sie die Integrität der beteiligten Konfliktparteien in Zweifel zieht, nicht den Kern der Sache. Der Konflikt gewinnt erst dadurch seine Schärfe, daß beide Seiten davon überzeugt sind, die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Botschaft stehe auf dem Spiel, wenn das Handeln ihrer Glieder und auch das der offiziellen Organe der Kirche, drohe dem Evangelium, so wie es jede Seite versteht, zu widersprechen. Daran wird deutlich, daß die Konflikte gerade auch durch Auslegungsdivergenzen der biblischen Botschaft mitverursacht sind.“1

Mit diesen Worten brachte Günter Linnenbrink den theologischen Zündstoff der Gewaltfrage auf den Punkt. Fasst man die protestantischen Debatten über Gewalt und gesellschaftlichen Wandel zusammen, sind folgende Punkte festzuhalten: 1. Wie vermutet, war die vielschichtige und im Zeitverlauf immer bezugsreicher werdende Auseinandersetzung mit dem Thema „Gewalt“ der frei liegende Nerv einer Politisierung von Religion und einer Moralisierung von Politik. Neben älteren protestantischen Traditionsbeständen und dem Verhalten der evangelischen Kirchen in der NS-Zeit bildeten die nationalen Gewalt- und Ideologieerfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den argumentati1 „Konsensus und Konflikt. Überlegungen zum Problem unterschiedlicher politischer und theologischer Überzeugungen in der Kirche. Dargestellt an der Frage der Gewalt und der ökumenischen Partnerbeziehungen“ (EZA BERLIN, 650/318). Vgl. oben 378f.

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Schlussbetrachtung

ven Dreh- und Angelpunkt bei der Diskreditierung „linksprotestantischer“ bzw. „konservativer“ Positionen. Der Schlagabtausch äußerte sich in (kirchen)politischen, sozialethischen und geschichtspolitischen bzw. -theologischen Kontroversen. Anhand der Gewaltfrage wurden sowohl aktuelle – den „Linksprotestantismus“ betreffende – Konflikte als auch bereits länger zurückreichende politische und theologische Nachhutgefechte ausgetragen; insbesondere der Streit um die Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren. In der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre virulent geworden, spielte „Terrorismus“ in der „durchherrschten“ DDR-Gesellschaft (Jürgen Kocka) tagespolitisch keine Rolle. Der BEK behandelte die auf westdeutscher Seite in den Vordergrund gerückte Gewaltfrage im Streit um das „Antirassismusprogramm“ schon deshalb eher nachrangig. Trotz der in der DDR ebenfalls nicht gegebenen Kirchensteuerproblematik, warnte auch der Bund frühzeitig vor einer „Verdunkelung des Kreuzes“. In den ostdeutschen Kirchengemeinden gab es darüber hinaus einen ideologiekritischen Affekt, der sich von dem Stimmungsbild in der EKD letztlich kaum unterschied. Die in ökumenisch-transnationalen Bezügen diskutierte Gewaltthematik war somit auch in der DDR eng verknüpft mit Kontroversen über eine Politisierung theologischer Standpunkte und Glaubensfragen sowie einer religiösen Aufladung von Politik. Deren Achillesferse war das mit der Gewaltfrage eng verbundene Thema Menschenrechte. 2. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedeutung der Debatten bleibt folgender Befund: In der Bundesrepublik standen alle vier Teilkontroversen im Kontext der öffentlichen Diskussion über politisch motivierte Gewaltanwendung. Wegen ihrer Anschlussfähigkeit gewährten sie nicht nur Einblick in den allgemeinen Gewaltdiskurs und dessen kirchlich-theologische Rezeption – das von Protestanten geltend gemachte Zusammenspiel aus politischen und religiösen Überzeugungen war selbst Teil des übergeordneten Konflikts um eine Veränderung der institutionellen und sozialen Ordnungen der Bundesrepublik und der westlichen Welt. Im Für und Wider einer „Fundamentalpolitisierung“ (Karl Mannheim) bis dato unpolitisch geltender Bereiche waren die Sphären Kirche und Glaube ebenso verbal umkämpft. An den von „Linksprotestanten“ und ihren „rechtgläubigen“ Widersachern artikulierten Selbst- bzw. Fremdwahrnehmungen wurde dies besonders deutlich. Letztlich nutzten beide Seiten „Gewalt“ als Kampfbegriff, um ihn auf gesellschaftliche und kirchliche Missstände zu übertragen. Angesichts der nicht enden wollenden Diskussion über eine linke Unterwanderung der Kirchen sahen sich geistliche Würdenträger und kirchenleitende Organe regelmäßig dazu veranlasst, einer christlichen Sinnstiftung linksradikaler Gewalt öffentlich zu widersprechen. Gleichzeitig forderten sie einen umfassenden Gewaltverzicht. Auf „linksprotestantischer“

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Schlussbetrachtung

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Seite vermutete man dahinter jedoch politische Motive und bezweifelte die Glaubwürdigkeit solcher Erklärungen. Insbesondere christdemokratische Politiker verwahrten sich gegen die ihrer Ansicht nach Gewalt bejahenden Erscheinungsformen einer „Theologie der Revolution“. Im theologisch-kirchlichen Diskurs war die offene Legitimierung interpersoneller, ja: tötender Gewalt aber kaum anzutreffen. „Politisierte“ Protestanten trieben das Studium und die Anwendung der Gewaltfreien Aktion vielmehr stark voran; die (evangelischen) Aktivisten der Friedens- und AntiAtomkraft-Bewegungen konnten in den 1980er Jahren daran anknüpfen2. Während der Studentenunruhen und später in der Terrorismusdebatte sah sich der „Linksprotestantismus“ als das kritische Gewissen der Neuen Linken, überschätzte dabei aber den eigenen Einfluss. Mit wechselndem Erfolg mahnte Helmut Gollwitzer an, den Sozialismus nur auf humanem Wege zu erreichen. Bei den moralisch hochstilisierten und mit gesellschaftskritischen Deutungen versehenen Rechtfertigungen von „Gegen“- bzw. „Änderungsgewalt“ in der Dritten Welt sah die Sache freilich anders aus. Die ethischen Implikationen derart eingeforderter Solidaritätsbeweise wurden oft nicht konsequent zu Ende gedacht. Gollwitzers Deutungsmodell der revolutio iusta stieß dennoch kaum auf Resonanz – weder in der „bewegten“ noch in der allgemeinen Öffentlichkeit. Größeres Aufsehen erregte der organisierte „Linksprotestantismus“. DritteWelt- und Solidaritäts-Gruppen, allen voran die im Milieu der K-Gruppen vernetzte „Anti-Apartheid-Bewegung“, die „Christen für den Sozialismus“ und einzelne – von der terroristischen Unterstützerszene besuchte und öffentlich gerne provozierende – Evangelische Studentengemeinden, beförderten den medialen Eindruck eines Gewalt, wenn nicht befürwortenden, so zumindest rechtfertigenden und damit verharmlosenden „Linksprotestantismus“. Die in Opposition zu den gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungstendenzen stehenden, sich unterschiedlich formierenden konservativen Protestanten stimmten mit ein in den allgemein größer werdenden Krisenchor über den „linken“ Zeitgeist. Im Sympathisantendiskurs verdichtete er sich zum Pauschalvorwurf einer protestantischen Mitverantwortung für terroristische Gewalt. Er traf in erster Linie das für Rede- und Denkfreiheit eintretende und alles, auch den sozialliberal regierten Rechtsstaat der Bundesrepublik kritisch hinterfragende, dabei nach den Ursachen des Terrorismus suchende linksintellektuelle Spektrum. 2 Vgl. die allgemeine „Abkehr von der Gewalt“, die sich Ende der 1970er Jahre sowohl in den Protestbewegungen als auch in den Reihen der Polizei herauskristallisierte (BÖSCH, Umbrüche, 3).

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Schlussbetrachtung

Das öffentliche Erscheinungsbild der evangelischen Kirchen geriet durch die Kontroversen schwer in Mitleidenschaft. Wie im Streit um das ARP dargelegt, war der schillernde Gedanke, die Kirche fördere sozialrevolutionäre Gewalt, nur die Projektionsfläche eines tiefgründigeren Konflikts um politische Ansichten und „private“ bzw. „politisierte“ Glaubensvorstellungen. Die Kirchen wurden nicht selten für Entwicklungen in Haft genommen, die ihre Entscheidungsträger selbst kritisierten. In diesem Sinn erinnerte Karl Alfred Odin an die journalistische Sorgfaltspflicht. Der FAZ-Redakteur stellte rückblickend klar, dass von „den 15000 Pfarrern der Evangelischen Kirche in Deutschland“ nur eine kleine Zahl „nicht bei ihrem Leisten“ bleibe3. Mit ihrer „Hinwendung zur Welt“ lösten die Kirchen im Übrigen nur das ein, was Teile der Gesellschaft lange von ihnen gefordert hatten. Derweil waren es nicht nur konservative Medien und Journalisten, die den Kirchen vorhielten, ihre Kernaufgaben zu vernachlässigen und geistigen Ausverkauf zu betreiben. Die Gewaltdebatten sollten den Konnex zwischen „Politisierung“ und „Säkularisierung“ noch weiter verstärken – für die im Schatten der konziliaren Aufbruchsstimmung stehenden evangelischen Kirchen bereits ein schwerer Schlag. Vor dem Hintergrund ihrer zurückgehenden medialen Präsenz in den 1970er Jahren sorgten die Terrorismus- und „Antirassismusdebatte“ für weiter schwerwiegende negative Schlagzeilen4. Betrachtet man die hitzigen Kontroversen jedoch in einem größeren Zeitrahmen, wird deutlich, dass sie langfristig durchaus wichtige gesellschaftliche Impulse setzten. Die Konflikte um das ARP und die Gewaltfrage im südlichen Afrika sensibilisierten breitere Bevölkerungsschichten für die Rassentrennung in Südafrika und die Probleme der Dritten Welt. Die Auseinandersetzungen mit der Studentenbewegung und dem Linksterrorismus führten den Protestantismus an den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat enger heran und beförderten in ihm ein letztlich tiefer greifendes Demokratieverständnis. Die evangelischen Kirchen machten es sich schließlich selbst zur Aufgabe: Vor dem bereits genannten Arbeitskreis „Macht und Gewalt“ der bayerischen Landeskirche konstatierte Trutz Rendtorff, ab 1980 Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, das „theologische Problem, das uns im Terrorismus begegnet, ist das Problem der Freiheit, ihrer Wirklichkeit, ihrer Begründung und Gestalt. [. . .] Wir haben heute allen Grund, die Realität des demokratischen Rechtsstaates eindeutig über die Wünsche einzelner Gruppen zu stellen, die um ihrer Selbstbestimmung willen sich außerhalb

3 4

Undatierte Bemerkung, zit. n. WÖLFLE, Botschafter, 33. Vgl. HANNIG, Religion, 292f.

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Schlussbetrachtung

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dieses Systems gegenseitiger Anerkennung begeben. Den demokratischen Rechtsstaat verteidigen, heißt aber inhaltlich, die Institutionen dieses Staates als Angebot der Freiheit anzunehmen. Die unerfüllten Möglichkeiten von Freiheit des einzelnen dürfen sich nicht als Negation der Freiheit in Gemeinschaft bestimmen.“5

Rendtorffs Gedanken spiegelten sich in der von ihm mitverfassten und seit Mitte der 1970er Jahre vorbereiteten Demokratie-Denkschrift der EKD von 1985 zentral wider. Die Debatten über „Gewalt“, „Menschenrechte“ und „Widerstand“ waren für den westdeutschen Protestantismus insofern wichtige Etappen auf seinem langen, schmerzhaften und gewiss nur vorläufig abgeschlossenen Weg zur Demokratie. Dies belegen allein die heftigen Diskussionen um die Denkschrift6. Hinsichtlich des gesellschaftlichen Einflusses, den die protestantischen Gewaltdebatten zweifellos zeitigten, liefert der Demokratisierungsbefund aber nur Teilantworten auf die kirchengeschichtlich ohnehin nicht mehr in einem Guss beantwortbare Frage nach den „Wechselwirkungen“ der beiden beweglichen Größen „Protestantismus“ und „Gesellschaft“. Schließlich wirkte der mehrförmige Protestantismus nicht einfach auf die sich pluralisierende und entkirchlichende Gesellschaft, und Letztere wiederum nicht einfach auf den bzw. die Protestantismen7. 3. In übergeordneter Hinsicht erfüllten die Kontroversen die kirchlich-theologische Funktion einer protestantischen Verhältnisbestimmung zur eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die deutsche Teilung, der Kalte Krieg und der (ökumenisch) damit verschränkte Nord-Süd-Gegensatz bildeten ein weltanschauliches Spannungsfeld, in dem sich religiöse mit politischen Konfliktlinien meist deckten. Die sozialethisch ohnehin schwierige Suche nach globalen Kriterien für eine (in)direkte Beteiligung evangelischer Christen und Kirchen am Gebrauch sozialrevolutionärer Gewalt wurde in diesem zeitgenössischen Kontext weiter erschwert. Im transnationalen Dialog entwickelte sie sich gar zum Spaltpilz der ökumenischen Gemeinschaft. Längerfristig betrachtet, beförderte er aber nicht nur in der deutsch-deutschen Ökumene ein stärkeres Bewusstsein für in gesellschaftliche Kontexte eingebettetes theologisches Denken und kirchliches Handeln. Trotz der „System“-bedingt unterschiedlichen Bezüge der ost- und westdeutschen Debatten bildete die theologische Beschäftigung mit dem Marxismus, seinen (realexistierenden) Erscheinungsformen und Theoremen einen gemeinsamen Fixpunkt. Herausgefordert durch den aufkommenden Sozialuto5 „Thesen zum theologischen Gespräch über das Problem des Terrorismus“ [1976/1977] (LKA MÜNCHEN, 15/10–0-11, O. Nr. 2). Vgl. oben 419. 6 KIRCHENAMT DER EKD, Kirche. Vgl. HANKE, Deutschlandpolitik, 377–401. 7 RUDDIES, Protestantismus, 214–216.

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Schlussbetrachtung

pismus in der nichtkatholischen Ökumene und der eigenen Jugend, setzte sich der westdeutsche Protestantismus ingesamt sehr selbstkritisch mit der obrigkeitsgläubigen deutschen Tradition auseinander. Der marxistisch inspirierte Hang, den friedensethisch begründeten Kampf um soziale Gerechtigkeit als die Verwirklichung des Reich Gottes zu deuten, war allerdings unter gleich mehreren Generationskohorten anzutreffen. In den ostdeutschen Landeskirchen wurde ebenso deutlich davor gewarnt, den traditionellen Ordnungspositivismus ins theologische Gegenteil umschlagen zu lassen; auch aufgrund des angespannten Staat-Kirchen-Verhältnisses in der DDR, das sich während der Neuen Ostpolitik und der Annäherung beider deutscher Staaten in den 1970er Jahren sogar verschärfte. Schon wegen des gemeinsamen Erfahrungshorizonts mit den DC stießen die geschichtstheologischen Spekulationen der Shaullschen „Theologie der Revolution“ bei älteren Theologen deutschlandweit auf Ablehnung. Der christliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus bildete in allen vier untersuchten Kontroversen das zentrale historische Bezugsfeld. Dabei offenbarten sich sowohl inter- als auch innergenerationelle Gegensätze. Vom nationalistisch und antipluralistisch eingestellten protestantischen Spektrum und der „bekenntnistreuen“ Bewegung einmal abgesehen, diente Dietrich Bonhoeffer im Streit um das ARP und die Gewaltfrage in Südafrika als posthumer Kronzeuge, um eine kirchliche Billigung und indirekte Unterstützung sozialrevolutionärer Gewalt entweder einzufordern oder diese abzulehnen8. Galt der von ihm geprägte Aspekt persönlicher „Schuldübernahme“ Ende der 1960er Jahre als sozialethisch allgemein anerkannt, schieden sich in der Deutung des von ihm beschrittenen Weges in den politischen Widerstand weiterhin die Geister. In den deutsch-deutschen Konsultationen betonten die Vertreter beider Seiten, „Gegengewalt“ könne mit Bohnhoeffer theologisch nicht gerechtfertigt werden. Unter „Linksprotestanten“ und den älteren Verfechtern der „Restaurations“-These nach 1945 avancierte er hingegen zum antikapitalistischen Vorkämpfer einer vom Staat losgelösten und – als Gegenmodell zur „Volkskirche“ – damit privilegienlosen Freiwilligenkirche in einer säkularisierten Welt. In den Debatten um das politische Mandat der Kirche wurde er daher in Anspruch genommen, um auch der BK unterlassenen Widerstand gegen das NS-Regime vorzuwerfen. Retrospektive Selbstanklagen waren dabei keine Seltenheit: Sie begründeten eine geradezu manische Protesthaltung, die den rhetorischen Anschluss an den Widerstandsdiskurs der jüngeren Theologengeneration suchte und sich den Blick auf die politische und gesellschaftliche

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Exemplarisch für die national-konservative Kritik, MÜHLHAUPT, Schuldübernahme.

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Schlussbetrachtung

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Wirklichkeit und deren Ordnung oft ebenso verstellte. Der nahezu permanente „Kirchenkampf“-Rekurs machte schließlich deutlich, wie sehr sich der Streit um die „falsche“ und „richtige“ Politisierung der Kirche und die daraus abzuleitende „Solidarität“ anhand der Gewaltthematik abarbeitete. Letztlich nutzten alle Beteiligten, d. h. selbst diejenigen, die der BK nicht angehört hatten, die aus dem „Kirchenkampf“ gezogenen „Lehren“ als geschichtspolitisches Argument. 4. Im Hinblick auf die Akteursgruppen der Gewaltdebatten bleibt deshalb auch festzuhalten, dass sich keine bekenntnisspezifischen Profile und Deutungsmuster herauskristallisierten. Die Konfliktlinien verliefen vielmehr quer zu den innerprotestantischen Bekenntnisgrenzen. Auch Reformierte forderten in Anlehnung an ihre Erfahrungen in der BK, Kirche müsse Kirche bleiben. Pauschalisierend vorgetragene, alte Klischees bedienende Zuschreibungen wie der Vorwurf, sie und ihre Repräsentanten pflegten ein überkommenes (lutherisches) Obrigkeitsverständnis und verurteilten jegliche Gewalt „von unten“, waren zwar weit verbreitet, standen allerdings in Widerspruch zur Realität. Wie eben angedeutet, entdeckten junge Linksprotestanten und ältere Vertreter des („linksnationalen“) bruderrätlichen Flügels der EKD eine gewisse Parallelität ihrer Interessen. Letztere nutzten die Politisierungs- und Gewaltdebatten, um alte kirchenpolitische Rechnungen zu begleichen. Mit Bezug auf die 1950er Jahre und den Streit um die Wiederbewaffnung warfen sie der EKD vor, in der Gewaltfrage zweierlei Maß anzuwenden. Doch genauer betrachtet, taten sie dies vielmehr selbst. Zusammen mit jüngeren Linksprotestanten unterstützten sie laut und vorbehaltlos die Positionen des politisch zunehmend einseitiger agierenden ÖRK. Linkspolitisierte Protestanten kamen darüber hinaus mit gleichaltrigen Linkskatholiken in relativ engen Kontakt. Den Blick gemeinsam solidarisch auf die Gewalt in Lateinamerika und der Dritten Welt gerichtet, eröffneten die Politischen Nachtgebete, später die „Christen für den Sozialismus“ völlig neue Aussichten, die konfessionellen Barrieren nicht nur im Dialog, sondern im Bündnis mit Marxisten praktisch zu überwinden. Dieses noch weitgehend unerforschte Kapitel einer bekenntnisübergreifenden shared history sollte jedenfalls weniger an der Gewaltfrage als an der auf beiden Seiten zunehmend beklagten „Repression“ in Kirche und Gesellschaft scheitern9. Gegen die theologischen Versuche, an Gottes Stelle den (Neuen) Menschen zu setzen, machte schließlich das ebenso heterogene, durch „1968“ und den späteren Ruf nach einer geistigen Wende erweiterte konservativ-protestantische

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Vgl. GRAF, Wiederkehr, 30–50; EITLER, Aufbrüche, 264; und RUPFLIN, Kirche, 192.

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Spektrum mobil. Abgesehen vom gemeinsamen Antikommunismus und der Klage gegen eine welt- und gesellschaftspolitisch allzu aktiv gewordene evangelische Kirche, herrschten darin jedoch sehr unterschiedliche politische und theologische Vorstellungen über die Rolle des Christen in und gegenüber einer säkularer werdenden – sich faktisch entkirchlichenden – Umwelt. An die Adresse der „Bekenntnisbewegung ‚Kein Anderes Evangelium‘“ gerichtet, erklärte etwa Alexander Evertz, es widerspreche der „Grundgesinnung“ des evangelischen Glaubens, sich in eine „windgeschützte fromme Ecke zurückzuziehen“. In ethischen Grundsatzdebatten, z. B. der im „Deutschen Herbst“ geführten Diskussion um eine Wiedereinführung der Todesstrafe, dürfte das Meinungsbild unter „konservativen“ Laien und Theologen noch heterogener gewesen sein10. Der Konflikt um die gesellschaftliche Verantwortung von Christen und Kirchen ging in den 1980er Jahren unter veränderten Rahmenbedingungen nahtlos weiter. Zur Diskussion stand nicht mehr die These „Gewalt überwinden mit Gewalt“, sondern „Frieden schaffen ohne Waffen“. Kritische Beobachter bemerkten nicht zu Unrecht eine plötzliche „‚Neuentdeckung‘ der Bergpredigt“11. Betrachtet man die Kontroversen der 1960er und 1970er Jahre daher als einen Lernprozess, so bleibt die konstante „protestantische“ Versuchung, vorgefasste eigene Meinungen unmittelbar anhand der Bibel zu begründen und sie – wie in den Wiederbewaffnungsdebatten der 1950er Jahre – zum politischen Dogma zu erheben, damit jedoch in Rechnung zu stellen.

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EVERTZ, Christen, 22. Vgl. HÖFER, Obrigkeit. STAMMLER, Strömungen, 242.

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7. Quellen- und Literaturverzeichnis Mündliche und schriftliche Auskünfte Mündliche Auskünfte Grosse, Heinrich W. (Telefonat, 15. 4. 2009) Heidingsfeld, Uwe Peter (Telefonat, 30. 3. 2011) Joelsen, Walter (München, 24. 6. 2009) Rendtorff, Trutz (München, 4. 1. 2010)

Schriftliche Auskünfte Ebert, Theodor (29. 6. 2010) Krusche, Günter (15. 7. 2010) Vogel, Meike (4. 10. 2010)

Archivalische Quellen Archiv „APO und soziale Bewegungen“, Freie Universität Berlin, Berlin (APOArchiv) Bestand K 1: Kommune 1 Ordner K 1 Bestand R 6: FU Flugblätter R 6–1383: Dutschke Attentat, April 1968 R 6–1384: Notstandsgesetze, Institutsbesetzungen, Mai 1968 Bestand R 8: Sammlung Gollwitzer R 8: Ordner „Privatbesitz“ Bestand 449–450: Kirchen Evangelen (ESG), 1960–1977 Bestand 451–452: Kirchen Evangelen (ESG), 1965–1988 Bestand 453: Kirchen Evangelen (ESG), 1962–1980 Bestand 1623: KiHo Berlin, 1967–1968

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Axel Springer AG, Unternehmensarchiv, Berlin (AS-UA) Nachlass Horst Mahnke: Ordner 5: Axel Springer und die Kirche (1967–. . .) Ordner 10: Presseausschnitt- und Fotosammlung zur APO (1967–1970)

Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin, Berlin (ELAB) Bestand 37: Nachlass Wolf-Dieter Zimmermann 37/205: Deutsche Kirchengeschichte 1969 Bestand 38: Privater Nachlass Kurt Scharf 38/476: Axel Springer (1972) 38/607: Fall Zühlke (1974–1976) 38/614: Öffentlicher Streit um die Rolle der Kirchen (1974–1975) 38/615: Öffentlicher Streit um die Rolle der Kirchen (1975–1976) Bestand 45: Nachlass Kurt Scharf (Amtsakten) 45/309: Korrespondenz „B“ 45/393: Studentengemeinde, Rundschreiben, Verschiedenes (1965–1970) Bestand 55.1: Pressearchiv/Personen 55.1/685: Bischof Scharf (1945–1977) 55.1/686: Bischof Scharf (1945–1977) 55.1/689: Bischof Scharf (1945–1977) 55.1/696: Bischof Scharf (1975) Bestand 55.5: Rassismusbeschluss des ÖRK (1974–1978) 55.1/1474: Bd. 4

Evangelisches Zentralarchiv, Berlin (EZA) Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD 2/1254: Regionale Tagung (West) der 4. Synode, Berlin-Spandau 1968, Bd. 21: 10/ 1968 – 10/1968 2/1255: Regionale Tagung (West) der 4. Synode, Berlin-Spandau 1968, Bd. 22: 10/ 1968 – 10/1968 2/1328: Pressearbeit der Synode, 05/1967 – 08/1969 2/1360: Kammer für öffentliche Verantwortung (Schriftwechsel), Bd. 16: 1/1968 – 12/ 1968 2/1362: Sitzungen der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 2: 10/1965 – 11/ 1966 2/1364: Sitzungen der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 4: 05/1967 – 10/ 1967 2/1365: Sitzungen der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 5: 11/1967 – 06/ 1968

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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2/1370: Notstandsgesetzgebung, Bd. 1: 03/1967 – 06/1967 2/1371: Notstandsgesetzgebung, Bd. 2: 05/1968 – 07/1968 2/1561: Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (AEJ), Bd. 12: 04/1968 – 11/ 1968 2/1635: Unruhe unter der jungen Generation, 05/1968 – 12/1968 2/1769: Rat der EKD (Berichte zur Lage), Bd. 22: 07/1967 – 04/1968 2/1770: Rat der EKD (Berichte zur Lage), Bd. 23: 04/1968 – 12/1968 2/1771: Rat der EKD (Handakten, Kirchenkonferenz-Protokolle), Bd. 1: 05/1965 – 04/1967 2/1772: Rat der EKD (Handakten, Kirchenkonferenz-Protokolle), Bd. 2: 05/1967 – 08/1968 2/1773: Rat der EKD (Handakten, Kirchenkonferenz-Protokolle), Bd. 3: 10/1968 – 01/1970 2/1774: Rat der EKD (Handakten, Kirchenkonferenz-Protokolle), Bd. 4: 02/1970 – 10/1970 2/1775: Rat der EKD (Handakten, Kirchenkonferenz-Protokolle), Bd. 5: 11/1970 – 11/1971 2/1779: Ratssitzungen (Handakten), plus Kirchenkonferenz-Protokolle, Bd. 2: 11/ 1972 – 06/1973 2/1780: Ratssitzungen (Handakten), plus Kirchenkonferenz-Protokolle, Bd. 3: 06/ 1973 – 12/1973 2/1781: Ratssitzungen (Handakten), plus Kirchenkonferenz-Protokolle, Bd. 4: 01/ 1973 – 09/1973 2/1782: Ratssitzungen (Handakten), plus Kirchenkonferenz-Protokolle, Bd. 5: 10/ 1974 – 05/1975 2/4341: Studentenunruhen, 07/1967 – 11/1968 2/7267: Politische Ethik, Bd. 2: 01/1978 – 06/1978 2/7932: 3. Tagung der 4. Synode Februar 1971 in Berlin-Spandau, Bd. 3: 02/1971 – 12/1971 2/8041: 1. Tagung der 6. Synode, Berlin-Spandau, Mai 1979, 02/1978 – 03/1980 2/8092: Pressearbeit der Synode 1971, 03/1973 2/8103: Pressearbeit der Synode November 1978, 02/1978 – 07/1979 2/8291: Berichte zur Lage, Bd. 2: 02/1975 – 01/1981 2/8561: Schriftwechsel der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 35: 04/1976 – 06/1976 2/8569: Schriftwechsel der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 36: 07/1977 – 10/1977 2/8570: Schriftwechsel der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 37: 07/1977 – 10/1977 2/8572: Schriftwechsel der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 39: 01/1978 – 05/1978 2/8595: Rundschreiben der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 6: 10/1977 – 11/1977 2/8603: Sitzungen der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 6: 03/1972 – 01/ 1976

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Quellen- und Literaturverzeichnis

2/8604: Sitzungen der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 7: 06/1976 – 05/ 1979 2/8628: Sachbereich Staatsverständnis, Rechtsstaatlichkeit der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 1: 01/1972 – 12/1972 2/8629: Sachbereich Staatsverständnis, Rechtsstaatlichkeit der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 2: 02/1973 – 05/1973 2/8630: Sachbereich Staatsverständnis, Rechtsstaatlichkeit der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 3: 05/1973 –12/1976 2/14045: Evangelische Studentengemeinde, Bd. 4: 07/1973 – 03/1976 2/14046: Evangelische Studentengemeinde, Bd. 5: 03/1976 – 10/1977 2/14073: Kritik an der Studentengemeinde und Konfliktberichte 2/14876: Evangelische Akademie Tutzing (1969–1975) 2/17626: Unruhe unter der jungen Generation, 01/1969 – 04/1969 2/17629: Amnestie im Zusammenhang mit Studentenunruhen, 01/1969 – 11/1969 2/17630: Unruhe unter den Studenten, 03/1969 – 04/1983 2/17633: Terror und Gesellschaftsrevolution, Bd. 1: 11/1974 – 12/1974 2/17635: Terror und Gesellschaftsrevolution, Bd. 3: 12/1974 – 05/1977 Bestand 4: Kirchenkanzlei der EKD, Berliner Stelle 4/67: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 1: 10/1969 – 12/1970 4/69: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 3: 1973 4/70: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 4: 01/1974 – 06/1974 4/1335: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 5: 6/1974 – 2/1975 4/1339: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 9: 09/1975 – 09/1977 4/1340: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 10: 09/1977 – 05/1978 4/1341: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 11: 06/1978 – 09/1978 4/1342: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 12: 09/1978 – 12/1978 4/1343: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 13: 01/1979 – 09/1979 4/1344: Gespräche der Beratergruppe des Rates der EKD mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Bd. 14: 09/1979 – 11/1979 Bestand 6: Kirchliches Außenamt der EKD 6/2917: Königsteiner Konsultation „Sozialethische Aspekte der wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit der Republik Südafrika“, Oktober 1977

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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6/5012 – 5044: „Echo“ zu Uppsala: Kommentare und Berichte in (Kirchliche) Presse und Rundfunk, 33 Bd. 6/5204: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 17: 11/1965 – 12/1966 6/5205: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 18: 01/1966 – 10/1966 6/5207: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 20: 07/1966 – 11/1967 6/5208: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 21: 10/1967 – 08/1968 6/5210: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 23: 10/1968 – 01/1969 6/5214: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 27: 08/1970 – 10/1970 6/5215: Tagung der Landeskirchlichen Referenten für ökumenische Fragen, Bd. 28: 06/1970 – 07/1971 6/5925: 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968, Bd. 2: 03/1967 – 07/1967 6/5926: 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968, Bd. 3: 07/1967 – 11/1967 6/5929: 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968, Bd. 6: 01/1968 6/5932: 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968, Bd. 9: 03/1968 – 06/1968 6/5934: 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968, Bd. 11: 05/1968 6/5939: 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968, Bd. 16: 10/1968 – 01/1969 6/5948: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966, Bd. 2: 04/1965 – 04/1966 6/5949: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966, Bd. 3: 04/1966 – 01/1967 6/5950: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966, Bd. 4: 01/1967 – 05/1967 6/5953: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966, Bd. 7: 10/1967 – 07/1971 6/5962: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966 – Vorbereitungskonferenz, Bd. 2: 03/1966 – 06/1966 6/7352: Rat der EKD, Bd. 15: 07/1969 – 01/1971 6/7771: Theologische Konsultation bei der Beratergruppe, Bd. 1: 1978–1979 6/8092: Studenten, Bd. 9: 02/1968 – 08/1968 6/8244: Evangelische Studentengemeinde in der BRD, Bd. 4: 01/1973 – 05/1974 Bestand 36: Evangelische Studentengemeinden 36/2459: Evangelische Akademien, 1958 – 1969

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Quellen- und Literaturverzeichnis

36/2772: Arbeitskreis Gewaltanwendung als Mittel politischen Handelns – Korrespondenz, Bd. 1: 1968 – 1971 36/2773: Arbeitskreis Gewaltanwendung als Mittel politischen Handelns – Korrespondenz, Bd. 2: 1968 – 1971 36/1439: Res novae Arbeitstage der ESG, 1970 – 1971 Bestand 37: Evangelische Akademikerschaft in Deutschland 37/151: Politisches Material, Bd. 1: 04/1967 – 10/1968 Bestand 71: 14. Deutscher Evangelischer Kirchentag 1969 in Stuttgart 71/2821 Planungen für den 14. DEKT in Stuttgart 1969, Bd. 1: 10/1967 – 01/1969 71/2822 Planungen für den 14. DEKT in Stuttgart 1969, Bd. 2: 05/1968 – 02/1970 Bestand 81/3: EKD-Ratsvorsitzender Hermann Dietzfelbinger 81/3/283: Korrespondenz betreffend Südafrika, Bd. 2: 02/1973 – 05/1973 81/3/287: Einzelfragen aus Kirche, Politik und Gesellschaft, Bd. 3: 04/1968 – 06/1973 81/3/288: Einzelfragen aus Kirche, Politik und Gesellschaft, Bd. 4: 08/1970 – 05/1973 Bestand 81/4: EKD-Ratsvorsitzender Helmut Class 81/4/131: Südliches Afrika, Bd. 3, 12/1972 – 07/1976 81/4/221: Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen zur Bekämpfung des Rassismus (PCR), Bd. 2: 01/1977 – 07/1978 81/4/222: Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen zur Bekämpfung des Rassismus (PCR), Bd. 3: 8/1978 – 03/1979 81/4/276: Strafrecht, Bd. 3: 1975–1976 Bestand 87: Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik Deutschland 87/817: Evangelische Akademikerschaft, Bd. 1: 1962–1974 87/1095: Antirassismusprogramm des ÖRK, Bd. 1: 10/1970 – 12/1970 87/1096: Antirassismusprogramm des ÖRK, Bd. 2: 12/1970 – 07/1972 87/2298: Terror und Gesellschaftsrevolution, Bd. 3: 1977–1978 Bestand 99: Kirchenkanzlei der EKD, Außenstelle Bonn 99/330: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, Bd. 3: 04/1966 – 06/1966 99/333: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, Bd. 6: 07/1966 99/336: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, Bd. 9: 01/1967 – 08/1967 99/337: Weltkonferenz für Kirche Gesellschaft, Bd. 10: 08/1967 – 09/1967 Bestand 101: Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 101/359: PCR und Befreiungstheologie, 2/1974 – 2/1975 101/360: PCR und Befreiungstheologie, 3/1976 – 1/1979 101/361: Sonderfonds und Theologische Konsultation über Südafrika, 11/1978 – 12/ 1979 101/364: Theologische Konsultationen mit der EKD zur Südafrika-Problematik und zum Verhältnis zwischen EKD und ÖRK, 10/1978 – 6/1979

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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101/653: BEK-EKD Konsultationsgruppe, 9/1980 – 12/1982 101/3134: Beratergruppe, Bd. 9: 01/1985 – 12/1985 Bestand 102: Geschäftsstelle der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (1962–1970) 102/167: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 in Genf, Bd. 1: 06/1964 – 03/1966 102/168: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 in Genf, Bd. 2: 03/1966 – 12/1966 102/169: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 in Genf, Bd. 3: 01/1967 – 08/1967 102/170: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 in Genf, Bd. 4: 09/1967 – 03/1968 102/171: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 in Genf, Bd. 5: 03/1968 – 05/1968 102/172: Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft 1966 in Genf, Bd. 6: 05/1968 – 08/1970 Bestand 182: Arbeitskreis der Evangelischen Jugend 182/40: Anti-Rassismus-Programm 182/306: Studienreferat. Allgemeiner Schriftverkehr 1966–1973 Bestand 634: Nachlass Adolf Wischmann 634/453: Tagung des Zentralausschusses des ÖRK 1973 in Genf und 1974 in Berlin, Bd. 1: 1972–1974 Bestand 650: Nachlass Erwin Wilkens 650/63: DDR-Kirchen und PCR (Materialsammlung) 650/148: Rassismus und Antirassismusprogramm, Bd. 1: 1970–1971 650/149: Rassismus und Antirassismusprogramm, Bd. 2: 1971–1972 650/179: Thesenreihe der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 1. Entwürfe (1969–1973) 650/180: Thesenreihe der Kammer für öffentliche Verantwortung, Bd. 2. Kommentare (1973–1974) 650/284: Terrorismus und innere Sicherheit, Bd. 2: 1977–1978 650/318: Theologische Tagung zu Grundfragen (u. a. politische Ethik), Arnoldshain 1974 650/376: Eigene Arbeiten, 1974 650/381: Eigene Arbeiten, 1978 Bestand 686: Nachlass Helmut Gollwitzer 686/722: Rote Armee Fraktion, Bd. 5: 1973, 1977 686/723: Rote Armee Fraktion, Bd. 6: 1973 686/816: Aufrufe zur Amnestie für Demonstranten, Bd. 1 686/817: Rote Armee Fraktion, Bd. 1: 1968 u. 1971–1972

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686/834: Studentenbewegung (Materialsammlung), Bd. 6: Rundschreiben, Flugblätter, offene Briefe, 1968 686/835: Studentenbewegung (Materialsammlung), Bd. 7: Rundschreiben, Flugblätter, offene Briefe, 1968 686/853: Deutscher Herbst, Bd. 3 686/854: Deutscher Herbst, Bd. 4 686/855: Buback-Nachruf, Bd. 1 686/856: Buback-Nachruf, Bd. 2 686/7209: Martin-Luther King, Bürgerrechtsbewegung, Rassismus und Black-PowerBewegung in den USA (Materialsammlung), Bd. 3, 1968–1978 686/7521: Auseinandersetzungen um das Engagement von Kornelius Burkhardt, Bd. 1: 1973–1976 686/8564: Anti-Apartheid-Bewegung, 1954–1985 686/8974: Fernsehsendung "Sympathisanten? Heinrich Albertz, Helmut Gollwitzer, Kurt Scharf" des Hessischen Rundfunks, 1978 686/8978: Attentat auf den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann, Hungerstreik der RAF-Häftlinge und Tod von Holger Meins, Bd. 3: 1974 Bestand 688: Nachlass Martin Ziegler 688/1: Beratergruppe, 02/1979 – 12/1982 Bestand 728: Nachlass Hanfried Krüger 728/35: Genf 1966 728/36: Uppsala 1968 Bestand 734: Nachlass Wolfgang Motzkau-Valeton 734/6: Evangelische Studentengemeinde, Hochschulreferat, 05/1967 – 12/1968 734/9: Kammer für öffentliche Verantwortung 734/10: Studentenunruhen in Berlin, 05/1967 – 04/1968 Bestand 742: Nachlass Hermann Kunst 742/348: Korrespondenz A–Z, Bd. 32: 1961–1979

Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf (AEKR) Bestand 1 OB 009: Personalakten der Pfarrer 1 OB009/U 19: Unfricht, Hans

Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg (HIS) Bestand RUD: Nachlass Rudi Dutschke RUD/158, 01: Allgemeine Korrespondenz 1974, Teil A–H RUD/240, 17: Protokolle der Tagungen der Evangelischen Akademie Berlin, Revolution I und II. RUD/250, 02: Skripte und Exzerpte von R. Dutschke bis zum Anschlag RUD/250, 09: Diverse Materialien

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RUD/310, 04: Referat von R. Dutschke in der D. Bonhoeffer-Kirche, London am 15. 03. 1970 RUD/470, 02: Kritische Solidarität mit Gefangenen aus dem bewaffneten Widerstand, 1974–1975, 1979 RUD/470, 04: Diverse Texte zu Terrorismus Bestand Wolfgang Wiedenmann, ESG Hamburg [Ohne Signatur] Korrespondenz-Ordner 2/1975 – 12/1976 Korrespondenz-Ordner (1977–. . .) Mappe zum Tod von Holger Meins

Staats- und Universitätsbibliothek, Hamburg (StUb) Bestand NHT: Nachlass Helmut Thielicke NHT/Bca 22–12: Diverse Briefe an Thielicke 1974 NHT/Bca 22–15: Brief Wölber an Thielicke zu ESG Hamburg

Landeskirchliches Archiv, Hannover (LKA) Bestand L3 III: Kanzlei Hanns Lilje L3 III/1890: Anti-Rassismus-Programm. Erklärungen der Landessynode, Stellungnahmen, Korrespondenz (1970–1971) Bestand 33a: Studentenpfarramt/Studentengemeinde Hannover 33a/165: ESG Hannover, Semesterprogramme 33a/210: Korrespondenz Studentenpfarrer Hermann Bergengruen (A–Z) 33a/290: Res Novae-Arbeitstage der Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland (1967 –1969) 33a/313: ESG Göttingen, Semesterprogramme und Flugblätter (1971–1976) 33a/321: Landessynodalausschuss: Material zu Vorgängen um die ESG-Hannover (1974–1977)

Nordelbisches Kirchenarchiv, Kiel (NEK) Bestand 11.02: Bischof für Hamburg 11.02/118: Antirassismus-Programm 11.02/119: Antirassismus-Programm 11.02/1770: Wölber, Ernst-Otto. Private Korrespondenz. A–K und L–Z, 1967 11.02/1777: Wölber, Ernst-Otto. Private Korrespondenz A–Z, 1972 Bestand 13.54: Studenten- und Hochschulpfarramt in Hamburg 13.54/50: Sammlung von Flugblättern, Zeitungsartikeln und Infomaterial zu den Jugend- und Studentenprotesten; Aktionen der kirchlichen Jugend in der ESG Bestand 32.01: Landeskirche Hamburg – Landeskirchenamt – Kanzlei 32.01/3880: Evangelische Studentengemeinde (ESG), 1969, 1975–1976

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Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, München (LKA) Bestand 15/10–0-11: Arbeitskreis „Macht und Gewalt“ 15/10–0-11, Ordner Nr. 2: Diverses (10/1976 – 7/1977) 15/10–0-11, Ordner Nr. 5: Niederschriften

Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg (LAELKB) Bestand Personen CXXIV: Nachlass Hans-Martin Helbich LXXIV/29g: Kirchenpolitische Auseinandersetzungen Bestand Personen CXXXII: Nachlass Kirchenrat Reinhard Mumm CXXXII/69: Korrespondenzen und Berichte über das Antirassismusprogramm (1970– 1971) CXXXII/183: Vermerke und Entwürfe für den Ratsvorsitzenden, 5/1968 – 10/1968 CXXXII/193: Vermerke und Entwürfe für den Ratsvorsitzenden, 1/1973 – 5/1973 CXXXII/200: Korrespondenz mit Kirchlichen Außenamt und Teilnahme an Besprechungen, 1971–1973 CXXXII/207: Korrespondenz mit Albert van den Heuvel über das Antirassismusprogramm (1970–1971) Bestand CXXXVIII Personen: Landesbischof Hermann Dietzfelbinger CXXXVIII/224: Angelegenheiten der EKD 1973–1974

Archiv der ESG Tübingen (AESG), Tübingen Ordner „DK (3. oDK 4/71, 5. oDK 4/73, 6. oDK 5/74, 9. oDK 3/77, 12. oDK 9/79, 13. oDK 9/80)“ [= Ordentliche Delegiertenkonferenzen der ESG in der Bundesrepublik und Berlin (West)] Ordner Gemeinderat-Protokolle (GR), 1. 3. 1976 – 13. 2. 1978 Ordner Raumanträge 09/1976 – 12/1979 Ordner Semesterprogramme

Archiv des Evangelischen Stifts (AES), Tübingen Bestand R2: Repetentenarchiv (Neubestand)

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8. Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen von Zeitungen und Zeitschriften folgen, soweit hier nicht aufgeführt, SCHWERTNER, Siegfried: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Berlin / New York 21992. Nicht aufgelistete Abkürzungen politischer Parteien und Organisationen gelten als allgemein bekannt. AAB Abt. AEKR AES AESG AG AGEJD ANC apl. ao ARD APO ARP Ass. AST AStA AS-UA AT BEK BGH BK BSBl CCIA CFK CfS CISA DC DEKT DFG DM EAiD ehem.

Anti-Apartheid-Bewegung Abteilung Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland Archiv des Evangelischen Stifts Archiv der ESG Tübingen Aktiengesellschaft Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschlands African National Congress außerplanmässig außerordentlich Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Antiparlamentarische Opposition „Antirassismusprogramm“ des ÖRK (= PCR) Assistent/in Arbeitskreis Soziologie und Theologie Allgemeiner Studierendenausschuss Axel Springer AG, Unternehmensarchiv Alttestamentliche Theologie Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Bundesgerichtshof Bekennende Kirche Berliner Sonntagsblatt. Die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin-Brandenburg Commission of Churches on International Affairs Christliche Friedenskonferenz Christen für den Sozialismus Christliche Institut für das südliche Afrika Deutsche Christen Deutscher Evangelischer Kirchentag Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Mark Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ehemalig

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Abkürzungsverzeichnis EKD EKU ELAB ENA epd epd-ZA ev. ESG ESGiD ev. EZA FAK Fak. FAZ FDGO FESt FR FreLiMo FU Gestapo Habil. Hg. HIS IBKAE IM intern. KiHo KKL KPS KSZE LAELKB LKA LKA Ltd. Ltr. luth. LWB MdB MdL

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Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche der Union Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin Evangelischer Nachrichtendienst in der Deutschen Demokratischen Republik Evangelischer Pressedienst Evangelischer Pressedienst, Zentralausgabe evangelisch Evangelischen Studentengemeinde Evangelischen Studentengemeinde in Deutschland evangelisch Evangelisches Zentralarchiv Facharbeitskreis Fakultät Frankfurter Allgemeine Zeitung Freiheitlich-Demokratische Grundordnung Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg Frankfurter Rundschau Frente de Libertação de Moçambique Freie Universität (West-Berlin) Geheime Staatspolizei Habilitation Herausgeber/in Hamburger Institut für Sozialforschung Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein Anderes Evangelium“ Informeller Mitarbeiter (des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR) international Kirchliche Hochschule Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (in der DDR) Kirchenprovinz Sachsen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Landeskirchliches Archiv Hannover Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Leitende/r Leiter/in Lutherisch/e Lutherischer Weltbund Mitglied des Deutschen Bundestages Mitglied des Landtages

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564 MfS Min. Mitarb. Mitbegr. Mitgl. NATO NEK NNED NDR NT o. OKR ÖRK Parl. PCR PD Pfr. polit. Präs. Präs. Prof. Pst. PT PTA RAF RCDS RIAS SACC SDR SDS SDS Sekr. SFB stellv. StUb SWAPO theol. TU UANC VELKD v. a. Vors. u. a. WDR wg.

Abkürzungsverzeichnis Ministerium für Staatssicherheit der DDR Minister Mitarbeiter/in Begründer/in Mitglied North Atlantic Treaty Organization Nordelbisches Kirchenarchiv Nachrichten der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher Norddeutscher Rundfunk Neutestamentliche Theologie ordentlich Oberkirchenrat/-kirchenrätin Ökumenischer Rat der Kirchen Parlamentarische/r Programme to combat Racism (des ÖRK) Privatdozent Pfarrer/in politisch Präses Präsident Professor/in Pastor/in Praktische Theologie Praktisch-Theologisches Ausbildungsinstitut (West-Berlin) Rote Armee Fraktion Ring Christlich-Demokratischer Studenten Rundfunk der Interallierten Streitkräfte South African Council of Churches Süddeutscher Rundfunk Sozialistischer Deutscher Studentenbund Students for a Democratic Society Sekretär/in Sender Freies Berlin stellvertretende/r Staats- und Universitätsbibliothek South Western African People’s Organization theologisch Technische Universität United African National Council Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands vor allem Vorsitzende/r unter anderem Westdeutscher Rundfunk wegen

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Abkürzungsverzeichnis wiss. WSCF ZA z. B. ZDF

wissenschaftlich World Student Christian Federation Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen zum Beispiel Zweites Deutsches Fernsehen

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Personenregister Bei Personen, die in BRAUN / GRÜNZINGER, Personenlexikon, aufgeführt sind, wird lediglich das Geburts- und Sterbedatum angegeben. ABRECHT, Paul, Dr. theol. 80–82, 84, 133, 145 geb. 9. 12. 1917 Cincinnati, USA, gest. 21. 5. 2005 Genf 1944 Dozent für theol. Studien an der Baptist Divinity School, Berkeley, danach Dozent für Christliche Sozialethik New York, 1949 Sekr. des ÖRK-Studienprogramms „Christian Action in Society“, Genf, 1954–83 Ltr. des ÖRK-Referats „Kirche und Gesellschaft“, Genf. ADENAUER, Konrad 36, 52f., 216 geb. 5. 1. 1876 Köln, gest. 19. 4. 1967 Rhöndorf/Bonn 1949–63 Bundeskanzler, 1950–66 Bundesvors. der CDU. ADLER, Elisabeth 132–134, 142, 333, 394, 403 geb. 2. 8. 1926 Magdeburg, gest. 15. 1. 1997 Berlin 1950–56 Reisesekr. der ESGiD, 1957–59 Studienltr. in der Ev. Akademie BerlinBrandenburg, 1959 Europasekr., Sekr. der Polit. Kommission und ab 1963 stellv. Sekr. des WSCF, Genf, 1965–67 Studienltr., 1967–87 Ltr. der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg, 1988 Ruhestand. AICHELIN, Helmut Walter 277f. geb. 18. 2. 1924 Stuttgart, gest. 31. 10. 1993 Tiberias am See Genezareth, Israel 1953 Pfr. Stuttgart-Zuffenhausen, ab 1960 Studentenpfr. Tübingen, 1968 Ltr. der Ev. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der EKD, Stuttgart, 1978–90 Vors. des württembergischen Gustaf-Adolf-Werks, 1980 Prälat von Ulm. 1989 Ruhestand. ALBERTZ, Heinrich 23, 164, 166, 199, 395, 409f., 415f., 436f. 473 geb. 22. 1. 1915 Breslau, gest. 18. 5. 1993 Bremen [PERSONENLEXIKON, 19] ALTHAUS, Paul, Lic. theol. 9, 11, 108, 180, 452 geb. 4. 2. 1888 Obershagen bei Celle, gest. 18. 5. 1966 Erlangen [PERSONENLEXIKON, 20] ARENDT, Hannah, Dr. phil. 220–222 geb. 14. 10. 1906 Linden, gest. 4. 12. 1975 New York 1933 und 1941 Emigration nach Paris bzw. New York, 1941–46 Forschungsltr. der Conference on Jewish Relations, 1953 ao. Prof. Brooklyn College New York, 1961 Berichterstattung über den Eichmann-Prozess für die Zeitschrift „The New Yorker“, 1963–67 o. Prof. Chicago, 1967–75 o. Prof. New School of Social Science, New York. ASMUSSEN, Hans 181f., 209 geb. 21. 8. 1898 Flensburg, gest. 30. 12. 1968 Speyer [PERSONENLEXIKON, 22f.]

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Personenregister

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AUER, Frank von 270 geb. 1939 Reval, Estland SPD-Mitgl., 1968–69 Bundesvors. des Liberalen Studentenbundes Deutschland, 1970 Gewerkschaftssekr., 1977 Vorstandsmitgl. der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 1983 Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung, ab 1987 Sozialattaché an der Deutschen Botschaft in Tel Aviv, Israel. AUGSTEIN, Rudolf 53f., 65, 181, 209, 443 geb. 5. 11. 1923 Hannover, gest. 7. 11. 2002 Hamburg 1942–45 Militärdienst, 1945 Journalist beim „Hannoverschen Nachrichtenblatt“, 1946 Redakteur beim Nachrichtenmagazin „Diese Woche“, ab 1947 umbenannt in „Der Spiegel“, Chefredakteur und Hg. desselben, 1962/63 im Rahmen der „SpiegelAffäre“ zeitweilig in Untersuchungshaft, 1972/73 MdB (FDP). AUGUSTINUS 98, 100, 177, 272 geb. 13. 11. 354 Thagaste (römische Provinz Numidien, heute Souk Ahras, Algerien), gest. 28. 8. 430 Hippo Regius (heute Annaba, Algerien) 384 Prof. für Rhetorik Mailand, 386 „Bekehrungserlebnis“, Hinwendung von weltlichem Lebensstil zu kontemplativen Leben, Verzicht auf Beruf, 391 Klostergründung Hippo Regius, ab 396 dort Bischof. BAADER, Andreas 200, 257f., 303f., 325, 335, 338f., 342–344, 346–348, 359, 383, 397, 406, 438 geb. 6. 5. 1953 München, gest. 18. 10. 1977 Stuttgart-Stammheim 1970 Mitbegr. und führendes Mitglied der RAF. BACHMANN, Josef 337 geb. 12. 10. 1944 Reichenbach im Vogtland, gest. 24. 2. 1970 Hilfsarbeiter, 1968 Attentat auf Rudi Dutschke. BAHR, EGON 52 geb. 18. 3. 1922 Treffurt 1950–60 Chefkommentator u. Ltr. Bonner Büro d. RIAS, 1956 SPD-Mitgl., 1960– 66 Leiter d. Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, 1967–69 Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Bonn, 1972–74, Bundesmin. für besondere Aufgaben, 1974–76 Bundesmin. für wirtschaftliche Zusammenarbeit. BAHR, Hans-Eckehard, Dr. theol. 197, 218–220, 222f., 238, 256, 258, 263, 296, 337 geb. 1928 1966 ao. Prof. PT Chicago, Mitarb. von Martin Luther King, 1967–2004 o. Prof. PT Bochum, 1971 Berufung zum Kurator der Deutschen Gesellschaft für Friedensund Konfliktforschung, Bonn, 1982 Sachverständiger der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages über „Jugendprotest im demokratischen Staat“. BANNACH, Horst 108, 208–210, 258 geb. 14. 4. 1912 Alleinstein, Ostpreußen, gest. 23. 6. 1980 Stuttgart [PERSONENLEXIKON, 25] BARING, Arnulf, Dr. jur. 347 geb. 8. 5. 1932 Dresden 1956–58 wiss. Ass. Institut für Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht FU Berlin, 1962–64 Redaktionsmitgl. beim WDR, Köln, 1969–76 o. Prof. für Politikwissen-

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Personenregister

schaft FU Berlin, 1976–98 o. Prof. für Zeitgeschichte und Intern. Beziehungen FU Berlin. BARKAT, Manfred 197 geb. 19. 7. 1937 Essen 1968–73 Studentenpfr. Essen, 1966–70 nebenamtlich Dozent für Sozialethik und Religionsphilosophie Ingenieursschulen Essen, 1973–82 Berufsschulpfr. Essen, 1982–95 Pfr. Emlichheim (Bentheim), 1995 Ruhestand. BARTH, Karl 11, 37, 50, 83, 114, 180 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 Basel [PERSONENLEXIKON, 27] BARTSCH, Hans-Werner, Dr. theol. 65, 204, 256f. geb. 23. 4. 1915 Kiel, gest. 27. 12. 1983 Gießen 1934 BK-Mitgl., 1940 Ordination, Provinzialvikar Sahms, Schwarzenbek-Land, 1945–52 Pst. Sahms, bis 1957 Seelsorger an den Heilstätten Mölln (Dienstauftrag), 1957 Pfr. Krumbach/Gladenbach, 1959 Habil. Frankfurt a. M., 1962–80 Prof. für Ev. Theologie und Didaktik Hochschule für Erziehung Frankfurt a. M. BASSARAK, Gerhard 132, 143, 246 geb. 1918 1937–45 Reichsarbeitsdienst und Kriegsdienst, 1953–55 Reisesekr. der ESGiD und Studentenpfr. Berlin, 1955 Verhaftung in West-Berlin wg. angeblicher Kontakte zum MfS, 1956 Studienltr., 1961 Ltr. der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg, 1963– 71 Intern. Sekr. der CFK, 1966–68 Habilitationsaspirant Humboldt-Universität Berlin, 1967–69 Prof. für Ökumenik Wittenberg-Halle, 1969 Humboldt-Universität Berlin, seit 1961 vom MfS als IM „Buss“ geführt. BASTIAN, Hans Dieter, Dr. theol. 116 geb. 30. 1. 1930 Bad Kreuznach 1954–60 Höherer Schuldienst, 1960–61 Dozent Kolleg für Ev. Unterweisung der Ev. Kirche im Rheinland, 1961 ao., 1967 o. Prof. für Ev. Religionspädagogik Pädagogische Hochschule Bonn, seit 1980 Universität Bonn, 1973–87 Mitgl. im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesministerium der Verteidigung. BAUER, Walter, Lic. theol. 276 geb. 6. 11. 1901 Heilbronn, gest. 1. 11. 1968 Fulda [PERSONENLEXIKON, 29] BECKER, Hellmut 50 geb. 17. 5. 1913 Hamburg, gest. 16. 12. 1993 Berlin 1937 wiss. Ass. des Staatsrechtlers Ernst Rudolf von Huber Universität Leipzig, Verwundung während des Russlandfeldzuges, wiss. Ass. Reichsuniversität Straßburg, 1945–63 Rechtsanwalt Kreßbronn, 1947 Anwalt Carl Friedrich von Weizsäckers im Wilhelmstraßen-Prozess, 1956 Präs. des Deutschen Volkshochschulverbandes, 1963 Mitbegr. des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Berlin, 1962–72 regelmäßig Diskussionsltr. der Bergedorfer Gespräche. BECKER, Jillian 442 geb. 1932 Johannesburg, Südafrika Journalistin und Schriftstellerin.

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BECKER, Verena 428f. geb. 31. 7. 1952 Berlin-Wilmersdorf ehem. RAF-Mitglied. BECKMANN, Joachim Wilhelm, Dr. phil., Lic. theol. 50, 59, 193, 234, 279, 315 geb. 18. 7. 1901 Wanne-Eickel, gest. 18. 1. 1987 Düsseldorf [PERSONENLEXIKON, 31] BECKMANN, Klaus-Martin, Dr. theol. 152, 299, 314, 321 geb. 7. 12. 1931 Soest/Westfalen, gest. 17. 1. 2003 Darmstadt Stiftsinspektor Bonn, 1966–69 Theol. Referent im Sozialwissenschaftlichen Institut der Ev. Kirche im Rheinland Velbert (Vors. der Rheinischen Arbeitsgruppe „Rasse“), 1969–71 im neu gegr. Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, Bochum (Vors. der „Rassen“-Kommission), 1971 Berufung als OKR in die Verwaltung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, zunächst zuständig für Erwachsenenbildung und Öffentlichkeitsarbeit, 1974–96 Ltr. des neu gebildeten Referats für Mission und Ökumene. BEINTKER, Michael, Dr. theol. 464, 467 geb. 1947 Berlin 1972–85 wiss. Mitarb. Universität Wittenberg-Halle, 1990–92 o. Prof. ST Halle, seit 1992 Prof. ST Münster. BELLMANN, Rudi 394 geb. 1919 1944 sowjet. Kriegsgefangenschaft, Mitarbeit im Nationalen Komitee Freies Deutschland, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1955 Mitarb., 1969–77 stellv. Ltr., 1977–88 Ltr. der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED. BENDA, Ernst 163 geb. 15. 1. 1925 Berlin, 2. 3. 2009 Karlsruhe, 1943–45 Kriegsdienst, 1951/52 RCDS-Vors., 1967 Parl. Staatssekr. (CDU) im Bundesinnenministerium, 1968/69 Bundesmin., 1971–83 Präs. des Bundesverfassungsgerichts, 1993–95 Präs. des DEKT. BENEDICT, Hans-Jürgen, Dr. theol. 219–223, 238, 258, 267, 296, 447 geb. 1941 Hamburg wiss. Ass. Universität Bochum, 1977/78 Vertretungsprofessur Universität Hamburg, 1979–91 Pfr. Recklinghausen und Hamburg. BENNETT, John C. 102 geb. 1902, gest. 27. 4. 1995 1939 Ordination, Prof. für Sozialethik New York, 1948 Mitgl. des Planungskomitees der Weltkirchenkonferenz Amsterdam, 1954 stellv. Vors. des ÖRK-Referats „Kirche und Gesellschaft“, 1966 Ltr. der Planungsgruppe für die Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, dort Ltr. der Sektion „Strukturen internationaler Sicherheit“. BERGGRAV, Eivind, Dr. theol. 148 geb. 25. 10. 1884 Stavanger, Norwegen, gest. 14. 1. 1959 Oslo 1919–24 Pfr. Hurdal, 1925–29 Pfr. Oslo, 1929 Bischof des Bistums Haalogaland, 1937 Bischof des Bistums Oslo, 1942–45 Führungsfigur im norwegischen Kirchenkampf gegen den Nationalsozialismus, 1942–45 Hausarrest, 1945–51 Vors. des Königlichen Kirchenordnungsamtes (zur Neugestaltung der norwegischen Kirche),

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1948 Mitgl. im ZA und im Exekutivkomitee des ÖRK, 1950–54 einer der Präs. des ÖRK. BESIER, Gerhard, Dr. theol. 24 geb. 30. 11. 1947 Wiesbaden 1981/82 Habil. 1973–79 wiss. Ass. Universität Tübingen, 1980–86 Rektor des Religionspädagogischen Instituts der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover, 1988 Geschäftsführender Hg. der Zeitschrift „Kirchliche Zeitgeschichte“, 1992–2003 C4-Prof. für Historische Theologie und Konfessionskunde Universität Heidelberg, 2003–07 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Dresden, seit 2008 Lehrstuhl für Europastudien TU Dresden, seit 2009 MdL Sachsen (Die Linke). BETHGE, Eberhard 113f., 395, 449 geb. 18. 8. 1909 Warchau (Brandenburg), gest. 18. 3. 2000 Wachtberg (Rhein-SiegKreis) Vikar an dem von Dietrich Bonhoeffer geleiteten BK-Predigerseminar in Finkenwalde/Pommern, 1943/44 Kriegsdienst, 1944/45 Inhaftierung, ab 1945 Studentenpfr. und Referent Otto Dibelius’ in Berlin, danach Pst. London, Hg. der Schriften Dietrich Bonhoeffers, 1962–76 Ltr. des Pastoralkollegs der Ev. Kirche im Rheinland, seit 1969 Honorarprof. Universität Bonn. BEYERHAUS, Peter Paul Johannes, Dr. theol. 393 geb. 1. 2. 1929 Hohenkränig (Markbrandenburg) 1953/54 Vikar beim Deutschen Ev. Missionsrat, 1955–57 Pst. Berlin, 1957–65 im Dienst der Berliner Missionsgesellschaft in Südafrika, 1966–97 o. Prof. für Missionswissenschaft und Ökumenische Theologie Universität Tübingen, 1974/75 dort Dekan der Theol. Fak., 1972 Präs. des von ihm 1969 mitbegr. Theol. Konvents Bekennender Gemeinschaften, 1978 Vors. der Intern. Konferenz Bekennender Gemeinschaften, 1970–74 Gründungsrektor des Albrecht-Bengel-Hauses, Tübingen, 1997 Gründer des Instituts Diakrisis, Gomaringen, seither dessen Direktor. BIKO, Steve 446 geb. 18. 12. 1946 King Wiliams Town, Südafrika, gest. 12. 9. 1977 Pretoria 1972 Engagement in der „Black People’s Convention“, 1973 gebannt durch die südafrikanische Regierung, 1977 Verhaftung und Folterung mit Todesfolge. BISMARCK, Klaus von 50, 343, 349 geb. 6. 3. 1912 Jarchlin/Pommern, gest. 22. 5. 1997 Hamburg Landwirt, 1939–45 Kriegsdienst, Kontakt zu Dietrich Bonhoeffer, Kriegsdienst und -gefangenschaft, Ltr. des Kreisjugendamtes Herford, Begründer des Jugendhofes Vlotho, 1949 Ltr. des Sozialamtes der westfälischen Landeskirche im Haus Villigst, Schwerte/Ruhr, 1955–61 Mitgl. der Kammer für soziale Ordnung der EKD, 1955– 95 Mitgl. des Präsidiums des DEKT, bis 1967 der EKD-Synode, ab 1961 Mitgl. im ÖRK-ZA, 1961–76 Intendant des WDR, 1977–89 Präs. des Goethe-Instituts, 1977–79 Präs. des DEKT. BLAKE, Eugene Carson 305–309, 316, 318, 327–329, 332, 352, 354, 356 geb. 7. 11. 1906 St. Louis (Missouri), gest. 31. 7. 1985 Stamford (Connecticut) 1928 Theologiedozent Lahore (Indien), 1932 presbyterianischer Pfr. New York, 1935 Albany (New York), 1940 Pasadena (Kalifornien), 1951–66 Generalsekr. der

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(Vereinigten) Presbyterianischen Kirche in den USA, ab 1954 Mitgl. im ZA, im Exekutivkomitee und im Finanzausschuss des ÖRK, Engagement in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, 1966–72 Generalsekr. des ÖRK. BLOCH, Ernst 77, 109, 121, 127, 185–187, 212 geb. 8. 7. 1885 Ludwigshafen, 4. 8. 1977 Tübingen 1948–57 o. Prof. für Philosophie Universität Leipzig, 1957 aus polit. Gründen emeritiert, 1961 Übersiedlung in die Bundesrepublik, seit 1961 ao. Prof. Tübingen. BOCKMÜHL, Klaus, Dr. phil. 194 geb. 6. 5. 1931 Essen, gest. 10. 6. 1989 Vancouver, Canada 1961/62 Hilfsprediger Düren, 1962–65 wiss. Mitarb. Universität Basel, 1965–68 Studentenpfr. Heidelberg, 1968 Versetzung auf eine kleine Pfarrei im Schwarzwald, 1971–77 Dozent für Dogmatik und Ethik am Predigerseminar St. Chrischona, Basel, 1977–89 Prof. ST Vancouver. BOEDEN, Gerhard 441 geb. 10. 2. 1925 Gütersloh, gest. 26. 5. 2010 Bonn 1942–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft. 1945 Eintritt in den Polizeidienst des Landes Nordrhein-Westfalen, 1956–87 Mitarb. im Bundeskriminalamt, ab 1974 dort Ltr. der Sicherungsgruppe, ab 1975 Ltr. der Abt. „Terrorismus“ in Bonn-Bad Godesberg, 1983–87 Vizepräs. des Bundeskriminalamtes, 1987–91 Präs. des Bundesamtes für Verfassungsschutz. BÖLL, Heinrich 342, 344–346, 358, 409, 437, 473 geb. 21. 12. 1917 Köln, gest. 16. 7. 1985 Langenbroich/Eifel. Schriftsteller. BOENISCH, Peter 407 geb. 4. 5. 1927 Berlin, gest. 8. 7. 2005 Gmund am Tegernsee 1961–65 Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, 1965–79 Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, 1978–81 Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“, 1983–85 Ltr. des Presse- und Informationsamtes und Sprecher der Bundesregierung, ab 1985 journalistische Tätigkeit für den Burda-Verlag und den Axel-Springer-Verlag, 1999–2001 Mitgl. im Aufsichtsrat des Axel-Springer-Verlags, seit 2001 Mitgl. im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs. BOLEWSKI, Hans 292 geb. 10. 10. 1912 Kiel, gest. 27. 11. 2003 Hannover 1938 Streichung aus der landeskirchlichen Kandidatenliste zur Pfarrerausbildung wegen Nähe zur BK, 1938/39 Forschungsaufenthalt am Richmond-College London, 1939–49 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1950–52 Studentenpfr. Hamburg, 1952–72 Ltr. der Ev. Akademie Loccum. BONHOEFFER, Dietrich, Lic. theol. 11, 18, 83f., 105, 113–115, 117, 122, 132, 135, 158, 216, 219, 280, 291, 324, 331, 367, 403, 445, 447–450, 462, 466, 472, 474, 480 geb. 4. 2. 1906, gest. 9. 4. 1945 Flossenbürg (Oberpfalz) [PERSONENLEXIKON, 41] BOROVOJ, Vitaly 91, 134 geb. 18. 1. 1916 Byelorussia, Russland 1942–44 stellv. Dekan des Theol. Seminars Minsk, Sowjetunion, 1954–62 Prof. für Alte Kirchengeschichte Leningrad, 1962–65 Beobachter des Zweiten Vatikanischen

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Konzils, 1962–66 und 1978–85 Repräsentant der Russisch-Orthodoxen Kirche beim ÖRK, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, 1973–78 Prof. für Byzantinische Kirchengeschichte an der Theol. Akademie Moskau. BOROWSKY, Wolfgang 431 geb. 5. 9. 1922 Riga, Lettland, gest. 26. 6. 6. 1999 Saint Trojan les Bains, Frankreich 1939 Umsiedlung in den Warthegau, Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1958 Pfr. Stuttgart-Rohracker, 1961 Pfr. Schwenningen, 1970–84 Pfr. Stuttgart. BOSSE, Hans Eberhard 149, 363 geb. 1938. 1968/69 wiss. Mitarb. in der Kirchenkanzlei der EKD. BOTHA, Roelof Frederik (Pik) 450 geb. 27. 4. 1932 Rustenburg, Südafrika 1977–94 Außenmin. der Republik Südafrika, 1994–96 Min. für Energie und Bodenschätze. BOYENS, Armin, Dr. theol. 24, 147 geb. 1924 1961–67 Exekutivsekr. im ÖRK-Stab, Genf, 1972 Dozent für Kirchliche Zeitgeschichte Universität Mainz, ab 1972 Militärdekan und Theol. Referent im Ev. Kirchenamt für die Bundeswehr Bonn. BRAUN, Günther 176 geb. 1929 Mannheim 1966–72 Studentenpfr. Saarbrücken, 1972–79 Religionslehrer in Lahr und Offenburg sowie Ltr. der Ev. Erwachsenenbildung in der Ortenau, 1992 Ruhestand. BRÜCKNER, Peter 339, 342 geb. 13. 5. 1922 Dresden, gest. 11. 4. 1982 Nizza Sozialpsychologe und Psychoanalytiker. BRÜSEWITZ, Oskar 459f. geb. 30. 5. 1929 Willkischken, Memelland, gest. 22. 8. 1976 Halle/Saale 1944/45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, ab 1969 Hilfspfr. Rippicha (Kreis Zeitz), 1970 Ordination, ab 1970 Pfr. Rippicha, Konflikte mit staatlichen Organen, die auf seine Versetzung drängten, 1976 öffentliche Selbstverbrennung mit Todesfolge. BUBACK, Inge 430 geb. 1920 Ehefrau des 1977 ermordeten Generalbundesanwaltes Siegfried Buback. BUBACK, Siegfried 428–430, 435 geb. 3. 1. 1920 Wilsdruff (Sachsen), gest. 7. 4. 1977 Karlsruhe 1940 NSDAP-Mitgl., 1941 1. Juristisches Staatsexamen Leipzig, 1941–47 Kriegsdienst- und Gefangenschaft, 1950 2. Juristisches Staatsexamen, 1950 Assessor und 1953 Staatsanwalt Niedersachsen, 1959 Wechsel zur Bundesanwaltschaft Karlsruhe, dort 1963 Oberstaatsanwalt, 1974 Generalbundesanwalt. BULTMANN, Rudolf, Lic. theol. 57–59 geb. 20. 8. 1884 Wiefelstede (Oldenburg), gest. 30. 7. 1976 [PERSONENLEXIKON, 48f.]

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BURGHARDT, Kornelius 336, 386f., 406, 408f. geb. 17. 10. 1944 1972 1. Theol. Examen Darmstadt, 1972–76 Vikariat PTA Berlin-Schlachtensee, 1974 2. Theol. Examen, 1975/76 Hilfsprediger Bethel, 1976 Ordination, 1976–78 Pfarrtätigkeit in England. CAMARA, Dom Helder 260, 317, 319 geb. 7. 2. 1909 Fortaleza, Brasilien, gest. 27. 8. 1999 Recife 1964–85 Weihbischof von Olinda e Recife. CARMICHAEL, Joel [Joseph Lipsky] 65 geb. 31. 12. 1915 New York, gest. 27. 1. 2006 New York Journalist und Schriftsteller. CASTRO, Fidel, Dr. jur. 129, 187 geb. 13. 8. 1926 Birán bei Mayarí (nach anderen Angaben: 13. 8. 1927 Birán bei Mayarí) 1959 Premiermin. der Revolutionären Regierung, 1976 nach Verfassungsänderung auch Staatsoberhaupt, 2008 Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen. CHRISTIANSEN, Johann Theodor 341f., 350 geb. 9. 7. 1928 Brunsbüttelkoog, gest. 6. 2. 2007 Flensburg 1953 Ordination Kiel, 1953 Hilfsprediger Windbergen, 1954 Pst. Windbergen und Jugendpst. Probstei Süderdithmarschen, ab 1960 Schulpst. Flensburg. CHRUSCHTSCHOW, Nikita 43 Geb. 15. 4. 1894, gest. 11. 9. 1971 Moskau 1939–64 Mitgl. Politbüro d. Kommunistischen Partei der Sowjetunion, 1949 Sekr. d. Zentralkomitees d. Kommunistischen Partei der Sowjetunion Moskau, 1953 1. Sekr., 1958 Ministerpräs., 1964 durch das Zentralkomitee vom Amt des Staatsund Parteichefs enthoben. CLASS, Helmut 360, 373, 377, 399, 402, 407, 410, 423–425, 431, 440f., 450f., 453f., 456, 462 geb. 1. 7. 1913 Geislingen-Altenstadt, gest. 4. 11. 1998 Nagold-Prondorf 1936–39 Vikar Esslingen, Schwäbisch Hall, Tiefenbach und Münsingen, 1939 Pfr. Heilbronn, 1939–48 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1948–49 Jugendpfr. Heilbronn, 1949–50 Landesjugendpfr. Württemberg, 1959–67 Ltd. Pfr. der Ev. Diakonieschwesternschaft Herrenberg, 1968–69 Prälat von Stuttgart, 1969–79 Bischof der Ev. Landeskirche in Württemberg, 1973–79 Vors. des Rates der EKD. COENEN, Lothar, Dr. theol. 458 geb. 21. 1. 1925, gest. 25. 4. 2003 1952–54 Redakteur epd-Landesdienst Rheinland, 1954–64 Pfr. Neviges, 1965–78 Pfr. Wuppertal-Barmen, Mitgl. der rheinischen Landessynode und des Moderamens des Reformierten Bundes, 1978 Referent im Kirchlichen Außenamt der EKD, 1980–91 dort Ltr. der Ökumene-Abt. als OKR. CROISSANT, Klaus 350, 435 Geb. 24. 5. 1931 Kirchheim/Teck, gest. 28. 3. 2002 Berlin Rechtsanwalt Stuttgart, 1973 Mitbegr. Komitee gegen Isolationsfolter, 1974 bis zu seinem Ausschluss Strafverteidiger von Andreas Baader im Stammheim-Prozess, 1977 Festnahme in Frankreich u. Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland,

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1979–81 Freiheitsstrafe wg. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (RAF), registriert als IM des MfS. CULLMANN, Oscar [auch Oskar], Lic. theol. 37 geb. 25. 2. 1902 Straßburg, gest. 16. 1. 1999 Chamonix, Frankreich [PERSONENLEXIKON, 54f.] DEGEN, Johannes, Dr. theol. 337f. geb. 18. 10. 1941 Hamburg 1969–72 Mitarb. am Lehrstuhl von Hans-Eckehard Bahr Bochum, 1972/73 Vikariat Bochum, 1973–78 Pfr. Bochum-Querenburg, 1978–93 Leitungstätigkeiten im Diakoniewerk Kaiserwerth, Düsseldorf, Referent für diakonische und theol. Grundsatzfragen, 1982–86 Mitgl. der Direktion, 1986–92 Vorsteher, 1993–96 Direktor der Diakonischen Akademie Berlin/Stuttgart und Mitgl. der Geschäftsführung des Diakonischen Werkes der EKD, 1996–2007 Direktor der Ev. Stiftung Hephata, Mönchengladbach, 1973–93 Lehraufträge an der Universität Bochum, 1996–2004 PD für PT Bochum, seit 2005 apl. Prof. KiHo Wuppertal-Bethel. DELEKAT, Lienhard, Dr. theol. 435 geb. 9. 1. 1928 Berlin, 14. 6. 2004 1965–69 Dozent Universität Bonn, 1970–93 o. Prof. für AT Bonn. DELLWO, Karl-Heinz 412 geb. 11. 4. 1952 Opladen ehem. RAF-Mitgl., seit 2004 Dokumentarfilmer. DEMKE, Christoph 464f., 468, 470 geb. 3. 5. 1935 Bunzlau/Schlesien 1958–63 Repetent am Berliner Sprachenkonvikt, gleichzeitig Vikariat Sachsenhausen/Oranienburg, 1964–78 Dozent für NT am Berliner Sprachenkonvikt, 1975 nebenamtlich und 1978–81 hauptamtlich Sekr. der Theol. Kommission des BEK, ab 1977 stellv. Ltr. und 1981–83 Ltr. des BEK-Sekretariats, 1980–83 Sekr. des kirchlichen Lutherkomitees, 1983–97 Bischof der KPS, 1986–90 stellv. KKL-Vors., 1990/91 KKL-Vors., 1997 Ruhestand. DIBELIUS, Otto, Dr. phil., Lic. theol. 36–38, 41–44, 46f., 50f., 97f., 101, 106, 130 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 Berlin [PERSONENLEXIKON, 58] DIETZE, Constantin von, Dr. rer. pol. 235 geb. 9. 8. 1891 Gottesgnaden, gest. 18. 3. 1973 Freiburg i. Br. [PERSONENLEXIKON, 60f.] DIETZFELBINGER, Hermann 107f., 110–112, 192, 195, 210, 225f., 232, 278, 301f., 305–307, 309f., 315–318, 322–325, 348, 353–359, 366f., 372f., 380, 382, 391, 399, 419 geb. 14. 7. 1908 Ermershausen/Unterfranken, gest. 15. 11. 1984 München 1931 1. Theol. Examen, Ordination München, 1933 Stadtvikar München, 1934 2. Theol. Examen, 1935 Pfr. Rüdenhausen/Unterfranken, 1939 theol. Hilfsreferent im Landeskirchenrat München, 1940 Studentenpfr., Lazarettseelsorger, vorübergehend Mitarb. beim Kreisdekanat Bayreuth, 1943 Vors. der Deutschen Studentenpfarrerkonferenz, 1945 Rektor des Predigerseminars Nürnberg, 1946 Vors. der Konferenz der Studentenpfarrer, 1948 Mitgl. der EKD-Synode, 1953 Rektor der Diakonissen-

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anstalt Neuendettelsau, 1955–75 bayerischer Landesbischof, 1967–73 Vors. des Rates der EKD, Mitgl. der VELKD-Kirchenleitung. DINKLER, Erich, Dr. theol. 388 geb. 6. 5. 1909 Remscheid, gest. 28. 6. 1981 Mannheim [PERSONENLEXIKON, 61] DOLLINGER, Werner, Dr. rer. pol. 395 geb. 10. 10. 1918 Neustadt an der Aisch, gest. 3. 1. 2008 1943–45 Kriegsdienst, 1945 Geschäftsführer der Dampfziegelei „A. Dehn“, 1948 Vors. der Industrie- und Handelskammer Neustadt, 1951–72 CSU-Kreisvors. Neustadt, 1963–85 stellv. Vors. der CSU, 1953–90 MdB, 1962–66 Bundesschatzmin., 1966 Bundesmin. für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1966–69 Bundesmin. für das Post- und Fernmeldewesen, 1970–93 stellv. Vors. des Ev. Arbeitskreises von CDU/CSU, 1982–87 Bundesmin. für Verkehr, 1965–95 Mitgl. der bayerischen Landessynode, 1971–91 Mitgl. der EKD-Synode. DOMSCH, Kurt 463, 465–467 geb. 1928, gest. 1999 1960–75 tätig in verschiedenen kirchlich-synodalen Diensten (sächsische Landessynode, dann Luth. Generalsynode), 1970–75 Präs. der VELKD-Generalsynode (DDR), 1975–89 Präs. des sächsischen Landeskirchenamtes, 1977–82 stellv. KKLVors. DREIER, Hartmut 150 geb. 1938 Rostock 1966–69 Ökumenereferent der ESGID, 1969–77 Studentenpfr. Bochum, 1977–99 Pfr. Marl-Hüls (Kreis Recklinghausen). DRENKMANN, Günter von 406, 411f., 472 geb. 9. 11. 1910 Berlin, 10. 11. 1974 West-Berlin 1967 Präs. des Kammergerichts Berlin. DÜRRENMATT, Friedrich 411f., 472 geb. 5. 1. 1921 Konolfingen, Schweiz, gest. 14. 12. 1990 Neuenburg, Schweiz Schriftsteller. DUTSCHKE, Rudi, Dr. phil. 23, 34, 129, 144f., 161f., 165, 168f., 179–181, 183–190, 194–196, 206, 213–217, 222–224, 235, 257, 291, 293f., 337, 413 geb. 7. 3. 1940 Schönfeld (Mark Brandenburg), gest. 24. 12. 1979 Aarhus, Dänemark 1961 Übersiedlung nach West-Berlin, 1962 zusammen mit Bernd Rabehl Gründung eines Berliner Ablegers der Münchener „Subversiven Aktion“, 1965 Wahl in den polit. Beirat des Westberliner SDS, Organisation zahlreicher Protestaktionen im Rahmen der APO, ab 1966/67 bekanntester Sprecher der Studentenbewegung, Ostern 1968 auf offener Straße niedergeschossen, nach langem Klinikaufenthalt Wiederaufnahme seines Soziologiestudiums in Cambridge, 1971 Ausweisung aus Großbritannien, Übernahme eines Lehrauftrags an der Universität Aarhus, 1979 unerwarteter Tod an den Spätfolgen des Attentats. DUTSCHKE-KLOTZ, Gretchen 23, 215 geb. 3. 3. 1942 Oak Park, USA seit 1966 verheiratet mit Rudi Dutschke.

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EBERT, Theodor, Dr. phil. 165f., 219, 258, 290f., 375–377, 395, 422 geb. 6. 5. 1937 Stuttgart 1965/66 wiss. Mitarb. am Institut für Polit. Wissenschaft Universität Erlangen, 1966–68 wiss. Ass. Otto-Suhr-Institut, FU Berlin, 1969 Gründer der Zeitschrift „Gewaltfreie Aktion“, 1970–2002 o. Prof. für Politikwissenschaft FU Berlin, 1972 Mitgl. der Regionalsynode von Berlin (West) und 1990–96 der Landessynode von Berlin-Brandenburg, 1972–84 Mitgl. der EKD-Synode, 1984–96 Mitgl. der Kirchenleitung der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg. ENGELBRECHT, Manfred 168, 213 geb. 20. 5. 1927 1953 Ordination, 1954–60 Pfr. der deutschsprachigen Ev. Kirche am La Plata, Buenos Aires, 1961–85 Pfr. Berlin/Neu-Westend (Predigtauftrag bis 2003), 1985–92 Pfr. Berlin/Charlottenburg. ENGERT, Jürgen 167 geb. 17. 1. 1936 1961–80 polit. Redakteur, ab 1974 Chefredakteur der Westberliner Zeitung „Der Abend“, 1983 Ltr. der Hauptabt. „Politik“ beim SFB (TV), ab 1987 Chefredakteur im Bereich Fernsehen, 1984–98 Moderator des ARD-Magazins „Kontraste“, 1999– 2001 Ltr. des ARD-Hauptstadtstudios. ENSSLIN, Christiane 340 geb. 1939 Bartholomä (Ostalbkreis) Tätigkeit als Publizistin und Verlagsmitarb., 1977 Mitbegr. der Zeitschrift „Emma“, 1992–2003 Archivarin im Hamburger Institut für Sozialforschung. ENSSLIN, Gudrun 164, 179, 200, 212f., 223, 281, 303f., 340f., 345f., 349f., 383, 389f., 434f., 442–444, 472 geb. 15. 8. 1940 Bartholomä (Ostalbkreis), gest. 18. 10. 1977 Stuttgart-Stammheim 1965 Unterstützung des SPD-Wahlkampfes im „Wahlkontor der Schriftsteller“, 1970 Mitbegr. und führendes RAF-Mitgl. ENSSLIN, Helmut 213, 232, 345, 347f., 350 geb. 24. 5. 1909 Ulm, gest. 27. 5. 1984 Stuttgart nach Kriegsdienst Pfr. Bartholomä (Ostalbkreis), seit 1959 Pfr. Bad Cannstatt. EPPLER, Erhard, Dr. phil. 361 geb. 9. 12. 1926 Ulm 1943–45 Kriegsdienst, 1951–61 Gymnasiallehrer, 1952 Mitbegr. der Gesamtdeutschen Volkspartei, 1961–76 MdB (SPD), 1968–74 Bundesmin. für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1973–81 SPD-Landesvors. in Baden-Württemberg, 1975–91 Ltr. der SPD-Grundwertekommission, 1968–84 Mitgl. der EKD-Synode, 1977–83 Vorstandsmitgl. des DEKT, 1981–83 und 1989–91 dessen Präs. ERCHINGER, Herbert 434 geb. 1949 1968 Pfr. Hannover-Vahrenheide, 1977–84 Studentenpfr. TU Braunschweig, 1984–95 Pfr. Braunschweig, 1995–2004 zuständig „für den kirchlichen Dienst der braunschweigischen Landeskirche in der Arbeitswelt“. ERHARD, Ludwig, Dr. rer. pol. 63 geb. 4. 2. 1897 Fürth, 5. 5. 1977 Bonn

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1916–18 Kriegsdienst, 1950 Honorarprof. für Rechts- und Staatswissenschaften Bonn, 1949–63 Bundeswirtschaftsmin., 1963–66 Bundeskanzler, 1966/67 Bundesvors. der CDU. EVERTZ, Alexander 60–62, 64, 66, 110, 192, 312, 482 geb. 13. 11. 1906 Solingen, gest. 7. 6. 2001 Dortmund Pfr. Zeulenrode (Thüringen), Entlassung durch die DC, Unterstützung durch die BK, 1941–45 Kriegsdienst, 1966 Mitbegr. und Vors. der Notgemeinschaft Ev. Deutscher bzw. Ev. Notgemeinschaft. FANON, Frantz 68, 162, 217, 293 geb. 10. 7. 1925 Fort-de-France, Martinique, gest. 6. 12. 1961 Washington (nach anderen Angaben Bethesda/Maryland) 1944 Kriegsdienst, 1953 Ltr. der psychiatrischen Abt. der Klinik von Bilda-Joinville, Algerien, 1956 Rücktritt aus politischen Gründen, Wechsel ins Militärhospital Blida, 1954 Beitritt zur algerischen Nationalen Befreiungsfront, 1956 nach Quittieren des Dienstes als Arzt Ausweisung, in Tunis Publizist für das Zentralorgan der Nationalen Befreiungsfront, 1960 Afrika-Vertreter der provisorischen algerischen Regierung. FEIL, Ernst, Dr. theol. 114, 260f. geb. 15. 5. 1932 Dorsten 1968 wiss. Ass. Seminar für Fundamentaltheologie Universität Münster, 1971 o. Prof. für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Dortmund, 1975– 2000 o. Prof. für Religionspädagogik München. FELTRINELLI, Giangiacomo 257 geb. 19. 6. 1926 Mailand, gest. 14. 3. 1972 Segrate/Mailand Verleger. FEUERBACH, Ludwig 281 geb. 28. 7. 1804 Landshut, gest. 13. 9. 1872 Rechenberg Philosoph. FILBINGER, Hans 204, 444 geb. 15. 9. 1913 Mannheim, gest. 1. 4. 2007 Freiburg-Günterstal 1966–78 Ministerpräs. von Baden-Württemberg, 1973–79 stellv. Bundesvors. der CDU. FISCHER, Martin 204, 244 geb. 9. 8. 1911 Magdeburg, gest. 3. 3. 1982 West-Berlin [PERSONENLEXIKON, 76] FLECHTHEIM, Ossip Kurt, Dr. jur., Dr. phil. 166, 184–186, 188 geb. 5. 3. 1909 Nikolajew, Russland, gest. 4. 3. 1998 Kleinmachnow 1910 Übersiedlung der Familie nach Deutschland, 1934 Entfernung aus dem Referendariat in Düsseldorf aus „rassischen“ Gründen, Verhaftung durch die Gestapo wg. Mitgliedschaft in der kommunistischen Gruppe „Neu Beginnen“, Freilassung und Emigration in die Schweiz, 1939 Übersiedlung in die USA, wiss. Mitarb. am Horkheimer-Institut für Sozialforschung Columbia-Universität, 1940–43 Dozent Atlanta, 1943–46 Prof. Bates College, 1946 Rückkehr nach Deutschland als Sektions- und Bürochef des Chefanklägers der Nürnberger Prozesse, 1947 Rückkehr in die USA, Lehrtätigkeit Colby College, Gastprofessur Bowdoin College, 1952–59

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Prof. Deutsche Hochschule für Politik Berlin, 1954/55 Gastprof. Kansas City, 1957 Habilitation, 1959 ao, 1961–74 o. Prof. für Politikwissenschaft FU Berlin. FLOR, Georg, Dr. jur. 408 geb. 1920, gest. 1995 1952/53 Mitarb. im Bundesamt für Verfassungsschutz, 1953 im Bundesinnenministerium, 1958 Referent im Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen, 1971–85 Ltr. des Konsistoriums der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg (West), Mitgl. der EKU-Synode. FORTE, Dieter 343 geb. 14. 6. 1935 Düsseldorf Schriftsteller und Dramatiker. FOSS, Øyvind, Dr. theol. 242, 253 geb. 2. 6. 1934 Kristiansand, Norwegen 1970–77 Pfr. Oslo und Drammen, 1977–81 Studentenpfr. Heidelberg, 1984–94 wiss. Mitarb. Universität Aarhus, Dänemark, 1987–94 Pfr. Vejle, Dänemark, 1994– 2004 ao. Prof. für Sozialethik Stavanger. FRÄNKEL, Hans-Joachim 330, 462, 465f. geb. 31. 8. 1909 Liegnitz, gest. 21. 12. 1996 Marburg 1928–33 Mitgl. des Pfarrernotbundes und der BK in Schlesien, 1935/37 Verhaftung, 1936 Ordination und Pfr. Breslau, 1940–41 Kriegsdienst und Verwundung, 1943–45 Pfarrerstellenverwaltung Breslau, 1945 Mitgl. der vorläufigen schlesischen Kirchenleitung, 1947–49 Tätigkeit im Konsistorium Görlitz und Pfr. Buchholz, 1951 Mitgl. der EKD-Synode, Stellv. und 1964–79 Bischof der Ev. Kirche von Schlesien, 1969–72 Vors. des Rates der EKU, 1972–73 Vors. des Rates der EKU (DDR), 1979 Ruhestand und Übersiedlung nach Marburg. FRANZ, Egon, Dr. theol. 129 geb. 19. 3. 1915 Saarbrücken, gest. 8. 8. 1995 Berlin 1937 Obmann der BK-Anhänger, 1939–45 Kriegsdienst an der Westfront, Finnland und Norwegen, 1945 Flucht nach Schweden, 1948 Vikariat Saarbrücken, 1950 Ordination, 1950–51 Hilfsprediger Bübingen und Güdingen, 1951 Studieninspektor und wiss. Ass. Ev.-Theol. Stift Universität Bonn, 1956 Studentenpfr. Saarbrücken, 1964–81 Pfr. Berlin-Schöneberg. FREUD, Sigmund 281 geb. 6. 5. 1956 Freiberg/Mähren, gest. 23. 9. 1939 London Psychoanalytiker. FRIELING, Reinhard 238 geb. 15. 6. 1936 Dortmund 1967 Mitarb., 1981–99 Ltr. des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim und Direktor des Ev. Bundes. GALINSKI, Heinz 386 geb. 28. 11. 1912 Marienburg (Westpreußen), gest. 19. 7. 1992 Berlin 1940–45 Zwangsarbeit, u. a. in den Konzentrationslagern Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen, 1949–92 Vors. der Jüdischen Gemeinde Berlin, 1988–92 Vors. des Zentralrates der Juden in Deutschland.

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GALTUNG, Johan 26f., 244, 371 geb. 24. 10. 1930 Oslo Friedens- und Konfliktforscher. GANDHI, Mohandas Karamchand („Mahatma“) 74, 97, 205, 376 geb. 2. 10. 1869 Porbandar (Kathiawar, indische Westküste), gest. 30. 1. 1948 NeuDelhi 1891 Anwalt Bombay, 1893–1914 Engagement in Südafrika für die dort lebenden Inder, nach seiner Rückkehr Einsatz für die Unabhängigkeit Indiens, außerdem Bemühen um die Rechte der „Paria“. GARAUDY, Roger 266 geb. 17. 7. 1913 Marseille, Frankreich, gest. 13. 6. 2012 Chennevières-sur-Marne. Politiker und Philosoph. GAUS, Günter Kurt Willi 214f. geb. 23. 11. 1929 Braunschweig, gest. 14. 5. 2004 Hamburg seit 1953 Journalist, u. a. Redakteur bei verschiedenen Zeitungen, 1965–69 Programmdirektor beim Südwestfunk, 1966–69 Moderator und Ltr. des Nachrichtenmagazins „Report“, 1969–73 Chefredakteur des „Spiegel“, 1973 Staatssekr. im Bundeskanzleramt, 1974–81 Ltr. der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR, 1976 Eintritt in die SPD, 1981 Senator für Wissenschaft und Forschung in West-Berlin, ab 1981 freier Publizist. GEIßLER, Heinrich (Heiner), Dr. jur. 442f. geb. 3. 3. 1930 Oberndorf/Neckar 1967 Min. für Soziales, Jugend und Sport in Rheinland-Pfalz, 1977–89 CDU-Generalsekr., 1991–98 stellv. Bundesvors. der CDU. GENSCHER, Hans-Dietrich 347 geb. 21. 3. 1927 Reideburg (Saalekreis) 1968–74 stellv. Bundesvors. der FDP, 1969–74 Bundesmin., 1974–92 Bundesmin. GEORGE, Reinhold 118, 169 geb. 3. 2. 1913 Königsberg, gest. Mai 1997 1937 Hilfsprediger Tilsit, 1938 Hilfsprediger Bielefeld, 1939 Hilfsprediger Königsberg, dort 1939 Pfr., 1945 Mitarb. im Zentralausschuss für Innere Mission der EKD, 1948 Pfr. Berlin, 1953 Inhaftierung wg. angeblicher Hetze gegen die DDR, 1954 Pfr. Berlin-Schöneberg, ab 1969 Superintendent Kirchenkreis Schöneberg, u. a. Mitgl. der Landessynode, 1982 Ruhestand. GERSTEIN, Kurt 129 geb. 11. 8. 1905 Münster, gest. 25. 7. 1946 Paris [PERSONENLEXIKON, 86f.] GERSTENMAIER, Eugen Karl Albrecht, Lic. theol., Dr. theol. 123f., 148, 275f., 450 geb. 25. 8. 1906 Kirchheim/Teck, gest. 13. 3. 1986 Remagen-Oberwinter [PERSONENLEXIKON, 87] GOEBBELS, Joseph, Dr. phil. 342 geb. 29. 10. 1897 Rheydt (Rheinland), gest. 1. 5. 1945 Berlin 1933–45 Ltr. des „Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“.

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GOETHE, Johann Wolfgang von 282 geb. 28. 8. 1749 Frankfurt a. M., gest. 22. 3. 1832 Weimar Dichter. GOLLWITZER (geb. Freudenberg), Brigitte 23, 56, 413 geb. 12. 10. 1922 Berlin, gest. 1. 10. 1986 Berlin ev. Theologin und Gemeindehelferin, 1951 Heirat mit Helmut Gollwitzer. GOLLWITZER, Helmut 10–12, 23, 33, 36, 40, 47, 56, 83f., 86f., 98–102, 104, 108, 111f., 114f., 117, 121, 124f., 127, 134, 158, 164, 169, 172, 177, 180f., 183, 198– 200, 202–205, 207f., 211, 214, 222, 233, 244f., 254, 260, 263f., 266f., 271–276, 282, 289, 291, 294, 296, 303f., 308, 346–349, 365, 386f., 395, 410f., 413f., 417f., 434f., 437f., 442, 447f., 451f., 472f., 477 geb. 29. 12. 1908 Pappenheim, gest. 17. 10. 1993 Berlin [PERSONENLEXIKON, 90] GRASS, Günter 190 geb. 16. 10. 1927 Danzig 1944 Mitgl. der Waffen-SS, Schriftsteller, 1999 Nobelpreis für Literatur. GRÄSSER, Erich, Dr. theol. 218 geb. 23. 10. 1927 Schwalbach (Saar) 1956–61 Pfr. Rheinbach bei Oberhausen, 1965–79 o. Prof. NT Bochum, 1979–93 Bonn, ab 1974 vom Rat berufenes Mitgl. der EKU-Synode. GRELL, Wolfgang 389f. geb. 1. 9. 1924 Hamburg 1951 Ordination Kiel, Provinzialvikar Meldorf, 1952 Pst. Meldorf, 1959 Pst. Oeversee, 1966–72 Mitgl. der schleswig-holsteinischen Landessynode, 1972–76 Mitgl. der verfassungsgebenden Synode der Nordelbischen Kirche, 1972–87 Pst. HamburgWandsbek. GRESCHAT, Martin, Dr. phil. 24, 277 geb. 29. 9. 1934 Wuppertal 1972–80 wiss. Rat und Prof. für Kirchengeschichte und Kirchl. Zeitgeschichte Münster, ab 1980 Prof. Giessen. GROHS, Gerhard, Dr. phil. 449 geb. 24. 6. 1929 Dresden 1965/66 Gastprof. Leicester, England, 1966/67 Mitarb. am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, 1967–69 Senior Lecturer Dar-es-Salaam, Tansania, 1967 Prof. für Soziologie FU Berlin, 1975–94 Prof. für Kultur und Gesellschaft Afrikas am Institut für Ethnologie und Afrikastudien Mainz, 1995–2009 Dozent am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft München und der Hochschule für Philosophie München, 1995–99 Vors. des wiss. Kuratoriums der FESt, bis 1992 Mitgl. der ÖRK-Entwicklungskommission und des ÖRK-ZA, 1989–92 Vors. der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst der EKD. GROSSE, Heinrich W. 222 geb. 1942 Lüneburg nach Vikariat wiss. Ass. KiHo Bethel, 1967/68 Engagement in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Boston, 1972–89 Pfr. Wolfsburg, seit 1989 Mitarb. der Pastoralsoziologischen Arbeitsstelle der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover.

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GROTH, Edda 390 geb. 30. 4. 1939 Tellingstedt 1964 1. Theol. Examen Kiel, 1966 Vikariat Kiel, 1967 Ordination Pinneberg, 1967 Hilfsgeistliche Hamburg-Bramfeld, 1968–74 Pst. Hamburg-Bramfeld. GROTJAHN, Friedrich 389 geb. 3. 4. 1935 Hary/Niedersachsen 1968–73 Studentenpfr. Braunschweig, 1973–82 Generalsekr. der ESG, 1991 Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst, Schriftsteller, 1991–95 Redakteur der Zeitschrift „Evangelische Aspekte“. GRÜBER, Heinrich 286 geb. 24. 6. 1891 Stolberg/Niederrhein, gest. 29. 11. 1975 West-Berlin [PERSONENLEXIKON, 92f.] GRUNDMANN, Siegfried Martin, Dr. jur. 124f. geb. 25. 2. 1916 Chemnitz, gest. 30. 3. 1967 München 1939 1. Staatsexamen, Referendar Oberlandesgericht München, 1940–49 Kriegsdienst und sowjetische Gefangenschaft, 1949 Referendar Oberlandesgericht München, Beamter im Ev.-Luth. Kirchenamt München, 1956 Habil. und Dozent Universität München, 1958 Prof. für Staats- und Kirchenrecht Marburg, 1959 München. 1966 Hg. des Ev. Staatslexikons. GUEVARA, Ernesto „Che“ 122, 162, 215, 217, 243, 251, 257, 260, 274, 283, 285, 292, 296, 340 geb. 14. 6. 1928 Rosario, Argentinien, gest. 9. 10. 1967 La Higuera, Bolivien 1956–59 Teilnahme an der kubanischen Revolution, 1959 Leitung der kubanischen Notenbank, 1961 Industriemin., 1965 Rücktritt, bis 1966 Guerillatraining im Kongo, 1967 Rückkehr nach Lateinamerika, Festnahme und Hinrichtung in Bolivien. GUTSCH, Wolf-Dietrich 142, 328 geb. 7. 9. 1931 Berlin, gest. 7. 3. 1981 Berlin 1953–55 Katechet beim Erziehungsausschuss Berlin-Lichtenberg, seit 1955 Mitarb. der Gossner Mission in der DDR für ökumenische Aufbaulager, 1964–67 beratendes Mitgl. des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD, seit 1967 Ökumenereferent der Jugendkammer Ost, 1968 Mitbegr. des Ökumenischen Jugendrates in Europa, 1969–75 Vors. der Intern. Jugendkommission der CFK, ab 1971 Ltr. des Ökumenischen Jugenddienstes der Kommission Kirchliche Jugendarbeit der BEK. HABERMAS, Jürgen 56, 183, 284 geb. 18. 6. 1929 Düsseldorf Philosoph und Soziologe. HAHN, Wilhelm, Dr. theol. 396 geb. 14. 5. 1909 Dorpat (Estland), gest. 9. 12. 1996 Heidelberg 1934/35 Vikar und Mitarb. der Zentrale des Bruderrates der BK, Dortmund, 1936 Studieninspektor am illegalen Predigerseminar in Blöstau, 1937–42 Pfr. Minden, 1942–46 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1946 Vertreter der Kirchen in der britischen Besatzungszone gegenüber der Alliierten Kontrollkommission, 1946–48 Pfr. Minden, 1949–50 Superintendent Kirchenkreis Minden, seit 1950 o. Prof. für Homiletik, Liturgik und Katechetik Heidelberg, 1958–60 Rektor der Universität

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Heidelberg, 1962–64 MdB (CDU), 1962–79 stellv. Vors. des Ev. Arbeitskreises von CDU/CSU, 1964–78 Kultusmin. von Baden-Württemberg, 1968–80 MdL. HAMMER, Walter 373, 404f. geb. 5. 8. 1924, gest. 13. 10. 2000 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1954–58 Kirchenbeamter der Bremischen Ev. Kirche, 1958–66 Finanzreferent in der Kirchenkanzlei der EKU Berlin, seit 1964 nebenamtlich Ltr. der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD, 1966–89 Präs. der Kirchenkanzlei der EKD, 1980–89 Mitgl. und EKD-seitiger Geschäftsführer der gemeinsamen Beratergruppe von BEK und EKD. HARMS, Hans-Heinrich, Dr. theol. 425 geb. 4. 7. 1914 Scharmbeck, gest. 13. 4. 2006 Oldenburg Engagement in der BK, 1939–43 Kriegsdienst, 1943–50 Pfr. Röringen, 1950–52 OKR für ökumenische Fragen im Kirchlichen Außenamt der EKD, 1952–60 Referent beim ÖRK in Genf, 1960–67 Pst. Hamburg, 1967–85 Bischof der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, 1973–85 Mitgl. des Rates der EKD, 1972–76 Vors. der Arnoldshainer Konferenz, 1967–71 Moderator der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK. HASPER, Harald 169 geb. 1912 1939 Hilfsprediger Rangsdorf, 1945 Pfarrerverwaltungsstelle Osterburg/Altmark, 1946–49 Pfr. Rangsdorf, 1949–61 Pfr. Berlin-Steglitz, 1961–72 Pfr. der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirchengemeinde West-Berlin. HASSELMANN, Karl-Behrnd 168, 170, 190–192, 201 geb. 7. 5. 1933 Altona-Bahrenfeld 1961 Ordination Flensburg-Mürwik, 1962/63 Pst. Flensburg-Mürwik, 1963 Studentenpfr. FU Berlin, 1970 Pst. Flensburg-Mürwik, 1976 Pst. Gelnhausen. HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich 126, 265, 267 geb. 27. 8. 1770 Stuttgart, gest. 14. 11. 1831 Berlin 1793–1801 Hauslehrer Bern und Frankfurt a. M., 1801 Dozent Jena, 1805 ao. Prof. für Philosophie, 1807–1808 Chefredakteur der „Bamberger Zeitung“, 1808–16 Rektor und Schulrat Nürnberg, 1816–18 Prof. für Philosophie Heidelberg, 1818– 31 Berlin. HEIDINGSFELD, Peter-Uwe 463f., 466–469 geb. 1941 Schneidemühl 1967 1. Theol. Examen, 1968–70 wiss. Ass. für NT Erlangen, 1970–72 Vikariat Oberaudorf, 1972 2. Theol. Examen, 1972–79 Pfr. am Ökumenisch-Missionarischen Institut West-Berlin, 1980–86 OKR im Kirchlichen Außenamt der EKD, 1986–91 Ltr. der Berliner Stelle des Kirchenamtes der EKD, 1986–90 EKD-seitiger Geschäftsführer der gemeinsamen Beratergruppe von BEK und EKD. HEIDLAND, Hans-Wolfgang, Dr. theol. 235, 283, 440 geb. 20. 7. 1912 Koblenz, gest. 11. 1. 1992 Vogelbach bei Kandern 1936 Standortvikar und Studentenpfr. Karlsruhe bzw. Heidelberg, 1939–45 Wehrmachtsseelsorger, 1945/46 Pfr. Heidelberg, 1946 Ltr. des Männerwerks der badischen Landeskirche, 1949–60 Ausbildungsreferent der badischen Kirchenleitung,

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1960–64 o. Prof. PT Heidelberg und Mitgl. der badischen Landessynode, 1964–80 badischer Landesbischof. HEINEMANN, Gustav, Dr. rer. pol., Dr. jur. 36, 40f., 181, 230, 347, 353, 409f. geb. 23. 7. 1899 Schwelm/Westfalen, gest. 7. 7. 1976 Essen [PERSONENLEXIKON, 105] HEISENBERG, Werner 50 geb. 5. 12. 1901 Würzburg, gest. 1. 2. 1976 München 1927 o. Prof. für Physik Leipzig, 1933 Nobelpreis für Physik, 1936 Rücknahme seiner Berufung nach München durch die Nationalsozialisten wg. seiner Anerkennung der Forschungsergebnisse Albert Einsteins, 1941–45 Prof. und Ltr. des Kaiser-Wilhelm-Instituts Berlin, 1946–57 Prof. und Direktor des Max-Planck-Instituts Göttingen, 1957 Prof. und Direktor des Max-Planck-Instituts München. HELBICH, Hans-Martin 169–171, 173, 311, 377, 387 geb. 17. 4. 1906 Niederfüllbach, gest. 8. 3. 1975 West-Berlin 1934 Vikariat Nürnberg, nach Amtsenthebung durch die DC Pfr. Bad Steben, Oberfranken, 1943–56 Landesjugendpfr. Bayern, 1953–56 Vors. der Landesjugendpfarrerkonferenz, 1954–56 Vors. des Gesamtkirchlichen Ausschusses der AGEJD, 1956–61 Dekan Coburg, Oberfranken, seit 1961 Generalsuperintendent der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg (West), 1966 Domprediger und Vors. des Domkollegiums (West), seit 1966 Mitgl. der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg. HELD, Heinz-Joachim, Dr. theol. 424, 451, 455–457, 460, 468 geb. 16. 5. 1928 Wesseling 1952–56 wiss. Ass. KiHo Wuppertal, 1957–64 Pfr. Friedrichsfeld/Niederrhein, 1964–68 Prof. ST Buenes Aires, 1968–74 Kirchenpräs. der deutschsprachigen Ev. Kirche am La Plata, Buenes Aires, 1968–83 Mitgl. im ÖRK-ZA, 1975–93 Präs. des Kirchlichen Außenamtes der EKD, 1983–91 Vors. des ÖRK-ZA, 1992–95 Vors. der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. HEMPEL, Johannes, Dr. theol. 465f., 468, 470 geb. 1929 1952 1. Theol. Examen KiHo Berlin, 1955 Hilfsprediger Gersdorf/Glauchau, 1956 2. Theol. Examen und Ordination, 1956–58 Pfr. Sachsen, 1959–63 Pfr. Leipzig, 1963–67 Studentenpfr. Leipzig, 1968–71 Studiendirektor am Predigerkolleg St. Pauli Leipzig, 1972–94 sächsischer Landesbischof, 1973–77 stellv. KKL-Vors., 1975 Mitgl. im ZA und im Exekutivkomitee des ÖRK, seit 1977 Mitgl. des LWB, 1981– 86 Ltd. Bischof der VELKD (DDR), 1981–86 KKL-Vors., 1983–91 einer der Präs. des ÖRK, 1991–97 stellv. Vors. des Rates der EKD. HENGEL, Martin, Dr. theol. 293 geb. 14. 12. 1926 Reutlingen, gest. 2. 7. 2009 Tübingen 1968–72 o. Prof. NT Erlangen, 1972–92 o. Prof. für NT und Antikes Judentum Tübingen. HENKYS, Reinhard 171, 236f., 387, 402, 465 geb. 1928 Ostpreußen, gest. 11. 5. 2005 Pasewalk/Vorpommern 1953–55 Redakteur bei „Der Kurier“, 1950–60 epd-Rheinland Düsseldorf, 1960– 63 epd-Zentralredaktion Bethel, 1964–71 epd-Zentralredaktion Berlin, 1968–96 ständiger Mitarb. der Zeitschrift „Evangelische Kommentare“, 1972–91 Ltr. des Ev.

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Publizistischen Zentrums Berlin und Geschäftsführer der Berliner Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Publizistik, 1972–90 Gründer und Ltr. der Zeitschrift „Kirche im Sozialismus/Übergänge“, 1974–91 Ltr. der Wochenzeitung „Berliner Sonntagsblatt. Die Kirche“, 1992–93 Ltr. der Ev. Studien- und Begegnungsstätte Berlin. HERBERT, Karl 399, 449, 455 geb. 14. 7. 1907 Frankfurt a. M., gest. 2. 8. 1995 Alsbach/Bergstrasse 1932 2. Theol. Examen Herborn, 1933 DC-Mitgl., 1933 Austritt und stattdessen Mitgl. des Pfarrernotbundes und der BK, ab 1935 Vors. des Kreisbruderrates Gladenbach/Biedenkopf, 1940–45 Kriegsdienst, 1949–50 Probst Nordnassau, 1965–73 stellv. Kirchenpräs. der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, 1974–94 Dozent für Zeitgeschichte Universität Mainz. HEROLD, Horst, Dr. jur. 441 geb. 21. 10. 1923 Sonnenberg/Thüringen 1941–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1953–64 Staatsanwalt Nürnberg, 1964– 69 Ltr. der Kriminalpolizei Nürnberg, 1969–71 Mitarb., 1971–81 Präs. des Bundeskriminalamtes. HERTZSCH, Klaus-Peter, Dr. theol. 142 geb. 23. 9. 1930 Jena 1957–59 Studieninspektor am Theologenkonvikt Jena, 1959–66 Studentenpfr. Jena, 1966–69 Ltr. der Geschäftsstelle der ESG in der DDR, Ost-Berlin, 1969 Dozent, 1974–95 Prof. PT Jena. HERZOG, Roman, Dr. jur. 363, 368, 376, 418, 441, 447 geb. 5. 4. 1934 Landshut 1958–64 wiss. Ass. Universität München, 1966 Prof. für Staatsrecht und Politik FU Berlin, 1969 Prof. Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1969–71 Mitgl., 1971–80 Vors. der KföV, 1972–77 Mitgl. der EKD-Synode, Mitgl. im Bund Freiheit der Wissenschaft, 1973 Staatssekr., Bevollmächtigter des Landes RheinlandPfalz beim Bund, 1978 Kultusmin. von Baden-Württemberg, 1978–83 Vors. des Ev. Arbeitskreises von CDU/CSU, 1980 Innenmin. von Baden-Württemberg, 1983 Vizepräs., 1987–94 Präs. des Bundesverfassungsgerichts, 1994–99 Bundespräs. HESSE, Hermann 258 geb. 2. 7. 1877 Calw, gest. 9. 8. 1962 Montagnola, Schweiz Schriftsteller. HEUWEL, Albert van den 316f., 322 geb. 22. 3. 1932 Utrecht, Niederlande 1956 1. Theol. Examen, 1958 Sekr. in der Ökumenischen Jugendabt. des ÖRK, 1960 Engagement in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung (Stipendium der Theol. Fak. Utrecht, Niederlande), 1967 Ltr. der Kommunikationsabt. des ÖRK, Genf, 1972–80 Generalsekr. der Niederländischen Reformierten Kirche, 1980–85 Vors. der niederländischen Rundfunkanstalt VARA, 1985–93 stellv. Vorstandsvors. der niederländischen Rundfunkstiftung NOS. HEYL, Cornelius Adalbert Freiherr von 81f., 100f., 103f., 147, 401, 425 geb. 7. 4. 1933 Worms 1960 2. Juristisches Staatsexamen, 1961–70 Referent für Sozialethik und Gesellschaftspolitik in der Kirchenkanzlei der EKD, Außenstelle Bonn, und Geschäftsfüh-

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rer der Kammer für soziale Ordnung der EKD, 1967–73 Präs. der Ev. Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, 1970–76 Rechtsanwalt Bonn, 1976–78 Referent für Jugendrecht und Familienpolitik im Sozialministerium des Landes Rheinland-Pfalz, seit 1978 Mitgl. der Planungsgruppe für Gesellschaftspolitik des Sozialministeriums mit Dienstsitz in Bonn bei der Landesvertretung Rheinland-Pfalz, 1983 Ltr. des Referats für Jugendrecht und Jugendschutz des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Soziales und Familie, 1973–85 Präses der EKD-Synode, ab 1985 Mitgl. der EKD-Synode, 1969–79 CDU-Mitgl. HICKEL, Giselher 333 geb. 17. 6. 1943 Bromberg 1966–78 Pfr. der sächsischen Landeskirche, zuletzt Mitarb. im Landesjugendpfarramt, 1978 Generalsekr. des Ökumenischen Jugendrates in Europa, 1982–90 ÖJDReferent, ab 1982 Geschäftsführer des FAK III („Ökumenische Diakonie“) des BEK. HILD, Helmut 310f., 315, 319, 360, 424f. geb. 23. 5. 1921 Weinbach, gest. 11. 9. 1999 Darmstadt 1938 freiwilliger Eintritt in die Wehrmacht, 1939–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1951–57 Pfr. Westerburg/Westerwald, 1957–69 Pfr. Frankfurt a. M., 1969– 85 Kirchenpräs. der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, ab 1972 Vors. des Ev. Presseverbandes Hessen-Nassau, 1973–85 Mitgl. des Rates der EKD und stellv. Ratsvors. HILKE, Jürgen 290, 318 geb. 1936 1959/60 Hochschulreferent der ESGiD in Bonn, Fachschulreferent und Referent für hochschulpolitische Fragen der ESGiD, 1968–73 Generalsekr. der ESG. HINZ, Erwin, Dr. phil. 136f., 139 geb. 1917 Ratzebuhr 1938–45 Wehr- und Kriegsdienst, 1953–61 Studienltr. in der Ev. Akademie der KPS, seit 1966 Mitgl. der Kirchenleitung der Ev. Kirche der KPS. HIRSCHMANN, Hans 424f. geb. 28. 10. 1931 Diplom-Ingenieur, 1971 stellv. Mitgl. des Vorstandes der Kraftwerkunion AG, 1973 Ltr. des Standortes Frankfurt a. M., 1974 o. Mitgl. des Kraftwerkunion-Vorstandes, 1987 stellv. Mitgl. des Vorstandes der Siemens AG. HITLER, Adolf 10, 124, 141, 386, 442 geb. 20. 4. 1889 Braunau, Österreich, 30. 4. 1945 Berlin „Führer“ der NSDAP, 1933–45 Reichskanzler. HOFFMANN, Erich, Dr. sc. agr. 135f. geb. 26. 9. 1904 Heinitz, Saarland, gest. 16. 10. 1989 Halle/Saale 1933 Besitzer des Guts Jürgenhof, Mecklenburg, 1944–45 Kriegsdienst, 1945 Bürgermeister von Schwerin, 1947–58 ao. Prof. für Landwirtschaftliche Betriebslehre, Agrarwesen und Ernährungswirtschaft Halle, 1958 Abberufung aus seinen Universitätsfunktionen, danach Anstellung ohne Lehrauftrag an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR, 1960–72 Mitgl. der Kirchenleitung der Ev. Kirche der KPS, 1961–67 Mitgl. der EKD-Synode, 1964–68 Vors. des Vertrauensrats der ESGiD, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft.

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HOFMANN, Werner, Dr. jur. 278 geb. 1931 1956–58 Richter Kempen, 1958–72 (Ober)kirchenanwalt, 1972–96 Ltr. des Landeskirchenamtes München, seit 1965 OKR, ab 1967 Mitgl. der EKD-Synode, 1973–97 Mitgl. des Rates der EKD, 1986–96 Vors. des Diakonischen Rates der EKD. HONECKER, Erich 460 geb. 25. 8. 1912 Neuenkirchen/Saar, gest. 29. 5. 1994 Santiago de Chile 1971–89 Erster Sekr. des Zentralkomitees der SED und Vors. des Nationalen Verteidigungsrates, ab 1976 Vors. des Staatsrates der DDR. HONECKER, Martin, Dr. theol. 28f., 363, 368–370, 450 geb. 2. 5. 1934 Ulm Ass. und Stiftsrepetent Tübingen, 1969–99 Prof. für ST und Sozialethik Bonn, 1970–91 Mitgl. der KföV, 1986–98 Mitgl. der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst der EKD. HO-TSCHI-MINH (Nguyen Sinh Cung) 292 geb. 19. 5. 1890 Kim Lien, Vietnam, gest. 3. 9. 1969 Hanoi, Nordvietnam 1945–54 Präs. der Republik Vietnam, ab 1954 Präs. Nordvietnams. HOWE, Günter, Dr. rer. nat. 50, 83 geb. 16. 8. 1908 Hamburg, gest. 28. 7. 1968 Heidelberg 1930–33 Lehrauftrag für Mathematik an der Universität Hamburg, 1934 Eintritt in den Hamburger Schuldienst, 1938 Lehrtätigkeit (Marine-Oberstudienrat) an der Steuermannschule der Kriegsmarine Mürwik, 1946–47 Angestellter der Hamburger Schulverwaltung, 1947 Eintritt in das Christopherusstift Hemer/Westfalen, 1954 Lehrauftrag an der Theol. Fak. der Universität Heidelberg (Grenzfragen von Theologie und Naturwissenschaft), ab 1947 wiss. Mitarb. am Christopherusstift Hemer/ Westfalen, ab 1958 wiss. Mitarb. der FESt. HROMÁDKA, Josef Lukl 73, 76, 91, 108, 127, 261f. geb. 8. 9. 1889 Hodslavice/Mähren, gest. 26. 12. 1969 Prag 1912 Vikariat Vsetín, 1916 Prag-Salvátor, 1918 Militärpfr., 1918 und 1922/23 Pfr. Sonov bei Náchod, 1919 Habil., 1920–28 ao. Prof., 1928–39 o. Prof. ST Prag, 1939 Emigration in die USA, Gastprof. Union Theological Seminary New York, Prof. für Apologetik und Christlliche Ethik Princeton, New Jersey, 1947–69 Prof. ST Prag, 1950–66 Dekan, 1948–68 Mitgl. des ZA, 1954 des Exekutivkomitees des ÖRK, Vizepräs. des Reformierten Weltbundes, 1951 Mitgl. des Weltfriedensrates, 1957 Mitbegr. der CFK, 1958–69 (Rücktritt) als deren Präs. HUBER, Wolfgang, Dr. theol. 436f., 448, 459 geb. 14. 8. 1942 Straßburg 1966–68 Pfarrverweser Reutlingen-Betzingen, 1968–80 Mitarb., 1973–80 stellv. Ltr. der FESt, 1980–84 Prof. für Sozialethik Marburg, 1983–85 Präs. des DEKT, 1984–94 Prof. ST, seit 1995 Honorarprof. Humboldt-Universität Berlin und Heidelberg, 1994–2009 Bischof der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg, 1997–2009 Mitgl., ab 2003 Vors. des Rates der EKD. HÜBNER, Friedrich, Lic. theol. 313f., 391f., 399, 425, 447 geb. 25. 6. 1911 Bangalore, Indien, gest. 6. 6. 1991 Kiel

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1935 Ordination als Kandidat der BK in Harburg, 1935–37 wiss. Ass. KiHo Bethel, 1937–46 Missionar Koraput, Indien, während des Zweiten Weltkrieges dort interniert, 1947 Pst. Alebersorf, 1948 Pst. Wyk/Insel Föhr, 1950–56 OKR im Luth. Kirchenamt der VELKD (Auslandsreferent für Diaspora, Mission und Ökumene), 1956–91 Mitgl. der EKD-Synode, 1962–64 Probst von Storman, 1964 Bischof für Holstein, 1967–76 Vors. der schleswig-holsteinischen Kirchenleitung, 1977–81 Bischof des Sprengels Holstein-Lübeck in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche, 1978–79 Vors. der nordelbischen Kirchenleitung. HÜBNER, Klaus 304 geb. 19. 6. 1924 Berlin 1942–45 Kriegsdienst, 1965 und 1966–69 MdB (SPD), 1969–87 Polizeipräs. von West-Berlin. IGE, Bola 88 geb. 13. 9. 1930 Zaria, Nigeria, gest. 23. 12. 2001 Ibadan, Nigeria Rechtsanwalt und Politiker, 2000–01 Justizmin. Nigerias, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, Mitinitiator des ARP (ÖRK). IWAND, Hans Joachim, Lic. theol. 10, 36 geb. 11. 7. 1899 Schreibendorf/Schlesien, gest. 2. 5. 1960 Bonn [PERSONENLEXIKON, 121] JAHN, Gerhard 369 geb. 10. 9. 1927 Kassel 1957–90 MdB (SPD), 1967–69 Parl. Staatssekr. im Auswärtigen Amt, 1969–74 Justizmin., 1974–90 stellv. Parl. Geschäftsführer der SPD. JANOWSKI, Hans Norbert 302, 368f., 427, 456 geb. 28. 1. 1938 Stettin 1965 1. Theol. Examen, 1972 2. Theol. Examen, 1967–72 Redakteur, 1972–93, Chefredakteur der Zeitschrift „Evangelische Kommentare“, 1973–88 Lehrauftrag für Journalistik an der Universität Hohenheim, 1993–97 Rundfunkbeauftragter der EKD, 1993–2002 Direktor des Gemeinschafswerks Ev. Publizistik. JENS, Walter, Dr. phil. 13 geb. 8. 3. 1923 Hamburg ab 1942 geführt als NSDAP-Mitgl., 1953 Prof. für Klassische Philologie Tübingen, 1963–88 dort o. Prof. für Allgemeine Rhetorik. JOELSEN, Walter 213 geb. 15. 6. 1926 München 1943 „Hilfsjugendwart“ im Kirchengemeindeamt München, 1944 Zwangsarbeit in Tiefenort, 1945 in Abteroda, 1951 Vikariat Oberaudorf/Kiefersfelden am Inn, 1955 Religionslehrer Lindau, seit 1956 Mitarb. bei ökumenischen Jugend-Tagungen in Europa, 1964 Studentenpfr. TU und Musikschule München, Ltr. des Ökumenischen Studentenwohnheims, 1969 Redakteur der Zeitschrift „EIKON“, diverse Tätigkeiten als Moderator, Autor und Regisseur, 1970–90 ehrenamtlicher Mitarb. im Industriepfarramt und der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (afa) München, 1990 Ruhestand, seit 1998 Zeitzeugenarbeit beim Förderverein für Intern. Jugendbewegungen und Gedenkstättenarbeit in Dachau, Gottesdienste in der Versöhnungskirche auf dem ehem. Gelände des Konzentrationslagers.

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JOHANNES XXIII [Roncalli, Angelo Guiseppe] 75 geb. 25. 11. 1881 Sotto il Monte, Italien, gest. 3. 6. 1963, Vatikanstadt ab 1958 Pontifex. JOHNSON, Lyndon Baines 235 geb. 27. 8. 1908 Stonewall/Texas, USA, gest. 22. 1. 1973 San Antonio, Texas 1963–69 Präs. der USA. JUST-DAHLMANN, Barbara 291 geb. 2. 3. 1935 Posen, gest. 27. 7. 2005 Mannheim, Juristin und Autorin. JUVA, Mikko Einar, Dr. phil. 307 geb. 22. 11. 1918 Kaarlela, Finnland, gest. 1. 1. 2004 Turku 1944 Ordination, 1944–46 Generalsekr. des Finnischen Christlichen Studentenbundes, 1957–62 Prof. für Nordische Geschichte, Turku, 1962–78 Prof. für Kirchengeschichte Helsinki, 1962–66 Mitgl. des finnischen Parlaments, 1970–77 Präs. des LWB, 1978–82 Erzbischof der Ev.-Luth. Kirche Finnlands. KÄSEMANN, Elisabeth 444 geb. 11. 5. 1947 Gelsenkirchen, gest. 24. 5. 1977 1968–71 Praktikum in La Paz, Bolivien, ab 1971 Sozialarbeit in Buenes Aires, Argentinien. KÄSEMANN, Ernst, Lic. theol. 11, 78, 204f., 282f., 295, 444 geb. 12. 7. 1906 Dahlhausen bei Bochum, gest. 17. 2. 1998 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 126f.] KELER, Hans von 405, 470 geb. 12. 11. 1925 Bielitz/Schlesien 1951–53 Pfr. Stuttgart, 1953–57 Wildenstein/Crailsheim, 1957–64 Ltr. der ev. Weiblichen Jugendarbeit Württemberg, 1964–69 Pfr. Neuenstein/Öhringen, 1966– 71 Stellv. Präs., ab 1969 Präs. der württembergischen Landessynode, 1967–69 Präsidiumsmitgl. der EKD-Synode, 1969–76 Ltr. der Ev. Diakonieschwesternschaft Herrenberg, 1976–79 Prälat von Ulm, 1976–91 Mitgl. des Rates der EKD, 1979–88 Bischof der Ev. Landeskirche in Württemberg. KENNEDY, John Fitzgerald 114 geb. 29. 5. 1917 Brookline, USA, gest. 22. 11. 1963 Dallas, USA 1961–63 Präs. der USA. KING, Martin Luther Jr., Dr. phil. 74, 94, 125, 135, 140, 165, 170, 194, 197, 200, 205, 208, 211, 216–220, 222–224, 235, 239, 243, 360, 293, 296, 370, 403, 411 geb. 15. 1. 1929 Atlanta, USA, gest. 4. 4. 1968 Memphis, USA 1954–60 Pfr. Montgomery, 1957 Mitbegr. der Southern Christian Leadership Conference, ab 1960 Pst. Atlanta, 1964 Friedensnobelpreis für sein Engagement in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. KIRCHHOFF, Hans-Ulrich 244f. geb. 28. 3. 1930 Marienberghausen (Nümbrecht), gest. 21. 4. 2007 Stuttgart bis 1970 Pst. der Ev. Kirche im Rheinland, 1965–70 Studienreferent bei der AGEJD, Stuttgart, 1970–92 OKR im Kirchenamt der EKD, zuständig für das Referat „Jugend und Studenten“, Geschäftsführer der Jugendkammer der EKD, Geschäftsführer des Beirates der Ev. Militärseelsorge.

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KLAPPER, Gottfried 147, 151 geb. 3. 10. 1917 Niemptsch/Schlesien, gest. 1. 1. 2003 Hannover 1951 Pfr. Papenburg/Emsland, 1954–61 Pfr. London, 1962–82 OKR im Ökumenereferat des Luth. Kirchenamtes der VELKD, gleichzeitig Geschäftsführer des Deutschen Nationalkomitees des LWB. KLOPPENBURG, Heinz 47, 73, 96, 224, 258, 267, 368 geb. 10. 5. 1903 Elsfleth/Wesermarsch, gest. 18. 2. 1986 Bremen [PERSONENLEXIKON, 137] (SENGHAAS-)KNOBLOCH, Eva, Dr. phil. 150 geb. 25. 11. 1942 1988 Habil., seit 1992 Prof. für Arbeitswissenschaft mit Schwerpunkt sozialwissenschaftliche Humanisierungsforschung Bremen, seit 1992 Mitgl. der KföV, 2004 deren stellv. Vors., seit 2008 Senior Researcher im artec, Bremen. KOCKA, Jürgen, Dr. phil. 476 geb. 19. 4. 1941 Raindorf 1973–88 o. Prof. für Allgemeine Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Sozialgeschichte Bielefeld, seit 1988 FU Berlin. KOGON, Eugen, Dr. phil. 109 geb. 2. 2. 1903 München, gest. 24. 12. 1987 Königstein/Taunus 1927–34 dort Mitarb. der katholischen Wochenzeitschrift „Schönere Zukunft“, 1938 Inhaftierung, 1939–45 Deportation und Haft im Konzentrationslager Buchenwald, 1946–84 Mithg. der Zeitschrift „Frankfurter Hefte“, 1951–68 Prof. für Politikwissenschaft Darmstadt. KOHL, Helmut, Dr. phil. 442 geb. 3. 4. 1930 Ludwigshafen 1966–73 CDU-Landesvors., 1969–76 Ministerpräs. von Rheinland-Pfalz, 1973–98 Bundesvors. der CDU, 1982–98 Bundeskanzler. KOHNSTAMM, Max 274 geb. 22. 5. 1914 Amsterdam, gest. 20. 10. 2010 Amsterdam ab 1940 Engagement im Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht, 1942–44 Inhaftierung, 1945–48 Sekr. im niederländischen Königshaus, 1946–52 Mitarb. im niederländischen Außenministerium, 1952–57 Sekr. bei der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1956–75 Generalsekr., später Vizepräs. des Aktionskomitees für die Vereinten Staaten von Europa, 1976–81 Erster Präs. des Europäischen Hochschulinstituts Florenz, Italien. KRAHL, Hans-Jürgen 111, 196, 270 geb. 17. 1. 1943 Sarstedt, gest. 13. 2. 1970 nahe Marburg ab 1964 SDS-Mitgl. KREYSSIG, Peter 45 geb. 1924, gest. 6. 7. 2011 Stuttgart 1950–55 Mitarb. der Geschäftsstelle der ESGiD, Stuttgart, 1955–62 Generalsekr. der ESGiD, 1962–70 Pfr. Stuttgart, 1970–86 Stadtdekan Stuttgart. KRIMM, Herbert, Dr. theol. 123 geb. 6. 11. 1905 Przemysl, Gallizien, gest. 22. 1. 2002 Karlsruhe [PERSONENLEXIKON, 145]

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KRÜGER, Hanfried 82, 92, 95f., 103f., 118, 127, 132, 134f., 142, 145, 147f., 151, 155, 237, 243, 278, 351f. geb. 12. 4. 1914 Schwerin, gest. 11. 12. 1998 Frankfurt a. M. 1938 Vikariat Hannover und Predigerseminar Loccum, 1940 Ordination in Hannover, dort Pfr., 1941–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1943 Pfr. Lauenstein/ Kreis Hameln, 1951 Kirchenrat im Landeskirchenamt Hannover, 1953–79 OKR im Kirchlichen Außenamt der EKD, 1956–76 Sekr. des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses, 1956–81 Ltr. der Ökumenischen Centrale Frankfurt, 1956–84 Schriftltr. der Zeitschrift „Ökumenische Rundschau“, 1961/62–81 Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, 1978 Dozent, ab 1982 Honorarprof. für ökumenische Theologie Mainz, 1980 Ruhestand. KRUSCHE, Günter, Dr. theol. 24, 143, 331, 333f., 368, 464, 467f. geb. 25. 2. 1931 Dresden 1956 Ordination, 1956–58 Vikar und Pfr. Taucha/Leipzig, 1958–66 Studieninspektor am Predigerseminar Lückendorf, 1966–69 Referent im sächsischen Landeskirchenamt und Pfr. Dresden, 1969–74 Studieninspektor am Predigerseminar Lückendorf, 1970–74 Dozent am Berliner Sprachenkonvikt, 1970–77 Vors. des Ausschusses „Kirche und Gesellschaft“ des BEK, 1970–84 Mitarb., ab 1977 Vors. der Studienkommission des LWB, 1974–83 Dozent für PT am Sprachenkonvikt Berlin, ab 1983 Generalsuperintendent des Sprengels Ost-Berlin in der Ev. Kirche BerlinBrandenburg, Mitgl. der Arbeitsgruppe „Menschenrechte“ des BEK, 1991–98 Mitgl. des ÖRK-ZA, 1992 Versetzung in den Ruhestand (nach Bekanntwerden seiner Registrierung als IM des MfS). KUBY, Christine 443f. geb. 1957 ehem. RAF-Mitgl. KÜNNETH, Walter, Dr. phil., Lic. theol. 10, 12, 58, 65, 98, 113, 120, 323, 392, 448 geb. 1. 1. 1901 Etzelwang (Oberpfalz), gest. 26. 10. 1997 Erlangen [PERSONENLEXIKON, 148] KUNST, Hermann, Dr. theol. 42, 229, 300f., 318f., 342, 369, 410f. geb. 21. 1. 1907 Ottersberg (Hannover), gest. 6. 11. 1999 Bonn [PERSONENLEXIKON, 149] KURRAS, Karl-Heinz 164 geb. 1. 12. 1927 Barten/Ostpreussen 1944/45 Kriegsdienst und Verwundung, 1957 Polizeimeister im Bezirk Berlin-Charlottenburg, 1987 Ruhestand, 1955–67 IM des MfS. LANG, Jörg 350 Geb. 1940. 1970 Juristisches Referendariat Tübingen, Engagement im Südwestdeutschen Referendarverband, Autor Zeitschrift „Robe Robe“, seit 1972 Rechtsanwalt Stuttgart, 1972 Untersuchungshaft wg. angeblicher Unterstützung der RAF, 1973 Mitbegr. Komitee gegen Isolationsfolter. LANGE, Ernst 306, 378f., 394 geb. 19. 4. 1927 München, gest. 3. 7. 1974 Windhaag, Österreich 1950–52 Vikariat Berlin, 1952–54 Hilfsprediger bzw. Pfr. im Kreisjugendpfarramt Berlin-Spandau, 1955–59 Dozent im Burckardthaus Gelnhausen, 1960–67 Pfr. Ber-

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lin, 1963–65 Prof. PT KiHo Berlin sowie Studentenpfr., 1968–70 Beigeordneter Generalsekr. und Referent für Laien-, Jugend- und Frauenarbeit beim ÖRK, Genf, 1973/74 Mitarb. in der Planungsabt. der EKD, Hannover LEFRINGHAUSEN, Klaus 122f. geb. 6. 3. 1934 Mettmann, gest. 17. 4. 2009 Namibia 1967 Vors. der Studiengruppe „Südliches Afrika“ der Kirchenkanzlei der EKD, 1969 Aufbau des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Bochum, 1971 Geschäftsführer des Deutschen Forums für Entwicklungspolitik, 1974 Geschäftsführer der Gemeinsamen Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen und des kirchlichen Dialogprogramms „Entwicklung als internationale soziale Frage“, 1995–2000 Nord-Süd-Beauftragter des Ministerpräs. von Nordrhein-Westfalen, 2002–2005 Integrationsbeauftragter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. LEHMANN, Paul L., Dr. theol. 77, 79f. geb. 1907 Baltimore. gest. 27. 2. 1994 New York 1947 ao. Prof. für Angewandtes Christentum, ab 1949 Prof. für christliche Sozialetik Princeton, 1956–63 Prof. of Divinity Harvard, 1963–74 Prof. ST New York. LENIN [Wladimir Iljitsch Uljanow] 98, 129, 188, 266, 282, 383 geb. 22. 4. 1870 Simbirsk, Russland, gest. 21. 1. 1924 Gorki nahe Moskau 1917 Vors. des Rates der Volkskommissare [= erster Regierungschef der Sowjetunion]. LEPP, Claudia, Dr. phil. 13 geb. 1965 1997–2000 wiss. Mitarb. der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte (München), seit 2000 deren Ltr., seit 2004 PD für Neuere und Neueste Geschichte Technische Hochschule Karlsruhe, seit 2007 Historisches Seminar der Universität München. LEUZE, Hildegard 147f. geb. 3. 6. 1907, gest. 6. 7. 1991, (Volkshochschul)Lehrerin 1961–76 Ltr. der Frauenarbeit der Ev. Landeskirche Württemberg, 1965–71 Vors. der Ev. Frauenarbeit in Deutschland. LEWEK, Christa 333, 461, 469 geb. 19. 1. 1927 Leipzig, gest. April 2008 Berlin 1951/52 wiss. Ass. Universität Leipzig, 1952–57 Hauptreferentin der Hauptabt. Verbindung zu den Kirchen (Ost-CDU), danach persönliche Referentin von DDRMinisterpräs. Otto Nuschke, 1958–69 Kirchenrätin bzw. OKR in der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR, 1969–88 OKR und stellv. Ltr. des Sekretariats des BEK, Referentin im Ausschuss „Kirche und Gesellschaft“, Schriftführerin im FAK III „Ökumenische Diakonie“. LIENEMANN(-PERRIN), Christine, Dr. theol. 448 geb. 19. 12. 1946 Biel, Schweiz 1977–85 wiss. Mitarb. der FESt, 1986–90 Forschungsauftrag zur polit. Legitimität in Südafrika, 1991/92 Dozentin an der KiHo Wuppertal und der Universität Heidelberg, seit 1992 Prof. für Ökumene, Mission und interkulturelle Gegenwartsfragen Basel, dazu Dozent für Ökumenische Theologie Bern.

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LIENEMANN, Wolfgang, Dr. theol. 338, 448 geb. 8. 11. 1944 Bad Essen 1969 1. Theol. Examen, 1976 2. Theol. Examen, 1969–76 wiss. Mitarb. Universität Heidelberg und Vikar, 1976–86 wiss. Mitarb. der FESt, 1983–86 PD für ST Heidelberg, 1986–92 Prof. für Sozialethik Marburg, seit 1992 Prof. für Ethik Bern, Schweiz. LILJE, Hanns, Dr. theol. 41, 111–113, 115f., 210f., 231, 248, 286, 311f., 320, 352, 356 geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 Hannover [PERSONENLEXIKON, 157f.] LINGNER, Olav 399–401, 404f., 461–470 geb. 1924, gest. 1993 1942–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1952 2. Juristisches Examen, 1952–60 Vikar und Hilfsprediger Hamburg, 1961–65 Pfr. Hamburg-Harvestehude, 1965–70 Juristischer Konsistorialrat in der Kirchenkanzlei der EKU, West-Berlin, ab 1967 Referent der EKU in der Kirchenkanzlei der EKD, 1970–86 OKR, Ltr. der Berliner Stelle, 1970–85 Geschäftsführer (West) der gemeinsamen Beratergruppe von BEK und EKD. LINNENBRINK, Günter, Dr. theol. 372, 375, 378f., 402, 475 geb. 16. 11. 1934 Bochum 1962–67 Mitarb. des Deutschen Ev. Missionsrates, Hamburg, zuständig für Lateinamerika und das südliche Afrika sowie für Fragen der ökumenischen Diakonie, 1969–76 im Auftrag des Rates der EKD Aufbau des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, 1979–99 Vors. der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst der EKD 1976–99 Sprengelbischof der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover, seit 1999 deren theol. Vizepräs. LINZ, Manfred, Dr. theol. 248f., 349, 410, 450f., 454f. geb. 13. 3. 1927 1959–65 wiss. Ass. Universität Hamburg, 1965 Rundfunkredakteur beim NDR (zunächst Ltr. der Redaktion „Kirche und Gesellschaft“, dann der Projektgruppe „Familie und Gesellschaft“), 1981–92 beim WDR (u. a. Beauftragter für Zukunftsfragen und Vors. des Redaktions-Kollegiums), seit 1993 Mitarb. des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie. LOCHMAN, Jan Milič 121, 125, 145f. geb. 3. 4. 1922 Neustadt an der Waag/Böhmen, gest. 21. 1. 2004 Basel 1950–68 Prof. für Religionstheorie Prag, 1968/69 Gastprof. New York, ab 1969 Prof. ST Basel, ab 1981–83 Rektor der Universität Basel. LÖWENTHAL, Gerhard 397, 416, 438, 472 geb. 8. 12. 1922 Berlin, gest. 6. 12. 2002 Wiesbaden während der NS-Zeit zeitweise inhaftiert im Konzentrationslager Sachsenhausen, 1951 stellv. Programmdirektor des RIAS, 1957 Mitarb. der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, Paris, 1963 Redaktionsltr. der ZDF, Brüssel, 1969–87 Ltr. und Moderator des „ZDF-Magazins“, 1970 Mitbegr. des Bundes Freiheit der Wissenschaft.

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LOHSE, Eduard, Dr. theol. 352, 356, 430, 457 geb. 19. 2. 1924 Hamburg 1950–53 Pst. Hamburg, 1953–56 PD für NT Mainz, 1956–64 Prof. NT Kiel, 1964–71 Göttingen, 1970–71 Rektor der Universität Göttingen, 1971–99 Landesbischof der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover, 1973–85 Mitgl. des Rates der EKD, 1975–78 Ltd. Bischof der VELKD und Präs. des Deutschen Nationalkomitees im LWB, 1977–2000 Abt des Klosters Loccum, 1979–85 Vors. des Rates der EKD, Vors. des Ökumenischen Arbeitskreises ev. und katholischer Theologen. LOJEWSKI, Günther von, Dr. phil. 73 geb. 11. 7. 1935 Berlin 1960 Volontär bei der „Hannoverschen Allgemeinen“, 1964–69 innenpolit. Redakteur der FAZ, 1969 Ltr. der ZDF-Nachrichtenredaktion, 1977 Chef und Moderator der „Report“-Redaktion des Bayerischen Rundfunks, 1989–97 Intendant des SFB. LORENZ, Friedebert 290 geb. 1910, gest. 1997 1955–59 Ltr. der Geschäftsstelle der Ev. Kirche der KPS, ab 1962 Studienltr. im Ständigen Büro des DEKT, Fulda. LORENZ, Peter 202f., 415f. geb. 22. 12. 1922 Berlin, gest. 6. 12. 1987 West-Berlin 1941–45 Kriegsdienst, ab 1947 freier Journalist, 1956 2. Juristisches Staatsexamen, 1969–81 Landesvors. der CDU Berlin, 1975–80 Präs. des Berliner Abgeordnetenhauses, 1982–87 Parl. Staatssekr. beim Bundeskanzler und Bevollmächtigter der Bundesregierung in West-Berlin. LUBKOLL, Hans-Georg 251 geb. 24. 2. 1926 Krölpa/Thüringen, gest. 6. 12. 2005 Bad Endorf am Chiemsee nach Kriegsdienst Vikar München, 1952–54 Pfr. Hassenberg bei Coburg, 1954–63 Amt für Gemeindedienst Nürnberg, 1963–69 Pfr. Fechheim, 1969–71 Pfr. Oberaudorf am Inn, 1971–90 Pfr. München. LUBKOLL, Klaus 323 geb. 16. 10. 1928 Naumburg/Saale, gest. 7. 4. 1992 Hamburg 1953–68 Landesjugendpfr. Bremen, 1968–72 Generalsekr. der AGEJD, 1972–78 Ltr. der Ev. Akademie Bad Boll, seit 1970 Mitgl. der EKD-Synode, 1978–86 Dekan Böblingen. LUCKAU, Alfred 403f. geb. 17. 8. 1917 Breslau/Schlesien, gest. 12. 11. 1997 Buckow nach Kriegsdienst Vikar Erlangen, 1949–82 Pfr. Buckow. LÜBBERT, Konrad 155 geb. 25. 3. 1932 Rendsburg, gest. 27. 4. 1999 Wedel 1965–68 Ökumenereferent der AGEJD, 1968–73 Ltr. des Internationalen Freundschaftsheims Bückeburg. LUXEMBURG, Rosa 293 geb. 5. 3. 1871 Zamośc´, Polen, gest. 15. 1. 1919 Berlin 1905/06 Beteiligung an der Russischen Revolution, seit 1914 Lehrerin in der SPDParteischule Berlin, 1917 Mitbegr. des Spartakusbundes, 1918/19 Beteiligung an der Gründung der KPD.

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MACHOVEC, Milan 262f., 268, 270, 291 geb. 23. 8. 1925 Prag, gest. 15. 1. 2003 Prag 1953 Prof. für Dialektischen Materialismus und Marxismus-Leninismus Prag, 1970 relegiert, anschließend Berufsverbot, Mitunterzeichner der „Charta 77“, 1989 Rehabilitierung, 1993 Emeritierung. MÄDL, Wilhelm 112 geb. 26. 11. 1906 Bachhausen, gest. 2001 Ordination 1930, 1935 Pfr. Grafengehaig, 1943 Pfr. Trebgast, 1954 Dekan Michelau, seit 1962 Kirchenrat. MAGER, Reimer 134 geb. 22. 7. 1906 Köln, gest. 10. 10. 1966, Dresden [PERSONENLEXIKON, 165] MAHLER, Horst 189, 257f., 281, 303f. geb. 23. 1. 1936 Haynau/Niedersachsen Rechtsanwalt, 1956 SPD-Mitgl., 1961 Parteiausschluss wegen Mitgliedschaft im SDS, 1969 Mitbegr. des Sozialistischen Anwaltskollektivs West-Berlin, 1970 Mitbegr. der RAF, 2000–03 Mitgl. der NPD, 2009 Entzug. der Anwaltszulassung. MAIHOFER, Werner, Dr. jur. 185, 188 geb. 20. 10. 1918 Konstanz, gest. 6. 10. 2009 Bad Homburg 1939–45 Kriegsdienst, 1955–69 o. Prof. für Rechts- und Sozialphilosophie Saarbrücken, 1970 Vors. der FDP-Programmkommission, 1972–74 Bundesmin. für besondere Aufgaben, 1974–78 Bundesinnenmin. MANNHEIM, Karl, Dr. phil. 476 geb. 27. 3. 1893 Budapest, Ungarn, gest. 9. 1. 1947 London ab 1918 Prof. für Französisch und Deutsch Oberhandelsschule Budapest sowie Lehrauftrag für Philosophie an der Geisteswissenschaftlichen Universität Budapest, 1919 Emigration nach Wien, 1920 Emigration nach Deutschland (Freiburg i. Br.), 1926 Habil. Heidelberg, 1926–30 PD Heidelberg, 1930 o. Prof. für Soziologie und Nationalökonomie Frankfurt a. M., 1933 Entlassung aus „rassischen Gründen“ und Emigration nach Großbritannien, ab 1933 Lecturer in Sociology an der London School of Economics and Political Science. MAO ZEDONG bzw. MAO TSE TUNG 127, 129, 212, 231, 281, 291, 336 geb. 26. 12. 1893 Shaoshan, China, gest. 9. 9. 1976 Peking, China 1921 Mitbegr. der Kommunistischen Partei Chinas, 1954 Vors. und Staatsoberhaupt der Volksrepublik China, 1959 Rücktritt vom Amt des Staatsoberhauptes. MARCUSE, Herbert, Dr. phil. 89, 127f., 162, 170, 177, 184, 186, 199, 212, 231, 250, 255, 260f., 281 geb. 19. 7. 1898 Berlin, gest. 29. 7. 1979 Starnberg 1933 Mitarb. am Institut für Sozialforschung Frankfurt, 1933 Emigration, Mitarb. am Institut für Sozialforschung, New York, 1942–50 Sektionschef im Office of Strategic Services, Washington, 1954–65 Prof. für Politikwissenschaft Waltham/Massachussetts, 1965 San Diego. MARQUARDT, Friedrich-Wilhelm, Dr. theol. 121, 183, 211, 418f. geb. 2. 12. 1928 Eberswalde, gest. 25. 5. 2002 Berlin 1945 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1951 1. Theol. Examen, 1953 Vikariat Lin-

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dau, 1954 Ordination, 1955–57 Pfr. Euskirchen und Langenfeld-Immigrath, 1957 Studentenpfr. West-Berlin, 1961 Teilnehmer der Ersten Allchristlichen Friedensversammlung in Prag, 1963 wiss. Ass. FU Berlin, 1968–71 Vors. der Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“ beim DEKT, 1972 Prof. ST FU Berlin, 1976–97 o. Prof. MARSCH, Wolf-Dieter, Dr. theol. 153f., 185, 188, 256, 261, 263 geb. 2. 10. 1928, gest. 23. 11. 1972 1954 Inspektor am Ev. Stift Göttingen und Hilfspfr. der ESG, 1958 Studienltr. in der Ev. Akademie Berlin, 1962 Prof. ST KiHo Wuppertal, seit 1966 Schriftltr. der Zeitschrift „Pastoraltheologie“, 1969 o. Prof. für Christliche Gesellschaftswissenschaften und Direktor des Instituts für Christliche Gesellschaftswissenschaften Universität Münster. MARX, Karl 26, 88, 126, 145, 200, 12, 231, 250, 263, 266, 271, 274, 281, 290 geb. 5. 5. 1818 Trier, gest. 14. 3. 1883 London Journalist, Philosoph und Nationalökonom. MARXEN, Willi, Dr. theol. 338 geb. 1. 9. 1919 Kiel, gest. 18. 2. 1993 Münster, 1949–53 Vikar und anschließend Pfr. Lübeck, 1953–56 Studieninspektor am Predigerseminar Preetz, 1956 Prof. NT KiHo Bethel, 1961–84 o. Prof. für Neutestamentliche Einleitungswissenschaft und Theologie. MATTHIES, Helmut 420f. geb. 7. 5. 1950 Dungelbeck bei Peine 1978 Hospitant bei der Deutschen Presseagentur und Chefredakteur von IDEA, 1982 Ordination, seit den 1970er Jahren Mitgl. der Notgemeinschaft Ev. Deutscher bzw. Ev. Notgemeinschaft, 1982 Ordination zum Pfarrer der Ev. Kirche in HessenNassau u. Beurlaubung für den Dienst bei IDEA, Mitgl. des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz. MEINHOF, Ulrike Marie 26, 281, 303f., 325, 335f., 338–350, 359, 383, 386f., 389, 397, 406–410, 438, 442f. geb. 7. 10. 1934 Oldenburg, gest. 8. 5. 1976 Stuttgart-Stammheim Journalistin, 1970 Mitbegr. und führendes RAF-Mitgl. MEINS, Holger 406, 412f. geb. 26. 10. 1941 Hamburg, gest. 9. 11. 1974 Wittlich RAF-Mitgl. MEISER, Hans 38 geb. 16. 2. 1881 Nürnberg, gest. 8. 6. 1956 München [PERSONENLEXIKON, 169f.] METZ, Johan Baptist, Dr. phil., Dr. theol. 260, 267f. geb. 5. 8. 1928 Welluck/heute: Auerbach in der Oberpfalz 1954 Priesterweihe, 1963–93 Prof. für Fundamentaltheologie Münster, 1968–73 Konsultor beim Päpstlichen Sekretariat für die Ungläubigen, 1971–75 Berater der Würzburger Synode (zur Verwirklichung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils).

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MEYER, Heinrich, Dr. theol. 145 geb. 16. 10. 1904 Apenrade/Nordschleswig, gest. 25. 5. 1978 Lübeck [PERSONENLEXIKON, 173] MEYERS-HERWARTZ, Christel 24, 304–306, 312 geb. 26. 6. 1947 1976/77 Lehrvikar Bielefeld, 1977 Pst. im Hilfsdienst Bielefeld, 1978–83 Generalsekr. bzw. Ltd. Pfr. der Ev. Frauenhilfe in Deutschland, Düsseldorf, ab 1983 Pfr. der Ev. Frauenhilfe in Deutschland, Düsseldorf. MICHAELIS, Karl, Dr. phil. 288, 301 geb. 21. 12. 1900 Bethel, gest. 14. 8. 2001 1934 Prof. für Bürgerliches Recht und Neuzeitliche Rechtsgeschichte Kiel, 1938 Leipzig, 1951 Prof. für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht Münster, 1956–69 Prof. für Bürgerliches Recht und Neuzeitliche Rechtsgeschichte sowie Kirchenrecht, 1960/61 Dekan der Juristischen Fak. MITZENHEIM, Moritz 426 geb. 17. 8. 1891 Hildburghausen, gest. 4. 8. 1977 Eisenach [PERSONENLEXIKON, 175f.] MOLTMANN, Jürgen, Dr. theol. 76–78, 80, 83, 109, 127f., 185, 243–245, 260, 263, 267, 269, 282, 285, 304 geb. 8. 4. 1926 Hamburg 1944 Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft, 1952–58 Pfr. und Studentenpfr. Bremen, 1958 Prof. für Dogmengeschichte und Dogmatik KiHo Wuppertal, 1963–67 o. Prof. ST und Sozialethik Bonn, 1967–94 Tübingen. MONDLANE, Eduardo Chivambo 88, 99, 302, 314 geb. 22. 6. 1920 Portugiesisch-Ostafrika, gest. 3. 2. 1969 Dar-es-Salaam 1962 FreLiMo-Vors., 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft. MOTSCHMANN, Jens 390 geb. 30. 6. 1942 Berlin 1971 Ordination, 1971 Pst. Neumünster-Einfeld, 1972–87 Itzehoe, 1987–2007 Bremen, Mitgl. der Notgemeinschaft Ev. Deutscher bzw. Ev. Notgemeinschaft. MOTSCHMANN, Klaus 388, 390 geb. 4. 3. 1934 Berlin 1972–97 Prof. für Politikwissenschaft Universität der Künste Berlin, Mitgl. der Ev. Notgemeinschaft. 1972 Hg. der Zeitschrift „Konservativ heute“, ab 1980 ständiger redaktioneller Mitarb. der Zeitschrift „Criticón“, Mitarb. der 1986 gegründeten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. MOTZKAU(-VALETON), Wolfgang, Dr. phil. 174, 227 geb. 1946 ab 1967 nebenamtlich Hochschulreferent der ESGiD, Germanist und Sozialwissenschaftler. MÜLLER, Eberhard, Dr. phil. 82, 84, 101, 108, 184, 188, 289f., 428 geb. 22. 8. 1906 Stuttgart, gest. 11. 1. 1989 Heidelberg [PERSONENLEXIKON, 178]

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MÜLLER-GANGLOFF, Erich, Dr. phil. 61, 131 geb. 12. 2. 1907 Roth/Pfalz, gest. 23. 2. 1980 Berlin 1931 Bibliothekarslaufbahn, schriftstellerische Tätigkeiten, seit 1940 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1952–70 Ltr. der Ev. Akademie Berlin, 1958 Mitbegr. der Aktion „Sühnezeichen“. MÜNTZER, Thomas 121, 153, 185, 343, 434 geb. 1488/89 Stolberg/Harz, gest. 27. 5. 1525 Mühlhausen/Thüringen 1513/14 Priester Bistum Halberstadt, 1516 Probst im Kanonissenstift Frose bei Aschersleben, 1523 Pfr. Allstedt. MUGABE, Robert 452 geb. 21. 2. 1924 Masvingo, Rhodesien seit 1980 Premiermin. Simbabwe. MUMM, Reinhard, Dr. theol. 210, 278, 316–318, 322, 324, 353, 356, 359, 366f. geb. 24. 12. 1926 Berlin, gest. 12. 8. 1986 1934 Engagement in der BK, 1945 Lehrvikar Oldenburg, 1946 Pfr. Gastrede, 1947–52 wiss. Ass. (ST) Universität Heidelberg, 1952–67 Pfr. Minden und Soest, Mitgl. der westfällischen Landessynode, 1967–73 persönlicher Referent Hermann Dietzfelbingers, München, 1974–79 Pfr. München. MUNBY, Denis Lawrence 92 geb. 1919, gest. 1976 Istanbul, Türkei 1958 Prof. für Transportwirtschaft Oxford, 1954 Berater der ÖRK-Vollversammlung Evanston und Mitarbeit am ÖRK-Projekt „Rapid Social Change“, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft. NATHO, Eberhard 470 geb. 24. 6. 1932 Dessau 1959–70 Pfr. Güsten, 1970–94 Kirchenpräs. der Ev. Landeskirche Anhalts in Dessau, seit 1971 gleichzeitig Pfr. Dessau, Mitgl. der KKL und des Rates der EKU (DDR), 1979–82 Vors. des Rates der EKU, 1982–92 Vors. des Arbeitskreises Christlicher Kirchen in der DDR. NEMBACH, Ulrich, Dr. theol., Dr. jur. 420 geb. 1935 Breslau 1965–71 wiss. Ass. Seminar für PT und Religionspädagogik Münster, 1971–77 Studienltr. in der Ev. Akademie Hofgeismar, 1977/78 Gemeindepfr. Goslar, seit 1978 Prof. PT Göttingen. NEUMANN, Lutz 241 geb. 1974 Köln Historiker, seit 2002 Länderreferent für West- und Zentralafrika beim Außenwirtschaftsverband Afrika-Verein, Hamburg. NIEBUHR, Reinhold 79f. geb. 21. 6. 1892 Wright City/Missouri, gest. 1. 6. 1971 Stockbridge/Massachussetts 1915 Pst. Detroit, 1928–60 Prof. für Ethik und Religionsphilosophie New York. NIELAND, Arnold Friedrich 151 geb. 26. 3. 1906 Duisburg, gest. 27. 1. 1976 1931–32 Synodal-Vikariat Aachen, 1932–34 Hilfsprediger Duisburg, 1934–57 Pfr. Monschau, 1940 Standortpfr. Emden, dann Toulon, 1944–47 Lagerpfr. in französi-

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scher Kriegsgefangenschaft, 1957–68 Kirchenrat, 1968–73 OKR der Ev. Landeskirche im Rheinland. NIEMEIER, Gottfried, Dr. phil., Dr. theol. 67 geb. 18. 6. 1906 Wetter an der Ruhr, gest. 6. 2. 1984 1931 Ordination, Seelsorger in der deutschen ev. Gemeinde in Rom, 1933–53 Pfr. Arnsberg, 1939–46 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1953–72 als Theol. Referent OKR in der Kirchenkanzlei der EKD, 1965 Vizepräs. der Kirchenkanzlei der EKD. NIEMÖLLER, Martin 11, 36f., 47, 101, 145f., 165, 172, 213, 216, 308f., 319, 348, 381, 395 geb. 14. 1. 1892 Lippstadt/Westfalen, gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden [PERSONENLEXIKON, 185] NIESEL, Wilhelm, Lic. theol. 319 geb. 7. 1. 1903 Berlin, gest. 13. 3. 1988 Königstein/Taunus [PERSONENLEXIKON, 186] NIPPERDEY, Thomas, Dr. phil. 60, 227, 267 geb. 27. 10. 1927 Köln, gest. 14. 6. 1992 München 1961 Habil., 1957–61 wiss. Ass., 1961–63 PD Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen, 1963 o. Prof. für Geschichte Technische Hochschule Karlsruhe, ab 1967 FU Berlin, 1968–84 SPD-Mitgl., 1970–80 Mitbegr. und zweitweise Vors. des Bundes Freiheit der Wissenschaft. ODIN, Karl Alfred 154f., 172, 204, 210, 247f., 274, 305, 313, 349, 358, 361, 368, 375, 397, 414, 478 geb. 1922 Leipzig, gest. 13. 2. 1992 1939–45 Kriegsdienst, 1953–61 Ltr. der Redaktion des epd-Hessen, 1961–89 Redakteur bei der FAZ mit Schwerpunkt ev. Kirche, ab 1989 Ltr. d. Lehrredaktion. OEFFLER, Hans Joachim 344 geb. 9. 4. 1930, gest. 23. 8. 2005 Homburg ab 1958 Engagement in der CFK, 1961–95 Pfr. Rodenbach, 1977 Mitbegr. der Martin-Niemöller-Stiftung. OHNESORG, Benno 164f., 175, 181, 220, 293, 341, 415 geb. 15. 10. 1940 Hannover, gest. 2. 6. 1967 West-Berlin Mitgl. der ESG an der FU Berlin. OPOČENSKÝ, Milan 144 geb. 5. 7. 1931 Hradec-Kralove, Tschechoslowakei, gest. 31. 1. 2007 Prag, Tschechien 1955 Ordination, 1960–68 Vors. der CFK-Jugendkommission, 1967–73 EuropaSekr. des WSCF, Genf, 1973–89 Prof. für Sozialethik Prag, 1989–2000 Generalsekr. des Reformierten Weltbundes. ORDNUNG, Carl 132–134, 137f., 141, 143 geb. 18. 10. 1927 Lengenfeld 1957 Redakteur der Zeitschrift „Neue Zeit“, 1958–90 Mitarb. im Hauptvorstand der Ost-CDU, zeitweise Ltr. der Abt. Kirchenfragen, 1958–90 Sekr. des Regionalausschusses der CFK in der DDR. PABST, Walter 130, 133–136, 139, 142, 145, 335, 403f., 466 geb. 9. 3. 1907 Darmstadt, gest. 18. 11. 1992 Berlin

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1936 Vikariat Altenburg/Thüringen, seit 1936 BK-Mitgl., 1937–41 illegaler Vikar bei der Luth. Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Eisenach, 1939 Übernahme des Nachbarpfarramtes Herleshausen/Hessen, 1941 Rede- und Amtsausübungsverbot, Hilfspfr., dann Pfr. Kleinalmerode, 1947 Studentenpfr. Jena, 1948–63 Mitgl. der thüringischen Landessynode, 1953–63 Superintendent Gotha, 1964 OKR im Kirchenamt der VELKD Berlin und ökumenischer Beauftragter der ev. Bischöfe in der DDR, 1964–78 Referent in der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen in der DDR und stellv. Ltr. der Geschäftsstelle der KKL, 1969–78 stellv. Ltr. des BEKSekretariats. PANNENBERG, Wolfhart, Dr. theol. 117, 453 geb. 2. 10. 1928 Stettin 1958–61 Prof. ST KiHo Wuppertal, 1961–67 Prof. ST Mainz, 1967–94 Prof. ST München. PAPCKE, Sven 256 geb. 18. 11. 1939 Hamburg 1968 wiss. Ass. Bochum, 1973 Assistenzprof. FU Berlin, 1974–2005 Prof. für Soziologie Münster. PATIJN, Constantin Leopold, Dr. jur. 145f. geb. 28. 9. 1908 Den Haag, gest. 7. 9. 2007 Den Haag 1935–37 Adjunktsekr. beim Wirtschaftlichen Rat der niederländischen Regierung, 1945 Kabinettschef im Wirtschaftsministerium und Vizepräs. der finanzwirtschaftlichen Kommission der Vereinten Nationen, ab 1947 Berater beim niederländischen Generaldirektorat für außenwirtschaftliche Angelegenheiten, 1950–56 Direktor der Abt. für internationale Organisationen beim Außenministerium, Vizepräs. der beratenden Versammlung beim Europarat. 1956–67 sozialdemokratischer Abgeordneter im niederländischen Parlament, 1960–72 ao. Prof. für Völkerrecht Universität Utrecht, Vors. des Nationalen Konsultativrates für Entwicklungspolitik, Leitung der Sektion für soziale Fragen bei den ÖRK-Vollversammlungen 1948 in Amsterdam und 1954 in Evanston. PAUL VI [Montini, Giovanni Battista Enrico Antonio Maria] 250 geb. 26. 9. 1897 Concesio, Italien, gest. 6. 8. 1978 Castel Gandolfo, Italien seit 1963 Pontifex. PERELS, Otto, Lic. theol. 236f. geb. 13. 7. 1908 Berlin-Friedenau 1931 1. Theol. Examen, 1931–33 Vikariat Predigerseminar Frankfurt/Oder, 1933 2. Theol. Examen, ab 1933 Pfr. Berlin. PETERSEN, Alfred 412, 463f. geb. 13. 11. 1909 Altona, gest. 11. 5. 2004 Schleswig 1932 Vikariat Husum, 1934 Hilfsgeistlicher Hamburg-Rahlstedt, Pst. Viöl, 1939 Pst. Husum, 1940–46 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1951 Pst. Innere Mission Rendsburg, 1958 Probst Husum, 1961–71 Mitgl. der VELKD-Kirchenleitung, 1967–77 Bischof von Schleswig, Erster Vors. der nordelbischen Kirchenleitung, 1973–78 Mitgl. des Rates der EKD. PHILIP, André 90f. geb. 28. 6. 1902 Pont-Saint-Esprit, Frankreich, gest. 5. 7. 1970 Paris

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1936–40 Mitgl. der französischen Nationalversammlung (Section française de L’internationale ouvrière, 1957 Parteiausschluss), 1940–44 Engagement in der französischen Résistance, ab 1942 in London, 1945–51 Mitgl. der Nationalversammlung, 1946–47 Wirtschafts- und Finanzmin. Frankreichs, 1947 Min. für Nationalökonomie, 1951–57 Prof. für Politische Ökonomie Saarbrücken, 1957–69 Paris. PICHT, Georg, Dr. phil. 50, 56, 66, 212, 266 geb. 9. 7. 1913 Straßburg, gest. 7. 8. 1982 Hinterzarten 1942–45 wiss. Ass. und Dozent Institut für Altertumsforschung, Freiburg i. Br., 1946 Ltr. der Internatsschule Birklehof, Hinterzarten, 1958–82 Ltr. der FESt, 1965–78 o. Prof. für Religionsphilosophie Heidelberg. PLANER-FRIEDRICH, Götz, Dr. theol. 466f. geb. 1939 1964–75 Pfr. Gieber, 1975–85 Studienreferent für Sozialethik in der Theol. Studienabt. beim BEK in Ost-Berlin, 1980–85 deren Ltr., 1986–91 Studiensekr. für sozialethische Fragen bei der Studienabt. des LWB, Genf, ab 1988 ständiger Mitarb. der Zeitschrift „Evangelische Kommentare“, Stuttgart, seit 1995 deren Chefredakteur, 1991–95 Ltr. der Ev. Akademie Thüringen, seit 2000 Redaktionsmitgl. der Zeitschrift „Zeitzeichen“. PONTO, Jürgen 436 geb. 17. 12. 1923 Bad Nauheim, gest. 30. 7. 1977 Oberursel 1943–44 Kriegsdienst, ab 1969 Vorstandsvors. der Dresdener Bank. POSSER, Diether 389 geb. 9. 3. 1922 Essen, gest. 9. 1. 2010 1952 Mitbegr. der Gesamtdeutschen Volkspartei, 1953 deren Generalsekr., 1957 SPD-Mitgl., 1968 Min. für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen, 1972 dort Justizmin., 1978–88 Finanzmin., 1970–91 Mitgl. der EKD-Synode. POTTER, Philip Alford 352, 379, 391, 393, 400, 455 geb. 19. 8. 1921 Roseau, Dominica 1950 methodistischer Superintendent Haiti, 1954–61 Ltr. des ÖRK-Jugendreferates, 1960–68 Vors. des WSCF, 1961–66 Sekr. der Methodistischen Missionsgemeinschaft, London, seit 1967 Ltr. der Abt. für Weltmission und Evangelisation des ÖRK, Genf, 1972–84 Generalsekr. des ÖRK. RABEHL, Bernd, Dr. phil. 258 geb. 30. 7. 1938 Rathenow/Havelland ab 1965 Mitgl., 1967/68 Mitgl. im Bundesvorstand des SDS, 1973–2003 Dozent am Soziologischen Institut und Otto-Suhr-Institut, FU Berlin. RAHNER, Karl, Dr. phil. 267–269 geb. 5. 3. 1904 Freiburg i. Br., gest. 30. 3. 1984 Innsbruck, Österreich 1945–49 Pfr. München, 1949 o. Prof. für Dogmatik und Dogmengeschichte Innsbruck, 1964 Prof. für Christliche Weltanschauung München, 1967–71 Prof. für Dogmatik und Dogmengeschichte Münster. RAISER, Ludwig, Dr. jur. 50f., 104, 106, 163, 192, 227, 242, 276–278, 289, 309, 316, 320, 322f., 364, 432 geb. 27. 10. 1904 Stuttgart, gest. 13. 6. 1980 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 201f.]

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RASPE, Jan-Carl 242 geb. 24. 7. 1944 Berlin, gest. 18. 10. 1977 Stuttgart-Stammheim führendes RAF-Mitgl. RAUCH, Georg von 341, 350 geb. 12. 5. 1947 Marburg/Lahn, gest. 4. 12. 1971 West-Berlin führendes Mitgl. der „Bewegung 2. Juni“. RENDTORFF, Trutz, Dr. theol. 81, 85, 92f., 95, 147, 202, 239, 252–256, 261, 337, 369, 463f., 467, 469, 478f. geb. 24. 1. 1931 Schwerin 1956 wiss. Ass. Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften Universität Münster, 1968–99 o. Prof. ST und Ethik München, ab 1979 Mitgl. der EKDSynode, 1980–97 Vors. der KföV, ab 1985 Mitgl. im Theol. Ausschuss der VELKD, seit 1993 Mitgl. im Senat der Max-Planck-Gesellschaft. RIEMECK, Renate, Dr. phil. 345, 350 geb. 4. 10. 1920 Breslau, gest. 12. 5. 2003 Alsbach 1946 SPD-Mitgl., 1955 Prof. für Geschichte und Polit. Bildung Pädagogische Hochschule Wuppertal, 1960 Entzug der Prüfungsberechtigung, 1979 Lehrauftrag für Pädagogik an der Universität Marburg. RINGELING, Hermann, Dr. theol. 81, 85, 95, 101, 233 geb. 1928 Cuxhaven 1955–59 Pst., 1960–64 Studentenpfr. Hamburg, 1964–67 wiss. Ass. Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften Universität Münster, 1967 OKR der Ev.Luth. Kirche im Hamburgischen Staate, seit 1968 zugleich PD Münster, 1971–91 Prof. für theol. Ethik und Anthropologie Bern, 1976–93 Mithg. der „Zeitschrift für Evangelische Ethik“. ROEPKE, Claus-Jürgen 414 geb. 23. 1. 1937 Berlin 1967–74 Pfr. München, 1974–80 als OKR Medien- und Öffentlichkeitsreferent in der Kirchenkanzlei der EKD, 1980–91 Ltr. der Ev. Akademie Tutzing, ab 1980 Vors. der Kammer für publizistische Arbeit der EKD, seit 1991 OKR für Mission, Diakonie und Ökumene im Landeskirchenamt der bayerischen Landeskirche, 1997– 2001 Mitgl. des Rates der EKD, Vors. der EKD-Kommission für Osteuropa. ROHRBACH, Heinrich-Constantin (Heiko) 172, 176 geb. 1928. gest. 19. 6. 2006 Warburg 1952–55 Referent in der ÖRK-Jugendabt., Genf, 1955/56 Vikariat Jeinsen, 1956– 58 Ev. Akademie Bad Boll, 1958–62 Referent für Ingenieurs- und Höhere Fachschulen der ESGiD, Stuttgart, 1962–68 Generalsekr. der ESGiD, 1968–76 Direktor der Ev. Weiblichen Jugend, Burckhardthaus Gelnhausen, 1976–89 Ltr. der Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. ROHRMOSER, Günter 267f. geb. 29. 11. 1927 Bochum, gest. 15. 9. 2008 Stuttgart 1961–76 o. Prof. für Philosophie Pädagogische Hochschule Münster, ab 1976 Prof. für Sozialphilosophie Hohenheim, 1979 Mitbegr. des Studienzentrums Weikersheim.

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ROST, Gerhard, Dr. theol. 353 geb. 20. 1. 1922 Halle/Saale, gest. 29. 5. 2003 Berlin 1940–48 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1952 1. Theol. Examen, 1953 2. Theol. Examen, 1954 Dozent, ab 1961 Prof. für Kirchen- und Dogmengeschichte Luth. Theol. Hochschule Oberursel, 1967 Präs. des Kirchenkollegiums (OKR) der Ev.Luth. (altluth.) Kirche, 1973–85 Erster Bischof der Selbstständigen Ev.-Luth. Kirche. RUHLAND, Karl-Heinz 342 geb. 1938 Berlin ehem. RAF-Mitgl. RUSSELL, Philip Welsford Richmond 425 geb. 21. 10. 1919 Cowies Hill, Südafrika 1970–74 Bischof Port Elizabeth, 1974–81 Bischof Natal, 1980–86 Erzbischof Kapstadt. SALLER, Martin 285–288 geb. 1903 Straßburg, gest. 2005 1949 Redakteur, 1955 Korrespondent (Paris), 1965–69 Chefredakteur beim „Hamburger Abendblatt“, 1969 Korrespondent des Axel-Springer-Verlags für Ostasien, Tokio. SALM, Karl Rudolf Hermann 64f. geb. 14. 6. 1914 Freiburg i. Br., gest. 20. 12. 2002 Freiburg i. Br. 1939 1. jur. Staatsexamen, 1948 2. jur. Staatsexamen und Übernahme in den höheren Justizdienst als Gerichtsassessor (Staatsanwaltschaft und Landgericht Waldshut), 1949 Staatsanwalt Freiburg i. Br., 1951 Amtsgerichtsrat Kenzingen, 1953 Hilfsrichter am Oberlandesgericht Karlsruhe, 1954 Landgerichtsrat Karlsruhe, 1955–75 Oberlandesgerichtsrat Karlsruhe, 1966 Mitbegr. der Notgemeinschaft Ev. Deutscher bzw. Ev. Notgemeinschaft SARTRE, Jean Paul 68, 409 geb. 21. 6. 1905 Paris, Frankreich, gest. 15. 4. 1980 Paris Philosoph und Schriftsteller. SCHACK, Alard von, Dr. jur. 366 geb. 4. 2. 1914 Berlin 1947 Gründungsmitgl. der „Gruppe 47“, 1957 Oberverwaltungsgerichtsrat Lüneburg, 1962 Mitarb. im Bundesaußenministerium, seit 1963 Mitgl. der Studienleitung der Ev. Akademie Loccum, 1967–73 Mitgl. der KföV. SCHARF, Kurt 46, 50f., 58, 62, 103, 105f., 108, 110, 129f., 156, 158, 164f., 168f., 171, 175, 177–179, 183, 189, 195, 197–199, 202–204, 207, 224, 236, 287f., 294, 301f., 309–311, 320f., 343, 346f., 377, 383, 386f., 396–399, 406–410, 414–416, 422, 437–440, 451, 473 geb. 21. 10. 1902 Landsberg/Warthe, gest. 28. 3. 1990 Berlin [PERSONENLEXIKON, 215] SCHARFFENORTH, Gerta, Dr. phil. 283 geb. 1912 Stuttgart 1962–66 Ltr. des Ev. Gemeindedienstes Heidelberg, ab 1966 Studienltr. in der

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FESt, 1970–73 Mitgl. des Rates der EKD, als Vertreter des Rates Mitgl. im Strukturund Verfassungsausschuss der EKD-Synode. SCHEFFBUCH, Rolf 234, 393f. geb. 25. 1. 1931 Calw nach Vikariat 1957 persönlicher Referent des württembergischen Landesbischofs, 1959–65 Pfr. Ulm, 1965–75 Ltr. des Ev. Jugendwerks in Württemberg, 1975–89 Dekan Schorndorf, 1989–95 Prälat von Ulm. SCHELM, Petra 335 geb. 16. 8. 1950 Hamburg, gest. 15. 7. 1971 Hamburg RAF-Mitgl. SCHELZ, Sepp 95, 166f., 203, 233, 236, 246, 287f., 323 geb. 1917, gest. 1986 1952/53 Mitgl. im Bundesvorstand der Gesamtdeutschen Volkspartei, Chefredakteur der Zeitung „Westdeutsche Rundschau“, 1964 Ltr. des Ev. Publizistischen Zentrums Berlin, ab 1971 Geschäftsführer und Direktor des Hansischen Druckund Verlagshauses Hamburg. SCHEUCH, Erwin Kurt 344 geb. 9. 6. 1928 Köln, gest. 12. 10. 2003 Köln 1944/45 Kriegsdienst, 1948 Rundfunkjournalist beim Nordwestdeutschen Rundfunk, 1964–93 Prof. für Soziologie Köln. 1970 Mitbegr. des Bundes Freiheit der Wissenschaft. SCHEUNER, Ulrich, Dr. jur. 48, 70f., 155, 321 geb. 24. 12. 1903 Düsseldorf, gest. 25. 2. 1981 Bonn [PERSONENLEXIKON, 215f.] SCHILDT, Axel, Dr. phil. 30 geb. 9. 5. 1951 Hamburg 1997 apl. Prof. für Neuere Geschichte Hamburg, seit 2002 Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und Prof. für Neuere Geschichte Hamburg. SCHLATTER, Adolf 282, 433 Geb. 16. 8. 1852 St. Gallen, gest. 19. 5. 1938 Tübingen [PERSONENLEXIKON, 217f.] SCHLEYER, Hanns-Martin, Dr. jur. 437f., 440, 443f., 473 geb. 1. 5. 1915 Offenburg, gest. 18. 10. 1977 1933 SS-Mitgl., 1937 NSDAP-Mitgl., 1940/41 Kriegsdienst, 1941 Sachbearbeiter, ab 1943 Ltr. des Präsidialbüros der Industrie für Böhmen und Mähren, Prag, 1945– 48 Kriegsgefangenschaft, 1949–51 Referent für Außenwirtschaft bei der Industrieund Handelskammer Baden-Baden, 1956 Ltr. der Personalabt., 1959 Vorstandsmitgl. der Daimler-Benz AG, 1962–68 Vors. des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg, ab 1973 Präs. der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. SCHLINGENSIEPEN, Ferdinand 135 geb. 18. 7. 1929 Bonn 1954–59 Auslandspfr. Bradford/Yorks, England, 1959–69 Oberkonsistorialrat der EKU, Berlin, bis 1988 Vorsteher der Kaiserswerther Diakonie, 1971 Gastgeber des

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1. Internationalen Bonhoeffer-Kongresses in Kaiserwerth, 1973 Mitbegr. der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft. SCHLINK, Edmund, Dr. phil., Lic. theol. 83 geb. 6. 3. 1903 Darmstadt, gest. 20. 5. 1984 Heidelberg [PERSONENLEXIKON, 218f.] SCHLOZ, Rüdiger 431 geb. 29. 8. 1941 Stuttgart ab 1968 Pfr. im Dienst der württembergischen Landeskirche, später Forschungsass. Universität Konstanz, 1973–2005 Referent für Studien- und Planungsfragen in der Kirchenkanzlei der EKD, 2007–10 Auslandspfr. Quito und Guyaquil, Ecuador, 2010 Pfr. Guatemala-Stadt. SCHMID, Anne-Lore 302, 314 geb. 15. 5. 1916 Gütersloh, gest. 11. 3. 2008 Ärztin, 1962–70 CDU-Mitgl., 1962–75 Mitgl. im Gemeinderat, 1984–87 Mitgl. im Kreistag der Stadt Leonberg, 1980 SPD-Mitgl., 1965–80 Mitgl. der württembergischen Landessynode, 1974–77 Mitgl. des Leitungskreises „Offene Kirche“ Württemberg, 1974 Mitbegr. der Beratungsstelle „Pro Familia“, Leonberg, 1966 stellv. Mitgl., 1972–81 Mitgl. der EKD-Synode, 1968 EKD-Delegierte bei der ÖRK-Vollversammlung Uppsala. SCHMIDT, Helmut 232f., 295, 346f., 411, 416f., 423, 437f., 440, 442 geb. 23. 12. 1918 Hamburg-Barmbek 1939–42 Kriegsdienst, 1947/48 Bundesvors. des SDS, 1953–62 und 1965–87 MdB (SPD), 1967–69 SPD-Fraktionsvors., ab 1968 stellv. Bundesvors. der SPD, 1961– 65 Innensenator Hamburg, 1969–72 Bundesverteidigungsmin., 1972–74 Bundeswirtschafts- und Finanzmin., 1974–82 Bundeskanzler, 1965–70 Mitgl. der Synode der Ev.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staate, seit 1983 Mithg. der Wochenzeitung „Die Zeit“. SCHMIDT, Wolf-Rüdiger 193, 255f. geb. 1939 Wiesbaden seit 1968 Redakteur beim ZDF, 1989–2001 Ltr. der ZDF-Redaktion „Kirche und Leben“ (ev.), 1969–71 Kirchenvorsteher Kloppenheim, 1972–90 Mitgl. des Kirchenvorstandes Wiesbaden-Igstadt, 1972–90 Mitgl. der Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, bis 1978 Vors. und stellv. Vors. des Öffentlichkeitsausschusses, 1978 Gründer des Freundeskreises Ökumene Heidelberg, seit 1974 Mitgl. und Gründer des Konvents der Ev. Akademie Arnoldshain, 2004–06 Zweiter Vors. der Deutsch-Israelitischen Gesellschaft. SCHMITHALS, Walter, Dr. theol. 447f. geb. 14. 12. 1923 Wesel, gest. 26. 3. 2009 Berlin 1942–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1951–53 Vikariat Minden und Wuppertal, 1953–63 Pfr. Raumland/Westfalen, 1963–68 Dozent, 1968 apl. Prof, 1968–89 o. Prof. für NT KiHo Berlin, 1970–72 und 1987/88 deren Rektor. SCHNITZLER, Karl-Eduard von 342 geb. 28. 4. 1918 Berlin, gest. 20. 9. 2001 Zeuthen 1939–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1945 Kommentator beim Nordwestdeutschen Rundfunk, 1946 Intendant und Ltr. der polit. Abt., 1947 Entlassung aus

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polit. Gründen und Übersiedlung in die sowjetische Besatzungszone, 1948–90 SEDMitgl., 1952 Ltr. der Kommentatorengruppe des Staatlichen Rundfunkkomitees und später Chefkommentator des DDR-Fernsehens, 1960–89 Autor und Moderator der Sendung „Der schwarze Kanal“. SCHOBER, Theodor 302 geb. 10. 8. 1918 Zirndorf, gest. 26. 7. 2010 Loßburg nach Kriegsdienst, und -gefangenschaft Vikariat und Pfr. Erlangen, 1955 Ltr. des Diakonissenmutterwerks Neuendettelsau, 1963–84 Präs. des Diakonischen Werkes der EKD. SCHÖNHERR, Albrecht 325–327, 329–333, 382, 400f., 462, 465, 470f. geb. 11. 9. 1911 Katscher/Oberschlesien, gest. 9. 3. 2009 Potsdam 1933 1. Theol. Examen und bis 1934 Vikar Potsdam, ab 1934 Engagement in der BK, 1935 Mitarb. im BK-Predigerseminar Finkenwalde, 1936 2. Theol. Examen, 1936–37 Pfr. Theologiestudentenamt der BK Greifswald, 1937 Pfr. Brüssow, 1940– 46 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1947–62 Pfr. am Dom zu Brandenburg/Havel und Superintendent, 1951–62 Direktor des von ihm in Brandenburg gegründeten Predigerseminars, 1958 Mitbegr. des Weißenseer Arbeitskreises, Mitarb. in der CFK, 1963–72 Generalsuperintendent des Sprengels Eberswalde in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg, 1964/65 Ltr. des Regionalausschusses der CFK in der DDR, ab 1967 Verwalter des Bischofsamtes der Kirche von Berlin-Brandenburg, 1970 Bischof, 1972–81 Bischof der Ostregion der Berlin-brandenburgischen Kirche, 1969 Mitbegr. des BEK, 1969–81 KKL-Vors. SCHRÖTER, Hans-Jürgen, Dr. theol. 24, 328f., 331, 334, 402f., 460, 466, 470 geb. 10. 7. 1948 Leipzig SCHRÖTER, Martin 174, 197 geb. 1918, gest. 1991 1937–45 Kriegsdienst, 1952 Pfr. Baden, 1956 Studentenpfr. Heidelberg, ab 1965 Dortmund, ab 1958 Mitgl., 1964–70 Vors. des Vertrauensrates der ESGiD, 1961– 64 Vors. der Studentenpfarrerkonferenz der ESGiD, seit 1965 Ltr. des Mädchenwerkes der Ev. Kirche von Westfalen, 1967 Vorstandsmitgl. der Regionalkonferenz der CFK in der Bundesrepublik (1969 Austritt), seit 1958 Mitgl., 1971–80 Vors. der Ev. Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer. SCHULZ, Otmar, Dr. theol. 246–249 geb. 27. 5. 1938 Brandenburg a. d. Havel 1957–59 Arbeit im Kohlebergbau Wattenscheid, 1963–65 Volontär bei der FR, 1964 Ordination, 1965–70 Theol. Referent in der Ökumenischen Centrale der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland, Frankfurt a. M., 1970–79 Studienltr. in der Ev. Akademie Arnoldshain, zugleich Mitgl. im Rundfunkausschuss der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, zeitweise dessen Vors., 1979–95 Ltr. des Ev. Informationszentrums Kurhessen-Waldeck sowie Hörfunk- und Fernsehbeauftragter der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, zugleich Mitgl. im Kuratorium des epd und dessen Vorstand, 1995–2006 Beauftragter für Publizistische Aus- und Fortbildung der Ev.-Luth. Landeskirche Hannover, Lehraufträge an der Universität Göttingen und der Ev. Journalistenschule Berlin.

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SCHULTZ, Hans Jürgen 107, 340 geb. 19. 9. 1928 Hamburg 1955 Lektor Kreuzverlag, Stuttgart, seit 1957 Redakteur beim SDR-Kirchenfunk, 1970–91 Chefredakteur für Kultur beim SDR. SCHULTZE, Harald, Dr. theol. 140 geb. 1934 1963–67 Pfr. Neundorf, 1967–73 Dozent für ST am Katechetischen Oberseminar Naumburg, 1973–86 Mitgl. des Konsistoriums in Magdeburg, 1986–91 Dozent am Sprachenkonvikt Ost-Berlin, 1990/91 dessen Rektor, Vors. der Kommission für theol. Grundsatzfragen beim BEK, 1991 OKR, Ltr. des Ev. Büros Magdeburg, bis 1999 Beauftragter der Ev. Kirchen beim Landtag und bei der Landesregierung von Sachsen-Anhalt, 2000–04 stellv. Vors. der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. SCHWAB-FELISCH, Hans 198 geb. 2. 11. 1918 Dresden, gest. 19. 10. 1989 Herdecke 1939–45 Kriegsdienst, 1949 Redaktionsmitgl. der „Neuen Zeitung“, Berlin, 1956– 61 Ltr. des Feuilleton der FAZ, ab 1961 Studienltr. (Kultur) beim WDR, Düsseldorf, und Kulturkorrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“, 1979–83 Hg. der Monatszeitschrift „Merkur“. PAHLAWI, Mohammad Reza („Schah“) 163, 169 geb. 26. 10. 1919 Teheran, gest. 27. 7. 1980 Kairo 1941–79 Schah von Persien. SCHWEITZER, Wolfgang, Dr. theol. 36, 106, 194f., 308, 322, 395, 450 geb. 8. 7. 1916 Potsdam, gest. 2009 Eckardtsheim 1937–40 Militärdienst, 1943 Ordination, Stadtvikar Stuttgart-West, 1944 Landesjugendvikar Stuttgart, als „Halbjude“ Flucht nach Luxemburg, Verhaftung durch die Alliierten, 1945 Landesjugendvikar und Pfarrverweser in Württemberg, 1946–52 Sekr. in der Studienabt. des ÖRK, Genf, PD Heidelberg, ab 1952 Mitgl. der Marxismuskommission der Studiengemeinschaft der Ev. Akademien, 1955–80 Prof. ST KiHo Bethel, 1957 Mitbegr. der „Zeitschrift für Evangelische Ethik“. SEIGEWASSER, Hans 400, 470 geb. 12. 8. 1905 Berlin, gest. 18. 10. 1979 Rom, Italien 1932 KPD-Mitgl., 1933 Verhaftung, 1934–45 Inhaftierung im Zuchthaus Luckau und in den Konzentrationslagern Mauthausen und Sachsenhausen, 1945/46 Mitarb. im Zentralkomitee der SED, 1950–79 Volkskammerabgeordneter, 1950–53 stellv. Vors., 1953–70 Präsidiumsmitgl. im Nationalen Rat der Nationalen Front, 1953– 59 Vors. von dessen Büro, ab 1960 Staatssekr. für Kirchenfragen. SEILS, Martin, Dr. theol. 139f. geb. 4. 7. 1927 Schlatkow (Greifswald) Vikar Altenkirchen/Rügen, 1959 Habil., 1960–82 Dozent für Kirchengeschichte bzw. ST Naumburg, 1982–92 Prof. ST Jena, seit 1966 Mitgl. im ÖkumenischTheologischen Arbeitskreis der DDR. SEIß, Johannes 166 geb. 27. 4. 1929 Nürnberg

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1954 Ordination, 1958 Pfr. Ansbach, 1964–70 Studentenpfr. München, seit 1970 Pfr. Ebersberg. SHAULL, Richard M., Dr. theol. 79–81, 83–86, 89–92, 95–97, 102f., 109, 125–128, 138, 140, 143, 149f., 155f., 159f., 185, 194, 233, 244, 250, 253f., 256, 260, 285, 480 geb. 24. 11. 1919 Felton, Pennsylvania, gest. 25. 10. 2002 Ardmore, Pennsylvania 1940 Pfr. Texas, USA, 1941–50 Missionar in Kolumbien, 1952–60 Lehrtätigkeit am Theol. Seminar der Presbyterianer Campinas, Brasilien, 1960–62 Vizepräs. des Mackenzie-Instituts Sao Paulo, 1962–80 Prof. für Ökumenische Theologie Princeton, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, 1968– 73 Vors. des WSCF. SIEMERS, Helge 337 geb. 1943 Berlin 1966–69 wiss. Hilfskraft am Lehrstuhl für Sozialethik der Theol. Fak. Heidelberg, Mitgl. der ESG Heidelberg, 1970 wiss. Ass. Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften Universität Münster. SIERIG, Hartmut, Dr. theol. 230 geb. 27. 7. 1925 Kassel, gest. 21. 11. 1968 Hamburg nach Kriegsdienst, Tätigkeit als Regie- und Dramaturgieass. Hamburg, 1954 Vikariat beim „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“, Hamburg, 1960 Pst. Hamburg, ab 1962 Studienltr. für die Hamburger Vikarsausbildung, ab 1967 Senior Geistlicher im Ministerium der Ev.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staate. SIMON, Helmut 93, 147, 239, 356, 416, 458 geb. 1. 1. 1922 Waldbröl-Ruh 1953–57 Richter Landesgericht Düsseldorf, 1960–65 Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, 1965–70 Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, 1970–87 Richter am Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe, 1956–60 Vors. der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland, dann Vors. des Arbeitskreises der Kirchlichen Bruderschaften, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, 1970–96 Mitgl. im Präsidium des DEKT, 1993–2000 Präs. der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. SIMPFENDÖRFER, Werner 354 geb. 12. 2. 1927 Korntal, gest. 26. 6. 1997 1944–45 Kriegsdienstverpflichtung Korntal, 1951–53 Vikariat Bonlanden-Harthausen und Stuttgart-Fellbach, Religionslehrer Korntal und Ebingen, 1953–56 Repetent am Ev.-Theol. Seminar Blaubeuren, 1956 Pfr. der Ev. Landeskirche in Württemberg, 1956–69 Presse- und Ökumenereferent sowie stellv. Ltr. der Ev. Akademie Bad Boll, 1969–73 Mitarb. im Bildungsbüro des ÖRK, Genf, 1973–85 Generalsekr. des Europäischen Leiterkreises der Akademien und Generalsekr. des Ökumenischen Leiterkreises der Akademien in Deutschland. SJOLLEMA, Baldwin (Boudewijn) 317, 359, 367, 447f., 453 geb. 1927 Rotterdam 1953 Mitarb. der Dutch Interchurch Aid, Utrecht, 1958 Ltr. des ÖRK-Flüchtlingsbüros, Wien, 1970 Direktor des ARP (ÖRK), Genf, 1982 Direktor des Anti-Apartheid-Programms der Internationalen Arbeitsorganisation.

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(STEFFENSKY-)SÖLLE, Dorothee, Dr. phil. 56, 59f., 227, 266f., 269f., 279f., 339f., 349, 417 geb. 30. 9. 1929 Köln, gest. 27. 4. 2003 Göppingen 1954–60 Religions- und Deutschlehrerin Köln-Mühlheim, 1962–64 wiss. Ass. Philosophisches Institut der TU Aachen, 1964–67 Studienrätin am Germanistischen Institut Universität Köln, 1968 Mitbegr. des Politischen Nachtgebets (Köln), 1972– 75 Lehrauftrag an der Ev.-Theol. Fak. der Universität Mainz, 1975–87 Prof. ST New York, 1991–92 Gastprof. Basel. SONNENBERG, Günter 428–434, 436 geb. 21. 7. 1954 Karlsruhe ehem. RAF-Mitgl. SPAMBALG, Peter 233 geb. 1927/28, gest. 17. 5. 1974 Schorndorf 1962–70 Pfr. Ludwigsburg, ab 1970 Dekan Schorndorf, ab 1969 Vors. der württembergischen Vereinigung „Evangelium und Kirche“. SPRINGER, Axel Cäsar 34, 169, 208–211, 258, 285–288, 295, 343, 374, 383 geb. 2. 5. 1912 Altona, gest. 22. 9. 1985 West-Berlin 1934–41 stellv. Chefredakteur der „Altonaer Nachrichten“, 1941–44 Gesellschafter im väterlichen Verlag, 1947 Gründer der Axel Springer GmbH, Lizenz für das „Hamburger Abendblatt“, 1956 Beteiligung am Ullstein-Verlag, erste Ausgabe der „Bild am Sonntag“, es folgen weitere Zeitungen und Zeitschriften. STAHL [urspr. Jolson], Friedrich Julius 88, 129 geb. 16. 1. 1802 Heidingsfeld bei Würzburg, gest. 10. 8. 1861 Bad Brückenau 1819 Konversion vom jüdischen Glauben zur ev.-luth. Konfession, 1826 PD München, 1832 Prof. für Staats- und Kirchenrecht Würzburg und Erlangen, 1840 Berlin, 1837 Vertreter der Universität Würzburg im Landtag, ab 1848 Abgeordneter der preußischen Ersten Kammer bzw. auf Lebenszeit berufenes Mitgl. des Herrenhauses, 1846 Mitgl. der preußischen Generalsynode, 1848–61 Präs. des DEKT. STALIN, Josef [Dschugaschwili, Josef Wissarionowitsch] 40 geb. 21. 12. 1879 Gori, Georgien, gest. 5. 12. 1953 nahe Moskau seit 1922 Generalsekr. des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, 1941–53 Vors. des Rates der Volkskommissare (seit 1946 Ministerpräs.) und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. STAMMLER, Eberhard 63, 205, 290f., 431, 443f. geb. 14. 8. 1915 Ulm, gest. 9. 1. 2004 Stuttgart 1938 Pfr. Blaubeuren, 1941–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1947–49 Redakteur beim „Sonntagsblatt“ Hamburg, 1949 Stadtjugendpfr. Stuttgart, 1950–55 Pressereferent der AGEJD, 1952–54 Chefredakteur der „Jungen Stimme“, 1958–67 Vors. des Jugendpolitischen Ausschusses der AGEJD, Mitgl. im Beirat für Innere Führung der Bundeswehr, 1958–72 CDU-Mitgl., 1964/65 stellv. Chefredakteur der Wochenzeitung „Christ und Welt“, Stuttgart, 1965–70 freier Publizist, 1970–83 Chefredakteur der Zeitschrift „Evangelische Kommentar“, Stuttgart. STERNSTEIN, Wolfgang, Dr. phil. 422 geb. 12. 3. 1939 Braunschweig 1973–75 wiss. Mitarb. der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung, West-Berlin,

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1976–80 und 1982–84 Vorstandsmitgl. im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, seit 1979 wiss. Mitarb. am Institut für Umweltwissenschaft und Lebensrechte Stuttgart, als Friedens- und Konfliktforscher aktiv in Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen. STÖHR, Martin 449, 455 geb. 1932 Singhofen an der Lahn Pfr. Wiesbaden-Amöneburg, 1961–69 Studentenpfr. Darmstadt, 1969 Ltr. der Ev. Akademie Arnoldshain, 1966–84 einer der Präs. des Deutschen Koordinationsrates der Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit, 1986–98 Prof. ST Gesamthochschule Siegen, 1995–2010 Vors. der Martin-Niemöller-Stiftung. STOLPE, Manfred 405, 471 geb. 16. 5. 1936 Stettin 1959–62 juristischer Konsistorialrat, Ltr. der Geschäftsstelle der KKL, 1969–81 Ltr. des BEK-Sekretariats, 1982–90 Konsistorialpräs. der Ostregion der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg, 1982 stellv. KKL-Vors., 1988 stellv. Vors. der EKU (Bereich DDR), 1990–2002 Ministerpräs. von Brandenburg, 2002–05 Bundesverkehrsmin. STOLTENBERG, Gerhard, Dr. phil. 347, 350, 411 geb. 29. 9. 1928 Kiel, gest. 23. 11. 2001 Bad-Godesberg 1944–45 Kriegsteilnahme und -gefangenschaft, 1955–61 Bundesvors. der Jungen Union, 1955 stellv., 1971 Landesvors. der CDU in Schleswig-Holstein, 1965–69 Bundesmin. für wissenschaftliche Forschung, 1971–82 Ministerpräs. von SchleswigHolstein, 1982–89 Bundesfinanzmin. STOPH, Willi 471 geb. 9. 7. 1914 Berlin, gest. 13. 4. 1999 Berlin 1931 KPD-Mitgl., 1935–37 Militärdienst, 1940–42 Kriegsdienst, 1950–89 Mitgl., 1950–53 Sekr. im Zentralkomitee der SED, 1953–89 Mitgl. im Politbüro, 1952–55 Min. des Inneren, 1956–60 Min. für Nationale Verteidigung, 1962–64 stellv. Vors. und 1964–73 Vors. des Ministerrates, 1963/64 Mitgl., 1964–73 und 1976–89 Vors. des Ministerrates. STRAUß, Franz-Josef 415 geb. 6. 9. 1915 München, gest. 10. 10. 1988 Regensburg ab 1961 Vors. der CSU, 1949–78 MdB, 1953 Bundesmin. für besondere Aufgaben, 1955/56 für Atomfragen, 1956–62 Bundesverteidigungsmin., 1966–69 Bundesfinanzmin., 1978–88 Ministerpräs. von Bayern. STROHM, Theodor, Dr. phil., Dr. theol. 323f. geb. 1933 1957 1. Theol. Examen, 1961–63 Studienltr. im Ev. Studienwerk Villigst, 1963–69 wiss. Ass. Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften Universität Münster, 1969/70 wiss. Rat und Lehrstuhlvertreter Heidelberg, 1970–77 o. Prof. ST und Sozialethik KiHo Berlin, Direktor des Religionssoziologischen Instituts, 1977–82 o. Prof. und Direktor des Sozialethischen Instituts Universität Zürich, 1982–85 o. Prof. PT/Gemeindeaufbau Heidelberg, 1985–2001 o. Prof. PT/Diakonik und Ltr. des Diakoniewissenschaftlichen Instituts Heidelberg. STRUNK, Reiner, Dr. theol. 261 geb. 30. 5. 1941 Düsseldorf

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1967–70 wiss. Ass. (ST) an der Ev.-Theol. Fak. Universität Tübingen, 1971–77 Vikar und Pfr. Stuttgart, 1977–86 Studienltr. im Württembergischen Predigerseminar, 1997–2003 Ltr. der Fortbildungsstätte Kloster Denkendorf. STUDNITZ, Hans-Georg von 197, 228, 358f. geb. 31. 8. 1907 Potsdam, gest. 16. 7. 1993 Rimsting/Chiemsee 1927 Kaufmännischer Angestellter Buenes Aires, Argentinien, 1928/29 New York und 1929–31 Berlin, 1932 Volontariat bei der Zeitung „Der Tag“, Berlin, 1933 NSDAP-Mitgl., 1934–39 Auslandskorrespondent für den Scherl-Verlag in Wien, Rom, Spanien, Indien, London, Nahost, und Den Haag, 1940–45 Referatsltr. in der Presseabt. des Auswärtigen Amtes, Berlin, 1945 freier Journalist, ab 1946 ständiger Mitarb. der Zeitungen „Die Zeit“, „Christ und Welt“, „Flensburger Tageblatt“ u. a., 1949 Gr. und Mithg. der Zeitschrift „Außenpolitik“, Hamburg, 1950 Chefredakteur der „Hamburger Allgemeinen Zeitung“, 1953–55 des „Hamburger Anzeiger“, 1955 Pressesprecher der Deutschen Lufthansa AG, ab 1961 stellv. Chefredakteur von „Christ und Welt“ (Ltr. des Ressorts Außenpolitik), Stuttgart, freier Schriftsteller und Kolumnist, u. a. für „Welt am Sonntag“ und „Bayernkurier“. SWOMLEY JR., John M., Dr. rer. pol. 97 geb. 31. 5. 1915 Harrisburg, USA, gest. 16. 8. 2010 Kansas City, USA 1944–52 Ltr. des National Council Against Conscription, 1953–60 Exekutivsekr. beim „Fellowship of Reconciliaton“, Engagement in der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, 1960–64 Mitarb. der Methodist Church’s General Conference Commission, 1964–70 Vorstandsvors. der American Society of Christian Ethics, 1960–84 Prof. für Christliche Sozialethik, Kansas City. TEUFEL, Fritz 167–169 geb. 17. 6. 1943 Ingelheim, gest. 6. 7. 2010 Berlin Polit-Aktivist und Autor, zuletzt Kurier. THIELICKE, Helmut, Dr. phil., Lic. theol. 41, 60, 180f., 286, 389, 411, 439f. geb. 4. 12. 1908 (Wuppertal-)Barmen, gest. 5. 3. 1986 Hamburg [PERSONENLEXIKON, 256] THIMME, Hans 241, 306f., 316, 320f., 360, 451 geb. 6. 6. 1909 Fallersleben/Wolfsburg, gest. 1. 4. 2006 Münster 1934 Hilfsprediger Bad Oeynhausen, 1935 Pfr. Sprenge, 1945 Ltr. der Pfarrerausbildung der westfälischen Landeskirche, 1947 Studiendirektor (Ephorus) am Predigerseminar Brackwede, später Soest, 1949 nebenamtlich Mitgl. der westfälischen Kirchenleitung, 1957 OKR und hauptamtlich Mitgl. der westfälischen Kirchenleitung, 1960 Vizepräs. der Ev. Kirche von Westfalen, 1969–77 deren Präs., 1968 Vors. der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst der EKD, 1969 Vors. des Abteilungsausschusses für zwischenkirchliche Hilfe, Flüchtlings- und Weltdienst des ÖRK, 1972–75 Vors. des Rates der EKU, 1973–79 Mitgl. des Rates der EKD. THOMA, Rolf Dietrich 283, 337 geb. 7. 4. 1936 Freiburg i. Br. 1963 Stadtvikar Lichenfels/Oberfr., 1967 Studiensekr. bei der ESGiD, Stuttgart, 1969–75 Sekr. der Arbeitsgruppe EKD-Synode, 1973 Berufsreferent in der Geschäftsstelle der Ev. Akademikerschaft in Deutschland, Stuttgart, 1975 Pfr. Berlin-Schlachtensee (Zehlendorf), 1995–2001 Gropiusstadt Berlin-Neukölln.

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THOMAS, Madathilparampil Mammen 84, 86f., 92, 239 geb. 1916. Pfr. Malabar, Indien 1962–75 Ltr. des Christian Institute for the study of Religion and Society, Bangalore, 1966 Vors. der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft, 1968–75 Moderator des ÖRK-ZA. TIETZ, Reinhard 167, 191, 201, 227, 283 geb. 1932 1964 Hilfsprediger der ESG Berlin (FU), 1965 kommunaler Pfarrverweser, 1966 Studentenpfr. Berlin (FU), 1968–70 Vors. der Studentenpfarrerkonferenz der ESG, Ltr. des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg, ab 1984 Pfr. Berlin-Wannsee. TÖDT, Heinz Eduard, Dr. theol. 83f., 101f., 104, 126–128, 143, 147, 150, 153, 159, 181, 192, 194f., 252, 254–256, 264–266, 269, 283, 291, 315, 337, 395, 445 geb. 4. 5. 1918, Wester-Bordelum, gest. 25. 5. 1991 Hannover 1939–50 Kriegsdienst und -gefangenschaft, seit 1952 Mitgl. der Marxismuskommission der Studiengemeinschaft der Ev. Akademien, 1957 Leitung des Ev. Studienwerks Villigst, seit 1961 Mitarb. der FESt, 1963–83 o. Prof. ST (Sozialethik) Heidelberg, seit 1966 Berater diverser ökumenischer Gremien für sozialethische Fragen, seit 1988 Mithg. der Werke Dietrich Bonhoeffers. TORRES, Camilo 97, 100, 102, 122, 125, 134, 211, 215, 250f., 258, 260, 280, 340 geb. 3. 2. 1929 Bogotá, Kolumbien, gest. 15. 2. 1966 San Vicente Chucurí, Kolumbien 1954 Priester, 1966 aktives Mitgl. der kolumbianischen Guerillabewegung „Ejércite de Liberación Nacional“. TREBLIN, Heinrich 258f. geb. 24. 2. 1911 Schmolz bei Breslau/Schlesien, gest. 22. 7. 2006 Alzey ab 1934 illegaler Pst. der BK in Schlesien, 1949–46 Kriegsdienst (Sanitäter) und -gefangenschaft, 1946–47 illegaler Wanderprediger Schlesien, 1947–54 nach Ausweisung Pst. Niesky, 1954–56 Pst. Heppenheim, 1956–74 Alzey, 1961 Mitbegr. der Arbeitsgemeinschaft für kirchliches Friedenszeugnis. TREULIEB, Jürgen, Dr. rer. pol. 282 geb. 1943 Bonn 1968/69 Vors. des AStA an der FU Berlin und SDS-Mitgl., 1972–74 Planer beim Gründungsausschuss der Universität Osnabrück, 1974–88 wiss. Ass., Hochschulass. im Sozialwissenschaftlichen Fachbereich Universität Osnabrück, 1983–87 Referent im Dienst der Bundestagsfraktion Die Grünen, ab 1987 Lehraufträge am OttoSuhr-Institut, FU Berlin, und der Universität Frankfurt/Oder. TRILLHAAS, Wolfgang, Dr. phil., Lic. theol. 10, 78 geb. 31. 10. 1903 Nürnberg, gest. 24. 4. 1995 Göttingen [PERSONENLEXIKON, 261] TROTZKI, Leo D. [Bronstein, Leo Dawidowitsch] 73, 129, 335 geb. 7. 11. 1879 Janowka, Ukraine, gest. 21. 8. 1940 Coyoacán, Mexiko 1905 Vors. d. St. Petersburger Sowjets, nach dessen Auflösung Haft, 1907 Flucht u. Exil, 1917 Rückkehr nach St. Petersburg, Vors. d. Sowjets, nach Oktoberrevolution Volkskommissar für Äußeres, 1918–1920 Kriegskommissar im russischen Bürger-

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krieg auf Seiten der Bolschewiki, 1926–1928 Ausschluss aus der Kommunistischen Partei der Sowjetunion u. Exil, 1940 Ermordung. (SCHULZ-)UELLENBERG, Gisela, Dr. phil. 340 geb. 20. 7. 1911 Krefeld bis 1941 Buchhändlerin, München, anschließend freiberufliche Journalistin, München, u. a. für die Süddeutsche Zeitung. UNFRICHT, Johann (Hans) 151f. geb. 18. 3. 1910 Illingen/Saar, gest. 22. 9. 1986 Saarbrücken 1935–38 Vikar Oberkassel/Bonn und Unterbarmen, 1939–45 Kriegsdienst, 1946– 79 Pfr. Fischbach/Saar. VELLMER, Erich 182, 336 geb. 24. 1. 1910 Hoheneiche, gest. 19. 11. 1990 Kassel 1936–37 Pfr. Kassel-Unterneustadt, 1941–45 Feldprediger Ostfront, 1937–54 Pfr. Solz nahe Fulda, 1955–57 Kassel-Wilhelmshöhe, 1957 Prälat und geistlicher Vertreter des Bischofs der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, 1963–78 Bischof der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck. VERNER, Paul 327 geb. 26. 4. 1911 Chemnitz, gest. 12. 12. 1986 Ost-Berlin 1929 KPD-Mitgl., 1936–39 Kriegseinsatz im spanischen Bürgerkrieg, 1939 Emigration nach Schweden, 1939–43 dort Internierung und Inhaftierung, 1946–49 Mitgl. im Zentralrat der FDJ, ab 1950 Mitgl. im Zentralkomitee der SED, 1964–84 Mitgl. des Politbüros, seit 1971 Mitgl. und 1981–84 stellv. Vors. des Staatsrates der DDR. VESTER, Michael 216f. geb. 1939 Berlin Engagement in der westdeutschen und nordamerikanischen Studentenbewegung, 1965 wiss. Ass. Institut für Wissenschaft TU Hannover, seit 1971 Prof. für Politikwissenschaft Hannover. VIEBIG, Joachim 351 geb. 1. 12. 1921 1952–83 Direktor des Staatlichen Forstamtes Eberbach, 1950 Kirchenältester, 1953 Mitgl. des Kirchengemeinderates Eberbach und Mitgl. der Synode des Ev. Kirchenbezirks Neckargmünd, 1960–90 Mitgl. der Synode der Ev. Landeskirche in Baden. VIERING, Fritz Christian, Dr. theol. 464f. geb. 1910, gest. 31. 12. 1979 1936 wiss. Ass. beim Ev. Bund, Berlin, 1938 2. Theol. Examen vor der westfälischen BK, 1939 Hilfsprediger und Pfarrstellenvertreter Dortmund-Barop, 1941 Kriegsdienst, 1943–62 Pfr. Hilbeck, 1947–62 Superintendent Hamm, 1957 PD ST Münster und Berlin, 1960–62 Mitgl. der westfälischen Kirchenleitung, 1962–70 Oberkonsistorialrat in der Kirchenkanzlei der EKU, Berlin, 1970–79 Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, Detmold, 1971–73 Ratsmitgl., stellv. Moderator des Reformierten Bundes, 1976 Vors. der Arnoldshainer Konferenz, stellv. Vors. des Ev. Bundes, Geschäftsführer der Gesellschaft für Ev. Theologie. VISSER’T HOOFT, Willem Adolf 47, 130, 151, 238 geb. 20. 9. 1900 Haarlem, Niederlande, gest. 4. 7. 1985 Genf 1924 Sekr. im Weltbund des Christlichen Vereins Junger Menschen, 1932 Generals-

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ekr. des WSCF, 1937 Generalsekr. des Vorläufigen Ausschusses, 1948–66 Generalsekr. des ÖRK. VOGEL, Dieter, Dr. phil. 191 geb. 1942 1967 Studentischer Obmann der ESGiD, West-Berlin, 1968 Mitgl. der Hochschulkommission der ESG in der BRD und Berlin (West), 1970 Mitgl. des Vertrauensrates der ESG. VOGEL, Meike, Dr. phil. 208 2001–04 wiss. Mitarb. und 2007–2011 wiss. Geschäftsführerin des Sonderforschungsbereichs „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ Universität Bielefeld, seit 2011 Koordinatorin der dortigen Exzellenzclusterinitiative „Communicating comparisons. From the onset of modernity to world society“. VOLTAIRE, François-Marie Arouet 432 geb. 21. 11. 1694 Paris, gest. 30. 5. 1778 Paris französischer Schriftsteller und Philosoph. VORSTER, Balthasar Johannes 428 geb. 13. 12. 1915 Jamestown, Südafrika, gest. 10. 9. 1983 Kapstadt, Südafrika 1961 Justizmin. der Republik Südafrika, 1966–78 Premiermin., bis 1979 weiter Staatspräs. der Republik Südafrika. WALDEN, Matthias [Baron von Saß, Eugen Wilhelm Otto] 302f. geb. 16. 5. 1927 Dresden, gest. 17. 11. 1984 Berlin 1942 Kriegsdienst, 1945 Volontär bei der Tageszeitung „Die Union“, 1950 Übersiedlung in die Bundesrepublik, Tätigkeit in der Pressestelle des Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen, Rundfunk-Kommentator beim RIAS Berlin, 1956–79 Kommentator und schließlich Chefredakteur beim SFB, ab 1965 Kolumnist für die Illustrierte „Quick“, 1980 Mithg. der Tageszeitung „Die Welt“, Engagement im Bund Freiheit der Wissenschaft. WALTHER, Christian, Dr. theol. 102, 152f., 194, 232, 247, 259f., 309, 356, 379. geb. 21. 2. 1927 Insterburg/Ostpreußen 1944–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, Fakultätsass. an der Universität Kiel, 1955 Sozialpfr. der Ev. Kirche im Rheinland, 1965 Exekutivsekr. beim LWB, Genf, 1966 PD für ST Universität Zürich, 1970 apl. Prof. ST Göttingen, 1974–92 Prof. für Ev. Theologie und Sozialethik Universität der Bundeswehr Hamburg. WALZ, Hans Hermann, Dr. jur. 150 geb. 3. 4. 1914 Essingen, gest. 4. 7. 1998 Fulda 1945 Mitarb. der Ev. Akademie Bad Boll, 1949 Sekr. in der Studienabt. des ÖRK, Genf, 1952–54 stellv. Direktor des Ökumenischen Instituts Bossey, 1954–81 Generalsekr. des DEKT. WEBER, Max 14, 345 geb. 21. 4. 1864 Erfurt, gest. 14. 6. 1920 München Soziologe, Nationalökonom, Kultur- und Sozialhistoriker sowie Jurist. WEINHAUER, Klaus, Dr. phil. 25 geb. 1964 1996–99 wiss. Mitarb. im Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg, seit

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2004 wiss. Mitarb. der Fak. für Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie Universität Bielefeld. WEISE, Hans 133 geb. 1917 1953–57 Mitarb. der Arbeitsgruppe Kirchenfragen im Zentralkomitee der SED, 1957–82 Hauptabteilungsltr. in der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen in der DDR. WEIZSÄCKER, Carl Friedrich Freiherr von 50 geb. 28. 6. 1912 Kiel, gest. 28. 4. 2007 Söcking 1933–36 Forschung in Leipzig, dann an den Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituten für Chemie und Physik, 1942–45 Prof. für Theoretische Physik Straßburg, 1946 Abteilungsltr. im Max-Planck-Institut für Physik Göttingen, 1957–69 Prof. für Philosophie Hamburg, Mitarb. der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, Mitinitiator und bis 1981 Ltr. des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, Starnberg. WEIZSÄCKER, Richard Freiherr von, Dr. jur. 61, 109, 116f., 299, 306, 322, 356, 396f., 422 geb. 15. 4. 1920 Stuttgart 1938–45 Militär- und Kriegsdienst, 1948/49 Rechtsanwaltsass. im Wilhelmstraßenprozess, 1950–67 verschiedene Positionen in der Wirtschaft, 1954 CDU-Mitgl., 1964–70 und 1979–81 Präs. des DEKT, 1969–84 Mitgl. der EKD-Synode, 1970– 84 Mitgl. des Rates der EKD und des ÖRK-ZA, 1969–81 MdB (CDU), stellv. Fraktionsvors. im Deutschen Bundestag, 1972–74 Vors. der CDU-Grundsatzkommission, 1975–84 CDU-Vorstandsmitgl., 1979–81 Bundestagsvizepräs., 1979–84 Mitgl. des Berliner Abgeordnetenhauses, 1981–84 Regierender Bürgermeister von Berlin, 1984–94 Bundespräs. WELLMER, Gottfried 361f., 428 geb. 1943 freier Journalist. WENDLAND, Gerhard 175, 289 geb. 22. 2. 1931 Krümmasel, Kreis Lüchow-Dannenberg 1955–57 Vikar Helsinki, 1957–59 Studieninspektor am Predigerseminar Loccum, 1959–66 Pfr. Bremerhaven, 1967–73 Studentenpfr. Frankfurt a. M., 1973–80 Studienltr. in der Ev. Akademie Arnoldshain, 1980–94 Pfr. Frankfurt a. M. WENDLAND, Heinz-Dietrich, Lic. theol. 62, 67, 70, 81, 83, 85, 88–91, 95, 101, 103, 103, 109, 126, 145f., 153, 157 geb. 22. 6. 1900 Berlin, gest. 7. 8. 1992 Hamburg [PERSONENLEXIKON, 272] WEST, Charles C. 126 geb. 1921 1947–50 Missionar in China, 1950–53 Fraternal worker der Presbyterian Church USA bei der EKD, 1956–58 Assistenzdirektor im Ökumenischen Institut Bossey, ab 1961 Prof. für Christliche Ethik Princeton. WETH, Rudolf, Dr. theol. 260 geb. 1937

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1963 wiss. Ass. Ev.-Theol. Seminar Universität Bonn, 1967–73 wiss. Ass. Ev-Theol. Seminar Universität Tübingen, 1973–2003 Direktor und Theol. Vorstand des Neukirchener Erziehungsvereins, Neukirchen-Vluyn. WIEDENMANN, Wolfgang, Dr. theol. 411f. geb. 6. 5. 1933 Hamburg 1964 1. Theol. Examen Göttingen, 1966 2. Theol. Examen und Ernennung zum Hilfsprediger Hamburg, 1966 Stipendiat, ab 1969 wiss. Ass. Fritz-Thyssen-Stiftung, Bonn, 1971 Studentenpst. Hamburg, 1978 Pst. Hamburg-Lurup, 1988–97 Theol. Referent am Pädagogisch-Theol. Institut Nordelbien, Hamburg. WILCKENS, Ulrich 153 geb. 5. 8. 1928 Hamburg 1953–55 Pfarrdienst, 1958 Dozent für NT Universität Marburg, 1960 Prof. für NT an der KiHo Berlin, 1968 Hamburg, 1981–91 Bischof des Sprengels HolsteinLübeck in der Nordelbischen Ev. Kirche. WILDBOLZ, Eduard, Dr. phil. 102f. geb. 7. 9. 1925 Wiedlisbach, Schweiz 1949 Schlussexamen und Ordination Basel, 1952–59 Pfr. Delémont, Schweiz, 1959–70 Studentenpfr. Eidgenössische Technische Hochschule u. Universität Zürich, 1970–71 City-Ministry Bern, 1966 Teilnehmer der Genfer Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft. WILKEN, Waldemar (Albert August) 231f. geb. 29. 8. 1910 Belgard/Pommern, gest. 31. 7. 1991 Hamburg 1938 Ordination Stettin, 1939 Hilfsprediger Groß Tetzleben/Pommern, 1939 Stettin, Pfr. Swinemünde, 1942 Pfr. Stettin, 1945 Altentreptow, 1946 Aushilfspfr. Golzwarden und Övelgönne/Oldenburg, 1947 Pfr. Hamburg, 1947–75 hauptamtlicher Ltr. des Ev. Männerwerks Hamburg, 1961 Ltr. des Amtes für Öffentlichkeitsdienst der Ev.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staate, 1967 Schriftltr. der Zeitschrift „Die Kirche in Hamburg“. WILKENS, Erwin 104, 127, 138, 149, 171f., 178, 277, 351, 355, 364, 366, 370, 373, 395, 397f., 401, 410, 425, 439, 441f., 447, 449–451, 453, 461f., 470 geb. 11. 7. 1914 Lingen/Ems, gest. 28. 1. 2000 1933 SA-Mitgl., nach wenigen Wochen Zwangsaustritt wegen kritischen Äußerungen über antijüdische Übergriffe, 1934 BK-Mitgl., 1938 1. Theol. Examen Göttingen, 1938–39 Vikariat Hannover, 1939 „Hospes“ am Predigerseminar des Klosters Loccum, 1939–45 Kriegsdienst, 1941 2. Theol. Examen Loccum, Hilfsprediger Hannover, 1943 Ordination Hannover, 1945–47 Pfr. Hannover und Vöhrum-Eixe, 1951–64 Theol. Referent und Ltr. der Pressestelle im Kirchenamt der VELKD, 1964–74 Referent für Öffentlichkeitsarbeit in der Kirchenkanzlei der EKD und Geschäftsführer der KföV., 1974–80 Vizepräs. der Kirchenkanzlei der EKD. WILM, Ernst 45, 54 geb. 27. 8. 1901 Reinswalde, gest. 1. 3. 1989 Lübbecke [PERSONENLEXIKON, 276] WIRSING, Giselher, Dr. rer. pol. 184 geb. 15. 4. 1907 Schweinfurt, gest. 23. 9. 1975 Stuttgart 1928 Reisejournalist für die Zeitschrift „Die Tat“, 1933 deren Schriftltr., 1933 Res-

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sortltr. (Politik), 1934 Chefredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“, ab 1938 Tätigkeiten für den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, 1940 NSDAPMitgl., 1943 Schriftltr., 1945 Chefredakteur der Auslandsillustrierten „Signal“ und Kriegsgefangenschaft, 1948 Mitbegr., 1954–70 Chefredakteur der Wochenzeitung „Christ und Welt“. WISCHMANN, Adolf 48, 323, 353, 356f., 374 geb. 17. 10. 1908 Brockel, Kreis Rotenburg an der Wümme, gest. 27. 10. 1983 Rotenburg an der Wümme [PERSONENLEXIKON, 277] WÖLBER, Hans-Otto Emil, Lic. theol. 173, 225, 228–230, 241, 273, 275, 286, 295, 301, 309–311, 315–317, 352, 389, 394f., 425, 440 geb. 22. 12. 1913 Hamburg, gest. 10. 8. 1989 Hamburg 1939 1. Theol. Examen, 1940 2. Theol. Examen Hamburg, 1940–45 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1941 BK-Mitgl., 1945 Landesjugendpst. Hamburg, 1954 Beauftragter der VELKD für Jugendfragen, 1955–63 Lehrbeauftragter für „Evangelische Jugendkunde“ Universität Hamburg, 1956 Hauptpst. Hamburg, 1959–64 Stellv. des Bischofs, 1964–83 Hamburger Bischof, seit 1961 Mitgl. der EKDSynode, 1967–70 Mitgl. des Rates der EKD, 1969–75 Ltd. Bischof der VELKD und Vors. der Luth. Bischofskonferenz. WOLF, Ernst, Lic. theol. 10, 124 geb. 2. 8. 1902 Prag, gest. 11. 9. 1971 Garmisch-Partenkirchen [PERSONENLEXIKON, 278f.] WOLF, Hans Heinrich 92 geb. 12. 5. 1911 Bethel, gest. 25. 8. 1987 Bochum 1947 Prof. für Ökumenische Theologie KiHo Bethel, 1955 Direktor des Ökumenischen Instituts Bossey und Prof. für Ökumenische Theologie Genf, Schweiz, 1966– 79 Prof. Bochum, 1969–79 Vors. des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses. WÜNSCHE, Waldemar, Dr. phil. 138 geb. 20. 1. 1904 Groß Kotzenau/Schlesien, gest. 24. 7. 1988 Bonn 1953–69 Regierungsdirektor im Bundespresseamt, Bonn. ZAHN, Friedrich von 42 geb. 1902 1949–67 Mitarb. im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen. ZAHRNT, Heinz, Dr. theol. 59, 223, 277, 313 geb. 31. 5. 1915 Kiel, gest. 1. 11. 2003 Soest 1933 Eintritt in den Pfarrernotbund, 1940–41 Ltr. des Ev.-Theol. Studienhauses Wien und wiss. Ass. Universität Wien, 1941–45 Kriegsdienst, 1945–46 Stadtpfr. Rosenheim, 1946–51 Studentenpfr. Kiel, 1950–75 theol. Chefredakteur beim „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“, 1960–99 Mitgl. im Präsidium des DEKT, 1971 Vorstandsmitgl. und 1971–73 Präs. des DEKT, seit 1975 freier Publizist und Schriftsteller. ZEDDIES, Helmut, Dr. theol. 464, 467f. geb. 11. 8. 1935 Rostock 1958–59 Vikariat Güstrow und Predigerseminar, 1959 Pfr. Kritzkow bei Güstrow,

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Personenregister

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1965 Theol. Referent im Luth. Kirchenamt Berlin, 1970 BEK, 1975 Ltr. des Luth. Kirchenamtes der VELKD (DDR) und Geschäftsführer des LWB-Nationalkomitees in der DDR, 1986 neben der Leitung des Luth. Kirchenamtes Sekr. der Theol. Kommission des BEK, ständiger Gast der KKL, 1989 stellv. Ltr. des BEK-Sekretariats, 1991 Ltr. des BEK-Sekretariats, 1991–99 Ltr. der EKD-Außenstelle Berlin. ZIEGENRÜCKER, Joachim 430 geb. 27. 1. 1912 Kiel, gest. 26. 11. 2008 Hamburg 1939 1. Theol. Examen Berlin, Engagement in der BK, 1940–45 wiss. Ass. für AT Friedrich-Wilhelm Universität Berlin, 1944 Ordination Berlin, 1945 Flüchtlingspfr. Fehmarn, 1946 Pst. Kiel-Gaarden, 1947–51 Banndesdorf, 1951 Studentenpst. Kiel, 1963–80 Ltr. der Ev. Akademie Hamburg, 1980–92 Bundesvors. der Ev. Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer. ZIESEN, Karl Kurt 277 geb. 2. 6. 1917 Lüdenscheid, gest. 1. 11. 1986 Lüdenscheid 1937 1. Theol. Examen Basel, 1940 2. Theol. Examen Basel, 1941–49 Kriegsdienst und -gefangenschaft, 1949 Pfarrdienst/Kirchendienst in der Synode von Lüdenscheid (als Vertretung), 1950 Pfarrdienst Kierspe (als Vertretung), 1950–66 Pst. Altenhundem, 1966–69 Pst. und 1969–79 Pfarrstellenvertreter Werdohl. ZILLESSEN, Horst, Dr. rer. pol. 363 geb. 23. 5. 1938 Jüchen 1963 wiss. Mitarb. im Sozialethischen Ausschuss der Ev. Kirche im Rheinland, Velbert, 1966–69 Referent für Politikwissenschaft am Sozialwissenschaftlichen Institut der Ev. Kirche im Rheinland, Velbert, 1970–80 Ltr. des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Bochum, 1980–86 Präs. Universität Oldenburg, seit 1986 Prof. für Umweltpolitik und Umweltplanung Oldenburg. ZÜHLKE, Undine 406–409 geb. 1944 technische Zeichnerin, 1974 Sozialarbeiterin, Ev. Pfarramt im Frauengefängnis an der Lehrter Strasse, Berlin-Moabit. ZWINGLI, Ulrich 283 geb. 1. 1. 1484 Wildhaus im Toggenburg, Schweiz, gest. 11. 10. 1531 Kappel am Albis, Reformator.

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Institutionen-, Orts- und Sachregister Institutionen, Zusammenschlüsse etc. werden jeweils unter Angabe des Ortes aufgeführt. 2. Juni 1967 15, 117, 162–183, 199, 293 17. Juni 1953 114, 216, 451 – vgl. auch Volksaufstand (DDR) – vgl. auch Kreisauer Kreis 20. Juli 1944 9f., 43, 99, 109, 148, 177, 235f., 314, 451, 462, 473 Aachen – ESG 177 Aarhus 413 Abtreibung 387 – vgl. auch Paragraph 218 Addis Abeba 320–322, 324, 326, 332, 355, 357, 370, 454, 461 Äthiopien 320 Afrika – Gesamtafrikanische Kirchenkonferenz 423f. – Gesamtafrikanischer Kirchenrat 423 Aktuelle Gespräche 188 Algerien – Krieg 68 Allchristliche Friedensversammlung 72, 144f. Allensbach – Institut für Demoskopie 32, 43, 183, 335 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (DDR) 329 Allgemeiner Studierendenausschuss/AStA 200, 218, 266, 282, 287, 429, 433 Allgemeine Zeitung 448 Amnestie 289 Amsterdam – vgl. ÖRK-Vollversammlung (1948) Angola 100, 144, 318, 374, 377 – Bürgerkrieg 426f., 454 – Movimento Popular de Libertação de Angola/MPLA 372, 427 – Sonntag 372–374, 384, 392 Anhalt – Evangelische Kirche 139 Ansätze 241 Anti-Apartheid-Bewegung 421–424 – vgl. auch Dritte-Welt-Gruppen Anti-Folter-Komitees 349, 421, 438, 472

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Institutionen- Orts- und Sachregister

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Apartheid 74, 298, 300, 354–363, 375, 383, 419–428, 445–459, 461–473, 477f. – vgl. auch Anti-Apartheid-Bewegung Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland/AGEJD 44, 155, 224, 300, 323, 427 – Studienreferat 244 Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst 372 Arbeitsgemeinschaft der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland/ARD 94, 183, 214, 281, 350, 438 Arbeitskreis Soziologie und Theologie/AST 141 Argentinien 430, 444 Arnoldshain – Evangelische Akademie 104, 120, 142, 146–148, 154f., 277f., 356, 372, 375, 421, 424, 446, 448, 457, 468 – Beschluss 298–314, 315–320, 322, 326f., 330, 351, 354 Asien 71f., 85, 87f., 150, 156, 241, 275, 371 Atlanta 200 Atomkrieg 86f., 98, 100f., 459 Atomwaffensperrvertrag 423 Augsburger Allgemeine 249 Auschwitz 20, 59, 164, 279 – Prozess 10, 56 Ausserparlamentarische Opposition/APO 155, 163f., 194f., 201f., 205, 207, 218, 234 Bad Boll – Evangelische Akademie 82, 183–195, 243, 262f., 289f., 294, 358, 421 Baden – Evangelische Kirche 196, 440 – Synode 111, 197, 235, 351 Bad Saarow 378, 391 Bangkok – Weltmissionskonferenz (1972) 392 – vgl. auch Mission Barmen 388, 391 Barmer Theologische Erklärung/Bekenntnissynode (1934) 37, 41, 118, 208, 274, 279, 365, 388, 391, 393, 439, 471, 473 Basel 37 Bauernkriege 121, 136 Bayer AG 360f. Bayern – Arbeitskreis „Macht und Gewalt“ des Landeskirchenrates 419, 478f. – Evangelische Kirche 38, 107f., 192, 251, 278, 348, 353, 373, 391f., 419, 421, 429, 438 – Jugendkonvent der Landeskirche 278 – Synode 111f., 324f. Bayernkurier 108, 415

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Institutionen- Orts- und Sachregister

Bayerischer Rundfunk 348 Befreiungsbewegungen 88, 97, 161, 298, 302, 307, 320, 323, 332f., 351, 354, 371– 373, 379–381, 393, 405, 418–427, 433, 440, 464f., 472f. Befreiungstheologie 21, 68, 82 Beirut – Konferenz über weltweite Zusammenarbeit in Entwicklungsfragen (1968) 247 Bekennende Kirche 9–11, 30, 36f., 56, 59f., 89, 108, 129, 178, 180, 190, 267, 310, 323, 410, 445, 450f., 462, 473f., 480f. Bekenntnisbewegung „Kein Anderes Evangelium“ 32, 65f., 98, 108–112, 115, 117f., 120, 123, 158f., 231, 237, 283, 323, 340, 351, 386f., 390, 393, 420f., 425, 442, 453, 472, 480, 482 – vgl. auch Bethel-Kreis – Düsseldorfer Grundsatzerklärung (1967) 118 Bensheim – Konfessionskundliches Institut 238 Beratergruppe von BEK und EKD 328, 399–406, 460–472 – vgl. auch Besondere Gemeinschaft Bergedorfer Gesprächskreis 291 Bergpredigt 23, 121, 368, 438, 482 Berlin – Ost 138f., 145, 172, 399, 402, 404, 405, 462 – West 16, 23, 33, 40, 82, 116f., 145, 162, 164, 167, 173, 177–181, 183f., 186, 189, 192f., 195–211, 219, 226, 242, 282f., 293, 301f., 311, 317, 336, 339, 341, 345, 374, 377f., 388, 391–398, 406–408, 447 – Dahlem 11 – Kreuzberg 285, 407, 418 – Moabit 281 – Justizvollzugsanstalt Moabit 406 – Neu-Tempelhof 213 – Neu-Westend 167-170 – Schlachtensee 409 – Schöneberg 169, 191, 201, 223 – Spandau 83f., 107, 134, 170, 271f., 274f., 355, 361, 388, 456 – Weißensee 142 – Zehlendorf 195 – Abgeordnetenhaus 202 – Evangelische Akademie 61, 105, 129, 131, 258, 418 – Evangelische Sammlung 117, 169, 237, 323 – Evangelisches Publizistisches Zentrum 95, 209 – ESG/FU 165, 170, 177, 201, 219 – ESG/Staatliche Ingenieursakademien 289 – ESG/TU 167f., 176 – Evangelisch-Theologisches Seminar/FU 308 – Europäischer Bekenntniskonvent (1974) 393 – Freie Universität/FU 11

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Institutionen- Orts- und Sachregister – Häftlingskollektiv 407–409 – Handgranatengesetz (1970) 303f. – Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche 303f.171, 175, 178, 236, 257, 276, 291 – Kirchenstreit 385–391, 393, 396, 406, 436, 471f., 122, 285, 288 – Kirchliche Hochschule (West) 40, 156f., 169, 190, 200, 219, 282, 447 – Kirchliche Hochschule (Ost) 136 – Kritische Universität 170, 219, 258 – Liberaler Hochschulbund 190 – Mauer 35, 45–49, 145, 172, 196 – Ökumene-Erklärung (1974) 393 – Ökumenisch-Missionarisches Institut 463 – Otto-Suhr-Institut (FU) 165 – Philharmonie 393 – Praktisch-Theologisches Ausbildungsinstitut/PTA 385–387, 408f., 471 – Republikanischer Club 164, 177, 197 – Senat 118, 186, 189, 191, 196, 198 – Staatsanwaltschaft beim Landgericht 408 – Technische Universität/TU 167, 190 Berlin-Brandenburg – Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit der Regionalsynode 139 – Evangelische Akademie 132 – Evangelische Kirche 36, 46, 130, 287, 325, 403, 408 – Regionalsynode (West) 42, 139, 233 Berliner Extra-Dienst 177, 424f., 434 Berliner Morgenpost 168, 227, 386, 407, 409 Berliner Sonntagsblatt. Die Kirche 32, 95, 97, 99, 167, 207, 223, 371, 440 „Besondere Gemeinschaft“ von BEK und EKD 464, 474 Bethel 58, 454f, – Kirchliche Hochschule 36, 166, 450 – Kreis 58–60, 65 Bewegung 2. Juni 341, 406, 412, 415 – vgl. auch Terrorismus Biafra/Nigeria – Konflikt (1967–1970) 241, 302, 305, 309, 323, 325, 380 Bild 33, 171, 196, 204, 207f., 312, 342–344, 348, 407, 409, 411, 415, 430, 438 Bildungskatastrophe 57 Black Power 140, 216f., 219, 223, 296 Bochum 20 – ESG 290 – Kollektiv 17 281 – Universität 197, 218, 220, 222, 337 Bonn 12, 48, 104, 137, 175, 232, 270, 290, 342, 366, 372, 411, 422f. – vgl. auch Bundesrepublik Deutschland – ESG 191, 202

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Institutionen- Orts- und Sachregister

– Fachschaft Evangelische Theologie 436 – Universität 11, 435 Bonner Rundschau 435 Bossey – Ökumenisches Institut 92, 133 Boykott 108, 115, 362, 376, 428, 446f., 456, 461, 473 Brasilien 72, 79f., 103, 221, 260, 314 Braunschweig 10, 179, 196 – ESG 434, 439 – Synode 233 Bremen 179, 196, 350, 357, 392 – Synode 233 Brot für die Welt 67, 183f., 311, 327, 392 Brüssel 167 Buckow 403 Bürgerrechtsbewegung 16, 74, 97, 126, 165, 170, 216–219, 222f. Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR/BEK – Arbeitskreis der Landesjugendkonvente 334 – Ausschuss „Kirche und Gesellschaft“ 461, 469 – Facharbeitskreis III „Ökumenische Diakonie“ der Ökumenekommission/FAK 332–334, 382, 394, 400, 403, 460–462, 465, 469 – Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen/KKL 327–333, 382, 398–404, 460–470 – Multiplikatorenkonferenz (ARP) 333 – Ökumenischer Jugenddienst 328, 330, 332f. – Sekretariat 33, 405, 464 – Theologische Studienabteilung der Gliedkirchen 461, 466, 469 Bundesgerichtshof 93, 162, 291 Bundeskongress Evangelischer Theologiestudenten (1977) 430 Bundesrepublik Deutschland/BRD – Auswärtiges Amt 210, 318 – Bundesanwaltschaft 340, 441 – Bundesinnenministerium 103, 290, 347, 442 – Bundeskriminalamt 340, 441, 473 – Bundespresseamt 138 – Bundestag 52, 62, 186, 210, 224f., 232f., 275, 288f., 292, 410, 416, 443, 450 – Bundesverfassungsgericht 356 – Bundeswehr 180f., 188, 232, 308 – Große Koalition 163 – Grundgesetz 113, 284, 292, 373, 402 – Strafänderungsgesetz 416 – Wiederbewaffnung 36f., 213, 216, 476, 481f. Burgscheidungen 138 Cabora-Bassa-Staudamm 299, 318f. – vgl. auch Mozambique

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Institutionen- Orts- und Sachregister

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Canterbury 320, 322 Cardiff 368, 370f. Celler Konferenzen 280–282, 290, 297 Cellesche Zeitung 43494, 218, 220 Chicago 220f., 376, 390, 405 Chile 270f., 374–376, 390, 405 – Solidaritätskomitees 374f. Volksrepublik China – Kulturrevolution 88, 101, 127, 220 Christen für den Sozialismus/CfS 417, 432, 444 – Delegiertenkonferenz 417 – Quebeck-Papier 433 Christian Kaiser Verlag 260 CDU 63, 202, 204f., 279, 342, 386, 415, 441f. CDU (DDR) 47, 131f., 134f., 138, 160, 327, 329, 331 CDU/CSU 185, 347, 395f., 442 – Evangelischer Arbeitskreis 347, 395f. Christliche Friedenskonferenz/CFK 22, 46f., 48, 72f., 76, 96, 109, 130–132, 143f., 146, 149f., 158f., 261, 267, 327, 332 – Beratungsausschuss 99f., 103 – Jugendkommission 144 – Jugendkommission/DDR 132, 142 – Regionalkonferenz/DDR 47, 143 – Theologische Kommission 99 Christliches Institut für das südliche Afrika/CISA 74, 355f., 360, 377, 428, 446 Christlich-jüdischer Dialog 56, 120, 267 Christlich-marxistischer Dialog 75f., 91, 97, 109, 120, 126, 128, 131, 137, 144, 158f., 261–271, 279, 296 – vgl. auch Paulus-Gesellschaft CSU 108, 415f., 443 Christ und Welt 32, 56, 66, 117, 167, 182, 184, 197, 219, 246, 249, 253, 255, 290f., 305, 315f., 320, 324, 344, 352, 369, 374, 387, 389–391, 426, 435, 450 Cottesloe 74 Dar-es-Salaam 445 Darmstadt 120 – ESG 120 Darmstädter Wort (1947) 36 – vgl. auch Bruderrat der EKD Demokratie 9–12, 17, 27, 29, 41, 50, 52–55, 57, 61, 113, 117, 132, 161, 164, 166, 76, 187f., 192, 196, 209, 220, 224, 226f., 231f., 234, 268, 272–274, 276, 282, 284, 286, 288, 294f., 312, 337, 365f., 376f., 385, 417, 419, 439, 473, 477–479 Demonstrationsrecht 166f., 226f., 230, 289, 295 Demoskopie/Meinungsumfrage 32, 43, 54f., 120, 182f., 204, 334f. Denkschriften der EKD – Aufgaben und Grenzen kirchlicher Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen

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Institutionen- Orts- und Sachregister

(1970) 258, 300 – Der Dienst der evangelischen Akademien im Rahmen der kirchlichen Gesamtaufgabe (1963) 52 – Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung (1962) 51 – Der Entwicklungsdienst der Kirche (1973) 363 – Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie (1985) 479 – Friedensaufgaben der Deutschen (1968) 106, 148, 471 – Friedensdienst der Kirchen (1969) 364f. – Gewalt und Gewaltanwendung in der Gesellschaft (1973) 363–370, 374–376, 379, 383f., 388, 410, 451, 462 – Handreichung „Zur Friedensfrage“ (1962) 46, 49 – Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn, „Ostdenkschrift“ (1965) 118, 149, 157, 159, 203 Detroit 216 Deutsche Christen/DC 11, 58, 60, 64, 92, 106, 111, 138, 153, 157, 159, 255, 279, 414, 443, 480 Deutsche Forschungsgemeinschaft 13 Deutsche Nationalbibliothek 86 Deutsche Demokratische Republik/DDR 12,15f., 20, 24, 32, 39–49, 10f., 129–145, 149, 155, 160, 174, 214, 216, 219, 246, 261, 271, 286, 325–335, 361, 381f., 391, 398–407, 421, 430, 457, 460–472, 476, 479f. – Afro-Asiatisches Solidaritätskomitee 333 – Informeller Mitarbeiter des MfS 132, 143, 164, 328 – Jugendweihe 38f. – Ministerium für Staatsicherheit/MfS 41, 130–133, 149 – Ministerrat 471 – Nationale Front 130, 470 – Spitzengespräch des KKL-Vorstandes mit dem Staatsratsvorsitzenden (1978) 460 – Staatssekretariat für Kirchenfragen 130, 133f., 331, 335, 400 – Wehrerziehung 460, 465 Deutscher Evangelischer Kirchentag 28, 31, 55, 58, 109, 150, 299, 423 – Berlin (1961) 56 – Dortmund (1963) 54–57, 456 – Düsseldorf (1973) 340, 423 – Hannover (1967) 108, 122, 114, 116f. – Köln (1965) 59–62 – Stuttgart (1969) 290f., 300f. – Ständiges Büro, Fulda 149, 290 Deutsche Presse-Agentur 208 Deutscher Herbst (1977) 385, 435–445, 448, 473, 482 – vgl. auch Terrorismus Deutscher Ökumenischer Studienausschuss 145 Deutscher Presserat 414f. Deutsche Welle 396, 399

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Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 32, 59, 113, 188, 207, 223, 246, 248f., 277, 291, 191, 305, 313, 321, 338, 343, 369, 414, 423, 425, 451 Deutsches Pfarrerblatt 32, 193f., 272, 415 Deutschlandfrage 35–49, 61f., 104, 152, 158 Deutschlandfunk 94f., 453 Deutsch-Namibianische Kirchenkonsultation 445f. Deutsch-Südafrikanische Gesellschaft 420 Deutsch-Südwestafrika 427 – vgl. auch Namibia Dominica 352 Dortmund 54–57, 60, 65, 118 Dresden 20, 143 Dritter Weg 37, 174, 216, 251 Dritte Welt 14–17, 26f., 48, 67f., 70, 72, 125, 129, 139, 148, 161, 183f., 215, 220– 222, 231, 238, 242, 252f., 258f., 284, 290, 296, 298, 300, 302, 305, 310, 338, 355–357, 362, 374, 381, 383, 405, 421, 425, 440, 456, 458, 472, 477f., 481 – Gruppen 298, 300, 356f., 362, 374, 383, 421, 472 Drittes Reich 18, 57, 114, 184, 323, 348, 450 – vgl. auch Nationalsozialismus Düsseldorf 118, 152, 198, 340 – Haus der Diakonie 234 Duisburg 422 Ecumenical Review 88 – vgl. auch Ökumenische Rundschau Eisenach – Evangelische Akademie 136 – Friedenswort der EKD (1948) 105, 158, 309 – Kirchenversammlung (1948) 12, 36 Entkirchlichung 14, 17, 19, 27, 54f., 157, 225, 286, 295, 322, 380, 479, 482 Entwicklungshilfe 67f., 122, 136, 147, 271, 275, 284, 300f., 313, 380, 393 Entwicklungsländer 15, 46, 84, 90, 92, 102, 183, 193, 202, 239f., 250 Entwicklungspolitik 66f., 70, 88, 102f., 116, 126, 142, 159, 264, 272f., 290, 292, 300, 372 Erlangen 9, 108, 293, 452 Erneuerung und Abwehr 32, 388 – vgl. auch Nachrichtendienst der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher Eschatologie 11, 14, 37, 72, 76–78, 83f., 93, 124, 153, 158, 185, 233, 238, 257, 259, 268, 337 Essen 197 Esslingen 197 Establishment 122, 178, 231, 238, 242, 270, 295f., 369 Eutin 307, 313f. Evangelikale 31, 59, 66, 323, 378, 385, 387f., 390, 392, 400, 427f., 456f., 471 – vgl. auch Bekenntnisbewegung „Kein Anderes Evangelium“ Evangelische Akademien 40, 104, 109, 147, 264

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– Studiengemeinschaft 28, 30, 33, 40, 52, 64, 128, 130, 136, 185, 262, 292, 362, 420f., 440, 472 Evangelische Akademikerschaft in Deutschland/EAiD 108, 208–210, 258, 283, 285, 288f., 295, 297, 343, 348 – Landesverband Baden 283, 288, 291 – Landesverband Berlin 227 Evangelische Frauenarbeit in Deutschland 147, 446f., 473 – Früchteboykott 446f., 461 Evangelische Kirche der Union/EKU 39–41, 45, 326 – Kirchenkanzlei 135, 460 – Ökumenischer Ausschuss 139f. – Rat 414 – Synode (1959) 45 – Synode (1968) 189, 193 – Synode (1974) 388f. Evangelische Kirche in Deutschland/EKD – Ausbildungsreferenten der Gliedkirchen 336 – Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesregierung 42, 229, 300f., 318f., 342, 369 – Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Regierung der DDR 286 – Bruderrat 36f., 50, 59, 223, 481 – Diakonisches Werk 302, 304 – Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 277 – Firmengespräche 357–363, 376, 392, 394, 428, 446 – Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst 271, 307, 355, 363, 372, 375, 449, 475 – Kammer für öffentliche Verantwortung 51, 63, 104, 106, 148–150, 160, 163, 171, 192, 226f., 289, 309, 322, 355, 363–370, 379, 383, 388, 410, 418, 436, 441, 451, 462, 473, 478 – Kammer für publizistische Arbeit 210, 285 – Kammer für soziale Ordnung 51, 82, 147, 288, 428 – Kirchenkanzlei, Hannover 33, 67, 81, 130, 133, 138, 149, 171, 176, 181, 227, 275f., 289, 305, 316f., 336, 361, 363, 372f., 378, 389, 395, 397, 402, 414, 431, 439, 441, 448, 453, 458, 461 – Kirchenkanzlei, Berliner Stelle 130, 399, 404, 462 – Kirchenkanzlei, Bonner Stelle 104 – Kirchenkanzlei, Referentenkollegium 430 – Kirchenkanzlei, Studiengruppe Südliches Afrika 122 – Kirchliches Außenamt 33, 48, 82, 92, 95, 105, 132, 146, 151, 160, 237, 246, 248, 299, 316, 351, 353f., 356, 373, 424, 426., 446, 451, 456–459, 468 – Männerarbeit 169 – Ökumene-Referenten der Gliedkirchen 104, 135, 147, 150, 152, 324, 334, 356 – Ostkirchenausschuss 63 – Publizistisches Sachverständigengremium für Fragen der Entwicklungspolitik und des Kirchlichen Entwicklungsdienstes 372

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– Rat 50, 52, 62, 82, 95, 103f., 107f., 129, 225–229, 276–278, 286, 288f., 292, 295, 297, 307–309, 315, 318–323, 354–359, 363, 366, 374f., 377, 381–384, 394–396, 398f., 402, 404, 407, 410f., 414, 417f., 423, 428, 430, 439–441, 446– 451, 454–457, 462, 465, 473 – Sozialwissenschaftliches Institut, Bochum 271, 299, 363 – Synode (1956) 38 – Synode (1958) 12 – Synode (1959) 42 – Synode (1960) 42 – Synode (1961) 46 – Synode (1963) 58 – Synode (1965) 62 – Synode (1966) 64, 66, 83, 129f. – Synode (1967) 106–108, 110, 158 – Synode (1968) 271–276, 296, 322 – Synode (1970) 302, 323 – Synode (1971) 321–324, 395 – Synode (1972) 355, 357 – Synode (1973) 357f., 360, 401 – Synode (1974) 361, 396, 408f. – Synode (1976) 428 – Synode (1977) 440 – Synode (1978) 453–455 – Synode (1979) 456f. Evangelische Kommentare 32, 180f., 205, 240, 244, 256, 368, 378, 402, 421, 427, 443, 456 Evangelischer Missionsverlag 118 Evangelischer Nachrichtendienst in der DDR/ENA 32, 130, 246, 403 Evangelischer Pressedienst/epd 32, 130, 134, 154, 188, 196, 204, 229, 236, 241, 320, 324, 328f., 349, 353, 394f., 398, 420f., 437, 450 Evangelisches Gemeindeblatt an der Saar 237 Evangelisches Pfarrerblatt 137 Evangelische Studentengemeinde in der DDR 332 – Geschäftsstelle, Ost-Berlin 142 Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik und Berlin-West 33, 173, 175, 227, 241f., 289, 293, 336, 387, 389, 413, 417, 440 – Arbeitskreis für Mission und ökumenische Beziehungen 242 – Arbeitskreis „Gewalt“ 283f., 318, 336–339 – Delegiertenkonferenz 336, 339, 389, 417 – Geschäftsstelle, Stuttgart 150, 174, 232, 283, 337 – Hochschulkommission 191 – Theologische Kommission 413 Evangelische Studentengemeinde in Deutschland/ESGiD 44f., 105, 130, 142, 150f., 172–175 – Delegiertenkonferenz 45, 174

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– Hochschulkommission 175f. – Vertrauensrat 174 Evangelische Theologie 32, 124 Evangelische Zeitung 439 Evangelisch-Reformierte Kirche in Nordwestdeutschland 351 Evanston – vgl. ÖRK-Vollversammlung (1954) Evian – vgl. LWB, Vollversammlung (1970) Exegese 11, 37, 57–59, 106, 110, 117, 127, 159 Fachzeitschrift des Vereins Deutscher Volksbibliothekare 253 Feindesliebe 128, 177, 418 Feltrinelli Editore 257 Fernsehen 20, 29, 31, 33, 53, 61, 94f., 112, 151, 163, 180, 196, 202, 207, 214, 235, 246, 276, 347, 405, 414 – vgl. auch Rundfunk Fernsehstreit 53 Finkenwalde – Predigerseminar der BK 11 Fischbach/Saar 151 Flensburg 341 – Probsteisynode 350 Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft/FESt, Heidelberg 83, 150, 283, 436, 448 Frankfurt/M. 10, 56, 65, 148, 175f., 182, 196, 200, 202, 213, 227, 253, 258, 290, 304, 344, 346, 386, 393, 423 – Evangelisches Jungen- und Jungmännerwerk 202 – ESG 183 – Stadtjugendpfarramt 202 Frankfurter Allgemeine Zeitung 33, 73, 103, 154, 166, 204, 210, 222, 246–248, 305f., 347, 349, 358, 361, 375, 377, 414, 430, 436, 478 Frankfurter Rundschau 33, 204, 207, 224, 313, 437 Frankfurter Schule 89, 183 Frankreich 262 – Zentralkomitee der Kommunistischen Partei 266 Freiburg i. Br. 196, 235, 290 FDP 416 – Thesenpapier „Freie Kirchen im freien Staat“ (1973) 373, 375 Freiheitliche Demokratische Grundordnung 113, 417 Freikirchen 133, 224 Freiwilligenkirche 480 Friedensbewegung 47, 205 – vgl. auch Ostermärsche, Kampagne für Frieden und Abrüstung, Kampf dem Atomtod-Bewegung Friedenskirchen 12, 259

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Friedensnobelpreis 74, 216f. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 121 Fürstenwalde 107 Fulda 290 Furche-Verlag 258 Gaudium et spes 68, 82–84, 146 Gefängnisseelsorge 406–408, 415 Geheime Staatspolizei/Gestapo 115, 211, 344, 407 General-Anzeiger 282 Genf 16, 36, 44, 70, 76, 70, 81, 82, 86f., 91, 94–96, 98–106, 109, 111f., 116, 118, 120, 123, 125, 127, 129–137, 139f., 142, 144–148, 150–154, 156f., 161, 185, 192–194, 215, 218, 237–239, 243, 246f., 253, 265, 284, 294, 300, 307, 309, 312, 315–317, 319, 322, 326, 329, 332, 351–353, 356, 370, 373, 378, 381, 392–396, 398, 400, 402f., 447–455, 460–462, 466, 468f., 471, 474 – vgl. auch Ökumenischer Rat der Kirchen/ÖRK Gerechte Revolution 100, 158, 266, 272, 296, 315, 365, 445, 447, 449–452, 477 Gerechter Krieg 87, 98, 100f., 117, 140, 148f., 158, 255, 266, 346f., 449f., 452 Gesamtkonferenz Evangelischer Seelsorger 229 Geschichtstheologie 73, 83f., 92, 97, 102, 125, 127, 138, 143, 157f., 160, 231, 239, 254, 296, 425, 480 Gewaltfreie Aktion 165, 370, 375 Gewaltfreie (Direkte) Aktion 165f., 170, 182, 202, 217–219, 258–260, 267, 291, 293, 296, 317, 357f., 360, 365f., 370, 375–377, 428, 434, 473, 477 – vgl. auch Ziviler Ungehorsam Gewaltmonopol 17, 26, 295, 308, 337, 365, 369, 450 Ghana 68 Göppingen 186 Görlitzer Kirchengebiet – Provinzialsynode 330 – vgl. Schlesien, Evangelische Kirche Göttingen 10, 288, 301, 429f. – ESG 176, 413 – Katholische Studentengemeinde 413 Gossner Mission 133, 137 Gottesdienststörungen 178–182, 196, 215, 293 Gott-ist-tot-Theologie 59f., 279, 281 Greifswald – Evangelische Kirche 141f. Griechenland 145, 388 – Militärputsch (1967) 177, 186 Großbritannien 22, 403 Guatemala 257 Guerilla 16, 90, 97, 100, 122, 127, 140, 153, 157, 162, 184, 186, 192, 205, 214f., 221, 240, 242, 250–252, 296, 298, 302f., 308, 311f., 314f., 324, 421, 423, 427, 450, 452

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Gütersloher Verlagshaus 259 Guinea 68 Gummersbach 208 Hamburg 33, 153, 180f., 251, 286, 301, 335, 340, 349, 352, 389, 396, 443 – Evangelische Akademie 430f. – Altonaer Bekenntnis (1933) 208f. – Altonaer Blutsonntag (1932) 209 – Evangelische Kirche 173, 175, 225, 228f., 241, 295, 352, 373, 440 – ESG 224, 228f., 389, 411f., 472 – Institut für Sozialforschung 34 – Synode 232f. Hamburger Abendblatt 285–288 Hannover – Evangelische Kirche 11f., 152, 292, 311, 352, 356, 392, 413 – ESG 29, 311f., 413, 433f. – Technische Universität 433 – Synode 233, 315 Hannoversche Allgemeine Zeitung 434 Havanna – Trikontinentale Konferenz (1966) 162 Heidelberg 150, 164, 174, 181, 194, 242, 253, 283, 361, 346 – Diakoniewissenschaftliches Institut der Evangelisch-Theologischen Fakultät 123 – ESG 176, 181, 337f. – Sozialistisches Patientenkollektiv 338f. – Universität 36, 82–84, 123, 128, 266, 283, 287, 388, 417f. Heilsarmee 453 Heimzöglinge 304 Helgoland 182 Helsinki 453 – KSZE-Schlussakte (1975) 331, 425 Heraklion 145 Herder-Korrespondenz 82, 368 Hessen und Nassau – Evangelische Kirche 154, 204, 312f., 315, 349, 351, 378f., 399, 419 – Evangelisches Mädchenwerk 202 – Politischer Arbeitskreis der Evangelischen Jugend 202 – Synode 111, 233, 310f., 314f., 319 Hessischer Rundfunk 397, 438 Hirsau 290 Hirtenwort 182, 336 Höchst/Odenwald 174, 389 Hofgeismar – Evangelische Akademie 421 Hungerstreiks 167f., 170, 340, 400–408, 434

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Hussiten 121 Informationsbrief der Bekenntnisbewegung „Kein Anderes Evangelium“ 32, 66, 110, 118, 237 Informationsdienst der Evangelischen Allianz/IDEA 32, 388f., 394, 428 Internationale Dialog Zeitschrift 262, 269 Internationaler Versöhnungsbund 96f., 267 Investitionen 67, 355f., 358, 360, 383, 403, 421, 428, 446, 449, 469 Israel 371, 387 – vgl. auch Olympische Spiele (1972) Italien 257, 262 Itzehoe 390 Jamaika 455, 465 Jemen 415 Jom-Kippur-Krieg (1973) 377 – vgl. auch Ölkrise Jubel-Perser 164, 168 – vgl. auch Persien/Iran „Judenfrage“ 56, 445 Junge Kirche 30, 32, 96, 98, 102, 109, 165, 223f., 244, 271, 295, 328, 342, 348, 368, 376, 410, 438 Junge Kirchen 68, 70, 72, 156, 455 Junge Stimme 32, 251f., 283, 343f. Kaiserslautern 342–344 Kampagne für Frieden und Abrüstung 205f. – vgl. auch Friedensbewegung, Ostermärsche Kampf dem Atomtod-Bewegung 267 – vgl. auch Friedensbewegung Kapitalismus 9, 11, 17, 66, 70, 161, 174, 186, 246, 268, 274, 280, 282, 284, 326, 335, 355, 381–381–383, 390, 444, 469 Kapstadt 425 Karlsruhe 64, 434 Kassiber 409, 414–416 Katholische Kirche 12f., 14, 19–22, 33, 37, 43, 52, 54, 68, 75f., 79, 82f., 87, 94, 97, 100, 109, 112, 114, 119, 134, 146, 157, 187, 212, 225, 247, 250, 253, 258, 260, 265, 267, 269, 279, 286, 296, 342, 344, 349, 368, 481 – Bund der Katholischen Jugend 372f., 427 – Deutsche Bischofskonferenz 372, 439 – Lehramt 83, 103 – Studentengemeinden 375, 413 – Zentralkomitee der Deutschen Katholiken 417 – Zweites Vatikanisches Konzil (1962–1965) 21f., 54, 68f., 73, 82f., 95, 119, 157, 478 K-Gruppen 335, 42, 429, 477 Kaufhausbrände 167, 200, 213, 258, 344 Kiel 335, 421, 429, 477

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Kingston 455–457, 466, 468 Die Kirche 404 Kirche im Sozialismus 334 – vgl. auch Pro-Existenz Kirchenkampf 9, 11, 36f., 57f., 66, 89, 102, 106, 108, 111, 113, 178, 182, 209, 212, 231, 259, 279, 294, 310, 323f., 380, 388, 417, 420, 451, 456, 473, 481 – vgl. auch Bekennende Kirche – vgl. auch Deutsche Christen Kirchenprovinz Sachsen 136, 330 Kirchensteuer 16, 27, 31, 119, 287f., 299–302, 305, 308, 310–312, 314–316, 318f., 324, 329, 351, 353f., 357, 359, 373, 380, 383f., 392, 396, 421, 455, 476 Kirche und Mann 20, 32, 169, 253 Kirchliche Bruderschaften 36, 42, 47, 99 ,124, 308, 381, 473 – Rheinland 253 Kirchliche Hilfswerke 302 Kirchliche Jugendwerke in der DDR 67, 142, 183f., 302, 311, 327, 392 Kitwe 74 Klassenkampf 101, 256, 328, 330f., 390, 413, 425 Köln 59–61, 279f., 319, 344, 350, 390, 437f. – Antoniterkirche 279 – ESG 174, 176 – Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf 340, 389 Kölnische Rundschau 349, 444 Königstein/Taunus 446 Koexistenz 44, 46, 49 Kolonialismus 44, 46, 49, 68, 72, 99f., 161f., 308, 318, f., 371, 374, 379, 381, 427, 452 – vgl. auch Dekolonialisierung Kolumbien 79, 97, 103, 214, 248, 250 Kommune I 167f., 223 Kommunismus 13, 17, 22, 43, 50. 64, 70–72, 97, 100f., 108–110, 112f., 115, 138, 143, 172, 174, 187, 219, 222, 257, 262–264, 266f., 296, 305f., 317, 331, 333, 398, 426, 430, 462, 482 Kommunistische Partei der Sowjetunion 11, 40, 132, 261 Kommunistischer Bund Westdeutschland 390 Konferenz der Evangelischen Rundfunk- und Fernseharbeit 276 konkret 281f. Konservative Revolution 61 Konservativ heute 32, 388 Kontextualismus/Situationsethik 77, 79, 85, 102 Konvent Bekennender Gemeinschaften 392f. – vgl. auch Evangelikale Konzentrationslager 10, 20, 56, 59, 164, 279 Koreakrieg 36 Kreisau

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– Kreis 123f., 450 – vgl. auch 20. Juli 1944 Kriegsdienstverweigerung 267, 361, 364 Kuba 162, 426f. – Krise 31, 48, 156 – Revolution 72 Ku-Klux-Klan 217 Kurhessen-Waldeck – Evangelische Kirche 182, 336 – Synode 233 Laepple-Urteil 162, 291f. – vgl. auch Gewaltfreie (Direkte) Aktion – vgl. Rote-Punkt-Aktionen Landtagswahlen 204, 235 Lateinamerika 16, 19, 22, 48, 72f., 80, 82, 85–88, 90f., 96, 99–101, 103, 103, 116, 122, 125f., 128, 155, 157f., 214f., 223, 250, 252, 256, 258–260, 270, 275, 280, 292, 294, 303, 313, 317, 371, 413, 444, 481 Leipzig 136, 154 – Kirchliche Hochschule 136 Leverkusen 360 Liberaler Hochschulbund 190 Linksprotestantismus 34, 36, 62, 108, 110, 115f., 157, 161, 174, 197, 290, 294, 296, 345, 385, 476f., 480f. Lippe – Evangelische Kirche 464 Loccum – Evangelische Akademie 291f. – Kloster 457 London 216 – Rhodesienkonferenz 457 Ludwigsburg 233f. Lutherische Monatshefte 32, 102, 236, 247, 275, 369, 428, 431, 439 Lutherischer Weltbund 102, 112, 131, 307, 445, 447 – Theologische Kommission 112, 257 – Vollversammlung (1970) 331 – Vollversammlung (1977) 445 Lückendorf 334 Magdeburg – Evangelische Akademie 136 Mainz 117 – Arbeitskreis Südliches Afrika 354f., 358, 377, 421f., 450 – ESG 183, 195 Mannheimer Morgen 249f. Maoismus 127, 335, 393

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Marburg 336, 386, 462 – ESG 175f., 202 Marienbad 109, 117, 128 Martyrium/Märtyrer 11, 102, 114, 125, 132, 134, 215, 223, 250, 324, 341, 442 Marxismus 11, 14f., 40, 61, 73, 75–77, 88, 91, 97, 100, 109, 116 115f., 120–122, 126, 128f., 131, 136f., 139f., 143f. 150, 158–160, 169, 174, 187, 214, 222, 254, 261–271, 273, 279, 296, 343f., 349f., 382, 386, 389, 411, 413, 422, 444, 449f., 452, 464, 470, 480f. Marxismuskommission der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien 40, 104, 109, 147, 263f. Massenmedien 29f., 119, 157, 276, 296, 304, 380, 392, 448 Massenvernichtungswaffen 98, 100 – vgl. auch Atomkrieg Medialisierung 20, 27f. Meißen – Evangelische Akademie 136 Memphis/Tennessee 216 Menschenrechte 166, 308, 327, 329–331, 366, 371. 374, 382, 391, 394, 396, 400, 403–405, 422, 425f., 472, 476, 479 Merkur 339 Mescalero-Affäre 429f., 434–436 – vgl. auch Sonnenberg-Brief Michelau 112 Milieu 22, 30, 54f., 174, 290, 389, 421, 430, 442, 447 Militärseelsorgevertrag 39, 199, 229 Mindolo – Konsultation 74, 86, 307f. Mission/Missionierung 68f., 79, 242, 354, 358, 378, 392f., 442, 452, 463 – vgl. auch Bangkok Moderne Theologie 57–66, 110–113, 116f., 147f., 173, 204, 237, 259, 293, 301, 340 Mönchengladbach 265 Montevideo 296 Moskau 67, 72, 153, 210, 423 Mozambique 99f., 318, 371f., 374 – Befreiungsfront/FreLiMo 99f., 318, 371f., 374 München 13, 75, 148, 195, 200–202, 235, 302 – Gespräch 315–318, 320, 359f. – Ludwig-Maximilians-Universität 13, 166, 213, 463 – Olympische Spiele (1972) 351, 387 Münchener Merkur 251, 324, 438 Münster 201 – ESG 176 – Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften 81 – Universität 19, 62, 67, 95, 153, 177

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Nachrichten der Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher 32, 388 – vgl. auch Erneuerung und Abwehr Nächstenliebe 124, 137, 215, 241, 250, 277, 280, 294, 425 Nairobi – vgl. ÖRK-Vollversammlung (1975) Namibia 421, 423, 427, 445, 450 – vgl. auch Deutsch-Südwestafrika – South West Africa People’s Organization/SWAPO 423, 427, 450, 453 – Woche 427 NPD 63, 66, 204 Nationale Revolution 108 – vgl. auch Nationalsozialismus Nationalismus 35, 60, 62, 65, 68, 149, 157, 172, 480 Nationalprotestantismus 62f., 110 – vgl. auch Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher Nationalsozialismus 9, 11, 20, 63, 83, 89, 113, 157, 180, 192, 212, 294, 309, 323f., 402, 447, 451, 455, 480 – vgl. auch Drittes Reich Naturrecht 122, 263, 365, 449 Naumburg – Kirchliche Hochschule 136, 139 Nazareth 293, 370 Neu Delhi – vgl. ÖRK-Vollversammlung (1961) Neudietendorf 135 Neue Politik 304 Neues Forum 262 Neue Stimme 438, 455 – vgl. auch Stimme der Gemeinde Neue Zeit 134, 329 Neukirchen 330 New York 121 Niederlande 47, 145, 151, 253, 274, 391, 447f., 458 Niederländisch-Reformierte Kirchen 74 Nienburg – ESG 339 Nigeria 88, 302 – vgl. auch Biafra Norddeutscher Rundfunk 287, 349, 375, 407, 410, 450 Nordfriesland 83 Nordirland 361, 371 Nordvietnam 184, 401 – vgl. auch Vietnam Nordwijkerhout 458

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Nordatlantikpakt/NATO 98, 318, 403, 427 – Doppelbeschluss (1979) 459, 470f., 482 Nordelbien – Evangelische Kirche 445, 447 Nord-Süd-Konflikt 35, 48, 69, 72, 75, 99, 133, 378, 456, 479 Norwegen 148, 242, 253, 391 Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher/Evangelische Notgemeinschaft 32, 64, 66, 108–111, 115f., 118, 172, 188, 192, 325, 351, 359, 377, 388, 421, 452 Notstandsgesetze 163, 174, 176, 232, 284 Notstandspastoren 232 Nürnberg 10, 33 – Arbeitskreis der Evangelischen Industriejugend und Berufsschülerarbeit 348 Nürnberger Zeitung 249 Nürtingen 261 Nukleare Zusammenarbeit, Bundesrepublik Deutschland – Republik Südafrika 423– 425 Oberlausitz – Ökumenischer Arbeitskreis 141 Obrigkeit/Staat 9–11, 21, 35, 46, 98, 119, 139, 152, 156, 162, 166, 204, 209, 250, 272, 295, 308, 345, 365f., 381, 386, 439, 450, 452, 464, 468, 473, 480f. Obrigkeitsstreit 38–46 Öffentlichkeitsauftrag 12, 27, 29, 49, 118, 157 Ökumenischer Leiterkreis der Akademien in Deutschland 354 Ökumenischer Rat der Kirchen/ÖRK – Antimilitarismusprogramm 460 – Antirassismusprogramm/ARP 16f., 24, 31, 298, 304–435, 337f., 343, 349, 351–364, 367f., 370f., 374f., 377, 381–385, 388, 391–440, 414, 419–428, 431, 440f., 445–482 – CCIA-Landesgruppe 48, 104, 127, 143, 150, 252, 254 – Exekutivkomitee 238, 298f., 325, 378, 391, 422, 453, 457 – Jugendabteilung 91 – Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten/CCIA 47 – Kommission für Zwischenkirchliche Hilfe, Flüchtlings- und Weltdienst, Handeln 306 – Multiple Strategien 238, 298f., 325, 378, 391, 422, 453, 457, 322, 355, 360, 394f., 447 – Referat „Kirche und Gesellschaft“ 70, 78, 80, 84, 132, 321, 368, 370 – Sekretariat für Rassische und Ethnische Beziehungen 74 – Sonderfonds des ARP 298, 300, 302, 307–310, 314f., 318f., 321, 324f., 327, 329, 343, 351–354, 356f., 359f., 363, 370, 372, 375, 380–384, 388, 391–399, 410, 419f., 422f., 425–427, 451–458, 461f., 466, 469, 471, 473 – Stab 36, 70, 76, 78, 81f., 87, 132, 145, 147, 156, 192, 237, 240, 243, 300, 307, 312, 315–317, 319, 322, 332, 351, 353, 359, 378, 380f., 447f., 450, 452– 455, 461, 471 – Vollversammlung/Weltkirchenkonferenz (1948) 70, 455

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– Vollversammlung/Weltkirchenkonferenz (1954) 70 – Vollversammlung/Weltkirchenkonferenz (1961) 47, 69–72, 81, 378 – Vollversammlung/Weltkirchenkonferenz (1968) 93, 106, 110, 118, 138f., 142, 145, 152, 159, 194, 224, 229, 237–252, 271, 277f., 296 – Vollversammlung/Weltkirchenkonferenz (1975) 396, 405f., 423, 425–427, 460 – Zentralausschuss 47, 73, 78, 145, 155, 239, 298, 320–322, 326, 351–353, 355–357, 360f., 368, 371, 374, 377, 384, 390, 395f., 402, 455, 458, 465f., 468 Ökumenische Rundschau 32, 85, 92, 101, 118, 127, 136, 143, 194, 379 Ökumenisches Institut Berlin (Ost) 139 Ökumenische Centrale der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland 246 Ökumenischer Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland 269 Ökumenisches Institut Bossey 92, 133 Ölkrise (1973) 360, 377, 387, 471 Oktoberrevolution (1917) 99, 109, 113, 120 Oldenburg – Evangelische Kirche 425 Ordinationsstreit 377, 386f. Ordnungstheologien 10, 62, 121, 143, 157, 180 Orthodoxe Kirchen 47f., 69, 91, 132, 248, 374, 378, 386, 426 Oslo 359, 367, 448 Osnabrück – ESG 413 Ostermärsche 163, 146, 200, 206f., 235 – vgl. auch Kampagne für Frieden und Abrüstung Osterunruhen 154, 195–211, 218, 222, 224–237, 276, 282, 294f., 343, 409 Ostfriesischer Sonntagsbote 229 Ostpreußenblatt 373 Otaniemi 244 Palästina 387, 440 Paris 47, 74, 260 – Universität Paris-Sorbonne 260 Paragraph 218 387 – vgl. auch Abtreibung Parteien 12, 51f., 63, 187, 191, 263, 273, 284, 326, 332, 373, 437, 441f., 464 Pastoraltheologie 32 Paulus-Gesellschaft 75f., 109, 268–270 Pazifismus 23, 36, 97, 106, 165, 172, 177, 216–218, 258, 272, 308f., 319, 390, 443, 452, 460 Peking 67 Persien/Iran 167, 221 – Vgl. Jubel-Perser Peter Hammer Verlag 257

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Pfalz 443 – Evangelische Kirche 392 Pietismus 58, 393, 424, 432, 444 Planungs- und Steuerungsoptimismus 69, 156 Pluralisierung 14, 19, 27, 29, 51f., 54–56, 61, 63, 79, 106, 119, 158, 162, 175, 192, 227, 294, 323, 380, 436f., 479f. Polen 83 Politische Diakonie 67, 108, 169f., 192, 236, 287, 293, 302, 384, 457 Politische Theologie 114, 159, 411 Politisches Nachtgebet 278–280, 285, 297, 319, 349, 481 Pommern – Evangelische Kirche 140 Populorum Progressio 103, 109, 112, 116, 147, 158 Port Huron – Erklärung des SDS (USA) 216 Portugal 318, 371–373, 427 – Nelkenrevolution 399 Postmoderne 75 Potsdam – Pastoralkolleg des Sprengels 140 Prag 22, 72f., 91, 97, 137, 142, 159 – Karls-Universität 76, 108, 262 Prager Frühling 76, 143f., 144, 261, 263f., 270, 280, 331f. Princeton – Universität 79, 126, 244, 250 Pro-Existenz 131f., 134 – vgl. auch Kirche im Sozialismus Quick 414, 416 Radikalenerlass 349 – Radiodienst Evangelisches Deutschland 250 Radius 348, 431 Radius-Verlag 258 Rapid Social Change 67, 70, 81, 156, 243 Rasse(n) 71, 80, 152, 315f., 377 Rassenunruhen 74, 94, 216, 219, 300, 427f., 445 Rassismus 18, 216f., 239f., 299, 305, 308f., 318, 322–324, 326–332, 334, 354–363, 374, 380, 383, 394, 397, 399, 403, 423, 425f., 445, 447, 454, 456, 461, 467, 469, 478 – vgl. auch Antirassismusprogramm/ARP – vgl. auch Apartheid Reform 14, 40, 44f., 56, 59f., 69, 89–91, 116, 119, 126, 157, 159, 173, 192, 226, 236, 241, 243, 256f., 263f., 270, 276, 280, 284, 288, 292, 295, 300, 302, 323, 326, 343, 350, 380, 380, 382, 385f., 390, 410, 417, 467, 469 Reformation 29, 105f., 108, 110, 117–129, 147, 158f., 213, 218, 241, 261, 275, 365, 391, 398, 434, 449

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Institutionen- Orts- und Sachregister

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Reformationsjubiläum (1967) 105, 137 Reformierte Kirchenzeitung 233 Reformierter Bund 319, 351 Reformierter Weltbund – Generalversammlung (1970) 304 Religiöse Sozialisten 153 Religionsfreiheit 39, 137, 268, 426 Religionsjournalismus 20, 27–29, 32, 53–55, 59, 61, 65, 76, 94–103, 107, 109–115, 117, 119, 152, 157, 159, 170, 172, 179, 183, 193, 205f., 214, 225, 246–252, 267, 278f., 285–288, 290, 293, 296f., 304–306, 308, 311f., 315, 324–345, 348, 367– 370, 380, 387, 396, 397, 410, 440, 443f., 448, 471, 477f. – vgl. auch Fernsehen, Rundfunk – vgl. auch Medialisierung Remer-Prozess 10 Restauration 36, 174, 213, 216, 480 Rheinische Post 105, 249 Rheinischer Merkur 275, 387, 414, 421, 427 Rheinland – Ausschuss der Landeskirche für Studentenfragen 234 – Evangelische Kirche 59, 147, 151f., 160, 193, 275, 315, 420 – Öffentlichkeitsausschuss der Synode 234 – Sozialwissenschaftliches Institut 152 – Synode 111, 211, 233 Rheinland-Pfalz – Bevollmächtigter der Landesregierung beim Bund 363 Rhodesien 71, 74, 377, 427, 452, 457 – vgl. auch Londoner Rhodesienkonferenz (1979) 457 – vgl. auch Simbabwe Ring Christlich-Demokratischer Studenten/RCDS 185 Risk 91 Rodenbach 344 Rote Armee Fraktion/RAF 25f., 164, 242, 281, 298, 303f., 314, 325, 335, 337f., 340–352, 359, 364, 385, 397, 406–419, 428–445, 447, 472f., 482 – vgl. auch Terrorismus Rote-Punkt-Aktionen 376 – vgl. Gewaltfreie (Direkte) Aktion – vgl. auch Laepple-Urteil Rotfunk-Kampagne (WDR) 342f. Rundfunk 28f., 31, 33, 42, 53, 59, 94, 95, 107, 109, 112, 151, 204, 215, 230, 246, 250, 276, 287, 347f., 375, 397, 414, 438, 454 Rundfunk der Interallierten Streitkräfte 42, 195 Russisch-Orthodoxe Kirche 47, 91, 132, 426 – vgl. auch Orthodoxe Kirchen Saarbrücken 176 Saarbrücker Zeitung 249

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Saarland – ESG 176 Sachsen 466 – Evangelische Kirche 463, 465 – Synode 134 – vgl. auch Kirchenprovinz Sachsen Säkularisierung 19, 45, 71, 75, 79, 97, 120, 140, 157, 159, 173, 212, 265, 303, 380, 449, 478, 480 Sagorsk 153f., 238 Salzburg 76 Schwärmer(ei) 65, 116, 125, 141, 285, 292, 393, 434, 442, 471 St. Pölten 391, 404f., 426 Santo Domingo 280 Schah-Besuch 117, 163, 169 – vgl. auch 2. Juni 1967 Schaumburg-Lippe – Evangelische Kirche 453 Schlesien – Evangelische Kirche 402 Schleswig – Evangelische Kirche 412, 463 Schleswig-Holstein 347, 390 – Evangelische Kirche 350, 390 – Synode 391f., 399 Schuldübernahme 10, 105, 142, 258, 367, 381, 391, 409, 450, 480 Schutzstaffel/SS 129, 210, 312 – vgl. auch Nationalsozialismus Schwäbische Donauzeitung 249 Schwäbische Zeitung 188 Schwäbisches Tagblatt 249 Schweden 242, 250, 271, 391 Schweiz 443 – Kirchenbund 453 Schweizer Fernsehen 453 Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche 353 Sender Freies Berlin 171, 203, 303, 308, 317, 386 Sharpeville 74, 300 Siemens AG 421, 424 Simbabwe 452 – Patriotische Front 452, 454, 457, 469 – vgl. auch Rhodesien Singen/Hohentwiel 428 Sofia 99, 103 Sonderweg 54, 119, 159 Sonthofen 416

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Soweto – Aufstand (1977) 427f., 445 Sowjetunion 11, 36, 40, 43, 46, 83, 115, 128, 131f., 141, 146, 261, 264, 361, 374, 418, 426f. Sozialarbeit 304, 349, 406, 444 Sozialdemokratischer Hochschulbund 189 SPD 52, 137, 179, 232, 371f., 416 (Neue) Soziale Bewegungen 26, 33, 180, 423 Sonnenberg-Brief 428–436 – vgl. auch Mescalero-Affäre Der Sonntag 466 Sonntagsblatt 32, 59, 113 – vgl. auch Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Sozialismus 17, 38f., 61, 128–134, 136–138, 143f., 153, 155, 160, 174, 199, 210, 214, 257, 262, 264, 270, 274, 280, 294, 296, 300, 312, 331, 333f., 337, 345, 355, 385, 387, 390, 417f., 426, 430, 432, 434, 444, 448, 460, 472, 477, 480f. Sozialistischer Deutscher Studentenbund/SDS 122, 144, 162–164, 177f., 181, 183f., 187–189, 191, 194–197, 202, 206, 209, 211, 216f., 223, 235, 242, 253f., 258, 270, 280–283, 287, 289f., 294, 296 – Delegiertenkonferenz 161f., 216 – Projektgruppe Theologie, Heidelberg 283 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands/SED 15f., 24, 38f., 42, 44, 46, 106, 119, 119, 129–131, 135–138, 159f., 325–327, 329, 331f., 381, 459f., 462, 470 – Arbeitsgruppe Kirchenfragen des Zentralkomitees 130 – Politbüro des Zentralkomitees 130f., 327, 394 Spanien 430 Spenden 310f., 314–316, 318, 325, 327f., 330, 332f., 351, 353, 377, 381f., 391f., 397, 419f., 452, 455, 459 – vgl. auch Brot für die Welt Der Spiegel 32, 53–55, 65f., 95, 109, 112, 114, 119f., 157f., 162, 165, 169, 172, 185–187, 191, 205f., 209, 250f., 285, 287f., 301, 303, 305, 308, 316, 342, 349f., 387, 409, 413, 427f., 438, 444 Spiegel-Affäre 53 Springer-Verlag 34, 164, 168, 183, 195–197, 199f., 202, 206, 208–211, 222f., 235, 258, 285–288, 294f., 297, 301, 342f., 345, 349, 374, 377, 383, 385, 406, 414, 421, 437, 459, 472 Staat-Kirchen-Verhältnis 12, 17, 44, 122, 192, 400, 417, 438, 460, 470, 480 – vgl. auch Obrigkeit/Staat Stalinismus 40, 136f., 144, 264, 269, 335 Steppenwolf 258 Stern 33, 55, 279, 303, 415 Stimme der Gemeinde 32, 99, 138, 143, 165, 211, 213, 246, 259, 344, 348f. – vgl. auch Neue Stimme Stockholm 416

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Strukturelle Gewalt 27, 100, 216, 244, 246, 269, 316–318, 335, 337f., 340, 364, 371, 378, 381f., 432, 439 Studentenpfarrer 45, 102, 120, 166–168, 170f., 174–176, 178, 190, 192, 194, 196f., 201, 213, 227, 242, 251, 277, 289, 293f., 309, 411f., 434, 439 Studentenpfarrerkonferenz 267, 283 Students for a Democratic Society/SDS 216 Stuttgart 60, 213, 290f., 300, 302, 350, 431, 444 – ESG 190 – Justizvollzugsanstalt Stammheim 390, 406, 409, 434, 440, 473 – Stiftskirche 438 Stuttgarter Zeitung 185, 188, 194 Südafrika 74, 86, 100, 298, 300, 305, 354–358, 360–363, 371f., 377, 380, 383, 397, 405, 419–421, 423f., 426–428, 433, 442, 445–448, 450f., 453, 461–463, 466, 469, 472f., 478, 480 – Afrikanischer Nationalkongress/ANC 300, 423, 428 – Kirchenrat/SACC 356, 360f., 428, 446 – Vereinigter Nationalkongress/UANC 452f. Südafrikanischer Rundfunk 371 Süddeutscher Rundfunk 107, 109, 172, 340 Süddeutsche Zeitung 33, 227, 249, 367 Südliches Afrika 16, 74, 122, 307, 354f., 357–362, 377, 381, 385, 403, 405, 413, 419–428, 445, 450–452, 457, 473, 478 – Federation of Lutheran Churches in Southern Africa 360 – Informationsstelle Südliches Afrika 422 Südwestfunk 109, 340 Suhrkamp-Verlag 252f. Tagesspiegel 177, 197, 200–202, 206f., 227, 437 Tansania 88, 445 Teheran 169 Telegraf 179 Tendenzwende 387f., 391, 396, 442, 471 Terrorismus 15–18, 25f., 30f., 34, 164, 184, 192, 196, 203, 224, 231, 242, 258f., 277, 292, 298, 300, 302–306, 311, 313f., 325, 331, 335, 338, 340, 342, 345f., 348, 350–353, 369, 372f., 377, 381–383, 385, 387, 392, 397, 406–419, 421, 428–445, 447–452, 467, 471–473, 476–479 – vgl. auch Bewegung 2. Juni, RAF, Tupamaros Theologie der Hoffnung 76–78, 80, 83, 109, 127f., 185, 243f., 282, 285 Theologie des Rechts 93, 147, 239 Thüringen – Evangelische Akademie 135 – Evangelische Kirche 141, 426 Time 105 Todesstrafe 245, 431, 434, 437, 482 Trotzkismus 73, 129, 335

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Tschechoslowakei/ČSSR 109, 121, 128, 137, 144, 159, 248, 261–271, 280, 296 – Staatsamt für Kirchenfragen 144 Tutzing – Evangelische Akademie 52, 148, 292, 420 Tübingen 121, 291, 350 – Evangelisches Stift 194, 424 – ESG 176, 277, 282, 290, 432f., 444f. – Universität 11, 13, 51, 78, 185, 192, 204, 261, 276, 350, 393f., 429, 431, 444 Tübinger Memorandum (1962) 50f., 56 Tupamaros – Bundesrepublik Deutschland 302, 304 – Uruguay 302 – vgl. auch Terrorismus Turku 242 Tyrannenmord 122, 186 – vgl. auch 20. Juli 1944 Ultima Ratio 93, 128, 140, 142–144, 158, 240, 259, 296, 311, 317, 337, 365f., 374, 467 Ungarn – vgl. Volksaufstand (1956) Universitätstheologie 16, 30, 33, 58, 65, 197, 212, 294, 383 Uppsala – vgl. ÖRK-Vollversammlung (1968) Utrecht – vgl. ÖRK-Zentralausschuss (1972) Verantwortliche Gesellschaft 70, 81, 86, 89, 91, 99 Verantwortungsethik 122f., 159 – vgl. auch Internationaler Versöhnungsbund – vgl. auch VELKD, Fonds für Gerechtigkeit und Versöhnung Versöhnung 140, 153, 177, 185, 195, 240, 256, 268, 283, 298, 304, 306f., 309, 312, 318, 327, 348, 359f., 366, 380, 395, 413, 452f., 470 – vgl. auch Denkschriften der EKD, „Ostdenkschrift“ Vertriebene 35, 61, 63, 66, 203, 373 Vietnamkrieg 14, 20, 91, 96, 126, 161, 174, 177, 179, 190f., 193, 202, 213, 215, 217–221, 280, 284, 353, 371. 401, 410, 427 – Internationaler Vietnam-Kongress, West-Berlin 183f., 189–191, 346 – Nationale Befreiungsfront Südvietnams/Vietcong 97, 183f., 186 Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands/VELKD 40, 307, 318, 326, 329, 372, 380f., 457 – Bischofskonferenz 230, 232, 295, 310, 313, 316 – Fonds für Gerechtigkeit und Versöhnung 360, 395, 452 – Generalsynode (1967) 111f. – Generalsynode (1968) 229–232 – Generalsynode (1970) 307, 311, 313 – Generalsynode (1973) 360

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– Generalsynode (1978) 452 – Kirchenleitung 210, 308–310, 329, 352, 360 – Lutherisches Kirchenamt (BRD) 147, 371f., 380f., 395, 397, 452, 458 – Lutherisches Kirchenamt (DDR) 464 Vereinigte Staaten von Amerika/USA 16, 19, 22f., 61, 65, 69, 73f., 77, 79f., 89–92, 97, 103, 126f., 151, 157, 165, 170, 191, 198, 213–224, 280, 300, 302, 371, 410 – Bundesregierung 220 Vereinte Nationen 91, 326, 450 Volksaufstand – Arbeiteraufstand DDR (1953) 114, 216, 451 – Ungarn (1956) 127, 216, 451f. – vgl. auch Prager Frühling Volkskirche 27, 44, 49–66, 118, 118, 173, 286, 297–306, 322f., 383, 459, 480 Voltaire-Verlag 215 Warschauer Pakt 98, 130, 261 Warschau 312 Washington 74 Weimarer Republik 9, 18, 163, 181, 192, 208f., 294f., 306, 452 Die Welt 13, 33, 66, 103, 171, 188, 192, 201, 203, 207–209, 219, 227, 232, 248, 262, 274, 305, 312, 345, 349, 368, 372–375, 397, 440, 448 Weltkrieg, I 19, 99, 105f., 127, 162, 452 Weltkrieg, II 10–12, 17, 19, 45, 48f., 52, 83, 98f., 115, 128, 154, 162, 178, 209f., 213, 219, 264, 452, 452, 455, 457, 466, 474 Weltstudentenbund/WSCF 72, 91, 132, 144, 238, 243f. – Weltstudentenkonferenz, Turku (1968) 242, 244 Westdeutscher Rundfunk 215, 248, 342f., 349f. Westdeutsche Zeitung 369 Westernisierung/Westbindung 52, 213 Westfalen – Evangelische Kirche 54, 58f., 218, 241 – Synode 314 Wetzlarer Neue Zeitung 249 Wien 258 Wirtschaftswunder 226 Wittenberg 119, 124, 159, 400, 464 Wort zum Frieden von BEK und EKD (1979) 471 Wort zum Sonntag 436f. Württemberg – Evangelische Kirche 111, 233, 289, 360, 393, 424, 431 – Evangelische Konferenz für Studentenarbeit 413 – Kirchliches Jugendwerk 234 – Pro Oekumene-Initiative 424 – Synodalgesprächskreis Lebendige Gemeinde 424 – Synode 58, 233, 302, 314, 431f., 444f., 454 Wuppertal 76, 153, 185

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Institutionen- Orts- und Sachregister

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Zehn Gebote 109, 254, 345f. Zeichen der Zeit 32, 132, 135, 143, 246, 334 Die Zeit 32, 60, 65, 95, 187, 196f., 223, 227, 249, 256, 281, 292, 303, 306, 311, 347, 350, 353, 386, 425f., 432, 438, 456 Zeitschrift für Evangelische Ethik 32, 102 Zeitz 459 Zeloten 140, 293, 377 Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen 267 – vgl. auch Kriegsdienstverweigerung Ziviler Ungehorsam 42f., 74, 93, 97, 162, 219, 366, 376 – vgl. auch Gewaltfreie (Direkte) Aktion Neue Zürcher Zeitung 351, 353 Zürich – Eidgenössische Technische Hochschule 102 – Universität 102 Zwei-Reiche-Lehre 36–38, 51, 83f., 89, 118, 120, 123, 148, 154, 159, 209, 232, 240, 244f., 265, 272, 295, 366, 450, 480 Zweites Deutsches Fernsehen/ZDF 94, 178, 193, 197, 230, 255, 308, 319, 346f., 397, 405, 416, 438, 472

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525557716 — ISBN E-Book: 9783647557717