Walter Pater: Die Autonomie des Ästhetischen 9783111559056, 9783111188416


206 73 21MB

German Pages 241 [244] Year 1960

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Autonome Kunst
III. Kunst und Geschichte
IV. Kunst Und Mythos
V. Die Ästhetische Existenz
Schlussbetrachtung
Literaturnachweis
Recommend Papers

Walter Pater: Die Autonomie des Ästhetischen
 9783111559056, 9783111188416

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

W. I S E R , WALTER PATER

WALTER PATER Die Autonomie des Ästhetischen von

WOLFGANG ISER

MAX N I E M E Y E R V E R L A G • T Ü B I N G E N 1960

Als Habilitationsschrift der Philosophischen F a k u l t ä t der Universität Heidelberg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Alle Rechte vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1960 Printed in Germany Gesamtherstellung: Offizindruck AG S t u t t g a r t

INHALT I. E I N L E I T U N G 1. Die Paterforschung 2. Geschichtliche Vorbetrachtung a) Kunst als Schöpfung b) Kunst als Nachahmung

1 7 7 13

II. D I E A U T O N O M E K U N S T 1. Der Ansatz a) Skepsis b) Essay c) Bestimmung des Menschen d) Ausdruck

19 19 23 27 33

2. Die Bestimmung der Kunst a) Art for Art's Sake b) Impressionismus c) Stil

38 38 49 63

3. Das Problem der künstlerischen Orientierung a) Die Schönheit b) ,Postscript'

84 84 91

III. K U N S T U N D G E S C H I C H T E 1. Die Auffassung von der Geschichte a) Der Hegeische Schematismus b) Die Geschichtlichkeit c) House Beautiful

95 95 102 109

2. Die Ghenzen geschichtlicher Orientierung a) Plato and Platonism b) Gaston de Latour

113 113 124

VI

Inhalt

IV. K U N S T U N D

MYTHOS

1. Die alten Götter

140

a) Der kultische Ritus

140

b) The Myth of Demeter and Persephone

146

c) A Study of Dionysus

154

2. Die Grenzen mythischer Orientierung

161

a) Apollo in Picardy

161

b) Pater und Nietzsche

169

V. D I E Ä S T H E T I S C H E

EXISTENZ

1. Marius the Epicurean

171

a) Die Form

171

b) Das Problem

180

2. Imaginary Portraits

205

a) Die Form

205

b) A Prince of Court Painters

208

c) Denys l'Auxerrois

212

d) Sebastian van Storck

216

e) Duke Carl of Rosenmold

220

SCHLUSSBETRACHTUNG

224

Literaturnachweis

227

I. E I N L E I T U N G 1. D I E P A T E R F O R S C H U N G

Im Jahre 1948 erklärte Christopher Dawson im Rahmen der großen Vortragsreihe über den Viktorianismus im dritten Programm des britischen Rundfunks : . . . we are still too close to the later Victorians - to the generation of Arthur Balfour and Walter Pater - to understand them1. Zehn Jahre später schrieb Edmund Chandler im Vorwort zu seiner Untersuchung Pater on Style: I have naturally looked at everything that I could lay my hands on about Pater - the total volume is not large. And I feel bound to say that most of what goes for biography and criticism of Pater is, in my opinion, frankly unsatisfactory .. . there is no single volume devoted to Pater that I found acceptable2. Das Gemeinsame dieser beiden Ansichten liegt in der mangelnden Überschau begründet, die die Urteile der Paterforschung weitgehend geprägt hat. Die Notwendigkeit des kritischen Abstands scheint für eine Betrachtung Paters besonders geboten, da sich seine Schriften der Einordnung unter herkömmliche Begriffe weitgehend entziehen. Schon Saintsbury hatte betont, daß es nicht leicht sei, Pater zu deuten3. In Paters Werk überkreuzen sich dichterische und literarkritische mit philosophischen Vorstellungen; diese eigenartige Vermischung mißachtet die traditionellen Gattungsbegriffe ebenso wie alle strengen Scheidungen im Bereich des Geistes. Das Durchbrechen gewohnter Abgrenzungen geht bei Pater so weit, daß seine Erzählungen bisweilen gedanklichen Konstruktionen gleichen und seine Kritik den Charakter dichterischer Intuition gewinnt. Aus diesem Grundzug entspringt die Schwierigkeit, Pater angemessen zu beurteilen. Erst vor kurzem hat Reisdorff wieder darauf hingewiesen, wie sehr sich das Patersche Werk einer wissenschaftlichen Wertung entzieht4. 1 2 3 4

1

Dawson, Ideas, S. 27. Edmund Chandler, S. 5; vgl. auch Powys, S. 173. Saintsbury, S. 346; vgl. auch Powys, S. 175f. Vgl. Reisdorff, S.18.

Iser, Walter Pater

2

Einleitung

Aus diesem Ansatz ist die einseitige Betrachtung entsprungen, die die Paterforschung auf weite Strecken kennzeichnet. Denn es ist einfacher zu verurteilen, als sich darum zu bemühen, die Eigenart und die Intention der Paterschen Schriften herauszuarbeiten. Gerade weil sich Pater der Einordnung in traditionelle Vorstellungen verschließt, bot sich Gelegenheit zu einer scharfen, aber unangemessenen Kritik 5 . Ebenso unangemessen indes sind die Äußerungen derer, die eine geistige Verwandtschaft zu Pater spürten®; sie färbten das Bild durch ihre Verehrung. Der Abstand zu dem Werk des stillen Oxford dort ist nicht zuletzt durch die Erkenntnis gewachsen, die die moderne Literatur eröffnet hat. Je stärker sie ins kritische Bewußtsein dringt, desto eher wird es möglich sein, in aller Leidenschaftslosigkeit das Werk Walter Paters zu betrachten. Pater steht im Scheitelpunkt sich ablösender Tendenzen; die Modernität, von der er viel sprach7, hat er nicht inauguriert. Dennoch bleibt er eine Figur des Übergangs, die für die zu Ende gelebten Traditionen und den Aufbruch nach neuen Möglichkeiten repräsentativen Charakter besitzt. Die Bedeutung Paters liegt darin, daß er sich im Herausstellen dieser Ablösung erschöpft und dadurch die Möglichkeit bietet, eine .Nahtstelle' geistiger Verflechtungen genauer zu studieren. Ein Überblick über die Paterforschung gibt den Ansichten von Dawson und Edmund Chandler recht. Es läßt sich aber feststellen, daß mit wachsendem Abstand die kritischen Maßstäbe dem Gegenstand angemessener werden. In den Monographien über die ästhetische Bewegung in England wird dieser Vorgang deutlich erkennbar. Brie entwirft in seiner kleinen Schrift über die Wandlungen der ästhetischen Weltanschauung' aus dem Jahre 1921 zunächst ein Programm. Er zeigt, wie die verschiedenen Formen ästhetischen Verhaltens in den letzten vier Jahrhunderten bestimmte geistige Situationen voraussetzten. Der Umfang der Studie gestattet nur eine summarische Behandlung der einzelnen Aspekte, so daß die Paterschen Vorstellungen mehr referiert als gedeutet werden. N e e d h a m unternimmt 1926 denVersuch, die ästhetische Bewegung des 19. Jahrhunderts als soziologisches Phänomen zu begreifen. In diesem Zusammenhang wird Pater nur beiläufig erwähnt, denn seine Probleme erweisen sich für diese Fragestellung als wenig ergiebig. Die beiden umfassendsten Darstellungen der ästhetischen Bewegung v o n F a r m e r und R o s e n b l a t t aus dem Jahre 1931 bieten eine Fülle unentbehrlichen Materials. Sie arbeiten in beschreibender Methode die stoffgeschichtlichen Bezüge der Paterschen Schriften heraus mit dem Ziel, Einfluß und Aneignung 6

Vgl. hierzu besonders den Aufsatz von P. E. More, S. 85ff. Vgl. hierzu das Buch von Olivero. Vgl. die Zusammenstellung begeisterter Äußerungen über Pater bei Iser, S. 391f. 7 Vgl. hier u.a. Oaston de Latour, S. 48f. 6

Die Paterforschung

3

abzugrenzen ; sie verzichten auf eine Vertiefung der wesentlichsten Begriffsvorstellungen wie l'art pour l'art und décadence. Im gleichen Rahmen bewegt sich G a u n t s Uberblick aus dem Jahre 1945 über das,ästhetische Abenteuer'; er vervollständigt das von Farmer und Rosenblatt entworfene Bild Paters durch eine Reihe aufschlußreicher Einzelzüge. Erst die 1949 erschienene Arbeit von H o u g h über die englischen Spätromantiker rückt die Interpretation Paters in ein neues Licht. Hough geht von der Kritik Eliots an Pater aus und versucht, die Haltung Paters aus der geistigen Situation heraus zu verstehen. Dadurch ergibt sich eine Konzentration der Betrachtung auf das Anliegen Paters und dessen Einordnung in die Ausdruckshaltung der Spätromantiker. Hough ist der erste, der die positivistische Betrachtung der ästhetischen Bewegung aufgibt; er gewinnt Einsichten, die Farmer und Rosenblatt noch verschlossen waren. Der gleiche Wandel der Einstellung bezeugt sich auch in der Paterforschung im engeren Sinne. Die vier Biographien von G r e e n s l e t (1905), Benson (1906), W r i g h t (1907) und T h o m a s (1913) verkörpern Stoffsammlungen von unterschiedlichem Wert8. Die Persönlichkeit Paters wird nur in der Darstellung von Benson wirklich plastisch, während die anderen Biographen selten mehr als eine chronologische Aufreihung der Tatbestände bringen. Wesentliche Einblicke in die Wechselbeziehung von Person und Werk bietet erst der bisweilen geistvolle Essay von C a t t a n aus dem Jahre 1936. Die Monographien über Einzelaspekte des Paterschen Werks bestätigen den gewonnenen Eindruck. Kennzeichnend für die Interpretation ist die isolierende Betrachtungsweise, die immer nur Ausschnitte der Paterschen Schriften zum Gegenstand hat. Die ersten kritischen Studien sind den Beziehungen zwischen Pater und Wilde gewidmet. Bock (1913) und B e n d z (1914) versuchen, durch Parallelisierung von Zitaten den Umfang des Paterschen Einflusses auf Wilde abzugrenzen. Das gleiche motivische Verfahren charakterisiert die Dissertationen von P r o e s l e r (1917), Beyer (1931) und G l ü c k s m a n n (1932), die Paters Verhältnis zur deutschen Literatur bzw. zu Frankreich und zur Antike erörtern. Proesler und Glücksmann begnügen sich mit einer übersichtlichen Ordnung der Entsprechungen; Beyer dagegen interpretiert das Interesse Paters an der französischen Literatur und Kultur als Ausdruck seiner ästhetischen Haltung. 1926 versucht S t a u b , die von Pater entwickelte Form des Imaginary Portrait aus seiner geistigen Haltung heraus zu verstehen. Obgleich diese Arbeit noch mit den Mängeln der Paterforschung behaftet ist, wie sie Reisdorff in seiner Dissertation treffend beschrieben hat 9 , so zeugt die Studie 8

Zur Kritik an Wright vgl. Tillotson, Pater, Mr. Rose, S. 45; B. Newman, Pater, S. 633 u. Dodds, Baker, Reinterpretation, S. 201. » Vgl. Reisdorff, S. 21ff.

4

Einleitung

doch von einem kritischen Vermögen. Denn Staub bemüht sich, diejenigen geistigen Voraussetzungen Paters zu erschließen, die zu dieser Form führten. Wenn der Zusammenhang nicht befriedigend geklärt worden ist, so hegt der Grund dafür in der abwertenden Beurteilung Paters. Staub beschränkt sich auf die Darstellung historischer Details, die in Paters Imaginary Portraits Eingang gefunden haben. Form und Intention der Imaginary Portraits werden dadurch kaum herausgearbeitet. Z. C h a n d l e r s Dissertation von 1928 über Paters Stiltechnik bietet eine statistische Übersicht über die hervorstechendsten Charakteristika des Paterschen Wortmaterials. Der Gegenstand wird hier genauso von außen gefaßt wie in der 1931 erschienenen Arbeit von F a r m e r , der die Prinzipien der Paterschen Kritik lediglich beschreibt. Die Dissertation von E a k e r aus dem Jahre 1933 bringt insofern einen anderen Aspekt, als sie Paters schöpferische Versuche auf psychologische Ursprünge zurückführt. Wenn auch der subjektive Impuls von Paters Werk nicht zu leugnen ist, so erscheint es doch abwegig, Paters Erzählungen als Material für die Erschließung der Person zu gebrauchen. Die Schlußbetrachtung von Eaker vermag daher Pater nur der verschiedensten Mißverständnisse in der Behandlung seiner Gegenstände zu zeihen. Im gleichen Jahr veröffentlicht Y o u n g eine materialreiche Untersuchung darüber, inwieweit Paters Äußerungen die Ansichten der Zeit spiegeln. So brauchbar die Hinweise im einzelnen sind, so wäre gerade für diesen Zusammenhang eine Synthese wünschenswert gewesen. Die umfangreiche Arbeit von Olivero aus dem Jahre 1939 versucht erstmals, ein Gesamtbild Paters zu geben. Die Studie ist zwar als wissenschaftliche Untersuchung angelegt, verfällt jedoch auf weite Strecken in einen bekenntnishaften Ton. Diese Tatsache bedingt das Schwanken zwischen allgemeinen Feststellungen und Fehlurteilen. Pater wird als Mensch reinen Herzens und reinen Geistes charakterisiert, der ein Schriftsteller höchster distinzione nur fer grazia di Dio sei10. Daher glaubt Olivero, in Paters Marius den Triumph des Christentums über die heidnische Religiosität zu erkennen11. Es dürfte schwierig sein, für diese Behauptung im Text die entsprechendenBelegstellen zufinden.DasVerdienst Oliveros besteht lediglich darin, daß er zum ersten Mal von der isolierenden Betrachtung abrückt ; methodisch indes bleibt er noch stark der stoffgeschichtlichen Konzeption verhaftet. Nüchterner und sachlicher ist der im Jahre 1948 veröffentlichte kleine Aufsatz von H u p p é , der die Paterschen Fehldeutungen Piatons aufdeckt, um dadurch Wesenszüge ästhetischen Verhaltens sichtbar zu machen. Die maschinenschriftliche Dissertation von R e i s d o r f f (1952) versucht, die .ästhetische Idee' zu bestimmen, die Paters .Kunstkritik' geleitet hat. Reisdorff geht dabei von der vernünftigen, aber bisher vernachlässigten Vorstellung aus, daß das Patersche Werk ein in sich zusammenhängendes Gebilde sei12. 10

Olivero, S. 1. -

11

Vgl. ibid., S. 33 u. 364. -

12

Vgl. Reisdorff, S. 25.

Die Paterforschung

5

Dadurch werden die Maßstäbe der Beurteilung aus den Schriften Paters selbst gewonnen. Dieser Einstellung entspringt der Erkenntniswert dieser Studie, die den eigenartigen Charakter der Paterschen Kritik bisweilen gut erfaßt. Paters Methode wird als eine Vereinigung der Sinne und des Verstandes charakterisiert. Wenn auch der Arbeit von Reisdorff noch begriffliche Strenge fehlt - vielfach erschöpft sie sich in geordneten Inhaltsangaben - so dürfte doch die Perspektive der Betrachtung richtig gewählt sein. 1955 erschien der Vortrag von Lord David Cecil über Pater. Der Untertitel Scholar-Artist deutet auf eine eigenartige Zwischenqualität, die Pater repräsentiert. Der kurze Essay begnügt sich damit, die wesentlichsten Gesichtspunkte zu referieren; die These erscheint nur in dem metaphorisch gefaßten Gegensatz von broadcloth und apple-green silk tie13, der die im Untertitel hervorgehobene Zwischenstellung Paters umschreibt. Edmund C h a n d l e r s verdienstvolle Arbeit von 1958 befaßt sich im wesentlichen mit der Textgeschichte des Marius. Chandler zeigt den Widerspruch auf, der zwischen den in Paters Stilessay erhobenen Forderungen und seiner eigenen Praxis besteht. Der Überblick über die wesentlichen Forschungsresultate der Paterkritik macht eine methodische Besinnung notwendig. Er hat gezeigt, daß der stoffgeschichtlich verfahrenden Literarhistorie Maßstäbe fehlen, um das Patersche Werk angemessen zu betrachten. Der Hinweis auf Einfluß und Übernahme übersieht die entscheidenden Differenzen literarischer Aneignung. Deshalb begnügt sich die Stoffgeschichte im wesentlichen mit einer Deskription der Phänomene. In diesem Ansatz verbirgt sich eine methodische Unsicherheit; denn die Paterschen Schriften entziehen sich den in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts geläufigen Vorstellungen der Literaturkritik. Erst die jüngeren Arbeiten lassen ein bisweilen fruchtbares Bemühen um die angemessene methodische Einstellung erkennen. In diesem Zusammenhang erscheint die kürzlich von Norman Foerster erhobene Forderung durchaus aktuell: The tradition of aestheticism running from Keats to Wilde needs fresh exploration, fresh evidence, and, above all, a fresh critical insight1*. Die vorliegende Arbeit bemüht sich, einen Beitrag zu dieser Forderung zu leisten. Eine Betrachtung Paters dürfte in diesem Sinne aufschlußreich sein, da sein Werk einen für das ästhetische Verhalten repräsentativen Charakter besitzt. Im Anblick der deskriptiven und stoffgeschichtlichen Arbeiten über Pater verbietet es sich, eine weitere deskriptive Einführung zu schreiben. Die hier gebotene Untersuchung setzt bisweilen eine Textkenntnis des Paterschen Werkes voraus, obgleich sie von dem Bestreben geleitet ist, durch die zitierten Stellen ein angemessenes Verständnis der Zusammenhänge zu ermöglichen. 13 14

Vgl. Lord Cecil, Pater, S. 3. Foerster, Baker, Reinterpretation, S. 63.

6

Einleitung

Für die aufgezeigte Problemstellung gibt es in der Paterforschung kaum Vorstudien; auf eine Auseinandersetzung mit der Paterkritik wird deshalb weitgehend verzichtet. Die vorliegende Studie stellt sich die Aufgabe, das ästhetische Verhalten herauszuarbeiten. Sie fragt zunächst danach, wie es zur Verabsolutierung der Kunst gekommen ist; daraus ergibt sich gleichzeitig eine Darstellung wesentlicher Züge der autonomen Kunst. Wenn die Kunst zum letzten Wert des endlichen Daseins wird, darf sie keiner ihr übergeordneten Wirklichkeit dienstbar gemacht werden. Dieser Anspruch aber gewinnt erst Verbindlichkeit, wenn er bewiesen ist. Die autonome Kunst bedarf der Sanktion. In diesem Zusammenhang überrascht schon bei oberflächlicher Lektüre der Schriften Paters die Häufigkeit des Begriffes sanction. The sanction of so many ages of human experience15 bildet die Basis für Paters Kunstwollen. Da die autonome Kunst keinem normativen Begriff unterworfen werden darf, erblickt Pater die Sanktion in Geschichte und Mythos. Die Kapitel III und IV der vorliegenden Studie bemühen sich, diese Vorstellungen herauszuarbeiten. Es wird dabei vor allem zu zeigen sein, wo die Grenzen einer solchen Auffassung liegen. Das Bewußtsein von der mangelnden Endgültigkeit der geschichtlichen und mythischen Entsprechungen der Kunst stellt Pater in seinen Erzählungen dar. Das letzte Kapitel der Studie versucht deshalb, die ästhetische Existenz durch eine Interpretation von Marius ihe Epicurean und der Imaginary Portraits zu fassen. Das an der Kunst orientierte Leben des Menschen empfindet die mangelnde Gewißheit dieser Haltung in wechselnden Stimmungen, die sich im Tod aufheben. Durch die Darstellung dieser Zusammenhänge soll nicht nur eine Interpretation Paters, sondern auch eine Analyse des Ästhetischen versucht werden. Der repräsentative Charakter Paters gründet darin, daß seine Schriften beispielhafte Zeugnisse des ästhetischen Verhaltens sind. In diesem Sinne versucht die vorhegende Arbeit, eine Definition des Ästhetischen zu geben, die nicht nur für Pater Gültigkeit besitzt. Um das Phänomen des Ästhetischen zu fassen, schien eine leidenschaftslose Betrachtung geboten; denn weder Verdammung noch hymnische Feier vermögen die labile Qualität des Ästhetischen angemessen zu fassen. Aus diesem Ansatz erklärt sich die bisweilen geforderte Begrifflichkeit in der Abgrenzung der Erscheinungen. Die Anordnung der Kapitel ist nicht als eine Entwicklung aufzufassen. Die mangelnde Orientierung des ästhetischen Verhaltens würde einer solchen Annahme widersprechen. Was die Kapitel in ihrem Nacheinander entfalten, beschäftigte Pater gleichzeitig. Deshalb spielt auch die Chronologie seiner Schriften eine sehr untergeordnete Rolle16. Da sich die vorliegende Untersuchung um eine Erschließung des Ästhetischen bemüht, war der Problemcharakter für den Aufbau der Arbeit ausschlaggebend. 15

Marius II, S. 127; vgl. auch Guardian, S. 32ff. -

16

Vgl. auch Jacobus, S. 389.

Geschichtliche Vorbetrachtung 2. G E S C H I C H T L I C H E

7

VORBETRACHTUNG

a) Kunst als Schöpfung Die folgenden Bemerkungen erheben keinen Anspruch, die Ästhetik des 19. Jahrhunderts in England darzustellen; ein solcher Versuch würde eine eigene Arbeit erfordern. Es gilt hier lediglich, auf Tendenzen hinzuweisen, die den historischen Ansatz der Paterschen Position besser begreifen lassen. Damit scheidet der Gesichtspunkt einer vollständigen Erörterung aus. Trotz einiger beachtenswerter Vorarbeiten 1 fehlt eine umfassende Darstellung der ästhetischen Diskussion im England des 19. Jahrhunderts. Vor allem die so eminent bedeutsame Ablösung der Rhetorik durch die Ästhetik am Ende des 18. Jahrhunderts ist noch kaum erschlossen. In dieser Hinsicht erscheint eine Beschäftigung mit Burke notwendig, denn bei ihm emanzipiert sich das ästhetische Gefühl von den Regeln und den ästhetischen Gegenständen und wird zu einer subjektiven Qualität des Betrachters2. Obgleich Young den Bruch mit der traditionellen Poetik durch die Genielehre vollzogen hat, gewinnt dieser Wandel erst bei William Blake ein revolutionäres Pathos. Der leidenschaftsgeladene Satz: To Generalize is to be an Idiot? markiert die völlige Trennung der Kunst von ihrer aristotelischen Funktion der Nachahmung4. Diese Ablösung aber ist für Blake nur die Voraussetzung, die für ihn wahrhafte Bedeutung der Kunst neu zu formulieren. In Marriage of Heaven and Hell findet sich eine dafür charakteristische Stelle. Der visionäre Autor speist mit Jesaja und Hesekiel; dabei wird die Frage nach der Existenz Gottes erörtert: Then Ezekiel said: The philosophy of the east taught the first principles of human perception: some nations held one principle for the origin, and some another: we of Israel taught that the Poetic Genius (as you now call it) was the first principle and all the others merely derivative, which was the cause of our despising the Priests & Philosophers of other countries, and prophecying that all Gods would at last be proved to originate in ours & to be the tributaries of the Poetic Genius5. Blakes Konzeption hebt nicht nur den traditionsgeheiligten Unterschied von Kunst und Natur, sondern auch die Trennung von Kunst und Leben auf. Der Poetic Genius wird ihm zu einem universalen Prinzip. Blakes Ästhetik charakterisiert sich durch 1 Vgl. hierzu die Arbeiten von Gilbert/Kuhn, Hough, Ladd, Egan, Powell, Bowra und neuerdings Wellek, Criticism; eine wesentliche Vorarbeit zu diesem Thema hat Abrams geleistet. 2 Vgl. Burke I, S. 164, 192 u. 233; vgl. hierzu auch Ladd, S. 133. 3 Blake III, S. 13. 4 Dieser Ansatz führte auch zu der Polemik Blakes gegen Wordsworth; vgl. dazu Adams, S. 26. 6 Blake I, S. 187f.

Einleitung

8-

zwei entscheidende Aspekte. Auf der einen Seite geschieht eine radikale Verwerfung der mimetischen Vorstellung; auf der anderen Seite wird dieser polemische Zug aktiviert, der auf eine neue Begründung der Kunst abzielt. Die Art, in der die neue Begründung vorgetragen wird, zeichnet sich durch ein hohes Maß an Subjektivität aus. Wenn die überlieferten Ordnungen die Funktion der Kunst nicht mehr zureichend umschreiben, tritt die Subjektivität an ihre Stelle, um den neuen Begründungszusammenhang zu stiften. Mit dieser Haltung markiert Blake ein typisches Kennzeichen der Ästhetik des 19. Jahrhunderts. Je stärker die Subjektivität in den Vordergrund tritt, desto rascher müssen sich die Prinzipien der Kunst wandeln, weil nun die individuelle Absicht und nicht die Tradition den Ausschlag für die Auffassung der Kunst gibt. Daraus erklärt sich der Wechsel der verschiedenen Vorstellungen, die im 19. Jahrhundert zur Begründung der Kunst entwickelt worden sind. Doch Blake versucht gleichzeitig, seiner Konzeption eine entsprechende Verbindlichkeit zu sichern. Die Propheten des alten Israel werden als Verkünder des Poetic Genius dargestellt; der Künstler wird als der neue Gott von den Propheten ausgerufen, die in ihm den Ursprung der Welt gewahren und alle anderen Götter als ihm Untertan begreifen. Die Unterwerfung der biblischen Gestalten unter einen ihnen völlig fremden Zweck läßt erkennen, was Blake in der Kunst gewahrt. Sie verkörpert für ihn die ,Substanz' der Welt; denn sie ist Ende und Anfang aller Dinge. The Poetic Genius may overthrow the bounds of 'finite organical perception'. The artist in society strives to regain Eden for all men, to leave behind that state of delusion characterized by LocTcean nature and spiritual forms fallen into material. Art is thus prophetic in the religious sensee. In dem Augenblick, in dem die Kunst aus ihrer traditionellen Funktion gelöst wird, definiert sie sich als Schöpfung der Welt. Ihre Formen sind die der Prophetie, die Blake dazu nötigt, sich einen Mythos zu erfinden; ihr Ziel bleibt die Wiederherstellung des Paradieses, das hinter den von Blake mythisierten Gegensätzen der Welt auftaucht. Die Kunst bestimmt sich für Blake durch die Attribute Gottes; damit steht er als charakteristische Figur an der Schwelle des 19. Jahrhunderts, das die Attribute Gottes in die Welt zu verlegen begann. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bekannte Samuel Taylor Coleridge: I do not like history7; statt dessen liebt er Dichtung, Metaphysik und Träume. Dieser Ansatz stellt ihn in die Nachbarschaft zu Blake. Im Zeichen dieser Verwandtschaft indes bleibt gerade das Unterschiedliche interessant, das Coleridge von Blakes Konzeptionen trennt. Der visionäre Charakter der Blake6

Adams, S. 32. -

7

Zitiert nach Powell, S. 73.

Geschichtliche Vorbetrachtung

9

sehen Ästhetik wird bei Coleridge in eine begriffliche Fassung gebracht, die wahrnehmbare Nuancen in der Auffassung der Kunst erkennen läßt. Aus der deutschen Transzendentalphilosophie gewinnt Coleridge die folgende Definition der Kunst in ihrem Verhältnis zur Natur: In the objects of nature are presented, as in a mirror, all the possible elements, steps, and processes of intellect antecedent to consciousness, and therefore to the full development of the intelligential act; and man's mind is the very focus of all the rays of intellect which are scattered throughout the images of nature. Now so to place these images, totalized, and fitted to the limits of the human mind, as to elicit from, and to superinduce upon, the forms themselves the moral reflexions to which they approximate, to make the external internal, the internal external, to make nature thought, and thought nature, - this is the mystery of genius in the Fine Arts. Dare I add that the genius must act on the feeling, that body is but a striving to become mind, that it is mind in its essence ! In every work of art there is a reconcilement of the external with the internal; the conscious is so impressed on the unconscious as to appear in itI8. Die Natur ist für Coleridge keine vom menschlichen Geist unabhängige Größe; sie verkörpert den Geist auf einer Stufe, die die mangelnde Selbsterkenntnis des Geistes bezeichnet. Die Natur ist nur die Summe unbewußter Formen des Geistes. Der alte aristotelische Naturbegriff, an dem die Aufklärung noch festhielt, erfährt bei Coleridge eine entscheidende Aushöhlung, indem die Bedingtheit natürlichen Seins aufgezeigt wird. Die Natur löst sich in dem Maße auf, in dem der Geist zum Bewußtsein seiner selbst erwacht. Damit ist die Trennung von Natur und Geist aufgehoben und gleichzeitig die Vorherrschaft des schöpferischen Geistes gesichert. Den Vorgang des Bewußtwerdens identifiziert Coleridge mit der Kunst, deren Vollkommenheit in der restlosen Beseitigung der vermeintlichen Unterschiede zwischen Natur und Geist besteht. In der Durchdringung von Außen und Innen, von Natur und Denken bezeugt sich das Wirken der Kunst. Durch die Kunst wird die Natur zum Spiegel für die Selbstanschauung des Geistes, der mit der natura naturans gleichgesetzt ist 9 . Die Kunst bestimmt sich somit als der fortwährende Prozeß einer metaphysischen Versöhnung. Art ... is the mediatress between, and reconciler of, nature and man10. Die Kunst als abstrakte Einheit begreift Coleridge als einen dialektischen Begriff. Damit ist der Poetic Genius von Blake modifiziert. Bietet sich Blakes Poetic Genius als Grund der Dinge vor allen Gegensätzen, so leistet die Kunst für Coleridge die Einheit erst in der Überbrückung des Gegensätzlichen. Die Kunst als Vermittlung und Versöhnung zu definieren setzt das Bewußtsein der Gegensätze voraus, die den Anlaß für das Wirken der Kunst bilden. Die Visionen Blakes verblassen zu einer abstrakten Begrifflichkeit; das revolutionäre Pathos wird durch eine gesteigerte Reflexion ersetzt. Dieser Wandel 8

Coleridge II, S. 257f. -

9

Vgl. ibid., S. 257. - 1 0 Ibid., S. 253.

10

Einleitung

bringt zum Ausdruck, daß die Kunst für Coleridge nicht mehr eine apriorische, sondern eine aposteriorische Einheit verkörpert. Während Blake die Welt in seinen .Offenbarungen' mythisiert, versucht Coleridge, das Sein mit den Begriffen des philosophischen Idealismus zu erschließen. Ist Blakes Poetic Genius mit der Gottheit identisch, so wird für Coleridge die Kunst zu einer Kategorie, die Totalität des Seins zu veranschaulichen; aus der Kunst als Ursprung aller Dinge wird ein Vorgang unablässiger Vermittlung. Für Coleridge tritt die Kunst in den Dienst des great eternal I AM11, das sich in der Kunst verwirklicht. In other words, it is a subject which becomes a subject by the act of constructing itself objectively to itself; but which never is an object except for itself, and only so far as by the very same act it becomes a subject11. Die Kunst ist daher für Coleridge nicht das Letzte13, denn sie bringt das Wirken des selbstschöpferischen Geistes zur Anschauung. Hier trennt sich Coleridge von der Auffassung Blakes, der den Poetic Genius allen Realitäten des Seins überordnete. Für Coleridge ist die Kunst ein Vorgang der Vermittlung, in dem sich der substantielle Geist in seiner Tätigkeit abbildet. Der Piatonismus von Percy Bysshe Shelleys Defence of Poetry und die Begriffsbestimmung von Reason und Imagination zeigen Berührungspunkte mit der Ästhetik Coleridges14. Trotz des idealistischen Ansatzes gilt das vorherrschende Interesse Shelleys der Aufgabe und der Leistung des Dichters. Selbst wenn man diese Verlagerung dem apologetischen Ursprung des Traktats zuschreiben will, fällt die eigenartige Bestimmung des Dichters auf. Am Schluß der Defence findet sich die folgende Definition des Dichters: Poets are the hierophants of an unapprehended inspiration-, the mirrors of the gigantic shadows which futurity casts upon the present; the words which express what they understand not; the trumpets which sing to battle, and feel not what they inspire .. . Poets are the unacknowledged legislators of the world16. Das Priesterhafte des Dichters deutet darauf, daß er an einer überirdischen Wirklichkeit teilhat, die durch ihn spricht. Doch der Dichter ist kein passives Medium, durch das die Inspirationsströme hindurchfließen; er aktiviert die überirdische Wirklichkeit in dieser Welt. Folglich wird er zum Gesetzgeber der Menschheit; denn das Ethos wächst für Shelley aus den Entdeckungen der Poesie16. Aus einer chaotischen Welt schaffen die Dichter eine unzerstörbare Ordnung, sie bilden die Sprache, entwerfen Gesetze und werden dadurch zu den founders of civil society11. In diesem Wirken der Dichter sieht Shelley die eigentlichen Konsequenzen, die aus ihrer Vermittlerrolle zwischen einer platonischen Transzendenz und der Wirklichkeit erwachsen. Das Wirken der Dichter erfüllt sich darin, die überirdische Welt in die menschliche Realität umzusetzen. 11 14

Coleridge I, S. 183. - 1 2 Ibid. - 1 3 So auch Powell, S. 104f. Vgl. dazu ibid., S. 183. - 16 Shelley, S. 58. - 16 Vgl. ibid., S. 18. - " Ibid., S. 8.

Geschichtliche Vorbetrachtung

11

Ein wesentlicher Teil der Defence besteht darin, den Beweis dieser Auffassung zu führen. Shelley gewahrt ihn in der Geschichte; denn nur hier ist ,der Geist der Poesie von den Dichtern in anschaulicher Form verwirklicht worden 18 . Die Dichtung braucht das Chaotische und Zeitlich-Vergängliche, u m wirken zu können; denn Dichtung ist Uberwindung dieser Hinfälligkeit. Shelley ist von seiner historischen Exposition des Dichterischen so gefangen, daß er einhält und bekennt: But let us not be betrayed from a defence into a critical history of poetry and its influence on society19. Diese Geschichtsgebundenheit der Poesie hat ihre Entsprechung in dem Erkennen der Zukunft, die der Dichter erschließt. Denn seine Teilhabe an einer überweltlichen Ordnung erlaubt es ihm, über die Zeitdifferenzen in der Welt hinwegzugehen. Die Auffassung Shelleys vom Wesen der Dichtung unterscheidet sich von der Coleridges vor allem dadurch, daß Shelley die Dichtung nicht abstrakt, sondern geschichtlich definiert. Shelley verharrt wie Coleridge in der Uberzeugung, daß die Dichtung einem intelligiblen Bereich entspringt, doch sein Interesse gilt den historischen Auswirkungen des Dichterischen in der menschlichen Welt. Aus der transzendentalphilosophischen Bestimmung der Kunst bei Coleridge wird bei Shelley eine geschichtliche Bestimmung. Der Dichter entwirft keine Selbstanschauung des Geistes, sondern die sozialen Ordnungen der Menschen. F ü r Shelley bedarf es immer des Dichters, damit Kunst als Ordnung menschlichen Seins entsteht. F ü r Coleridge war die Kunst ein Vorgang der Vermittlung zwischen abstrakten Größen; die Geschichte spielte f ü r ihn keine Rolle. Wie sehr Shelley die Dichtung als Wirken in einer zeithchen Welt versteht, bezeugt sein viel zitierter Satz: Poetry redeems from decay (he visitations of the divinity in man20. Der Erlösungscharakter der Kunst bezieht sich zwar noch nicht, wie später bei Pater, auf die Bindung des Menschen an die erfahrbare Welt; denn Shelley sieht in der Kunst die Wiederherstellung des Göttlichen in der Welt. Daß aber das Göttliche vom Verfall bedroht ist, läßt erkennen, in welchem Maße die zeitlich-geschichtliche Welt an Bedeutung gewonnen hat. Die Kunst ist f ü r Coleridge wie f ü r Shelley gleichermaßen ein Vorgang der Schöpfung. Bei Coleridge aber trägt dieser Begriff eine normative Bestimmung, bei Shelley dagegen eine geschichtliche. Thomas C a r l y l e s Ausführungen über den Helden als Dichter gehören vielleicht nicht unmittelbar in die Ästhetik; dennoch gewinnen sie f ü r den vorliegenden Zusammenhang ihre Bedeutung durch die Verdeutlichung der Konsequenzen, die in Shelleys Konzeptionen verborgen lagen. Carlyle ist der Ansicht: . . .the Hero can be Poet, Prophet, King, Priest or what you ttrill, aecording to the kind of world he finds himself born into21. Die unterschiedlichen Ausprägungen des, Helden' sind geschichtsbedingt. Historische Zustände bestimmen darüber, 18

Vgl. ibid., S. 33 ff. -

19

Ibid., S. 42. -

20

Ibid., S. 52. -

21

Carlyle V, S. 78.

Einleitung

12

in welcher Form das .Heldische' notwendig ist. Diese Abhängigkeit des,Helden' von geschichtlichen Situationen geht über das hinaus, was Shelley über das Verhältnis von Kunst und Geschichte gesagt hat. Im Gegensatz zu Shelley ist bei Carlyle der ,Held' durch die Geschichte nahezu determiniert. Diese Determination hängt eng mit der Aufgabe des .Helden' zusammen; denn der .Held' soll die Geschichte wenden. Die Geschichte hört bei Carlyle auf, ein neutrales Beobachtungsfeld für das Wirken der Poesie zu sein; vielmehr verlangt die Geschichte die rettende und heilende Kraft des,großen Mannes'. Der Dichter schafft daher bei Carlyle nicht mehr die menschlichen Ordnungen kraft seiner Teilhabe an einer intelligiblen Welt; er stellt vielmehr durch einen moralischen Entschluß Dinge wieder her, die in der Geschichte verschüttet worden sind. Der Dichter wird daher für Carlyle zu einem Menschen once more, in earnest with the Universe, though all others were but toying with it22. Dieses once more bezeugt, wie sehr der Dichter sich gegen eine verfallende Welt wendet; nur er communicates an Unendlichkeit2S. Carlyles Konzeption der Geschichte bedeutet fast eine Umkehrung der von Shelley entwickelten Auffassung. War für Shelley die Geschichte der Ort, an dem sich die Wirkung der Kunst am besten ablesen läßt, so wird sie für Carlyle das Bild eines Weltzustandes, der überwunden werden muß. Aus dem Dichter als Gesetzgeber der Menschheit wird der ,Held', der bemüht ist, den Sinn für das Ganze noch einmal zu erwecken. Der ,Held' der Zukunft ist für Carlyle der Man of Letters. Doch der Schriftsteller ist schon in die apologetische Position des Mahners gedrängt. Er lebt in einer godless World24, soll aber the True, Divine and Eternal, which exists always, unseen to most, under the Temporary26 sichtbar machen. Was die Schriftsteller für Carlyle zu .Helden' macht, ist ihr Bemühen, die paralysierende Skepsis' der neuen Zeit zu durchbrechen und inmitten einer dem Geist entfremdeten Welt auszuhalten. Ernst und Aufrichtigkeit werden in dieser Lage für Carlyle zu genialischen Qualitäten26. Je stärker die Kunst auf die Geschichte bezogen wird, desto mehr verblaßt ihre schöpferische Funktion. Die Kunst wird zu einer Möglichkeit der Erlösung von der geschichtlichen Welt, an die sich der Mensch gebunden fühlt. Der Schriftsteller wird zum Heiler einer kranken Zeit. Carlyle spricht den ,großen Menschen' als .Helden' an. Damit sind zwei für die Lage kennzeichnende Aspekte herausgestellt. Der Mensch wird zum .Helden', indem er die zeitlich-geschichtliche Welt überwindet. Mit dem Begriff des ,Helden' aber ist gleichzeitig die Möglichkeit des Unterliegens angedeutet. Als ,Held' wird der ,große Mensch' zumindest potentiell zu einer tragischen Figur. Die Schriftsteller gelten bereits dadurch als .Helden', daß sie in einer den Geist .paralysierenden' Lage ausharren. 22

Carlyle V, S. 81. - 23 Ibid., S. 82. « Vgl. ibid., S. 176,180 u. 192.

2

24

Ibid., S. 171. -

25

Ibid., S. 155.

Geschichtliche Vorbetrachtung

13

Bei Carlyle hat die Kunst als Schöpfung einen kritischen P u n k t erreicht; sie hört auf, die Welt zu entwerfen und bietet sich nur noch als Möglichkeit, das längst Vergessene wieder herzustellen. Da Carlyle noch wie Coleridge u n d Shelley an den idealistischen Spekulationen interessiert bleibt, ist der Wandel in der Auffassung der Kunst um so lehrreicher. Die zunehmende Bindung der Kunst an die Geschichte bedingt einen Wechsel ihrer Aufgabe: Statt die Welt zu schaffen, wird sie zur Überwindung der geschichtlichen Welt des Menschen. b) Kunst als Nachahmung Die traditionsreiche Vorstellung von der Kunst als Nachahmung der Natur wird durch die Genielehre und den Begriff der Schöpfung keineswegs verdrängt. Sie wirkt noch weit ins 19. Jahrhundert hinein, erfährt indes eine wechselnde Bestimmung, die zur Umformung der alten Konzeption führt. In diesem Zusammenhang nimmt William W o r d s w o r t h eine aufschlußreiche Stellung ein. In der Note on Ode of Intimations of Immortality bekennt er von seinen Kindheitseindrücken: I was often unable to think of external things as having external existence, and I communed with all that I saw as something not apart from, but inherent in, my own immaterial nature. Many times while going to school have I grasped at a waU or tree to recall myself from this abyss of idealism to the reality1. Damit ist eine Position umrissen, die sich von der Coleridges unterscheidet. Wordsworth versucht, sich vor dem ,Abgrund des Idealismus' zu retten, indem er sich der physischen Existenz der Außenwelt in hilfesuchenden Gebärden versichert. War für Coleridge die Natur nur die unbewußte Form des Geistes, so wird sie f ü r Wordsworth zu einer Realität 2 . Doch die kindlichen Gesten machen deutlich, wie stark das Bewußtsein von der Unabhängigkeit der Außenwelt durch idealistische Vorstellungen bedroht war. In diesem Zusammenhang ist das Bekenntnis von Wordsworth zur aristotelischen Funktion der Dichtung eine natürliche Konsequenz seines Ansatzes: Aristotle, I have been told, has said, that Poetry is the most philosophic of all writing: it is so: its object is truth, not individual and local, but general, and operative . . . Poetry is the image of man and nature?. . . .the Poet... considers man and nature as essentially adapted to each other, and the mind of man as naturally the mirror of the fairest and most interesting properties of nature4. Die Zuordnung von Mensch und Natur in der Dichtung von Wordsworth unter1

Wordsworth, Works IV, S. 463. Vgl. hierzu Bowra, S. 89f. u. Eliot, Use of Poetry, S. 72 u. 74f. 3 Wordsworth, Criticism, S. 25; vgl. dazu neuerdings Owen u. die Besprechung des Buches durch H. Huscher: Anglia 77, S. 244ff. 4 Wordsworth, Criticism,, S. 27. 2

14

Einleitung

scheidet sich von der Auffassung Coleridges. Obgleich beide die gleiche Metapher des Spiegels benutzen, spiegelt sich für Coleridge der Geist in der Natur, während sich bei Wordsworth das Verhältnis umkehrt. Die Natur wird dadurch als unabhängige Existenz vorausgesetzt und erhält gleichzeitig eine für den Menschen gesteigerte Vorbildlichkeit. In der Dichtung geschieht eine Angleichung des Menschen an die Natur, deren Bestimmung nicht mehr mit der aufklärerischen Vorstellung, daß Natur die Natur des Menschen sei, identisch ist. Die Natur erhält göttliche Attribute, deren Nachahmung in der Kunst zu einer Verwandlung des Menschen führt. Powell hat in ihrer Arbeit über die romantische Poetik hervorgehoben: Because the spirit of Nature is the divine spirit, Wordsworth cares about the common life of her several creatures6. Denn es ist Aufgabe des Dichters, durch die Nachahmung der Natur die ursprünglichen Formen menschlichen Verhaltens wiederherzustellen, wie sie die Natur lehrt. Bleibt Wordsworth dem Schema der Mimesisvorstellung verhaftet, so verwandelt er den Naturbegriff der Aufklärung durch eine pantheistische Steigerung. Die pantheistisch erhöhte Natur bot ihm die Möglichkeit zu einer, wie er glaubte, echten Nachahmung der Natur durch die Kunst, um dadurch die aufklärerischen Konzeptionen anzugreifen. Das aber bedeutet, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine als Mimesis begriffene Kunst sich die Attribute der Natur selbst entwirft; der traditionelle Begriff der Nachahmung wird durch eine individuelle Auffassung dessen, was Natur sei, erweitert. Dieser Zug erfährt bei John R u s k i n seine erste bedeutsame Bestätigung; Ruskins Naturvorstellung ist, wie Townsend betont, a striking testimony of the dissemination of the ideas of the Lahe School6. Die Verwandtschaft Ruskins mit Wordsworth bezeugt sich zunächst in der Vorbildlichkeit der Natur: For young artists nothing ought to be tolerated but simple bona fide Imitation of nature7. Die Lebendigkeit alles Naturhaften wird in Modern Painters, wie Evans in ihrer Biographie über Ruskin hervorgehoben hat, durch den Kontrast mit den Menschen sinnfällig gemacht 7 *, die auf dem Hintergrund der Natur zur Leblosigkeit erstarren. Damit ist ein hierarchisches Verhältnis zwischen Mensch und Natur hergestellt; es bildet die Basis der Ruskinschen Ästhetik. Aus diesem Ansatz erklärt sich das Bemühen in Modem Painters, die Wahrheit der Wolken, der Felsen und der Bäume herauszuarbeiten 8 . Daraus entsprang die zeitgenössische Polemik gegen Ruskin, indem man ihm vorwarf, er fordere vom Landschaftsmaler, daß er Botaniker und Geologe sei9. Der Versuch indes, die Wahrheit natürlicher Erscheinungen zu ergründen, erschöpft sich nicht in einem wissenschaftlichen Interesse. So wenig wie 5 7a

Powell, S. 132. - 6 Townsend, S. 7. - 7 Ruskin III, S. 623. Vgl. Evans, S. 89. 8 Vgl. hierzu Hough, S. 9. - » Vgl. ibid.

Geschichtliche Vorbetrachtung

15

Wordsworth die Natur als Objekt leidenschaftsloser Betrachtung auffaßte, sieht Ruskin in ihr einen Gegenstand der Erfahrungswissenschaft.... it is not possible for a Christian man to walk across so much as a rood of the natural earth, with mind unagitated and rightly poised, without receiving strength and hope from some stone, flower, leaf, or sound, nor without a sense of a dew falling upon him out of the shy.. .It seems to me that the real sources of bluntness in the feelings towards the splendour of the grass and glory of the flower, are less to be found in ardour of occupation, in seriousness of compassion, or heavenliness of desire, than in the turning of the eye at intervals of rest too selfishly within10. Die Bedeutung der Natur liegt in ihrem christlichen Offenbarungscharakter; Ruskin hat an einer anderen Stelle hervorgehoben, daß Gott die Seele der Natur sei11. Die Natur als Uber creaturarum erhält bei Ruskin eine theologische Auslegung, die in Vorstellungen wie glory of the flower durchschlägt. Die Beobachtung der natürlichen Phänomene gilt daher nicht nur ihrer Beschaffenheit, sondern darüber hinaus dem Offenbarungsgehalt, der in ihnen anschaulich wird. Diese Einstellung muß folgerichtig in der Orientierung des Menschen an seiner Innerlichkeit ihr Anathema erblicken. In dem Augenblick, in dem sich der Mensch nach Innen wendet, verschließt er sich der Natur; die mimetische und die individualistische Auffassung der künstlerischen Orientierung bilden für Ruskin Gegensätze. According to Ruskin's theory, art was the interpreter of nature, and unless the artist saw nature through the eyes of religion, he could not show the beneficence of God, and thus he could not attain to truth in his interpretation12. Die Einbildungskraft diente deshalb für Ruskin nicht dem Ausdruck dessen, was der Künstler sah oder was in ihm verborgen lag: Imagination is a pilgrim on the earth - and her home is in heaven13. Die Kunst als Mimesis empfing bei Ruskin durch die theologisch gesteigerte Natur ihre eigentliche Würde. Ruskin benutzte das aristotelische Schema mit dem Ziel, die Kunst an die Religion zu binden. Für ihn war nur der fromme Mensch großer Kunst fähig14. Den pantheistischen Naturbegriff von Wordsworth ersetzte Ruskin durch christliche Theologie und evangelikale Frömmigkeit. Die Kunst wurde für ihn ein moralisches Phänomen, das die Spuren Gottes in der Welt widerspiegelte. Trotz des gemeinsamen Ansatzes unterscheidet sich die Naturkonzeption Ruskins von der Wordsworths in wesentlichen Punkten. Der Wechsel in der Auffassung dessen, was Natur sei, gewinnt auf dem Hintergrund der Tradition seine Bedeutung. Die Konstanz des traditionellen Naturbegriffs wird immer stärker von einer individuellen Auslegung abgelöst; die als Mimesis verstandene Kunst verliert die über Jahrhunderte hin geltende Gemeinsamkeit ihrer Voraussetzung.

10 13

Ruskin IV, S. 215f. - 11 Ders. III, S. 148. Ruskin IV, S. 288. - 14 Vgl. ibid., S. 211.

12

Townsend, S. 50.

16

Einleitung

Es ist deshalb nur ein kleiner Schritt notwendig, um diese Auffassung der Kunst, deren Fundamente bereits individuell verschieden interpretiert wurden, zu verwandeln. In Dante Gabriel R o s s e t t i s kurzer Erzählung Hand and Soul ist diese Verlagerung in der Bestimmung der Kunst beispielhaft aufgezeigt. In ihrem Programm bekannten sich die Präraphaeliten zur Kunst als Nachahmung der Natur 16 . Doch schon bei Holman Hunt und Millais, die in Ruskin ihren Propheten sahen18, ist die Natur nicht mehr der Uber creaturarum; sie wird vielmehr mit Qualitäten identifiziert, die in der Geschichte der Malerei verwirklicht worden sind. Rossetti geht in seiner Erzählung Hand and Soul über diese abgewandelte Naturkonzeption hinaus, indem er eine neue Möglichkeit der künstlerischen Orientierung aufzeigt. Der junge Maler Chiaro dell' Erma wächst unter den alten florentinischen Meistern heran17. Er bemühte sich from early boyhood towards the Imitation of any objects offerei in nature1B. Er bringt es rasch zu einer Meisterschaft in der Nachahmung der Natur, so daß er bald seine Vorbilder unter den Malern übertrifft 19 . Dieses Streben nach Ebenbürtigkeit und Überlegenheit deutet auf den geheimen Ehrgeiz, der in Chiaro lebendig ist 20 . Immer wenn er von einem besseren Maler hört, beginnt er zu arbeiten, um den Ruhm des anderen zu überflügeln21. Das aber bedeutet, daß die Nachahmung der Natur nicht um ihrer selbst willen geleistet wird, sondern in den Dienst einer persönlichen Ruhmsucht tritt. Damit entfernt sich Chiaro von der ursprünglichen Aufgabe der Malerei, wie sie Ruskin und die Präraphaeliten zumindest theoretisch begriffen haben. In Chiaro wächst ein innerer Zwiespalt, der selbst vom Ruhm, den er erreicht, nicht überdeckt werden kann22. Die Orientierung seiner Kunst und sein persönliches Verlangen stehen in einem Mißverhältnis zueinander. Dieses Mißverhältnis wird graviert durch a feeling of worship and Service13, das ihn zum Malen treibt. Verehrung und Dienst waren Qualitäten, die Ruskin vom Maler verlangte, damit er die rechte Einstellung zu Gottes Natur und deren moralischenKräftengewinne. Bei Chiaro indes vermögen sich dieseEmpfindungen nicht mehr angemessen zu fixieren, denn er sah in der Natur nur einen Gegenstand, dessen meisterhafte Kopie zum Ruhme verhalf. Aus dieser inneren Bedrängnis heraus beschließt er, sich ein neues Ziel zu setzen: From that moment Chiaro set a watch on his soul, and j>ut his hand to no other works but only to such as had for their end the presentment of some moral greatness that should influence the beholder: and to this end, he multiplied abstractions, and forgot the beauty and passion of the worldDas Mißverhältnis zwischen ,Hand' und ,Seele' versucht Chiaro dadurch zu lösen, daß er die 16

Vgl. Hunt I, S. 86f., 107, 110f., 112,129, 132, 134 u. 147. " Vgl. hierzu auch Hough, S. 44. - 1 7 Rossetti I, S. 383. - 1 8 Ibid., S. 384. 19 Vgl. ibid., S. 385. - 20 Vgl. ibid., S. 386. - 21 Vgl. ibid., S. 386f. 22 Vgl. ibid., S. 387. - 23 Ibid. - 24 Ibid., S. 388.

Geschichtliche Vorbetrachtung

17

,Seele' bei der Darstellung seiner Gegenstände weitgehend ausschließt. Seine Bilder sollen auf diese Weise eine moralische Vorbildlichkeit für den Betrachter gewinnen. Die ,Hand' aber vermag nur eine Vervielfältigung von Abstraktionen zu leisten; das Malen erstarrt zu einer Technik, die die Schönheit und die Leidenschaftlichkeit nicht erfassen kann. Die moralische Konzeption der Kunst, die für Ruskin das Fundament aller Kunst bildete, wird von Rossetti mit einer bloßen Technik des Machens gleichgesetzt, in der Seele, Schönheit und Leidenschaft ausgeschlossen sind. Diese Trennung von ,Hand' und,Seele', zu der sich Chiaro bereit findet, soll sich in einer moralischen Vorbildlichkeit erfüllen. Chiaro malt eine Allegorie des Friedens, die vor dem Portal der Kirche aufgestellt wird. Als sich die feindlichen Parteien der Stadt beim Kirchgang vor dem Bild treffen, kommt es zu einer blutigen Auseinandersetzung; die Allegorie des Friedens wird mit dem Blut der Streitenden befleckt 26 . Chiaro sieht sein Bestreben gescheitert; er hält sich für einen verwerflichen Menschen26. Plötzlich erscheint ihm in einer Traumvision seine eigene Seele. Chiaro fällt auf die Knie vor dieser Erscheinung, die in archaisierend-biblischer Diktion zu ihm spricht. Er ist zerknirscht und empfindet Scham, daß er sich bisher den Forderungen der Seele entzogen hat 27 . Zum Schluß gebietet ihm die Erscheinung: 'Chiaro, servant of God, take now thine Art unto thee, and paint me thus, as I am, to know me: weak, as I am, and in the weeds of this time\ only wiih eyes which seek out labour, and wiih a faith, not learned, yet jealous of prayer. Do this; so shall thy soul stand before thee always, and perplex thee no more'2S. Jetzt hat Chiaro den angemessenen Gegenstand seiner Kunst gefunden; die ,Hand' tritt in den Dienst der ,Seele'. Die Kunst hört auf, Darstellung natürlicher Phänomene oder moralischer Kräfte zu sein, wie sie Ruskin noch verstanden hat; sie wird zum Selbstausdruck dessen, was im Inneren verborgen hegt. Erst diese Erkenntnis läßt die Verwirrung von Chiaro abfallen, der bisher seine Kunst einer falschen Orientierung unterworfen hatte. Diese Verlagerung der Aufgabe zeigt Rückwirkungen auf die Mimesisvorstellung. Denn die Seele, die jetzt dargestellt werden soll, besitzt keine Vorbildlichkeit mehr. Sie bekennt von sich selbst, daß sie schwach und in das Gewand der vergänglichen Welt gehüllt sei. Kunst als Nachahmung zielt auf Exemplarität des Dargestellten; Kunst als Ausdruck erschöpft sich im Abbilden eines subjektiven Erlebens. Rossettis Hand and Soul bildet den Prozeß der Verwandlung des Mimesisbegriffs in eine Ausdruckskunst ab. Die mangelnde Exemplarität einer als Selbstausdruck begriffenen Kunst hat Rossetti zum Schluß seiner Erzählung ironisch pointiert. Er berichtet davon, wie er 1847 nach Florenz kommt und das Bild der Seele von Chiaro 25 28

2

Vgl. Rossetti I, S. 389f. Ibid., S. 394 f.

Iser, Walter Pater

28

Vgl. ibid., S. 391. -

27

Vgl. ibid., S. 393.

18

Einleitung

sieht89. Bei der Betrachtung des Bildes kommt es zu einer Reihe von Mißverständnissen unter den um das Bild herumstehenden Personen. Jeder glaubt, die Haltung des anderen im Anblick des Bildes erklären zu können; alle Erklärungen indes geschehen aus einer subjektiven Perspektive. Zum Schluß sagt ein Franzose unter den Besuchern des Museums, daß eine Sache, die man nicht versteht, auch nichts bedeuten könne. Rossetti meint dazu: My reader thinks fossibly that the French Student was right30, und damit endet die Geschichte. Aus dem Kommentar Rossettis, den er durch die verschiedenen Betrachter des Bildes und die zwischen ihnen entstehenden Mißverständnisse liefert, läßt sich soviel ablesen, daß eine als Ausdruck begriffene Kunst nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist. Die Kunst hört auf, moralische und geistig verbindliche Maßstäbe aufzustellen31, wie es Ruskin gefordert hatte; sie löst sich vom großen Gegenstand und wird Ausdruck der Subjektivität. Diese Verwandlung in der Bestimmung der Kunst bedeutet den Verlust ihrer Exemplarität. Kunst als imitatio erfüllt sich in der Vorbildlichkeit des Dargestellten; Kunst als expressio findet im Offenbarmachen der verborgenen inneren Regungen ihren Sinn. Der Ausdruck kann zum Zwang werden, wenn man Erlösung sucht. 29

Vgl. dazu Rossetti I, S. 395 ff. - 30 Ibid. , S. 398. Auf eine Diskussion von Matthew Arnold wurde in diesem Zusammenhang bewußt verzichtet, da das Verhältnis zwischen Arnold und Pater bereits des öfteren erörtert worden ist; vgl. hierzu Eliot, Place of Pater, Tillotson, Arnold and Pater und Hough, S. 134 ff. 31

H. D I E A U T O N O M E K U N S T 1. D E R ANSATZ a) Skepsis Hinter literarischen Debuts verbirgt sich oft mehr als das zufallsbedingte Einsetzen einer neuen Aktivität; vielfach enthüllt sich im Beginn das Programm. Programme indes brauchen nicht immer Manifesten zu gleichen. J e komplexer die geistigen Verflechtungen erscheinen, auf die der Autor erstmals zu antworten beginnt, desto verhohlener wird sich seine Absicht bekunden. I m Jahre 1866 veröffentlichte Pater einen Essay über Coleridge. Der einzige philosophische Systematiker der englischen Dichter des 19. Jahrhunderts war es, der Pater zur literarischen Selbstbesinnung nötigte. Pater bemühte sich, den spekulativen Zug des großen Romantikers aus seinem geistig-seelischen Geschlagensein heraus zu verstehen. Das Umfassende des Coleridgeschen Denkens hatte f ü r Pater seine Faszination verloren. Ihm war die Synthesis nur eine Antwort auf die moderne Situation; nicht die Antwort, sondern die Situation erweckte in Pater das eigentliche Interesse. So gilt auch der einleitende Aufriß des Essays einer Skizzierung der modernen Situation, wie sie Pater empfand: Modem thought is distinguished from ancient by its cultivation of the 'relative' spirit in place of the 'absolute'. Ancient philosophy sought to arrest every object in an eternal outline, to fix thought in a necessary formula, and the varieties of life in a classification by 'kinds', or genera. To the modern spirit nothing is, or can be rightly known, except relatively and under conditions1. Die Bedingtheit modernen Denkens relativiert alle Eindeutigkeit der Erkenntnis. Doch diese Relativität t r ä g t keine negativen Akzente. Wenn die Bedingungen der Erkenntnis eine konstitutive Bedeutung erhalten, dann scheint der moderne Geist durch sein fortwährendes Beobachten 2 eine Fülle von Phänomenen in den Blick zu bekommen, die der absolute Geist geradezu abschirmen muß. Schließt sich im Zugriff durch den absoluten Geist die Welt zur Eindeutigkeit kategorial gestufter Hierarchien zusammen, 1

Appreciations, S. 66. -

2

Vgl. ibid.

Die autonome Kunst

20

so wächst im relativen Geist das Bewußtsein einer grenzen verwischenden Ausdehnung der Dinge. Die Beweglichkeit des Relativen, das sich nirgends verpflichtet weiß, erscheint beziehungsreicher als das an feststehende Umrisse gebundene Denken. Dekretiert der absolute Geist einen unverrückbaren Sinn, so entdeckt der relative fortwährend neue Spielarten des Wirklichen; statt Zuordnung sucht er Ausdehnung. Diese einleitenden Bemerkungen Paters gewinnen dadurch eine erhöhte Bedeutung, daß sie auf eine Betrachtung von Coleridge hinführen. Aus der gleichen modernen Situation zieht Pater im ständigen Blick auf Coleridge andere Folgerungen. Ja, es scheint so, als ob die Gestalt Coleridges indirekt dazu diene, eine andere Auslegung der gleichen Lage durch Pater in ihrer Sinnfälligkeit zwingender zu machen. Denn das literarische Wirken von Coleridge begriff Pater als a disinterested struggle against the relative spirit... It was an effort, surely, an effort of sickly thought, that saddened his mind and limited the operation of his unique poetic gift?. Coleridge hatte sich nach Pater gegen die moderne Notwendigkeit des Relativen gewehrt, und dieses SichWehren wurde durch eine zunehmende Verdüsterung seines Geistes manifest. Die reale Welt der Erscheinungen systematisch zu umfassen, um das Absolute zu erkennen 4 , bedeutet für Pater eine Selbstvergewaltigung, die sogar die Möglichkeiten des Genies wegzehrt und verbraucht. Das intellektuelle Bemühen Coleridges verdichtet sich für Pater zum Zeichen dafür, daß eine umspannende, absolute Weltdeutung unmöglich geworden ist. Aus dieser Vergewisserung zieht Pater seine Konsequenzen: What the moralist asks, Shall we gain or lose by surrendering human life to the relative spirit? Experience answers that the dominant tendency of life is to turn ascertained truth into a dead letter, to make us all the phlegmatic servants of routine. The relative spirit, by its constant dwelling on the more fugitive conditions or circumstances of things, breaking through a thousand rough and brutal classifications, and giving elasticity to inflexible principles, begets an intellectual finesse of which the ethical result is a delicate and tender justice in the criticism of human life6. Was zu Anfang des Essays über Coleridge als Nebeneinander epochal unterschiedener Denkstrukturen verstanden wurde, ist hier mit Wertakzenten versehen. Der relative Geist wird der philosophischen Dogmatik deshalb übergeordnet, weil er die Erfahrung in ihrer Dynamik begreift. Der absolute Geist wurde gerade dieser entscheidenden Bestimmung nicht gerecht, weil er die Beweglichkeit der Erfahrung mit dem Ziel feststehender Erkenntnis transzendierte. Der relative Geist dagegen sucht die Verflechtungen und Überkreuzungen der Dinge auf, durchbricht starre Schemata der Ordnung und legt alles in seiner assoziativen Vielfalt auseinander.

3

Appreciations, S. 68 f. Zur Kritik der Paterschen Vorstellung von Coleridge, die

allerdings über den vorliegenden Zusammenhang hinausführt, vgl. Richards, S. 38 ff. 4

Vgl. Appreciations, S. 68. -

5

Ibid., S. 103.

Der Ansatz

21

Daraus erwächst der skeptischen Gesinnung eine Aufgabe. Sie gewinnt hier wieder etwas von ihrer antiken Bedeutung zurück, wo Skepsis „soviel wie ausspähen, genau nachsehen, suchen, untersuchen" 6 besagte. Gerade diese antike Nuance nimmt der Paterschen Skepsis das Attribut der Resignation7; zur Resignation kann die Skepsis nur werden, wenn das immanent menschliche Erkennen im Blickwinkel der Glaubenszuversicht erscheint. Für Kierkegaard wurde deshalb das endliche Leben überhaupt erst unter der Kategorie der .unendlichen Resignation' faßbar 8 . Doch Paters Skepsis leuchtet nicht im Spiegel der Glaubenszuversicht auf - wenigstens nicht in seinem ersten Essay-, sondern auf dem Hintergrund einer die Welt konstruierenden Dogmatik. Das Wirken des absoluten Geistes wird zur Routine abgewertet; der Skepsis fällt die Aufgabe zu, das Tote und Erstarrte abzustoßen. Diese Wirkung aber konstituiert sich durch den für Pater entscheidenden Bezugspunkt des Relativen: durch die Erfahrung. Da der absolute Geist an der Idee orientiert bleibt, muß er gerade die verwickelte Widersprüchlichkeit und die Vielfalt der konkreten Erfahrung verdecken. So wird der relative Geist zu einer erschließenden Skepsis, die die reine Erscheinung der Dinge einer selbst noch so vollkommenen Deutung der Dinge überordnet; statt dem normativen Zwang gilt das intellektuelle Bemühen dem faktischen Sosein. Hier beginnt nun die Skepsis, ihre Aktivität zu entfalten. Ihr kontrastvolles Absetzen vom absoluten Geist und ihre Beziehung auf die Erfahrung bezeichnen die Doppelpoligkeit ihres Wirkens. Sie bewahrt die Erfahrung vor jeder ideellen oder systematischen Überfremdung und hält dadurch gleichzeitig das Bewußtsein von der Bedingtheit alles Wirklichen wach. Erst aus der Bedingtheit alles Wirklichen entsteht für Pater die Erscheinungswelt; deshalb begreift er jede normative Deutung als eine Verdinglichung der Erfahrung. Das Verdinglichte und Erstarrte wird von der Skepsis durchbrochen, die dadurch einen dynamischen Charakter gewinnt; denn sie resigniert nicht auf das Unerreichbare hin, sondern begreift sich als Abwehrbewegung gegen den Zugriff des absoluten Geistes. Aus dieser Auffassung entspringt trotz negativer Gegenstandsrichtung die positive Funktion der Skepsis. Denn das Durchbrechen des Erstarrten und Verdinglichten bedeutet, daß im Zerbrechen des bisher Gültigen und Erkannten eine neue Wirklichkeit entdeckt und freigelegt wird. Jede theoretische Bewältigung des Lebens wurde Pater verdächtig, weil sie die Mehrschichtigkeit der Erfahrung einebnete. Das Umfassende der Idee verfiel der Gleichgültigkeit, da es die für Pater entscheidende Bedingtheit des Wirklichen mißachtete. Wenn es schon galt, das Unbedingte aufzuspüren, so mußte es im Umkreis 6 8

Löwith, Wissen, Glaube und Skepsis, S. 28. Kierkegaard, Furcht und Zittern, S. 42 f.

7

Vgl. dazu ibid., S. 26 ff.

Die autonome Kunst

22

der Erfahrung selber gesucht werden und würde sich eher negativ als positiv bestimmen lassen. Paters Skepsis bleibt daher stets darauf gerichtet, die traditionellen, an der Idee orientierten Deutungen der Erfahrung abzuwerten. Dieser Versuch lebt aus dem Bestreben, die Bedingtheit der Erfahrung in ihrer unendlichen Verästelung und Schichtung offenbar zu machen, so daß durch die faßbar werdende Ausdehnung ein neues Gefühl für das Unabschließbare als ihre entscheidende Dimension erwächst. . . . according to the sce-pticism, latent at least, in so much of our modern philosophy, the so-called real things themselves are nothing but spectra after all9. Wenn durch die Skepsis die Fakten selbst zu Phantomen verblassen, so deshalb, weil alle sogenannte Wirklichkeit immer schon gedeutete Wirklichkeit ist. In der Paterschen Skepsis bezeugt sich die Erkenntnis, daß außerhalb der reinen Eindruckserfahrung alle Realität letztlich von ideellen Vorstellungen her entworfen ist, die die Einzelerfahrung durch ihr jeweiliges Bezugssystem bestimmen. Wirklichkeit gibt es daher für Pater eigentlich nur als ungedeutete Erfahrung. Dadurch werden die formalen Bestimmungen der Erfahrung in Frage gestellt. Der relative Geist sucht jedoch die Unsicherheit, die der absolute Geist durch seine Kategorien fortwährend zu beseitigen trachtete. Die Entdeckung eines umfassenden Prinzips erscheint der Vielfältigkeit der Erfahrung gegenüber unangemessen. Deshalb zielt der relative Geist fortwährend darauf ab, das Gefühl für das Unabschließbare der Erfahrung im Menschen zu wecken. Dies geschieht im unablässigen Auflösen aller vom absoluten Geist konstruierten Zusammenhänge, um im Relativieren des Normativen den Sinn für das Offene zu beleben. Diese Skepsis sucht nicht Erkenntnis, sondern bereitet das Wagnis vor 10 ; sie bleibt durch ihren polemischen Zug rückwärts gerichtet, will aber die Offenheit einer bestimmungslosen Zukunft bewußt machen und folgt deshalb dem rasch und zufällig wechselnden Erfahrungsstrom als ihrem letzten Erkenntnisgrund. Alles, was sich im Vorübergleiten verfestigt, muß daher wieder aufgelöst werden11. Dieser Mangel an Endgültigkeit wurde für Pater zum ,Salz der Wahrheit' 12 . Seine Skepsis blieb nur insoweit auf die Totalität eines umfassenden Denkens bezogen, als er gegen diesen Anspruch die Eigentümlichkeiten der unabschließbaren Vielfalt der Erfahrung zur Geltung bringen wollte. So ist seine Skepsis zwar von einem ideellen Weltverständnis abhängig, aber nur insoweit, als sie durch ihre Korrektur die Vielfalt der Erfahrung greifbar macht. Skepsis dieser Art setzt ein hohes Maß an Kultiviertheit voraus, weil die öffnende Wirkung des Relativierenden nur auf dem geschichtlichen Hintergrund der großen Systeme letztlich begreifbar wird. Erst durch das spezifische Verhalten zum Gewesenen erscheint die Tendenz 9 11

Appreciations, S. 98. - 10 Vgl. Marius I, S. 149f. Vgl. Plato and PlaUmism, S. 193ff.- 1 2 Vgl. ibid., S. 196.

Der Ansatz

23

der Paterschen Skepsis verstellbar. Ihr Telos ist ein negatives, denn sie bestreitet die Gültigkeit des konstruierenden Geistes; diesem Ansatz entspricht das Bestimmungslose, das Offene, auf das sie abzielt. Deshalb dürfte es kein Zufall sein, daß eine kritische und durchaus wohlwollende Betrachtung von Coleridge für Pater zum Anlaß wurde, seine Vorstellungen zu konkretisieren. In der Begegnung mit dem letzten spekulativen Systematiker der englischen Literatur bekundet Pater sein Anderssein. b) Essay Die Skepsis, wie sie Pater in seinem ersten Essay beschrieben hat, blieb ein beherrschender Grundzug seiner Vorstellungswelt. Daraus ergab sich für ihn ein Darstellungsproblem. Denn es galt, eine Form zu finden, die das Unabschließbare der Erfahrung greifbar machte. Pater war sich dieser Problematik bewußt, wie seine Reflexionen über den unterschiedlichen Charakter der Formen bekunden. Die Form, die seiner Lage angemessen war, mußte der Absicht aller Form: die Grunddissonanzen der Erfahrung aufzuheben1, zuwiderlaufen. Denn die Skepsis sucht nur die Möglichkeiten der Erfahrung auf, versucht aber nicht, sie zu bewältigen. Pater fragt daher nach jener paradoxen Form, die die Erfahrung als eine unbewältigte bietet: The poem, the treatise, the essay: you see already that these three methods of writing are no mere literary accidence, dependent on the personal choice of this or that particular writer, but necessities of literary form, determined directly by matter, as corresponding to three essentially different ways in which the human mind relates itself to truth. If oracular verse, stimulant but enigmatic, is the proper vehicle of enthusiastic intuitions-, if the treatise, with its ambitious array of premiss and conclusion, is the natural out-put of scholastic all-sufficiency, so, the form of the essay ... [is] .. .the literary form necessary to a mind for which truth itself is but a possibility, realisable not as general conclusion, but rather as the elusive effect of a particular personal experience-, to a mind, which, noting faithfully those random lights that meet it by the way, must needs content itself with suspension of judgement, at the end of the intellectual journey, to the very last asking: Que scais-je?2 Das rhapsodische Gedicht, der scholastische Traktat und der Essay sind für Pater drei Formen, die den geschichtlichen Wandel im Erfassen des Wirklichen und der Wahrheit markieren. Von der enthusiastischen Eingebung über die systematische Ganzheitsschau führt der Weg zum Essay, in dem die Wahrheit hypothetisch wird und das Verbindliche verliert, das ihr das rhapsodische Gedicht und der scholastische Traktat gerade verschafften. Was in den Möglichkeiten, die der Essay einfängt, sichtbar wird, sind schwer zu fassende Effekte und Reflexe, die nicht auf das Ganze deuten, sondern auf die persönliche Erfahrung zurückverweisen. 1

Lukäcs, Roman, S. 249. -

2

Plato and Platonism, S. 175f.

24

Die autonome Kunst

So begreift Pater den Essay als eine Form, die die verlorene Gesamtsicht widerspiegelt und das Umfassende nicht mehr herausarbeitet, statt dessen aber das Leben in seinen unvorhersehbaren Wechselfällen ständig begleitet. Die typologische Zuordnung des Essays auf das mythische und scholastische Erfassen der Welt deutet auf das Bemühen, die veränderte Bewußtseinslage zu profilieren, die sich im Essay darstellt. Wie der relative Geist den absoluten benutzte, um sich in seiner Andersartigkeit zu begreifen, so gewinnt der Essay als moderne Ausdrucksform für Pater faßbare Umrisse in der Projektion auf eine geschichtliche Formenwelt. Dadurch wird die im Essay erfolgte Verlagerung des geistigen Verhaltens einsichtiger. Der Essay ergreift den Geist in seinem beständigen Auf-demWeg-Sein; ja, er ist die Form, die diese unablässige Bewegung einzufangen versucht. Das setzt voraus, daß dieser Bewegung ein Gerichtetsein fehlt. Denn die Bewegung als solche kann nur dann zum eigentlichen Gegenstand werden, wenn sie nicht Weg zu einem Ziel ist. Deshalb verwirklicht sich das essayistische Schreiben im zufallsbedingten Schweifen, das nie in den abschließbaren Akt der Erkenntnis ausmünden wird. Es erhascht nur die random lights, die am Wege im Spiel des Zufalls aufleuchten; es bezieht sich auf die Wahrnehmungen persönlicher Erfahrung und vermag sich niemals auf einen systematischen Schluß hin zu sammeln. Wenn die Wahrheit zur Möglichkeit verblaßt, wird sich der Essay immer nur von Erfahrung zu Erfahrung tasten können und in der Unabschließbarkeit seines fortwährenden Versuchens ein Gefühl immanenter Unendlichkeit verlebendigen. „Der Essay ist das Organ eines Schreibens, das nicht Resultat, sondern Prozeß sein will, genau wie das Denken, das hier schreibend zur Selbstentfaltung kommt. In ihm hat der besondere Charakter dieses Denkens, die Skepsis, ihr Mittel gefunden . . . Da die Skepsis Urteile und Klassifikationen meidet, meidet der Essay auch formal die Ganzheit. . . Da die Skepsis an Stelle von konstruierten Zusammenhängen die Anschauung des Einzelnen setzt, öffnet sich auch der dehnbare Essay der sinnlichen und inneren Anschauung; er schildert, erzählt, spricht aus, und er bezeugt so, daß die Darstellung des Angeschauten dessen im Begriff nicht zu begreifende Wahrheit reiner und schonender erfaßt als die diskursive Zerlegung"3. Richtet sich der Essay auf die Vielgliedrigkeit des Erfahrbaren, dessen einzige Bestimmung die verfließende Unendlichkeit ist, so muß das essayistische Erfassen an einer anderen Stelle des Denkvorgangs ansetzen als der in systematischen Definitionen schließende Traktat. Bleibt der Essay auf die Möglichkeit und nicht auf die begreifbare Wahrheit bezogen, so wird er niemals die Welt als eine begriffene zur Darstellung bringen, wie es der Traktat 3 Friedrich, S. 430. In diesem Zusammenhang zieht Friedrich auch Pater für die Erklärung der Form mit heran, vgl. S. 443.

Der Ansatz

25

durch seine Prämissen leistet. Im Essay zeigen sich daher Welt und Erfahrung beständig im Prozeß des Sich-Bildens und des Sich-Ereignens. Da der Bezugspunkt des Essays die Möglichkeit ist, wird auch das in ihm zur Darstellung Kommende auf der Stufe des Sich-Formierens und des Sich-Heraushebens ergriffen. Nicht das Resultat, sondern eine fortwährende Ausdrucksbewegung wird das Zeichen dieses Vorgangs sein. The treatise, as the instrument of a dogmatic philosophy begins with an axiom or definition: the essay or dialogue, on the other hand, as the instrument of dialectic, does not necessarily so much as conclude in one; like that long dialogue with oneself, that dialectic process, which may be co-extensive with life. It does in truth little more than clear the ground, as we say, or the atmosphere, or the mental tablet, that one may have a fair chance of knowing, or seeing perhaps: it does but put one into a duly receptive attitude towards such possible truth, discovery, or revelation, as may one day occupy the ground, the tablet, - shed itself on the purified air; it does not provide a proposition, nor a system of propositions, but forms a temper4. Nicht allein geschichtlich, sondern auch funktional unterscheidet sich für Pater der Essay vom Traktat. Gegen den determinierenden Zwang des Traktats hält der Essay, der für Pater aus den platonischen Dialogen hervorgegangen ist, die Erfahrung offen. Er verhält sich deshalb auch passiv zu ihr, denn nur so kann sich die Anschauung bilden. Als Prozeß der Selbstentdeckung muß der Essay den Lebensstrom ständig begleiten, da er nicht von Setzungen ausgeht und sich nicht auf Ergebnisse hin sammelt. Die behutsame Haltung des Hinhorchens und Abwartens entspringt der Absicht, die Erfahrung vor aller konstruierenden Überfremdung zu bewahren; denn die Wahrheit ist nicht, sondern vermag allenfalls zu werden. Wenn der Essay in diesem Bemühen dialektisch verfährt, so nicht im hegelschen Sinne einer integrierenden Synthesis, sondern in einer auffächernden Perspektivik; in that long and complex dialogue of the mind with itself, many persons, so to speak, will necessarily take part; so many persons as there are possible contrasts or shades in the apprehension of some complex subjectB. Weil Pater die Dialektik, die im Essay wirksam ist, viel eher als ein Sammeln verstand und nicht als ein systematisches Schließen, schärft der Essay nur die Fähigkeiten des Beobachtens und mündet in eine Haltung, nicht aber in ein System. Das Denken und Schließen geschieht daher bei Pater in einer assoziativen Form. Denn das assoziative Herstellen von Verbindungen umgreift die beiden für den Essay wesentlichen Pole: die Zufälligkeit des Erfahrbaren wie auch die subjektive Bezogenheit des Erfassens. Daß die Assoziation das Geschehen verbindet, weist darauf hin, wie wenig sich für Pater Zusam4 Plato and Platonism, S. 188. Zur Bedeutung des Zwielichtigen, Getönten und Halbdunklen bei Pater vgl. O'Faoläin, S. 333. 6 Plato and Platonism, S. 183f.

26

Die autonome Kunst

menhänge auf einer abstrakten Ebene bilden. Sie entstehen für ihn vielmehr im Bereich des Persönlichen, des Emotionalen und noch Ungeklärten. Objektive Maßstäbe eines kategorial orientierten Schließens werden mit den zufallsbedingten Möglichkeiten des Persönlichen und Intimen vertauscht. Dieser affektgeladene Bereich wird zur Grundlage aller sich bildenden Zusammenhänge; deshalb kann das zwischen den Erfahrungen wirksame Moment des Knüpfens kein objektives sein. Dadurch gewinnt der Patersche Essay einen experimentierenden Formsinn, indem stets nur von den Möglichkeiten des Selbst her Verbindungen und Zusammenhänge aufgesucht werden. Dieses Aufsuchen geschieht im essayistischen Erfassen der vorbeigleitenden Erfahrung. Denn die Erfahrung allein bietet die Auffächerung des Wirklichen in seiner mehrschichtigen Vielfalt, weil es nicht auf einen logischen Zwang zugeordnet ist, wie ihn der Begriff fordert. Deshalb begreift Pater nicht nur die subjektive Befindlichkeit als die eigentliche Zuordnung im Essay, sondern verlangt auch eine rezeptive Haltung, um so den Kontakt mit der Erfahrung überhaupt herzustellen. Daraus entspringt die offene Form des Essays, die insofern einen einzigartigen Charakter besitzt, als sie als Form nichts zu bewältigen versucht und daher auch das Ergriffene nie als Endgültiges darstellen kann. Drängen literarische und philosophische Formen der Aussage auf eine Begrenzung des intendierten Sachverhaltes hin, so wird im Essay das Formlose, Offene und Unbegrenzte konstatiert. Der Essay ist nur insoweit Form, als er das Offene, Zufällige und das ständig bewegte Erfahren querschnittartig aufleuchten läßt, ohne es auf einen Zielpunkt zu sammeln. Dadurch gewinnt der Essay für Pater eine seltsame Zwischenstellung. Dem Essay fehlt die begriffliche Strenge des Traktats, aber er besitzt auch nicht die ästhetische Fiktion, die zur Verschiedenheit des Dargestellten die beziehungsvolle Gemeinsamkeit bildet. Der Essay gibt sich in seiner Form daher theoretisch, verwirft aber gleichzeitig die Möglichkeit einer theoretischen Bewältigung der Erfahrung, die der Traktat beansprucht. Der Essay gibt sich ästhetisch in seiner Unverbindlichkeit, wird aber doch nicht zur Dichtung im engeren Sinne, weil er auf die gemeinsamkeitsbegründende Fiktion verzichtet. So wird im Essay eine seltsame Zwischenqualität lebendig: der Einzelne bezieht sich auf eine unabschließbare Erfahrung. Die begrenzte Perspektive bleibt auf das Unabschließbare des Möglichen gerichtet; was in diesem seltsamen Verhältnis greifbar wird, bildet der Essay ab, that characteristic literary type of our own time, a time so rieh and various in special apprehensions of truth, so tentative and dubious in its sense of their ensemble, and issues6. So dämmert hinter der Fülle detaillierten Begreifens die Unsicherheit des Zuordnens, die sich in der offenen Form des Essays beständig ausspricht. 6

Plato and Platonism, S. 174.

Der Ansatz

27

c) Bestimmung des Menschen Bezweifelt die Skepsis jeden Anspruch einer apriorisch gegebenen Bestimmung von Welt und Mensch, so drängt sich die Frage auf, in welcher Form Pater die Beziehung des Menschen zur Welt begriff. Denn der ,spähende' Charakter seiner Skepsis blieb ja auf die Selbstentdeckung des Menschen innerhalb der Erfahrung gerichtet. So reich auch Paters Essays an theoretischen Bemerkungen über diese Fragestellung sind, so greift man doch das Verhältnis von Mensch und Erfahrung am anschaulichsten in seinen Figuren. Daß er dieses Verhältnis nicht ausschließlich theoretisch umriß, weist schon auf die Besonderheit des Problems. In diesen Zusammenhang gehört das in den Miscellaneous Studies veröffentlichte Imaginative Portrait Emerald Uthwart1, das die Spannung zwischen Mensch und Erfahrung zur Darstellung bringt. - Eigenartig mutet die Form des Erzählens an, in der das Leben des Emerald vorgeführt wird. Gleich zu Beginn werden wir über seinen Tod informiert 2 . Dieser Zug, bedeutsame und einschneidende Handlungsphasen vorwegzunehmen, durchwirkt die ganze Erzählung und ist an besonders wichtigen Stellen augenfällig. Als Emerald beispielsweise voll von Ungeduld in den Krieg zieht - er hatte sich das soldatische Leben als sein Ideal erkoren-, erfahren wir sogleich von seinem Versagen, und erst danach werden die Einzelheiten geschildert, die dazu führten 3 . So ist das ganze Erzählgewebe von Vorahnungen durchschossen, die das Versagen und das Ende Emeralds in die jeweilige Situation einblenden. Dieser Erzählakt der vorweggenommenen Schlüsse läßt eine zeitliche, zum Ende hin drängende Spannung nicht aufkommen; vielmehr richtet sich das Gespanntsein darauf, wie die Vorahnungen in der Geschichte realisiert werden und welche Triebkräfte das vorausgenommene Ende bedingen. S t a t t einer zeithaften Spannung ist die Erzählung eher von einer seinshaften oder wesenhaften Spannung durchzogen, die nach der Definition von Lugowski weniger nach dem ,ob überhaupt' als nach dem ,wie' des Dargestellten fragt 4 . Aus dieser Unterordnung einer zeithaft gespannten Handlung erwächst die Statik der ganzen Erzählung; sie ist nicht am Fortgang, sondern an der Herausarbeitung eines seinshaften Verhältnisses interessiert. Auf diese Perspektive des Erzählens wird ferner dadurch hingearbeitet, daß jene Handlungen, die die entscheidenden Wendepunkte darstellen, nicht direkt vom Autor berichtet werden. Die Kriegsgerichtsszene 6 und die des Todes von Emerald® erscheinen im Spiegel von Tagebüchern, deren Verfasser nicht unmittelbar an den Situationen beteiligt sind. Dadurch wird alles 1

Vgl. Mise. Studies, S. 197ff.- 2 Vgl. ibid., S. 198. - 3 Vgl. ibid., S. 230. * Vgl. dazu Lugowski, S. 41 ff. - 6 Vgl. Mise. Studies, S. 235 ff. 8 Vgl. ibid., S. 243 ff.

Die autonome Kunst

28

Situationsbedingte durch ein neutralisierendes Medium abgeschirmt. Diese Dämpfung außergewöhnlicher Handlungen durch eine indirekte, nur von außen zugreifende Methode weist zurück auf den zentralen Sachverhalt, den die Erzählung sichtbar machen soll. Wenn dieser Sachverhalt zu seiner Akzentuierung ein gewisses Maß an Handlung benötigt, so muß diese durch die Erzähltechnik so geboten werden, daß alles verdeckt bleibt, wasdas Interesse vom Kerngedanken abzulenken vermöchte. Es sind daher Unbekannte, die von den schicksalhaften Wendungen im Leben Emeralds berichten. Die Unterdrückung einer zeithaften Spannung und die Dämpfung der Handlung arbeiten das hier interessierende Problem heraus, das vor aller zeitlichen Erfahrung f ü r Pater Gültigkeit besitzt. Dieses Problem ist das Grundverhältnis des Menschen zur Welt, das in dem hier von Emerald U t h wart entworfenen Bild zu wichtigen Aufschlüssen führt. Als Emerald in die King's School von Canterbury im Schatten der großen Kathedrale einzieht, heißt es: Here, from morning to night, everything seems challenged to follow the upward lead of its long, bold, 'perpendicular' lines. The very place one is in, its stone-work, its empty spaces, invade you; invade all who belong to them, as TJthwart belongs, yielding wholly from the first', seem to question you masterfully as to your purpose in being here at all, amid the great memories of the past, of this school; - challenge you, so to speak, to make moral philosophy one of your acquirements, if you can, and to systematise your vagrant self . . . In Uthwart, then, is the plain tablet, for the influences of place to inscribe''. Wie sehr sich f ü r Pater an dieser Stelle eine allgemeine u n d nicht nur f ü r Emerald geltende Bestimmung ausspricht, bezeugt sich im Wechsel der Beziehungsebenen; das unpersönliche one zielt auf das allgemein Verbindliche dieser Situation ab. Dem empirischen Verhalten Paters entspricht es, den Menschen als eine tabula rasa zu begreifen, in die die Erfahrung ihre Zeichen gräbt. Die Skepsis sah nicht zuletzt ihre Aufgabe darin, den Menschen vor jeder ideellen Uberfremdung zu bewahren. Der Mensch ist daher nicht mehr der Wirklichkeit übergeordnet, sondern zugeordnet. Die Wirklichkeit definiert sich als die jeweilige Situation der Erfahrung, auf die der Mensch trifft. So verschiedenartig die Erfahrungen auch sein können, so haben sie doch eine Gemeinsamkeit : Der Mensch begreift sie als fortwährende Herausforderung. Dadurch gewinnt die Wirklichkeit einen seltsamen Doppelaspekt. Einerseits prägt sie den Menschen, indem sie jenes white paper8 beschreibt und ihm dadurch die Wandlungsfähigkeit mitteilt, die mit dem Auftauchen und Verschwinden eines neuen Milieus zwangsläufig gegeben ist; andererseits aber empfindet der scheinbar determinierte Mensch die Wirklichkeit als unablässige Forderung, die von ihm Antworten heischt. 7

Ibid., S. 207. -

8

Vgl. ibid., S. 177.

Der Ansatz

29

Dadurch wird das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit dialektisch, denn ihr formender Charakter ist nicht rein deterministisch, sondern fordert zu Antworten heraus. Diese Antworten sind insofern problematisch, als der Mensch für Pater nicht mehr eine Substantialität im Sinne Hegels, Coleridges oder Shelleys besitzt, sondern nur eine tabula rasa verkörpert, die von der als Herausforderung begriffenen Wirklichkeit eigentlich erst beschrieben wird. Hier liegt ein Zentralproblem für das menschliche Selbstverständnis bei Pater, dessen Konsequenzen im Auge zu behalten sein werden. Wie reagiert nun Emerald auf diese Lage ? Zunächst scheint er überwältigt und einer Antwort unfähig zu sein: If at home there had been nothing great, here, to boyish sense, one seems diminished to nothing at all, amid the grand waves, wave upon wave, of patiently-wrought stone9. Doch dieser boyish sense, von der Macht der Eindrücke der Fähigkeit des Ergreifens fast beraubt, muß dennoch eine Antwort auf den fordernden Charakter der Wirklichkeit finden. Er antwortet, indem er sich unterwirft. Submissiveness - It had the force of genius with Emerald Uthwart10. Das Gegebene anzunehmen, dem Verlangten zu entsprechen wird zum Grundzug von Emeralds Weltverhalten. Emerald sieht sich in zunehmendem Maße into the world of peremptory facts11 gestellt; er begegnet der fordernden Wirklichkeit mit Unterwerfung12. Nur einmal scheint er einer spontan aufgebrochenen Neigung zu folgen; in der Begeisterung des Krieges verweigert er den Gehorsam - ein Ereignis, das für ihn zur Katastrophe führt. Pater hat diese dramatische Wendung in doppelter Hinsicht vorbereitet. Er deutet direkt an, wie wenig die disziplinierte Hingabe an das Geforderte die ganze Person zu umschließen vermag. Von der Disziplin während Emeralds Schulzeit heißt es: He found himself in a system of fixed rules, amid which, it might be, some of his own tendencies and inclinations would die out of him through disuse13. Was sich hier direkt ausspricht, bildet sich in der Charakterisierungstechnik von Emerald im ganzen Portrait ab. Die bedingungslose Hingabe an das Verlangte verhindert in Emerald jede Selbstreflexion. Er wird sich seiner Person, seiner Vorzüge, ja seines ganzen Soseins überhaupt nicht bewußt. Was er ist, ist er nur insofern, als er uns in der Spiegelung durch die ihn umgebenden Menschen erscheint - sei es in Tagebüchern oder sei es in dem Verhältnis, das er zu Freunden und Zöglingen seiner Schule besitzt. Diese Spiegelung, durch die Emerald erst greifbar wird, bezeugt letztlich, wie wenig er in einer direkten Auseinandersetzung mit der fordernden Realität steht; ja, die spannungsvolle Bezogenheit auf die Wirklichkeit ist gerade in der Spiegelungstechnik seiner Darstellung ausgespart. Selbst seine Eignung für die Armee, seine entscheidende Berufswahl, wird in 9 18

Ibid., S. 209. Ibid., S. 211.

10

Ibid., S. 217. - 1 1 Ibid., S. 226. -

12

Vgl. ibid., S. 227.

30

Die autonome Kunst

der Brechung durch seine Umwelt vermittelt 14 . Dieser Mangel an Auseinandersetzung muß zwangsläufig Emeralds Hang zur Unterwerfung zu einer genialischen Qualität steigern, die dann zur Katastrophe führt, als scheinbar vergessene Neigungen spontan an die Oberfläche treten und ihn zu kurzschlußartigen Handlungen hinreißen. Die Anlage der Erzählung drängt zu dem Schluß, daß das hier aufgezeigte Verhalten des Helden zur Welt für Pater wohl nicht als endgültig verstanden werden kann. Gewiß, es war eine Möglichkeit, die sich insofern durch die Struktur der Verhältnisse anbot, als der Mensch einer tabula rasa gleicht und sich deshalb der Wirklichkeit öffnet, um zu einer Bestimmung seines Soseins zu gelangen. Doch der fordernde Charakter der Wirklichkeit deutet auch an, daß die Beziehungen des Menschen zur Welt nicht logisch determiniert sind. Wer sie als solche begreift, kann sich der Wirklichkeit nur unterwerfen. In diesem Akt wird offenbar das zurückgedrängt, was dem fordernden Charakter der Erfahrung als sinnvolle Entsprechung dienen könnte. Wird der Mensch durch das Milieu absolut determiniert, so scheint in ihm die Reflexion zu verkümmern, die es ihm ermöglichen könnte, der ihn bedrängenden Erfahrung standzuhalten. Wir können auf dem Hintergrund der Skepsis keine endgültige Bestimmung dieses Verhältnisses erwarten, aber wir können uns die verschiedenartigen Fassungen des gleichen Problems vergegenwärtigen, um gewisse Tendenzen herauszuschälen, die die Patersche Grundposition begreifbar machen. Die Erzählung The Child in the House spürt noch eindringlicher dem Wechselverhältnis von Welt und Mensch nach. Florian Deleal sucht in der sehnsuchtsvollen Erinnerung an seine Kindheit diejenigen Dinge wachzurufen, die für ihn bedeutsam geworden sind in that process of brain-building by which we are, each one of us, what we areu. Auch er öffnet sich ganz den Eindrücken seiner unmittelbaren Umgebung, dem stillen alten Haus und dem prangenden Garten, und er stellt in verwunderter Beglückung fest: How indelibly, as we afterwards discover, they affect us-, with what capricious attractions and associations they figure themselves on the white paper, the smooth wax, of our ingenious souls16. So unverwischbar sich das Empfangene in die Seele eingräbt, so ist der Eindruck doch nicht nur die Kopie des Tatsächlichen, sondern beginnt sich im Niederschlag assoziativ nach nicht erkennbaren Gesetzmäßigkeiten - capricious attractions and associations - auszuweiten. Ein Moment der Verwandlung scheint zwischen Wirklichkeit und Seele tätig zu sein; and the early habitation thus gradually becomes a sort of material shrine or sanctuary of sentiment; a system of visible symbolism interweaves itself through all our thoughts and passions™. " Vgl. ibid., S. 222. - 1 6 Ibid., S. 173. 18 Ibid., S. 177. - » Ibid., S. 178.

Der Ansatz

31

Die Erfahrung hört damit auf, den Menschen zu determinieren. Sie weckt in ihm vielmehr Empfindungen, die nicht mit der Erfahrung gegeben sind. Florian entdeckt in zunehmendem Maße das eigenartige Verhältnis zur Erfahrung, wie es sich im Wachsen seiner Vorstellungswelt bezeugt. Er macht sich die Gründe bewußt, die auf eine Veränderung des Erfahrenen hindrängen: Also then, for the first time, he seemed to experience a passionateness in his relations to f