Wahrscheinliche Weltweisheit: Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysik des Erkennens und Handelns 9783787330034, 9783787330027

A. G. Baumgartens Denken kreist um das klassische systematische Problem der Inkommensurabilität der universalen Begriffe

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German Pages 397 [400] Year 2016

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Wahrscheinliche Weltweisheit: Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysik des Erkennens und Handelns
 9783787330034, 9783787330027

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Wahrscheinliche ­Weltweisheit Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysik des Erkennens und Handelns Alexander Aichele

Meiner

Alexander Aichele Wahrscheinliche Weltweisheit Alexander Gottlieb Baumgartens Metaphysik des Erkennens und Handelns

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3002-7 ISBN eBook: 978-3-7873-3003-4

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2017. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, s­ oweit es nicht §§  53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werk­ druck­­papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Inhalt Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

A. Wahrscheinliche Weltweisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Begriffsfreiheit und Sprachlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

II. Intensionalität und Extensionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 III. Leibnizianischer Nominalismus: Metaphysik und Logik. . . . . . . . 17 1   . Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nominaldefinition und logisches Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Realdefinition und Substanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Metaphysik und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 21 24 30

B. Was Menschen wissen können: Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis . . . . . . . . . . . 34 I. Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35  1. Bewusstheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mentale Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ästhetische Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Grund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Dichtung und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 42 48 52 57 64 81 84

d) Analogon rationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Urteilsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . δ) Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ε) Interesse, gemischte Gefühle und Schönheit . . . . . . . .

92 94 97 100 106 110

e) Ästhetik als Erkenntniskunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

3. Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Attentio – Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Abstractio – Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Universalität und Singularität von Begriffen . . . . . . . . . δ) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 129 132 135 140

b) Wahrheit und Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 α) Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 β) Quantität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Gewissheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1  . Objektive Gewissheit und metaphysische Wahrheit . . . . . . . 170 2. Subjektive Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Hinlängliche subjektive Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 α) Mathematische Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 β) Ästhetische Gewissheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Unzulängliche subjektive Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 α) Ästhetikologische Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 β) Das Wahrscheinliche (probabile) . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 γ) Das Wahrheitsähnliche (verisimile) . . . . . . . . . . . . . . . . 210

C. Was Gott weiß, oder: Wie die Dinge sind – Metaphysik . . . . . 225 I. Ontologie: Essenz und Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226  1. Innere Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Das Wirkliche als intensionale Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Existenz und Kontingenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4. Unbestimmte Existenz: Universalität und Potentialität . . . . . 243 5. Substanz und Potenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Die wirkliche Wirklichkeit: Materie und Monaden . . . . . . . . . . . . 260 1  . Das materielle Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Monadische Bewegtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Die vollkommene Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Vielheit und Singularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Vielheit und Vollkommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

6  |  Inhalt

III. Was die Seele tut: Erkennen und Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 1  . Seele und Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Existenz und Streben: Vom Trieb zur Willensfreiheit . . . . . . . 297 IV. Was Gott eigentlich weiß, irgendwie aber doch auch nicht: Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 311 1  . Die Arten des göttlichen Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Göttliche Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Gottes Handeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Inhalt  |  7

Für T h eod or V erw ey en

• Dort kroch, vom Auge kaum entdeckt, Schön, gleich den größten Dingen, Das künstliche Insekt. Joh. P. Uz It turns blue. J. Rambo

Vorwort

 W

enn es nicht zu pompös klänge, könnte man sagen, dass die vorliegende Arbeit das Resultat einer mehr als zwanzigjährigen, mehr oder weniger regelmäßigen Beschäftigung mit einem Denker ist, mit dem ich erstmals in den germanistischen Seminaren und Vorlesungen von Theodor Verweyen zu Erlangen in Berührung gekommen bin. Seine Wiederentdeckung und vor allem: seine Substantiierung von Ernst Cassirers These von der Emanzipation der Sinnlichkeit durch die Philosophie Alexander Gottlieb Baumgartens führten tatsächlich zu eigener, im Philosophiestudium immer noch unüblicher Lektüre. Bei weitem nicht nur deswegen freue ich mich, Theodor Verweyen dieses Buch widmen zu dürfen. Trotz großer Verständnisschwierigkeiten, die überwunden zu haben ich kaum beurteilen kann, schien und scheint mir Baumgarten zu denjenigen Autoren zu gehören, die viel zitiert, aber wenig gelesen werden. Vielleicht deswegen durfte ich an den verschiedensten Orten eine Reihe mehr oder weniger gelungener Studien zu verschiedenen Aspekten seiner Philosophie veröffentlichen. Ungemein erleichtert hat dies ein einjähriges Forschungsstipendium (2006) der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung. Trotzdem ist die vorliegende Arbeit nur eine Wasserstandsmeldung. Naturgemäß hätte sie besser werden sollen. Sie hat ihren Zweck aber schon dann erfüllt, wenn sie durch weitere Arbeiten anderer überholt sein wird. Dennoch hat der Felix Meiner Verlag schon frühzeitig sein Interesse an diesem Versuch geäußert. Für dessen Aufrechterhaltung und für die stets entspannte wie unkomplizierte Betreuung danke ich zuerst seinem ehemaligen Cheflektor, Horst D. Brandt, mit unverminderter Herzlichkeit aber ebenso seinem Nachfolger, Marcel Simon-Gadhof. Missgriffe und Fehler sind daher keinesfalls denjenigen Leuten anzulasten, die sich der Quälerei einer kritischen Lektüre unterzogen haben, sondern allein meiner eigenen Sturheit. Um so   |  9

mehr möchte ich daher dafür danken: Anna Szyrwińska (Vechta/­ Berlin), Jakob Meier (Halle) und Sebastian Simmert (Halle). Mit ihnen verbindet mich nicht nur das Interesse für die Verrücktheiten klassischer Metaphysik, sondern auch eine Freundschaft, die Diskussionen solcher unentbehrlicher Absonderlichkeiten nicht nur erträglich, sondern vergnüglich macht. Ohne Irmela und Friederike aber hätte ich dieses Buch nicht geschrieben und nicht schreiben können – gerade deswegen, weil ihre Anwesenheit die kontingente Existenz eines weiteren Buches unter unendlich vielen möglichen Büchern als das erweist, was sie ist, nämlich eine Nebensächlichkeit. Mag es in dem Maße Vergnügen bereiten, wie dies nur Nebensächlichkeiten tun können. Halle, im Februar 2017

Alexander Aichele

A. Wahrscheinliche Weltweisheit I. Begriffsfreiheit und Sprachlosigkeit

Erfolgt jede mögliche Erkenntnis mit Notwendigkeit durch logische Begriffe und Funktionen, besteht jederzeit Unklarheit schon über die Existenz eines jeden Dings, das unabhängig vom Erkennenden noch da sein mag. Denn sofern jedes solche Ding in der Welt einzeln und jeder Begriff allgemein ist, kann nie endgültig darüber entschieden werden, ob überhaupt ein Ding und, wenn ja, welches – sofern es mehrere davon geben sollte – durch einen Begriff treffend erfasst wird. Dummerweise scheinen universale Begriffe und singuläre Dinge inkommensurabel. Diese Einladung zur allgemeinen Skepsis – dass man ihr schon gefolgt ist, wird heutzutage gerne unter der diskussionsversenkenden Wendung »Für mich ist …« gelinde subjektivistisch getarnt – ist kein historisches Problem, sondern eine systematische Aporie, deren Auftreten gar nicht vermieden werden kann.1 Dies gilt jedenfalls dann, wenn Aussagen noch etwas über Dinge behaupten sollen, deren Existenz und Beschaffenheit unabhängig von jedem Reden über sie so ist, wie sie ist. Die Schwierigkeit besteht offenkundig darin, über Dinge, wie sie Gegenstand der Metaphysik sind, wahrheitsdifferente Aussagen zu treffen, wie sie Gegenstand der Logik sind. Jene theoretische Applikationsaporie, die auf die Bildung und Anwendung von Begriffen bezogen ist, lässt sich als solche nicht auflösen, ohne über Allwissen zu verfügen, wie es ein unendlicher Geist besitzen mag. Daraus muss jedoch nicht allgemeiner Skeptizismus folgen. Eine Theorie begriffsfreier Erkenntnis könnte im Gegenteil jedenfalls die ebenso fundamentale wie konsequente Außenweltskepsis beseitigen und auch die Möglichkeit bewussten und freien, an Einzeldingen und auf solche hin orientierten Handelns erklären, wie es allemal vollzogen wird. Das Problem der Möglichkeit begriffsfreier Erkenntnis ist deswegen weder allein für die Untersuchung dessen, was Tiere wissen   |  11

können, relevant noch für kunsttheoretische Erwägungen, die sich aus irgendeinem Grund mit dem scheinbar nobilitierend wirkenden Prädikat der Ästhetik schmücken möchten. Vielmehr ist die Frage nach der Möglichkeit begriffsfreier Erkenntnis von grundlegender systematischer Bedeutung  – jedenfalls sofern man sich noch nicht gänzlich von dem altmodischen Gedanken verabschiedet hat, dass man irgendwie auch einigermaßen zutreffend über die sprach-, erkenntnis- oder denkunabhängige, d. h. die metaphysische, Welt reden oder nachdenken kann. Denn es könnte ja immerhin sein, dass die positive Beantwortung dieser Frage zugleich dem Anspruch logischer Erkenntnis auf Weltbezug Grund verleiht, indem sie einen Weg zur wahrheitsdifferenten Beurteilbarkeit von Sätzen über die Welt, also kontingenten Propositionen, weist. Alexander Gottlieb Baumgarten hat unter dem Titel der Ästhe­ tik eine solche Theorie der Erkenntnis ohne logische Begriffe ent­ wickelt. Ihr Gegenstand ist ästhetische Wahrheit. Ästhetische Wahrheit ist aber nicht eine Art Sonderwahrheit, die unabhängig vom Bezug auf die Beschaffenheit der Dinge und der Welt eine beliebige – und daher absurde – Wahrheit ›für mich‹ wäre. Im Gegenteil handelt es sich bei ihr um das Resultat eines spezifischen epistemischen Zugangs zur Welt und der Wahrheit, welcher sinnlich empfindenden und verstandesbegabten Wesen wie dem Menschen offen steht und geübt werden kann. Weil die Wahrheit naturgemäß aber nur eine ist und daher auch ihre ästhetische Variante nicht isoliert von den Dingen, von denen die Metaphysik handelt, und den Sätzen und Begriffen, von denen die Logik handelt, betrachtet werden kann, sind auch Baumgartens Logik und Metaphysik zu untersuchen. Die Erörterung der Möglichkeit und der systematischen Funktion von so etwas wie nicht-propositionaler, mithin ästhe­tischer Erkenntnis verlangt ebenso die Untersuchung ihrer Voraussetzungen und Implikationen. Dies soll hier versucht werden. Dabei handelt es sich nicht um ein philosophiegeschichtliches Anliegen in dem Sinne, dass etwa herausgefunden werden soll, welche Stelle Baumgarten im äußerst heterogenen und breiten Strom des Wolffianismus einnahm – eine dissidentische2 – oder wie groß seine Bedeutung für Kant – kaum zu überschätzen3 – war oder für die Geschichte der Ästhetik oder Kunsttheorie ist. Vielmehr soll die Theorie eines bereits seit längerem verstorbenen Autors auf ihr 12  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

Potential zur Lösung systematischer und als solcher fortbestehender Probleme hin untersucht werden. In aller Schlichtheit: Baumgarten soll als Philosoph einfach ernst genommen werden. Aufgrund dieser systematischen Ausrichtung findet auch die immer noch durchaus überschaubare Forschungsliteratur zu Baumgarten nur sehr selektiv, nämlich bei unmittelbarer Relevanz, Beachtung. Bevor nun Baumgartens Erkenntnistheorie und ihre metaphysischen Voraussetzungen und deren Implikationen für das menschliche Handeln in den Blick rücken, seien indes noch zwei Erläuterungen vorausgeschickt. Die erste erinnert an einige Implikationen der Unterscheidung von Intensionalität und Extensionalität in der Logik; und die zweite skizziert eine Möglichkeit, wie sich auf dieser Basis in Anlehnung an Leibniz das Verhältnis von Metaphysik und Logik (eventuell auch) bestimmen ließe.

II. Intensionalität und Extensionalität

Schon weil man recht leicht vergisst, dass sie überhaupt einen hat, ist es vielleicht keine allzu große Trivialität, daran zu erinnern, zu welchem Zweck Philosophie nach Baumgarten – und überhaupt – eigentlich betrieben wird: »Philosophie ist die Wissenschaft, die Beschaffenheiten in den Dingen ohne Glauben zu erkennen.«4 Im Gegensatz zu Christian Wolffs viel weiter greifender und ihrem Anspruch nach kaum durch endliche Geister erfüllbarer Definition mutet diejenige Baumgartens viel bescheidener an. Zum einen umfasst sie weder Mathematik noch geoffenbarte Theologie: die Mathematik nicht, weil sich die Philosophie nicht mit extensiven Größen beschäftigt, sondern mit Qualitäten und deren Graduierung, also allenfalls mit intensiven Größen; die Offenbarungstheologie nicht, weil deren Erklärungen naturgemäß nicht ohne Glauben funktionieren. Zum anderen geht die Philosophie nach Baumgarten allererst von der positiven Bestimmtheit kontingenter wirklicher Dinge, d. h. ihrer Realität, aus. Deren transzendentale, d. h. in jeder denkbaren Welt gültige, Möglichkeit untersucht sie im Rahmen der formalen Ontologie. Ihre hypothetische Notwendigkeit in einer kontingenten Welt sucht sie hingegen mit den Mitteln empirischer Begriffsbildung zu bestimmen, die wiederum einer Intensionalität und Extensionalität  |  13

eigenen Analyse bedarf. Solche Begriffsbildung bildet das einzige dem endlichen Geist zugängliche Instrument zur Gewinnung inhaltlich bestimmter Erkenntnis. Bereits ihre eigene Kontingenz erfordert die Aufgabe des realdefinitorischen Anspruchs und damit des Anspruchs auf Vollständigkeit bei der Erkenntnis kontingenter Dinge. Die Beschränktheit der epistemischen Fähigkeiten des endlichen Geistes hat zur Folge, dass er kein kontingentes Ding unter allen möglichen Dingen überhaupt mit vollständiger Eindeutigkeit identifizieren, wenngleich jedes existente Ding von allen anderen existenten Dingen unterscheiden kann. Diese »gewisse Ungewissheit«, die jeder Erkenntnis von Kontingentem durch Kontingentes innewohnt, soll jedoch keinesfalls in einen allgemeinen Skeptizismus führen – auch dann nicht, wenn er sich ›bloß‹ auf die sogenannte Außenwelt bezieht. 5 Baumgartens zentrales Argument gegen den Skeptizismus liegt in der vollständigen Gewissheit über die Existenz kontingenter und vom erkennenden Geist selbst verschiedener Einzeldinge, welche ästhetische Erkenntnis gewährt. Es läuft letztendlich darauf hinaus, dass es einem endlichen Geist gar nicht möglich ist, auf andere Weise Singuläres vorzustellen. Das Argument setzt daher die Wahrheit derjenigen metaphysischen Position voraus, dergemäß alles, was aktual existiert bzw. überhaupt aktual existieren kann, singulär, d. h. von sich aus bzw. intern von allen anderen möglichen Dingen unterscheidbar, sein muss. Beschäftigt sich die Philosophie also mit der Wirklichkeit, beschäftigt sie sich mit einzelnen, weltlich existenten Dingen. Sie bilden in guter aristotelischer Tradition den Anfang jeder Erkenntnis und genießen so zwar nicht systematische, doch methodische Priorität: Auch die Erkenntnis transzendentaler Prinzipien resultiert aus einem, allerdings analytischen und nicht beliebigen, Prozess der Abstraktion, gerade weil sie als logische Gebilde verstanden werden müssen, welche formale Qualitäten aussagen, die ein jedes Ding besitzen muss, um einfach nur sein zu können. Es gibt daher Vorstellungen und Begriffe wirklicher Dinge wie Vorstellungen und Begriffe möglicher Dinge. Dabei enthalten die Begriffe von wirklichen Dingen ihre eigene Möglichkeit, und zwar in positiv bestimmter Form. Dies gilt aber nicht umgekehrt: Aus dem Begriff eines möglichen Dings folgt noch nicht dessen vollständige Bestimmtheit, die seiner Wirklichkeit entspräche. Die bloße Mög14  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

lichkeit, sich in der Welt einigermaßen kontrolliert zu orientieren, hängt vielmehr gerade an dieser relativen Unbestimmtheit. Trotzdem sollen sich beide – sowohl vollständig bestimmte, ästhetische Vorstellungen von Wirklichem als auch teilweise unbestimmte, logische Vorstellungen von Möglichem –, insofern sie die einzigen Mittel zu inhaltlich bestimmter Erkenntnis sind, über die ein endlicher Geist verfügt, auf ein und dasselbe beziehen, nämlich die Welt, in der dieser existiert. Auf welche Weise gerade jene modale Differenz die Grundlage aller Erkenntnis von Kontingentem durch Kontingentes bildet, soll im Folgenden gezeigt werden. Bevor indes die charakteristische Bestimmtheit ästhetischer Erkenntnis und die ebenso charakteristische Unbestimmtheit logischer, genauer: ästhetikologischer Erkenntnis im Bezug auf Einzeldinge untersucht werden kann, soll zunächst an eine der Differenzen erinnert werden, die zwischen den epistemischen Fähigkeiten eines unendlichen Geistes – nennen wir ihn »Gott« – und eines endlichen – nennen wir ihn einen »menschlichen« – bestehen. Was ist, insofern es existiert oder existieren kann, muss vollständig bestimmt sein. Denn es könnte sonst nicht von allen anderen möglichen Dingen unterscheidbar sein, wäre also nicht allein mit sich selbst identisch und also mehr als eins. In dieser Weise vollständig bestimmt sind Einzeldinge, und nur diese existie­ ren oder können existieren. Gott nun denkt und erkennt dabei vollständig alles, was möglich ist. Weil für Gott aufgrund seiner Allmacht die Unterscheidung zwischen logischer und realer Möglichkeit irrelevant ist und er aufgrund seines Allwissens nur vollständig Bestimmtes denkt, besteht der Inhalt seines unendlichen Geistes in Begriffen von allen möglichen einzelnen Dingen in all ihren möglichen Zuständen, d. h. Gott denkt alle überhaupt möglichen Welten. Er tut dies klar und deutlich, weil er jedes einzelne Ding bzw. jede einzelne mögliche Welt jederzeit absolut, d. h. nicht relativ und mithin bloß ex negativo im Verhältnis zu anderen, positiv identifizieren kann. Sonst wäre sein Geist weder unendlich noch besäße er Allwissen. Gott verfügt daher über die Definitionen eines jeden möglichen einzelnen Dings, so dass diese auch logisch unbedingt voneinander unterschieden sind. Er verfügt daher über Realdefinitionen von Individualbegriffen, d. h. vollständigen und positiven begrifflichen Erklärungen singulärer Terme, mithin echIntensionalität und Extensionalität  |  15

ter Namen, deren Singularität keine universalen Teile, also auch keine Indexikalisierungen einschließt. Nun ist es klar, dass aus der Addition auch unendlich vieler universaler Terme kein singulärer Begriff entstehen kann, sondern nur wiederum ein universaler. Ein solcher mag zwar unendlich großen Inhalt besitzen, er kann aber der Möglichkeit nach immer noch auf unendlich viele Einzeldinge und eben nicht nur auf genau eines angewendet werden. Die Teile, aus denen die Definition eines Individualbegriffs besteht, müssen daher selber singuläre Terme sein. Daraus folgt, dass die Propositionen, welche Einzeldinge vollständig bestimmen, von intensionaler Struktur sein müssen. Die Prädikate, die dem zu definierenden Subjektterm bejahend zugesprochen werden, sind dann nämlich alle in diesem enthalten und können folglich aufgrund seiner Singularität von keinem anderen Term ebenfalls bejahend ausgesagt werden. Das Allwissen eines unendlichen Geistes besteht somit zuallererst im klaren und deutlichen Bewusstsein von allem Möglichen in seiner positiven Bestimmtheit. Es muss nicht erst erworben werden, sondern in ihm liegt die Unendlichkeit eines Geistes selbst, der seine Gegenstände erkennt, indem er sie denkt. Deswegen heißt dieses theoretische Allwissen auch die scientia naturalis Dei. Gott erkennt daher sowohl auf intuitive als auch auf allein logische Weise, weil sein Erkennen durch Individualbegriffe geschieht und daher einer intensionalen Logik folgt. Eine solche Logik steht einem beschränkten Geist nicht zur Verfügung. Die Begriffe, durch die er auf klare und deutliche Weise erkennt, sind immer universale Terme. Sie definieren daher keine Einzeldinge, sondern Klassenbegriffe mehr oder minder großen Umfangs. Sie werden demnach durch Propositionen von extensio­ naler Struktur ausgesagt, bei denen der zu definierende Subjektterm stets im Prädikatterm, der ihm zugesprochen wird, enthalten ist, so dass dieses Prädikat auch anderen, und zwar der Möglichkeit nach unendlich vielen, Subjekttermen ebenso zukommen kann. Sosehr also das Subjekt durch eine Vielzahl von kompossiblen Prädikaten auch immer spezifiziert werden mag, bleibt es doch immer ein universaler Term, wie er schlicht aufgrund seiner Universalität niemals nur genau und nur ein einzelnes Ding zu bestimmen, mithin vollständig zu identifizieren und damit von allen anderen möglichen Dingen zu unterscheiden geeignet ist. Universale Terme 16  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

sind also strenggenommen nicht eigentlich Begriffe von wirklichen Dingen, sondern von Klassen möglicher Dinge und daher Begriffe von Begriffen. Sie müssen erst eigens durch den endlichen Geist gebildet werden, und dies geschieht hinsichtlich ihres Inhalts durchaus willkürlich, da das einzige Kriterium ihrer Bildung ein negatives ist, nämlich der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Die logische Wahrheit einer extensionalen Proposition besteht daher ausschließlich in deren Möglichkeit und ist folglich formaler Natur. Inhaltlich bestimmte Erkenntnis kontingenter Dinge durch universale Terme resultiert erst aus deren Anwendbarkeit bzw. Anwendung auf Einzelnes. Weil aber Einzelnes aufgrund seiner Singularität in klarer und deutlicher Weise nur durch intensionale Individualbegriffe vollständig erkannt werden kann, ist jede extensionale Klassifikation der Beschaffenheit eines Einzeldings unvollständig und letztlich ungewiss. Sie reicht daher nicht nur nicht zu seiner eindeutigen Identifikation unter allen anderen möglichen Dingen zu, der universale Term mag sogar Teile enthalten, die der Realität desjenigen Dings, auf das er angewendet wird, widersprechen. Denn die extensionale Bestimmung eines Begriffs bleibt ja im Verhältnis zur realen Bestimmtheit eines Dings stets unvollständig. Sie kann daher gleichzeitig logisch wahr und metaphysisch falsch sein. Logische Wahrheit, wie sie durch universale Bestimmungen möglich ist, und metaphysische Wahrheit, wie sie durch Individualbegriffe ausgesagt wird, sind also verschieden. Folglich kann jede ihrem Inhalt nach kontingent bestimmte, extensionale Proposition metaphysisch falsch sein. Darin besteht die ›gewisse Ungewissheit‹ der Erkenntnis von Kontingentem durch Kontingentes.

III. Leibnizianischer Nominalismus: Metaphysik und Logik

Die Unterscheidung zwischen intensionaler und extensionaler Interpretation von Aussagen der Form »S ist P.« ist charakteristisch für Gottfried Wilhelm Leibniz. 6 Sie ermöglicht einer in ihren Grundlagen rationalistischen Philosophie die notorisch schwierige Trennung zwischen Metaphysik und Logik bzw. Epistemologie und ihren Gegenständen, ohne jeweils eigene Prinzipien einzuführen. Leibniz argumentiert hier durchaus nominalistisch. Da sich auch Metaphysik und Logik  |  17

Baumgarten den Prinzipien eines  – um einen vielleicht weniger verfänglichen Titel zu gebrauchen  – metaphysischen Singularismus anschließt, wird es hilfreich sein, diesen und die daraus sich ergebenden epistemologischen Probleme, auf die Baumgarten zu reagieren scheint, zu skizzieren.

1. Grundsätze

Leibniz nennt Wilhelm von Ockham nicht nur den »erfindungsreichsten und gelehrtesten Mann seines Zeitalters«.7 Er versteht sich auch selbst früh als Nominalist in dessen Tradition. Dies zeigt seine Einleitung zu De veris principiis et vera ratione philosophandi libri quattuor des Marius Nizolius. Leibniz verdeutlicht dort, was er unter Nominalismus versteht: »Nominalisten sind alle diejenigen, welche meinen, dass es neben den einzelnen Substanzen bloße Namen gebe, also die Wirklichkeit der Abstracta und Universalia geradewegs leugnen.«8 Wirklich ist also das Einzelne, nicht wirklich das Allgemeine. Dabei wird es zunächst nicht ganz falsch sein, den Ausdruck ›wirklich‹ als Bezeichnung für etwas zu verstehen, das unabhängig davon existiert, dass es durch einen kontingenten bzw. endlichen Geist gedacht oder erkannt werden muss. Denn das Allgemeine – darauf verweist Leibnizens ausdrückliche Erwähnung des Ab­strak­ten  – existiert ausschließlich eben dadurch. Das Allgemeine ist sogar genau die Art, wie etwas gedacht werden zu müssen scheint, damit es so etwas wie Erkenntnis überhaupt geben kann. Jedenfalls dann, wenn man unter Erkenntnis erst einmal ganz schlicht das Sortieren, Ordnen und Organisieren von mannigfaltigen Eindrücken, Vorstellungen oder ganz schlicht: möglichen Gegenständen des Bewusstseins verstehen will. Die Organisation solcher Gegenstände ist nun jederzeit eine begriffliche: Es werden Benennungen oder Zeichen von Dingen und Eigenschaften – nicht die Dinge und Eigenschaften selbst – geordnet und zu einer wie immer beschaffenen Einheit zusammengefügt. Damit eine solche Einheit entsteht und nicht ein unkontrolliertes und vor allem nicht kommunizierbares Durcheinander, braucht es Regeln. Diese bilden die Begriffe selbst, indem ihr Inhalt eindeutig festgelegt wird, so dass sie Kriterien da18  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

für bieten, welche mentalen Gegenstände unter welche Benennungen zu subsumieren sind. Begriffe also müssen, sofern sie als allgemeine Benennungen fungieren sollen, definiert werden. Dies geschieht zunächst schlicht aus pragmatischen Beweggründen: Es werden Begriffe gebildet bzw. universale Benennungen festgelegt, um mehr oder weniger häufig auftretende mentale Inhalte zu identifizieren. Dies braucht freilich nur relativ zu anderen Gegenständen zu geschehen, die mehr oder weniger häufig auftreten. Die Identifizierbarkeit universaler Terme, die Arten von Dingen oder Eigenschaften benennen, ergibt sich durch ihre Unterscheidbarkeit von anderen universalen Termen gemäß ihrer Definition. Universalia sind Gegenstände von Nomi­ naldefinitionen. Diese können willkürlich gebildet werden und müssen allein dem Kriterium der Widerspruchsfreiheit genügen, um gebildet werden und als mögliche Teile wahrheitsdifferenter Aussagen fungieren zu können. Nominaldefinitionen bezeichnen also mögliche Arten von Dingen, aber niemals Einzeldinge selbst. Je nach Differenzierungsbedarf kann die Extension eines nominal definierten Begriffs beliebig klein gemacht werden, so dass auch sehr ähnliche Exemplare artidentischer Gegenstände unterschieden werden können, wie die Ente Harald und die Ente Herta. Dies ändert jedoch nichts an der Universalität der gebildeten Begriffe von Haraldigkeit und Hertaigkeit. Denn da alle prädikativen Teile der entsprechenden Nominaldefinitionen universal und jeweils von größerer Extension als das durch sie definierte Subjekt sind, können ja immer noch der Möglichkeit nach unendlich viele Exemplare unter jene Begriffe fallen. Ihrer logischen Struktur nach sind die nominal definierten Begriffe von Harald und Herta, vermittels deren ich Exemplare einer identischen Entenart  – Quietscheentchen – voneinander unterscheiden kann, genauso formiert wie der Artbegriff »Revolverente«, unter den die Ente Clint, oder »Regierente«, unter den die Ente Angela fällt. Die hier gebrauchten Namen – Quietscheentchen, Revolverente, Regierente, aber eben auch Harald, Herta, Clint und Angela – fungieren also in diesem Kontext nicht im eigentlichen Sinne als Namen, die eineindeutig Individua denotieren. Vielmehr fungieren sie als sehr enge Artbegriffe. Sie sind sozusagen universale Namen. Und weil sie nur universale Namen sind, existieren sie auch nicht in der außersprachlichen Metaphysik und Logik  |  19

oder -logischen Wirklichkeit. Nominal definierte Begriffe reichen also zu, um beliebig viele gegebene Gegenstände voneinander zu unterscheiden und sie relativ zu ihrer Differenz untereinander zu identifizieren. Nominal definierte Begriffe erlauben aber aufgrund ihrer Universalität nicht die eindeutige Identifikation genau und nur eines Dings unter allen anderen möglichen Dingen. Nun unterscheidet Leibniz vom metaphysischen Nominalismus, der dem Prinzip »Entia non esse multiplicanda praeter necessitatem« folgt, einen methodologisch-epistemologischen Nominalismus nach dem Grundsatz »Hypothesin eo esse meliorem, quo simpliciorem«.9 Dieser letztere ergibt sich ganz zwanglos aus dem ersteren: Ein Geist, der ausschließlich vermittels des Gebrauchs universaler Begriffe erkennt, wird zwar die Wirklichkeit durchaus erfolgreich strukturieren und sich in ihr zurechtfinden können. Er wird aber nie vollständige Gewissheit darüber besitzen, dass die Wirklichkeit auch wirklich genauso beschaffen ist, wie er sie durch seinen Begriffsgebrauch strukturiert hat. Seine Urteile über die wirkliche Beschaffenheit der Welt werden daher immer nur mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit beanspruchen dürfen, d. h. sie werden – um einen Terminus Baumgartens zu gebrauchen10 – bloß von subjektiver Gewissheit sein. Gleichzeitig aber werden unsere Versuche, uns in der Wirklichkeit zu orientieren, umso erfolgreicher sein, je übersichtlicher und einheitlicher und sonach einfacher diese vermittels universaler Begriffe organisiert wird. Man sollte also mit so wenig wie möglich solcher Strukturprinzipien zurechtkommen. Leibniz lässt drei zu, nämlich: 1. Den Satz der Identität, sowohl in seiner logischen Variante als auch in seiner spezifisch leibnizischen, metaphysischen Bedeutung als Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen, dem Principium identitatis indiscernibilium; 2. den Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs samt seiner Derivate und, 3., den Satz vom zureichenden Grund, wonach jeder Zustand eines Dings in der Wirklichkeit von einem davon unterschiedenen Zustand bestimmt wird. Leibniz bekennt sich ausdrücklich zu beiden nominalistischen Prinzipien.11 Zugleich distanziert er sich zugleich allerdings ebenso ausdrücklich vom Radikalnominalismus eines Thomas Hobbes. Denn zwar hängt die Wahrscheinlichkeit von Sätzen bzw. ihre Wahrheit im dargelegten extensionalen Sinne von willkürlich ge20  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

wählten Definitionen ab. Dies gilt jedoch nach Leibniz nicht im absoluten Sinne, wie etwa die Wahrheit von Sätzen in der Arithmetik zeigt, in denen nicht in jedem Fall Nominaldefinitionen vorkommen müssen.12 Daraus ergibt sich nun nicht bloß, dass Hobbes aufgrund seines reinen Konventionalismus13 nach Leibnizens Auffassung eigentlich kein Nominalist mehr genannt werden kann. Vor allem folgt daraus, dass die Wahrheit von Sätzen nicht allein von den in ihnen verbundenen universalen Termen, sondern irgendwie von deren Beziehung zur sprachunabhängigen Wirklichkeit bzw. ebensolchen Substanzen dependieren muss.

2. Nominaldefinition und logisches Subjekt

Was versteht Leibniz nun unter »Substanz«? Ein Rückgriff auf den Diskussionsstand verbietet sich. Denn der Begriff der Substanz sei wie viele andere, scheinbar selbstverständliche »durch mensch­ liche Nachlässigkeit und Unbeständigkeit des Denkens zweideutig und dunkel gemacht geworden«; seine »gewöhnliche« Definition sei »nicht einmal nominal« und »erklär(e) daher nichts«.14 Die Meta­ physik verfügt nach Leibniz folglich nicht über einen klaren und deutlichen Begriff von Substanz, wie ihn eine Nominaldefinition liefern würde. Er kann deswegen von anderen nicht eindeutig unterschieden werden, weil keine zu diesem Zwecke zureichende Aufzählung seiner Merkmale bzw. Prädikate vorliegt.15 Diese Verdunkelung resultiert indes aus der nach Platon und Aristoteles, spätestens aber der aristotelischen Scholastik vollzogenen Abwendung der philosophischen Forschung von der schlichten Klärung grundsätzlicher Begriffe,16 obwohl diese ihre eigentliche Grundlage und Hauptaufgabe darstellt. Denn bei Aristoteles zumindest findet sich immerhin noch eine Nominaldefinition des Substanzbegriffs: »Wesenheit im wichtigsten, ersten und besten Sinne wird aber genannt, was weder von einem bestimmten Zugrundeliegenden ausgesagt wird noch in einem bestimmten Zugrundeliegenden ist, wie dieser bestimmte Mensch oder dieses bestimmte Pferd.«17 Leibniz paraphrasiert diese klassische Bestimmung des Sub­ stanzbegriffs etwa im Discours de Métaphysique wie folgt: »(W)enn mehrere Prädikate ein und demselben Subjekt zugeschrieben werMetaphysik und Logik  |  21

den und dieses Subjekt keinem anderen mehr zugeschrieben wird, (nennt man) dies eine individuelle Substanz«.18 Seine Paraphrase erweist bereits den nominalen Charakter der Definition, welche die logische Eigentümlichkeit einer bestimmten Art von Termen erfasst. Diese nämlich sind so beschaffen, dass sie durch mehrere Prädikate bestimmt und selbst wiederum nicht als Prädikat von etwas anderem als sie selbst gebraucht werden können. Da man es hier mit einem nominal definierten Begriff und folglich mit Beziehungen zwischen universalen Termen zu tun hat, folgt jener Substanzbegriff den Regeln der Extensionalität. Demnach identifiziert die Menge der Prädikate, die dem Subjektterm zugesprochen werden, die Menge der Gegenstände, von denen der Subjektterm wahrheitsgemäß ausgesagt werden kann,19 und je größer die Menge der Prädikate ist, desto geringer ist die Extension des Subjektterms. Ebenso zufällig wie gleichgültig ist dabei aber, wie viele Dinge tatsächlich unter einen Subjektterm fallen: Denn da alle beteiligten Terme universal sind, bleiben es stets der Möglichkeit nach unendlich viele. Wir haben es vielleicht gerade zwar mit vier Entenindividuen – Herta, Harald, Clint und Angela – zu tun, die zugleich unter drei verschiedene Artbegriffe – Quietscheentchen, Revolverund Regierente – und einen identischen Artbegriff – Ente – fallen. Es sind aber unendlich viele denkbar, deren Prädikate ihre Zuordnung zu einem nominal definierten Begriff von Hertaigkeit, Haraldigkeit, Clintheit und Angeligkeit erlauben. Wenn wir nun der von Leibniz geteilten aristotelischen Intention folgen wollen, müssen wir die Subjektstelle einer Aussage, die etwas von einer Substanz aussagen soll, logisch adäquat besetzen, d. h. aber nun: mit einem singulären Term. Denn bislang kann ja jeder gebrauchte Begriff aufgrund seiner Universalität von anderen prädiziert werden, wenn seine Extension größer ist und seine eigene Nominaldefinition keine Teile enthält, die derjenigen des Subjektterms widersprechen. Leibniz stimmt Aristoteles also darin zu, dass Substanzen weder universale oder singuläre Terme sind noch – aufgrund der Priorität des Ganzen vor dem Teil – Teile von Begriffen oder Dingen. Substanzen sind gar keine Terme, sondern Dinge. Substanzen sind daher Individua, die mit singulären Termen eineindeutig bezeichnet und mit universalen Termen so weit bestimmt werden können, dass sie von anderen, aber gegebenen 22  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

Individua unterschieden und folglich relativ zu diesen identifiziert werden können. Der aristotelische Substanzbegriff trifft indes nach Leibniz zwar die formale Seite der Auszeichnung eines Subjektterms, wenn er ein Einzelding bezeichnen soll. Er kann dies aber nicht dem Inhalt nach leisten. Denn das aristotelische Instrumentarium bietet keine kategorialen Mittel, um ein Ding eineindeutig zu identifizieren und so zum Gegenstand eines unbedingt gewissen Identifikations­ urteils zu machen. Entweder ist nämlich das Prädikat eines wahren Satzes »S ist P.« identisch bzw. synonym mit dessen Subjekt oder es bestimmt dies näher. Dies erfordert aber die Unterscheidung von essentiellen und akzidentiellen Eigenschaften. Diese ist aber selbst wiederum im extensionalen Sinn logischer Natur. Denn sie besagt ja eigentlich nur, dass Terme, die vollständig oder teilweise hinsichtlich ihrer Extension identisch sind, jedenfalls wahrheitsgemäß voneinander ausgesagt werden. Dabei bedeutet die strikte bzw. vollständige extensionale Identität des per se mehrteiligen Prädikatterms mit seinem Subjekt, dass er dieses essentiell bestimmt, d. h. dass diese invariant sind, weil sie die Identität des Subjekts als dieses oder jenes ausmachen. Demgegenüber bedeutet eine nur teilweise Identität eine bloß weitere, in aristotelischer Redeweise »noch hinzukommende« prädikative Bestimmung, d. h. ein Akzidens. Der Witz ist nun, dass einem jeden derart essentiell bestimmten Subjekt auch akzidentielle Bestimmungen zukommen müssen, damit es so auf ein Einzelding referieren kann, dass dies von anderen Einzeldingen, die unter dieselbe essentielle Bestimmung fallen, unterschieden werden kann. Es gäbe dann ein Ding von der Art S, das sich im Zustand P befinden kann, ohne dass es sich in diesem Zustand befinden müsste: Die Ente Harald steht links von der Ente Herta und hat Durst, sie könnte aber auch rechts von ihr stehen und keinen Durst haben, sondern sich nur langweilen. Das Wesen eines Dings müßte dann von seinen Zuständen unterschieden werden können. Diese Unterscheidung ist nun dem Begriffe nach, also logisch, durchaus möglich und vor allem äußerst praktisch. In metaphysischer Hinsicht erforderte sie allerdings einige komplexe Annahmen, in Sonderheit die, dass man dann sagen könnte, dass es das Ding Harald gibt und noch seine hinzukommenden Zustände, die aber deswegen nicht eigentlich mit ihm identisch sind. Denn Metaphysik und Logik  |  23

es muss sich ja nicht genau in diesem, sondern könnte sich ja auch in irgendeinem anderen Zustand befinden, ohne dass es aufhörte, dies, nämlich Harald, zu sein. Eine solche Position lehnen Leibniz wie Aristoteles freilich ab. Um zu wissen, was mit dem Anspruch auf Wahrheit von etwas ausgesagt werden kann, muss man auch wissen, was das Subjekt der Aussage der Art nach ist bzw. was ihm sonst noch zugeschrieben werden kann. Man sollte also über Nominaldefinitionen aller in Frage kommenden Terme verfügen. Da Nominaldefinitionen willkürlich gebildete logische Gegenstände darstellen, ist dies zumindest möglich. Dies bedeutet aber zugleich, dass jenes Subjekt selbst ebenfalls stets nur nominal definiert sein kann, weil jeder gebrauchte Prädikatterm universal ist, d. h. unendlich vielen Subjekten zugesprochen werden kann. Es ist daher zwar jederzeit möglich, das fragliche Subjekt jeweils von allen anderen logischen Gegenständen zu unterscheiden, weil es ad infinitum durch immer weitere Prädikationen spezifiziert werden kann. Gleichwohl kann auch ein noch so komplexes Prädikat immer noch unendlich vielen möglichen Subjekten zugesprochen werden. Es ist daher weder möglich, ein Subjekt von allen anderen möglichen Subjekten zu unterscheiden, noch Gewissheit über seine Substantialität und damit auch über seine Wirklichkeit zu gewinnen, wenn man – wie dies Aristoteles tut 20 – die bestimmende Aussage »S ist P.« extensio­ nal auffasst. Daher sind singuläre Terme, die genau ein Einzelding bezeichnen, aus der Syllogistik auch auszuschließen.21 Nun war es kaum Aristoteles’ Ziel, die Substantialität möglicher logischer Subjekte a priori festzustellen. Er ist sich vielmehr der Logizität solcher Gebilde durchaus bewusst, sofern sie in Aussagen thematisiert werden: Einzeldinge entziehen sich ja auch Aristoteles zufolge eo ipso vollständiger begrifflicher Erfassung.22

3. Realdefinition und Substanz

Genau deswegen hält indes Leibniz den aristotelischen Substanzbegriff für ergänzungsbedürftig. Denn wenn er aus dessen Qualifikation als Nominaldefinition schließt, dass darüber hinaus bedacht werden muss, »was wahrhaft einem bestimmten Subjekt zugeschrie24  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

ben wird«, 23 fragt er ja nicht nur nach der Widerspruchsfreiheit einer solchen Prädikation, d. h. ihrer logischen Möglichkeit, sondern danach, ob sie der thematisierten Substanz auch wirklich zukommt, d. h. nach ihrer metaphysischen Möglichkeit, die unabhängig von jeder extensionalen Prädikation besteht.24 Eine konkrete Substantialitätsfeststellung erfordert daher eine Real­definition des in Rede stehenden Subjekts. Nur was Gegenstand einer Realdefinition sein kann, ist Substanz. Denn nur eine Realdefinition enthält auch die reale Möglichkeit des definierten Dings. Dies ist aber zum einen kontingent und kann daher auch nicht sein. Seine Definition muss demzufolge auch seinen zureichenden Grund und damit eine Existenzbehauptung enthalten. Sie ist insofern genetisch, als sie den zureichenden Grund nicht nur seiner Entstehung, sondern jedes seiner Zustände enthält. Sie wäre Gottes Begriff eines Einzeldings. Zum anderen muss eine Realdefinition daher das definierte Ding nicht nur von allen gegebenen, sondern von allen möglichen Dingen unterscheiden. Sie darf also nicht durch die Differenzierung eines Dings relativ zu anderen Dingen, sondern muss absolut geschehen. Denn die Möglichkeit, ein Ding wahrheitsgemäß als Substanz auszuzeichnen, liegt gerade in seiner Unterscheidbarkeit von allen anderen möglichen Dingen. Nur dann nämlich besteht Gewissheit darüber, dass sein Begriff weder von etwas anderem ausgesagt werden kann noch in etwas anderem enthalten ist. Das Einzelding muss deshalb einerseits stets mit sich selbst identisch sein und andererseits aufgrund seiner Kontingenz zugleich sowohl veränderbar als auch in steter Veränderung befindlich. Seine Zustände gehören also zu seinem metaphysischen Wesen als Ding und können nicht von seiner metaphysischen Existenz als Ding real unterschieden werden. Eine Realdefinition sagt also genau aus, was ein Einzelding nicht als Angehöriges einer bestimmten logischen bzw. extensionalen Klasse ist, sondern was es für sich genommen als Einzelnes ist. Damit verbietet sich bereits der Gebrauch der Unterscheidung von essentiellen und akzidentiellen Prädikaten bei ihrer Bildung. Denn nun gehört jede Eigenschaft des Dings ihm wesentlich zu und konstituiert seine Identität, in der seine Unterscheidbarkeit von allen anderen möglichen Dingen besteht. Jede Eigenschaft kann folglich nur genau einem Subjekt zukommen, da sie vollstänMetaphysik und Logik  |  25

dig durch dies, also intensional, bestimmt ist und nicht umgekehrt im klassischen extensionalen Sinn das Subjekt bestimmt. Würde man also die Sätze bilden »Harald ist gelb.« und »Herta ist gelb.«, wäre die Eigenschaft, gelb zu sein, in metaphysischer Hinsicht für beide Subjekte different. Zugleich bliebe es freilich ebenso möglich, einen allgemeinen Begriff von Gelbheit nominal zu definieren. Dieser enthielte aber nach Leibniz keine Existenzbehauptung und seine Beschaffenheit hinge allein davon ab, dass er unter Beachtung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch eben so gebildet würde, wie er gebildet wird.25 Umgekehrt enthielte die Realdefinition der ›Hertaigkeit‹  – aber nicht deren Nominaldefinition!  – eine Existenzbehauptung und unter anderem dies, dass es Herta in einzigartiger Weise zukommt, gelb zu sein. Diesen Sachverhalt nennt Leibniz »in-esse«.26 Genau dieses In-Sein wird von Realdefinitionen einzelner Dinge ausgesagt. Realdefinitionen beziehen sich daher nach Leibniz auf »Individualbegriffe« bzw. auf die »haecceitas« eines Einzeldings. Ein solcher Begriff enthält demnach alle Eigenschaften, die einem Ding während seiner Existenz überhaupt wahrheitsgemäß zugesprochen werden können. »(D)ie Natur einer individuellen Substanz oder eines vollständigen Wesens (besteht) darin, einen so erfüllten Begriff zu haben, dass er zureicht, um alle Prädikate des Subjekts, dem dieser Begriff zugeschrieben wird, zu verstehen und daraus abzuleiten.«27 Alle wahren Aussagen über Dinge sind demzufolge analytisch.28 Erst also wenn ein singulärer Term vollständig analysiert ist, besteht Gewissheit darüber, ob der jeweilige Begriff eine Substanz aussagt, d. h. über die Unterscheidbarkeit seines Gegenstandes von allen anderen möglichen Dingen und seine Existenz. Dies bedeutet umgekehrt, dass jeder Substanz genau ein Individualbegriff entspricht und mögliche Dinge in möglichen Welten keine Substanzen, sondern bestenfalls logische Entitäten im Geiste Gottes darstellen. Nach Leibnizens Definition schließt also Substantialität Wirklichkeit ein, während die aristotelische Bestimmung nur die logische Unterscheidung zwischen Essentialia und Akzidentia ermöglicht. Man könnte also vorerst sagen, dass sich die extensionale Interpretation eines Satzes »S ist P.« auf Begriffe bezieht und daher Gegenstand der Logik ist, während seine intensionale Interpretation Dinge erfaßt und daher Thema der Metaphysik ist. Ein 26  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

konsequenter Nominalismus bzw. Singularismus, der sich nicht wenigstens der Möglichkeit begeben möchte, wahre Aussagen über aussagenunabhängige und kontingente Dinge zu machen, wird daher um den Gebrauch der Unterscheidung zwischen Extensionalität und Intensionalität kaum herumkommen.29 Dieser radikal individualistische Substanzbegriff, den Leibniz im Ausgang vom und unter Integration des aristotelischen entwickelt, 30 scheint auf den ersten Blick jedoch mehr Probleme zu machen als zu lösen, insbesondere metaphysische und epistemologische. Denn zum einen scheint unklar, wie denn eine Substanz gedacht werden soll, die gleichzeitig sowohl stets mit sich selbst identisch als auch veränderbar ist, wenn auf die Unterscheidung zwischen Essentialia und Akzidentien verzichtet werden soll. Und zum anderen wird man fragen müssen, ob und wie überhaupt noch zwischen möglichen und wirklichen Dingen unterschieden werden kann, wenn nur Gott über Individualbegriffe verfügt und man selbst unglücklicherweise nicht Gott ist. Zunächst besteht kein Zweifel über die Notwendigkeit, von der Identität von Substanzen durch ihre Veränderungen hindurch auszugehen: Ansonsten hätte man es ebenso mit immer neuen differenten Substanzen und so ihrer grenzenlosen Vervielfältigung zu tun, wie zugleich die Kontinuität von Bewegung und damit deren Möglichkeit entfiele – was offenkundig ungereimt ist. Dass es Veränderung gibt, steht ebenfalls außer Zweifel: Sie ist bewusstseinsbegabten Wesen durch das Fortschreiten von Bewusstseinszustand zu Bewusstseinszustand intuitiv klar. Und da diese Intuition auch die eigene Existenz einschließt, folgt unter Voraussetzung des nominalistischen Prinzips in seiner metaphysischen Fassung, dass das, was sich da verändert, eine Substanz sein muss, weil es außer solchen schlicht nichts gibt. Eine Veränderung stellt also einen Zustand einer Substanz dar. Dies setzt ein entsprechendes Vermögen der Substanz voraus, dessen Verwirklichung die jeweilige Veränderung ist. Die Zustände einer Substanz sind folglich Instanzen der Verwirklichung ihrer entsprechenden Vermögen. Verzichtet man nun wie Leibniz auf eine metaphysische Unterscheidung von Essentialia und Akzidentia, kommt man zu dem Schluss, dass die Realität einer Substanz genau darin besteht, dass sich ihre Vermögen irgendwie in Verwirklichung befinden. Weil daher, wenn eine Metaphysik und Logik  |  27

Substanz überhaupt sein soll, ihre Vermögen notwendigerweise verwirklicht sein müssen, kann deren Verwirklichung nicht von kontingenten Ursachen außer ihr abhängen. Sie muss sie also von selbst verwirklichen. Leibniz nennt dies »vis activa«. 31 Sie ist von einem ›bloßen Vermögen‹ (potentia nuda) zu unterscheiden, da sie eine ›gewisse Verwirklichung‹ (actum quendam) involvieren muss. 32 Denn ohne diese wäre ja die Substanz nicht. Die Realität einer Substanz besteht daher in ihrem jeweiligen Zustand, oder anders: Ein Ding ist nicht von seinem Zustand unterscheidbar, und deswegen ist ein Ding sein Zustand. Dieser setzt das Kontinuum aller vorausgegangenen Zustände voraus, die auf diese Weise in ihm enthalten sind und dadurch zugleich durch ihn bestimmt werden, weil sie genau in diesem und keinem anderen Zustand – zumindest vorübergehend – terminieren. Das heißt nichts anderes, als dass keine Substanz an irgendeinem Punkt ihrer Existenz in irgendeiner Hinsicht unbestimmt ist und demzufolge jederzeit von allen anderen Substanzen unterschieden werden kann. Leibniz greift hier wiederum auf einen genuin33 aristotelischen Begriff zurück. Er bezeichnet nämlich jene ›gewisse Verwirklichung‹, in der die Realität einer Substanz besteht, als ἐντελέχεια. Analysiert man den Gebrauch, den Aristoteles von seinem Neologismus bei seiner Einführung in der Physikvorlesung macht, zeigt sich, dass Leibniz dies durchaus zu Recht tut. 34 Die hier relevanten Resultate einer solchen Analyse seien kurz zusammengefasst:35 Der aristotelische Begriff der Entelechie bezeichnet primär die Bestimmtheit einer Bewegung durch ihren Anfang und ihr Ende. Dabei bestimmt das Ende die Art der jeweiligen Bewegung, während ihr Anfang ihre Einheit gewährleistet. Anfang und Ende sind jedoch beidenthalben allein zum Zwecke der Bestimmung willkürlich gesetzte Punkte in der kontinuierlichen Bewegung einer Substanz. Der Begriff der Entelechie lässt daher weiter bestehende Vermögen des jeweiligen Dings außer Acht und schließt nur aus, dass ein und dieselbe Bewegung wiederholt werden könnte, weil das dazu jeweils nötige Vermögen nun nicht mehr besteht. Sowohl Vermögen wie auch dessen Verwirklichung sind also einzeln. Die jeweilige Bewegung lässt sich daher von allen anderen möglichen unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wird Leibnizens Behauptung verständlich, dass eine vis activa notwendig eine Entelechie enthalte, also 28  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

nicht vollständig mit ihr identisch sei: Die aktive Kraft nämlich »ist ein Mittleres zwischen dem Vermögen, wirklich zu werden, und der Verwirklichung selbst und schließt ein Streben ein«. 36 Ein bloßes Streben bzw. das Unterwegssein eines Vermögens zu seiner Verwirklichung ist jedoch selbst nicht für sich genommen bestimmbar und daher auch nicht von anderem unterscheidbar. Ohne Unterscheidbarkeit besteht indes keine Substanz. Insofern ihre entelechetische Bestimmung aber genau dies ermöglicht, liegt darin auch ihre Substantialität: So verstanden sind Substanzen Entelechien. Leibnizische Substanzen sind folglich nicht von ihren eigenen Veränderungen zu unterscheiden. Sie sind also durch und durch dynamische Entitäten, deren Individualbegriff präzise alle ihnen mögliche Veränderungen enthält, die sie verwirklichen und ihnen daher wahrheitsgemäß zugesprochen werden können. Aus der Notwendigkeit steter Veränderung ergibt sich i­ndes auch deren Art. Weil die Substanz, wenn sie existiert, sich nie nicht verändern kann, da ihre Realität in ihrer Veränderung besteht, muss diese – abgesehen vom zureichenden Grund ihrer kon­ tingenten Existenz selbst 37 – vollständig unabhängig von externen Stoff-, Wirk- oder Zweckursachen sein. Sie besitzt – wie es Leibniz in der Monadologie formuliert  – ἀυτάρκεια, die ihr »die Quelle ihrer inneren Verwirklichungen gibt«. 38 Die Veränderungen der Substanz sind also nicht nur selbstinduziert, sondern beziehen sich auch ausschließlich auf diese selbst. Sie wirkt daher nicht auf von ihr verschiedene Entitäten. Insofern gibt es für die leibnizischen Substanzen schlicht kein Außen: Sie sind, um das berühmte Wort zu gebrauchen, ›fensterlos‹ – woraus freilich keineswegs folgt, dass es keine anderen Substanzen geben könne. Schon aufgrund dieser Internalität der Veränderungen, aus denen ihre Aktivität folgt, nennt Leibniz sie ›Perzeption‹.39 Die Realität der Substanzen besteht daher in ihrem jeweiligen Perzeptionszustand, der unbewusst oder mehr oder weniger bewusst, d. h. Apperzeption, sein kann. Er ist selbst nichts anderes als die Verwirklichung der ihm entsprechenden Vermögen, welche die Substanzen jederzeit aktual voneinander unterscheidbar macht. Weil die jederzeit differenten Perzeptionszustände der Substanzen auch differente Vermögen ­voraussetzen, unterscheiden sich die Substanzen in ihrem Wesen offenkundig durch ihre differenten Perzeptionsvermögen, und zwar so sehr, Metaphysik und Logik  |  29

dass schon die Möglichkeit bestimmter, eher niedrigstufiger, man könnte Leibniz paraphrasierend sagen: schläfriger Perzeptionszustände Materialität erfordert. Da nun jedenfalls Vermögen keine Teile von Substanzen darstellen, sondern nur deren interne Veränderungen ermöglichen, kann Leibniz von der Einfachheit der Substanzen ausgehen. Er nennt sie demzufolge ›Monaden‹.

4. Metaphysik und Erkenntnis

Lässt sich so zwar das augenscheinliche Problem des leibnizschen Substanzbegriffs lösen, steht man nun vor der weitaus bedenklicheren Schwierigkeit, wie in diesem Zusammenhang überhaupt noch sinnvoll von Erkenntnis gesprochen werden kann. Denn auch Erkenntnis ist ohne Zweifel ein Perzeptionszustand, da die Realität von Substanzen in eben solchen besteht und es nur Substanzen gibt. Entweder stellt nämlich jeder Perzeptionszustand schon eine Erkenntnis dar und es folgte daraus vollständige epistemische Beliebigkeit bzw. epistemischer Solipsimus, oder es gibt ein Kriterium, vermittels dessen Erkenntnis von anderen Perzeptionen unterschieden werden kann und das trotzdem den Substanzen intern ist. Hierfür reicht indes die Widerspruchsfreiheit des jeweils aktuellen Perzeptionskomplexes, wie sie sich aus dessen logischer Analyse in der Reflexion ergibt, nicht zu: Sie erweist ja nur die logische Möglichkeit der perzipierten Gegenstände, aber noch nicht ihre Wirklichkeit bzw. ihre metaphysische Möglichkeit. Zugleich räumt Leibniz ausdrücklich ein, dass allein Gott über vollständige Realdefinitionen von Dingen, d. h. Individualbegriffe, verfügt. 40 Um über die Wahrheit eines nicht vollständig real definierten Begriffs zu urteilen, müsste man also bereits über eine entsprechende Realdefinition verfügen. Dass sich Leibniz dieser Schwierigkeit durchaus bewusst ist, zeigt seine mehrfach vorgetragene Kritik am ontologischen Gottesbeweis, die genau auf diesen Punkt zielt.41 Dies kann kaum verwundern, ist diese Schwierigkeit doch keineswegs neu. Sie tritt – vielleicht am prominentesten – am Ende der Einleitung von Platons Dialog Menon auf, in der es ebenfalls um Definitionen geht, genauer darum, welche Art von Definitionen der platonische Sokrates sucht.42 Dort konfrontiert der Gorgias-Schü30  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

ler Menon, der, wie der Dialogverlauf zeigt, ganz im Sinne seines Lehrers 43 bestenfalls willkürlich und ad hoc gebildete Nominal­ definitionen kennt, Sokrates mit einem »höchst streitsüchtigen Argument«, das den genannten Zirkel aufdeckt. Es lautet in der Zusammenfassung der Sokrates-Figur: »Ein Mensch kann weder suchen, was er weiß, noch, was er nicht weiß: Denn, was er weiß, sucht er nicht, denn er weiß es ja, und es bedarf keiner Suche; er kann auch nicht suchen, was er nicht weiß, denn er weiß nicht, was er sucht.«44 Nun bezieht Leibniz sich nicht nur explizit auf Platons Menon, 45 er stimmt auch – jedenfalls was den Gegenstand von Wissen bzw. Erkenntnis angeht – mit den von der Sokrates-Figur angestellten Überlegungen durchaus überein. Denn auch für Leibniz besteht Wissen im Besitz referentialisierbarer, definabler und explizierbarer Begriffe, d. h. im Besitz von Realdefinitionen. Diese Auffassung führt ja zu jenem unangenehmen Problem. Was man indes Leibnizens Platonismus nennen könnte, liegt weniger in dessen Bewusstsein, sondern eher in dem Mittel, mit dem er das Problem löst. Er greift nämlich zu diesem Zweck ausdrücklich auf den Begriff der Idee zurück, wie er im Kontext der sogenannten Anamnesis-Lehre auftaucht, die Platons Sokrates-Figur in all ihrer Zweifelhaftigkeit im Menon und im Phaidon vorträgt.46 Leibniz tut dies jedoch auf eine Weise, welche die Rede von »Wiedererinnerung« überflüssig macht. Er gebraucht dabei gleichwohl den Begriff der Idee in einer doppelten Funktion, die durchaus unter die Vielzahl von Platons Gebrauchsweisen des Begriffs gehört.47 Ideen fungieren für Leibniz nämlich sowohl als logische Erkenntnisobjekte wie als metaphysische Erkenntnisgründe bzw. -bedingungen. Der Ausdruck »Idee« bezeichnet nach Leibniz zunächst prinzipiell schlicht »etwas, das in unserem Geiste ist«.48 Geht man von Leibnizens monadischem Substanzbegriff aus, folgt daraus, dass Ideen entweder Vermögen oder Perzeptionen sein müssen, weil eine Monade überhaupt nur Vermögen oder Perzeptionen enthalten kann. Leibniz präzisiert dies umgehend, indem er Ideen als notwendige Bedingung dafür auszeichnet, bestimmbare Geistesinhalte, d. h. Perzeptionen, Erkenntnisse usw., zu haben.49 Demzufolge bestehen Ideen »nicht in einer bestimmten Verwirklichung des Denkenkönnens, sondern im Vermögen« dazu. 50 Ideen sind Metaphysik und Logik  |  31

also Vermögen, bestimmte Gegenstände perzipieren oder denken zu können, die vorliegen, ohne aktual bzw. bewusst an sie zu denken. Jeder mentale Akt besteht daher in einer Verwirklichung von Ideen. Allem, was gedacht werden kann, d. h. jedem möglichen logischen Gegenstand, liegt somit eine Idee zugrunde. Einem solchen Gegenstand entspricht dann ein vom aktualen Denkakt unabhängiger Gegenstand, wenn er von allen möglichen anderen Gegenständen unterscheidbar ist. Deswegen besteht auch die logische Möglichkeit, zwischen echten und falschen Ideen zu unterscheiden. 51 Realdefinitionen drücken daher Ideen aus, und deswegen sind Ideen singulär. Aufgrund der Unterscheidbarkeitsbedingung muss es jeder Monade möglich sein, alle Realdefinitionen denken zu können, da sie von allen anderen Monaden unterschieden ist und ihr ausschließlich Vermögen und Perzeptionen zukommen. Folglich verfügt jede Monade über alle Ideen und repräsentiert aufgrund dessen das gesamte Universum, insofern dies das Insgesamt aller Substanzen darstellt.52 Weil aber eine Monade ausschließlich dadurch existiert, dass sie perzipiert, d. h. ihre Vermögen verwirklicht, und weil sie auch aktualiter jederzeit von allen anderen möglichen Dingen unterscheidbar sein muss, sind auch alle Ideen, die sie hat, jederzeit in irgendeiner Weise bzw. mehr oder weniger realisiert.53 Sofern daher eine Monade über die Fähigkeit zur Reflexion bzw. Bewusstsein ihrer selbst verfügt, hat sie auch die Möglichkeit zu Erkenntnis – und zwar prinzipiell von allen wirklichen Substanzen. Sie kann nämlich jederzeit auf die Begriffe, die sie dunkel oder klar denkt, reflektieren und sie sowohl hinsichtlich ihrer logischen Möglichkeit als auch hinsichtlich ihrer metaphysischen Möglichkeit, d. h. ihrer Verträglichkeit mit und ihrer Unterscheidbarkeit von den übrigen Substanzen, untersuchen. Damit ist aber auch das Problem der Möglichkeit, und nur um diese geht es ja, des Gewinns von Erkenntnis gelöst: Denn dass dies den Menschen, die Leibniz eher am unteren Ende der Hierarchie reflexionsbegabter Wesen ansiedelt, wenn überhaupt, nur recht selten gelingen mag, bedeutet ja nicht die Unmöglichkeit von Erkenntnis, sondern nur, dass es ziemlich schwierig ist, dazu zu gelangen. Zumal es normalerweise kaum auf absolute Gewissheit ankommt. Denn normalerweise kommen wir mit den Wahrscheinlichkeitsgraden, die der subjektiven Gewissheit unseres Urteilens 32  |  Wahrscheinliche Weltweisheit 

entsprechen, bei unseren Versuchen, uns in der Wirklichkeit zu orientieren, ganz gut zurecht. Und dass dies so ist, spricht keinesfalls dagegen, dass unsere Urteile eher näher an der Wirklichkeit liegen mögen als umgekehrt. Es kann daher nicht überraschen, dass Leibniz häufig das Fehlen einer ausführlichen »Erforschung der Grade der Wahrscheinlichkeit« beklagt, »was ein großer Mangel unserer Logiken ist«.54 Es ist insbesondere dieses Forschungsunternehmen, das Baumgartens Denken bewegt. Es ist ein Teil seiner Epistemologie, sofern diese kontingente Propositionen, d. h. alle Aussagen über die aktuale Welt, behandelt. Solche ästhetiko-logischen Erkenntnisse können nämlich prinzipiell immer nur wahrscheinlich sein. Und es ist Teil seiner Metaphysik, nicht nur weil es Teil seiner Epistemologie ist, sondern auch weil jedes existente Ding nur insoweit vollständig bestimmt ist, als es aktual ist, während es zugleich unbestimmt bleibt, insofern es reale Möglichkeiten zukünftiger Zustände in sich schließt. Wenn Philosophie also überhaupt praktisch, also irgendwie auf die Veränderung der Welt bezogen sein soll – worauf Baumgarten hinzuweisen nicht müde wird 55 –, kann Philosophie nichts anderes sein als wahrscheinliche Weltweisheit.

Metaphysik und Logik  |  33

B. Was Menschen wissen können: Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis Voraufliegt jeder disziplinären Einteilung verschiedener Wissenschaften die Untersuchung ihrer Möglichkeit. Da jede Wissenschaft in irgendeiner Weise nach Erkenntnis strebt und zugleich nicht jede Erkenntnis wissenschaftlicher Natur zu sein scheint, erfordert eine Erklärung der Möglichkeit von Wissenschaft zum einen die Untersuchung des Wesens von Erkenntnis überhaupt und zum anderen die Auszeichnung spezifisch wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Bearbeitung dieser epistemologischen Fragen hat nach Baumgarten ihren systematischen Ort im organischen bzw. instrumentellen Teil der Philosophie. Er behandelt dort noch ohne weitere Spezifikation Erkenntnis überhaupt und deren Unterteilung in sinnliche und verstandesmäßige.56 Baumgartens Erkenntnistheorie umfasst daher Ästhetik und Logik und besitzt universale Geltung für jedes ›Erkennen und Behaupten‹, sofern es sich auf Qualitäten des Seienden richtet. 57 Wird die Philosophie nun als Weltweisheit bestimmt, setzt folglich auch deren Möglichkeit als Wissenschaft bereits jenes Organon voraus. Dies heißt freilich nicht, dass eine solche umfassende epistemologische Untersuchung außerhalb der Philosophie stünde. Denn sofern sie spezifische Formen von Erkenntnis, insbesondere wissenschaftliche, thematisiert, setzt sie auch die Unterscheidbarkeit solcher Formen und entsprechend differenzierte Vermögen des erkennenden Geistes voraus. Damit ist die Untersuchung bereits auf endliche bzw. menschliche Erkenntnis fokussiert, welche – anders als etwa die eines unendlichen Geistes bzw. Gottes – verschiedene Erkenntnismöglichkeiten umfasst. Solche Epistemologie fällt daher, systematisch betrachtet, in die Disziplin der empirischen Psychologie, d. h. eines Teils der Metaphysica specialis. Eine systematische Analyse des baumgartenschen Denkens hat demnach genau an diesen Punkten anzusetzen. Mit diesem organischen Aufbau folgt Baumgarten der klassischen aristotelischen Differenzierung zwischen genetischer und 34  | 

systematischer Priorität der gewonnenen Erkenntnisse: Trotz der systematischen Priorität dessen, was seiner Natur nach, mithin von sich aus das erste Zu-Erkennende ist, wird eine didaktisch und methodisch kontrollierte Anordnung philosophischer Forschung an dem ansetzen, was für uns das Erste ist, das erkannt werden kann.58 Die erkenntnistheoretische Grundlegung der Philosophie erfolgt also zunächst im Rahmen der Metaphysica specialis, und zwar derjenigen Disziplin, die sich mit kontingenten Gegenständen geistiger Natur beschäftigt.59 Indes muss es dieser ersten Untersuchung, die überhaupt in der Philosophie geführt werden kann, darum gehen, was der spezifisch menschliche Geist erkennt, und nicht darum, was die Seele als solche ist oder was ein Geist als solcher erkennen kann. Anderenfalls nämlich ginge die Untersuchung von der Möglichkeit einer Erkenntnis aus, ohne deren Wirklichkeit beachtet zu haben. Damit hätte sie den Boden der Philosophie bereits verlassen, weil sie ohne eigenen Beleg schlicht die Möglichkeit von Erkenntnis setzte, d. h. zum Gegenstand eines Glaubens machte. Verfährt sie hingegen wissenschaftlich, kann die Untersuchung gar nicht sogleich zu einer allgemeinen Seelenlehre (Pneumatik) führen, sondern muss zunächst auf der Ebene einer empirischen Psychologie bleiben. Gerade weil also die Untersuchung der Möglichkeit von Erkenntnis mit ihrer Wirklichkeit beginnen und daher sowohl sinnliche als auch propositionale Erkenntnis analysieren muss, ist die organische Philosophie Theorie des spezifisch menschlichen Erkennens und seiner Grenzen.

I. Erkenntnis

Gemäß seiner genetischen Methode bestimmt Baumgarten einen allgemeinen Begriff von Erkenntnis im Sinne der empirischen Psychologie und unterscheidet ihn damit zugleich von dem spezielleren der Wissenschaft: »Eine Erkenntnis ist eine Zusammensetzung von Vorstellungen, also sind Erkenntnis und Wissenschaft verschieden.«60 Da »Wissenschaft die gewisse Erkenntnis aus Gewissem«61 ist und Erkenntnis und Wissenschaft sich unterscheiden sollen, obwohl die Definition von Wissenschaft Erkenntnis einschließt, Erkenntnis  |  35

muss deren Differenz an der Vorstellungszusammensetzung liegen. Nicht jede Erkenntnis bzw. nicht jede Vorstellungszusammensetzung ist schon Wissenschaft. Solche Zusammensetzungen können in dreifacher Weise verschieden sein: Entweder in der Art der Zusammensetzung der Vorstellungen oder in der Art der Vorstellungen, die zusammengesetzt sind, oder in beidem. Klar ist jedenfalls zunächst, dass Wissenschaft eine besondere Art von Erkenntnis ist, und zwar eine solche, zu der die Eigenschaft der Gewissheit gehört.

1. Bewusstheit

Dies für den Moment dahingestellt, lässt sich bereits zweierlei festhalten: Zum einen kann es keine Erkenntnis geben, die einfach ist, d. h. in genau einer Vorstellung besteht, so dass Erkenntnis in einer Zusammensetzung von wenigstens zwei Vorstellungen zu einer Einheit bestehen muss. Zum anderen setzt das Haben von Vorstellungen irgendeine, aktive oder passive, mentale Tätigkeit voraus. Da es sich beim Erkennen aber nicht um das schiere Auftreten irgendwelcher isolierter Vorstellungen, sondern um deren Zusammensetzung handelt und Vorstellungszusammensetzungen nicht von etwas oder jemand anderem als dem Vorstellenden selbst stammen oder geliefert werden können, setzt Erkenntnis mentale Aktivität voraus, mithin Denken. Denken kann nun aber gar nicht anders als bewusst vollzogen werden. Denn bereits um festzustellen, dass da irgendeine Vorstellung ist, ohne schon wissen zu müssen, was deren Gegenstand sei, muss diese Vorstellung irgendwie vom vorstellenden Geist unterschieden werden. Jeder Denkakt enthält also zumindest eine Vorstellung des vorstellenden Geistes von sich selbst und eine beliebige, von dieser nicht nur unterscheidbare, sondern auch in ihrer Verschiedenheit wenigstens implizit thematische Vorstellung. Genau in diesem Akt der Unterscheidung besteht nach Baumgarten Bewusstsein: »Was wir von anderen unterscheiden, das stellen wir uns vor / des sind wir uns bewusst / das bemerken wir / das nehmen wir wahr. Eine bewusste Vorstellung ist ein Gedanke.«62 Jeder Gedanke erfüllt folglich Baumgartens Definition von Erkenntnis, da er mindestens zwei verschiedene Vorstellungen enthalten muss. Deren Zusammensetzung setzt offenbar weder die 36  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

bewusste Anwendung logischer Regeln noch das Wissen darum voraus, was es ist, das da vorgestellt wird. Vielmehr genügt für Erkenntnis bereits das Bewusstsein der Existenz eines beliebigen mentalen Inhalts. Mit anderen Worten: Man kann erkennen, dass da irgendetwas ist – etwa man selbst –, ohne zu wissen, was das ist. Erkennen ist Unterscheiden, und Unterscheiden ist Denken. Denken besteht also im Haben bzw. der Sukzession verschiedener mentaler Inhalte, 63 und es ist jederzeit bewusst, weil Denken Bewusstheit ihrer Verschiedenheit – wenigstens in Form der Differenz von Vorstellendem und Vorgestelltem – einschließt. Weil aber auch intramentale Veränderung nichts anderes sein kann als die Verwirklichung eines entsprechenden mentalen Vermögens, sind in metaphysischer Hinsicht Vorstellungen wiederum nichts anderes als die Verwirklichungszustände eben jenes Vermögens. Diese Kraft, bewusste Vorstellungen haben zu können, mithin zu denken, nennt Baumgarten »Seele«. 64 Die empirische Psychologie wird demnach eine Wissenschaft von den dem menschlichen Geist möglichen Bewusstseinsinhalten sein, d. h. von Vorstellungen, sofern sie Erkenntnis darstellen, und ihrem Erwerb. Die empirische Psychologie liefert demnach das Fundament jeder auf den menschlichen Geist bezogenen Theorie von Erkenntnis und somit Wissenschaft. Aufgrund dieser Festlegung des Bereiches empirischer Psychologie wird jenes Fundament selber ebenfalls Gegenstand von Erkenntnis sein können. Weil nämlich Gedanken eo ipso bewusst sein müssen und die menschliche Seele nichts anderes als ein Vermögen ist, bewusste Vorstellungen zu haben, erfordert das Programm der empirischen Psychologie zunächst gerade keine Erforschung oder gar wissenschaftliche Einsicht in Wesen und Möglichkeit der Seele, sondern nur die Feststellung, dass es Erkenntnis, d. h. bewusste Vorstellungen, gibt. Denn aus der Wirklichkeit von Erkenntnis kann man ohne Weiteres auf deren Möglichkeit schließen. Aber die Erklärung, wie Erkenntnis möglich ist, setzt keine erfolgreiche Untersuchung des zugrundeliegenden Vermögens unabhängig von seiner Verwirklichung, d. h. so etwas wie Seele überhaupt, voraus. Vielmehr genügt die Analyse der Arten, wie Vorstellungen zusammengesetzt sein können. Schließlich ist jede bewusste Vorstellung bzw. jeder Gedanke Erkenntnis, und Erkenntnisse müssen stets aus Vorstellungen zusammengesetzt sein, Erkenntnis  |  37

die selbst ebenfalls irgendwie bewusst sein können müssen. Sonst könnte mangels ihrer Unterscheidbarkeit ja gar keine Zusammensetzung vorliegen. Nun mag auf den ersten Blick diese Restriktion der empirischen Psychologie auf mögliche Bewusstheit bei einem Autor vielleicht irritieren, dessen Bekanntheit nicht zuletzt davon herrührt, dass er sich ganz besonders um den Bereich der sogenannten dunklen Vorstellungen verdient gemacht und deren Ort auch noch »Grund der Seele«65 genannt hat. Es ist allerdings daran zu erinnern, dass die Dunkelheit dieser Vorstellungen nicht bedeutet, dass man nicht weiß, dass man irgendwelche Vorstellungen hat, sondern nur, dass man gerade nicht weiß, was ihre Gegenstände sind. Ihre Unbewusstheit besteht zwar in ihrer aktualen Ununterschiedenheit im vorstellenden Geiste, jedoch folgt aus dessen kontingentem Bewusstseinsinhalt keineswegs ihre Ununterscheidbarkeit. Wie sich das Meeresrauschen, an dessen Beispiel Leibniz den Begriff der petits perceptions verdeutlicht, aus den einzelnen Geräuschen unendlich vieler differenter Wellen zusammensetzt, die aktual nicht als einzelne wahrgenommen werden, 66 liegt die Unbewusstheit dunkler Vorstellungen bloß darin, dass sie aktual nicht als einzelne von anderen unterschieden oder identifiziert werden. So schreibt Baumgarten unmittelbar vor Einführung des berühmten Seelengrundes: Manches denke ich deutlich, manches verworren. Indem man etwas verworren denkt, unterscheidet man dessen Merkmale nicht, dennoch stellt man vor bzw. nimmt man wahr. Denn wenn man die Merkmale des auf verworrene Weise Vorgestellten unterscheiden würde, würde man, was man auf verworrene Weise vorstellt, deutlich denken: wenn man die Merkmale des verworren Gedachten durchaus nicht wahrnehmen würde, vermöchte man durch diese das verworren Vorgestellte nicht von anderen zu unterscheiden. Also stellt man, indem man etwas verworren denkt, manches auf dunkle Weise vor. 67

Die Art und Weise, wie etwas vorgestellt wird, ändert also zuerst einmal nichts an der Bewusstheit des Vorstellens selbst. Vielmehr resultieren aus den verschiedenen Vorstellungsweisen Unterschiede in der Bewusstheit des Vorstellungsinhalts. Diese Unterschiede sind allerdings nur gradueller, nicht absoluter Natur. Denn auch einen verworren vorgestellten Inhalt kann man immer noch von 38  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

anderen, auch ebenso verworren vorgestellten Inhalten unterscheiden. Dazu ist es keineswegs nötig, diese Inhalte eindeutig identifizieren und in dieser Form aussagen zu können. Die Bewusstheit der Differenz wird vielmehr durch die Inhalte selbst erzeugt, deren Merkmale zwar jederzeit vollständig vorgestellt werden  – sonst wären die Vorstellungen ja nicht unterscheidbar und demzufolge nicht verschieden, sondern identisch, mithin gar nicht mehrere, sondern eine –, aber freilich werden jene Merkmale ebenso wenig schon durch ihr bloßes Vorgestelltwerden ausdrücklich thematisch bzw. bewusst. Dies Geschäft der bewussten Unterscheidung der Charakteristika verschiedener Vorstellungen und damit auch ihrer Identifikation obliegt vielmehr der Tätigkeit des vorstellenden Geistes nach Maßgabe seiner individuellen Erkenntnisvermögen. Mentale Inhalte sind daher prinzipiell von allen anderen möglichen Vorstellungen unterscheidbar und infolgedessen singulär. Daraus folgt weiterhin, dass nicht der vorstellende Geist die Vorstellungen, die er hat, irgendwie aus sich erzeugt, sondern nur seine Gedanken, d. h. das Bewusstsein der Differenziertheit seiner Vorstellungen, das von relativer Dunkelheit bis zu vollständiger Deutlichkeit reichen kann. So etwas wie eine absolut dunkle Vorstellung, deren Gegenstand per se nicht von anderen unterschieden werden könnte, 68 kann deswegen nicht gedacht werden, weil sie gar keine Vorstellung mehr wäre. Kann der menschliche Geist – und nur um den geht es ja in der empirischen Psychologie – aber keine singulären Inhalte aus sich erzeugen, müssen sie ihm gegeben werden. Dies geschieht durch sinnliche Wahrnehmung, welche durch den Leib vermittelt wird. Da der Leib selbst ein bestimmtes Ding und als solches Teil des Universums ist, sind die basalen singulären Inhalte des Geistes durch die Position des Körpers im Universum bedingt: »Aus der Stelle meines Leibes in diesem Universum kann erkannt werden, warum ich dies dunkler, jenes klarer, jenes deutlicher erkennen mag, d. h. meine Vorstellungen richten sich nach der Stelle meines Leibes in diesem Universum.«69 Aus dieser positionellen Bedingtheit aller mentalen Inhalte des menschlichen Geistes ergibt sich nun auch deren Singularität: Weil jede Vorstellung das gesamte aktuale Universum aus derjenigen Perspektive repräsentiert, welche durch die Position des wahrnehmenden Leibes eindeutig bestimmt ist, da nur ein materieller Körper gleichzeitig an Erkenntnis  |  39

ein und demselben Ort sein kann, besteht jeder mentale Inhalt, der durch einen Leib vermittelt wird, in der Gesamtvorstellung des Universums inklusive des jeweils aktuellen Zustandes des wahrnehmenden Leibes und des vorstellenden Geistes aus dieser singulären Perspektive. Diese »perceptio totalis« umfasst daher alle Arten von Vorstellungen, die sich als deren Teile durch ihren Grad bewusster Differenziertheit unterscheiden.70 Infolgedessen ist jene vollständige Vorstellung des Universums jederzeit in relativ dunkler Weise gegeben. Zugleich ist diese Gesamtvorstellung trotz ihrer Totalität nur partial,71 gerade weil sie perspektivisch bedingt ist und diese Perspektive – jedenfalls durch einen endlichen Geist – nicht in Richtung einer singulären Gesamtvorstellung transzendiert werden kann, die selber weder räumlich noch zeitlich bedingt wäre.72 Ist also der ›Grund der Seele‹ der Ort der dunklen Teile der Gesamtvorstellung – denn eine vollständig dunkle Vorstellung kann es ja gar nicht geben –, enthält er auch jederzeit alles Material, das zu einer vollständig deutlichen Vorstellung des Gesamtzustandes des Universums aus der Perspektive des vorstellenden Geistes zureichte. Jede Vorstellung, die in sinnlicher Wahrnehmung ihren Ursprung besitzt und daher die eines Einzeldings oder -ereignisses ist, muss demnach einen solchen dunklen Bereich besitzen und demnach prinzipiell verworren sein. Besteht nun seitens des vorstellenden Geistes Bewusstheit über die Existenz des dunklen Teils der Gesamtvorstellung, ist dies gleichbedeutend mit der Bewusstheit ihres unendlichen Inhalts, die zu einer intensiveren Beschäftigung mit ihr motivieren kann. Nun gilt dies zwar von jeder einzelnen Vorstellung, sofern diese irgendwie sinnlich vermittelt ist. Gleichwohl kann die Existenz ihres dunklen Teiles mehr oder weniger auffallen. So wird die Gewöhnung an die alltägliche Wiederholung ähnlicher Vorstellungen von Einzelnem wie etwa eines Weckerklingelns, einer Zahnbürste oder eines Murmeltiergrußes mangels ihrer ausdrücklichen Bewusstheit wenig Gelegenheit zur Erforschung ihres dunklen Teils bieten. Vorstellungen von Dingen oder Ereignissen, die gleichsam von sich aus auf ihre Singularität verweisen, wie etwa Gedichte, Gemälde, Musiken usw. mögen dagegen eher zu einer intensiveren Beschäftigung Anlass geben, aus der sich die Bewusstheit der Existenz jenes dunklen Teils vielleicht eher ergeben wird. Solche »vielsagenden Vorstellungen« nennt 40  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Baumgarten »perceptiones praegnantes«.73 Diese unterscheiden sich demnach nicht ontologisch von Alltagsvorstellungen und bilden deswegen auch keine eigene Art von Vorstellungen. Vielmehr liegt ihre Prägnanz in ihrer Wirkung auf den vorstellenden Geist. Ihre Ungewöhnlichkeit, die freilich kontextabhängig und deshalb kontingent ist, kann – muss aber nicht – intensivere Beschäftigung mit ihnen veranlassen und zur Einsicht in ihren – zumindest in extensionaler Deutung  – begrifflich nicht eindeutig festlegbaren Inhalt führen. Dies ist gleichbedeutend mit der Einsicht in die Existenz eines Teils an ihr, dessen Dunkelheit zwar nicht aus logischen oder ontologischen, aber aus epistemologischen Gründen unaufhebbar ist. Ohne freilich den romantischen Fehler zu begehen zu behaupten, dass nur Kunstwerken eine spezifische Kraft zur Erregung derart im positiven Sinne irritierender Vorstellungen zukäme, fungieren diese, insbesondere Werke der Dichtkunst, in Baumgartens Überlegungen als paradigmatisches Beispiel für Dinge, die den Bewusstseinszustand erzeugen können, welchen der Begriff der perceptio praegnans erfasst. Dies ist im Kontext der europäischen Kultur der Neuzeit bzw. beginnenden Moderne und vor dem Hintergrund von Baumgartens persönlichen Vorlieben ohne Weiteres verständlich, besitzt jedoch strenggenommen keine eigene systematische Bedeutung. Hätte Baumgarten eine tiefe Liebe zur Diversität von Sandkörnern am Ufer von Saale oder Oder gehegt, hätte er als Beispiele ebensogut verschiedene Sandkörner verwenden können.

2. Ästhetik

Es wäre folglich ein grobes Missverständnis, Baumgartens Ästhetik exklusiv als Kunsttheorie verstehen zu wollen, wenngleich sie freilich einer solchen zugrundegelegt werden können mag, sofern man ihre weiteren, bislang nur angedeuteten metaphysischen Vor­ aussetzungen zu akzeptieren geneigt ist.74 Baumgartens Ästhetik bietet vielmehr ihrem eigenen Selbstverständnis als »scientia sensitiue cognoscendi & proponendi«75 gemäß eine Theorie des nicht verstandesmäßigen, mithin nicht durch logische Funktionen erzeugte Begriffe bzw. propositional sich vollziehenden Erkennens. Erkenntnis  |  41

Genau deswegen bildet sie einen fundamentalen Teil der Erkenntnistheorie. Denn sie untersucht den alogischen Grund inhaltlich bestimmbarer Erkenntnis, wie sie dem Menschen von Einzeldingen allein durch das möglich ist, was Baumgarten »das untere Vermögen zu erkennen« (facultas cognoscitiva inferior) nennt.76

a) Klarheit

Solche intuitive Erkenntnis besteht in verworrenen Vorstellungen, d. h. solchen, die einen mehr oder weniger großen dunklen Teil besitzen, welcher freilich prinzipiell deutlich gemacht werden kann. Demzufolge gilt weiterhin, dass es so etwas wie absolut dunkle Vorstellungen nicht geben kann. Denn auch wenn etwas dunkel erkannt wird, besteht intuitive Bewusstheit davon, dass etwas wahrgenommen und daher immerhin vom vorstellenden Geist selbst unterschieden wird, während im Falle der verworrenen Erkenntnis dies schon von anderem unterschieden wird. Baumgarten nennt alle solchen nicht-deutlichen Vorstellungen »sinnlich«.77 Trotz dieser offenkundigen Disjunktion in ihrer begrifflichen Bestimmung schließen sich die Vorstellungsarten des Deutlichen und des Verworrenen bzw. Sinnlichen hinsichtlich ihres Auftretens nicht wechselseitig aus. Dies widerspräche auch der permanenten Sukzession singulärer Gesamtvorstellungen. Im Gegenteil können deren Teile gemäß ihrem Bewusstheitsgrad voneinander unterschieden werden, sofern es sich nicht um eine vollständig sinnliche Vorstellung handelt, wie sie ein endlicher Geist, dem singuläre mentale Inhalte gemäß der Position des wahrnehmenden Leibes im Universum gegeben werden müssen, ohne Zweifel haben kann, und ebenso wenig um eine vollständig deutliche, die dann allerdings weder sinnliche Teile haben noch singulär sein kann. Werden nämlich Einzeldinge so vorgestellt, dass der endliche Geist sie mit logischen Mitteln identifizieren und demzufolge aussagen kann, wodurch sie sich von anderen unterscheiden, muss die entsprechende Vorstellung sowohl einen deutlichen als auch einen sinnlichen Teil enthalten, weil sie ein Einzelding und nicht nur einen Begriff repräsentiert: Den deutlichen aufgrund ihrer logischen Identifizierbarkeit und den sinnlichen, weil die Gesamtvorstellung 42  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

nicht vollständig deutlich sein und das vorgestellte Ding nicht von allen anderen möglichen Dingen unterschieden und deswegen nur relativ, aber nicht absolut identifiziert werden kann. Eine deutliche Vorstellung eines Einzeldings besitzt daher stets verworrene und dunkle Teile, während dessen sinnliche Vorstellung jederzeit distinktives Potential enthält.78 Dieses Distinktionspotential, das schlicht aus der Singularität sinnlicher Vorstellungen folgt, zeigt sich an der Kontinuität der Differenziertheit, mit der sie der alogisch erkennende Geist voneinander unterscheidet. Die Extrema dieses Differenzkontinuums reichen von der dunkelsten Vorstellung, bei der der vorstellende Geist bei aller Anstrengung nur seine eigene Nicht-Identität mit dem Vorgestellten bemerkt, bis zur klarsten, bei der er ohne Mühe auch sehr ähnliche Vorstellungen voneinander unterscheidet.79 Eine vollständig dunkle Vorstellung wäre demnach gar nicht bewusst und deswegen überhaupt keine Vorstellung mehr. Eine vollständig klare Vorstellung erlaubte hingegen die begriffsfreie, mithin intuitive Identifikation einer singulären Vorstellung unter allen möglichen anderen. Es gibt daher nichts, das »schlechterdings dunkel« wäre, da alles, was ist, objektiv erkennbar ist, so dass alle Dunkelheit stets relativ zur Vorstellungsart bleibt. 80 Oder umgekehrt formuliert: Auch die dunkelste aller möglichen Vorstellungen ist noch minimal klar, solange sie überhaupt noch Vorstellung ist, während auch die klarste aller möglichen Vorstellungen noch Dunkelheit enthält, d. h. verworren ist, wenn sie nicht absolut identifiziert. Da aber das menschliche Vorstellen immer relativ zur Position des Leibes im Universum ist und der Leib ohnehin für die Habe sinnlicher Vorstellungen erforderlich ist, kann es keine vollständig klaren und deutlichen sinnlichen Vorstellungen geben. Die zentrale Rolle klarer, aber eben nicht deutlicher und also sinnlicher Vorstellungen bei der Identifikation von Einzeldingen liegt jedoch unter der Voraussetzung auf der Hand, dass einem endlichen Geist davon auch keine eineindeutigen Begriffe, d. h. keine vollständig deutlichen Vorstellungen, zur Verfügung stehen. Sinnliche Klarheit wird folglich immer dann thematisch sein müssen, wenn sich ein endlicher Geist, dessen Erkennen zudem an einen Leib gebunden ist, auf ein Einzelding bezieht. Zugleich ist auf diese Weise der Begriff der Klarheit einer sinnlichen Vorstellung gewonnen: Er Erkenntnis  |  43

sagt nicht anderes als die intuitive, mithin begriffsfreie, d. h. logisch nicht eindeutig bestimmte, Bewusstheit von Differenz aus, welche ästhetische Erkenntnis ausmacht, ohne dass damit freilich deren Verbalisierung oder anderweitige Artikulation ausgeschlossen wäre. Die Sinnlichkeit bzw. Nicht-Deutlichkeit einer Vorstellung bedeutet ja weder ihre Unbewusstheit noch ihre prinzipielle Unaussagbarkeit, sondern nur ihre propositionale Unerfassbarkeit unter extensional-logischen Bedingungen. Da dem menschlichen Geist singuläre Inhalte gegeben werden müssen und diese eine Gesamtvorstellung des Universums aus der momentanen Perspektive des Leibes enthalten, werden sie, sofern sie zunächst gänzlich sinnlich sind, auch gemäß dieser Dependenz differente klare und dunkle Teilvorstellungen enthalten: Die Teile meiner jetzt und hier gegebenen Gesamtvorstellung, die das Umfallen eines Sackes Reis in Peking oder gewisse mysteriöse kultische Handlungen der Roten Alten Wesen auf Beteigeuze betreffen, sind dunkler als diejenigen des Bleistifts in meiner Hand, während der fluchende chinesische Händler, der gerade seinen Reis wieder aufsammelt, und das versomargghougglierende Rote Alte Wesen nur entsprechend dunklere Vorstellungen meines Bleistifts besitzen. Der vorstellende Geist erkennt also relativ zur Position des Leibes unendlich viel verschiedenes Einzelnes in verschiedenen Klarheitsgraden. Er kann daher manche Teile seines mentalen Inhalts verhältnismäßig leicht untereinander differenzieren, während er von anderen bestenfalls bemerkt, dass da etwas Nicht-Identisches und darüber hinaus Unbestimmtes, gleichsam eine Art epistemisches Grundrauschen, ist, das ihn immerhin die Existenz eines Universums außer ihm erkennen lässt. Bereits hierin besteht indes die minimale Klarheit einer relativ dunklen Vorstellung. Bloße NichtIdentität lässt aber keine weitere Differenzierung von Vorstellungsteilen und demzufolge auch keine relative Identifikation zu. Diese epistemisch unbestimmten Vorstellungsteile ergeben demnach gar keinen irgendwie auf Unterscheidbares bezogenen Inhalt. Sie sind daher auch keine Gegenstände positiver Bewusstheit, sondern nur deren – freilich nur scheinbar, denn es liegt ihnen ja die Realität des gesamten Universums zugrunde und nicht nichts  – negative Teile. 81 Das Nicht-Bewusste ist so nur das relativ zum vorstellenden Geist Undifferenzierte, das aufgrund seiner Dunkelheit jeweils nur 44  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

die Bewusstheit seiner Nicht-Identität zulässt. Absolute Dunkelheit bleibt folglich weiterhin ausgeschlossen. Je weniger Differenzen eine Teilvorstellung also zu erkennen gibt, desto dunkler ist sie. Jene Unbestimmtheit würde indes die Erkenntnisvermögen des endlichen Geistes überfordern und ließe sie zugleich leerlaufen. Schon sein ästhetisches Erkennen bliebe dann ohne positives Resultat. Jedoch besitzt der endliche Geist ohne Zweifel durchaus klares Bewusstsein identischer und differenter Vorstellungen, auch ohne diese propositional zu bestimmen. Er muss daher das Vermögen besitzen, seine epistemische Aktivität irgendwie zu steuern. 82 Der endliche Geist tut dies, indem er seine Aufmerksamkeit auf die jeweils klareren Vorstellungsteile lenkt, d. h. sie attendiert, während er von den jeweils dunkleren absieht, d. h. von ihnen abstrahiert. Weil aber sowohl sein Attentions- als auch sein Abstraktionsvermögen aufgrund seiner Endlichkeit begrenzt sind, führt je stärkere Konzentration auf eine Sache, mithin auf einen aus seiner Perspektive besonders differenzierten Vorstellungsteil, zu geringerer Aufmerksamkeit auf andere, so dass er weiter von diesen weniger differenzierten Vorstellungsteilen abstrahiert. Zugleich ist aber auch sein Abstraktionsvermögen begrenzt. Daraus folgt wiederum, dass er ebenso wenig eine vollständig klare sinnliche Vorstellung bilden kann. Der sinnlich erkennende Geist ist daher stets auf die Differenzierung und Identifikation von Einzeldingen gerichtet, deren Erkenntnis, auch wenn sie klar ist, jederzeit einen dunklen Teil enthält. Jede ästhetische Erkenntnis ist demzufolge prinzipiell klar und verworren, und sie ist jederzeit Erkenntnis von Einzelnem. Dies ist jedoch nicht schon gleichbedeutend mit geringerem Erkenntniswert bzw. geringerer epistemischer Vollkommenheit. Im Gegenteil erfasst ästhetische Erkenntnis, gerade weil sie einen dunklen Teil enthält, die Realität der Welt, genauer der in durchgängiger Beziehung zu allen anderen positiv bestimmten veränderlichen Einzeldingen, durchaus adäquater als die deutliche Erkenntnis eines logischen, d. h. hier: nicht auf Singuläres referierenden, Begriffs, der freilich nichts Dunkles enthalten darf und deswegen universal sein muss. Das heißt nichts anderes, als dass die ästhetische Erkenntnis des Menschen denselben Gegenstand hat wie die Erkenntnis Gottes, mithin also ihrem Inhalt nach identisch mit Erkenntnis  |  45

ihr ist. Denn genauso wie Gott den aktualen Zustand der Welt, aus dem alle vergangenen und alle möglichen zukünftigen Zustände hervorgehen, vollständig klar und deutlich, d. h. auf rationale Art, intuitiv erkennt, so erkennt der Mensch denselben zwar klar und verworren, d. h. auf sinnliche Art, aber ebenso vollständig und intuitiv. Baumgarten erklärt diese grundlegende Funktion ästhetischer Erkenntnis, indem er verschiedene Arten von Klarheit und ihre Wir­ kungen unterscheidet. Letztlich gründet genau hierin jene »Eman­ zipation der Sinnlichkeit« 83 vermittels einer Theorie sinn­licher Erkenntnis, für die Baumgarten ziemlich bekannt geworden ist: Setze zwei Gedanken dreier Merkmale, aber in dem einen seien klare, welche in dem anderen dunkle sind, so wird erstere klarer sein. Also wächst die Klarheit einer Vorstellung mit der Klarheit der Merkmale aufgrund der Unterscheidung, Angleichung usw. Setze zwei Gedanken gleichermaßen klarer Merkmale, deren drei in dem einen und sechs in dem anderen seien, so wird letztere klarer sein. Also wächst die Klarheit mit der Vielheit der Merkmale. Größere Klarheit durch Klarheit der Merkmale kann man das schärfere (intensive), durch Vielzahl der Merkmale das verbreitetere (extensive) Licht nennen. Eine extensiv klarere Vorstellung ist lebhaft (vivida). Die Lebhaftigkeit ist das Schimmernde der Erkenntnis und Rede (Glanz), dessen Gegenteil das Trockene (die spitzfindige Art des Erkennens und Aussagens) ist. Beider Klarheit ist Fasslichkeit (perspicuitas). Daher ist Fasslichkeit entweder lebhaft oder verstandesmäßig oder beides. Eine Vorstellung, deren Kraft sich darin zeigt, dass sie die Wahrheit einer anderen Vorstellung erkennen lässt, und deren Kraft ist beweisend (probans); deren Kraft eine andere zu einer klaren macht, und deren Kraft ist entdeckend (explicans/ declarans); deren Kraft eine andere zu einer lebhaften macht, und deren Kraft ist erläuternd (illustrans/ pingens); die eine andere zu einer deutlichen macht, und deren Kraft ist auseinandersetzend (resolvens/ evolvens). Die Bewusstheit der Wahrheit ist die Gewissheit (subjektiv betrachtet). Sinnliche Gewissheit ist Überredung (persuasio), verstandesmäßige Überzeugung (convictio). Wer eine Sache und deren Wahrheit denkt, denkt, alles übrige gleich, mehr, als wer nur die Sache denkt. Daher ist ein gewisser Gedanke und eine gewisse Erkenntnis, alles übrige gleich, größer als ungewisse Gedanken und Erkenntnisse, welche nicht gewiss sind. Eine zu Recht ungewissere Erkenntnis ist seicht, ein so sehr gewisse, wie erfordert wird, gründlich (solida). Je klarer, je lebhafter, je deutlicher und je gewisser 46  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

eine Erkenntnis ist, desto größer ist sie. Eine Vorstellung, welche die Gewissheit eines anderen zur Folge hat, und deren Kraft ist entweder von überredender oder überzeugender Wirksamkeit. Gewisse Fasslichkeit ist das völlig Ausgemachte (evidentia). 84

Klarheit wurde als Differenzbewusstheit erklärt. Diese kann nach Baumgarten sowohl sinnlicher, d. h. auf die intuitive Unterscheidung von Einzeldingen bezogen, als auch verstandesmäßiger Natur sein, d. h. auf die diskursive Analyse bzw. Bildung von Begriffen bezogen. Dabei besteht Letztere in der Klarheit der Unterscheidungsmerkmale selbst und ist dann intensiv, so dass offenbar bei logischen Gegenständen deren Klarheit darin besteht, ein Unterscheidungsmerkmal auch unabhängig von der Gegebenheit eines entsprechenden Dings jederzeit von anderen unterscheiden zu können. Intensive Klarheit bezieht sich daher offenkundig auf mögliche und daher definite Terme von Aussagen. Deren Realitätsbezug bzw. deren Referenz ist dann allerdings problematisch und kann erst nach Klärung der erforderlichen logischen Bedingungen erörtert werden. Extensive Klarheit liegt hingegen in der Bewusstheit einer bloßen Vielzahl von Unterschieden. Das besagt zuallererst, dass die Möglichkeit besteht, Dinge voneinander zu unterscheiden bzw. zu identifizieren, ohne über deren Begriff zu verfügen, d. h. ohne eine Definition davon besitzen zu müssen, was denn nun genau das eine Ding vom anderen unterscheide, ja selbst davon, was denn jene Dinge ihrer klassifikatorischen oder auch individuellen Bestimmung nach sein mögen. Baumgarten versteht demnach ästhetische Erkenntnis als intuitive differenzierende Bezugnahme auf Einzeldinge. Diese ist zumindest der logischen Möglichkeit nach eineindeutig, weil zwar für endliche Sinnenwesen aufgrund ihres begrenzten Bewusstheitspotentials eine vollständig klare sinnliche Erkenntnis ausgeschlossen ist, eine solche jedoch ohne Weiteres als Unterscheidung von allen Dingen überhaupt definiert werden kann, 85 so dass eine solche Erkenntnis mit der eineindeutigen Identifikation eines Einzeldings in eins fiele. Baumgarten behandelt demnach vermittels der Differenzierung zwischen intensiver und extensiver Klarheit den epistemischen Wert von logischer und ästhetischer Erkenntnis genau gleich.

Erkenntnis  |  47

b) Mentale Aktivität

Worin sich beide allerdings unterscheiden, ist ihre Wirkung auf den vorstellenden Geist und die Art seiner Differenzbewusstheit. Denn extensiv klaren Vorstellungen kommt anders als intensiv klaren »Lebhaftigkeit« (vividitas) zu. Sie ziehen daher aufgrund ihrer internen Beschaffenheit, d. h. ihres Merkmalsreichtums, mithin ihres Differenzierungspotentials, die Aufmerksamkeit des stets nach größerer Erkenntnis, d. h. weiterer Differenzierung, strebenden Geistes eher auf sich als trockene, d. h. bereits ausdifferenzierte bzw. definitorisch festgelegte, klare und deutliche Vorstellungen logischer Gegenstände. 86 Sowohl intensiv als auch extensiv klaren Vorstellungen eignet indes gleichermaßen »Fasslichkeit« (perspi­ cuitas), die dann dementsprechend entweder verstandesmäßig (intellectualis) oder lebhaft (vivida) oder aber beides ist. Im Differenzbewusstheitsmoment der Fasslichkeit kommen also intensive und extensive Klarheit, d. h. logische und ästhetische Erkenntnis, soweit überein, dass eine Vorstellung gleichzeitig definitorisch bestimmt sein kann, d. h. dass Klarheit über die Art des vorgestellten Gegenstandes besteht, und dennoch weitere Differenzierung ermöglicht, d. h. dass Klarheit über das weitere logische Erkenntnispotential ihres unbestimmten Teils besteht. Eine solche Vorstellung wird demnach diejenige eines Einzeldings sein, für das einerseits eine Nominaldefinition vorliegt, die bereits zureichte, es relativ zu allen anderen gerade gegebenen Dingen von diesen zu unterscheiden. Andererseits aber brächte diese Vorstellung ihr weiteres Differenzierungspotential so zu Bewusstsein, dass jenes Ding als von allen anderen möglichen Dingen überhaupt verschieden, mithin realdefinit vorgestellt wird, ohne dass ein pragmatischer Grund bzw. ein epistemisches Bedürfnis zu weiterer klassifikatorischer Differenzierung gegeben sein müsste. Die lebhafte Fasslichkeit der Vorstellung begründet somit das Bewusstsein des formalen Charakters eines sinnlich wahrnehmbaren Einzeldings als absolut, d. h. nicht nur relativ zu anderen gegebenen Dingen, unterscheidbar. Nun ist aber von der Singularität eines vorgestellten Einzeldings genaugenommen überhaupt nur ästhetische Erkenntnis möglich, wenn und weil seine Vorstellung durch einen endlichen Geist vermittels logischer Analyse gar nicht in eine Realdefinition 48  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

überführt werden kann. So lässt sich zwar die Notwendigkeit der Singularität alles Einzelnen auf der Basis eines bestimmten metaphysischen Fundaments ableiten. Jedoch lässt sich die Singularität eines besonderen Dings nicht im Ausgang von dessen Vorstellung mit analytischen Mitteln beweisen. Es ist vielmehr deren lebhafte Fasslichkeit, die das unmittelbare Bewusstsein erzeugt, dass sich jene Vorstellung nicht in ihrer klassifikatorischen bzw. nominalen Definiertheit erschöpft, sondern diejenige eines einzelnen Dings ist, das von allen anderen möglichen Dingen unterschieden werden kann. 87 Die notwendige Existenz des nexus rerum universalis, der die Einheit und Ganzheit einer möglichen Welt und damit auch ihre relative Vollkommenheit begründet, kann zwar mit Mitteln rationaler Metaphysik bewiesen werden, seine wirkliche Existenz aber ist einem verstandesbegabten Sinnenwesen allein vermittels ästhetischer Erkenntnis zugänglich. Unter der Voraussetzung ihrer verstandesmäßigen oder lebhaften Fasslichkeit können nun klaren Vorstellungen verschiedene Arten erkenntnissteigernder Kraft zukommen. Dies bedeutet zunächst nur, dass solche Vorstellungen einen zureichenden oder unzulänglichen Grund der Bewusstheit weiterer Unterschiede zu anderen mentalen Inhalten enthalten. 88 Bei diesen handelt es sich um Veränderungen der Seele, die bereits formal als Vermögen, Vorstellungen zu haben und zu denken, bestimmt wurde. Sind daher Vorstellungen selber Akzidentien der Seele, nämlich zuallererst jedenfalls kontingente Gesamtvorstellungen des Universums, die ebenfalls kontingenterweise teils dunkel, teils klar sind, und wird ihnen selbst eine Kraft zugesprochen, kann dies nicht in strengem Sinne geschehen. Der Besitz solcher Vorstellungen wäre dann nämlich schon zureichender Grund des weiteren Erkenntnisgewinns, weil Baumgarten eine Kraft im strengen Sinne als zureichenden Grund der Inhärenz von Akzidentien in einer Substanz definiert. 89 Da aber Vorstellungen selber einer Substanz inhärieren müssen, können sie auch für sich genommen nicht zureichender Grund von irgendetwas und folglich auch nicht anderer Vorstellungen oder anderer Klarheitsgrade sein.90 Die Kraft, die klaren und fasslichen Vorstellungen innewohnt, ist demnach als notwendige Bedingung der durch sie eben bloß möglichen Erkenntnissteigerung aufzufassen. Ihre Realisierung erfordert indes wiederum eigens geistige Erkenntnis  |  49

Aktivität, so dass sich als zureichender Grund der verschiedenen Klarheitsgrade bzw. ihrer Steigerung die substanzielle lebendige Kraft (vis viva) der Seele erweist, deren Tätigkeit überhaupt zuallererst im Vorstellen besteht und daher den Besitz von Vorstellungen zureichend begründet.91 Dies bedarf weiterer Differenzierung. Denn es zeigt sich nun, dass die vorstellende Tätigkeit der menschlichen Seele nicht im eigentlichen Sinn das bloße Haben von Vorstellungen begründet, sondern deren Klarheitsgrad, weil jede Vorstellung irgendeinen Grad von Klarheit besitzen muss, wenn absolut dunkle Vorstellungen unmöglich sind. Vorstellungen sind Akzidentien der Seele und bestimmen daher ihren Zustand.92 Die Gesamtvorstellung des Universums selbst, die eine jede Seele haben muss, sofern sie überhaupt existiert, ist jedoch durch die Position des Leibes im Universum, d. h. durch seine Relation zu allem von ihm Unterschiedenen, bedingt. Der bloße Besitz dieser Gesamtvorstellung kann infolgedessen gar nicht von einer aktiven Tätigkeit der Seele abhängen. Die Gesamtvorstellung bildet vielmehr den äußeren Zustand der Seele,93 in dem sie sich gemäß der kontingenten Position des Leibes mit Notwendigkeit befindet. Im Haben dieser Vorstellung verhält sich die Seele also vollständig rezeptiv94 und kann deswegen gar nicht als ihr zureichender Grund fungieren. Ihre jeweils einzigartig beschaffene Gesamtvorstellung des Universums besitzt eine jede Seele deshalb mit hypothetischer Notwendigkeit. Schon deshalb lässt sich eine Seele von allen anderen möglichen Gegenständen unterscheiden und muss daher unter die Substanzen bzw. Einzeldinge gezählt werden. Dieser externe Zustand ist nun zwar conditio sine qua non für den Klarheitsgrad des Vorgestellten, d. h. der wiederum jeweils singulären Bewusstheit der in der Gesamtvorstellung enthaltenen Differenzen. Er taugt jedoch nicht als deren zureichender Grund. Nun bestimmt Baumgarten die Seele als Vermögen, Vorstellungen zu haben, sowohl funktional als auch aktivisch. Ihre Aktivität kann nur in der Veränderung ihres eigenen inneren Zustandes bestehen, allerdings nicht ihres äußeren. Denn am Material ihrer Vorstellungen kann sie gar nichts ändern, weil sie jederzeit das gesamte Universum aus ihrer durch die Position des Leibes festgelegten Perspektive repräsentiert. Deren, womöglich durch die Seele induzierte Veränderung führt also nur zu einer anderen 50  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Gesamtvorstellung. Über deren Klarheitsgrad ist indes wiederum noch nichts weiter ausgemacht, als dass er nicht vollständig dunkel und nicht vollständig deutlich sein kann. Jene minimale Klarheit besteht allerdings nur in der Unterscheidung zwischen der Identität des Vorstellenden und der darauf bezogenen Nicht-Identität des Vorgestellten. Auf dieser Basis liegt daher noch keine Differenzierung zwischen verschiedenen Gesamtvorstellungen vor. Zwar setzt auch minimale Klarheit bereits die unterscheidende Aktivität der Seele voraus, jedoch bewirkt diese dabei gerade keine Veränderungen im Vorstellen selbst. Da aber die Seele erst durch ihre Bewegung als Substanz bestimmt ist, können allein solche Veränderungen ihren inneren Zustand ausmachen,95 sofern dieser unter der Voraussetzung der Existenz der Seele kontingent, mithin durch sich verändernde Akzidentien, d. h. Vorstellungen, bestimmt ist. Mit anderen Worten: Existiert eine Seele, besitzt sie notwendigerweise sowohl eine Gesamtvorstellung, die ihren äußeren Zustand bildet, als auch minimale Klarheit über ihr Vorstellen. Da sich, ohne ihre Existenz zu negieren, weder das eine noch das andere ändern kann, kommen als akzidentielle Bestimmungen der Seele allein Veränderungen ihres inneren Zustands in Frage. Diese können dann nur noch in Veränderungen der Klarheitsgrade ihres Vorstellens bestehen. Genau hierfür bietet die Aktivität der Seele den zureichenden Grund: Sie handelt, indem sie die gegebene Gesamtvorstellung differenziert,96 und genau darin liegt wiederum ihre dynamische Wesensbestimmung als lebendige Kraft im engeren Sinne (vis strictius dicta viva).97 Eine jede Vorstellung steht damit unter der Bedingung doppelter Kontingenz: Sie ist in objektiver Hinsicht kontingent, weil ihre Materie eine perspektivische Gesamtvorstellung des Universums darstellt, welche den externen Zustand des vorstellenden Geistes ausmacht. Und sie ist in subjektiver Hinsicht kontingent, weil ihre epistemische Qualität, welche den internen Zustand des vorstellenden Geistes ausmacht, allein von dessen differenzierender Aktivität abhängt. Diese Tätigkeit muss freilich nicht stets unmittelbar auf die jeweilige Gesamtvorstellung bezogen sein. Sie kann sich ebenso stets auf Vorstellungen beziehen, die bereits Ergebnis einer Differenzierungshandlung sind, sofern diese noch einen dunklen und daher weiteres Differenzierungspotential enthaltenden Teil haben. Erkenntnis  |  51

Genau in dessen Bewusstheit bestand indes die Fasslichkeit einer intensiv oder extensiv klaren Vorstellung. Spricht man einer solchen nun eine Kraft zu, erklärt man sie zu einer notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung der Inhärenz von Akzidentien in einer Substanz. Da es sich bei jenen Akzidentien allemal um Vorstellungen und bei jener Substanz jedenfalls um die Seele handeln muss, folgt aus dieser Bestimmung einer fasslichen Vorstellung zunächst einfach, dass die reale Möglichkeit gewisser Akzidentien die Gegebenheit anderer Akzidentien voraussetzt. Es ist daher die Bewusstheit des Differenzierungspotentials einer logischen oder ästhetischen bzw. ästhetiko-logischen Erkenntnis, mithin einer begrifflich-universalen oder sinnlich-singulären bzw. empirischpartikulären Vorstellung, welche eine diese weiter differenzierende Tätigkeit des Geistes ermöglicht, aber keineswegs erzwingt. Diese Tätigkeit besteht folglich in einem intentionalen Übergang von der einen zu der anderen Vorstellung zum Zwecke weiterer oder anderer Erkenntnis. Indem die Seele auf diese Weise ihren eigenen inneren Zustand verändert, handelt sie. Diese Handlung besteht nach Baumgarten darin, dass jene erste, fassliche Vorstellung als »Argument« gebraucht wird, d. h. als »Grund einer anderen Vorstellung«.98 Ist aber dies der Fall, determiniert die Ausgangsvorstellung offenbar als notwendige und hinreichende Bedingung die epistemische Qualität der von ihr verschiedenen, folgenden Vorstellung: Sie zeigt ihre Wahrheit (perceptio probans) oder macht sie zu einer klaren (p. explicans), lebhaften (p. illustrans) oder deutlichen (p. resolvens).

c) Ästhetische Wahrheit

Bereits aus Baumgartens fundamentaler Unterscheidung zwischen logischer und ästhetischer Erkenntnis scheint zu folgen, dass der Begriff der Wahrheit nicht allein propositional zu fassen ist: Wenn alogische, mithin ästhetische Vorstellungen von Einzeldingen in irgendeiner Weise wahr sein können, kann Wahrheit auch nicht ausschließlich als Eigenschaft von Aussagen der Form »S ist P.« verstanden werden. Vielmehr muss Wahrheit dann auch nicht-begrifflichen Vorstellungen zukommen, die gleichwohl Resultat bewuss52  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ter mentaler Aktivität sind. Diese besteht nach Baumgarten im beweisenden Gebrauch extensiv klarer, fasslicher Vorstellungen als Argumente, wie er Gegenstand der Ästhetik ist. Formal betrachtet müsste folglich so etwas wie ästhetische Wahrheit eine Eigenschaft einer, aus der Tätigkeit der Seele zureichend begründeten Vorstellung sein, welche, sofern sie bewiesen wird, die Singularität des Vorgestellten bewusst macht. Daraus ergibt sich zunächst zweierlei: Zum einen kann aufgrund dessen, dass es ein endlicher Geist ist, der Singularität vorstellt und als solche erkennt, weder in einer solchen Vorstellung noch im zu ihrem Beweis gebrauchten Argument ein universaler Term auftreten; und zum anderen ist eine solche Vorstellung und ihre eigentümliche Wahrheit selbst subjektiv, da sie erst von der kontingenten Tätigkeit einer Seele erzeugt wird, die ihren eigenen inneren Zustand verändert. Beide Punkte schließen nicht nur aus, dass Baumgarten einen naiven Realismus oder Dogmatismus vertritt,99 sie zeigen auch, dass er ohne Schwierigkeiten an Leibnizens Inhärenzprinzip festhalten kann, demzufolge jede mögliche Wahrheit analytisch sein muss. Denn seine Theorie bewegt sich ja im Rahmen einer empirischen Psychologie, die sich auf das Erkenntnispotential endlicher und sinnlich wahrnehmender Geister und jedenfalls dem Menschen mögliche Erkenntnis konzentriert. Aus dieser, subjektiven Perspektive ist ein analytischer Singularitätsbeweis, der zugleich zu einem vollständigen Begriff des erkannten Individuums führen würde, freilich völlig ausgeschlossen. Dies schließt aber weder dessen logische noch dessen reale Möglichkeit aus: Im Gegenteil würde ein unendlicher Geist ausschließlich auf diese Weise erkennen. Leibnizens analytischer Wahrheitsbegriff bleibt also aus der objektiven Perspektive der von Baumgarten so genannten und später zu erörternden metaphysischen Wahrheit durchaus in Geltung. Worin besteht nun solche ästhetische Wahrheit und wie lässt sie sich beweisen? Sie ist zunächst genau wie die rein verstandes­ mäßige logische Wahrheit im engeren Sinne sowohl subjektiver Natur, d. h. »die Vorstellung des objektiv Wahren in einer gegebenen Seele«,100 als auch deswegen wahr, weil sie in der »Übereinstimmung der Vorstellungen mit den Gegenständen« besteht.101 Anders aber als jene logische Wahrheit ist die ästhetische Wahrheit Merkmal sinnlicher Erkenntnis, d. h. der Sinneswahrnehmung und Erkenntnis  |  53

der damit verbundenen imaginativen Funktionen.102 Baumgarten betont dabei konsequent den produktiven bzw. poietischen Charakter103 derart wahrer Vorstellungen. Denn er spricht bei seiner Erörterung der ästhetischen Wahrheit durchgängig davon, dass ein Gegenstand (obiectum) und nicht etwa ein Ding (ens) vorgestellt wird. Die Vorstellung nämlich eines Dings als Gegenstand gehört zu dessen externen Bestimmungen, d. h. solchen, die einem Ding nur in Beziehung auf ein anderes, also etwa auf ein diesen vorstellenden Geist, zukommen.104 Diese Zuordnung erhellt schon aus dem systematischen Ort, an dem Baumgarten den Begriff des Gegenstands einführt. Dies geschieht im Abschnitt der Metaphysik über diejenigen Arten von Ursachen, die nicht solche der Existenz eines Dings, seiner realen Bestimmung, seiner realen Veränderung in einem Ereignis oder seiner praktischen Nutzung darstellen. Es geht also um solche Ursachen, die nicht in die für sich genommen denk- bzw. erkenntnisunabhängige Welt der Dinge eingreifen, sondern nur um solche, die Vorstellungen betreffen, d. h. um aktive Veränderungen des inneren Zustands der Seele. Zunächst also bezieht sich der Geist auf Dinge, indem er sie als Gegenstände vorstellt und damit jedenfalls seine Gesamtvorstellung modifiziert. In diesem Zusammenhang heißt es bei Baumgarten: »Wenn das Ding begriffen wird als bestimmbares, nennt man es ›Stoff/Zeug‹, im Vollzug der Bestimmung selbst ›Gegenstand‹, mit vollzogener Bestimmung ›Stoff worin‹ und diesen zusammen mit dem [sc. bestimmbaren] Stoff Subjekt.«105 Festzuhalten ist zunächst, dass es sich bei diesen ›restlichen Arten‹106 durchaus um echte Ursachen handelt, d. h. um Prinzipien bzw. »Quellen der Existenz«, die einen bzw. den Grund eines anderen enthalten.107 Baumgarten betont dies ausdrücklich im folgenden Paragraphen: »Weil Stoff und Form den Grund der wirklichen Bestimmung enthalten, sind sie Ursachen. Jene die stoffliche, diese die formale. Stoffliche und formale Mitursachen sind untereinander verknüpft, und ihre Verknüpfung mit dem von ihnen Abgeleiteten kann man ›subjektiv‹ und ihre Verknüpfung untereinander ›formal/essentiell‹ nennen.«108 Ohne nun in extenso auf Baumgartens zumindest terminologisch an die aristotelische Vier-Ursachen-Lehre angelehnte Kausalitätstheorie eingehen zu müssen, wird doch seine epistemische 54  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Fassung des Gegenstandsbegriffs durchaus deutlich. Denn es ist klar, dass ein Ding, zu dem per se schon seine Existenz gehört,109 keiner weiteren realen Bestimmung mehr bedarf, weil es bereits durchgängig bestimmt sein muss, um zu existieren.110 Umgekehrt muss ein wirkliches Ding keineswegs von der Seele vorgestellt werden, um zu existieren, wenngleich jedes davon zumindest dunkel vorgestellt wird, sofern es Seelen gibt. Denn es bleibt auf jeden Fall ein seitens des Bewusstseins noch unbestimmter  – und insofern bestimmbarer – Teil der Gesamtvorstellung des Universums. Die angeführten Gründe sind daher gleichberechtigte Ursachen der Existenz der klaren Vorstellung eines Dings, welche die Seele aktiv bilden oder nicht bilden kann und so als causa efficiens des Klarheitsgrades der Vorstellung fungiert. Dann aber wird das Ding als Gegenstand gedacht. Verfolgt man diesen Gedanken konsequent, ergibt sich folgendes Bild: Die Seele besitzt jederzeit eine Gesamtvorstellung des Universums. Diese bildet das Material bzw. den Stoff jeder Veränderung ihres inneren Zustands, d. h. des Klarheitsgrades ihres Vorstellens. Eine solche Veränderung geschieht durch Aktivität des Geistes, die mit sinnlichen oder logischen Mitteln zu höherer Differenzbewusstheit führt. Der Vorstellungsstoff wird so zum Gegenstand der Beschäftigung (subiectum occupationis bzw. obiectum) des Geistes, die in einer »vom Denkenden selbst auf einen bestimmten Zweck gerichteten Handlung« besteht.111 Der Zweck dieser Handlung ist die Erkenntnis eines Dings in einer intensiv oder extensiv klaren Vorstellung. Soll aber ein Ding in seiner realen Singularität vorgestellt werden, kann eine solche Erkenntnis nicht intensiv klar sein, da dies seine begriffliche Bestimmung involvierte. Demzufolge wird sie extensiv klar, wenn überhaupt möglich: begriffsfrei und damit jedenfalls auch ästhetisch sein müssen. Dann aber ist erneut die Frage nach den Modifikationskriterien in der ästhetischen Differenzierung der Gesamtvorstellung zu stellen. Denn solche muss es geben, da offenbar nicht jede beliebige sinn­ liche Vorstellung ästhetisch wahr genannt werden soll. Die gesuchte Antwort gewinnt deutlichere Gestalt, wenn man weiter der Spur des Gegenstandsbegriffes folgt. Ästhetische Wahrheit besteht in einer subjektiven Vorstellung metaphysischer Wahrheit. Letztere spezifiziert Baumgarten in den einleitenden Paragraphen des Abschnitts zur veritas aesthetica aus der Ästhetik von Erkenntnis  |  55

vorneherein als »metaphysische Wahrheit der Gegenstände«, die »wir als Übereinstimmung mit deren allgemeinsten Quellen kennen«.112 Er greift damit ganz offenkundig auf seine Unterscheidung zwischen metaphysischer und transzendentaler, d. h. notwendiger metaphysischer, Wahrheit zurück.113 Diese transzendentale Wahrheit umfasst nun genau diejenigen »allgemeinen Grundsätze«, welche den »einzelnen Dingen gemein sind«,114 also diejenigen, vermittels deren Dinge gerade nicht voneinander unterschieden werden können, weil diese Grundsätze in jeder möglichen Welt gelten. Im Gegensatz zur realen metaphysischen Wahrheit, welche die kontingente Existenz der Dinge unter sich begreift, enthält die transzendentale Wahrheit nur deren Möglichkeit, und das heißt, deren essentielle Eigenschaften und die von diesen in ihrer Möglichkeit zureichend begründeten, mithin ableitbaren, weiteren Eigenschaften. Fungiert aber transzendentale Wahrheit als Kriterium ästhetischer Wahrheit,115 konzentriert sich deren geforderte Übereinstimmung mit ersterer auf drei Prinzipien, die in gleicher Weise auch für logische Wahrheit gelten, nämlich den Sätzen des Widerspruchs, des zureichenden Grundes und der Folge.116 Ohne noch deren Inhalt erörtern zu müssen, lässt sich bereits festhalten, dass die Übereinstimmung einer von anderen unterschiedenen Vorstellung mit diesen transzendentalen Prinzipien die Vorstellung eines Gegenstandes generiert, der aufgrund der Notwendigkeit jener Prinzipien das Wesen eines in irgendeiner Welt möglichen Dings repräsentiert. Indes steht eine ästhetisch wahre anders als eine logisch wahre Vorstellung unter der Bedingung sinnlicher Wahrnehm- bzw. Erkennbarkeit. Dies scheint auf den ersten Blick den essentialistischen und daher logischen Kriterien der Gegenstandskonstitution zuwiderzulaufen, welche die transzendentale Wahrheit bietet. Eine rein ästhetische Erkenntnis, von deren Möglichkeit Baumgarten doch zweifellos ausgeht,117 schiene so nämlich ausgeschlossen. Denn auch wenn die transzendentale Wahrheit in universaler Weise Gegenständlichkeit überhaupt bestimmt, folgt daraus gerade nicht, dass der vorgestellte Gegenstand schon ein eo ipso singuläres Ding darstellen müsste, sondern nur die Möglichkeit einer bestimmten Art von Dingen in einer entsprechenden Welt. Derart transzendentale Gegenstände können nur Universale sein. Das Problem liegt 56  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

also schlicht darin, dass die geforderte Übereinstimmung einer Vorstellung mit der transzendentalen Wahrheit zwar offensichtlich als notwendige Bedingung ihrer ästhetischen Wahrheit fungieren kann, aber nicht als hinreichende, weil dann alle subjektiven Formen von Wahrheit nicht nur prinzipiell universalen Charakters, sondern auch ununterscheidbar und folglich identisch wären: Um zu einer ästhetischen Wahrheit zu werden, fehlt einer transzendental wahren Vorstellung noch ein principium individuationis. Freilich scheint sich Baumgarten dieser Schwierigkeit durchaus bewusst. Denn er unternimmt für alle drei angeführten Prinzipien transzendentaler Wahrheit Spezifikationsversuche unter der aufgrund der Nicht-Wahrnehmbarkeit von Universalien eo ipso individualisierenden Bedingung sinnlicher Wahrnehmbarkeit.

α) Möglichkeit

Dabei diskutiert er zuerst den Begriff der Möglichkeit. Er differenziert ihn gemäß seiner relevanten Bedeutungen, nämlich sowohl absoluter und relativer theoretischer als auch moralischer Möglichkeit im weiteren und engeren Sinne, aus. Baumgarten beginnt mit der Untersuchung der theoretischen Möglichkeit im absoluten Sinne: Die ästhetische Wahrheit verlangt I) die Möglichkeit der anmutig zu denkenden Gegenstände, und zwar 1) die absolute Möglichkeit, insoweit sie sinnlich zu erkennen ist; d. h., dass in einem Gegenstand nicht schon irgendetwas unter den Merkmalen, das sich untereinander widerspricht, beobachtet wird, während man jenen an sich oder auch von den Sinnen und dem Analogon der Vernunft her betrachten möchte. Die gewisse Ungleichheit der Sünden hat diese Möglichkeit, und daher ist sie auch ästhetisch wahr. Aus dem Gegenteil: / Wem die Vergehen als gleich erscheinen, gerät in Bedrängnis, / wenn er der Wirklichkeit naht: Empfindung und Sitten empören / sich und der Nutzen selbst, fast des Rechten und Billigen Mutter.118

Klar ist zunächst, dass es hier um den Vollzug der gegenständlichen Bestimmung einer Vorstellung und damit um eine kontingente geistige Aktivität geht. Diese scheint – dies zeigt das etwas kryptische, ziemlich komplizierte und überdies leicht misszuverErkenntnis  |  57

stehende Beispiel aus Horazens Satiren – in einer Graduierung zu resultieren, d. h. einer quantitativen Differenzierung einer Qualität,119 hier der Pflichtwidrigkeit einer Handlung bzw. des sittlich Bösen.120 Wäre dies aber der Fall, könnte es sich nicht mehr um eine isolierte An-sich-Betrachtung handeln, da quantifizierte Qualitäten externen Bezug erfordern. Die absolute Möglichkeit, um die es geht, fordert aber gerade eine solche Betrachtung. Nun könnte man zwar meinen, dass der in Anschlag zu bringende moralische Maßstab ohnehin zur wesentlichen Ausstattung der Seele gehört und so auch eine entsprechende ästhetische Beurteilung möglich wäre. Allerdings hätte man es dann keineswegs mehr mit der absoluten theoretischen Möglichkeit der zu bestimmenden Vorstellung zu tun, weil auch moralisch unmögliche Gegenstände häufig theoretisch möglich zu sein pflegen. In der Tat geht es hier auch gar nicht um ein moralisches Urteil. Vielmehr behauptet das Beispiel, dass die Auffassung, dass verschiedene Vergehen gleich seien, in sich unmöglich, d. h. widersprüchlich, sei. Umgekehrt hätte demnach zu gelten, dass die Ungleichheit verschiedener Vergehen notwendig und daher a fortiori auch in sich möglich, also widerspruchsfrei, ist. Und beides soll weiterhin der Bedingung sinnlicher Wahrnehmbarkeit bzw. ästhetischer Vorstellbarkeit genügen. Klar ist zunächst, dass es sich bei einem Widerspruch, der schon in der ästhetischen Betrachtung auffällt, jedenfalls nicht oder zumindest nicht nur um einen logischen handeln kann, sondern um einen zwischen unmittelbar wahrgenommenen oder auf dieser Basis begriffsfrei imaginierten Merkmalen handeln muss. Nun versteht Baumgarten in leibnizianischer Tradition das Widerspruchsprinzip in doppelter Weise, nämlich als erstes Prinzip sowohl der logischen als auch der metaphysischen Möglichkeit, sofern diese die Negation des Unmöglichen bilden. Dies versteht er als voraussetzungsloses Nichts: »Das negative, unvorstellbare, unmögliche, widerstreitende, (unsinnige,) Widerspruch einschließende, enthaltende, widersprüchliche Nichts ist A & nicht-A, oder: Es gibt kein Subjekt widersprüchlicher Prädikate, oder: Nichts ist und ist nicht. 0 = A + nicht-A. Dieser Satz wird das Prinzip des Widerspruchs und das absolut erste genannt.«121 Die doppelte Bedeutung ist hier offenkundig. Zum einen wird Nichts verstanden nicht als Negation von Seiendem, sondern als 58  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

dessen vollständige Abwesenheit im Sinne seiner Unmöglichkeit. Wenn nämlich Möglichkeit besagt, dass etwas entweder sein oder nicht sein kann, dann besagt die Behauptung, dass etwas sowohl ist als auch nicht ist, die Unmöglichkeit seines Seins, also Nichts. Was Nichts also ist, lässt sich nur durch die formale Struktur der Selbstwidersprüchlichkeit aussagen. Dass diese Bestimmung negativer Natur ist, kann nicht verwundern, da es ja nichts positiv Bestimmbares gibt, wenn alles Seiende, d. h. alles positiv Bestimmbare, ausgeschlossen ist. Die formale Bestimmung des Nichts ist deswegen erforderlich, um zu wissen, was die vollständige Abwesenheit von Seiendem bedeutet, wobei freilich deren inhaltliche Bestimmung unmöglich ist. Genau deswegen nennt Baumgarten das Nichts, von dem er hier spricht, auch »unvorstellbar« (irreprae­ sentabile). Zwar lassen sich selbstwidersprüchliche Sätze durchaus im Geiste formulieren und sogar äußern, sie haben jedoch keinen Inhalt, sind also leer und darüber hinaus noch nicht einmal falsch, gerade weil sie unter keinen Umständen wahr sein können. Sie besagen daher nichts, weil sie nichts behaupten können. Dies muss aber in verschärfter Form auch für begriffsfreie, mithin sinnliche Vorstellungen gelten. Denn diese sind immer Vorstellungen von Einzelnem, d. h. von aktual Seiendem, schließen also bereits Möglichkeit ein. »Nicht Nichts ist Etwas: Vorstellbares, was immer keinen Widerspruch einschließt, was immer nicht A und nicht-A ist, ist Mögliches.«122 Demnach müsste eine ästhetisch unmögliche Gegenstandsvorstellung gleichzeitig ein Merkmal enthalten und nicht enthalten. Sie müsste also die begriffsfreie Vorstellung eines logisch, mithin begrifflich unmöglichen Gegenstandes bzw. eines metaphysisch unmöglichen Einzeldings sein. Ist so etwas im Bereich ästhetischen Vorstellens möglich? Hier lohnt ein Blick auf Baumgartens Beispiel. Es entstammt trotz seiner dichterischen Quelle dem Bereich des Rechts, das der römische Jurist Celsus in den Digesten als »ars boni et aequi« definiert. Mit der Bestimmung des Rechts als einer Fertigkeit (ars) – und nicht etwa als einer Wissenschaft – betont Celsus dessen praktische Seite, d. h. die Rechtsanwendung. In der ungleich differenzierteren Terminologie des späten Naturrechts, die Baumgarten gebraucht, ist dies der Bereich der Jurisprudenz als »erworbene Fähigkeit, Taten unter Gesetze subsumieren zu können«.123 Erkenntnis  |  59

Nun ist es entscheidend zu sehen, dass Baumgarten zwar darauf hinweist, dass alle menschlichen Taten etwas miteinander gemein haben, also unter allgemeine Begriffe gebracht werden können, jedoch zugleich ausdrücklich betont, dass »auch dann, wenn zwei dasselbe tun, dies niemals vollständig dasselbe ist und auch die Tat des einen niemals der Tat eines anderen vollständig gleich ist«.124 Taten sind also singuläre Ereignisse, die allenfalls hinsichtlich bestimmter, nominal definierter, mithin universaler Prädikate identisch sein können, aber niemals numerisch identisch. Der Richter, der eine Tat unter eine Norm subsumiert, fällt daher ein singuläres Urteil, das deswegen nur mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann.125 Die Fähigkeit zur rechten Subsumtion bedarf der Übung und ist steigerbar, jedoch nie bis zum Grad vollständiger Eindeutigkeit, d. h. objektiver Gewissheit. Die Beurteilung einer singulären Tat als Fall ein und derselben universalen Norm darf also immer nur logische, aber niemals metaphysische Identität mit einer anderen Tat behaupten. Denn nach dem »Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren im weiteren Sinne bzw. der verneinten vollständigen Identität« gilt: »Unmöglich sind zwei Einzelne außer sich geradewegs und gänzlich selbig. Wenn nämlich zwei gesetzt werden, werden viele gesetzt, daher zum Teil selbige, zum Teil verschiedene. Also sind sie nicht gänzlich selbig. Welche Einzelnen gänzlich selbig sind, sind der Zahl nach identisch und nicht zum Teil selbig, zum Teil verschieden. Daher sind sie nicht viele und auch nicht zwei.«126 Überträgt man diese Überlegung nun auf den Bereich der Ästhetik, müsste eine ästhetisch unmögliche Vorstellung mindestens zwei verschiedene Einzeldinge als einen Gegenstand vorstellen. Eine solche Vorstellung wäre zwar minimal klar, insofern sie die Nicht-Identität von Vorstellendem und Vorgestelltem enthielte. Sie wäre jedoch von so großer Dunkelheit, dass in ihr als Gesamtvorstellung das Vorgestellte, d. h. die Einzeldinge, die das Ganze des Universums ausmachen, nicht hinreichend differenziert wären. Es mangelte ihr – in Baumgartens Terminologie – an Fasslichkeit. Die mentale Aktivität, die für den Klarheitsgrad der ästhetischen Vorstellung sorgt, ist also zu gering. Ästhetische Unmöglichkeit stellt daher genaugenommen eine Fehlleistung von der Art der Bildung eines unsinnigen Satzes dar, der als Behauptung behandelt wird. 60  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Demnach ist die Existenz ästhetisch unmöglicher Vorstellungen genauso möglich wie die Existenz unsinniger Sätze. Und genauso wenig wie unsinnige Sätze einfach falsch sind, sind ästhetisch unmögliche Vorstellungen einfach falsch. Denn beide können unter keinen Umständen wahr sein. Ästhetisch unmögliche Vorstellungen dürften also genaugenommen gar keine ästhetischen Vorstellungen, sondern müssen von anderer Art sein. Wie das Beispiel zeigt, sind solche andersartigen Vorstellungen durchaus alltäglich: Sie klassifizieren Einzeldinge vermittels nominal definierter, empirisch gebildeter Begriffe, ohne weitere Spezifikationen oder Differenzierungen unter den betroffenen Einzeldingen ausschließen zu können, da dies nur unter der unmöglichen Behauptung vollständiger Identität geschehen könnte. Solche empirisch klassifizierenden Vorstellungen nennt Baumgarten ästhetiko-logisch, und es ist genau ihre generalisierende Funktion, die sie von rein ästhetischen Vorstellungen unterscheidet: Ästhetiko-logische Vorstellungen beziehen sich prinzipiell auf – der Möglichkeit nach sogar unendlich – Vieles – das ist ihre (extensional-)logische Seite –, ästhetische Vorstellungen immer auf Eines. Ästhetisch unmögliche Vorstellungen können also etwa durchaus ästhetiko-logisch mögliche Vorstellungen sein. Daraus ergibt sich, dass der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch in Form des Satzes der verneinten vollständigen Identität, der die Differenz zweier verschiedener Singularia vermittels des Unterschieds von Eins und Viel aussagt, als Individuationsprinzip ästhetischer Wahrheit fungiert. Was aber ästhetisch als Eins vorgestellt wird, ist wiederum nicht vorgegeben. Vorgegeben ist ja nur die ästhetische Gesamtvorstellung des Universums. Welche Teile dieser Gesamtvorstellung im Besonderen ästhetisch vorgestellt werden, obliegt der mentalen Aktivität des Vorstellenden. Entscheidend ist nur, dass ein solcher Ausschnitt selbst wiederum Eins ist und der Bedingung der Gegenständlichkeit genügt, d. h. in irgendeiner möglichen Welt existieren könnte. Eine ästhetische Vorstellung kann also ebenso eine Kombination von Einzeldingen enthalten, die dann als Teile dieser einen Vorstellung fungieren, wie auch genau ein Einzelding. Sie darf nur keine Generalisierungen bzw. Universale enthalten. Deren Vorstellung ist als solche ästhetisch unmöglich, während ihre Repräsentation durch ein Ding Erkenntnis  |  61

ästhetisch möglich bleibt, weil schon der Versuch der logisch eindeutigen Festlegung der Bedeutung von Dingen einen Kategorienfehler enthält. Daraus folgt – dies sei zunächst nebenbei bemerkt –, dass Baumgarten offenkundig der Auffassung ist, dass jede mögliche Welt ästhetisch vorgestellt werden können muss. Er vertritt damit mit Leibniz die Position, dass jede mögliche Welt materiell verfasst sein muss, also umgekehrt Welten, die Universalien enthalten oder ausschließlich aus Universalien bestehen, nicht möglich sind. Nun betont Baumgarten konsequenterweise, dass auch der Verstoß gegen das Möglichkeitsprinzip ästhetisch erkannt werden kann.127 Ästhetische Erkenntnis bezieht sich prinzipiell auf Einzelnes. Einzelnes ist mit sich selbst Identisches. Ästhetische Unmöglichkeit liegt in der Identifikation von Differentem. Deren Widersprüchlichkeit begründet das Prinzip der verneinten vollständigen Identität, d. h. anders als das Prinzip absoluter Möglichkeit setzt das Prinzip ästhetischer Möglichkeit bereits Identität voraus. Demnach setzt die ästhetische Erkenntnis ästhetischer Unmöglichkeit auch ästhetische Erkenntnis von Identität voraus. Dies ist Gegenstand der mentalen Fähigkeit des sinnlichen Witzes (ingenium aes­ thetice).128 Der Witz überhaupt bezieht sich auf »verschiedenartige vergesellschaftete und vorhergehende Vorstellungen«, deren qualitative und quantitative Übereinstimmungen, Gleichheiten und Ähnlichkeiten er wahrnimmt und identifiziert.129 Die Leistung des Witzes scheint also gerade in der Identifikation von Differentem zu bestehen, welche allerdings zugleich ästhetisch unmöglich ist. Denn die Identifikation von Differentem, die der Witz vollzieht, resultiert in der Bildung universaler Begriffe. Der Witz stellt also logische Identität her. Dies kann bei seiner sinnlichen Variante nicht der Fall sein. Denn ästhetische Identität besteht ja nur in der Einheit eines Gegenstandes, der als ein Ding in irgendeiner möglichen Welt existieren können muss. Der sinnliche Witz kann sich daher bloß auf die Vorstellung der Identität eines Dings mit sich selbst beziehen, die darin besteht, dass es Eins ist und nicht Vieles, ohne begrifflich zu bestimmen, was dieses Ding ist. Solche Selbst­ identität ist zunächst einmal schlicht gegeben in der Totalität der Vorstellung des Universums durch das sinnliche Subjekt. Diese ist zwar buchstäblich witzlos, dafür kann aber auf dieser fundamentalen Ebene das Problem ästhetischer Unmöglichkeit nicht auftreten. 62  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Denn – auch dies geht aus Baumgartens Bestimmung der Funktion des Witzes hervor – die Erzeugung von Identität setzt stets Differenz voraus. Es ist also nur konsequent, wenn Baumgarten im Falle ästhetischer Wahrheit ein Möglichkeitsprinzip in Anschlag bringt, das Identität bereits voraussetzt bzw. enthält, so dass sich die geforderte absolute Möglichkeit130 stets als Implikation der stets gegebenen ästhetischen Totalvorstellung erweist. Die ästhetische Möglichkeit geht also prinzipiell von einer bedingten Möglichkeit aus, die ebenfalls zur ästhetischen Wahrheit erfordert wird.131 Dies ist deswegen unproblematisch, weil das Differenzierungs- und Unifikations­ poten­tial jeder Totalvorstellung unendlich ist und deswegen auch unendlich viele Welten, die von der aktualen verschieden sind, ästhetisch vorgestellt werden können. Solche Vorstellungen gewinnen ihre Identität bzw. Einheit dann dadurch, dass ihre Teile jeweils in ein und derselben Welt existieren können.132 Jede andere ästhetische Vorstellung als die Gesamtvorstellung des Universums resultiert nun aus eben deren Modifikation bzw. Differenzierung, und erst dann besteht die Gefahr ästhetischer Unmöglichkeit. Sie steigt sogar mit wachsender D ­ ifferenziertheit, nämlich dann, wenn das Unterschiedene wieder in Eine ästhetische Vorstellung gebracht werden soll. Jede Aktivität des sinnlichen Vorstellungsvermögens setzt folglich die Aktivität des Scharfsinns (acumen) voraus, der »verschiedenartige vergesellschaftete und vorhergehende Vorstellungen« differenziert.133 Sein fundamentaler Akt besteht in der Unterscheidung des sinnlich vorstellenden bzw. wahrnehmenden Geistes vom davon unabhängig existenten Vorgestellten bzw. Wahrgenommenen, d. h. den einzelnen Dingen, welche die aktuale Welt konstituieren. Die erste ästhetische Unmöglichkeit, die auftreten könnte, wäre demnach die SelbstIdentifikation des vorstellenden Geistes mit der vorgestellten Welt. Diese Unmöglichkeit scheint indes allein mit sinnlichen Mitteln ohne Weiteres erkennbar. Denn die Seele denkt stets eher die Veränderungen des eigenen als die eines anderen Körpers.134 Sobald diese im Vorstellen zu Bewusstsein kommen, liegt die minimal klare Differenzierung zwischen Geist und Welt vor. Deren Rücknahme durch die genannte Selbstidentifikation würde eine absolut dunkle Vorstellung erzeugen, die als solche unmöglich ist, weil sie Erkenntnis  |  63

in schierer Nicht-Bewusstheit bestünde. Die ästhetische Unmöglichkeit des bewussten Ungeschiedenseins von Geist und Welt endet daher bereits mit der Wahrnehmung. Denn es wurde ja bereits gezeigt, dass nach Baumgarten sinnliche Wahrnehmung bereits Bewusstheit und irgendeinen Grad an Klarheit impliziert, dessen Minimum ohne Totalverlust jeder Bewusstheit nicht unterschritten werden kann. Sofern es also überhaupt sinnliche Klarheit geben kann, ist auch ästhetische Unmöglichkeit stets möglicher Gegenstand ästhetischen Erkennens. Jede ästhetische Erkenntnis und daher auch ästhetische Wahrheit setzt folglich stets die Aktivität der Vermögen des Scharfsinns und des Witzes voraus. Sie korrespondieren einander insofern, als dass jeder Grad von Klarheit sowohl Differenz- als auch Einheitsbewusstsein hinsichtlich des Vorgestellten auf der Basis der fundamentalen Unterscheidung von Geist und Welt einschließt. Dieser Doppelung mentaler Aktivität im ästhetischen Erkennen trägt Baumgarten durch ihre Zusammenfassung unter dem Begriff der Fähigkeit der »perspicacia« (artige oder feine Einsicht) Rechnung.135 Aus ihrer Betätigung resultiert eine Vorstellung der Identität eines Dings bei gleichzeitiger weiterer möglicher Differenzierbarkeit, d. h. genau diejenige Eigenschaft ästhetischer Vorstellungen, welche Baumgarten als Fasslichkeit (perspicuitas) bestimmt. Die Fasslichkeit einer Vorstellung folgt demnach aus dem Gebrauch des Prinzips ästhetischer Möglichkeit, das zugleich als Individuationsprinzip ästhetischer Wahrheit fungiert, weil es sowohl Identität als auch Differenz begründet.

β) Grund

Ist bislang zwar die Möglichkeit ästhetisch wahrer Vorstellungen erklärt, folgt daraus jedoch noch keineswegs die Wirklichkeit auch nur einer einzigen solchen. Daher führt Baumgarten als zweites transzendentales Prinzip ästhetischer Wahrheit den Satz vom Grund ein.136 Wenn jede ästhetische Vorstellung, die von der Gesamtvorstellung des Universums verschieden ist, deren Modifikation darstellt, dann ist es genau diese Veränderung, die einen Grund verlangt. Jede derartige Veränderung impliziert ihrer Mög64  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

lichkeit nach die Unterscheidung differenter Teile und deren Identifikation als Gegenstände durch die perspicacia. Diese hat jedoch keine wählende Funktion, da jede Differenzierung, die über die fundamentale zwischen Vorstellendem und Vorgestelltem hinausgeht, in gleicher Weise möglich und daher völlig kontingent ist. Als Differenzierungs- bzw. Unifikationsgrund muss daher ein anderes Vermögen fungieren. Ein entsprechendes Doppelvermögen hat Baumgarten indes bereits eingeführt. Denn da jede Differenzierung in einer bewussten Vorstellung besteht und jede bewusste Vorstellung eine Erkenntnis darstellt, resultiert aus jedem Akt der Aufmerksamkeit (attentio) als Vermögen der Steuerung epistemischer Aktivität eine Differenzierung und damit zugleich eine Steigerung von Klarheit. M. a. W.: Differenzieren ist Attendieren. Weil dieses Vermögen aber endlich ist, muss ihm das Absehungsvermögen (abstractio) korrespondieren: Aus einer unendlichen differenzierenden Aktivität resultiert keine Erkenntnis. Das Absehen von weiterem, noch dunklem Differenzierungspotential beendet den Attentionsakt und stellt die Einheit seines Ergebnisses her: Unifizieren ist Abstrahieren. Beider Resultate sind kontingent, da beide verwirklichte Vermögen endlich sind, so dass keine unendlich genaue, mithin eineindeutige Differenzierung bzw. Identifikation vorgenommen werden kann. Sind aber diese ästhetischen Vorstellungen kontingent, muss ein zureichender Grund ihrer Wirklichkeit vorliegen. Wenn jede besondere, aktiv gebildete ästhetische Erkenntnis aus der Verwirklichung der attentio hervorgeht, ist also zunächst nach deren Grund zu fragen. Zu erinnern ist dabei zuerst daran, dass die Existenz der Seele selber in ihrer vorstellenden Tätigkeit besteht. Daraus, dass die Seele eine Kraft (vis) ist, folgt aber noch nicht, dass sie der zureichende Grund für alle ihre Vorstellungen ist.137 Dies gilt nur für einige davon, nämlich diejenigen, welche aus aktiven Veränderungen der Seele hervorgehen. Die Seele erzeugt also nicht die Vorstellungen, die sie hat, aus sich heraus. Vielmehr modifiziert sie entweder die Gesamtvorstellung des Universums, die ihr jederzeit gegeben und zugänglich ist, oder deren bereits durch sie selbst bewirkten Modifikationen. Die Seele ist also jedenfalls nicht der zureichende Grund ihrer eigenen Gesamtvorstellung des Universums, sondern nur zusammen mit dessen Existenz dafür hinreichend. Sind beide Erkenntnis  |  65

gegeben, so ist auch jene gegeben. Da Seelen integrale Teile und keine Akzidentien des Universums sind, ist klar, dass sich Seelen auch immanent voneinander unterscheiden müssen, d. h. unabhängig von ihrer kontingenten Vorstellungstätigkeit und insbesondere von der Position des Körpers, der ihre ästhetische Gesamtvorstellung des Universums bedingt. Nun besteht aber die Existenz der Seele in ihrer vorstellenden Tätigkeit: Eine Seele lässt sich nicht von ihren eigenen Zuständen, d. h. ihren Vorstellungen, unterscheiden. Trotzdem ist sie eine singuläre Substanz von der Art der Kraft und als solche Grund der Akzidentien, die ihr inhärieren.138 Ist die Seele daher eine Substanz, die sich immanent von allen anderen möglichen Dingen, insbesondere anderen Seelen, unterscheiden bzw. absolut identifizieren lässt, müssen diese individuellen Differenzen in den Vermögen liegen, die sie besitzt.139 Es liegt auf der Hand, dass die Seele nur der zureichende Grund von Vorstellungen sein kann, die sie durch die Verwirklichung aktiver Vermögen selbst bildet, d. h. Modifikationen der Gesamtvorstellung des Universums oder wiederum deren Modifikationen, die keine externen Ursachen haben dürfen. Da dies auch für ästhetische Vorstellungen gelten muss, kann es hier nur um nicht-begriffliche Veränderungen des inneren Zustands der Seele gehen. Nun wurde ihr äußerer Zustand bereits als die mit der Existenz der Seele gegebene Gesamtvorstellung des Universums bestimmt. In ihr ist der Vorstellende enthalten, weil er selbst Teil des Universums ist. Er ist aber noch nicht als Subjekt dieser Vorstellung von ihr geschieden. Bloße Sinnesempfindungen (sensationes externae) sind deshalb noch keine ästhetischen Vorstellungen bzw. Erkenntnisse, wenngleich sie bewusst sein mögen: Die Bewusstheit einer Sinnesempfindung impliziert nicht Selbstbewusstheit,140 sondern nur belebte Körperlichkeit.141 Eine Seele, die gänzlich von Vorstellungen frei ist, ist also unmöglich: Leben heißt zuallererst Vorstellen. Auch muss nicht von einer wie immer gearteten Ursächlichkeit der Sinnesorgane in der Empfindung oder ihrer Steuerbarkeit ausgegangen werden, um die Gegebenheit der fundamentalen Gesamtvorstellung zu erklären, sondern allein von deren Rezeptivität. Internalität des seelischen Zustandes besteht also erst mit der minimal klaren Differenzierung zwischen vorstellendem Geist und dem Rest des Universums bzw. der Welt, d. h. mit der Bewusstheit 66  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

der Nicht-Identität des Vorgestellten mit dem Vorstellenden. Von dieser Differenz kann nicht mehr abstrahiert werden. Jede Erkenntnis beginnt also mit einem Akt der Aufmerksamkeit, aus dem wenigstens minimale Klarheit hervorgeht. Die primitivste Erkenntnis ist daher die ästhetische, mithin begriffsfreie Unterscheidung von Vorstellendem und Vorgestelltem, in der die Bewusstheit des Vorstellenden, eine aktive Substanz zu sein, d. h. Selbstbewusstsein, liegt. Alle weitere Erkenntnis setzt dies voraus. Nicht jede Sinnesempfindung ist folglich schon eine ästhetische Erkenntnis, obschon sie dies der Möglichkeit nach sein kann. Der zureichende Grund einer jeden ästhetischen Erkenntnis ist daher die Verwirk­lichung der Aufmerksamkeit, welche den inneren Zustand der Seele sowohl konstituiert als auch verändert. Ein solcher individueller Akt der Aufmerksamkeit kann sich aber nicht auf alle Teile der Gesamtvorstellung des Universums, d. h. alle möglichen ästhetischen Erkenntnisse, zugleich richten. Denn diese ist perspektivisch durch die Position des empfindenden Körpers in Raum und Zeit bedingt und der Träger der entsprechenden Erkenntnisvermögen endlich. Folglich muss jedem solchem Akt ein Abstraktionsakt als Komplement entsprechen. Dieser vereinheitlicht die ästhetische Vorstellung insofern, als er deren dunkle Teile als dunkel identi­ fiziert und sie so der aktuellen Aufmerksamkeit entzieht, ohne sie damit ihres weiter bestehenden Differenzierungspotentials zu berauben, auf das sich erneute Akte der Aufmerksamkeit richten können. Fungiert der individuelle Aufmerksamkeitsakt als zureichender Grund, resultiert aus ihm eine singuläre Vorstellung,142 die nur im ästhetischen Erkennen auch eine Vorstellung von Singulärem sein muss. Der Aufmerksamkeitsakt bestimmt sie hinsichtlich ihres bewussten Inhalts, allerdings nur insofern ihr Klarheitsgrad von der Aufmerksamkeit abhängt. Die Aktivität der Seele bewirkt also die Differenziertheit derjenigen Eigenschaften, die in einer Einheit vorgestellt werden. Die Klarheit ist im Falle ästhetischer Erkenntnis extensiv, d. h. sie steigt mit der Menge der in einer Einheit, mithin als zugleich möglich vorgestellten Merkmale. Je mehr davon in die Vorstellung eines Gegenstandes integriert werden, ohne das ästhetische Widerspruchsprinzip zu verletzen, desto klarer wird auch das Bewusstsein der Singularität des Vorgestellten und desto Erkenntnis  |  67

mehr entspricht folglich die ästhetische Wahrheit der Vorstellung der metaphysischen Wahrheit des Vorgestellten, d. h. die Vorstellung gewinnt an Realität. Mit dem Begriff der Realität (realitas) bezeichnet Baumgarten nämlich keine Eigenschaft von Dingen,143 sondern von gegenständlichen Vorstellungen. Er darf daher nicht ohne Weiteres mit »Würckligkeit« (existentia, actualitas)144 gleichgesetzt oder gar verwechselt werden. Bezieht sich dieser auf die inneren Bestimmungen eines Dinges, die aus der Verwirklichung seiner essentiellen Vermögen hervorgehen, betrifft jener die positiven Bestimmungen, die ihm wahrheitsgemäß zugesprochen werden können.145 Dies setzt aber voraus, dass ein Ding Gegenstand einer Vorstellung ist. Von der Realität eines Dinges zu reden wäre deswegen pleonastisch und demzufolge überflüssig. Denn jedes Ding, das wirklich ist bzw. in der Weise einer Substanz existiert, ist einzeln und schon von sich aus jederzeit in jeder Hinsicht positiv bestimmt.146 Realität ist daher diejenige Bestimmung von Erkenntnis, welche deren Beziehung zur Wahrheit aussagt. Folglich denotiert sie zuerst einmal eine Eigenschaft komplexer Vorstellungen. Baumgarten erläutert dies im Hinblick auf Erkenntnis überhaupt: Eine wahre Erkenntnis ist die Realität, deren Gegensatz  – keine Erkenntnis bzw. Mangel an Erkenntnis, Unwissenheit, und scheinbare Erkenntnis bzw. Irrtum – Verneinungen sind. Die kleinste Erkenntnis vom kleinsten Einzigen ist auf die kleinste Weise wahr. Also von je mehr, von je größerem und je wahrer sie ist, desto größer ist sie, bis dass sie die größte vom meisten, vom größten und die wahrste ist. Die Stufe der Erkenntnis, wodurch sie mehr erkennt, ist ihr Reichtum, wodurch weniger, Armut, wodurch Größeres, ihre Wichtigkeit, wodurch Kleineres, ihre Geringschätzigkeit. Je wahrere, je größere Ordnung eine Erkenntnis stiftet, desto wahrer und daher größer ist sie; indem die Erkenntnis Wahreres feststellt, ist sie genau, indem sie weniger wahres darstellt, grob. Die größere Ordnung in der Erkenntnis bzw. die Methode ist methodische Erkenntnis, kleinere ein Gemenge. Die Erkenntnis und deren Vorstellungen in meiner Seele sind teils kleiner, teils größer und diesen wird, soweit sie Gründe sind – Schlüsse in weiterer Bedeutung  –, Kraft und Wirksamkeit zugeschrieben. Keine Erkenntnis ist gänzlich unfruchtbar, dennoch ist die Erkenntnis von größerer Wirksamkeit bzw. Stärke stärker, von kleinerer, die Schwäche ist, schwächer. Schwächere Vorstellungen verändern den entstandenen Zustand der Seele weniger, stärkere mehr.147 68  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Besitzt eine Vorstellung also nur ein Mindestmaß an Realität, d. h. ist sie in Übereinstimmung mit den transzendentalen Wahrheitsprinzipien148 positiv bestimmt, so dass der vorgestellte Gegenstand in einer möglichen Welt existieren kann, fungiert sie als zureichender Grund einer Veränderung des inneren Zustands der Seele. Jede solche Veränderung resultiert folglich aus Erkenntnis, d. h. aus jeder Erkenntnis geht eine neue, davon verschiedene Vorstellung hervor, solange die Aufmerksamkeit aktiv ist. Diese neue Vorstellung ist als die einzelne, die sie ist, von der Erkenntnis, die ihr vorhergeht, in positiver Hinsicht vollständig bestimmt, da diese ihren zureichenden Grund bildet.149 Deswegen vertritt Baumgarten auch die auf den ersten Blick verblüffende These, dass aus Unwissenheit oder Irrtum keine bestimmte Veränderung des inneren Zustands der Seele folgt. Beide Vorstellungszustände verneinen nämlich gegebene Bestimmungen, d. h. Differenzen, des Vorgestellten zugunsten keiner oder anderer.150 Daher bleiben beide in Beziehung auf das gegebene Vorgestellte negativ. Negative Bestimmungen ermöglichen aber auch unter Beachtung des Widerspruchsprinzips nur beliebige positive Bestimmungen, ohne dass irgendeine davon folgen würde. Sie sind daher unzulängliche Gründe,151 aus denen zwar Wahres folgen können mag, jedoch ohne aktual Erkenntnis zu sein. Denn zu den transzendentalen Wahrheitsprinzipien gehört auch der Satz vom zureichenden Grund, von dem demnach in einer Vorstellung, sofern diese Erkenntnis ist, ein klares Bewusstsein enthalten sein muss. Aus der Bestimmung einer Erkenntnis als zureichendem Grund der nächsten folgt zumindest die hypothetische Notwendigkeit jener Sukzession verschiedener Erkenntnisse. Diese bleibt indes strikt individuell, weil sich jedes Individuum schon intern durch seine mentalen Vermögen von allen anderen unterscheidet. Das bedeutet zwar auf der einen Seite, dass jede einzelne Seele unter bestimmten, singulären Umständen nur genau die eine Erkenntnis verwirklichen kann, die sie verwirklicht, jedoch kann diese Reihe von Erkenntnissen jederzeit durch Abbruch oder Wechsel der Aufmerksamkeit oder unmögliche bzw. fehlerhafte Abstraktion unterbrochen bzw. modifiziert werden. Die hypothetische Notwendigkeit der Erkenntnissukzession bezieht sich also nur auf vergangene und gegenwärtige Vorstellungen. Sie verläuft daher auch Erkenntnis  |  69

nicht mechanisch, sondern steht selbst unter der Bedingung kontinuierlicher mentaler Aktivität, da jede einzelne Erkenntnis eine singuläre Verwirklichung von Aufmerksamkeit darstellt. Daraus erhellt auch, warum Baumgarten diesen Übergang von Erkenntnis zu Erkenntnis einen »Schluss in weiterer Bedeutung« (argumentum latius dictum) nennen kann. Denn in einem Schluss besteht zwar die formale Notwendigkeit, dass aus eindeutig bestimmten Voraussetzungen nur genau ein, ebenfalls eindeutiges Resultat hervorgehen kann,152 jedoch muss dieser Übergang zwischen verschiedenen mentalen Gegenständen erst durch geeignete mentale Aktivität vollzogen werden, um Erkenntnis zu sein. Die »weitere Bedeutung«, von der Baumgarten hier spricht, betrifft also die psychologische bzw. metaphysische Seite des Vollzugs von Schlüssen, d. h. des Übergangs von einer wahren Vorstellung zu einer anderen wahren Vorstellung. Dies gilt auch für ästhetische Erkenntnisse. Diese nämlich sind zwar nicht im logischen Sinne eindeutig, da sie stets dunkle Teile enthalten. Jedoch handelt es sich bei ästhetischen Erkenntnissen immer um singuläre Vorstellungen von Singulärem, und gerade insofern ist ihr metaphysischer Gegenstand ebenso wie ihr metaphysisches Substrat, d. h. der Vorstellende selbst, eindeutig bestimmt. Denn jede ästhetische Erkenntnis ist ja deswegen singulär, weil sie nur von genau einem Träger unter jeweils singulären Umständen verwirklicht werden kann. Die Realität einer solchen Erkenntnis steigt also mit der Bewusstheit der Singularität des vorgestellten Gegenstandes, d. h. mit ihrer extensiven Klarheit. Deren Maximum wäre dann erreicht, wenn kein Absehen von dunklen Vorstellungsteilen mehr notwendig und möglich wäre, um zu einer eindeutigen Identifikation des vorgestellten Gegenstandes zu gelangen. Damit läge eine vollständig klare Erkenntnis des ganzen Universums vor, die freilich unter der Bedingung der Endlichkeit der mentalen Fähigkeiten des Vorstellenden nicht zu haben ist. Dies gilt in einem durchaus handgreiflichen Sinn: Wenn die Existenz einer Seele in der Veränderung des Klarheitsgrades ihrer Vorstellungen besteht und dieser jenes Maximum erreicht hätte, gäbe es nichts mehr zu erkennen und somit keine Veränderung mehr. Die Seele würde dann aufhören, ein kontingentes Individuum bzw. eine kontingente Substanz außerhalb des göttlichen Geistes zu sein. Dieser selbst erkennt und handelt freilich ohne jede Veränderung 70  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

seiner selbst und ist infolgedessen auch keine Seele. Dennoch ist hier zu betonen, dass – im Unterschied zur logischen Erkenntnis – jede ästhetische Erkenntnis genau dieses Potential zu absoluter referentieller Eindeutigkeit besitzt, wenngleich es niemals vollständig, sondern immer nur graduell verwirklicht werden kann. Anders als logische, aber auch ästhetiko-logische Erkenntnis besitzt also ästhetische Erkenntnis unendliches kausales Potential. Es besteht in der Möglichkeit einer unendlichen Sukzession wahrer Erkenntnisse bis zur vollständigen Klarheit über die singuläre Identität des Universums. Diesen Vorzug bringt Baumgarten auf den Begriff der »perceptio praegnans«: Je mehr Merkmale eine Vorstellung umfasst, desto stärker ist sie. In­ dem daher eine dunkle Vorstellung mehr Merkmale zusammenfasst als eine klare, ist dieselbe stärker; indem eine verworrene mehr Merkmale zusammenfasst als eine deutliche, ist dieselbe stärker. Vorstellungen, die mehr in sich enthalten, werden vielsagende (praegnan­tes) genannt. Also sind vielsagende Vorstellungen die stärkeren. Daher haben Individualbegriffe (ideae) große Stärke. Die bestimmten Ausdrücke einer vielsagenden Bedeutung sind Emphasen (Nachdruck). Die Wissenschaft von ihnen ist die Emphaseologie. Eigennamen besitzen nicht geringe Kraft.153

Die Stärke einer Vorstellung, soweit diese Erkenntnis ist, besteht in ihrer Kraft, den inneren Zustand der Seele zu verändern. Dies tut sie  – mentale Aktivität vorausgesetzt  – in der Weise des zureichenden Grundes, so dass der Vorstellende selbst, indem er erkennt, seinen eigenen mentalen Zustand zu weiterer Erkenntnis verändert. Das diesbezügliche kausale Potential einer Vorstellung ist quantitativ bestimmt durch die Menge der in einer Vorstellung enthaltenen Differenzen.154 Wenn eine solche Vorstellung den zureichenden Grund einer Reihe von Erkenntnissen bilden soll, wird diese in der fortschreitenden Klärung dieser Merkmale bestehen. Sie liegen also zunächst ungeschieden in einer Vorstellung vor, die zugleich Bewusstheit des Differenzierungspotentials, mithin ihrer teilweisen Dunkelheit, enthält. Eine ästhetische Erkenntnis enthält immer dunkle und klare, aber niemals deutliche Teile. Sie liefert daher eine verworrene Vorstellung eines Gegenstands, d. h. eine solche, bei der dessen differenzierende Merkmale nicht begrifflich bestimmt sind. Eine prägnante ästhetische Vorstellung involviert Erkenntnis  |  71

also keine nominal definierten bzw. universalen Teile. Sie ist folglich eine singuläre Vorstellung von Singulärem, d. h. in jeder Hinsicht Bestimmtem. Die Aufklärung ihrer Merkmale, in der die durch eine solche Vorstellung begründete Sukzession der Erkenntnisse und damit zugleich die Veränderung des inneren Zustands der Seele besteht, muss deshalb in der steigenden Bewusstheit der sinnlich wahrnehmbaren Merkmale des vorgestellten Gegenstandes liegen. Auch diese sind singulär, so dass ihre Universalisierung durch eine Nominaldefinition ihre wirkliche Beschaffenheit verfälscht, indem sie diese vereinfacht. Eine ästhetisch vollständig klare Vorstellung eines Gegenstandes erfasste folglich die metaphysische Wahrheit des vorgestellten Dings vollständig. Da sie durch einen endlichen Verstand nicht zur Deutlichkeit gebracht werden kann, weil ihm die Fähigkeit zur intensionalen Bildung von Begriffen von Kontingentem abgeht, bleibt der durch ästhetische Erkenntnis gebildete Begriff immer verworren. Er bleibt aber die bewusste Vorstellung eines realen Gegenstands, d. h. eines Einzeldings. Also ist eine Vorstellung, in der ästhetische Erkenntnis besteht, – in Baumgartens Terminologie  – eine Idee, d. h. ein Individualbegriff.155 Solche Begriffe besitzen deswegen ›große Stärke‹, weil sie aufgrund der durchgängigen Bestimmtheit ihres Gegenstandes, d. h. eines Einzeldings, unendlich viele Merkmale zusammenfassen. Ihnen kommt daher maximale Realität zu. Die ästhetische Erkenntnis eines Gegenstands impliziert also nicht seine klassifizierende bzw. logische Bestimmung, mithin das Wissen darum, was ein Ding ist, sondern allein das Bewusstsein seiner Singularität. Es ist deshalb völlig konsequent, wenn Baumgarten Eigennamen wiederum ›nicht geringe Kraft‹ zuschreibt. Denn echte Namen bezeichnen Einzeldinge, genauer: die Vorstellungen singulärer Gegenstände, und enthalten gerade nicht deren spezifische Bestimmung: Aus einem echten Namen – etwa Hubert – lässt sich nicht schließen, was für eine Art von Gegenstand Hubert ist – sei dies ein Mensch, ein Wombat, ein Radiergummi oder ein Rotes Altes Wesen –, sondern nur, dass es sich dabei um genau ein einzelnes Ding handelt. Denn ein solcher singulärer Term enthält alle Merkmale, die dem durch ihn Bezeichneten zukommen und äquivalent mit seiner Singularität sind. Daraus folgt unter der Bedingung, dass unendliche viele Einzeldinge in unendlich vielen möglichen Welten existieren 72  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

können, mithin real möglich sind, dass alle Merkmale, die in jenem Individualbegriff enthalten sind, selbst ebenfalls singulär sein müssen. Die Kraft eines Namens besteht also darin, dass er der sprachliche Ausdruck für einen Individualbegriff ist, der durch einen endlichen Geist überhaupt nur ästhetisch und daher allenfalls klar und verworren vorgestellt werden kann. Denkt man demnach einen Namen, verfügt man jedenfalls über eine unaufgeklärte Vorstellung eines Einzeldings, die bei bestehender Aufmerksamkeit als zureichender Grund für deren differenzierende Klärung fungiert, so dass sich der innere Zustand der Seele von prägnanter Dunkelheit zu immer noch prägnanter Klarheit verändert. Die Prägnanz der Vorstellung schwindet allerdings mit ihrer fortschreitenden logischen Bestimmung. Denn diese besteht in der Bildung oder Anwendung universaler Terme aus oder auf Vorstellungen singulärer Merkmale bzw. eines singulären Dinges. Nun mag eine nominaldefinitorische Bestimmung so differenziert bzw. inhaltsreich sein, wie sie mag, sie bleibt immer universal, d. h. unter sie können der Möglichkeit nach unendlich viele Einzeldinge gebracht werden bzw. unter sie fallen, die freilich alle für sich genommen voneinander verschieden sind. Die Herstellung logischer Identität durch eine universale, begriffliche Vorstellung, d. h. eine notio, bedeutet gerade nicht die Gegebenheit numerischer Identität in der denkunabhängigen Wirklichkeit. Eine derartige klassifizierende Operation bedeutet vielmehr gerade das Absehen von der Singularität des Vorgestellten, da sie aufgrund der epistemischen Beschränkungen eines sinnlich wahrnehmenden und endlichen Geistes diese nicht vermittels einer intensionalen logischen Analyse zur Deutlichkeit bringen kann. Eine klare und deutliche Vorstellung hat daher stets eine logische Entität zum Gegenstand, der wegen ihrer Universalität keine metaphysische Entität entsprechen kann. Dies gilt allerdings umgekehrt für die verworrene Klarheit einer ästhetischen Erkenntnis, deren Entsprechung zur metaphysischen Wahrheit des singulären Dings erst mit ihrer Verdeutlichung durch extensional logische Begriffsgenese bzw. -applikation endet. Eine klare und deutliche Vorstellung entbehrt also deswegen der Prägnanz, weil sie keine Merkmale mehr enthält, die noch durch ihre logische Klassifikation aufgeklärt werden könnten. Deswegen besteht auch keine Gewähr, ob auch nur ein einziges Ding in der Erkenntnis  |  73

Welt existiert, auf das eine solche Vorstellung zutreffend Anwendung finden könnte. Ein universaler Begriff enthält also letztlich nur die logische Möglichkeit einer Art von Dingen. Ein Individualbegriff hingegen, wie ihn ästhetische Erkenntnis beinhaltet, impliziert hingegen die Existenz eines Dings in einer Welt, wenngleich er gar nicht enthalten kann, von welcher Art dieses Ding ist, bzw. er impliziert die Existenz wenigstens einer Welt selbst. Denn dies bildet ja eine notwendige Bedingung der Gesamtvorstellung des Universums und daher jeder möglichen ästhetischen Erkenntnis. Hieraus erhellt auch die Differenz von Prägnanz und Stärke, die zwischen einer maximal dunklen und minimal klaren ästhetischen Erkenntnis und einer maximal klaren und verworrenen ästhetischen Erkenntnis besteht. Erstere beinhaltet nur die Differenz zwischen Vorstellendem und Vorgestelltem. Also enthält sie zumindest das Bewusstsein der Existenz des Vorstellenden und darüber hinaus alle Dinge, deren gegenständliche Vorstellung bzw. deren Existenz unter der Voraussetzung der Gesamtvorstellung überhaupt möglich ist, ohne über Bewusstsein der Existenz irgendeines anderen Einzeldings zu verfügen. Denn alle anderen Einzeldinge befinden sich ja noch im »Reich der Finsternis«,156 d. h. sind indifferente Gegenstände dunkler Vorstellungen, die nur als Vorstellung eines Nicht-Identischen gegeben sind. Die verworrene Klarheit weiterer ästhetischer Erkenntnis erfasst dagegen differente Einzeldinge, die aktual existieren, und konstituiert »das Reich des Lichts in der Seele«. Maximale ästhetische Klarheit enthielte also die gegenständliche Vorstellung aller in dieser Welt wirklichen Dinge und bildete daher den verworrenen Begriff metaphysischer Wahrheit. Prägnante Vorstellungen fungieren nach Baumgarten als möglicher zureichender Grund für weniger prägnante, aber klarere Vorstellungen. Die Sukzession ästhetischer Erkenntnisse lässt sich demnach als kausale Relation verschiedener innerer Zustände der Seele beschreiben. Da nicht nur deren Vorliegen, sondern auch deren Erkenntnis für den Begriff ästhetischer Wahrheit konstitutiv ist, ist wiederum zu fragen, ob und wie diese Beziehung selbst Gegenstand ästhetischer Erkenntnis sein kann. Dabei kann es nicht um die Frage nach so etwas wie der Beobachtbarkeit von Kausalität gehen. Denn die sukzedierenden Elemente, die im Verhältnis 74  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

von Grund und Folge zueinander stehen sollen, sind keine physischen Ereignisse und schon deshalb keine möglichen Gegenstände sinnlicher Wahrnehmung. Vielmehr handelt es sich dabei um rein psychische Veränderungen. Solche mentalen Ereignisse können nur Gegenstände des inneren Sinns sein, d. h. des Bewusstseins im engeren Sinne.157 Allerdings reicht für eine ästhetische Erkenntnis das durch die innere Empfindung gegebene Bewusstsein des eigenen gegenwärtigen Seelenzustands keinesfalls zu. Denn diese muss auch das Bewusstsein enthalten, dass der gegenwärtige Seelen­ zustand im voraufgehenden seinen zureichenden Grund hat. Also erfüllt auch die durch den inneren Sinn gegebene Empfindung nicht die Kriterien ästhetischer Erkenntnis, da sie keine vergangenen Seelenzustände umfasst. Freilich gibt es dennoch nicht-propositionales Bewusstsein eige­ ner vergangener Zustände. Baumgarten nennt die diesem entspre­ chenden Vorstellungen »Einbildungen« (phantasmata) und betont bei ihrer Einführung sowohl die Äquivalenz der Zustände des Vorstellenden und der Welt als auch die interne Produktion solcher Vorstellungen.158 Macht Letzteres zunächst einmal unmissverständlich klar, dass es sich bei phantasmata nicht um externe Sinnesempfindungen handeln kann, bedarf Ersteres weiterer Erläuterung, um die Rückbindung der Einbildungsproduktion an Sinneswahrnehmungen zu sehen, um die es Baumgarten hier geht. Er bestimmt nämlich den Begriff des Weltzustandes wie folgt: »Der Zustand einer ganzen Welt ist das Ganze aller Zustände in deren gleichzeitig existierenden Teilen. Nun hat diese Welt Teile, in welchen Unveränderliches zusammen mit Veränderlichem gleichzeitig existiert. Also hat diese Welt einen Zustand.«159 Schon die Rede von Zuständlichkeit setzt die Identität von Din­gen mit sich selbst voraus. Die Eigenschaften, welche diese gewährleisten, sind einerseits selbst kontingent, d. h. relativ zur existierenden Welt,160 und andererseits transzendental, d. h. in jeder möglichen Welt notwendig. Bei ersteren handelt es sich um die inneren Bestimmungen eines Dings, d. h. um diejenigen singulären Vermögen, deren Aktualisierung die Existenz eines Einzeldings in einer Welt ausmacht. Sie sind nur insofern absolut notwendig, als sie als dessen singuläres Wesen die Existenz eines Dinges ermöglichen, ohne dass diese Eigenschaften in ihrer Eigenart bzw. inhaltlich von Erkenntnis  |  75

vornherein festgelegt wären. Bei letzteren handelt es sich um die Eigenschaften von Dinglichkeit selbst, nämlich Einheit, Wahrheit und Vollkommenheit.161 Insofern der Vorstellende selbst Teil der Welt ist, die er vorstellt und von der er sich erst in einem fundamentalen Erkenntnisakt unterschieden muss, ist die Vorstellung seines eigenen Zustands mit der Vorstellung der Welt jedenfalls dann äquivalent – jedoch nicht identisch –, wenn jene erste Unterscheidung noch nicht vollzogen ist. Die Einbildung eines vergangenen Zustands impliziert also noch nicht Erkenntnis, sondern allenfalls nur bewusste Empfindung. Diese stellt eine Wiederholung eines vergangenen Empfindungszustandes bzw. der Empfindung eines vergangenen Weltzustandes dar: »Ich habe Einbildungsvermögen bzw. Phantasie. Immer wenn meine Einbildungen Vorstellungen von Dingen sind, die einmal gegenwärtig (daseiend)162 gewesen sind, sind sie, solange ich einbilde, von abwesendem Empfundenen«,163 d. h. von solchem, das weder verändern noch verändert werden kann,164 mithin kein mögliches Relat einer metaphysischen Kausalbeziehung, d. h. keine Substanz, darstellt. Einbildungen werden also nicht so erzeugt, dass sie die Seele als Entstehungsursache generieren würde. Denn ihre Gegenstände sind Dinge, die sinnlich wahrgenommen und empfunden worden sind. Aus sich heraus kann die Seele aber keine Empfindungen von sinnlich wahrnehmbaren, also materiellen Dingen erzeugen. Diese müssen vielmehr gegeben bzw. präsent sein, um äußere Empfindungen hervorzurufen, derer man sich überhaupt erst bewusst sein kann, so dass auch die fundamentale Unterscheidung zwischen Vorstellendem und Welt von der Präsenz von Dingen und ihrer Empfindung abhängt. Eine Einbildung geht indes auf Abwesendes. Genau deswegen kann sie auch nicht in einer Herbeiführung desjenigen Zustands der Sinnesorgane bestehen, der in der äußeren Empfindung vorlag bzw. ein Bewusstsein des Zustands des eigenen Körpers ermöglichte. Einbildung bezieht sich daher auf eben dieses Bewusstsein, ohne dass sich die Sinnesorgane bzw. der Körper in einem entsprechenden Zustand befinden müssten. Um dies möglich zu machen, muss auf ein Reservoir von Vorstellungen zurückgegriffen werden können, die jenes vergangene Empfindungsbewusstsein enthalten. Diese Vorstellungen müssen selbst dunkel sein, aber wieder zu klarer Bewusstheit gebracht werden können. 76  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Genau in einem solchen, ganz buchstäblich verstandenen »WiederHervorbringen« besteht der Akt der Einbildung: Eine Vorstellung, die in der Seele weniger dunkel wird, wird hervorgebracht; eine, die dunkler wird, wird verdunkelt; wird eine, die einmal verdunkelt worden ist, hervorgebracht, wird wieder hervorgebracht/ erneuert. Nun wird durch Einbildungen Empfundenes hervorgebracht, daher einmal Hervorgebrachtes, nachdem es verdunkelt worden ist. Also werden durch die Phantasie Vorstellungen wieder hervorgebracht, und nichts ist in der Phantasie, was nicht vorher im Sinn gewesen ist.165

Einbildungen sind also rein sinnliche, mithin begriffsfreie, aber nicht aktual durch die äußeren Sinne empfundene Vorstellungen.166 Da sie wieder-hervorgebrachte Empfindungen sind, beziehen sie sich genau wie diese auf Singuläres, d. h. auf einzelne körperliche oder seelische Zustände, sofern diese in einem Mindestmaß bewusst waren. Da es nicht der körperliche Zustand ist, der durch die Einbildung wiederholt werden kann, sind Einbildungen niemals so klar wie Empfindungen. Weil sie aber ebenfalls singulär sind, enthalten sie sowohl die ganze Reihe der vorangegangenen Zustände als auch den umfassenden nexus rerum universalis, der die Singu­ larität von Zuständen aktualisiert, in dunkler Weise.167 Mit der Einbildung steht also stets der zureichende Grund für den jeweils aktualen mentalen Empfindungszustand zur Verfügung, ohne dass dieser jedoch als solcher schon erkannt würde. Demnach werden Einbildungen auch nicht durch bewussten Gebrauch des Satzes vom Grund reproduziert, sondern das »Gesetz der Einbildung« ist die Assoziation: »Durch einen teilweise vorgestellten Individual­ begriff kehrt dessen ganzer wieder. Dieser Satz wird auch Assoziation der Individualbegriffe genannt.«168 Zwar kann die Einbildung geübt,169 aber nicht vollständig kontrolliert werden. Denn ihre Aktualisierung setzt stets eine Sinnesempfindung voraus, die zu irgendeinem Teil in derselben Weise vorgestellt wird wie eine vergangene, ohne dass deswegen die sinnlich wahrgenommene Qualität materialiter ein und dieselbe sein müsste. Die Folge sinnlicher Wahrnehmungen und ebenso die darauf bezogene Aufmerksamkeit sind aber kontingent, so dass Assoziationen durchaus unwillkürlich auftreten, wenngleich die Adäquatheit der Einbildungen bis zur vollständigen Identität ihres Erkenntnis  |  77

Inhalts mit dem der Empfindung gesteigert werden kann.170 Eine Einbildung kann jedoch nie klarer sein als die zugrundeliegende Empfindung, d. h. sie kann zum einen niemals einen höheren Differenzierungsgrad erreichen und besitzt zum anderen auch kein so hohes Differenzierungspotential, da es ja nicht die Sinneswahrnehmungen sind, die wiederholt werden können. Eine Einbildung bleibt daher an die Perspektive der Sinnesempfindung gebunden: Weil ich vorstelle, daher bilde ich auch nach der Stelle meines Leibes ein, das aber, was ich äußerlich empfinde, ist dem Leib näher als was ich einbilde; es ist offensichtlich, warum jenes klarer und stärker als dieses sein kann. Weil freilich die mit den Einbildungen zugleich existierenden Empfindungen diese noch außerdem verdunkeln, bilde ich nichts so klar ein, wie ich es empfunden habe, doch so, dass der Grad der Klarheit in der Einbildung vom Grad der Klarheit in der Empfindung abhängt.171

Einbildungen setzen also sinnliche Empfindungen voraus und unterscheiden sich von diesen durch ihren Klarheitsgrad und die Vergangenheit ihres Gegenstands, nämlich eines Empfindungs­ zustandes.172 Dieser umfasst jedenfalls die seinerzeitige körperrelative und kontingente Totalvorstellung des Universums. Dazu gehört der Vorstellende selbst, und damit umfassen Einbildungen auch den zureichenden Grund seines nachfolgenden Empfindungszustands, wenngleich die Dunkelheit der eingebildeten Vorstellung desto größer wird, je länger sie zurückliegt, da sie von anderen Einbildungen und Empfindungen überlagert wird.173 Nun erfolgt die Wiederhervorbringung eines vergangenen Empfindungszustandes assoziativ, d. h. es kann nicht genau eine bestimmte Einbildung bewusst bzw. willentlich verursacht werden, obzwar durchaus passende Assoziationsgelegenheiten aufgesucht werden können. Also impliziert die bloße Wiederhervorbringung noch nicht die Erkenntnis ihrer Identität mit derjenigen, die sie erneuert. Dann kann sie aber auch nicht als zureichender Grund der gegenwärtigen Empfindung erkannt werden, denn hierzu müsste sie wenigstens als veränderter Zustand derselben Substanz identifiziert werden, d. h. als akzidentieller Komplex vergangener Empfindungen, der den aktualen Empfindungszustand der Seele ermöglicht. M. a. W.: Wird ein wiederhervorgebrachter Empfindungszustand aufgrund mangelnder Klarheit nicht zutreffend als vergangener identifiziert, 78  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

handelt es sich mithin um eine »leere Einbildung«,174 kann dieser auch nicht als zureichender Grund des aktualen Empfindungs­ zustands erkannt werden, weil dann die Identität der vorstellenden Seele nicht gewahrt bliebe. Nun obliegt die bewusste mentale Wahrnehmung von Identität und Differenz, wie bereits gezeigt wurde, zwar der perspicacia, diese ist jedoch für sich genommen auf präsente Vorstellungen beschränkt. Die Identifikation von Einbildungen als vergangene Empfindungszustände leistet indes das Gedächtnis (memoria). Da die Erkenntnis jeder Kausalbeziehung die Beziehung zweier temporal differenter Ereignisse, deren eines früher als das andere ist, einschließt, ist zu jeder möglichen derartigen Erkenntnis Gedächtnis notwendig. Weil Baumgarten von der Existenz sinnlicher bzw. ästhetischer Erkenntnis ausgeht und Erkenntnis mit der Bewusstheit von Identität und Differenz anfängt, muss die Erkenntnis der Vergangenheit des Inhalts von Einbildungen, die rein sinnlich sind, sowohl perspicacia als auch memoria voraussetzen: »Ich nehme dieselbe erneuerte Vorstellung wahr, die ich einmal hervorgebracht hatte, das ist: ich erkenne etwas wieder. Also habe ich das Vermögen, erneuerte Vorstellungen wiederzuerkennen bzw. Gedächtnis, und dies sinnlich oder verstandesmäßig.«175 Das Gedächtnis identifiziert also eine Einbildung als wiederhervorgebrachten, vergangenen Empfindungszustand. Soll diese Identifikation zutreffen, setzt dies voraus, dass nicht nur der Inhalt, sondern auch der Klarheitsgrad der erneuerten Vorstellung der ursprünglichen aktualen Empfindung entspricht, mithin dass die Einbildung ›wahr‹ ist.176 Da der minimale Klarheitsgrad in der Selbstidentifikation des Vorstellenden und der Unterscheidung seiner selbst vom Vorgestellten besteht, impliziert eine zutreffende Identifikation eines vergangenen Empfindungszustandes durch das Gedächtnis das Vorliegen einer mit sich selbst identischen, sinnlich vorstellenden Substanz, d. h. einer Seele in einem Leib, und die Veränderung ihrer Vorstellungszustände. Diese Bewusstheit sowohl von gleichzeitiger bzw. jeweils teilweiser Identität und Differenz der Vorstellungsinhalte als auch ihrer kontinuierlichen Sukzession macht nach Baumgarten das »Gesetz des Gedächtnisses« aus: »Durch viele vorgestellte, aufeinanderfolgende Wahrnehmungen, die bis zur gegenwärtigen teilweise Gemeinsames besitzen, wird Erkenntnis  |  79

das teilweise Gemeinsame vorgestellt, wie es im Vorangehenden und Folgenden enthalten ist, solange das Gedächtnis durch die das Universum vorstellen könnende Kraft der Seele verwirklicht wird.«177 Die eigentümliche Leistung des Gedächtnisses besteht also in der Herstellung von Bewusstheit der Identität des Vorgestellten in der Sukzession der Vorstellungen einerseits und von Bewusstheit der Identität des Vorstellenden durch seine kontinuierlich wechselnden Vorstellungszustände hindurch andererseits. Beides – die Bewusstheit substantialer Identität des Vorgestellten bei wechselnden Akzidentien und substantieller Identität des Vorstellenden bei wechselnden Akzidentien – erfüllt zusammen mit der minimalen Klarheit über die Differenz beider substantial vorgestellter Gegenstände, welche die Tätigkeit einer mentalen Kraft bewirkt, den Begriff des zureichenden Grundes: »Wenn einer Substanz Akzidentien inhärieren, ist etwas der Grund der Inhärenz bzw. eine Kraft in weiterer Bedeutung (Wirksamkeit, Verwirklichung, Aktivität) und der zureichende. Dieser ist eine Kraft in engerer Bedeutung (und der Kürze halber manchmal einfach die Ursache).«178 Nun ist klar, dass die Aktivität der memoria der zureichende Grund des Bewusstseins der teilweisen Identität des Vorstellenden wie ebenso des davon bereits unterschiedenen Vorgestellten ist, die demgemäß beide als Substanzen wahrgenommen werden. Von beiden besteht also auch Bewusstheit ihrer sukzessiven Veränderung, d. h. ihrer aufeinanderfolgenden akzidentiellen Differenzen. Ebenso ist die Tätigkeit der memoria selbst Gegenstand des Bewusstseins. Es sind also alle Elemente gegeben, die eine begriffsfreie, mithin ästhetische Erkenntnis des zureichenden Grundes eines Vorstellungszustandes ermöglichen. Folglich liegt eine solche Erkenntnis auch aktual vor.179 Da diese Erkenntnis nicht in propositionaler Form durch die konditionale Verknüpfung mindestens zweier Aussagen erfolgt, kann auf dieser Ebene zwar nicht ausgesagt werden, was die Ursache eines aktualen mentalen Zustands ist, jedoch liegt ein klares Bewusstsein davon vor, dass eine solche existierte und welche sie ist. Weil diese ästhetische Erkenntnis ihrem Wesen nach singulär ist, liegt sie sogar näher an der metaphysischen Wahrheit als ihre mögliche, begrifflich universalisierte propositionale Fassung. 80  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

γ) Folge

Das dritte und letzte Kriterium ästhetischer Wahrheit liegt in der Konformität mit dem Prinzip des Gegründeten bzw. der Folge. Es setzt den Satz vom Grund zwar voraus, ist aber nicht mit ihm identisch. Besagt dieser, dass die Existenzmöglichkeit alles Einzelnen dessen zureichenden Grund einschließt, besagt jenes, dass die Existenzmöglichkeit alles Einzelnen dessen Funktion als zureichender Grund einschließt, d. h. seine Ursächlichkeit für andere Existenzmöglichkeiten. Baumgarten formuliert es als dezidiert dynamisches Prinzip: »Alles Mögliche ist Grund, bzw. nichts ist ohne Gegründetes, nichts ohne Zusatz und Verbindlichkeit, nichts gänzlich ertraglos, träge und unfruchtbar, bzw. durch etwas Gesetztes wird etwas, das durch dies gegründet wird, gesetzt.«180 Demnach gehört zur ästhetischen Wahrheit einer Vorstellung, dass aus ihr unter Gegebenheit der Aktivität des Vorstellungsvermögens eine weitere, andere hervorgeht. Dabei steigert die Prägnanz der aktualen und daher als Grund fungierenden Vorstellung das Diversitätspotential der Folgevorstellung, d. h. je größer der dunkle Anteil der ästhetischen Erkenntnis ist, desto mehr verschiedene ästhetische Erkenntnisse können weiter aus ihr hervorgebracht werden, ohne dass dadurch eine eindeutig bestimmte Ordnung der möglichen Reihe dieser Folgevorstellungen vorgegeben wäre. Eine solche Vorstellungsreihe unterliegt zwar den Prinzipien von Grund und Folge und ist daher, weil es sich bei ihren Elementen um mentale, mithin metaphysische Zustände handelt, durchaus kausal bestimmt. Dies ändert jedoch nichts an ihrer Kontingenz, da sie ja von einer internen, seelischen Aktivität dependiert. Nun soll diese Fruchtbarkeit einer Vorstellung, mithin ihr kausales Potential selbst Gegenstand ästhetischer Erkenntnis sein. Diese muss sich daher auf zukünftige, mögliche Empfindungsbzw. Wahrnehmungszustände beziehen. Dabei steht die Existenz solchen »Vorhersehens« (praevisio) bereits außer Zweifel. Weil die Existenz der Seele in ihrer vorstellenden Aktivität besteht und alle ihre Vorstellungszustände gemäß dem Satz vom Grund verbunden sind, folgt mit Notwendigkeit die Fortsetzung der Vorstellungsreihe, solange die Existenz der Seele währt. Ist sich also der Vorstellende dieser seiner Tätigkeit bewusst, besitzt er demnach Erkenntnis  |  81

minimale Erkenntnis und verfügt er über ästhetische Einsicht in die metaphysische Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grund, enthält seine aktuale Vorstellung auch die mögliche Bewusstheit des zukünftigen Zustands seiner selbst bzw. der Welt zumindest in dessen dunkelster Form, die darin besteht, dass es einen solchen geben wird.181 Dass die praevisio unter diesen Bedingungen der perspicacia und der memoria steht, macht Baumgartens »Gesetz des Vorhersehens« deutlich: »Mit einer wahrgenommenen Empfindung und Einbildung, die eine Vorstellung teilweise gemein haben, geht die vollständige Vorstellung eines zukünftigen Zustands hervor, in welchem die verschiedenen Teile der Empfindung und der Einbildung verbunden werden, d. i.: Aus dem durch das Vergangene befruchteten Gegenwärtigen wird das Zukünftige geboren.«182 Die praevisio liefert demnach die Vorstellung eines in der Zukunft möglichen Empfindungszustandes, der die bislang gegebene Reihe fortsetzen könnte. Weil der aktuale Zustand aufgrund seiner eigenen Möglichkeit und der Gültigkeit des Satzes vom Grund alle überhaupt möglichen zukünftigen Zustände enthält, enthält er a fortiori auch denjenigen Zustand, der in Zukunft wirklich sein wird. Dessen Vorstellung ist indes von noch größerer Dunkelheit – aber auch Prägnanz – als die Wiederhervorbringung eines vergangenen Empfindungszustands in der Einbildung. Denn der Empfindungszustand, den die praevisio vorstellt, ist ja nur ein in der Zukunft möglicher, d. h. einer, der auch gar nicht oder anders eintreten kann, während an der aktualen wie auch an der vergangenen Empfindung aufgrund ihrer temporalen Notwendigkeit nichts mehr geändert werden kann. Der Klarheitsgrad des Vorhersehens hängt also von einem zukünftigen Empfindungszustand ab, dessen möglicher Inhalt immerhin durch den aktualen und die Identität seines Trägers beschränkt wird.183 Es kann daher kaum über­ raschen, dass Baumgarten wie im Falle der Einbildung festhält, dass mit der zeitlichen Nähe zum aktualen Zustand die Klarheit des Vorhersehens steigt.184 Des Weiteren ist die Behauptung ästhetischer praevisio, d. h. der Übereinstimmung einer begriffsfreien Vorstellung mit dem Folgeprinzip, durchaus unproblematisch: Sie folgt schlicht aus der ästhetischen Erkenntnis des Satzes vom Grund und der Bewusstheit der eigenen mentalen Aktivität in der Empfindung. Diese kann sich jedoch nicht allein auf den äußeren 82  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Seelenzustand oder dessen Erneuerung im inneren Seelenzustand stützen, wenngleich aller mögliche Inhalt durch sinnliche Empfindungen vorgegeben ist, die das Material begriffsfreien Vorstellens bilden. Denn in der praevisio wird ja eine Vorstellung erzeugt, die aufgrund der Singularität aller Zustände keiner bislang aktualen entsprechen kann und den zukünftigen und also möglichen Zustand nicht bloß irgendeiner möglichen, sondern dieser Welt repräsentieren soll. Eine praevisio ist daher ein aus verschiedenen Teilen verschiedener sinnlicher Vorstellungen erzeugter innerer seelischer Zustand, der die Bewusstheit eines zukünftigen äußeren seelischen Zustands enthält. Dessen spätere Wirklichkeit macht auch das spezifische Wahrheitskriterium des Vorhersehens aus: »Wenn vollständig dasselbe mit dem Zu-Empfindenden vorhergesehen wird, sind die Vorhersehungen wahrhaftig bzw. Vorherempfindungen, sie werden jedoch nicht auf dieselbe Weise, durch gleiche Klarheit mit den Empfindungen, wahrgenommen. Wenn Vorherempfundenes empfunden wird, wird die Vorhersehung erfüllt. Eine nicht zu erfüllende Vorhersehung ist betrüglich, eine Quelle praktischer Irrtümer.«185 Dass dies nicht mit dem Kriterium für die ästhetische Wahrheit einer Vorstellung verwechselt werden darf, liegt auf der Hand: Da praktische Irrtümer nach Baumgarten immer mit der Verfehlung von Pflichten zu tun haben müssen186 und sich ästhetische Erkenntnis nicht auf Pflichten beziehen kann, ist auch eine rein sinnliche Grundlage moralisch relevanten Handelns nicht denkbar. Denn dies setzt die Anwendung einer Norm auf eine mögliche Handlung bzw. auf einen durch Handeln herbeiführbaren zukünftigen Zustand voraus. Dieser kann aber schon, indem er als Fall einer Norm vorgestellt wird, nicht mehr begriffsfrei vorgestellt werden. Die ästhetische Wahrheit einer praevisio besteht deswegen nur in der Bewusstheit der Fruchtbarkeit einer aktuellen Vorstellung. Sie liegt darin, dass mögliche folgende Empfindungszustände vorgestellt werden, die zugleich mögliche bzw. zukünftige Zustände der Welt in dunkler Weise repräsentieren.

Erkenntnis  |  83

δ) Dichtung und Wahrheit

Da bewusste sinnliche Vorstellungen  – mögen sie sich nun auf den äußeren oder inneren Seelenzustand beziehen – alle transzendentalen Kriterien für Erkenntnis überhaupt erfüllen, kann jede Vorstellung irgendeiner möglichen Welt auf sinnlicher Basis als ästhetische Erkenntnis gelten. Ihr kommt folglich auch ästhetische Wahrheit zu. Unter der Bedingung, dass jede mögliche Welt Materialität einschließt und folglich prinzipiell sinnlich empfindbar ist, folgt daraus zunächst, dass jede mögliche Welt zumindest prinzipiell Gegenstand ästhetischer Erkenntnis sein kann. Unmöglich ist es aber wiederum, Sinnesempfindungen und die diesen entsprechenden Vorstellungen aus sich heraus zu produzieren, zu imaginieren oder vorherzusehen, ohne sich schon einmal aktual in einem Empfindungszustand befunden zu haben, der die bewusstzumachende Wahrnehmung enthält. Deshalb ist es von der kontingenten Einrichtung sowohl dieser Welt als auch des Empfindungssensoriums abhängig, welche von allen möglichen Welten tatsächlich Gegenstand ästhetischer Erkenntnis sein können. Es wird also Welten geben, die zwar denkbar, aber nicht sinnlich vorstellbar sind. Daher ist die aktuale sinnliche Vorstellbarkeit einer Welt zwar ein Kriterium ihrer Möglichkeit, ihre aktuale sinnliche Unvorstellbarkeit aber keines ihrer Unmöglichkeit. Wird aber tatsächlich eine mögliche Welt sinnlich vorgestellt, hat sie auch Anteil an der metaphysischen Wahrheit. Denn da die Gegenstände jedes sinnlichen Vorstellens singulär sind und folglich Repräsentationen singulärer Eigenschaften von Dingen enthalten, entsprechen sie jederzeit zumindest teilweise von jeder Empfindung unabhängig für sich existentem oder existiert habendem Seienden, d. h. irgendwelchen Substanzen. In dieser notwendigen Beziehung zu extramentalem Seienden liegt auch die epistemische Würde von Erdichtungen, die aus Teilen verschiedener vergangener und erneuerter bewusster Empfindungszustände bestehen: Indem ich Einbildungen zusammensetze und durch Trennen und Absondern, d. i. indem ich nur auf Teile einer bestimmten Wahrnehmung aufmerksam bin, dichte ich. Also habe ich das poetische Vermögen des Dichtenkönnens. Weil Zusammensetzung die Vorstellung 84  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

von Mehrerem als ein Einzelnes ist, daher sie mit dem Vermögen zur Wahrnehmung der Identitäten von Dingen verwirklicht würde, wird das Dichtungsvermögen durch die das Universum vorstellenkönnende Kraft der Seele verwirklicht.187

Auf den ersten Blick wird klar, dass es Erdichtungen nur im Bereich ästhetischen Vorstellens geben kann. Weil sie Kombinationen von Teilen von Einbildungen sind, werden in ihnen singuläre Teile von Empfindungszuständen zusammengesetzt, deren Gegenstand eo ipso ebenfalls singulär sein muss. Die facultas fingendi lässt sich so als Vermögen zur positiven Unifikation von Teilen sinnlicher Vorstellungen differenten Inhalts, mithin verschiedener Dinge oder auch verschiedener Zustände eines Dings fassen. Es geht also nicht um die Wahrnehmung aktualer Identität dieser Teile. Denn zum einen müssten diese nicht eigens vereinheitlicht werden, weil sie gar nicht verschieden sein könnten, und zum anderen kann es keine identischen singulären Teile verschiedener sinnlicher Vorstellungen geben. Es ist daher nicht der Witz, der für die Vereinigung diverser Teile zu einem Ganzen sorgt. Dies ist ja die Funktion des Dichtungsvermögens. Die Tätigkeit des Witzes ist vielmehr im Vorgang des Dichtens eingeschlossen, weil er die Möglichkeit des erdichteten Ganzen wahrnimmt, insofern seinen Gegenstand die Kompossibilitat der Teile bildet. Der Witz kann also bemerken, ob die Kombination tatsächlich zur Identität eines einzelnen Gegenstandes führt. Baumgarten verdeutlicht dies, indem er zwischen Fiktionen unterscheidet, die ästhetische Wahrheit besitzen, und Chimären, bei denen dies nicht der Fall ist: »Dies ist die Regel des Dichtungsvermögens: Teile von Einbildungen werden wie Ein Ganzes wahrgenommen. Die daraus entstandenen Vorstellungen werden etwas Erdichtetes (fictiones) und die falschen Chimären, leere Einbildungen, genannt.«188 Chimären sind aber nicht schlechthin unmöglich, denn man kann sie ohne Weiteres denken wie nominal definieren, wie etwa die Chimäre selbst: Ante leo, retroque draco, mediumque capella. Chimären sind vielmehr falsche, d. h. eigentlich gar keine Erdichtungen, und sie gehen auch nicht aus Teilen von Einbildungen hervor. Dann sie sind keine Vorstellungen singulärer Gegenstände, entsprechen also nicht dem Klarheitsgrad der vergangenen Empfindung, sondern müssten diese mit Universalia vermischen. Dass Erkenntnis  |  85

genau dies der Fall ist, erläutert Baumgarten im folgenden Paragraphen: Gesetzt, dass durch den Dichtenden Nicht-Vergesellschaftbares zusammengesetzt wird oder abgetrennt wird, durch wessen Abzug das Einzubildende hinweggenommen wird – wie wesentliche Bestimmungen, Wesen, Eigenschaften  – oder vom Dichtenden alle Zufälligkeiten, alle Verhältnisse oder bestimmte Zufälligkeiten, bestimmte Verhältnisse, welche, um ein Existentes und Individuelles einrichten zu können, notwendig sind, ohne durch andere ersetzt worden zu sein, hinweggenommen werden, er jedoch das Zu-Dichtende wie ein Individuelles und Existentes vorstellt, entstünden in diesen Einzelfällen durch einen Betrug des Vermögens, Identitäten von Dingen wahrzunehmen, (illusiones) Chimären und eben leere Einbildungen, die mit einem Fehler des Gedächtnisses durch scheinbare Wiedererkennung sehr bekräftigt werden können.189

Was Baumgarten ›Chimäre‹ nennt, ist also das Produkt einer Verwechslung einer gegenständlichen Vorstellung, die nicht durchgängig bestimmt ist, mit einer, die durchgängig bestimmt ist, d. h. eines Universals mit einem Individuum.190 Die Vorstellung eines existenten Individuums kann zum einen nur sinnlich sein, weil ihr Gegenstand singulär ist. Zum anderen muss sie zumindest in dunkler Weise auch die Welt enthalten, in der dieses Individuum existieren kann. Sonst nämlich wäre es nicht durchgängig bestimmt und folglich gar kein Individuum. Gerade dies ist aber bei chimärischen Vorstellungen der Fall. Denn sie enthalten genaugenommen keine Dunkelheit oder zumindest nicht die rechte Art von Dunkelheit bzw. keine, deren Differenzierung zur Einheit einer Welt führt. Die phantasmata, die das Material von Fiktionen bilden, repräsentieren allesamt vergangene Empfindungszustände, die aufgrund ihrer seinerzeitigen Bewusstheit einen bestimmten Klarheitsgrad aufwiesen, der in der Einbildung nicht mehr überschritten werden kann. Ihr Inhalt entspricht daher stets einem bestimmten, obzwar vergangenen Zustand dieser Welt. Daher enthalten die dunklen Teile dieser Vorstellungen auch alle Bestimmungen der aktualen Welt aus der Perspektive des wahrnehmenden und empfindenden Leibes. Jede Einbildung stellt also immer dieselbe Welt in verschiedenen Zuständen vor, und jeder bewusste Teil einer Einbildung ist genau deswegen singulär, weil er Teil der Gesamtvorstellung dieser, 86  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

d. h. der aktualen Welt ist. Die Tätigkeit des Dichtungsvermögens ist also prinzipiell auf mögliche Zustände dieser Welt festgelegt. Denn nur dann ist die Vergesellschaftungsfähigkeit bzw. die Kompossibilität der kombinierten Einbildungsteile gewährleistet, so dass ein singulärer Gegenstand sinnlich vorgestellt wird. Ein Gegenstand oder ein Zustand, der in dieser Welt nicht möglich ist, ist folglich kein möglicher Gegenstand einer Erdichtung, weil nur diese Welt gänzlich sinnlich vorgestellt werden kann. Diese Auffassung lässt sich an zwei klassischen Beispielen verdeutlichen, nämlich der Chimäre und dem horazischen Absurditätsverbot. Beide betreffen keine absoluten logischen Unmöglichkeiten, sind aber ästhetisch unmöglich. Offenkundig ist es kein Problem, den Begriff einer Chimäre zu bestimmen und durch dessen Anwendung ein Bild oder eine Beschreibung eines solchen Wesens zu identifizieren. Die ästhetische Unmöglichkeit liegt vielmehr darin, dass eine Chimäre nicht rein sinnlich, d. h. als singulärer Gegenstand, wie er unabhängig von seinem Vorgestelltwerden existierte, vorgestellt werden kann. Es ist zwar ohne Weiteres möglich, sich einen Gegenstand vorzustellen, der die auf einer bloßen Konvention beruhende Nominaldefinition von »Chimäre« – ante leo, retroque draco, mediumque capella – erfüllt. Dessen Vorstellung kann aber nicht in ihrem dunklen Teil die Welt enthalten, in der diese individuelle Chimäre Hildegard oder Erwin existiert. Denn aufgrund mangelnder bewusster Empfindungszustände, deren Inhalt Hildegard oder Erwin war oder auch nur sein könnte, gibt es keinen dunklen Vorstellungsteil, der ihre oder seine Singularität ausweist und bei entsprechender Aufmerksamkeit weiter differenziert werden könnte. Der Vorstellung einer Chimäre können zwar im Geiste oder in der Beschreibung beliebig, aber nicht unendlich viele Differenzierungen beigefügt werden. Diese müssen jedoch stets begrifflicher Natur, d. h. klar und deutlich, sein, da keine singulären Empfindungszustände, die Chimären beinhalten, zur Verfügung stehen. Dies mag zwar für Löwen, Schlangen und Ziegen gelten, aber deren Vereinigung zur Chimäre ist das Ergebnis einer logischen Konstruktion. Sie muss willkürlich vollzogen werden, weil kein sinnlicher Empfindungszustand möglich ist, der sie enthält. Die Existenz von Vorstellungen von Chimären ist m. a. W. von der Existenz des Begriffs einer Chimäre abhängig, ja sie besteht soErkenntnis  |  87

gar darin: Chimären sind logische Entitäten, d. h. reine Abstrakta, denen niemals eine Empfindung entsprechen kann.191 Also bleibt jede Vorstellung einer Chimäre, so differenziert sie auch sein mag, jederzeit universal und wird niemals singulär: Sie kann nur unter Gegebenheit ihres Begriffs überhaupt vorgestellt, aber niemals sinnlich empfunden werden. An der Vorstellung einer Chimäre ist deswegen nichts Dunkles, gerade weil sie unbestimmt bleiben muss. Folglich ist sie ästhetisch unmöglich – was indes wiederum nicht heißt, dass sie überhaupt nicht Gegenstand künstlerischer Produktion sein könnte. Dass der Begriff ästhetischer Möglichkeit an die Möglichkeit sinnlicher Empfindungszustände gebunden ist, zeigt auch Baumgartens Hinweis auf Horazens Einschränkung dichterischer Freiheit durch das Absurditätsverbot, das er im Paragraphen 456 seiner Ästhetik anführt: Ein solcher Traum oder solch eine fabelhafte Welt mögen hingegen entweder 1) Dinge hinstellen, die selbst dem Analogon der Vernunft widersprechen, sich gegenseitig aufheben und ungereimt sind, oder sie mögen 2) in den Augen deiner Betrachter schon oft das schwarze Theta der Vernunft und des Verstandes eingebrannt bekommen haben, so dass du sicher sein kannst, dass sie urteilen werden, dass auch jetzt alles was du denkst, gegen jede Vernunft ist. Solche Träume und solche fabelhaften Welten sollen aufgrund ihrer auch ästhetischen Falschheit des Feldes der anmutigen Überlegungen verwiesen werden. ›Und doch hatten Maler und Dichter/ seit je gleiche Freiheit zu wagen, was sie nur wollen./ Aber nicht so, dass sich Grimm mit Sanftmut verbindet, nicht so,/ dass Schlangen mit Vögeln sich paaren und Lämmer mit Tigern.‹192

Unbeachtlich der Rücksichtnahme auf mögliche Rezipienten und ihr Delete-Symbol geht es auch hier um ästhetische Absurdität, d. h. Unmöglichkeit. Denn dass sich sowohl Schlangen mit Vögeln – gelegentlich sogar Adlern – als auch Tiger – oder auch Löwen oder Wölfe – mit Lämmern vertragen, ist durchaus denkbar.193 Es gibt demnach mögliche Welten, in denen man solche Paarungen antrifft. Kein Empfindungszustand, der einen vergangenen Zustand dieser Welt repräsentiert, enthält aber diese Möglichkeit, weil sie die Wegnahme essentieller Eigenschaften der beteiligten Gegenstände involviert, die sich schlechterdings nicht ersetzen las88  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

sen, ohne gleichzeitig mit begrifflichen, d. h. logischen Mitteln eine vollständig andere Welt zu generieren. Da sich aber nur gänzlich sinnliche Vorstellungen fingieren lassen, deren Inhalt einen möglichen Zustand dieser Welt darstellt, sind die angeführten Beispiele ästhetisch unmöglich – wenngleich, wie schon bemerkt, keine unmöglichen Gegenstände künstlerischer Produktion. Sie muss dann freilich den Bereich rein sinnlichen Vorstellens und Erkennens überschreiten und folglich nicht mehr allein Fiktionen, sondern auch Abstrakta gebrauchen. Aus dieser Restriktion des Fiktionsbegriffs auf Sinnlichkeit folgt allerdings kein strenges Realismusgebot dergestalt, dass ausschließlich Vorstellungen von vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Empfindungszuständen ästhetisch möglich wären, die tatsächlich wirklich waren, sind oder sein werden. Vielmehr sind alle Vorstellungen bzw. ihr Inhalt ästhetisch möglich, die allein sinnliche Teile enthalten, also frei sind von Universalen oder anderen logischen Gegenständen, und nicht gegen die transzendentalen Wahrheitskriterien verstoßen. Demnach ist jede Vorstellung ästhetisch möglich, die ausschließlich aus Teilen sinnlicher Empfindungszustände zusammengesetzt ist: Wird sie etwa sprachlich mitgeteilt, muss dies auch  – um an Baumgartens berühmte Definition des Gedichts zu erinnern – mit einer »vollkommenen sinnlichen Rede«194 geschehen. Also ist auch jede mögliche Welt, die in dunkler Weise in solchen kombinatorisch entstandenen Fiktionen enthalten ist, legitimer Gegenstand ästhetischen Vorstellens. Es gibt daher mögliche Welten, die nicht logisch, sondern bloß ästhetisch zugänglich sind. Sie sind die Gegenstände der Dichtung. Ihre ästhetische Wahrheit besteht also offenkundig darin, Empfindungszustände des Vorstellenden und damit der Welt zu repräsentieren, deren Existenz unter der Bedingung der Einrichtung dieser, der aktualen Welt möglich wäre bzw. gewesen wäre. Alle ästhetisch vorstellbaren Welten, wie sie echte Fiktionen enthalten, sind folglich real möglich, und dies macht ihre ästhetische Wahrheit aus. Deshalb liegt der Grund der Möglichkeit ästhetischer Wahrheit in der sinnlichen Zugänglichkeit metaphysischer Wahrheit und deren Bewusstheit. Alle klaren Teile von Fiktionen repräsentieren nämlich Elemente vergangener metaphysischer Wahrheit, die in neuer Kombination sinnlich vorgestellt werden. Es kann demzuErkenntnis  |  89

folge keine ästhetische Wahrheit geben, die keine metaphysische Wahrheit enthält, was umgekehrt im Bereich des bloß logischen Vorstellens ohne Weiteres möglich ist. Die Dichter lügen also erst dann, wenn sie nicht mehr dichten. Jede ästhetisch mögliche Welt erhält ihre Möglichkeit von der metaphysischen Wahrheit her und eröffnet gleichzeitig einen Zugang zu dieser – unabhängig davon, ob sie die aktuale oder eine real mögliche Welt enthält. Da die Prägnanz einer solchen Vorstellung mit ihrer Dunkelheit und ihrer Fruchtbarkeit steigt, werden Fiktionen, die sich auf zukünftige Zustände beziehen, den jeweils höchsten Grad an Prägnanz besitzen. Denn sie enthalten ja alle zugänglichen und real möglichen Welten, d. h. alle Welten, die überhaupt unter der Vorgabe der Wahrnehmung des Universums aus der Perspektive des Leibes ästhetisch vorgestellt werden können. Die ästhetische Wahrheit einer Vorstellung fällt also mit der realen Möglichkeit ihres Gegenstandes in eins. Die mögliche Welt, die eine solche Vorstellung in dunkler Weise enthält, wird daher denselben Naturgesetzen folgen und dieselben Arten von Dingen und ihren Vermögen beheimaten wie die aktuale Welt. Die realmöglichen Einzeldinge, welche die metaphysische Beschaffenheit einer ästhetischen Welt ausmachen, werden indes in anderen zeitlichen und räumlichen Beziehungen zueinander stehen als die Dinge dieser Welt. Zur Singularität von Dingen gehört ihre zeitlich-räum­ liche Position im Universum, weil dieser gemäß die Aktualisierung derjenigen Vermögen bestimmt wird, welche ihre interne, metaphysische Identität begründen. Folglich ist kein Einzelding, das in einer ästhetisch möglichen Welt existiert, mit einem Einzelding, das in einer anderen oder dieser Welt existiert, identisch, und seine Existenz ist jeweils auf genau eine Welt beschränkt. Ästhetische Vorstellungen von ein und demselben Individuum, das in verschiedenen möglichen Welten zugleich oder nacheinander existiert, sind demzufolge unmöglich: Genauso wenig wie Gott ästhetische Vorstellungen haben kann, können auch keine ästhetischen Vorstellungen von Gott fingiert werden. Jede ästhetische Vorstellung enthält also eine Welt, die deswegen singulär ist, weil sie realmöglich ist. Hierin besteht auch ihre metaphysische Wahrheit. Denn es ist schlechterdings nicht zu sehen, wie eine reale Möglichkeit, die eo ipso singulär ist, anders vorgestellt oder erkannt werden 90  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

könnte als durch eine ästhetisch mögliche Vorstellung, deren Gegenstand ebenfalls nur singulär sein kann. Nun setzt aber nicht nur jede kontingente Wirklichkeit ihre reale Möglichkeit voraus, jede Generalisierung oder Universalisierung bzw. jede Erzeugung einer logischen Entität, die Kontingentes erfassen soll, setzt ebenso Singularität voraus. Soll also begriffliche Erkenntnis überhaupt Kontingentes zum Gegenstand haben können, muss sie entweder selbst ästhetischer Natur sein oder irgendwie von ästhetischer Erkenntnis herstammen. Diese enthält jedoch nicht nur die möglichen Inhalte von Begriffen, sondern auch die transzendentalen Kriterien der Wahrheit, denen gemäß etwas als Teil einer möglichen Welt bestimmt wird. Denn diese Kriterien können ja nach Baumgarten ebenfalls ästhetisch erkannt werden. Sie sind daher auch Teil der Welt, deren Realmöglichkeit sie zuallererst ermöglichen, weil eine materielle Welt, die nur Singuläres enthält, von sich aus gar keine logischen Möglichkeiten enthalten kann. Logische Möglichkeiten müssen deshalb eigens erst erzeugt werden. Ihre Erzeugung setzt nicht nur mentale Aktivität und Bewusstheit, sondern auch ästhetische Erkenntnis voraus, die selbst wiederum nur unter der Bedingung metaphysischer Wahrheit möglich ist. Die Existenz logischer Möglichkeiten ist also selbst kontingent, sofern diese irgendwie bestimmt sein müssen, ihre Gegenstände davon abhängen, dass sie gedacht werden, und ihre Bestimmung selbst ästhetische Erkenntnis, d. h. die kontingente Existenz sinnlich empfindender Wesen mit logischen Fähigkeiten, voraussetzt. Daraus folgt, dass ein nicht kontingent, sondern notwendig existierendes Wesen mit logischen Fähigkeiten nicht nur keine ästhetischen Vorstellungen haben kann, sondern auch über logische Gegenstände von anderer Art verfügen muss. Da aber beider Erkenntnis sich auf ein und dasselbe Universum bezieht, wird der Gegenstand der begrifflichen Vorstellungen des ewigen Wesens mit dem Gegenstand der ästhetischen Vorstellungen aller sinnlich empfindenden Wesen identisch sein. Das ewige Wesen wird demnach über klare und deutliche Individualbegriffe von allem Möglichen verfügen und hat deswegen weder Bedarf an ästhetischen Erkenntnissen noch an Universalen. Gottes Logik verfährt demnach intensional, während die Logik kontingenter Wesen extensional verfährt. Die fundamentale Funktion ästhetischer Erkenntnis besteht also darin, dass sie dem endErkenntnis  |  91

lichen, mithin vermittels extensionaler Logik erkennenden Geist nicht nur Erkenntnis von Kontingentem, sondern auch von Möglichem und Notwendigem ermöglicht, d. h. alle mögliche Erkenntnis überhaupt.

d) Analogon rationis

Nun mag zwar einigermaßen deutlich geworden sein, warum Baumgarten der Sinnlichkeit diese Funktion zuweist und was die Gegenstände ästhetischer Erkenntnis sein mögen. Dies wird aber eher weniger für die Frage gelten, wie denn die Sinnlichkeit ihre Funktion eigentlich erfüllt. Der Versuch ihrer Beantwortung steht vor dem notorischen Problem, mit begrifflichen Bestimmungen zu einem Bereich Zugang finden zu müssen, der solche seinem Wesen nach eigentlich ausschließt. Diese Schwierigkeit war auch Baumgarten durchaus bewusst. Er versucht, sie auf klassische Art zu lösen, indem er sie durch die Bildung einer Funktionsanalogie angeht. Dies zeigt sich an seiner berühmten Benennung der Sinnlichkeit als »analogon rationis«. Die Funktionsweise der Sinnlichkeit soll also von der Funktionsweise der Vernunft her geklärt werden. Dieses Vorgehen ist deswegen gerechtfertigt, weil die Gegenstände vernünftiger und sinnlicher Erkenntnis im allgemeinen zunächst einmal dieselben sind, d. h. die Dinge bzw. Möglichkeiten, die das aktuale Universum und alle von diesem aus zugänglichen möglichen Welten ausmachen. Auch erhellt daraus, warum Baumgarten die Bezeichnung »analogon rationis« erst am Anfang des Abschnitts über die Vernunft einführt. Denn jede Operation der Vernunft kann gar nicht anders als klar und deutlich bewusst sein, weil sie stets begrifflicher Natur ist: Die Verknüpfung nehme ich manchmal verworren, manchmal deutlich wahr. Also habe ich ein oberes Erkenntnisvermögen, das die Verknüpfung der Dinge wahrnimmt, d. i. die Vernunft, und die Vermögen, welche die Verknüpfung verworrener wahrnehmen, wie 1) das untere Vermögen, die Identitäten der Dinge zu erkennen, wozu der sinnliche Witz, 2) das untere Vermögen, die Unterschiede der Dinge zu erkennen, wozu der sinnliche Scharfsinn gehört, 3) das sinnliche Gedächtnis, 4) das Dichtungsvermögen, 5) das Beurteilungsvermögen, 92  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

wodurch Geschmacks- und Sinnenurteil, 6) die Erwartung ähnlicher Fälle, 7) das Vermögen der Kunde empfindbarer Zeichen. All diese, sofern sie beim Vorstellen der Verknüpfung der Dinge ähnlich sind, bilden das analogon rationis, die Zusammensetzung der Seelenvermögen, welche die Verknüpfung verworren vorstellen.195

Die Vernunft bezieht sich auf die Erkenntnis des nexus rerum universalis, in dessen Rahmen sich die Singularität der Dinge aktualisiert. Eben diese durchgehende Beziehung aller Dinge zueinander ist auch der Gegenstand des anaologon rationis. Dessen Ähnlichkeit zur Vernunft liegt im Vermögen zu jener Erkenntnis, d. h. in einer Qualität, bei gleichzeitiger quantitativer Differenz,196 die im geringeren Klarheitsgrad der Erkenntnis besteht. Denn diese muss stets verworren bleiben und kann niemals deutlich werden, wo­ raus zugleich ihre größere Fruchtbarkeit und ihre größere Nähe zur meta­physischen Wahrheit, ja ihre inhaltliche Identität mit dieser folgt. Zwar erkennt die ratio durch Vernunftschlüsse197 – also durch den Gebrauch der syllogistischen Figuren und der Varianten des modus ponens –, aber da hierbei alle gebrauchten Terme universal sein müssen, wird die Deutlichkeit dieses Verfahrens mit einer Entfernung von der metaphysischen Wahrheit erkauft, die in allen Teilen singulär ist. Das analogon rationis umfasst mehr Vermögen, als zur ästhetischen Erkenntnis realer Möglichkeiten erforderlich sind, enthält diese aber, sofern die ästhetische Erkenntnis dieses Universums sowohl die transzendentalen Wahrheitskriterien als auch die reale Möglichkeit des Zu-Erkennenden einschließen muss. Da aus der realen Möglichkeit einer Welt nicht ihre Aktualität folgt und der nexus rerum universalis das aktuale Universum ausmacht, müssen die weiteren sinnlichen Erkenntnisvermögen, die den Komplex des analogon rationis ergänzen, offenbar die Aktualität der ästhetisch erkannten Gegenstände betreffen. Baumgarten führt hierzu weitere drei Elemente an, nämlich das Urteilsvermögen (iudicium), die Erwartung des Ähnlichen (praesagitio) und das Vermögen der Zeichenkunde (facultas characteristica).

Erkenntnis  |  93

α) Urteilsvermögen

Das Urteilsvermögen bezieht sich stets auf »die Vollkommenheit und Unvollkommenheit der Dinge«.198 Den Begriff der Vollkommenheit bestimmt Baumgarten unter Rückgriff auf den Satz vom zureichenden Grund: »Wenn Viele zugleich genommen den zureichenden Grund eines Einzigen bilden, stimmen sie überein, die Übereinstimmung selbst ist Vollkommenheit, und das Eine, worin übereingestimmt wird, ist der Grund oder Brennpunkt der Vollkommenheit.«199 Vollkommenheit bezeichnet eine Beziehung verschiedener Elemente zueinander. Diese Beziehung heißt Übereinstimmung. Ihr Vorliegen begründet die Existenz eines Gegenstands, der verschieden sowohl von den ihn verursachenden Elementen als auch von deren Übereinstimmungsrelation ist. Er geht vielmehr als Einheit aus dieser Übereinstimmung der Vielheit hervor, ist sie aber nicht selbst. Die Vollkommenheit ist daher der Seinsgrund des Gegenstandes, während dieser selbst der Erkenntnisgrund der Vollkommenheit ist, insofern in ihm die Einheit bestimmt wird, die ihn zum einen von allen anderen Dingen unterscheidet und zum anderen zu einem Teil genau einer Welt macht. Die Vielheit der übereinstimmenden Elemente umfasst in diesem Fall nicht nur essentielle und akzidentielle Eigenschaften, d. h. die innere Vollkommenheit eines Dings, sondern auch seine Relationen zu den anderen Dingen, d. h. äußere Vollkommenheit.200 Äußere Vollkommenheit schließt daher innere ein, da jedes Ding intern vollkommen sein muss, um existieren zu können, und kommt nur Dingen zu, die Teil einer möglichen Welt sind. Dementsprechend besteht Unvollkommenheit entweder darin, dass »unter Vielen zugleich genommen einige nicht Gründe eines Einzigen sind« – dies ist ihr privativer Begriff –, oder darin, »dass unter Vielen zugleich genommen einige zu Einem übereinstimmen, einige zu dessen Gegenteil« – dies ist ihr konträrer Begriff.201 Nun zählt das iudicium zu den Erkenntnisvermögen. Also bildet seinen Gegenstand die Pluralität »vergesellschafteter und vorhergegangener verschiedenartiger Wahrnehmungen«, wenn es theo­ retisch ist, während es praktisch ist, wenn es sich auf Gegenstände der praevisio bezieht.202 Unabhängig von diesen Gegenständen gilt für das Urteilsvermögen allgemein: 94  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Das Gesetz des Beurteilungsvermögens ist: Durch entweder übereinstimmendes oder streitendes verschiedenes Wahrgenommenes eines Dings wird entweder dessen Vollkommenheit oder dessen Unvollkom­ menheit wahrgenommen. Weil dies bald deutlich, bald undeutlich geschieht, werden das Beurteilungsvermögen und daher das Urteil bald sinnlich, bald verstandesmäßig sein. Das sinnliche Urteilsvermögen ist der Geschmack in weiterer Bedeutung. Die Kritik in weitestem Sinne ist die Beurteilungskunst. Daher ist die Kunst, den Geschmack zu bilden bzw. über Sinnliches zu urteilen und sein Urteil vorzutragen, die kritische Ästhetik. Der sich des intellektuellen Urteils Erfreuende ist der Kritiker in weiterer Bedeutung, weswegen die Kritik in gemeiner Bedeutung die Wissenschaft von den Regeln, über Vollkommenheit und Unvollkommenheit deutlich zu urteilen, ist.203

Da der ausgebildete Geschmack nicht notwendigerweise zur Urteilstätigkeit gehört, braucht seine eigentümliche Leistung hier nicht diskutiert werden. Generell ist jedenfalls das sinnliche Urteilsvermögen noch vom »Urteil der Sinne« zu unterscheiden: »Der Geschmack in weiterer Bedeutung über die Empfindungsdinge, d. i. von dem, das man empfindet, ist das Urteil der Sinne und gehört zu jenem Sinnesorgan, durch welches das Zu-Beurteilende empfunden wird. Daher gibt es das Urteil der Augen, der Ohren usw. So wird dies wie jedes Beurteilungsvermögen durch die Kraft der Seele, das Universum vorzustellen, verwirklicht, weil alle Dinge dieser Welt teils vollkommen, teils unvollkommen sind.«204 Da sich nun das sinnliche Beurteilungsvermögen auf Relationen einer Pluralität von Vorstellungen von Empfindungszuständen beziehen muss, wenn sein Gegenstand Vollkommenheit bzw. Unvollkommenheit sein soll, ist klar, dass ein solches Urteil nicht allein die gerade präsente Empfindung nur eines Sinnes­organs enthalten kann. Ebenso wenig kann ein solches Urteil allein in der Vorstellung irgendeines möglichen oder auch eines gerade in der Empfindung präsenten Gegenstands bestehen. Denn es ist ja die Übereinstimmung des Vielen zu Einem und nicht das Eine selbst, das Vollkommenheit ausmacht. Die mentale Aktivität des Urteilens muss sich also auf den komplexen Einheitsgrund des vorgestellten Gegenstands beziehen, d. h. auf die Beziehung der Teilvorstellungen zueinander, die den Gegenstand konstituieren. Sie müssen also zumindest kompossibel sein. Ebenso sind sie sinnlicher Natur, d. h. sie sind jedenfalls singulär – seien sie nun Erkenntnis  |  95

Gegenstand präsenter Empfindung oder des Gedächtnisses. Die Übereinstimmung einer Pluralität sinnlicher Vorstellungen zur Einheit der Vorstellung eines einzelnen Gegenstandes bildet daher die innere Vollkommenheit eines kontingenten und realmöglichen Gegenstandes. Aus ihr folgt also noch nicht die Existenz des Dings, das Gegenstand des Urteils ist, und daher ebenso noch nicht seine Zuordnung zu genau dieser, aktualen Welt. Um dies zu erreichen, müsste ein positives Urteil über seine externe Unvollkommenheit vorliegen, das gleichbedeutend ist mit einem solchen über die interne Vollkommenheit dieser Welt. Da aber externe Unvollkommenheit interne einschließt, kann man, ohne über Bewusstsein der ersteren zu verfügen, nicht zu letzterer gelangen. Ein zutreffendes sinnliches Urteil dieser Art liefert also für sich genommen immer ein Teilbewusstsein der möglichen externen Vollkommenheit des vorgestellten einzelnen Gegenstands und zugleich der möglichen internen Vollkommenheit der aktualen Welt. Es fügt deswegen den transzendentalen Kriterien ästhetischer Wahrheit und der realen Möglichkeit des vorgestellten Gegenstands etwas hinzu. Dies zeigt sich an der Integration der Unvollkommenheit in den Bereich des Beurteilungsvermögens. Diese nämlich kann nicht nur privativ, d. h. negativ, sondern auch konträr, d. h. positiv, bestimmt werden. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass eine Vorstellung mehrere, verschiedene Gegenstände umfasst. Zwar negiert der erste Fall schlechthinniger Nicht-Übereinstimmung (non consensus simplex) aufgrund der Inkompossibilität der Teile schon die Möglichkeit des vorgestellten Gegenstands. Konträre  – und also positiv bestimmte  – Unvollkommenheit besagt jedoch nur, dass die Vorstellung nicht einen, sondern mehrere Gegenstände bzw. die Beziehung eines als Einheit vorgestellten Gegenstands zu anderen enthalten muss.205 Denn frei herumschwebende Eigenschaften ohne substantiellen Träger haben in Baumgartens Metaphysik keinen Platz. Damit aber enthält ein Urteil über konträre Unvollkommenheit auch den zureichenden Grund der Unvollkommenheit wenigstens eines von mehreren vorgestellten Gegenständen. Denn dieser kann nur in der Existenz eines oder mehrerer anderer einzelner Gegenstände liegen, von der einige akzidentielle Eigenschaften eines als Einheit vorgestellten Gegenstandes abhängen, weil sie nicht aus seiner Aktivität hervorgehen. Darin liegt seine Unvoll96  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

kommenheit und zugleich auch seine Kontingenz. Denn externe Bedingtheit von Existenz, mithin kontingente Zuständlichkeit ist äquivalent mit metaphysischer Unvollkommenheit. Dies bedeutet nun keineswegs, dass ein vorgestellter Einzelgegenstand inkompossible Eigenschaften enthielte, also intern unvollkommen wäre; er könnte dann ja in gar keiner Welt existieren. Es bedeutet vielmehr nur, dass nicht alle seine Eigenschaften aus seiner eigenen Aktivität hervorgehen. Das Urteil über die kontingente Unvollkommenheit eines vorgestellten Einzelgegenstands unter Aufrechterhaltung seiner transzendentalen wie realen Möglichkeit, d. h. seiner essentiellen und akzidentiellen internen Vollkommenheit, besagt folglich bloß, dass dieser in irgendeiner Welt existiert, welche diese auch immer sein mag. Die Tätigkeit des sinnlichen Beurteilungsvermögens ergibt also im Falle der positiven Bestimmtheit ihres Resultats stets die Integriertheit des Vorgestellten in einer Welt, ohne dass deswegen feststünde, dass der Vorstellende selbst Teil dieser Welt sein müsste.

β) Erwartung

Zur ästhetischen Erkenntnis der Verknüpfung der Dinge, d. h. zum analogon rationis, gehört nach Baumgarten weiterhin die praesagitio. Er bestimmt sie folgendermaßen allgemein: Wer eine vorhergesehene Wahrnehmung wie dieselbe, die er einmal wahrnehmen mag, vorstellt, erwartet etwas, also besitzt er das Vermögen, etwas zu erwarten, oder praesagitio in weiterer Bedeutung. Durch das Erwartungsvermögen verwirklichte Wahrnehmungen dieser Art sind Ahndungen überhaupt, die bald sinnlich, bald verstandesmäßíg sind. Ahndungen und das Vermögen, sich etwas ahnden zu lassen, sind nur sinnlich. Sinnliche Ahndungen sind der Gegenstand der ästhetischen Kunst der Vorbedeutungen.206

Das Erwartungsvermögen bezieht sich auf Zukünftiges, und zwar mit einem Klarheitsgrad, der die Identifikation möglicher zukünftiger Weltzustände erlaubt. Dies setzt die Anwendung des Satzes vom zureichenden Grund voraus, insofern ein gegenwärtiger oder vergangener komplexer Empfindungszustand als Grund eines bestimmten zukünftigen wahrgenommen werden soll. Eine solche Erkenntnis  |  97

Vorstellung kann aus zwei Gründen nur sinnlich sein: Zum einen muss sie dunkle Teile enthalten, da ansonsten dem Vorstellenden die Fähigkeit zugesprochen werden müsste, klare und deutliche Individualbegriffe von zukünftigen Zuständen seiner selbst und der Welt zu bilden. Dies ist a fortiori ausgeschlossen, da solches weder von gegenwärtigen noch auch von vergangenen möglich ist und Zukünftiges nach der lex praevisionis beides impliziert. Zum anderen können zwar Aussagen über contingentia futura in konditionaler Form gebildet werden. Diese bleiben aber unter Bedingungen extensionaler Logik – anders als im göttlichen Geist – aufgrund der Universalität der in ihnen gebrauchten Terme stets nur wahrscheinlich, wenn sie sich auf genau eine aktuale Welt beziehen sollen. Aussagen über Zukünftiges blieben daher hinsichtlich ihres metaphysischen Wahrheitsgehaltes selbst dann unentschieden, falls die Sequenz aller Weltzustände kausal verknüpft wäre, ohne interne Kontingenzquellen zu beinhalten. Es wären daher auf logischer Basis allenfalls Prognosen empirischen Inhalts über mögliche Arten zukünftiger Ereignisse zugänglich, die doch niemals deren Singularität, d. h. ihre metaphysische Wahrheit, so erfassten, dass ihnen eindeutig ein Wahrheitswert zugeschrieben werden könnte. Dennoch gilt, dass jeder metaphysisch wahre zukünftige Weltzustand gemäß der Sätze von Grund und Folge im gegenwärtigen und den vergangenen enthalten ist und daher auch prinzipiell gewusst werden kann. Dieses Wissen ist in verworrener Klarheit Gegenstand der praesagitio. Infolgedessen bezieht diese sich auf die zukünftige aktuale Welt, deren Teil der Vorstellende selbst ist. Diese Überlegung bestätigt auch das »Gesetz des Erwartungsvermögens«, das Baumgarten formuliert: »Das Gesetz des Erwartungsvermögens ist dies: Wenn in den nachfolgenden Wahrnehmungen der gegenwärtigen Wahrnehmung einiges vorgestellt wird, das teilweise Gemeinsames mit dem Vorhergehenden besitzt, wird dies teilweise Gemeinsame als enthalten im Vorhergehenden und Folgenden vorgestellt. Also verhält sich die Erwartung zum Vorhersehen so, wie sich das Gedächtnis zur Einbildung verhält.«207 Die Leistung der memoria besteht in der Identifikation des durch die phantasia vorgestellten Empfindungszustands als vergangenem eigenen. Ebenso erlaubt die praesagitio die Identifikation des durch die praevisio vorgestellten Empfindungszustands als zukünftigem 98  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

eigenen. Was beidenthalben auf jeden Fall gemein bleiben muss, ist die Identität des Vorstellenden. Ihr theoretisches Bewusstsein wird durch das Gedächtnis konstituiert und ihr praktisches Bewusstsein durch die Erwartung. Treffen beide zu, wie dies durchaus möglich ist, beziehen sich beide auf Empfindungszustände des Vorstellenden in der einen, aktualen Welt. Da die Erwartung im analogon rationis sinnlicher Natur ist, ist sie zwar grundsätzlich praktisch, weil auf die Zukunft bezogen, aber mangels Deutlichkeit und daraus folgender Absenz verpflichtender Normen, die jederzeit universalen Charakters sind, nicht moralisch. Gehört demnach die verstandesmäßige Erwartung der Moralphilosophie zu und gilt auch für diese die lex praesagitionis, ist sie im Blick auf die Sinnlichkeit weiter zu spezifizieren. Das tut Baumgarten im folgenden Paragraphen: Die sinnliche Erwartung ist die Erwartung ähnlicher Fälle, die diese Regel hat: Entweder ich empfinde oder bilde ein oder sehe vorher A, das mit einem anderen vorhergesehenem B viel gemein hat, daher stelle ich B als dasselbe Zukünftige zusammen mit A vor. Wem das Gemüt durch vergesellschaftete Individualbegriffe des Vorhergesehenen etwas erwartet, das er vordem nicht erwartete, vermutet vorher, daher besitzt er das Vermögen vorher zu vermuten, das sich zur Erwartung verhalten wird wie das Vermögen, sich worauf wieder zu besinnen, zum Gedächtnis.208

Gemäß dieser Regel stellt die Erwartung ein sinnliches Urteil über Zukünftiges dar, d. h. sie enthält nicht nur eine Vorstellung des eigenen zukünftigen Empfindungszustandes und damit bloß in dunkler Weise den entsprechenden Weltzustand, sondern eine klares und verworrenes Bewusstsein des eigenen zukünftigen Zustands in der Welt, d. h. die Beziehung des Vorstellenden zu wenigstens einem anderen und positiv bestimmten Einzelgegenstand. In der Erwartung wird daher die Identität des Vorstellenden zusammen mit der Identität der aktualen Welt vorgestellt. Dabei kann der vorgestellte zukünftige Zustand freilich nicht mehr als real möglich sein, jedoch ist es derjenige unter den unendlich vielen möglichen, der aufgrund der Sätze von Grund und Folge kontingenterweise wirklich sein wird. Zutreffende Erwartung erfasst daher die metaphysische Wahrheit dieser Welt auf verworrene Weise.

Erkenntnis  |  99

γ) Zeichen

Ist nun über ästhetische Wahrheit hinaus mit der Tätigkeit von Urteil und Erwartung die Bezugnahme der sinnlichen Erkenntnis auf diese aktuale Welt und das Bewusstsein dieser Bezugnahme gewährleistet, hat dies noch nicht die Einheit dieser Welt selbst als der einzigen aktualen zum Gegenstand, außerhalb derer nur Gott und das Mögliche existiert. Der Begriff der Einheit, die alles aktual Seiende samt seiner Gründe und Folgen integriert, ist der des nexus rerum universalis. Weil alles aktual Seiende, sofern es Teil dieser Welt ist, kontingent ist, kann seine Einheit zwar nicht hinsichtlich ihres transzendentalen, aber hinsichtlich ihres metaphysischen Wahrheitsgehalts ästhetisch erkannt werden. Das sinnliche Erkenntnisvermögen, das eben dies und damit die notwendige interne Vollkommenheit und die kontingente externe Unvollkommenheit der Welt zum Gegenstand hat, vollendet also die Analogie der Sinnlichkeit mit der Vernunft. Nach Baumgarten leistet dies das »Vermögen der Zeichen-Kunde«. Seine Analyse wird zugleich die Frage danach beantworten, was sinnliche Erkenntnis eigentlich ist. Er definiert diese facultas characteristica wie folgt: Ich nehme Zeichen zusammen mit dem Bezeichneten zugleich wahr; also besitze ich das Vermögen, Zeichen mit dem Bezeichneten, indem ich vorstelle, zu verbinden, welches Vermögen der Zeichen-Kunde genannt werden kann. Und weil es in dieser Welt einen Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem (nexus significativus) gibt, werden die Wahrnehmungen der facultas characteristica durch die Kraft der Seele, das Universum vorzustellen, verwirklicht. Der Zusammenhang der Zeichen wird bald deutlich, bald undeutlich erkannt, daher wird die facultas characteristica bald sinnlich, bald verstandesmäßig sein.209

Um die offenkundig zentrale Rolle der facultas characteristica für die vernunftanaloge Funktion der Sinnlichkeit zu verstehen, ist zunächst Baumgartens Begriff von Zeichen und Bezeichnetem und sodann das Verhältnis des nexus significativus zum nexus rerum universalis zu klären. Ersteren bestimmt Baumgarten wie folgt: »Das Mittel, um die Existenz eines anderen zu erkennen, ist das Zeichen, der Zweck des Zeichens das Bezeichnete. Daher ist das Zeichen die Quelle der Erkenntnis des Bezeichneten und zwischen 100  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Zeichen und Bezeichnetem der Zusammenhang der Zeichen, und das dem Zeichen Zukommende wird Bedeutung (Kraft, Macht) genannt.«210 Bezeichnetes und Zeichen stehen in einer Zweck-Mittel-Relation. Die Aktivität der facultas characteristica ist also intentional.211 Ihre Absicht besteht in der Erkenntnis von anderem, aktualem Seienden, d. h. einer Substanz, die sich in einem kontingenten Zustand befindet, mithin eines Einzeldings, also nicht in einer Vorstellung. Das Bezeichnete muss daher ein Ding sein, das von der aktualen Vorstellung verschieden ist, weil Vorstellungen keine Substan­ti­a lität zugeschrieben werden kann.212 Die Bedeutung des Zeichens muss begrenzt und von anderen Zeichen unterscheidbar sein, 213 weil Zeichen anhand ihrer Bedeutung unterschieden werden. Sind nun Zeichen intentional gebrauchte Mittel zum Zwecke der Erkenntnis, müssen sie eigens als solche ausgezeichnet bzw. gebildet werden, und zwar durch die Aktivität des Vorstellungsvermögens. Da die Funktion des Zeichengebrauchs als Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem von einem spezifischen Seelenvermögen übernommen wird, ist nicht jede Vorstellung schon von sich aus ein Zeichen, wenngleich jede Vorstellung als Zeichen fungieren kann, sofern ihr eine begrenzte Bedeutung zukommt. Das bewusste Vorstellen bestimmter Gegenstände konstituiert somit die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem. Die Tätigkeit der facultas characteristica weist demnach Vorstellungen Bedeutungen zu und macht sie so zu Zeichen, die zur Erkenntnis von anderem Seienden gebraucht werden. Dieser Aktivität vorausgesetzt ist demzufolge das Bewusstsein der fundamentalen Differenz von Vorstellendem und Vorgestelltem. Da dies aber noch keine positive Bestimmung des Vorstellenden selbst noch der Welt impliziert, in der er existiert, erfordert eine solche Erkenntnis des Vorstellenden durch sich selbst freilich ebenfalls den Gebrauch von Zeichen. Nun behauptet Baumgarten, dass es den Zusammenhang von Zeichen und Bezeichneten in dieser Welt gibt. Dies besagt zunächst nur, dass Wesen existieren, die Einzeldinge und sich selbst erkennen können und dies auch kontingenterweise – Erkennen ist ja ein intentionaler Akt  – tun. Baumgartens Behauptung betrifft also die aktuale Welt. Deren Einrichtung muss nämlich so beschaffen Erkenntnis  |  101

sein, dass Erkenntnis der Einzeldinge, die sie konstituieren, bzw. der Welt selbst möglich ist. Jede Verbindung klarer Vorstellungen, die den transzendentalen Wahrheitskriterien entspricht, ist eine Erkenntnis, weil sie die jeweilige Totalvorstellung des Universums differenziert, sofern dies durch eine positive Bestimmung geschieht.214 Es ist die positive Bestimmtheit einer Vorstellung, die sie für sich genommen bzw. ebenso unter Voraussetzung der Gegebenheit beliebiger anderer von jeder anderen unterscheidbar macht. Ein Zeichen ist demnach eine positiv bestimmte, komplexe Vorstellung eines Gegenstandes, die ein Ding bezeichnet, wie es unabhängig von der Vorstellungstätigkeit existieren kann. Der nexus significativus wird also durch die Vorstellungstätigkeit hergestellt. Dies vollzieht sich zwar aktiv, aber nicht produktiv dergestalt, dass etwas, das nicht empfunden würde, vorgestellt würde. Ein Zeichen macht demzufolge ein Ding, das existiert hat, existiert oder existieren wird, d. h. einen Teil genau einer aktualen Welt, zu einem bestimmten Gegenstand des Bewusstseins. Darin besteht die Funktion des Zeichens als Erkenntnisquelle. Dieses Mittel bezieht sich stets auf die Existenz eines Anderen. Hierin liegt solange kein Problem, wie jenes Andere ein Ding ist, das vom Vorstellenden verschieden ist. Dies ist allerdings auch dann so, wenn sich das Zeichen auf den Vorstellenden selbst bezieht: Denn dieser ist nicht bloß ein von der gegenständlichen Vorstellung seiner selbst verschiedenes Ding, sondern diese muss auch, wenn sie denn die gegenständliche Vorstellung eines Einzeldings positiv bestimmen soll, die Relation zu anderen Dingen enthalten. Weil auch der Vorstellende ein Ding in dieser einen aktualen Welt ist, besitzt er Eigenschaften, die ausschließlich von seiner Existenz in dieser Welt abhängen und zu seiner Realität bzw. Identität gehören und einerseits seine Singularität wie andererseits seine metaphysische Unvollkommenheit ausmachen. Sollen diese positiv bestimmt werden, erfordert das die Erkenntnis ihres zureichenden Grundes und daher eines anderen aktualen Seienden. Die Aktivität der Bestimmung der Bedeutung eines Zeichens führt daher zu einer Differenzierung der Totalvorstellung des Universums. Dies bedeutet nichts anderes, als dass das Zeichen jederzeit als ein Mittel zur Erkenntnis der Existenz von anderem gebraucht wird, solange die entsprechende Intention vorliegt. 102  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Hieraus erhellt die Beziehung des nexus significativus zum nexus rerum universalis. Letzterer konstituiert die Singularität dieser einen, aktualen Welt, indem er die Singularität ihrer Teile, d. h. der Dinge, bestimmt. Die Erkenntnis eines Dings dieser Welt ist demzufolge die Erkenntnis des nexus rerum universalis. Dieser ist vollständig in jeder sinnlichen Vorstellung enthalten, wenngleich aus der Perspektive des empfindenden Leibes. Unter der Voraussetzung von Bewusstheit ist er ebenso in jeder ästhetischen Erkenntnis enthalten, weil sie stets Erkenntnis von Einzelnem ist. Deren Verworrenheit, d. h. der mehr oder weniger große dunkle Anteil in ihr, ermöglicht erst die Enthaltenheit des nexus rerum universalis. Denn gäbe es jenen dunklen Anteil nicht, wäre die Erkenntnis klar und deutlich und müsste in einem vollständig analysierten Individualbegriff bestehen, der die Beziehung des durch ihn erkannten Dings zu allen anderen Dingen der Welt, in der es existiert, ausdrücklich einschließt: Die vollständige klare und deutliche Erkenntnis eines Einzeldings ist äquivalent mit der vollständigen propositionalen Erkenntnis dieser Welt.215 Solches steht zwar endlichen Geistern nicht zur Verfügung, dennoch besitzen sie das Vermögen, nicht nur zu erkennen, dass es genau eine aktuale Welt gibt, in der sie existieren, sondern auch sich selbst und andere Teile dieser Welt positiv zu bestimmen. Genau dies ist die genuine und unersetzbare Leistung ästhetischer Erkenntnis. Denn jede andere Erkenntnisart, die nicht Singuläres zum Gegenstand hat, sondern Universales, kann niemals zur Festlegung gelangen, dass genau ein Ding in genau einer, nämlich dieser aktualen Welt existiert, weil jeder in ihr gebrauchte Term auf der Möglichkeit nach unendlich viele Welten angewendet werden kann. Es ist aber diese Erkenntnis, welche die Tätigkeit der facultas characteristica verwirklichen müsste, wenn erst mit ihr die Analogie der Sinnlichkeit zur Vernunft vollständig hergestellt wird. Ihre Zeichen müssen daher selbst singulär sein. Sinnliche Zeichen sind somit die Mittel ästhetischer Erkenntnis und bestehen in mehr oder weniger differenzierten Vorstellungen von Singulärem. Ihre Singularität liegt präzise in ihrer verworrenen Klarheit bzw. ihrer anteiligen Dunkelheit. Demnach ist ihre verworrene Klarheit dasjenige, was eine Vorstellung zum Zeichen für die Singularität ihres Gegenstandes macht. Also wird aus der Erkenntnis  |  103

Verworrenheit der Vorstellung, sofern diese als ein Zeichen gebraucht wird, die Singularität, mithin die Aktualität des vorgestellten Dings als des Bezeichneten erkannt. Gerade weil dies nicht auf begrifflichem Weg geschieht, sondern durch die Bewusstheit eines Komplexes von Teilen gegenwärtiger, vergangener oder zukünftiger Empfindungszustände, ist sowohl Zeichen als auch Bezeichnetes singulär. Das Zeichen ist aber nicht schlicht mit einer vollständigen und klaren Vorstellung des Bezeichneten identisch. Vielmehr lässt ein jedes Bezeichnete eine unendliche Vielzahl von Zeichen zu. Denn deren Grad an Klarheit bzw. Differenziertheit dependiert von der mentalen Tätigkeit des Vorstellenden. Unterscheiden sich also Zeichen voneinander durch ihre Bedeutung, bildet ihr Klarheitsgrad das Kriterium ihrer Verschiedenheit. Denn wenn ein Zeichen aus mentaler Tätigkeit hervorgeht, deren Resultat nicht allein von der zeitlich-räumlichen Position des empfindenden Leibes determiniert ist, und jedes Einzelding demnach schon von ein und demselben vorstellenden Geist – freilich nur, sofern dieser endlich ist – auf unendlich verschiedene Weise benannt werden kann, dann können sich solche Zeichen nur noch anhand ihrer Identifikationsleistung unterscheiden, d. h. gemäß der Klarheit ihrer Bedeutung. Diese liegt in der größtmöglichen Restriktion der Variabilität der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, die ihr Maximum in einer Eindeutigkeit erreichte, die das Bezeichnete jederzeit zuverlässig identifizieren ließe. Solche Eineindeutigkeit bestünde in der Bewusstheit aller positiven Bestimmungen in der gegenständlichen Vorstellung eines Einzeldings. Das adäquate Zeichen für einen möglichen Gegenstand ästhetischer Erkenntnis wäre also ein echter Name. Nun stehen zwar der Sinnlichkeit keine Individualbegriffe als solche zur Verfügung, aber doch deren Inhalt, weil alle positiven Bestimmungen eines Dings Gegenstand zumindest in dunkler Weise sinnlichen Vorstellens sind. Diese können sukzessive zu Klarheit gebracht werden, obschon diese nie vollständig sein kann, solange die Vorstellung singulär bleiben soll, weil sie dann verworren bzw. anteilig dunkel ist. Dieser Klärungs- bzw. Differenzierungsprozess stellt, wenn er zum Zwecke der Erkenntnis vollzogen wird, eine so wenig mehrdeutige Beziehung wie gerade möglich und zweckmäßig von Zeichen und Bezeichnetem her. 104  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Dies erfordert aber ganz besonders die Klärung von Eigenschaften, die dem bezeichneten Ding nur deshalb zukommen, weil es in dieser und keiner anderen Welt existiert. Sowohl die Etablierung als auch die Klärung des Zusammenhangs von Zeichen und Bezeichnetem schließt daher das klare Bewusstsein, mithin die Erkenntnis des nexus rerum universalis ein. Denn jede positive Bestimmung eines Einzeldings, das in einer aktualen Welt existiert, ist nur durch ihre Beziehung zu allen anderen Dingen, die in derselben Welt existieren, so, wie sie ist, d. h. insofern das Ding Teil des nexus rerum universalis ist. Der nexus significativus ist also nur möglich aufgrund des nexus rerum universalis, da ohne diesen überhaupt keine Bedeutungsbeschränkung eines Zeichens möglich wäre. Denn dann könnte nicht nur jedes Zeichen alles bedeuten, sondern es müsste dann jedes Zeichen alles bedeuten. Unter der Voraussetzung der Gegebenheit des nexus rerum universalis, d. h. der Einheit einer Welt singulärer Dinge, schließt die Klärung der Bedeutung eines Zeichens notwendigerweise die Erkenntnis anderer Dinge als des bezeichneten ein, da es genau diese Einheit ist, welche die singulären Eigenschaften eines Dinges von der Existenz anderer Dinge abhängen lässt. Es ist also erst der Gebrauch von Zeichen, der nicht allein das Bewusstsein der Existenz genau einer aktualen Welt ermöglicht, sondern deren positive Bestimmung als diese oder jene, weil die Klärung der Bedeutung eines Zeichens die erkennende Bezugnahme auf andere Dinge und folglich den nexus rerum universalis impliziert. Weil dieser nichts anderes ist als diese eine, aktual existente Welt, vollendet die Tätigkeit der facultas characteristica die Analogie der Sinnlichkeit mit der Vernunft. Denn die Übereinstimmung aller Relationen zwischen allen aktualen, existenten Dingen bildet sowohl die notwendige innere Vollkommenheit dieser Welt, sofern sie als Einzelding unter unendlichen vielen anderen möglichen Einzeldingen betrachtet wird, als auch die gleichzeitige kontingente externe Unvollkommenheit jedes wirklichen Einzeldings, die sich aus der Perspektive eines zeitlichräumlich situierten empfindenden Wesen ergibt, das kraft seines differenzierenden Vorstellens der eigenen positiven Bestimmtheit sich dessen bewusst sein muss, selbst ein Teil dieser Welt zu sein.

Erkenntnis  |  105

δ) Anschauung

Nun ist der Gebrauch von Zeichen für jede Art von Erkenntnis durch einen endlichen, gemäß seiner zeitlich-räumlichen Position empfindenden Geist notwendig. Dementsprechend bezieht sich Baumgartens folgende Unterscheidung auf Erkenntnis überhaupt: Wenn Zeichen und Bezeichnetes durch den Wahrnehmenden verbunden wird und die Wahrnehmung mehr die des Zeichens als des Bezeichneten ist, nennt man eine solche Erkenntnis symbolisch, wenn die Vorstellung mehr die des Bezeichneten als des Zeichens ist, wird die Erkenntnis anschauend (cognitio intuitiva, intuitus) sein. In beider Erkenntnis ist das Gesetz des Vermögens der Zeichenkunde (facultas characteristica) dies: Die eine der verbundenen Wahrnehmungen sei das Mittel, um die Existenz von etwas anderem zu erkennen.216

Ganz offenkundig bildet die Unterscheidung zwischen symbolischer und intuitiver Erkenntnis keine Dichotomie, sondern benennt nur Extrema, zwischen denen eine Graduierung bzw. Mischung möglich ist. Dies entspricht genau den verschiedenen Arten von durch endliche Erkenntnis erreichbarer Gewissheit, die Baumgarten unterscheidet, nämlich ästhetischer, logischer und ästhetiko-logischer. Da er Gewissheit als Bewusstsein der Wahrheit einer Erkenntnis bestimmt 217 und Erkenntnis als solche wiederum durch Wahrheit 218 , erschöpfen die zwei Erkenntnisweisen alle drei Gewissheitsarten, deren dritte aus beiden Erkenntnisweisen gemischt ist. Der Vorstellungskomplex, der ästhetiko-logische Gewissheit ausmacht, enthält demnach sowohl Elemente symbolischer als auch intuitiver Erkenntnis, die in diesem Fall in der kontingenten Formation empirischer Begriffe resultieren und zu wahrscheinlichen Aussagen führen.219 Dementsprechend wäre einer rein symbolischen Erkenntnis logische Gewissheit, d. h. das Bewusstsein der bloßen Möglichkeit eines Gegenstands, zuzuordnen und einer rein intuitiven Erkenntnis ästhetische Gewissheit, d. h. das Bewusstsein der Wirklichkeit bzw. der Existenz eines Dings in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Schon hieraus erhellt Baumgartens These, dass allein intuitive Erkenntnis hinsichtlich des Handelns bzw. Entscheidens wirksam sei.220 Denn jedes ästhetische Urteil ist mit Ge- oder Missfallen verbun­den:

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Durch das Beurteilungsvermögen nehme ich die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit von etwas bestimmtem wahr. Vollkommenheit oder Unvollkommenheit erkenne ich bald symbolisch, bald intuitiv. Daher schaue ich entweder die Vollkommenheit eines bestimmten Gegenstandes an, und er gefällt mir, oder die Unvollkommenheit, und er missfällt mir, oder ich schaue weder dessen Vollkommenheit noch dessen Unvollkommenheit an, d. h. er gefällt mit weder noch missfällt er mir, und (ich bin dagegen gleichgültig) es ist mir gleichgültig. Was mir gefällt, schaue ich als Gutes in Hinsicht auf das Gute an, was mir missfällt, schaue ich als Übles in Hinsicht auf das Üble an. Mir Gleichgültiges schaue ich weder als Gutes noch als Übles noch in Hinsicht auf das Gute noch in Hinsicht auf das Üble an.221

Ist nun Anschauung das Mittel der ästhetischen Erkenntnis von Vollkommenheit und Unvollkommenheit, führt jede Betätigung des analogon rationis zu Ge- oder Missfallen. Es gibt also keine Anschauung ohne Ge- oder Missfallen. Denn völlig von der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit eines empfundenen Dings abzusehen hieße zugleich, von seiner Existenz abzusehen und damit im ästhetischen Erkennen den Gegenstand ästhetischer Erkenntnis zu negieren. Eine Anschauung ist daher ein sinnliches Urteil über die Wirklichkeit eines Dings, bei dem die Vorstellung des Zeichens hinter die Vorstellung des Bezeichneten zurücktritt. Der Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichneten ist hier folglich derart stark, 222 dass die Differenz von gebildetem Zeichen und bezeichnetem Ding gar nicht mehr oder kaum zu Bewusstsein kommt. Dies wird dann der Fall sein, wenn der dem Bezeichneten entsprechende Empfindungszustand, der dessen positive Bestimmtheit repräsentiert, selbst als Zeichen gebraucht wird. Ein solches singuläres Zeichen kann nur im Bewusstsein der Sinnesempfindungen bei der Wahrnehmung des bezeichneten Dings bestehen, da nur dies dessen vollständige Bestimmtheit umfasst. Eine Anschauung besteht also in nichts anderem als in der bewussten Beziehung einer sinnlichen Vorstellung auf ein bestimmtes Ding, d. h. in der Erkenntnis der Existenz von etwas anderem, ohne dass dies schon begrifflich von anderem unterschieden werden müsste. Die Betätigung des analogon rationis, die in der Anschauung ter­miniert, bringt selber einen bewussten Empfindungszustand hervor, nämlich Lust oder Unlust.223 Dabei führt die Anschauung Erkenntnis  |  107

von Vollkommenheit zu Lust, die Anschauung von Unvollkommenheit zu Unlust. Nun muss jedes Ding innere Vollkommenheit besitzen, d. h. hinsichtlich seiner essentiellen und der aus diesen ableitbaren Eigenschaften eine Einheit bilden, insofern es für sich genommen existieren können soll. Jedes Ding ist folglich in transzendentaler Hinsicht vollkommen und etwas Gutes.224 Zugleich muss auch jedes Ding extern unvollkommen sein, d. h. akzidentielle Eigenschaften aufweisen, deren Auftreten ausschließlich von der Existenz anderer Dinge abhängt. Jedes Ding, das in einer Welt existiert, muss also in dieser metaphysischen Hinsicht auch unvollkommen und etwas Übles sein. Dies gilt jedoch nur kontingenterweise, da solche Einschränkungen in der Aktualität des Komplexes seiner primären und sekundären Essentialia jederzeit durch die Existenz von anderem bedingt sind: In jedem existenten Ding liegen Vollkommenheit und Unvollkommenheit stets gemischt vor. Ebenso aber ist jedes Ding zugleich Teil einer Welt, die, insofern sie aktual und einzeln ist, innere Vollkommenheit besitzt, obschon sie wiederum extern unvollkommen ist. Wird demzufolge ein Ding Gegenstand intuitiver Erkenntnis, so enthält sie genau jene Einsicht in dessen Integration in den nexus rerum universalis, in dem die innere Vollkommenheit dieser aktualen Welt besteht. Die Singularität eines Zeichens, das die klare und verworrene Identifikation eines Dings ermöglicht und somit zugleich in dunkler Weise die Identität der einen, aktualen Welt – und damit auch die eigene Identität – enthält, führte also zu einer wahren intuitiven Erkenntnis der inneren Vollkommenheit der aktualen Welt – und damit auch der eigenen – und demnach zu einer Lustempfindung. Umgekehrt müsste so eine Unlustempfindung aus der intui­tiven Erkenntnis der externen Unvollkommenheit einzelner Teile derselben Welt, eingeschlossen den Vorstellenden selbst, hervorgehen, und diese müsste Dinge klar und verworren identifizieren, ohne dabei ihre Integration in den nexus rerum universalis, d. h. die Übereinstimmung der vielen unvollkommenen Dinge zur Einheit dieser Welt, einzusehen. Diese Betrachtung ist dabei keineswegs fehlerhaft: Jedes einzelne Ding ist ja tatsächlich, mithin in metaphysischer Hinsicht unvollkommen. Ein wahres intuitives Urteil über Unvollkommenheit braucht indes nicht das letzte Wort zu sein. Denn gerade weil es die Einschränkungen thematisiert, d ­ enen 108  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

der Komplex essentieller Eigenschaften eines Dinges dadurch unterworfen ist, dass es in einer Welt existiert, d. h. dass es Eigenschaften aufweist, die von der Existenz anderer Dinge abhängen, involviert ein solches Urteil die Beziehung zu anderen Dingen. Diese können wiederum aufgeklärt und als zur Weltordnung gehörig erkannt werden. Dies stellt den Kern von Baumgartens pointierter These dar, dass auch Hässliches schön gedacht werden kann und soll. Die anschauende Tätigkeit des analogon rationis ist sinnlicher Natur, d. h. sie terminiert in einer komplexen Vorstellung, die aus Teilen äußerer, d. h. auf Sinnesdaten bezogener, und innerer, d. h. auf Lust und Unlust bezogener, Empfindungszustände zusammengesetzt ist. Zugleich ist die aus der Anschauung resultierende Lust- oder Unlustempfindung das Kriterium für die intuitive Erkenntnis von Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, die beide naturgemäß gemischt sein können.225 Beidenthalben ist der Gegenstand dieser sinnlichen Erkenntnis mit sinnlichen Kriterien die metaphysische Wahrheit der Dinge, d. h. ihre Existenz. Sowohl ihre singuläre Bestimmtheit, die darin besteht, Teil genau dieser aktualen Welt zu sein, als auch ihre isolierte Betrachtung, die ihre Unvollkommenheit bzw. ihre Dependenz von anderen Dingen ergibt, mithin das transzendentale und zugleich kontingente Gute wie das kontingente Üble werden anhand arationaler seelischer Empfindungszustände erkannt, nämlich Lust oder Unlust. Diese Erkenntnis ist trotz ihrer Fehlbarkeit 226 deswegen nicht rational substituierbar, weil jede rationale Erkenntnis eines endlichen Geistes aufgrund ihrer Beschränkung auf rein extensionale Begrifflichkeit stets immer nur auf Mögliches, mithin Universales, bezogen bleibt, aber niemals sich auf Wirkliches, mithin Singuläres – wozu freilich auch das Realmögliche gehört – richten kann, das der exklusive Gegenstand sinnlicher Erkenntnis ist. Sinnlichkeit und Rationalität sind daher aufgrund ihrer Medien in der Tat kategorial verschieden, so dass die Erklärung ihrer Gemeinsamkeit als Erkenntnisvermögen durch eine funktionale Analogie ebenso gerechtfertigt ist, wie es die Betonung dieser Differenz durch das für die Sinnlichkeit gebrauchte Attribut der Arationalität sein mag.

Erkenntnis  |  109

ε) Interesse, gemischte Gefühle und Schönheit

Intuitive Erkenntnis besteht in einer Lust- oder Unlustempfindung bzw. einer Mischung von beiden. Baumgarten unterscheidet nun zwei Weisen, wie Vollkommenheit bzw. Unvollkommenheit, welche dieser Erkenntnis als ihr Gegenstand zugrunde liegt, in der Anschauung bewusst als Gutes bzw. Übles empfunden werden kann. Die erste davon betrifft den metaphysischen Zustand des Vorstellenden selbst, wie er auch bestünde, ohne wahrgenommen zu werden. Die Vorstellung des Empfindungszustandes ist dann also Zeichen für den Zustand des Vorstellenden. Baumgarten schreibt: Mir gut ist, wodurch, wenn es gesetzt worden ist, in mir eine positive Bestimmung gesetzt wird; mir böse, wodurch, wenn es gesetzt worden ist, in mir eine Verneinung in weiterem Sinne gesetzt wird. Weil ich meiner und meines Leibes und beider Zustand mehr, d. i. wahrer, klarer und gewisser, bewusst bin als vieler anderer Dinge, erhellt, warum die, welche ich als mir gut oder mir böse anschaue, größere ­Lüste und Un­lüste hervorbringen, als viele andere, obwohl ich diese bald besseren, bald schlechteren beurteilen mag. Unter den mir Guten und Bösen existieren manche außerhalb meiner, manche nicht; diese sind (innere) einheimische mir Gute, jene (äußere) von außen kommende, mir nützliche. Die inneren können mehr gefallen und missfallen als die äußeren.227

Auch wenn es hier um den Zustand des Vorstellenden selbst geht, ist dieser doch nichts weniger als »subjektiv« im ebenso modernen wie wenig klaren Sinne des Worts. Denn es geht hier um die Veränderung der Beschaffenheit des Vorstellenden, die zwar Gegenstand seines Bewusstseins sein kann, aber keineswegs muss und auch gar nicht in allen Teilen kann. Das Gute und Üble, von dem hier die Rede ist, ist gut oder übel hinsichtlich der Veränderung der Beschaffenheit des Vorstellenden und der davon bestehenden Empfindung, die ebenso unvollständig und gemischt wie scheinhaft sein kann. Pointiert formuliert: Man kann sich schlecht fühlen, wenn man sich in einem guten Zustand befindet, und umgekehrt. Die Bewusstheit des eigenen Zustands legt diesen also weder fest, noch ist sie identisch mit ihm. Er kann nur mit größerer oder geringerer, aber nie mit vollständiger Klarheit erkannt werden, wie dies bei jedem anderen Einzelding auch der Fall ist. 110  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Der Gegenstand einer Empfindung des für den Vorstellenden Guten oder Üblen ist eine Veränderung, d. h. die Setzung oder Wegnahme einer Eigenschaft, die vordem noch nicht oder bereits so oder so vorlag. Es muss sich dabei also um Akzidentien (affectiones) handeln, welche die Wirklichkeit, d. h. die singuläre Existenz, der ihrem Wesen nach nur möglichen Gegenstände ausmachen.228 Ihre Aktualität folgt entweder aus dem Wesen eines Dings, wenn es existiert, oder sie werden durch das Wesen eines Dings unter Voraussetzung seiner Existenz nur ermöglicht. Erstere  – in Baumgartens Terminologie: »Attribute«  – haben demnach in der Existenz eines Dings ihren zureichenden Grund, für letztere – »Modi« – ist die Existenz eines Dings nur notwendige Bedingung.229 Beide sind singulär: Attribute, weil sie in graduierter Ausprägung auftreten; Modi, weil ihr Vorliegen allein durch die essentiellen Bestimmungen des Dings beschränkt, also nur negativ bestimmt ist; und für beide gilt, dass ihre Wirklichkeit vom Zustand der Welt abhängt. Da die Wirklichkeit von Attributen durch die Essenz des Dings begründet ist, kann sie niemals von Übel sein. Dies kann daher nur durch die Abschwächung ihrer Ausprägung geschehen, wie umgekehrt deren Steigerung eine Veränderung zum Guten darstellen wird. Wenn weiterhin die Vollkommenheit eines Dings in seiner essentiellen Bestimmung besteht und diese das Vorliegen der Attribute begründet, wird jeder Modus, der deren Ausprägung begünstigt, gut sein und jeder Modus, der deren Ausprägung schmälert, von Übel. All diese Veränderungen zum Besseren oder Schlechteren besitzen einen zureichenden Grund. Dieser kann entweder intern oder extern sein, d. h. eine essentielle oder eine erworbene Eigenschaft des veränderten Dings selbst oder ein anderes Ding. Empfunden wird aber nur die hervorgebrachte Veränderung, und dies geschieht durch Lust oder Unlust. Diese liegen wiederum in der klaren und verworrenen Vorstellung des eigenen Empfindungszustands, die zumindest in dunkler Weise die Ursachen der Zustandsveränderung enthält. Die intuitive Erkenntnis des im Bezug auf den eigenen Zustand Guten oder Üblen ist indes auf diesen fokussiert, so dass sie die Ursächlichkeit der zustandsverändernden Dinge oder Eigenschaften voraussetzt. Es ist also genau diese Beziehung zum Vorstellenden, die sie überhaupt erst zum Gegenstand seiner Aufmerksamkeit und immerErkenntnis  |  111

hin möglicher weiterer intuitiver Erkenntnis macht. Der primäre Erkenntnisgegenstand bei der Intuition des subjektzentrierten Guten oder Üblen ist deswegen gerade nicht das zustandsverändernde Ding oder die zustandsverändernde Eigenschaft, sondern nur der eigene Empfindungszustand. Dies affirmiert zwar die perspektivische Gebundenheit des Vorstellens an die zeitlich-räumliche Posi­tion des eigenen Leibes und seiner Empfindungen in der Welt, blendet aber die empfindungsunabhängige Existenz der Dinge und Eigenschaften, welche die zureichenden Gründe für die Zustandsveränderung des Vorstellenden sind, zunächst aus. Aus dem nach Baumgarten zumindest graduell gegebenen privilegierten Zugang zum eigenen Zustand folgt daher nicht nur die im Verhältnis dazu größere Schwierigkeit der intuitiven Erkenntnis von Dingen und Eigenschaften, die den eigenen Zustand nicht in empfindbarer Weise zum besseren oder schlechteren verändern, sondern auch die größere Schwierigkeit, die Dinge und Eigenschaften zu erkennen, die genau dies tun. Mit einem Wort: Das natürliche Interesse an der Vollkommenheit des eigenen Zustands verdunkelt die Dinge, die vom Vorstellenden verschieden sind, insbesondere dann, wenn ihre Beziehung zu seinem eigenen Zustand nicht empfunden wird. Allerdings bedeutet diese Schwierigkeit keineswegs die Unmöglichkeit der intuitiven Erkenntnis von Eigenschaften und Dingen, an deren Existenz kein solches Interesse besteht. Denn schließlich ist auch dann, wenn nur der eigene Zustand Gegenstand intuitiver Erkenntnis ist, der aktuale Weltzustand in der entsprechenden Vorstellung auf dunkle Weise enthalten. Ebenso folgt aus der leichteren Zugänglichkeit des eigenen Zustands in keiner Weise die Notwendigkeit, ausschließlich auf diesen aufmerksam zu sein. Vielmehr ist es häufig genug der Fall, dass sich der eigene Zustand in so geringem Maße verändert, dass dies keinen Gegenstand bewusster Empfindung darstellt. So gehören normalerweise, d. h. wenn keine Störung auftritt, zum dunklen Teil der Vorstellung vom eigenen Zustand die meisten körperlichen Vorgänge, die, wie etwa Stoffwechselprozesse, allein der Aufrechterhaltung der leib­ lichen Existenz dienen und keine bewusste Aktivität erfordern, und mentale Vorgänge, die unterhalb der Bewusstseinsschwelle ablaufen, wie dies bei den petits perceptions der Fall ist. Da nun kein in dieser Welt existentes Ding schlechterdings gleichgültig 112  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ist 230 und Empfindung stets vorliegt, solange ein bewusst vorstellendes körperliches Wesen existiert, wird sich ein solches Wesen auch jederzeit in einem Zustand der Lust oder der Unlust befinden. Dieser ist aufgrund der metaphysischen Unvollkommenheit aller Dinge indes, wie es scheint, stets gemischt: Wenn ich etwas bloß als gut anschaue, entsteht daraus ein reines Vergnügen, wenn ich etwas bloß als übel anschaue, entsteht daraus nichts als Unlust, wenn ich etwas zugleich und gleichermaßen als Gutes und Übles anschaue, entsteht daraus ein Zustand einigen Gleichgewichts hinsichtlich jenes Gegenstands. Wenn ich etwas zugleich, aber ungleichmäßig als Gutes und Übles anschaue, wird entweder die Anschauung des Gegenstandes als Gutes mehr sein und es wird ein süßes Missvergnügen entstehen, oder die Anschauung des Gegenstandes als Übles wird mehr sein und es wird eine bittre Lust entstehen. Nun ist alles Endliche teils Gutes, teils Übles. Wenn ich also Endliches anschaue, wie es ist, kommt daraus kein reines Vergnügen, keine bloße Unlust, jedes Endliche wird teilweise gefallen und missfallen.231

Klar ist zunächst, dass Baumgarten hier nach wie vor vom tran­ szendentalen und metaphysischen Guten bzw. vom metaphysischen Übel spricht und nicht von moralischen Gegenständen. Ebenso klar ist, dass Ersteres in den wesenskonformen positiven Bestimmungen (realitates) eines Dings, das in der Welt existiert, besteht und Zweiteres in Bestimmungen, die eben diese einschränken bzw. negieren (privationes) und bereits mit der Existenz eines Dings in der Welt notwendig gegeben sein müssen. Schon daraus folgt die Unmöglichkeit reiner Lust und purer Unlust, die dem außerwelt­ lichen, jenseitigen Bereich, für den eher die Theologie zuständig ist, zugehören, bei der intuitiven Erkenntnis von Dingen dieser Welt. Sie führt vielmehr stets zu gemischten Gefühlen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sie sich auf ein kontingentes Ding bezieht, ›wie es ist‹. Die intuitive Erkenntnis eines Dings, wie es ist, bedeutet die Erkenntnis seiner metaphysischen Wahrheit, d. h. seines kontingenten Zustands in der Welt. Solche Erkenntnis ist einem seiner selbst bewussten und empfindenden Wesen, dessen Existenz selbst kontingent ist, überhaupt nur auf sinnliche Weise möglich. Ihr Inhalt besteht in der Singularität des Dings, d. h. seiner Aktualität in dieser Welt. Da die Singularität eines Dings durch seine Beziehungen zu allen anderen aktualen Dingen in dieser Welt posi­ Erkenntnis  |  113

tiv wie negativ bestimmt wird, enthält die Vorstellung des Empfindungszustands, die das singuläre Zeichen des in intuitiver Erkenntnis vorgestellten Gegenstandes ist, auch eben jene Relationen, welche die Integration des Dinges in den nexus rerum universalis ausmachen, der die aktuale Welt ist. Dieser ist zugleich der zureichende Grund sowohl für die metaphysische Unvollkommenheit jedes einzelnen Dings und dieser einzelnen Welt als auch für die interne Vollkommenheit der aktualen Welt. Letztere aber bildet die transzendentale Bedingung für die Existenz dieser wie auch jeder anderen möglichen Welt. Sie kann daher intuitiv nur insoweit klar erkannt werden, als die Beziehungen eines Dings zu anderen Dingen klar erkannt werden. Dies ist einem endlichen Wesen nur sehr eingeschränkt möglich, obgleich dies nichts an der prinzipiellen klaren und deutlichen Erkennbarkeit des nexus rerum universalis, seiner ›objektiven Gewissheit‹, ändert. Die partielle Dunkelheit, welche die Verworrenheit einer sinnlichen Erkenntnis definiert, enthält daher alle Elemente des nexus rerum universalis, die nicht Gegenstand des Bewusstseins des Vorstellenden sind, obwohl sie zu jeder seiner sinnlichen Vorstellungen gehören müssen, weil es sich dabei immer um singuläre Vorstellungen von Singulärem handeln muss. Jedoch können gar nicht all jene Elemente Gegenstände des Bewusstseins des Vorstellenden sein oder auch nur werden. Denn dazu gehört eine unendliche Vielzahl von leiblichen wie mentalen aktiven wie passiven Veränderungen, welche die Schwelle möglicher Bewusstheit aufgrund der kontingenten, aber essentiel­ len Beschaffenheit der Erkenntnisvermögen eines endlichen, empfindenden und seiner selbst bewussten Wesens unterschreiten. Sie können allenfalls Gegenstand abstrakter und empirischer, aber spekulativer Erkenntnis werden, die immer nur wahrscheinlich bleibt, so dass keine wahrheitsdefiniten Urteile über ihre Beschaffenheit möglich sind, wenngleich Bewusstsein von der Präsenz jener Veränderungen besteht. Weil es also Empfindungen gibt, die aus kontingenten, aber essentiellen Gründen niemals bewusst werden können, kann auch die Beschaffenheit des nexus rerum universalis niemals vollständig klar werden. Dafür aber, dass ein solcher besteht, dass mithin eine einheitlich geordnete Welt existiert, bürgt das aus Lust und Unlust gemischte Gefühl, das sich bei der intuitiven Erkenntnis eines jeden aktualen Dings einstellt. Es ist daher 114  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ihre Intuitivität, welche den metaphysischen Wahrheitsgehalt ästhetischer Erkenntnis durch das analogon rationis gewährleistet. Damit ist die Reichweite intuitiver Erkenntnis jedoch noch nicht erschöpft. Denn sie kann sich nicht nur auf als lustvoll oder lästig empfundene Veränderungen des eigenen Zustands des Vorstellenden und auf davon verschiedene Dinge in ihrer metaphysischen Beschaffenheit, d. h. das gesamte Universum, beziehen, sondern auch auf die Dinge, wie sie allein in der Sinnesempfindung durch die körperlichen Wahrnehmungsorgane erscheinen. Eine solche Sinnenerkenntnis kann sich gar nicht mehr auf denjenigen Vorstellungsbereich beziehen, der sich aus kontingenten, aber essentiellen Gründen dem Bewusstsein entzieht, sondern nur noch auf denjeni­ gen, der bewusst sein oder gemacht werden kann. Denn Erkenntnis durch die Sinne schließt zumindest die mögliche Bewusstheit äußerer Empfindungen ein, weil diese sonst keine äußeren mehr wären, sondern nur als petits perceptions den inneren Zustand der Seele veränderten. Die Gegenstände solcher externer intuitiver Erkenntnis sind nach Baumgarten Schönheit oder Hässlichkeit: Die Vollkommenheit eines Phänomens bzw. die dem Geschmack in weiterer Bedeutung wahrnehmbare ist Schönheit, die Unvollkommenheit eines Phänomens bzw. die dem Geschmack in weiterer Bedeutung wahrnehmbare ist Hässlichkeit. Daher ergötzt das Schöne als solches den Anschauenden, das Hässliche als solches ist dem Anschauenden beschwerlich. Durch veränderte Anschauung wird Lust und Unlust verändert. Nun ist alle meine Anschauung an sich veränderbar. Also ist alle meine Lust, alle Unlust in sich veränderlich. Welche trotzdem in den meisten Fällen schwierig zu verändern sind, werden beständige genannt, welche Lüste und Unlüste durch die beständigen leicht zu verändern sind, sind vergängliche.232

Schönheit und Hässlichkeit sind also ein Gegenstand der äußeren Sinnesempfindung. Das diesbezügliche Urteil ist ein Sinnenurteil, das die Übereinstimmung bzw. die Einheit einer Mehrzahl von Teilen intuitiv, d. h. begriffsfrei durch singuläre Zeichen, erkennt. Als schön oder hässlich scheinen also zuallererst Körper beurteilt zu werden. Denn nur solche sind sinnlich wahrnehmbar: »Das Wahrzunehmende (phaenomena) nennen wir, was wir durch die Sinne (verworren) erkennen können. Für uns nicht wahrzunehmende kleinere Körper werden Korpuskeln genannt. Die Philosophie, die Erkenntnis  |  115

das Wahrzunehmende der Körper aus den Korpuskeln erklärt, ist die Korpuskularphilosophie.«233 Es ist nicht jeder Körper oder alles Körperliche an einem Körper möglicher Gegenstand bewusster Sinneswahrnehmung, d. h. Phänomen. Phänomene, und damit mögliche Gegenstände der Beurteilung durch die Sinne als schön oder hässlich, dürfen vielmehr eine gewisse, aber nicht universal und eindeutig festlegbare Größe nicht unterschreiten. Das Kriterium für Phänomenalität ist also nicht sinnliche Empfindbarkeit überhaupt, die prinzipiell jedem materiellen Körper zukommt, sondern mögliche Bewusstheit der Empfindung durch die Sinnesorgane, d. h. Wahrnehmung. Die einzige Bedingung, die Dinge erfüllen müssen, um mögliche Phänomene zu sein, ist infolgedessen quantitativ. Kein Ding ist also von sich aus ein Phänomen, und nicht alle Dinge sind mögliche Phänomene. Was ein Ding zum Phänomen macht, ist seine bewusste Wahrgenommenheit durch die Sinnesorgane. Sowohl deren Empfindlichkeit als auch die Aufmerksamkeit, die Sinnesempfindungen zugewandt wird, sind kontingent und differieren von Fall zu Fall. Da die Aktualität von Phänomenen unter diesen singulären physischen und psychischen Bedingungen steht, sind auch Phänomene singulär. Phänomene sind daher singuläre mentale Entitäten, die aus verschiedenen einzelnen bewussten Sinnesempfindungen durch die Tätigkeit des analogon rationis zusammengesetzt werden. Ein intuitives Sinnenurteil bezieht sich also auf das Resultat dieser mentalen Tätigkeit, d. i. das Phänomen. Beurteilt wird folglich im Urteil über das Schöne oder Hässliche die Leistung des gesamten sinnlichen Erkenntnisvermögens eines einzelnen, seiner selbst bewussten Individuums. Diese Leistung ist im Falle des Urteils über das Schöne und Hässliche produktiv, da das beurteilte Phänomen immer erst erzeugt werden muss. Eine Unterscheidung zwischen Natur- und Kunstschönem, wie sie etwa Kant macht, ist daher überflüssig. Das Phänomen fungiert vielmehr so als singuläres Zeichen für den Zustand des sinnlichen Erkenntnisvermögens in einer bestimmten Wahrnehmungssituation. Weil der zureichende Grund dieses Zustands, der durch das Phänomen intuitiv erkannt wird, selbst die mentale Tätigkeit des Vorstellenden ist, folgt auch, dass Schönes oder Hässliches jeweils als solche Lust oder Unlust herbeiführen. Denn wenn Schönheit durch die Vollkommenheit 116  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

des bewusst Wahrnehmbaren definiert wird und dieses Phänomen durch die mentale Tätigkeit des Vorstellenden selbst hergestellt wird, dann kann eine solche Vorstellung gar nichts anderes als Lust herbeiführen, weil eine intuitive Erkenntnis von Vollkommenheit selbst in einem Gefühl der Lust besteht. Ein schönes Phänomen wäre sonach die Vorstellung eines Gegenstands, die ausschließlich positive Bestimmungen enthält, welche gemäß der transzendentalen Wahrheitsprinzipien zu einer Einheit übereinstimmen und aus der Sinneswahrnehmung von Körpern stammen, so dass in die Zusammensetzung des Phänomens keine internen sinnlichen Empfindungen des eigenen seelischen Zustands eingehen. Dasselbe gilt auch für hässliche Phänomene, freilich mit dem Unterschied, dass in ihnen negative Bestimmungen enthalten sein müssen. Dabei müssen phänomenal vorgestellten Gegenstände keine einzelnen Dinge repräsentieren. Unbeachtlich des Sachverhalts, dass solche Vorstellungen ohnehin unvollständig wären, weil auch ihr dunkler Teil weder Empfindungen des eigenen seelischen Zustands noch unwahrnehmbare Empfindungen, sondern nur Wahrnehmbares enthält, können sie ebenso nur einzelne wahrnehmbare Bestandteile eines einzelnen Dings wie wahrnehmbare Eigenschaften mehrerer Einzeldinge zu einer gegenständlichen Vorstellung zusammenfassen, die entweder ein Ding oder die Einheit mehrerer Dinge, wie etwa eine Landschaft mit Enten, darstellt. Ein schönes Phänomen hat folglich zum Gegenstand immer nur einen Teil einer Welt, wie er transzendental möglich ist, aber niemals eine ganze Welt, wie sie aktual existieren könnte. Zwar kann jener Teil, soweit das individuell Wahrnehmbare reicht, durch die Aktivität der vergangenheits- und zukunftsbezogenen Vermögen des analogon rationis vergrößert werden, aber dies wird nie zur phänomenalen Vorstellung einer ganzen Welt führen, deren Aktualität aufgrund der Unvollkommenheit jeder realmöglichen Welt notwendigerweise auch negative Eigenschaften enthalten müsste. Eine schöne – und damit auch schlechthin gute Welt – wäre immer unvollständig. Also ist Schönheit – aber auch Hässlichkeit – keine metaphysische Qualität von Dingen. Vielmehr ist Schönheit  – aber auch Hässlichkeit  – eine Qualität des Vorstellens, mithin eine psychologische Qualität. M. a. W.: Es gibt im metaphysischen Sinne keine schönen Dinge in der Welt, und es kann sie in keiErkenntnis  |  117

ner realmöglichen Welt geben. Denn es gibt keine externe Vollkommenheit in einer aktualen Welt, und die intuitive Erkenntnis des Schönen bezieht sich auf die transzendental mögliche externe Vollkommenheit eines Gegenstands. Daraus erhellt nun der auf den ersten Blick womöglich irritierende Befund, dass sich die allumfassende Erkenntnis Gottes nicht auf das Schöne erstreckt, dass Gott mithin keinen Sinn für Schönheit besitzt. Denn Gott erkennt nicht nur nicht mit Mitteln der Sinnlichkeit, weil er kein materielles Wesen ist, sondern Gott verfügt allein über alle metaphysischen Wahrheiten, d. h. über das Wissen über alle Dinge und ihre Zustände in allen möglichen Welten, die wiederum aufgrund von Gottes Allmacht auch alle existieren können müssen. Dies wirft das Problem auf, wie sich denn die intuitive Erkenntnis des Schönen zur metaphysischen Wahrheit verhält. Denn es scheint überzogen, schlicht die metaphysische Falschheit bzw. die Unmöglichkeit einer solchen Erkenntnis zu behaupten – zumal das Schöne in der Weise externer Vollkommenheit ja transzendental durchaus möglich ist. Zunächst ist indes festzuhalten, dass zwar jede Erkenntnis des Schönen eine ästhetische Erkenntnis ist, aber nicht jede ästhetische Erkenntnis das Schöne betrifft. Das angeführte Problem lässt sich dann auf die Frage bringen, wie sich ästhetische Wahrheit, deren Bedingung doch die reale Möglichkeit des Vorgestellten ist, zur Erkenntnis des Schönen verhält, das gerade nicht realmöglich ist, weil ihm die hierfür notwendige Unvollkommenheit abzugehen scheint. Trotzdem kann die intuitive Erkenntnis des Schönen nicht einfach in einem bloß negatorischen Verhältnis zur metaphysischen Wahrheit stehen, denn diese impliziert nicht nur die reale, sondern auch die transzendentale Möglichkeit eines Gegenstandes. Ebenso erfüllt ein schönes Phänomen auch das Singularitätskriterium metaphysischer Wahrheit. Denn wahrzunehmende Sinnesempfindungen können nicht universal sein, weil sie keine Begriffe enthalten können. Sie müssen folglich singulär sein. Das vorgestellte Phänomen ist also genauso singulär wie ein Ding, das unabhängig von jedem Vorgestelltwerden existiert. Nun ist aber das Phänomen ein singuläres Zeichen für einen mentalen Zustand des Vorstellenden. Dieser Zustand wird bewusst durch die Lust am schönen Phänomen bzw. die Unlust am hässlichen Phänomen, die sich not118  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

wendig einstellt. Die intuitive Erkenntnis des Schönen ist genau diese Lust. Ebenso wenig lässt sich aber ein Unterschied zwischen dem vorgestellten Phänomen und dem mentalen Zustand des Vorstellenden finden. Der Sachverhalt, dass die Aktivität des analogon rationis in einem schönen Phänomen resultiert, bedeutet ja gerade die Identität dieses Zustands mit dem Phänomen und gerade nicht das gleichzeitige Vorliegen zweier, voneinander verschiedener mentaler Zustände in ein und demselben Bewusstsein. Im Falle der intuitiven Erkenntnis des Schönen sind also Zeichen und Bezeichnetes identisch, und beide sind singulär. Daraus folgt aber nun keineswegs, dass ein schönes Phänomen ein transzendental möglicher und singulärer Gegenstand, aber leider gleichzeitig real unmöglich wäre, was einen offenkundigen Widerspruch darstellte. Denn das schöne Phänomen ist wirklich, indem es ein mentales Vermögen aktualisiert. Dies schließt seine reale Möglichkeit ein. Das schöne Phänomen ist jedoch nur wirklich als mentaler Zustand des Vorstellenden, dessen Erkenntnis in einem Gefühl der Lust besteht. Wenn das Schöne also ein mentaler Zustand eines seiner selbst bewussten und empfindenden Individuums ist, ist es ein Akzidens eben dieses Individuums. Also kann der durch das schöne Phänomen vorgestellte Gegenstand nur als Substanz nicht existieren, jedoch als Akzidens einer solchen. Das Schöne gehört daher deswegen zur metaphysischen Wahrheit, weil es ein singulärer Zustand eines Einzeldings ist. Und genau und nur in diesem Sinne besitzt auch Gott Erkenntnis vom Schönen, d. h. nicht insofern er daran Lust empfände und es also als schön erkennte, sondern allein insofern der Bewusstseinszustand eines Dings zu dessen metaphysischer Wahrheit gehört, die er weiß. Dessen Gegenstand, d. h. das, was als Phänomen vorgestellt wird, hat die Form externer Vollkommenheit. Externe Vollkommenheit besteht in der Übereinstimmung der Beziehungen (relationes),234 d. h. all jener möglichen Eigenschaften, die nur anhand der Relation eines Dings zu einem anderen Ding vorgestellt bzw. erkannt werden können, weil jene Relation die Existenz der Eigenschaft begründet.235 Diese sind beim Schönen auf durch die Sinne Wahrnehmbares beschränkt. Also stellt jedes schöne Phänomen mindestens eine materielle Substanz in externer Vollkommenheit vor, d. h. einen Teil einer Welt, die, insofern sie unabhängig von Erkenntnis  |  119

einer Vorstellung existieren soll, nicht real möglich ist, aber, sofern sie sinnlich vorgestellt wird, real möglich ist. Diese reale Möglichkeit besteht für jedes Wesen, dessen sinnliche Erkenntnisvermögen zusammengenommen das analogon rationis bilden. Sie kann daher unter der Voraussetzung der Gegebenheit bewusster Sinnesempfindungen jederzeit, aber kontingenterweise realisiert werden. Ein jedes seiner selbst bewusstes und sinnlich empfindendes Wesen besitzt folglich das Vermögen, jederzeit durch die aktive Erzeugung eines schönen Phänomens in der Vorstellung in einen Zustand der Lust zu gelangen. Dieses Ergötzen am Schönen erfüllt indes Baumgartens Definition des reinen Vergnügens (voluptas pura). Denn da die Vorstellung eines schönen Gegenstands keine negativen Bestimmungen enthält, kann ihr auch keine Unvollkommenheit beigemischt sein. Das schöne Phänomen stellt kein Ding vor, wie es ist, sondern nur, wie es in der Vorstellung sein kann. Es muss also in der intuitiven Beurteilung nicht das gemischte Gefühl herbeiführen, wie dies bei einem aktual existenten Einzelding der Fall ist. Ebenso wenig kann ein Interesse an der Existenz des phänomenal vorgestellten Gegenstands bestehen. Da dieser nämlich nur in der Vorstellung existieren kann, kann er auch nicht, ohne bewusst vorgestellt zu werden, den eigenen Empfindungszustand des Vorstellenden ohne seine darauf bezogene mentale Aktivität beeinflussen, wie dies bei zustandsverändernden Eigenschaften und Dingen der Fall ist, deren Wirkungen nicht allein von der vorstellenden Aktivität des Vorstellenden abhängen. Das analogon rationis eröffnet also nicht nur die Möglichkeit, die Dinge so, wie sie sind, d. h. ihre metaphysische Wahrheit, zu erkennen, sondern es eröffnet auch die Möglichkeit, jederzeit durch mentale Aktivität in einen Zustand reinen Vergnügens zu gelangen, dessen Erreichung wenigstens prinzipiell unabhängig vom stets gegebenen, mehr oder weniger lustvollen Empfindungszustand ist. Es ist daher hienieden ein Empfindungszustand möglich, der ausschließlich dem Jenseits vorbehalten schien. Das Ergötzen am Schönen ist zwar temporal beschränkt, weil es von den kontingenten Veränderungen der mentalen Aktivität intuitiven Urteilens abhängt, gleichwohl entspricht es auf sinnlicher Basis dem Zustand, in dem sich eine Seele günstigenfalls nach dem Ableben des Leibes befindet, nämlich reinem Vergnügen. Das Schöne 120  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

gewährt demnach – pointiert formuliert – eine Analogie der Empfindung des Himmels auf Erden. Ganz offenkundig kann der Besitz eines solchen Vermögens durch eine bestimmte Art von Wesen und seine gelegentliche Aktualisierung die Welt keinesfalls schlechter bzw. weniger vollkommen machen, als sie ohne dies wäre. Denn es ist schlicht keine negative Bestimmung denkbar, die aus der Aktualisierung dieses Vermögens folgen könnte. Sie betrifft ausschließlich die Seele des Vorstellenden, der dies Vermögen selbst verwirklicht, und versetzt diese in einen temporären Zustand reinen Vergnügens. Da in diesem Zustand eine intuitive Erkenntnis von Vollkommenheit besteht und das durch das schöne Phänomen Bezeichnete der Empfindungszustand des Vorstellenden selbst ist, der allein sinnlich Wahrnehmbares, d. h. der Möglichkeit nach Bewusstes, enthält, befindet sich das sinnliche Erkenntnisvermögen hier selber in dem ihm möglichen Zustand der Vollkommenheit. Jede aktual bewusste positive Bestimmung aus der Sinnesempfindung muss also in ihm zur Einheit eines Gegenstandes verbunden sein, der stets durch andere, gleichartige Bestimmungen erweitert werden kann, weil alles Dunkle in einer solchen Vorstellung der Möglichkeit nach bewusst und bestimmt ist. Es kann somit auch von der Vorstellung eines schönen Phänomens zu einer anderen übergegangen werden. Weil nun dieser seelische Zustand zur metaphysischen Beschaffenheit des Vorstellenden gehört, kann durch die Verwirklichung des Vermögens zur intuitiven Erkenntnis des Schönen die Vollkommenheit der Welt selbst nur vermehrt werden. Das Schöne ist folglich eo ipso auch etwas im metaphysischen Sinne Gutes, obwohl es in eben diesem Sinne nicht in der Welt als Substanz existieren kann. Vor diesem Hintergrund erhellt auch der mit dem Schönen verbundene Erkenntniswert. Seine intuitive Erkenntnis bezieht sich auf den Vorstellenden selbst. Indem er mit dem schönen Phänomen einen extern vollkommenen Gegenstand vorstellt, befinden sich seine sinnlichen Erkenntnisvermögen selbst in dem ihnen möglichen Zustand der Vollkommenheit. Dieser mentale Zustand »ist eine Wirkung des schön Denkenden«236 und gehört zu dessen eigener kontingenter metaphysischer Beschaffenheit. Es gibt dann ein akzidentielles, aber vollständig gutes Element am empfindenden Individuum, nämlich seinen Bewusstseinszustand. Da jedes IndiErkenntnis  |  121

viduum nur genau einen Bewusstseinszustand zugleich besitzen kann, erkennt es im schönen Phänomen ungeschmälerte Vollkommenheit. Diese ist Teil der aktualen Welt, insofern sie Akzidens des Vorstellenden ist. Im schönen Phänomen erkennt der Vorstellende also aktual existente Vollkommenheit. Er erkennt sie intuitiv, also handelt es sich um singuläre Vollkommenheit. Weil solche nicht für sich genommen bzw. unabhängig vom Vorstellenden existieren kann, gibt es keine andere Möglichkeit zur Erkenntnis vollständiger, aktualer und singulärer Vollkommenheit in der Welt außer in der intuitiven Erkenntnis des Schönen. Der Erkenntnisgegenstand korrespondiert also dem Empfindungszustand, in dem die Erkenntnis selber besteht: So wie dieser in reinem Vergnügen liegt, liegt jener in reiner Vollkommenheit, die es sonst beide nur bei und in Gott gibt. Während also die einzigartige Funktion ästhetischer Erkenntnis im Allgemeinen in ihrer unmittelbaren Beziehung auf die aktuale metaphysische Wahrheit der existenten Welt liegt, besteht die einzigartige Funktion der intuitiven Erkenntnis des Schönen in ihrer Eröffnung der einzig möglichen Quelle zur Erkenntnis externer Vollkommenheit in dieser und jeder anderen möglichen Welt. Und dieser Gegenstand wird durch den Vorstellenden vermittels der mentalen Tätigkeit intuitiven Erkennens selbst produziert.

e) Ästhetik als Erkenntniskunst

Dass Baumgarten der Ausbildung bzw. Vervollkommnung der sinnlichen Erkenntnisvermögen überragende Bedeutung zuweist, kann vor diesem Hintergrund nicht mehr verwundern. Sie ist der Zweck der Ästhetik als einer Kunstlehre intuitiver Erkenntnis. Die dadurch angestrebte »Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solche«237 ist nichts anderes als die Erzeugung von Schönheit im Vorstellen, d. h. das im Idealfall jederzeit durch die Aktivität des analogon rationis zu verwirklichende Vermögen zur Vorstellung schöner Phänomene. Dies nennt Baumgarten »schön denken« (pulcre cogitare). Es ist prinzipiell gegenstands- bzw. dingneutral. Denn es bezieht sich primär und allgemein auf die intuitive, sinnliche Erkenntnis selbst, d. h. die Erzeugung schöner Phänomene und die damit äquivalente Lustempfindung. Daher kann »Hässliches 122  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

als solches schön gedacht werden und Schöneres hässlich«.238 Dies folgt schlicht schon daraus, dass es in keiner möglichen existenten Welt vorstellungsunabhängige schöne oder hässliche Dinge bzw. Substanzen gibt. Solches existiert im Falle des Schönen nur in der gegenständlichen Vorstellung eines einzelnen Dings oder eines Ensembles mehrerer Dinge von externer Vollkommenheit. Dies impliziert interne Vollkommenheit. Weil das Schön-Denken Denken von Vollkommenheit sein muss, besteht die Schönheit des vorgestellten Phänomens in singulärer Ordnung, die aufgrund ihrer Sinnlichkeit bzw. Singularität nicht nur ein Mögliches, sondern ein Wirkliches vorstellt. Die Verworrenheit einer solchen Vorstellung besteht in ihrer indefiniten Erweiterbarkeit um andere phänomenale Elemente bzw. in der Möglichkeit zum Übergang auf gleichartige Vorstellungsgegenstände.239 Die intuitive Erkenntnis des Schönen ist also konstruktiv, mithin synthetisch und nicht analytisch, ohne dass hieraus freilich zu folgen bräuchte, dass die entsprechende metaphysische Wahrheit nicht analytisch sein könnte. Ihr gegenständlich bestimmtes Mittel, d. h. das inhaltlich bestimmte Phänomen, kann sowohl mental bleiben als auch physisch dargestellt werden.240 Das vorgestellte Phänomen ist zugleich der mentale Zustand des intuitiv Erkennenden. Daher bildet es einen extern vollkommenen akzidentiellen Teil des intern vollkommenen nexus rerum universalis. Dieser Teil wird durch den Erkennenden selbst konstruiert. Das Material seiner Konstruktion, d. h. Teile von Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmungen, die als solche ihrerseits wiederum akzidentielle Teile des metaphysischen nexus rerum universalis sind, wird analytisch durch Aufmerksamkeit und Abstraktion gewonnen und durch die Tätigkeit des analogon rationis zur Einheit gebracht. Dabei steigt die Vollkommenheit des Produkts dieser Tätigkeit mit seiner Komplexität. Je mehr singuläre Teile von Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung also zur gegenständlichen Einheit eines Phänomens gebracht werden, desto größer wird die intuitiv zu erkennende Vollkommenheit und folglich zugleich das empfundene Vergnügen und ebenso die metaphysische Vollkommenheit der aktualen Welt. Wenn aus der Tätigkeit des analogon rationis, sofern sie zur intuitiven Erkenntnis des Schönen führt, sowohl eine Verbesserung Erkenntnis  |  123

des Zustands des Vorstellenden selbst als auch der Welt im Ganzen hervorgeht, die gar keine schädlichen, mithin vollkommenheitsreduzierenden Folgen haben kann, ergibt sich geradewegs eine moralische Pflicht zur Vervollkommnung der sinnlichen bzw. unteren Erkenntnisvermögen, welche den Zweck von Baumgartens Aesthetica als Kunstlehre sinnlicher Erkenntnis bildet: »Die unteren Vermögen dürfen von den Ästhetikern nicht, insofern sie verderbt sind, erweckt und bestärkt werden, sondern sie müssen von ihnen gelenkt werden, damit sie nicht durch verkehrte Übungen noch mehr verderbt werden und damit uns nicht unter dem faulen Vorwand, dass ein Missbrauch vermieden werden müsse, der Gebrauch einer uns von Gott gegebenen Gabe genommen werde.«241 Neben diesen unmittelbaren und durch die Entwicklung anderer Fähigkeiten nicht substituierbaren Leistungen eines geschulten analogon rationis trägt dessen Vervollkommnung auch mittelbar zur vernünftigen Erkenntnis der Welt bei: »Bei demjenigen, der schön denken will, werden die bedeutenden unteren Vermögen, und zwar als natürlich entwickelte, erfordert. Diese können nun allerdings nicht nur mit den höheren, natürlich entwickelten bedeutenden oberen Vermögen zugleich bestehen, sondern sie werden für jene auch als unerlässliche Bedingung erfordert.«242 Es ist also keine vernünftige, mithin klare und deutliche Erkenntnis möglich ohne ästhetische, mithin klare und verworrene Erkenntnis. Ästhetische Erkenntnis ist notwendige Bedingung begrifflicher bzw. propositionaler Erkenntnis. Begriffliche Erkenntnis bedarf infolgedessen der Gegebenheit bewusster Gegenstände in der Vorstellung und hätte überhaupt keinen möglichen Gegenstand, ohne dass dieser nicht schon Gegenstand ästhetischer Erkenntnis gewesen wäre. Also muss jedem Begriff, der in Gebrauch genommen wird, in irgendeiner Weise eine klare und verworrene Vorstellung irgendeines Gegenstandes zugrunde liegen. Dies scheint auch für die Relationen zwischen Begriffen bzw. ihre Verknüpfungsregeln gelten zu müssen. Denn diese waren ja in Form der transzendentalen Bedingungen ästhetischer Wahrheit ebenso bereits in sinnlicher Erkenntnis enthalten. Zumindest der Gebrauch der Logik durch ein seiner selbst bewusstes und sinnlich empfindendes Wesen setzt also ästhetische Erkenntnis voraus, während deren Möglichkeit schon durch die Existenz der Welt gewährleistet 124  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ist, weil diese einen einheitlich geordneten Zusammenhang bildet. Zu beachten ist dabei, dass eine solche, auf ästhetischer Basis zu entwickelnde Logik ausschließlich universale Gegenstände haben kann, also stets extensionaler Natur sein muss. Denn die Singularität der Gegenstände sinnlichen Vorstellens sorgt zugleich mit ihrer unmittelbaren Beziehung zur metaphysischen Wahrheit der aktualen Welt für die Verworrenheit ästhetischer Erkenntnis. Die Logik, die einem endlichen Geist zum Gebrauch offensteht, ist also zwar nicht hinsichtlich ihrer Funktionsweise, aber hinsichtlich ihrer Gegenstände verschieden von der Logik, die ein unendlicher Geist gebraucht. Deren Gegenstände sind nämlich ausnahmslos singulär, so dass sie intensionaler Natur sein muss.

3. Logik

Die Logik bildet nach Baumgarten den zweiten Teil des Organon. Sie muss extensionaler Natur sein. Setzen die Gegenstände der extensionalen Logik nun ästhetische Erkenntnis voraus, dann fällt ihre Behandlung ebenfalls in den Bereich der Psychologie. Ihre Bildung setzt damit kontingente Wirklichkeit voraus. Dies unterscheidet die universalen Gegenstände extensionaler Logik von den singulären Gegenständen intensionaler Logik. Individualbegriffe  – in Baumgartens Terminologie: »Ideen«  – erfassen Dinge. Dinge sind durchgängig bestimmt und deswegen von allen anderen möglichen Dingen unterscheidbar. Infolgedessen können Individualbegriffe nicht durch Attention und Abstrak­ tion in Bezug auf bestimmte Teile erzeugt werden. Denn dies widerspräche ihrer durchgängigen Bestimmtheit und ihrer absoluten Unterscheidbarkeit. Individualbegriffe enthalten daher keine universalen Teile und können demzufolge nur Gegenstand intensionaler Logik sein. Die Erzeugung von Individualbegriffen kann nun nicht schon die Existenz von Dingen voraussetzen. Denn sonst wäre die Anzahl möglicher Dinge stets relativ zur Anzahl wirklicher Dinge, da immer nur deren Eigenschaften kombiniert werden könnten. Es muss aber unendlich viele mögliche Dinge geben, da sonst die Möglichkeit von Dingen die Wirklichkeit von Dingen voraussetzte. Erkenntnis  |  125

Es verhält sich aber umgekehrt: Die Möglichkeit von Dingen gilt unbedingt bzw. absolut, die Wirklichkeit von Dingen ist bedingt bzw. kontingent. Es gibt also entweder alle möglichen Individualbegriffe oder keinen. Alle möglichen Individualbegriffe in ihrer Übereinstimmung zur jeweiligen Einheit einer jeden möglichen Welt bilden den notwendigen Inhalt eines unendlichen Geistes:243 Seine Unendlichkeit besteht genau darin, dass er sie in intensional-begrifflicher Form klar und deutlich denkt. Ein endlicher Geist hingegen kann zum einen nur diejenigen Individualbegriffe klar und verworren erkennen, welche sich auf die Dinge beziehen, die in dieser Welt existieren, und er kann zum anderen nur diejenigen individuellen Gegenstände in der intuitiven Erkenntnis des Schönen oder Hässlichen konstruieren, welche sich aus der Kombination von Teilen ästhetisch erkannter Individualbegriffe ergeben. Für das Denken und Erkennen des endlichen Geistes ist daher die Wirklichkeit, d. h. die Existenz der aktualen Welt, jeder denk- oder aussagbaren Möglichkeit vorausgesetzt. Was möglich ist, kann durch den endlichen Geist klar und deutlich nur durch universale Begriffe erkannt werden, so wie umgekehrt was metaphysisch wirklich ist durch ihn nur klar und verworren erkannt werden kann. Das Mittel klarer und deutlicher Erkenntnis ist die Logik. Die Erzeugung ihrer Gegenstände setzt ästhetische Erkenntnis voraus. Weil jede extensionallogische Erkenntnis durch einen endlichen Geist Universalbegriffe voraussetzt, muss der Übergang von klarer und verworrener, d. h. ästhetischer, Erkenntnis zu klarer und deutlicher, d. h. logischer, Erkenntnis mit der Begriffsbildung geschehen. Daher ist zu Beginn einer Darstellung der Logik Baumgartens Theorie der Begriffsbildung zu untersuchen, bevor die Verbindung von Begriffen zu wahren oder falschen Sätzen, deren Verbindung zu Schlüssen und der Begriff der Wahrheit erörtert werden können.

a) Begriffsbildung

Die Funktion der Begriffsbildung erfüllt das Vermögen zu deutlicher Erkenntnis, d. h. der Verstand (intellectus).244 Dabei darf nicht vergessen werden, dass bereits das Vorliegen einer bewussten, d. h. 126  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

von anderem differenzierten und daher komplexen Vorstellung als Erkenntnis zu gelten hat, so dass jeder bewusster Gedanke eine Erkenntnis darstellt.245 Erkenntnis impliziert daher noch nicht schon so etwas wie die Wahrheit einer Aussage, sondern nur Bewusstheit eines mentalen Gegenstandes und d. h. auch dessen Möglichkeit. Da nach Baumgarten »ein Begriff die Vorstellung eines Einen in einem Denkenden« ist,246 hat auch ein isolierter Begriff schon als Erkenntnis zu gelten. Denn er fungiert, sofern er klar ist, als ein aus verschiedenen Merkmalen zusammengesetztes Zeichen, das dazu hinreicht, seinen Gegenstand bewusst vorzustellen und ihn auf diese Weise von anderen Gegenständen zu unterscheiden.247 Gilt dies auch für die in ihm enthaltenen Merkmale, so handelt es sich um einen klaren und deutlichen Begriff,248 der dann seine Aufgabe erfüllt, d. h. »hinlänglich« (completus) ist, wenn er den vorgestellten Gegenstand anhand der in ihm enthaltenen Merkmale »von allem unterscheidet, das unterschieden werden soll«.249 Die Bildung eines klaren und deutlichen Begriffs hat also einen bestimmten Zweck. Dieser besteht von sich aus keineswegs in der Unterscheidung alles Unterscheidbaren überhaupt, sondern nur in der Unterscheidung dessen, was unterschieden werden soll. Es gilt also nicht der wolffsche Imperativ, so lange zu unterscheiden, bis es nichts mehr zu unterscheiden gibt. Ebenso wenig ist die intellektuelle Tätigkeit der Begriffsbildung demnach auf das Ziel der Erzeugung von Individualbegriffen festgelegt, das sie ohnehin nicht erreichen könnte  – der einschlägige Begriff der Idee spielt deswegen über seine, allerdings systematisch zentrale, Einführung in Paragraph 44 hinaus auch keine weitere Rolle mehr in der Logik. Braucht ein Gegenstand nicht von allen anderen möglichen Gegenständen überhaupt unterschieden zu werden, kann sein Begriff stets universal und braucht nie singulär zu sein. Denn um beliebig viele gegebene Gegenstände, die aufgrund ihrer Kompossibilität nie alle überhaupt möglichen sein können, voneinander unterscheiden zu können, genügt es, jeden Begriff eines Gegenstandes durch Hinzufügung eines weiteren Merkmals so weit zu spezifizieren, bis die erforderliche Trennschärfe erreicht ist, obwohl unter den erreichten Begriff immer noch der Möglichkeit nach unendliche viele Dinge fallen und er also universal bleibt. Baumgarten geht es um eine Theorie der Begriffsbildung im Rahmen extensionaler Logik. Erkenntnis  |  127

Dabei wird das Verstandesvermögen in zwei Arten von Tätigkeiten verwirklicht, die ebenso für die sinnliche Erkenntnis grundlegende Bedeutung besitzen, jedoch im Prozess der Begriffsbildung weitere Differenzierung erfahren. Dabei handelt es sich um Aufmerksamkeit (attentio) und Absonderung (abstractio): »Weil ich das Vermögen der Aufmerksamkeit, oder auf etwas zu achten, und der Absonderung, oder sich etwas aus den Gedanken zu schlagen, und des Trennens und Absonderns eines Teils vom Ganzen habe, und diese sich an Empfindungen, Einbildungen, Vorhersehungen usw. zeigen, je nachdem sich deren Gegenstände zu meinem Leib verhalten, werden sie durch die das Universum nach der Stelle des Leibes vorstellende Kraft der Seele verwirklicht.«250 Das Material der Begriffsbildung sind also alle Resultate der Tätigkeit der sinnlichen Erkenntnisvermögen, d. h. jede ästhetische Erkenntnis. Also ist intellektuelle Begriffsbildung beschränkt auf diejenigen Gegenstände, von denen bewusste sinnliche Empfindungen möglich sind. Diese sind wiederum durch die zeitlichräumliche Positionierung des Vorstellenden beschränkt. Die Reichweite der Begriffsbildung ist daher jeweils individuell gemäß der kontingenten Perspektive des Vorstellenden – aber auch gemäß der kontingenten Ausprägung seiner unteren wie oberen Erkenntnisvermögen – beschränkt, sofern sie nicht durch fremde Zeugnisse erweitert wird. Sie kann also niemals allumfassend bzw. unendlich werden. Klar und deutlich können aufgrund dieser individuellen bzw. regionalen Beschränkung allenfalls immer nur Teile der aktualen Welt und Möglichkeiten ihrer einheitlichen Geordnetheit erkannt werden. Deshalb kann sich klare und deutliche Erkenntnis im Falle des endlichen Geistes nicht auf alle möglichen Welten überhaupt erstrecken, sondern nur auf diejenigen, die von dieser Welt aus zugänglich sind, in denen mithin Begriffe Anwendung finden können, die auf der Basis sinnlicher Empfindungen gebildet wurden. Alle klar und deutlich vorstellbaren möglichen Welten müssen daher durch Kombinationen von Begriffen entstehen, die aus dem Material der Empfindung der aktualen, existenten Welt gebildet worden sind. Daraus folgt zugleich, dass es möglich sein muss, von jeder ästhetischen Erkenntnis aus durch Aufmerksamkeit und Absonderung zu einer klaren und deutlichen Erkenntnis der transzendentalen Prinzipien zu gelangen, die für jede mögliche 128  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Welt Geltung besitzen. Wie die Begriffsbildung vor sich geht, fasst Baumgarten im Paragraphen 33 der Logik zusammen. Er macht sogleich klar, dass es sich dabei um eine intentionale Aktivität handelt: »Der einen deutlichen Begriff bilden will, 1. ist auf den Gegenstand des Begriffs aufmerksam (attendat), 2. überlegt (reflectat) im Bezug auf dessen Merkmale, 3. vergleicht (comparet) diese, im Bezug auf die er überlegt hat, 4. abstrahiert von den nicht Verglichenen, 5. ist auf den Zusammenhang und die Ordnung der Ver­ gliche­nen aufmerksam.«251

α) Attentio – Aufmerksamkeit

Die Aufmerksamkeit richtet sich zuerst auf den Gegenstand des Begriffs. Dieser ist aber nicht einfach das vorstellungsunabhängig existierende Ding, da jede logische Erkenntnis bewusste und bestimmte sinnliche Empfindung, d. h. ästhetische Erkenntnis, voraussetzt. Der Gegenstand des Begriffs muss daher der Gegenstand einer ästhetischen Erkenntnis sein, d. h. die singulär bestimmte Vorstellung eines Empfindungszustandes. Der zu bildende Begriff ist also jedenfalls die Vorstellung einer Vorstellung, genauer die deutliche Vorstellung eines Teils einer verworrenen Vorstellung. Dieser Teil muss in seiner singulären Bestimmtheit bewusst sein, d. h. das Material der Begriffsbildung besteht in den Merkmalen, die den Gegenstand der ästhetischen Erkenntnis zumindest von allen anderen gegebenen differenzieren; – alle anderen deswegen, weil sonst bereits die ästhetische Erkenntnis universale Elemente beinhalten müsste, um das, was hier unterschieden werden soll, und das, was gerade nicht unterschieden werden soll, auseinanderzuhalten. Die Aufmerksamkeit bei der Bildung klarer und deutlicher Begriffe richtet sich also zuerst auf den Komplex singulärer Merkmale, die den Gegenstand einer ästhetischen Erkenntnis ausmachen und die selbst wiederum von verschiedenen Graden der Klarheit sein können. Der Gegenstand selbst ist beliebig, und der Prozess der Begriffsbildung beginnt und verläuft intentional, d. h. er setzt eine wie auch immer geartete Entscheidung des Vorstellenden zu klarer und deutlicher Erkenntnis zumindest irgendeines Teils dieser oder jener klaren und verworrenen Erkenntnis voraus. Erkenntnis  |  129

Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit stets auf den klarsten unter ihren gegebenen möglichen Gegenständen: »Das Gesetz der Aufmerksamkeit ist: Das nehme ich klarer als anderes wahr, dessen mehr, dessen weniger dunkle Merkmale als andere ich wahrnehme.«252 Dass der Begriffsbildungsprozess intentional verläuft und sein Gegenstand beliebig ist, bedeutet demnach nicht Beliebigkeit der Gegenstandswahl. Denn attendiert wird der jeweils differenzierteste Teil der Gesamtvorstellung des Universums. Der Gegenstand der Aufmerksamkeit unterliegt daher einer Art regionaler Präferenz: Denn wenn der Inhalt sinnlicher Empfindung von der zeitlich-räumlichen Position des Leibes des Vorstellenden abhängt, werden zeitlich und räumlich entferntere Dinge oder eben solche, die sich bewusster Sinnesempfindung ganz entziehen, jedenfalls weniger Aufmerksamkeit erhalten als näher liegende. Es gibt also sowohl externe, physische, als auch interne, psychische Gründe dafür, dass ein Vorstellungsausschnitt Gegenstand der Aufmerksamkeit wird. Diese reichen zwar zu, genau einen solchen Ausschnitt zum Gegenstand der Begriffsbildung zu machen, da es aus jeder Perspektive des Universums unter den Bedingungen der individuellen Beschaffenheit der sinnlichen Erkenntnisvermögen des Vorstellenden immer nur einen differenziertesten Teil der Gesamtvorstellung geben kann. Jene Gründe determinieren den Vorstellenden aber nicht zu klarer und deutlicher Erkenntnis. Denn sonst wäre zum einen bloß ästhetische Erkenntnis ausgeschlossen und dürfte immer nur als Voraussetzung begrifflicher Erkenntnis auftreten, und zum anderen müsste ebenso die Konzentration auf die klare und deutliche Erkenntnis einer ähnlich, aber weniger klaren Gegenstandsvorstellung ausgeschlossen sein. Ist solchermaßen ein komplexer Gegenstand der Aufmerksamkeit gegeben, werden in der Überlegung (reflexio) die verschiedenen ästhetisch erkannten Merkmale der singulären Gegenstandsvorstellung gesichtet. Diese muss, wie bereits früher betont, nicht die Vorstellung genau eines Dings sein. Da sie aber singulär ist, müssen all ihre Elemente Zuständlichkeiten repräsentieren. Jedes dieser Merkmale wird nun in der Reflexion für sich genommen betrachtet.253 Soweit Bewusstsein ihrer Differenz besteht, wird damit die ästhetische Gegenstandsvorstellung in ihre Bestandteile zerlegt. Also macht die Reflexion alle ihre Bestandteile bewusst, soweit 130  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

diese zur Vorstellung eines bestimmten Gegenstandes genügen, mithin irgendwie klar sind. Da auch hier wieder unterschiedliche Klarheitsgrade möglich sind, spezifiziert Baumgarten das Gesetz der Aufmerksamkeit zur Regel der Reflexion: »Daher ist die Regel der Reflexion: An welchem Teil ich bei der Wahrnehmung des Ganzen mehr weniger dunkle Merkmale wahrnehme, auf diesen bin ich vor den übrigen aufmerksam.«254 Nun ist klar, dass jeder Teil einer ästhetischen Erkenntnis irgendwelche dunklen Merkmale einschließt, da er singulär ist. Darin besteht ihre wesentliche Verworrenheit. Zugleich genügt sie jedoch auch zur Identifikation eines einzelnen Gegenstandes, der bewusst vorgestellt wird. Darin besteht ihre Klarheit. Die Reflexion hierarchisiert die Vorstellungsteile demnach gemäß ihrem Klarheitsgrad und damit zugleich ihrem Potential zur eindeutigen Identifikation eines Gegenstandes, der so lange ein einzelner bleibt, wie in seiner Erkenntnis dunkle Elemente enthalten sind, die Erkenntnis mithin ästhetisch bleibt. Daraus ergibt sich ohne Weiteres das Kriterium der vergleichenden Aufmerksamkeit (comparatio). Es besteht im Klarheitsgrad der durch die Reflexion auseinandergehaltenen Vorstellungsteile. Demnach formuliert Baumgarten als Regel der Comparatio: »Die Regel der Vergleichung ist diese: Indem ich auf die Teile der ganzen Wahrnehmung reflektiere, deren mehrere und klarere Merkmale ich wahrnehme, bin ich auf diese (sc. die ganze Wahrnehmung) danach mehr aufmerksam.«255 Die Comparatio führt also zur Konzentration der Aufmerksamkeit auf diejenigen Vorstellungsteile mit dem größten Identifikationspotential. Diese könnten zwar für sich und zusammengenommen kein Einzelding vorstellen, weil der Vorstellung die durchgängige Bestimmtheit fehlt, zu deren Vollständigkeit die dunklen Teile gehören. Sie bleiben jedoch noch in der Vorstellung enthalten, wenngleich der Vorstellende ihnen als solchen keine eigene Aufmerksamkeit widmet, etwa indem er sie weiter zu differenzieren sucht. Die in Reflexion und Comparation attendierte Vorstellung bleibt also noch singulär.

Erkenntnis  |  131

β) Abstractio – Absonderung

Der für die Deutlichkeit begrifflicher Erkenntnis entscheidende Schritt von der Singularität zur Universalität der Vorstellung geschieht durch die Tätigkeit der Abstraktion, d. h. des Vermögens der ›Absonderung, oder sich etwas aus den Gedanken zu schlagen‹. Das Resultat des Abstrahierens besteht also in der Eliminierung von Bewusstseinsgegenständen, d. h. hier von Vorstellungsteilen. Wenn nun tatsächlich durch die Abstraktion singuläre Vorstellungsgegenstände universalisiert werden sollen, müssten es die dunklen Vorstellungsteile sein, die abgesondert werden, weil sie der Grund der Verworrenheit einer klaren Vorstellung sind. Damit müsste ebenso die unmittelbare Beziehung der singulären Vorstellung, die ästhetische Erkenntnis ist, zur metaphysischen Wahrheit enden. Wiederum formuliert Baumgarten ein Gesetz und eine Regel: »Das Gesetz der Abstraktion ist dies: Welcher weniger, welcher weniger klare Merkmale ich wahrnehme, wie sie Merkmale von anderen sind, werden sie dunkler als die anderen vorgestellt. Daher ist die Regel des Abtrennens: An welchem Teil bei der Wahrnehmung des Ganzen weniger und weniger klare Merkmale sind, wie von anderen, dieser wird dunkler als die anderen wahrgenommen.«256 Vorausgesetzt ist der Abstraktion die Gegebenheit eines atten­ dierten Gegenstandes. Ist dies der Fall, so besteht Bewusstsein über den relativen Klarheitsgrad seiner Merkmale, insofern es einen Gegenstand geben wird, dessen ästhetische Erkenntnis am differenziertesten, d. h. differenzierter als die anderer Teile der Gesamtwahrnehmung, ist. Der Klarheitsgrad der Vorstellung des attendierten Gegenstandes ist daher insgesamt höher als der Klarheitsgrad anderer Vorstellungsteile. Die Aufmerksamkeit richtet sich also von Natur aus – ohne deswegen determiniert zu sein – auf den einzelnen Gegenstand, der in der sinnlichen Erkenntnis klarer als die anderen vorgestellt und dadurch von diesen unterschieden wird. Dabei sind allerdings alle Merkmale dieses Gegenstandes, sofern sie klar vorgestellt werden, in der ästhetischen Erkenntnis enthalten. Insbesondere gilt dies auch für seine negativen Eigenschaften, die ihren zureichenden Grund in der Beziehung des klar vorgestellten Gegenstandes der Aufmerksamkeit zu anderen Gegenständen haben, die weniger klar vorgestellt werden. Genauer: 132  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Diejenigen Eigenschaften anderer Gegenstände, welche die negativen Eigenschaften des attendierten Gegenstandes verursachen, werden in jedem Fall weniger klar bzw. dunkler vorgestellt als die Merkmale des attendierten Gegenstandes, seien diese positiv oder negativ. In dieser Inklusion negativer Merkmale besteht nun offenkundig der Unterschied zwischen der ästhetischen Erkenntnis eines einzelnen Gegenstandes der Aufmerksamkeit, die stets auf die metaphysische Wahrheit des aktual existenten Dings bezogen bleibt, und der sinnlichen Erkenntnis des Schönen, die einen extern vollkommenen einzelnen Gegenstand vorstellt, der nur in einer extern vollkommenen Welt möglich wäre und deshalb nicht realmöglich ist. Die Tätigkeit der Absonderung bezieht sich nun genau auf die Eigenschaften anderer Gegenstände als des attendierten, auch wenn diese gemäß seiner Eingebundenheit in den nexus rerum universalis bestimmende Funktion für ihn besitzen. Der Vorstellende schlägt sich also – um Baumgartens treffenden Ausdruck zu verwenden – gerade die dunklen Teile der Vorstellung eines einzelnen Gegenstandes aus den Gedanken. Weil es aber gerade diese Elemente sind, welche die Singularität des vorgestellten Gegenstandes ausmachen, da diese in seiner durchgängigen Bestimmtheit durch den nexus rerum universalis bestehen, kann auch der vorgestellte Gegenstand nach vollzogener Abstraktion nicht mehr singulär sein. Führt folglich die Tätigkeit der Abstraktion dazu, dass in der Vorstellung eines Gegenstandes keine dunklen, sondern nur noch klare Teile übrig behalten werden, kann der vorgestellte Gegenstand nicht mehr singulär, sondern muss universal sein. Vorgestellt wird dann nicht mehr ein Ding, sondern ein Begriff. Dies bestätigt auch das Gesetz des Verstandes, das Baumgarten formuliert: »Das Gesetz meines Verstandes ist dieses: Wenn ich vergleichend vom Nicht-Verglichenen abstrahiere, ist das Übrige das deutlich Wahrgenommene. Und weil mein Verstand endlich ist, ist dieses Gesetz das Gesetz des endlichen Verstandes, der, indem ich attendiere, reflektiere, vergleiche, abstrahiere und abtrenne, durch die das Universum vorstellende Kraft der Seele verwirklicht wird.«257 So wie die Komparation Reflexion voraussetzt, setzt die Ab­ straktion Komparation voraus. Sie bezieht sich also auf einen Vorstellungskomplex, bei dem bewusst sowohl zwischen klaren und Erkenntnis  |  133

dunklen als auch zwischen verschiedenen klaren Anteilen unterschieden wird. Da eine Differenzierung zwischen dunklen Teilen eo ipso unmöglich ist, können diese auch nicht kompariert werden. Wenn also von diesen abgesehen wird, kann die nun entstandene Vorstellung keine dunklen Teile mehr enthalten. Folglich sind alle ihre Merkmale klar. Also handelt es sich um eine klare und deutliche Vorstellung. Ihr Inhalt kann allein ein nur logisch möglicher, d. h. universaler Gegenstand sein, da ja von allen Relationen zu anderen Dingen, die realer Möglichkeit vorausgesetzt sind, abgesehen wird. Klare und deutliche Vorstellungen sind daher prinzipiell verständlich, mithin definabel: Die Vorstellung einer Sache durch den Verstand ist dessen Verstehen oder Verständnis einer Sache. Daher ist verständlich/ begreiflich, dessen deutliche Wahrnehmung gebildet werden kann, und dies in sich selbst, weil in sich selbst Betrachtetes deutlich begriffen werden kann. Nun sind in allem Möglichen das Wesen und die daraus folgenden Bestimmungen nicht völlig dieselben, soweit sie eben voneinander unterschieden werden können. Also sind in allem Möglichen Merkmale, die klar erkannt werden können, daher ist alles Mögliche in sich selbst begreiflich.258

Die Universalität des Begriffs korrespondiert seiner logischen Mög­ lichkeit: Eine Sache verstehen oder begreifen heißt, ihre innere Möglichkeit und die daraus sich ergebenden möglichen Bestimmungen klar und deutlich vorzustellen.259 Ein solcher Begriff hat folglich nicht ein aktuales einzelnes Ding, wie es in einer Welt existiert, zum Gegenstand, sondern eine qualitativ bestimmte, logische Entität, deren Möglichkeit unabhängig von irgendeiner besonderen Welt, sondern nur an sich betrachtet wird. Baumgarten macht dies unmissverständlich deutlich: »Innere Unterscheidungsmerkmale können an einem in sich betrachteten Ding vorgestellt, daher auf welche Weise auch immer erkannt bzw. angegeben werden. Das Angegebene können wir entweder auch (ohne Mitanwesendes) ohne angenommenes Anderes, ohne Beziehung zu Anderem begreifen und verstehen, d. i. deutlich erkennen, oder wir können es nicht. Jenes sind Beschaffenheiten, dieses Größen.«260 Aus der klaren und deutlichen Erkenntnis eines Gegenstandes folgt also keineswegs die Existenz bzw. Wirklichkeit 261 eines so beschaffenen Einzeldings. Denn zu dessen durchgängiger Bestimmt134  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

heit gehört seine Integration in den nexus rerum universalis. Kein Ding kann demnach existieren, ohne Eigenschaften zu besitzen, die aus seiner Beziehung zu anderen Dingen hervorgehen: »Alle wirklichen Einzelnen sind verbunden.«262 Der klare und deutliche Begriff eines Gegenstandes enthält daher zwar ex negativo alle möglichen weiteren Bestimmungen, die ihm über seine innere Möglichkeit hinaus noch zukommen können, da diese mit jenen kompossibel sein müssen. Aus ihm folgt aber nicht, welche dieser kompossiblen Bestimmungen einem Ding, das er begreift, tatsächlich zukommen. Er enthält also nur, wie ein Gegenstand einer bestimmten Art in irgendeiner Welt sein kann. Daran ändert auch die durchaus mögliche Integration kompossibler Merkmale in die begriffliche Gegenstandsbestimmung nichts. Denn die Singularität eines zu begreifenden Dings wäre erst dann erfasst, wenn all seine aktualen kompossiblen Merkmale klar und deutlich erkannt wären, und dies sind im Rahmen des nexus rerum universalis in jedem Zustand eines Dings unendlich viele. Klar und deutliche Begriffe sind also logische Entitäten von prinzipiell universaler Extension. Daran ändert auch der gleichfalls logische Sachverhalt nichts, dass sie der Möglichkeit nach unendlich spezifiziert werden können. Die durch den menschlichen Intellekt gebildeten klaren und deutlichen Begriffe bleiben also immer Nominaldefinitionen, deren Inhalt der Möglichkeit nach unendlich groß und deren Umfang der Möglichkeit nach unendlich klein gemacht werden kann. Sie können aber niemals zu klaren und deutlichen Realdefinitionen werden, die genau und nur ein singuläres Ding absolut identifizieren. Der Besitz solcher singulären Begriffe schließt vielmehr jede Abstraktionsleistung aus. Daraus folgt umgekehrt, dass jede Ab­ straktion zur Bildung eines universalen Begriffs führt.263

γ) Universalität und Singularität von Begriffen

Denn in der Tat unterscheidet Baumgarten zwischen Individualund Universalbegriffen: »Der Begriff eines Einzelnen oder eines Individuums ist eine Idee; ein mehrern gemeinsamer bzw. desselben in vielen ist eine Notion.«264 Daraus folgt zunächst einmal nur, dass es logische Inhärenz- bzw. Subordinationsverhältnisse265 nur zwiErkenntnis  |  135

schen Notionen bzw. Notionen und Ideen geben kann; und zwar so, dass eine Notion mit kleinerer Extension immer nur in einer mit größerer enthalten sein kann, während eine Idee niemals eine Notion enthalten kann, sondern allenfalls umgekehrt. Die gilt jedoch ausschließlich unter der Bedingung, dass die Idee im Verlauf eines Prozesses der Begriffsbildung durch Abstraktion universalisiert und damit nach den Regeln der extensionalen Logik behandelbar wird. Daher enthält eine Notion strenggenommen niemals eine Idee, sondern stets nur einen dieser annähernd entsprechenden Universalbegriff mit minimaler Extension, unter den dennoch immer noch der Möglichkeit nach unendlich viele Einzelne fallen können. Notionen werden infolgedessen auf der Basis bewusster Wahrnehmungen von Einzeldingen gebildet und wiederum zu deren Klassifikation auf diese angewendet. Sie kommen demnach den Vorstellungen der einzelnen Dinge zu, die unter einem Begriff enthalten sind, und zwar entweder allen oder einigen bzw. mindestens einem, 266 aber freilich niemals der singulären Vorstellung genau und nur eines einzelnen Dings. Dies gilt ›obiective‹, d. h. dem Inhalt nach, denn der Form nach ist ja jede Notion universal. Die Bestimmung eines – in Baumgartens Diktion – objektiv allgemeinen Begriffs enthält daher nur Eigenschaften, die nicht nur unendlich vielen Einzelnen der Möglichkeit nach zukommen können, sondern auch allen Einzelnen überhaupt bzw. der durch den Begriff bestimmten Klasse zukommen müssen. Solche Begriffe enthalten daher stets nur notwendige bzw. essentielle Eigenschaften – sei es des Seienden überhaupt, sei es einer bestimmten Klasse davon. Objektiv besondere Begriffe hingegen enthalten Eigenschaften, die unendlich vielen Einzelnen der Möglichkeit nach zukommen können und zumindest einigen davon auch wirklich zukommen. Sie enthalten daher stets akzidentielle Eigenschaften. Dabei ergibt sich indes ein doppelter Sinn: Denn zum einen hat jede weitere differenzierende Bestimmung, die über die notwendigen Eigenschaften des Seienden überhaupt hinausgeht, unter der Bedingung der Möglichkeit unendlich vieler Welten aufgrund ihrer Kontingenz als akzidentiell zu gelten. Und zum anderen ist dies ebenso bei jeder differenzierenden Bestimmung der Fall, die über eine besondere Klasse des Seienden bis hinunter zu den Artbegriffen hinausgeht, welche die jeweils letzten bilden und nur noch auf Einzeldinge angewandt 136  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

werden. Aussagen über Einzelnes bestimmen dies daher immer nur vermittels eines objektiv besonderen Begriffs, aber niemals vermittels eines objektiv singulären Begriffs, mithin einer Idee. Klare und deutliche Begriffe dieser Art, die zur vollständigen Identifikation eines Einzeldings unter allen möglichen Dingen zureichten, sind auf der Basis abstraktiver Begriffsbildung vielmehr unmöglich. Denn diese resultiert stets in universalen Begriffen, so dass deren Gebrauch stets nach den Regeln der extensionalen Logik erfolgen muss. Dass Baumgarten hier, in seinem Logik-Kompendium, daher objektiv singuläre Begriffe nicht weiter thematisiert, sollte also nicht überraschen. Diese wären sowohl klar und deutlich als auch objektiv singulär – so dass hier keine Subordinationsverhältnisse bestehen könnten –, schlössen jede Abstraktion aus und erforderten in ihrem Gebrauch eine rein intensionale Logik, wie sie nur einem unendlichen Geist zugänglich wäre. Objektive Ideen sind deswegen auch nicht schlicht unmöglich. Dies gilt nur unter der Bedingung der Festgelegtheit eines Geistes auf extensionale Logik, wie dies bei jedem endlichen und auf Basis der Sinnlichkeit erkennenden, d. h. abstraktiv Begriffe bildenden Geist der Fall ist. Erkennt ein Geist hingegen allein durch den Verstand, also eo ipso klar und deutlich, und intuitiv, d. h. ausschließlich bezogen auf Einzelnes, verfügt er über die objektiven Ideen alles möglichen Einzelnen und weiß folglich alles, was überhaupt gewusst werden kann.267 Dass dies allein bei Gott so ist, erübrigt sich beinahe zu sagen. Daraus folgt zumindest, dass sich objektive und subjektive singuläre Begriffe nicht dem Inhalt nach unterscheiden können. Denn die einzelnen Dinge, die Gegenstand der durch diese gewonnenen Erkenntnis sind, bleiben ja dieselben, d. h. sie weisen dieselbe Singularität von Eigenschaften auf, die sie unter allem möglichen Einzelnen identifizierbar macht. Genau zu dieser Identifikationsleistung reicht nun eine objektive Idee zu, ein subjektiver singulärer Begriff aber nicht. Sie unterscheiden sich nämlich in ihrer Klarheit, d. h. »in Absicht auf die denkenden«.268 Weil die Vorstellung eines Einzeldings bei einem vernünftigen und sinnlich empfindenden Wesen immer von der zeitlich-räumlichen Position seines Leibes im Universum dependiert, kann dessen Begriff stets allenfalls klar und verworren, aber niemals klar und deutlich sein. Gemäß der Singularität eines jeden denkenden Dings und seiner Erkenntnis  |  137

zeitlich-räumlichen Position ist daher auch die eigentümliche Mischung dunkler und klarer Elemente, die seine Vorstellung eines beliebigen Einzeldings ausmacht, singulär, obgleich sie dieselben Eigenschaften beinhaltet, welche die Identität des vorgestellten Dings bilden. Die Vorstellungen Gottes und des Menschen von den einzelnen Dingen als einzelne differieren also nur graduell, während ein unendlicher Geist zur Erkenntnis weder universaler noch partikulärer Begriffe bedarf und sie deshalb auch nicht unmittelbar als solche besitzt. Subjektiv besondere Begriffe nun werden zwar von manchen, aber nicht von allen gedacht. Ihre Bildung und ihr Gebrauch sind daher kontingent. Zum Gegenstand werden sie demnach Klassen von Dingen bzw. Eigenschaften haben, deren Bestimmung gemäß dem Auftreten der ihnen entsprechenden Dinge zeitlich und räumlich bedingt ist und gleichsam regional erfolgt. Derartige Begriffe sind daher universal, während weder ihr Besitz noch ihr Gebrauch notwendig ist. Genau dies muss indes für subjektiv allgemeine Begriffe gelten, die von allen bzw. jedem einzelnen Denkenden gedacht werden. Dabei kann es sich um nichts anderes als diejenigen Begriffe handeln, die das gegenstandsorientierte Denken bzw. Erkennen selbst ermöglichen, d. h. die transzendentalen Bestimmungen von Seiendem bzw. Gegenständen überhaupt und die Regeln der extensionalen Logik. Dass Baumgarten auch diese als subjektiv qualifiziert, kann kaum verwundern: Sie existieren nämlich nicht an irgendeinem Ort für sich, sondern sind von der Beschaffenheit eines Geistes abhängig, der sie nicht nur denken kann, sondern muss. Dies kann aber nicht der unendliche Geist Gottes sein. Denn Gott ist weder auf Bildung und Gebrauch von Universalen noch auf die Regeln der extensionalen Logik angewiesen, um diese und jede andere mögliche Welt und sich selbst zu erkennen, da er ausschließlich durch intuitiv gewonnene und intensional definierte Begriffe erkennt. Solche objektiven singulären Begriffe, mithin Ideen, brauchen daher in einer Logik, deren Ziel ausdrücklich die Verbesserung der verstandesmäßigen Erkenntnis ist, 269 keine Rolle mehr zu spielen – schlicht schon deswegen, weil ein Geist, der über sie verfügt, keinen Raum für Verbesserungen mehr lässt. Die logisch-systematische Unterscheidung zwischen Extensionalität und Intensionalität findet demzufolge allein in Beziehung auf einen endlichen und also unvollkommenen 138  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Geist Anwendung, dessen Erkenntnis differenter Gegenstände auf sinnlicher Wahrnehmung basiert: »Die Ausdehnung der Erkenntnis ist die Vollkommenheit des Erkenntnisvermögens, durch welche es vieles auf welche Art auch immer erkennt; wodurch es so viel oder wenig, wie es wolle, besser erkennt, ist die mehrere innere Güte der Erkenntnis.«270 Rein logische Erkenntnis durch Begriffe, die allein universale Bestandteile enthalten, ist also extensional, rein ästhetische Erkenntnis durch klare und verworrene Begriffe, die allein sinnliche und daher singuläre Bestandteile enthalten, intensional. Die Mischung dieser Erkenntnisweisen in der ästhetiko-logischen, mithin empirischen Erkenntnis bei der klassifizierenden Identifikation von Einzeldingen, in der ein Universal auf ein Singulum angewendet wird, enthält sowohl extensionale als auch intensionale Elemente. Von letzteren gilt allgemein, dass sie nicht in Form wahrheitsdefi­ niter, eindeutiger Propositionen durch einen endlichen Geist gedacht bzw. ausgesagt werden können. Sie können daher zwar in Schlüssen auftreten, deren Resultat nicht eindeutig festgelegt, sondern nur von irgendeinem Grad der Wahrscheinlichkeit ist,271 aber nicht in solchen logischen Schlüssen, deren Konklusion hinsichtlich ihres Wahrheitswertes eindeutig bestimmt sein soll. Weil traditionsgemäß die Vernunft (ratio) das Vermögen zur Erkenntnis des nexus rerum universalis durch »Vernunftschlüsse« bzw. »Beweise des Verstandes« ist,272 fördern objektiv universale Begriffe die »Vernünftigkeit der Erkenntnis« und sind daher »nützlich«,273 da sie die Verknüpfung von Sätzen zu wahren Schlüssen ermöglichen.274 Auch nach Baumgarten ist demnach für den endlichen Geist das Urteil (iudicium) bzw. der Satz (propositio) der Ort der Wahrheit, 275 sofern diese ihrem Inhalt nach sowohl klar und deutlich als auch allgemein, folglich durch vernünftigen Schluss beweisbar ist. Dennoch spricht er ebenfalls von der Wahrheit und Falschheit von Begriffen: Wahr ist ein Begriff, wenn er möglich ist; falsch, wenn er einen Widerspruch enthält,276 d. h. seine Bestandteile miteinander unverträglich sind bzw. nicht gleichzeitig ein und demselben Gegenstand zugesprochen werden können. Dies bedeutet indes nicht nur, dass die Wahrheit eines universalen Begriffs darin besteht, dass er als Teil wahrheitsfähiger Aussagen fungieren kann. Vielmehr geht es vor allem darum, dass überhaupt nur universale Erkenntnis  |  139

Begriffe in dieser Weise falsch sein können. Denn sie müssen erst eigens gebildet werden. Dies kann aber nicht durch einfache Aufmerksamkeit und Abstraktion geschehen, da diese sich stets auf einen gegebenen Wahrnehmungskomplex beziehen, der ohnehin nur kompossible Merkmale enthalten kann, sofern er empfunden wird und gar nicht anders als auf diese Weise gegeben sein kann.277 Singuläre Begriffe ästhetischer Erkenntnis können daher gar nicht falsch sein, weil sie gegeben sind und kontingenterweise nur per viam attentionis et abstractionis differenziert und aus Gründen der Nützlichkeit universalisiert werden. Das Wahrheitskriterium für Begriffe wird daher im Falle ihrer kombinatorischen bzw. synthetischen Bildung in Anschlag gebracht, »wenn wir zusammen mit einem Begriff andere so wie einen denken«.278 Auch hier gilt wieder die Empfindbarkeit eines solchen Begriffs als Erweis seiner Wahrheit.279 Nun heißt etwas zu empfinden, den gegenwärtigen Zustand seiner selbst gemäß der Position des eigenen Leibes im Universum vorzustellen, d. h. in sinnlicher Weise zu denken.280 Allerdings sind universale Begriffe  – mögen sie synthetisch oder abstraktiv gebildet sein  – logische Entitäten und also keine möglichen Gegenstände von Empfindung. Dies sind nur einzelne Dinge. Einen synthetischen universalen Begriff zu empfinden, kann daher nur bedeuten, ein Ding sinnlich wahrzunehmen, auf das dieser zu dessen Klassifikation angewendet werden kann. Aus der Wirklichkeit seiner Anwendung, d. h. der gegenständlichen Bestimmung eines Dings, folgt dann die Möglichkeit und solchermaßen die Wahrheit seiner Bildung. Dem endlichen Geist ist daher die synthetische Bildung singulärer Begriffe unmöglich, da dies hieße, ein einzelnes Ding vorzustellen, ohne es zu empfinden und ohne vorzustellen, was für ein Gegenstand es ist.

δ) Definition

Dies schließt freilich die Definierbarkeit einzelner Dinge durch singuläre Begriffe nicht systematisch aus. Baumgartens Bestimmung des Begriffs der Definition transzendiert sowohl die Unterscheidung von singulären und universalen als auch von objektiven und subjektiven Begriffen: »Eine Erklärung oder bestimmter Begriff ist 140  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ein deutlicher Begriff von weder mehr noch weniger Merkmalen als denen, die zu einem hinlänglichen zureichen.«281 Das Verständnis dieser Definition setzt die des hinlänglichen Begriffs voraus: »Ein Begriff der Merkmale, die genügen, um einen Gegenstand von allen zu unterscheiden, ist ein hinlänglicher; der ungenügenden, ein unzulänglicher Begriff.«282 Nun ist klar, dass die Rede von »allem« hier doppeldeutig ist. ›Alles‹ kann zum einen sowohl jeden überhaupt möglichen Gegenstand und somit auch jedes überhaupt mögliche einzelne Ding in jedem ihm möglichen Zustand bedeuten als auch zum anderen jeden aktual gegebenen Gegenstand, d. h. alle einzelnen Dinge, welche das existente Universum bilden. ›Alles‹ kann also zunächst einmal sowohl absolut, d. h. hinsichtlich aller möglichen Welten, als auch relativ, d. h. im Bezug auf die eine, aktuale Welt, verstanden werden. Aus der ersten Bedeutung folgt, dass die zu unterscheidenden Gegenstände hinlänglich allein durch objektiv singuläre Begriffe, d. h. Ideen, auseinandergehalten werden können, so dass jeder derartige Begriff geeignet ist, seinen Gegenstand absolut zu identifizieren, und damit zugleich genau die eine Welt hinlänglich bestimmt, in der dieser existiert bzw. existieren kann. Es liegt auf der Hand, dass dies die Weise ist, in der ein unendlicher Geist bzw. Gott erkennt, der dazu keine universalen Begriffe benötigt und deshalb auch nicht besitzt oder zu bilden braucht. Denn er erkennt alles, was ist oder sein kann, durch adäquate Individualbegriffe, 283 die er nicht eigens zu bilden braucht, sondern intuitiv erfasst. Diese sind objektiv, weil sie nicht von der Position des Wahrnehmenden im Universum und seinen je individuell ausgeprägten Fähigkeiten und ihrer kontingenten Aktualisierung dependieren. Folglich können sie auch keine dunklen Teile enthalten, sondern müssen stets vollständig klar und deutlich sein. Daraus scheint zunächst ein Widerspruch zu erwachsen, denn universale Begriffe müssten offenbar gleichzeitig klar und deutlich und nicht klar und deutlich sein: Ersteres, weil jeder ihrer ihrerseits universalen Bestandteile eindeutig identifiziert bzw. definiert sein muss; Zweiteres, weil universale Begriffe bzw. deren universale Bestandteile von der Verworrenheit der Merkmale ästhetisch begriffener Einzeldinge abstrahieren müssen, um zur geforderten Eindeutigkeit zu gelangen. Es handelt sich damit also um einen deutlichen Begriff verworrener Erkenntnis  |  141

Merkmale. Denn das gebildete Universal begreift unendlich viele reale und singuläre mögliche Zustände einer Art von Eigenschaft oder Ding unter sich. Der Begriff bleibt so zwar klar und deutlich, ist aber inadäquat, weil er nicht zur absoluten Identifikation eines Einzeldings zureicht. Er genügt aber zu seiner relativen Identifikation unter der Menge aller gegebenen Dinge, d. h. der aktualen Welt. Denn jeder solche Begriff kann unter Beachtung seiner Wahrheit immer weiter spezifiziert werden, ohne je dadurch seine Universalität verlieren zu können, wenngleich die Gelegenheiten seiner Anwendung äußerst selten werden oder gar nicht vorkommen mögen. Die Hinlänglichkeit bzw. Vollständigkeit eines universalen Begriffs folgt daher allein funktionalen Kriterien: Sie liegt dann vor, wenn einem Gegenstand gerade so viele Eigenschaften zugesprochen werden, wie nötig ist, um ihn von allen anderen Gegenständen des Denkens oder der bewussten Wahrnehmung unterscheiden zu können. Die Definition eines universalen Begriffs ist daher kontingent, solange er nicht objektiv allgemein ist, d. h. in der Definition transzendentaler Gegenständlichkeit überhaupt besteht. Daraus folgt aber keineswegs die Unmöglichkeit, objektiv singuläre Begriffe zu definieren, wenn ein Geist über adäquate Begriffe verfügt. Denn da Identität mit sich selbst in allen Zuständen Unterscheidbarkeit von allem möglichen Anderen in allen Zuständen bedeutet, muss jedes mögliche einzelne Ding durchgängig und vollständig bestimmt sein. In der klaren und deutlichen Erkenntnis dieser Bestimmtheit ohne jede Verworrenheit besteht der adäquate Begriff eines Einzeldings. Seine Definition ergäbe sich aus der Analyse seiner Intuition, wie sie der unendliche Geist besitzt. Dies hätte aber keine weitere Funktion, da sie der Erkenntnis des Dings, die ja schon ›zwiefach deutlich‹ ist, nichts hinzufügt. Eine Definition objektiv singulärer Begriffe ist daher für den unendlichen Geist zwar möglich, weil aus ihrer Unmöglichkeit entweder die Beschränktheit eines unendlichen Geistes oder die Existenz unbestimmter, d. h. identitätsloser Einzeldinge folgte, und ein unendlicher Geist verfügt auch implizit über sie; er muss sie jedoch nicht explizit machen, weil dies seine Erkenntnis nicht vermehren bzw. vervollkommnen würde. Da unendliche Geister keine Definitionen benötigen und Baumgartens Logik ohnehin eine solche zur Anleitung endlicher Geister 142  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

darstellt, liegt auf der Hand, dass seine Ausführungen zur Definitionslehre universale Begriffe thematisieren, wie sie jeder extensio­ nalen Logik und ihren Operationen zugrunde liegen. Dabei folgt aus der Hinlänglichkeit des Begriffs die Äquivalenz von Definiendum und Definiens, d. h. die Identität beider Extension.284 Diesem formalen Kriterium entsprechend lassen sich definitionsähnliche Begriffe von echten Definitionen unterscheiden: »Ein Begriff von mehr oder weniger Merkmalen, als zu einem hinlänglichen genügen, ist unbestimmt, von weniger ist er mangelhaft und unzulänglich, von mehr zu weitläufig (abundans); keiner von beiden ist eine Definition.«285 Zu derartig abundanten Begriffen zählen namentlich Beschreibungen, d. h. ›deutliche unbestimmte Begriffe‹, 286 und Kausaldefinitionen, die vorstellen, wie das Definiendum sein kann.287 Solche Begriffe nennt Baumgarten ›exegetische Definitionen‹. Sie enthalten nämlich insofern mehr, als zur Identifikation des zu definierenden Gegenstands unter dem von ihm zu Unterscheidenden erforderlich ist, als sie den Bereich der extensionalen Logik in Richtung auf die Metaphysik überschreiten, deren adäquate Begrifflichkeit unter intensionalen Regeln stehen müsste, insofern sie sich mit kontingenten Einzeldingen beschäftigt. So wird sich eine Beschreibung stets auf den Zustand irgendeines einzelnen Dings beziehen, dabei aber nicht ausschließen können, dass die Kombination der in ihr enthaltenen Eigenschaften nicht auch auf ein anderes Einzelding zutreffen könnte. Denn die Vollständigkeit eines klaren und deutlichen Individualbegriffs kann weder im Rahmen extensionaler Logik noch unter Voraussetzung des endlichen Geistes eines sinnlich empfindenden Wesens erreicht werden. Solche Wesen beziehen sich daher niemals vermittels echter, nicht exegetischer Definitionen, d. h. allein durch deutliche und bestimmte Begriffe, logisch auf Einzelnes. Insbesondere der Ausschluss von Kausal­ definitionen verdeutlicht ebenfalls die Art der strikten Trennung von Extensionalität und Intensionalität von Begriffen bzw. Logik und Metaphysik, um die es Baumgarten geht. Denn wird die Frage, wie etwas sein oder geschehen kann, als Frage nach der Ursache von etwas gestellt und nicht als Frage nach der Möglichkeit von etwas, richtet sie sich offenkundig auf Einzelnes, da es hier stets nur um die Veränderung oder Entstehung von etwas gehen kann und Erkenntnis  |  143

logi­sche Entitäten weder das eine noch das andere zu tun pflegen. Die vollständige Angabe des Grundes bzw. der Gründe, warum etwas sein kann, welche eine Realdefinition liefern soll, impliziert also die vollständige Erfassung von Einzelnem, dessen Zustände sich ändern, wodurch sich das einzelne Ding selbst naturgemäß ebenfalls verändert. Baumgarten teilt Leibnizens grundlegende Einsicht, dass man ein einzelnes Ding nicht von seinen eigenen Zuständen unterscheiden kann. Dass Baumgarten darüber hinaus an dieser Stelle ohne weitere Erklärung von der, wiederum von Leibniz geteilten, aristotelischen Einsicht ausgeht, wonach bestimmbare Bewegung stets nur von Einzeldingen ausgesagt werden kann und das Instrument ihrer Bestimmung die Vier-UrsachenLehre darstellt, 288 bestätigt sein ausdrücklicher Verweis auf sie.289 Begriffe, die im Rahmen extensionaler Logik nur ein Einzelnes zum Gegenstand haben, sind also keine regulären Definitio­ nen und dürfen auch nicht als solche verstanden oder gebraucht werden. Folglich betrifft die Unterscheidung von Real- und Nominal­ definition ebenfalls Gegenstände innerhalb des Rahmens extensio­ naler Logik, wiewohl es in der intensionalen Logik des unend­ lichen Geistes nur Realdefinitionen in der Bedeutung klarer und deutlicher Individualbegriffe gibt. Baumgartens extensionale Differenzierung der beiden Definitionsarten lautet wie folgt: »Eine Definition, welche das Wesen einer Sache vorstellt, ist eine reale bzw. genetische, eine, die es nicht vorstellt, ist eine nominale.«290 Da der Begriff des Wesens (essentia) der Unterscheidung vorausgesetzt ist, ist er hier soweit wie nötig zu skizzieren. Baumgarten bestimmt ihn in seiner Metaphysik: »Der Zusammenhang der ersten Bestimmungen in einem Möglichen bzw. dessen innere Möglichkeit ist das Wesen (das Sein der Sache, der formale Grund, die Natur, die Washeit, die Form, das gänzlich Formale, die Ousia, das tinotis, die Substanz, der erste Begriff eines Dings).«291 Worauf es hier ankommt, ist zu sehen, dass die innere Möglichkeit einer Sache, als welche Baumgarten »essentia« bestimmt, nicht mit der schlichten logischen Möglichkeit des Begriffs eines Dings bzw. einer Art von Dingen gleichgesetzt werden darf. Dies wäre nur der Fall bei Ununterscheidbarkeit von logischer und metaphysischer bzw. realer Möglichkeit, wie sie für ein allmächtiges und rein 144  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

vernünftiges Wesen, d. h. Gott, gilt. Dann bezöge sich aufgrund der Allwissenheit jenes Wesens indes die Rede von Begriffen ausschließlich auf Realdefinitionen in ihrer intensionalen Bedeutung von Individualbegriffen – einfach deswegen, weil Gott nicht über Begriffe verfügt, die Dinge unvollständig oder extraessentiell bzw. relativ und nicht absolut bestimmen könnten, d. h. über Nominaldefinitionen. Dass daraus auch zu folgen scheint, dass im Geist Gottes alle existentiellen Bestimmungen eines einzelnen Dings zu seinem Wesen gehören und mithin im Geiste Gottes essentia und existentia nicht unterschieden werden können und also identisch sein müssten, sei hier nur bemerkt. Im Rahmen der Definitionstheorie der Logik hat man es jedoch mit den extensionalen Bedeutungen beider Arten zu tun, die sich ohnehin nur in diesem Rahmen überhaupt unterscheiden lassen, da es Nominaldefinitionen in einer rein intensionalen Logik gar nicht geben kann. Das Mögliche, von dem Baumgarten hier spricht, ist demnach ein einzelnes Ding, dessen Wesen seine Existenz in der aktualen Welt ermöglicht, so dass die Essenz einer Sache deren möglicher Wirklichkeit, genauer: der Existenz von Einzeldingen dieser Art, in dieser Welt zugrunde liegt. Der extensional-logischen Unterscheidung von Real- und Nominaldefinition ist folglich bereits die Existenz einer Welt bzw. eines Insgesamts von Einzeldingen verschiedener Arten vorausgesetzt. Definitionen sind deswegen in diesem Kontext stets universale logische Gegenstände, die von einem endlichen Geist im Verlauf seiner Welterkenntnis stets erst eigens gebildet werden müssen. Nur deshalb können sie überhaupt fehlerhaft sein. Die korrespondierende Unterscheidung zwischen Essentialia und Akzidentien ist daher ebenfalls extensional-logischer Natur, so dass sie sowohl als Kriterium für die formale und inhaltliche Korrektheit der Definitionsbildung als auch für die Differenzierung der beiden Definitionsarten herangezogen werden kann. Es gilt sonach zunächst allgemein: »Veränderliche Zufälligkeiten (modi) und Verhältnisse (relationes) gehen nicht in eine Definition ein. Gesetzt nämlich, dass solche eingingen, würde das Definierte auch einigen zukommen, welchen die Definition nicht zukommen würde, d. h. in welchen derartige veränderlichen Zufälligkeiten und Verhältnisse nicht wären; daher wäre es durch eine zu weite Definition bestimmt, was unsinnig ist.«292 Erkenntnis  |  145

Da die Funktion einer Definition ausschließlich darin besteht, in hinlänglicher Weise Gegenstände voneinander zu unterscheiden, kann sie keine Teile enthalten, die kontingenterweise auch anderen Gegenständen derselben extensionalen Ebene zugesprochen werden können, auf der die Unterscheidung stattfinden soll. Solche Teile trügen nämlich nicht nur nichts zur definitorischen Funktion bei, 293 sondern verhinderten diese, weil ein bestimmtes Akzidens jedem Gegenstand zukommen kann, dessen essentielle Eigenschaften sein Auftreten nicht ausschließen, so dass es diesen seiner Art nach eben nicht spezifiziert 294 – freilich solange es sich dabei nicht um eine variable Eigenschaft handelt, die ausschließlich einer bestimmten Art von Gegenständen zukommen kann. Solche Merkmale, die ihren zureichenden Grund im Wesen haben, nennt Baumgarten »Attribute«.295 Sie können Teil einer Nominal-, wie einer Realdefinition sein. Denn sie kommen mit Notwendigkeit jedem existenten Einzelding einer Art zu. Baumgarten betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Bindung entsprechender Definitionen an Einzeldinge: »Was immer einem Ding zukommt, ist entweder dessen Wesen, Attribut, Modus oder Relation; nun gehen Modi und Relationen nicht in eine Definition ein und das vollständige Wesen nicht in eine Nominaldefinition, also sind die Merkmale einer Nominaldefinition Essentialia oder Attribute.«296 Es lassen sich daher essentielle und akzidentielle Nominaldefinitionen unterscheiden, 297 und die Bildung jeder von beiden, aber auch die einer Realdefinition, die alle Essentialia eines Gegenstandes enthalten muss, setzt die Bekanntschaft mit entsprechenden Einzeldingen voraus. Daraus folgt nun keineswegs die Unmöglichkeit begrifflicher Bezugnahme auf Einzelnes, wenn keine Definition von dessen Art zur Verfügung steht, sondern nur, dass die hierzu gebrauchten Begriffe dann keine Definitionen sein können, sondern eben Beschreibungen sein werden. Liegt also eine Definition vor und sollen verschiedene Einzeldinge derselben Klasse unterschieden werden, ist entweder die Definition zu spezifizieren oder – falls dies nicht mehr möglich ist  – durch beschreibende Elemente zu ergänzen, die Modi (»der rote Ball [und nicht der blaue]«) und Relationen (»der linke Wombat [und nicht der rechte]«) umfassen können. In beiden Fällen wird jedoch die Universalität der logischen Bestim146  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

mung nicht durchbrochen. Die Universalität jeder Art von extensionaler Definition macht Baumgartens Rückgriff auf ihre Bildung per genus proximum et differentiam specificam deutlich: »Jede Definition zergliedert das Definierte und hat doch keinen Überfluss an Merkmalen, also hat sie einige davon mit anderen gemein, was die Gattung ist, wozu zugleich genommene hinzutreten, die den hinlänglichen Begriff erfüllen, d. i. die Differenz, also besteht jede Definition aus gemeinen und endlich völlig unterscheidenden Kennzeichen (omnis definitio constat genere et differentia).«298 Klarheit, Deutlichkeit und Bestimmtheit der Definition basieren auf der begrifflich klaren und deutlichen Unterschiedenheit ihrer Teile. Diese analysieren das Definiendum hinlänglich, so dass es von allem Zu-Unterscheidenden unterschieden werden kann. Die Bestimmtheit der Definition erfordert die Angemessenheit der Anzahl der Eigenschaften, die in sie eingehen, an ihre differenzierende Funktion. Die Analytizität der Definition erfordert die Aufzählbarkeit dieser Eigenschaften.299 Daraus folgt für den endlichen Geist sowohl ihre Abzählbarkeit als auch ihre numerische Endlichkeit. Da Einzeldinge aufgrund ihrer Existenz im nexus rerum universalis unendlich viele Eigenschaften besitzen, werden durch einen endlichen Geist stets Klassenbegriffe und niemals Einzeldinge definiert. Folglich sind alle Begriffe, die in eine solche Definition eingehen, universal. Der definierte Gegenstand ist daher selbst universal. Daraus folgt, dass alle definitorisch unterscheidbaren Gegenstände beliebig viele, jedoch nicht alle Eigenschaften gemein haben können. Es ist also die Kombination der Eigenschaften und nicht ihre schiere Menge, welche für die Bestimmtheit der Definition sorgt, die ihre Funktion gewährleistet. Jedes Prädikat, das dem Definiendum als Definiens zugesprochen wird, kann deshalb der Möglichkeit nach unendlich vielen anderen Definienda zugesprochen werden. Wird die Gegenstandsbestimmung in Form eines kategorischen Urteils der Form »S ist P.« ausgesagt, ist das Subjekt in der Extension eines jeden Teils des Prädikatsausdrucks enthalten. Es liegt daher die extensionale Analytizität eines universalen Subjekts vor. Würde hingegen ein Einzelding durch einen Individualbegriff definiert, kehrte sich dieses Verhältnis um: Alle Prädikate wären im Subjekt, das dann ein echter Name sein müsste, enthalten, könnten keinem anderen Subjekt zukommen Erkenntnis  |  147

und müssten folglich selbst singulär sein. Dass die Erreichung derart intensionaler Analytizität von objektiv singulären Begriffen einem endlichen Geist unmöglich ist, liegt auf der Hand. Extensionale Definitionen, wie sie diesem allein zur Verfügung stehen, sind also immer universal. Dies gilt freilich auch für Beschreibungen. Wenngleich diese nicht definitorischen Kriterien unterliegen, also genaugenommen weder Essentialia noch Attribute enthalten müssen, sondern auch allein aus Modi und Relationen bestehen können (»das Rote links«), stellen sie dennoch Kombinationen universaler Begriffe dar, wie sie jederzeit in extensionalen Definitionen gebraucht werden können. Denn wenn der endliche Geist keine Individualbegriffe einzelner Dinge zu bilden imstande ist, folgt daraus a fortiori, dass dies auch für deren singuläre Bestandteile gilt, die intensional in ihnen enthalten sind. Weil alle möglichen Teile von Individualbegriffen singulär sein müssen, können sie auch nicht in logischen Subordinationsverhältnissen stehen, wie sie die Beziehung von Gattung und Art ausmachen, die eine rein extensionale ist. Aus der Ökonomie der Definitionsbildung per genus et differentiam folgt somit Universalität und Extensionalität. Also müssen sowohl Real- als auch Nominaldefinitionen extensional gewonnen werden und universal sein. Die Bildung Letzterer zeichnet sich nun im Gegensatz zu Ersteren durch ihre Beliebigkeit im Rahmen der Definitionsregeln aus: »Nominaldefinitionen werden willkürlich genannt, sofern a) es mehrere einmal angenommene Bedeutungen ein und desselben zu definierenden Terminus geben kann, und b) mehrere Definitionen ein und derselben zu definierenden Sache gerechtfertigtermaßen gebildet werden können, unter welchen eine Auswahl nach klugem freien Ermessen erforderlich ist; nicht aber, als ob ohne irgendwelche Regeln durch blinde Wahl die Bedeutung eines Terminus oder die Definition einer Sache bestimmt werden könnte, was gegen §§ 61–90 wäre.«300 Nominaldefinitionen haben zum Gegenstand Wortbedeutungen oder Sachen, d. h. einerseits Gegenstände, die nur unter der Bedingung der Aktivität eines endlichen Geistes existieren können, und andererseits Gegenstände, deren Existenz hiervon unabhängig ist, weil sie nicht als Bestimmung eines anderen, sondern als Substanz für sich bestehen. 301 Ersteres ergibt sich aus Baum148  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

gartens Erklärung von »Terminus«: »Termini sind Zeichen von Vorstellungen; die durch die Termini bezeichneten Begriffe sind die Bedeutungen derselben.«302 Der Bereich lexikalischer Nominal­ definitionen erstreckt sich daher auf alle universalen Begriffe, sofern diese überhaupt möglich sind. Es können also in dieser Weise auch Gegenstände bestimmt werden, deren substantielle Existenz in der aktualen Welt nicht möglich sind. Solche fiktionalen Enti­ täten existieren demzufolge ausschließlich in der Form von universalen Begriffen, wie sie allein und kontingenterweise von endlichen Geistern synthetisch gebildet werden. Es lässt sich also ohne Weiteres eine Chimäre vorstellen und ihr Begriff lexikalisch definieren, so dass klar ist, dass jemand, der das Wort »Chimäre« gebraucht, damit ein besonderes Mischwesen – ante leo, retroque draco, medi­ umque capella – meint. Aber dieses Wesen und seine Bestimmtheit in der Vorstellung, d. h. seiner Identifizierbarkeit, existiert allein dadurch, dass es in dieser Weise definiert worden ist, der Ausdruck in dieser Bedeutung in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang gefunden und seine »einmal angenommene Bedeutung« behalten hat.303 Es können daher keine einzelnen Chimären – etwa Erwin oder Hildegard – vorgestellt werden, sondern stets nur Beschreibungen auf der Basis lexikalischer Nominaldefinitionen von verschiedenen, besonders grauen- oder ekelerregenden oder besonders lieben und kuscheligen Chimärentypen gegeben werden, deren Extension indes stets universal bleiben wird. Neben der Willkür der Bildung eines Begriffs, dessen Bedeutung allein in seiner lexikalischen Definiertheit gesichert ist, kann diese Bedeutung auch wechseln, wenn sich der Sprachgebrauch ändert, so dass die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ganz verschwindet oder verschiedene Bedeutungen nebeneinander bestehen. Letzteres geschieht häufig im vollen Sinne willkürlich bei der Einführung von Termini technici in den Sprachgebrauch eines bestimmten Sach- oder Fachzusammenhangs außerhalb der Umgangssprache. Baumgartens eigener Gebrauch des Ausdrucks »Chimäre« bietet hierfür ein gutes Beispiel, wenn er zwischen wahren Fiktionen und falschen Chimären unterscheidet, die beide dem Dichtungsvermögen entspringen, deren Letztere jedoch nicht zur Gänze in der erforderlichen Klarheit vorgestellt werden können, die sie zu einem einheitlichen Gegenstand machte.304 Fiktionen sind daher Begriffe, Erkenntnis  |  149

deren Gegenstand in der Empfindung wenigstens möglich wäre, während dies für Chimären nicht gilt, die deswegen zwar logisch mögliche, aber »leere Einbildungen« einer »ausschweifenden Einbildungskraft« darstellen, 305 die weder in dieser noch einer unmittelbar zugänglichen anderen möglichen Welt existieren könnten. Die lexikalischen Definitionen des Terminus »Chimäre« geben also zwei Bedeutungen an, nämlich die umgangssprachliche auf der einen Seite und die psychologische auf der anderen Seite, denen freilich jederzeit weitere hinzugefügt werden können wie z. B. die biologische eines beliebigen, mit molekularbiologischen Mitteln im Labor herzustellenden Mischwesens oder auch die gastronomische eines widrig schmeckenden Mischgetränks von bestialischem Alkoholgehalt. Dass diese definitorischen Bedeutungszuweisungen zwar willkürlich, aber nicht völlig regellos, sondern nach Klugheitserwägungen, mithin pragmatisch erfolgen, zeigt ebenfalls das Chimären-Beispiel: Ist erst einmal ein derartiger Begriff durch lexikalische Nominaldefinition eingeführt und verschwindet er nicht restlos aus dem Sprachgebrauch, besitzt er eine »eigentliche Bedeutung«, welche die ersten und vorzüglichsten Grenzen seiner Anwendung bildet. 306 Unter dieser Voraussetzung einer bereits definierten Bedeutung lässt sich der Terminus auf andere Begriffe übertragen, die sodann seine »uneigentliche Bedeutung« darstellen, der jedoch »die eigentliche immer anhängt«.307 M. a. W.: Die Übertragung eines Terminus auf eine andere Bedeutung, die dem gängigen Sprachgebrauch völlig zuwiderläuft, zeugt insofern von Blindheit, als sie dem Zweck der Bildung einer der Umgangssprache möglichst nahekommenden Fachterminologie nicht dient; sie ist deswegen unklug. Klugheitsregeln gelten nun auch für Nominaldefinitionen von Sachen. Diese können schon allein deswegen differieren, weil sie nie das Wesen einer Sache vollständig erfassen und sowohl Essentialia als auch Attribute enthalten können. Gleichzeitig können sie auch nicht – buchstäblich per definitionem – regellos gebildet werden, weil ihre Bildung genau denjenigen logischen Regeln folgt, die Baumgarten in den Paragraphen 61- 90 entwickelt. Allerdings scheint sein Beispiel der oben angegebenen Unterscheidung von Wortbedeutung und Sache zu widersprechen. Denn er exemplifiziert seine These anhand dreier von ihm gebrauchter, differierender 150  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Definitionen von Definition, die zum einen deren Bestimmtheit (§ 61), zum anderen ihre größtmögliche Kürze (§ 66) und schließlich ihre Hinlänglichkeit (§ 80) hervorheben. Nun ist zumindest gewiss, dass Definitionen keine Substanzen sind, die für sich bestehen könnten, und ihre Existenz in jedem Fall die Aktivität eines endlichen Geistes voraussetzt: Definitionen sind universale logische Gegenstände. Daraus folgt aber nicht, dass sie keine Sachen sind und gar kein Wesen haben.308 Denn sie sind ganz offenkundig Attribute von Substanzen, nämlich endlichen Geistern, d. h. Eigenschaften, die nur einer bestimmten Art von Dingen zukommen können, welche diese dann aufweisen, wenn sie eine bestimmte Fähigkeit verwirklichen, die nur ihnen zukommt und die sie nur auf genau die Weise verwirklichen können, die Baumgartens Defini­ tionstheorie erklärt. Bei seinen Beispielen handelt es sich daher um akzidentielle Nominaldefinitionen, die verschiedene wesentliche Aspekte der formal und funktional korrekten Definitionsbildung explizieren. Unter der erläuterten Voraussetzung der Beschränktheit extensionaler Definitionsbildung auf endliche Geister folgt daraus nur die zumindest nominale Definierbarkeit aller Arten von Substanzen wie auch von Akzidentien. Extensionale Realdefinitionen erfassen genau und nur die Essenz, d. h. die innere Möglichkeit, einer Sache, welche die mögliche Existenz eines Dings der dadurch bestimmten Art in der aktualen Welt enthält. Diese Möglichkeit ist deswegen intern, weil sie nur durch diejenigen Eigenschaften bestimmt ist, welche jedes mögliche einzelne Dinge jener Art mit Notwendigkeit aufweisen muss, um als solches und nicht als eines von einer anderen Art zu existieren. Eine solche Definition kann daher keine Akzidentien enthalten, weil deren Auftreten die Existenz eines Dings in einer Welt bereits voraussetzt. Wird die Art, von der ein Ding ist, positiv und die Art der Akzidentien, die ihm überhaupt zukommen können, negativ durch sein Wesen bestimmt, ist vielmehr umgekehrt dieses Wesen der Existenz eines jeden Dings jener Art vorausgesetzt. Es ist genau deswegen seine innere Möglichkeit und bezeichnet eben nicht die äußere Möglichkeit der Existenz irgendeines Dings, die in der kontingenten Beschaffenheit der Welt und ihrer Ereignisverläufe liegt. Die Angabe der Essenz einer Sache geschieht daher nicht durch die Aussage der Ursachen ihrer kontingenten Existenz, Erkenntnis  |  151

die sich stets jeweils nur auf ein Einzelding beziehen können. Aus diesem Grund kann es ebenso wenig Realdefinitionen von modalen oder relationalen Akzidentien geben. Denn deren Auftreten an einem Ding kann weder in seiner Möglichkeit noch in seiner Wirklichkeit allein durch die essentiellen Eigenschaften der Sache, an der sie tatsächlich auftreten, erklärt werden. Obwohl demnach eine Realdefinition nicht die jeweiligen Ursachen der Existenz bzw. des Zustands eines Einzeldings enthält, nennt sie Baumgarten dennoch »genetisch«.309 Er unterscheidet sie sogleich von entsprechenden Beschreibungen: »Nicht jede Aufklärung und nicht einmal jede Zergliederung des Grundes und der Art und Weise, durch welche etwas werden kann, bzw. der Entstehungsart ist dessen genetische Definition. Es kann mangelhafte oder zu weitläufige genetische Beschreibungen geben.«310 Woraus der Beschreibungscharakter solcher genetischer Darlegungen folgt, ist leicht zu sehen: Erfassen sie nicht alle Essentialia, sind sie unvollständig und erlauben nicht die Unterscheidung ihres Gegenstands von allen anderen von ihm zu unterscheidenden Sachen; schließen sie die kontingenten Umstände bzw. die konkreten Ursachen der Entstehung eines Dings ein, sind sie zu weitläufig und enthalten Akzidentien, welche nicht zum Begriff der inneren Möglichkeit einer Sache gehören und deren Bestimmung selbst kontingent machen. Es könnte dann mehrere gleichberechtigte Realdefinitionen ein und derselben Sache geben, die von den Umständen ihres individuellen Auftretens abhingen, so dass die Unterscheidung zwischen Nominal- und Realdefinition aufgegeben wäre. Dann würde jede extensionale Definition willkürlich gebildet werden müssen und die Möglichkeit der Erkenntnis der rationalen Struktur der aktualen Welt, die darin besteht, dass deren einzelne Teile von sich aus eine zutreffende Einteilung in logische Klassen erlauben, wäre für endliche Geister ausgeschlossen. Dies bedeutete nicht nur einen vollständigen Relativismus in der begrifflichen und demzufolge ebenso wissenschaftlichen Erfassung der Welt, sondern insbesondere auch einen nicht nur graduellen, sondern kategorischen Unterschied zwischen den Erkenntnisvermögen eines endlichen und eines unendlichen Geistes. Es müsste demnach zwischen zwei verschiedenen Vernünften unterschieden werden, deren eine unmittelbaren Zugang zur Wahrheit hätte, während die 152  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

andere gar keinen besäße, so dass jedes mögliche Urteil über die Welt, angefangen bei ihrer Existenz, angezweifelt werden könnte. Von einem derart umfassenden Skeptizismus hält sich Baumgarten trotz seiner Zurückhaltung, was die Wahrheit empirischer Urteile angeht, allerdings durchaus fern. Vielmehr räumt er die Möglichkeit hinlänglicher extensionaler Realdefinitionen ausdrücklich ein: »Wenn eine genetische Definition, d. h. eine Definition, welche die Entstehungsart bzw. das, wodurch etwas werden kann, vermittels ihrer Merkmale erkennen lässt, sonst rechtmäßig genannt wird, wird diese bei kontingenten Definierten allerdings eine reale sein, und trotzdem ist nicht jede Realdefinition gemäß dieser Bedeutung genetisch.«311 Die Ausdrücke »Realdefinition« und »genetische Definition« sind also keine Synonyma, weil sie bedeutungsidentisch sein müssten, 312 um solche zu sein. Diese Einschränkung gilt allerdings genaugenommen nur für Definienda, die nicht kontingent, also notwendig oder nur möglich sind. Wenn es also Realdefinitionen gibt oder geben kann, deren Gegenstände von einer anderen Modalität als der der Kontingenz sind, ist der Begriff der Realdefinition dem der genetischen Definition logisch übergeordnet. Jedenfalls die S­ yno­nymität beider Ausdrücke im Falle kontingenter Gegenstände leuchtet auf den ersten Blick ein: Denn nur kontingente Gegenstände, d. h. solche die aktual existieren, aber auch ebenso nicht existieren könnten, können überhaupt entstehen und folglich genetisch definiert werden. Realdefinitionen, die zugleich genetische Definitionen sind, müssen sich daher auf Arten von Dingen beziehen, die in der aktualen Welt existieren können. Daraus folgt nach Baumgartens Theorie der Begriffsbildung, dass mindestens ein Ding einer beliebigen Art in der Welt existieren oder existiert haben muss, um in der Bedeutung einer genetischen Definition real definiert werden zu können. Genetische Definitionen sind demnach die Realdefinitionen derjenigen Arten von Dingen, deren Existenz die aktuale Welt ausmacht. Von Gegenständen, die bloß logisch möglich sind, kann es demzufolge keine Realdefinitionen, sondern immer nur Nominaldefinitionen geben. Kontingente Dinge entstehen ausschließlich in der aktualen Welt und setzen daher deren Existenz und dasjenige, woraus sie entstehen, d. h. die Bewegung zumindest numerisch differenter Substanzen, voraus. Erkenntnis  |  153

Gibt nun eine genetische Realdefinition die innere Möglichkeit einer Substanz und deren Entstehungsart an, ohne ihre kontingenten Entstehungsursachen zu berücksichtigen, weil dies den Einschluss von Akzidentien und so die Herstellung einer genetischen Beschreibung bedeutete, muss der Begriff, den eine solche Definition aussagt, universal sein. Genetische Realdefinitionen werden daher nur von endlichen Geistern gebildet, die selbst Teil der Welt sind, in der die zu definierenden Gegenstände auftreten. Genetische Real­ definitionen sind also selbst keine Substanzen, sondern logische Entitäten, die durch die mentale Aktivität endlicher Geister zum Zwecke der Erkenntnis der aktualen Welt hervorgebracht werden. Sie sind deshalb verschieden von den einzelnen Dingen, deren Art sie bestimmen, wenngleich sie auf jedes mögliche einzelne Ding der definierten Art in identischer Weise zutreffen bzw. angewendet werden können. Die Herstellung solcher Definitionen ist die Aufgabe der Wissenschaft, die sich mit der Erkenntnis der aktualen Welt und ihrer Möglichkeit beschäftigt, d. h. der Philosophie.313 Sie erkennt Gewisses aus Gewissem, gerade weil ihr Begriffsbildungsprozess auf ästhetischer Basis anhebt. Ein unendlicher Geist, dessen Wissen nicht derartige begriffliche Anstrengung voraussetzt, mag zwar aufgrund seiner allumfassenden Erkenntnis philosophus summus genannt werden, er benötigt jedoch keine genetischen Realdefinitionen, um dieses Wissen zu besitzen. Denn er verfügt über objektiv singuläre Definitionen aller in allen möglichen Welten möglichen Dinge, d. h. über Individualbegriffe, die füglich Realdefinitionen aller möglichen Substanzen genannt werden könnten. Ob diese Begriffe noch von den Substanzen selbst, die sie bestimmen, unterschieden werden können, ist später zu klären. Nun erschöpft sich der Gültigkeits- und Anwendungsbereich der extensionalen Logik nicht in der Philosophie, sondern gilt auch für Mathematik und geoffenbarte Theologie, die nach Baumgarten von der Philosophie zu unterscheidende Disziplinen sind, wenngleich diese durchaus die Möglichkeit ihrer Grundlagen und Gegenstände zu untersuchen hat. Denn weder die Theologie noch die Mathematik beschäftigen sich mit einzelnen Dingen, die in der aktualen Welt kontingenterweise existieren. Ist dies der Fall, wird es auch keine genetischen Realdefinitionen ihrer besonderen Gegenstände geben können. Deren Gegebenheit ist demnach nicht 154  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

kontingent, aber auch keineswegs bloß logisch möglich. Also ist sie notwendig. Und sofern Baumgartens Differenzierung zwischen Realdefinitionen und genetischen Definitionen sinnvoll sein soll, müssen von notwendigen Gegenständen ebenfalls Realdefinitionen möglich sein, wenngleich sie nicht genetisch sein können. Dass die Definition Gottes als des Gegenstandes der Theologie formal eine solche nicht-genetische Realdefinition darstellt, ist auch ohne nähere und inhaltliche Analyse leicht zu sehen: Denn aus der inneren, mithin negationsfreien Möglichkeit des ens perfectissimum, das alle Realitäten enthält, folgt die Notwendigkeit seiner substan­tialen Existenz. 314 Der Begriff Gottes definiert also eigentlich kein Einzelding, es folgt aus ihm nur, dass er nur auf ein Ding dieser Art angewendet werden bzw. dass es nur eines davon geben kann. Er sprengt folglich trotz seines spezifischen Gegenstands keineswegs die Definitionslehre und bleibt extensional. Geht man nun weiterhin davon aus, dass alle mathematischen Gegenstände nur auf genau eine Weise gedacht werden können und miteinander kompossibel sind wie etwa die natürlichen Zahlen, so sind auch diese notwendig, da Gottes Geist alle Realitäten enthält. Jeder mathematische Gegenstand kann also in jeder möglichen Welt nur auf genau eine Weise bestimmt werden, ohne in seinem Auftreten durch die Beschaffenheit irgendeiner Welt bedingt zu sein und daher ohne zu entstehen, zu vergehen oder substantial bzw. außerhalb von Gottes Geist, für den die Notwendigkeit mathematischer Gegenstände dann unabhängig von seinem Wollen ebenso gilt, existieren zu müssen. Daher kann es auch in jeder Welt nicht-genetische und extensionale Realdefinitionen von mathematischen Gegenständen geben, sofern in ihr vernunftbegabte Wesen vorkommen. Dies bedeutet – knapp und in Baumgartens Terminologie formu­ liert –, dass von allen Gegenständen, denen transzendentale Not­ wendigkeit zukommt, auch im Rahmen der extensionalen Logik des endlichen Geistes nicht-genetische Realdefinitionen möglich sind, d. h. auch von solchen der Philosophie, sofern sie die Tran­ szendentalitätsbedingung erfüllen. Nicht-genetische Realdefinitio­ nen beziehen sich daher auf Gegenstände, die keine materiellen Einzeldinge sind und denen insofern keine Akzidentien zukommen können, während genetische Realdefinitionen materielle Einzeldinge, die unter der Bedingung der Existenz einer bestimmten Erkenntnis  |  155

aktualen Welt existieren, ihrer Art nach, d. h. ohne Berücksichtigung akzidentieller Eigenschaften, mithin als Abstrakta, erfassen. Es kann also von jedem notwendigen Gegenstand und von jeder kontingenten Substanz eine Realdefinition gegeben werden. Im zweiten Fall gelangt eine solche aufgrund der epistemischen Beschränktheit eines endlichen Geistes, die zu seiner Gebundenheit an die extensionale Logik führt und sich eben darin zeigt, dass sie nicht die Unterscheidung eines Einzeldings von allen möglichen anderen erlaubt, nur zu begrifflichen artinternen Unterscheidungen von Einzelnem durch Beschreibungen. Dies gilt freilich nicht für einen unendlichen Geist, der jedes mögliche Einzelding durch einen Individualbegriff erkennt und so über singuläre und intensionale Realdefinitionen verfügt. Genau darin besteht sein Allwissen: Weil Gott über alle adäquaten Begriffe verfügt, verfügt er auch über alle wahren Propositionen. Nun kann der endliche Geist offenkundig über Realdefinitionen von notwendigen Gegenständen verfügen. Die Begriffe von kontingenten Dingen indes, die der endliche Geist nach den gegebenen Regeln nominal oder genetisch zu definieren vermag, sind zwar klar und deutlich, jedoch aufgrund ihrer extensionalen Bildung stets inadäquat. Es kommt daher bei der Entscheidung für eine der beiden Definitionsarten stets darauf an, wozu eine Begriffsbestimmung gebraucht werden soll und welches Material vorliegt, um zu einer solchen zu gelangen. Werden praktische Zwecke verfolgt, so dass bestimmte Begriffe handlungsleitende Funktion einnehmen, werden in der Regel schon aus Zeitgründen, welche eine wissenschaftliche Untersuchung zur Bildung einer genetischen Realdefinition eines Gegenstandes nicht zu erlauben pflegen, Nominaldefinitionen zur Orientierung in der Welt ausreichen. Wissenschaftliche Erkenntnis der Welt verlangt und strebt hingegen eo ipso nach Realdefinitionen. Baumgarten betont diese subjektive Dependenz der Definitionsbildung ausdrücklich: »Wenn die Logik die Theorie und Praxis des gesetzmäßigen Definierens dargetan hat, hängt, wollte nun ein gegebener Geist bzw. ein Subjekt aus ihren Regeln eine nominale oder reale Definition des gegebenen Inhalts bzw. des Objekts erfinden, der Unterschied eher am Inhaltlichen der Erkenntnis in demselben als an den besonderen Regeln der Form.«315 156  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Zwar hängt so die Bildung einer Definition ganz offenkundig von einem Willensakt des endlichen Geistes ab, dieser bleibt jedoch an die logischen Definitionsregeln gebunden. Denn wenn jeder derartige Akt einen klar und deutlich bestimmten Gegenstand involviert, 316 ist weder theoretisches noch praktisches Verhalten, solange es überhaupt rational sein soll, möglich, ohne über gesetzmäßig gebildete Definitionen zu verfügen. Die Entscheidung zur Defini­tionsbildung ist folglich nichts anderes als die Entscheidung für den Gebrauch der Vernunft, der aufgrund ihrer Einheit und Universalität allgemein verbindlichen Regeln folgen muss. Allerdings sind alle von endlichen Geistern bildbaren Begriffe inadäquat, sofern sie Dinge zum Gegenstand haben, die in der aktualen Welt existieren. Dennoch sind sie jeder möglichen klaren und deutlichen – und daher in allgemeiner Form aussag- und mitteilbaren – Erkenntnis der aktualen Welt ebenso vorausgesetzt wie die transzendental notwendigen Gegenstände, die Bildung und Gebrauch definierter Begriffe erst ermöglichen.

b) Wahrheit und Urteil

Nun ist klar, dass der Wahrheitsstatus inadäquater Begriffe insofern unentschieden bleibt, als ihre Wahrheit allein in ihrer Möglichkeit besteht, d. h. in der Widerspruchsfreiheit ihrer Bestimmung.317 Zwar führt die Analyse eines adäquaten Individualbegriffs, mithin einer Idee, zur Erkenntnis genau derjenigen Welt, in der das entsprechende Ding existiert, da eine solche objektiv singuläre Realdefinition alle seine Eigenschaften enthält, die ihn von allen möglichen Dingen überhaupt unterscheiden. Die Analyse der universalen Bestimmung eines Gegenstands, der ein Ding erfassen soll, ergibt dagegen immer nur die generelle Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Aktualität eines derartigen Dings. Für einen Geist, der unter der Bedingung der Regeln der extensionalen Logik erkennt, kann daher nicht der Begriff, auch wenn er real definiert sein sollte, der Ort der Wahrheit sein. Alle seine Teile bleiben nämlich universal. Demzufolge sichert seine klare und deutliche Bestimmung niemals zugleich seine eindeutige Beziehung auf ein aktuales Ding, sondern nur auf eine Klasse möglicher Dinge. Denn Erkenntnis  |  157

auch die genetische Definition eines Gegenstands erklärt nur, wie ein Ding von einer bestimmten Art entstehen kann. Daraus folgt jedoch weder mit Notwendigkeit seine aktuale Entstehung noch seine Existenz, obgleich die Existenz irgendeines Einzeldings der Bildung seiner genetischen Definition vorausgesetzt bleibt. Wenn anders aber Wahrheit nach aristotelischer Tradition gerade in der Beziehung eines Begriffs auf Seiendes besteht, muss diese Beziehung erst eigens hergestellt werden. Dies geschieht im Rahmen der extensionalen Logik durch die Verbindung eindeutig bestimmter Termini in einer Aussage der Form »S ist P.«. Damit wird zunächst auf formaler Ebene überhaupt eine Entscheidung über ihren Wahrheitswert möglich.

α) Qualität

Die mentale Tätigkeit, die Verbindungen zwischen Begriffen herstellt, ist das Urteilen, die einheitliche Vorstellung dieser Begriffsverbindung das Urteil: »Die Vorstellung bestimmter Begriffe als einander entweder zukommende oder widerstreitende ist das Urteil.«318 Dies gilt zunächst allgemein, d. h. sowohl für die klaren und verworrenen Begriffe der Ästhetik als auch für die klaren und deutlichen der Logik. Da Erkenntnis überhaupt in einer Verbindung von Vorstellungen besteht, 319 liegt sie stets in einem Urteil, und weil sich Erkenntnis stets auf die Existenz, 320 die Qualitäten321 oder die Quantitäten322 von Dingen bezieht, ist ihr Gegenstand stets die meta­physische Wahrheit. Denn da die Ordnung seiner verschiedenen Eigenschaften die Identität eines Dings konstituiert, 323 so dass ein Ding nicht von dieser Ordnung unterschieden werden kann, und diese Ordnung bewusst vorgestellt bzw. wahrgenommen werden kann, ist sie auch prinzipiell erkennbar. 324 Weil aber die Komplexität von Dingen in Urteilen vorgestellt werden muss, ist das Urteil der Ort der Wahrheit, sofern diese Gegenstand der Erkenntnis werden kann. Werden nun in einem Urteil bestimmte Begriffe verbunden, handelt es sich um einen Satz (propositio): »Ein symbolisches bzw. durch Termini bezeichnetes Urteil ist ein Satz (Aussage, Behauptung), der von einem logischen Satz oder einem Gliedersatz durch 158  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

die abgetrennten Erweiterungen, d. h. nicht notwendigen Teile, zu unterscheiden ist. Ein einfacher, zierlich erweiterter Satz ist ein Gliedersatz (periodus); ein Satz, der nicht Teil eines anderen Satzes ist, ist ein einfacher Satz (punctum).«325 Baumgarten unterscheidet also zunächst inhaltlich bestimmte, mithin kontingente Propositionen, die er in komplexe und einfache einteilt, von solchen ohne Inhalt, d. h. formal logischen. Dabei entspricht die formale Struktur der symbolischen genau der der logischen Proposition: Beide haben die Form »S ist P.« und sind daher aussagenden Charakters.326 Subjekt- und Prädikatterm sind die Träger des möglichen Inhalts einer Proposition, 327 während die Kopula immer formal bleibt.328 »X ist.« wäre demnach kein Existenz­ urteil, sondern schlicht eine unvollständige Aussage, die korrekt lauten müsste »X ist existent«. Jedes Urteil und also auch jede Proposition bildet die Einheitsvorstellung einander entweder zukommender oder widerstreitender, sich wechselseitig ausschließender Begriffe bzw. Terme. Diese Einheit wird durch den formalen Teil der Proposition, d. h. die Kopula, hergestellt, die immer das Zukommen des Prädikats an das Subjekt aussagt. Soll also der Widerstreit verschiedener Begriffe in der Einheit eines Urteils vorgestellt werden, muss die Kopula modifiziert werden. Negative Prädikate leisten dies nämlich nicht, weil sie dem Subjekt in einem unend­ lichen Satz zwar ein unbestimmtes, aber doch irgendein konträres Prädikat zusprechen. 329 Jene Modifikation ist Gegenstand der Verneinung, welche »die Abwesenheit des anderen Begriffs« aussagt.330 Wird folglich in einer Proposition nicht die Kopula negiert, ist sie bejahend, d. h. sie sagt das Zukommen des Prädikats an das Subjekt aus.331 Eine Proposition kann also ihrer Qualität nach nur ent­weder affirmativ oder negativ sein, 332 d. h. entweder das Zukommen des Prädikats bejahen und damit zugleich den Widerspruch verneinen oder das Zukommen des Prädikats verneinen und damit zugleich den Widerspruch bejahen. Erstere, d. h. eine affirmative Proposition, ist wahr, zweitere, d. h. eine negative Proposition, ist falsch.333 Wenn nämlich die Wahrheit eines Satzes in der positiven oder negativen – mithin unendlichen – Bestimmung von Seiendem besteht, dann muss ein Satz, der dies nicht leistet, gemäß dem Bivalenzprinzip falsch sein. Die Negation der Kopula als Aussage der Abwesenheit einer prädikativen Bestimmung tut aber genau dies. Erkenntnis  |  159

Also ist eine negative Proposition falsch. Baumgarten schließt sich demnach der klassischen aristotelischen Wahrheitsdefinition an, wonach wahr ist auszusagen, dass ist, was ist, und nicht ist, was nicht ist, während falsch ist auszusagen, dass nicht ist, was ist, und ist, was nicht ist.334 Allerdings lässt sich der Wahrheitswert einer Proposition nicht unmittelbar und auch nicht mittelbar durch einen wie immer gearteten Rück- oder Zugriff auf Seiendes im metaphysischen Sinne, d. h. auf einzelne Substanzen und ihre Zustände, feststellen: Es führt kein direkter Weg von den Dingen bzw. der Welt zu wahren Aussagen über sie. Vielmehr hängt deren Wahrheit und Falschheit selbst wiederum von den Begriffen ab, die im Urteil zu Propositionen verbunden werden. Baumgartens Wahrheitsbegriff im Rahmen der extensionalen Logik ist also nicht nur propositional, sondern auch analytisch. Denn: »Der Grund, dessentwegen ein Prädikat einem Subjekt zukommt oder widerstreitet, ist die Bedingung (hypothesis) des Satzes; nun ist nichts ohne Grund, also hat jeder Satz eine Bedingung.«335 Nun enthält jeder definitorisch bestimmte universale Term alle Teilbegriffe, die ihm notwendig zukommen müssen. Daher enthält er auch jene, die ihm der Möglichkeit nach zukommen können. Jeder definitorisch bestimmte singuläre Term hingegen enthält alle Teilbegriffe, die ihm wirklich zukommen, aber dann auch notwendigerweise zukommen müssen, um ihn von allen anderen möglichen singulären Termen zu unterscheiden. Jeder bestimmte Term kann als Subjekt einer Proposition fungieren. Also ist die Bestimmung des Begriffs, der die Stelle des Subjekts einer Proposition einnimmt, die Bedingung des Wahrheitswertes derselben. Dabei kann es sich entweder um eine Realdefinition, eine Nominaldefinition oder eine mehr oder weniger bestimmte Beschreibung handeln. All diese Begriffe sind im Rahmen der extensionalen Logik universal, d. h. Notionen, die mehrere bzw. der Möglichkeit nach unendlich viele Dinge in identischer Weise erfassen. Sind sie definitorisch bestimmt, sind ihre Teile notwendig;336 sind sie deskriptiv bestimmt, sind wenigstens einige bzw. zumindest einer ihrer Teile kontingent. Im ersten Fall folgt daher die Wahrheit der Prädikation analytisch aus der Definition, wenn und weil das Prädikat im Begriff des Subjekts enthalten sein muss, aber ebenso in ande160  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ren Definitionen auftreten kann. Was gemäß der Definition eines Gegenstandes über ein Ding der so bestimmten Klasse ausgesagt wird, wird über alle Dinge dieser Klasse ausgesagt: »Wenn die hinreichende Bedingung des Satzes im notwendigen Allgemeinbegriff des Subjekts ist, ist sie in den unter diesem enthaltenen Einzelnen, deshalb kommt das Prädikat des bejahenden Satzes den Einzelnen, die unter dem Subjekt enthalten sind, zu, und das des verneinenden widerstreitet, weil das Begründete gesetzt wird, indem der zureichende Grund gesetzt wird.«337 Dies ist zwar bei kontingenten Bestimmungen des Subjekts nicht der Fall. Dennoch stellen auch sie hinreichende Wahrheitsbedingungen eines Satzes dar, obgleich dieser freilich gemäß seines beschreibenden Charakters nur eine kontingente Subklasse einer definierten bzw. definablen Art von Gegenständen aussagt. Diese kann je nach Bedarf gebildet werden, um eine Beziehung auf ein Ding oder mehrere Dinge einer wie immer sonst bestimmten Klasse herzustellen: »Eine hinreichende Bedingung eines Satzes, die nicht notwendig im Subjekt ist, ist die Bestimmung des Satzes; also werden Modi und Relationen Bestimmungen des Subjekts, wenn sie zureichende Bedingungen von Sätzen werden.«338 Baumgartens Rede von der Bestimmung eines Satzes indiziert an dieser Stelle also die Spezifikation seines Subjekts dergestalt, dass er geeignet ist, ein Einzelnes als solches oder eine Gruppe von Einzeldingen zu thematisieren, ohne über eine Definition davon verfügen zu müssen. Freilich ist dies ebenso unter dieser Voraussetzung möglich. Der Subjektterm, der durch seine kontingenten Bestandteile den Satz bestimmt, wird dann allerdings kombinatorisch bzw. synthetisch gebildet.339 Allein derart synthetische Sätze sind in dem Sinne bestimmt, dass sie eine logische Beziehung zu Einzeldingen als solchen herstellen können: »Wenn mit dem Subjekt dessen Bestimmung nicht vereinigt wird, wird der Satz unbestimmt, wenn sie mit ihm vereinigt wird, wird der Satz bestimmt. Dann ist die zureichende Bedingung in den Einzelnen, die unter diesem neuen Begriff enthalten sind, so dass das Prädikat des bejahenden Urteils den Einzelnen zukommen, das des verneinenden den Einzelnen widerstreiten wird.«340 Daraus folgt, dass sich im Rahmen extensionaler Logik Referenz auf Einzelnes immer nur durch synthetische Beschreibung, aber Erkenntnis  |  161

niemals durch Definition herstellen lässt. Denn extensionale Definitionen enthalten keine Akzidentien, deren zureichender Grund nicht im definierten Gegenstand liegt. Daraus folgt aber wiederum nicht, dass ein Subjekt bzw. ein Satz so bestimmt werden könnte, dass er genau und nur auf ein Einzelding in der Weise referiert, dass dieses von allen anderen möglichen Einzeldingen überhaupt eineindeutig unterschieden werden könnte. Denn es stehen in der extensionalen Logik keine strikt, mithin objektiv singulären Begriffe zur Verfügung; sie können folglich auch weder an Subjektoder Prädikatstelle des Satzes auftreten und ihn somit singulär bestimmen. Zugleich bleibt die Wahrheitsbedingung des Satzes analytisch, weil es ja der Subjektterm ist, der durch die mentale Aktivität des Erkennenden gebildet werden muss, um in bestimmenden Sätzen auf Einzelnes angewendet zu werden. Da Begriffe klar und deutlich sein müssen, um überhaupt Gegenstand der Logik sein zu können, ein endlicher Geist an die Regeln der extensionalen Logik gebunden ist und seine Bildung klarer und deutlicher Begriffe von Einzelnem Abstraktion involviert, bleiben seine Begriffe immer universal, wenn sie klar und deutlich sind. Auch synthetische Begriffe bleiben demnach Notionen. Also sind singuläre Sätze zwar prinzipiell  – nämlich intensional  – logisch möglich, aber im Rahmen der extensionalen Logik, die einem endlichen Geist zur Verfügung steht, epistemologisch unmöglich. Daraus erhellt, warum Baumgarten auch im Kontext seiner Behandlung synthetischer Subjekte stets von Einzelnen im Plural spricht und unmittelbar darauf ausdrücklich unter Rückgriff auf den Begriff der Idee zwischen singulären und universalen Sätzen unterscheidet: »Ein Satz, dessen Subjekt eine Idee ist, ist einzeln (singularis), ein Satz, dessen Subjekt eine Notion ist, ist gemein (communis).«341

β) Quantität

Anders als die um der Übersichtlichkeit willen und aus sprachlichen Gründen bislang gebrauchte moderne Terminologie vermuten lässt, ist sich Baumgarten der Doppeldeutigkeit der Rede von Universalität durchaus bewusst. Sie besteht darin, dass sowohl definitorische als auch beschreibende Subjekte bzw. sowohl unbe162  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

stimmte als auch bestimmte Sätze im Rahmen der extensionalen Logik ausschließlich notionale Teile besitzen und daher beidenthalben als universal bezeichnet wurden. Baumgarten gebraucht indes hier als Gattungsbegriff »communis«, was er mit »gemein« wiedergibt, und unterteilt die gemeinen Sätze bei seiner Darlegung ihrer Quantität in allgemeine bzw. universale und besondere bzw. partikuläre. Dass diese Einteilung bzw. überhaupt eine Untersuchung der Quantität nur in der extensionalen Logik sinnvoll ist, liegt auf der Hand, da intensionale Logik strenggenommen sowieso nur mit singulären Termen bzw. Propositionen operiert. Baumgartens Definition der logischen Quantität gilt dennoch allgemein: »Die aus der Zahl derer, worüber sie bejaht oder verneint, zu erkennende folgende innere Bestimmung einer Proposition ist deren Quantität.«342 Die logische Quantität eines Satzes ist eine innere Bestimmung (affectio). Ihr Wahrheitswert folgt also nach wie vor aus der Bestimmung des Subjekts, die entweder definitorisch oder deskriptiv sein kann. Nun besteht offenbar nicht nur ein logisches, sondern auch ein epistemisches Verhältnis zwischen der Art der Bestimmung und der Quantität. Denn die Quantität einer Proposition wird aus der Zahl der Gegenstände erkannt, von denen sie bejahend oder verneinend ausgesagt wird. Ob also eine Definition oder eine weitere deskriptive Bestimmung vorliegt, lässt sich anhand der Anwendbarkeit des Satzes auf Gegenstände ersehen. Dies sollte nicht überraschen, da der jedem Urteil vorausgesetzte Prozess der Begriffsbildung kontingent verläuft, wenn deren Gegenstände qualitativ bestimmt, also Dinge und keine mathematischen Entitäten sind. Denn da im Falle mathematischer Gegenstände Definiendum und Definiens in keiner Bedeutung kontingent, sondern notwendig sind, ist auch jeder mathematische Satz universal, weil der definierte Gegenstand und der Gegenstand, auf den die Definition angewendet wird, notwendigerweise ein und derselbe sein müssen. Zwar gibt es für Arten von Dingen ebenfalls nur genau eine zutreffende Realdefinition, es kann aber unendlich viele Nominaldefinitionen geben. Denn Dinge existieren kontingenterweise und unter kontingenten Umständen, d. h. in kontingenten Zuständen. In diesen werden sie sinnlich wahrgenommen, und hiervon hat der Prozess der Begriffsbildung auszugehen. Ob dieser also zu einer Erkenntnis  |  163

defi­nitorischen oder nur zu einer deskriptiven Bestimmung geführt hat, erweist sich erst an seiner Anwendbarkeit auf weiterhin begegnende Dinge. Denn deren definitorische Bestimmbarkeit steht aufgrund der rationalen Organisation der Welt zu einer Einheit außer Frage. Da sich die Dinge nicht danach zu richten pflegen, mit welchen Begriffen sie unterschieden und identifiziert werden, müssen diese anhand ihrer Tauglichkeit zur rationalen Ordnung der Welt, mithin ihrer integrativen Funktion in den Grenzen der extensionalen Logik erprobt werden. Folglich lässt sich die logische Quantität eines Satzes, dessen Subjekt einen kontingenten Gegenstand denotiert, erst anhand seines Erfolgs bei der logischen Organisation der allemal begrifflich bestimmten Dinge der Welt erkennen. Dies hat zur Folge, dass ein endlicher Geist strenggenommen niemals mathematische Gewissheit darüber besitzen kann, ob ein von ihm gebildeter Begriff realdefinitorische Funktion hat. Bei der formalen Bestimmung der logischen Quantität von Sätzen folgt Baumgarten wieder den Bahnen der aristotelischen Tradition, ohne freilich die auf Einzelnes bezogene klassifikatorische, mithin rationale Erkenntnis der Welt ermöglichende Funktion der Logik aus dem Auge zu verlieren. So gilt für universale Propositionen: »Ein gemeiner Satz, dessen Prädikat von den unter dem Subjekt enthaltenen Einzelnen bejaht oder verneint wird, ist allgemein, ein bejahender A, ein verneinender E.«343 Das Subjekt universaler Propositionen muss daher stets eine Definition sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um eine reale oder nominale Definition handelt. Denn beide müssen notwendige Eigenschaften des definierten Gegenstands angeben, die gerade deswegen notwendig sind, weil sie jedem Einzelnen, das unter den definierten Begriff fällt, zukommen müssen. Die Universalität des Satzes korrespondiert also der Notwendigkeit der Elemente des Subjektbegriffs. Entsprechendes gilt für partikuläre Propositionen: »Ein besonderer Satz ist ein gemeiner, dessen Prädikat von einigen unter dem Subjekt Enthaltenen bejaht oder verneint wird, ein bejahender I, ein verneinender O.«344 Daraus folgt, dass das Subjekt partikulärer Propositionen niemals eine Definition sein kann, da es nicht – oder nicht nur – notwendige Eigenschaften enthalten kann, weil daraus seine Universalität folgte. Das Subjekt muss demnach Akzidentien enthalten, die keine Attribute sind. Denn nur dann können bloß 164  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

einige, aber nicht alle Dinge einer beliebigen Klasse unter seinen Begriff gefasst werden, weil das Prädikat einigen zukommt, anderen aber nicht. Die Bildung partikulärer Propositionen setzt also zumindest die Bestimmtheit irgendeiner Gegenstandsklasse, wie groß deren Umfang – etwa der der scharlachroten Dinge – auch sein mag, voraus, da es sich sonst bei ihnen nicht um gemeine Sätze handeln könnte. Der Partikularität einer Proposition korrespondiert also die Kontingenz wenigstens eines Elements des Subjektbegriffs. Dass eine singuläre Proposition demzufolge eine solche sein müsste, deren Prädikat von genau und nur einem Einzelnen unter dem Subjekt Enthaltenen bejaht oder verneint wird, liegt auf der Hand. Daher müsste das Subjekt einer singulären Proposition ebenfalls genau und nur ein Ding enthalten und das Prädikat wiederum eine singuläre Eigenschaft aussagen, die genau und nur diesem einzelnen Ding zukommt. Es ist klar, dass derartige Sätze im System einer extensionalen Logik, das sich aus der epistemischen Beschränktheit eines endlichen Geistes ergibt, nicht auftreten können. Der Singularität einer Proposition korrespondierte nämlich die Kontingenz aller Elemente des Subjektterms, und dieser müsste unendlich lang sein, um seine differenzierende Funktion zu erfüllen. Baumgarten erwähnt daher zwar die Möglichkeit der Singularität, 345 gibt aber nicht eigens eine Definition entsprechender Sätze. Singuläre Sätze bleiben daher zwar logisch möglich und können ihrer Form nach auch extensional als Proposition, deren Subjektstelle von einem echten Namen und deren Prädikatstelle von einem singulären Merkmal eingenommen wird, bestimmt werden. Sie können aber im extensionalen Rahmen nicht auftreten. Das heißt freilich keineswegs, dass nicht Sätze geäußert oder gebraucht werden können, die als singuläre intendiert und unter den jeweils gegebenen Umständen auch geeignet sind, eine Beziehung zu einem einzelnen Ding herzustellen. Vielmehr bedeutet es, dass sie keine logische Funktion im eigentlichen Sinne erfüllen, d. h. nicht als solche in syllogistischen und anderen Schlüssen auftreten können, wie sie in der extensionalen Logik möglich sind. Baumgarten schließt sich also auch hier der aristotelischen Lehre an:346 »Einzelne Sätze werden in Schluss-Reden (syllogismis) bald mit allgemeinen, bei denen das Eigentümliche des Prädikats mit dem Subjekt vertauscht Erkenntnis  |  165

werden kann, bald mit besonderen, deren Prädikat weiter ist als das Subjekt, angegeben. Deshalb gibt es nicht mehr als diese Modi in der ersten Figur.«347 Singuläre Sätze oder besser: Sätze, die einen singulären Inhalt indizieren sollen, müssen also zum Zwecke des extensionalen Schließens, mithin zum Zwecke ihres logischen Gebrauchs durch universale oder partikuläre Sätze ersetzt werden. Im ersten Fall wird ein Prädikat, das nicht allen Dingen einer Klasse zukommt, 348 deren Definition hinzugefügt, so dass eine neue Klasse definiert wird, die bei Gelegenheit der Definitionsbildung nur von einem Gegenstand erfüllt wird. Subjekt- und Prädikatterm sind dann koextensional, d. h. Wechselbegriffe.349 Diese quantitative Restriktion bleibt indes kontingent. Denn der Sachverhalt, dass der endliche Geist, der eine solche behelfsmäßige, weil zweckgebundene Definition bildet, nur von einem Ding Kenntnis hat, das sich anhand des ausgewählten Prädikats von allen anderen Dingen, von denen er Kenntnis hat, unterscheidet, schließt keineswegs aus, dass es noch andere Dinge gibt oder geben könnte, die ebenso unter jene Definition fallen. Der Satz behauptet also nicht etwas über genau und nur ein Ding, sondern nur über mindestens ein Ding, für das die getroffene Bestimmung gilt. Sie muss aber der Möglichkeit nach genauso für unendlich viele andere Dinge gelten. Daher bleibt sie der Form nach universal, obgleich sie kontingenterweise wie eine singuläre gebraucht wird. Dass es Baumgarten hier um ein derartiges Substitutionsverhältnis geht, zeigen seine Beispiele für die einfache bzw. schlechthinnige Umkehrbarkeit von Sätzen (conversio simplex), 350 bei denen die durch ihre Koextensionalität erzeugte Substituierbarkeit von singulären durch universale Sätze sofort ins Auge fällt: Eigentümliche einzelne Sätze, deren Prädikat nicht weiter als das Subjekt ist, sind vertauschbar, d. i. der eine ist wahr, und auch der andere ist wahr: ›Leibniz ist der Autor einer auf Französisch geschriebenen Theodizée. Der Autor einer auf Französische geschriebenen Theodizée ist Leibniz.‹ ›Jedes unendliche Ding ist ein notwendiges Ding, jedes endliche Ding ist ein kontingentes Ding,‹ sind wahre Sätze von Wechselbegriffen. Deshalb sind auch wahr: ›Jedes notwendige Ding ist ein unendliches Ding, jedes kontingente Ding ist ein endliches Ding.‹351

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Solch epistemisch bedingte Kontingenz der Bestimmung charakterisiert auch den zweiten Fall. Hier wird einem definitorisch gegebenen Subjektterm ein Prädikat hinzugefügt, das nicht in diesem enthalten ist und der Möglichkeit nach auch anderen Gegenständen zugesprochen werden kann, jedoch dem in Rede stehenden Ding kontingenterweise zukommt und dies unter den gegebenen Umständen von anderen Dingen derselben oder anderer Klassen zu unterscheiden geeignet ist. Damit ist bereits die Kommunität der Bestimmung anerkannt. Denn sie gilt wiederum nicht für genau und nur ein bzw. dasjenige Ding, das durch den Satz indiziert werden soll, sondern auch für der Möglichkeit nach unendlich viele andere Dinge derselben Art, deren Existenz im Kontext der Bildung des Satzes aber keine Rolle spielt bzw. von deren Existenz der endliche Geist, der die Bestimmung bildet, keine Kenntnis hat. Die Partikularität des Satzes besteht in der Bestimmung des Subjekts durch ein akzidentielles Prädikat, die wiederum nur dessen Geltung für mindestens ein Ding der durch das Subjekt bestimmten Art aussagt, aber unter den gegebenen Umständen wie ein singulärer Satz gebraucht wird. Sind demnach singuläre Sätze durch universale oder partikuläre Sätze ersetzbar, können Sätze, die Einzelnes thematisieren sollen, in quantitativ modifizierter Form in logischen Schlüssen und daher auch Beweisen auftreten. Deren formale Gültigkeit wird durch diese Operation ja gerade nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr erst hergestellt. Allerdings kann dann nur noch ein geringerer Grad an Gewissheit über die inhaltliche Wahrheit der conclusio bestehen, als dies bei Propositionen und Schlüssen der Fall ist, deren Termini Universale bestimmen, ohne jener quantitativen Modifikation eigens zu bedürfen, d. h. bei solchen, deren Termini hinlänglich definitorisch bestimmt sind.

II. Gewissheit

Der Begriff der Gewissheit steht deswegen im Zentrum von Baumgartens Erkenntnistheorie, weil er die Weise bestimmt, in der sich Erkenntnis auf Wahrheit bezieht. Zwar bleibt Wahrheit, sofern sie Gegenstand des Erkennens ist, eine Eigenschaft von Urteilen. Diese Gewissheit  |  167

Eigenschaft gewinnt ein Urteil jedoch allein dadurch, dass es Seiendes erfasst bzw. aussagt. Schon Baumgartens Erweiterung des Erkenntnisbegriffs durch die Ästhetik macht eine solche eigene Bestimmung erforderlich, da sich ästhetische Erkenntnis, die sich per se auf Einzelnes richtet, und logische Erkenntnis, die prinzipiell auf Universales geht, schon durch ihre Gegenstände unterscheiden. Das ist allerdings nicht die einzige systematische Differenzierung, die hier zu leisten ist. Denn eine Bestimmung der Beziehung von Erkenntnis und Wahrheit darf nicht nur von den verschiedenen möglichen Erkenntnisgegenständen ausgehen. Sie muss auch die verschiedenen möglichen Arten des Erkennens erfassen, die sich eben nicht in sinnlicher Erkenntnis einerseits und verstandes­ mäßiger bzw. vernünftiger andererseits erschöpfen. Vielmehr ist es gerade eine Mischform, die von Baumgarten so genannte »ästhetiko-logische Erkenntnis«, welche die gesamte Erkenntnis der aktualen Welt unter sich begreift, sofern diese auch Gegenstand der Logik, d. h. des Aussagens und Schließens, sein soll. Den Begriff der Gewissheit bestimmt Baumgarten wie folgt: »Gewissheit ist das Bewusstsein der Wahrheit, welche, wenn sie hinlänglich (completa) sein würde, strengere völlige Gewissheit ist (volle, geometrische, mathematische); daher sind uns (sc. Urteile) gewiss, deren Wahrheit wir klar erkennen; uns streng gewiss sind, deren Wahrheit wir hinlänglich erkennen, d. h. ohne Furcht des Entgegengesetzten.«352 Gewissheit besteht also in einem mentalen Zustand. Dieser bezieht sich auf die Bejahung von Urteilen. Affirmative Urteile sind wahre Urteile. Es ist aber nicht ihre Affirmation, die Urteile zu wahren Urteilen macht. Sonst wäre jeder Irrtum, d. h. ein falsches Urteil für wahr zu halten und dadurch die Wahrheit zu negieren, 353 ausgeschlossen. Die Wahrheit, welche die Affirmation eines Urteils begründet, ist nicht das Urteil selbst, das sie erfasst oder aussagt. Sie ist also vom Urteil bzw. ihrer Bewusstheit zu unterscheiden. Daher ist auch die Wahrheit vom Wahr-Sein eines Urteils verschieden. Wahrheit, oder besser vielleicht: das Wahre an einem wahren Urteil, muss daher, wie es zunächst scheint, in bestimmter Weise unabhängig sein von dem mentalen Zustand, der seine Erfassung darstellt. Wenn dieser also erörtert werden soll, ist zuerst der Begriff des Wahren zu analysieren. 168  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Hierzu lässt sich eine Unterscheidung nutzen, die auf den ersten Blick die soeben angeführte rein bewusstseinstheoretische Gewissheitsdefinition zu konterkarieren scheint. Baumgarten trifft sie im Kontext der Erkenntniskritik seiner Logik, wo er die Irrtumsanfälligkeit des endlichen Geistes bei der Gewinnung neuer Erkenntnisse, der ›Erfindung von Unerkanntem‹, 354 behandelt. In dieser Critica inventorum lautet der Paragraph 424: Gewißheit ist entweder objektiv in den gedachten Dingen oder subjektiv in den Denkenden, und diese [ist] entweder ästhetisch oder logisch oder ästhetico-logisch. Aus der anderen Hinsicht, in der sich die Einteilungsglieder unterscheiden, 355 ist subjektive (Gewißheit) ent­ weder hinlänglich (completa) oder unzulänglich, bloße Wahrscheinlichkeit (sola probabilitas). Hinlängliche logische Gewißheit gibt es ausschließlich von Sätzen, die keinen Erweis brauchen, und daher von in strengem Sinne erwiesenen Sätzen allein bei jenem, der auch hinlängliche Gewißheit der Form hätte, daher führt zu dieser allein die mathematische Methode. In allen übrigen gibt es eine gewisse Ungewißheit der Vernunft, die dennoch nicht alle Gewißheit des Wahrscheinlichen aufhebt. Vielmehr hebt Gewißheit, so unbedeutend sie auch immer sein mag, Zweifel auf und beweist die vernünftige Zustimmung gegen den allgemeinen Skeptizismus, den (bald eingebildeten, bald erdichteten) Zustand der an allem zweifelnden Seele. So groß auch immer die Ungewißheit des für uns Wahrscheinlichen sein mag, hebt sie trotzdem die Jesuitische Wahrscheinlichkeit (probabilismum) auf, die böse Überzeugung, dass wir für uns Unwahrscheinlichem zustimmen sollten. Die Mutter selbst des Grundirrtums so sehr ungewisser Menschen über die Gewißheit ist die Vermischung jeder beliebigen Wahrheitsähnlichkeit (verisimilitudinis) mit dem geringsten Grad der Wahrscheinlichkeit und der Gewißheit im weiteren Sinne.356

Baumgarten unterscheidet also zwischen einer dingbezogenen und daher ontologischen, mithin im umfassenden Sinne metaphysischen, und einer psychologischen, mithin im speziellen Sinne metaphysischen Bedeutung von Gewissheit. Er nennt die erste objektive und die zweite subjektive Gewissheit. Allein diese letztere erschöpft die bewusstseinstheoretische Bestimmung von Gewissheit, auf der Baumgartens Epistemologie basiert. Nun setzt aber das Bewusstsein der Wahrheit eines Urteils das Wahre voraus, das unabhängig von diesem Bewusstsein besteht. Es gehört daher auf die Seite der Dinge und nicht auf die Seite der Urteile. Auch wenn man demnach Gewissheit  |  169

wohl durchaus sagen könnte, dass im objektiven Sinne des Wahren Wahrheit so etwas wie eine Eigenschaft der Dinge sei, während Wahrheit im subjektiven Sinne eine Eigenschaft von Urteilen sei, wäre damit noch nicht viel gewonnen. Denn aus welchem Grund ein endlicher Geist zu einem Bewusstsein der Wahrheit eines Urteils gelangt bzw. das Wahre darin erkennt, ist damit noch nicht gesagt: Ein solcher Geist kann nicht zugleich ein unmittelbares Bewusstsein des Wahren haben und eben dieses ausschließlich durch Urteile vermittelt besitzen. Er kann daher nicht die Wahrheit seiner prinzipiell subjektiven Urteile über Gegenstände anhand eines Zugriffs auf die objektive Wahrheit der Dinge bestätigen. Wäre dies der Fall, bräuchte es den so komplizierten Umweg über Begriffsbildung und Urteilen gar nicht und Irrtum wäre ausgeschlossen. Allerdings unterscheidet Baumgarten auch nicht zwischen objektiver und subjektiver Wahrheit, sondern zwischen objektiver und subjektiver Gewissheit. Und schon weil die objektive Gewissheit nun ganz offensichtlich eine Eigenschaft der Dinge und nicht des Geistes und seiner Urteile sein soll, führt der Weg des endlichen Geistes zum Wahren über die objektive Gewissheit.

1. Objektive Gewissheit und metaphysische Wahrheit

Objektive Gewissheit ist also vom Wahren zu unterscheiden. Sie folgt indes aus ihm, hat also ihren zureichenden Grund im Wesen eines Dings und kommt diesem also in der Weise eines Attri­buts zu. Dass objektive Gewissheit eine attributive, also keine essentielle, sondern eine affektive Bestimmung des Seienden darstellt, die daher nur Einzeldingen zukommen kann, 357 wird daran deutlich, dass sie eine Eigenschaft ist, die zwar jedem einzelnen Ding zukommt, aber eine Aktivität ermöglicht, die nur von einem Geist vollzogen werden kann, nämlich das bewusste Vorstellen bzw. Denken der Wahrheit: »Die Gewissheit der Dinge (certitudo obiectiva) ist die bewusste Vorstellbarkeit der Wahrheit in einem Ding (apperceptibilitas veritatis in ente). Nun ist die Wahrheit jedes Dings klar erkennbar. Also ist jedes Ding objektiv gewiss.« 358 Da die klare Erkennbarkeit eines Dings in dessen vollständig rationaler Bestimmtheit gemäß den Prinzipien des ausgeschlossenen 170  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Widerspruchs und des zureichenden Grundes liegt und diese Gültigkeit für jedes mögliche Ding in jeder möglichen Welt besitzen, lässt sich von dieser notwendigen transzendentalen Wahrheit aus nicht zwischen möglichen und wirklichen Dingen unterscheiden. Die damit gewährleistete Denkbarkeit jedes Dings reicht aber noch nicht zur Bewusstheit seiner Wahrheit zu, sofern ein Ding als kontingentes und einzelnes durch einen endlichen Geist gedacht und erkannt werden soll. Die ›Wahrheit in einem Ding‹, die Gegenstand von Erkenntnis ist, enthält zwar notwendig die transzendentale Wahrheit, sie ist aber keineswegs mit ihr identisch. Baumgarten unterscheidet daher zwischen transzendentaler und metaphysischer Wahrheit: »Die metaphysische (reale, objektive, materiale) Wahrheit ist die Ordnung von Vielem in Einem, die notwendige metaphysische (transcendentalis) Wahrheit ist die Ordnung in den wesentlichen Eigenschaften und Attributen eines Dings.«359 Was metaphysische und transzendentale Wahrheit voneinander unterscheidet, ist also die Modalität des Gegenstands, an dem sie als Ordnung auftritt. Insofern jedes Ding in seiner internen Bestimmtheit durch Essentialia, durch diese begründete Attribute und ebenfalls durch diese in ihrer Möglichkeit begründete Modi denkbar sein muss, um möglich zu sein, ist jedes Ding für sich genommen in transzendentaler Weise wahr, 360 sofern es überhaupt möglich ist. Die transzendentale Wahrheit eines Dings besagt folglich nur die Möglichkeit, dass es in irgendeiner Welt existieren kann. Genau deshalb steht die transzendentale Wahrheit in der Modalität der Notwendigkeit. Ein Ding ist nur dann ein Ding, wenn es gemäß dem Satz vom Widerspruch etwas und nicht nichts ist und von allen anderen gemäß dem Satz vom zureichenden Grund durch seine positive interne Bestimmtheit unterschieden werden kann. Die ›notwendige metaphysische Wahrheit‹, wie Baumgarten veritas transcendentalis wiedergibt, gewinnt also metaphysische Notwendigkeit dadurch, dass sie die interne Existenzmöglichkeit eines Dinges begründet. Aus dieser Internalität folgt aber gleichzeitig die Transzendentalität dieser Bestimmung: Denn bis darauf, dass die Beschaffenheit einer Welt der Existenz eines durch seine transzendentale Wahrheit bestimmten Dings nicht widerstreiten darf, ist über dessen Möglichkeit oder Wirklichkeit nichts gesagt. Denn seine transzendentale Bestimmung Gewissheit  |  171

enthält ja gerade nicht die kontingenten relationalen Eigenschaften, die einem Ding notwendigerweise zukommen müssen, wenn es denn tatsächlich in irgendeiner Welt existiert, also wirklich ist. Ebenso wie ein Schluss von der Möglichkeit der Existenz eines Dings auf deren Wirklichkeit unmöglich ist, ändert die notwendige Bestimmung der Existenzmöglichkeit eines Dings durch die von irgendeiner Welt unabhängige transzendentale Wahrheit nichts an der Kontingenz der Existenz des solchermaßen bestimmten Dings. Folglich ist dessen transzendentale Bestimmung insofern immer unvollständig, als sie dessen aktuale Existenz unter der Bedingung einer Welt, d. h. der Beziehung zur aktualen Existenz anderer Dinge, außer Acht lässt. Die transzendentale Wahrheit gilt und bestimmt in identischer Weise mögliche und wirkliche Dinge. Also lässt sich anhand ihrer gerade wegen ihrer Notwendigkeit auch nicht zwischen möglichen und wirklichen Dingen unterscheiden. Genau die modale Bestimmung der Notwendigkeit fehlt indes der metaphysischen Wahrheit. Daher lässt sich die Vielheit der Bestimmungen in Einem, deren Ordnung sie ist, und dieses Eine selbst nun näher fassen. Da die transzendentale Wahrheit alle internen Bestimmungen eines Dings enthält, muss die metaphysische Wahrheit darüber hinaus auch alle relationalen Bestimmungen eines Dings enthalten, d. h. solche Eigenschaften, die einem Ding nur unter der Bedingung seiner gleichzeitigen Existenz zusammen mit anderen Dingen in ein und derselben Welt zukommen. Solche externen Bestimmungen sind andernfalls, mithin allein durch die Betrachtung desjenigen Dings, dem sie zukommen können, nämlich schlechthin nicht vorstellbar. 361 Weil ein wirkliches Ding im Gegensatz zu dem einen notwendig existenten Seienden, das Gott ist und nicht sowohl sein als auch nicht sein kann, stets in einer Welt existieren muss und seine Bestimmtheit deswegen auch durch die Existenz der anderen Dinge in ihr bedingt ist, steht die metaphysische Wahrheit in der Modalität der Kontingenz. Die Kontingenz der Existenz eines Dings ist daher äquivalent mit seiner Existenz in einer Welt, deren Teil es ist: Die einzelnen Teile jeder Welt sind kontingente Dinge. Daher ist deren Existenz ein Modus. Nun ist die Existenz der zugleich genommenen einzelnen Teile einer Welt die Existenz einer Welt. Also ist die Exis172  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

tenz einer Welt ein Modus, und jede Welt ist ein kontingentes Ding. Auf andere Weise: Gesetzt, dass eine bestimmte Welt ein notwendiges Ding sei, werden all ihre inneren Bestimmungen absolut notwendig sein, und deshalb wird kein Teil eben dieser Welt Modi haben und ein kontingentes Ding sein, sondern jeder Teil jener Welt wird ein notwendiges Ding sein, deshalb unendlich, was unsinnig ist. 362

Wenn also jede Welt nicht nur wie ein einzelnes Ding aufgefasst werden kann, sondern auch ein einzelnes Ding ist, muss sie auch von allen anderen möglichen Welten gemäß ihren singulären Eigenschaften unterschieden werden können. Hierzu reichen weder ihre innere Möglichkeit, d. h. ihre Essenz, noch die allein für sich genommen aus dieser folgenden Eigenschaften zu. Was die Singularität einer Welt wie im Falle jedes Einzeldings ausmacht, ist ihre kontingente Existenz. Die kontingente Existenz eines jeden Dings besteht in seiner Beziehung zu allen anderen Dingen, die gleichzeitig mit ihm existieren, d. h. in seinen relationalen Eigenschaften, die seine essentiellen und sonstigen internen Eigenschaften zwar voraussetzen, aber nicht aus diesen vollständig erklärt werden können. Die Singularität eines kontingenten Dings hat ihren zureichenden Grund folglich in seiner veränderlichen Beziehung zu allen anderen Dingen, die mit ihm zugleich existieren. Diese Beziehung, die einem Ding seine durchgängige Bestimmtheit verleiht und so für seine singuläre Identität sorgt, ist der nexus rerum universalis. Dieser folgt zwar den transzendentalen Wahrheitsprinzipien, die sowohl der logischen als auch realen Möglichkeit einer Welt zugrunde liegen, er muss sich aber von allen anderen möglichen Beziehungen von Dingen zueinander, die eine Welt bestimmen, unterscheiden. Der nexus rerum universalis, der eine Welt zu einer Welt macht, weil in ihm ihre Einheit und Ganzheit, mithin ihre Identität liegt, ist folglich selbst singulär. Er bildet daher den Individualbegriff jeweils genau einer möglichen Welt. Er ist demnach nicht ihr transzendentales, sondern ihr metaphysisches Prinzip. Weil weiterhin jedes kontingente Ding nur als Teil einer kontingenten Welt existiert, ist es folglich der jeweilige nexus rerum universalis, der allen Dingen einer Welt gemeinsam ist, indem er sie zu deren Teilen macht. Die metaphysische Wahrheit und damit die Singularität eines Dings besteht also in dessen Wirklichkeit, die ihrerseits darin besteht, dass das Ding allein insofern existiert, Gewissheit  |  173

als es Teil einer singulären Welt ist. Der Individualbegriff bzw. die Idee eines Einzeldings ist folglich äquivalent mit der singulären Realdefinition der Welt, in der es existiert. Es ist daher nur konsequent, wenn Baumgarten aus der Perspektive intensionaler Logik konstatiert, dass die Erkenntnis auch nur eines einzigen Dinges in seiner größten logischen, d. h. hier metaphysischen, Wahrheit äquivalent mit dem Wissen von allem wäre.363 Dies kommt nur einem unendlichen Geist bzw. Gott zu, der – allerdings im intensionalen Sinne  – ausschließlich logisch erkennt, weil er gar nicht anders, d. h. sinnlich, erkennen kann. Der Begriff der metaphysischen Wahrheit wird also durch den Begriff des nexus rerum universalis erfüllt. Dieser enthält in jeder möglichen Welt die allgemeinen Prinzipien (principia catholica), des Widerspruchs, des Satzes vom Grund, vom zureichenden Grund und der Folge. Sie fungieren deshalb in jeder möglichen Welt als Kriterien ihrer Einheit und deswegen ihrer singulären Identität, in der ihre metaphysische Wahrheit besteht, ohne dadurch freilich die Singularität des jeweiligen nexus rerum universalis zu erschöpfen. Weil indes dessen singuläre Definition durch Metaphysik auf der Basis extensionaler Logik betreibende endliche Geister nicht geleistet werden kann, lässt sich der Begriff der metaphysischen Wahrheit nur universal als Übereinstimmung der Dinge mit diesen Prinzipien bestimmen: »Die allgemeinen Grund-Sätze sind den einzelnen Dingen gemein. Das in metaphysischer Weise Wahre wird durch die allgemeinen Grund-Sätze bestimmt, und was mit diesen Grund-Sätzen übereinstimmend bestimmt wird, ist in metaphysischer Weise wahr. Daher kann die metaphysische Wahrheit durch die Übereinstimmung eines Dings mit den allgemeinen Grund-Sätzen definiert werden.«364 Aus dieser möglichen, aber freilich in Bezug auf genau eine kontingente Welt nicht vollständigen Definition der metaphysischen Wahrheit folgt die Rationalität eines jeden möglichen nexus rerum universalis aufgrund seiner Einheit, auch wenn er unendlich komplex sein mag. Er bildet daher eine durchgängig bestimmte Ordnung.365 Also bleibt der singuläre nexus rerum universalis, in dem die metaphysische Wahrheit genau einer Welt besteht, prinzipiell stets möglicher Gegenstand vernünftiger Erkenntnis. Erreicht diese im Falle des endlichen Geistes keine Vollständigkeit, stellt 174  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

dies demnach kein Defizit der aktualen Welt dar, sondern folgt allein aus seiner epistemischen Beschränktheit: »Weil alle Beschaffenheiten der Dinge objektiv gewiss sind, das ist: deren Wahrheit klar erkannt werden kann, hat keine philosophische Ungewissheit den zureichenden Grund in den Erkenntnisgegenständen, sondern in den begrenzten Fähigkeiten des Erkennenden.«366

2. Subjektive Gewissheit

Objektive Gewissheit hat ihren Grund in der metaphysischen Wahrheit und bildet ihrerseits den Grund der Erkennbarkeit derselben. Sie ist insofern eine Eigenschaft der Erkenntnisgegenstände, d. h. jedes Gegenstands, sofern er überhaupt möglich ist. Demzufolge ist jede mögliche Erkenntnis durch einen endlichen Geist selbst immer subjektiv gewiss: Die Rede von der objektiven Gewissheit einer solchen Erkenntnis wäre eine contradictio in adiecto. Subjektive Gewissheit hingegen ist eine Eigenschaft des Erkennenden, nämlich ein kontingenter mentaler Zustand: »Das subjektiv Gewisse ist solches, dessen Wahrheit von bestimmten Subjekten bzw. Erkennenden klar erkannt wird.«367 Wenn Erkenntnis von Wahrem mit Klarheit beginnt, erweitert Baumgarten, insbesondere im Vergleich zum strikten Rationalismus etwa Wolffs, deren Bereich mit der behaupteten Koextensionalität von subjektiver Gewissheit und Klarheit erheblich.368 Denn dann besitzt jede klare Vorstellung – sei sie nun deutlich oder verworren  – den Status wahrer Erkenntnis. Deren Subjektivität gefährdet indes nicht die Einheit des Wahrheitsbegriffs oder macht gar die Einführung verschiedener Wahrheiten nötig. 369 Vielmehr rechtfertigt die eine metaphysische Wahrheit  – sei es in ihrer notwendigen bzw. transzendentalen oder in ihrer kontingenten Form – gerade den universalen Anspruch subjektiver Gewissheit, in jeder ihrer Ausprägungen Erkenntnis von Wahrem zu sein. Es gibt, mit anderen Worten, zwar nur eine Wahrheit, aber verschiedene Weisen, auf die ein endlicher Geist sich ihrer bewusst sein kann. Baumgarten unterscheidet hierbei ästhetische, logische und ästhetikologische Gewissheit, die ihrerseits ent­weder hinlänglich, also ohne Falschheit befürchten zu müssen (sine formidine oppoGewissheit  |  175

siti), oder unzulänglich, d. h. wahrscheinlich (probabile), aber nicht bloß wahrheitsähnlich (verisimile) sein können. Nun ist die Philosophie die einzige Wissenschaft, die alle Arten subjektiver Gewissheit bei ihrem Geschäft anerkennen und in Gebrauch nehmen muss. Denn die »Philosophie ist die Wissenschaft von den Beschaffenheiten in den Dingen, die ohne Glauben erkannt werden können.«370 Die Philosophie ist damit bereits von der geoffenbarten Theologie, die per definitionem nicht ohne Glauben erkennt, und der Mathematik, deren Gegenstand nicht Qualitäten, sondern Quantitäten bilden, 371 unterschieden. Da »Wissenschaft gewisse Erkenntnis aus Gewissem« bedeutet, 372 ist die Philosophie auch nicht auf eine bestimmte Art von Gewissheit festgelegt, sondern allein auf die Gewissheit ihrer Erkenntnisgründe. Dies unterscheidet philosophische wiederum von historischer Erkenntnis, die sich ohne Gewissheit auf die Existenz von Dingen bezieht, d. h. über kein Bewusstsein der Wahrheit der Differenz oder Identität ihrer Gegenstände verfügt. 373 Gerade darin besteht Klarheit. Daher gilt: »Subjektive Gewissheit (Überzeugung) wäre, weil sie Bewusstsein der Wahrheit ist, in der Philosophie, wenn ein einziger Mensch auch nur die kleinste Wahrheit einer einzigen philosophischen Vorstellung mit dem geringsten Grad der Klarheit erkennen würde.« 374 Folglich fällt auch jede ästhetische Erkenntnis unter den Begriff philosophischer Erkenntnis. Das kann kaum anders sein. Denn ästhetische Erkenntnis kann sich ausschließlich auf Einzeldinge beziehen, und wiederum ausschließlich an Einzeldingen kann die kontingente metaphysische Wahrheit, d. h. zugleich: die Beschaffenheit der aktualen Welt und folglich ihre Vollkommenheit, erkannt werden. Deren Erkenntnis ist aber nach Baumgarten die vordringliche Aufgabe der Philosophie. Soll Philosophie also im eigentlichen Sinne des Wortes »Welt-Weisheit« sein, muss sie auch eine Theorie des epistemischen Zugangs zu den einzelnen Dingen bzw. der kontingenten metaphysischen Wahrheit enthalten. Diese Funktion erfüllt bei Baumgarten die Ästhetik. Weil die Philosophie aber aus Gründen erkennt, muss sie zum Gegenstand ebenfalls sowohl die notwendige transzendentale Wahrheit haben, welche erst die Möglichkeit der Existenz jeder möglichen Welt erklärt, als auch die gemeinsamen, aber kontingenten Regeln, welche 176  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

die gleichzeitige und aufeinanderfolgende Existenz der Dinge und ihrer Zustände rational ordnen, d. h. die Naturgesetze im weitesten Sinne.375 Allerdings sind diese durch ihre Formalität, Kommunität und  – wie man insbesondere etwa an den mechanischen Bewegungsgesetzen sieht – ihre Größenbezogenheit wiederum vom singulären nexus rerum universalis zu unterscheiden; – denn es lassen sich unschwer auch andere Welten, d. h. andere Ensembles anderer Dinge, denken, in denen dieselben Naturgesetze herrschen. Die philosophische Erkenntnis aller dieser Gegenstände kann nun wie jede Erkenntnis eines endlichen Geistes immer nur subjektiv gewiss sein. Subjektive Gewissheit kann jedoch hinlänglich (completa) oder unzulänglich (incompleta) sein. Im ersten Fall braucht der erkennende Geist keinen Irrtum zu befürchten, im zweiten Fall gelangt er nur zu Wahrscheinlichkeit, ohne dass damit aber sein Bewusstsein von Wahrheit, d. h. seine Gewissheit, eliminiert wäre: Die ›gewisse Ungewissheit der Vernunft‹ (quaedam rationis incertitudo), von der Baumgarten spricht, ist also nicht dasselbe wie schlichtes Unwissen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sowohl logischer als auch ästhetischer Erkenntnis die Eigenschaft der Hinlänglichkeit zukommt, während ästhetikologische Erkenntnis, d. h. die Erkenntnis kontingenter Dinge durch klare und deutliche Begriffe, stets nur zu Wahrscheinlichkeit führt, mithin stets unzulänglich bleibt.

a) Hinlängliche subjektive Gewissheit

Der weiter oben zitierte Paragraph 424 der Logik thematisiert nach seiner allgemeinen Unterscheidung der drei Arten und der zwei Grade von Gewissheit ganz offenkundig und wenig überraschend – es handelt sich ja um eine Logik – nur hinlängliche Gewissheit, sofern sie logisch ist. Deren Begriff ist indes dem Verständnis sowohl der Hinlänglichkeit der ästhetischen als auch der Unzulänglichkeit, mithin Wahrscheinlichkeit der ästhetikologischen Gewissheit vorausgesetzt.

Gewissheit  |  177

α) Mathematische Gewissheit

Hinlängliche logische Gewissheit nennt Baumgarten auch »vollständig, mathematisch, geometrisch«. 376 Der Einfachheit halber und um Verwechslungen mit der ebenfalls möglichen unzulänglichen logischen Gewissheit zu vermeiden, bleiben wir im Folgenden bei der Bezeichnung »mathematische Gewissheit«. Denn zur Hinlänglicheit der logischen Gewissheit hieß es im bereits angeführten Paragraphen 424: »Hinlängliche logische Gewissheit gibt es ausschließlich von Sätzen, die keinen Erweis brauchen, und daher von in strengem Sinne erwiesenen Sätzen377 allein bei jenem, der auch hinlängliche Gewissheit der Form hätte, daher führt zu dieser allein die mathematische Methode.« Daraus folgt nun, dass es neben der mathematischen Gewissheit über mathematische Gegenstände nur noch mathematische Gewissheit über die transzendentalen Bedingungen einer möglichen Welt überhaupt und vielleicht auch noch in gewisser Weise über irgendeine mögliche Welt geben kann, aber keinen einzigen mathematisch gewissen Satz über eine einzelne kontingente bzw. die wirkliche Welt. Dies ergibt sich bereits aus Baumgartens Definition eines »keinen Erweiß brauchenden Satz(es) (propositio indemonstrabilis), der uns allein durch die verstandenen Termini hinlänglich gewiss wird«.378 Wenn ein solcher Satz theoretischer Natur ist, nennt ihn Baumgarten Axiom.379 Dabei handelt es sich also um Sätze, deren Bedeutung allein aus den in ihm gebrauchten Worten erkannt wird, 380 d. h. es sind zu ihrem Verständnis keine anderen Sätze erforderlich. Nun sind Termini »Zeichen von Vorstellungen«, die erst dadurch Bedeutung gewinnen, dass sie Begriffe bezeichnen.381 Die Formulierung eines Axioms setzt daher einen Prozess der Begriffsbildung voraus, wie er bereits beschrieben wurde, so dass in ihm nur abstrakte, mithin universale Terme auftreten können. Wenn die Bedeutung eines solchen Satzes aber allein aus den in ihm gebrauchten Termini erkennbar sein soll, muss er sich selbst erklären. Dies gilt nur für Sätze, deren Prädikat das Subjekt vollständig bestimmt, so dass Prädikat und Subjekt dieselbe Bedeutung besitzen, d. h. für identische Sätze. 382 Dies trifft generell für Definitionen zu. 383 Alle Definitionen haben also axiomatischen Charakter, 384 denn sie können aus sich heraus verstanden werden und bedürfen 178  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

daher keines Beweises. Dennoch würde man nicht jede Definition ohne Weiteres ein Axiom nennen. Denn die Erkenntnis seiner Bedeutung steht unter der kontingenten Bedingung, dass alle Teilbegriffe, die im Definiens enthalten sind, bekannt sind. Definitionen komplexer Termini sind also durchaus eines Beweises zugänglich, obgleich ein solcher freilich nicht nötig ist, wenn die genannte Bedingung erfüllt ist. Denn ihre mathematische Gewissheit hängt von den Definitionen weniger komplexer Terme ab, welche die Teilbegriffe komplexerer Definitionen bestimmen, wie das Paradigma eines axiomatischen Systems, Euklids Elementa, zeigt. So sorgt die vollständige analytische Erklärbarkeit solcher komplexer Defi­nitionen zwar für deren mathematische Gewissheit, besagt aber zugleich, dass ihr Verständnis das Verständnis von von ihnen verschiedenen Sätzen voraussetzt. Allein, d. h. ohne den Rekurs auf andere Sätze, aus den auftretenden Termini sind also offenbar nur Sätze verständlich, die nicht nur keines Beweises bedürfen, sondern auch nicht beweisbar sind. Dies gilt etwa für den ersten Lehrsatz bzw. das erste Axiom aus den Elementen des Euklid: »Ein Punkt ist, was keine Teile hat.« Da diese Definition negativ ist, sieht man leicht, dass sie sich nicht aus einem anderen Satz ableiten oder beweisen lässt. Das begriffliche Material erlaubt allenfalls die Umkehrung des Satzes – »Ein NichtPunkt ist, was Teile hat« oder »Was Teile hat, ist kein Punkt«, die völlig unbestimmt und ebenso wenig verständlich wie das Original ist, wenn die Bedeutung des Begriffs »Teil« nicht verstanden ist. Aber auch dann, wenn diese Bedingung erfüllt ist, lässt sich die Definition des Punktes nicht aus dem Begriff des Teiles ableiten. Denn er ist ein relationaler Begriff, dessen Bedeutung nur in Beziehung zum Begriff des Ganzen erkannt wird. Die Teil-Ganzes-Relation betrifft aber nicht exklusiv mathematische bzw. geometrische Gegenstände, sondern alle möglichen. Dies gilt ebenso für den Versuch einer Ersetzung durch »einfach« und »zusammengesetzt«. Es ist daher der Gebrauch des Begriffs des Teiles zur Definition des einfachsten Gegenstands der Geometrie, der sich nicht aus einem anderen Satz ableiten bzw. beweisen lässt. Euklids Definition von Punkt ist daher eine Setzung, die nicht beweisbar ist und erst unter Voraussetzung des Verständnisses der Bedeutung des Begriffs des Teiles verstanden werden kann. Sie ist aber gerade nicht im Begriff Gewissheit  |  179

des Punktes enthalten, weil dieser jenen ja ausschließt. Strenggenommen ist folglich auch Euklids erstes Axiom nicht allein und vollständig durch sich selbst verständlich, obwohl es unbeweisbar und mathematisch gewiss ist. Um Verständlichkeit durch sich selbst zu besitzen, muss daher ein mathematisch gewisser Satz noch mehr als nur unbeweisbar sein. Dies setzt zweierlei voraus: Zum einen müssen die in ihm enthaltenen Termini deutliche Begriffe sein, d. h. sie dürfen keine inexpliziten Teile enthalten, und zum anderen dürfen die in ihm enthaltenen Termini zu ihrem Verständnis keine anderen Begriffe voraussetzen bzw. analytisch auf andere Begriffe zurückgeführt werden können. Also müssen die in einem allein durch sich selbst verständlichen Satz enthaltenen Terme einfache Begriffe bezeichnen. Folglich kann ein derartiger Satz auch keine Definition sein. Er kann deswegen keinen Inhalt haben, weil ein solcher durch komplexe Terme bestimmt sein müsste. Daher muss in einem solchen Axiom die Subjekt- und die Prädikatstelle von ein und demselben Terminus besetzt sein. Diese formale Bedingung erfüllen nur drei Sätze, nämlich der Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs, der Satz des ausgeschlossenen Dritten und der Satz der Identität. 385 Sie sind Prinzipien der Metaphysik, weil sie, ohne eine inhaltliche Bestimmung zu besitzen oder auf ein bestimmten Gegenstandsbereich beschränkt zu sein, die Bedeutung von »Etwas« erklären. Daher transzendieren sie die Logik, weil zum einen die Logik und folglich jede mögliche wissenschaftliche Erkenntnis den Begriff von Etwas immer schon voraussetzt und zum anderen nicht jede mögliche Erkenntnis logischer Natur ist. Folglich fungieren diese drei Prinzipien zugleich als die einzigen möglichen Quellen aller wissenschaftlichen Erkenntnis und stellen die höchsten Wahrheiten der Philosophie als Wissenschaft dar.386 Nun ist klar, dass diese obersten transzendentalen Prinzipien jedes überhaupt mögliche Etwas in gleicher Weise bestimmen. Sie bestimmen daher kein besonderes, einzelnes Ding in seiner singulären Wirklichkeit. Sie bestimmen daher weder Dinge vollständig noch was es heißt, dass ein wirkliches Ding in einer kontingenten Welt existiert, sondern nur die formale Möglichkeit des DingSeins überhaupt. Jene Prinzipien können und sollen folglich auch nicht unterscheiden zwischen logischer Möglichkeit, d. h. dem, was 180  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

wider­spruchsfrei gedacht werden kann, und realer Möglichkeit, d. h. dem, was unter der kontingenten Bedingung eines besonderen Grundes existieren kann. Sie beziehen sich daher eo ipso auf alles Wirkliche, weil sie sich auf alles Mögliche beziehen, aber auf kein bestimmtes Wirkliches. Sie sehen daher von jeder Wirklichkeit ab und sind aufgrund dieser vollständigen Abstraktheit, die gar keinen Inhalt mehr besitzt, formal. Es gibt daher mathematische Gewissheit weder von der kontingenten Existenz irgendeiner – also auch nicht dieser  – Welt noch, a fortiori, von deren Beschaffenheit  – also auch nicht von der Beschaffenheit irgendeines Dings in ihr. Es kann daher keine mathematische Gewissheit davon geben, wie genau sich einzelne Dinge voneinander unterscheiden, so dass sie unter allen anderen möglichen Dingen identifiziert werden könnten, sondern nur von ihrer Unterscheidbarkeit und der Notwendigkeit ihrer singulären Identität. Gleiches gilt auch für inhaltlich bzw. qualitativ bestimmte Termini enthaltende Sätze, welche sich auf irgendeine Welt beziehen, indem sie Gegenstände definieren und deren Bestand oder Verhalten in ihr behaupten. Dies erfordert die Bildung und den Gebrauch von Nominaldefinitionen. Da sie allein dem Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs unterstehen, können sie durchaus frei erfunden, mit anderen solchen Definition verbunden oder zusammengenommen und zur Bestimmung einer möglichen Welt erklärt werden. Sofern dabei alle transzendentalen Prinzipien beachtet werden, besteht mathematische Gewissheit von der Möglichkeit der entsprechenden Welt, aber naturgemäß nicht von deren Wirklichkeit. Gemeinhin werden Nominaldefinitionen indes zum Zwecke erfolgreicher Orientierung in der Welt und erfolgreicher Verständigung aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch gewonnen, der durch sie zur Eindeutigkeit gebracht wird, 387 ohne zu ihm in Widerspruch zu stehen. Dass jedoch auch aus ihrem erfolgreichen Gebrauch nur die Möglichkeit der durch sie bestimmten Welt hervorgeht, sie aber nicht ihre Wirklichkeit mit mathematischer Gewissheit zu erkennen geben, ist leicht zu sehen. Denn zunächst einmal stellen Nominaldefinitionen rein logische, mithin mentale Gegenstände dar, deren Gebrauch pragmatischen Gründen folgt. Sie müssen in einem Prozess abstraktiver Begriffsbildung aus der Wahrnehmung Gewissheit  |  181

einzelner Dinge erzeugt werden, da ihr Inhalt nicht aus logischen Prinzipien abgeleitet werden kann. Weil sie infolgedessen nicht alle Beschaffenheiten des Einzeldings enthalten können, erfassen sie auch nicht dessen Wirklichkeit, sondern bestenfalls sein Wesen, d. h. seine innere Möglichkeit. Da Nominaldefinitionen vollständig analysierbar sein müssen, weil nur deutliche Merkmale in sie eingehen dürfen, können auch sie mathematische Gewissheit beanspruchen. Daher können aus ihnen weitere Begriffe, Sätze oder Schlüsse gleicher Gewissheit gebildet werden. Weil nämlich Nominaldefinitionen prinzipiell Sätze sein müssen, deren Prädikate das Subjekt des Satzes logisch vollständig explizieren sollen, und daher grundsätzlich zusammengesetzte Begriffe definieren, da sie sonst Tautologien darstellten, 388 müssen die in sie eingehenden Teilbegriffe entweder selbst einfach sein oder auf einfache Begriffe zurückgeführt werden können. Ist dies der Fall – verfügt man also über deutliche Begriffe der deutlichen Merkmale –, kann auch ein derart nominal definierter Universalbegriff adäquat sein. Damit ist auch auf Seiten solcher Begriffe mathematische Gewissheit erreicht. Sie bezieht sich aber immer noch allein auf die Möglichkeit einer Welt bzw. einer Art von Dingen in ihr und nicht auf die Wirklichkeit auch nur eines einzigen Dings, geschweige denn der durch ein System von Nominaldefinitionen bestimmten einzelnen Welt. Es kann daher keinen einzigen mathematisch gewissen Satz über die wirkliche Welt geben. Folglich kann mathematische Gewissheit weder über die Beschaffenheit eines kontingenterweise existenten Einzeldings noch über die Existenz dieses und keines anderen singulären Dings noch über die Existenz dieser und keiner anderen Welt bestehen. Mathematische Gewissheit kann demgegenüber allein im Bezug auf das Verhältnis eindeutig bestimmter universaler Begriffe und Sätze untereinander bestehen.389 Daher ist ebenfalls keine Behauptung der Existenz irgendeines kontingenten Dings, das vom Behauptenden selbst verschieden ist, so beweisbar, dass sie zu mathematischer Gewissheit ihrer Wahrheit oder Falschheit führen könnte. Verfügte man also über alle möglichen mathematisch gewissen Behauptungen, würden diese doch nicht einmal die Existenz des Leibes des Behauptenden einschließen. Wäre also allein vollständige logische Gewissheit erreichbar, müsste daraus eine umfassende Außenweltskepsis folgen. Wenn nämlich in kei182  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ner Weise ausschließlich mit logischen Mitteln die Existenz des eigenen Körpers beweisbar ist, weil – wie etwa George Berkeley vor Augen führt – alles, was durch die Annahme des Körpers erklärbar ist, auch durch den Geist erklärt werden kann, so kann zwischen den beiden gegebenen Alternativen nicht allein mit logischen Mitteln entschieden werden. Daher ist Urteilsenthaltung geboten. 390 Aus einem suspendierten Urteil lassen sich aber keine Theorien mehr entwickeln, über deren Wahrscheinlichkeitsgrad noch entschieden werden könnte. Alle würden bestenfalls gleichermaßen mögliche Welten mit mathematischer Gewissheit zu erkennen geben, ohne dass eine Entscheidung, welche davon die aktuale Welt am ehesten erklärt, auch unter Inkaufnahme eines geringeren Gewissheitsgrades noch epistemologisch zulässig wäre. Denn die Anerkennung der Wahrscheinlichkeit irgendeines Satzes, der nicht mathematisch gewiss und also mit Notwendigkeit wahr ist, wäre so schlicht nicht mehr zu rechtfertigen. Von einer wie auch immer gearteten wissenschaftlichen Erkenntnis des Kontingenten, also der aktualen Welt, ja sogar von der bloßen Möglichkeit dazu unter den epistemischen Bedingungen des menschlichen Geistes könnte dann nicht mehr die Rede sein.

β) Ästhetische Gewissheit

Begreift man unter wissenschaftlicher Erkenntnis der kontingenten Welt Naturwissenschaft im weitesten Sinne, weil sie sich auf das richtet, was unabhängig vom Menschen existiert, folgt aus der Beschränkung mathematischer Gewissheit auf die tranzendentalen Prinzipien der Metaphysik und den Zusammenhang logischer Gegenstände die Notwendigkeit einer Rechtfertigung der Möglichkeit der Naturwissenschaft bzw. der auch nur wahrschein­ lichen Erkenntnis kontingenter Dinge. Dies erfordert zumindest vollständige Gewissheit von der Existenz kontingenter Dinge, die verschieden sind vom Geist des Erkennenden. Denn sonst gäbe es ja vielleicht keine Natur, die wissenschaftlich zu erforschen wäre. Dass jene Erkenntnis der Existenz von extramentalem Kontingentem nicht logischen Charakters sein kann, ist mittlerweile klar. Sie kann ebenso wenig diskursiv erfolgen, sofern wissenschaftliche ErGewissheit  |  183

kenntnis gerade so verfährt, weil sie in dem Maße logisch ist, als sie gewisse – also auch bloß wahrscheinliche – Sätze aus Gewissem gewinnt.391 Nun unterscheidet Baumgarten in der Logik diskursive von intuitiven Sätzen: »Ein Erfahrungs-Satz (propositio intuitiva) ist uns durch Erfahrung (experientia) hinlänglich gewiss, eine Folgerung (propositio discursiva) aber wird aus anderen erkannt.«392 Diskursive Sätze setzen also andere Sätze voraus. Daher hängt unter der Bedingung formal korrekter Ableitung sowohl ihr Wahrheitswert als auch insbesondere ihr Gewissheitsgrad von diesen ab. Intuitive Sätze scheinen dagegen keine anderen vorauszusetzen. Sie können selbst aber auch keine Axiome oder Prinzipien sein. Denn dann müsste Erfahrung selbst wiederum logischer Natur sein oder es müsste Erfahrung von Möglichem, d. h. aktual Nicht-Seiendem, geben, was gänzlich ausgeschlossen ist. Im Gegenteil kann eine Erfahrung selbst überhaupt kein Satz sein, da sie durch die unteren Erkenntnisvermögen gebildet wird, die zwar den transzendentalen Prinzipien folgen und wenigstens den Satz des Widerspruchs erkennen lassen, aber keine propositionale Struktur beinhalten. Dies schließt freilich wiederum keineswegs aus, dass es Erfahrungssätze geben kann. Baumgarten behandelt den Begriff der Erfahrung im Paragraphen 544 der Metaphysik: Weil die Sinne die Einzeldinge dieser Welt, die daher durchgängig bestimmt sind, als solche, daher im universalen Zusammenhang, vorstellen, die Zusammenhänge aber, insbesondere die beziehungsweise zukommenden Bestimmungen, nicht ohne beide Verbundenen vorgestellt werden können, werden in jeder mit dem Sinn bzw. eben dem, was empfindet, verbundenen Empfindung Einzeldinge vorgestellt, doch nicht auf klare Weise, daher gewöhnlich zum grössten Teil auf dunkle Weise. Also ist in jeder Empfindung etwas vom Dunklen, daher ist auch in jeder deutlichen Empfindung immer etwas von der Verworrenheit beigemischt. Deswegen ist jede Empfindung eine sinnliche Vorstellung, die durch das untere Erkenntnisvermögen gebildet werden muss. Und weil Erfahrung klare Erkenntnis durch die Sinne ist, ist die Ästhetik, indem sie Erfahrungen vergleicht und vorträgt, empirisch. 393

Neben der wenig überraschenden Feststellung, dass die Ästhetik als Theorie der unteren bzw. sinnlichen Erkenntnisvermögen empirischer Natur sein muss, so etwas wie eine »Aesthetica rationalis« 184  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

mithin nicht denkbar ist, fällt hier zweierlei ins Auge. Zum einen bestätigt Baumgarten nochmals die exklusive Konzentration sinnlicher Erkenntnis jeder Form auf Einzeldinge und schließt infolgedessen alle Relationen von ihr aus. Dies bedeutet aber nicht, dass Einzeldinge dergestalt gänzlich relationsfrei sinnlich vorgestellt würden, dass ihre Vorstellung völlig unabhängig von ihren relationalen Eigenschaften wäre. Vielmehr bleiben diese dunkel und müssen sogar den größten Teil der Vorstellung eines Einzeldings bilden, weil die durchgängige Bestimmtheit, welches ein Einzelnes als solches ausmacht, gerade in seinem Zusammenhang mit allen aktualen Einzeldingen besteht, welcher das Universum im Ganzen ausmacht. Wenn aber das Einzelding als solches Gegenstand der sinnlichen Empfindung sein kann, folgt daraus die Empfindbarkeit auch der durch den nexus universalis bestimmten Eigenschaften auf Seiten jedes Einzeldings. Weil nun die Empfindung immer den seelischen oder körperlichen bzw. den seelischen und körperlichen Zustand des Empfindenden zum Gegenstand hat, 394 könnte man versucht sein, auf die vollständige Subjektivität solcher ästhetischer Vorstellungen zu schließen; so wie etwa Kants reines Geschmacksurteil allein die ungestörte Tätigkeit der Verstandesvermögen anzeigt, während deren Anlass, d. h. irgendein »schönes« Ding, dem Blick gänzlich entschwindet. Obwohl Kant und Baumgarten beide durchaus die Frage nach der Möglichkeit von  – insbesondere wissenschaftlicher – Erkenntnis überhaupt stellen, wäre jener Schluss völlig verfehlt – was indes weder gegen Baumgartens noch für Kants Lösung und umgekehrt spricht. Denn dasselbe, was für irgendwelche vom Empfindenden verschiedene Dinge gilt, gilt naturgemäß auch für den Empfindenden selbst, weil er genauso ein einzelnes Ding in der aktualen Welt und daher gemäß dem nexus rerum universalis durchgängig bestimmt ist. Verhält sich nun der Empfindende in der sinnlichen Empfindung insoweit passiv, als er die Tätigkeit seiner äußeren Wahrnehmungsorgane nicht nach Belieben kontrollieren kann, weil sie stets Empfindungen des gesamten Universums vermittelt, die jedenfalls in dunkler Weise seinen jederzeit singulären seelischen Zustand konstituieren, stellt auch jede äußere und innere Empfindung den aktuellen Zustand des gesamten Universums vollständig so dar, wie er ist, wenngleich eben aus der Perspektive des Leibes des Empfindenden. Das heißt aber, Gewissheit  |  185

dass der Empfindende auch jedes einzelne Ding im Universum inklusive seiner selbst vorstellt, so wie es ist, wenngleich aus der Perspektive der Position seines Leibes im Universum – wodurch sich zugleich bequem sowohl der Gebrauch des Begriffs der Erscheinung als auch die partielle Dunkelheit sinnlicher Vorstellungen erklärt. Denn aufgrund der notwendigerweise beschränkten Empfindlichkeit der Sinnesorgane aller damit ausgestatteten Wesen sind die meisten Teilempfindungen im jeweiligen, auf das Gesamtuniversum bezogenen Empfindungszustand – teils wegen der Distanz der empfundenen Dinge, 395 teils wegen der Überlappung verschiedener Empfindungsteile396  – von zu geringer Intensität, als dass sie die Aufmerksamkeit des Empfindenden auf sich ziehen könnten: Beim größten Teil jedes möglichen Empfindungszustands muss es sich also stets um »petits perceptions« handeln. Das Rote Alte Wesen auf Beteigeuze hat also zwar Empfindungen von mir und meinem Bleistift und umgekehrt, aber weder es noch ich bemerken, dass wir diese Empfindungen haben. Denn die eingeschränkte Feinheit unserer Sinnesorgane kann auch nicht durch eine umso extremer gesteigerte Fähigkeit zur Aufmerksamkeit kompensiert werden. Deren unendliche Steigerung setzte nämlich die Unendlichkeit des Wahrnehmungsvermögen voraus, was der Endlichkeit sinnlicher Wesen widerspräche. Kein Akt der Aufmerksamkeit führt des­ wegen zu einer vollständigen Wahrnehmung eines Einzeldings, die ein klares Bewusstsein aller seiner Eigenschaften enthielte  – wie­derum inklusive des Wahrnehmenden selbst. Auch dann also, wenn eine bewusste Empfindung vorliegt, die zur Unterscheidung eines Dings von anderen zureicht und deren Teile selbst differenziert bewusst sind – d. h. das, was Baumgarten an dieser Stelle ›sensatio distincta‹ nennt –, ist diese längst nicht in dem Grade differenziert, dass sie die Differenzierung ihres Gegenstandes von allen anderen überhaupt möglichen Dingen und daher seine absolute Identifikation erlaubte. Sie enthält daher immer noch Verworrenheit bzw. unendlich viele dunkle Teile, deren vollständige Transparenz bzw. Bewusstheit zwar zur absoluten Identifikation des Dings zureichte, aber aufgrund der epistemischen Beschränktheit eines endlichen Geistes, mithin aus kontingenten Gründen, ausgeschlossen bleibt. Jede Empfindung ist daher unerschöpflich, gerade weil ihr Gegenstand stets ein Einzelding sein muss. 186  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Zum anderen ist der Gewissheitsgrad einer Erkenntnis offenbar von ihrem Klarheitsgrad unabhängig. Denn es gibt sowohl logische Erkenntnisse, die per definitionem klar und deutlich sind, als auch ästhetische Erkenntnisse, die per definitionem klar und verworren sind, welchen aber beidenthalben vollständige subjektive Gewissheit zukommt. Beide Erkenntnisweisen unterscheiden sich zunächst ihrer Form nach dadurch, dass logische Erkenntnis prinzipiell propositionale Struktur besitzen muss, während ästhetische Erkenntnis eine solche Struktur gar nicht besitzen kann. Sie kann also weder axiomatisch noch diskursiv sein. Es ist daher ebenso präzise wie konsequent, wenn Baumgarten im Rahmen seiner Logik davon spricht, dass intuitive Sätze durch Erfahrung vollständige Gewissheit erreichen. Denn eine Erfahrung kann selbst kein Satz sein – sonst wäre schließlich ein durch Erfahrung vollständig gewiss gemachter Satz nicht intuitiv, sondern diskursiv. Erfahrung besteht also in ästhetischer Erkenntnis und ist demzufolge nichtpropositionaler Struktur. Ein ›Erfahrungs-Satz‹, dessen vollständige Gewissheit durch Intuition hergestellt wird, kann daher nicht einfach eine Aussage sein, die kontingenterweise gebildete, empirische Begriffe enthält. Baumgarten unterscheidet deshalb auch zwischen Erfahrung im weiteren und strengem Sinne: »Eine klare Erkenntnis durch Empfindung ist eine so genannte Erfahrung (experientia latius dicta), eine unmittelbar durch Empfindung gewonnene ist eine genauere Erfahrung (experientia strictius dicta).«397 Eine ›so genannte Erfahrung‹ setzt also Empfindung voraus. Sie besteht aber nicht allein in deren Bewusstheit. Vielmehr muss sie offensichtlich durch etwas vermittelt werden, was nicht selbst Empfindung sein kann. Da es um klare Erkenntnis geht, die nicht intuitiv ist, muss sie propositionale Form besitzen; da sie durch Empfindung geschieht und sich folglich auf deren Inhalt bezieht, involviert sie die abstraktive Bildung empirischer Begriffe und deren extensional-logischen Gebrauch, weil auch derartige Begriffe logische Gegenstände sind. Baumgarten nennt diese empirische Erkenntnis ästhetikologisch. Auf sie ist später noch näher einzugehen. Eine ›genauere Erfahrung‹ besteht demgegenüber in der Bewusstheit einer Empfindung selbst, da sie durch nichts anderes vermittelt wird. Sie ist folglich nicht propositional und muss daher begriffsfrei bleiben, und zwar in dem genauen Sinne, dass sie keine Gegenstände Gewissheit  |  187

enthalten kann, wie sie die extensionale Logik konstituieren, d. h. keine universalen Terme. Ihre Wahrheit ist demzufolge auch nicht von der Bildung einer Aussage abhängig und besteht ohne diese, wenngleich durch eine solche Erfahrung im strengen Sinne intuitive Sätze vollständige Gewissheit erlangen können. Diese nichtpropositionale Wahrheit ist Gegenstand ästhetischer Erkenntnis, und ästhetische Gewissheit liegt in Erfahrung im strengen Sinne.398 Dies kann freilich nicht ihre schlechthinnige Begriffsfreiheit bedeuten. Von der ästhetischen Erkenntnis ausgeschlossen bleiben ja nur universale Terme, nicht aber singuläre Vorstellungen. Ästhetische Erkenntnis ist also stets Erkenntnis von Einzelnem. Genau deswegen verfährt sie auch in reiner Form intuitiv, wie Baumgartens schon einmal angeführte Bestimmung zeigt: »Wenn Zeichen und Bezeichnetes durch den Wahrnehmenden verbunden wird und die Wahrnehmung mehr die des Zeichens als des Bezeichneten ist, nennt man eine solche Erkenntnis symbolisch, wenn die Vorstellung mehr die des Bezeichneten als des Zeichens ist, wird die Erkenntnis anschauend [intuitiva] (eine Anschauung) sein. In beider Erkenntnis ist das Gesetz des Vermögens der Zeichen-Kunde dies: Die eine der verbundenen Wahrnehmungen sei das Mittel, um die Existenz von etwas anderem zu erkennen.«399 Die Erkenntnis der Wirklichkeit von etwas, das verschieden und unabhängig von der mentalen Tätigkeit des Erkennenden ist, bedarf der Relation von Zeichen und Bezeichnetem. Sie besteht darin, dass ersteres Mittel zur Erkenntnis der Existenz von etwas anderem ist, zweiteres ist der Zweck der Zeichen. Aufgrund der Gültigkeit dieser Relation für jede Erkenntnis ist das »Zeichen das Erkenntnisprinzip des Bezeichneten«. 400 Nun lässt Baumgartens graduelle Einführung dieser Relation neben dem Normalfall, d. h. der Mischung von symbolischer und intuitiver Erkenntnis, wie sie empirischen Aussagen über die Welt eignet, formal zwei Extrema zu. In einer rein symbolischen Erkenntnis träte das Bezeichnete vollständig hinter dem Zeichen zurück, d. h. es würde nur das Zeichen gedacht, ohne dass dadurch die Existenz eines anderen erkannt würde. Zeichen und Bezeichnetes wären dann identisch. Dies ist offenkundig bei allen Sätzen der Fall, die von jedem Inhalt gänzlich abstrahieren und mathematisch gewiss sein können. Dies bedeutet freilich keineswegs, dass durch derartige 188  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Sätze nichts erkannt würde. Vielmehr folgt daraus nur, dass ihr Gegenstand nicht die Wirklichkeit eines einzelnen Dings ist, sondern dessen und aller anderen Dinge Möglichkeit. Es ist daher die Existenz dieser Möglichkeit, die rein symbolisch erkannt wird, so dass sich derartige Erkenntnis nicht auf nichts, sondern nur auf die Notwendigkeit der Möglichkeit von etwas überhaupt bezieht. Rein intuitive Erkenntnis dürfte demgegenüber allein die Wirklichkeit von etwas, das vom Erkennenden verschieden ist, zum Gegenstand haben. Zeichen und Bezeichnetes können dann nicht identisch sein, da sonst allenfalls die Existenz des Erkennenden selbst erkannt würde. Trotzdem muss das Zeichen vollständig hinter das Bezeichnete zurücktreten. Dies ist dann der Fall, wenn es sich beim Zeichen um eine aktuale Sinnesempfindung handelt, von der nicht zum Zwecke empirischer Begriffsbildung abstrahiert worden ist bzw. wird. Ist diese bewusst, bezeichnet sie ein »wirkliches oder anwesendes Bezeichnetes«, d. h. ein einzelnes Ding, und fungiert als »Anzeigungs-Zeichen« (signum demonstrativum). 401 Genau diese Wirklichkeits- oder Anwesenheitsanzeige stellt aber die genuine Leistung ästhetischer Erkenntnis dar, die nicht durch eine andere mentale Tätigkeit ersetzt werden kann, ohne an Gewissheit einzubüßen. Denn zum einen enthält ästhetische Erkenntnis, wie bereits gezeigt wurde, das Bewusstsein der Differenz von Erkennendem und Erkannten, und zum anderen stellt sie das erkannte Ding aus der Perspektive des Leibes des Erkennenden genauso vor, wie es in Wirklichkeit ist. Die bewusste und aktuale Sinnesempfindung eines Dings ist daher dessen singuläres Zeichen. Seine Bedeutung ist im Gegensatz zu einem Symbol in der Weise eindeutig, als es genau und nur ein Ding in seinem kontingenten Zustand aus einer kontingenten Perspektive bezeichnet, während das Symbol die Möglichkeit unendlich vieler Dinge eindeutig bezeichnet. Rein intuitive Erkenntnis der Existenz von anderem ist also und kann nur sein: ästhetische Erkenntnis. Ästhetische Erkenntnis ermöglicht folglich vollständige Gewissheit von der Existenz eines anderen Dings, ohne gleichzeitig auszusagen, was dieses andere Ding ist. Wenn sich nun aber wissenschaftliche oder andersartige Erkenntnis, sofern sie nicht nur rein symbolischer oder formaler Natur ist, auf Kontingentes, mithin die aktuale Welt bezieht, bildet die Bedingung ihrer Möglichkeit ästhetische Gewissheit, weil schon die Gewissheit  |  189

Wahrscheinlichkeit derartiger empirischer Erkenntnis die Wahrheit der Behauptung der Existenz dieser aktualen Welt voraussetzt. Genau in dieser Hinsicht ist auch keine Sinnestäuschung möglich. Dies ergibt sich aus dem Ausschlussverfahren, vermittels des­ sen Baumgarten mögliche Gründe von Sinnestäuschungen untersucht. Er listet sie zunächst auf: »Betrüge der Sinne (fallaciae sen­suum) sind von den Sinnen abhängende falsche Vorstellungen (reprae­sentationes), und diese sind entweder die Empfindungen selbst oder Schlüsse, bei denen eine Prämisse eine Empfindung ist, oder Wahrnehmungen, die durch Erschleichung für Empfindungen gehalten werden.«402 Nur die letzten beiden Möglichkeiten kommen in Frage: Weil die Empfindungen selbst den gegenwärtigen Zustand des Leibes oder der Seele oder beider vorstellen, nehmen sie ebenso innerlich wie äußerlich Wirkliches wahr, daher auch Mögliches, und zwar dieser Welt, also sind sie die wahrsten auf der ganzen Welt und keine von ihnen ist Betrug der Sinne. Wenn also der Betrug der Sinne ein Schluss ist, verbirgt sich dessen Fehler entweder in der Form oder in der anderen Prämisse; wenn er von der anderen Gattung – eine durch Erschleichung für eine Empfindung gehaltene Wahrnehmung – ist, ist der durch die Voreiligkeit des Urteilenden entstandene doppelte Fehler indes leicht auf den zweiten Fall zurückzuführen.403

Aktuale Empfindungen sind also eigentlich deswegen wahr, weil sie gar nicht falsch sein können. Dies liegt aber genaugenommen nicht bloß daran, dass sie keine propositionale Struktur besitzen. Denn sonst wäre der Begriff von Wahrheit prinzipiell an Propositionalität gebunden und ästhetische Erkenntnis dürfte weder wahr noch falsch genannt werden. Empfindungen sind aber in genau dem nicht-propositionalen Sinne wahr, den Baumgarten an der gerade angeführten Stelle wiederholt, nämlich dem, dass sie aktuales Einzelnes bzw. die Welt vollständig vorstellen. Ihre Wahrheit liegt also darin, dass der erkennende Bezug zur Welt nicht durch universalisierende Begriffe hergestellt wird. Vielmehr ist es gerade deren Universalität, welche die Singularität des Seienden zum Zwecke seiner kontingenten bzw. subjektiven Organisation verdeckt. Empfindungen sind also deswegen wahr, weil ihre Entstehung keine logische Aktivität involviert. Daraus folgt allerdings keineswegs die Absenz jeder mentalen Aktivität, da sie ohne einen Akt 190  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

der Aufmerksamkeit kaum zu Bewusstsein gelangen könnten. Aus diesem resultiert im Falle wirklicher Empfindung die ästhetische Gewissheit von der Existenz eines vom Erkennenden verschiedenen Einzeldings bzw. der Welt. Formal betrachtet hat ästhetische Gewissheit demnach stets denselben Gegenstand, nämlich die Wirklichkeit von Einzeldingen, die vom Erkennenden selbst verschieden sind. Ästhetische Gewissheit ist Gewissheit davon, dass da etwas ist, ohne auszusagen, was dies ist, obzwar die ästhetisch gewisse Vorstellung alles enthält, was notwendig ist, um jenes WasSein vollständig zu bestimmen. Eben dies ist nun bei Sinnestäuschungen nicht der Fall. Denn sie involvieren jedenfalls logische Operationen. Diese müssen auf extensionale Gegenstände beschränkt sein, d. h. auf nominal definierte universale Terme. Darauf, dass von der Gegebenheit eines solches Terms nur auf die Möglichkeit der Existenz eines Dings von der durch ihn bestimmten Art in irgendeiner möglichen Welt geschlossen werden kann, aber keinesfalls auf die aktuale Existenz eines entsprechenden Dings, wurde bereits hingewiesen. Nach Baumgarten bestehen Sinnestäuschungen generell darin, dass fälschlich von einem logischen Gegenstand auf die Existenz eines aktualen Gegenstands, d. h. eines einzelnen Dinges, geschlossen wird. Um einer Sinnestäuschung zu verfallen, muss man nämlich zumindest eine begrifflich bestimmte Vorstellung haben. So funktioniert etwa das klassische Beispiel des aus der Ferne für eckig gehaltenen runden Turms nur, wenn auf den gegebenen Sinneseindruck, der das Einzelding »Schneufelein-Turm« getreulich und vollständig vorstellt, voreilig, d. h. ohne die dunklen Teile jener sinnlichen Vorstellung ausreichend geklärt zu haben, der Begriff des Eckigen angewandt wird. Es ist also nicht die Empfindung, die falsch ist, und es ist auch nicht sie, die täuscht. Täuschen tut man sich vielmehr selber. Nur setzt die falsche begriffliche bzw. propositionale Bestimmung des eigenen Sinneseindrucks freilich eben diesen voraus. Denn eine wahre propositionale Bestimmung eines kontingenten Dings kann allein in dessen ästhetischer Vorstellung der Möglichkeit nach enthalten sein, weil diese alle wirklichen Qualitäten des Dings enthält und ihre vollständige intensionale Analyse den Individualbegriff bzw. die Realdefinition des Dings ergäbe. Also ist die Bedingung der Möglichkeit jeder wissenschaftGewissheit  |  191

lichen bzw. propositionalen Erkenntnis von Kontingentem ästhetische Gewissheit. Falsch ist also nicht die mit einem großen dunklen Teil behaftete sinnliche Vorstellung, sondern erst der Satz »Das Ding da ist eckig.« oder – bei Anwendung weiterer Begriffe und größerer Spezifität, und d. h. zugleich Komplexität – »Der Turm ist eckig.«. Die bewusste Vorstellung der Eckigkeit bzw. eines eckigen Turms mag nun zwar irgendwie durch die Empfindung angeregt worden sein, aber deren Gegenstand kann sie nicht sein. Denn der Begriff der Eckigkeit – wie der des Turms – sind logische Gegenstände und daher überhaupt keine möglichen Inhalte sinnlicher Empfindung: Man kann Eckigkeit nicht als solche und unmittelbar sehen, sondern allenfalls nach der Analyse einer solchen Vorstellung, welche diese gleichsam de-ästhetisiert, die Anwendung des Begriffs der Eckigkeit auf sie rechtfertigen, so dass zwar die Proposition »Der Turm ist eckig.« gebildet werden kann, aber bestenfalls einige Wahrscheinlichkeit gewinnt. Wird jene Analyse vernachlässigt oder übersprungen, geschieht nichts anderes als eine Verwechslung des mentalen logischen, also klaren und deutlichen Gegenstandes »eckiger Turm« mit der gegebenen sinnlichen und daher jedenfalls teilweise dunklen Vorstellung des naturgemäß runden Schneufelein-Turmes. Wird im Zuge dieser Verwechslung konsequent weiter darauf geschlossen, dass der Gegenstand der momentanen Aufmerksamkeit ein eckiger Turm ist und existiert – und daher den zureichenden Grund für eine entsprechende Empfindung abgibt –, liegt der ›doppelte Fehler‹ vor, von dem Baumgarten spricht. Die falsche Prämisse, auf die jede Sinnestäuschung zurückzuführen ist, besteht also in der jeweiligen propositionalen Bestimmung der vorgegebenen und im nicht-propositionalen Sinne wahren Empfindung, welche die unabdingbare Voraussetzung für jede wahre Existenzbehauptung über Kontingentes darstellt. Aus der Empfindung von Gelbem kann immer nur auf die Existenz von Gelbem geschlossen werden, aber nicht auf die Anwesenheit einer kleinen Ente als Gegenstand momentaner Aufmerksamkeit, und dabei darf weiterhin der Ausdruck »gelb« nicht im extensionalen Sinn verstanden werden, sondern als individualisierender Index dieses einzigartigen, singulären Gelben, das mir jetzt aus der Perspektive meines Leibes in einzigartiger, singulärer Weise erscheint. 192  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Die Frage bleibt freilich, wie denn eine fälschlich für Empfindung gehaltene, bereits propositional strukturierte Wahrnehmung von jener unterschieden bzw. ob und wie der angemahnte Fehler überhaupt bemerkt oder vermieden werden kann. Dies kann nur geschehen, wenn ein Kriterium für das Vorliegen ästhetischer Gewissheit zur Hand ist. Ein solches bietet Baumgarten mit der Einführung seiner bereits angesprochenen Unterscheidung zwischen intensiver und extensiver Klarheit aus dem Paragraphen 531 der Metaphysik, welche die je spezifische epistemische Leistung von logischer und ästhetischer Erkenntnis erfasst. Geht man wieder von den Extrema jeweils rein logischer und rein ästhetischer Erkenntnis aus, erhellt sofort der wesensgemäße Gegenstandsbereich beider Arten von Klarheit. Während die intensive Klarheit mit der Klarheit der verschiedenen Merkmale, d. h.: mit ihrer Deutlichkeit, steigt, besteht extensive Klarheit in der Vielzahl der wahrgenommenen Qualitäten. Das Feld extensiver Klarheit ist folglich das der größtmöglichen Vollständigkeit der Differenzen zwischen Dingen, während intensive Klarheit in der vollständigen Deutlichkeit von Begriffen, d. h. ihrer eindeutigen Definiertheit, liegt. Das Ideal extensiver Klarheit bestünde demnach in der vollständigen und bewussten Erfassung genau eines Einzeldings in der Weise, dass es von allen anderen möglichen Einzeldingen unterschieden werden könnte. Diese Leistung ist allerdings nicht dasselbe wie die der absoluten Identifikation eines Dings durch einen Individualbegriff bzw. eine intensionale Realdefinition. Denn nur in diesem Falle kann überhaupt die Bedingung der absoluten Identifikation erfüllt werden, die durch die Singularität eines Dings unter allen singulären Dingen, die überhaupt möglich sind, gesetzt ist. Dies liegt daran, dass Mögliches als solches ausschließlich logisch erkannt werden kann, da es schlicht keine Empfindung von Möglichem, d. h. Nicht-Seiendem, geben kann. Da der unendliche Geist Gottes allein logisch und niemals ästhetisch erkennt und dies aufgrund seines Allwissens auch nur intensional tut, ist absolute Identifikation von Dingen auch nur ihm möglich. In gewisser Weise jedoch bildet ästhetische Erkenntnis durchaus ein endliches oder irdisches Äquivalent dieser göttlichen Erkenntnisleistung. Denn ästhetische Erkenntnis kann sich eo ipso ohnehin allein auf Wirkliches richten. Dies aber wird mit jeder Empfindung vollständig Gewissheit  |  193

vorgestellt. Jede Empfindung enthält daher alles, was überhaupt gerade aus der Perspektive des Empfindenden empfunden werden kann. Jede Empfindung enthält daher jeden möglichen Gegenstand ästhetischer Erkenntnis, gerade weil sich diese ausschließlich auf Wirkliches richten kann. Mögliches und Wirkliches fallen daher im Bereich ästhetischer Erkenntnis zusammen. Daraus folgt, dass in jeder ästhetischen Erkenntnis, solange sie nicht propositional kontaminiert ist, der in ihr bewusste Empfindungsgegenstand, auf den sich die Aufmerksamkeit momentan richtet, von allen anderen möglichen Empfindungsgegenständen differenziert wird. Zwar kann diese Erkenntnisleistung – wie schon der Begriff der Differenz sagt – nur relativ zu anderem Gegebenen erfolgen, gleichwohl ist sie keineswegs weniger eindeutig als eine absolute Identifikation, weil ja alles, von dem überhaupt ästhetisch differenziert werden könnte, gegeben sein muss. Ästhetische Erkenntnis ist daher, sofern sie rein bleibt, relativ zur Welt, sofern diese aktual empfunden werden kann, eindeutig, und umgekehrt stellte die Rede von einer reinen ästhetischen Erkenntnis einer bloß möglichen Welt, die mithin verschieden von der aktualen wäre, eine contradictio in adiecto dar. Ästhetische Gewissheit besteht daher im Falle größtmöglicher extensionaler Klarheit stets im Bezug auf die Existenz jeweils genau eines Dings. Diese Form von Klarheit, welche in begriffsfreiem Bewusstsein von einer möglichst großen Menge von Qualitäten des jeweiligen Gegenstands der Aufmerksamkeit bzw. in der größtmöglichen internen Differenziertheit einer sinnlichen Vorstellung, d. h. ihrer Fasslichkeit (perspicuitas), besteht, nennt Baumgarten »lebhaft« (vivida).404 Was dieses Prädikat aussagen soll, lässt sich recht gut an seinem intensiven Widerpart, der »Trockenheit« (siccitas), ablesen. Pointiert gesprochen, entsteht solche Trockenheit da, wo es nichts mehr zu denken gibt, weil alles Zu-Denkende in eindeutiger Weise ausgesagt wird. Ein vollständig analysierter logischer Gegenstand besitzt genau diese Eigenschaft, die letztendlich das ideale Resultat einer philosophischen Problemdiskussion darstellt, und zwar in der Weise, dass unter Voraussetzung der vollständigen Gewissheit des Resultats zum nächsten Problem weitergeschritten werden kann. Es ist klar, dass so etwas schon beim Unternehmen wissenschaftlicher Erkenntnis von Kontingentem nicht vorkommen 194  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

kann. Bei ästhetischer Erkenntnis indes noch viel weniger, weil ja jede ästhetische Erkenntnis unendlich weiter differenziert werden kann. Ihre Lebhaftigkeit liegt also in genau derjenigen Unerschöpflichkeit, in der ihre Wahrheit besteht, weil diese unbegrenzte weitere erkennende Tätigkeit erlaubt, die eben nicht – wie etwa eine sachgerechte extensional-logische Analyse  – irgendwann an ihr Ende kommt. Erlaubt also eine Vorstellung eine derartig unendliche differenzierende Tätigkeit, handelt es sich ganz offenkundig um eine echte Empfindung und nicht um eine Sinnestäuschung. Denn die in einer solchen enthaltenen propositionalen Elemente bremsen den Prozess immer weiterschreitender Differenzierung, weil sie als Gegenstände extensionaler Logik nicht unendlich komplex sein können.405 Liegt also die Bewusstheit einer echten Empfindung vor, liegt auch ästhetische Gewissheit vor. Diese »gewisse Fasslichkeit« (certa perspicuitas) reiner ästhetischer Erkenntnis nennt Baumgarten Evidenz. Evidenz bezieht sich demnach stets auf die Existenz einzelner Dinge, hinsichtlich derer ein Irrtum aufgrund der internen Beschaffenheit jener Art von Vorstellung, nämlich ihrer Lebhaftigkeit, bei einiger Übung der Fähigkeit zur Aufmerksamkeit leicht vermieden werden kann. Dies schließt, wie bereits gezeigt wurde, die nicht- bzw. vorpropositionale Erkenntnis der transzendentalen Prinzipien der Metaphysik mit ein. 406 Daher fundiert Evidenz zugleich die Möglichkeit propositionaler Erkenntnis von Kontingentem. Deswegen bildet reine ästhetische Erkenntnis die Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft. Weil der Bereich des Seienden im Ganzen den Bereich der extensionalen Logik bei weitem überschreitet, folgt aus der Unterscheidung von mathematischer und ästhetischer Gewissheit die systematische Priorität der Metaphysik vor der extensionalen Logik – eine vollständige intensionale Logik wäre vermutlich nicht mehr von einer vollständigen Metaphysik zu unterscheiden. Für endliche Geister, die sich wohl oder übel vordringlich mit dem Versuch, Kontingentes zu erkennen, beschäftigen müssen, gilt daher: Was es gibt oder geben kann, ist dem, was wahrheitsdifferent ausgesagt werden kann, vorausgesetzt.

Gewissheit  |  195

b) Unzulängliche subjektive Gewissheit

Kann hinlängliche subjektive Gewissheit nun allein im Bezug auf formale Sätze der Logik und die bloße Existenz von Dingen bestehen, kann jede propositionale Erkenntnis, die sich auf Beschaffenheit und Verschiedenheit von Kontingentem bezieht, die mithin durch Begriffe irgendwie inhaltlich bestimmt ist, nur noch in unzulänglicher Weise gewiss sein. Für solche Erkenntnis, die insbesondere das breite Feld der empirischen Erkenntnis bzw. der ›so genannten Erfahrung‹ vollständig umfasst, gilt Baumgartens Diktum aus dem Paragraphen 424 der Logik, wonach es in allen übrigen Erkenntnisarten außer der reinen logischen – und naturgemäß der rein ästhetischen – eine gewisse Ungewissheit der Vernunft (quaedam rationis incertitudo) gibt.

α) Ästhetikologische Gewissheit

Es ist dies der Bereich dessen, was Baumgarten »ästhetiko-logische Gewissheit« nennt, d. h. jede propositionale Erkenntnis, deren inhaltliche Bestimmtheit irgendwie sinnliche Empfindung einschließt. Ästhetikologisch gewiss können also nur Sätze sein, die Begriffe enthalten, die abstraktiv auf dem Fundament sinnlicher Wahrnehmung gebildet worden sind und auf gegebene Wahrnehmungen angewendet werden. Derartige empirische Begriffe müssen zwar um der Eindeutigkeit bzw. Verständlichkeit willen nominal definiert sein. Gleichwohl können sie zum Zwecke weiterer Differenzierung bei ihrer Anwendung auf ästhetische Vorstellungen jederzeit – und im Rahmen des Inhalts der jeweiligen Empfindung durchaus beliebig – genauer spezifiziert werden. Die Vorstellungen, die durch empirische Nominaldefinitionen logisch determiniert werden, besitzen daher stets einen dunklen Teil und bleiben daher klar und verworren. Die Sätze, in denen sie auftreten, enthalten also zwar immer eine spezifische Bestimmung des Gegenstands, den sie thematisieren. Diese bleibt aber immer vorläufig, weil sie auf der zur Verfügung stehenden extensionalen logischen Grundlage im Verhältnis zur Wirklichkeit des empfundenen Dings niemals vollständig sein können. Da sie folglich das 196  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

in Rede stehende Ding niemals vermittels eines klaren und deut­ lichen Begriffs erfassen können, können sie auch nicht mathematische Gewissheit erlangen. Ebenso wenig freilich können derartige Sätze aufgrund ihrer extensional klassifizierenden propositionalen Struktur ästhetisch gewiss sein. Denn sie behaupten ja nicht allein auf intuitiver Basis die Existenz eines einzelnen Dings, ohne dies nach seinem Was-Sein zu bestimmen. So implizieren sie zwar eine Existenzbehauptung, weil ihnen eine ästhetische Vorstellung von Kontingentem zugrunde liegt. Jedoch bleibt die Bestimmung, von welcher Art dies sei, jederzeit ungewiss, weil sie aufgrund der Unvollständigkeit der Analysiertheit eben jener zugrundeliegenden ästhetischen Vorstellung, die durch die Anwendung oder Spezifikation einer Nominaldefinition determiniert wird, immer auch falsch sein kann. Ein solcher empirischer Satz, dem ästhetikologische Gewissheit zukommt, enthält also sowohl ein intuitives Element, weil er bewusste Sinnesempfindung voraussetzt und damit eine Existenzbehauptung einschließt, als auch ein diskursives Element, weil eben diese ästhetische Vorstellung vermittels einer Nominaldefinition logisch bestimmt wird. Die ›gewisse Ungewissheit‹ fällt demnach buchstäblich auf die Seite der Vernunft, weil die spezifische Bestimmung des Einzeldings, dessen Existenz ästhetisch gewiss ist, immer auch falsch sein kann, da diesbezügliche vollständige Gewissheit den Besitz seiner Realdefinition erforderte. Jeder Satz, der den Gegenstand einer ästhetischen Vorstellung begrifflich bestimmt, kann also falsch sein. Da jede Erfahrung Erfahrung von Einzelnem ist, kann es keine identifikatorischen empirischen Propositionen geben, die vollständig gewiss und dementsprechend mit Notwendigkeit wahr sind. Dies kann indes kaum überraschen. Denn solche Unsicherheit folgt schlicht aus der Kontingenz der Gegenstände derartiger Aussagen bei gleichzeitig mangelnder Fähigkeit zur Bildung klarer und deutlicher intensionaler Individualbegriffe. Wahrheitsfähige Sätze über Kontingentes enthalten demnach stets nominal definierte Universalbegriffe, deren Inhalt je nach Unterscheidungsbedarf spezifiziert und damit weiter vermehrt werden kann, ohne jedoch dadurch ihre Universalität einzuschränken. Denn diese besteht ja darin, dass ein jeder derartiger Begriff auf der Möglichkeit nach unendlich viele Gewissheit  |  197

ästhetische Vorstellungen bzw. vollständige, aber teilweise dunkle Repräsentationen einzelner Dinge angewendet werden kann. Der Form nach betrachtet erfordert deswegen auch die propositionale Unterscheidung von Einzeldingen ein und derselben Art die Bildung von Nominaldefinitionen. Baumgartens Kunstwort gibt also genau das Mischwesen empirischer Erkenntnis wieder: Ästhetikologische Erkenntnis resultiert aus der extensionalen Bestimmung sinnlicher Wahrnehmung. Aus der daraus folgenden gewissen Ungewissheit der Vernunft über die Wahrheit der Propositionen, die entsprechende Begriffe enthalten, ist aber keineswegs auf deren schlechthinnige Unwahrheit oder ihre Unbrauchbarkeit bei der Orientierung in der kontingenten Welt zu schließen: Aus der schlichten Tatsache der Empirizität eines Satzes folgt kein epistemologischer Zwang zur Urteilsenthaltung, ja nicht einmal eine einschlägige Empfehlung – wie sie etwa für die skeptische Erkenntniskritik unter Anerkennung des allgemeinen Genötigtseins zum praktischen Weiterwursteln durchaus typisch ist. Baumgarten weist den radikalen Skeptizismus als ›(bald eingebildeten, bald erdichteten) Zustand der an allem zweifelnden Seele‹ vielmehr ausdrücklich zurück. Das epistemische Fundament dieser Ablehnung bildet die eigene Art von Gewissheit, welche er der ästhetikologischen Erkenntnis zuspricht. Er bezeichnet sie als ›Gewissheit des Wahrscheinlichen‹ (certitudo probabilium), und sie wird eben nicht durch jene gewisse Ungewissheit aufgehoben.

β) Das Wahrscheinliche (probabile)

Um Baumgartens Argument gegen den Skeptizismus zu verstehen, ist es deshalb nötig, seinen Begriff des Wahrscheinlichen so zu erfassen, dass er von beliebiger Wahrheitsähnlichkeit unterschieden werden kann. Diese nämlich erfüllt offenkundig die Kriterien für Gewissheit auch im weiteren Sinne nicht, muss ihr aber immerhin nahe genug stehen, um mit ihr vermengt werden zu können. Baumgarten führt den Begriff des Wahrscheinlichen zunächst vermittels einer quantitativen Bestimmung ein: »Uns wahrscheinlich oder zuverlässig (probabilia nobis) sind, zu deren Wahrheit wir zwar nicht 198  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

alle, jedoch mehr Bedingungen klar wissen als zur Wahrheit des Entgegengesetzten.«407 Dass es hier um die Wahrheit logischer Gebilde, mithin von Sätzen geht, zeigt sich nicht bloß an der schlichten Tatsache, dass diese Definition in der Logik steht. Sie setzt nämlich logische Funktionen sachlich voraus: Es geht offensichtlich um etwas, das sowohl wahr als auch falsch sein kann. Denn wenn die Entgegensetzung das Gesetzte hinwegnimmt 408 und der Gegenstand von Setzung und Entgegensetzung Wahrheit ist, dann muss es sich hier um zwei Sätze handeln, deren einer dasjenige verneint, was der andere bejaht, d. h. dem Subjekt dasselbe Prädikat abspricht, das der andere ihm zuspricht.409 Es kann sich folglich nicht um reine ästhetische Erkenntnis und demnach auch nicht um ästhetische Gewissheit handeln. Nun steht aber die Wahrheit beider Sätze unter Bedingungen. Von diesen sind nicht alle in klarer Weise bekannt, also sind sie auch nicht alle deutlich. Deshalb kann keine vollständige logische Gewissheit über die Wahrheit eines der beiden Sätze bestehen. Ihr Gegenstand muss daher kontingent sein. Sowohl von Wahrscheinlichkeit als auch von Wahrheitsähnlichkeit kann also nur bei kontingenten Propositionen gesprochen werden, die bzw. deren Bildung eo ipso an irgendeiner Stelle ästhetische Elemente enthalten. Freilich widerspricht die Feststellung, dass es eine Art von Sät­ zen gibt, über deren Wahrheitswert niemals vollständige Gewissheit bestehen kann, zunächst keineswegs dem Bivalenzprinzip der Wahrheit. Denn jene Ungewissheit ist zum einen ein mentaler Zustand, der sich zum anderen selber nur unter einer kontingenten Bedingung, nämlich der Endlichkeit des erkennenden Geistes, einstellt. Ein unendlicher Geist besäße auch vollständige Gewissheit über den Wahrheitswert kontingenter Sätze. Also folgt aufgrund ihrer eigenen Kontingenz aus der Ungewissheit nicht die schlechthinnige Unentscheidbarkeit bzw. Nicht-Festgelegtheit des Wahrheitswertes kontingenter Sätze. Da deren Kontingenz nun auf nichts anderem als ihrer Bedingtheit durch die Welt, relativ zu der sie wahr oder falsch sein müssen, beruht, bleibt der Wahrheitswert eines jeden Satzes in jeder möglichen Welt entscheidbar, und die Negation eines wahren Satzes kann in einer anderen Welt ohne Weiteres wahr sein. Weil kontingente Sätze stets Einzelnes Gewissheit  |  199

betreffen, wird jeder solche Satz, sofern er überhaupt möglich ist, in wenigstens genau einer möglichen Welt wahr sein müssen. Der unendliche Geist kennt daher den Wahrheitswert jeder möglichen singulären Proposition im Bezug auf jede mögliche Welt. Zwar verfügt demgegenüber der endliche Geist ohnehin ausschließlich über der Form nach universale Propositionen, wenn diese inhaltlich bestimmt sein sollen. Ihren auf die Welt bezogenen Erkenntnischarakter gewinnen sie aber aus ihrer Differenziertheit, die in der Weise einer unendlichen Annäherung an propositionale Singularität entsteht. In der Tat ist ja auch dem endlichen Geist die vollständige Bestimmtheit eines Einzeldings in Gestalt des dunklen Teils der ästhetischen Vorstellung, die er von ihm hat, gegeben; sie kommt ihm nur nicht vollständig klar und deutlich zu Bewusstsein, sondern bleibt, sofern sie überhaupt bewusst ist, stets klar und verworren. Besäße der endliche Geist das Vermögen, seine ästhetischen Wahrnehmungen vollständig zu analysieren, verfügte er über dasselbe Wissen im Sinne vollständiger logischer Gewissheit wie der unendliche Geist, d. h. über den Wahrheitswert singulärer und kontingenter Propositionen. Hält man aber sowohl an der Singularität kontingenter Dinge als auch an der Bindung von propositionaler Wahrheit an die metaphysische Wahrheit der Wirklichkeit – welcher möglichen Welt auch immer – fest, zeigt sich, dass in der eigentlichen Bedeutung von Wahrheit kontingente Sätze überhaupt nur dann wahrheitsdefinit sein können, wenn sie singulär sind. Das Bivalenzprinzip gilt also in jedem Fall für singuläre Propositionen. Solche besitzt ein endlicher Geist jedoch immer nur der Möglichkeit nach. Also kann ihm niemals der Wahrheitswert einer kontingenten Proposition vollständig gewiss sein. Denn er verfügt schlicht niemals aktual über eine kontingente Proposition, die dazu geeignet wäre, mit vollständiger Gewissheit ihren Wahrheitswert einzusehen, eben weil er über singuläre Propositionen immer nur der Möglichkeit nach verfügt. Diese Möglichkeit bildet indessen den Grund für die unendliche Differenzierbarkeit der universalen Propositionen über kontingente Gegenstände, die ein end­ licher Geist vermittels seiner ästhetikologischen Erkenntnis bildet. Diese impliziert die im extensional-logischen Sinne begriffliche Differenzierung ästhetischer Wahrnehmung, vermittels derer der 200  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Wahrnehmungsgegenstand von anderen möglichen und wirklichen empfundenen Dingen unterschieden und zugleich positiv bestimmt wird, weil seine Unterschiedenheit zum Gegenstand einer Aussage wird. Im Prozess solcher Differenzierung findet also eine Annäherung an die Wahrheit statt, die strenggenommen allein einer singulären Proposition zukommen kann. Es scheint diese Annäherung an die Wahrheit zu sein, die Baumgartens Begriff von Wahrscheinlichkeit erfasst. Dies gilt in analoger Weise auch von den anderen Stufen der Ungewissheit, die Baumgarten einführt, nämlich die des Zweifelhaften und des Unwahrscheinlichen. All diese Termini bezeichnen mentale, genauer: epistemische Zustände, aber keine eigenständigen Wahrheitswerte. Denn die Propositionen, auf die sich jene epistemischen Zustände beziehen, sind zur Aussage metaphysischer Wahrheit hinsichtlich ihrer Extension und zur Aussage logischer Wahrheit hinsichtlich ihrer Intension ungeeignet. Es ist nun entscheidend zu sehen, dass die Existenz derartiger Propositionen selbst unter der kontingenten Bedingung steht, dass es endliche Geister gibt, die sie gebrauchen, um sich in der Welt zu orientieren. Ein unendlicher Geist kann gar nicht über kontingente universale Propositionen verfügen, sondern allein über die notwendigen universalen und alle kontingenten singulären; deswegen befindet sich ein unendlicher Geist auch niemals im mentalen Zustand der Ungewissheit. Nur endliche Geister bilden und verfügen über universale kontingente Propositionen und kennen dementsprechend Ungewissheit. Man kann also einerseits sagen, dass sich der epistemische Wert solcher Sätze stets an der Wahrheit singulärer Propositionen über die Wirklichkeit bemisst: Universale kontingente Propositionen sind dann selbst schlicht nicht wahr oder falsch, sondern wahrscheinlich, zweifelhaft oder unwahrscheinlich. Denn schon singuläre und universale Terme sind in der Weise inkommensurabel, dass kein singulärer Term vermittels universaler Terme definiert werden kann und umgekehrt. Im logischen Sinne wären dann Wahrscheinlichkeit, Zweifelhaftigkeit und Unwahrscheinlichkeit genau diejenigen Wahrheitswerte, die ausschließlich universalen kontingenten Propositionen zukommen können. Andererseits kann man darauf insistieren, dass diese Begriffe mentale Zustände bezeichnen, die allein endlichen Geistern Gewissheit  |  201

zu eigen sind, so dass sich ihre Bedeutung gar nicht mehr logisch, sondern nur noch psychologisch erfassen ließe. Dies hieße aber, den epistemischen Wert universaler kontingenter Propositionen in radikaler Weise zu subjektivieren, so dass nicht mehr über deren mehr oder weniger große Distanz zur Wahrheit befunden werden dürfte, weil dann allein das kontingente Bewusstsein des Erkennenden hierüber entschiede. Baumgarten neigt eher der ersten Posi­tion zu, ohne das bewusstseinstheoretische oder, wenn man so will, psychologische Fundament – das freilich als solches bereits metaphysischer Natur ist – zu verlassen. Denn er macht durchaus formalen Gebrauch von diesem Fundament, indem er bemerkt, dass endliche Wesen, die ästhetikologisch erkennen, nicht nur kontingenterweise universale kontingente Propositionen bilden, sondern dass zum einen solche Sätze von keinem anderen Wesen – auch nicht einem unendlichen Geist – gebildet werden können und zum anderen von ästhetikologisch erkennenden Wesen auch gebildet werden müssen, sofern sie überhaupt existieren. Aus der Anerkennung eines metaphysischen Fundaments jedes Erkennens und Aussagens, sofern dies überhaupt möglich sein soll, folgt also nicht schon eine Psychologisierung der Logik oder ein ähnlich gearteter Abschied von ihrer Formalität. Es folgt vielmehr nur ihre ausdrückliche Bindung an die ihr angemessenen Gegenstände. So gelten abgesehen von den objektiven, d. h. allgemeinen und notwendigen, transzendentalen Gesetzen des Seienden die logischen Regeln, die jenen Gesetzen freilich ebenso wie alles Seiende folgen, ausschließlich für propositionale Gegenstände. Sie gelten daher gleichermaßen für singuläre wie für universale Sätze, umfassen also sowohl intensionale wie extensionale Logik und gelten folglich gleichermaßen für einen unendlichen wie einen endlichen Geist. Diese universale Geltung verbietet jedoch weder, dass es Bereiche gibt, in denen diese Regeln mangels geeigneter Gegenstände keine Anwendung finden können, noch dass es Gegenstände gibt, deren Komplexität die Erweiterung dieser Regeln verlangt, ohne sie gleichzeitig außer Kraft zu setzen. Dies ist der Fall bei Propositionen kontingenten Inhalts, die aus universalen Termen zusammengesetzt sind und daher selber universal sein müssen. Denn ihnen liegen singuläre, nämlich ästhetische Vorstellungen zugrunde, die im abstraktiven Prozess der Begriffsbildung zu Gegenständen der 202  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

extensionalen Logik gemacht werden müssen, um inhaltlich bestimmte Erkenntnis aussagen zu können. Erst in dieser proposi­ tionalen Form kann einem endlichen Geist der Wahrheitswert einer qualitativen Bestimmung der Welt bewusst sein und zum Teil seiner theoretischen Erfassung der Welt werden. Dies führt nun zu einer vertrackten Komplikation: Die Bedingung der Möglichkeit, den Wahrheitswert einer universalen kontingenten Proposition festzustellen, schließt bereits die vollständige Gewissheit über den Wahrheitswert der Aussage über den Wahrheitswert einer solchen Proposition aus, wenn dieser nicht allein aus den nominalen Definitionen der gebrauchten Terme folgen, sondern durch die extramentalen – und damit auch extra­ logischen  – Eigenschaften der Dinge bestimmt werden soll. Daher können universale kontingente Propositionen, d. h. gerade diejenigen Sätze, mit denen endliche Geister ihr Wissen über die Welt aussagen, niemals im metaphysischen Sinne wahr sein. Im metaphysischen Sinne wahr sein können überhaupt nur singuläre kontingente Propositionen. Darüber verfügt ein endlicher Geist nur der Möglichkeit nach, insofern er singuläre, mithin ästhetische Vorstellungen besitzt, aber niemals der Wirklichkeit nach, da er diese weder instantan noch sukzessive in vollständig klare und deutliche Individualbegriffe umwandeln kann. Universale kontingente Propositionen können folglich immer nur im logischen Sinne wahr sein. Aus der logischen Wahrheit eines solchen Satzes folgt aber nicht, dass die Bestimmung der Welt, die er aussagt, ihren Gegenstand adäquat erfasst. Allein aus seiner Kontingenz folgt, dass es irgendetwas geben muss, das er zum Gegenstand einer Aussage machen kann, weil kontingente Sätze von endlichen Geistern nur auf der Basis ästhetischer Gewissheit gebildet werden können. Die logische Wahrheit einer universalen kontingenten Proposition besagt infolgedessen nur die Existenz eines ihr entsprechenden Gegenstandes in irgendeiner möglichen Welt, und in derselben Welt kann die Negation dieses Satzes nicht zugleich wahr sein. Das Bivalenzprinzip der Wahrheit gilt also für universale kontingente Propositionen immer relativ zu einer möglichen Welt bzw. einer Art von möglicher Welt. Worüber aber nicht auf extensionaler Basis entschieden werden kann, ist, ob die mögliche Welt, von der in Gewissheit  |  203

einer universalen kontingenten Proposition die Rede ist, auch die aktuale Welt ist. Von der logischen Wahrheit eines solchen Satzes, deren sich ein endlicher Geist – Klarheit und Deutlichkeit aller beteiligten Terme vorausgesetzt – durchaus vollständig gewiss sein kann, führt daher kein Weg zu seiner metaphysischen Wahrheit. Trotzdem insistiert Baumgarten darauf, dass der Wahrheitswert universaler kontingenter Propositionen im Bezug zu ihrer metaphysischen Wahrheit nicht schlechthin unentscheidbar ist. Andernfalls wäre er zum radikalen Skeptizismus gezwungen. Diesen lehnt er aber ab. Er begründet das mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeit bezieht sich folglich stets auf das Bewusstsein metaphysischer Wahrheit, ohne deren Begriff bzw. der Vo­ raus­setzung von etwas Bedeutungsgleichem jede Rede von Wahrscheinlichkeit sinnlos wird. Weil nun universale kontingente Propositionen aufgrund ihrer Universalität gar nicht im metaphysischen Sinne wahr – aber freilich auch nicht falsch – sein können, lässt sich sagen, dass Wahrscheinlichkeit durchaus einen Wahrheitswert eigenen Rechts darstellt, der bei einer bestimmten Art von Sätzen die Eigenschaft des Wahren substituiert. Denn der Begriff des Wahrscheinlichen lässt sich auch nicht auf logische Wahrheit reduzieren, da ihm diese bereits vorausgesetzt ist bzw. er sie impliziert. Die Ungewissheit, welche die Einführung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs begründet, bezieht sich ja nicht auf die Möglichkeit der Welt, in der eine universale kontingente Proposition wahr ist, sondern auf ihre Wirklichkeit, genauer darauf, ob es sich dabei um diejenige singuläre Welt handelt, in der auch der Erkennende existiert. Weil nun kein Satz, der subjektiv unzulänglich gewiss ist, im metaphysischen Sinne wahr sein kann und jeder solche Satz im logischen Sinne wahr sein muss, um in diesem weiteren Sinne gewiss zu sein, bildet die ästhetikologische Wahrheit, die genau diese Sätze umfasst, einen Begriff von Wahrheit eigenen Rechts. Daher kommen universalen kontingenten Propositionen, die stets ästhetikologische Wahrheit aussagen, auch eigene Wahrheitswerte zu, nämlich die des Wahrscheinlichen, des Zweifelhaften und des Unwahrscheinlichen. Dass deren Geltungs- und Anwendungsbereich tatsächlich alle empirischen Sätze umfasst, zeigt Baumgartens Bestimmung des 204  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Begriffs der Ungewissheit, vermittels derer er seine bereits angeführte Definition des Wahrscheinlichen erläutert: Uns einigermaßen ungewiss (incerta nobis in tantum) sind, von welchen auch immer wir nicht vollständig gewiss sind, und gemäß dieser Bedeutung sind uns auch die am meisten wahrscheinlichen ungewiss. Weil nämlich die Ungewissheit die Dunkelheit der Wahrheit ist bzw. das Fehlen des Bewusstseins davon, dass etwas wahr sei, mangelt es insoweit der Gewissheit im weiteren Sinne, desto weniger vollständig ist sie, so weit in derselben Dunkelheit im Bezug darauf bleibt, ob etwas wahr sei, was man die Furcht des Gegenteils zu nennen pflegt, so weit also bleibt Ungewissheit. Uns gänzlich ungewiss ist, was uns auch nicht wenigstens im weiteren Sinne gewiss ist.410

Im Bereich der subjektiv unzulänglich gewissen Sätze bzw. der Gewissheit im weiteren Sinne müssen also die beiden Wahrheitswerte der klassischen Logik durch verschiedene Grade des Wahrscheinlichen substituiert werden. Baumgartens Betonung der Subjektivität unvollständiger Gewissheit erinnert indes primär daran, dass es keine objektiv wahrscheinlichen Sätze gibt noch geben kann. Denn entweder besteht ein bestimmter Sachverhalt in Wirklichkeit und wird durch eine singuläre Proposition adäquat ausgesagt, oder er besteht nicht in Wirklichkeit und wird dementsprechend negiert. Metaphysische Wahrheit kann folglich ausschließlich durch objektiv wahre oder falsche Sätze ausgesagt werden. Da aber schon die Bildung von Propositionen, die zur Aussage metaphysischer Wahrheit geeignet wären, einem endlichen Geist unmöglich ist, kann jeder Satz, der Kontingentes qualitativ bestimmt, nur mehr oder weniger wahrscheinlich sein, wenn er von einem Geist gebildet wird, dessen Erkennen selbst unter kontingenten Bedingungen steht. Der sinnvolle Gebrauch des Begriffs des Wahrscheinlichen setzt folglich nicht nur den Begriff eo ipso kontingenter metaphysischer Wahrheit voraus, sondern auch einen endlichen Geist, der die Wirklichkeit aus der Perspektive seines Leibes ästhetisch erkennt. Denn allein dann schließt die Vorstellung eines wirklichen Dings einen dunklen Teil ein, der zwar einerseits jede gegenständliche, mithin propositionale Bestimmung jenes Einzeldings ungewiss macht, aber andererseits deren unendliche Differenzierung bzw. Spezifikation ermöglicht, weil er dessen singuläre Bestimmtheit vollständig enthält. Deswegen ist jede derartige universale kontinGewissheit  |  205

gente Proposition unter Voraussetzung ihrer logischen Wahrheit der Möglichkeit nach auch metaphysisch wahr. Daher ist sie der Möglichkeit nach ebenso metaphysisch falsch. Denn die metaphysische Wahrheit ist ja kontingent. Weil also im Bezug auf die metaphysische Wahrheit jede derartige Bestimmung ebensowohl wahr wie falsch sein kann und nicht nur aufgrund der kontingenten epistemischen Eingeschränktheit des endlichen Geistes, sondern vor allem aufgrund der logischen Struktur der durch ihn bildbaren Propositionen in dieser Möglichkeit verharrt, lässt sich bei keinem dieser Sätze die ›Furcht des Gegenteils‹ gänzlich ausschalten. Jeder wahrscheinliche Satz bleibt daher hinsichtlich seines metaphysischen Wahrheitswerts subjektiv indefinit. Dies schließt jedoch nicht die Möglichkeit aus zu beurteilen, welche der gebildeten universalen kontingenten Propositionen eher der einen singulären kontingenten Proposition näher kommen mag, welche die jeweilige metaphysische Wahrheit aussagt. Vielmehr gewährleistet jene ästhetikologische Indifferenz im Bezug auf metaphysische Wahrheit gerade diese stets vorläufige und niemals endgültige Entscheidungsmöglichkeit, weil die auszusagende Vorstellung aufgrund des in ihr enthaltenen dunklen Teils unendliche Analyse erlaubt. Es ist dieses Potential, das Baumgartens quantitative Fassung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs begründet und auch im Bereich subjektiv unzulänglicher Gewissheit bejahende und verneinende Urteile ermöglicht, die trotz ihrer Irrtumsanfälligkeit in Form von Aussagen über das Wahrscheinliche (probabile) und das Unwahrscheinliche (improbabile) die Funktion des Wahren und des Falschen übernehmen. Dabei verhalten sich Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit auf den ersten Blick durchaus komplementär, so dass sie die Zweiwertigkeit des Wahrheitsbegriffs einfach zu wiederholen scheinen. Denn so wie Baumgarten das Wahrschein­ liche durch die Überzahl der Gründe für die Affirmation einer kontingenten Proposition über ihre Ablehnungsgründe bestimmt, so verfährt er auch beim Unwahrscheinlichen: »Uns unwahrscheinlich sind ungewisse, zu deren Wahrheit wir weniger Bedingungen wissen, als zur Wahrheit des Entgegengesetzten bzw. deren Entgegengesetztes uns wahrscheinlich ist.«411 Aus der Unwahrscheinlichkeit der Affirmation folgt also die Wahrscheinlichkeit der Negation und umgekehrt. Wahrscheinlich 206  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ist daher immer derjenige Satz, für dessen Wahrheit mehr Gründe bekannt sind als für dessen Falschheit. Da dieser Kenntnisstand sowohl bei verschiedenen Individuen gleichzeitig als auch bei demselben Individuum innerhalb seiner Lebenszeit differieren kann, besteht die Möglichkeit, dass ein und dieselbe Proposition von verschiedenen Individuen zur selben Zeit wie von einem Individuum zu verschiedenen Zeiten sowohl für wahrscheinlich als auch für unwahrscheinlich gehalten wird.412 Welche kontingente Proposition zu verschiedenen Zeiten mit Gewissheit im weiteren Sinne als wahr oder falsch anerkannt und behandelt wird, ist also selbst kontingent. Da es keine objektiv wahrscheinlichen Sätze gibt, kann dies auch gar nicht anders sein. Man kann daher im eigentlichen Sinne nicht von Wissen über die Wahrscheinlichkeit eines Satzes sprechen, sondern bestenfalls von Wissen über seine Ungewissheit. Baumgarten nennt deswegen das Fürwahrhalten eines im weiteren Sinne gewissen, mithin wahrscheinlichen Satzes »Überredung« (persuasio).413 Seine Wahrheit oder Falschheit ist deshalb Gegenstand einer Meinung (opinio).414 Da eine solche, wenn ihre Wahrscheinlichkeit untersucht worden ist, auf Gewissheit im weiteren Sinne beruht, ist sie Erkenntnis im Sinne der Wissenschaft.415 Daraus erhellt nun Baumgartens quantitatives Kriterium für Wahrscheinlichkeit. Denn Erkenntnis war ja als ›Zusammensetzung (complexus) von Vorstellungen bzw. Wahrnehmungen‹ eingeführt worden. 416 Aus jeder Zusammensetzung resultiert aber eine Einheit, und zwar eine Einheit differenter Vorstellungen gemäß entweder logischer oder ästhetischer oder sowohl logischer als auch ästhetischer Regeln, d. h. entweder rein logische oder rein ästhetische oder ästhetikologische Erkenntnis. Nur letztere kann wahrscheinlich sein. Wahrscheinlichkeit beruht auf der Kenntnis der Wahrheitsbedingungen eines Satzes. Die Bedingungen für die Wahrheit eines Satzes sind seine Widerspruchsfreiheit und seine Begründetheit. Da die logische Wahrheit bereits im Begriff der Wahrscheinlichkeit enthalten ist, kann die Unterscheidung zwischen dem Wahrscheinlichen und dem Unwahrscheinlichen nur noch auf den Gründen beruhen, die für das eine oder das andere sprechen. Diese können im Falle universaler kontingenter Propositionen niemals vollständig gewusst werden. Ästhetikologische Erkenntnis basiert, sofern sie im weiteren Sinne gewiss sein soll, auf Gewissheit  |  207

sinnlicher Wahrnehmung und hat die aktuale Welt zum Gegenstand. Wenn universale kontingente Propositionen wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sein sollen, müssen sie also Bestimmungen der aktualen Welt aussagen, mithin Dinge mehr oder minder spezifisch klassifizieren. Alle kontingenten Dinge befinden sich über ihre gesamte Existenz hinweg in Zuständen, die sich kontinuierlich verändern. Dinge und ihre Zustände lassen sich nur logisch, d. h. dem Begriffe nach, aber nicht metaphysisch, d. h. der Wirklichkeit nach, voneinander unterscheiden. Da zum einen jeder Zustand eines Dings seine Existenz in einem bestimmten Zustand voraussetzt und zum anderen jeder Zustand eines Dings in der Verwirklichung bestimmter passiver und aktiver Vermögen sowohl seiner selbst als auch anderer Dinge besteht, sind die Gründe seiner aktualen Beschaffenheit genau die Prinzipien der Existenz des Dinges in diesem Zustand, d. h. die Ursachen der Verwirklichung derjenigen Vermögen, in denen sein Zustand besteht.417 Weil kontingente Dinge nur unter der Bedingung der Existenz anderer Dinge existieren, erfordert die Bestimmung eines Dings die gleichzeitige Bestimmung anderer Dinge. Weil der aktuale Zustand eines Dings durch seine Existenz im nexus rerum universalis bestimmt wird, erforderte die vollständige Bestimmung des aktualen Zustands eines Ding das Wissen um den Zustand der ganzen Welt als Inbegriff des aktualen Seienden. Denn der Gesamtzustand der Welt bildet, zusammen mit einer eventuellen eigenen Aktivität des zu bestimmenden Dinges, die Ursache seines aktualen Zustands, wie er Gegenstand einer singulären kontingenten Proposition wäre. Zwar kann ein endlicher Geist keine solchen Realdefinitionen bilden. Jedoch kann er sich aufgrund des unendlichen Differenzierungspotentials seiner ästhe­ tischen Vorstellungen an sie vermittels jeweils hinreichend spezifischer Nominaldefinitionen annähern. Je mehr Bestimmungen anderer Dinge, die als mögliche Gründe des Zustands des zu bestimmenden Dings in Betracht kommen, unter der Bedingung ihrer logischen Wahrheit ein endlicher Geist also erkennt und sie zu einer komplexen Erklärung zusammenzusetzen vermag, desto eher wird es sich bei der universalen kontingenten Proposition, die dann eigentlich den Konsequens eines Konditionals bildet, um eine zutreffende Zustandsbestimmung handeln. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Satzes bemisst sich also an seiner Integrierbarkeit 208  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

in die Einheit bereits gegebener anderer wahrscheinlicher Sätze über die Welt. Die Wahrscheinlichkeit einer ästhetikologischen Erkenntnis steigt daher mit der Differenziertheit der Analyse der zugrundeliegenden ästhetischen Vorstellung und ihrer Einordenbarkeit in den durch weitere universale kontingente Propositionen ausgesagten, als wahrscheinlich anerkannten Zusammenhang der Welt, in dem die Einheit einer »allgemeinen Meinung von der Art und Weise der Verbindung des vor sich bestehenden in einer ganzen Welt (systema explicandi substantiarum mundanarum commercium universalia)« liegt. 418 Wahrscheinliche Sätze sagen also immer die Beschaffenheit einer möglichen Welt auf der Basis der ästhetischen Vorstellung der aktualen Welt aus, die sie analytisch zu erklären suchen. Daher ist die Existenz und Konkurrenz verschiedener – und womöglich gleichberechtigter – philosophischer Systeme bzw. wissenschaftlicher Welterklärungen nicht nur möglich, sondern auch kaum vermeidbar. Sie können wie jeder andere geeignete Satz sogar in gleichem Maße wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sein. Eine Entscheidung, welcher Satz dann mit unzulänglicher Gewissheit als wahr anzuerkennen oder als falsch zu verwerfen ist, kann infolgedessen nicht mehr gerechtfertigt werden. Es tritt daher im Bereich subjektiver unzulänglicher Gewissheit noch eine dritte Art universaler kontingenter Propositionen auf; nämlich solche, die weder wahr noch falsch sind, weil sie aufgrund des Mangels an einem Übergewicht von Gründen für die eine oder andere Seite weder als das eine noch das andere behandelt werden dürfen. Baumgarten nennt diese Sätze »zweifelhaft«. Mit deren Einführung, die eine schlichte Konsequenz seines quantitativen Wahrscheinlichkeitsbegriffs darstellt, macht er die Erweiterung der zweiwertigen Logik genau für universale kontingente Propositionen, wie sie überhaupt nur endliche und sinnlich erkennende Geister bilden können, um einen dritten Wert ausdrücklich. Denn für derartige Propositionen muss aufgrund der Inkommensurabilität von Singulärität und Universalität die herkömmliche Zweiwertigkeit auf Widersprüche führen. Dies zeigt sich augenfällig insbesondere an der Durchlässigkeit der Grenzen zwischen dem Wahrscheinlichen, Zweifelhaften und Unwahrscheinlichen, die Baumgarten eigens betont. Aus ihr folgt aber nichts weniger, als dass ein und derselbe Satz unter verschiedenen Gewissheit  |  209

Bedingungen verschiedene Wahrheitswerte annehmen kann. Dies wäre im Rahmen eines zweiwertigen Systems ausgeschlossen.

γ) Das Wahrheitsähnliche (verisimile)

Baumgartens Bestimmung der Zweifelhaftigkeit von Sätzen bietet nun auch den Ansatz zur geforderten Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichkeit und Wahrheitsähnlichkeit: Uns zweifelhaft (dubia) sind ungewisse, deren von uns klar erkannte Wahrheitsbedingungen den Wahrheitsbedingungen des Entgegengesetzten, deren wir uns bewusst sind, gleich an Zahl sind. Für sich etwas Zweifelhaftes anerkennen, ist an demselben zu zweifeln. Also erkennt jeder Zweifelnde zwar an, dass er darüber ungewiss ist, woran er zweifelt, bzw. dass ihm jenes ungewiss ist, aber nicht jeder zweifelt an demselben oder ist gehalten zu zweifeln, indem er seine Ungewissheit über irgendeine Sache anerkennt bzw. anerkennt, dass ihm etwas ungewiss sei. Trotzdem können uns ungewisse zugleich unzweifelhaft sein, und alle solche sind uns definitionsgemäß wahrscheinlich, wenn nur nicht die Wahrscheinlichkeit mit jeder beliebigen Wahrheitsähnlichkeit vermengt wird. Wenn ein wahrhaft Zweifelnder die ihm zweifelhafte Sache hinwegnimmt, fehlt er in gleicher Weise, wie wenn er diese setzt. Wenn es, indem er zweifelt, keine Bejahung gibt, gibt es auch keine Verneinung. Des Zweifelnden ist das Enthalten von der Entscheidung, die époche, die Anerkennung, sich die äußeren Teile des Urteils weder als Übereinstimmung noch als Widerstreit in vernünftiger Weise vorzustellen.419

Es gibt also subjektiv unzweifelhafte Sätze, die nicht wahrscheinlich sind, aber aufgrund einer Vermengung von Wahrscheinlichkeit und Wahrheitsähnlichkeit als wahr oder falsch anerkannt werden. Wahrhaftiger Zweifel wird so unberechtigterweise beseitigt, indem ein Urteil gefällt wird, wo Urteilsenthaltung geboten wäre. Der Grund hierfür kann aber nicht in der Erkenntnis einer weiteren Wahrheitsbedingung für die eine oder die andere Seite bestehen – sonst wäre die Entscheidung für einen der beiden, positiv oder negativ bestimmten Wahrheitswerte ja gerechtfertigt. Vielmehr liegt er in der Verwechslung einer wahrheitsähnlichen Vorstellung mit einem logischen Argument bzw. im Verzicht auf ein solches zugunsten einer wahrheitsähnlichen Vorstellung. Da 210  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Wahrscheinliches, Zweifelhaftes und Unwahrscheinliches nur im Bereich ästhetikologischer Erkenntnis auftreten können und als Erkenntnisquellen nur logische und ästhetische Vorstellungen zur Verfügung stehen, muss die Wahrheitsähnlichkeit, von der hier die Rede ist, ästhetischer Natur sein. Dies schließt nicht aus, dass Wahrheitsähnlichkeit überhaupt ebenso als ein umfassender Begriff verstanden werden könnte, der dem der Wahrscheinlichkeit übergeordnet ist. Denn Baumgarten spricht nicht nur im Kontext der unziemlichen Vermengung beider stets von ›jeder beliebigen Wahrheitsähnlichkeit‹ (quaecumque verisimilitudo), was zu implizieren scheint, dass es bei Wahrscheinlichkeitsurteilen auch eine unproblematische Art von Wahrheitsähnlichkeit gibt; in seiner Ästhetik betont er sogar die extensionale Subordination des Begriffs der Wahrscheinlichkeit unter den der Wahrheitsähnlichkeit, insofern »alles Wahrscheinliche zugleich wahrheitsähnlich ist«.420 Baumgarten bestimmt den Begriff der Ähnlichkeit als teilweise qualitative Identität, welche die vollständige Verschiedenheit der ähnlichen Gegenstände ausschließt.421 Logische Wahrheit besteht im weitesten Sinne in der Analytizität eines Satzes, ästhetische Wahrheit im Bewusstsein der Existenz eines von diesem Bewusstsein verschiedenen Dings und ästhetikologische Wahrheit in Wahrscheinlichkeit. All diesen ist ihr Erkenntnischarakter gemein. Er liegt in der Verbindung verschiedener Vorstellungen zu einer Einheit. Wahrheitsähnlich ist also jede komplexe und widerspruchsfreie Vorstellung. Folglich fällt ein zweifelhafter Satz nicht unter den Begriff des Wahrheitsähnlichen, weil weder über seine Widerspruchsfreiheit noch über seine Übereinstimmung mit logischen Mitteln entschieden werden kann. Genau deswegen kann er auch weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich sein. Er ist daher ebenso wenig im weiteren Sinne gewiss. Die durch einen zweifelhaften Satz gewonnene Erkenntnis bezieht sich sonach allein auf die schlechthinnige Ungewissheit des erkennenden Subjekts hinsichtlich der propositionalen Bestimmung eines kontingenten Dings, das von seinem Bewusstsein verschieden ist. Da ästhetikologische Erkenntnis die Form universaler kontingenter Propositio­ nen hat, muss über ihren Wahrheitswert, d. h. ihre Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit, aber mit logischen Mitteln entschieden werden. Diese Mittel werden durch die sukzessive Gewissheit  |  211

Ana­lyse der zugrundeliegenden ästhetischen Vorstellung auf dem Wege abstraktiver Begriffsbildung bereitgestellt. Ästhetikologische Erkenntnis ist also insofern logisch, als ihr Wahrheitswert das Resultat logischer Operationen ist, und sie ist insofern ästhetisch, als deren Gegenstände aus denjenigen Vorstellungen gewonnen werden, welche die metaphysische Wahrheit eines jeden kontingenten Dings dem Vermögen nach enthalten. Wahrscheinliche Sätze sind daher neben ihrem Erkenntnischarakter in doppelter Weise wahrheitsähnlich, so dass sich Wahrscheinlichkeit als besondere Art von Wahrheitsähnlichkeit auffassen lässt. Festzuhalten bleibt dennoch die Priorität des Logischen bei der Auszeichnung eines Satzes als wahrscheinlich. Sie besteht in der Rationalität der Entscheidung über den Wahrheitswert eines ungewissen Satzes. Trotzdem müssen Wahrheitsähnlichkeit und Wahrscheinlichkeit voneinander unterschieden werden können, wenn anders der aus Baumgartens Wahrscheinlichkeitskriterium folgende eigenständige Status des Zweifelhaften erhalten und damit sein Argument gegen den allgemeinen Skeptizismus einsichtig werden soll. Die durchaus übliche Übersetzung von »verisimile« bzw. »veri­ similitudo« mit »wahrscheinlich« bzw. »Wahrscheinlichkeit« ist also zumindest missverständlich. Denn der allgemeine Skeptizismus beruht ja nach Baumgarten gerade auf der Vermischung des Wahrscheinlichen mit beliebigem Wahrheitsähnlichen, die zugleich den Grund für die ungerechtfertigte Aufgabe der Indifferenz eines zweifelhaften Satzes bildet. Dass dieser Grund ästhetischer Natur sein muss, wurde bereits festgestellt. Daraus folgt nun keineswegs die Irrelevanz ästhetischer Erkenntnis für die Orientierung in der Welt, sondern nur, dass über die logische Wahrscheinlichkeit propositionaler Bestimmungen von Kontingentem nicht mit ästhetischen Mitteln entschieden werden kann, obwohl darüber auf ästhetischer Basis entschieden werden muss. Es geht also nicht um den epistemischen Wert verschiedener Erkenntnisarten, die dem endlichen Geist zur Verfügung stehen und für deren Gleichberechtigung gerade hinsichtlich ihres epistemischen Werts Baumgarten eintritt. Vielmehr geht es um deren saubere Unterscheidung und die Abgrenzung ihrer Bereiche, da deren Vermischung seiner Auffassung nach zu unhaltbaren Positionen, d. h. zum Skeptizismus, führt. 212  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Dass Baumgarten den Begriff der Wahrheitsähnlichkeit im Rahmen seiner Ästhetik erörtert, kann kaum überraschen. Er widmet ihm dort einen ganzen Abschnitt. Dort identifiziert er veri­ similitudo mit ästhetischer Wahrheit, d. h. der realen Möglichkeit eines vorgestellten Gegenstandes, und unterscheidet sie zugleich von logischer Wahrheit und Wahrscheinlichkeit. Die Differenz leuchtet sofort ein, da eine ästhetisch wahre Vorstellung ein Einzelding betrifft, während eine ästhetikologisch wahre Vorstellung den Begriff einer kontingenten Art von Dingen propositional bestimmt. Weil in keiner Welt Universalien substantial existieren, erfasst daher strenggenommen ästhetikologische Erkenntnis genauso wenig Wirkliches wie logische Erkenntnis, da beide durch universale Propositionen ausgesagt werden. Die Frage ist also eher, warum ästhetische Wahrheit bloß wahrheitsähnlich sein soll. Um sie zu beantworten, ist zunächst daran zu erinnern, dass jede ästhetische Vorstellung die metaphysische Wahrheit ihres Gegenstandes, d. h. eines Einzeldinges als integralen Teil des aktualen Universums, nur dem Vermögen nach enthält. Schließlich wird sie niemals in allen ihren Teilen klar und deutlich bewusst, sondern enthält stets einen dunklen Teil, so dass sie niemals anders als klar und verworren sein kann, ohne ihre eigentümliche Natur zu verlieren. Eine solche Vorstellung kann deswegen auch nicht in strengstem Sinne propositionaler Form sein. Denn sie lässt sich als solche nicht auf eine klare und deutliche, und das heißt auch: eindeutige Aussage reduzieren, wenngleich sie in der grammatischen Struktur eines Satzes – insbesondere im Kontext der ›vollkommenen sinnlichen Rede‹ des Gedichts – ausgedrückt werden kann. Daraus folgt aber wiederum nicht, dass ein solcher Satz nur irgendwie äußerlich bzw. grammatisch ein solcher, darüber hinaus aber Unsinn wäre. Vielmehr wird auch in ihm behauptet, jedoch so, dass nicht eindeutig bestimmt werden kann, was denn behauptet wird. Daher nennt Baumgarten derartige Vorstellungen »vielsagend« (praegnans).422 Es ist also die irreduzible Vieldeutigkeit ästhetischer bzw. ästhetisch wahrer Vorstellungen, die sie prinzipiell von logischen, aber auch ästhetikologischen unterscheidet. Folglich wird dieselbe Differenz auch zwischen wahrheitsähnlichen und wahrscheinlichen Erkenntnissen bestehen. All dies gilt es, im Gedächtnis zu behalten, wenn Baumgarten in seiner Ästhetik, für seine Verhältnisse Gewissheit  |  213

sogar ziemlich ausführlich, das verisimile behandelt. Er ordnet es zunächst mit dem leicht einsichtigen Anspruch auf die mathematische Gewissheit einer begrifflichen Ableitung – es wird ja ein kontingenter Gegenstand mehrdeutig bestimmt – dem Ungewissen zu: Ich möchte meinen, dass durch ein völlig offensichtliches Kalkül schon feststeht, dass das meiste unter dem schön zu denkenden, das man sich bewusst vorstellen muss, nicht hinlänglich gewiss ist und nicht im vollständigen Licht seiner Wahrheit erblickt wird. Dennoch kann in keinem davon irgendetwas an sinnlicher Falschheit ohne Hässlichkeit wahrgenommen werden. Solche aber, über die wir zwar nicht hinlänglich gewiss sind, und trotzdem keine bestimmte Falschheit in ihnen erfassen, sind wahrheitsähnlich (verisimilia). Vom wichtigeren her benannt ist ästhetische Wahrheit also Wahrheitsähnlichkeit, jener Wahrheitsgrad, der, wenngleich er nicht zu hinlänglicher Gewissheit emporgehoben worden ist, doch nichts an sinnlich wahrnehmbarer Falschheit enthält.423

Gegenstand des verisimile ist das ›schön zu denkende‹. Gemäß Baumgartens Definitionen der Schönheit als Vollkommenheit des sinnlich bewusst Wahrnehmbaren424 und der Vollkommenheit als Übereinstimmung von Vielem zum Grund eines Einzelnen425 ist also alles schön, was allein auf der Basis bewusster Sinnesempfindung in der Einheit eines Dings als möglich vorgestellt werden kann. Es kommt daher nicht auf die reale Möglichkeit des ästhe­ tisch vorgestellten Dings in dieser aktualen Welt an, sondern nur auf dessen reale Möglichkeit in einer Welt, die der aktualen so ähnlich ist, dass die zum vorgestellten Ding übereinstimmenden Wahrnehmungsteile in ihr zugleich möglich sind. Da von der Möglichkeit eines kontingenten Dings auf seine Wirklichkeit kein zulässiger Schluss führt426 und seine metaphysische Wahrheit im Falle seiner Existenz für einen endlichen Geist auch ästhetisch nicht bewusst vorstellbar ist, bezieht sich die Ungewissheit der ästhetischen Wahrheit zunächst wiederum auf die Bestimmtheit der Welt, in der das vorgestellte Ding existieren kann. Weiterhin bleibt ebenso seine artgemäße Bestimmtheit ungewiss, da aufgrund des ästhetischen Charakters seiner Vorstellung keine Definition von ihm gebildet wird. Darin liegt nun nicht nur die Mehrdeutigkeit der ästhetischen Wahrheit, sondern auch die Möglichkeit, dass das ästhetisch vorgestellte Ding im streng logischen Sinne unmöglich 214  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

ist, weil es vielleicht gar nicht in der propositionalen Einheit einer Definition erfasst werden kann. Diese Gefahr schmälert allerdings nicht die ästhetische Wahrheit des Vorgestellten, da deren Kriterium allein seine Schönheit ist. Umgekehrt bildet das Kriterium ästhetischer Falschheit Hässlichkeit, d. h. die Unvollkommenheit des sinnlich bewusst Wahrgenommenen. Sie kann nur darin bestehen, dass das zugleich Wahrgenommene nicht in die Einheit der Vorstellung eines Einzeldings gefasst werden kann, 427 so dass die betreffende ästhetische Vorstellung auch der Möglichkeit nach nicht die metaphysische Wahrheit des Vorgestellten enthält.428 Es sollen demnach offenkundig mehr Dinge als nur eines so vorgestellt werden, als ob sie nur eines wären. Dieser ästhetisch falschen Vorstellung eignet daher die Formlosigkeit (deformitas), welche Hässlichkeit ausmacht und das mit ihr verbundene Gefühl der Unlust auslöst. Wie Baumgartens Gebrauch des Ausdrucks »turpitudo« anzeigt, der die inhaltliche Bedeutung von Schlechtigkeit oder Verdorbenheit besitzt und in der Ästhetik die deformitas aus der Metaphysik ablöst, beruht dieses Gefühl auf der Wahrnehmung der Zusammenstellung von Vorstellungsteilen, die der einheitlichen Ordnung der aktualen Welt, welche die beste aller möglichen ist, oder einer ihr zumindest im genannten Sinne ähnlichen Welt zuwiderläuft. Aus ästhetischer Falschheit folgt also ebenso wenig die schlechthinnige Unmöglichkeit des Hässlichen, wie aus ästhetischer Wahrheit die logische Möglichkeit des Vorgestellten folgt. Baumgarten betont im Gegenteil sogar, dass »(m)an schön von ihnen (sc. den Gegenständen, von welchen man denkt) denken [kann], ob sie gleich hässlich sind, und auch hässlich denken, ob sie gleich schön sind«.429 Hässliches schön zu denken – und umgekehrt – erfordert demnach die gleichzeitige bzw. vorausgehende Konstruktion oder Imagination einer Welt, in der die Übereinstimmung der differenten Wahrnehmungsteile zu einem Ding möglich wäre – und umgekehrt. Dazu bedarf es zweifellos einer nicht unerheblichen logischen Vorleistung. Sie hat freilich hinter dem aktual ästhetisch Vorgestellten zu verschwinden, bleibt aber in ihm ebenso enthalten wie die metaphysische Wahrheit in der ästhetischen Wahrnehmung aktualer Dinge. Beispiele für derartige Wahrheitsähnlichkeit finden sich zuhauf in den Mythen und Dichtungen der klassischen Antike, in denen es von Halbwesen Gewissheit  |  215

und anderen Abnormitäten geradezu wimmelt, ohne dass ihnen Schönheit abgesprochen werden müsste, aber auch – um die Moderne heranzuziehen – insbesondere etwa in den Erzählungen H. P. Lovecrafts, der die Konstruktion einer mit der unseren scheinbar identischen Welt um Dinge herum, deren ästhetische Falschheit er häufig ausdrücklich betont, 430 nachgerade zu seiner eigentümlichen Kunstform erhoben hat. Deren Gelingen bestünde nach Baumgarten darin, das Hässliche als Einzelding vorzustellen, das in einer möglichen Welt existiert, d. h. das Hässliche schön zu denken. Ästhetische Falschheit, wie sie in der Unform der Hässlichkeit bewusst wird, und ästhetische Wahrheit, wie sie in der Form der Schönheit gedacht wird, setzen also immer die Möglichkeit einer Welt und stehen daher unter den transzendentalen Prinzipien der Metaphysik, soweit sie Gegenstand ästhetischen Erkennens sind. Ästhetisch Wahres ist daher jedenfalls wahrheitsähnlich, und dies gilt in gleicher Weise für ästhetisch Falsches, sofern es schön gedacht wird und dadurch ebenfalls ästhetisch Wahres im Sinne bloßer Wahrheitsähnlichkeit geworden ist. Ästhetische Wahrheit impliziert also keineswegs Existenz – dies ist nur bei ästhetischer Gewissheit der Fall –, sondern immer nur Möglichkeit, und diese wiederum nur im ästhetischen Sinne, d. h. ohne propositionales Wissen darüber zu verfügen, ob das ästhetisch Vorgestellte integraler Teil einer möglichen extramentalen Welt ist oder nicht. Die Setzung einer Welt, die durch einen Gegenstand ästhetischer Wahrheit geschieht, setzt diese also, indem sie sie in partiell dunkler Weise denkt. Daher folgt auch aus ästhetischer Wahrheit nicht logische Möglichkeit. Es können nämlich in ihren dunklen Teilen Hässlichkeiten versteckt sein, die sich nicht in ein und dieselbe Welt wie der schön gedachte Gegenstand integrieren lassen. Dann liegt eine gleichsam unheilbare ästhetische Falschheit vor. Daraus aber folgt die Unmöglichkeit zumindest dieser einen Welt, wenngleich diese sich – wenn überhaupt – erst weiterer Aufklärung und Analyse erschließt. Zugleich zeigt sich indes umgekehrt, dass jedes in dieser aktualen Welt existente Ding schlicht aufgrund seiner Singularität, die aktualer Gegenstand der sinnlichen Empfindung und möglicher Gegenstand des Bewusstseins ist, zugleich auch unabhängig von der Perspektive des erkennenden Subjekts schön gedacht werden 216  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

kann. Denn besteht Schönheit darin, ein Ding als integralen Bestandteil einer möglichen Welt vorzustellen, und ist genau dies bereits unabhängig vom Vorstellenden gegeben, wie es bei jedem Ding dieser, der aktualen Welt der Fall ist, dann stellt sich die Schönheit der Vorstellung bei der Entdeckung der Singularität eines Dings ein, und diese Vorstellung enthält selber die ästhetische Gewissheit seiner Existenz. Da es aber für endliche Geister kein anderes Mittel zur Entdeckung der Singularität eines Dings gibt als ästhetische Erkenntnis, ist die Schönheit der Vorstellung eines aktual existenten Dings genau die adäquate Vorstellung davon, wie dieses Ding in Wirklichkeit ist. Obwohl folglich Schönheit allein den Vorstellungen von endlichen, ihrer selbst bewussten und sinnlich empfindenden Geistern zukommen kann, bedeutet dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht die durchgehende Subjektivität des Schönen im modernen, kantischen Sinn. Denn wenn die Schönheit der Vorstellung eines beliebigen aktual existenten Dings  – eines Sandkorns, einer Tulpe, einer Kellerassel, der Mona Lisa – äquivalent mit der Einsicht in dessen Singularität ist, dann ist das Haben solcher Vorstellungen unter Voraussetzung der extramentalen Existenz ihrer Gegenstände prinzipiell einem jeden jener endlichen Geister jederzeit möglich. Dies kann naturgemäß nicht für rein mentale Gegenstände gelten, die von endlichen Geistern zwar mit großer Genauigkeit fingiert, aber niemals als die Singularitäten, die sie sein müssten, gedacht werden können. Die Schönheit einer Vorstellung schließt also die Existenz ihres Gegenstandes zwar nicht ein, aber eben auch nicht aus. Da es nun unendlich viele mögliche Welten gibt, die aktual sein können, aber nur (jeweils) eine, die mit dem sinnlich empfindenden endlichen Geist, der ihr integraler Bestandteil ist, zusammen existiert, und es nur von dieser einen aktualen ästhetische Gewissheit geben kann, ist es einfach einzusehen, warum Baumgarten ästhetische Wahrheit, d. h. Schönheit, ›a potiori‹ Wahrheitsähnlichkeit nennt. Denn diese umfasst jede mögliche Welt, deren Vorstellung auf sinnlicher Wahrnehmung beruht und in die Hässliches integriert – und dadurch zugleich schön gedacht – werden kann, d. h. jede mögliche Welt, die irgend sinnlich vorgestellt werden kann. Es ist also das Hässliche, dessen Existenz in jedem Fall mentale bzw. ›subjektive‹ Tätigkeit voraussetzt. Denn es Gewissheit  |  217

existiert überhaupt nur in der ästhetischen Vorstellung, und auch dort recht eigentlich nicht als solches. Es bedarf nämlich erst der Integration in eine, wenigstens nicht evident unmögliche, sondern ästhetisch mögliche Welt, um zu Wahrheitsähnlichkeit zu gelangen. Ein hässliches Einzelding in seiner Singularität vollständig und bewusst vorzustellen, ist folglich nicht nur kontingenterweise, d. h. aufgrund der begrenzten epistemischen Fähigkeiten des endlichen Geistes, ausgeschlossen wie im Falle des schönen Dinges, dessen ästhetische Vorstellung dem Vermögen nach ja vollständig bewusst ist. Ein gleichsam objektiv hässliches Ding könnte nämlich in keiner Welt existieren. Es kann daher überhaupt nicht als Einzelding gedacht werden, weil es keine aktuale Sinnesempfindung geben kann, die ein Ding repräsentierte, das kein integraler Teil der aktualen Welt, mithin des nexus rerum universalis wäre bzw. sein könnte. Die Vorstellung des Hässlichen erfordert also deutlich mehr geistigen Aufwand als die des Schönen, sofern beides zumindest wahrheitsähnlich sein soll. Die ästhetische Vorstellung des Hässlichen und die mit ihr verbundene Unlust spricht somit von vornherein gegen die Wahrscheinlichkeit dieser Vorstellung. Denn sie verstößt gegen die Mindestanforderung der Ähnlichkeit des Vorgestellten mit der aktualen Welt, die zugunsten einer fremden Welt verlassen werden muss, um den hässlichen Gegenstand immerhin als möglich erscheinen zu lassen. Es ist gerade diese Fremdheit bzw. ›Beschwerlichkeit‹, welche die Anschauung des Hässlichen begleitet, welche das Unterscheidungskriterium zwischen dem Wahrheitsähnlichen, das wahrscheinlich ist, und jedem beliebigen Wahrheitsähnlichen zu bilden scheint. Dessen Beliebigkeit besteht demzufolge in seiner absoluten Möglichkeit bei gleichzeitiger relativer Unmöglichkeit im Verhältnis zu einer bestimmten Klasse von Welt. Läuft also eine theoretische Position, etwa die des universalen Skeptizismus, der alltäglichen Wahrnehmung und Erfahrung der Welt derart zuwider, dass zu ihrer Erklärung eine andere Art von Welt gedacht werden müsste, spricht dies bei aller Elaboriertheit einer solchen Position gegen ihre Wahrscheinlichkeit. Dies dürfte auch den Sachgrund für Baumgartens Einführung des Natürlichen im Sinne des üblicherweise Auftretenden bzw. des natürlicherweise Anzunehmenden (εἰκόϛ) in seine weitere Analyse darstellen: 218  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Wovon die Zuschauer oder Zuhörer, wenn sie es sehen oder hören, bestimmte Vorannahmen im Geiste haben, was meistens geschieht, was zu geschehen pflegt, was in der allgemeinen Meinung gesetzt ist, was zu diesem eine bestimmte Ähnlichkeit in sich hat, sei dies falsch (logisch und im weitesten Sinne) oder wahr (logisch und im strengsten Sinne), was nicht leicht unseren Sinnen widerspricht: Eben dies ist das Natürliche und Wahrheitsähnliche, dem der Ästhetiker unter Zustimmung von Aristoteles und Cicero folgen möge. Bei Dingen solcher Art nämlich pflegt das Analogon der Vernunft keine Falschheit wahrzunehmen, mag es auch nicht gänzlich von ihrer Wahrheit überzeugt worden sein. Daher wird von Cicero die Erfindung das Ausdenken wahrer oder wahrheitsähnlicher Sachen genannt, die den Fall wahrscheinlich (im ästhetischen Sinne) machen.431

Trotz der Kombination eigener und ciceronianischer432 bzw. pseudocicerionianischer433 Formulierungen in Baumgartens Bestimmung bildet deren Kern der aristotelische Begriff des εἰκόϛ, in dessen Tradition freilich auch Cicero steht. Es stellt zunächst einmal einen mentalen Gegenstand dar. Dieser besitzt nach Aristoteles propositionale Struktur. Er ist also logischer Natur. Aristoteles definiert den Begriff des εἰκόϛ demnach in seinem Organon, und zwar, weil er einer der beiden Formen des enthymematischen Schlusses zugrunde liegt, am Ende der Ersten Analytiken, 434 indem er ihn vom Begriff des Anzeichens unterscheidet: Das üblicherweise Anzunehmende aber und das Anzeichen sind nicht dasselbe, sondern das üblicherweise Anzunehmende ist eine in der allgemeinen Meinung anerkannte Prämisse. Denn das, von dem man weiß, dass es in den meisten Fällen so geschieht oder nicht geschieht oder ist oder nicht ist, solches ist das üblicherweise Anzunehmende, wie das Hassen der Missgünstigen oder das Lieben der Geliebten. Ein Anzeichen aber bedeutet entweder eine notwendige oder eine in der allgemeinen Meinung anerkannte beweisende Prämisse. Denn eine Sache, die mit einem Seienden zusammen ist oder früher oder später mit einem Geschehenden geschieht, solches ist ein Anzeichen des Geschehenseins oder des Seins.435

Das eikós als das üblicherweise Anzunehmende bildet nach Aristoteles also ein Beweismittel dafür, dass eine bestimmte Art von Ding vorliegt oder eine bestimmte Art von Ereignis aufgetreten ist. Ein entsprechender Schluss gilt aber nicht mit Notwendigkeit, weil die Prämisse, welche das eikós liefert, zwar allgemein als beweisendes Gewissheit  |  219

Anzeichen anerkannt wird, jedoch nicht immer wahr sein muss, sondern nur in den meisten Fällen zutrifft. Das üblicherweise Anzunehmende sagt daher kein Wissen aus, da davon im strengen Sinne nur im Bezug auf notwendige Gegenstände gesprochen werden darf. Vielmehr formuliert das eikós eine Meinung, die zwar aufgrund ihrer allgemeinen Anerkanntheit durch eine Reihe von direkten oder indirekten Beobachtungen bestätigt sein muss, sich jedoch zugleich auf solches bezieht, ›was auch anders sein kann‹, d. h. auf Kontingentes. Es kann folglich durchaus passieren, dass trotz der Gegebenheit eines üblichen Anzeichens das dadurch normalerweise angezeigte Ding oder Geschehen nicht vorliegt. Ari­ stoteles betont die Kontingenz des eikós ausdrücklich zu Beginn seiner Rhetorik: »Denn das üblicherweise Anzunehmende ist, was in den meisten Fällen geschieht, aber nicht schlechthin, wie es einige definieren, sondern bei dem, was sich auch in anderer Weise verhalten kann, verhält es sich zu dem, im Bezug worauf es das üblicherweise Anzunehmende ist, wie das, was gemäß dem Ganzen ist, zu dem, was gemäß dem Teil ist.«436 Fungiert das eikós demnach als epistemische Voraussetzung zur artgemäßen Bestimmung von Kontingentem, deren logische Qualität indes selbst kontingent ist, weil der entsprechende Satz eben nur meistens, aber nicht immer zutrifft, kann die resultierende Klassifikation ebenfalls nur meistens, aber nicht immer zutreffen. Nun soll das üblicherweise Anzunehmende aber beweisende Kraft haben. Es muss daher als Prämisse in einem syllogistischen Schluss gebraucht werden können. In dieser Rolle kann ihm aber der logischen Quantität nach eigentlich nur Partikularität zukommen, so dass auch die Conclusio nur partikulär sein kann. Dies muss aber ebenso für die zweite Prämisse gelten. Denn wenn der Mittelbegriff in einem Syllogismus kontingent ist, kommt er beiden Prämissen kontingenterweise zu. 437 Aus zwei partikulären Prämissen folgt aber nach den Regeln der Syllogistik keine gültige Conclusio. Um daher wenigstens der syllogistischen Form zu genügen und zu einem gültigen Schluss zu gelangen, muss zumindest eine Prämisse so behandelt werden, als sei sie universal. Eine solche, bereits aufgrund ihrer Kontingenz nur scheinbare Universalität besitzt ein Satz, der auf mehr oder weniger üppiger Erfahrungsbasis allgemein als wahr anerkannt wird, ohne jedoch eben wegen der Kontingenz 220  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

seines Gegenstandes zum Bereich des Wissens gehören zu können. Die Universalität des üblicherweise Anzunehmenden beruht demnach auf den unterhalb der Schwelle des Wissens gelegenen epistemischen Zuständen einer bestimmten Gruppe von Leuten, die ihre Wahrnehmungen – die sich schon deswegen ähneln, weil die Leute unter denselben oder zumindest sehr ähnlichen Umständen existieren – im Rahmen ihrer Kenntnisse über die Welt mehr oder weniger einheitlich bestimmen. Die Allgemeinheit der Meinung führt also, wenn sie identifikatorischen Schlüssen zugrundegelegt wird, zur Einheitlichkeit der resultierenden Klassifikation, die genau in diesem Sinne wiederum als wahr anerkannt werden kann, ohne wahr sein zu müssen. Um diese Differenz nicht zu verwischen, nennt Aristoteles derartige, hinsichtlich ihrer logischen Qualität mit logischen Mitteln unentscheidbare Schlüsse Enthymeme und ordnet sie der Rhetorik zu. Gegenstand der Rhetorik ist daher die Bestimmung aller kontingenten Dinge und Ereignisse, die aufgrund ihrer Kontingenz allein den epistemischen Zustand des Meinens erlauben. Der Bereich, den Aristoteles den rhetorischen Schlüssen zuweist, ist also derselbe, der nach Baumgarten den möglichen Gegenstand ästhetikologischer Erkenntnis umfasst, die ebenfalls propositionale Struktur bei gleichzeitiger logischer Unentscheidbarkeit des Wahrheitswertes besitzt. Ebenso liegt auf der Hand, dass das üblicherweise Anzunehmende das gerade Gegenteil der Fremdheit, mithin der bedingten Unmöglichkeit des hässlichen Gegenstandes ist. Gleichwohl nimmt Baumgarten den aristotelischen Begriff des eikós nicht nur auf dieser propositionalen Ebene in Anspruch, sondern auch auf der rein ästhetischen, wenn er zu ihm ebenso dasjenige zählt, was dem üblicherweise Anzunehmenden unabhängig von seiner logischen Qualität ähnelt, solange dessen Falschheit oder Wahrheit nicht ohne Weiteres in die Sinne fällt. Logisch falsch ist jedenfalls eine Proposition, die einen Widerspruch enthält, da sie gar nicht wahr sein kann. Allerdings darf hierunter auch nicht schlechthinnige Unmöglichkeit verstanden werden, weil Unsinn, mithin der Vorstellung von nichts gar kein Wahrheitswert zugewiesen werden und sie daher auch nicht falsch sein kann. Baumgarten spricht deshalb vom logisch Falschen im weitesten Sinne. Demzufolge kann es sich dabei wiederum nur um relativ Unmögliches Gewissheit  |  221

handeln, d. h. um einen Satz, der im Verhältnis zu einem bestimmten gegebenen Zusammenhang anderer Sätze bzw. Begriffe nicht wahr sein kann und also falsch ist, obgleich er in einem anderen Kontext, mithin einer anderen Art von Welt durchaus wahr sein könnte. Dies ist vor dem Hintergrund der bereits festgehaltenen Kontingenz des Gegenstandes des Satzes unproblematisch. Ein solcher Satz ähnelte daher dem üblicherweise Anzunehmenden, ohne diesem zu entsprechen. Da aber im rein ästhetischen Bereich das Mittel der logischen Analyse von Sätzen nicht gebraucht werden kann, ohne ihn zu verlassen, besteht die einzige Bedingung, die bei der Einführung des relativ Unmöglichen in ihn erfüllt sein muss, darin, dass dies nicht mit der Vorstellung des Hässlichen verbunden sein darf, also schön gedacht werden muss. Vergisst man nun nicht, dass es Baumgarten kaum um eine schulmäßige Aristoteles-Interpretation gegangen sein wird, legitimiert diese Überlegung durchaus seinen Rückgriff auf das eikós. Denn Aristoteles gebraucht diesen Begriff ebenfalls bei seiner Rechtfertigung der Einführung des Wunderbaren oder Erstaunlichen in die Dichtung, insbesondere ins Epos. Dabei betont er die vornehmliche Herkunft des Wunderbaren (thaumastón) aus dem Unvernünftigen (álogon).438 Letzteres jedoch ist wiederum nicht mit schlechthinniger Unmöglichkeit gleichzusetzen, sondern mit realer Unmöglichkeit (adýnata), die indes eher anzunehmen sein kann  – und diesem dann folglich vorzuziehen ist  –, als das real Mögliche, wenn es unglaublich (apíthana) ist.439 Das real Mögliche kann also weniger dem natürlicherweise Anzunehmenden entsprechen als das real Unmögliche, nämlich dann, wenn Letzteres glaubhafter ist als Ersteres. Glaubhaftigkeit kommt einem Satz freilich nicht für sich genommen zu, sondern ergibt sich letztlich aus seiner Relation zu anderen Sätzen, deren Wahrheit sein Rezi­pient anerkennt oder wenigstens für wahrscheinlich hält, d. h. wenn ein Satz, der Glaubwürdigkeit beansprucht, so gut wie möglich zu dem passt, was sein Adressat sonst noch glaubt oder weiß. Ein Satz über real Mögliches, der komplexe logische Operationen oder weitgreifende epistemische Modifikationen im mentalen Haushalt seines Adressaten erfordert, um seine Angemessenheit gegenüber dessen sonstigen Überzeugungen zu erweisen, wird daher weniger glaubhaft wirken als ein Satz über real Unmögliches, der derartige 222  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

Anpassungsanstrengungen nicht verlangt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es ohnehin nicht um die logische Analyse des Vorgetragenen geht, sondern um seine sinnliche Erfassung bzw. um das Vergnügen, das es bereiten kann. Es liegt auf der Hand, dass das real Unmögliche weder in evidenten Nonsens umschlagen noch als solches aus seinem Kontext herausfallen darf, um jenen epistemischen Vorzug vor dem real Möglichen zu genießen. Dann ist es nämlich ohne Zweifel weniger glaubhaft als alles noch so komplexe real Mögliche. Die Unmöglichkeit des real Unmöglichen muss daher – wenn schon nicht, per impossibilem, den Instrumenten der logischen Analyse –, so doch ihrer sinnlichen Erfassung entzogen werden. Diese Fähigkeit schreibt Aristoteles mit einer bemerkenswerten Wendung zur Sinnlichkeit insbesondere Homer zu: »So wären die Unvernünftigkeiten über die Aussetzung in der Odysee, wären sie offenbar gemacht worden, unerträglich, wenn sie ein schlechter Dichter hervorgebracht hätte. Nun verdunkelt der Dichter aber das Ungereimte (átopon) durch anderes Gutes auf lustbringende Weise.«440 Bereitet das real Unmögliche dem Rezipienten also Lust, indem es sich auf derjenigen Ebene, die nach Baumgarten die ästhetische Erkenntnis ausmacht, bequem in seine alltäglichen Wahrnehmungen oder Überzeugungen einfügt und seine sinnlichen Erkenntnisvermögen beschäftigt, kann es an die Stelle des üblicherweise Anzunehmenden rücken. Es ist klar, dass es dann keinesfalls von der Vorstellung des Hässlichen begleitet werden darf. Um zum eikós gezählt zu werden, muss das real Unmögliche folglich schön gedacht werden. Die Schönheit der Vorstellung eines relativ unmöglichen Gegenstandes verbürgt daher die Geltung der transzendentalen Wahrheitsbedingungen auf rein ästhetischer Ebene. Folglich bleiben diese auch im nicht-propositionalen Bereich dem universalen Skeptizismus entzogen, und auch die schöne Vorstellung des relativ Unmöglichen enthält jene ebenso minimale wie fundamentale Erkenntnis. Sie bildet damit jeweils das Unterscheidungskriterium zwischen dem ästhetisch Wahrscheinlichen und jedem beliebigen Wahrheitsähnlichen. Dies führt im Bereich des rein ästhetischen Erkennens zu einer Reduktion der Beliebigkeit jeder überhaupt möglichen Welt auf den Kreis derjenigen möglichen Welten, die der Vorstellung der aktualen Welt ähnlich genug sind, um nicht Gewissheit  |  223

als hässlich empfunden zu werden. Neben der – womöglich nicht nur aus Baumgartens Perspektive – selbstwidersprüchlichen Verpflichtung zur Leugnung oder zuallermindest Relativierung trans­ zendentaler Wahrheitskriterien muss der universale Skeptizismus zugleich also auch die Möglichkeit der Hässlichkeit der aktualen Welt vertreten. Dies wäre äquivalent mit der Leugnung der Existenz vollständig bestimmter Einzeldinge und folglich mit der Leug­nung der Existenz eines einheitlichen Universums. Der radikale Skeptiker müsste also auch seine eigene, singuläre Existenz und seine eigene Individualität leugnen, weil er sein sinnliches Erkennen derart gering schätzt, dass er die Unterscheidung zwischen Wahrscheinlichem und bloß Wahrheitsähnlichem negiert.

224  |  Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 

C. Was Gott weiß, oder: Wie die Dinge sind – Metaphysik Baumgartens Argument gegen den universalen Skeptizismus ruht also auf einem metaphysischen Fundament. Sein Erfolg setzt nämlich eine dynamistische Metaphysik des Singulären von der Art voraus, wie sie einleitend mit Bezug auf Leibniz unter dem Titel des Singularismus als vielleicht weniger verfängliche Variante für den Ausdruck Nominalismus skizziert wurde. Denn er schließt die Möglichkeit aus, die aktuale Welt prinzipiell und mit dem Anspruch auf ästhetische Wahrheit als hässlich zu empfinden, eröffnet dagegen umgekehrt die Möglichkeit, die aktuale Welt mit demselben Anspruch jederzeit als schön wahrzunehmen. Anders als der orthodoxe Wolffianismus macht diese Position keine transzendenten Voraussetzungen, 441 sondern transzendentale, und anders als der kritische Idealismus Kants gründet sie die Einheit der Welt nicht allein auf die freie Aktivität eines zu postulierenden überindividuellen, universalen transzendentalen Subjekts.442 Ohne nun in einen fruchtlosen Wettbewerb um einen geringeren oder höheren Grad an Dogmatismus, wie er Baumgartens oder Kants Positionen innewohnen mag, einzutreten, soll im Folgenden Baumgartens Variante des metaphysischen Singularismus in ihren Grundlagen erörtert werden, soweit diese für seine Theorie des Erkennens unverzichtbar sind und sofern sie nicht bereits dargestellt wurden. Dies gilt insbesondere für die modalen Grundbegriffe der Ontologie Möglichkeit und Wirklichkeit, die notwendige Materialität kontingenter Dinge, die Tätigkeit der endlichen Seele im Unterschied zum unendlichen Geist Gottes und schließlich für die menschliche Willensfreiheit.

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I. Ontologie: Essenz und Existenz

Spätestens seit des Hlg. Thomas’ kleiner Schrift De ente et essentia ist die entsprechende Unterscheidung metaphysischer Forschungsstandard. Das heißt freilich nicht, dass sie sich von selbst verstünde – was immer das auch bedeuten möchte. Vielmehr ist man seither in der Pflicht zu rechtfertigen, wenn man sie nicht macht, und sie zu erklären, wenn man sie macht. Baumgarten gebraucht und interpretiert sie in einer Weise modalontologisch, wie dies ein Universalienrealist niemals tun würde und könnte – ein Nominalist (oder Singularist) indes durchaus.

1. Innere Möglichkeit

Wie bereits angeführt, definiert Baumgarten im Paragraphen 40 seiner Metaphysik den Begriff der Essentia als innere Möglichkeit: »Der Zusammenhang der wesentlichen Bestimmungen in einem Möglichen bzw. dessen innere Möglichkeit ist das Wesen (das Sein einer Sache, der Formalgrund, die Natur, die Washeit, die Form, das gänzlich Formale, ousía, tinótis, die Substanz, der erste Begriff des Seienden).«443 Auf den ersten Blick fällt an Baumgartens Definition seine Insistenz auf die Elemente der Possibilität und der Internalität bzw. der Formalität auf. Das Wesen einer Sache sagt also allein aus, dass etwas  – wie sich noch zeigen wird: von einer bestimmten Art  – überhaupt möglich ist. Dabei drückt dieses »überhaupt« die Internalität der Möglichkeit aus: Die Essentialität der Möglichkeit einer Sache besagt ihre Unabhängigkeit von etwas, das von ihr verschieden ist. Seine Bestimmungen kommen »dem möglichen an und vor sich betrachtet schon« zu, um Baumgartens Verdeutschung des Ausdrucks »absolut« zu gebrauchen.444 Es geht also nicht um die reale Möglichkeit im klassischen Sinne der Existenz eines Dings oder des Eintretens eines Ereignisses unter den Bedingungen der Existenz von anderem, mithin einer Welt, sondern um das, was man traditionsgemäß die logische Möglichkeit von etwas nennt. Daran, dass diese Unterscheidung zwischen Possibilität und Potentialität, die Baumgarten macht, freilich nur aus der Perspektive des end226  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

lichen Geistes gilt, weil logische und reale Möglichkeit für einen unendlichen und vor allem allmächtigen Geist zusammenfallen, sei hier nur erinnert. Die innere Möglichkeit einer Sache – darin liegt die Formalität dieses Wesensbegriffs – besteht folglich allein darin, dass ein Begriff von ihr bzw. überhaupt ein Begriff gebildet, d. h. dass etwas Bestimmtes gedacht werden kann. Die Essenz einer Sache ist daher aus absoluten Bestimmungen zusammengesetzt: »Die Bestimmungen eines Möglichen können entweder in diesem vorgestellt werden, auch wenn es noch nicht im Zusammenhang (in nexu) betrachtet wird, und sind an und für sich schon (absolutae) oder alsdann, wenn es im Zusammenhang betrachtet wird, beziehungsweise zukommende (respectivae) Bestimmungen.«445 Eine Sache ist möglich und damit Etwas, wenn keine ihrer absoluten Bestimmungen einer ihrer anderen widerstreitet. 446 Also sind der Essenzen so viele, wie es widerspruchsfreie komplexe Bestimmungen gibt. Weil aber das Wesen einer Sache in ihrer inneren Möglichkeit ohne Rücksicht auf ihre potentielle Existenz in einer Welt besteht, kann die Gegebenheit des bestimmten Möglichen nicht davon abhängen, dass es ein endlicher Geist in einem kontingenten Akt denkt. Dies widerspräche der Möglichkeit des Möglichen selbst. Sie unterliegt allein einem formalen Kriterium, nämlich dem Satz des Widerspruchs, der das erste unter den Prinzipien ist, die für alles, was ist – sei es aktual seiend oder aktual nichtseiend – gelten. Pointiert formuliert: Dass etwas denkbar ist, kann nicht davon abhängen, dass es kontingenterweise aktual gedacht wird. Allerdings gilt auch für jedes Mögliche der Satz vom Grund. Weil nichts nicht der Grund von etwas sein kann, muss es etwas geben, das der Grund der Gegebenheit des Möglichen ist.447 Dieser kann wiederum nicht kontingent sein, da es sonst sein könnte bzw. gelegentlich der Fall sein müsste, dass es kein Mögliches gibt, mithin nichts. Eine bloße, obzwar im Modus der Notwendigkeit bestehende Gültigkeitsgarantie des Satzes vom Widerspruch reicht aber ebenfalls nicht als Grund der Gegebenheit des Möglichen zu. Denn aus dem Kriterium des Möglichen, das der Satz vom Widerspruch bildet, oder sogar aus der Definition des Möglichen, das der Satz vom Widerspruch bilden mag, folgt noch kein einziges bestimmtes Mögliches. Die Frage nach dem Grund des Möglichen verwandelt sich daher in die spezifischere nach dem Grund der Bestimmtheit Ontologie: Essenz und Existenz  |  227

des Möglichen, weil »jedes Mögliche als Möglichkeit bestimmt ist« und »jedes Mögliche ein Wesen besitzt«.448 Diese ratio determinans muss folglich unter den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs des Grundes systematische Priorität genießen, da ihre Formalität keinerlei Kontingenz erlaubt. Weil es keinen Grund gibt, warum irgendein Mögliches als solches nicht gegeben sein sollte, sofern es allein für sich genommen vorgestellt werden kann, muss umgekehrt auch alles Mögliche als solches gegeben sein. Besteht nun das Sein des Möglichen allein in seiner Bestimmtheit und besteht deren Sein wiederum in der Vorstellung eines widerspruchsfreien, komplexen und qualitativ bestimmten Begriffs, liegt der Grund des Möglichen in einem logischen Akt, d. h. in einem Denken. Dieser Akt kann nicht kontingent sein. Also muss er notwendig sein, und aus demselben Grund muss er alles Mögliche zugleich umfassen. Er kann daher nur von einem unendlichen und allwissenden Geist vollzogen werden. Der Grund der Bestimmtheit des Möglichen als solchem ist somit Gottes Geist, der alles Mögliche enthält, indem er es in einem einheitlichen Akt denkt. Essenzen sind also logische Gegenstände, jedoch solche eigener Art. Das liegt naturgemäß daran, dass sie von einem unendlichen Geist gedacht werden, der seiner eigenen Logik folgt. Dies bedeutet freilich nicht, dass sie von den Gesetzen abwiche, welche die transzendentalen Wahrheitsbedingungen ausmachen. Diese Logik ist vielmehr nur, anders als diejenige, die einem endlichen Geist zur Verfügung steht, dazu geeignet, alles Seiende in seiner jeweiligen Beschaffenheit vollständig zu wissen. Die Logik Gottes verfährt daher intensional. Denn nur dann, wenn die prädikativen Bestimmungen eines möglichen Subjekts in diesem enthalten sind und also nicht noch anderen Subjekten zukommen können, kann alles, was überhaupt möglich ist, ohne Bezugnahme auf davon verschiedenes Seiendes identifiziert, d. h. für sich genommen in seiner Unterschiedenheit von allem anderen möglichen Seienden gedacht, werden. Dieser Sachverhalt bildet nicht nur den Grund dafür, dass für den göttlichen Geist keine Differenz zwischen bloß logischer und realer Möglichkeit besteht. Aus ihm folgt auch die Singularität bereits der unendlich vielen verschiedenen Essenzen als Begriffe der inneren Möglichkeit von Dingen, ohne dass dies der Universalität der Begriffe widerspräche, mit denen der endliche 228  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Geist das Wesen von Dingen in stets vorläufiger Weise zu erfassen sucht. Baumgartens Begriff der Essenz bezeichnet also eigentlich und im strengen Sinne einen intensionalen logischen Gegenstand, der das Wesen eines möglichen Dinges im Unterschied zu allen anderen möglichen Dingen überhaupt, d. h. seine Singularität, adäquat erfasst. Auf metaphysischer Ebene kann demzufolge gar kein wie immer geartetes Individuationsproblem auftreten, da es keine metaphysischen Universale gibt, sondern bereits im Bereich des Möglichen allein Singularia. Die Gewinnung logischer Universale hingegen erklärt die Theorie der Begriffsbildung im Rahmen der Epistemologie. Dass die Singularität schon des Möglichen das Fundament von Baumgartens Metaphysik bildet, zeigt sich ebenso an seiner Darlegung der Komplexität des Möglichen. Denn dies enthält – ohne dass dadurch seine absolute Betrachtung gefährdet wäre – neben seinen primären, essentiellen Bestimmungen auch noch diejenigen, welche in diesen ihren Grund haben und deswegen aus ihnen folgen, nämlich die »affectiones«.449 Da die Gegebenheit einer Essenz als zureichender Grund für die Gegebenheit von Affektionen fungiert und umgekehrt das Fehlen von Affektionen auf die Abwesenheit einer Essenz schließen lässt, 450 gibt es weder Essenzen ohne Affektionen noch Affektionen ohne Essenzen. Folglich gehören auch die Affektionen zu den inneren Bestimmungen der Möglichkeit einer Sache, wenngleich nicht zu ihrer Essenz. Nun gilt Baumgartens allgemeine Unterscheidung zwischen zureichendem und unzulänglichem Grund auch für das Verhältnis von essentiellen und affektionellen Bestimmungen: »Die Affektionen haben den Grund im Wesen, daher entweder einen zureichenden oder nicht. Jene sind Eigenschaften (attributa), diese Zufälligkeiten (modi), aussagbare bzw. logische Akzidentien, beigesellte, sekundäre Prädikate.«451 Attribute folgen also mit Notwendigkeit aus der Gegebenheit einer Essenz, während diese wiederum nur die notwendige Bedingung für die Möglichkeit des Auftretens von Modi zu bilden scheint. Allerdings bewegt sich die Untersuchung ohnehin noch allein im Bereich des Möglichen. Weil indes die Möglichkeit des Auftretens bestimmter Modi ihren Grund in der Essenz einer Sache hat, gehört die Möglichkeit, nicht immer, sondern nur unter Ontologie: Essenz und Existenz  |  229

bestimmten Bedingungen bestimmte Eigenschaften aufzuweisen und unter anderen Bedingungen nicht diese, sondern wieder andere, zweifellos zu den inneren, mithin essentiellen Möglichkeiten eines Möglichen. Denn es geht ja bei dessen Untersuchung nicht um seine Verwirklichungsbedingungen oder um seine Aktualität, sondern allein um seine Identität als Mögliches im Unterschied zu allem anderen Möglichen. Aus jeder Differenz hinsichtlich der Modi, die ein Mögliches aufweisen kann, ergibt sich folglich die Gegebenheit eines je eigenen möglichen Dings in seiner Singularität. In die absolute Betrachtung eines Möglichen als eines solchen gehen also sowohl seine essentiellen als auch seine affektionellen, d. h. seine attributiven wie akzidentiellen Bestimmungen ein. Denn die Vorstellung ihrer Möglichkeit fordert nicht die Gegebenheit von Verschiedenem, ohne dass damit freilich die beziehungsweise Betrachtung eines Möglichen im Zusammenhang mit anderen ausgeschlossen wäre. 452 Die Identität eines solchen, bloß möglichen Dings, das absolut nur der unendliche Geist, und zwar in der Form eines Individualbegriffs bzw. einer Idee, vorstellen kann, ergibt sich nun aus dem durchgehenden Zusammenhang seiner inneren, d. h. allein in seiner Essenz begründeten Bestimmungen: »Alle inneren Bestimmungen eines Möglichen sind untereinander verknüpft, die einzelnen mit den einzelnen. Die einzelnen Affektionen werden nämlich mit den Essentialia verknüpft, diese mit dem Wesen. Daher die einzelnen Bestimmungen mit den einzelnen.«453 Zwischen den jeweils einzelnen Bestimmungen des Möglichen besteht also ebenso ein nexus universalis wie zwischen den Einzeldingen, die das Universum konstituieren: »Es gibt einen allgemeinen Zusammenhang, der zwischen den Einzelnen ist«.454 Aus der bloßen Widerspruchsfreiheit bzw. Kompossibilität der diversen Bestimmungen folgt aber noch nicht deren Verknüpfung, die erst ihre Internalität ausmacht, 455 wenngleich freilich jeder Satz kompossibler interner Bestimmungen ein mögliches Ding bildet. Also steht jener universale Zusammenhang beidenthalben unter den Sätzen vom zureichenden bzw. unzulänglichen Grund, gemäß dem unterschiedlichen modalen Status von Begriffen von Dingen und Dingen allerdings auf verschiedene Weise. Da zwischen möglichen Gegenständen nur logische Beziehungen bestehen können, stehen die einzelnen internen Bestimmungen eines einzelnen mög230  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

lichen Dings im Zusammenhang von Grund und Folge, so dass die Möglichkeit jeder Bestimmung aus seiner Essenz erkannt werden kann.456 Die Essenz eines einzelnen möglichen Dinges und seine inneren Bestimmungen sind also äquivalent. Weil es keinen formalen Unterschied zwischen dem Individualbegriff eines Einzeldings und dem eines Universums gibt, gilt diese logische Interpretation in gleicher Weise für jeden Begriff einer möglichen Welt, wie sie alle im unendlichen Geist enthalten sind, so dass keine mögliche Welt etwas anderes enthalten kann als das, was sie enthält. Bereits jetzt lässt sich sehen, dass im Falle der Wirklichkeit von Einzeldingen deren Verbindung in und zu einer Welt der doppelte Satz vom Grund kausal, mithin im herkömmlichen Sinne metaphysisch zu verstehen ist, da sich wirkliche Dinge außerhalb von Gottes Geist nicht in logischen Beziehungen zueinander zu befinden pflegen, sondern nur ihre Begriffe, obzwar jedes einzelne Ding samt seinen Bestimmungen zu den Bestimmungen der einen Welt gehört, in der es jeweils möglich ist. Trotzdem es sich also bei den Begriffen möglicher Dinge wie möglicher Welten um Ideen handelt, lassen sie sich infolgedessen unterscheiden: Dem Individualbegriff einer möglichen Welt können keine positiven relativen Bestimmungen zu von ihm verschiedenen möglichen Gegenständen zugesprochen werden, da er alles enthält, was in dieser einen Welt, deren Begriff er ist, möglich ist. Individualbegriffe möglicher Dinge hingegen können durchaus in positiv bestimmten Relationen zu anderen solchen stehen; nämlich dann, wenn sie in ein und derselben Welt kompossibel sind. Man könnte demnach durchaus sagen, dass die in diesem Sinne der Kompossibilität äußere Möglichkeit eines Dings zur inneren Möglichkeit genau der Welt gehört, in der es enthalten ist. Nun sollte zwar deutlich geworden sein, dass die Singularität des jeweils Möglichen bereits in dessen Essenz enthalten ist. Dies sollte aber nicht zu einer Identifikation von essentiellen und affektionellen Bestimmungen führen. Denn diese sind ja jeweils gemäß der logischen Beziehung von Grund und Folge miteinander verknüpft, aus der sich insbesondere die Modi als Möglichkeiten von Möglichkeiten ergeben. Die Affektionen gehören solchermaßen also zwar als notwendige oder mögliche Folgen zum Wesen, und kein Wesen ist ohne Folgebestimmungen möglich, aber sie sind Ontologie: Essenz und Existenz  |  231

nicht mit dem Wesen selbst identisch, wenngleich ihre Gesamtheit das jeweilige Wesen vollständig explizieren, mithin mit diesem in einer Äquivalenzbeziehung stehen mag. Baumgartens Rede von der Essenz als innere Möglichkeit einer Sache meint daher nicht nur die Absolutheit von deren Betrachtung, sondern auch die mögliche Inhärenz der aus dieser folgenden, weiteren Bestimmungen. Die Singularität des Wesens ergibt sich also erst mit der vollständigen Bestimmtheit der Affektionen, die aus ihm folgen, d. h. mit seiner Wirklichkeit. Erst dann handelt es sich um die Essenz eines Dings, das in einer Welt existieren kann und nicht allein um die Essenz eines Nichts.

2. Das Wirkliche als intensionale Möglichkeit

Eine ähnlich drastische Formulierung verwendet Baumgarten ausgerechnet bei seiner Bestimmung des Begriffs des Wirklichen (actuale). Sie scheint indes sofort in das Problem der Verschiedenheit der Possibilität eines bloß, d. h. in einer anderen Welt, möglichen Möglichen und der Potentialität eines wirklich, d. h. in dieser Welt, Möglichen zu führen. Sie ist indes für die Metaphysik, die sich nicht an den kontingenten Behinderungen des endlichen Geistes aufzuhalten hat, zu verneinen. Jedoch zeigt sich sogleich, dass der sinnvolle Gebrauch des Begriffs der inneren Möglichkeit bzw. der volle Wesensbegriff von dessen Beziehung auf Wirklichkeit abhängt, so dass die – zugegeben: gewolltermaßen – angestrengt klingende Unterscheidung zwischen möglichem und wirklichen Möglichen eigentlich auf die Unterscheidung von Nichts und Etwas hinausläuft. Außerhalb einer Welt gibt es daher nichts Mögliches, sondern – so wäre zu ergänzen – nur Notwendiges. Baumgarten schreibt also: »Das außer dem Wesen Mögliche ist entweder bestimmt, soweit alle Affektionen auch in ihm selbst zusammen möglich sind, oder nicht. Jenes ist wirklich, dieses wird das bloß Mögliche, ein mög­ liches Nichts genannt.«457 Alle möglichen extra-essentiellen, mithin affektionellen inneren Bestimmungen folgen entweder unmittelbar wie die Attribute oder mittelbar wie die Modi aus dem Wesen. Diese Differenz des Folgens entspricht der Differenz zwischen zureichendem und un232  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

zulänglichem Grund. Ersterer bestimmt die Gegebenheit eines Attributs in einem möglichen Ding, letzterer die Möglichkeit der Gegebenheit eines bestimmten Modus. Daher kommt ein Attribut einem möglichen Ding notwendigerweise zu, während ein Modus ihm zufälligerweise zukommt. Folglich dependiert auch ein möglicher Modus von der Essenz eines Dings als seiner notwendigen Bedingung. Deswegen enthält die Essenz auch die Möglichkeit aller Modi, die dem Ding überhaupt zukommen können. Sofern die Singularität einer Essenz äquivalent mit der durchgängigen Bestimmtheit desjenigen Dings ist, dessen Essenz sie ist, ist die Essenz selbst für sich genommen der Möglichkeit nach singulär. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich nach Baumgarten nicht um die Essenz eines möglichen Dings, sondern eines möglichen Nichts. Entscheidend ist es nun zu sehen, dass ein Nichts gar keine Essenz besitzen kann, sondern vielmehr nichts anderes als schlicht unmöglich ist, so dass folgt, dass es ausschließlich Essenzen möglicher Dinge geben kann bzw. dass ausschließlich solche vorgestellt werden können: Gott denkt keine Nichtse, sondern Etwasse, und zwar alle. Daraus müsste weiterhin folgen, dass jede mögliche Essenz eo ipso auf Wirklichkeit, mithin Singularität bezogen ist und die Annahme von Essenzen, die rein universal blieben, als metaphysische Gegenstände in sich widersprüchlich bzw. bestenfalls fiktional ist. Dass Baumgarten in der Tat die Unmöglichkeit jener nichtigen Essenzen behauptet, geht aus den im angeführten Paragraphen enthaltenen Querverweisen hervor. Sie dienen vordringlich der Erklärung des non ens privativum, dem es an der Bestimmtheit über die Essenz hinaus mangelt. Unbestimmtheit besteht in der Indifferenz eines Subjekts hinsichtlich zweier kontradiktorischer Prädikate. 458 Die Möglichkeit eines jeden Gegenstandes schließt gemäß dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten seine Bestimmtheit hinsichtlich aller möglichen kontradiktorischen Paare ein.459 Unbestimmtheit würde also heißen, dass einem Subjekt entweder keines zweier kontradiktorischer Prädikate oder beide zukommen. Beides ist unmöglich. Also folgt aus Unbestimmtheit Unmöglichkeit, und Unmögliches ist Nichts. Nun ist eine bloße Essenz gewiss hinsichtlich aller extraessentiellen inneren Bestimmungen, sofern sie nicht mit Notwendigkeit aus ihr folgen, unbestimmt. Sie ist Ontologie: Essenz und Existenz  |  233

daher trotz der anzunehmenden Widerspruchsfreiheit ihrer wesentlichen Bestimmungen Nichts, weil nicht gesagt werden kann, ob das Ding, dessen Essenz sie ist, sein oder nicht sein kann, da sie nichts weiter als eben diese Möglichkeit enthält. Sie wäre also der Möglichkeit nach sowohl Nichts als auch Etwas. Dies ist aber gemäß dem Prinzip der Bestimmtheit, d. h. dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten, ausgeschlossen. Also sind bloße Essenzen unmöglich, und über die Möglichkeit einer Essenz kann erst von ihrer Bestimmtheit her entschieden werden. Essentialität und vollständige Bestimmtheit, mithin Singularität, sind demnach äquivalent, so dass wie nach Leibniz die Realdefinition eines Dings vorliegen muss, um seine Möglichkeit einzusehen.460 Das »bloß Mögliche«, wie Baumgarten das »non ens privativum« übersetzt, ist also aufgrund seiner aktual bestehenden Unbestimmtheit unmöglich, obwohl es die Möglichkeit weiterer widerspruchsfreier Bestimmung enthalten mag – oder eben auch nicht. Deswegen stellt es ›ein mögliches Nichts‹ dar, so dass seine Nichtigkeit kontingent ist, während das »non ens negativum« eben diese Möglichkeit nicht bietet und daher bereits in den essentiellen Bestimmungen ein Widerspruch vorliegen muss.461 Im eigentlichen, essentiellen Sinne möglich ist also nur, was auch in der Form bzw. Bestimmtheit, in der es gedacht wird, wirklich sein kann, so dass das im intensionalen Sinne logisch Mögliche und das real Mögliche ununterscheidbar sind. Deshalb definiert Baumgarten das Wirkliche (actuale) als das außer der Essenz Mögliche, das insofern bestimmt ist, als alle Affektionen auch in ihm selbst zusammen möglich sind (compossibiles). Die Kompossibilität aller möglichen affektionellen Bestimmungen eines Möglichen impliziert deswegen, weil es bestimmt sein muss, die Gegebenheit anderer, von ihm verschiedener Gegenstände. Damit nämlich ein Modus hinsichtlich seines Seins oder Nicht-Seins bestimmt ist, muss dies einen zureichenden Grund besitzen, der außerhalb desjenigen Möglichen liegen muss, dessen Modus er ist. Denn die Essenz des hinsichtlich seiner zu bestimmenden Möglichen gibt nur seinen unzulänglichen Grund ab, d. h. die Möglichkeit seiner Bestimmtheit durch A oder non-A überhaupt. Die durch die Essenz als notwendige Bedingung kontradiktorischer prädikativer Bestimmung gegebene notwendige Bedingung solcher Bestim234  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

mung ist aber noch nicht diese Bestimmtheit selbst. Also muss ein anderes, wiederum bestimmtes Mögliches gegeben sein, das als zureichender Grund für jene Bestimmtheit sorgt und so weiter und so fort, bis durchgängige Bestimmtheit eines jeden Möglichen hinsichtlich aller Prädikate vorliegt, die ihm überhaupt gemäß seiner Essenz zukommen können. Dasselbe gilt naturgemäß auch für relationale Bestimmungen. Der Begriff der Kompossibilität affektioneller Bestimmungen impliziert daher die Gegebenheit einer möglichen Welt. Wirkliches gibt es also nur im Zusammenhang einer durchgängig bestimmten Welt, weil es ohne diese selbst nicht hinreichend bestimmt, sondern allenfalls ein nihil privativum wäre. Daraus folgt aber, dass Baumgarten das Wirkliche als besondere Art des Möglichen begreift. Denn er behauptet ja ausdrücklich, dass das außer der Essenz bestimmte Mögliche das Wirkliche ist. Nur dann, wenn Möglichkeit in der Bedeutung der Essenz und Sein in der Bedeutung von Aktualität verstanden wird, folgen nämlich auch die klassischen Schlusserlaubnisse vom Sein auf die Möglichkeit und von der Unmöglichkeit auf das Nicht-Sein bzw. die Schlussverbote von der Möglichkeit auf das Sein und vom NichtSein auf – wie Baumgarten extra betont – die »völlige« (omnino) Unmöglichkeit. 462 Also muss auch alles, was in hinreichendem Maße extraessentiell bestimmt ist, wirklich sein. Also ist jede mögliche Welt wirklich, und allein das bloß essentiell bestimmte nihil privativum nicht wirklich, sondern bloß möglich. Das heißt aber weiterhin, dass alles, was in der Weise des Wirklichen bestimmt ist, existiert und also ein Ding ist, sofern Existenz und Wirklichkeit synonym gebraucht werden können. Dass genau dies Baumgartens Auffassung ist, zeigen seine Definitionen der Begriffe der Existenz und des Dings: »Wirklichkeit (existentia) ist der Zusammenhang der zusammen möglichen Affektionen in etwas, d. i. die Ergänzung (complementum) der Essenz bzw. der inneren Möglichkeit, sofern diese allein als Zusammenhang von Bestimmungen betrachtet wird.«463 Und: »Ein im Sinne der Wirklichkeit bestimmbares Mögliches ist ein Ding.«464 Wirklichkeit bzw. Existenz ist also Ergänzung des allein essentiell bestimmten Möglichen zu vollständiger Bestimmtheit. Dies geschieht durch extraessentielle Affektionen, deren Möglichkeit Ontologie: Essenz und Existenz  |  235

das Wesen zwar im Sinne einer notwendigen Bedingung in indifferenter Weise enthält, nicht jedoch den zureichenden Grund ihres Vorliegens, so dass ihre Ableitung aus dem in dieser Hinsicht unvollständigen reinen Wesensbegriff möglich wäre. Alles Mögliche ist also entweder wirklich oder nihil privativum. Existenz ist daher vollständig bestimmte Möglichkeit, und alles Mögliche, das vollständig bestimmt ist, existiert. Da Realität in der vollständigen positiven Bestimmtheit eines Möglichen besteht, 465 vertritt Baumgarten offenkundig die Position eines Mögliche-WeltenRealismus. Dies mag auf den ersten Blick irritieren, weil er sich zugleich Leibnizens metaphysischem Optimismus anschließt, wonach Gott allein die beste aller möglichen Welten erschaffen habe. Diese beiden Auffassungen müssen sich indes nicht wechselseitig ausschließen. Denn wie seine Präzisierung der Komplementarität von Essenz und Existenz allein gemäß der Betrachtung als Bestimmungszusammenhang erweist, spricht Baumgarten im Rahmen seiner allgemeinen Ontologie ausschließlich von logischen Gegenständen, wie sie ein unendlicher Geist denkt. Die Wirklichkeit aller möglichen Dinge bzw. Welten liegt daher in ihrer vollständigen Bestimmtheit im Geiste Gottes und folgt schlicht aus der Ununterscheidbarkeit von logischer und realer Möglichkeit auf der Basis einer rein intensional verfassten Logik, die ausschließlich Einzelnes erfasst. Aus diesem Grund kann Baumgarten auch nicht weiter bestimmte reine Essenzen trotz ihrer unzweifelhaften (inneren) Möglichkeit unter Rekurs auf die mögliche Widersprüchlichkeit weiterer Bestimmung »Nichts« nennen. Sie sind nichts, weil sie in Gottes Geist nicht existieren, da er sich nicht der zu Identifikation und Differenzierung von Dingen aufgrund ihrer stets weiteren Bestimmbarkeit, und d. h.: Uneindeutigkeit, weniger geeigneten extensionalen Logik bedienen muss. Gott hat es schlicht nicht nötig, Universalien oder Abstrakta zu denken, weil er kraft seines natürlichen Wissens immer schon über alle Begriffe des im Sinne der Wirklichkeit Möglichen verfügt. Dass aber allein aus der allgemeinen Ontologie noch kein zureichender Grund für eine wie immer geartete Schöpfungsentscheidung Gottes folgt, liegt auf der Hand.

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3. Existenz und Kontingenz

Bildet nun die Existenz eines Möglichen das Komplement seiner Essenz, kann aus dieser jene nicht folgen. Die Existenz eines Möglichen ist daher ein Modus, mithin eine Qualität, die einem Möglichen zukommen kann oder auch nicht und folglich darüber hinaus einen zureichenden Grund erfordert, der von der bloßen essentiellen Bestimmung verschieden ist. Ein Ding dagegen, dessen Essenz unmittelbar seine Existenz und nicht nur die bloße Möglichkeit dazu – und ebenso ihr Gegenteil – enthält, ist daher nicht möglich, sondern in all seinen Bestimmungen notwendig, und zwar absolut notwendig.466 Seine Existenz kann deswegen gar nicht Komplement der Essenz sein, weil diese vielmehr bereits dessen vollständige positive Bestimmtheit enthält, ohne dass dazu Modi gehören könnten.467 Im Falle eines absoluter Notwendigkeit nach existierenden Dings ist daher dessen wirkliche Essentialität mit seiner vollständigen Bestimmung nicht nur äquivalent, sondern identisch. Der Begriff eines notwendigen Dings ist daher nur im negativen Sinne der Abwesenheit eines Widerspruchs möglich, aber nicht im Sinne indifferenter Bestimmtheit dahingehend, dass jenes Ding sowohl existent sein als auch nicht existent sein kann. Aus der extensionalen, d. h. kontingenten epistemischen Perspektive des endlichen Geistes, welche zugleich die aus intensionaler, mithin universal metaphysischer Perspektive zwar durchaus missverständliche, aber praktische Unterscheidung zwischen logischer und realer Möglichkeit begründet, führt dies zu dem zunächst irritierenden Befund, dass im logischen Sinne verstanden die Modalität der Notwendigkeit die der Möglichkeit einschließt, während im metaphysischen Sinne der Existenz die Notwendigkeit die Möglichkeit wie die kontingente Wirklichkeit gerade ausschließt, während die kontingente Wirklichkeit die Möglichkeit wiederum einschließt. Allerdings ist diese kontingente, d. h. aus Gründen epistemischer Beschränktheit gemachte Unterscheidung für die Ontologie nicht relevant, wie dies etwa Baumgartens Gleichsetzung der Bedeutungen von metaphysischer und logischer Notwendigkeit bei seiner Definition des »an sich Notwendigen« (necessarium in se) zeigt.468 Es kann daher das genannte Problem des Verhältnisses von Möglichkeit und Notwendigkeit im Rahmen der Ontologie gar nicht auftreten. Vielmehr gilt Ontologie: Essenz und Existenz  |  237

schlicht, dass jedes Ding entweder notwendiger- oder kontingenterweise so bestimmt ist, wie es bestimmt ist, und daher jedenfalls möglich sein muss.469 Es geht also bei der Unterscheidung zwischen dem »Notwendige(n), dessen Gegenteil unmöglich ist,« und dem »Nicht-Notwendigen«, das kontingent ist, 470 niemals um die Möglichkeit eines unterbestimmten nihil privativum, sondern lediglich um Notwendigkeit oder Kontingenz vollständiger Bestimmtheit, d. h. allein um verschiedene wirkliche Dinge. Wirklichkeit und Möglichkeit von Dingen und daher ihrer Bestimmungen sind daher entweder absolut oder unter einer Bedingung notwendig. Alles hypothetisch Notwendige ist daher an und für sich kontingent (in et per se contingens).471 Da die kontingente Existenz von Dingen ihre innere Möglichkeit voraussetzt und es über die Widerspruchsfreiheit hinaus kein ontologisches Ausschlusskriterium für missliebige Essenzen gibt, ist die essentielle und attributive Bestimmtheit jedes möglichen kontingenten Dings in ihrer jeweiligen Beschaffenheit unbedingt notwendig. 472 Die Kontingenz eines kontingenten Dings erweist sich daher an seiner internen Bestimmtheit durch Modi und seiner externen Bestimmtheit durch Relationen.473 Beider zureichender Bestimmungsgrund muss aber zumindest teilweise außerhalb der Essenz liegen, so dass die entsprechenden Bestimmungen und die vollständige Bestimmtheit jenes Dings von hypothetischer Notwendigkeit sein müssen, weil sie sonst nicht mehr kontingent sein könnten. Sowohl die Bestimmtheit eines Dings durch Modi als auch durch Relationen steht daher unter Bedingungen, die von dessen Essenz verschieden sind. Diese bildet im ersten Fall die notwendige Bedingung der weiteren Bestimmung. Daher gehören die Modi zu den internen Bestimmungen eines Dings, das dann als das einzelne, das es ist, vermittels eines Individualbegriffs für sich genommen gedacht werden kann. Weil aber kein kontingentes Ding ohne Modi sein kann, 474 gehört zu diesen auch seine Existenz.475 Im zweiten Fall der relationalen Bestimmung ist die Existenz eines Dings notwendige Bedingung weiterer Bestimmung, da keine Art von Nichts in positiv bestimmten Beziehungen zu etwas stehen kann, das freilich ebenso selbst existieren muss. Relationen sind kontingente externe Bestimmungen. Sowohl kontingente interne als auch externe Bestimmungen verlangen daher einen extraessentiellen zureichenden 238  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Grund. Kein kontingentes Ding kann folglich für sich allein existieren, sondern nur zusammen mit anderen Dingen, deren zumindest eines notwendigerweise existieren muss. Allerdings folgt auch aus der Kontingenz der Bestimmungen weder ihre Austauschbarkeit in noch ihre Abtrennbarkeit von einem bestimmten Ding: »Die Bestimmungen eines Einzelnen sind unzertrennlich, daher ist jedes beliebige Gegenteilige unmöglich, also sind die Bestimmungen eines Einzelnen notwendig, und zwar die des absolut Einzelnen absolut, die des hypothetisch Einzelnen hypothetisch. Die vereinigten Bestimmungen sind entweder an sich oder hypothetisch notwendigerweise verbunden.«476 Ein einzelnes Ding ist also notwendigerweise so, wie es ist. Wäre dem nicht so, könnte es nämlich nicht mehr von allen anderen möglichen Dingen unterschieden bzw. absolut identifiziert werden. Dazu muss es Eines sein, d. h. es darf nicht bloß die Einheit eines Universals besitzen, die eine unbestimmte Vielheit unter sich begreift, sondern die Einheit des Einzelnen, die eine Vielheit von Bestimmungen enthält, die sowohl angebbar sind, also in der Weise einer Definition aufgezählt werden können, als auch unabtrennbar sind. Eine Vielheit von Bestimmungen, welche die Einheit eines Dings ausmachen, ist selber qualitativ, unabhängig davon, dass sie der endliche Geist nur im Bezug auf anderes deutlich erkennen kann, 477 d. h. unter der Bedingung extensionaler Begriffsbildung, die ihrerseits unter der Bedingung der Existenz einer Vielheit von Dingen steht. Die vollständige und positive qualitative Bestimmtheit eines Dings, in der seine Identität liegt, nennt Baumgarten dessen »inneren Unterschied« (discrimen internum).478 Dass von diesem keine Bestimmung weggenommen bzw. negiert werden kann, ohne die Identität des Dings zu zerstören, liegt aufgrund seiner daraus folgenden Unterbestimmtheit auf der Hand. Keine der zugleich gesetzten positiven Qualitäten, welche die Einheit eines Dings ausmachen, ist daher abtrennbar.479 Die qualitative Einheit eines Dings bedeutet folglich nicht nur seine Einzelnheit, sondern auch seine Einzigkeit, mithin Singularität.480 Weil weiterhin Existenz und Singularität im Sinne der intensionalen Bestimmtheit aller möglichen Dinge im Geiste Gottes zusammenfallen, gilt für jedes Ding, dass es entweder absolut, d. h. von sich aus eines, ist oder seine Identität unter einer Bedingung steht. Im ersten Falle Ontologie: Essenz und Existenz  |  239

muss seine Existenz zu seiner Essenz gehören, so dass seine Bestimmtheit von keiner Bedingung abhängt, die von ihm verschieden sein könnte. Im zweiten Falle schließt seine Einzelnheit hingegen die Bestimmung durch Modi ein, deren Aktualität externe zureichende Gründe, also die Existenz anderer Dinge erfordert. Die extraessentiellen Bestimmungen des hypothetisch Einen sind genau deswegen an sich abtrennbar, sofern daraus nicht Unter­ bestimmtheit folgt, mithin seine transzendentale Einheit gewahrt bleibt.481 Eine solche, ohne Weiteres denkbare Substitution eines Modus durch eine andere Qualität erfordert aber einen anderen zureichenden Grund, mithin die Existenz einer anderen Welt. Jedes kontingente Ding kann folglich immer nur in genau einer Welt existieren. Das essentiell existente und daher absolute Eine kann also nicht im Zusammenhang einer Welt, sondern nur für sich existieren, während das modal existente und daher bedingte Eine nur als integraler Teil einer Welt existieren kann. Da Letzteres für alle möglichen Teile von Welten gilt, setzt die Existenz eines jeden möglichen relativ bestimmten bzw. existenten Dings die Existenz des einen absolut bestimmten und also notwendigerweise existenten Dings voraus, das deshalb zugleich den Bestimmungsgrund aller Qualitäten aller möglichen Dinge bildet. Die Unabtrennbarkeit auch modaler Bestimmungen kontingenter Dinge widerspricht jedoch keineswegs ihrer Veränderlichkeit. Denn inseparabel sind zunächst nur diejenigen positiven Bestimmungen, 482 die zugleich miteinander gesetzt sind und der Aktualität eines Dings entsprechen. Veränderung besteht jedoch in der Sukzession von Bestimmungen: »Deren eines nach dem anderen existiert, folgen aufeinander. Die Bestimmung von Dingen als aufeinanderfolgende ist deren Folge (successio).«483 Und: »Wessen Bestimmungen aufeinander folgen, wird verändert: daher ist veränderlich, wessen Bestimmungen aufeinander folgen können; wessen Veränderungen nicht aufeinander folgen können, ist unveränderlich. Die Folge selbst aber der Bestimmungen im Dinge ist seine und zugleich seiner Bestimmungen Veränderung.«484 Zunächst ist festzuhalten, dass Baumgarten keinen Unterschied zwischen der Veränderung eines Dinges und der Veränderung seiner Bestimmungen macht: Verändern sich die Bestimmungen eines Dinges, verändert sich das Ding, und umgekehrt. Wenn also die 240  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Identität eines Dings in seiner vollständigen positiven Bestimmtheit besteht und die zu dieser gehörigen, jeweils zugleich und aktual vorliegenden Bestimmungen der Veränderung unterliegen, konstituiert folglich die gesamte Folge seiner Bestimmungsveränderungen die Identität eines Dings. Ein Ding kann daher von seinem Zustand bzw. der Folge seiner Zustände nicht unterschieden werden.485 Allerdings können ausschließlich extraessentielle Bestimmungen, deren Aktualität einen externen zureichenden Grund erfordert, d. h. Modi und Relationen, überhaupt Gegenstand von Veränderung sein: »Absolut und innerlich unveränderlich sind die Essenzen von Sachen, Essentialia und Attribute, die Existenz eines notwendigen Dings, all dessen innere Bestimmungen, die transzendentale Einheit, Wahrheit und Vollkommenheit.«486 Da alle diese Bestimmungen unbedingt notwendig sind, liegt ihre Unveränderlichkeit auf der Hand.487 Jedoch scheint die folgerichtige Behauptung, dass es Bestimmungen von Dingen, gibt, die jeder Veränderung vollständig entzogen sind, nicht gut zur soeben festgestellten Identität von Dingen mit der Folge ihrer Zustände zu passen. Denn essentielle Bestimmungen können sich aufgrund ihrer Unveränderlichkeit gar nicht in Zuständen befinden, gehören aber ebenso zur Identität eines aktualen Dings. Das Ding müsste sich also gleichsam um einen unveränderlichen, essentiellen Kern herum verändern. Dieser Kern ist jedoch im Falle veränderlicher bzw. kontingenter Dinge für sich genommen selber nicht aktual ohne die sich verändernden Bestimmungen, welche die Wirklichkeit des Dings ausmachen, sondern ein nihil privativum. Was sich also an einem kontingenten Ding nicht ändern kann, ist seine innere Möglichkeit. Diese liegt aber allen extraessentiellen Bestimmungen des Dings, d. h. der ganzen Folge seiner Zustände, gleichermaßen zugrunde. Folglich werden die Bestimmungen, welche die innere Möglichkeit eines Dings ausmachen, in der Folge seiner Zustände, in der seine Existenz besteht, aktualisiert. Wenn aber seine Identität, die den Grund der Unterscheidbarkeit eines Dings von allen anderen möglichen Dingen bildet, nur in der Folge seiner Zustände aktual wird und gleichzeitig ebenso die Essenzen von Dingen unterscheidbar sein sollen, folgt daraus wiederum die Singularität auch essentieller Bestimmtheit. Essentielle Bestimmungen sind also aus der Perspektive der Metaphysik nicht Ontologie: Essenz und Existenz  |  241

universal, sondern singulär. Wenn nun die innere Möglichkeit eines Dings singulär und zugleich unveränderlich ist, dann muss ebenfalls die Folge der Zustände, welche das Ding im Falle seiner Existenz durchläuft, unveränderlich, mithin festgelegt sein. Ist daher die Folge von Zuständen, welche ein Ding durchlaufen kann, durch dessen Essenz vollständig bestimmt, dann ist das wirkliche Durchlaufen dieser Zustände, d. h. die Existenz des Dings, in der Tat nichts anderes als das Komplement seiner Essenz. In Gottes Geist ist demzufolge die Wirklichkeit aller Dinge in der logischen Form ihrer intensionalen, d. h vollständig bestimmten, Möglichkeit gegeben, so dass alle möglichen Dinge in Gottes Geist als universalienfreie logische Entitäten existieren. Außerhalb von Gottes Geist, d. h. in einer aktualen Welt, besteht die Existenz der Dinge in der Folge ihrer Zustände, wie sie durch ihre innere Möglichkeit bestimmt ist. Einzeldinge können daher in einer Welt, die außerhalb von Gottes Geist existiert, nicht mehr nur Individualbegriffe, sondern müssen extralogische Entitäten sein. Wenn aber aus dem Wesen Gottes kraft seines Allwissens die Existenz aller Dinge in Gottes Geist in der Gestalt intensionaler Möglichkeiten folgt, dann ist ihre dortige, logische Existenz notwendig. Kontingente Existenz kann einem Ding daher nur außerhalb von Gottes Geist zukommen. Da jedes einzelne Ding stets in nur genau einer Welt existieren kann, kommt zumindest der Welt oder den Welten, die außerhalb von Gottes Geist wirklich sind, Kontingenz zu. Wenn jedoch die Abfolge der Zustände eines jeden Dings und einer jeden Welt in deren jeweiliger innerer Möglichkeiten in vollständig bestimmter Weise enthalten ist, dann kann offenbar kein Ding und keine Welt, die außerhalb von Gottes Geist existiert, andere Veränderungen durchlaufen als gerade die, die es oder sie durchläuft. Jede derart existierende Welt wäre dann gemäß dem Begriff hypothetischer Notwendigkeit hinsichtlich der Folge aller ihrer Zustände determiniert. Für in sich kontingente Veränderungen, die aus eigener Kraft durch einzelne Dinge selbst und bewusst nach einer Wahl zwischen Alternativen vollzogen werden, in einem Wort: für Willensfreiheit, schiene in einer solchen Welt kein Platz. Ob Baumgarten indes den Schluss auf einen derartigen Determinismus tatsächlich für unumgänglich hält – er tut es nicht –, ist noch zu diskutieren. 242  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

4. Unbestimmte Existenz: Universalität und Potentialität

Gegen einen solchen Determinismus aus hypothetischer Notwendigkeit – oder zumindest nicht unbedingt dafür – spricht schon die Unterscheidung zwischen der logischen und extralogischen Existenz von Dingen. Zwar kommt einem Ding beidenthalben die vollständige Bestimmtheit seiner Identität zu, jedoch in verschiedener Weise. Denn der unendliche Geist denkt die vollständige Bestimmtheit einer intensionalen Möglichkeit intuitiv und ohne auf die wirkliche Sukzession der Zustände, deren Möglichkeit seinen Individualbegriff eines jeden Dings konstituiert, angewiesen zu sein. Die extralogische Identität eines Dings hingegen besteht gerade in eben jener wirklichen Folge seiner Zustände. Jedes außerhalb von Gottes Geist existente Ding ist also hinsichtlich seiner gegenwärtigen wie seiner vergangenen Aktualität vollständig und gemäß temporaler, mithin kontingenter Notwendigkeit unabänderlich bestimmt. Im Falle extralogischer Existenz kann dies aber nicht für die zukünftigen Zustände eines Dinges gelten. Diese nämlich befinden sich noch im Modus der Möglichkeit, d. h. außerhalb des intensionalen Möglichkeitsbegriffs in Gottes Geist sind sie gerade nicht. Neben den jeweils gegebenen unveränder­ lichen Bestimmungen besitzt jedes Ding zugleich also noch veränderbare Bestimmungen, deren Kombination seine Zuständlichkeit begründet.488 Jene Doppelung des Existenzbegriffs nun ermöglicht Baumgarten erst die Differenzierung von Wirklichem in der Zeit, die es in Gottes Geist gar nicht gibt489: »Das Wirkliche der gegenwärtigen Zeit ist das jetzt Daseiende (exsistentia/entia actu). Das Wirkliche der vergangenen Zeit, wenn die Dinge nicht zugleich der Wirklichkeit nach sind bzw. wenn sie nicht länger existieren, ist das Vergangene (res facti). Das Wirkliche der zukünftigen Zeit ist das Zukünftige, und dies ist, wenn es nicht zugleich der Wirklichkeit nach ist, das, was noch werden soll (entia in potentia).«490 Potentialität ist also stets bezogen auf zukünftiges Wirkliches, das gegenwärtig nicht bzw. noch nicht ist. Etwas, das der extra­ logischen Wirklichkeit nach nicht ist, kann aber in dieser auch nicht in der Weise vollständig bestimmt sein, dass seine intensionale Möglichkeit bereits vollständig in den durchlaufenen Zuständen verwirklicht ist, wie dies in der ewigen Gegenwart des gött­ Ontologie: Essenz und Existenz  |  243

lichen Geistes der Falle wäre. Vollständig bestimmt ist ein derart wirkliches Ding nur hinsichtlich seines gegenwärtigen Zustands, der alle seine vergangenen Zustände als seine Bedingungen einschließt. Hinsichtlich seiner zukünftigen Zustände ist es jedoch nur insoweit bestimmt, als sein gegenwärtiger Zustand die notwendige Bedingung eben jener Zustände bildet, deren weitere aktuale Bestimmung selber kontingent bleibt, weil ihr zureichender Grund zumindest teilweise extraessentiell ist. Hinsichtlich seiner zukünftigen Zustände ist ein außerhalb von Gottes Geist existierendes Ding folglich unbestimmt und dergestalt bestimmbar, dass ihm in einem späteren Zustand jede kontingente Bestimmung, die mit seinem gegenwärtigen Zustand vereinbar ist, entweder zukommen oder nicht zukommen kann. 491 Trotz der singulären Festgelegtheit der Essenz eines Dings in Gottes Geist ist jedes Einzelding, das außerhalb von Gottes Geist in der zeitlichen Sukzession seiner Zustände existiert, zu jedem Moment seiner Existenz der Möglichkeit nach viele. Denn seine Zustände, in denen die Einheit seiner Identität besteht, unterliegen noch nicht vollständig temporaler bzw. hypothetischer Notwendigkeit, solange noch zukünftige Zustände möglich sind. Da deren Akzidentialität zu ihrer Aktualisierung zureichende Gründe verlangt, die nicht alle im betreffenden Ding selbst liegen können, impliziert der Begriff der Bestimmbarkeit eines Einzeldings, mithin seine hinsichtlich der Zukunft unbestimmte Existenz, die Gegebenheit anderer Dinge bzw. einer Welt. Daher erfordert die Einheit eines kontingenten Dings, das außerhalb von Gottes Geist existieren soll und daher vom endlichen Geist – auf ästhetische Weise – als Einzelnes gedacht bzw. erkannt werden können muss, die Beziehung auf andere Dinge. Baumgarten schreibt: »Die einzelnen Bestimmungen eines Dings sind eins, zum Teil dieselbe, weil sie Bestimmungen desselben Dings sind, zum Teil verschiedene, daher viele. Es kann also in einem für sich betrachteten Ding eine Vielheit gegeben werden, und es gibt dessen inneren Unterschied, den wir jedoch allein durch ein auf es bezogenes anderes einsehen können, daher ist die Vielheit Größe.«492 Es geht hier also nicht um die Vielheit singulärer Bestimmungen, wie sie die Identität eines singulären Dings ausmachen, sondern um die Vielheit von Dingen, denen noch nicht bis zur Singularität determinierte Bestimmungen auf der Basis eines beliebigen 244  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Ist-Zustands eines Dings zukommen. Die Identität eines Dings ist keine Größe – man kann genau ein Ding ja auch nicht zählen –, sondern ausschließlich qualitativ bestimmt, und zwar so, dass jede seiner Bestimmungen selbst singulär sein muss; denn nur dann sind sie unabtrennbar und das Ding eines. Aus Baumgartens ausdrücklicher und daher erstaunlicher Betonung der Quantitativität der in Rede stehenden Vielheit und der Relationalität der singulären Bestimmtheit eines Dings lässt sich demnach die Potentialität derjenigen Bestimmungen eines Dings ersehen, die verschiedenen, d. h. vielen, Dingen zukommen können, deren jedes für sich genommen wiederum eines sein muss. Denn eine singuläre Bestimmung, die als solche genau und nur einem Einen zukommen kann, kann nicht verschiedenen Einen zukommen. Folglich können Bestimmungen, die Vielen zukommen können, nicht singulär sein. Sie müssen daher Bestimmungen der Bestimmbarkeit eines Dings sein. Vereinbar mit der aktualen Bestimmtheit eines Dings, wie es außerhalb vom Geiste Gottes existiert, ist seine Bestimmbarkeit allein als Potentialität zukünftiger Bestimmungen denkbar. Aus der Unbestimmtheit seiner zukünftigen Existenz folgt aber zugleich die noch unvollständige Bestimmtheit seiner Identität, sofern nämlich die bisherige Folge seiner Zustände eine Vielheit gleichermaßen möglicher Zustände in der Zukunft erlaubt, deren Aktualisierung von externen Ursachen abhängt. Wenn indes ein Ding hinsichtlich seiner zukünftigen Zustände zumindest relativ unbestimmt ist, ist es der Möglichkeit nach viele. Daher enthält es Bestimmungen, die vielen verschiedenen Dingen zukommen können, und diese können genau deswegen nicht singulär sein. Folglich muss es sich bei diesen Möglichkeitsbestimmungen um universale handeln, die per definitionem nicht zu einem Einzelding gehören können, wie es in Gottes Geist existiert. Wenn einem Ding also überhaupt universale Bestimmungen zugesprochen werden könnten, müsste es sich dabei um solche handeln, die entweder vom endlichen Geist zu Erkenntnis- und Aussagezwecken gebildet werden oder weitere Bestimmbarkeiten betreffen. Gerade in dieser Weise scheint Baumgarten die Unterscheidung zwischen Singularität und Universalität aufzufassen: »Der Zusammenhang aller zusammen möglichen Bestimmungen in einem Ding ist dessen durchgängige (vollständige) Bestimmung (omniOntologie: Essenz und Existenz  |  245

moda determinatio). Deshalb ist ein Ding entweder durchgängig bestimmt oder nicht. Jenes ist einzeln (singulare), dieses allgemein (universale). Jedes von beiden wird im Hinblick auf alles nicht Bestimmte, was es in sich enthält, das bestimmtere (inferius) genannt, jene im Hinblick auf dieses die unbestimmteren (superiora).«493 Vollständige Bestimmtheit, mithin die wesentliche Singularität eines aktualen Dings schließt also jede Graduierung von Bestimmtheit aus. Dies ist jedoch nur bei zugleich gegebenen bzw. kompossiblen Bestimmungen der Fall. Sind hingegen noch verschiedene Sätze von Bestimmungen der Möglichkeit nach kompossibel, d. h. kann sich ein Ding in der Zukunft in diesem oder jenen Zustand befinden, ist es in dieser Hinsicht nicht vollständig bestimmt. Es ist dann aufgrund dieser Potentialität mehr oder weniger unbestimmt, weswegen Baumgarten hier auch konsequent den Komparativ gebraucht. Jeder Grad von Unbestimmtheit, d. h. sowohl das Inferiore als auch das Superiore, bedeutet aber Universalität, weil nur das vollständig Bestimmte singulär ist. Extensional-logisch formuliert hat das Inferiore einfach größeren Inhalt bei geringerer Extension und das Superiore größere Extension bei geringerem Inhalt. Baumgarten kann aber im Rahmen der Metaphysik nicht bei dieser logischen Unterscheidung stehenbleiben: Ein universales Ding in seinem Bestimmteren betrachtet und ein singuläres, insofern auch seine anderen Prädikate neben einem gewissen Allgemeinen betrachtet werden, wird in mehrerer Bestimmung (in concreto) betrachtet und dann unabgesondert (concretum) genannt. Ein universales Ding, auf das zwar geachtet wird, nicht jedoch auf sein Bestimmteres, und ein einzelnes, bei welchem trotzdem nur auf ein gewisses Unbestimmteres von ihm geachtet wird, wird nur in gewisser Bestimmung (in abstracto) betrachtet, und dann abgesondert genannt. Das Universale im Unabgesonderten ist das Allgemeine im Bestimmteren (universale physicum), das Universale im Abgesonderten ist das Allgemeine im Denkenden (logicum).494

Klar ist zunächst, dass es bei dieser Spezifikation der Unterscheidung von Singularität und Universalität nur um Dinge gehen kann, die außerhalb des göttlichen Geistes existieren, weil dieser allein vollständig Bestimmtes denkt. Dagegen ist jedes weltliche Ding aufgrund seiner Potentialität zu zukünftigen Zuständen während seiner Existenz in gewissem Maße unbestimmt. Es enthält folg246  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

lich sowohl die singulären Bestimmungen, die seine zuständliche Aktualität vollständig determinieren, als auch universale Bestimmungen, welche die Möglichkeiten seiner zukünftigen Zustände enthalten. Die Konkretheit der Betrachtung eines Dings, sei es universal oder singulär, besteht also genau in der Aufmerksamkeit auf diese Mischung von singulären und universalen Bestimmungen. Es liegt auf der Hand, dass hierfür rein ästhetische Erkenntnis nicht ausreichen kann. Denn aktual Nicht-Seiendes kann auch in der Gestalt in Zukunft möglicher Zustände, mithin als Potentialität, nicht sinnlich empfunden werden. Dennoch muss diese Potentialität als solche in jedem weltlichen bzw. veränderlichen Ding existieren, da es sonst keine zukünftigen Zustände haben könnte. Deswegen unterscheidet Baumgarten das physische und das logische Universale. Letzteres ist schlicht der extensionale Begriff, der aus pragmatischen Gründen und deshalb durchaus willkürlich von jedem beliebigen Ding per viam abstractionis durch die Tätigkeit des endlichen Geistes gebildet werden kann. Das physisch Universale hingegen bezeichnet genau die jedem Ding innewohnende Potentialität zu verschiedenen zukünftigen Zuständen, deren Unbestimmtheit erst durch die Aktualisierung genau eines möglichen Zustandes determiniert wird. Aufgrund dieser Doppelung des Universalitätsbegriffs behandelt Baumgarten die Differenz von Gattung (bzw. Geschlecht) und Art nicht nur in seiner Definitionslehre, sondern auch in der Metaphysik: Das Universale, das allein in Einzelnen in unabgesonderter Weise vorgestellt werden kann, bzw. das allein Einzelne unter sich enthält, ist die Art (species), [sc. das Universale], das auch in Allgemeinen in unabgesonderter Weise betrachtet werden kann, bzw. das auch Allgemeine unter sich enthält, ist die Gattung (genus), und deren unterstes (infimum) ist, was in keiner Gattung ist, bzw. was keine Gattung unter sich enthält, das oberste (summum), in welchem keine Gattung bzw. was unter keiner Gattung begriffen wird, untergeordnete (subalterna) schließlich werden genannt, welche nicht oberste sind.495

Ganz offensichtlich denkt Baumgarten hier nicht an herkömmliche taxonomische Einteilungen, sondern vor allem an Graduierungen von Bestimmtheit und Unbestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit. Diese sind allein Gegenstand der Betrachtung in concreto, die Aktu­a lität wie Potentialität, also jedenfalls auch universale BeOntologie: Essenz und Existenz  |  247

stimmungen eines Dings umfasst. Diese können entweder allein in Bezug auf die in ihnen enthaltenen Einzeldinge oder auf die in ihnen enthaltenen weiteren universalen Bestimmungen vorgestellt werden. Darin soll nun der Unterschied zwischen Art und Gattung bestehen. Sind »Einzeldinge geradewegs innerlich bestimmt, daher wirklich«, 496 besagt dies für den hier in Anschlag zu bringenden metaphysischen Begriff der Art, dass er die aktuale – und daher singuläre – Bestimmtheit eines Dings umfasst und diejenigen potentiellen – und daher universalen – Bestimmungen, welche in dessen nächstfolgendem Zustand aktualisiert sein könnten. Denn nur dann enthält die Art ausschließlich Einzelnes, mithin vollständig Bestimmtes. Dementsprechend folgt für den Begriff der Gattung, dass er weitere folgende, mögliche zukünftige Zustände eines Dings enthält, so dass er umso unbestimmter wird, je weiter in die Zukunft er ausgreift und also je mehr mögliche Zustände er unter sich begreift. Diese graduelle Steigerung von Unbestimmtheit macht den Begriff der Subalternität aus. Daraus ergeben sich weiterhin zwanglos die Begriffe der infima species und des genus summum: Erstere enthält gar keine universalen Bestimmungen und ist aufgrund des damit verbundenen vollständigen Fehlens von Potentialität auch in keiner Gattung mehr enthalten. Die infinima species entspricht demnach genau dem Individualbegriff eines Dings, wie es im Geiste Gottes existiert. Das genus summum hingegen muss alle möglichen universalen und singulären Bestimmungen enthalten, die irgendeinem Ding überhaupt zukommen können, und entspricht daher genau dem Begriff des nicht weiter bestimmten Möglichen selbst. Genus summum und infima species sind deswegen nie Teil eines taxonomischen Systems, sondern begrenzen dies. Zwischen beiden Extrema erst können die stets relativ bestimmten bzw. zugleich unbestimmten Subalterna durch einen endlichen Geist gedacht werden. Diese graduelle Abfolge von vollständiger Bestimmtheit und vollständiger Unbestimmtheit prägt ebenso Baumgartens Begriff der Differenz: Die Bestimmungen des bestimmteren Dings, die in dessen unbestimm­ terem unbestimmt sind, sind die genauere Bestimmung (differentia) von jenem. Deshalb ist die genauere Bestimmung einer Gat­tung (diff. generica) der Zusammenhang der in der Gattung bestimmten Bestimmungen [und] der in deren unbestimmterer unbestimmten; die genau248  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

ere Bestimmung einer Art (diff. specifica) ist der Zusammenhang der Bestimmungen der Art [und] der in ihrer infima species unbestimmten. Die genauere Bestimmung eines jeden Einzelnen (diff. numerica, haecceitas, principium individuationis) ist der Zusammenhang der in der Art unbestimmten Bestimmungen des Individuums.497

Die Diesdaheit (haecceitas) eines Dings besteht also in der Singularität jeder seiner Bestimmungen, die ihrerseits seiner durchgängigen Bestimmtheit entspricht. Jede dieser Bestimmungen ist insofern in der nächst höheren, mithin unbestimmteren des jeweiligen Dings enthalten, als diese die Möglichkeit aussagt, welche durch die schlussendlich singuläre Bestimmung aktualisiert wird.498 Dies gilt indes nur dann, wenn ein Ding als in einem Zustand befindlich betrachtet wird, d. h. in seiner Existenz außerhalb des gött­ lichen Geistes. Denn nur dann existiert es kontingenterweise und enthält Potentialität: »Durch einen veränderten Modus wird der innere Zustand verändert, durch eine veränderte Relation wird der äußere Zustand verändert. Nun sind Modi und Relationen veränderlich. Also sind in einer Substanz mögliche Veränderungen des Zustands.«499 Weil nicht zwischen einem aktual existenten Einzelding und seinem eigenen Zustand unterschieden werden kann und ein Einzelding folglich mit seinem Zustand identisch ist, muss Zuständlichkeit daher nicht nur Veränderlichkeit bedeuten, sondern ebenso Veränderung, d. h. den steten Übergang von einem Zustand zum nächsten. Jedes Einzelding, wie es außerhalb des göttlichen Geistes existiert, besitzt daher zugleich Aktualität und Potentialität und enthält folglich sowohl bestimmte, singuläre als auch unbestimmte, universale Bestimmungen. Nur in jedem seiner aktualen und vergangenen Zustände ist ein weltliches Einzelding also vollständig bestimmt, während seine zukünftigen Zustände insoweit unbestimmt bleiben, als sein aktualer Zustand seine Potentialität zu zukünftigen Zuständen zwar einschränkt, also negativ bestimmt, aber eben deswegen auch nicht determiniert. Baumgarten ist daher in der Pflicht, in den Begriff einer Substanz, die kontingenterweise außerhalb der göttlichen Geistes existiert, Potentialität zu integrieren, wenn anders solchen Einzeldingen überhaupt Substantialität zugesprochen werden soll. Denn gelänge dies nicht, könnten die Dinge, wie sie in vollständiger Bestimmtheit ohne jede Ontologie: Essenz und Existenz  |  249

Potentialität mit Notwendigkeit im göttlichen Geist existieren, und die weltlichen Dinge, die aktual hinsichtlich ihrer zukünftigen Zustände unbestimmt sind, nicht mehr in ihrer Wirklichkeitsweise unterschieden werden. Daraus folgte aber eine Art Spinozismus bzw. irgendeine Art von Determinismus.

5. Substanz und Potenz

Baumgarten unterscheidet zunächst Substanz und Akzidens ganz klassisch vermittels ihrer Existenzweisen von Subsistenz und Inhärenz: »Ein Ding kann entweder nicht existieren außer als Bestimmung eines anderen (in einem anderen) oder es kann. Ersteres ist ein nur in anderem bestehendes Ding (accidens, praedicamentale physicum, cuius esse est inesse, symbebekos), Letzteres ist ein für sich bestehendes Ding (substantia, ens per se subsistens, forma, entelecheia, ousia, hypostasis, energeia), das existieren kann, d. h. es ist nicht in anderem, d. h. es ist nicht die Bestimmung eines anderen.«500 Und: »Die Wirklichkeit (exsistentia) eines Akzidens als solchen ist das Nur-in-anderen-Bestehen (inhaerentia), die Wirklichkeit einer Substanz als solcher ist das Für-sich-Bestehen (subsistentia).«501 Auf den ersten Blick fällt auf, dass die potentialitätsfreien singulären Essenzen aller möglichen Dinge, wie sie in Gottes Geist existieren, eben dessen Akzidentien darstellen müssen. Denn gerade weil sie vollständige bestimmte, intensionale logische Gegenstände sind, können sie gar nirgendwo anders existieren als in einem unendlichen Geist. Aus der Vollständigkeit der Inhärenz aller möglichen Dinge in Gottes Geist folgt aber gerade die behauptete Freiheit von Potentialität: Weil sich kein zureichender Grund finden lässt, warum Gott irgendein mögliches Ding nicht in seiner vollständig bestimmten Möglichkeit denken sollte, müssen alle möglichen Dinge überhaupt in Gottes Geist enthalten sein. Handelt es sich um alle möglichen Dinge, kann keines irgendwie verändert werden, weil es sonst nicht mehr von irgendeinem anderen unterschieden und als dieses eine identifiziert werden könnte. In Gottes Geist sind also alle möglichen Dinge schon der Möglichkeit nach nur mit sich selbst identisch und enthalten daher keinerlei Potentialität, 250  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

da diese äquivalent ist mit relativer Unbestimmtheit, und relative Unbestimmtheit besagt, dass aktual nicht festgelegt ist, in welchen zukünftigen Zuständen ein Ding sich befinden kann, sondern allenfalls, in welchen nicht, so dass es unbestimmt ist, welches Ding dieses Ding in Zukunft sein wird. Falls Gottes Geist überhaupt Potentialität zukommt, wird diese also kaum in den Bestimmungen der Dinge zu finden sein, die er enthält, sondern an anderer Stelle. Existieren Dinge allerdings außerhalb von Gottes Verstand, muss ihnen Potentialität zukommen, insofern sie mögliche zukünftige Zustände haben und diese nicht durch ihre aktuale Bestimmtheit positiv determiniert sein können. Jedoch bilden Potentialität und Akzidentialität keine Wechsel­ begriffe. Vielmehr liegt, wie man leicht an der relativen Unbestimmtheit der aktualen weltlichen Dinge sieht, jeder akzidentiellen Bestimmtheit eine entsprechende Potenz zugrunde, die verwirklicht wird. Die Wirklichkeit der akzidentiellen Bestimmung muss aber nicht immer mit Notwendigkeit aus ihrer Potentialität folgen, wie man wiederum an der Kontingenz zukünftiger Bestimmungen weltlicher Dinge, aber auch der kontingenten Notwendigkeit ihres jeweils aktualen Zustands leicht sehen kann. Also sind Akzidentialität und Potentialität nicht äquivalent. Nun können aber eigentlich alle Bestimmungen eines Dings nur in bzw. an etwas existieren, d. h. sind Akzidentien von Substanzen: »Essentialia, Attribute, Modi, Relationes, Akzidentien können ausschließlich in Substanzen existieren.«502 Aus Akzidentialität folgt also auch nicht Kontingenz, so dass die Notwendigkeit der Bestimmtheit aller möglichen Dinge in Gottes Geist kein besonderes Problem darstellt. Baumgarten macht dies hinreichend deutlich: »Jede Substanz besitzt in unbedingt notwendiger Weise Essentialia und Attribute, daher besitzt jede Substanz Akzidentien. Aber Modi besitzt sie entweder oder sie besitzt sie nicht. Was Modi besitzt, ist ein kontingentes Ding; was sie nicht besitzt, ein notwendiges Ding. Also ist eine Substanz entweder notwendig oder kontingent. Die Subsistenz einer kontingenten Sub­ stanz ist ein Modus.«503 Wenn nun einerseits Akzidentialität Potentialität voraussetzt und andererseits jede Bestimmung eines Dings akzidentiell ist, weil sie nur Bestimmung einer Substanz sein kann, die selbst bestimmOntologie: Essenz und Existenz  |  251

bar sein muss, um bestimmt werden zu können, kann Substantialität selbst nichts mehr anderes als Potentialität bedeuten, und zwar in einem doppelten Sinn. Denn aus bloßer Bestimmbarkeit folgt ja noch nicht Bestimmtheit. Dazu gehört vielmehr noch der Vollzug der Bestimmung selbst, mithin ein zureichender oder unzulänglicher Grund. Genau dies behauptet Baumgarten und spezifiziert damit den Doppelsinn des Bestimmbaren und des Bestimmenden, in dem die hier gebrauchte moderne und bequeme Rede von Potentialität zu verstehen ist, indem er in zwei aufeinanderfolgenden Paragraphen beide Aspekte verdeutlicht. Er beginnt mit dem der Bestimmbarkeit: »Dasjenige in der Substanz, dem Akzidentien inhärieren können, bzw. die Substanz, insofern das Zugrundeliegende (subiectum) dies ist, dem Akzidentien inhärieren können, wird das Substantiale genannt, und außerhalb des Substantialen existieren keine Akzidentien.«504 Nun ist klar, dass schlechthin Unbestimmtes weder für sich noch an oder in anderem existieren kann. Das zugrundeliegende Sub­ stantiale kann also kein neutrales Behältnis für Akzidentien sein. Es kann folglich auch nur allenfalls teilweise unbestimmt sein. Derart relative Unbestimmtheit tritt in der Wissenschaft von den Dingen überhaupt, welche die Metaphysik ist, nur in der Weise der Zukünftigkeit bzw. der möglichen Fortexistenz von weltlichen Dingen auf, d. h. als durch Aktualität negativ bestimmte Potentialität. Substantialität, wie sie der Inhärenz von Akzidentien zugrunde liegt, kommt daher jedem weltlichen Ding zu jedem Moment seiner Existenz zu. Sie besteht in nichts anderem als in seinem jeweils aktualen Zustand, der den folgenden zuständlichen Bestimmungen zugrunde liegt. Daher kommt solchermaßen unbestimmte Potentia­lität nur Dingen zu, die veränderliche Akzidentien, d. h. Modi und Relationen, besitzen, also kontingenten und materiellen Dingen in der Welt.505 Dass dies jedoch nicht heißt, dass notwendige Dinge, oder besser: das Eine notwendige Ding, das Gott ist, schlechthin frei von Potentialität sein muss, zeigt Baumgartens Erklärung des Bestimmungsvollzugs: »Wenn einer Substanz Akzidentien inhärieren, ist etwas der Grund der Inhärenz bzw. eine Kraft in weiterer Bedeutung (vis latius dicta, efficacia, energia, activitas), und der zureichende. Dies ist eine Kraft in engerer Bedeutung (vis strictius dicta) (manchmal der Kürze halber einfach Ursache).«506 252  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Der Grund der Inhärenz einer akzidentiellen Bestimmung ist also entweder unzulänglich oder zureichend. Nur im zweiten Falle folgt die Existenz der entsprechenden Bestimmtheit mit Notwendigkeit. Dies gilt bei allen möglichen Dingen jedenfalls für ihre Essentialia und Attribute, nicht jedoch für ihre Existenz, soweit sie allein beim notwendigen Ding zu dessen Essenz gehört, wenngleich freilich ebenfalls eine Kraft im strengen Sinne, die dann allerdings nicht mehr die des kontingenten Dings selbst sein kann, als zureichender Grund zumindest seiner Existenz zu fungieren hat. Alle Dinge, notwendige wie kontingente, besitzen also Kraft in engerer Bedeutung, insofern schon ihr Wesen der zureichende Grund ihrer essentiellen und attributiven Bestimmtheit ist. Da diese keineswegs nur der Möglichkeit nach, als Vermögen vorliegen kann, sondern sich in unveränderlicher bzw. vollständiger Verwirklichung befinden muss, verweist Baumgarten hier zu Recht auf den einfachen, engen Begriff von Kraft, den er an späterer Stelle mit »Gewalt« (potentia) gleichsetzt, d. h. »einer zur Verwirklichung von etwas zureichenden Kraft«. 507 Folglich besteht die Bestimmtheit der inneren Möglichkeit eines jeden Dings, seine Essenz also, insofern sie bei den kontingenten Dingen vollständiger Bestimmung zugrunde liegt oder mit ihr beim notwendigen Ding identisch ist, in der in diesem einfachen Sinne sich in Verwirklichung befindlichen Kraft: »Die Kraft in engerer Bedeutung ist entweder Substanz oder Akzidens. Nun ist sie nicht Akzidens, weil sie der zureichende Grund von all diesen ist. Also ist sie Substanz und, sofern ihr selbst Akzidentien wie einem Zugrundeliegenden inhärieren können, sub­ stantial.«508 Zu jeder Substanz gehört offensichtlich ein substantiales Subjekt. 509 Ein solches kann nun zwar, muss aber nicht Potentialität im Sinne der Unbestimmtheit enthalten. Ein Ding, das ausschließlich und vollständig durch essentielle und attributive Akzidentien bestimmt ist, die seine Substanz notwendigerweise verwirklichen, besitzt keine derartige Potentialität. Dasselbe gilt für die logische Existenz aller Dinge im Geiste Gottes. Verwirklicht eine Gewalt mit Notwendigkeit alle möglichen Akzidentien eines Dings, indem sie als deren zureichender Grund fungiert, kann diesem Ding keine Kraft im weiteren Sinne zukommen. Es kann deswegen gar keine modalen und relationalen Akzidentien besitzen und ist demzufolge Ontologie: Essenz und Existenz  |  253

notwendig. Nur kontingente Dinge haben daher sowohl Kraft im engeren als auch im weiteren Sinne, und letztere inhäriert ersterer, insofern ihre Verwirklichung durch ihre Substantialität zwar ermöglicht, aber eben nicht notwendigerweise aktualisiert wird. Kraft im engeren Sinne fungiert sonach als zureichender Grund von Kräften im weiteren Sinne. Deren Verwirklichung zu Akzidentien ist nun mit Gewissheit kontingent, weil sie nicht notwendig erfolgt bzw. unterbleiben kann. Kontingent sind allein Dinge, die außerhalb des göttlichen Geistes in einer Welt substantial existie­ ren, und nur sie besitzen modale und relationale Akzidentien. Also befinden sich allein weltliche Dinge in Zuständen.510 Zustände sind Resultate von Veränderung und können entweder allein aus der Substantialität eines Dings, insofern es nur für sich betrachtet werden kann, ihrer Möglichkeit nach erklärt werden oder nur in Beziehung auf andere Dinge. Daher lassen sich innere, d. h. durch Modi bestimmte, und äußere, d. h. relational bestimmte, Zustände unterscheiden.511 Innere Zustände können daher durch die eigene Kraft der Substanz verwirklicht werden, und welche dies sind, ist vor ihrer Verwirklichung nur negativ bestimmt und demzufolge relativ unbestimmt, so dass sie nicht ihrerseits notwendig aus den notwendigen Bestimmungen eines kontingenten Dings folgen. Äußere Zustände werden durch die Existenz eines Dings nur ermöglicht, aber erst mit der Existenz anderer Dinge verwirklicht. Aufgrund der zuständlichen Existenz kontingenter Dinge ist daher die Unterscheidung von Kraft im engeren und weiteren Sinne noch zu spezifizieren: Veränderungen des Zustands sind Akzidentien, daher können sie ausschließlich in Substanzen existieren, und zwar durch eine gesetzte Kraft, auch im engeren Sinne. Jene Kraft, der zureichende Grund der Veränderung, bzw. im allgemeinen: des inhärierenden Akzidens, ist entweder das Substantiale, das verändert wird, bzw. im allgemeinen: dem das Akzidens inhäriert, oder eine davon verschiedene Kraft. Wenn ersteres der Fall ist, handelt (agit) die Substanz, deren Zustand verändert wird, oder im allgemeinen: dem das Akzidens inhäriert; wenn letzteres der Fall ist, leidet (patitur) die Substanz, deren Zustand verändert wird, oder im allgemeinen: dem das Akzidens inhäriert. Daher ist eine Handlung (actio) (actus, operatio) eine Veränderung des Zustands, und im allgemeinen: die Verwirklichung eines Akzi-

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dens in einer Substanz, durch die Kraft ihrer selbst; Leiden (passio) die Veränderung des Zustands, und im allgemeinen: die Verwirklichung eines Akzidens in einer Substanz, durch eine fremde Kraft. 512

Eine Kraft im engeren Sinne ist also nicht allein der zureichende Grund der essentiellen und attributiven Bestimmungen, die aus ihrer substantiellen Gegebenheit mit Notwendigkeit folgen, sondern sie kann ebenfalls zureichender Grund modaler Bestimmun­ gen sein; freilich nur bei Dingen, welche überhaupt modale Bestimmungen besitzen, d. h. solchen, die kontingenterweise, mithin außerhalb des göttlichen Geistes existieren. Folglich können auch kontingente Dinge, gegeben alle notwendigen Bedingungen, von selbst ihren eigenen Zustand verändern. Eine derartige aktive Selbstveränderung nennt Baumgarten ganz allgemein »Handlung« und unterscheidet aufgrund der genauso bestehenden Möglichkeit passiver Veränderung in thomistischer Tradition weiterhin zwischen transienten und immanenten Akten.513 Da bei kontingenten Dingen auch ihre Existenz zu den modalen Bestimmungen gehört und Existenz Voraussetzung für Zuständlichkeit und Veränderung modaler Bestimmungen ist, steht jede aktive Zustandsveränderung, die kontingente Dinge vollziehen, mindestens unter einer Bedingung, für deren Erfülltheit sie nicht selber sorgen können. Eine jede kontingente Substanz kann also als zureichender Grund ihrer eigenen immanenten Akte fungieren, solange diese nur ihre eigene Existenz voraussetzen und sie noch selbst weiter bestimmbar, mithin substantial, ist. Ob es derart unmittelbare immanente Akte kontingenter Dinge überhaupt gibt und, wenn ja, welche es sind, wird später im Kontext der Psychologie noch zu fragen sein. Allerdings gefährdet diese offene Frage nicht die Zuschreibung von Kraft im engeren Sinne an kontingente Substanzen. Denn aus der immanenten Bestimmbarkeit kontingenter Substantialität und der Zuschreibung von Aktivität an kontingente Substanzen folgt ja die Unzulänglichkeit aller notwendigen Bedingungen einer Veränderung für die Verwirklichung eben dieser Veränderung, auch wenn sie alle vorliegen. Dass also mehr Voraussetzungen für den Vollzug einer aktiven Veränderung gegeben sein können müssen als nur die Existenz und die Bestimmbarkeit der sich verändernden Substanz, ändert zunächst einmal noch nichts an deren Aktivität. Anderenfalls wären nämlich der Vollzug transienter Akte ausgeschlossen, Ontologie: Essenz und Existenz  |  255

der naturgemäß die Existenz anderer Substanzen erfordert. Ebenso hält Baumgarten auch die Rede von der Aktivität aufrecht, wenn das Leiden einer Substanz am transienten Akt einer anderen zugleich eine Handlung der ersteren ist, ohne jedoch eine schlichte Reaktion zu sein, bei der man es mit zwei unterschiedlichen Akten zu tun hat. 514 Diese Simultaneität von Tun und Leiden geschieht in dem, was Baumgarten influxus idealis nennt.515 Mit der möglichen Ausnahme unmittelbarer immanenter Akte gehört also zu jeder Veränderung eines kontingenten Dings neben seiner substantiellen Kraft im engeren Sinne auch Kraft in weiterer Bedeutung, d. h. eine solche, deren Wirklichkeit nicht mit Notwendigkeit zu genau und nur einer bestimmten Veränderung führt, indem sie als deren alleiniger zureichender Grund fungiert. Es kann daher keine Veränderung eines kontingenten Dings geben, die vollständig passiv vollzogen wird, weil jedes Ding substantiell durch aktive Kraft bestimmt ist, die im Falle der Kraft im weiteren Sinne eine Aktivität begründet, welche selber noch durch innere oder äußere kontingente Gründe bestimmbar ist. Fehlt diese Bestimmbarkeit, muss die Existenz des entsprechenden Dings in reiner Tätigkeit bestehen, so dass es selber unveränderlich ist, weil seine schlechthinnige Kraft allein seine essentiellen und attributiven Bestimmungen verwirklicht, ohne dazu von weiteren Bedingungen abhängig zu sein. Folglich ist zwar schlechthinnige Tätigkeit ohne jegliches Leiden möglich, aber nicht schlechthinniges Leiden ohne jegliche Tätigkeit. Diese Priorität der Aktivität über die Passivität führt Baumgarten zur zentralen Bestimmung seines Begriffs von Substanz: »Jede existente Substanz ist tätig (agit), daher hat sie die Möglichkeit, tätig sein zu können (possibilitatem agendi), bzw. ein Vermögen (facultas, potentia activa, vis), wenn sie leidet, hat sie die Möglichkeit, leiden zu können (poss. patiendi), d. i. Empfänglichkeit (receptivitas, pot. passiva, capacitas).«516 Da Substantialität und Kraft im engeren Sinne bei jeder existenten Substanz und Substantialität und Kraft im engeren wie im weiteren Sinne bei jeder kontingenterweise existenten Substanz äquivalent sind, kommt jeder existenten Substanz aufgrund ihrer Substantialität Tätigkeit zu, d. h. ihre Wirklichkeit besteht in Tätigkeit. Ihre Existenz ist daher in gut aristotelischem Sinn die Verwirklichung (enérgeia) eines Vermögens (dýnamis). 517 Ebenso 256  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

lässt sich jede Substanz aufgrund ihrer durchgängigen aktualen Bestimmtheit zu jedem Moment ihrer Existenz als Vollendetheit (entelécheia) begreifen. Genau darin liegt ihre Vollkommenheit (perfectio). Die Vollkommenheit einer existenten Substanz ist folglich unabhängig von ihrer möglichen Kontingenz, die nichts weiter besagt, als dass ihre zukünftigen Zustände relativ unbestimmt sind, weil sie jedenfalls auch Kräfte im weiteren Sinne enthält. Diese ermöglichen in der Gestalt von Vermögen und Empfänglichkeit bei in der Welt und außerhalb des göttlichen Geistes existierenden Substanzen weitere kontingente, d. h. modale und relationale Bestimmungen auf der Basis ihrer unter der Bedingung der Existenz notwendigerweise in Verwirklichung befindlichen essentiellen und attributiven Bestimmtheit. Von der Existenz eines kontingenten Dings lässt sich also stets auf die Gegebenheit derjenigen aktiven und passiven Vermögen schließen, deren Verwirklichung in eben jener Existenz selber besteht. Die Frage ist nun, ob dieser ebenso fundamentale wie schlichte Schluss vom Sein auf das Können auch für das Eine notwendige Ding gilt, m. a. W. ob es sinnvoll ist, einem Ding, das gar nicht die Möglichkeit besitzt, nicht oder anders sein zu können, die Möglichkeit zuzuschreiben, zu sein bzw. so zu sein, wie es ist. Denn die Notwendigkeit der Existenz Gottes und ihrer Bestimmtheit scheint ja jedes Vermögen auszuschließen, dessen Verwirklichung kontingent ist, d. h. die eintreten oder nicht eintreten kann. Zunächst scheint immerhin klar, dass ein derart metaphysisches Vermögen etwas anderes ist als eine logische Möglichkeit. Denn aus dem logischen Sachverhalt, dass die Negation eines Satzes einen Widerspruch darstellt und demzufolge unmöglich ist, also nicht etwas nur aktual Nicht-Seiendes, sondern vielmehr Nichts aussagt, folgt ja nicht ebenso bloß die Möglichkeit des negierten Satzes, sondern vielmehr seine Notwendigkeit. Notwendigkeit im logischen Sinne impliziert also Möglichkeit im logischen Sinne. Jedoch scheint Notwendigkeit im metaphysischen Sinne jedes Vermögen im meta­ physischen Sinne von sich auszuschließen: Etwas, das existieren muss, kann nicht nicht existieren, und etwas, das notwendigerweise so bestimmt ist, wie es bestimmt ist, kann nicht anders bestimmt sein, sich also nicht verändern. Es muss aber bestimmt sein, und das heißt: logisch möglich. Reales Vermögen, mithin modern Ontologie: Essenz und Existenz  |  257

gesprochen: Potentialität, und logische Möglichkeit, mithin: Possi­ bilität, sind also verschieden, und Potentialität setzt Possibilität voraus und ebenso impliziert offenkundig metaphysische Notwendigkeit aufgrund der Notwendigkeit ihrer Bestimmtheit Possibilität. Nichts anderes besagt auch die Referenzstelle zum Schluss ab esse ad posse, die Baumgarten angibt: »Alles wirkliche ist innerlich möglich, bzw. mit der Existenz wird die innere Möglichkeit gesetzt, vom Sein auf das Können gilt der Schluss.«518 Nun ist die innere Möglichkeit eines Dings nichts anderes als seine Essenz, und zu dieser gehört allein im Falle des notwendigen Dings Existenz. Der Begriff der Essenz ist daher auch hier verschieden von dem der Existenz, wenngleich beide in diesem Falle äquivalent sind – was ja wiederum ihre Verschiedenheit erfordert. Denn der Begriff der Essenz enthält ja nur die notwendige Bestimmtheit eines Möglichen durch essentielle und attributive Bestimmungen, die allemal als Akzidentien einer Substanz existieren müssen, wenn die Substanz überhaupt außerbegrifflich bzw. weltlich existiert. Alle möglichen Dinge überhaupt führen daher eine begriffliche, mithin logische Existenz im Geiste Gottes, und ihre Bestimmungen sind dann Teile der Prädikation, die ihren Individualbegriff bildet, aber nicht Akzidentien einer kontingenten, weltlichen Substanz. Es ist daher die Bestimmtheit ihrer Möglichkeit, d. h. ihre Essentialität, vermittels derer jedes überhaupt mögliche Ding von allen anderen überhaupt möglichen Dingen unterschieden werden kann. Nur diese hängt von ihrer logischen Existenz im Geiste Gottes ab, aber nicht ihre transzendentale Möglichkeit, die ja nur negativ als Freiheit von widersprechenden Bestimmungen bestimmt ist. Worin anders jedoch besteht Possibilität gar nicht. Daraus folgt aber, dass die Essenz Gottes – gleichviel, ob sie nun Existenz einschließt oder nicht  – genauso ihre eigene logische Möglichkeit voraussetzt wie die Essenz eines jeden anderen Dings. Denn die logische Möglichkeit, wie sie der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch aussagt, ist nichts anderes als die negative Vor­ aussetzung für die positive Bestimmtheit von etwas. Sie ist aber noch nicht diese positive Bestimmtheit selbst. Deswegen ist auch die schon mehrfach konstatierte Äquivalenz von logischer und realer Möglichkeit aufrechtzuerhalten. Denn die reale Möglichkeit, dass etwas existiert, impliziert dessen Bestimmtheit im Sinne der 258  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Unterscheidbarkeit von allem möglichen anderen. Wenn also überhaupt etwas existieren und dessen Existenz nicht notwendig sein soll, so dass schon die reale Möglichkeit der Existenz von anderem ausgeschlossen wäre, was einen Verstoß gegen den Satz vom zureichenden Grund darstellte, muss das, was seiner realen Möglichkeit nach existieren könnte, positiv bestimmt sein. Diese positive Bestimmtheit kann aber nur begrifflicher bzw. logischer Natur sein und darf nicht erst aus der wirklichen Sukzession der Zustände eines existenten Dinges resultieren. Denn ein solches ist zwar zu jedem Moment seiner Existenz aktual vollständig bestimmt, aber zugleich hinsichtlich jedes weiteren Moments seiner Existenz relativ unbestimmt. Es wäre dann aufgrund dieser Unbestimmtheit seiner zukünftigen Zustände nicht von allen anderen möglichen Dingen unterscheidbar. Jene Unterscheidbarkeit bzw. die singuläre Identität oder absolute Identifizierbarkeit eines jeden möglichen Dings gewährleisten erst die Individualbegriffe aller möglichen Dinge, die der unendliche Verstand in seiner unveränderlichen Aktivität denkt. Zwar ist die logische Möglichkeit im Sinne der bloßen Widerspruchsfreiheit, pointiert formuliert, noch vor Gott. Aber die positive Bestimmtheit aller logischen Möglichkeiten, die äquivalent ist mit der Menge aller Dinge, die überhaupt existieren können, d. h. mit allen realen Möglichkeiten, erfordert einen logischen Agenten von unendlicher Potenz, der diese Bestimmung vollzieht. Will man also nicht behaupten, dass genau und nur dasjenige möglich ist, was aktual existiert und insbesondere in Zukunft existieren wird, wird man die Notwendigkeit der positiven Bestimmtheit alles der Möglichkeit nach Existenten einräumen müssen. Erst von dieser nämlich dependiert die Möglichkeit kontingenter Existenz. Deren Leugnung macht zwar einerseits vielleicht – keineswegs jedoch notwendigerweise – die Annahme der Existenz eines unendlichen Geistes überflüssig, führt aber – neben weiteren Problemen mit der Identität von Dingen über die Zeit hinweg, der Aufgabe des Satzes vom zureichenden Grund bei gleichzeitiger Beanspruchung desselben und der Begründung einer nicht kontingenten Unterscheidung zwischen logischer und realer Möglichkeit – andererseits zur Pflicht eines apriorischen Beweises des Determinismus. Diese Aprioritätsforderung rührt daher, dass die Bejahung der Möglichkeit kontingenter Existenz die relative bzw. temporale Ontologie: Essenz und Existenz  |  259

Notwendigkeit des aktualen Zustands der Dinge keineswegs in Abrede stellen muss. Da indes schon der Begriff eines solchermaßen absoluten Determinismus auf zahlreiche Widersprüche führt, 519 sei auf diese Komplikationen, denen sich unschwer noch weitere hinzufügen ließen, hier nur am Rande hingewiesen. Klar geworden sein dürfte hingegen, dass der Begriff eines notwendigen Dings nicht nur seine logische Möglichkeit enthält, sondern auch Vermögen. Denn wenn alles, was in Gottes Geist enthalten ist, d. h. alle möglichen Dinge in ihrer positiven Bestimmtheit inklusive seiner selbst, zugleich logisch und real möglich ist und wenn kein Ding von selbst und durch sich selbst von der NichtExistenz in die Existenz gelangen kann, dann muss Gott genau das Vermögen besitzen, als zureichender Grund für die Existenz von Dingen zu fungieren, die eben deswegen kontingent sind. Dabei muss die Verwirklichung dieses Vermögens keine Veränderung in Gottes Geist, sondern nur außerhalb seiner bedeuten, wie dies die Unterscheidung zwischen immanenten und transienten Akten erlaubt. Für die Ontologie ergibt sich indes aus der Gleichsetzung von Substantialität und Kraft, die Baumgarten vornimmt, dass sie – wie alle besonderen Teile der Metaphysik – als philosophische Dynamik zu charakterisieren ist.520 Denn sie untersucht die Möglichkeit kontingenter Existenz und nicht nur die Möglichkeit von Möglichkeit. Wäre dies so, ließe sie sich nicht mehr von der Untersuchung der Grundlagen extensionaler Logik, mögen diese auch transzendental genannt werden, unterscheiden. Es ist jedoch die Intensionalität begrifflicher Bestimmung, von der die Metaphysik als solche, d. h. als Wissenschaft von den Dingen, auszugehen hat. Der Begriff der singulären Substanz bleibt daher für sie grundlegend.

II. Die wirkliche Wirklichkeit: Materie und Monaden

Anders als ihre logische Existenz im Geiste Gottes, dessen notwendige Attribute sie darstellen, da er sie kraft seines natürlichen Wissens denken muss, ist die substantiale Existenz der Dinge außerhalb des göttlichen Geistes kontingent. Ihre Kontingenz impliziert ihre relative Unbestimmtheit zu jedem Moment ihrer Existenz auf Basis ihrer vollständigen aktualen Bestimmtheit. Kontingente Dinge 260  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

müssen daher veränderbar sein, d. h. weiter modal und relational bestimmbar. Begreift man nun ein Ding von seiner Bestimmbarkeit her, begreift man es nach Baumgarten materiell: »Wenn ein Ding als bestimmbares begriffen wird, wird es Stoff (materia ex qua), während der Verwirklichung der Bestimmung selbst Gegenstand (materia circa quam, obiectum), nach geschehener Bestimmung Materie-in-welcher (materia in qua) und diese zusammen mit dem Stoff Zugrundeliegendes (subiectum) genannt.«521

1. Das materielle Subjekt

Auch hier schließt Baumgarten wieder an die aristotelische Tradition an, und zwar an die Vier-Ursachen-Lehre. Dieses Forschungsinstrument dient dazu, die Art einer Bewegung, die ein Ding vollzieht, so genau, als dies mit den Mitteln des endlichen Verstands überhaupt möglich ist, zu bestimmen.522 Ihrer Art nach bestimmt bzw. klassifiziert werden kann allein die Bewegung eines Dings, d. h. bestimmte und klassifizierbare Bewegung ist immer Bewegung einer Substanz, die also solche selbst bestimmt sein muss. Zugleich muss sie irgendein aktives oder passives Bewegungsvermögen besitzen, welches in der Bewegung verwirklicht und an deren Ende vernichtet ist. Das sich bewegen könnende bzw. bewegte Ding ist daher Baumgartens Terminologie gemäß sowohl bestimmt als auch unbestimmt. Jedes Ding, das nicht vollständig notwendig bestimmt ist, also jedes kontingente Ding, kann in beiderlei Hinsicht begriffen werden, d. h. sowohl als das, welches es aktual ist, als auch als das, welches es sein kann. Diesen Begriff der Potentialität, wie sie als weitere Bestimmbarkeit allein einem kontingenten Ding zukommt, nennt Baumgarten Stoff. Ebenso wie die anderen aristo­telischen Ursachen, welche die Bewegung einer Substanz konstituieren, ist auch der Stoff nur logisch, gemäß dem Begriff, von der bewegbaren bzw. bewegten Substanz abtrennbar. Denn allein für sich aktual vorliegender Stoff wäre ein reines Bestimmbares, mithin für sich genommen vollständig unbestimmt. Vollständig Unbestimmtes kann aber nicht existieren. Dies gilt auch für das Auftreten des Stoffes an kontingenten Dingen. Denn auch in deren Potentialität herrscht keine vollständige, sondern nur reMaterie und Monaden  |  261

lative Unbestimmtheit. Trotzdem lässt sich ein Begriff von Materie überhaupt, namentlich der berüchtigte Begriff der materia prima, zu Zwecken wissenschaftlicher Erklärung bilden, ohne gegen das Positivitätsgebot aller Bestimmtheit zu verstoßen: »Ausgedehntes, dem die Kraft der Trägheit (vis inertia) zukommt, ist Materie und für sich zu bestehen Scheinendes (phaenomenon substantiatum). Materie, der allein diese Kraft zukommt, ist erste (materia prima, mere passiva).«523 Baumgarten definiert also den Begriff der materia prima durch Ausdehnung, d. h. einer Beschaffenheit zusammengesetzter Substanzen, 524 und Trägheit, d. h. als rein passive Kraft, die allein im Widerstand gegen Bewegung und daher niemals durch dich selbst verwirklicht wird. 525 Da zur Existenz einer jeden Substanz Tätigkeit gehört, folgt daraus bereits die Unmöglichkeit substantieller Existenz der materia prima. Weil bloße Materialität keine weiteren Bestimmungen enthält, ergibt die rein materielle Betrachtung eines Dings auch nur die Erscheinung von Substantialität.526 Stofflichkeit und infolgedessen auch Räumlichkeit ist daher ein notwendiges Akzidens gleichzeitig existierender kontingenter Dinge, mithin einer Welt, die außerhalb des göttlichen Geistes existiert. Da materia prima in keiner möglichen Welt in der Weise einer Substanz existieren kann, ist sie ebenso wenig Gegenstand des göttlichen Denkens wie die allein durch Widerspruchsfreiheit bestimmte bloße Möglichkeit. Der Ausdruck »materia prima« bezeichnet deshalb nur einen philosophischen Kunstbegriff, dessen Gebrauch zu Erkenntniszwecken zwar gerechtfertigt ist, aber keinesfalls mit dem adäquaten Begriff eines ersten, aktualen Seienden verwechselt werden darf. Denn er sagt zwar nicht Nichts aus, jedoch aktual NichtSeiendes. Der Materialismus ist schon deswegen falsch.527 Materie tritt also ausschließlich an bestimmten Dingen auf. Sie ist das Unbestimmte an ihnen, welches das passive Potential ihrer weiteren Bestimmbarkeit bildet. Die Substantialität kontingenter Dinge involviert deshalb Materialität. Kontingente Dinge sind folglich materielle Subjekte. Ihre Wirklichkeit besteht indes allein in der notwendigen Bestimmtheit, die ihren jeweiligen Zustand identifiziert. Dieser entspricht in den Termini der Vier-Ursachen-Lehre der jeweiligen causa finalis: In der materia in qua ist die voraufgehende Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit gewandelt, 262  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

die selbst wieder weiterer Bestimmung zugrunde liegt. Dieser doppelte Charakter des materiellen Subjekts, das einerseits in seiner Aktualität vollständig und unabänderlich bestimmt und andererseits in seiner Potentialität relativ unbestimmt und veränderlich ist, begründet den metaphysischen Ort des Erscheinungsbegriffs (phae­nomenon). Nicht das wahrnehmende, wenn man so will: kantische Subjekt erzeugt einen mentalen Gegenstand, der Erschei­ nung genannt wird, sondern die aufgrund seiner Materialität gegebene partielle Unbestimmtheit des wahrnehmbaren Subjekts hinsichtlich seiner zukünftigen Zustände erzeugt die Erscheinung einer abgeschlossen bestimmten Substanz in der Wahrnehmung. Sie verschafft damit der Rede von der notwendigen partiellen Dunkelheit jeder ästhetischen Erkenntnis eine weitere, nunmehr meta­ physische Begründung. Denn genaugenommen ist es ja keineswegs die Materie als solche, die wahrgenommen wird: Wie sollte auch aktual Nicht-Seiendes Gegenstand unmittelbarer sinnlicher Empfindung sein? Nur Wirkliches kann sinnlich empfunden werden, und Wirkliches ist allemal durchgängig bestimmt, aber eben nicht in dem vollständigen und abgeschlossenen Sinn des Individual­ begriffs eines Dings, wie er dem unendlichen Geist präsent ist und dessen Notwendigkeit aus dem Prinzip der Unterscheidbarkeit von allen anderen möglichen Dingen folgt. Das materielle Subjekt, in dem die Substantialität eines kontingenten Dings liegt, ist also der jeweilige Zustand einer singulären Substanz, und nur dieser ist wahrnehmbar. Weil aber eine weltlich existierende Substanz nicht von ihrem Zustand unterschieden werden kann, wenngleich dieser zum Gegenstand einer Analyse mit dem Instrument der VierUrsachen-Lehre werden mag, entspricht die ästhetische Erkenntnis trotz – und hinsichtlich des Zweiteren: gerade wegen – ihrer sowohl epistemologisch wie metaphysisch begründeten partiellen Dunkelheit dem Ding, das sie vorstellt, vollständig.

2. Monadische Bewegtheit

Ist nun einerseits das Subjekt in seiner Materialität bloßes passives Objekt von Veränderung, mithin weiterer Bestimmung, und steht andererseits bereits die Selbsttätigkeit einer jeden Substanz fest, ist Materie und Monaden  |  263

der Grund und die Beschaffenheit dieser Aktivität näher zu untersuchen. Ohne diese nämlich ist keinerlei Veränderung und demnach weder Zuständlichkeit noch kontingente Existenz noch Welt möglich. Baumgarten bestimmt Veränderung (mutatio) allgemein als »Folge der Bestimmungen in einem Ding« und bezieht sie aufgrund der Ununterscheidbarkeit von Ding und Zustand ausdrücklich zugleich sowohl auf das Ding als auch auf die Bestimmungen.528 Weil die Essenz eines jeden möglichen Dinges unveränderlich ist, können sich nur kontingente Dinge hinsichtlich ihrer Existenz verändern, so dass ihnen Veränderlichkeit unbedingt zukommt, da die Voraussetzung für Veränderung, nämlich ihre Existenz, selber eine modale Bestimmung ist.529 Wenn nun die Voraussetzung für Veränderlichkeit Existenz ist und jedes kontingente Ding schon, insofern es existiert, modale Bestimmungen besitzt, 530 muss jedes kontingente Ding, schon insofern es existiert, sich auch in Veränderung befinden. Aus der Unbedingtheit der Veränderbarkeit eines möglichen Dings folgt also unter der Bedingung seiner – notwendigerweise kontingenten – weltlichen Existenz die Aktualität von Veränderung. Kontingente Existenz ist daher äquivalent mit aktual sich vollziehender, zunächst interner, d. h. modaler (modificatio), und sodann externer, d. h. relationaler (variatio) Veränderung.531 Jede Veränderung bedarf eines zureichenden Grundes. Dieser kann im Falle der Modifikation eines kontingenten Dings nicht extern sein, d. h. nicht gänzlich verschieden von dem sich verändernden Ding. Der zureichende Grund interner Veränderung kann daher nur die Kraft als Verwirklichung des Vermögens zur Veränderung sein, in der die kontinuierliche Aktivität der Existenz einer Substanz besteht. Dabei darf freilich der zureichende Grund der Existenz dieser Kraft bzw. Substanz nicht mit dem zureichenden Grund der Folge der Modifikationen verwechselt werden, die eine kontingente Substanz vollzieht. Denn dies widerspräche zum einen ihrer Aktivität und zum anderen der Kontingenz ihrer Veränderungen. Würde nämlich die gesamte Folge aller Veränderungen, die eine kontingente Substanz vollzieht, mit hypothetischer Notwendigkeit aus ihrer Existenz folgen, wäre jeder ihrer Zustände, also auch die möglichen zukünftigen, hypothetisch notwendig, noch bevor sie eingetreten sind. Dann aber könnte eine kontin264  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

gente Substanz nichts Unbestimmtes mehr enthalten und wäre in ihrer Existenz folglich nicht mehr kontingent, sondern notwendig, wenn anders nicht zwischen einer Substanz und ihren Zuständen unterschieden werden soll. Denn im Falle der bereits durch ihre Existenz hypothetisch notwendig festgelegten Folge von Zuständen einer Substanz wäre eben diese Folge nicht mehr veränderlich. Sie könnte aber nur dann hypothetisch unveränderlich sein, 532 wenn sie bereits eingetreten wäre, d. h. wenn sie in einem aktualen Zustand bzw. in vergangenen Zuständen bestünde. Dies gilt aber nicht für mögliche zukünftige Zustände. Denn: »Die Bestimmungen des Veränderlichen können aufeinander folgen, deshalb ist Veränderliches auf viele Weisen Bestimmbares. Notwendiges ist nicht auf viele Weisen Bestimmbares. Also ist Notwendiges unveränderlich.«533 Notwendig und unveränderlich, und zwar hypothetisch notwen­ dig und unveränderlich, sind an einer kontingenten Substanz nur ihre aktualen und vergangenen Bestimmungen. Kontingente Substanzen sind aber schon aufgrund ihrer Kontingenz veränderlich. Weil sonst kein Platz mehr für Veränderlichkeit bliebe, liegt ihre notwendige Veränderlichkeit in der relativen Unbestimmtheit ihrer möglichen zukünftigen Zustände, die auf vielerlei Weise bestimmt werden können. Also ist der zureichende Grund der Existenz einer kontingenten Substanz nur der zureichende Grund dafür, dass sie sich verändert. Denn nur dies steht unter hypothetischer Notwendigkeit. Er ist aber nicht der zureichende Grund dafür, in welcher Weise sie sich verändert, d. h. welche Folge von Veränderungen sie vollzieht. Also ist eine kontingente Substanz selbst der zureichende Grund aller internen Veränderungen, die sie vollzieht. Die vielfältige Bestimmbakeit von Substanzen verlangt eine Vielfalt von Kräften, da diese aufgrund der Aktivität der Substanz jeweils selbst bestimmt sein müssen, sofern sie sich in Verwirklichung befinden. Die Kraft, in deren Verwirklichung die Existenz einer kontingenten Substanz besteht, ist daher komplex. Wegen der notwendigen Bestimmtheit einer kontingenten Substanz durch die Wirklichkeit einer Kraft bei gleichzeitiger vielfältiger Bestimmbarkeit und der Äquivalenz von Substantialität und Aktivität folgt daraus die Zusammengesetztheit weltlich existenter, mithin weiter bestimmbarer Substanzen: »Eine zusammengesetzte Substanz Materie und Monaden  |  265

hat Kräfte, daher über sich hinaus gesetzte Substanzen als Teile, deshalb ist sie ein zusammengesetztes Ding in engerer Bedeutung.«534 Aufgrund ihrer kontinuierlichen Aktivität müssen also kontingente Dinge selber aus Substanzen zusammengesetzt sein, die selbst ebenfalls kontingent, aber einfach sind. Baumgarten nennt diese eigentlichen Substanzen im Anschluss an Leibniz Monaden, d. h. in einfacher Weise bestimmte tätige Kräfte, deren akzidentielle Bestimmbarkeit schon aus der Kontingenz ihrer Existenz folgt. 535 Diese Akzidentialität kann wegen der Einfachheit einer Monade, die Ausdehnungslosigkeit und folglich Immaterialität einschließt, 536 nur in der Intensität der jeweiligen Verwirklichtheit bzw. der Verwirklichungszustände ihrer Kraft liegen. Ebenfalls wegen dieser Einfachheit muss der zureichende Grund solcher essentiell beschränkten Veränderungen der intensiven Größe 537 einer Monade in ihrer Vereinigung mit anderen Monaden zu zusammengesetzten Dingen bestehen, die aufgrund ihrer Zusammengesetztheit Ausdehnung und folglich Materialität besitzen. Denn: »Die Größe einer Beschaffenheit ist eine Stufe (gradus). Deshalb können wir einen Grad ausschließlich durch die Annahme von Anderem verstehen.«538 Graduierbarkeit bedeutet also das mehr oder weniger starke Auftreten irgendeiner bestimmten Qualität innerhalb einer Folge von Zuständen eines Dings. Der qualitativen Bestimmtheit eines Dings liegt daher eine entsprechende Potentialität zugrunde, die mehr oder weniger verwirklicht werden kann, so dass die jeweilige Qualität in ihrer Intensität Veränderungen unterliegt. Da die Unveränderlichkeit eines Dings hinsichtlich seiner inneren Bestimmungen darin besteht, dass es seiner Verwirklichung nach all das ist, was es sein kann, lässt es keine qualitativen Graduierungen zu. 539 Weil diese in ihrer Aktualität quantitativ bestimmbar und folglich jeweils endlich (finitum) sein müssen, ist ein derart unveränderliches Ding unbeschränkt (ens infinitum). 540 Aus der graduellen Veränderung seiner Qualitäten folgt deswegen die Endlichkeit 541 und also die Kontingenz eines Dings: »Ein innerlich Veränderliches ist ein endliches Ding. Also ist jedes kontingente Ding endlich, d. h. es kann durch viele Gründe unbestimmt und mathematisch unendlich scheinend sein.«542 266  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Nach wie vor gilt also, dass die Bestimmtheit eines kontingenten Dings in seinem aktualen Zustand bzw. seinen vergangenen Zuständen liegt, während seine Unbestimmtheit in seiner Potentialität zu zukünftigen Zuständen besteht. Deren qualitative Intensität ist zwar jeweils essentiell durch Maxima bzw. Minima limitiert, lässt aber genau deswegen unendliche Graduierung zu. 543 Deren Abfolge ist zwar im Individualbegriff des Dings enthalten, wie er in Gottes Geist vorliegt, jedoch erkennt dieser freilich nicht auf mathematischem Wege, etwa hier mit den Mitteln des Infinitesimalkalküls, sondern rein qualitativ. Der Schein mathematischer Unendlichkeit des endlichen Dings ergibt sich so aus der numerisch nicht eineindeutig bestimmbaren Anzahl der möglichen Intensitätsgrade einer jeden seiner Qualitäten. Liegt eine Qualität jedoch nur in endlicher Intensität vor, d. h. ist ihr mögliches Auftreten durch ein Maximum und ein Minimum beschränkt, ist sie auch nur relativ bestimmt. Sie kann daher nicht vollständig und ausschließlich positiv bestimmt sein, da ihre Beschränkung eine Negation bzw. eine Privation bedeutet. Weil seine positive Bestimmtheit die Realität eines Dings ausmacht und ein endliches Ding auch negative Bestimmungen besitzen muss, ist seine Realität ebenso eingeschränkt, mithin nicht vollständig positiv, sondern zum Teil nur negativ bestimmt und daher relativ unbestimmt, also nicht vollständig wirklich: »In jedem Endlichen muss eine gewisse Realität hinweggenommen werden. Also ist eine gewisse Negation und soweit eine ebenso essentielle wie akzidentielle, deshalb unbedingt notwendige Unvollkommenheit zu setzen, eine Negation im strengen Sinn, das schlechterdings notwendige Übel (male metaphysicum).«544 Jedes endliche Ding ist monadisch konstituiert. Jede Monade verfügt über ein gewisses Maß an Kraft, das durch ein bestimmtes Maximum bzw. Minimum beschränkt ist. Innerhalb dieser Grenzen verändert sie unter der Bedingung ihrer Zusammengesetztheit mit anderen Monaden ihre Intensität. Jede endliche Monade ist daher sowohl intrinsisch, d. h. in ihrer essentiellen Möglichkeit, als auch extrinsisch, d. h. in ihrer jeweiligen Aktualität, relativ bestimmt und folglich von kontingenter Existenz. Dies muss auch für die monadisch konstituierten Komplexe gelten, welche die materiellen Dinge sind, weil sich aus der Addition von Endlichem nur Materie und Monaden  |  267

wiederum Endliches, aber nicht Unendliches ergeben kann. Da relativ Bestimmtes negative Bestimmungen enthalten muss, ist relative Bestimmtheit äquivalent mit relativer Unbestimmtheit. Jedes kontingente Ding enthält daher die Potentialität zu zukünftigen Zuständen, deren Verwirklichung durch monadische Tätigkeit herbeigeführt wird. Die aktuale Zuständlichkeit eines kontingenten Dings besteht also in der quantitativen Veränderung der Intensität der Tätigkeit der konstitutiven Monaden, so dass jeder modale und relationale Zustand durch eine begrenzte Kraftentfaltung innerhalb ihrer essentiellen Beschränkungen bestimmt ist: »Die Modi und Relationen eines Dinges sind entweder positive (realitates) oder negative (negationes) Bestimmungen, deshalb werden, indem diese im endlichen Ding verändert werden, dessen Schranken (limes) verändert. Nun ist jede Veränderung eines endlichen Dings eine Veränderung eines Modus oder einer Relation. Also ist jede Veränderung eines endlichen Dings eine Veränderung seiner Schranken, daher auch seiner negativen Bestimmung545 (limitatio).«546 Eine positive Bestimmung eines kontingenten Dings kann nicht Gegenstand von Veränderung sein, weil sie entweder aktual ist oder war und daher hypothetischer Notwendigkeit unterliegt. Nur die durch aktualen Zustand eines kontingenten Dings ex negativo bestimmten möglichen Zustände sind bestimmbar, mithin Gegenstand von Veränderung, weil sie entweder verwirklicht oder nicht verwirklicht werden können. Folglich ist jede modale oder relationale Veränderung eines Dings eine Veränderung seiner negativen Bestimmungen, insofern seine negativ bestimmte Bestimmbarkeit weiter positiv bestimmt wird. Dieser stete Bedarf positiver Fortbestimmung, der mit Notwendigkeit aus der Kontingenz eines Dings folgt, bedeutet zugleich seine stets bloß relative Vollkommenheit. Denn zum einen entspricht jeder positiven Fortbestimmung auch die Veränderung der negativen Bestimmtheit, die also dadurch keine Verminderung erfährt, und zum anderen ist ein kontingentes Ding nur in seiner Aktualität jeweils vollständig bzw. durchgängig bestimmt, nicht aber in der negativen Bestimmtheit, die seine Potentialität zu zukünftigen Zuständen ausmacht. Diese notwendige Unbestimmtheit eines kontingenten Dings bildet sein metaphysisches Übel, das nur einem notwendigen und daher unbeschränkten Ding nicht zukommt und keineswegs mit dem moralischen 268  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Übel, mithin dem Bösen, verwechselt oder gleichgesetzt werden darf. Es ist also weder ein absolut vollkommenes kontingentes Ding möglich noch eine absolut vollkommene Welt, da diese nur relativ vollkommene und deshalb notwendigerweise unvollkommene Dinge enthalten kann. Vielmehr bildet die notwendige Unvollkommenheit kontingenter Dinge die Bedingung der Möglichkeit weiterer kontingenter Übel, die den jeweiligen Zustand eines Dings betreffen können und ebenfalls nicht moralischen Charakters zu sein brauchen, weil sie auch außermoralischen Gegenständen bzw. beliebigen Substanzen, etwa Kieselsteinen oder Wurmfarnen, zukommen können: »Ein endliches Ding besitzt Modi. Diese sind entweder positive oder negative Bestimmungen. Das jedem von beiden Entgegengesetzte ist in einem endlichen Ding unbedingt möglich. Deshalb sind Beraubungen (privationes) in jedem endlichen Ding unbedingt möglich. Deshalb sowohl Unvollkommenheit als auch zufälliges Übel (malum contingens, physicum late dictum).«547 Mit der Kontingenz eines Dings ist das metaphysische Übel gegeben. Es bildet die Voraussetzung kontingenter Übel. Diese können nur in der Unterschreitung der im jeweiligen Zustand maximal möglichen positiven Bestimmtheit eines kontingenten Dings bestehen, d. h. in größerer Unbestimmtheit, als aus seiner Kontingenz folgt. Das Auftreten kontingenter Übel, mithin die Unterschreitung des jeweils möglichen Bestzustands bedeutet freilich keineswegs vollständigen Vollkommenheitsverlust. Dieser träte nicht einmal bei der Auflösung der monadischen Zusammensetzung eines weltlich existenten Dings ein, weil dieser nicht die Vernichtung der einfachen Substanzen, sondern nur deren Neugruppierung impliziert. Vielmehr bleibt jedes kontingente Ding, solange es überhaupt existiert – und in seinen Bestandteilen darüber hinaus –, immer relativ vollkommen. Aus der Relativität dieser Vollkommenheit folgt allerdings wiederum ihre Graduierbarkeit. Daher kann jedes kontingente Ding in seinen essentiell bestimmten Grenzen mehr oder weniger vollkommen sein, d. h. durch seine Aktivität mehr oder weniger positive Bestimmungen verwirklichen. Es kann sich daher auch in einem besseren Zustand befinden, als gemäß seiner Kontingenz nötig wäre. Vielmehr setzt das notwendige wie das kontingente Übel prinzipiell sowohl das metaphysische Gute als Materie und Monaden  |  269

auch die Möglichkeit des kontingenten Guten voraus, 548 weil kein Ding vollständig unbestimmt sein kann bzw. die Positivität der Bestimmtheit im Bereich des Seienden Priorität vor der negativen Bestimmung genießt. Daher gilt: »Jedes endliche Ding ist teils übel, teils gut, und jedem Endlichen ist kontingentes Gutes und Übles innerlich möglich.«549

3. Die vollkommene Welt

Hängt nun der relative Grad an Vollkommenheit eines einzelnen Dings von seiner positiven Bestimmtheit ab und resultiert dieser aus mehr oder weniger großer Intensität monadischer Aktivität, muss dies auch für den jeweiligen Inbegriff aller zugleich möglichen kontingenten Dinge gelten, d. h. für eine Welt – gleichviel, ob sie nun aus der Perspektive Gottes als Einzelding betrachtet wird oder Ensemble selbständiger bzw. für sich seiender Dinge, die dann indes grundsätzlich auch in einer anderen Welt existieren zu können scheinen als in der, in der sie existieren. Dass dies in der Tat eine Frage der Betrachtungsweise der gleichzeitig notwendigen Bestimmtheit wie Unbestimmtheit kontingenter Dinge ist, ist im Folgenden weiter zu untersuchen. Ebenso ist zu zeigen, dass schon die Möglichkeit des bestmöglichen Zustands einer Welt, mithin ihre größtmögliche relative Vollkommenheit die gleichzeitige Existenz so vieler kontingenter Dinge wie möglich voraussetzt, während deren Wirklichkeit in deren jeweils maximal möglicher Aktivität und daher positiver Bestimmtheit liegt.

a) Vielheit und Singularität

Was die zuerst gestellte Frage nach der Dinglichkeit der Welt angeht, scheint bereits der Anfang von Baumgartens Kosmologie kaum Raum für Zweideutigkeiten zu lassen: »Die ganze Welt (mundus, universum, pan) ist eine Reihe (series, multitudo, totum) wirklicher Endlicher, die nicht Teil einer anderen ist.«550 Und: »In dieser Welt sind Wirkliche über einander hinaus gesetzt, daher ein wirklicher allgemeiner Zusammenhang (nexus universalis actualis).«551 270  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Die Welt scheint also selbst schon deswegen kein einzelnes Ding sein zu können, weil sie eine Vielheit verschiedener wirklicher Dinge darstellt, die durch einen durchgehenden Zusammenhang zu einer Einheit verbunden sind. Allerdings gilt genau dasselbe für jede mögliche zusammengesetzte Substanz, d. h. für jedes weltlich existierende Ding. Es ist daher ebenso legitim, eine Welt als ein einzelnes Ding, genauer: eine komplexe Substanz, anzusprechen wie als eine geordnete Einheit komplexer Substanzen. Baumgarten hält dies sogleich fest: In jeder Welt sind wirkliche Teile, diese einzelnen sind mit dem Ganzen verbunden, daher die Einzelnen mit den Einzelnen. Also ist in jeder Welt ein Zusammenhang der Teile und eine allgemeine Übereinstimmung (harmonia universalis), d. i. in der Welt gibt es keine Insel. Auf andere Weise: Die Teile der Welt sind, wie man will, über einander hinaus benachbart gesetzte Wirkliche, und die einzelnen sind mit den einzelnen verbunden, oder sie sind deren nicht über einander hinaus benachbart gesetzte innere Bestimmungen, und die einzelnen sind mit den einzelnen verbunden. Es gibt nichts Fremdartiges, sie sind wie ein Heer. 552

Was beide Redeweisen rechtfertigt, ist offenkundig die durchgängige Verbundenheit aller Teile einer Welt miteinander, werden sie nun als substantielle Einzeldinge oder Bestimmungen einer Substanz aufgefasst. Die grundlegende Bestimmung des Begriffs von Welt bildet daher der Begriff der komplexen Einheit, außerhalb derer nichts existiert, was zu der betreffenden Welt gehört. Dies scheint schon auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass kein Ding, das in einer bestimmten Welt existiert, auch – und womöglich zugleich – in einer anderen Welt existieren könnte. Denn wenn die Identität eines Dings wie einer Welt in der Verbindung ihrer Bestimmungen bzw. der die Welt konstituierenden Substanzen besteht, dann veränderte der Austausch eines Dings durch ein anderes nicht allein die Identität der jeweiligen Welt, auch seine Einsetzung in eine andere Welt veränderte die Identität des Dings, so dass man es mit zwei voneinander verschiedenen Dingen zu tun hätte. Weil nämlich die Existenz eines komplexen kontingenten Dings in seiner steten Modifikation durch innere wie äußere zureichende wie unzulängliche Gründe liegt und ein Ding nicht von seinen Zuständen unterscheidbar ist, kann ein Ding, das in eine andere Welt Materie und Monaden  |  271

versetzt würde, nicht mehr dasselbe bleiben, da es sich wegen anderer Gründe in anderen Zuständen befinden müsste. Umgekehrt erforderte aus demselben Grund die Ersetzung eines Dings durch ein anderes die Andersheit der Welt, weil sie in anderen, hypothetisch notwendig gewordenen Zuständen sich befunden haben müsste, um das in Rede stehende Ding hervorzubringen oder zu beherbergen. Die bloße Modifikation eines bereits existenten Dings im Rahmen seiner durch den eigenen Zustand und den der Welt negativ bestimmten Möglichkeiten gefährdet dagegen weder seine noch die Identität der Welt, sondern bestimmt sie vielmehr nur weiter. Folglich ist die Identität einer Welt genauso wie die Identität eines Einzeldings allein durch ihre Aktualität determiniert.553 Also sind auch die zukünftigen Zustände einer Welt genauso wie die eines Einzeldings im Rahmen ihrer negativen Bestimmtheit durch den aktualen Zustand unbestimmt. Die beiden Auffassungsweisen der Welt als Einheit verschiedener singulärer Substanzen und als einzige komplexe singuläre Substanz entsprechen einander formal und sind daher wenigstens gleichberechtigt. Baumgarten macht dies unmissverständlich klar, indem er dem Begriff der Welt die transzendentalen Prädikate zuschreibt, die er jedem Einzelding, insofern es ist, zuschreibt: »Weil jede Welt ein Ding ist, wird es eins und wahr sein. Deshalb ist in jeder Welt eine Ordnung und gemeine Regeln. Das Land der Wünsche ist keine Welt.«554 Und: »Jede Welt ist vollkommen und gut.«555 Daraus folgt nun die teilweise Identität einer jeden möglichen Welt mit einer jeden anderen: »Selbst wenn ein einziger Teil dieser Welt ein anderer wäre, als er ist, wäre diese Welt nicht gänzlich dieselbe, die sie ist. Nun können alle Teile dieser ganzen Welt andere sein, als sie sind. Also gibt es teils von dieser verschiedene, teils mit dieser selbige mögliche Welten, d. i. mehrere.«556 Nun liegt das Mindestmaß der Selbigkeit aller möglichen Welten bereits in ihrer Dinglichkeit, welche die Zuschreibung der diese konstituierenden transzendentalen Prädikate impliziert. 557 Jedoch lässt sich die unter den möglichen Welten herrschende Ähnlichkeit unterhalb der Stufe vollständiger Identität unendlich graduieren. Es muss also keineswegs bei der durch ihre mögliche Dinglichkeit gegebenen minimalen Ähnlichkeit bleiben, sondern Welten können einander maximal ähnlich sein, solange zumindest 272  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

eine einzige minimale Differenz besteht, d. h. solange noch eine einzige verschiedene modale oder relationale Bestimmung eines einzigen Dings vorliegt, hat man es auch mit zwei verschiedenen möglichen Welten zu tun. Aus der aktualen Bestimmtheit einer Welt folgt daher ebenso wenig wie bei einem einzelnen Ding, das Teil einer Welt ist, die eindeutige Festgelegtheit ihrer Identität als ganze, mithin für die gesamte Dauer ihrer Existenz. Denn solange in einer Welt noch bestimmbares Potential, d. h. in wenigstens einem einzelnen Ding bzw. Teil, gegeben ist, kann dies verwirklicht oder nicht bzw. anders verwirklicht werden. Aus der Bestimmbarkeit und also der Nicht-Festgelegtheit der zukünftigen Zustände veränderlicher Dinge folgt die Nicht-Festgelegtheit der Identität der Welt, in der solche Dinge existieren. Es ist daher die kontingente Aktivität der Dinge, deren Existenz die Existenz einer Welt ausmacht, welche die Identität einer Welt sukzessive determiniert, und solange diese Aktivität andauert, ist die Identität einer Welt noch nicht vollständig und eindeutig festgelegt. Strenggenommen ist es daher irreführend, davon zu sprechen, dass die Dinge ›in der Welt‹ seien. Vielmehr sind die Dinge die Welt, die sie bilden, da es nichts von den Dingen selbst Verschiedenes gibt, das sonst noch zur Welt gehören könnte. Denn auch die allgemeine Verbindung der Dinge zu einer Einheit ist weder von den Dingen verschieden, insofern sie zu ihrer Bestimmtheit gehört, noch gar unabhängig von ihnen, weil auch der interne wie externe nexus universalis eine Relation darstellt, die niemals unabhängig von ihren Relaten sein kann. Sind also die Dinge kontingent, ist auch die Ordnung der Welt, die sie formieren, und damit deren metaphysische Wahrheit kontingent. 558 Für die Ordnung der Welt gilt daher hinsichtlich ihrer aktualen Bestimmtheit und ihrer prospektiven Bestimmbakeit dasselbe wie für eine Welt bzw. die einzelnen Dinge. Erst dadurch wird die Rede von in dieser Welt möglichen Dingen, insofern sie ihrem hypothetisch notwendig gewordenen Bestand etwas hinzufügen soll, eigentlich sinnvoll: »Endliches, das nicht allein absolut und auch nicht nur hypothetisch in irgendeinem beliebigen Zusammenhang, sondern auch im allgemeinen Zusammenhang einer bestimmten Welt möglich ist, wird das Mögliche einer gewissen ganzen Welt genannt. Deshalb ist das Mögliche dieser Welt, was in deren allgemeinem Zusammenhang betrachtet doch wenigstens Materie und Monaden  |  273

hypothetisch möglich ist, deshalb besitzt es einen größeren Grad der Möglichkeit.«559 Ein kontingentes Ding wird also offenbar umso möglicher, je bedingter seine Verwirklichung ist. Anders als die allein durch Widerspruchsfreiheit definierte absolute Möglichkeit ist die hypothetische Möglichkeit gerade dadurch positiv bestimmt, dass sie unter Bedingungen steht. Diese fungieren als unzulängliche oder zureichende Gründe der Verwirklichung eines kontingenten Dings bzw. eines seiner Zustände. Die Art von Möglichkeit, von der Baumgarten hier spricht, bezieht sich auf die Verwirklichung einer positiven Bestimmung und muss daher selbst positiv bestimmt sein. Obgleich also die Verwirklichung einer solchen realen Möglichkeit nicht allein von der eigenen Aktivität eines kontingenten Dings abhängt, sondern auch vom Zustand der Welt, in der es existiert, gehört sie zu den internen Qualitäten des Dings, weil dessen aktuale Identität in einer anderen Welt eine andere wäre. Der Begriff der realen Möglichkeit bezeichnet daher eine intensive Größe und ist deswegen graduierbar.560 Das jeweils Möglichere ist folglich die­ jenige Veränderung eines Dings, die mit dem aktualen Zustand der Welt inklusive seiner selbst, d. h. dem allgemeinen Zusammenhang aller Bestimmungen aller existenten Dinge, 561 am meisten kompossibel ist. Jedoch folgt auch aus der maximalen Kompossibilität eines möglichen Folgezustands mit dem aktualen Zustand der Welt noch nicht mit Notwendigkeit seine Verwirklichung. Sonst nämlich würde seine hypothetische Möglichkeit mit seiner hypothetischen Notwendigkeit identifiziert. Damit würde die Möglichkeit einer positiven Bestimmung, deren kontradiktorisches bzw. konträres Gegenteil doch immer – wenngleich in geringerem Grade – möglich bleibt, schon mit deren Wirklichkeit gleichgesetzt. Der Schluss von einer Möglichkeit auf die Wirklichkeit ist aber im Falle kontingenter Dinge niemals zulässig. Nur die Wahrscheinlichkeit, dass die maximal mit dem Weltzustand kompossible Bestimmung verwirklicht wird, ist höher, als dass sie nicht verwirklicht wird. Demzufolge kann der nexus rerum universalis trotz seiner aktualen vollständigen Bestimmtheit für sich genommen niemals den zureichenden Grund einer Veränderung des Weltzustandes, mithin eines zukünftigen Weltzustandes bilden. Der nexus universalis stellt vielmehr nur die notwendige Bedingung für die Verwirklichung 274  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

desjenigen Folgezustands dar, der am meisten mit ihm kompossibel und daher am meisten möglich ist. Die durch ihn erfolgende Bestimmung der realen Möglichkeit eines Dings zu seinem Folgezustand ist daher mehrfältig: Zuallererst schließt er alle inkompossiblen Möglichkeiten aus und liefert so eine relative negative Bestimmung. Aufgrund der Graduierbarkeit sowohl von Kompossibilität als auch der Fruchtbarkeit (foecunditas)562 möglicher zureichender Gründe, d. h. der Intensität bei der Hervorbringung von Veränderungen, 563 ist jedoch die weitere positive Bestimmung der realen Möglichkeit des Folgezustands eines Dings keineswegs eindeutig. Sie lässt vielmehr gemäß der Komplexität kontingenter Dinge und der daraus sich ergebenden vielfältigen Varianten ihrer Wirkintensität stets mehrere Möglichkeiten der Fortbestimmung zu. Da dies aufgrund ihrer Aktivität für alle kontingenten Dinge gilt, die sich derentwegen alle von sich aus verändern, solange sie überhaupt existieren, bleiben trotz des Ausschlusses aller inkompossiblen Fortsetzungsmöglichkeiten immer noch unendlich viele positiv bestimmte reale Möglichkeiten zur Weiterbestimmung, die allesamt mehr oder weniger kompossibel mit dem aktualen Weltzustand sind. Indes lässt sich auch in diesem Punkt ein Ding, das Teil einer Welt ist, von dem Ding, das eine Welt ist, kaum unterscheiden: Das eine wie das andere besitzt eine Vielzahl realer Möglichkeiten seiner Weiterbestimmung  – und zwar um so mehr, je komplexer es ist –, die alle mehr oder weniger kompossibel mit seinem aktualen Zustand sein müssen. Die Verwirklichung der entsprechenden Folgezustände ist dann zwar jeweils in höherem oder geringerem Grade möglich, aber aus keinem noch so hohen Grad der Möglichkeit kann mit Notwendigkeit eine wirkliche positive Bestimmung folgen. Denn von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit führt kein Schluss. Und wenn in der Tat alle kontingenten Dinge und daher auch die Welt, insofern sie selbst ein kontingentes Ding ist, aktiv sind, sich also jedenfalls von selbst in irgendeiner Weise verändern, ob sie dabei zugleich auch von anderen Dingen beeinflusst oder verändert werden oder nicht, dann geht jede Veränderung eines Dings zuallererst aus seiner eigenen Tätigkeit hervor, wie komplex diese auch immer sein mag. Es ist also stets die eigene Tätigkeit von Dingen, die den zureichenden Grund jedes Folgezustands bildet. Materie und Monaden  |  275

Vom formal metaphysischen Standpunkt aus spielt es daher keine Rolle, ob die Welt selber als kontingentes Einzelding oder als Einheit und Ganzheit vieler Einzeldinge aufgefasst wird. Dennoch lässt sich kaum leugnen, dass beide Auffassungsarten durchaus den Bestand einer Differenz zumindest nahelegen. Diese kann aber nicht schlicht mit der Unterscheidung zwischen Bestimmung einer komplexen Substanz und Teil eines komplexen Ganzen wiedergegeben werden. Denn da die Identität eines Teils vom Ganzen abhängt, dessen Teil es ist, kann das Teil ebenso wenig unabhängig vom Ganzen existieren, wie das Ganze ohne jenes Teil ein anderes wäre. Das Teil fungiert also ohnehin als Bestimmung des Ganzen, dessen Teil es ist, wenn das Ganze eine Einheit darstellen soll, außerhalb deren nichts Andersartiges kontingenterweise existieren soll, wie es bei der Welt der Fall ist. Genau deswegen ist die aktuale Welt nach Baumgarten auch »in der Weise eines Einzigen einzeln«.564 Die Differenz beider Auffassungsarten kann daher nur eine Frage der Betrachtungsweise sein, d. h. eine epistemische Angelegenheit. Aus dieser Perspektive erweist sich die Unterscheidung nun als durchaus triftig. Denn sie repräsentiert die verschiedenen Weisen, auf welche ein unendlicher Geist, mithin Gott, einerseits und ein endlicher Geist andererseits erkennend auf die Welt Bezug nehmen. Klar ist zunächst, dass Ersterer aufgrund seiner Notwendigkeit selbst kein Teil einer kontingenten Welt oder gar diese selbst sein kann, während Letzterer zweifellos Teil der kontingenten Welt ist, in der er oder die um ihn existiert, ohne freilich gleichzeitig deren Ganzes sein zu können. Ein unendlicher Geist denkt alles Mögliche jederzeit begrifflich vollständig bestimmt und erkennt es daher ebenso vollständig klar und deutlich. Die durchgängige Bestimmtheit eines jeden kontingenten Einzeldings, wie es in einer Welt existieren kann, mithin seine singuläre Identität schließt aber alle Bestimmungen der Welt, in der es existiert, aufgrund des nexus rerum universalis ein, in der die Identität jeder möglichen Welt besteht. Ein unendlicher Geist denkt daher alle möglichen kontingenten Dinge, indem er alle möglichen Welten in ihrer vollständigen Bestimmtheit denkt. Die kontingenten Einzeldinge, die Gott denkt, sind also alle singuläre Welten, die überhaupt möglich sind. So verfügt er über vollständige Individualbegriffe aller komplexen 276  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Substanzen, die existieren können, weil keine solche außerhalb einer Welt existieren kann. Daraus folgt, dass Gott nicht nur den aktualen Zustand dieser Welt, die außerhalb seines Geistes existiert, jederzeit vollständig klar und deutlich erkennt, sondern auch alle Folgezustände, die nach diesem überhaupt noch möglich sind. Denn diese bilden ja eine Teilmenge der Menge aller überhaupt möglichen Welten, ohne dass durch dieses Wissen die zukünftige Identität der außerhalb von Gottes Geist existierenden kontingenten Welt bereits festgelegt sein müsste. Gottes Erkenntnis nimmt somit, wenn man so will, eine externe Perspektive auf die Welt ein, insofern zwar alle möglichen Welten in Gottes Geist existieren, die eine wirkliche Welt, die wiederum eine Vielzahl möglicher Welten in Form ihrer möglichen Folgezustände in sich enthält, aber außerhalb von Gottes Geist existiert. Der endliche Geist hingegen besitzt eo ipso eine interne Per­ spektive auf die aktuale Welt, die er nur vermittels abstraktiver Begriffsbildung unter dem Verlust der vollständigen, wirklichen Bestimmtheit seiner Erkenntnisgegenstände in Richtung von Klassen möglicher Dinge und Welten übersteigen kann. Die Internalität der endlichen Perspektive wird dabei durch die ästhetische Erkenntnis erfasst, die gerade aufgrund ihrer Vollständigkeit immer einen dunklen Teil enthält, also immer klar und verworren bleibt. Allerdings hängt die Klar-Dunkel-Verteilung ästhetischer Erkenntnis stets von der Position des empfindenden Leibes im Universum ab. Sie liefert folglich nichts anderes als eine interne Perspektive eines Teils auf das Ganze. Darin besteht die Internalität, gewissermaßen die Weltlichkeit, ästhetischer Erkenntnis. Nun bildet ästhetische Erkenntnis aber die Grundlage jeder weiteren, begrifflich deutlichen Erkenntnis kontingenter Dinge. Solche ästhetikologische Erkenntnis verlässt auf dem Wege der Abstraktion die Realität, d. h. die vollständige positive Bestimmtheit der Dinge. Die begriffliche Erkenntnis kontingenter Dinge wird daher immer um den Preis mehr oder weniger großer Unbestimmtheit erkauft. Sie ist genau deswegen Erkenntnis möglicher Arten von Dingen. Die eindeutige bzw. absolute Identifikation eines Einzeldings übersteigt daher die begriffliche Kompetenz eines endlichen Geistes. Jedoch eröffnet begriffliche Erkenntnis durch Universale einen Weg zur positiven Bestimmung möglicher Folgezustände des aktualen Weltzustands, Materie und Monaden  |  277

der ästhetischer Erkenntnis verschlossen bleiben muss. Denn zum einen ist Nicht-Seiendes kein möglicher Gegenstand sinnlicher Wahrnehmung, und zum anderen reicht auch die der ästhetischen Kenntnis zugeordnete Vorausschau (praevisio) nicht zu, um alter­native zukünftige Verläufe vorzustellen. Deren Möglichkeit schließt nämlich als solche stets ihre Kontradiktion ein, und diese oder weitere Varianten erfordern ihre logische Differenzierung. Allein dadurch dient begriffliche Erkenntnis der Orientierung in der existenten Welt. Denn solche Orientierung kann immer nur auf mögliche zukünftige Zustände ausgerichtet sein, weil die Welt in ihrer Aktualität, wie sie Gegenstand ästhetischer Erkenntnis ist, keiner Veränderung mehr zugänglich ist: Jedes Handeln ist seinem Wesen nach immer zukunftsgerichtet. Der Grad an positiver Bestimmtheit der begrifflichen Erkenntnis dieser Möglichkeiten ist jedoch aufgrund ihrer perspektivischen Basis und ihrer Universalität so eingeschränkt, dass er immer an die ursprüngliche interne Erkenntnisperspektive gebunden bleibt und daher gar nicht vollständig sein kann. Darin liegt indes – unter der Voraussetzung der Möglichkeit bewusster, weltverändernder und in sich selbst kontingenter Aktivität des endlichen Geistes, kurz: unter der Voraussetzung von Freiheit – auch die Möglichkeit der Verwirklichung von Folgezuständen, die nicht maximal kompossibel mit dem aktualen Zustand der Welt sind.

b) Vielheit und Vollkommenheit

Die externe Perspektive des unendlichen Geistes auf die Welt erlaubt ihm ihre sowohl vollständige als auch klare und deutliche Erkenntnis. Sie bezieht sich auf ein Ding, d. h. eine durchgängig verbundene Einheit vieler positiver Bestimmungen. Daher ist jede Welt im metaphysischen Sinne vollkommen und gut. Nun ist indes bereits klar, dass sowohl Vollkommenheit als auch Güte einer Welt, die eo ipso kontingent sein muss, ebenfalls intensive Größen sind. Es kann folglich keine absolut vollkommene und gute Welt geben – ebenso wenig jedoch eine absolut unvollkommene und üble. Jede Welt ist daher stets relativ vollkommen und gut und ebenso relativ unvollkommen und übel. Die Kontingenz einer jeden möglichen 278  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

existenten Welt und die gleichzeitige Existenz des metaphysischen Guten wie des metaphysischen Übels in ihr sind also äquivalent. Dabei folgt das Maß der Vollkommenheit aus ihrem Begriff als Zusammenstimmung von Vielem zu Einem, das heißt: Je komplexer etwas ist, desto vollkommener ist es. Baumgarten schreibt. Die kleinste Vollkommenheit ist eine einzige, sehr kleine Zusammenstimmung der geringsten Kleinsten zu einem sehr kleinen Einen, deshalb ist dadurch, wodurch mehrere, wodurch größere, worin mehrere, worin größere, wodurch um so mehr um so stärker zusammenstimmen, die Vollkommenheit größer, bis dass die größte die größte Zusammenstimmung der meisten Größten zu Einem ist. Doch weil die höchste Vollkommenheit gerade die am meisten zusammengesetzte ist, ist, wie groß auch immer die einfache Vollkommenheit sein mag, sie dennoch nicht die größte. 565

Weil es sich bei den Gegenständen der Zusammenstimmung um positive Bestimmungen von Dingen handelt, die selbst wiederum zur Einheit einer Welt zusammenstimmen, deren positive Bestimmungen sie ihrerseits darstellen, besteht das Vollkommenheitskriterium im Grad der Realität, die etwas aufweist.566 Aktual Existentes – sei dies kontingent oder notwendig  – ist daher prinzipiell vollkommener als Mögliches. Denn Kontingentes ist aufgrund seiner notwendigen modalen und relationalen Bestimmtheit komplexer, und Zweiterem kann aufgrund der Notwendigkeit seiner Existenz keine negative Bestimmung zukommen. Die bloße Möglichkeit von etwas bildet dagegen als solche immer schon eine negative Bestimmung im Verhältnis zu seiner Wirklichkeit. Seiendes im Sinne der Wirklichkeit ist also immer vollkommener als Nicht-Seiendes im Sinne der Möglichkeit, und da Existenz im Falle kontingenter Dinge ein Modus ist, nimmt die Vollkommenheit einer Welt mit der Anzahl der sie konstituierenden Dinge zu. Weil das Gute den Grund von Vollkommenheit und das Übel den Grund von Unvollkommenheit darstellt und Seiendes immer vollkommener ist als Nicht-Seiendes, ist zu sein auch besser als nicht zu sein, so dass auch der Gütegrad einer Welt mit ihrer Realität steigt: »Das kleinste Gute ist, durch dessen Setzung die kleinste Vollkommenheit gesetzt wird. Wodurch die durch ein Gutes zu setzende Vollkommenheit größer ist, dadurch ist das Gute ein größeres, bis dass es das Beste ist, durch dessen Setzung die höchste Vollkommenheit gesetzt wird.«567 Materie und Monaden  |  279

Der maximale Grad an Vollkommenheit entspricht einem Maxi­ mum an Komplexität, und da die Teile, aus denen eine Welt zusammengesetzt ist, Einzeldinge sind, erfordert der maximale Vollkommenheitsgrad einer Welt die Existenz der größtmöglichen Anzahl einzelner, selbst möglichst komplexer Dinge: »Die vollkommenste Welt ist, in welcher die größten der meisten Teile und die meisten der größten in einer Welt zugleich möglichen Teile so sehr zu Einem zusammenstimmen, wie sehr es in einer Welt geschehen kann. Deshalb besitzt die vollkommenste Welt die in höchstem Grade zusammengesetzte Vollkommenheit, und kommt einer Welt ausschließlich einfache Vollkommenheit zu, ist sie nicht die vollkommenste.«568 Naturgemäß ist die vollkommenste auch die beste Welt: »Mit der gesetzten vollkommenen Welt wird die höchste Vollkommenheit, die in einer Welt möglich ist, gesetzt. Deshalb ist die vollkommenste Welt auch die beste aller möglichen Welten. Nun sind die Teile einer Welt wirklich, und dies zugleich oder aufeinanderfolgend. Also umfasst die vollkommenste Welt so viel 1) Gleichzeitiges, so viel 2) Aufeinanderfolgendes, und es ist 3) so vieles, so viel wie so großes zugleich Mögliches in der besten Welt, d. i., sie ist 1) der Anzahl nach, 2) der Erstreckung nach und 3) der qualitativen Intensität nach die beste und größte der Welten.«569 Aus der Aktualität der Teile der Welt folgt ihre räumliche wie zeitliche Erstreckung. Aus ihrer Bestheit folgt nicht nur beider Maximum, sondern auch sowohl die Existenz der größtmöglichen Anzahl an einzelnen Dingen wie demzufolge ebenso die größtmögliche positive Bestimmtheit, mithin Realität, und also der größte Grad an allgemeiner Verbundenheit, d. h. die komplexeste aller Einheiten.570 Aus dieser maximalen Komplexität folgt nun wiederum ein Maximum an möglichen Fortsetzungen des jeweils aktualen Zustands der besten Welt, so dass die beste aller möglichen Welten auch diejenige Welt sein muss, die hinsichtlich ihrer zukünftigen Zustände am wenigsten festgelegt ist.571 Gegen diesen Schluss spricht keineswegs, dass auch der Begriff der innerweltlichen bzw. realen Möglichkeit eine intensive Größe darstellt, dass – pointiert formuliert – einige Fortsetzungen bzw. zukünftige Zustände möglicher und deswegen weniger kontingent sind als andere – obwohl sie freilich kontingent bleiben und nicht etwa in irgendeinem Sinne 280  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

notwendig werden: »Am wenigsten kontingent ist, dessen Gegenteil am wenigsten möglich ist. Je größer also die Möglichkeit des einen der Gegensätze, desto größer ist die Kontingenz des anderen. Die größte Kontingenz ist die desjenigen, dessen Gegenteil die größte Möglichkeit besitzt.«572 Genau besehen ist diese Intensitätsabstufung von Kontingenz und Möglichkeit sogar Voraussetzung für die zeitlich wie räumlich erstreckte Existenz der besten aller möglichen Welten. Würde nämlich immer der möglichste und am wenigsten kontingente Folgezustand mit Notwendigkeit aktualisiert, könnte damit ohne Weiteres auch die Realität der Welt reduziert werden, d. h. ihre positive Bestimmtheit bzw. ihre Komplexität und also die differenten Möglichkeiten zu weiterer Fortsetzung verringert werden. Dies widerspricht aber sowohl dem Begriff der Bestheit der Welt als auch ihrer Kontingenz. Ihr zukünftiger Verlauf wäre dann zugleich aus ihrem aktualen Zustand gemäß dem Kriterium maximaler Möglichkeit mit Gewissheit prognostizierbar. Dies ist aber nicht der Fall. Denn die maximale Möglichkeit eines Folgezustands ist gerade nicht das Maß seiner Bestheit. Soll vielmehr jeder aktuale Zustand durch den besten Folgezustand fortgesetzt werden, muss jeder mit dem jeweils aktualen Zustand prinzipiell kompossible zukünftige Zustand aktualisiert werden können, um die durchgängige Bestheit der Welt durch alle ihre Zustände zu ermöglichen. Die Bestheit der aktualen Welt entscheidet sich daher stets an der Bestheit ihrer möglichen Folgezustände, denn nur dann kann im eigentlichen Sinne von der besten aller möglichen Welten gesprochen werden. Und genau die reale Möglichkeit der besten Zukünfte verlangt die reale Möglichkeit der Aktualisierung auch maximal kontingenter und daher nicht mit Gewissheit – oder womöglich gar nicht – prognostizierbarer Folgezustände. Dies gilt, wie später noch näher auszuführen sein wird, auch für Gott: Gott weiß zwar kraft seines natürlichen Wissens, welche die beste aller möglichen Welten ist, d. h. er kann sie unter allen überhaupt möglichen Welten identifizieren und schafft den besten aller möglichen ersten Weltzustände und damit der Möglichkeit nach auch die beste aller möglichen Welten; er weiß aber nicht in derselben Weise im Voraus, dass dieser auch immer wieder in der bestmöglichen Weise fortgesetzt werden wird, obwohl er – wiederum kraft seines natürlichen WisMaterie und Monaden  |  281

sens  – weiß, welcher unter allen möglichen Folgezuständen der beste wäre. Dies bedeutet nun keineswegs die Lockerung oder Reduktion von Ordnung in der Welt. Im Gegenteil ergibt sich ein Maximum an Ordnung in der besten aller möglichen Welten durch ein Maximum an Komplexität ihrer Ordnung: In aller Vollkommenheit ist Ordnung. Deshalb ist in der vollkommensten Welt die größte Ordnung, die in einer Welt möglich ist. Also die meisten gemeinen Gesetze der Vollkommenheit, z. B. ›Je mehr, je größer, je räumlich ausgedehnter, je dauerhafter, desto – unter übrigen gleichen – besser.‹, und die am meisten zusammengesetzte Ordnung, doch so, dass alle niedrigeren und höheren Gesetze endlich im Bezug auf eines aus einem höchsten und zugleich stärksten Gesetz der Vollkommenheit erkannt werden können. 573

Freilich folgt aus der Vielzahl solcher Gesetze, welche die Komplexität maximaler Ordnung konstituieren, die Möglichkeit ihrer Kollision. Bis auf die höchste und stärkste lässt daher jede Vollkommenheitsregel stets Ausnahmen zu, »wenn sie nur nicht die größte Zusammenstimmung hinwegnehmen«. 574 Schon die Möglichkeit von Ausnahmen bedeutet, dass nicht alle Vollkommenheitsregeln, die jeweils mehrere Dinge, mithin jeweils ihre Essenz, betreffen, miteinander kompossibel sein können. Dies bereitet zunächst insofern keine Schwierigkeit, weil Gesetze, Regeln oder Normen, die Baumgarten allesamt auch »Richtschnüre« nennt, keine Dinge, Zustände oder sonstige metaphysische Sachverhalte, sondern allgemeine Sätze darstellen, die eine einem Grund entsprechende Bestimmung aussagen:575 Sätze über Gründe, d. h. logische Gebilde, sind nicht die Gründe selbst, mithin metaphysische Entitäten. Aus dieser mangelnden Kompossibilität, die sich schon deswegen stets auf Universales beziehen muss, weil sie sich auf Mögliches und also nicht vollständig Bestimmtes bezieht, ergibt sich ein Mangel an Vollkommenheit. Er muss auch der besten aller möglichen Welten zukommen, da sie nicht schlechthin gut, sondern kontingenterweise in einem bestimmten Grade so ist. Diese relative Unvollkommenheit der besten Welt zeigt sich genau an den auftretenden Ausnahmen, die Baumgarten als »Mangel aus miteinander streitenden Richtschnüren der Vollkommenheit« definiert.576 Ein solcher Wider­streit zwischen der Verwirklichung möglicher zukünfti282  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

ger Zustände führt allerdings nie zum Stillstand der Veränderung, da die Vollkommenheitsregeln wiederum vertikal geordnet sind: »Eine Richtschnur, die eine mit einem entfernteren zureichenden Grund übereinstimmende Bestimmung aussagt, wird eine höhere genannt, die eine mit einem näheren übereinstimmende aussagt, eine niedrigere. Also sind höhere Richtschnüre stärker als niedrigere, und die höchste Richtschnur ist die stärkste.«577 Nun gibt es innerhalb der kontingenten Welt keinen letzten Grund, da der Grund ihrer Existenz, der ihren ersten Zustand aus Nichts schafft, nicht zu ihr gehört: Gott ist verschieden von seiner Schöpfung. Der letzte mittelbare Grund eines jeden möglichen Folgezustands 578 ist daher jener erste Zustand, d. h. die erste Bestimmtheit des Ganzen aller einfachen bzw. der durch diese zusammengesetzten komplexen Substanzen. Dieser erste Zustand bildet zunächst die negative Bedingung aller möglichen Folgezustände. Da Baumgarten aber hier von zureichenden Gründen spricht und aus solchen gemäß dem Satz vom Gegründeten mit Notwendigkeit die entsprechende Bestimmung folgt, muss zumindest aus jedem aktualen Zustand ein weiterer folgen, und dieser muss durch den vorhergehenden auch positiv bestimmt werden. Es fragt sich dann also doch, wo hier noch Raum für Ausnahmen sein soll. Formal betrachtet liegt dieser in der Kontingenz der vollständigen Reihe, begonnen mit ihrem Erstzustand: Weil eine Vielzahl von Folgezuständen mit jedem komplexen und kontingenten aktualen Zustand verträglich bzw. kompossibel ist, kann weder genau und nur ein Folgezustand noch die ganze Reihe, zu der auch alle zukünftigen Zustände gehören, notwendig sein. Dies scheint auf den ersten Blick dem angeführten Prinzip zu widersprechen, dass jeder zureichende Grund auch eine Folge haben muss, die er begründet. Das Gegenteil ist der Fall. Denn es liegen ja bei einer Kollision mehrere bzw. mindestens zwei zureichende Gründe vor, die keine solchen wären, wenn nicht jeder von ihnen Folgen begründete. Die Folgebestimmung scheint sonach so etwas wie eine Mischung der jeweils zu begründenden Folgen darstellen zu müssen. Wenn Baumgarten also davon spricht, dass sich bei einer Kollision von Richtschnüren stets die höhere gegenüber der niedrigeren durchsetzt, mithin die Ausnahme immer von der niedrigeren her geschieht, 579 kann dies nicht heißen, dass die bestimmende Kraft des untergeordneten zuMaterie und Monaden  |  283

reichenden Grundes vollständig durch die des übergeordneten eliminiert wird. Dies verdeutlicht Baumgartens Analyse des Begriffs der Stärke einer Richtschnur: Die Größe der Übereinstimmung mit einem Grund bei einer Bestimmung, welche eine Richtschnur aussagt, ist die Stärke der Richtschnur. Ein Gesetz, das eine Bestimmung von vergleichsweise großer Übereinstimmung mit einem Grund aussagt, ist ein starkes, von geringer ist es ein schwaches. Deshalb ist das schwächste Gesetz oder das von der kleinsten Stärke, welche eine Bestimmung der kleinsten Übereinstimmung mit einem Grund aussagt. Je größer die Übereinstimmung mit einem Grund einer von einem Gesetz ausgesagten Bestimmung, desto stärker ist das Gesetz, bis es das stärkste ist, welches eine Bestimmung aussagt, worin die größte Übereinstimmung ist. 580

Ein Gesetz artikuliert generelle Grund-Folge-Beziehungen. Das Kri­ terium seiner Stärke ist die Übereinstimmung der Folge, d. h. einer Bestimmung, mit einem Grund. Je größer diese Übereinstimmung ist, desto größer ist die Erkennbarkeit der Bestimmung, deren Erkenntnis durch ein Gesetz ausgesagt wird.581 Ein Gesetz ist daher ein logischer bzw. mentaler Gegenstand, der die möglichen Beziehungen zwischen gleichzeitig oder aufeinanderfolgend gegebenen Sachen, d. h. deren Ordnung, 582 erklärt. Je komplexer diese Ordnung ist, desto komplexer muss auch das sie erklärende Gesetz sein. Es muss daher selbst aus einer Vielheit von Gesetzen verschiedener Stärke zusammengesetzt sein, deren jeweils schwächere Ausnahmen zulassen. Je komplexer die Ordnung ist, desto mehr Ausnahmen müssen also möglich sein. Es gibt folglich auch stärkere und schwächere Gründe, weil Gesetze stets Grund-Folge-Beziehungen aussagen. Die Sachen, zwischen denen innerhalb einer Welt derartige Beziehungen bestehen können, sind Dinge bzw. Zustände. Die Identität, auf der ihre Ordnung beruht, besteht zunächst in der Möglichkeit ihrer gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Existenz, aufgrund deren sie Teile ein und derselben möglichen Welt sind. Alle Teile einer möglichen Welt sind also miteinander durch Grund-Folge-Beziehungen von verschiedenster Intensität verbunden, die durch verschiedenste Gesetze ausgesagt werden. Daher bezeichnet auch der Begriff des Grundes, sofern er Gegenstand der Metaphysik ist, eine intensive Größe: »Der kleinste Grund ist, der eine einzige, sehr kleine Folge (rationatum) besitzt. Je mehr, je grö284  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

ßere Folgen er also besitzt, desto größer ist er, bis er der größte wird, der die größten, meisten Folgen besitzt. Die Größe eines Grundes aus der Anzahl seiner Folgen ist die Fruchtbarkeit, aus deren Größe die Wichtigkeit.«583 Wenn es nun stärkere und schwächere Gründe gibt und ebenso zugleich mehrere kollidierende zureichende Gründe gegeben sein können und weiterhin klar ist, dass aus derartigen Gründen mit Notwendigkeit eine Bestimmung folgen muss, dann ergibt sich aus der steigenden Komplexität des Grundes oder der Gründe auch eine Vergrößerung der Bestimmungsmöglichkeiten. Unter der Bedingung einer aktualen und kontingenten Welt wird dann eben deren Folgezustand aufgrund der entsprechenden Möglichkeiten von Ausnahmen gerade weniger festgelegt sein als durch einen weniger komplexen Grund. Die Fruchtbarkeit und die Wichtigkeit eines möglichen Grundes besteht also zwar gerade in der Vergrößerung der hypothetischen Möglichkeit, d. h. in der Verringerung der Kontingenz eines bestimmten, maximal kompossiblen Folgezustandes, ohne aber freilich dadurch den Bereich der Möglichkeiten zu Folgezuständen zu verkleinern: »Die hypothetische Möglichkeit ist die kleinste, durch die sich ein einziges sehr kleines Ding am kleinsten Zusammenhang erfreut. Je mehr, je größere in einem je größeren Zusammenhang also möglich sind, desto größer ist die hypothetische Möglichkeit, bis sie die größte ist, wo die meisten, größten im größten Zusammenhang möglich sind, d. i. die fruchtbarsten, wichtigsten Folgen der fruchtbarsten und wichtigsten Gründe.«584 Was nun für mögliche Gründe gilt, gilt ebenso für aktuale: »Der zureichende Grund ist der fruchtbarste der Gründe, dennoch gibt es unter den zureichenden einen kleinsten, der für eine einzige, sehr kleine Folge genügt. Für je mehr, für je größere Folgen einer also genügt, desto größer ist er, bis er der größte ist, der für die meisten, größten Folgen zureicht, und derselbe ist der fruchtbarste und wichtigste.«585 Jeder zureichende Grund ist fruchtbarer als jeder andere Grund, d. h. als jeder unzulängliche. Dies leuchtet auf den ersten Blick ein, da jeder zureichende Grund mit Notwendigkeit eine Folge besitzt, während ein unzulänglicher nur eine Teilbestimmung eines Einzeldings betrifft, das sich allerdings nur als Ganzes ändern kann. Um eine Folge zu haben, muss auch ein zureichender Grund aber Materie und Monaden  |  285

aktual sein: Weil ein bloß möglicher Grund keine Folge hervorbringen kann, ohne ein wirklicher zu sein, müssen auch mögliche zureichende Gründe unzulänglich genannt werden, da Gründe nur entweder zureichend oder unzulänglich sein können. Das Vorliegen eines möglichen zureichenden Grundes erlaubt also noch nicht den Schluss auf das notwendige Eintreten genau einer Folge­ bestimmung. Die Erkennbarkeit der Bestimmtheit eines zureichenden Grundes ergibt sich daher erst aus der Wirklichkeit der durch ihn begründeten Folgebestimmung, 586 die erst dann hypothetischer Notwendigkeit unterliegt. Der jeweils aktuale Zustand eines Dings – etwa der Welt – bildet also für sich genommen nur den möglichen zureichenden Grund für seinen Folgezustand, der selbst noch im Bereich des hypothetisch Möglichen liegt und prinzi­piell alle kompossiblen Folgezustände umfasst. Daher ist zwar unter der Voraussetzung unendlicher epistemischer Kompetenz eine vollständige Erkenntnis aller möglichen zukünftigen Zustände aus dem aktualen oder ersten Zustand eines Dings möglich, aber nicht die Erkenntnis aller derjenigen Zustände unter diesen, die in Zukunft wirklich sein werden. Denn ihr zureichender Grund ist noch gar nicht erkennbar, weil er, ohne einen singulären Folgezustand zu bestimmen bzw. bestimmt zu haben, nicht wirklich ist. Aus der Kontingenz der Existenz eines Dings und der hypothetischen Notwendigkeit seines aktualen Zustands bzw. seiner aktualen Bestimmtheit kann also nicht die Notwendigkeit der Folge seiner zukünftigen Zustände bzw. Bestimmtheit folgen. Genau in dieser Nichtfestgelegtheit liegt der Mangel an Vollkommenheit, der jeder kontingenten Welt, also auch der besten aller möglichen Welten zukommen muss, mithin das metaphysische Übel. Denn die Kontingenz der zukünftigen Zustände besteht gerade in der Möglichkeit des Auftretens von Ausnahmen von den multiplen Regeln der Vollkommenheit, welche in der besten aller möglichen Welten ihr Maximum erreichen, so dass auch in ihr die Möglichkeit von Ausnahmen und demzufolge die Nichtfestgelegtheit maximal groß ist. Diese maximale aktuale Nichtfestgelegtheit der besten aller möglichen Welten hinsichtlich ihrer zukünftigen Zustände bedeutet nun freilich nicht, dass ihr auch das größte meta­physische Übel innewohnt – jedenfalls nicht aktual. Die aktuale Bestheit der besten aller möglichen Welten besteht ja nicht 286  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

nur in ihrer maximalen positiven Bestimmtheit, sondern vor allem in der maximalen Möglichkeit positiver Weiterbestimmung. Da deren Verwirklichung aber kontingent ist, kann auch stets die jeweils entgegengesetzte, negative Bestimmung verwirklicht werden. Die aktual beste Welt ist also potentiell ebenso die beste wie eine weniger gute oder gar die schlechteste Welt. Daran zeigt sich die Bedeutung der Möglichkeit von Ausnahmen und die Hierarchie der entsprechenden Gesetze: Zwar besteht einerseits die Kontingenz und somit Unvollkommenheit jeder möglichen Welt gerade in dieser Möglichkeit, aber andererseits ermöglichen Ausnahmen von untergeordneten Gesetzen zugleich die Verwirklichung höherer Regeln der Vollkommenheit. Eben deswegen besteht überhaupt die Möglichkeit, dass in der besten aller möglichen Welten der Mangel an Vollkommenheit immer wieder erneut auf minimalem Grad gehalten werden kann: Ohne maximale Kontingenz keine maximale Güte. Also ist auch die Verwirklichung maximal kompossibler Folgezustände, wie sie die beste aller möglichen Welten auszeichnet, kontingent und kann zugunsten einer anderen Möglichkeit unterbleiben, wenn ein entsprechender zureichender Grund gegeben ist. Dieser kann aber nicht in einer gesetzesmäßigen Proposition, sondern er muss in irgendeinem, eo ipso einzelnen Akt bestehen, dessen Charakter als Grund durch eine derartige Richtschnur ausgesagt wird. Baumgarten spricht daher, wenn es um die aktuale Welt geht, die sich als die beste aller möglichen erweisen wird, bei der Erklärung der notwendigerweise auftretenden Ausnahmen folgerichtig auch von Kollisionen zureichender Gründe: Wenn in der vollkommensten Welt ein zureichender und ein unzulänglicher Grund der Vollkommenheit miteinander streiten, geschieht die Ausnahme vom unzulänglichen; wenn ein fruchtbarerer und ein weniger fruchtbarer miteinander streiten, geschieht die Ausnahme vom weniger fruchtbaren; wenn ein wichtigerer und ein weniger wichtiger, geschieht die Ausnahme vom weniger wichtigen; wenn ein entfernterer und ein dem entfernteren untergeordneter näherer, geschieht die Ausnahme vom näheren; wenn ein relativ zureichender und ein schlechthinniger solcher, geschieht die Ausnahme vom relativ zureichenden; wenn ein höherer und ein niedrigerer, geschieht die Ausnahme vom niedrigen. Welche Richtschnur der Vollkommenheit auch immer in der vollkommensten Welt mit der höchsten streitet, wird von ersterer ausgenommen. 587 Materie und Monaden  |  287

Diese Hierarchie der Gründe und ihrer Ausnahmen in der besten aller möglichen Welten spiegelt nun zunächst genau Baumgartens Bestimmung der Intensität des Mangels: »Ein einem zureichenden, fruchtbareren, wichtigeren, entfernteren und schlechthinnig solchen Grund entgegengesetzter Mangel ist größer als ein einem unzureichenden, weniger fruchtbaren, weniger wichtigen, entfernten und nur relativ zureichenden Grund entgegengesetzter.«588 Die beste aller möglichen Welten ist daher nichts anderes als die am wenigsten unvollkommene. Weiterhin gilt jene Hierarchie genau und nur für eben diese, am wenigsten unvollkommene und daher vollkommenste Welt. Sie gilt infolgedessen nicht absolut und schließt daher ebenso wenig die Existenz irgendeiner einzigen anderen möglichen Welt aus, in der die Ausnahmeregeln weniger vorteilhaft verteilt sind: Wenn es also die beste aller möglichen Welten auch nur als mögliche geben soll, dann darf nur diese und keine andere Hierarchie der Gründe und ihrer Ausnahmen gelten. Folglich besteht in ihrer Geltung selbst die höchste Richtschnur für die Bestheit einer möglichen Welt, da sie deren maximale positive Bestimmtheit und weitere Bestimmbarkeit aussagt und gewährleistet. Es ist deswegen völlig konsequent, wenn Baumgarten am Schluss des angeführten Paragraphen wieder von einer Regel und nicht mehr von einem Grund spricht. Denn die höchste Richtschnur sagt nur aus, wie Kollisionen von Gründen und daher auch Gesetzen in einer Welt entschieden werden müssen, damit diese die beste aller möglichen sein kann. Sie begreift daher die ganze Vielheit aller aktualen und möglichen Gründe unter sich, ohne selbst der aktuale Grund der Bestheit der Welt sein zu können, weil diese eine Vielzahl möglicherweise kollidierender aktualer Gründe enthält, deren Interaktion – und nicht die Annihilation des schwächeren durch den stärkeren  – erst die Bestheit der Welt hervorbringt  – oder auch nicht. Erst die kontingente Tätigkeit einer Vielzahl von Gründen macht die Rede von einer besten aller möglichen Welten überhaupt erst sinnvoll. Ein einziger zureichender Grund nämlich würde jede Ausnahme und damit die Möglichkeit differenter Folge­bestimmungen und also zugleich jede Graduierung ausschließen. Genau deswegen kann – über die metaphysische Ungeeignetheit ihrer Propositionalität hinaus – weder die höchste Regel noch ihr Geltungsgrund selbst als oberster oder letzter zureichender 288  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Grund fungieren. Denn daraus folgte ohne jede Kontingenz immer nur genau eine Möglichkeit der Fortbestimmung. Es gibt nach Baumgarten jedoch eine Vielzahl zureichender Gründe möglicher Fortbestimmungen und deshalb auch möglicher Gründe. Kollidieren können zureichende Gründe aber nur dann, wenn sie aktual sind. Und wenn sie aktual sind, dann müssen sie auch eine Folge begründen. Sie dürfen also auch dann, wenn die Ausnahme zu ihren Ungunsten geschieht, nicht aufhören, zureichende Gründe zu sein, müssen also immer noch Folgen haben. Es können nur nicht mehr genau dieselben sein, die sie ohne Kollision begründet hätten. Durch die Kollision ändert sich daher die Bestimmtheit eines Grundes, so dass er durch eine andere Regel ausgesagt werden muss. Ausnahmen eliminieren daher nicht die begründende Tätigkeit eines Grundes, sondern verändern nur die Proposition, die ihn generell und nach der durch ihn begründeten Folge bestimmt. Geschieht dies nach der höchsten Regel der besten Welt, trägt auch die begründende Tätigkeit eines Grundes, zu dessen Ungunsten eine Ausnahme geschehen ist, zu maximalen positiven Bestimmtheit und Bestimmbarkeit jener Welt bei. Kollisionen von Gründen, wie sie in der besten aller möglichen Welten auftreten, sind also nicht eliminatorischen, sondern integrativen Charakters und steigern daher sowohl die Einheit als auch die Komplexität dieser Welt. Die beste aller möglichen Welten enthält daher auch die maximale Anzahl zureichender, mithin aktiver Gründe und also monadisch strukturierter Dinge.

III. Was die Seele tut: Erkennen und Handeln

Darunter befinden sich auch Seelen. Sie unterscheiden sich von anderen Dingen durch potentielle Bewusstheit: »Wenn etwas in einem Ding ist, das sich etwas bewusst sein kann, ist jenes eine Seele. In mir existiert, was sich etwas bewusst sein kann. Also existiert in mir eine Seele (ich existiere durch eine Seele).«589 Zwar kann das Vorliegen eines Vermögens erst durch seine Wirklichkeit erkannt werden, so dass aktuale Bewusstheit nicht als alleiniges Kriterium der Beseeltheit eines Dings fungieren kann. Es kann daher durchaus beseelte Dinge geben, die sich nichts bewusst sind. Sie würden Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  289

folglich ausschließlich dunkle Vorstellungen besitzen und nichts erkennen, weil das bloße Haben von Vorstellungen und Denken nicht dasselbe ist. Dabei kann es sich aber nur um einen Zustand seelischer Inaktivität handeln, den das entsprechende Ding auch verlassen kann, wenn ein geeigneter Grund gegeben ist. Denn der Begriff der Seele ist ja durch nichts anderes als durch Bewusstsein bzw. durch Denken definiert. Daher kann es auch kein Ding geben, dessen Vermögen zu denken essentiell unaktualisiert bleiben muss. Ein Ding, das also gerade nicht denkt, obwohl es dies kann, wird deswegen jedenfalls in anderer Weise aktiv sein und demnach existieren müssen, da jede Substanz tätig ist. Ein Ding kann deswegen auch Vorstellungen haben, ohne zu denken, wenngleich seine Beseeltheit ihm selbst wie auch jedem endlichen Verstand verborgen bleiben wird. Im Rahmen der empirischen Psychologie kann folglich über Beseeltheit nur aus der Perspektive der Ersten Person befunden werden. Das individuelle Ich ist daher diejenige Funktion der Seele, die ihre Bewusstheit ausmacht, es ist aber nicht mit der Seele identisch. Es gibt nämlich kein Bewusstsein, das von wie immer bestimmten Vorstellungen unterscheidbar wäre, wenn Bewusstheit überhaupt mit der Tätigkeit des Unterscheidens beginnt. Weil von der Wirklichkeit auf die Möglichkeit – jedoch nicht umgekehrt – ein gültiger Schluss führt, muss es etwas geben, das zwar denken kann, aber nicht muss, und dies ist die Seele. Solange aber die bewussten Vorstellungen eines Denkenden nur aus der Per­ spektive der Ersten Person zugänglich sind und die Seele das­jenige ist, was denken bzw. sich ihrer vorstellenden Tätigkeit bewusst sein kann, muss sie auch der zureichende Grund der Bewusstheit der ihr bewussten Vorstellungen sein.590 Weil aber das individuelle Ich selber eine Vorstellung ist, in der aufgrund ihrer Bewusstheit etwas von etwas unterschieden werden muss, ist die Seele auch der zureichende Grund des individuellen Ich, so dass Baumgarten sagen kann: ›Ich existiere durch die Seele.‹

290  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

1. Seele und Bewusstsein

Resultiert die Vorstellung des individuellen Ich, die jeder Vorstellung zugrunde liegt, welche einem Vorstellenden durch das Personalpronomen der Ersten Person Singular zugeordnet wird, aus der Unterscheidung der vorstellenden Seele selbst von anderem, muss dieses andere erst einmal gegeben sein, um jene Unterscheidung zu ermöglichen. Die Existenz eines individuellen Ich, die in der Bewusstheit seiner Vorstellungen liegt, setzt also von diesem unterscheidbare Vorstellungen voraus. Da die Seele aus sich heraus von selbst keine Vorstellungen erzeugen kann, sondern nur deren Bewusstheit, erfordert die Existenz eines kontingenten Bewusstseins, dessen Kontingenz nur in der Kontingenz seiner Inhalte bestehen kann, die Existenz einer Welt als Quelle unbewusster Vorstellungen bzw. von Perzeptionen, die apperzipiert werden können. Der Gegenstand des Denkens ist daher zunächst diejenige Welt, in welcher der Vorstellende existiert: »Meine Seele denkt wenigstens einige Teile dieses Universums. Also ist meine Seele eine Kraft, welche dieses Universum wenigstens teilweise vorstellen kann.«591 Alle Teile des Universums sind komplexe, monadisch strukturierte Substanzen. Deren gleichzeitige Existenz bedingt dessen räumliche Erstreckung und damit die Körperlichkeit jener Teile. Jedes bewusste Vorstellen, mithin jeder Denkakt stellt eine akzi­ dentiell bestimmte Veränderung der Seele dar und setzt damit Zeitlichkeit. Kontingente individuelle Bewusstheit ist folglich an Körperlichkeit gebunden. Aus den bereits zu Anfang erörterten Gründen ist demnach der eigene Leib und sein Zustand der erste Gegenstand des Bewusstseins, so dass auch jeder Bewusstseins­ zustand leibliche Zuständlichkeit voraussetzt bzw. irgendeinen leib­lichen Zustand impliziert, ohne freilich auf diesen reduzibel zu sein: »Ich denke einige Körper dieses Universums und deren Veränderungen, von diesen weniger, von jenen mehr, von einem einzigen die meisten, und der letztere ist freilich Teil von mir, deshalb ist es mein Leib, von dessen Veränderungen ich mehr denke als die irgendeines anderen Körpers.«592 Die erste, Bewusstheit indizierende Unterscheidung, die vollzogen werden kann, ist also die zwischen dem eigenen Leib des Vorstellenden und Dingen bzw. Vorstellungen, die nicht zu diesem Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  291

gehören. Es liegt auf der Hand, dass diese in der bereits dargelegten Weise durchaus allein mit den Mitteln ästhetischer Erkenntnis, d. h. frei von universalen Begriffen, gewonnen werden kann. In dieser fundamentalen Gebundenheit des Vorstellungszustands einer kontingenten individuellen Seele an den Leib liegt auch der metaphysische Grund der partiellen Dunkelheit ihrer Vorstellungen. Denn die Position des Leibes im Universum ist durch Ort, Zeit und Lage bestimmt.593 Daher dependiert auch der individuelle Vorstellungszustand und folglich auch die Qualität der verschiedenen – teils bewussten, teils unbewussten – unterscheidbaren Teile der stets gegebenen Totalvorstellung des Universums 594 von der kontingenten Position des Leibes: »Aus der Stelle meines Leibes in diesem Universum kann erkannt werden, warum ich dies dunkler, jenes klarer, jenes deutlicher wahrnehme, d. i.: Meine Vorstellungen richten sich nach der Stelle meines Leibes in diesem Universum.«595 Im Gegensatz also zu einem unendlichen Geist, der alle möglichen einzelnen Dinge bzw. Welten vollständig klar und deutlich erkennt, selbst kein Teil einer kontingenten Welt sein kann und folglich eine externe Perspektive auf alle Welten einnimmt, ist jeder endliche Geist selbst Teil einer kontingenten Welt. Er erkennt diese daher nur aus interner Perspektive und jede andere mögliche Welt ausschließlich unter eben dieser Bedingung. Also kann er keine davon jemals vollständig klar und deutlich erkennen. Die notwendige Dunkelheit, die jeder Erkenntnis von Kontingentem durch Kontingentes zukommt, folgt demnach aus der notwendigen Perspektivität des Vorstellens, die einer individuellen Seele eignet. Sie folgt mithin schlicht aus ihrer Kontingenz. Wenn nun jede klare und deutliche Erkenntnis aus derart interner Perspektive die Realität eines jeden Einzeldings, auf das sie sich nur mittelbar, d. h. durch universale Begriffe, beziehen kann, unterschreitet, muss dies ebenso für die Erkenntnis gelten, die ein denkendes Ding von sich selber gewinnen kann.596 Weil dies nicht ohne einen Leib in der wirklichen Welt existieren kann, kann auch diese Erkenntnis auf der Basis ästhetischen Erkennens bestenfalls ästhetikologisch sein. Bewusstsein ist daher zwar stets zuallererst Bewusstsein der eigenen Existenz, mithin Bewusstsein seiner selbst, aber dies involviert nicht notwendigerweise dessen extensionale Bestimmung in propositionaler Form, wie sie durch den 292  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Gebrauch des Personalpronomens in der Ersten Person Singular ausgedrückt wird. Denn der Ausdruck »Ich« ist ein universaler Term, der von jedem seiner selbst bewussten, d. h. sich von anderem unterscheidenden Ding in Propositionen, deren Gegenstand dieses Ding selbst ist, in gleicher Weise verwendet wird. Selbstbewusstsein und Ich-Bewusstsein sind also nicht dasselbe, und die Erkenntnis der eigenen Existenz impliziert nicht bereits Wissen darum, was es ist, das da existiert. Dies kann vor dem Hintergrund von Baumgartens ebenso weitem wie basalem Begriff von Erkenntnis kaum verwundern. Es gilt ja jeder Komplex von Vorstellungen als solche, so dass Erkenntnis und Wissen voneinander verschieden sind:597 Jedes Wissen ist ein Vorstellungskomplex, 598 aber nicht jeder Vorstellungskomplex ist Wissen, wie es durch eine wahre Proposition ausgesagt wird. Erkenntnis ist daher in jedem Fall ein mentaler Gegenstand, dem irgendeine Form von Einheit zukommt, ohne dass er auch in jedem Fall in allen seinen Teilen bewusst sein müsste. Bewusstsein nämlich beginnt erst mit der Unterscheidung von Verschiedenem, 599 also in seiner einfachsten Form mit der Unterscheidung des Erkennenden selbst von anderem. Daher impliziert der Begriff des Bewusstseins bereits ein Mindestmaß an Klarheit. 600 Denn er enthält in jedem Fall die Unterscheidung eines Gegenstandes von dem, was nicht zu ihm gehört bzw. was er nicht ist. Dies erfordert aber nicht schon die logische Bestimmung, mithin die klare und deutliche Erkenntnis, der verschiedenen beteiligten Gegenstände bzw. Vorstellungskomplexe. Jedes Ding, das Vorstellungen hat, ist prinzipiell im Stande, sich selbst von anderen Dingen zu unterscheiden, wenn es die Verschiedenheit vorliegender Vorstellungskomplexe bemerken kann. Dies involviert wenigstens den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Denn dieser fungiert als negatives Prinzip der Einheit von Verschiedenem, und jeder komplexe Gegenstand ist aus Verschiedenem zusammengesetzt. Sollen indes mehr als zwei Vorstellungskomplexe voneinander unterschieden werden, reicht dieses Kriterium nicht mehr zu. Dann nämlich, wenn ein dritter von einem zweiten zu unterscheiden ist, genügt die bloß nega­tive Identifikation des ersten nicht mehr, so dass auch der Satz der Identität zumindest in seiner negativen Form des principium identitatis indiscernibilium zur Verfügung stehen muss. Umfasst die DiffeWas die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  293

renzierung darüber hinaus noch die Zuständlichkeit bzw. Veränderlichkeit jener mentalen Gegenstände, kann dies nur durch den Satz vom zureichenden Grund als Identitätsprinzip geschehen. All diese transzendentalen Prinzipien der Metaphysik und damit a fortiori auch der Erkenntnis müssen nun nach Baumgarten auch in der ästhetischen Erkenntnis als einfachste Gestalt von Bewusstsein zum Tragen kommen. Denn sie bedingen schon die Möglichkeit einer komplexen Einheit von Vorstellungen und damit zugleich die Unterscheidbarkeit von Gegenständen sowohl im metaphysischen wie im epistemischen Sinn: Die transzendentalen Prinzipien der Metaphysik und der Logik wie der Ästhetik bzw. aller Erkenntnis sind ein und dieselben. Denn weil sie mit Notwendigkeit und ausnahmslos für alles Mögliche, d. h. für alle möglichen Welten und Gott, gelten, müssen sie auch für die Tätigkeit der Seele gelten, sofern diese überhaupt Seiendes ist und sich im Erkennen verändert. Die erkennende Tätigkeit der Seele unterliegt also  – mag ihr dies bewusst sein oder nicht  – den transzendentalen Prinzipien. Aus ihr resultieren Vorstellungskomplexe, deren Vorliegen bereits Bewusstsein impliziert, weil sie nur mit einem Mindestmaß an Klarheit bzw. Differenziertheit überhaupt vorgestellt werden können. Daher ist das bloße Haben von Vorstellungen auch nicht schon Erkenntnis. Nun besitzt eine weltlich, d. h. außerhalb des göttlichen Geistes existierende Seele zuallererst sinnliche Empfindungen, da ihre Vorstellungen zuerst den eigenen Leib betreffen. Die Gegebenheit sinnlicher Empfindungen schließt, wie schon die bloße Möglichkeit von petits perceptions erweist, aber keineswegs deren Bewusstheit ein. Denn sie gruppieren sich nicht von selbst zu komplexen Einheiten, die mögliche Dinge in der Welt repräsentieren. Sie bilden demnach nicht von selbst Vorstellungen von Dingen, sondern allenfalls solche von einzelnen Qualitäten, die ordnungslos gegeben sind und auf diese Weise das, was existiert, gleichfalls vorstellen. Die Aktivität, in welcher die Existenz von Monaden besteht, reicht zwar jederzeit zur bewusstlosen Repräsentation des Universums zu, 601 aber nicht alle Monaden gelangen zu Bewusstsein, wie sie dies tun, wenn sie weltlich existente Seelen602 sind und daher über sinnliche Empfindungen verfügen: »Indem die Monaden ihre Welt repräsentieren oder sich diese vorstellen, sind sie sich ihrer Vorstellung wenigstens zum Teil bewusst oder 294  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

nicht. Deshalb stellen auch die Monaden dieses Universums diese Welt entweder nur in dunkler Weise oder wenigstens zum Teil in klarer Weise vor. Jene sind die im tiefen Schlaf liegenden Monaden (monadae nudae).«603 Vorstellungen haben und sich etwas vorstellen sind also verschieden. Dabei indiziert der reflexive Ausdruck differenzierende Aktivität, d. h. die Anwendung der transzendentalen Prinzipien auf die gegebenen Vorstellungen, mithin sinnliche Empfindungen, um zu einheitlichen Vorstellungskomplexen zu gelangen. Ist dies der Fall, liegt Erkenntnis bzw. Bewusstsein vor, ohne dass dies schon propositional verfasst und durch extensional definierte Begriffe bestimmt sein müsste. Diese primäre und fundamentale Erkenntnis der kontingenten Welt ist offenkundig ästhetischer Natur und involviert das Bewusstsein der Existenz differenter Gegenstände, d. h. zumindest das Bewusstsein der Differenz zwischen dem, was zum Erkennenden selbst gehört und was nicht. Dabei kommt es jedoch keineswegs auf das Bewusstsein an, was all diese diversen Gegenstände denn ihrer Bestimmtheit nach sein mögen. Rein ästhetische Erkenntnis reicht vielmehr nicht weiter als bis zum Bewusstsein, dass da differente Einzeldinge sind. Gerade deswegen ist sie für jedes Wissen von kontingentem Wirklichen fundamental. Das Bewusstsein, dass da etwas Wirkliches ist, ist nicht nur verschieden von dem Wissen darum, was das ist, sondern schon die Möglichkeit des Letzteren setzt die Wirklichkeit des Ersteren voraus. Die Aktualität ästhetischen Erkennens ist sonach gleichsam der Naturzustand einer jeden Seele, die außerhalb Gottes weltlich, mithin durch einen belebten Körper existiert. Das Bewusstsein der eigenen Existenz im Unterschied zur Existenz anderer Dinge impliziert daher nicht bereits Verstandesfunktionen. Diese sind nur bei logisch bestimmter Erkenntnis erforderlich: Die die Welt in klarer Weise vorstellenden Monaden stellen sich d ­ iese wenigstens zum Teil deutlich vor oder nicht. Die ersteren sehen ein. Also haben sie das Vermögen, deutlich erkennen zu können, d. i. Verstand (intellectus) (im strengen Sinne). Eine mit Verstand begabte Substanz, d. i. mit dem vorgenannten Verstand, ist ein Geist (spiritus, intelligentia, persona). Also sind die mit Verstand begabten Monaden dieses Universums Geister. Einer, der in dieser Welt nur Geister zugibt, ist ein Idealist. 604 Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  295

Nicht jede Seele ist also ein Geist, aber jeder Geist ist eine Seele. Die Existenz einer jeden Seele besteht in ihrer erkennenden Aktivität, d. h. jedes beseelte Ding bzw. jedes Lebewesen ist sich seiner Verschiedenheit von anderen Dingen bewusst: Ein Löwe verwechselt sich ebenso wenig mit der Gazelle, die er jagt, wie sich ein Plattwurm mit der Säurequelle verwechselt, die er flieht. Dieses basale Selbstbewusstsein darf nicht mit Ich-Bewusstsein verwechselt werden, wenngleich dieses jenes freilich voraussetzt. Denn Ich-­ Bewusstsein kann nur durch reflexive Urteile ausgesagt werden, die den Gebrauch extensional definierter bzw. vollständig extensional analysierbarer und beliebig spezifizierbarer Begriffe verlangen, wie er nur endlichen Geistern möglich ist. Der Unterschied zwischen beiden Bewusstseinsarten liegt also nur in den Erkenntnisvermögen, die aktiviert werden können. Dies ist weniger trivial, als es klingt. Zwar involviert jede Art von Erkenntnis die transzendentalen Prinzipien. Allerdings setzt auch klare und deutliche Erkenntnis, sofern sie durch auf ästhetischer Basis gebildete Begriffe kontingenten Inhalts geschieht und also nicht rein logischen bzw. formalen Charakters ist, nicht mit Notwendigkeit zugleich die klare und deutliche Erkenntnis dieser Prinzipien voraus. Sonst nämlich wäre letztlich, ohne mit Erfolg allgemeine Metaphysik betrieben zu haben, deren Gegenstand jene Prinzipien sind, gar keine Erkenntnis der Welt möglich. Derartige Absurditäten wird und muss zumindest Baumgarten nicht behaupten. Der Unterschied zwischen Selbst- und Ich-Bewusstsein kann also nicht einfach darin bestehen, dass der Gebrauch jener Prinzipien im ersten Fall unbewusst, im zweiten jedoch bewusst erfolgt. Allenfalls wird man sagen müssen, dass ein Geist, weil er reflexive Urteile auf ästhetischer Basis zu fällen vermag, eo ipso auch das Vermögen besitzen muss, sich der transzendentalen Prinzipien, die er im Erkennen anwendet, bewusst zu werden und diese sodann auch bewusst gebrauchen zu können. Ich-Bewusstsein schließt daher nur das Vermögen ein, die Funktionsweise des eigenen Geistes klar und deutlich zu erkennen, soweit diese universalen Prinzipien folgt, die eben nicht allein für ihn selbst, mithin subjektiv gelten, sondern für alles, was überhaupt existieren kann. Die Rede von der Angeborenheit jener Prinzipien führte demnach in die Irre, weil sie eine falsche Beschränkung auf bestimmte Klassen von Dingen suggeriert. Erkennt er die tran­ 296  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

szendentalen Prinzipien nun klar und deutlich, ist ein endlicher Geist imstande, mit den Mitteln der logischen Analyse den Wahrheitswert seiner Aussagen zu untersuchen und zu beurteilen. Dies erweitert ohne Zweifel seinen epistemischen Horizont. Denn er kann dann jenseits des bloßen Operierens mit Versuch und Irrtum sowohl Mögliches und Unmögliches als auch in dieser Welt mehr oder weniger Wahrscheinliches sowohl prospektiv als auch retrospektiv unterscheiden. Insofern trifft es durchaus zu, dass das Betreiben von Wissenschaft bzw. Philosophie zur Vervollkommnung des endlichen Geistes beiträgt, weil es nicht nur seinen natürlichen Vermögen entspricht, sondern auch die Bewältigung seiner Existenz ungemein erleichtern kann. Jedoch ist die Aktualisierung dieses speziellen Vermögens, das jedem endlichen Geist zukommt, per definitionem keineswegs notwendig, kann also auch unterbleiben. Dies gilt allerdings ebenso für die Aktualisierung des generellen Vermögens zu klarer und deutlicher Erkenntnis, dessen Betätigung das basale Selbstbewusstsein vom Ich-Bewusstsein unterscheidet. Es fehlt beidenthalben ein zureichender Grund, der nicht schon in der bloßen Begabtheit des endlichen Geistes mit dem Erkenntnisvermögen des Verstandes liegen kann.

2. Existenz und Streben: Vom Trieb zur Willensfreiheit

Wie die Frage nach dem zureichenden Grund solch propositionaler Erkenntnis zu beantworten ist, zeigt Baumgartens dynamische Definition der menschlichen Seele am Anfang seiner rationalen Psychologie: Die menschliche Seele stellt sich ihren Leib gemäß der Willkür (pro arbitrio) vor. Also handelt sie, bewegt auch ihren Leib. Also begehrt (appetit) und meidet (aversatur) sie. Also handelt sie und ist die Kraft, die ihren Leib vorstellen kann. Der menschliche Leib ist Stoff, deshalb teilbar und noch dazu veränderlich und ebenso ein wirkliches, endliches Ding, ein Teil der Welt. Aus der Stelle des menschlichen Leibes im Universum kann erkannt werden, warum die menschliche Seele dieses, anderes nicht, auf dunkle, klare, deutliche Weise erkennt. Also ist die menschliche Seele die Kraft, die das Universum gemäß der Stelle des menschlichen Leibes in demselben vorstellen kann. 605 Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  297

Ganz offensichtlich ist der entscheidende Punkt die Einführung des Begriffs der Willkür in die Definition. Baumgarten widmet ihm im Rahmen der Untersuchung des oberen, d. h. »vernünftiger Begierden und Abneigungen« fähigen606 Strebevermögens einen eigenen Abschnitt seiner empirischen Psychologie. Dort findet sich folgende Bestimmung: Das Belieben (lubitus) ist die Erkenntnis, wodurch eine Substanz mächtig ist (pollet), aus welcher gemäß der Richtschnüre der Begierden und Abneigungen erkannt werden kann, warum sie sich so und nicht auf andere Weise bezüglich einer freien Handlung (actionem liberam) durch einen Vollzugsgrund bestimmen mag. Aber dies kann aus Vorausschau, Erwartung, Lust oder Unlust, sinnlichen Triebfedern (stimulis) und Bewegungsgründen (motivis) erkannt werden. Also bilden Vorausschau, Erwartung, Lust oder Unlust, sinnliche Triebfedern und Bewegungsgründe, welche von einer bestimmten Substanz erkannt werden, deren Belieben. Wenn eine Substanz ihre Kraft bezüglich einer freien Handlung durch einen Vollzugsgrund so bestimmt, wie er aus ihrem Belieben erkannt werden kann, begehrt sie oder ist sie abgeneigt nach Belieben. Wer also entweder nicht Vorausgesehenes oder etwas, das er durchaus nicht erwartet, durch irgendeine eigene Anstrengung zur Wirklichkeit bringt, oder, indem er weder Gefallen noch Missfallen hat, ohne irgendwelche sinnliche Triebfedern und irgendwelche Bewegungsgründe begehren würde oder abgeneigt wäre, begehrt nicht, ist nicht abgeneigt nach Belieben. Vieles begehre ich, vielem bin ich abgeneigt nach Belieben. Also habe ich das Vermögen, nach meinem Belieben begehren und abgeneigt sein zu können, d. i. Willkür (arbitrium). Handlungen, die nach Belieben zu bestimmen in die Macht einer bestimmten Substanz gesetzt ist, sind selber willkürlich (arbitrariae). Viele Handlungen von mir sind willkürlich. 607

Willkür impliziert stets Bewusstsein. Es kann also keine willkür­ lichen Handlungen geben, die unbewusst vollzogen werden. Daher setzt auch der wiederum kontingente Übergang zum Ich-Bewusstsein bereits Bewusstsein, zumindest in Gestalt basalen Selbstbewusstseins voraus. Dessen Besitz ist demzufolge nicht Gegenstand der Willkür, sondern gehört zur Existenz eines beseelten Dings. Ist nämlich ein Monadenkomplex eine Seele, besteht ihre grundlegende Aktivität in der Erkenntnis ihrer eigenen Existenz mit der fundamentalen Unterscheidung ihrer selbst von anderem, d. h. in der Herstellung differenter Vorstellungskomplexe. Eine Seele exis298  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

tiert daher zwar kontingenterweise, aber das Bewusstsein ihrer eigenen Existenz, das sie besitzt, ist nicht kontingent. Es braucht daher keinen weiteren zureichenden Grund für dessen Erklärung. Zugleich ist das Belieben, das willkürliche Handlungen erst ermöglicht, selbst Erkenntnis, nämlich Erkenntnis möglicher Bestimmungsgründe von Handlungen, d. h. Begierden oder Abneigungen, die erst dann bewusst verfolgt oder gar kontrolliert werden können, wenn sie erkannt sind. Dabei kann diese Erkenntnis sowohl durch die Tätigkeit des analogon rationis, d. h. ästhetisch, erfolgen als auch vermittels der oberen Erkenntnisvermögen, mithin logisch. Nun ist jede derartige Strebung, sofern sie überhaupt eine solche ist und bewusst verfolgt werden kann, auf Zukünftiges gerichtet, genauer auf einen zukünftigen Zustand des Strebenden selbst, der – als solcher oder durch den Strebensgegenstand bedingt – begehrt oder vermieden wird und selbst nicht wieder nur dieselbe Begierde oder Abneigung sein wird. Weder ein vergangener noch ein gegenwärtiger Zustand kann freilich als solcher angestrebt werden, allenfalls die Wiederherstellung eines dem Ersteren gleichen oder die Aufrechterhaltung des Zweiteren in der Zukunft sind mögliche Strebensgegenstände. Erkennt das basale und rein sinnliche Selbstbewusstsein nun zuallererst den eigenen aktualen leiblichen Zustand, wird dieser Erkenntnis zunächst nur das Streben nach dessen Aufrechterhaltung oder nach seinem Verlassen zugunsten eines anderen Zustands entsprechen können. Hierzu ist aber genaugenommen noch gar keine bewusste Vorstellung des eigenen, in der Zukunft möglichen Zustands nötig: Weder die Aufrecht­ erhaltung eines gefälligen noch das Verlassen eines missliebigen Zustands erfordern notwendigerweise auf einen positiv bestimmten Folgezustand gerichtete Aktivitäten  – wohliges Sich-Räkeln oder panische Flucht etwa reichen dazu völlig aus. Dadurch wird aber auch noch nicht die Richtschnur des Begehrungsvermögens (lex facultatis appetitivae) erfüllt, so dass hier ebenso wenig von Belieben gesprochen werden kann. Baumgarten nämlich formuliert dieses Gesetz unter Einbeziehung der perspektivischen Bestimmbarkeit von Gut und Übel wie folgt: »Die Richtschnur des Begehrungsvermögens ist diese: ›Welches durch meine Anstrengung in Zukunft wirkliche Gefallen ich, indem ich es vorhersehe, erwarte, bemühe ich mich hervorzubringen. Welches durch meine Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  299

Anstrengung verhinderbare Missfallen ich, indem ich es voraussehe, erwarte, dessen Entgegengesetztes begehre ich.‹ Deshalb kann ich viel Gutes und Übles in Hinsicht auf das Gute begehren. Vielem Üblen und Guten kann ich in Hinsicht auf das Üble abgeneigt sein.«608 Belieben und damit Willkür schließt daher stets nicht nur Bewusstsein, sondern darüber hinaus eine bewusste Bezogenheit auf Zukünftiges ein. Diese wird durch gewohnheitsbedingte Vorausschau und durch konstruktive Erwartung ähnlicher Fälle gewährt, die beide in vergangenen Wahrnehmungen gründen. Jedoch unterliegt nicht jedes Zukünftige, das vorhergesehen und erwartet werden kann, auch dem Belieben. Viele zukünftige Zustände resultieren nämlich aus Veränderungen, die zwar aus der eigenen Aktivität der sich verändernden Substanz erfolgen  – mithin Handlungen darstellen  –, aber nicht anders geschehen oder unterlassen werden können, sondern natürlicher Notwendigkeit. Sie sind schlicht durch die Beschaffenheit der Welt bedingt und müssen so und nicht anders vollzogen werden, während willkürliches Handeln ja schon die Möglichkeit alternativer Bestimmungen impliziert: Mir physisch mögliche Handlungen stehen in meiner Gewalt, mir physisch unmögliche positive Bestimmungen stehen nicht in meiner Gewalt. Also steht eine bestimmte Handlung bald nur schlechthin (simpliciter), bald auch in Bezug auf etwas (secundum quid) in meiner Gewalt, steht eine bestimmte Handlung bald auch schlechthin, bald nur im Bezug auf etwas nicht in meiner Gewalt. Das Entgegengesetzte von Handlungen, die in der Gewalt irgendeines Tätigen stehen, steht entweder auch in der Gewalt desselben Tätigen oder nicht, und jedes von beiden wieder bald schlechthin, bald in Bezug auf etwas. Welche davon zusammen mit ihren Gegenteilen wenigstens schlechthin in jemandes Gewalt stehen, sind eben diese, bei denen Tun und Lassen in meiner Gewalt steht (liberae ratione exsequutionis), deren Gegenteil schlechthin über jemandes Gewalt geht, sind selbst bloß natürlich (mere naturales). Eine durch den Vollzugsgrund freie Handlung (sc. bei der Tun und Lassen in meiner Gewalt steht), deren Gegenteil aus der Hinsicht eines bestimmten Tätigen die gleiche physische Möglichkeit zukommt, ist demselben gleich leicht und schwer (physice indifferens). 609

Alle physischen Veränderungen von Teilen der Welt bzw. der Welt insgesamt müssen, um eintreten zu können, in der Gewalt 300  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

der Dinge liegen, die sie vollziehen. Jede solche Veränderung steht daher zunächst unter der Bedingung der Beschaffenheit bzw. des aktualen Zustands der Welt, in der sie vollzogen wird; sie geschieht also mithin im Bezug auf diese (secundum quid). Daraus folgt allerdings keineswegs bereits die Unmöglichkeit ihres Gegenteils, d. h. die schlechthinnige Notwendigkeit der eintretenden Veränderung. Zwar vollziehen Dinge eine Vielzahl von Veränderungen, deren Unterlassung nicht in ihrer Gewalt steht, jedoch folgt da­ raus nicht die unbedingte Notwendigkeit ihres Vollzugs: Zwar ist die Aufrechterhaltung der Herztätigkeit für die Fortexistenz eines Menschen unerlässlich, jedoch folgt daraus nicht ihre Aufrechterhaltung in der Zukunft, obwohl sie kein Mensch unterlassen kann, weil ihm dies physisch unmöglich ist – wenngleich er freilich wiederum bestimmte Handlungen vollziehen kann, um diese zu beenden. Schlechthinnige physische Unmöglichkeit ist daher von absoluter logischer Unmöglichkeit zu unterscheiden, da Erstere dadurch bestimmt wird, was ein Ding seinem Wesen nach ist und was es tun kann, sofern es existiert. Aus dieser essentiell wie existen­tiell bedingten, mithin hypothetischen Notwendigkeit zum Vollzug bestimmter Handlungen folgt also wiederum nicht die schlechthinnige Notwendigkeit ihres Vollzugs in der Zukunft, auch wenn ihr Nicht-Vollzug nicht in der Gewalt des Handelnden steht. Derartige Handlungen nennt Baumgarten ›bloß natürlich‹. Alle anderen Handlungen sind hinsichtlich ihres Vollzugsgrundes frei, d. h. sowohl ihre Ausführung als auch ihre Unterlassung stehen in der Gewalt des Handelnden, sind also mögliche Gegenstände der Willkür. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob die Verwirklichung einer der beiden entgegengesetzten Alternativen in Bezug auf den aktualen Zustand der Welt bzw. des Handelnden physisch unmöglich ist. Denn derart kontingente physische Unmöglichkeit eliminiert weder die Möglichkeit der Erkenntnis eines Vollzugsoder Unterlassungsgrundes, wenngleich dieser nicht zur Verwirklichung der jeweiligen physischen Veränderung zureichen mag, noch die Verfolgung der dementsprechenden Begierde oder Abneigung. Gleiches gilt a fortiori für nicht physisch indifferente Handlungsalternativen, deren Verwirklichung demnach mit größeren oder geringeren Schwierigkeiten bzw. Anstrengungen verbunden ist, die prinzipiell von Beschaffenheit und Zustand des Handelnden Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  301

abhängen: Die individuelle Disposition des Handelnden hebt nicht das Belieben auf, d. h. die Möglichkeit, eine durch einen Vollzugsgrund bestimmte Handlung auszuführen und eine oder mehrere andere zu unterlassen. Nun wäre aber ein essentiell und existentiell mögliches Begehren oder Abgeneigt-Sein, dessen Erkenntnis den Handelnden zur Willkür ermächtigt, bei gleichzeitiger natürlicher Festgelegtheit aller in Zukunft möglichen Zustände der Welt, d. h. bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Verwirklichung der durch das Belieben erkannten Vollzugsgründe, widersinnig. Denn sonst bildete die aktual existente Welt keine Einheit mehr, und es müsste also wenigstens zwei verschiedene Welten zugleich geben. Folglich können nicht alle weltverändernden Handlungen bloß natürlich sein: »Bloß natürliche Handlungen sind in natürlicher Weise notwendig. Deswegen sind die von diesen scharf unterschiedenen durch den Vollzugsgrund freien Handlungen physisch zufällig (physice contingentes). Deshalb werden die zukünftigen zuweilen schlicht das Zufällig-Künftige (futura contingentia) genannt.« 610 Ins Belieben des Handelnden ist also sowohl das Streben nach bestimmten zukünftigen Zuständen gestellt als auch – sofern die kontingente physische Möglichkeit dazu besteht – deren willkür­ liche Verwirklichung vermittels physischer Veränderung der Welt. Solche möglichen Veränderungen unterliegen keinerlei in die Zukunft gerichteter hypothetischer Notwendigkeit, wie dies – allerdings nur in der negativen Form des Nicht-Unterlassen-Könnens – für die bloß natürlichen Handlungen gilt. Contingentia futura sind daher auf der Basis der negativen Bestimmtheit der Fortsetzungsmöglichkeit des aktualen Weltzustandes durch dessen auf Vergangenheit und Gegenwart bezogene hypothetische Notwendigkeit – wenn schon nicht immer physisch, so doch stets im Bezug auf die Substanz, für die sie contingentia futura sind – indifferent. Baumgarten verdeutlicht dies auf die spätestens seit Luis de Molina klassische Weise, 611 nämlich anhand der Abwesenheit von Nötigung (necessitatio): Die innere Nötigung, welche von einer inneren Bestimmung der genötigten Substanz abhängt und den Substanzen und ihren Handlungen zukommt, 1.) ist wesentlich (absoluta, essentialis), sofern die Handlungen der Substanzen dafür gehalten werden, dass sie allein vom Wesen derselben genötigt werden. Eine derartige Nötigung ist, sofern sie 302  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Handlungen zu absolut notwendigen veränderte, gänzlich unmöglich, 2.) sofern durch die Natur einer bestimmten Substanz andere Handlungen unter physisch kontingenten zu jener Natur schlechthin oder im Bezug auf etwas notwendiges verändert werden, [ist die innere Nötigung] physisch. Deshalb können bloß natürliche Handlungen durch innere physische Nötigung genötigt genannt werden. Handlungen und Substanzen, die nach keiner von beiden dieser Bedeutungen innerlich genötigt sind, sind frei von der inneren sowohl wesentlichen als natürlichen Nötigung. Nun aber sind durch den Vollzugsgrund freie Handlungen und Substanzen, welche und insofern sie derartige Handlungen vollbringen, nach keiner dieser beiden Bedeutungen innerlich genötigt, also sind sie ebenso frei von wesentlicher wie physischer innerer Nötigung. 612

Bezieht sich innere Nötigung auf eine Veränderung des eigenen Zustands durch die Tätigkeit der sich verändernden Substanz, welche diese nicht nicht vollziehen bzw. nicht unterlassen kann, sieht man sogleich, dass sie Rede von absoluter bzw. positiv essentiell bestimmter innerer Nötigung Unsinn ist. Denn die Essenz einer Sache ist aufgrund ihrer Notwendigkeit schlechthin unveränderlich, und die aus ihr abgeleiteten attributiven Bestimmungen involvieren keine Veränderung, so dass die Essenz auch nicht durch die Existenz eines entsprechenden Dings, die bei endlichen Dingen selbst ein Modus ist, tangiert werden kann. Veränderung setzt also zumindest Existenz und Endlichkeit voraus. Erst unter dieser Bedingung kann es somit überhaupt Veränderungen geben, die unter den Begriff der inneren Nötigung fallen, weil sie das sich verändernde Ding nicht von sich aus unterlassen und zugleich fortexistieren kann. Auch dadurch gewinnt ihr zukünftiger Vollzug aber nicht Notwendigkeit im strengen Sinne, weil die Existenz eines kontingenten Dings eben gerade nicht notwendig ist. Bloß natürliche Handlungen sind deshalb für das Ding, das sie vollzieht, zwar physisch notwendig, daraus folgt aber keineswegs mit Notwendigkeit ihr zukünftiger Vollzug. Sie bleiben also trotz – oder eigentlich: wegen  – ihrer bloß natürlichen und daher hypothetischen Notwendigkeit im metaphysischen Sinne kontingent. Kontingenz und Indifferenz sind daher verschieden: Jede indifferente Handlung ist kontingent, aber nicht jede kontingente aktive Veränderung ist indifferent. Der Begriff des contingens futurum sollte folglich eigentlich den der Kontingenz spezifizieren. Dies wirkt auf den ersten Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  303

Blick durchaus irritierend, weil strenggenommen jede kontingente Veränderung, d. h. eine, die sowohl eintreten als auch nicht eintreten kann, in der Zukunft liegt. Denn bereits in der Vergangenheit eingetretene und die Gegenwart ausmachende Veränderungen können nicht mehr nicht eintreten bzw. verändert werden und sind daher hypothetisch, genauer: temporal notwendig. Nun existiert aber Zukünftiges nur als wie immer auch positiv bestimmte Möglichkeit auf der Basis der negativen Bestimmtheit durch den hypothetisch notwendigen aktualen Weltzustand, d. h. Zukünftiges als solches existiert allein als mentaler Gegenstand. Genau dies artikuliert die ausdrückliche Betonung der Zukünftigkeit, die den Begriff des contingens futurum ausmacht. Contingentia futura sind demnach zuallererst positiv bestimmte Vorstellungen möglicher zukünftiger Zustände, die durch die eigene Aktivität des vorstellenden Dings unter Einsatz von Anstrengung verwirklicht werden können und nicht unter innerer physischer Nötigung stehen. Dabei scheint der Punkt der Abwesenheit innerer Nötigung auf den ersten Blick unbegründet. Denn es ist ja ohne Weiteres möglich, von in natürlicher Weise notwendigen zukünftigen Zuständen, die durch eigene Aktivität verwirklicht werden, Vorstellungen zu bilden und zu haben, und man kann ebenfalls ihrer durch die eigene Existenz bedingten und auf diese Weise physisch notwendigen Verwirklichung gegenüber Begierde oder Abneigung hegen. Allerdings kann man diese nicht als Bestimmungs- bzw. Vollzugsgrund der entsprechenden Handlung erkennen: Das Herz schlägt unabhängig davon weiter, ob diese stete Veränderung nun Gegenstand von Begierde oder Abneigung seiner Besitzerin sein mag; zwar kann sie durchaus nicht bloß natürliche Handlungen vollziehen, um mittelbar – also nicht durch die einfache Handlung der Herztätigkeitseinstellung – ihre Herztätigkeit zu beenden, sie kann aber durch keine eigene Anstrengung das eigene Herz zum Schlagen bringen. Es sind zwar durchaus beide Alternativen als mögliche zukünftige Zustände vorstellbar, aber es stehen nicht beide in der Gewalt des Handelnden. Sie sind also nicht indifferent und werden auch nicht im Belieben erkannt. Insofern folglich das Belieben eine Erkenntnis darstellt, sind contingentia futura Gegenstand des Beliebens, während die Handlung, die zu ihrer Verwirklichung führen soll, d. h. die diesbezügliche Anstrengung, Gegenstand der Willkür ist. 304  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Das Belieben bezieht sich demnach auf indifferente Kontingenzen, wobei der Grund dieser Indifferenz in der Handlungsgewalt der strebenden Substanz selbst liegt. Contingentia futura bezeichnen deshalb positiv bestimmte Vorstellungen solcher indifferenter Kontingenzen. Gerade weil sich Belieben und Willkür auf contingentia futura beziehen, schließen beide Bewusstsein ein. Dies muss sich jedoch nicht auf alle Alternativen erstrecken, die überhaupt in Form von contingentia futura vorgestellt werden können. Dies schränkt indes nicht die Indifferenz der in Zukunft möglichen Zustände ein, die durch eigene Tätigkeit verwirklicht werden können, wie sie durch contingentia futura vorgestellt oder ausgesagt werden. Denn durch den Mangel an Bewusstsein möglicher Alternativen wird nicht die schlechthinnige Handlungs­gewalt, die einer Sub­stanz zukommt, eingeschränkt, sondern nur die Palette ihrer möglichen Bestimmungs- bzw. Vollzugsgründe, die einem Individuum kontingerweise zur Verfügung stehen. Das bedeutet zugleich, dass nicht unbedingt eine logische Differenzierung mehrerer contingentia futura vorliegen muss, um von Belieben zu sprechen, wie Baumgartens Unterscheidung von sinnlicher Willkür (arbitrium sensitivum) und Freiheit (libertas) zeigt: Das Vermögen, nach seinem sinnlichen Belieben begehren oder abgeneigt sein zu können, ist die sinnliche Willkür, das Vermögen, nach seinem Belieben wollen oder nicht-wollen zu können, ist (freie Willkür) Freiheit. Die Freiheit, in reiner Weise wollen oder nicht-wollen zu können, ist die reine Freiheit. Also wird die vorgenannte Substanz mit der Willkür entweder nur jene sinnliche oder nur reine Freiheit oder dieselbe mit sinnlicher Willkür gemischt haben. Handlungen, zu welchen sich durch Freiheit zu bestimmen in der Gewalt irgendeiner Substanz steht, sind freie, und die Substanz selbst, welche und sofern sie freie Handlungen vollbringen kann, ist eine freie (ein Ding oder eine Kraft, die frei für sich besteht). 613

Belieben bezieht sich stets auf mögliche Vollzugsgründe zur Realisierung von contingentia futura, die durch willkürliche Handlungen verwirklicht werden können. Vollzugsgründe bestehen in Begierden und Abneigungen. Diese beruhen im Bereich der sinnlichen Willkür auf sinnlichen Triebfedern (stimuli), welche durch das Belieben als mögliche Vollzugsgründe einer Handlung erkannt werden können. Wie bereits gezeigt, können allerdings besonders Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  305

starke Stimuli das Belieben wenn nicht gänzlich eliminieren, so doch zumindest suspendieren: »Sinnliche Begierden und Abneigungen entstehen bald aus dunklen Vorstellungen, bald aus verworrenen. Beide sind, sofern sie bewegende Ursachen (Triebe, causae impulsivae) sind, sinnliche Triebfedern. Eine stärkere Begierde aus dunklen sinnlichen Triebfedern ist ein blinder Trieb (instinctus), eine derartige Abneigung ist ein blinder Abscheu (fuga), natürliche [sc. sind beide].«614 Handlungen, die aus blinden Strebungen erfolgen, setzen nicht nur keine positiv bestimmten Vorstellungen möglicher zukünftiger Zustände voraus, sondern schließen sie offenkundig aus. Sie sind zwar natürlich, dennoch kommt ihnen keine physische Notwendigkeit zu, denn sie könnten ja prinzipiell unterlassen werden, jedoch nicht auf der Basis bloß sinnlicher Willkür: Vermutlich muss ein Tiger, der durch einen brennenden Reifen springt, ebenso erst aufgrund der angewöhnten Aussicht auf Belohnung lernen, seine blinde Abscheu vor Feuer zu überwinden, wie ein Handballtorwart aufgrund seiner Arbeitsplatzbeschreibung lernen muss, nicht in­ stinktiv sein Gesicht zu schützen, wenn ihm ein Ball samt gegnerischem Spieler entgegenfliegt. Handlungen aus blinden Strebungen unterstehen daher auch nicht dem Belieben. Sie erfordern nur das Bewusstsein des eigenen aktualen Zustands, der, ohne sich dessen Grundes bewusst zu sein, als angenehm – und also aufrechtzuerhalten – oder unangenehm – und also zu verlassen – erkannt wird. Derartige Handlungen unterstehen deswegen auch nicht dem Belieben, da – wie gesagt: auf der Ebene ausschließlich sinnlicher Willkür – keine Alternativen erkannt werden können und daher auch nicht zur Verfügung stehen. Dass das bloße Haben und Verfolgen von Strebungen weder deren Bewusstheit als nur mögliche Vollzugsgründe von Handlungen noch die bewusste Bezogenheit auf Zukünftiges, mithin Belieben, einschließt, erhellt trotz ihrer Bezogenheit auf Ich-Bewusstein aus Baumgartens Bestimmung des Begehrungsvermögens: »Wenn ich versuche oder mich anstrenge, irgendeine Vorstellung hervorzubringen, d. i. wenn ich die Kraft meiner Seele bzw. mich zur Hervorbringung einer gewissen Vorstellung bestimme, so begehre ich. Begehre ich dessen Gegenteil, bin ich davon abgeneigt. Also habe ich das Vermögen, begehren und abgeneigt sein zu können, d. i. das Begehrungsvermögen. Der 306  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Versuch bzw. die Anstrengung bzw. meine Bestimmungen meiner Kräfte selbst sind die Begierden des Begehrenden und die Abneigungen des Abgeneigten.«615 Das Streben selbst ist schon eine aktuale Tätigkeit, welche die Seele selbst vollzieht und in der neben dem Erkennen ihre Existenz besteht. Das Streben dient der Aufrechterhaltung oder der Veränderung bzw. dem Verlassen ihres aktualen Vorstellungszustands. Diese Ausrichtung erfordert aber noch keine positive Bestimmung eines möglichen zukünftigen Zustands – eigentlich nicht einmal eine positive Bestimmung des aktualen Zustands – und folglich auch keine bewusste Bezugnahme auf Zukünftiges. Denn es reicht jeweils eine negative Bestimmung des angestrebten Zustands zu: Soll nämlich der aktuale Zustand aufrechterhalten werden, ist keine andere Bestimmung der seelischen Tätigkeit nötig, soll er verlassen werden, ist die aktuale seelische Tätigkeit zu beenden, was nur durch ihre, zunächst durchaus gleichgültige Anders­bestimmung geschehen kann. Das Belieben, auch im Sinne sinnlicher Willkür, beginnt demnach erst mit der bewussten Verfolgung einer Strebung, d. h. zumindest einer sinnlichen Trieb­ feder, die dadurch zum Vollzugsgrund des Handelns gemacht wird, also nicht aufgrund ihrer natürlichen Stärke bereits ein solcher ist. Dies aber erfordert eine Bezugnahme auf die Zukunft, weil ohne sie kein Grund für die Verfolgung dieser und keiner anderer Strebung gegeben wäre. Allerdings schließt die Zukunftsbezogenheit im Falle sinnlicher Willkür wiederum noch nicht das Bewusstsein gleichermaßen positiv bestimmter alternativer Zustände ein, die in der Handlungsgewalt des tätigen Dings stünden. Denn minimale ästhetische Voraussicht führt zuallererst aufgrund des jüngst Vergangenen zur Erwartung der gewohnten Fortsetzung, während maximale zwar deren Reichweite und Detailreichtum bis hin zu vollständiger Übereinstimmung von Vorstellung und eintretender Zukunft vergrößern mag, 616 indem sie mit dem vergangenen und gegenwärtigen Zustand Unvereinbares für die Zukunft in einer einheitlichen ästhetischen Vorstellung ausschließt. 617 Diese kann aber nur eine gesamte und nicht mehr als eine Welt betreffen, weil die praevisio als Teil des analogon rationis keine logischen bzw. propositionalen Funktionen enthält, vermittels deren verschiedene mögliche Welten differenziert werden könnten. Die ästhetische Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  307

Voraussicht bezieht sich daher nicht auf verschiedene Zukünfte, sondern nur auf eine mögliche, die sie deswegen auch nicht in der Form eines contingens futurum auszusagen braucht – was sie sowieso nicht könnte. Die Bestimmung einer sinnlichen Triebfeder zum Vollzugsgrund einer Handlung erfordert folglich gerade kein Bewusstsein möglicher zukünftiger Alternativen und daher die Reflexion auf diese, mithin auch kein reflexives Ich-Bewusstsein. Dies beschränkt, wie bereits gezeigt, nicht die Handlungsgewalt des tätigen Dings und hebt daher auch nicht das Belieben auf, obzwar nur ein einziger möglicher Vollzugsgrund in Form eines positiv bestimmten mentalen Gegenstandes vorliegen mag. Auf der Stufe sinnlicher Willkür impliziert Belieben daher noch nicht die bewusste Wahl zwischen verschiedenen positiv bestimmten Alternativen, wie sie durch contingentia futura ausgesagt werden. Gerade hierin liegt offenbar der Unterschied zwischen den Begriffen der sinnlichen Willkür und der Freiheit (libertas), die Baumgarten bei ihrer Einführung ja auch mit dem klassischen Ausdruck für Wahlund Willensfreiheit, nämlich liberum arbitrium, als Synonym wiedergibt. Der Freiheitsbegriff wird hier nur in seiner Bedeutung als freie Willkür und nur in metaphysischer Hinsicht erörtert, da reine Freiheit weltlich existierenden Dingen, die aufgrund ihrer Sinnlichkeit stets auch Triebfedern besitzen, ohnehin nicht zukommt618 und etwaige Implikationen des Begriffs der reinen Freiheit für die Ethik den Rahmen der vorliegenden Untersuchung überschritten. Nun ist jede Begierde oder Abneigung stets auf einen eigenen Zustand gerichtet, der in der Zukunft möglich ist. Erfolgt die Bestimmung von Vollzugsgründen von Handlungen gemäß dem Wollen nach Belieben und damit das Handeln aufgrund freier Willkür, schließt sie sowohl die Bildung reflexiver Urteile als auch die positive Bestimmung alternativer Möglichkeiten ein. Um nämlich bewusst und nach freiem Belieben einer bestimmten Begierde oder Abneigung unter anderen zu folgen, muss das Individuum, das sie hat, sich nicht nur seines aktualen Zustands bewusst sein, sondern auch über bestimmte Begriffe mehrerer eigener, in der Zukunft möglicher Zustände verfügen. Denn schlicht weil Mögliches nicht aktual ist, existiert Mögliches und folglich auch Zukünftiges allein in Form mentaler Gegenstände. Liegen davon mehrere vor, müssen sie positiv bestimmt sein, um voneinander unterschieden 308  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

und womöglich gegeneinander abgewogen werden zu können. Sie müssen daher in der logischen Form von contingentia futura ausgesagt werden. Dies erfordert propositionale Erkenntnis. Sollen contingentia futura eigene, in der Zukunft mögliche Zustände und soll deren Erlangung oder Vermeidung Gegenstand des Beliebens sein, müssen diese möglichen Zustände auch als eigene proposi­ tional identifiziert werden. Weil sie aber, zum einen, nur mögliche sind, können sie nicht Gegenstand des basalen Selbstbewusstseins und des blinden Triebs sein, die sich auf den aktualen Zustand beziehen. Weil es sich, zum anderen, um mehrere handelt, können sie nicht Gegenstand ästhetischer Vorausschau und sinnlicher Willkür gemäß dem Belieben sein. Folglich erfordert ihre Identifikation als eigene mögliche Zustände den Gebrauch eines geeigneten Subjektbegriffs, dem jene Möglichkeit in einem Urteil prädiziert wird, d. h. sie erfordert reflexives Ich-Bewusstsein. Die Erkenntnis, die das Belieben ausmacht, muss daher, wenn das Streben contingentia futura enthält, logisch bzw. zumindest ästhetikologisch sein; ist dies nicht der Fall, reicht ästhetische Erkenntnis – sofern diese sich nicht allein auf den eigenen aktualen Zustand beschränkt – zur Verfolgung einer Strebung nach Belieben zu, jedoch nicht zur Auswahl einer solchen unter mehreren. Das Vermögen, das ebenso triebhaftem Handeln zugrunde liegt wie es zu sinnlicher Willkür ermächtigt, muss daher verschieden vom Vermögen zur Wahlfreiheit sein, wie es die freie Willkür darstellt, wenngleich dieses jenes freilich voraussetzt. Denn diese Wahl findet stets zwischen, wenn zumeist nicht physisch, so doch stets logisch indifferenten und metaphysisch kontingenten Möglichkeiten statt. Die Strebungen, die nach Belieben verfolgt oder gemieden werden, sind daher propositional bestimmt, und zwar in konditionaler Form, um eine mögliche Handlung mit dem dadurch zu erreichenden möglichen Zustand zu verknüpfen. Dies erfordert Rationalität. Das Belieben bezieht sich daher auf rationale Gegenstände und ist selbst rational, wenngleich aufgrund deren ästhetischer Grundlage ungemein fehleranfällig. Jene Gegenstände nennt Baumgarten ganz traditionell Volitionen und Nolitionen, d. h. vernünftige Begierden und Abneigungen, denen keine Stimuli, sondern Motive, mithin wiederum propositionale Gegenstände, zugrunde liegen. 619 Das Vermögen, solche vernünftigen Begierden und Abneigungen zu bilden, ist der Was die Seele tut: Erkennen und Handeln  |  309

Wille (voluntas bzw. noluntas). In ihm erschöpft sich das gesamte obere Begehrungsvermögen: »Das Begehrungsvermögen, sofern es dem oberen Erkenntnisvermögen folgt, wird das obere genannt. Ich begehre und hege Abneigung gegen manches, das auf deut­ liche Weise (distincte) durch das verstandesmäßige Urteilsvermögen vorgestellt wird. Also habe ich oberes Begehrungsvermögen. Begierden und Abneigungen, die durch jenes verwirklicht werden können, sind vernünftig, und sie entstehen durch die Kraft der Seele, das Universum gemäß der Stelle des Körpers vorzustellen.«620 Festzuhalten ist zunächst, dass eine Strebung, die aus einer zunächst ästhetischen und dann logisch bestimmten Vorstellung erwächst, nicht schon deswegen im moralischen Sinne gut ist, weil sie vernünftig ist. Ihre Vernünftigkeit bezeichnet nur ihre propositionale Struktur, die ein contingens futurum klar und deutlich bestimmt. Solch einen logischen Gegenstand zu begehren oder ihm abgeneigt zu sein, leistet der Wille. Nun haben wir aber bereits gesehen, dass auch die sinnliche Willkür nichts anderes tut, als einen möglichen zukünftigen Zustand, wie er ebenso durch ein contingens futurum ausgesagt werden könnte, zu begehren oder ihm abgeneigt zu sein – und dies sogar nach Belieben. Man kann und sollte deshalb danach fragen, was eigentlich durch die Einführung des oberen Begehrungsvermögens, d. h. Willens, und des notorisch schwierigen Begriffs des contingens futurum, die aufgrund der Rationalität des Willens nötig wird, philosophisch bzw. an erklärender Kraft gewonnen ist. Die Antwort auf diese Frage ist indes einfacher, als es den Anschein haben mag. Denn das einzige, was durch den Begriff des Willens hier noch zu erklären bleibt, ist die Wahlfreiheit, welche durch sinnliche Willkür eben nicht erklärt werden kann. Ohne den Begriff der Freiheit wäre nämlich der Begriff des Willens und einer Willkür, die nach Belieben eine rationale Strebung unter mehreren zum Vollzugsgrund von Handlungen bestimmt, schlicht überflüssig. Baumgarten vertritt daher einen starken Freiheitsbegriff. Dieser besteht darin, dass ein Ding, dem Wille zukommt, unter der Bedingung des jeweils aktualen Zustands des Universums seine eigenen Handlungen, sofern diese nicht durch seine eigene Existenz bedingter natürlicher Notwendigkeit unterliegen, bewusst und nach Belieben unter alternativen Möglichkeiten vernünftig bestimmen kann. Diese Möglichkeiten 310  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

sind sowohl logisch als auch metaphysisch, mithin in ihrer realen Möglichkeit prinzipiell indifferent. Daran ändert auch der verhältnismäßig triviale Sachverhalt nichts, dass die Bestimmung mancher Alternativen als Vollzugsgrund einer Handlung näherzuliegen scheint als die anderer. Weder der Mangel an physischer Indifferenz, der nichts anderes bedeutet, als dass die Verwirklichung mancher zukünftigen Zustände durch Handlungen mit größerer Anstrengung verbunden ist als die anderer, noch der Mangel an psychischer Indifferenz, wie er im Auftreten verschiedener stärkerer oder schwächerer Stimuli oder Motive bestehen wird, vermag das Belieben des Willens zu determinieren. Denn im Kontingenten kann es keine unbedingte Notwendigkeit geben, und nur Gegenwärtiges und Vergangenes steht unter hypothetischer Notwendigkeit, nicht aber Zukünftiges. Es wird nämlich nur negativ durch diese bestimmt, so dass es im Bezug auf jeden aktualen Weltzustand immer noch eine unendliche Vielzahl möglicher Zukünfte gibt und nicht nur und genau eine. Jene Indifferenzmängel mögen das Belieben des Willens also allenfalls ponderieren. Ponderierte Indifferenz bleibt aber trotzdem Indifferenz. Gegenwärtig würde man einen solchen Begriff von Willensfreiheit wohl indeterministisch nennen. 621

IV. Was Gott eigentlich weiß, irgendwie aber doch auch nicht: Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit

Gottes Allwissen umfasst nun, wie Baumgarten ausdrücklich betont, 622 auch contingentia futura, so dass der unendliche Geist über wahre Propositionen im Bezug auf alle Ereignisse verfügt, die in der Zukunft wirklich oder nicht wirklich sein werden. Daher ist die klassische Frage nach der Vereinbarkeit solchen Wissens mit der Aktualisierbarkeit der Willensfreiheit endlicher Geister zu stellen, 623 die ja gerade die Indifferenz von contingentia futura voraussetzt. Würde nämlich das göttliche Wissen deren Indifferenz eliminieren, gäbe es für das Belieben freier Willkür nichts mehr zu bestimmen, die Zuschreibung von Willen an endliche Geister wäre überflüssig und jede ihrer Handlungen determiniert. Die Frage lässt sich anhand von Baumgartens Erörterung der Beschaffenheit Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  311

und Reichweite von Gottes Wissen, Wollen und Handeln im Rahmen der natürlichen Theologie beantworten.

1. Die Arten des göttlichen Wissens

Baumgartens Differenzierung des Begriffs göttlichen Wissens lehnt sich unübersehbar an die von Thomas von Aquin begründete scholastische, vor allem aber spätscholastische Diskussion in der Tradition Luis de Molinas an, dessen originären Begriff der scientia media er übernimmt. Baumgarten unterscheidet demgemäß drei Arten göttlichen Wissens, nämlich die scientia simplicis intelligentiae – die im Folgenden der Kürze halber mit dem üblichen Synonym der scientia naturalis bezeichnet wird –, die scientia libera und die scientia media. Erstere bestimmt er wie folgt: »Gott weiß, I) alle Bestimmungen von allem, insofern jene als bloß mögliche betrachtet werden. Dies ist die Wissenschaft des Möglichen (scientia simplicis intelligentiae).«624 Gottes scientia naturalis enthält alle intensional bestimmten Begriffe aller überhaupt möglichen Dinge in allen ihnen überhaupt möglichen einzelnen Zuständen, d. h. den Individualbegriff jeder singulären Welt, die überhaupt möglich ist. Gott verfügt daher über jede im logischen Sinne wahre Proposition. Er weiß daher in diesem formalen Sinne alles, was überhaupt von Dingen gewusst werden kann. Zugleich besitzt Gott aber mit der scientia naturalis nur vollständiges Wissen über den Inhalt seines eigenen Verstandes. Denn Möglichkeiten bleiben auch dann, wenn sie singulär, mithin vollständig, und positiv bestimmt sind, also Realitäten darstellen, logische Gegenstände, deren Existenz einen Geist voraussetzt, der sie denkt. Aus der Singularität eines Begriffs folgt nicht schon die weltliche Existenz desjenigen Dings, welches er bestimmt, außerhalb des göttlichen Geistes: Auch hier führt kein Schluss von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit. Was die scientia naturalis Gottes also trotz ihrer logischen Vollständigkeit nicht enthält, ist das Wissen darum, welche der möglichen Welten, die den Gegenstand der scientia naturalis bilden, die wirkliche ist. Dies kann auch gar nicht anders sein. Denn – wie schon die Termini sowohl der scientia naturalis als auch der scientia simplicis intelligentiae, d. h. der 312  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

einfachen verstandesmäßigen Einsicht, vor Augen führen – gehört das Wissen um das Mögliche essentiell zum Begriff eines unendlichen Geistes. Gott besäße es also auch dann, wenn außerhalb seines Geistes gar nichts existierte, wie dies vor der Schöpfung ja tatsächlich der Fall ist. Das Wissen um Wirkliches muss folglich von jenem Wissen um das Mögliche unterschieden werden. Weil Gott die alleinige Ursache der Existenz aller Dinge ist, die außerhalb seines Geistes existieren, und diese durch einen Akt seines Willens aus dem Nichts in die Existenz treten, der ebenso ganz unterbleiben wie in anderer Weise vollzogen werden könnte, 625 wird dieses Wissen um das Wirkliche scientia libera genannt: »Gott weiß, II) alle Bestimmungen des Wirklichen 1) dieser Welt durch die freie Wissenschaft (scientia libera), α) das Vergangene durch das Angedenken (recordatione divina), β) das Gegenwärtige durch das Sehen (scientia visionis), γ) das Zukünftige durch die Vorhersehung (praescientia). Der philosophische Socinianismus ist die These, welche die göttliche Vorhersehung der contingentia futura hinwegnimmt, und er ist ein Irrtum.«626 Klar ist zunächst, dass alles, was Gegenstand der scientia libera Gottes ist, auch zu seiner scientia naturalis gehört, weil sich diese auf alles Mögliche bezieht. Die Menge aller Propositionen, welche die scientia libera bilden, ist also eine Teilmenge der Menge aller Propositionen, welche die scientia naturalis bilden. Ihr Unterschied besteht darin, dass die Propositionen der scientia naturalis ausschließlich Gegenstand des göttlichen Verstandes sind, während die Propositionen der scientia libera sowohl Gegenstand des göttlichen Verstandes als auch des göttlichen Willens sind. Nun handelt Gott, während und indem er will. 627 Weil zwischen Gottes Essenz und seiner Existenz kein Unterschied besteht, hat Gott keine Zustände, d. h. kommen ihm keine modalen Bestimmungen zu. Da er selbst somit unveränderlich ist, kann er nur handeln, d. h. die Veränderung von Zuständen bewirken, indem er Zustände von Dingen verändert, die außerhalb seines Geistes, mithin weltlich existieren; sein Wollen bezieht sich, insofern Gott dadurch handelt, also auf actus transientes. Genau deswegen kann auch Gott nicht, wenn und indem er genau eine der möglichen Welten, die seine scientia naturalis enthält, zum Gegenstand seines Willens macht, diese Welt auf einmal vollständig in die Existenz bringen. Denn Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  313

sonst müssten sich alle Dinge, deren Existenz die Existenz jener Welt ausmacht, gleichzeitig in allen Zuständen befinden, in deren Abfolge ihre Identität besteht: Der Wombat Vlad wäre zugleich lebendig und tot, der Kasper Jürgen würde zugleich vom Krokodil gefressen und nicht vom Krokodil gefressen, und der Ball Melanie wäre zugleich vollständig giftgrün und vollständig beigegrau. Offenkundig ist eine solche Welt unmöglich, weil sie gegen das transzendentale Prinzip des Satzes vom Widerspruch verstieße, das auch für Gott gilt. Auch wenn Gott demnach die Existenz genau einer möglichen Welt will, muss sein Wollen der Sukzession der singulären Zustände dieser Welt folgen, welche selber durch die singulären Zustände der Dinge existiert, die ihre Teile bilden. Eben deswegen müssen innerhalb der scientia libera verschiedene Stücke unterschieden werden, die sich jeweils auf das vergangene, das gegenwärtige und das zukünftige Wollen Gottes und damit auf die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Wirklichkeit beziehen: Gott hat sich eine zukünftige Sache immerfort vorgestellt, wie er dies vermag. Also kommt nichts zur Erkenntnis Gottes hinzu, sofern jene in der Welt gegenwärtig wird, wiewohl sie selbst aus einem Gegenstand der Vorhersehung in einen Gegenstand des Sehens verändert wird. Gott wird sich immerfort eine vergangene Sache vorstellen, wie er dies vermag. Also wird, sofern eine gegenwärtige eine vergangene werden wird, sie selbst zwar aus einem Gegenstand der Schau in einen Gegenstand des Angedenkens verändert werden, nichts aber wird der Erkenntnis Gottes entzogen. Gott mag alle aufeinanderfolgenden Zustände dieser Welt immerfort anschauend erkennen, weswegen die innere Unveränderlichkeit der göttlichen Erkenntnis gedacht werden kann. 628

Vermittels der scientia naturalis erkennt Gott also diese Welt, genau wie alle anderen möglichen Welten, vollständig und zugleich in all ihren virtuell aufeinanderfolgenden Zuständen, die ihre Identität ausmachen. Vermittels der scientia libera in ihren drei Ausprägungen erkennt er diejenige Welt unter den unendlich vielen möglichen, welche aufgrund seines Willens existiert und durch sein Wollen, aber ebenso durch die freien Handlungen endlicher Wesen wirklich wird. Die Propositionen der scientia libera, die eine Teilmenge der scientia naturalis bilden, unterscheiden sich also von deren Propositionen durch die metaphysische Modalität 314  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

ihrer für die scientia naturalis bloß möglichen und für die scientia libera wirklichen bzw. unter der Bedingung eines ersten wirklichen Zustands möglichen Gegenstände und demzufolge dadurch, dass die Propositionen der scientia naturalis logische Wahrheit und die der scientia libera metaphysische Wahrheit aussagen. Die scientia libera Gottes bezieht sich daher auf die Zustände genau der einen wirklichen Welt, und zwar deswegen, weil sie sich auf verschiedene aufeinanderfolgende Weltzustände bezieht, die Gegenstand des göttlichen Wollens waren, sind und sein werden, und weil Gott handelt, d. h. Zustände von Dingen, die von ihm verschieden sind, verändert bzw. einen ersten Zustand aus dem Nichts hervorbringt, indem er will und in seinem Wollen wie in seinem Denken an die transzendentalen Prinzipien gebunden bleibt. Zwar weiß Gott durch seine scientia libera, was er gewollt hat, was er jetzt will und was er wollen wird, aber dies erstreckt sich ganz offensichtlich nicht nur auf Wirkliches dergestalt, dass dies unter hypothetischer Notwendigkeit steht, d. h. auf die vergangenen und gegenwärtigen Zustände der außerhalb des göttlichen Geistes existenten Welt. Vielmehr enthält die scientia libera ebenso im metaphysischen Sinne Mögliches, d. h. Zustände der existenten Welt, die unter der Bedingung ihrer negativen Bestimmtheit durch ihre Aktualität wirklich werden können, aber nicht müssen. Dies sind zwar genau die­jenigen möglichen zukünftigen Zustände, die durch das zukünftige Wollen Gottes wirkliche werden werden, sie bleiben aber trotzdem contingentia futura, d. h. die entsprechenden Propositionen, die Gegenstand des göttlichen Wissens sind, bezeichnen unter der Bedingung seines vergangenen und gegenwärtigen Wollens indifferente Zustände, die eintreten oder nicht eintreten können. Durch die praescientia weiß Gott folglich zwar, was er wollen wird und also welche möglichen zukünftigen Zustände, wie sie durch contingentia futura ausgesagt werden, wirklich werden werden, aber er kann nicht schon durch die praescientia wissen, was er gewollt haben wird. Denn dann wären diese Sätze nicht mehr Gegenstand der praescientia und bezögen sich nicht mehr auf Mögliches, mithin Zukünftiges, sondern sie wären Gegenstand der recordatio und bezögen sich auf Vergangenes, d. h. gemäß hypothetischer Notwendigkeit Unveränderliches, das bereits wirklich gewesen ist. Ebenso wenig kann Gott bereits jetzt wollen oder in der Vergangenheit geAllwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  315

wollt haben, was er in Zukunft wollen wird, da sonst, weil er handelt, indem er will, temporal verschiedene Zustände gleichzeitig in Wirklichkeit vorliegen müssten. Dies implizierte aber wiederum den bereits angeführten Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch. Gott kann also nur wissen, was er in Zukunft wollen wird, aber dieses sein Wissen um sein zukünftiges Wollen kann nicht selber schon aktuales Wollen sein. Gottes Wissen um sein zukünftiges Wollen kann also nicht sein zukünftiges Wollen determinieren, weil Gott erst wollen muss, was er weiß, das er wollen wird, um dementsprechend zu handeln. Folglich determiniert die praescientia auch nicht die Folge der in Zukunft möglichen Zustände der existenten Welt, obwohl sie per definitionem, nämlich durch das Wissen um Gottes eigenes zukünftiges Wollenwerden, ausschließlich wahre Propositionen enthält, wie sie durch contingentia futura ausgesagt werden. Die praescientia benötigt also aufgrund ihres spezifischen Gegenstandes, nämlich Gottes Wissen um die zukünftigen Gegenstände seines eigenen Wollens, das  – weil es Wissen ist – selber weder aktuales noch ein vergangenes Wollen ist, ein Residuum an Kontingenz, gerade weil sie den zukünftigen Verlauf der existenten Welt nicht determinieren und das heißt: auf nur und genau eine mögliche Zukunft reduzieren kann und trotzdem im nicht bloß logischen, sondern metaphysischen Sinne wahr bleiben soll. Dieses Residuum muss sowohl Gegenstände der scientia libera enthalten, insofern sich die praescientia auf Wirkliches in der Zukunft bezieht, als auch Gegenstände der scientia naturalis, weil zum einen Wirkliches in der Zukunft aktual Mögliches ist und zum anderen aktual Mögliches, sofern es in der Zukunft wirklich werden kann und indifferent ist, in Form unendlich vieler contingentia futura ausgesagt bzw. gedacht werden muss, um in einem Geist zu existieren. Dies macht die Einführung einer weiteren Art von Wissen erforderlich. Baumgarten nennt es im Anschluss an den Molinismus scientia media: Gott weiß alle Bestimmungen des Wirklichen 2) einer anderen Welt als dieser durch die mittlere Wissenschaft (scientia media). Anstelle einer jeden beliebigen Begebenheit (eventu) dieser Welt könnte eine andere wirklich sein. Jede beliebige aber hätte ihre zum Teil verschiedenen Folgebestimmungen, die bis ins Unendliche durch alle Zustände dieser Welt hindurch folgen werden. Wenn also auch bloß anstelle 316  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

einer Begebenheit dieser Welt eine andere wirklich wäre, wäre diese Welt durch alle jener Begebenheit nachfolgenden, ja sogar vorhergehenden Zustände hindurch eine zum Teil andere, als sie ist. Also weiß Gott, was auch immer anstelle einer jeden Begebenheit in dieser Welt mit allen ihren Folgen existieren gekonnt hätte, durch die mittlere Wissenschaft. 629

Die scientia media unterscheidet sich also insofern von der scientia naturalis Gottes  – deren Teilmenge sie hinsichtlich ihres Inhalts freilich bleibt –, als dass sie nicht alle überhaupt möglichen Welten erfasst, sondern nur diejenigen, welche im Bezug auf die eine aktuale Welt möglich wären, d. h. die scientia media erfasst nur die von dieser Welt aus mehr oder weniger leicht zugänglichen möglichen Welten. 630 Eine solche Welt zeichnet sich dadurch aus, dass sie in mindestens einer Begebenheit bzw. einem Ereignis von der aktualen Welt abweicht, indem es anstelle eines Ereignisses der aktualen Welt verwirklicht wird: Eine Welt, in der die Wombatdame Klothilde beim Graben ihres Tunnels eine sanfte Linkskurve macht oder in der Julius Cäsar den Rubikon mit dem rechten Fuß zuerst überschreitet, ist verschieden von einer Welt, in der Klo­ thilde eine scharfe Rechtskurve macht und sich mit ihrem Kopf an einem Felsen stößt oder in der Cäsar den Rubikon mit beiden Füßen gleichzeitig überschreitet, indem er darüberhüpft. Was die Beispiele, die willkürliche Handlungen anführen, stillschweigend annehmen, lässt sich durch eine einfache Überlegung erklären. Ereignisse, die in der genannten Weise anstelle anderer Ereignisse eintreten können, können nicht natürlicher Notwendigkeit unterliegen. Denn diese willkürlich zu unterlassen und durch anderes Tun zu ersetzen wäre einem tätigen Ding dann unmöglich. Im Bezug auf eine wirkliche Welt, in der alle Veränderungen natürlicher Notwendigkeit unterlägen und die demgemäß vollständig durch natürliche Notwendigkeit determiniert wäre – gleichviel, ob eine solche Welt überhaupt gedacht werden könnte oder nicht –, wäre die scientia media überflüssig, weil sie keinen möglichen Gegenstand hätte. Schon allein die Annahme der scientia media impliziert folglich, dass in der wirklichen Welt, auf die sie sich bezieht, Ereignisse möglich sein müssen, die nach Belieben aus sinnlicher oder freier Willkür erfolgen. Weil Baumgarten den Begriff des Ereignisses bzw. der Begebenheit als den Komplex definiert, den eine Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  317

einzelne Handlung zusammen mit ihrer Wirkung bildet, 631 muss willkürlichen Handlungen und also auch den Dingen, die sie in der Welt vollziehen, eigene kausale, d. h. weltverändernde Kraft dergestalt zukommen, dass ein willkürlich handelndes Ding eine kausale Kette physischer Veränderungen anfangen kann. 632 Denn es kann sich dabei nicht exklusiv um eigene Handlungen Gottes handeln, weil diese nicht Gegenstand der scientia media, sondern der scientia libera wären. Ebenso wenig kann der jeweils vergangene oder gegenwärtige Zustand der wirklichen Welt Gegenstand der scientia media sein. Dieser steht ja unter hypothetischer Notwendigkeit, so dass sich in ihm nichts mehr verändern, also auch kein Ereignis durch ein anderes substituieren lässt. Die scientia media erfasst folglich exklusiv zukünftige, auf der Basis des jeweils aktualen Weltzustandes mögliche Ereignisse, die willkürliche Handlungen darstellen. Nur diese sind im kontingenten Rahmen der Welt, wie er durch die Schöpfung gesetzt ist, selbst noch kontingent. Willkürliche Handlungen, wie sie durch einzelne Teile der wirklichen Welt vollzogen werden können, sind daher die einzige Quelle innerweltlicher Kontingenz, 633 die stets notwendig auf jeweils in der Zukunft mögliche Ereignisse bezogen ist. Es gibt daher im Verhältnis zu jedem aktualen Weltzustand verschiedene mögliche Fortsetzungen und folglich verschiedene mögliche Zukünfte: Das in der Zukunft Mögliche steht also nicht unter hypothetischer Notwendigkeit, sondern ist kontingent im Sinne der Indifferenz. Der Begriff des contingens futurum impliziert folglich bereits die reale Möglichkeit willkürlichen Handelns durch in der Welt existente und tätige Dinge, da er sich andernfalls auf nichts beziehen würde. Diese Möglichkeit wird durch die Annahme der scientia media als wirklich bestätigt, da deren einzigen Gegenstand contingentia futura bilden. Jedes contingens futurum, das eine unter den durch eine willkürliche Handlung jeweils möglichen Fortsetzungen des aktualen Welt­zustands aussagt, konstituiert demnach eine der Möglichkeit nach wirkliche Welt, wie sie Gegenstand der scientia media ist. Weder beschränkt also die praescientia Gottes die Möglichkeit des Vollzugs willkürlicher Handlungen nach Belieben durch geeignete Teile des Universums oder determiniert gar deren Verlauf noch gefährdet die Wirklichkeit solcher Handlungen Gottes Un318  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

fehlbarkeit (infallibilitas). 634 Denn die praescientia gehört ebenso zur scientia libera Gottes, insofern er durch sie weiß, was er in Zukunft wollen wird, wie sie inhaltlich wiederum eine Teilmenge seiner scientia media darstellt. Schließlich umfasst die scientia libera, schon weil sie nur unter der Bedingung der Schöpfung einer Welt, die auch unterbleiben könnte, irgendeinen positiv bestimmten Inhalt haben kann, ausschließlich hypothetisch, aber keinesfalls absolut notwendige Gegenstände und ist somit selbst gleicher­maßen nur hypothetisch notwendig: »Die freie Wissenschaft Gottes ist eine ihm beziehungsweise zukommende Vollkommenheit. Und da es absolut notwendig ist, dass diese die wahrste ist, durch Gott diese wirkliche Welt an und für sich in kontingenter Weise besteht, deshalb ist es absolut notwendig, dass diese [sc. die freie Wissenschaft] ausschließlich hypothetisch notwendig ist. Also ist die freie Wissenschaft Gottes ein einer Zufälligkeit Ähnliches 635 (analogon modi).«636 Die Existenz der scientia libera ist genauso wie die der scientia media bedingt durch die Existenz einer Welt außerhalb des göttlichen Geistes. Beider Inhalt ist aufgrund deren Kontingenz selbst kontingent. Die hypothetische Notwendigkeit der scientia libera, von der Baumgarten hier spricht, bezieht sich wegen dieses Depen­ denzverhältnisses sowohl auf ihre eigene Existenz als auch auf ihren Inhalt. Auch wenn Gott selbst der Urheber der wirklichen Welt und ihres kontingenten Bestandes ist, folgt daraus, dass kein Gegenstand der scientia libera hypothetisch notwendig sein kann, bevor er nicht in der Welt hypothetisch notwendig geworden ist. Weil aufgrund des Auftretens willkürlicher Handlungen in der Welt ihre jeweils zukünftigen Zustände kontingent sind, muss dies auch für die ihnen entsprechenden Propositionen gelten, wie sie Gegenstand desjenigen Teils der scientia libera sind, die sich auf die jeweils zukünftigen Zustände der Welt bezieht, nämlich der prae­ scientia. Dies schränkt jedoch nicht die Vollkommenheit des göttlichen Wissens ein bzw. gefährdet nicht seine Unfehlbarkeit. Denn Gott weiß durch die praescientia, was er jeweils in Zukunft wollen wird, und durch die scientia media alles, was er überhaupt jeweils in der Zukunft wollen könnte. Weder sein Wissen um sein in Zukunft wirkliches Wollen noch sein Wissen um sein in Zukunft mögliches Wollen ist aber selbst ein aktuales Wollen. Es determiAllwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  319

niert daher weder sein zukünftiges Wollen, d. h. sein zukünftiges Handeln, noch das zukünftige Handeln willkürlich nach Belieben tätiger Teile der Welt, weil eben diese, auf welche sich Gottes Handeln allein beziehen kann, in ihrer Existenz durch alle ihre Zustände hindurch intrinsisch kontingent bleiben. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Verwirklichung irgendeines unter den jeweils in Zukunft möglichen Weltzuständen kontingent bleibt, weil alle anderen Weltzustände unter hypothetischer Notwendigkeit stehen. Die Verwirklichung eines jeden dieser Zustände, wie sie durch contingentia futura ausgesagt werden, bleibt daher metaphysisch möglich, wenngleich Gott durch die scientia media weiß, welche jeweils zukünftigen Zustände er wollen könnte, obwohl er sie nicht wollen wird, und durch die praescientia, welche jeweils zukünftigen Zustände er wollen wird. Zwischen ihnen besteht jedoch kein logischer Unterschied, da sie alle in der Form von contingentia futura ausgesagt bzw. gedacht werden müssen und ihr Wahrheitswert allein durch das zukünftige Wollen Gottes entschieden wird. Diesen Wahrheitswert kann Gott zwar im logischen Sinne vorauswissen, er bleibt aber so lange kontingent – und das heißt: im metaphysischen Sinne nicht festgelegt  –, wie das ihm entsprechende Wollen nicht aktualisiert worden ist, so dass sogar die metaphysische Indifferenz des Wahrheitswertes von contingentia futura gewahrt bleibt. Die gegenwärtige Diskussion kreist daher nicht umsonst um das logische Problem der Wahrheit von contingentia futura. 637 Die scientia media als Residuum der Kontingenz im göttlichen Wissen gewährleistet also nicht nur die reale Möglichkeit des Vollzugs willkürlicher Handlungen in der Welt durch deren dazu geeignete Teile und nicht nur die Unfehlbarkeit göttlichen Wissens trotz der vollständigen Freiheit des göttlichen Wollens im Rahmen der transzendentalen Prinzipien. Die scientia media gewährleistet auch die prinzipielle Freiheit des göttlichen Wollens gegenüber einer intrinsisch kontingenten Welt, das gerade nicht in jenem strengen Sinne des vollständigen Ausschlusses der eigenen und wiederum intrinsischen Kontingenz des göttlichen Wollens bzw. Handelns durch Vorauswissen prädetermininiert werden kann. In gewisser Hinsicht, so könnte man sagen, sichert die scientia media auch die vollständige Freiheit Gottes gegenüber seinem eigenen Verstand, ohne dass ihm damit freilich umgekehrt eine wie immer geartete 320  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Notwendigkeit auferlegt würde, bei irgendeiner Gelegenheit seiner besten Einsicht zuwiderzuhandeln, obwohl und gerade weil er alle logisch und real, d. h. unter der Bedingung der Schöpfung, möglichen Alternativen vollständig erkennt.

2. Göttliche Willensfreiheit

Es ist vielmehr genau diese epistemische Vollständigkeit, auf der die vollständige Freiheit des göttlichen Willens beruht. Da nämlich die Existenz einer bzw. der schlechthin guten Welt unmöglich ist und das Wissen um die Bestheit einer möglichen Welt das Wissen um die Beschaffenheit aller überhaupt möglichen Welten voraussetzt, ermöglicht erst die Erfülltheit dieser Bedingung sowohl überhaupt das Auftreten von Gefallen und Missfallen im göttlichen Geist als auch dessen umfassende Rationalität: »Das Gefallen und Missfallen Gottes ist nur das wahrste, deutlichste und vernünftigste; es ist niemals vollständig und niemals teilweise gleichgültig gegen irgendeine Sache; es hat weder sinnliche Lust noch Unlust noch Begierde noch Abneigung, keine Triebe, keine Abscheue, keine Leidenschaften und keine scheinbaren Lüste und Unlüste.«638 Die Abwesenheit aller sinnlichen Elemente im göttlichen Geist folgt schlicht aus der Immaterialität seiner Existenz: Wo kein Leib ist, kann auch keine Sinnlichkeit sein. Deswegen besitzt Gott auch ganz buchstäblich verstanden keinen Sinn für Schönheit. Er benötigt so etwas gar nicht, weil er durch intensionale Individualbegriffe den Vollkommenheitsgrad eines jeden möglichen Einzeldings bzw. jeder möglichen Welt logisch vollständig erkennt. Darauf bezieht sich sein rationales Gefallen oder Missfallen. Daran zeigt sich überdies, dass zwischen Gottes Erkennen und Wollen tatsächlich eine Differenz bestehen muss, welche den oben angeführten Schluss auf die prinzipielle Möglichkeit der Freiheit des göttlichen Willens gegenüber dem göttlichen Verstand begründet. Denn indem Gott alles, was überhaupt möglich ist, erkennt, erfasst er ja zunächst nur den Inhalt seines eigenen unendlichen Geistes. Die scientia naturalis entspricht sonach einfach der vollständigen theoretischen Selbsterkenntnis Gottes. Um daher zur Präferenz genau eines bestimmten möglichen Schöpfungsgegenstandes zu Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  321

kommen, muss er allen möglichen unter diesen mit mehr oder weniger großem Gefallen oder Missfallen begegnen. Sonst bestünde keine mögliche Triebfeder (elater) 639 für irgendeine Schöpfungsentscheidung. Da aber Gottes Erkenntnis alle epistemischen Vollkommenheiten in höchstem Maße besitzt, gilt dies auch für ihre Lebendigkeit, so dass mit jener Erkenntnis ein zureichender Grund für umfassendes und rationales Gefallen und Missfallen gegeben ist. Noch nicht jedoch gilt dies für eine Schöpfungsentscheidung, da Gott sonst wiederum intrinsisch gezwungen wäre zu tun, was ihm gefällt, und gar nicht tun könnte, was ihm missfällt. Aus der schieren Existenz Gottes folgt aber weder die Existenz irgendeiner noch der besten aller möglichen Welten. Gefallen und Missfallen, wie es mit Notwendigkeit aus vollkommenster Erkenntnis folgt, ist zwar notwendige Voraussetzung für eine Willensbestimmung, es ist aber noch nicht diese selbst. Gott kommt daher Gefallen und Missfallen zu: »Gott erkennt unmittelbar alle Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten von allem auf deutlichste Weise. Was immer in Gott ist, ist der höchste Grund. Deshalb ist die Anschauung der Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten in demselben in höchstem Maße lebendig. Also kommt Gott das höchste Gefallen und Missfallen zu.«640 Weil also Gefallen und Missfallen zwar Wollen und Nicht-Wollen begründet, aber selbst noch kein Wollen oder Nicht-Wollen ist, bezieht sich auch die scientia libera nicht auf Gefallen und Missfallen. Vielmehr muss dies aufgrund seiner vollständigen Rationalität und seiner Funktion als möglicher und rationaler Grund einer Willensbestimmung Gegenstand von Gottes Selbsterkenntnis, d. h. der scientia naturalis, sein, deren Lebendigkeit seinem Wollen oder Nicht-Wollen systematisch vorgeordnet ist. 641 Was Gott will, bestimmt er gemäß seines Gefallens und Missfallens spontan aus eigener Kraft. Er bestimmt folglich auch den Inhalt seiner scientia libera selbst und muss daher über Begierden und Abneigungen verfügen, weil die scientia libera nur die Bestimmungen genau und nur einer wirklichen Welt enthält. Daher enthält die scientia libera genau und nur, was er gewollt hat, will und  – unter der soeben diskutierten Bedingung der notwendigen Kontingenz des Zukünftigen, d. h. der formalen Identität der Gegenstände der praescientia und der scientia media als contingentia futura – wollen wird: 322  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

In Gott ist die Wissenschaft dieser Welt die freie, weil dennoch sowohl keine als auch eine andere sein könnte. Trotzdem ist die freie Wissenschaft dieser Welt in Gott allein durch die Kraft Gottes wirklich. Also hat Gott seine Kraft zur Verwirklichung der freien Wissenschaft nicht keiner, nicht einer anderen, sondern dieser Welt bestimmt. Also begehrt Gott und ist abgeneigt. Nun begehrt er nicht, noch ist er abgeneigt auf sinnliche Weise. Jedoch folgt seine Begierde und Abneigung der Erkenntnis. Also will er und will er nicht, besitzt den höchsten Willen und Nicht-Willen, d. i. der dem höchsten Allwissen am vollkommensten folgenden. 642

Die scientia libera heißt also genau deswegen frei, weil ihr Gegenstand zum einen kontingent ist und zum anderen durch ihren Träger selbst bestimmt wird. Die Wirklichkeit der scientia libera ist daher äquivalent mit der Wirklichkeit der aktualen Welt. Die Existenzursache der aktualen Welt ist Gott durch seine Kraft, indem er die Wirklichkeit dieser und keiner anderer oder keiner Welt will und vor der Schöpfung keine mögliche Ursache für die Existenz der Welt außerhalb Gottes zur Verfügung steht. Indes existiert die Welt nicht in allen ihren möglichen bzw. in Zukunft wirklich werden sollenden Zuständen zugleich. In dieser Weise existiert sie nur als extrem komplexer logischer Gegenstand in der scientia naturalis, und zwar notwendigerweise zusammen mit allen anderen Gegenständen gleicher Art, d. h. allen möglichen Welten. Außerhalb des göttlichen Geistes hingegen kann die Welt nicht anders als in der Abfolge ihrer Zustände existieren, die ihre Identität als kontingentes Ding bilden. Daher kann Gott auch nicht die gleichzeitige Wirklichkeit all derjenigen Zustände der Welt wollen, durch die sie sich von allen anderen möglichen Welten unterscheidet, ohne gegen den Satz vom Widerspruch zu verstoßen. Er muss folglich, wenn er die Existenz genau einer und dieser Welt will, die Reihe derjenigen Zustände wollen, in der ihre Identität außerhalb des göttlichen Geistes besteht. Da er diese nicht zugleich wollen kann, weil sie sonst alle zugleich wirklich sein müssten, muss er sie sukzessive wollen, nämlich so, wie er seine praescientia als den auf das in Zukunft wirklich werden Sollende gerichteten Teil der scientia libera bestimmt hat. Deren Gegenstände sind aber genau wie die der scientia media Propositionen in der Form von contingentia futura, über deren Wahrheitswert zwar bereits in der praescientia Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  323

logi­sch entschieden ist, jedoch noch nicht metaphysisch, weil es noch keine Wirklichkeit gibt, die ihnen entsprechen könnte, und auch noch kein entsprechendes aktuales Wollen Gottes. Daher bleibt in Bezug auf jeden aktualen Zustand der Welt die Verwirklichung jedes contingens futurum möglich, das den jeweils nächstfolgenden Zustand aussagt: Alle Handlungen sind in die Gewalt Gottes gestellt. Wenn also welche bestimmte Handlung auch immer und die ihr selbst entgegengesetzte Handlung beide in sich möglich sind, d. i. wenn eine bestimmte Handlung in sich zufällig (contingens) ist, und deshalb auch eine entgegengesetzte in sich zufällige Handlung besitzt, ist jede von beiden in die Gewalt Gottes gestellt. Also sind alle in sich zufälligen Handlungen für Gott durch den Vollzugsgrund freie und bezüglich des Vollzugs der Handlung gleichgültige (indifferentes), weil in Hinsicht auf Gott die physische Möglichkeit beider die höchste ist. Deshalb ist die Verwirklichung (actuatio) dieses Universums oder keines oder eines anderen für Gott durch den Vollzugsgrund frei gewesen. Bezüglich des Vollzugs der Handlung ist sie ebenso gegen die beste Welt wie gegen die unvollkommenste Welt gleichgültig gewesen, und dasselbe ist und wird sein. 643

Alle möglichen Handlungen bzw. alle Veränderungen der Welt, inklusive ihrer Erschaffung, deren Gegenteil ebenso möglich ist, d. h. alle in sich kontingenten Handlungen, sind für Gott so lange gleichermaßen möglich, wie sie noch nicht unter hypothetischer Notwendigkeit stehen, also bereits vollzogen worden sind oder gerade vollzogen werden. Folglich ist die Verwirklichung aller Fortsetzungen des aktualen Weltzustands, wie sie durch contingentia futura ausgesagt werden, jeweils gleichermaßen möglich. Da Gott im Rahmen der transzendentalen Prinzipien keinerlei Notwendigkeit, mithin keinerlei Zwang unterliegt, 644 sind alle seine möglichen Handlungen hinsichtlich ihres Vollzugsgrundes frei, und da er allmächtig ist, sind alle seine möglichen Handlungen hinsichtlich ihrer Verwirklichung indifferent. Dabei betont Baumgarten ausdrücklich, dass dies nicht nur vor der Schöpfung bzw. bis zum Moment der Schöpfung gegolten hat. Vielmehr gilt dies in jedem aktualen Weltzustand, also auch jetzt, und ebenso in jeder möglichen Zukunft. Gott ist also niemals durch sein vergangenes oder sein gegenwärtiges Handeln auf genau eine zukünftige Handlung 324  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

festgelegt, d. h. er determiniert durch sein eigenes jeweils aktuales bzw. aktual gewesenes Handeln nicht sein eigenes in der Zukunft mögliches Handeln. Da sein Handeln Wollen ist und sein zukünftiges Wollen Gegenstand der praescientia, determiniert auch diese keineswegs Gottes zukünftiges Handeln. Die Zukunft bleibt daher für Gottes Willen jederzeit kontingent. Ein auf Gott selbst bezogener Fatalismus ist deswegen falsch: »Weil Gott sich beim Handeln nach Belieben bestimmt und dies deutlich ist, besitzt er Freiheit, und diese ist die höchste, d. i. die die größten, meisten Handlungen nach deutlichstem Belieben verwirklichende. Der Fatalismus ist, indem die Behauptung die göttliche Freiheit hinwegnimmt, ein Irrtum.«645 Da Gott weder unter internen oder externen Zwängen steht noch sein Belieben sich auf sinnliche Triebfedern richten kann, also auch nicht willkürlich erfolgt, genießt er Freiheit in höchstem Maße, d. h. reine Freiheit: Gott will in der freiesten Weise. Also Gutes. Gott ist in der freiesten Weise abgeneigt. Also Üblem. Das Wollen (volitio) bzw. die Liebe des Guten, der Hass bzw. das Nicht-Wollen (nolitio) des Üblen sind in Gott unendlich 1) in extensiver Weise, weil er alles Gute liebt, alles Üble hasst, 2) in protensiver Weise, weil sie ewig und 3) in intensiver Weise, weil sie am angemessensten sind. Weil in Gott kein totes und bloß eitles Wissen sein kann, richtet sich das extensiv unendliche göttliche Wollen oder Nicht-Wollen auf die Gegenstände 1) der Wissenschaft des Möglichen, das Allgemeine, welches uns die universalen Begriffe (notiones) darstellen, und was immer an diesen des Guten oder Üblen ist, wogegen Gott nicht gänzlich gleichgültig sein kann, 2) des mittleren Wissens, das Wirkliche eines anderen Universums, 3) der freien Wissenschaft. Sofern der Wille (voluntas) Gottes Gegenstände der freien Wissenschaft bzw. Wirkliches dieser Welt begehrt, wird er der nachfolgende (consequens) genannt, gemäß negativer Bestimmung der vorhergehende (antecedens), sofern er sich auf Allgemeines und das Wirkliche einer anderen Welt richtet; jener wird wirkend (efficiens) genannt, jeder von beiden wirksam (efficax), auch der vorhergehende, nicht bloß, weil er ernstlich, sondern auch, weil er unter den Bewegungsgründen (motivis) eines Entschlusses (decreti) ist. 646

Alle Gegenstände des göttlichen Wissens sind auch jederzeit Gegenstände des göttlichen Wollens oder Nicht-Wollens. Da Gott aufgrund seiner reinen Freiheit gleichermaßen alles Gute will und Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  325

alles Üble nicht will und weder alles Gute zusammen in ein und derselben Welt existieren kann noch alle Welten, die möglich sind und eo ipso Gutes enthalten, zugleich wirklich sein können, ist gemäß der Differenz der Gegenstände seines Wissens zwischen verschiedenen Arten des göttlichen Willens zu unterscheiden. Denn wenn alle seine Volitionen auf alles Gute, das überhaupt möglich ist, gerichtet sind, dann können sie nicht alle von der Art sein, dass sie dessen Verwirklichung herbeiführen bzw. diese ermöglichen, mithin als Ursache eines jeweils einzelnen Guten bzw. einer Gelegenheit zum Vollzug einer guten Handlung durch eine Ursache, der freie Willkür zukommt, wirken. Dabei kommen an dieser Stelle deswegen zunächst nur Volitionen in Betracht, weil nur diese im Sinne einer causa efficiens Ereignisse bewirken können. So etwas wie Nicht-Ereignisse bzw. das Ausbleiben einer durch Handeln möglichen Veränderung können gar keine effizienzkausale Ursache besitzen, weil das Nicht-Sein von ohnehin Nicht-Seiendem bzw. die Nicht-Verwirklichung von Möglichem nicht eigens durch eine weltverändernde Handlung verursacht zu werden braucht: Der Gedanke an einen transienten Akt, der das Nicht-Sein eines Zustands, sofern dieser gar nicht erst besteht, verursacht, ist widersinnig, da jede Ursache auch eine Wirkung haben muss. 647 Es ist daher zwischen solchen Volitionen, die sich auf Gegenstände der scientia libera richten, und solchen, die sich auf das Gute in der scientia naturalis und der scientia media richten, zu unterscheiden. Dabei ist bereits klar, dass Erstere sich nur auf den Teil der scientia libera beziehen kann, der das in Zukunft Mögliche enthält, von dem Gott weiß, dass er es wollen wird. Denn ein Ereignis, das Gott bereits durch eine Volition herbeiführt oder ermöglicht bzw. herbeigeführt oder ermöglicht hat, kann nicht mehr in der genannten Weise durch sein Wollen bewirkt werden. Insofern Gott handelt, indem er will, kann er ein bereits eingetretenes Ereignis nicht einmal mehr wollen. Deswegen ist die scientia libera auch ein Wissen und kein Wollen. Es repräsentiert, wie sich nun zeigt, die Angemessenheit des göttlichen Willens an seinen Gegenstand, nämlich des Guten, wie es in einer singulären Welt außerhalb seines Geistes existieren kann. Deshalb wird die Welt, welche Gegenstand der scientia libera ist, diejenige sein, die im Vergleich zu allen anderen möglichen Welten im Ganzen das meiste 326  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

Gute enthält, d. h. Gegenstand der scientia libera ist die beste aller möglichen Welten. Als Gegenstand eines Wissens, dessen Inhalt jeweils in Zukunft zu wollen, genauer: die diesen identifizierende Sukzession von Weltzuständen zu wollen, Gott sich selbst frei bestimmt hat, ist diese nicht veränderbar und besteht demnach von Ewigkeit an. Dennoch muss auch die jeweils in der praescientia enthaltene Fortsetzung des jeweiligen aktualen Weltzustands von Gott gewollt werden, um aktual existieren zu können. Indem dies geschieht, folgt der Wille Gottes seiner praescientia. Er ist daher – wie ihn Baumgarten wiederum im Anschluss an die klassische Terminologie der Scholastik bezeichnet  – voluntas consequens. Erst sie bildet einen vollständigen Bewegungsgrund des Willens, mithin einen Entschluss bzw. – wie man im Falle Gottes üblicherweise sagt – einen Ratschluss (decretum), der dann als wirkende Volition – wiederum in diesem speziellen Fall – unmittelbar Gottes Handeln bedeutet. 648 Dass dies nicht die prinzipielle Kontingenz des zukünftigen Weltverlaufs eliminiert, weil jede Proposition der praescientia ebenso durch ein contingens futurum ausgesagt wird, wie jede Proposition der scientia media und die praescientia selbst kein Wollen ist, wurde bereits erörtert. Insofern nun die Gegenstände der scientia naturalis, d. h. alle überhaupt möglichen Welten, wie auch der scientia media, d. h. alle im Bezug auf den jeweils aktualen Weltzustand, beginnend mit der Schöpfung, jeweils noch möglichen Fortsetzungen bzw. Welten, alle­samt ebenfalls Gutes enthalten, muss sie Gott ebenfalls wollen, weil er alles Gute will, das überhaupt möglich ist. Weil die Gegenstände solchen Wollens ausschließlich möglich sind, ohne zugleich noch wirklich zu sein, kann Baumgarten auch sagen, dass sie durch die Allgemeinbegriffe des menschlichen Geistes dargestellt werden. Dies besagt freilich nicht, dass sie der unendliche Geist ebenfalls in allgemeiner Form denkt. Denn wäre auch er bei der Erkenntnis des der Möglichkeit nach Wirklichen – also zunächst grundsätzlich alles außerhalb Gottes in einer Welt Möglichen – auf die Mittel der extensionalen Logik angewiesen, besäße er gerade keine vollständige Erkenntnis dessen, was er schaffen kann, und folglich wäre dann seine Schöpfungsentscheidung nicht vollständig rational. Baumgartens Hinweis erinnert vielmehr daran, dass die ausschließlich extensional gebildeten Begriffe, welche die einzigen Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  327

Mittel rationaler Erkenntnis bilden, die der Mensch besitzt, immer nur die Möglichkeit einer Sache betreffen und über die metaphysische Wahrheit aus ihnen gebildeter Propositionen nicht allein mit extensonial-logischen Mitteln entschieden werden kann. Richtet sich hingegen Gottes Wille auf bloß Mögliches, wie es seine scientia naturalis enthält, ist sein Gegenstand nur insofern universal, als er ein Element der teilweisen Identität aller möglichen Dinge herausgreift, nämlich deren Gutheit. Dies ändert indes nichts daran, dass er von der jeweiligen individuellen Gutheit eines einzelnen Dings einen individuellen Begriff besitzt, der erst die vollständige Rationalität seiner Schöpfungsentscheidung ermöglicht. Denn die Gutheit eines jeden Einzeldings ist eine singuläre intensive Größe. Jedoch reichen die Beweggründe, welche die Begriffe der mit der scientia naturalis und der scientia media gegebenen möglichen Welten enthalten, nicht zu, um zu einem vollständig rationalen Verwirklichungsentschluss zu kommen. Denn alle anderen möglichen Welten enthalten weniger Gutes als die eine, zu deren Gunsten Gottes Schöpfungsentscheidung fällt. Dabei gilt, dass diejenigen Welten, die allein der scientia naturalis zugehören, schon mit der Schöpfung nicht mehr wirklich werden können, während diejenigen, die Gegenstand der scientia media sind, jeweils in Bezug auf die jeweilige Zukunft der sukzedierenden Weltzustände immer noch wirklich werden könnten. Die scientia media enthält also tatsächlich ausschließlich contingentia futura. Gottes volitio antecedens geht also zum einen generell auf das Gute so, wie seine nolitio antecedens generell auf das Üble geht. Auf diese Weise richtet sich sein Wille auf die Gegenstände der scientia naturalis. Zum anderen geht seine volitio antecedens auf das Gute, das in Bezug auf einen aktualen Weltzustand in Zukunft möglich ist, und seine nolitio antecedens auf das entsprechende Üble. Dann richtet sich sein Wille auf die Gegenstände der scientia media, die ebenso wie die scientia libera eine propositionale Teilmenge der scientia naturalis bildet. Genau deswegen ist die voluntas antecedens der voluntas consequens systematisch vorausgesetzt. Denn Gottes Ratschluss kann nur nach Belieben und in freiester Weise erfolgen, wenn alle möglichen Bewegungsgründe prinzipiell gleichermaßen gewollt werden könnten, weil sie alle irgendwie Gutes enthalten. Weder von Gottes generellem Wollen des Guten und Nicht-Wollen 328  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

des Üblen noch von Gottes durch die eigene Schöpfungsentscheidung bedingtem Wollen des dann noch möglichen Guten und dem Nicht-Wollen des dann noch möglichen Üblen führt ein Schluss auf sein Wollen der besten aller möglichen Welten. Es besteht keine logische Notwendigkeit via materialer Implikation, wie sie etwa durch folgendes, ganz offensichtlich falsche Konditional ausgesagt werden möchte: Wenn Gott generell das Gute, d. h. jedes mögliche Gute, will, so schafft er genau und nur die beste aller möglichen singulären Welten. Vielmehr entscheidet er sich hierzu nach Belieben und in freiester Weise, d. h. er könnte auch eine andere Welt schaffen  – denn jede mögliche Welt enthält Gutes  – oder keine, denn jede mögliche Welt ist weniger gut als ihr Schöpfer. Allenfalls durch seine voluntas antecedens, als deren Synonym Baumgarten auch voluntas inclinatoria angibt, könnte Gott geneigt sein, diese Welt, d. h. die beste aller möglichen Welten, zu schaffen. Eine solche Neigung determiniert aber keinen Entschluss. Auch ponderierte Indifferenz bleibt Indifferenz.

3. Gottes Handeln

Da Gott selbst unveränderlich ist und positiv bestimmtes Handeln Veränderung bedeutet, muss sich sein Handeln durch Ratschlüsse auf etwas beziehen, das von ihm verschieden ist, d. h. auf die außerhalb seines Geistes existierende Welt. Seine erste Handlung ist demzufolge die Schöpfung. Da er unter keinerlei Zwang steht, vollzieht er sie nach Belieben und in höchstem Maße frei, so dass er sowohl gar keine als auch jede aller möglichen Welten schaffen könnte. Aufgrund der vollständigen Rationalität seines Beliebens schafft er die beste aller möglichen Welten, d. h. die komplexeste aller möglichen Einheiten kompossibler Dinge. Da schlechthinnige Gutheit aufgrund der Endlichkeit und Veränderlichkeit alles möglichen Seienden außerhalb Gottes unmöglich ist, enthält die beste aller möglichen Welten, wie jede andere auch, mannigfaltige, sowohl physische als auch moralische Übel. Wenn Gott aber die freie Ursache (causa libera) der Existenz dieser Welt ist, scheint er auch der Urheber (auctor) der darin auftretenden Übel zu sein. Naturgemäß verneint Baumgarten diese Annahme. Er tut dies, indem er Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  329

zunächst an die allgemeine Ausrichtung des göttlichen Willens auf alles mögliche Gute erinnert: »Was immer Gott erschaffen hat, hat er erschaffen wollen. Nun aber hat er des kontingenten und moralischen Übels in formaler Art durchaus nicht gewollt. Also hat er dasselbe auch nicht erschaffen wollen. Gott ist nicht der Schöpfer irgendeines kontingenten Übels, deshalb auch nicht irgendeines formal betrachteten moralischen Übels.«649 Der Schlüssel zu diesem Argument liegt offenbar im hier metaphysisch vom Wollen und Nicht-Wollen Gottes her verstandenen Begriff des Formalen. Baumgarten erläutert ihn wie folgt: Was immer an dieser an Realem und Positivem ist, wird das bejahende (materiale remotum) einer Begebenheit genannt, die durchgängige Bestimmung, die gänzliche (materiale proximum), und was immer an dasselbe Verneinendem in Endlichem ist, wird die mangelhafte Schranke (formale) einer Begebenheit genannt. Deshalb werden Übel und ebenso sogar Strafen entweder zugleich in materialer und formaler Weise betrachtet und sind wie alles Endliche teils Gutes, teils genau bzw. formal genommen Übles, – sie werden von Gott geliebt, insofern sie Gutes sind, insofern sie Übel sind, hasst Gott sie unendlich – oder sie werden nur materiell als bejahend bestimmt betrachtet und sind positiv und real, nur Gegenstand der göttlichen Liebe oder nur formal und sind ausschließlich Verneinungen in engerer Bedeutung (negationes) oder Beraubungen (privationes) und sind nur Gegenstand des göttlichen Hasses oder als gänzlich bestimmte und formale. 650

Formale Bestimmungen einzelner Dinge sind in der genannten, auf den Willen Gottes bezogenen Bedeutung negativ, d. h. sie betreffen Abwesenheiten oder Mängel und entsprechen daher Nolitionen. Es wäre aber unrichtig zu sagen, dass derart negative Bestimmungen von Dingen aus Akten des Nicht-Wollens resultieren. Denn, wie bereits erwähnt, besitzen Nicht-Ereignisse – und über solche spricht Baumgarten hier ja  – keine positiv bestimmten Ursachen, d. h. auf das Eintreten eines Nicht-Ereignisses ausgerichtete Veränderungen. Gott will also generell keine Übel, aber sein Nicht-Wollen kann gar nicht auf die gezielte Vermeidung bestimmter einzelner Übel ausgerichtet sein, weil nur sein Wollen des Guten Ursache von Bestimmungen sein kann. Daher muss jedes Übel die Negation eines bestimmten Guten an einer positiv bestimmten Sache sein, mithin ein Mangel. Wenn also Gott gemäß 330  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

seiner voluntas antecedens generell alles überhaupt mögliche Gute will und sich in freiester Weise für die Erschaffung der besten aller möglichen Welten entscheidet, dann kann der Gutheit eines jeden einzelnen Dings in ihr ausschließlich durch die größere Gutheit eines anderen Dings in ihr Eintrag geschehen, sofern durch Letztere das Gesamtmaß an Gutem in der Welt maximal vergrößert wird. Die negativen Bestimmungen eines einzelnen Dings bzw. seine mangelnde Vollkommenheit ergeben sich daher stets aus anderen positiven Bestimmungen, deren Existenz zu denjenigen positiven Bestimmungen in Widerspruch steht, welche gleichfalls existieren könnten, aber nicht verwirklicht werden, weil sie das Gesamtmaß des Guten in einer Welt nicht maximal vergrößern. So folgt der Mangel an Gutem in dieser Welt unter der Bedingung einer Schöpfungsentscheidung mit Notwendigkeit aus Gottes Willen zum Guten, ohne dass Gott auch nur ein einziges und minimales Übel wollen müsste. Er ist also auch nicht Urheber des Übels in der Welt: Der Urheber ist die freie Ursache einer Handlung, und die Handlung ebenso dessen Verursachtes sind Wirkungen des Urhebers bzw. sittliche Taten (facta). Nun hat Gott die Welt in freiester Weise geschaffen. Also ist Gott Urheber der Schöpfung und dieser Welt. Gott ist ausschließlich Urheber dessen, was er will. Nun will Gott kein Formales eines kontingenten Übels, einer Sünde. Also ist Gott nicht Urheber irgendeines formal betrachteten kontingenten Übels, irgendeiner Sünde. Ein sittlicher Urheber (caussa moralis stricte dicta) ist Urheber durch die freie Bestimmung eines anderen, wie indem er lockt, droht, anrät, abrät, erpresst. Nun ist ein Urheber ein sittlicher Urheber. Also ist Gott sittlicher Urheber weder irgendeiner formal betrachteten Sünde noch eines kontingenten Übels. 651

Ganz offensichtlich ist Gottes Nicht-Wollen des Übels nicht gleichbedeutend mit der Inexistenz des Übels in der Welt. Vielmehr existiert es in Gestalt kontingenter Übel, d. h. ich-bewussten Wesen nachteiliger Einrichtungen der Natur wie Arbeit, Krankheit und Tod, die Strafen für den Sündenfall, mithin für eine Übeltat darstellen, und einzelner Sünden, die in dessen Folge von Menschen begangen werden können, aber nicht müssen. Weil jede üble Tat ebenfalls eine positive Bestimmung eines Weltzustandes sein muss, um zu existieren, muss sie eine freie Ursache besitzen, welche diese unter der Vorstellung, etwas in irgendeiner Hinsicht Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  331

Gutes zu tun, ausführt, d. h. reflexives Bewusstsein besitzt. Dies kann nur willentlich und gleichwohl nicht vollständig rational geschehen, d. h. durch freie Willkür. Also müssen Wesen, denen freie Willkür zukommt, nach Belieben im Sinne der Wahlfreiheit positiv bestimmte Veränderungen des Weltzustandes bewirken können, d. h. sie müssen als Ursachen wirken können, ohne dass dies, sofern sie dadurch sündigen, dem Willen Gottes entspricht, ja ihm sogar widerspricht, weil er das Übel hasst und stets nicht will. Weil aber jede Handlung erst dadurch notwendig wird, dass sie in der Vergangenheit vollzogen wurde oder gegenwärtig vollzogen wird, folgt aus dieser Freiheit zur üblen Tat umgekehrt auch die Freiheit zur guten Tat, die Gottes Willen entspricht. Die freie Willkür eines endlichen Geistes erstreckt sich daher auf den Vollzug jeder Handlung, die in Zukunft physisch, mithin als Veränderung des Weltzustands durch ihn möglich ist und durch ein contingens futurum ausgesagt werden kann. Folglich ist Gottes Wollen, sofern er der Urheber der existenten Welt ist, zwar deren und ihrer Zustände erste Ursache, es kann aber nicht die alleinige Ursache ihrer Zustände sein, sofern diese durch das Handeln von Dingen in der Welt gemäß ihrer freien Willkür herbeigeführt werden. Denn er schafft ja nicht die Welt insgesamt als Ganze zugleich mit all ihren Zuständen, die seinem Willen entsprechen, wie ihn die scientia libera enthält. Gegenstand seiner Schöpfung ist vielmehr der erste Zustand der Welt, und dieser ist so beschaffen, dass er durch diejenige Reihe zukünftiger Zustände fortgesetzt werden kann – aber keineswegs muss –, welche die beste aller möglichen Welten identifizieren bzw. verwirklichen und auf diese Weise sukzessive im Durchgang von praescientia über visio zu recordatio der scientia libera Gottes entsprechen. Nun ist klar, dass sich kein endliches Ding von selbst und durch sich selbst in seiner Existenz und Zuständlichkeit aufrechterhalten kann, da es dann nicht nur Ursache seiner selbst sein, sondern auch die Existenz und Zuständlichkeit aller anderen Dinge der Welt, deren Teil es doch ist, aufrechterhalten müsste. Denn Substanzen existieren zwar nicht als Bestimmungen anderer Dinge und insofern selbständig, jedoch, solange sie endlich sind, weder von selbst noch durch sich selbst. Daher kann die Voraussetzung für jede weitere Veränderung der Welt zu einem Fortsetzungszu332  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

stand, nämlich die Andauer ihrer Existenz, auch nicht durch die Welt selber erfüllt werden. Um dies zu leisten, muss vielmehr Gottes Schöpfungshandlung die Erhaltung der Fortexistenz der Welt durch Gott folgen. 652 Er bleibt daher auch insofern erste Ursache von Veränderung, als er für die Erfülltheit der Bedingung der Möglichkeit von Veränderung, nämlich die fortdauernde Existenz der von ihm zuerst in ihrem Urzustand geschaffenen Welt, sorgt. Weil die Fortdauer der Welt, mithin ihrer Existenz selber wiederum in Veränderung besteht, »wird die Erhaltung (conservatio)« – so Baumgarten – »nicht übel fortgesetzte Schöpfung (creatio continuata) genannt«. 653 Dieser ständige kausale Einfluss Gottes auf die Welt beschränkt nun nicht die ursächliche Tätigkeit der Dinge oder eliminiert sie gar, sondern er ermöglicht sie vielmehr erst: Weil die wirkenden Ursachen  – neben Gott alle Substanzen dieser Welt – Gott untergeordnet sind, ist jener die erste wirkende Ursache schlechthin, alle übrigen zweite. Nun sind alle Handlungen endlicher Substanzen zugleich Erleidnisse von anderen endlichen Substanzen her, die diese beeinflussen. Also tritt Gott wie eine wirkende Ursache zu allen Handlungen endlicher Substanzen mittelbar dazu (concurrit). Nachdem aber alle Erleidnisse endlicher Substanzen von anderen endlichen Substanzen zugleich Handlungen ihrer selbst sind, tritt Gott nicht allein da, wo ausschließlich eingesehen wird, dass sie handeln, sondern auch da, wo bemerkt wird, dass sie leiden, zu dem Augenblick selbst, zu dem sie verändert werden, indem er den zureichenden Grund dieser Veränderung ihrer selbst, die Kraft derselben, verwirklicht, indem er sie erhält, zu allen Handlungen endlicher Substanzen wie eine wirkende Ursache unmittelbar dazu, denn zur gegenwärtigen Existenz einer endlichen Substanz gehört deren Handlung. 654

Die Erstursächlichkeit Gottes erweist sich im uneingeschränkten Sinn in seiner Schöpfung, d. h. der Hervorbringung des ersten Weltzustandes aus Nichts. Denn für diesen ist er zugleich auch alleinige wirkende Ursache, da es schlicht noch nichts gibt, was ebenfalls irgendwie als Ursache wirken könnte. Für jeden Folgezustand gilt das nicht mehr. Denn in jedem möglichen Folgezustand gibt es Dinge, die als Zweitursachen wirken. Gott bleibt dann zwar erste, aber nicht mehr alleinige wirkende Ursache. Dennoch wirkt er bei jeder Handlung jedes Dings in der Welt, d. h. bei jeder Zustandsveränderung, mit. Deren Zweitursächlichkeit liegt nämlich darin, Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  333

dass ihre Existenz von ihrer Erhaltung durch Gott abhängt: Die Erstursächlichkeit Gottes erweist sich nach der Schöpfung in der Erhaltung der Welt. Deren Existenz besteht aber in der Tätigkeit ihrer Teile, mithin in einer Sukzession von Zuständen. Deswegen müssen diese Teile auch ihre verändernde Tätigkeit selbst verursachen. Denn sonst existierten sie ja nicht. Wenn aber ihre Existenz mit ihrer verändernden Tätigkeit zusammenfällt und die Erhaltung ihrer Existenz Gott als erster wirkender Ursache obliegt, dann lässt sich die Rede von der Tätigkeit der endlichen Substanzen nur rechtfertigen, wenn sie für ihre Veränderungen gerade so ursächlich sind wie Gott. Baumgarten macht dies dadurch deutlich, dass er die erhaltende Tätigkeit Gottes, in der seine Erstursächlichkeit nach der Schöpfung liegt, als Verwirklichung der eigenen Kraft, mithin also der internen Ursächlichkeit, der Substanzen selbst begreift. Das bedeutet aber zugleich, dass deren verändernde Tätigkeit durch sie selbst bestimmt wird. Je nach dem, um was für ein Ding und was für eine Handlung es sich handelt, wird dessen verändernde Tätigkeit demnach entweder natürlicher Notwendigkeit oder sinnlicher oder freier Willkür folgen. Gottes conservatio greift also nicht in die aktuale Handlungsbestimmung ein, sondern verursacht nur deren Ursächlichkeit. Aus der Dependenz der Zweit­ursachen von der Erstursache folgt also nicht die Determination der Zweitursachen durch die Erstursache. Dies gilt auch für Dinge, deren Tätigkeit natürlicher Notwendigkeit unterliegt. Denn auch deren Tätigkeit wird ja durch die Tätigkeit anderer Substanzen beeinflusst, ist mithin zugleich auch ein Leiden, d. h. die Aktivität einer handelnden Substanz wird stets in bestimmten Maße durch die Aktivität einer anderen, genauer: aller anderen handelnden Substanz(en) negiert. Da dieses Verhältnis stets wechselseitig ist, folgt kein Ding jemals exklusiv seiner eigenen internen Tätigkeitsbestimmung, auch wenn diese womöglich natürlicher Notwendigkeit folgt, die stets – unbeachtlich der Möglichkeit unmittelbarer verändernder Eingriffe Gottes in den Ablauf der Welt – immer nur genau einen Folgezustand erlaubt. Existieren in der Welt indes außer Gott weitere freie Ursachen, die zumindest durch freie Willkür nach Belieben ihr Handeln selbst bestimmen können, werden alle Folgezustände kontingent, wenn Gott genau wie bei allen anderen Substanzen auch durch seine conservatio allein die Ursäch334  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

lichkeit ihrer Tätigkeit verwirklicht und sie damit zugleich in der Existenz erhält. Gott ist dann sowohl Erstursache als auch Mit­ ursache der durch die Tätigkeit endlicher Substanzen verursachten Veränderungen, aber nicht deren allein bestimmende Ursache. 655 Die Doppelung der Ursächlichkeit Gottes für Veränderungen nach der Schöpfung erfüllt nun genau Baumgartens Bestimmung des Begriffs des concurrere, den er im angeführten Paragraphen gebraucht: »Mehrere Ursachen eines und desselben Verursachten sind Mitursachen (concausae), und man sagt, dass sie zum Verursachten zusammenkommen (concurrere). Eine Ursache, die keine Mitursache hat, ist die einzige Ursache (solitaria). Diejenige der Mitursachen, welche den größten Grund des Verursachten unter den übrigen enthält, ist die Hauptursache. Die Mitursachen einer Hauptursache sind die Nebenursachen. Alle Mitursachen sind untereinander verbunden.«656 Die Erstursächlichkeit Gottes unter der Bedingung der Schöpfung, d. h. nach und mit dem ersten Weltzustand, erweist sich somit als Mitursächlichkeit. Gegenstand solcher mitursächlichen Tätigkeit Gottes ist zuallererst die Verwirklichung der Ursächlichkeit der jeweils eigenen und diese in ihren individuellen Tätigkeitsmöglichkeiten bestimmenden Kräfte der kontingenten Dinge. Darin besteht zugleich die Erhaltung ihrer Existenz. Diese Dependenz der Dinge von Gott schließt nicht die Determination ihres Handelns durch Gott ein. Seine Mitwirkung (concursus) an der Veränderung der Weltzustände ist vielmehr insofern ganz allgemein, als sie sich auf alle Handlungen aller Substanzen, wie sie durch deren Kräfte möglich sind, erstreckt: »Die Erhaltung welcher Kräfte dieses Universums auch immer in der Verwirklichung derselben selbst ist die natürliche Mitwirkung Gottes (concursus dei physicus), und diese wird, weil und insofern sie sich auf die einzelnen Handlungen der einzelnen Substanzen erstreckt, die allgemeine (concursus generalis) genannt.«657 Gottes concursus generalis erfasst somit alle Handlungen, die sowohl aus natürlicher Notwendigkeit, aber auch nach Belieben, mithin aus sinnlicher oder freier Willkür vollzogen werden können. Alle Substanzen verändern sich daher aufgrund Gottes allgemeiner Mitwirkung insofern von sich aus bzw. spontan, als sie dadurch jede Handlung vollziehen können, die im Bereich ihrer Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  335

naturgemäßen Vermögen liegt. Diese umfassen nicht nur das unmittelbare weltverändernde Handeln, sondern auch das Erkennen, das letztlich stets im Dienst des Handelns steht. 658 Also fällt auch jede willentliche Handlung in den Bereich des concursus generalis, solange zur Willensbestimmung nicht auf Erkenntnisse zurückgegriffen werden muss, die nicht ohne Glauben möglich sind, d. h. nicht allein mit den jedem endlichen Geist seiner Natur nach zugänglichen Mitteln der Philosophie gewonnen werden können. Wenn Gottes moralische Mitwirkung sonach als concursus specialis zur allgemeinen hinzutritt, bezieht sich diese stets auf die Triebfedern seiner rechten kultischen Verehrung, die kein Gegenstand möglicher philosophischer Erkenntnis ist, weil sie zur geoffenbarten Theologie gehört, während seine übernatürliche Mitwirkung ohnehin per definitionem die natürlichen Vermögen der Dinge überschreitet. 659 Daraus folgt umgekehrt, dass jeder endliche Geist, weil und sofern er aus freier Willkür bzw. willentlich nach Belieben handeln kann, auch von sich aus allen universalen moralischen, d. h. ethischen und naturrechtlichen, Normen folgen kann, weil und sofern diese Gegenstand möglicher philosophischer Erkenntnis sind. Da indes nicht schon deren Erkenntnis das Wollen eines endlichen Geistes determiniert, sondern es allenfalls geneigt macht, sich gemäß dieser Erkenntnis bestimmen zu lassen, lässt Gottes allgemeine Mitwirkung auch willentlich vollzogene üble Handlungen, mithin böse Taten zu, jedoch freilich nicht als solche: »Jede Mitwirkung Gottes ist in höchstem Maße frei. Wenn sie also zum Formalen irgendeiner üblen Handlung hinzukommen würde, würde er deren Urheber werden. Also kommt sie zu allen physisch und moralisch üblen Handlungen als materielle, aber nicht als formale hinzu.«660 Auch wenn keine endliche Substanz ohne Gottes allgemeine Mitwirkung irgendetwas verursachen kann, folgt daraus nicht, dass zwischen dem Wollen Gottes und dem Wollen einer willentlich handelnden Substanz Einheit bestehen müsste. Erst damit nämlich wäre die Voraussetzung für eine Mit-Urheberschaft Gottes an einer Handlung – und damit auch für ihre Zurechenbarkeit nach Schuld oder Verdienst – erfüllt. 661 Nun liegt die Übelkeit einer Handlung stets in ihren negativen Bestimmungen, welche vom jeweils Handelnden als positive, d. h. unter der Vorstellung irgend­ 336  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

eines Guten, gewollt werden. Jedoch kann niemand, auch Gott nicht, negative Bestimmungen als solche wollen, weil dies hieße, etwas zu wollen, von dem man nicht weiß, was es ist. Also ist klar, dass Gott gar nichts zu der formalen, mithin negativen Bestimmung einer üblen Handlung beitragen kann. In dieser Hinsicht gehört einer solchen Handlung Gottes Nicht-Wollen. Allerdings kann es nichts, also auch keine Handlung, geben, das vollständig negativ bestimmt wäre. Dies wäre in der Tat nichts. Um zu sein, muss im Gegenteil jede Handlung positive Bestimmungen besitzen. Diese kann Gott wollen, weil sie gut sind, und auf diese allein kann sich auch seine Mitwirkung beziehen, denn ein Mangel lässt sich als solcher ja gar nicht verursachen. Er tritt vielmehr als Folge einer positiv bestimmten Handlung auf, die deswegen jedenfalls zum Teil eine üble ist. Wird eine solche Handlung durch einen endlichen Geist trotz der möglichen philosophischen Einsicht in die durch sie erfolgende Negation universal gültiger moralischer Normen gewollt und vollzogen, handelt es sich dabei um ein moralisches Übel, mithin eine böse Tat. Weil aber ein endlicher Geist, auch indem er eine böse Tat begeht, nicht nichts tut, sondern eine Veränderung des Weltzustands verursacht, besitzt auch sie positive Bestimmungen. Allein auf deren Ursächlichkeit bezieht sich der concursus generalis. Gott wirkt daher bei allen üblen Handlungen mit, jedoch nicht an den negativen bzw. formalen Bestimmungen, in denen ihre Übelkeit liegt, sondern allein an ihren positiven bzw. materiellen Bestimmungen, die sie überhaupt erst zu einer Veränderung der Weltzustandes machen. Er ist daher zwar ihre Mitursache, insofern er alles mögliche Gute will, aber nicht ihr Miturheber, insofern er jedes mögliche Übel nicht will. Der concursus generalis, vermittels dessen Gott die Existenz der Welt erhält  – und das heißt zugleich: ihre Veränderung von Zustand zu Zustand erhält –, widerspricht also gerade nicht dem Vermögen, nach Belieben aus freier Willkür zu handeln, wie es Menschen zugeschrieben wird. Im Gegenteil sorgt die allgemeine Mitwirkung Gottes insofern sogar für die jeweilige Wirklichkeit jenes Vermögens, als sie den freien Handlungen bzw. Willensentschlüssen erst Ursächlichkeit verleiht und sie auf diese Weise zu weltlichen, materiell bestimmten Begebenheiten, mithin UrsacheWirkungs-Komplexen macht. Daher muss die scientia media, die Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  337

exklusiv in der konditionalen Form von contingentia futura ausgesagt werden kann, in der Tat bereits die Existenz einer Welt voraussetzen, kann also gar nicht mit der scientia naturalis identifiziert werden. Denn diese enthält zwar ebenfalls unendlich viele Ketten kausal interpretabler Konditionale, nämlich eine je mögliche Welt, aber deren Wahrheitswert kann nicht mehr von Fall zu Fall kontingent sein. Dann nämlich bestünde die Möglichkeit der Ununterscheidbarkeit möglicher Welten bzw. die Ungewissheit über ihre Verschiedenheit schon in Gottes Geist. In dieser Möglichkeit dürfte letztlich auch der Grund dafür liegen, dass Gott entweder genau eine oder keine Welt, aber nicht alle oder nur einige davon schaffen kann: Wären mehrere hinsichtlich der Abfolge ihrer Zustände bis zu einem bestimmten Punkt identisch, wären sie ihrer Wirklichkeit nach nicht mehrere, sondern eine, die sich allerdings unter Widerspruch gegen das transzendentale Prinzip der Identität erst beim Eintreten des ersten differenten Zustandes vermehrte. In keiner dieser sich vermehrenden Welten gäbe es zwar kontingente zukünftige Zustände, allerdings wären sie als verschiedene unmöglich. Die scientia media funktioniert hingegen umgekehrt: Ohne Verletzung des Identitätsprinzips erlaubt sie unendlich viele kontingente zukünftige Zustände ein und derselben Welt, so dass erst mit deren sukzessiver Verwirklichung deren Identität sich entwickelt, auch wenn Gott sie durch seine praescientia kennt. Diese Kontingenz des Zukünftigen  – oder, weil alles Kontingente einmal zukünftig war, allgemeiner: diese Kontingenz des Kontingenten  – kann durch keinen Ratschluss Gottes eliminiert werden, denn seine Entscheidungen sind, sofern sie Kontingentes betreffen, stets durch ihre Gegenstände bedingt: »Wenn der Ratschluss Gottes unbedingt genannt wird, ist dessen Beweggrund weder die vorhergesehene Vollkommenheit noch die Unvollkommenheit des Gegenstands gewesen; hypothetisch wird dagegen genannt, welcher der vorhergesehenen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Gegenstands folgt; keine Ratschlüsse Gottes über Kontingentes sind unbedingt, alle sind bedingt. Der theologische Absolutismus ist die Behauptung, welche unbedingte Ratschlüsse Gottes über Kontingentes setzt, und er ist ein Irrtum.«662 Da Gott handelt, indem er will, und sich all sein Handeln auf von ihm Verschiedenes bezieht und alles, was von Gott verschieden 338  |  Wie die Dinge sind – Metaphysik  

ist, kontingent ist, gibt es keine absoluten Ratschlüsse Gottes. Es gibt folglich auch keine absolute Notwendigkeit in der Kontingenz, mithin in irgendeiner möglichen oder wirklichen Welt, sondern stets nur hypothetische Notwendigkeit. Dass diese nicht zureicht, die Kontingenz des Zukünftigen zu eliminieren und dies also zu determinieren, auch wenn Gott durch seine praescientia um den Wahrheitswert der entsprechenden contingentia futura weiß, wurde bereits gezeigt. Deswegen ist Gottes Wollen auch nicht durch sein Wissen determiniert. Daher kann Gott jeden Willensakt, den er vollzieht, auch nicht oder anders vollziehen, wenngleich er ihn stets gemäß der größtmöglichen Vollkommenheit des jeweiligen Gegenstands vollziehen wird und daher sukzessive die beste aller möglichen Welten schafft. 663 Er kann dies aber nur als Mitursache tun, weil eine Welt ohne Zweitursachen gar nicht außerhalb von Gottes Geist durch die Reihe ihrer Veränderungen hindurch existieren könnte. Und sie könnte in dieser Weise nicht ohne permanente Eingriffe Gottes wider die physische Notwendigkeit als eine intern kontingente existieren, wenn es in ihr nicht Wesen gäbe, die nach Belieben durch freie Willkür ihr eigenes Handeln bestimmen könnten und dadurch den Vollkommenheitsgrad der Welt durch die Möglichkeit des Auftretens eines Maximums an moralisch guten Handlungen erhöhten. Diese vollkommenheitssteigernde interne Kontingenz erhält Gott durch seine creatio continua aufrecht, als deren Instrument sein concursus generalis fungiert. Baumgarten verwendet deswegen in diesem Kontext konsequent den Begriff des Ratschlusses im Plural (decreta): »Alle Ratschlüsse Gottes sind im höchsten Maße den Gegenständen angemessene Willensakte, die in vollkommener Weise dem Wissen um den Vollkommenheits- oder Unvollkommenheitsgrad im bald zu begehrenden, bald abzulehnenden Gegenstand folgen. Dasselbe zeigt sich auch so: Gesetzt, dass bei irgendeinem Ratschluss Gottes die vorhergesehene Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Gegenstandes durchaus nicht Beweggrund gewesen ist, (sc. so) hat entweder Gott diese nicht gewusst, oder er hat von derselben abstrahiert, oder ist eine derartige in höchstem Maße deutliche, aber tote Erkenntnis gewesen.«664

Was Gott also durch den Ratschluss, der die Schöpfung selbst ist, schafft, ist ein erster Weltzustand, auf den der Möglichkeit nach Allwissenheit, Unbestimmtheit und Freiheit  |  339

unendlich viele weitere Weltzustände folgen können, welche die geschaffene Welt zur besten aller möglichen Welten machen und sie demnach als diese und keine andere identifizieren. Dabei ist sowohl jener erste Zustand als auch jede weitere Fortsetzung kontingent, und jede weitere Fortsetzung wird von Zweitursachen bewirkt. Für deren tatsächlich wirkende Ursächlichkeit sorgt der als solcher gegen gute und üble Handlungen indifferente concursus generalis. Durch diesen will Gott auch jeden Folgezustand, ohne diesen aber zu determinieren, sofern er durch eine Zweitursache, die aus freier Willkür handelt, bestimmt wird. Zwar weiß Gott durch seine praescientia in jedem gegenwärtigen Zustand, welche Welt, nämlich die beste aller möglichen, sukzessive verwirklicht wird. Jedoch bleibt jede andere Welt, wie sie auf der Basis des jeweils aktualen Zustands durch contingentia futura ausgesagt werden kann, ebenso möglich. Die Identität der aktualen Welt steht also jeweils erst in hypothetischer Notwendigkeit unabänderlich fest, wenn Gott den jeweiligen Zustand durch seinen concursus generalis gewollt hat. Die Identität der aktualen Welt bleibt daher, solange es noch mögliche zukünftige Zustände ihrer selbst gibt, im metaphysischen Sinne ihrer Wirklichkeit immer nur vorläufig bestimmt. Also ist sie auch in ihrem aktualen Zustand immer nur im Bezug auf eine mögliche Folge von zukünftigen Zuständen die beste aller möglichen Welten. Dass sie dies sein muss, ist eine hypo­t hetische logische Notwendigkeit. Diese ist aber nicht geeignet, die jeweils mögliche Zukunft metaphysisch zu determinieren. Dies nämlich widerspräche der Möglichkeit eines Maximums an moralisch guten Handlungen in ihr, das zweifellos auch zur besten aller möglichen Welten gehört. Gerade in der besten aller möglichen Welten muss Raum für die indifferente bzw. indeterminierte Freiheit freier Willkür sein. ✴ ✴ ✴ SDG

Anmerkungen

Anmerkungen

A. Wahrscheinliche Weltweisheit 1 

Vgl. Wolfgang Wieland, Aporien der praktischen Vernunft, Frankfurt/M. 1989, 13 ff. pass. 2  Wolff selbst war das wohl durchaus klar. Vgl. Alexander Aichele, Allzuständigkeit oder Beschränkung? A. G. Baumgartens Kritik an Christian Wolffs Begriff der Philosophie, in: Studia leibnitiana 42 (2010), 162–185, hier: 162–4. Zu einer im Rahmen des Wolffianismus eher orthodoxen Einordnung vgl. Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl, Einleitung, in: A. G. Baumgarten, Metaphysica, Hist.-krit. Ausg. (hg., übers. u. eingel. von G. Gawlick u. L. Kreimendahl), Stuttgart-Bad Cannstatt 2011. Die folgenden Übersetzungen aus Baumgartens Werken stammen im Übrigen von mir selbst, orientieren sich indes im Falle der Ästhetik mehr oder weniger stark an derjenigen Dagmar Mirbachs (A. G. Baumgarten, Ästhetik (hg., übers., eingef. u. mit Anm. versehen v. D. Mirbach), 2 Bde., Hamburg 2007. Für eine integrale und – im Gegensatz zu meinen eigenen Wiedergaben einzelner Passagen – sehr gut lesbare Übersetzung der Metaphysik vgl. die ausgezeichnete Ausg. von Gawlick/ Kreimendahl. 3  Kant-Experten, die viel zahlreicher sind als Baumgarten-Leser, werden an vielen Stellen Kants Nähe zu Baumgarten sowieso bemerken, auch wenn diese nicht eigens thematisiert wird. Besonders auffällige Überschneidungen habe ich gelegentlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, und sofern sie nicht längere Erläuterungen nötig gemacht hätten, angemerkt. Für eine Fülle von diesbezüglichen Hinweisen insb. zur Logik danke ich Anna Szyrwińska. Für diesen Schwerpunkt und überhaupt für philosophiehistorische Interessen unverzichtbar ist Clemens Schwaigers Aufsatzsammlung: A. G. Baumgarten – ein intellektuelles Porträt. Studien zu Metaphysik und Ethik von Kants Leitautor, Stuttgart-Bad Cannstatt 2011. 4  A. G. Baumgarten, Acroasis Logica in Christianum L. B. de Wolff [im Folgenden: Log.], Hildesheim u. a. 1983 (2. ND der Ausg. Halle 1761), § 1; s. a. Philosophia generalis (ed. Joh. Chr. Foerster) [im Folgenden: Phil. gen.], Hildesheim u. a. 2002 (2. ND der Ausg. Halle 1770), § 21; Gedancken vom vernünfftigen Beyfall auf Academien (hg., eingel. u. Anm. v. A. Aichele) [im Folgenden: AV], in: Aufklärung 20 (2008): A. G. Baumgarten. Sinnliche Erkenntnis in der Philosophie des Rationalismus (hg. v. A. Aichele u. D. Mirbach), 283–304, §. 12, Anm.**. 5  Vgl. Log., § 424.   |  341

6 

Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten, hg. v. Franz Schupp, Hamburg 1993; dazu etwa Wolfgang Lenzen, Das System der Leibnizschen Logik, Berlin/New York 1990, 29–31.  7  Gottfried Wilhelm Leibniz, Dissertatio praeliminaris, De alienorum operum editione, de Scopo operis, de Philosophica dictione, de lapsibus Nizolii (1670) [im Folgenden: Diss. prael.], in: Marii Nizolii De veris principis et vera ratione philosophandi libri IV, in: Sämtliche Schriften und Briefe, AA 6.2, 401–444, hier: 428: (…) maximi vir ingenii, et eruditionis pro illo aevo summae, Wilhelmus Occam Anglus (…).  8  Ebd., 427: Nominales sunt qui omnia putant esse nuda nomina praeter substantias singulares, abstractorum igitur et universalium realitatem prorsus tollunt.  9  Vgl. ebd. 10  Vgl. unten B.II.2. 11  Vgl. Leibniz, Diss. prael., 427: Ex hac iam regula Nominales deduxerunt, omnia in rerum natura explicari possi, etsi universalibus et formalitatibus realibus prorsus careatur, qua sententia nihil verius, nihil nostri temporis philosopho dignius (…). 12  Vgl. ebd. f.: Non contentus enim cum Nominalibus universalia ad nomina reducere, ipsam rerum veritatem ait (sc. Hobbes) in nominibus consistere, ac, quod maius est, pendere ab arbitrio humano, quia veritas pendeat a definitionibus terminorum, definitionibus autem terminorum ab arbitrio humano. Haec est sententia viri inter profundissimios seculi censendi, qua, ut dixi, nihil potest esse nominalius. [Anm.: Sed quae tamen stare non potest. Uti in Arithmetica, ita et in aliis disciplinis manent eadem veritates etsi notae mutentur, nec refert decadica, an duodenaria progressio adhibeatur.] Leibnizens übliches Beispiel hierfür stellen die natürlichen Zahlen dar, die auch real definiert werden können. 13  Vgl. etwa Yvon Belaval, Leibniz: Introduction à sa philosophie, Paris 1980, 37. 14  De primae philosophiae emendatione, et de notione substantiae (1694), in: G. W. Leibniz, Philosophische Schriften (hg. u. übers. von Hans Heinz Holz), Frankfurt/M. 1996, Bd. 1, 194–201, hier: 195: (…) quod notiones generales, et quae maxime omnibus notae creduntur, humana neglegentia atque inconstantia cogitandi ambiguae atque obscurae sunt factae; et quae vulgo afferuntur definitiones, ne nominales sunt quidem, adeo nihil explicant. 15  Vgl. z. B. Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684), in: Philos. Schriften (Holz), Bd. 1, 32–47, hier: 35: (…) Definitionem nominalem, quae nihil aliud est, quam enumeratio notarum sufficientium. 16  Vgl. De primae philosophiae, 194 ff. 17  Aristoteles, Categoriae (rec. L. Minio-Paluello), Oxford 1949 u.ö., 2a 11–14: Οὐσία δέ ἐστιν ἡ κυριώτατά τε καὶ μάλιστα λεγομένη, ἣ μήτε καθ’ 342  |  Anmerkungen 

ὑποκειμένου τινὸς λέγεται μήτε ἐν ὑποκειμένῳ τινί έστιν, οἷον ὁ τὶς ἄνθρωπος ἢ ὁ τὶς ἵππος. 18  Discours de Métaphysique (1686), in: Philos. Schriften (Holz), Bd. 1, 56–165, hier: 74: Il est bien vray, que lorsque plusieurs predicats s’attribuent à un même sujet, et que ce sujet ne s’attribue plus à aucun autre, on l’appelle substance individuelle; mais cela n’est pas assez, et une telle explication n’est que nominale. 19  Vgl. Ludwik Borkowski, Formale Logik, München 1977, 198. 20  Vgl. Gwyleth E.L. Owens, Inhärenz, in: Fritz-Peter Hager (Hg.), Logik und Erkenntnistheorie des Aristoteles, Darmstadt 1972, 296–307. 21  Vgl. Jan Łukasiewicz, Aristotle’s Syllogistic from the Standpoint of Modern Formal Logic, Oxford ²1951 u.ö., 5 ff. Treten also in gültigen Schlüssen Namen auf, müssen sie als Klassenbegriffe verstanden und behandelt werden. 22  Vgl. Met. 1036 a2–8. 23  Leibniz, Discours, 74: Il faut donc considerer ce que c’est que d’estre attribué veritablement à un certain sujet. 24  Vgl. zu den Begriffen von logischer, d. h. Kompatibilität, und metaphysischer Möglichkeit, d. h. Kompossibilität: Leibniz, De synthesi et analysi universali seu arte inveniendi et iudicandi (1679/85), in: Philos. Schriften (Holz), Bd. 4, 134–151, hier: 139 ff. 25  Deswegen betont Leibniz insbesondere den Nutzen von Kausaldefinitionen, die nicht nur aussagen, dass man den jeweiligen Begriff bilden kann, sondern auch, dass und wie man das entsprechende Ding herstellen kann (vgl. etwa Meditationes, 40). 26  Vgl. zum folgenden Discours, 74 ff. 27  Ebd., 74: Cela estant, nous pouvons dire que la nature d’une substance individuelle ou d’un estre complet, est d’avoir une notion si accomplie qu’elle soit suffisante à comprendre et à en faire deduire tous les predicats du sujet à qui cette notion est attribué. 28  Vgl. Benson Mates, The Philosophy of Leibniz. Metaphysics and Language, Oxford 1986, 84–94. 29  Vgl. Discours: Or il est constant que toute predication veritable a quelque fondement dans la nature des choses, et lors qu’une proposition n’est pas identique, c’est à dire lors que le predicat n’est pas compris expressement dans le sujet, il faut qu’il y soit compris virtuellement, et c’est ce que les Philosophes apellent in-esse, en disant que les predicat est dans le sujet. 30  Vgl. dg. Mates, 192. 31  De primae philosophiae, 198. 32  Ebd. 33  Vgl. George A. Blair, The Meaning of »Energeia« and »Entelecheia« in Aristotle, in: International Philosophical Quarterly 7 (1967), 101–116, hier: 103. 34  Eine scharfe Abgrenzung des leibnizischen vom aristotelischen Gebrauch (vgl. Alexander Aichele, Energie oder Entelechie? Der metaphysische Wahrscheinliche Weltweisheit  |  343

Grund von Bewegung bei Leibniz und Aristoteles, in: Hans Poser u.a. [Hg.], Nihil sine ratione. Mensch, Natur und Technik im Wirken von G. W. Leibniz, Nachtragsband, Hannover 2002, 126–134), scheint mir aus heutiger Sicht bei allen bestehenden Differenzen überzogen: Sie folgt einer, allerdings in der Leibniz-Forschung üblichen (vgl. Enno Rudolph, Die Bedeutung des aristotelischen Entelechiebegriffs für die Kraftlehre von Leibniz, in: Alfred Heinekamp [Hg.], Leibniz’ Dynamica, Wiesbaden 1984, 49–54), stillschweigenden Gleichsetzung von Leibnizens Gebrauch des Entelechie-Begriffs in der Emendationsschrift mit dem Begriff der Ersten Entelechie, der dort allerdings gar nicht auftaucht. Ich halte diese Gleichsetzung mittlerweile für falsch. 35  Vgl. ausführlich Alexander Aichele, Ontologie des Nicht-Seienden. Ari­ stoteles’ Metaphysik der Bewegung, Göttingen 2009, insb. 191–222. 36  De primae philosophiae, 198: Sed vis activa actum quendam sive ἐντε­ λέχεια continet, atque inter facultatem agendi actionemque ipsam media est, et conatum involvit. 37  Vgl. Discours, § 14, 94. 38  Monadologie, in: Philos. Schriften (Holz), Bd. 1, 438–483, § 18 (446): On pourroit donner le nom d’Entelechies à toutes les substances simples, ou Monades creées, car elles ont en elles une certaine perfection (ἔχουσι τὸ ἐντελες), il y a une suffisance (ἀυτάρκεια) qui les rend sources de leurs actions interne et pour ainsi dire, des Automates incorporelles. 39  Vgl. Discours, § 8, 74 ff. 40  Vgl. zum folgenden ebd., § 14. Am ehesten kommen dem noch die Definitionen natürlicher Zahlen, die freilich selbst keine Substanzen sein können. Vgl. etwa Hans Burkhardt, Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibniz, München 1980, 218. 41  Vgl. Meditationes, 38. 42  Vgl. I. M. Crombie, Socratic Definition, in: Jane M. Day, Plato’s Meno in focus, London 1994, 172–207. 43  Vgl. Gorgias, Frg. DK B 3 (Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII), 84–87, insb. 84: ὧι γὰρ μηνύομεν, ἔστι λόγος, λόγος δὲ οὐκ ἔστι τὰ ὑποκείμενα καὶ ὄντα· οὐκ ἄρα τὰ ὄντα μηνύομεν τοῖς πέλας ἀλλὰ λόγον, ὃς ἕτερός ἐστι τῶν ὑποκειμένων. Καθάπερ οὖν τὸ ὁρατὸν οὐκ ἂν γένοιτο ἀκουστὸν καὶ ἀνάπαλιν, οὕτως ἐπεὶ ὑπόκειται τὸ ὂν ἐκτός, οὐκ ἂν γένοιτο λόγος ὁ ἡμέτερος. 44  Men. (rec. Ioannes Burnet, Oxford 1899), 80e 1–5: ὁρᾷς τοῦτον ὡς ἐριστικὸν λόγον κατάγεις, ὡς οὐκ ἄρα ἔστιν ζητεῖν ανθρώπῳ οὔτε ὃ οἶδε οὔτε ὃ μὴ οἶδε; οὔτε γὰρ ἂν ὅ γε οἶδεν ζητοῖ – οἶδεν γάρ, καὶ οὐδὲν δεῖ τῷ γε τοιούτῳ ζητήσεως – οὔτε ὃ μὴ οἶδεν – οὐδὲ γὰρ οἶδεν ὅτι ζητήσει. 45  Vgl. Discours, § 26, 132. 46  Im Menon führt Sokrates sie als Objekt priesterlicher und dichterischer Überlieferung ein (81a 5–c 4) und lehnt Menons Argument aus moralischen Gründen ab (81d 5–e 2), während im Phaidon seine Gesprächspartner die 344  |  Anmerkungen 

Anamnesis-Lehre einführen, ohne sich recht an die Beweise dafür zu erinnern (72e 3–73b 10). Zu Platons vermutlicher Distanzierung von diesen Überlegungen vgl. etwa Kenneth M. Sayre, Plato’s Literary Gardens. How to Read a Platonic Dialogue, Notre Dame/IN 1995 u.ö., 65 ff. 47  Vgl. Andreas Graeser, Platons Ideenlehre. Sprache, Logik und Metaphysik. Eine Einführung, Bern/Stuttgart 1975, insb. 45ff. u. 101 ff. 48  Leibniz, Quid sit idea? (1678), in: Philos. Schriften (Holz), Bd. 4, 62–65, hier: 62: Ante omnia (autem) Ideae nomine intelligimus aliquid, quod in mente nostra est. 49  Vgl. ebd.: Multa autem sunt in mente nostra, exempli causa cogitationes, perceptiones, affectus, quae agnoscimus non esse ideas, etsi sine ideis non fiant. 50  Ebd.: Idea enim nobis non in quodam cogitandi actu, sed facultate consistit. 51  Vgl. Meditationes, 38 ff. 52  Vgl. Discours, § 26, 130. 53  Vgl. ebd., 132. 54  Nouveaux essais sur l’entedement humain (hg. u. übers. von Wolf von Engelhardt u. Hans Heinz Holz), 2 Bde., Frankfurt/M. 1961, IV. 2, § 14 (264): Mais sans disputer des noms, je tiens que la recherche des degrés de probabilité seroit très importante et nous manque encor, et c’est un grand defaut de nos Logiques. Vgl. dazu Burkhardt, 422 ff. S. jetzt: Sebastian Simmert, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit. Historisch-systematische Analyse von Wahrscheinlichkeitstheorien in Bezug zu Wahrheitsbedingungen von der Moraltheologie der spanischen Spätscholastik bis zur naturwissenschaftlich-mathematischen Konzeption der heutigen Zeit, Diss. Halle 2015, Wiesbaden 2017. 55  Vgl. die Nachweise in Alexander Aichele, Nichts zu viel. Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für die Lebenspraxis im Zeitalter der Aufklärung am Beispiel A. G. Baumgartens, in: Valérie Kobi (Hg.), De la théorie à l’action. Les savoirs et leur mise en œuvre au siècle des Lumières, Genève 2011, 281–95. B. Was Menschen wissen können: Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis 56 

Phil. gen., § 147: Philosophia organica versatur circa cognitionem I. sensitiuam, A[E]STHETICA (…) II. Intellectualem LOGICA STRICTE DICTA (…). 57  Phil. gen., § 146: Communior est in philosophiam eam, quae de cognoscendo (et proponendo) agit, ORGANICAM . 58  Vgl. Aristoteles, Phys. I.1; Met. I.2. 59  Vgl. hierzu und zum folgenden die Übersicht über den systematischen Aufbau der Philosophie, Log, § 7. Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  345

60 

Log., § 3: COGNITIO (eine Erkenntniss) est complexus repraesentationum, seu perceptionum (Vorstellungen), ergo cognitio et scientia differunt, §. 2. Zum durchaus synonymen Gebrauch von repraesentatio und perceptio vgl. A. G. Baumgarten, Metaphysica [im Folgenden: Met.], Hildesheim u. a. 1982 (2. ND der Ausg. Halle 1779), §§ 512/514. 61  Log., § 2: SCIENTIA (Wissenschaft) est cognitio ex certis certa; ergo philosophia ex certis cognoscenda est, §. 1. 62  Log., § 15: Quae ab aliis distinguimus, ea APPERCIPIMVS , eorum nobis sumus conscii (das stellen wir uns vor, des sind wir uns bewusst, das bemerken wir, das nehmen wir wahr). Perceptio appercepta est COGITATIO (ein Gedanke). 63  Vgl. Met., §§ 504/505. 64  Met., § 506: Cogitationes sunt repraesentationes. Ergo anima mea est vis repraesentatiua, §. 505. 65  Met., § 511: Sunt in anima perceptiones obscurae, §. 510. Harum complexus FVNDVS ANIMAE dicitur. 66  Vgl. Leibniz, Nouveaux Essais, Pref., XX–XXIII. 67  Met., § 510: Quaedam distincte, quaedam confuse cogito. Confuse ali­ quid cogitans, eius notas non distinguit, repraesentat tamen, seu percipit. Nam si notas confuse repraesentati distingueret, quae confuse repraesentat, distincte cogitaret: si prorsus non perciperet notas confuse cogitati, per eas confuse perceptum non distinguere valeret ab aliis. Ergo confuse quid cogitans quaedam obscure repraesentat. 68  Vgl. Log., § 20. 69  Met., § 512: Ex positu corporis mei in hoc vniuerso cognosci potest, cur haec obscurius, illa clarius, illa distinctius percipiam, §. 306, 509. i. e. REPRAE­ SENTO PRO POSITV CORPORIS (Meine Vorstellungen richten sich nach der Stelle meines Leibes.) mei in hoc vniuerso. 70  Vgl. Met., § 514. 71  Vgl. Met., § 507. 72  Vgl. Met., § 306. 73  Met., § 517. 74  Über den einschlägigen Wert der äußerst umfänglichen kunsttheoretischen Arbeiten von Baumgartens Schüler Georg Friedrich Meier können in dieser Hinsicht kaum Zweifel bestehen. Denn Meier hat Baumgartens Theorie gleichsam philosophisch entkernt. Es ist hier durchaus dem ebenso treffenden wie vernichtenden Urteil von Armand Nivelle (Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik, Berlin/New York ²1971) zuzustimmen, der feststellt, daß Meiers Anfangsgründen aller schönen Künste und Wissenschaften (3 Bde., Halle 1748 ff.) »alle maßgeblichen Errungenschaften Baumgartens (…) fremd« seien und Meier seinen »Ruhm (…) bloß der sprachlichen Schwierigkeit des baumgartenschen Textes« verdankt (45 f.). Zu einem ähnlichen Befund gelangt bereits Alfred Baeumler, Kants Kritik der Urteilskraft, Bd. 1: Das 346  |  Anmerkungen 

Irrationalitätsproblem in der Aesthetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft, Halle 1923, 210 pass. 75  Met., § 533: Scientia sensitiue cognoscendi & proponendi est AESTHETICA (die Wissenschaft des Schönen), (Logica facultatis cognoscitiuae inferioris, Philosophia gratiarum & musarum, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis). 76  Met., § 520: Anima mea quaedam cognoscit obscure, quaedam confuse cognoscit, §. 510. iam, caeteris paribus, percipiens rem, eamque diuersam ab aliis, plus percipit, quam percipiens rem, sed non distinguens, § 67. Ergo caeteris paribus, cognitio clara maior est, quam obscura, §. 515. Hinc obscuritas minor, claritas maior cognitionis gradus est, §. 160, 246. & eandem ob rationem confusio minor s. inferior, distinctio maior s. superior. Vnde FACVLTAS obscure seu indistincte aliquid cognoscendi COGNOSCITIVA INFERIOR (das untere Vermögen zu erkennen) est. Ergo anima mea habet facultatem cognoscitiuam inferiorem, §. 57, 216. 77  Met., § 521: REPRAESENTATIO non distincta SENSITIVA (eine sinn­ liche Vorstellung) vocatur. Ergo vis animae meae repraesentat per facultatem inferiorem perceptiones sensitiuas, §. 520, 513. 78  Met., § 522: Repraesento mihi quaedam ita, vt aliqui eorum characteres clari sint, aliqui obscuri. Eiusmodi perceptio, qua notas claras, distincta est, qua obscuras sensitiua, § 521. Hinc est distincta, cui aliquid admixtum est confusionis & obscuritatis, & sensitua, cui aliquid distinctionis inest. Haec ex parte sequiori formatur per facultatem cognoscitiuam inferiorem, §. 520. 79  Vgl. Met, § 528. 80  Log., § 20: OBSCVRVM ABSOLVTE ET OBIECTIVE (an und vor sich, schlechterdings) esset, quod per se non potest clare cognosci; RELATIVE ET SVBIECTIVE (diesem oder ienem Dunckel), ad quod cognoscendum cuiusdam cognoscentis vires non sufficiunt. 81  Vgl. Met., § 525. 82  Met., § 529: Quod aliis clarius percipio ATTENDO (daran gedenke ich, darauf habe oder gebe ich Acht); quod aliis obscurius ABSTRAHO AB EO (das lasse ich aus der Acht, das werfe ich in Gedanken weg, das verdunkle ich mir, das entziehe ich meinen Gedanken). Ergo habeo facultatem attendendi & abstrahendi, §. 216. sed finitas, § 354. hinc in certo tantum, non maximo gradu vtrasque, § 248. Quo plus quantitati finitae demitur, hoc minus est residuum. Ergo quo magis attendo vni rei, hoc minus possum attendere aliis: ergo perceptio fortior attentionem admodum occupans obscurat, seu facit a debiliori abstrahere, §. 528, 515. 83  Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung. ND der Ausgabe Tübingen 1932 mit einer Einleitung von Gerald Hartung und einer Bibliographie der Rezensionen von Arno Schubbach, Hamburg 1998, 475. Ins Bewusstsein der Forschung gelangte Baumgartens historischer Schritt erst wieder durch Theodor Verweyen, Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko? Zur ästhetikÄsthetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  347

theoretischen Grundlegung und funktionsgeschichtlichen Rechtfertigung der deutschen Anakreontik, in: GRM N.F. 25 (1975), 276–300. 84  Met., § 531: Pone duas cogitationes trium notarum, sed sint in vna clarae, quae in altera obscurae sunt, prior erit clarior, §. 528. Ergo claritas perceptionis augetur claritate notarum per distinctionem, adaequationem e. c. Pone duas cogitationes claras notarum aequaliter clararum, quarum tres sint in vna, sex sint in altera; posterior erit clarior, §. 528. Ergo multitudine notarum augetur claritas, §. 162. CLARITAS claritate notarum maior, INTENSIVE (ein schaerferes, strengeres), multitudine notarum, EXTENSIVE MAIOR (ein verbreiteteres Licht) dici potest. Extensiue clarior PERCEPTIO est VIVIDA (eine lebhafte Vorstellung). Viuiditas COGITATIONVM & ORATIONIS NITOR (das schimmernde der Erkenntniß und Rede) (splendor) est, cuius oppositum est SICCITAS (das trockne) (spinosum cogitandi dicendique genus). Vtraque claritas est PERSPICVITAS (die Fasslichkeit, Verstaendlichkeit). Hinc perspicuitas vel est viuida, vel intellectualis, vel vtraque. PERCEPTIO, cuius vis se exserit in veritate alterius perceptiones cognoscenda, & VIS EIVS , est PROBANS (die beweist, wahrmacht), cuius vis alteram claram reddit, & VIS EIVS est EXPLICANS (die entdeckt, aufzeigt, woraus erhellt) (declarans), cuius vis alteram viuidam reddit, & VIS EIVS , est ILLVSTRANS (die erlaeutert, aufhellt) (pingens), quae alteram distinctam, & VIS EIVS est RESOLVENS (die aufschliest, aus einander setzt, entwickelt) (euoluens). Conscientia veritatis est CERTITVDO (Gewissheit) (subiectiue spectata cf. §. 93). Certitudo sensitiua est PERSVASIO (Ueberredung), intellectualis CONVICTIO (Ueberzeugung, Ueberführung). Cogitans rem & veritatem eius, caeteris paribus plura cogitat, quam cogitans rem tantum. Hinc COGITATIO & COGNITIO certa, caeteris paribus, maior est INCERTA (ungewisse Erkenntniß und Gedanken), quae non est certa, §. 515. COGNITIO iusto incertior est SVPERFICARIA (seichte, unsichre), adeo certa, ac requiritur, est SOLIDA (sichre, gründliche Kenntniss). Quo clarior, quo viuidior, quo distinctior, quo certior cognitio est, hoc maior est. PERCEPTIO certitudinem alterius habens pro corollario, & VIS EIVS , est vel PERSVASORIA (von überredender), vel CONVINCENS (von überzeugender Kraft und Wircksamkeit). Certa perspicuitas est EVIDENTIA (das völlig ausgemachte). 85  Met, § 528: Minime clara est perceptio, cuius notae tantum sufficiunt ad eandem ab vnico diuersissimo difficillime distinguendam, §. 161. A quo pluribus ergo, a quo magis iisdem, quo facilius perceptionem distinguere valeo, hoc est mihi clarior, §. 160. donec sit mihi clarissima, quam ab omnibus, etiam maxime iisdem, facillime valeo distinguere, §. 161. Minime obscura est repraesentatio, cuius notae ad eam ab vnico tantum maxime eodem facillime distinguendam non sufficiunt, §. 161. A quo pluribus, a quo magis diuersis, quo maiori vi adhibita, perceptio tamen non potest distingui, hoc maior est eius obscuritas: donec mihi sit obscurissima, quae a nullis, etiam maxime diuersis, omni vi mea adhibita distingui potest, §. 161. 348  |  Anmerkungen 

86 

Vgl. zum Begriff der Lebhaftigkeit insb. Ästh., § 636. Vgl. dazu Ästh., §§ 852 und 618/ 619. 88  Vgl. Met., § 21. 89  Met, § 197: Si substantiae inhaerent accidentia, est aliquid inhaerentiae ratio, § 20. s. VIS LATIVS DICTA (eine Kraft in weiterer) (efficacia, energia, actiuitas cf. § 216.) & sufficiens, § 22. Hoc est VIS STRICTIVS DICTA (eine Kraft in engerer Bedeutung), (& breuitatis caussa nonnumquam simpliciter).  90  Vgl. Met., § 198.  91  Vgl. Met., § 220.  92  Vgl. Met., § 205.  93  Vgl. Met., § 207.  94  Vgl. Met., § 216.  95  Vgl. Met., § 206.  96  Vgl. Met. §§ 505 u. 210.  97  Met., § 220: Posita facultate & receptiuitate quum non ponatur actio vel passio, §. 216, 259. ponatur tamen posita vi strictius dicta, §. 210, 30. haec erit complementum facultatis ad actum, i. e. quod accedit ad facultatem, vt ex­sistat actio. Hinc data certa VIS STRICTIUS DICTA ad datam certam actionem vel sufficit, vel minus, §. 21, 210. prior VIVA , posterior MORTVA solicitatio dicitur.  98  Ästh., § 26: Perceptio quatenus est ratio, est ARGUMENTUM . […] Vgl. zu diesem Begriff insbesondere des ästhetischen Arguments und seiner Beziehung zur quinitilianischen Tradition der Rhetorik: Salvatore Tedesco, L’estetica di Baumgarten, Palermo 2000, 86 ff.  99  Vgl. Pietro Pinpinella, Veritas aesthetica. Erkenntnis des Individuellen und mögliche Welten, in: Aufklärung 20 (2008), 37–60, hier 43 ff. 100  Ästh., § 424: Posset metaphysica veritas obiectiva, obiective verorum repraesentatio in data anima SUBIECTIVE dici VERITAS , vel etiam in verbis faciles logicam eandem dicamus cum plurimis, sed latius, ut in re conveniamus, cuius potissimum caussa haec repetuntur aliquantulum altius. […] 101  Ästh., § 423: Tertia cura sit in rebus eleganter cogitandis, §§ 115, 177, VERITAS , M. § 515, sed AESTHETICA , § 22, i. e. veritas, quatenus sensitive cognoscenda est ea convenientia repraesentationum cum obiectis. […] 102  Ästh., § 444: Strictissime verorum eatenus est veritas aesthetica, quatenus ea sensitive percipiuntur vera, sensationibus vel imaginationibus, vel etiam praevisionibus non sine praesagio, nec amplius. […] 103  Vgl. dazu Pietro Pimpinella, Imaginatio, phantasia e facultas fingendi in Wolff e Baumgarten, in: ders., Wolff e Baumgarten. Studi di terminologia filosofica, Firenze 2005, 15–40; Ursula Franke, Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des A. G. Baumgarten, Wiesbaden 1972; und diess., Sinnliche Erkenntnis – was sie ist und was sie soll. A.G. Baumgartens Ästhetik-Projekt zwischen Kunstphilosophie und Anthropologie, in: Aufklärung 20 (2008), 73–99. 87 

Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  349

104 

Vgl. Met., § 37. Met., § 344: Si ens concipitur vt determinabile, MATERIA , cf. §. 295, 299. EX QVA (der Stoff/ das Zeug), in ipso determinationis actu MATERIA CIRCA QVAM (obiectum, subiectum occupationis) (der Gegenstand), facta determinatione MATERIA IN QVA , & haec cum materia ex qua, SVBIECTVM vocatur, 106  Vgl. Met., p. I. c. III ss. IV–VI. Die folgende sectio VII ist mit »reliqua caussarum genera« überschrieben. 107  Hierzu und zum folgenden Met., § 307: Quod continet rationem alterius, eius est PRINCIPIVM (die Quelle). Dependens a principio PRINCIPIATVM (das abgeleitete) est. Principium existentiae est CAVSSA (die Ursach), principiatum caussae CAVSSATVM (das verursachte). Quod non potest exsistere, nisi vt caussatum alterius extra se positi, est ENS AB ALIO (abhaengend) (dependens), quod potest etiam exsistere, licet non sit caussatum alterius extra se positi, est ENS A SE (selbststaendig) (independens). 108  Met., § 345: Materia & forma quum actualis determinationis rationem contineant, §. 344, 40. caussae sunt, §. 307. Illa materialis, haec formalis. Concaussae materiales & formales sunt inter se connexae, §. 314. earumque NEXUS cum suis principiatis, §. 307, & inter se, §. 314. ille SUBIECTIVVS dici potest, hic FORMALIS (essentialis). 109  Vgl. Met., § 61. 110  Vgl. etwa Met., § 63. 111  A. G. Baumgarten, Ethica philosophica [im Folgenden: Eth.], Hildesheim u. a. 2000 (2. ND der Ausg. Halle 1763), § 267: Hinc OCCUPATIO [Beschäftigung, ein Mensch hat was zu thun] hominis est actio ab ipso cogitante ad certum finem directa. 112  Ästh., § 423: Veritatem objectorum metaphysicam novimus convenientiam eorundem cum universalibus maxime principiis, M. § 92 […]. 113  Met., § 89: VERITAS METAPHYSICA (die metaphysische Wahrheit) (realis, obiectiua, materialis) est ordo plurium in vno, VERITAS in essentialibus et attributis entis, TRANSCENDENTALIS (die nothwendige metaphysische Wahrheit). 114  Met., § 92: PRINCIPIA (cf. §. 307, 311.) CATHOLICA (allgemeine GrundSaetze) (vniuersalia) sunt singulis entibus communia. Metaphysice vera determinantur principiis catholicis, §. 7, 20, 22, 23. conuenienter, §. 90, 80. et, quae determinantur his principiis conformiter, sunt metaphysice vera, §. 89. Hinc VERITAS METAPHYSICA potest definiri per conuenientiam entis cum principiis catholoicis. 115  Vgl. Pimpinella, Veritas aesthetica, 40 ff. 116  Vgl. Ästh., § 426, und Met., § 90. 117  Vgl. Ästh., § 424 pass. 118  Ästh., § 431: Veritas aesthetica postulat obiectorum eleganter cogitandorum I) possibilitatem, § 426, 1) absolutam, M. §§ 15, 90, quatenus sensitive 105 

350  |  Anmerkungen 

cognoscenda est, § 423, i. e. ne in obiecto, dum illud vel in se spectare placet, iam aliquid notarum sibi invicem contradicentium, vel a sensibus et analogo rationis observetur, M. § 8. Quaedam peccatorum inaequalitas habet hanc possibilitatem, et hinc etiam aesthetice vera est, M, § 272. E contrario: / Queis paria esse fere placuit peccata, laborant, / Quum ventum ad verum est. Sensus moresque repugnant, / Atque ipsa utilitas, iusti prope mater et aequi, Hor., Serm. I 3. 119  Vgl. Met, §§ 272, 246, 69, 70. 120  Vgl. Eth. §§ 151, 251 und. Met., §§ 146, 788. 121  Met., § 7: Nihil negatiuum, cf. §. 54. irrepraesentabile, impossibile, repugnans, (absurdum, cf. §. 13.) contradictionem inuoluens, implicans, contradictorium, est A & non-A. seu, praedicatorum contradictoriorum nullum est subiectum, seu, nihil est, et non est. 0 = A + non A. Haec propositio dicitur principium contradictionis & absolute primum. 122  Met., § 8: Nonnihil est ALIQVID (Etwas): repraesentabile, quicquid non inuoluit contradictionem, quicquid non est A et non-A, est POSSIBILE (Möglich), § 7. 123  A. G. Baumgarten, Initia Philosophiae Practicae Primae [im Folgenden: IPP], Halle 1760 (abgedr. in: Kant, AA 19, 7–91), § 76: Habitus subsumendi facta sub legibus IURISPRUDENTIA est. 124  IPP, § 130: Facta humana omnia habent quidem aliquam inter se similitudinem et convenientiam s. identitatem, M. § 265, duo tamen cum faciunt idem, nunquam est totaliter idem, M. § 269, nec factum unius umquam totaliter aequale facto alterius, M. 272. 125  Vgl. Alexander Aichele, Enthymematik und Wahrscheinlichkeit. Die epistemologische Rechtfertigung singulärer Urteile in Universaljurisprudenz und Logik der deutschen Aufklärung: Christian Wolff und A. G. Baumgarten, in: Rechtstheorie 42 (2011), 495–513. 126  Met., § 269: IDENTITAS totalis singularium est NVMERICA . Impossibilia sunt duo extra se singularia prorsus seu totaliter eadem. Quum enim ponantur duo, ponuntur multa, hinc partim eadem, partim diuersa, §. 74. Ergo non sunt totaliter eadem, §. 267. Quae sunt totaliter eadem singularia, sunt eadem numero, nec partim eadem, partim diuersa, §. 267. Hinc non sunt multa, nec duo, §. 74. Haec propositio dicitur principium (identitatis) indiscernibilium late sumtum, aut negatae totalis identitatis. 127  Vgl. Ästh., § 431. 128  Vgl. Met., §§ 572/575. 129  Met., § 572: Identitates diuersitatesque rerum percipio. Ergo habeo facultatem identitates diuersitatesque rerum percipiendi, §. 216. Prior facultas esset minima, si ad duorum tantum fortissime perceptorum, maxime eorundem, vnicam minimam identitatem, inter maxime debiles socias & antecedentes perceptiones heterogeneas, debilissime repraesentandas sufficeret. Ergo quo plurium, quo minus notorum, quo magis diuersorum, quo plures, quo Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  351

maiores identitates, hinc congruentias, aequalitates, ergo & aequalitates rationum s. PROPORTIONES (Vergleichungen der Grössen), similitudines, quo fortiores inter socias & antecedentes perceptiones heterogeneas, quo clarius percipit, hoc maior est, §. 219. Habitus identitates rerum obseruandi est INGENIVM STRICTIVS DICTVM (Witz in engerer Bedeutung). 130  Vgl. Ästh., § 431 131  Vgl. Ästh., § 432. 132  Vgl. Ästh., § 439. 133  Met, § 573: Facultas diuersitates rerum percipiendi minima esset, quae duorum tantum, fortissime perceptorum, maxime diuersorum, vnicam mini­mam diuersitatem, inter maxime debiles antecedentes & socias perceptiones heterogeneas, remississime perciperet. Ergo quo plurium, quo minus noto­r um, quo magis eorundem, quo plures, quo maiores diuersitates, hinc discongruentias, inaequalitates, ergo & inaequalitates rationum s. DISPROPORTIONES (Ungleichheit der Verhaeltnisse), dissimilitudines, quo fortiores inter antecedentes & socias heterogeneas perceptiones, quo fortius repraesentat, hoc maior est, §. 219. Habitus diuersitates rerum obseruandi ACVMEN (Scharfsinnigkeit) est. ACVTVM ingenium est PERSPICACIA (eine artige oder feine Einsicht). 134  Vgl. Met., § 508. 135  Vgl. Met., § 573. 136  Vgl. Ästh., § 426. 137  Met., § 505: Cogito, mutatur anima mea, §. 125, 504. Ergo cogitationes sunt accidentia animae meae, §. 210. quarum aliquae saltim rationem suffi­ cientem habent in anima mea, §. 31. Ergo anima mea est vis, §. 197. 138  Met., § 197: Si substantiae inhaerent accidentia, est aliquid inhaerentiae ratio, §. 20. s. VIS LATIVS DICTA (eine Kraft in weiterer), (efficacia, energia, actiuitas cf. §. 216) & sufficiens, §. 22. Hoc est VIS STRICTIVS DICTA (eine Kraft in engerer Bedeutung), (& breuitatis caussa nonnumquam simpliciter). 139  Met., § 216: Omnis substantia existens agit, §. 210, 199. hinc habet possibilitatem agendi seu FACVLTATEM (Vermögen), (potentiam actiuam, vim, cf. § 197) §. 57, si patitur, habet possibilitatem patiendi, i. e. potentiam passiuam, capacitatem) RECEPTIVITATEM (Faehigkeit, Empfaenglichkeit), §. 57. 140  Met., § 534: Cogito statum meum praesentem. Ergo repraesento statum meum praesentem, i. e. SENTIO (ich empfinde). Repraesentationes status mei praesentis seu SENSATIONES (Empfindungen) (apparitiones) sunt repraesentationes status mundi praesentis, §. 369. Ergo sensatio mea actuatur per vim animae repraesentatiuam pro positu corporis mei, §. 513. 141  Vgl. Met., § 535. 142  Vgl. Met., § 21. 143  Vgl. Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie (hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann), GA II.24, Frankfurt/M. 21989, 46–49. 144  Met., § 55: EXISTENTIA (Würkligkeit) (actus cf. §. 210. actualitas) est 352  |  Anmerkungen 

complexus affectionum in aliquo compossibilium i. e. complementum essentiae siue possibilitatis internae, quatenus haec tantum, vt complexus determinationum spectatur, §. 40. 145  Met., § 36: Quae determinando ponuntur in aliquo, (notae et praedicata) sunt DETERMINATIONES (Bestimmungen), altera positiua, et affirmatiua, §. 34, 10. quae si vere sit, est REALITAS , altera negatiua, §. 34, 10. quae si vere sit, est NEGATIO (Verneinungen). Negatio apparens est REALITAS CRYPTICA , realitas apparens est VANITAS (Eitelkeit). 146  Vgl. Met., §§ 148, 152 und 154. 147  Met., § 515: Cognitio vera est realitas, § 12, 36. cuius oppositum, cognitio nulla s. defectus cognitionis, IGNORANTIA (Unwissenheit), et cognitio apparens s. ERROR (Irrthum), sunt negationes, §. 81, 36. Cognitio minima est vnici minimi minime vera, §. 161. Ergo quo plurium, quo maiorum, quo verior est, hoc maior est, §. 160. donec sit maxima plurimorum maximorum verissima. Gradus COGNITIONIS , quo plura cognoscit, est eius VBERTAS (Weite, Verbreitung, Ausdehnung, Vorrath, Reichthum der Erkenntniss) (copia, extensio, diuitiae, vastitas), quo pauciora, ANGVSTIA (enge Einschraenkung, Armuth, Dürftigkeit der Erkenntniss), quo maiora, est DIGNITAS (Grösse, Werth, Würde, Wichtigkeit) (nobilitas, magnitudo, grauitas, maiestas), quo minora, VILITAS (Geringschaetzigkeit) (exilitas, leuitas). Quo veriora, quo maiori ordine coniungit cognitio, hoc verior, §. 184. hinc maior est; COGNITIO veriora sistens EXACTA (genau) (exasciata) est, minus vera exhibens, CRASSA (grob). Maior in cognitione ordo, s. METHODVS , est COGNITIONIS METHODICVM (acroamaticum, disciplinale), minor TVMVLTARIVM (ein Gemenge). Cognitio eiusque repraesentationes in anima mea sunt vel minores vel maiores, §. 214. iisque, qua rationes sunt, ARGVMENTA LATIVS DICTA , vis & efficacia tribuitur, §. 197. Nulla cognitio est totaliter sterilis, §. 23. cognitio tamen maioris efficaciae, s. ROBORIS , est FORTIOR (staerker), minoris, quae IMBECILLITAS , DEBILIOR (schwaecher) (imbellis, iners). Repraesentationes debiliores ortae statum animae minus, fortiores magis mutant, §. 208, 214. 148  Vgl. Met., § 89. 149  Met., § 21: Ratio singulorum in aliquo est RATIO eius SVFFICIENS (der zureichende Grund), (completa, totalis) aliquorum tantum in eodem ratio est ratio eius INSVFFICIENS (der unzulaengliche) (incompleta, partialis). 150  Vgl. Met., § 81. 151  Vgl. Met., § 21. 152  Vgl. Log., § 204. 153  Met., § 517: Quo plures nota perceptio complectitur, hoc est fortior, §. 23, 515. Hinc obscura perceptio plures notas comprehendens, quam clara, est eadem fortior, confusa plures notas comprehendens, quam distincta, est eadem fortior. PERCEPTIONES plures in se continentes PRAEGNANTES (vielsagende Vorstellungen) vocantur. Ergo perceptiones praegnantes fortiores sunt. Hinc ideae habent magnum robur, §. 148. Termini significatus Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  353

praegnantis, sunt EMPHATICI (ein Nachdruck) (emphases). Horum scientia EMPHASEOLOGIA est. Nominum propriorum non parua vis est. 154  Vgl. Met., § 67. 155  Logik, § 44: Conceptus singularis vel individui est IDEA ; conceptus communis s. eiusdem in pluribus, est notio (ein mehrern gemeiner Begriff). 156  Met., § 518: Status animae, in quo perceptiones dominantes obscurae sunt, est REGNVM TENEBRARVM (das Reich der Finsternis); in quo clarae regnant, REGNVM LVCIS (das Reich des Lichts in der Seele) est. 157  Met., § 535: Habeo facultatem sentiendi, §. 534, 216. i. e. SENSVM (der Sinn), SENSVS repraesentat vel statum animae meae, INTERNVS (der innre), vel statum corporis mei, EXTERNVS (die aeusre Sinnen), §. 508. Hinc SENSATIO est vel INTERNA (eine innre) per sensum internum (conscientia strictius dicta), vel EXTERNA (eine aeusre Empfindung), sensu externo actuata, §. 534. 158  Met., § 557: Conscius sum status meus, hinc status mundi, praeteriti, §. 369. Repraesentatio status mundi praeteriti, hinc status mei praeteriti, §. 369. est PHANTASMA (eine Einbildung) (imaginatio, visum, visio). Ergo phantasmata formo, seu imaginor, idque per vim animae repraesentatiuam vniuersi pro positu corporis mei, §. 513. 159  Met., § 369: STATVS MVNDI (der Zustand einer ganzen Welt) est totum omnium statuum in partibus eius simultaneorum. Iam hic mundus habet partes, in quibus coëxsistunt fixa cum mutabilibus, §. 367. Ergo hic mundus habet statum, §. 205. 160  Vgl. Met., §§ 365–367. 161  Vgl. Met., § 132. 162  Vgl. Met., § 298. 163  Met., § 558: Habeo facultatem imaginandi seu PHANTASIAM , §. 557, 216. Quumque imaginationes meae sint perceptiones rerum, quae olim praesentes fuerunt, §. 557, 298. sunt sensorum, dum imaginor, absentium, §. 223. 164  Met., § 223: Substantia in substantiam proprius influens illi PRAESENS (gegenwaertig, zugegen) est, & proxime praesentes sibi inuicem substantiae SE CONTINGVNT, sunt contigua (sich einander berührend), vt adeo sit PRAESENTIA (Gegenwart) influxus proprior, & immediata praesentia mutua, s. immediatus conflictus, CONTACTVS (Berührung). Quatenus aliquid in aliud non influit, nec ab eo patitur, proprius, ABSENS (abwesend) ab illo dicitur. 165  Met., § 559: PRODVCITUR (euoluitur) PERCEPTIO (eine Vorstellung wird hervorgebracht), quae fit in anima minus obscura; quae fit obscurior, INVOLVITVR (verdunckelt); quae inuoluta olim producitur, REPRODVCITVR (wieder hervorgebracht, erneuert) (recurrit). Iam imaginationibus producuntur sensa, §. 558. hinc olim producta, §. 542. post inuoluta, §. 551. Ergo phantasia perceptiones reproducuntur, & nihil est in phantasia, quod non ante fuerit in sensu, §. 558, 534. 166  Hierzu und zum folgenden Met., § 570: Quum in omni sensatione sit aliquid obscuri, §. 544. & imaginatio semper sit sensatione eiusdem minus 354  |  Anmerkungen 

clara, §. 562. imaginationi etiam distinctae multum inerit confusionis, & omnis imaginatio est sensitiua, §. 522. formanda per facultatem cognoscitiuam inferiorem, §. 520. Scientia imaginando cogitandi & ita cogitata proponendi est AESTHETICA PHANTASIAE . 167  Met., § 561: Imaginatio & sensatio sunt singularium, §. 539, 534. hinc in universali nexus constitutorum, § 257. 168  Met., § 561: Vnde lex imaginationis: percepta idea partiali recurrit eius totalis, §. 306, 514. Haec propositio etiam associatio idearum dicitur. 169  Vgl. Met., § 570. 170  Vgl. Met., § 571. 171  Met., § 562: Quum repraesentem, hinc & imaginer, §. 557. pro positu corporis mei, §. 512. ea vero, quae externe sentio, propriora sint corpori, quam quae imaginor, §. 535, 558; patet, cur his illa possint clariora & fortiora esse, §. 538. Immo dum sensationes imaginationibus coëxistentes eas adhuc obscu­ rant, §. 542. nihil tam clare imaginor, quam sensi, ita tamen, vt gradus claritatis in imaginatione a gradu claritatis in sensatione dependeant, §. 561. 172  Vgl. Met., § 567. 173  Vgl. Met., § 564. 174  Met., § 571: Phantasia si repraesentet totaliter eadem, quae sensi, imaginationes verae sunt, §. 546, 38. nec VANA PHANTASMATA (leere Einbildungen) seu imaginations falsae, licet non aequali totaliter claritate percipiantur, §. 558, 562. Habitus vana phantasmata formandi est PHANTASIA EFFRAENIS (eine ausschweifende), SVBACTA (eine wohlgeordnete Einbildungskraft) contra habitus vere imaginandi. 175  Met., § 579: Reproductam repraesentationem percipio eandem, quam olim produxeram, §. 572, 559. i. e. RECOGNOSCO (ich erkenne etwas wieder) (recordor). Ergo habeo facultatem reproductas perceptiones recognoscendi seu MEMORIAM (Gedaechtniss), §. 216. eamque vel sensitiuam, vel intellectualem, §. 575. 176  Vgl. Met., § 571. 177  Met., § 580: Lex memoriae est: Repraesentatis pluribus perceptionibus successiuis, usque ad praesentem, partialem communem habentibus, partialis communis repraesentatur, ut contenta in antecedente & sequente, §. 572. adeoque memoria actuatur per vim animae repraesentatiuam vniuersi, §. 557, 576. 178  Met., § 197: Si substantiae inhaerent accidentia, est aliquid inhaerentiae ratio, § 20. s. VIS LATIVS DICTA (eine Kraft in weiterer), (efficacia, energia, actiuitas cf. § 216) & sufficiens, § 22. Hoc est VIS STRICTIVS DICTA (eine Kraft in engerer Bedeutung), (& breuitatis caussa nonnumquam simpliciter). 179  Vgl. Met., § 22. 180  Met., § 23: Omne possibile est ratio, seu nihil est sine rationato, nihil sine corollario et auctoramento, nihil omnino sterile, otioso, et infoecundum, seu posito aliquo ponitur aliquid rationatum eius. Nam omne possibile aut habet Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  355

rationatum, aut minus, §. 10. Si habet, est aliquid rationatum eius, §. 8. si non habet, nihil est eius rationatum §. 7. Ergo omnis possibilis rationatum aut nihil est, aut aliquid, §. 10. Si nihil esset rationatum possibilis alicuius, posset ex hoc cognosci. §. 14, hinc esset aliquid, §. 8, adeoque quoddam possibile impossibile, §. 7. 8. q. a. §. 9. Haec propositio dicatur principium rationati. 181  Met., § 595: Conscius sum status mei, hinc status mundi futuri, §. 369. Repraesentatio status mundi, hinc status mei, futuri est PRAEVISIO (die Vorhersehung, das Vorhersehen, Vorausbemerken). Praeuideo, hinc habeo facultatem praeuidendi, §. 216. actuandam per vim animae repraesentatiuam vniuersi pro positu corporis mei, §. 513. 182  Met., § 596: Lex praeuisionis est: Percepta sensatione & imaginatione communem partialem perceptionem habentibus, prodit perceptio totalis futuri status, in quo partes sensationis imaginationisque diuersae coniunguntur: i. e. Ex praesenti impraegnato per praeteritum nascitur futurum. 183  Met., § 597: Quum repraesentem, hinc & praeuideam, §. 595. pro positu corporis mei, §. 512. ea vero, quae externe sentio, propiora sint corpori, quam quae praeuideo, olim demum sensurus, §. 535, 595. patet, cur his illa possint clariora & fortiora esse, §. 529. Quia hinc sensationes praeuisionibus coëxistentes eas adhuc obscurant, §. 542. nihil tam clare praeuideo, quam sensurus sum, sed ita tamen, vt gradus claritatis in praeuisione a gradu claritatis in futura sensatione dependeat, § 596. 184  Vgl. Met., § 598. 185  Met., § 605: Si praeuideantur totaliter eadem cum sentiendis, praeuisiones sunt veraces seu PRAESENSIONES (Vorherempfindungen), licet non eodem modo, aequali cum sensationibus claritate, percipiantur, §. 597. Si sentiatur praesensum, IMPLETVR PRAEVISIO (das Vorherbemerkte trift ein, die Vorhersehung wird erfüllt). Praeuisio non implenda, FALLAX (das betrügliche Vorhersehn) est, fons errorum practicorum, §. 578. 186  Vgl. IPP., § 1. 187  Met., § 589: Combinando phantasmata & PRAESCINDENDO (durch Trennen und Absondern) i. e. attendendo ad partem alicuius perceptionis tantum, FINGO (dichte ich). Ergo habeo facultatem fingendi, §. 216. POETICAM . Combinatio quum sit repraesentatio plurium, vt vnius, hinc facultate identitates rerum percipiendi actuentur, §. 572, 155. facultas fingendi per vim animae repraesentatiuam universi actuatur, §. 557, 576. 188  Met., § 590: Facultatis fingendi haec est regula: Phantasmatum partes percipiuntur vt vnum totum, §. 589. Perceptiones hinc ortae FICTIONES (etwas erdichtetes) (figmenta), eaque false CHIMERAE dicuntur, vana phantasmata, §. 571. 189  Met., § 591: Pone combinari insociabilia, §. 589, aut praescindi fingendo, quibus sublatis tollitur imaginandum, vt essentialia, essentiam, §. 63, attributa, §. 64. aut tolli a fingendo omnes modos, omnes relationes, aut aliquos modos, aliquas relationes, ad actuale & individuum constituendum neces356  |  Anmerkungen 

sariis aliis non substitutis, repraesentari tamen fingendum, vt indiuiduum & actuale, §. 54, 148. orientur in his casibus singulis chimerae, §. 590. per illusionem facultatis identitates rerum percipiendi, § 576. 578. adeoque vana phantasmata, §. 590. lapsu memoriae per apparentem recognitionem admodum corroboranda, §. 588, 515. 190  Met. § 148: Complexus omnium determinationum in ente compossibilium est OMNIMODA eius DETERMINATIO (durchgaengige, völlige, voll­ staendige Bestimmung). Hinc ens aut est omnimode determinatum, aut minus, §. 10. Illud est SINGVLARE (einzeln), (individuum,) hoc VNIVERSALE (allgemeine). Vtrumque respectu omnium minus determinatorum, quae in se continet, INFERIVS (das untere, niedrigere, tiefere, bestimmtere) dicitur, illa respectu huius, SVPERIORA (die obern, höheren, allgemeinern, unbestimmtern). 191  Ganz ähnlich argumentiert Baumgartens hallescher Kollege Nikolaus Hieronymus Gundling, Von der Wahrheit, so ferne sie zur Vernunft-Lehre gehöret, in: Gundlingiana, 32. Stück, Halle 1724, 158–181, insb, §§ 6–8 (164 f.); vgl. dazu Alexander Aichele, Von der Fiktion zur Abstraktion. Nikolaus Hie­ ronymus Gundling über mögliche Urteilssubjekte am Beispiel seiner Ausein­ andersetzung mit Dadino Alteserras Begriff der persona ficta, in: ARSP 96 (2010), 516–41, hier: 536–8. 192  Ästh., § 456: Somnium eiusmodi, vel mundus fabulosus, § 455, vel 1) ipsi rationis analogo sistat iam pugnantia, se mutuo tollentia, absurda, vel 2) rationis et intellectus, apud tuos spectatores, toties iam nigrum theta inustum habeat, ut contra omnem rationem, nunc etiam, quae cogitas, te cogitare illos iudicaturos certus esse possis, et eiusmodi somnia, mundi eiusmodi fabulosi, ob falsitatem etiam aestheticam, ex campo meditationum venustarum exsulent, §§ 453, 431. Pictoribus atque poetis,/ Quidlibet audendi semper fuit aequa potestas,/ Sed non ut placidis coeant immitia, non, ut/ Serpentes avibus geminentur, tigribus agni. 193  Das gewiß prominenteste Beispiel ersterer Paarung findet sich Nietzsches Zarathustra, der schon dadurch mit aller wünschenswerten Deutlichkeit auf den parodistischen Charakter des Werks hinweist, zweitere ist ein biblischer Topos (Jes. 11.6./65.25). 194  A. G. Baumgarten, Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus / Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes (hg., übers. u. eingel. v. Heinz Paetzold) [im Folgenden: Med.], Hamburg 1983, § 9: Oratio sensitiva perfecta est POEMA , […]. 195  Met., § 640: Nexum quorundam confuse, quorundam distincte percipio. Ergo habeo intellectum nexum rerum perspicientem, §. 402, 216. i. e. RATIONEM (die Vernunft), & facultates nexus confusius cognoscentes, quales 1) inferior facultas identitates rerum cognoscendi, §. 572, 279 quo ingenium sensitiuum, §. 575. 2) inferior facultas diuersitates rerum cognoscendi, §. 572, 279. quo acumen sensitiuum pertinet, §. 575. 3) memoria sensitiua, §. 579, 306, Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  357

4) facultas fingendi, §. 589. 5) facultas diiudicandi, §. 606. 94. quo iudicium sensitiuum, §. 607. & sensuum, §. 608. 6) exspectatio casuum similium, §. 610, 612. 7) facultas characteristica sensitiua, §. 619, 347. Haec omnes, quatenus in repraesentando rerum nexu rationi similes sunt, constituunt ANALOGON RATIONIS (das der Vernunft aehnlich), §. 70. complexum facultatum animae nexum confuse repraesentantium. 196  Met., § 70: Qua qualitatem eadem sunt SIMILIA ≈ (ähnlich), qua quantitatem, AEQVALIA = (gleich), qua vtramque, CONGRVENTIA ≡ (gleichartig). […] § 71: Mere similia non sunt congruentia, hinc quantitate different, §. 70. hinc quantitas est discrimen internum mere similium. 197  Vgl. Met., § 646. 198  Met., § 606: Perfectionem imperfectionemque rerum percipio, i. e. DIIVDICO (ich beurtheile). Ergo habeo facultatem diiudicandi, §. 216. Haec minima esset vnici minimi fortissime percepti vnicam minimam perfectionem imperfectionemue, maxime debiles inter perceptiones heterogeneas praeuias & socias, remississime repraesentans. Quo ergo plurium, quo maiorum, quo remissus etiam perceptorum, quo plures, quo maiores perfectiones imperfectionesue, quo fortiores inter socias & praeuias heterogeneas perceptiones, quo fortius facultas diiudicandi repraesentat, hoc maior est, §. 219. Habitus res di­ iudicandi est IVDICIVM (das Vermögen zu beurtheilen), idque de praeuisis, PRACTICVM , de aliis, THEORETICVM vocatur, quatenus obscurius etiam perceptorum plures tamen perfectiones imperfectionesue detegit, est PENETRANS (durchdringend). 199  Met., § 94: Si plura simul sumta vnius rationem sufficientem constituunt, CONSENTIVNT (übereinstimmen), consensus ipse est PERFECTIO (Vollkommenheit), et vnum, in quod consentitur, RATIO PERFECTIONIS DETERMINANS (focus perfectionis) (Grund oder Brennpunct der Vollkommenheit). 200  Met., § 98: Consensus essentialium est PERFECTIO essentialis TRANSCENDENTALIS (wesentliche), affectionum ACCIDENTALIS (ausser­wesent­ liche), vtraque INTERNA (innre). Consensus relationum est PERFECTIO EXTERNA (aeussre). 201  Met., § 121: Perfectionis oppositum est IMPERFECTIO (Unvollkommenheit), et quidem 1) non consensus simplex, si in pluribus simul sumtis quaedam non sunt rationes vnius: haec est IMPERFECTIO PRIVATIVE DICTA ; 2) dissensus, si in pluribus simul sumtis quaedam consentiunt ad vnum, quaedam ad oppositum eius: haec est IMPERFECTIO CONTRARIE DICTA , §. 81, 94. 202  Vgl. Met., § 606. 203  Met., § 607: Lex facultatis diiudicandi est: perceptis rei variis aut consentientibus, aut dissentientibus, eius aut perfectio, aut imperfectio percipitur, §. 94, 121. Quod quum fiat vel distincte, vel indistincte; facultas diiudicandi, 358  |  Anmerkungen 

hinc & iudicium, §. 606. erunt vel sensitiua, vel intellectualia, §. 402, 521. Iudicium sensitiuum est GVSTVS SIGNIFICATV LATIORI (der Geschmack in weiterer Bedeutung) (sapor, palatum, nasus). CRITICA LATISSIME DICTA est ars diiudicandi. Hinc ars formandi gustum, s. de sensitiue diiudicando & iudicium suum proponendo est AESTHETICA CRITICA , §. 533. Iudicio intellectuali gaudens est CRITICVS SIGNIFICATV LATIOR , vnde CRITICA SIGNIFICATV GENERALI est scientia regularum de perfectione vel imperfectione distincte iudicandi. 204  Met., § 608: Gustus significatu latiori de SENSVALIBUS (Von dem, was man empfindet), i. e. quae sentiuntur, est IVDICIVM SENSVVM (das Urtheil der Sinne), & illi organo sensorio tribuitur, per quod diiudicandum sentitur. Hinc datur iudicium oculorum, aurium etc. Tam hoc, quam omnis facultas diiudicandi actuatur per vim animae repraesentatiuam vniuersi, §. 513. quum omnia in hoc mundo sint partim perfecta, partim imperfecta, §. 250, 354. […] 205  Met., § 122: Perfectio eorum, quorum non consensus, hinc et dissensus est in se impossibilis, est absolute necessaria, §. 121, 192. At perfectio in iis, quae non consentire aut etiam dissentire est in se possibile, est in se contingens, §. 104, 121. 206  Met., § 610: Qui praeuisam perceptionem repraesentat vt eandem, quam olim percipiet, PRAESAGIT (erwartet etwas), ergo habet facultatem praesagiendi, seu SIGNIFICATV LATIORI PRAESAGITIONEM (das Vermögen etwas zu erwarten). Perceptiones per praesagitionem eiusmodi actuatae sunt PRAESAGIA LATIVS DICTA (überhaupt), vel sensitiua, vel intellectualia, §. 402, 521. PRAESAGIA STRICTIUS DICTA & PRAESAGITIO (Ahndungen und das Vermögen sich etwas ahnden zu lassen) sunt sensitiua tantum. Sensitiua praesagia sunt obiectum mantices aestheticae, §. 604. 207  Met., § 611: Lex praesagitionis haec est: Si in praesentis perceptionis successiuis perceptionibus repraesentantur quaedam partialem communem cum antecedentibus habentes, haec partialis communis repraesentatur vt contenta in antecedente & sequente, §. 572. Ergo vt se habet memoria ad imaginationem: sic se habet praesagitio ad praeuisionem, §. 579, 610. 208  Met., § 612: Praesagitio sensitiua est EXSPECTATIO CASVVM SIMILIVM (die Erwartung ähnlicher Fälle), cuius haec est regula: Aut sentio, aut imaginor, aut praevideo A, quod cum alio praeuiso B multa habet communia, hinc B repraesento vt idem futurum cum A, §. 611. Cui per ideas praeuisi socias praesagit animus, quae ante non praesagiebat, PRAESVMIT (vorher vermuthen), hinc facultatem habet praesumendi, §. 216. quae se habebit ad praesagitionem vt reminiscentia ad memoriam, §. 582, 610. 209  Met., § 619: Signa cum signatis vna percipio; ergo habeo facultatem signa cum signatis repraesentando coniungendi, quae FACVLTAS CHARACTERISTICA (das Vermögen der Zeichen-Kunde) dici potest, §. 216. Quumque sit in hoc mundo nexus significatiuus, §. 358. facultatis characteristicae perÄsthetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  359

ceptiones actuantur per vim animae repraesentatiuam vniuersi, §. 513. Nexus singificatiuus vel distincte, vel indistincte cognoscitur, hinc facultas characteristica vel sensitiua erit, §. 521. vel intellectualis, §. 402. 210  Met., § 347: Medium cognoscendae alterius exsistentiae SIGNVM (das Zeichen) est, signia finis SIGNATVM (das bezeichnete). Hinc signum est ­signati principium cognoscendi §. 311, & NEXVS inter signum & signatum SIGNIFICATIVVS (der Zusammenhang der Zeichen) est, signoque tributus SIGNIFICATVS (die Bedeutung) dicitur (vis, potestas). 211  Vgl. Met., § 341. 212  Vgl. Met., §§ 55 u. 210. 213  Vgl. Met., § 248. 214  Vgl. Log., § 3, u. Met., § 515. 215  Ästh., § 557: Non putaverim nunc opus esse demonstratione 1) nullam veritatem maximam esse aestheticologicam, sed strictius logicam, § 424, 2) talem veritatem nullam in hominem cadere, nullam rem in veritate logica maxima ab ullo hominum intellectu cognosci, quoniam qui unam ita cognoscit, omnes novit. Hinc omnis veritatis apud hominem aestheticologicae, malum metaphysicum, defectus veritatis summae logicae in omniscientia tantum obviae infinite magnus. […] 216  Met., § 620: Si signum & signatum percipiendo coniungitur, & maior est signi, quam signati perceptio, COGNITIO talis SYMBOLICA dicitur, si maior signati repraesentatio, quam signi, COGNITIO erit INTVITIVA (ein anschauendes Erkenntniss) (intuitus). In vtraque cognitione facultatis charac­ teristicae haec est lex: Perceptionum sociarum vna sit medium cognoscendae exsistentiae alterius, §. 347. 217  Vgl. Log., § 164. 218  Vgl. Met., § 515. 219  Vgl. dazu ausführlicher: B.II. 220  Vgl. Met., § 669. 221  Met., § 651: Per facultatem diiudicandi alicuius vel perfectionem vel imperfectionem percipio, §. 606. Perfectionem imperfectionemue vel symbo­lice vel intuitiue cognosco, §. 620. Hinc obiecti alicuius aut perfectionem intueor, & PLACET (gefaellt), aut imperfectionem, & DISPLICET (missfaellt mir), aut nec perfectionem eius, nec imperfectionem intueor, i.e. nec placet nec displicet, & (sum erga illud indifferens) est MIHI INDIFFERENS (es ist mir gleich­ gültig, ich bin dagegen gleichgültig). Quod placet, intueor, vt bonum, sub ratione boni, §. 100. quod displicet, intueor, vt malum, sub ratione mali, §. 146. Indifferens mihi nec vt bonum, nec vt malum, nec sub ratione boni, nec sub ratione mali intueor, §. 100, 146. 222  Vgl. Met., § 622. 223  Met., § 655: Status animae ex intuitu perfectionis est (complacentia) VOLVPTAS (Lust, Gefallen, Vergnügen), ex intuitu imperfectionis est TAEDIVM (Unlust, Mißfallen, Mißvergnügen) (displicentia). […] 360  |  Anmerkungen 

224 

Vgl. Met., §§ 99/100. Vgl. Met., §§ 656. 226  Vgl. Met., § 655. 227  Met., § 660: MIHI BONA (mir gut) sunt, quibus positis in me ponitur realitas; MIHI MALA (mir böse), quibus positis in me ponitur negatio latius sumta. Quumque mei, corporisque mei, & vtriusque status magis i. e. verius, clarius, certius, §. 531. sim conscius, quam multarum aliarum rerum, §. 508. patet cur ea, quae intueor vt mihi bona, vel mihi mala, voluptates & taedia producant maiora, quam multa alia, licet haec vel meliora, vel peiora iudicem, §. 658. In bonis malisque mihi quaedam exsistunt extra me, quaedam minus, haec sunt mihi bona & mala (interna) DOMESTICA (innre, einheimische), illa (externa) ADVENTITIA (aeussre, fremde, von aussen kommende), mihi vtilia, §. 336. Domestica possunt magis placere & displicere aduentitiis, §. 658. 228  Vgl. Met., §§ 41 u. 47. 229  Vgl. Met., § 50. 230  Vgl. Met., § 654. 231  Met., § 661: Si quid tantum vt bonum intueor, inde oritur, PVRA VOLUP­TAS (ein reines Vergnügen), si quid tantum vt malum, inde oritur MERVM TAEDIVM (nichts, als Unlust), si quid vt bonum malumque simul, & aequaliter, inde oritur STATVS AEQVILIBRII PARTIALIS (der Zustand einiges Gleichgewichtes) cf. §. 656. respectu illius obiecti. Si quid vt bonum malumque simul, sed inaequaliter, aut erit intuitus obiecti vt boni maior, & orietur DVLCE TAEDIVM (ein süsses Misvergnügen), aut erit intuitus obiecti vt mali maior, & orietur AMARA VOLVPTAS (eine bittre Lust). Iam omne finitum partim bonum, partim malum, §. 264. Ergo si finitum intuear, vt est, nulla ex eo mera voluptas, nullum merum taedium, omnia finita placebunt disciplicebuntque partialiter, §. 651, 654. 232  Met., § 662: Perfectio phaenomenon, s. gustui latius dicto obseruabilis, est PVLCRITUDO (Schönheit), imperfectio phaenomenon, seu gustui latius dicto obseruabilis, est DEFORMITAS (Haesslichkeit). Hinc pulcrum, vt tale, intuentem delectat, §. 658. deforme, vt tale, intuenti molestum est, §. 618. Mutato intuitu, mutatur voluptas & taedium, §. 326, 328. Iam omnis meus intuitus est in se mutabilis, §. 257. Ergo omnis mea voluptas, omne taedium est in se mutabile. Quae tamen plerisque difficilius mutanda (durabilia) CONSTANTIA (bestaendige, dauerhafte) dicuntur, quae constantibus facilius mutanda sunt VOLUPTATES & TAEDIA , TRANSITORIA (flüchtige, vergaengliche) (brevia, fluxa) sunt. 233  Met., § 425: OBSERVABILIA (das wahrzunehmende) (phaenomena), quae per sensus possumus cognoscere (confusius). Corpora minora nobis non obseruabilia CORPVSCVLA vocantur. PHILOSOPHIA phaenomena corporum ex corpusculis explicans CORPVSCVLARIS est. 234  Vgl. Met., § 98. 235  Vgl. Met., § 37. 225 

Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  361

236 

Ästh., § 27: […] effectus pulcre cogitantis […]. Ästh., § 14: Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae, qua talis, § 1. Haec autem est pulcritudo, Metaphysic. §§ 521, 662, et cavenda eiusdem, qua talis, imperfectio, § 1. Hinc autem est deformitas, Metaphysic. §§ 521, 662. 238  Ästh., § 18: Pulcritudo cognitionis sensitivae erit universalis, § 14, 1) con­sensus cogitationum, quatenus adhuc ab earum ordine et signis abstra­ himus, inter se ad unum, qui phaenomenon sit, § 14, Metaphysic. § 662, PULCRITUDO RERUM ET COGITATIONUM , distinguenda a pulcritudine cognitionis, cuius prima et primaria pars est, § 13, et pulcritudine obiectorum et materiae, quacum ob receptum rei significatum saepe, sed male confunditur. Possunt turpia pulcre cogitari, ut talia, et pulcriora turpiter. 239  Ästh., § 19: Pulcritudo cognitionis sensitivae universalis, § 14, quia nulla perfectio sine ordine, Metaphys. § 95, 2) consensus ordinis est, quo res pulcre cogitatas meditemur, et internus, et cum rebus, phaenomenon, § 14, PULCRITUDO ORDINIS et dispositionis. 240  Vgl. Ästh., § 20. 241  Ästh., § 12: […] Facultates inferiores non, quatenus corruptae sunt, excitandae confirmandaeque sunt aestheticis, sed iisdem dirigendae, ne sinistris exercitiis magis corrumpantur, aut pigro vitandi abusus praetextu tollatur usus concessi divinitus talenti. 242  Ästh., § 41: Maiores facultates inferiores, eaeque naturaliter tales, requiruntur in pulcre cogitaturo, § 29. Hae vero non solum esse simul cum superioribus naturaliter magnis possunt, M. § 649, sed ad eas etiam, ut conditio, sine qua non, requiruntur, M. § 637. […] 243  Vgl. Luis de Molina, Commentaria in Primam Divi Thomae Partem [im Folgenden: CiP], Venice 1602, qu. 15, a. 3, 230.IIa. 244  Met., § 624: Anima mea cognoscit quaedam distincte, §. 522. facultas distincte quid cognoscendi est FACVLTAS COGNOSCITIVA SVPERIOR (das obere Erkenntniss-Vermögen), (mens), intellectus, §. 402, mihi conveniens, §. 216. 245  Log., § 3: COGNITIO (eine Erkenntniss) est complexus repraesentationum, seu perceptionum, (Vorstellungen) ergo cognitio et scientia differunt, §. 2. Log., § 15: Quae ab aliis distinguimus, ea APPERCIPIMVS , eorum nobis sumus conscii (das stellen wir uns vor, des sind wir uns bewust, das bemerken wir, das nehmen wir wahr). Perceptio appercepta est COGITATIO (ein Gedanke). 246  Log., § 16: CONCEPTVS est repraesentatio vnius in cogitante. 247  Log., § 18: CONCEPTVS , cuius notae (quem ingredientes, cui conuenientes, in quo contenti, §. 17) obiecto illius apperciendo sufficiunt, CLARVS est. 248  Log., § 21: CONCEPTVS clarus clararum notarum DISTINCTVS est, obscurarum CONFVSVS (ein verworrner Begrif). 237 

362  |  Anmerkungen 

249 

Log., § 25: CONCEPTVS notarum ad obiectum ab omnibus distinguendum sufficientium COMPLETVS (ein hinlänglicher) est; insufficientium, INCOMPLETVS (ein unzulänglicher Begriff). 250  Met., § 625: Quum habeam facultatem attendendi, ATTENTIONEM (das Vermögen der Aufmerksamkeit, oder auf etwas zu achten), abstrahendi, ABSTRACTIONEM (der Absonderung, oder sich etwas aus den Gedanken zu schlagen), §. 529. & praescindendi seu abstrahendi partem a toto, §. 589. eae­ que se exserant in sensationibus, imaginationibus, praeuisionibus, etc. prout obiecta earum ad corpus meum se habeant, §. 538, 600. actuantur per vim animae repraesentatiuam vniuersi pro positu corporis, §. 513. 251  Log., § 33: Conceptum distinctum formaturus 1. attendat ad obiectum conceptus, 2. reflectat circa notas eius, 3. circa quas reflexit, eas comparet, 4. a non comparatis abstrahat, §. 21, 5. nexum comparatarum et ordinem attendat. 252  Met., § 627: Lex attentionis est: quorum plures, quorum minus obscuras notas percipio, quam aliorum, ea clarius aliis percipio, §. 528. […] 253  Met., § 626: Attentio in totius perceptionis partes successive directa est REFLEXIO (Überlegung). Attentio ad totam perceptionem post reflexionem est COMPARATIO (Vergleichung, das Zusammenhalten). […] 254  Met., § 627: Hinc regula reflexionis est: cuius partis in perceptione totius plures minus obscuras notas percipio, ad eam prae reliquis attendo, §. 626. […] 255  Met., § 627: & regula comparationis haec est: Reflectendo ad partes totius perceptionis plures & clariores notas eius percipiens ad eam postea magis attendo, §. 529. 256  Met., § 629: Lex abstractionis haec est: Quorum pauciores, quorum minus claras notas percipio, quam sunt aliorum notae, aliis obscurius repraesentantur, §. 528. Hinc praescindendi haec est regula: Cuius partis in perceptione totius pauciores minusque clarae sunt notae, quam aliarum, haec aliis obscurius percipitur, §. 625. 257  Met., § 631: Intellectus mei haec lex est: Si comparans a non comparatis abstraho, residuum est distincte perceptum, §. 627. Quumque finitus sit intellectus meus, §. 248. haec lex est lex intellectus finiti, qui attentendo, reflectendo, comparando, abstrahendo, praescindendoque actuatur per vim animae repraesentatiuam vniuersi, §. 625, 626. 258  Met., § 632: Repraesentatio rei per intellectum est eius CONCEPTIO (das Verstehn oder Verstaendniß einer Sache). Hinc CONCEPTIBILE (ver­ staendlich, begreiflich) est, cuius distincta formari potest perceptio, idque IN SE (in und zu sich selbst), quod in se spectatum distincte concipi potest. Iam in omni possibili sunt essentia & affectiones, §. 53, 43. non totaliter eaedem, §. 267, 41. quae adeo a se inuicem distingui possunt, §. 67. Ergo in omni possibili sunt notae, §. 67. quae clare cognosci possunt, hinc omne possibile est in se conceptibile [i. Org.: »inconceptibile«]. 259  Vgl. Met., §§ 40/41. 260  Met., § 69: Discrimina interna possunt repraesentari in ente in se specÄsthetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  363

tato, §. 68, 37. hinc quomodocunque cognosci, seu DARI (angegeben werden). Data vel possumus etiam (sine compraesentia) sine assumto alio, sine relatione ad aliud, CONCIPERE (begreifen und verstehn) et intelligere, i. e. distincte cognoscere, vel non possumus. Illa sunt QVALITATES (Beschaffenheiten), haec QVANTITATES (Grössen). 261  Vgl. Met., § 55. 262  Met., § 279: Identitas, diuersitas, §. 38. congruentia, discongruentia, similitudo, dissimilitudo, aequalitas, inaequalitas, §. 70. extra se inuicem actualium in nullo eorum repraesentabiles sunt, nisi spectetur in nexu cum iis, quae extra illud ponuntur, §. 14. hinc sunt relationes, §. 37. Inter quae ergo intercedit, ea sunt connexa, §. 14, 19. Iam intercedit inter singula extra se in­ uicem actualia, §. 265, 273. Ergo singula actualia sunt connexa, §. 47. Hinc in omnibus actualibus nexus, immo harmonia est vniuersalis, §. 48, 167. 263  Log., § 47: Si conceptuum inferiorum abstrahitur differentia, NOTIO FORMATVR ABSTRACTIONE (wird ein Begriff durch die Absonderung gemacht). 264  Log., § 44: Conceptus singularis vel indiuidui est IDEA ; conceptus communis s. eiusdem in pluribus, est notio. 265  Vgl. Log., §§ 45/46. 266  Log., § 49: NOTIO, quae singulis sub conceptu contentis conuenit, respectu illius s. OBIECTIVE dicitur VNIVERSALIS (ein allgemeiner); quae aliquibus tantum, PARTICVLARIS (ein besondrer Begriff in Absicht auf den Inhalt). 267  Vgl. dazu insb. Met., §§ 869 ff. S. dazu und zum folgenden unten C. IV. 1. 268  Log., § 50: CONCEPTVS SVBIECTIVE VNIVERSALIS est, qui a (sc. omnibus) singulis; PARTICVLARIS , qui ab aliquibus tantum; SINGVLARIS , qui ab vnico tantum repraesentatur (ein allgemeiner, ein besondrer, ein ­iemand eigener Begriff in Absicht auf die denkenden). 269  Vgl. Log., § 10. 270  Log., § 51: EXTENSIO COGNITIONIS (die Erweiterung, Verbreitung, Ausdehnung, der Reichthum der Erkenntniss) est perfectio facultatis cognoscitiuae, qua multa quomodocunque cognoscit; qua quotacunque melius, est INTENSIO COGNITIONIS (die mehrere innre Güthe). 271  Vgl. Aichele, Enthymematik, 504–13. 272  Vgl. Met., § 646. 273  Log., § 52: Conceptus obiective vniuersales quum extensionem et rationalitatem cognitionis promoueant, sunt vtiles §. 6, 51, 49. 274  Vgl. Met., § 642. 275  Vgl. Log., §§ 117/8. 276  Log., § 54: CONCEPTVS possibilis s. cuius notae non inuoluunt contra­ dictionem, VERVS (ein wahrer) est; impossibilis, FALSVS (ein falscher Begriff). 277  Log., § 55: Conceptus sentiendo formatus habet notas coëxistentes, ergo compossibiles, ergo verus est, §. 54. 364  |  Anmerkungen 

278 

Log., § 53: CONCEPTVS PER COMBINATIONEM s. synthesin FORMATVR (ein Begriff wird durch die Verbindung gemacht) si cum conceptu alios, tanquam vnum cogitamus. 279  Log., § 58: Conceptus per combinationem ortus est possibilis & verus, si sentiatur, §. 55. 280  Vgl. Met., § 534. 281  Log., § 61: Conceptus determinatus s. DEFINITIO (eine Erklärung, oder bestimter Begriff) est conceptus distinctus nec plurium, nec pauciorum notarum, quam quae ad completum sufficiunt. 282  Log., 25: CONCEPTVS notarum ad obiectum ab omnibus distinguendum sufficientium, COMPLETVS (ein hinlänglicher); insufficientium, INCOMPLETVS (ein unzulänglicher Begriff). 283  Hierzu und zum folgenden: Log., § 26: CONCEPTVS distinctus notarum distinctarum, ADAEQVATVS (ein zwiefach deutlicher) est, confusarum INADAEQVATVS (ein nur deutlicher Begriff). 284  Log., § 78: CONCEPTVS sibi mutuo conuenientes, quorum nullus altero latior est, sunt RECIPROCI (sibi inuicem adaequati) (gleich weite, einander erschoepfende, Wechsel-Begriffe) ergo definitum & definitio sunt conceptus reciproci §. 76, 77. Log., § 65: Definitio est conceptus completus §. 61. ergo continet notas ad definitum ab omnibus distinguendum sufficientes §. 25. Jam si notae definitionis simul sumtae conuenirent etiam aliis, praeter definitum, non sufficerent ad illud ab omnibus distinguendum §. 48. Ergo notae definitionis simul sumtae non conueniant, praeter definitum, aliis. 285  Log., § 62: CONCEPTVS plurium aut pauciorum notarum, quam quae ad completum sufficiunt, INDETERMINATVS (ein unbestimmter Begriff) est, pauciorum, MANCVS (ein mangelhafter) & incompletus § 25. plurium, ABVNDANS (ein zuviel in sich enthaltender, zu weitläufiger Begriff); neuter definitio §. 61. 286  Log., § 63: Conceptus distinctus indeterminatus est, DESCRIPTIO (eine Beschreibung), abundans, DEFINITIO EXEGETICA ; haec ergo non est definitio. 287  Log., § 64: DEFINITIO CAUSSALIS (eine Erklärung durch die 4 oder 5 Vrsachen) est, quae quatuor vel omnino quinque caussarum genera in definiendo repraesentat, vt potest, quae quum sit exegetica, definitio non est §. 63. 61. 288  Vgl. Aichele, Ontologie, 121–42. 289  Vgl. Log., § 64. 290  Log., § 81: DEFINITIO essentiam rei repraesentans est REALIS s. (genetica,) hanc non repraesentans, NOMINALIS est. 291  Met., § 40: Complexus essentialium in possibili, seu possibilitas eius interna est ESSENTIA (das Wesen) (esse rei, ratio formalis, natura, cf. § 430. quidditas, forma, formale totius, ουσια, τινοτιϛ, substantia, cf. § 191. conceptus entis primus.) Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  365

292 

Log., § 82: Modi et relationes variabiles non ingrediuntur definitionem. Pone enim tales ingredi, definitum etiam conueniret aliquibus, quibus non conueniret definitio, in quibus scil. tales modi et relationes variabiles non essent; hinc esset latius definitione §. 75. quod absurdum, §. 77. 293  Log., § 86: Quicquid ad distinguendum definitum ab omnibus nihil facit, non ingreditur definitionem §. 61, 25. […] 294  Log., § 77: Definitum si conueniret pluribus, quam definitio, non posset in iis distingui per definitionem §. 48. hinc definitio, ad distinguendum definitum ab omnibus non sufficiens, non esset conceptus completus §. 25. quod absurdum, §. 61. Ergo definitum est latius definitione §. 75. 295  Met., § 50: Affectiones habent rationem in essentia, §. 41. hinc aut sufficientem aut minus, §. 21, 10. Illae sunt ATTRIBUTA (Eigenschaften), hae MODI (Zufaelligkeiten) (accidentia praedicabilia, s. logica, cf. § 191. adiuncta, praedicata secundaria). 296  Log., § 83: Quicquid enti conuenit, est eius vel essentia vel attributum, vel modus vel relatio; iam modi et relationes non ingrediuntur definitionem, §. 82. nec nominalem integra essentia §. 81, ergo nominalis notae sunt vel essentialia vel attributa. 297  Log., § 84: DEFINITIO nominalis, cuius notae sunt definiti essentialia, ESSENTIALIS , cuius notae sunt definiti attributa, ACCIDENTIALIS dicitur. 298  Log., § 88: Omnis definitio definitum resoluit §. 61, 29. nec tamen abundat notis §. 62. ergo aliquas habet ipsi cum aliis communes, §. 25 quae GENVS , ad quas accedunt simul sumtae conceptum completum praestantes, DIFFE­ RENTIA §. 22, 61. ergo omnis definitio constat genere et differentia (aus gemeinen, und endlich voellig unterscheidenden Kennzeichen). 299  Log., § 22: Conceptum distinctum ingrediuntur notae clarae §. 17, 21, ergo possunt appercipi §. 18. ergo a se inuicem distingui §. 15. ergo notae conceptus distincti possunt vna post alteram enumerari. 300  Log., § 91: Definitiones nominales arbitrariae dicuntur, quatenus a) plu­ res eiusdem termini definiendi significationes receptae esse, §. 89. b) plures eiusdem rei definiendae definitiones legitime formari possunt, e.  g. §. 61, 66, 80. inter quas electio prudenti arbitrio relinquitur; non autem, ac si sine vllis regulis caeco, determinari posset arbitrio vel termini significatus; §. 70. vel rei definiendae definitio, quod contra §. 61–90. 301  Vgl. Met., §§ 191/2. 302  Log., § 70: TERMINI sunt signa repraesentationum; conceptus terminis signati eorundem SIGNIFICATUS (Bedeutungen). 303  Log., § 89: VSVS LOQVENDI (Sprachgebrauch) est consensus plurium in communi vita certo termino conceptum significandi; hic in disciplinis, RECEPTVS TERMINORVM SIGNIFICATUS (die einmahl angenommene Bedeutung) dicitur. 304  Vgl. Met., § 590. 305  Vgl. Met., § 571. 366  |  Anmerkungen 

306 

Log., § 71: SIGNIFICATVS , terminorum adhibendorum, qui constituti sunt fines primarii, sunt PROPRII (eigentliche), alii vero IMPROPRII (un­ eigentliche Bedeutungen) (translati, tropici). 307  Log., § 73: Significatui improprio semper adhaeret proprius (…). 308  Vgl. zu diesem Begriff von Sache (res) Heidegger, Grundprobleme, 35–107. 309  Vgl. Log., § 81. 310  Log., § 93: Non omnes explicationes §. 28, ne quidem omnes resolutiones, §. 29. rationis et modi, (der Art und Weise) quo aliquid fieri potest, s. GENESEOS (der Entstehungs-Art) sunt huius definitiones geneticae §. 81, 61. Possunt esse descriptiones geneticae §. 63, vel incompletae, vel abundantes §. 62. 311  Log., § 94: Si DEFINITIO GENETICA dicatur caeteroquin legitima §. 93, definitio, quae modum fiendi, vel quo aliquid fieri potest, pro notis suis exhibens, in contingentibus definitis erit ea quidem realis, neque tamen omnis realis definitio secundum hunc significatum est genetica, §. 81. 312  Vgl. Log., § 85. 313  Vgl. hierzu und zum folgenden Aichele, Allzuständigkeit. 314  Vgl. Met., §§ 803–12. 315  Log., § 95: Si logica theoriam et praxin legitime definiendi praestitit §. 61–94, num ex eius regulis datae materiae s. obiecti datum ingenium s. subiectum, nominalem, an realem inuenturum sit definitionem ex materiali potius cognitionis in eodem differentia pendet, quam ex regulis formae peculiaribus §. 81. 316  Vgl. Met., § 689. 317  »Zur Wahrheit ist es nicht genug, daß ein Urteil möglich sei – die Wahrheit könnte man nennen die logische Wirklichkeit:« (Kant, Von der Wahrheit der gelehrten Erkenntnis, Logik Dohna-Wundlacken, AA XXIV, 719) 318  Log., § 117: Repraesentatio aliquorum conceptuum, vt inter se vel conuenientium, vel repugnantium est IVDICIVM (ein Vrtheil). In diesem Sinne, jedoch unter extensionaler Restriktion auch: Kant, Kritik der reinen Vernunft (hg. v. Wilhelm Weischedel), Frankfurt/M. 1977, B 94 (»Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unsern Vorstellungen […]«), und ohne diese Beschränkung und daher sachlich noch näher an Baumgarten: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (hg. von Wilhelm Weischedel), Frankfurt/M. 1977, A XIX/XX, Anm. (die »genau bestimmte[] Definition eines Urteils überhaupt (einer Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objekts werden)«. Ebenso Logik Pölitz, AA XXVI, 577: »Urteil ist die Vereinigung verschiedener Begriffe in einem Bewustsein«; Logik Dohna-Wundlacken, 762: »Urteil ist die Vorstellung der Einheit gegebener Begriffe, sofern einer dem andern untergeordnet oder von demselben ausgeschlossen ist.« 319  Log., § 3: COGNITIO (eine Erkenntniss) est complexus repraesentationum, seu perceptionum (Vorstellungen), ergo cognitio et scientia differunt, §. 2. Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  367

320 

Vgl. Log., § 4. Vgl. Log., §§ 1, 2 u. 5. 322  Vgl. Log., § 8. 323  Vgl. Met., § 89. 324  Vgl. Met., § 93. 325  Log., § 118: Judicium symbolicum, seu terminis significatum est PROPOSITIO, (ein Satz) (enunciatio, thesis,) distinguenda a PROPOSITIONE LOGICA , seu periodo, abstractis AMPLIFICATIONIBVS , (Erweiterungen), l. partibus minus necessariis. Punctum concinne ampflicatum est PERIODVS ; propositio, quae non est pars alterius propositionis, est PVNCTVM . 326  Vgl. Log., § 129. 327  Log., § 120: Conceptus et terminus, qui subiecto conuenire vel repugnare iudicatur aut enunciatur, est PRAEDICATVM (der Nachbegriff, das zweite Hauptglied) et cum subiecto partes iudicii, propositionisue materiales et EXTREMA (die äußern Theile des Vrtheils) vocantur. 328  Log., § 121: Conceptus et terminus conuenientiae est COPVLA , (der innre Theil des Vrtheils, und Verbindungs-Wort), pars iudicii et enunciationis formalis. 329  Vgl. Log., § 126. 330  Log., § 123: NEGATIO (die Verneinung) est conceptus et terminus absentiae alius conceptus, quemque conceptum abesse per negationem reprae­ sentamus, vel proponimus, eum ADFICERE dicitur NEGATIO (zu dem ge­ hoert die Verneinung). 331  Log., § 125: In omni negante propositione est negatio, §. 123. copulam afficiens, §. 121, 124. ergo propositio, quae habet negationem copulam non adficientem, non est negans, hinc adfirmans, §. 124, 117. 332  Log., § 127: PROPOSITIONIS QVALITAS (die Beschaffenheit des Satzes) est eiusdem adfirmatio vel negatio. 333  Log., § 138: PROPOSITIO VERA (ein wahrer) est conuenientia affirmans, repugnantia negans; conuenientia negans, repugnantia affirmans FALSA est propositio (ein falscher Satz). 334  Aristoteles, Met. Γ.7, 1011b25–29. 335  Log., § 130: Ratio, ob quam praedicatum subjecto conuenit, aut repugnat, est PROPOSITIONIS HYPOTHESIS ; iam nihil est sine ratione, ergo omnis propositio habet hypothesin §. 118, 117. »Jedes Urteil hat die Bedingung der Wahrheit – der Grund warum man ihm ein Prädikat beilegt.« (Kant, Von der Bedingung unbedingter Urteile, Logik Dohna-Wundlacken, 764). Dies ist nur ein weiteres Beispiel: Jedenfalls diese Logik-Vorlesung Kants weist eine derart große Vielzahl von, teilweise durchaus wortgetreuen Parallelen zu Baumgarten auf, dass eine weitere Auflistung in diesem Rahmen unnötig erscheint. 336  Log., § 132: Si hypothesis sufficiens sit subiecti definitio, essentia, essentialis, vel attributum, est in eius notione necessario § 81, 83. hinc praedica321 

368  |  Anmerkungen 

tum affirmantis conuenit, negantis repugnat singulis sub subiecto contentis § 131. 337  Log., § 131: Si hypothesis propositionis sufficiens sit in subiecti notione necessario, est in singulis sub eo contentis §. 45. hinc quia posita ratione sufficiente, ponitur rationatum, praedicatum affirmantis conuenit, negantis repugnat singulis sub subiecto contentis §. 130, 48. 338  Log. § 133: Hypothesis sufficiens PROPOSITIONIS non necessaria in subiecto est eiusdem DETERMINATIO (die Bestimmung des Satzes); ergo modi et relationes si fiant hypotheses sufficientes propositionum, fiunt determinationes subiecti §. 82. 339  Vgl. Log. § 53. 340  Log., § 134: Si cum subiecto determinatio eius non combinatur, PROPOSITIO est INDETERMINATA (ein unbestimmter), si combinatur, propositio fit DETERMINATA (ein bestimmter Satz). Tunc in singulis sub hoc novo conceptu contentis est hypothesis sufficiens §. 133, 45. adeoque praedicatum iudicii affirmantis singulis conueniet, negantis singulis repugnabit, §. 131. 341  Log., § 135: PROPOSITIO, cuius subiectum est idea, SINGVLARIS (ein eintzler), cuius subiectum est notio, COMMVNIS (ein gemeiner Satz) vocatur. 342  Log., § 142: Adfectio PROPOSITIONIS ex numero eorum, de quibus adfirmat, vel negat, cognoscenda, est eius QVANTITAS (die Ausdehnung, Verbreitung und Weite des Satzes). 343  Log., § 136: PROPOSITIO communis, cuius praedicatum de singulis sub subiecto contentis affirmatur, vel negatur VNIVERSALIS (ein allgemeiner Satz) est, adfirmans A, negans E. 344  Log., § 141: PROPOSITIO PARTICVLARIS (ein besondrer Satz) est communis, cuius praedicatum de aliquibus sub subiecto contentis adfirmatur vel negatur, affirmans I, negans O. 345  Vgl. Log., § 143. 346  Vgl. Łukasiewicz, Aristotle’s Syllogistic, 5–7. 347  Log., § 252: PROPOSITIONES SINGVLARES vel cum vniuersalibus, PROPRIAE praedicati cum subiecto reciprocabilis, vel cum particularibus, quarum praedicatum est subiecto latius, censentur in syllogismis, §. 234. Hinc non plures his modis sunt in prima figura, §. 124, 135. 348  Vgl. Met., § 86. 349  Vgl. Log., § 78. 350  Log., § 192: Conuersa et conuertens aut eandem quantitatem habent, aut diuersam §. 192 (recte: 191), 142. Prior CONVERSIO SIMPLEX (die gleiche) s. (reciprocatio) vocatur, posterior CONVERSIO PER ACCIDENS (die vngleiche Vmkehrung). 351  Log., § 193, E. g.: Propositiones singulares propriae, quarum subiecto praedicatum non est latius, sunt reciprocabiles, i. e. vera vna, vera etiam est altera: Leibnitius est auctor theodicaeae gallice scriptae. Auctor theodicaeae gallice scriptae est Leibnitius. Omne ens infinitum est ens necessarium, omne Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  369

ens finitum est ens contingens, verae sunt terminorum reciprocorum. Hinc et verae: Omne ens necessarium est ens infinitum, omne ens contingens est finitum. 352  Log., § 164: CERTITVDO (Gewisheit) est conscientia veritatis, quae si completa fuerit, est CERTITVDO STRICTIVS DICTA ; (strengre voellige Gewisheit) (plena, geometrica, mathematica) hinc CERTA NOBIS (uns gewiss) sunt, quorum veritatem clare cognoscimus, §. 15, 18. STRICTIVS CERTA NOBIS (uns streng gewiss) sunt, quorum veritatem complete cognoscimus §. 25. i. e. sine formidine oppositi. 353  Vgl. Met., § 515. 354  Log., § 345: Incognita cognoscere est INVENIRE (erfinden). […] 355  Log., § 99: Id cuius respectu membra diuidentia inter se differunt, est FNDAMENTVM DIVISIONIS (der Grund der Eintheilung). 356  Log., § 424: Certitudo est vel obiectiua in rebus cogitata, vel subiectiva in cogitantibus, eaque vel aesthetica, vel logica, vel aesthetico-logica. § 164, 9. Subiectiua ex alio fundamento diuisionis §. 99. est vel completa, §. 164. vel incompleta, sola probabilitas, §. 350. Certitudo logica completa est solarum propositionum indemonstrabilium et inde stricte demonstratarum apud illum solum, qui completam etiam habuerit formae certitudinem, §. 291, 288. hinc ad eam sola deducit methodus mathematica, §. 298. In reliquis omnibus est quaedam rationis incertitudo, neque tamen omnem tollens probabilium certitudinem. §. 357, 290. Quantacunque potius certitudo tollit dubitationum §. 352, et rationalem probat assensum contra SCEPTICISMVM VNIVERSALEM , (den allgemeinen Zweifel) statum animi (vel imaginarium, vel fictum) dubitantis de omnibus §. 403. Quantacunque sit incertitudo nobis probabilium, tamen tollit PROBABILISMVM , (die Iesuitische Wahrscheinlichkeit) malam persuasionem nobis improbabilibus assentiendi. §. 353, 402. Mater πρωτου ψευδους ipsa de certitudine tam incertorum hominum est confusio cuiuscunque verisimilitudinis cum gradu vel minimo probabilitatis et certitudinis latius dictae §. 350, 164. 357  Met., § 47: Omnes determinationes internae possibilis sunt inter se connexae, singulae cum singulis. Affectiones enim connectuntur singulae cum essentialibus, §. 39. haec cum essentia, §. 40, 14. Hinc singulae determinationes cum singulis, §. 33. 358  Met., § 93: CERTITVDO OBIECTIVA (cf. §. 531.) (Gewissheit der Dinge) est apperceptibilitas veritatis in ente. Iam omnis entis veritas est clare cogno­ scibilis, §. 90, 8. Ergo omne ens est obiectiue certum. 359  Met., § 89: VERITAS METAPHYSICA (die metaphysische Wahrheit) (realis, obiectiua, materialis) est ordo plurium in vno, VERITAS in essentialibus et attributis entis, TRANSCENDENTALIS (die nothwendige metaphysische Wahrheit). 360  Met., § 90: Quum omnis entis determinationes coniungantur, essentiales secundum principium contradictionis, §. 40, 7. et accidentales, attributa 370  |  Anmerkungen 

secundum principium contradictionis, §. 64, 7. et rationis, §. 20. et sufficientis, §. 22, 50. modi secundum principium contradictionis, §. 65, 7. et rationis, §. 42, 20. essentialia et affectiones secundum principium rationati, §. 23, 41, hinc regulas communes, § 83, 86. omne ens est verum transcendentaliter, §. 89. 361  Vgl. Met., § 37. 362  Met., § 361: Partes omnis mundi singulae sunt entia contingentia, §. 354, 257. Hinc earum exsistentia modus est, §. 134. Iam exsistentia singularum mundi partium simul sumtarum est exsistentia mundi, §. 155. Ergo mundi exsistentia modus est, & omnis mundus est ens contingens, §. 111. Aliter: Pone quendam mundum esse ens necessarium, omnes eius determinationes internae erunt absolutae necessariae, nec hinc vlla pars istius mundi habebit modos, §. 108, 157. nec erit ens contingens, §. 134, sed omnis pars illius mundi erit ens necessarium, §. 109, hinc infinitum, §. 258. q. a. §. 354. 363  Ästh., § 557: Non putaverim nunc opus esse demonstratione 1) nullam veritatem maximam esse aestheticologicam, sed strictius logicam, § 424, 2) talem veritatem nullam in hominem cadere, nullam rem in veritate logica maxima ab ullo hominum intellectu cognosci, quoniam qui unam ita cognoscit, omnes novit. Hinc omnis veritatis apud hominem aestheticologicae, malum metaphysicum, defectus veritatis summae logicae in omniscientia tantum obviae infinite magnus. […] 364  Met., § 92: PRINCIPIA (cf. §.  307, 311.) CATHOLICA (allgemeine ­Grund-Saetze) (vniuersalia) sunt singulis entibus communia. Metaphysice vera determinantur principiis catholicis, §. 7, 20, 22, 23. conuenienter, §. 90, 80. et, quae determinantur his principiis conformiter, sunt metaphysice vera, §. 89. Hinc VERITAS METAPHYSICA potest definiri per conuenientiam entis cum principiis catholicis. 365  Vgl. Met., §§ 78, 80. 366  Phil. gen., § 53: Cum omnes qualitates rerum sint OBIECTIVE CERTAE i.e. quarum veritas clare cognosci potest M. §. 93 nulla incertitudo philosophica habet rationem sufficientem in cognoscendis §. 52. sed in cognoscendis limitatis viribus L. §. 21. 367  Phil. gen., § 32: CERTVM SVBIECTIVE tale est, cuius veritas a determinatis subiectis seu cognoscentibus clare cognoscitur L. §. 164. 368  Vgl. Aichele, Allzuständigkeit, 178–83. 369  Dies zeigt Pimpinella, Veritas aesthetica. 370  Log., § 1: PHILOSOPHIA est scientia qualitatum in rebus sine fide ­cognoscendarum. 371  Vgl. Log., § 8. 372  Log., § 2: SCIENTIA (Wissenschaft) est cognitio ex certis certa; ergo philosophia ex certis cognoscenda est, § 1. 373  Vgl. Log., §§ 4/5. 374  Phil. gen, § 47: CERTITVDO SVBIECTIVA (cf. §. 32.) (conuictio) quum sit conscientia veritatis L. §. 164. si vel vnius philosophicae perceptionis miÄsthetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  371

nimam veritatem vnicus homo minimo claritatis gradu cognosceret, esset in philosophia certitudo. […] 375  Vgl. Met., § 472. 376  Vgl. Log., § 164. 377  Log., § 290: Probatio sufficiens ad certitudinem conclusionis completam est DEMONSTRATIO STRICTE DICTA (mathematica, geometrica, rigorosa). Hinc patet, quo significatu probationes insufficientes ad completam certitudinem dicuntur tamen demonstrationes. §. 289, 164. 378  Log., § 168: PROPOSITIO, quae nobis complete certa fit intellectis tantum terminis, est INDEMONSTRABILIS ; (ein keinen) de qua vt complete certi reddamur, adhuc plura requiruntur, est DEMONSTRATIVA (ein einen Erweiß brauchender Satz). 379  Log., § 169: Propositio indemonstrabilis theoretica est AXIOMA (ein Grundsatz), practica, POSTVLATVM (ein Heischesatz). 380  Log., § 106: Significatus ex VOCABVLIS cognoscens ea INTELLIGIT, (versteht die Worte, den redenden aber) PROPONENTEM autem INTELLIGIT eosdem ex eius terminis significatus cognoscens, quos proponens significare voluit. 381  Log., § 70: TERMINI sunt signa repraesentationum; conceptus terminis signati eorundem SIGNIFICATVS (Bedeutungen). 382  Log., § 170: PRPOPOSITIO IDENTICA (ein einerley aussagender Satz) est affirmans, cuius praedicatum et subiectum complete notabiliter eundem significatum habent. 383  Log., § 172: Propositionum identicarum intellectis tantum terminis complete declaratur conuenientia praedicati cum subiecto §. 170, 48. hinc veri­ tas §. 170, 138. Ergo sunt complete certae intellectis modo terminis §. 164. ergo indemonstrabiles sunt §. 168. 384  Vgl. Log., § 173. 385  Vgl. Met., §§ 7–11. 386  Vgl. Phil. gen., § 37. 387  Log., § 76: Definitio non conuenit pluribus praeter definitum §. 65. ergo non est definitio latior, §. 75. 388  Vgl. Log., § 171. 389  Vgl. Log., §§ 290/1. 390  Vgl. Log., § 352. 391  Vgl. Log., § 2. 392  Log., § 166: PROPOSITIO per experientiam nobis complete certa, est INTVITIVA (ein Erfahrungs-Satz), ex aliis vero cognita, DISCVRSIVA (eine Folgerung). 393  Met., § 544: Quum sensus singularia huius mundi, hinc omnimode determinata, repraesentent, §. 535, 148, vt talia, hinc in vniuersali nexu, §. 357. nexus autem, praesertim relatiui, repraesentari nequeant sine connexorum vtroque, §. 14, 37. in omni sensatione connexa cum senso, s. eo, quod senti372  |  Anmerkungen 

tur, singula repraesentantur, at non clare, hinc obscure maximam partem plerumque. Ergo in omni sensatione est aliquid obscuri, hinc in sensatione etiam distincta semper aliquid admixtum est confusionis. Vnde omnis sensatio est sensitiua perceptio formanda per facultatem cognoscitiuam inferiorem, §. 522. Quumque EXPERIENTIA (Erfahrung) sit cognitio sensu clara, A ­ ESTHETICA comparandae & proponendae experientiae est EMPIRICA . 394  Vgl. Met., §§ 534/5. 395  Vgl. Met., §§ 538/9. 396  Vgl. Met., § 542. 397  Log., § 163: Clara cognitio per sensationem est EXPERIENTIA LATIVS DICTA (so genannte Erfahrung), per sensationem immediate acquisita est ­E XPERIENTIA STRICTIVS DICTA (genauere Erfahrung). 398  Vgl. Ästh., § 482. 399  Met., § 620. 400  Met., § 347: Medium cognoscendae alterius exsistentiae SIGNVM (das Zeichen) est, signia finis SIGNATVM (das bezeichnete). Hinc signum est signati principium cognoscendi §. 311, & NEXVS inter signum & signatum SIGNIFICATIVS (der Zusammenhang der Zeichen) est, signoque tributus SIGNIFICATVS (die Bedeutung) dicitur, (vis, potestas). 401  Met., § 348: Signatum actuale, §. 347. vel praesens est, tunc SIGNVM dicitur DEMONSTRATIVVM (ein Anzeigungs-Zeichen) (…). 402  Met., § 545: FALLACIAE SENSVVM (Betrug der Sinne) sunt repraesentationes falsae a sensibus dependentes, eaque vel sensationes ipsae, vel ratiocinia, quorum praemissa est sensatio, vel perceptiones pro sensationibus per vitium subreptionis habitae, §. 30, 35. 403  Met., § 546: Sensationes ipsae quum repraesentent statum corporis, vel animae, vel vtriusque praesentem, §. 535. tam internae, quam externae percipiunt actualia, §. 205, 298. hinc & possibilia, §. 57. & quidem huius mundi, §. 377 sunt ergo verissimae totius mundi, §. 184. nec vlla earum est fallacia sensuum, §. 545. Quodsi ergo fallacia sensuum sit ratiocinium, vitium eius aut latet in forma, aut in altera praemissa; si sit alius generis perceptio, per vitium subreptionis pro sensatione habita, duplex error est per praecipitantiam iudicantis ortus facile tamen reducendus ad casum secundum, §. 545. 404  Vgl. Met., § 531. 405  Ohne dies hier weiterverfolgen zu brauchen, sei doch darauf hingewiesen, dass Kant auch von diesem Lehrstück Baumgartens kaum übersehbar inspiriert scheint, wenn man sich seine Theorie des reinen Geschmacks­urteils über das Schöne ansieht. Vgl. Gottfried Gabriel, Baumgartens Begriff der »perceptio praegnans« und seine systematische Bedeutung, in: Aufklärung 20 (2008), 61–71, hier: 66–70. 406  Vgl. Aesth., § 481. 407  Log., § 350: PROBABILIA NOBIS (uns wahrscheinlich, oder zuverlässig) Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  373

sunt, ad quorum veritatem non quidem omnia, tamen plura requisita clare nouimus, quam ad veritatem oppositi. 408  Vgl. Met., § 81. 409  Vgl. Log., § 123. 410  Log., § 351: INCERTA NOBIS IN TANTVM (uns einiger maassen ungewiss) sunt, de quibuscumque non sumus complete certi, et hoc significatu nobis vel maxime probabilia incerta sunt §. 350. Quum enim INCERTITVDO (die Vngewissheit) sit obscuritas veritatis, s. defectus conscientiae de eo, quod aliquid sit verum, quantum certitudini latius dictae deest, quo minus sit completa, tantum restat in eadem obscuritatis circa id, an aliquid verum sit, quae formido dici solet oppositi, tantum ergo restat incertitudinis. INCERTVM NOBIS IN TOTO (uns gäntzlich ungewiss) est, quod nobis ne latius quidem certum est. 411  Log., § 353: IMPROBABILIA NOBIS (uns unwahrscheinlich) sunt incerta, quorum ad veritatem requisita pauciora nouimus, quam ad veritatem oppositi, s. quorum oppositum nobis est probabile. 412  Vgl. Log., § 401. 413  Vgl. Log., § 402. 414  Vgl. Log., § 397. 415  Vgl. Log., §§ 2/3, u. Ästh., § 832. 416  Vgl. Log. § 3. 417  Met., § 307: Quod continet rationem alterius, eius est PRINCIPIVM (die Quelle). Dependens a principio PRINCIPATVM (das abgeleitete) est. Principium exsistentiae est CAVSSA (die Ursach), principiatum caussae CAVSSA­ TVM (das verursachte). Quod non potest exsistere, nisi vt caussatum alterius extra se positi, est ENS AB ALIO (abhaengend) (dependens), quod potest etiam exsistere, licet non sit caussatum alterius extra se positi, est ENS A SE (selbststaendig) (independens). 418  Met., § 457. 419  Log., § 352: DVBIA NOBIS (uns zweifelhaft) incerta sunt, quorum requisita ad veritatem a nobis clare cognita sunt aequalia requisitis ad veritatem oppositi, quorum nobis sumus conscii. Agnoscere aliquid sibi dubium, est de eodem DVBITARE (zweifeln). Ergo omnis dubitans agnoscit quidem se incertum de eo esse, de quo dubitat, s. illud sibi incertum esse, sed non omnis incertitudinem suam de aliqua re agnoscens, s. agnoscens, sibi aliquid incertum esse, de eodem dubitat, aut dubitare tenetur. Possunt esse nobis incerta tamen simul indubia, §. 351. et sunt talia omnia nobis probabilia secundum definitionem §. 350. modo probabilitas non confundatur cum quacumque verisimilitudine. Vere dubius si rem sibi dubiam tollat, aeque peccat, ac si eam poneret, §. 151. Si dubitantis non est affirmatio, nec est negatio §. 124. Dubitantis est SVSPENSIO IVDICII (das Enthalten von der Entscheidung) έποχειν, agnitio data extrema se nec vt conuenientia, nec vt repugnantia repraesentare rationaliter, §. 117. 374  |  Anmerkungen 

420 

Ästh., § 485: […] Patent ergo verisimilitudinem campi latius, quam probabilitatis territorium, etiamsi sit omne probabile simul verisimile, § 483. 421  Vgl. Met., §§ 265, 267, 268. 422  Met. § 517. 423  Ästh., § 483: Iam apertissimo putaverim calculo constare plurima inter venuste cogitandum appercipienda, non esse complete certa, neque luce completa veritatem eorum conspici, §§ 481, 482. Nec in ullo tamen falsitatis aliquid sensitivae deprehendi potest sine turpitudine, S. XXVIII. Talia autem, de quibus non complete quidem certi sumus, neque tamen falsitatem aliquam in iisdem appercipimus, sunt VERISIMILIA . Est ergo veritas aesthetica, S. XXVII, a potiori dicta VERISIMILITUDO, ille veritatis gradus, qui, etiamsi non evectus sit ad completam certitudinem, tamen nihil contineat falsitatis observabilis. 424  Vgl. Met., § 662. 425  Vgl. Met., § 94. 426  Vgl. Met., § 59. 427  Ästh., § 445: FALSITAS AESTHETICA est falsitas subiectiva et disconvenientia cogitationum cum veritate rerum cogitandarum, quatenus illa sensitive percipi potest, §§ 423, 426. […] 428  Vgl. Ästh., § 423. 429  Nachschrift Ästhetik, in: Bernhard Poppe, A.G. Baumgarten. Seine Bedeutung in der Leibniz-Wolffischen Philosophie und seiner Beziehungen zu Kant, nebst Veröffentlichung einer bisher unbekannten Handschrift der Ästhetik Baumgartens, Borna-Leipzig 1907, 80–258, § 18 (81). 430  Vgl. etwa die titelgebende Farbe in »The Colour out of Space« (in: H. P. Lovecraft, The Complete Fiction [ed. S. T. Joshi], New York 2008, 594–616) oder die verkehrte Geometrie in »At the Mountains of Madness« (ebd., 723–806). 431  Ästh., § 484: Cuius habent spectatores auditoresve intra animum, cum vident audiuntve, quasdam anticipationes, quod plerumque fit, quod fieri solet, quod in opinione positum est, quod habet ad haec in se quandam similitudinem, sive id falsum (logice, et latissime) sive verum sit (logice et strictissime), quod non sit facile a nostris sensibus abhorrens: hoc illud est εἰκόϛ et verisimile, quod Aristotele et Cicerone assentiente, sectetur aestheticus, § 483. In rebus enim eiusmodi non solet analogon rationis quicquam falsitatis observare, licet non omnino de veritate eorundem convictum sit. Hinc Ciceroni describitur inventio excogitatio rerum verarum aut verisimilium, quae caussam probabilem (aesthetice) reddant. 432  Vgl. insb. Cicero, De inventione I, 46: Probabile autem est id, quod fere solet fieri aut quod in opinione positum est aut quod habet in se ad haec quandam similitudinem, sive id falsum est sive verum. In eo genere, quod fere fieri solet, probabile huiusmodi est: »Si mater est, diligit filium; si avarus est, neglegit ius iurandum.« In eo autem, quod in opinione positum est, huiusmodi sunt probabilia: impiis apud inferos poenas esse praeparatas; eos, qui philosophiae Ästhetik und Logik als Organon der Erkenntnis  |  375

dent operam, non arbitrari deos esse. Similitudo autem in contrariis et 〈ex〉 paribus et in iis rebus, quae sub eandem rationem cadunt, maxime spectatur. In contrariis, hoc modo: »Nam si iis, qui inprudentes laeserunt, ignosci con­ venit, iis, qui necessario profuerunt, haberi gratiam non oportet.« Mirbach (Ästh., Bd. II, Anm., 1005) führt im Anschluß an Piselli allein aufgrund der letzten Wendung trotz deren vergleichsweise geringen Aussagekraft gleichberechtigt noch an: De oratore I, 83: Horum alii, sicuti iste ipse Mnesarchus, hos, quos nos oratores vocaremus, nihil esse dicebat nisi quosdam ope­ rarios lingua celeri et exercitata; oratorem autem, nisi qui sapiens esset, esse neminem, atque ipsam eloquentiam, quod ex bene dicendi scientia constaret, unam quandam esse virtutem, et qui unam virtutem haberet, omnis habere easque esse inter se aequalis et paris; ita, qui esset eloquens, eum virtutes omnis habere atque esse sapientem. Sed haec erat spinosa quaedam et exilis oratio longaque a nostris sensibus abhorrebat. 433  Die Definition der inventio stammt aus dem bis lange nach Baumgartens Zeiten noch Cicero zugeschriebenen, anonymen Traktat zur Rhetorik De ratione dicendi ad C. Herennium (I,3: Inventio est excogitatio rerum verarum aut veri similium, quae causam probabilem reddant.), dessen Autorschaft immer noch umstritten ist. 434  Mirbach (Ästhetik, Bd. II, Anm., 1005) ordnet diese Stelle unter ungefähr korrekter Angabe der Pag. wiederum unter Rückgriff auf Pisellis Übersetzung der Aesthetica fälschlicherweise den Zweiten Analytiken zu. 435  Aristoteles, An. pr. II. 27, 70a3–9: εἰκὸς δὲ καὶ σημεῖον οὐ ταὺτόν ἐστιν, ἀλλὰ τὸ μὲν εἰκός ἐστι πρότασις ἔνδοξος· ὃ γὰρ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ ἴσασιν οὕτω γινόμενον ἢ μὴ γινόμενον ἢ ὂν ἢ μὴ ὅν, τοῦτ᾽ ἐστιν εἰκός, οἷον τὸ μισεῖν τοὺς φθονοῦντας ἢ τὸ φιλεῖν τοὺς ἐρωμένους. Σημεῖον δὲ βούλεται εἶναι πρότασις ἀποδεικτικὴ ἢ ἀναγκαία ἢ ἔνδοξος· οὖ γὰρ ὄντος ἔστιν ἢ οὖ γενομένου πρότερον ἢ ὕστερον τὸ πρᾶγμα, τοῦτο σημεῖόν ἐστι τοῦ γεγονέναι ἢ εἶναι. 436  Aristoteles, Rhet. I. 2, 1357a22–b2, hier a34–b2: τὸ μὲν γὰρ εἰκός ἐστιν ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ γινόμενον, οὺχ ἁπλῶς δέ, καθάπερ ὁρίζονταί τινες, ἀλλὰ τὸ περὶ τὰ ἐνδεχόμενα ἄλλῶς ἔχειν, οὕτως ἔχον πρὸς ὃ εἰκός, ὡς τὸ καθόλου πρὸς τὸ κατὰ μέρος. 437  Vgl. die Bespiele, die Aristoteles dazu in den Ersten Analytiken anführt: An. pr., I. 27, 70a9–24. 438  Aristoteles, Poet., 1460a12–14: Δεῖ μὲν οὖν ἐν ταῖς τραγῳδίαις ποιεῖν τὸ θαυμαστόν, μᾶλλον δ᾽ ἐνδέχεται ἐν τῇ ἐποποιίᾳ τὸ ἄλογον, δι᾽ ὃ συμβαίνει μάλιστα τὸ θαυμαστόν, διὰ τὸ μὴ ὁρᾶν εἰς τὸν πράττοντα. 439  Aristoteles, Poet., 1460a27: Προαιρεῖσθαί τε δεῖ ἀδύνατα εἰκότα μᾶλλον ἤ δυνατὰ ἀπίθανα. 440  Aristoteles, Poetik, 1460a36–b3: ἐπει καὶ τὰ ἐν Ὀδυσσείᾳ ἄλογα τὰ περὶ τὴν ἔκθεσιν, ὡς οὐκ ἂν ἦν ἀνεκτά, δῆλον ἂν γένοιτο, εἰ αὐτὰ φαῦλος ποιητὴς ποιήσειε· νῦν δὲ τοῖς ἅλλοις ἀγαθοῖς ὁ ποιητὴς ἀφανίζει ἡδύνων τὸ ἄτοπον.

376  |  Anmerkungen 

C. Was Gott weiß, oder: Wie die Dinge sind – Metaphysik 441 

Vgl. Aichele, Allzuständigkeit, 171–3. Vgl. Alexaner Aichele, An sich kein Ding: Nietzsches Wirklichkeiten, in: Nietzscheforschung 20 (2012), 139–166, hier: 153–156. 443  Met., § 40: Complexus essentialium in possibili, seu possibilitas eius interna est ESSENTIA (esse rei, ratio formalis, natura, cf. § 430. quidditas, forma, formale totius, ουσία, τινοτις, substantia, cf. § 191. conceptus entis primus). 444  Met., § 37, Anm. 1. 445  Met., § 37: DETERMINATIONES possibilis aut sunt in eo repraesentabiles, etiamsi nondum spectetur in nexu, ABSOLVTAE (dem möglichen an und vor sich betrachtet schon), aut tunc demum, quando spectatur in nexu, §. 10. RESPECTIVAE (beziehungs-weise zukommende Bestimmungen) (assumtivae). Determinationes possibilium resptectiuae sunt RESPECTVS (Beziehungen), (habitudines τα προς τι, relationes latius dictae, vel ad extra, vel ad intra). Respectus possibilium in iisdem in se spectatis non repraesentabiles sunt RELATIONES (Verhaeltnisse) (strictius dictae, ad extra). Relationes possibilium sunt eorundem DETERMINATIONES EXTERNAE (aeussre), (relatiue, ad extra, extrinsecae) reliquae omnes, INTERNAE (innre Bestimmungen). 446  Vgl. Met., § 8. 447  Vgl. Met., § 20. 448  Met., § 53: Omne possibile determinatum est, qua possibilitatem, §. 34, 8. hinc in se possibile, qua possibilitatem internam, §. 15, quae quum sit essentia, §. 40. omne possibile habet essentiam, determinatum, qua essentiam. Ergo omnimode indeterminatum nihil est, §. 7. 449  Met., § 41: Determinationes possibilis internae, rationata essentiae, sunt AFFECTIONES (innere folgende Bestimmungen). 450  Vgl. Met., §§ 43–46. 451  Met., § 50: Affectiones habent rationem in essentia. §. 41. hinc aut suffi­ cientem, aut minus, §. 21, 10. Illae sunt ATTRIBVTA (Eigenschaften) hae MODI (Zufaelligkeiten) (accidentia praedicabilia, s. logica, cf. § 191. adiuncta, praedicata secundaria). 452  Met., § 52: Omnis possibilium determinatio aut est essentiale, §. 39. aut attributum, aut modus, §. 42, aut relatio, §. 37. 453  Met., § 47: Omnes determinationes internae possibilis sunt inter se connexae, singulae cum singulis. Affectiones enim connectuntur singulae cum essentialibus, §. 39. haec cum essentia, §. 40, 14. Hinc singulae determinationes cum singulis, §. 33. 454  Met., § 48: NEXVS (harmonia) VNIVERSALIS (ein allgemeiner Zusammenhang) est, qui est in singulis. 442 

Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  377

455 

Met., § 49: In determinationibus possibilis internis est nexus vniuersalis, §. 47, 48. 456  Met., § 33: A et B connexa tertio C sunt connexa inter se, A est connexum cum C connexo cum B, est ergo in A, de quo cognosci potest ex B, cur sit, hinc A et B sunt connexa, §. 19. 457  Met., § 54: Possibile praeter essentiam §. 53. aut est determinatum, qua omnes affectiones etiam in ipso compossibiles, aut minus §. 34, 10. Illud est ACTVALE (würklich), hoc NON ENS (nihil cf. §. 7.) PRIVATIVVM (mere possibile) (das bloß mögliche, ein mögliches Nichts) vocatur. 458  Met., § 34: Quod aut ponitur esse A, aut ponitur non esse A, DETERMINATVR (bestimmt). Quod vero tantum ponitur esse aut A, aut non A, est INDETERMINATUM (unbestimmt). Seu, si de subiecto respectu praedicatorum contradictororium nil ponitur, nisi alterutrum ex illis ipsi conuenire, subiectum illud respectu horum praedicatorum est indeterminatum; determinatur autem, si alterutrum in subiecto ponitur. Quod determinari potest, est DETERMINABILE (bestimmlich). De quo ergo aut poni potest, illud esse A, aut illud esse non A, illud est determinabile. 459  Met., § 10: Omne possibile est aut A, aut non A, aut neutrum, §. 8. iam neutrum est nihilum, quia esset vtrumque §. 9. Ergo omne possibile aut est A, aut non A, seu, omni subiecto ex omnibus praedicatis contradictoriis alterutrum conuenit. Haec propositio dicitur principium exclusi tertii, seu medii, inter duo contradictoria. 460  Vgl. Leibniz, Meditationes, 39–43. 461  Vgl. Met., § 62. 462  Vgl. Met., §§ 57–60. 463  Met., § 55: EXISTENTIA (Würkligkeit) (actus cf., §. 210. actualitas) est complexus affectionum in aliquo compossibilium i. e. complementum essentiae siue possibilitatis internae, quatenus haec tantum, vt complexus determinationum spectatur, §. 40. 464  Met., § 61: Possibille, qua existentiam, determinabile est ENS (ein Ding). 465  Vgl. Met., § 36. 466  Vgl. Met., § 110. 467  Vgl. Met., § 111. 468  Met., § 102: Cuius oppositum in se impossibile est, est illud NECESSARIVM IN SE (an sich, schlechterdings, unbedingt nothwendig) (metaphysice, intrinsecus, absolute, geometrice, logice). Cuius oppositum est extrinsecus tantum impossibile, est NECESSARIUM HYPOTHETICE (bedingt nothwendig) (secundum quid). Entis determinatio, qua necessarium est, est eius NECESSITAS (Nothwendigkeit). Ergo necessitas est vel ABSOLVTA (die schlechterdings so genannte, unbedingte), vel HYPOTHETICA (die bedingte) (consequentiae), illa, qua aliquid est in et per se, haec, qua aliquid est hypothetice tantum necessarium. 469  Vgl. Met., § 103. 378  |  Anmerkungen 

470 

Met., § 101: NECESSARIVM (nothwendig) est, cuius oppositum est impossibile, non necessarium est CONTINGENS (zufaellig). 471  Met., § 105: Nullum absolute necessarium est vllo modo contingens, §. 102, 104. Ergo quicquid vllo modo contingens est, non est absolute necessarium. Omne hypothetice necessarium est in et per se contingens, §. 18. Ergo quoddam in et per se contingens est hypothetice necessarium. Omne hypothetice contingens est et in se, §. 104. 472  Met., § 106: Essentiae rerum sunt in iis absolute necessariae, §. 40, 103. Vgl. Met., § 107. 473  Vgl. Met., § 108. 474  Vgl. Met., § 112. 475  Met., § 134: […] Potest hinc ENS CONTINGENS definiri per ens, cuius existentia modus est. 476  Met., § 113: Determinationes vnius sunt inseparabiles, §. 73, hinc cuius­ libet oppositum impossibile, §. 72, 81. sunt ergo determinationes vnius necessariae, §. 101, et absolute quidem absolute vnius, hypothetice hypothetice vnius, §. 102, 76. Vnita sunt necessario coniuncta, §. 79, vel in se, vel hypothetice, §. 102. 477  Vgl. Met., § 69. 478  Vgl. Met. §§ 75, 67, 68. 479  Vgl. Met., § 72. 480  Met., § 77: Quicquid est, quod multa non sunt, est VNICVM (vnum exclusiue tale) (Einzig). 481  Vgl. Met., § 73 u. 116. 482  Met, § 72: Determinationes entis SEPARANTVR (werden getrennt), si ex simul positis quaedam tolluntur. Hinc INSEPARABILES (unzertrennlich) sunt, quarum simul positarum nulla potest tolli. 483  Met., § 124: SUCCEDVNT (Folgen auf einander) sibi, (successiua sibi sunt) quorum vnum post aliud exsistit. Determinatio entium, qua sibi successiva sunt, est eorum SVCCESSIO (die Folge). 484  Met., § 125: Cuius determinationes sibi succedunt, MVTATUR (wird veraendert): hinc MVTABILE (veraenderlich) (variabile) est, cuius determinationes sibi possunt succedere; cuius determinationes sibi non possunt succedere, est IMMVTABILE (unveraenderlich) (fixum, inuariabile, constans). Ipsa autem determinationum in ente successio, est eius, et simul determinationum eius, MVTATIO (Veraenderung). 485  Vgl. Met., § 205. 486  Met., § 132: Essentiae rerum, §. 106. essentialia et attributa, §. 107. exsistentia entis necessarii, §. 109 omnes eius determinationes internae, §. 110. vnitas, §. 116. veritas, §. 118. et perfectio, transcendentales, §. 123. sunt absolute et interne immutabiles, §. 130, 126. 487  Vgl. Met., § 130. 488  Met., § 205: Suppositum contingens est determinatum, qua modos & reWie die Dinge sind – Metaphysik  |  379

lationes, §. 184, 200. Hinc coëxsistunt in eo fixa, seu, intrinsecus immutabilia, §. 107, 132. cum mutabilibus, §. 133. Eiusmodi coëxsistentia STATVS (Zustand) est. Ergo suppositum contingens habet statum. Status vnitorum est VNIO (Einigkeit). 489  Vgl. Met., § 849. 490  Met., § 298: Actualia temporis praesentis sunt EXSISTENTIA (das jetzt daseyende), (tempore praesentia, entia actu). Actualia temporis praeteriti, si non sint simul entia actu, s. si non amplius exsistant, sunt PRAETERITA (das vergangene) (res facti). Actualia temporis futuri sunt FVTVRA (das zukünftige), eaque, si non sint simul entia actu, sunt ENTIA IN POTENTIA (das noch werden soll). 491  Vgl. Met., § 34. 492  Met., § 75: Determinationes entis singulae sunt vna, §. 73, partim eadem, dum sunt determinationes eiusdem entis, partim diuersa, §. 38. hinc multa, §. 74. Potest ergo multitudo dari in ente in se spectato, § 69. et est eius discrimen internum, §. 37. quod tamen intelligere non possumus, nisi vno alio assumto, §. 74. 38. hinc multitudo est quantitas, §. 69. 493  Met., § 148: Complexus omnium determinationum in ente compossibilium est OMNIMODA eius DETERMINATIO (durchgaengige, völlige, vollstaendige Bestimmung). Hinc ens aut est omnimode determinatum, aut minus, §. 10. Illud est SINGVLARE (einzeln), (indiuiduum,) hoc VNIVERSALE (allgemeine). Vtrumque respectu omnium minus determinatorum, quae in se continet, INFERIVS (das untere, niedrigere, tiefere, bestimmtere) dicitur, illa respectu huius, SVPERIORA (die obern, höheren, allgemeinern, unbestimmtern). 494  Met., § 149: ENS vniuersale spectatum in suo inferiori, et singulare spectatum qua alia etiam sua praedicata, praeter certum vniuersale, SPECTATVR IN CONCRETO (in mehrerer Bestimmung betrachtet) et tunc CONCRETVM (unabgesondert) dicitur. ENS vniuersale, quod attenditur quidem, non tamen in inferiori suo, et singulare, in quo tamen certum tantum eius superius attenditur, SPECTATVR IN ABSTRACTO (nur in gewisser Bestimmung betrachtet), et tunc ABSTRACTVM (abgesondert) dicitur. Vniuersale in concreto est VNIVERSALE PHYSICUM (das allgemeine im bestimmtern), (in multis, in re), vniuersale in abstracto est LOGICUM (das allgemeine im denckenden) (post multa, post rem). 495  Met., § 150: Vniuersale in solis indiuiduis in concreto repraesentabile, seu, quod sola indiuidua sub se continet, est SPECIES (Art, Gattung), quod etiam in vniuersalibus in concreto repraesentabile est, seu, quod vniuersalia etiam sub se continet, est GENVS (Geschlecht), et horum INFIMVM (das Unterste) quod in nullo genere est, s. quod nullum genus sub se continet, SVMMVM (das Oberste) in quo nullum genus s. quod sub nullo genere continetur, SVBALTERNA (untergeordnete, oder Untergeschlechte) denique vocantur, quae non sunt summa. 380  |  Anmerkungen 

496 

Met., § 152: Singularia sunt interne prorsus determinata, §. 148. hinc actualia, § 54. 497  Met., § 151: Determinationes inferioris entis, indeterminatae in eius superiore sunt illius DIFFERENTIA (die genauere Bestimmung). Hinc DIFFERENTIA GENERICA (eines Geschlechtes) est complexus determinationum in genere determinatarum, indeterminatarum; DIFFERENTIA SPECIFICA (einer Art) est complexus determinationum speciei, indeterminatarum in genere eius infimo. DIFFERENTIA NVMERICA (eines jeden einzeln) (haecceitas, principium individuationis) est complexus determinationum indiuidui indeterminatarum in speciei, §. 148. 498  Vgl. Met., § 154. 499  Met., § 208: Mutato modo mutatur status internus, §. 125, 200 [recte: 206]. mutata relatione mutatur status externus, §. 125, 207. Iam modi & relationes sunt mutabiles, §. 133, 207. Ergo in substantia contingenti mutationes status sunt possibiles, §. 206, 207. 500  Met., § 191: Ens vel non potest exsistere, nisi vt determinatio alterius, (in alio), vel potest, §. 10. Prius ACCIDENS (ein nur in andern) (praedicamentale, s. physicum, cf. §. 50. cuius esse est inesse, (συμβεβηκος) posterius est SVBSTANTIA (ein vor sich bestehendes Ding) (ens per se subsistens, forma, (ἐντελεχεια, ὀυσια, ὑποστασις, ἐνεργεια) quod potest exsistere, licet non sit in alio, licet non sit determinatio alterius. 501  Met., § 192: Exsistentia accidentis, qua talis, est INHAERENTIA (das nur in andern), exsistentia substantiae, qua talis, est SVBSISTENTIA (das vor sich bestehn). 502  Met., § 195: Essentialia, attributa, modi, relationes, accidentia, §. 191, 52. non existere possunt, nisi in substantiis, §. 194. 503  Met., § 202: Omnis substantia habet essentialia & attributa absolute necessario, §. 107. hinc omnis substantia habet accidentia, §. 191, 195. Sed modos vel habet, vel non habet, §. 10. Quae modos habet, est ens contingens; quae non habet, ens necessarium, §. 111. Ergo substantia vel est necessaria vel contingens. Substantiae contingentis subsistentia modus est, §. 134, 192. 504  Met., § 196: Id in substantia, cui inhaerere possunt accidentia, s. substantia, quatenus est subiectum (cf. §. 344.) id, cui accidentia inhaerere possunt, SVBSTANTIALE vocatur, nec accidentia existunt extra substantiale, §. 194. 505  Vgl. Met., § 344. 506  Met., § 197: Si substantiae inhaerent accidentia, est aliquid inhaerentia ratio, §. 20. s. VIS LATIVS DICTA (eine Kraft in weiterer), (efficacia, energia, actiuitas cf. §. 216.) & sufficiens, §. 22. Hoc est VIS STRICTIVS DICTA (eine Kraft in engerer Bedeutung), (& breuitatis caussa nonnumquam simpliciter). 507  Met., § 832: Accidentia non exsistunt extra suas substantias, §. 194. Ergo vis actuandis plurimis maximis accidentibus sufficiens, sufficit actuandis plurimis substantiis. Ergo omnibus, §. 191, 247. Vis alicui actuando sufficiens Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  381

est POTENTIA (Gewalt). Hinc OMNIPOTENTIA (Allgewaltigkeit) est vis ­actu­a ndis omnibus sufficiens. Deus est omnipotens, §. 831. 508  Met., § 198: Vis strictius dicta aut est substantia, aut accidens, §. 191. Iam non est accidens, eorum omnium quum sit ratio sufficiens, §. 197. Ergo est substantia, & quatenus ipsi inhaerere possunt accidentia, vt subiecto, substantiale, §. 196. 509  Vgl. Met., § 199. 510  Vgl. Met., § 205. 511  Vgl. Met., §§ 206–9. 512  Met., § 210: Mutationes status sunt accidentia, §. 191. hinc non exsistere possunt, nisi in substantiis, §. 194. & quidem posita vi, etiam strictius dicta, §. 197, 22. Vis illa mutationis, aut in genere inhaerentis accidentis, ratio sufficiens, §. 197. vel est substantiale, quod mutatur, aut in genere, cui accidens inhaeret, vel vis ab eo diuersa, §. 10, 38. Si prius est, substantia, cuius status mutatur, vel in genere, cui accidens inhaeret, AGIT (thun, handeln); si posterius est, substantia, cuius status mutatur, vel in genere, cui accidens inhaeret, PATITUR . Hinc ACTIO (Handlung) (actus, operatio,) est mutatio status, & in genere actuatio accidentis in substantia, per vim ipsius: PASSIO (Leiden) mutatio status, & in genere actuatio accidentis in substantia, per vim alienam. 513  Met., § 211: Substantia in substantiam extra se agens in eam INFLVIT, adeo INFLVXVS (Einfluß) (actio transiens,) est actio substantiae in substantiam extra se. ACTIO, quae non est influens, est IMMANENS . 514  Met., § 213: Actio patientis in agens est REACTIO (Gegenwürkung), & mutua substantiarum actio & reactio CONFLICTVS (Streit). 515  Met., § 212: Si passio illius substantiae, in quam altera influit, simul est ipsius patientis actio, PASSIO & INFLVXVS dicuntur IDEALES . Si vero passio non est patientis actio, PASSIO & INFLVXVS dicuntur REALES . 516  Met., § 216: Omnis substantia existens agit, §. 210, 199. hinc habet possibilitatem agendi seu FACVLTATEM (Vermögen), (potentiam actiuam, vim, cf. §. 197.) §. 57, si patitur, habet possibilitatem patiendi, i. e. (potentiam passiuam, capacitatem) RECEPTIVITATEM (Faehigkeit, Empfaenglichkeit), §. 57. 517  Vgl. hierzu und zum folgenden Aichele, Ontologie, 191–222. 518  Met., § 57: Omne actuale est interne possibile, §. 54. seu posita existentia ponitur interna possiblitas, §. 55, 40. ab esse ad posse V. C. 519  Vgl. Geert Keil, Willensfreiheit, Berlin/New York 2007, 30–49; Peter Van Inwagen, An Essay on Free Will, Oxford 1983, insb. 190–221. Dass die häufig zur Charakterisierung eines vollständigen naturgesetzlichen Determinismus gebrauchte Rede vom sogenannten Laplace-Determinismus (Keil, 18 ff. pass.) im Blick auf Laplace eigentlich Unfug ist, zeigt: Simmert, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, 174–189. 520  Vgl. Met., § 204. 521  Met., § 344: Si ens concipitur vt determinabile, MATERIA , cf. §. 295, 299. EX QVA (der Stoff, der Zeug), in ipso determinationis actu MATERIA 382  |  Anmerkungen 

CIRCA QVAM (obiectum, subiectum occupationis) (der Gegenstand), facta determinatione MATERIA IN QVA , & haec cum materia ex qua, SVBIECTVM

vocatur. 522  Vgl. Aichele, Ontologie, 140–2. 523  Met., § 295: Extensum, cui vis inertiae tribuitur, est MATERIA , cf. §. 344. & phaenomenon substantiatum, §. 234, 201. MATERIA , cui haec sola vis tribuitur, est PRIMA , cf. § 423. (mere passiua). 524  Vgl. Met., § 280. 525  Vgl. Met., § 294. 526  Vgl. Met., § 201. 527  Vgl. Met., § 423. 528  Met., § 125: Cuius determinationes sibi succedunt, MVTATVR (wird veraendert): hinc MVTABILE (veraenderlich) (variabile) est, cuius determinationes sibi possunt succedere; cuius determinationes sibi non possunt succedere, est IMMVTABILE (unveraenderlich) (fixum, inuariabile, constans). Ipsa autem determinationum in ente successio, est eius, et simul determinationum eius, MVTATIO (Veraenderung). 529  Met., § 134: Essentia non est mutabilis, §. 132. hinc omne ens contingens mutabile est, qua exsistentiam, §. 133, 56. Hinc exsistentia entis contingentis est mutabilis, §. 125. nec est adeo essentiale, nec attributum, §. 132. interna tamen determinatio, §. 55. ergo modus, §. 52. Cuius exsistentia modus est, eius exsistentia est absolute mutabilis, §. 133. hinc et intrinsecus contingens, §. 131. Ergo cuius exsistentia modus est, est ens contingens, §. 109. Potest hinc ENS CONTINGENS definiri per ens, cuius exsistentia modus est. 530  Vgl. Met., § 112. 531  Vgl. Met., §§ 126 u. 209. 532  Met., § 130: Absolute necessaria sunt absolute immutabilia, hypothetice necessaria sunt hypothetice immutabilia, §. 129, 127. 533  Met., § 129: Mutabilium determinationes sibi possunt succedere, §. 125. hinc mutabilia sunt pluribus modis determinabilia, §. 74, 34. Necessaria non sunt pluribus modis determinabilia, §. 114. Ergo necessaria sunt immutabilia, §. 125. 534  Met., § 232: Substantia composita habet vires, hinc substantias extra se positas pro partibus, §. 231, 198. hinc est ens compositum strictius dictum, §. 225. 535  Vgl. Met., § 236. 536  Vgl. Met., § 233. 537  Vgl. Met., § 249. 538  Met., § 246: Quantitas qualitatis est GRADVS (eine Stuffe, Staffel) (quantitas virtutis). Hinc gradum non nisi alio assumto intelligere possumus, §. 69. 539  Met., § 253: Interne actuale immutabile, est qua determinationes internas actu, quicquid esse potest, §. 125. Ergo ens infinitum, qua determinationes internas, est actu, quicquid esse potest, §. 252. Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  383

540 

Met., § 248: Ens reale esse est qualitas, §. 69. omni enti conueniens, §. 136. Quumque in omni ente sit certus realitatum numerus, §. 136, 159, omne ens habet certum realitatis gradum, §. 246, 159. Hinc vel erit maximus, vel non maximus, §. 10, 247. Quumque gradus realitatis, quo maior possibilis est, seu non maximus, §. 247, LIMES (die Schranken) (terminus, cf. §. 350. finis cf. §. 341.) dicatur, limitem autem habens FINITVM (endlich, eingeschraenkt) (cf. §. 341. limitatum), non habens limitem INFINITVM (uneingeschraenkt) (reale, illimitatum) erit. Ens ergo gradum realitatis maximum habens s. realissimum, §. 190. est infinitum, finita reliqua omnia. Finitum, cuius limites determinare vel non possumus, vel non placet, est INDEFINITVM (mathematisch unendlich, unendlich scheinend) (infinitum imaginarium, mathematice tale.). 541  Vgl. Met., § 254. 542  Met., § 255: Interne mutabile est ens infinitum, §. 252, 126. Ergo omne ens contingens est finitum, §. 133. licet esse possit multis rationibus indefinitum & mathematice infinitum, §. 248. 543  Met., § 247: Gradus infimus seu minimus est, quo minor impossibilis; quo maior impossibilis, maximus est, §. 246, 161. Gradus maiores sunt plurium minimorum tota, §. 155, 160. Hinc ab affirmato gradu maiore ad affirmandum gradum minorem, a negato gradu minore ad negandum gradum maiorem valet consequentia, §. 157. In quouis gradu maiore est multitudo graduum, quae INTENSIO (das Höhere) dicitur, §. 159. Haec si augetur, QVALITAS , cuius gradus est, INTENDITVR (zunehmen, staerker angestrengt werden), si minuitur, qualitas, cuius gradus est, REMITTITVR (schwaecher werden, nachlassen, abnehmen). 544  Met., § 250: In omni finito quaedam realitas tollenda est, §. 248, 247. Ergo quaedam ponenda negatio, §. 135, 81. adeoque imperfectio, §. 142. tam essentialis, quam accidentialis, §. 143. hinc abolute necessaria, §. 107. negatio, §. 36. stricte dicta, §. 137. malum metaphysicum, §. 146. 545  Met., § 261: Infinitudo est realitas, §. 36. cuius ratio est gradus realitatis maximus, §. 248, 14. finitudo seu limitatio est negatio, §. 36, cuius ratio limes est, §. 248, 14. 546  Met., § 262: Modi & relationes entis vel sunt realitates, vel negationes, §. 36. hinc iis in ente finito mutatis mutatur limes eius, §. 248. Iam omnis mutatio entis finiti est mutatio modi aut relationis, §. 52, 132. Ergo omnis mutatio entis finiti est mutatio limitum eius, hinc & limitationis, §. 261, 30. 547  Met., § 263: Ens finitum habet modos, §. 257, 112. Hi vel realitates sunt, vel negationes, §. 36. Vtrarumque oppositum est in ente finito absolute possibile, §. 108. Hinc priuationes sunt in omni ente finito absolute possibiles, §. 137. Hinc & imperfectio & malum contingens, §. 144, 146. (physicum late dictum). 548  Met., § 147: Positis entis realitatibus ponitur eius perfectio, §. 141. hinc realitates sunt bona, §. 100. et absolute quidem necessariae BONVM METAPHYSICVM (das schlechterdings nothwendige), in se contingentes BONVM CONTINGENS (das zufaellige Gute) (physicum late dictum, cf. §. 787.) 384  |  Anmerkungen 

549 

Met., § 264: Omne ens finitum partim malum, partim bonum est, §. 147, 137. & omni finito bonum malumque contingens est intrinsecus possibile, §. 147, 263. 550  Met., § 354: MVNDVS (die ganze Welt) (cf. §. 91, 403, 434. vniuersum, παν) est series (multitudo, totum) actualium finitorum, quae non est pars alterius. 551  Met., § 356: In hoc mundus sunt actualia extra se posita, hinc nexus vniuersalis actualis, §. 279, 306. 552  Met., § 357: In omni mundo sunt partes actuales, §. 354, 155. hae singulae connectuntur cum toto, §. 14, 157. hinc singulae connectuntur cum singulis, §. 33. Ergo in omni mundo nexus est partium & harmonia vniuersalis, §. 4. i. e. in mundo non datur insula. Aliter: Partes mundi vel sunt extra se inuicem posita actualia, & connectuntur singula cum singulis, §. 279, 306. vel sunt eius determinationes internae non positae extra se inuicem, §. 10, 37. & connectuntur singulae cum singulis, §. 49. Ουκ εστιν επεισοδιωδης, εστιν ωσπερ στρατευμα. 553  Met., § 376: Omnis mundi partes sunt actualia, §. 354. hinc singulae in suo mundo, adeoque partes huius mundi in hoc mundo habent veritatem, §. 90. & certitudinem, §. 93. vt determinationes internas, §. 37, 93, determinatas, §. 54. 554  Met., § 359: Omnis mundus quum sit ens, §. 355, 62. erit vnum, §. 73 (§. 354, 155.) verum, §. 90. (§. 357, 355, 354, 92). Hinc in omni mundo est ordo, §. 89. & regulae communes, §. 86. Mundus fabulosus non est mundus, §. 120. 555  Met., §. 360: Omnis mundus est perfectus, §. 99, 359. & bonus, §. 100. 556  Met., § 378: Si vel vnica pars huius mundi esset alia, quam est, mundus hic non esset totaliter idem, qui est, §. 155, 267. Iam omnes partes huius vniuersi possunt esse aliae, quam sunt, §. 354, 260. Ergo possibiles sunt mundi partim ab hoc diuersi, §. 38. partim iidem cum eo, §. 265. i. e. plures, §. 74. 557  Met., § 265: Similitudo minima est in duobus, in quibus vnica minima qualitas est communis, §. 174, 70. Iam vero in omnibus entibus quaedam qualitates communes sunt, §. 8, 100. Ergo omnia entia sibi sunt in aliquo gradu similia, §. 246. Est hinc in entibus similitudo quaedam adeoque identitas vniuersalis, §. 70. Quo plures, quo maiores qualitates, quo pluribus sunt communes, hoc maior est similitudo, §. 174, 70. Aequalitas minima est in duobus, in quibus vnica minima quantitas est communis, quo ergo plures, in quo pluribus, quo maiores quantitates communes sunt, hoc maior est aequalitas, §. 170, 74. 558  Met., § 363: Nullius mundi partium coniunctio est absolute necessaria, §. 362, 102. est tamen coordinatio, §. 78. Ergo in omni mundo est ordo in se contingens, §. 117 hinc et veritas intrinsecus contingens, §. 119. 559  Met., § 377: Finita, quae non absolute solum, nec hypothetice tantum in qualicunque nexu, sed etiam in vniuersali nexu ALICVIVS MVNDI possibilia sunt, POSSIBILIA (das Mögliche einer gewissen ganzen Welt) ilius mundi vocantur. Hinc possibilia huius mundi sunt, quae in vniuersali eius nexu specWie die Dinge sind – Metaphysik  |  385

tata tamen sunt hypothetice possibilia, hinc maiorem possibilitatis gradum habent, §. 165, 246. 560  Met., § 165: Possibilitas minima est non-repugnantia minimorum paucissimorum, §. 161, 8. Quo ergo plura, quo maiora sunt compossibilia, hoc maior est possibilitas, §. 160. donec maxima sit, vbi plurima maxima sunt compossibilia, §. 161. Hinc omnis possibilitas entis hypothetica maior est eius­ dem possibilitate intrinseca, §. 16, 15. 561  Met., § 168: Possibilitas hypothetica minima est, qua ens vnicum mini­ mum in minimo nexu gaudet, §. 16, 161. Quo ergo plura, quo maiora, quo maiore in nexu possibilia sunt, hoc maior est possibilitas hypothetica, §. 160. donec maxima sit, vbi plurima maxima in maximo nexu possibilia sunt, §. 161. i. e. foecundissimarum grauissimarumque rationum rationata foecundissima, grauissima, §. 167. 562  Vgl. Met., § 166. 563  Met., §. 169: Ratio sufficiens est rationum foecundissima, §. 166, 21. in sufficientibus tamen minima est, quae vnico minimo rationato sufficit, §. 166, 161. Quo ergo pluribus, quo maioribus rationatis sufficit, hoc maior est, §. 160. donec sit maxima, plurimis maximis rationatis sufficiens, §. 161. eademque foecundissima & nobilissima, §. 166. 564  Met., § 379: Hic mundus vnice singularis est, §. 77. Pone enim plures esse, constituerunt cum hoc multitudinem seu seriem, §. 74. Hinc hic non esset mundus, §. 354. aut omnes isti mundi partes huius, tantum vnici, §. 354, 77. 565  Met., § 185: Perfectio minima est consensus paucissimorum minimorum ad vnum minimum vnicus minimus, §. 93, 161. hinc quo plura, quo maiora, in quo plura, in quo maiora, quo pluries, quo magis consentiunt, hoc maior est perfectio, §. 160. donec sit maxima plurimorum maximorum maximus consensus ad vnum, §. 161, 169. At summa perfectio quum adeo sit maxime composita, §. 183, 96. simplex perfectio quantacunque sit, non tamen est maxima, §. 96. 566  Met., § 190: […] Realitas in ente minima est summa paucitas & paruitas in eodem determinationum vere positiuarum, §. 135, 161. Quo harum plures, quo maiores habet, hoc est realius. REALISSIMVM ergo est, in quo maximae plurimae realitates. §. 161, 36. Hae absolute necessariae sunt SVMMVM BONVM , s. optimum METAPHYSICVM (das nothwendige höchste Guth), §. 187, 147. in se contingentes SVMMVM BONVM CONTINGENS (das zufaellige Höchste Guth) (physicum late dictum). 567  Met., § 187: Bonum minimum est, quo posito ponitur minima perfectio, §. 100, 161. Quo maior est perfectio posito bono ponenda, hoc maius est bonum, §. 160. donec OPTIMVM (Das Beste) sit, quo posito ponitur summa perfectio, §. 161. 568  Met., § 436: Mundus perfectissimus est, in quo plurimarum partium maximae, & maximarum plurimae partes in mundo compossibiles tantum 386  |  Anmerkungen 

ad vnum consentiunt, quantum in mundo fieri potest. Hinc mundus perfectissimus habet perfectionem maxime compositam, cuique mundo non nisi simplex conuenit perfectio, non est perfectissimus, §. 185. 569  Met., § 437: Posito mundo perfectissimo ponitur summa, quae in mundo possibilis est, perfectio, §. 436. Hinc mundus perfectissimus est etiam mundorum possibilium omnium optimus, §. 187. Iam mundi partes sunt actualia, §. 354. haec vel simultanea, vel successiua, §. 306. Ergo mundus perfectissimus tot 1) simultanea, tot 2) successiva complectitur, & 3) tanta, quot & quanta in mundo sunt optimo compossibilia, i. e. 1) extensiue, 2) protensiue, 3) intensiue, mundorum est optimus maximus, § 436, 368. 570  Met., § 441: In mundo perfectissimo est maximus, qui in mundo possibilis, nexus vniuersalis, §. 437, 94. harmonia & consensus, §. 436, 357. 571  Met., § 190: Minima mutatio est vnici minimi in vnico minimo successio, §. 161, 125. Ergo quo plura, quo maiora, in quo pluribus, quo maioribus succedunt, hoc maior est mutatio, §. 160. donec sit maxima, plurimorum maxi­ morum in pluribus maximis successio. Minima minimae mutationis in ente possibilitas est eius mutabilitas minima, §. 161, 127. Ergo quo magis possibilis, quo maior in ente, mutatio, hoc est eius maior mutabilitas, donec sit maxima maximae mutationis possibilitas, §. 161. […] 572  Met., § 188: Minime contingens est, cuius oppositum est minime possibile, §. 104, 161. Quo maior ergo possibilitas vnius oppositorum, hoc maior alterius contingentia, §. 160. Maxima contingentia est illius, cuius oppositum habet maximam possibilitatem, §. 161. 573  Met., § 444: In omni perfectione est ordo, §. 95. Hinc in mundo perfectissimo maximus est ordo, qui in mundo possibilis, §. 437, 175. Ergo plurimae regulae perfectionis communes, e. g. Quo plura, quo maiora, quo spatiosiora, §. 281. quo diuturniora, §. 299. caeteris paribus, hoc melius, §. 437, 187. & ordo maxime compositus, §. 183. ita tamen, vt inferiores superioresque regulae tandem ad vnam omnes ex vna summa perfectionis regula, eademque fortissima, cognosci possint, §. 182, 185. 574  Met., § 445: In mundo perfectissimo quum plurimae sint perfectionis regulae, §. 444. possunt etiam esse exceptiones admodum multae, §. 97, 372. modo maximum non tollant consensum, §. 440. hinc sint, quae possunt, caeteris paribus, paucissimae, §. 161. minimae, §. 186. 575  Met., § 83: Propositio enuncians determinationem rationi conformem est NORMA (regula (Richtschnur, Gesetz), lex) immo latius, repraesentatio determinationis rationi conformis. 576  Met., § 97: REGVLAE oppositae COLLIDI (mit einander streitende Richtschnuren) dicuntur, et defectus ex regulis perfectionis collidentibus EXCEPTIO (Ausnahme), prout normae vel vera vel apparente tantum oppositione colliduntur, §. 81. vel vera, vel apparens, §. 12. 577  Met., § 182: LEX enuncians determinationem rationi sufficienti vlteriori conformem SVPERIOR (eine höhere), propriori conformen enuncians INFEWie die Dinge sind – Metaphysik  |  387

RIOR (niedrigere Richtschnur) dicitur. Ergo leges superiores fortiores sunt in-

ferioribus, & summa lex est fortissima, §. 181. 578  Met., § 27: Ratio A alicuius B, a quo dependet C, est huius C RATIO MEDIATA (mittelbarer und entfernter) (vlterior, remota,) RATIO non mediata est IMMEDIATA (unmittelbarer und naechster Grund) (proxima). 579  Vgl. Met., § 446. 580  Met., § 180: Magnitudo conformitatis cum ratione in determinatione, quam lex enunciat, est ROBVR LEGIS (Staercke der Richtschnur). LEX enuncians determinationem conformitatis cum ratione comparatiue magnae est FORTIS (ein starckes), paruae DEBILIS (schwaches Gesetz) est. Hinc lex maxime debilis seu minimi roboris est, quae enunciat determinationem minimae conformitatis cum ratione, §. 161, 176. Quo maior conformitas cum ratione determinationi a lege enunciatae, hoc lex est fortior, §. 160. donec fortissima sit enuncians determinationem, in qua maxima conformitas, §. 161. 581  Vgl. Met., § 176. 582  Vgl. Met., § 78. 583  Met., § 166: Ratio minima est, quae vnicum minimum rationatum habet, §. 161. Quo ergo plura, quo maiora rationata habet, hoc maior est, §. 160. donec maxima fiat maxima plurima rationata habens, §. 161. Magnitudo rationis ex numero rationatorum est FOECVNDITAS (Fruchtbarkeit), ex magnitudine eorum PONDVS (Wichtigkeit) (grauitas, dignitas, nobilitas). 584  Met., § 168: Possibilitas hypothetica minima est, qua ens vnicum mini­ mum in minimo nexu gaudet, §. 16, 161. Quo ergo plura, quo maiora, quo maiore in nexu possibilia sunt, hoc maior est possibilitas hypothetica, §. 160. donec maxima sit, vbi plurima maxima in maximo nexu possibilia sunt, §. 161. i. e. foecundissimarum grauissimarumque rationum rationata foecundissima, grauissima, §. 167. 585  Met., § 169: Ratio sufficiens est rationum foecundissima, §. 166, 21. in sufficientibus tamen minima est, quae vnico minimo rationato sufficit, §. 166, 161. Quo ergo pluribus, quo maioribus rationatis sufficit, hoc maior est, §. 160. donec sit maxima, plurimis maximis rationatis sufficiens, §. 161. eademque foecundissima & nobilissima, §. 166. 586  Met., § 176: DETERMINATIONIS ex ratione cognoscibilitas quum sit CONFORMITAS eius CVM RATIONE (die Uebereinstimmung einer Bestimmung mit ihrem Grunde). §. 80, haec conformitas erit minima, si determinatio ex minima ratione tantum cognoscibilis, §. 161, 166. in minima cognitionis possibilitate, §. 165. Quo maior ratio, ex qua cognoscenda determinatio, quo magis possibilis haec cognitio, hoc maior conformitas determinationis cum ratione, §. 160, donec sit maxima ex maxima ratione maxime cognoscibile, §. 161. 587  Met., § 446: Si in mundo perfectissimo collidantur ratio perfectionis sufficiens & insufficiens, fit exceptio ab insufficienti; si collidantur foecundior & minus foecunda, fit exceptio a minus foecunda; si grauior & minus grauis, 388  |  Anmerkungen 

fit exceptio a minus graui; si vlterior & proprior vlteriori subordinata, fit exceptio a propriori; si secundum quid sufficiens & simpliciter talis, fit exceptio a sufficiente secundum quid; si inferior & superior, fit exceptio ab inferiori. Quaecunque tandem regula perfectionis in mundo perfectissimo collidatur cum summa, ab ea excipitur, §. 186, 445. 588  Met., § 179: Defectus rationi sufficienti, foecundiori, grauiori, vlteriori & simpliciter tali contrarius maior est contrario rationi insufficienti minus foecundae, minus graui, propriori & sufficienti secundum quid tantum, §. 178, 177. 589  Met., § 504: Si quid in ente est, quod sibi alicuius potest esse conscium, illud est ANIMA (eine Seele). In me exsistit, §. 55. quod sibi alicuius potest esse conscium, §. 57. Ergo in me exsistit anima, (ego anima exsisto). 590  Met., § 505: Cogito, mutatur anima mea, §. 125, 504. Ergo cogitationes sunt accidentia animae meae, §. 210. quarum aliquae saltim rationem sufficientem habent in anima mea, §. 31. Ergo anima est vis, §. 197. 591  Met., § 507: Cogitat anima mea saltim quasdam partes huius vniuersi, §. 354. Ergo anima mea est vis repraesentatiua huius vniuersi, saltim partialiter, §. 155. 592  Met., § 508: Cogito quaedam corpora huius vniuersi, eorumque mutationes, huius pauciores, illius plures, vnius plurimas, & vltimum quidem pars mei est, §. 155. hinc CORPVS MEVM (mein Leib) est, cuius mutationes plures cogito, quam vllius alius corporis. 593  Met., § 509: Corpus meum habet determinatum in hoc mundo positum, §. 85. locum, aetatem, §. 281. situm, §. 284. 594  Met., § 514: Totum repraesentationum in anima PERCEPTIO TOTALIS (die gantze Vorstellung) est, eiusque partes PERCEPTIONES PARTIALES (jener Theile), & harum quidem obscurarum complexus CAMPVS OBSCVRITATIS (das Feld der Dunkelheit) (tenebrarum), qui est fundus animae, §. 511. complexus clararum, CAMPVS CLARITATIS (das Feld des Lichtes) (lucis) est, comprehendens CAMPOS CONFVSIONIS ; DISTINCTIONIS (die Felder der Verwirrung, der Deutlichkeit, u. s. w.), ADAEQVATIONIS , etc. 595  Met., § 512: Ex positu corporis mei in hoc vniuerso cognosci potest, cur haec obscurius, illa clarius, illa distinctius percipiam, §. 306, 509. i. e. RE­ PRAE ­SENTO PRO POSITV CORPORIS (Meine Vorstellungen richten sich nach der Stelle meines Leibes.) mei in hoc vniuerso. 596  Vgl. Alexander Aichele, Die Ungewißheit des Gewissens. A. G. Baumgartens forensische Aufklärung der Aufklärungsethik, in: JRE 13 (2005). FS Joachim Hruschka, 3–30, hier: 27–9. 597  Vgl. Log., § 3. 598  Vgl. Log., § 2. 599  Vgl. Log., § 15. 600  Vgl. Log., § 18. 601  Vgl. Met., § 400. 602  Vgl. Met., § 745. Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  389

603 

Met., § 401: Monades mundum suum repraesentantes, §. 400. aut sibi eum repraesentant, suae perceptionis, saltim ex parte, consciae, aut minus §. 10. Hinc & monades huius vniuersi mundum hunc aut obscure tantum re­ praesentant, aut clare, saltim ex parte. Illae sunt MONADES NVDAE (im tiefen Schlaf liegende Monaden), (sopitae). 604  Met., § 402: Monades clare mundum repraesentantes aut sibi eum distincte, saltim ex parte, repraesentant, aut minus, §. 10. Priores intelli­g unt, §. 69. Ergo facultatem habent distincte cognoscendi, §. 216. i. e. INTELLECTVM (Verstand) (stricte dictum, cf. §. 519). Substantia INTELLECTVALIS (das mit Verstand begabt), i. e. intellectu praedita, est SPIRITVS (ein Geist) (intelligentia, persona). Ergo monades huius vniuersi intellectuales sunt spiritus, §. 230. Solos in hoc mundo spiritus admittens est IDEALISTA . 605  Met., § 741: Anima humana sibi corpus suum repraesentat pro arbitrio, §. 740. Ergo agit, §. 210. mouet etiam corpus suum, §. 740, 734. Ergo appetit & auersatur, §. 712. Ergo agit & est vis repraesentatiua corporis sui, §. 210. Corpus humanum est materia, §. 296. hinc diuisibile, §. 427. adeoque interne mutabile, §. 244. adeoque ens finitum, §. 255. actuale, pars mundi, §. 354. Ex positu corporis humani in vniuerso cognosci potest, cur anima humana obscure, clare, distincte repraesentet haec, non alia, §. 740, 736. Ergo ANIMA HVMANA (die menschliche Seele) est vis repraesentatiua vniuersi pro positu corporis humani in eodem, §. 513, 155. 606  Met., § 689: FACVLTAS APPETITIVA , quatenus cognoscitiuam superiorem sequitur, §. 665, 668. SVPERIOR (das obere Vermögen zu begehren) (animus) dicitur. Quaedam appeto & auersor distincte repraesentata per facultatem diiudicandi intellectualem, §. 607. Ergo habeo facultatem appetitiuam superiorem, §. 216. APPETITIONES AVERSATIONES que per illam actuandae sunt RATIONALES (vernünftige Begierden und Abneigungen), §. 641. & nascuntur per vim animae repraesentatiuam vniuersi pro positu corporis, §. 667, 642. 607  Met., §. 712: LVBITVS (das Belieben) est cognitio, qua substantia pollet, ex qua secundum leges appetitionis auersationisque cognosci potest, cur sic, non aliter, se determinet circa actionem liberam ratione exsequutionis. At hoc cognosci potest ex praeuisione, praesagio, voluptate, vel taedio, §. 665. stimulis & motiuis, §. 677, 690. Ergo praeuisio, praesagium, voluptas vel taedium, stimuli & motiua, quae cognoscuntur a certa substantia, lubitum eius constituunt. Si SVBSTANTIA circa actionem liberam ratione exsequutionis ita vim suam determinat, sicut ex lubitu eius cognosci potest, APPETIT VEL AVERSATVR PRO LVBITV (nach Belieben begehren oder abgeneigt seyn). Qui ergo aut non praeuisum, aut id, quod prorsus non praesagierat, vllo nisu suo exstiturum, aut nec placens, nec displicens, sine vllis stimulis, vllis motiuis appeteret, vel auersaretur non appeteret, vel auersaretur pro lubitu. Multa appeto, multa auersor pro lubitu meo. Ergo habeo facultatem appetendi & auersandi pro lubitu meo, i. e. ARBITRIVM (Willkühr). Actiones, quas per arbitrium deter390  |  Anmerkungen 

minare est in potestate alicuius substantiae positum, ipsi sunt ARBITRARIAE (willkührlich). Multae actiones meae sunt arbitrariae. 608  Met., § 665: Lex facultatis appetitiuae haec est: Quae placentia prae­ uidens exstitura nisu meo praesagio, nitor producere. Quae displicentia prae­ uidens impendiendo nisu meo praesagio, eorum opposito appeto, §. 664, 663. Hinc multa bona & mala, sub ratione boni, possum appetere. Multa mala & bona, sub ratione mali, possum auersari, §. 651. 609  Met., § 708: ACTIONES mihi physice possibiles sunt IN POTESTATE MEA POSITAE (Handlungen stehn), realitates mihi physice impossibiles sunt EXTRA POTESTATEM MEAM POSITAE (stehn nicht in meiner Gewalt). Ergo est actio quaedam vel simpliciter tantum, vel etiam secundum quid in potestate mea posita, est quaedam vel simpliciter etiam, vel tantum secundum quid extra meam potestatem, §. 469. Actionum in potestate alicuius agentis positarum oppositum aut est etiam in potestate eiusdem agentis positum, aut extra eandem, §. 9. & vtrumque denuo vel simpliciter, vel secundum quid, §. 469. Quae ipsae cum suis oppositis, simpliciter saltim, sunt in potestate alicuius positae, sunt ipsi LIBERAE (cf. §. 719) RATIONE EXSEQVVTIONIS (bey denen Thun und Lassen in meiner Gewalt steht), quarum oppositum simpliciter supra potestatem alicuius positum est, sunt ipsi MERE NATVRALES . ACTIO libera ratione exsequutionis, cuius opposito aequalis respectu certi agentis est physica possibilitas, est PHYSICE ipsi INDIFFERENS (gleich leicht und schwer) (indifferens, qua exercitium actus). 610  Met., §. 709: Actiones mere naturales sunt naturaliter necessariae. Vnde actiones liberae ratione exsequutionis his contradistinctae physice contingentes sunt, §. 708, 469. Hinc futurae nonnumquam FVTVRA CONTINGENTIA (das Zufaellig-künftige) simpliciter vocantur. 611  Vgl. Luis de Molina, Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientiae, providentia, praedestinatione et reprobatione Concordia (ed. Iohannes Rabeneck S.I. [im Folgenden: Conc.]), Oña/Madrid 1953, p.I., disp. 2, 13/14. 612  Met., § 710: INTERNA NECESSITATIO (die innre Nöthigung) (coactio) est, quae dependet a determinatione substantiae necessitatae interna, & tribuitur substantiis & earum actionibus, 1) dum actiones substantiarum putantur a sola earundem essentia necessitari, ABSOLVTA (die wesentliche) (essentialis). Eiusmodi necessitatio, dum actiones mutaret in absolute necessarias, §. 702, 107. omnino impossibilis est, §. 702. 2) dum per substantiae naturam quaedam actiones ex physice alias contingentibus mutantur in physice necessarias illi naturae vel simpliciter vel secundum quid tales, §. 469. PHYSICA (naturalis). Hinc actiones mere naturales possunt dici necessitatae coactione interna physica, §. 709, 708. Actiones & substantiae neutro ex his significatu interne coactae sunt LIBERAE (cf. §. 719.) A NECESSITATIONE INTERNA TAM ABSOLVTA , QVAM PHYSICA (frey von der innern so wohl wesentlichen als natürlichen Nöthigung). Iam vero actiones liberae ratione exsequutionis, & substantiae, quae & quatenus actiones eiusmodi patrant, neutro ex his signiWie die Dinge sind – Metaphysik  |  391

ficatu sunt interne coactae, §. 709, 708. ergo sunt liberae a coactione interna tam absolute, quam physica. 613  Met., § 719: Facultas appetendi auersandiue pro lubitu suo sensitiue, est ARBITRIVM SENSITIVVM (das sinnliche Willkühr), facultas volendi nolendiue pro lubitu suo est (liberum arbitrium) LIBERTAS (Freyheit) cf. §. 707, 708, 710, (moralis, simpliciter sic dicta). Libertas pure volendi nolendiue est LIBERTAS PVRA (reine Freyheit). Ergo substantia arbitrio praedita aut illud sensitiuum tantum habebit, aut libertatem tantum puram, aut eandem arbitrio sensitiuo mixtam, §. 718. ACTIONES , ad quas per libertatem se determinare est in potestate alicuius substantiae positum, LIBERAE (freye Handlungen) sunt, & ipsa SVBSTANTIA , quae & quatenus actiones liberas patrare potest, est LIBERA (Dinge, oder Kraefte, die frey vor sich bestehn). 614  Met., § 677: Appetitus auersationesque sensitiuae vel oriuntur ex repraesentationibus obscuris, vel ex confusis, §. 676, 520. Vtraeque, quatenus appetendi auersandique caussae impulsiuae sunt, sunt STIMVLI (sinnliche Triebfedern), §. 669. Fortior appetitus ex obscuris stimulis est INSTINCTUS (ein blinder Trieb), (sympathia, amor), auersatio eiusmodi FVGA (ein blinder Abscheu) (antipathia, odium), naturales. Vgl. dazu Met., § 695. 615  Met., § 663: Si conor seu nitor aliquam perceptionem producere, i. e. si vim animae meae seu me determino ad certam perceptionem producendam, APPETO (so begehre ich). Cuius oppositum appeto, illud AVERSOR (davon bin ich abgeneigt). Ergo habeo FACVLTATEM appetendi & auersandi, §. 216. i. e. APPETITIVAM (das Vermögen zu begehren) (voluntatem latius dictam, cf. §. 690). Ipsi conatus seu nisus, seu determinationes virium mearum meae, sunt appetentis APPETITIONES (Begierden) (appetitus) & auersantis AVERSATIONES (Abneigungen). 616  Vgl. Met., §§ 599, 605. 617  Vgl. Met., §. 601. 618  Vgl. Met., § 720. 619  Met., §. 690: Appetitio rationalis est VOLITIO (das Wollen, die WillensMeinung). Volo. Ergo habeo facultatem volendi, VOLVNTATEM (den Willen), §. 216. Auersatio rationalis est NOLITIO (das Nicht-Wollen). Nolo, ergo habeo facultatem nolendi, NOLVNTATEM (das Vermögen, den Willen von etwas abzuneigen), §. 216. Facultas appetitiua superior est vel voluntas, vel noluntas, §. 689. Repraesentationes, volitionis nolitionisque caussae impulsivae, sunt MOTIVA (Bewegungs-Gründe). Elateres animi, §. 669. vel sunt stimuli, vel motiua, §. 677, 521. 620  Met., § 689: FACVLTAS APPETITIVA , quatenus cognoscitiuam superiorem sequitur, §. 665, 668. SVPERIOR (das obere Vermögen zu begehren) (animus) dicitur. Quaedam appeto & auersor distincte repraesentata per facultatem diiudicando intellectualem, §. 607. Ergo habeo facultatem appetitiuam superiorem, §. 216. APPETITIONES AVERSATIONES que per illam actuandae sunt RATIONALES (vernünftige Begierden und Abneigungen), §. 641. & nas392  |  Anmerkungen 

cuntur per vim animae repraesentatiuam vniuersi pro positu corporis, §. 667, 642. 621  Es ist gut möglich, daß sich gerade an dieser Stelle die mittlerweile vielberufenen (vgl. Simon Grote, Pietistische Aisthesis und moralische Erziehung bei A. G. Baumgarten, in: Aufklärung 20 (2008), 175–198, Schwaiger, A. G. Baumgarten, 27–9 u. insb. 74–95) pietistischen Wurzeln von Baumgartens Denken zeigen. Denn auch Wolffs pietistischer Hauptgegner Joachim Lange vertrat einen solchen indeterministischen Freiheitsbegriff; vgl. Anna Szyrwińska, Zur Rezeption der molinistischen Lehre von der scientia media im Pietismus – Joachim Langes Theorie des göttlichen Wissens, erscheint in: Albrecht Beutel u..a. (Hg.), Aufklärung und Religion, u. dies., Wiedergeborene Freiheit. Der Einfluss des Pietismus auf die Ethik Immanuel Kants, Wies­ baden 2017. 622  Vgl. Met., § 875. 623  Vgl. den grandiosen Überblick über dieses vertrackte Problem von Linda Trinkaus Zagzebski, The Dilemma of Freedom and Foreknowledge, Oxford 1991. 624  Met., § 874: Deus scit, §. 873. I) omnes omnium determinationes, quatenus illa vt mere possibilia spectantur. Haec est SCIENTIA SIMPLICIS INTELLIGENTIAE (die Wissenschaft des Möglichen). 625  Vgl. Met. § 937. 626  Met., § 875: Deus scit, §. 873. II) omnes determinationes actualium 1)  huius mundi, SCIENTIA LIBERA (die freye Wissenschaft) (visionis), α) prae­terita, RECORDATIONE DIVINA (das Angedencken), β) praesentia, SCIENTIA VISIONIS (Sehn), γ) futura, PRAESCIENTIA (Vorhersehung Gottes). SOCINIANISMVS PHILOSOPHICUS est sententia tollens praescientiam diuinam futurorum contingentium, & error est. 627  Met., § 895: Deus, dum vult, §. 893. agit, §. 210. Actiones dei omnis a sufficienti principio interno agenti deo dependere possunt, §. 833. & dependent, §. 851. Ergo actionibus diuinis ipsique deo conuenit spontaneitas, §. 704. eaque summa, §. 872. dum ad plurimas maximas actiones sufficit, §. 700. 832. Dei actiones maxime spontaneae erunt aut immanentes, aut transeuntes, §. 211. 628  Met., § 878: Aeternum deus sibi rem futuram repraesentauit, quantum potest, §. 875, 843. Ergo dum illa fit in mundo praesens, nihil ad cognitionem dei accedit, §. 161. quamquam ipsa ex obiecto praescientiae mutetur in obiec­tum visionis, §. 125. Aeternum deus sibi rem praeteritam repraesentabit, quantum potest, §. 875, 843. Ergo dum praesens fiet praeterita, ipsa quidem ex obiecto visionis mutabitur in obiectum recordationis, nihil autem de cognitione dei decedet, §. 161. Deus omnes huius mundi successivos status aeternum intuetur, §. 875. vnde cogitari potest cognitionis diuinae interna immutabilitas, §. 839. 629  Met., § 876: Deus scit omnes determinationes actualium 2) alterius mundi, quam hic, SCIENTIA MEDIA (die mittlere Wissenschaft Gottes, oder Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  393

dessen Einsicht bloß möglicher Welten). Pro quouis euentu huius mundi existere posset alius, §. 363, 324. Quiuis autem haberet sua consectaria in indefinitum per omnes status mundi sequuturos partialiter diuersa, §. 488. Ergo si vel pro vno tantum euentu huius mundi exstitisset alius, mundus hic esset per omnes status illi euentui successiuos, immo antecedentes etiam, §. 357, 278. partialiter alius, quam est. Ergo quicquid loco cuiusuis euentus in hoc mundo exsistere potuisset cum omnibus suis consectariis, deus scit, scientia media, §. 378. 630  Vgl. David Lewis, Counterfactuals, Oxford 1973, 5–8 pass. 631  Met., § 323: Actio singularis cum effectu suo EVENTVS (ein Vorfall, eine Begebenheit) dicitur. […] 632  Vgl. Met., § 278. 633  Vgl. Molina, Conc., p. IV, disp. 47, 293ff. 634  Vgl. Met., §§ 879, 880. 635  Vgl. Met., § 827. 636  Met., § 881: Scientia dei libera est perfectio eius respectiua, §. 875, 815. Quumque absolute necessarium est eam esse verissimam, §. 979. mundum hunc deo sistit existentem in se & per se contingenter, §. 361. hinc eam non, nisi hypothetice, necessarium esse est absolute necessarium, §. 102. Ergo scientia dei libera est analogon modi, §. 827. 637  Vgl. zur aktuellen Diskussion Ken Perszyk (ed.), Molinism. The Contemporary Debate, Oxford 2011. 638  Met., § 891: Complacentia & displicentia dei non sunt, nisi verissimae, §. 880. distinctissimae, §. 870. rationalissimae, §. 822. nunquam est totaliter indifferens, §. 653. nec vnquam partialiter erga vllam rem, §. 654. nec voluptatem, nec taedium, §. 656. nec appetitum, nec auersationem sensitiua habet, nec instinctus, nec fugas, §. 677. nec affectus, §. 678. nec voluptates, nec taedia apparentia, §. 655. 639  Vgl. Met., § 669. 640  Met., § 890: Deus omnes omnium perfectiones imperfectionesue intuetur distinctissime, §. 889, 871. Quicquid in deo est, maxima est ratio, §. 23, 812. Hinc intuitus perfectionum imperfectionumue in eodem maxime viuus est, §. 669, 873. Ergo deo complacentia & displicentia conuenit, §. 655. summa, §. 812. 641  Vgl. Met., § 894. 642  Met., § 893: In deo est scientia libera huius mundi, quum tamen & nullus, & alius esse possit, §. 881. Non tamen exsistit in deo huius mundi scientia libera, nisi vi dei, §. 851, 197. Ergo vim suam determinauit deus ad scientiam liberam non nullius, non alius, sed huius mundi actuandam. Ergo deus appetit & auersatur, §. 663. Iam non appetit, non auersatur sensitiue, §. 891. Sequitur tamen appetitio eius & auersatio cognitionem, §. 668, 822. Ergo vult & non vult, habet voluntatem & noluntatem, §. 689. summam, §. 812. i. e. summam omniscientiam perfectissime sequentem, §. 668, 889. 394  |  Anmerkungen 

643 

Met., § 897: Omnes actiones sunt in potestate dei positae, §. 708, 859. Si ergo quaedam actio & opposita ipsi actio quaecunque est possibilis in se vtraque, §. 15. i. e. si quaedam actio est contingens in se, §. 104. hinc & oppo­ situm contingentem in se actionem habet, §. 104. vtraque est in potestate dei posita. Ergo omnes actiones in se contingentes sunt deo liberae ratione ex­ sequutionis & indifferentes qua exercitium actus, §. 708. quia respectu dei possibilitas vtriusque physica summa est, §. 844. Hinc actuatio huius vniuersi, aut nullius, aut alius, fuit deo libera ratione exsequutionis, §. 835. Indifferens fuit, qua exercitium actus, tam erga mundum optimum, quam imperfectissimum, idemque est, & erit, §. 849. 644  Vgl. Met., § 896. 645  Met., § 898: Quum deus se in agendo determinet pro lubito, §. 893, 712. eoque distincto, §. 893. habet libertatem, §. 719. eamque summam, §. 812. i. e. maximas plurimas actiones distinctissimo pro lubitu actuantem, §. 725, FATALISMVS , sententia liberatetem diuinam tollens, error est. 646  Met., § 899: Deus vult liberrime, §. 898. Ergo bonum, §. 719, 665. Deus auersatur liberrime, §. 898. Ergo malum, §. 719, 665. Volitio s. amor boni, odium s. nolitio mali in deo infinita sunt, §. 844. 1) extensiue, dum amat omne bonum, odit omne malum, §. 898, 889. 2) protensiue, dum aeterna sunt, §. 849. & 3) intensiue, dum proportionalissima, §. 894. Volitio nolitioue divina extensiue infinita, quia non esse potest in deo scientia mortua & mere speculatiua, §. 873. fertur in obiecta 1) simplicis intelligentiae, vniuersalis, quae nobis notiones exhibent, & quicquid in iis est boni maliue, erga quod deus non potest esse totaliter indifferens, §. 891. 2) scientiae mediae, actualia vniuersi alterius, 3) scientiae liberae, §. 874, 876. VOLVNTAS DEI , quatenus obiecta scientiae liberae, s. actualia huius vniuersi appetit, CONSEQUENS (der nachfolgende), quatenus fertur in vniuersalia & actualia alterius vniuersi ANTECEDENS (der vorhergehende Wille Gottes) dicitur, per reductionem, §. 826, 695. illa efficiens, §. 671. vtraque efficax, antecedens etiam, non tantum, quia seria, sed etiam, quia est in motiuis decreti, §. 675. 647  Vgl. Michael S. Moore, Causation and Responsibility. An Essay in Law, Morals, and Metaphysics, Oxford 2009, 444–51. 648  Met., § 695: CAVSSAE IMPVLSIVAE appetitionum auersationumue ad eas plenas sufficientes sunt COMPLETAE (vollstaendige), insufficientes INCOMPLETAE (unvollstaendige Bewegungsgründe). Hinc stimuli completi ad plenam appetitionem auersationemue sensitiuam sufficiunt, §. 677. Motiua completa ad plenam volitionem nolitionemue sufficiunt, §. 671. Motiua cum stimulis sociis completa ad plenam volitionem nolitionemue, cui aliquid admixtum est sensitui, sufficiunt, §. 690, 672. VOLITIO NOLITIO ue ex motiuis tam solis, quam cum stimulis sociis, tamen incompletis, est ANTECEDENS (ein vorlaeufiges, vorhergehendes Wollen oder Nichtwollen) (praeuia, inclinatoria, excitatoria). Hinc volitio antecedens est minus plena, §. 671. & licet non eo modo, ac gradu, quo plena, efficax tamen significatu primo & secundo, Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  395

§. 675. VOLITIO NOLITIO ue ex motiuis, aut solis, aut cum stimulis tamen sociis, completis, est CONSEQVENS (das endliche, beschliessende, nachfolgende) (finalis, decisiua, decretoria). Et volitio & nolitio consequens est DECRETVM (der Rathschluß, der Entschluß) (propositum, proaeresis late dicta). Decretum est plena volitio nolitioue, §. 671. hinc efficax in gradu, quem medium nominauimus, licet non semper in gradu, quem tertium obseruauimus, §. 675. 649  Met., § 939: Quicquid deus creauit, creare voluit, §. 932. Iam vero malorum contingentium & moralium in specie formale prorsus non voluit, §. 914. Ergo nec idem creare voluit, §. 926. Deus non est creator vllius mali contingentis, hinc nec vllius mali moralis formaliter spectati. 650  Met., § 914: EVENTVS , quicquid in eo est realis & positiui, MATERIALE REMOTVM (das bejahende), omnimoda determinatio, MATERIALE PROXIMUM (die gaenzliche Bestimmung), & quicquid in finitis est eidem negatiui, FORMALE (der mangelhafte Schrancken einer Begebenheit) euentus dicitur. Hinc mala, adeoque & poenae, §. 908. aut spectantur materialiter formaliterque simul, & sunt, vt finita omnia, partim bona, partim mala praecise s. formaliter sumta, §. 264. amantur a deo, quatenus sunt bona, odit ea deus, quatenus sunt mala, infinite, §. 899, aut spectantur tantum materialiter, qua materiale remotum, & sunt positiua & realia, tantum obiectum amoris diuini, §. 899. aut formaliter tantum, & non sunt, nisi aut negationes stricte dictae, aut priuationes, §. 137. & sunt tantum obiectum odii diuini, §. 899. aut qua materiale proximum & formale. 651  Met., § 940: AVCTOR (Urheber) est caussa liberae actionis, & tam actio, quam eius caussata sunt effectus auctoris, s. FACTA (sittliche Thaten). Iam deus mundum creauit liberrime, §. 932. Ergo deus est creationis & huius mundi auctor. Deus non est auctor, nisi eorum, quae vult, §. 719, 891. Iam formale nullius mali contingentis, nullius peccati deus vult, §. 914. Ergo nullius mali contingentis, nullius peccati formaliter spectati deus auctor est. CAVSSA MORALIS STRICTE DICTA (ein sittlicher Urheber) est auctor per liberam alterius determinationem, qualis illiciens, minatus, suadens, dissuadens, extorquens, §. 728. Iam caussa moralis stricte dicta auctor est. Ergo deus nec est caussa moralis stricte dicta vllius peccati & mali contingentis formaliter spectati. 652  Vgl. Met., § 950. 653  Met., § 951: Conseruatio est influxus dei continuus, §. 950, 895. isque realis, §. 212. quia exsistentia sua nullius finiti effectus esse potest, §. 308. Idem est creatio, §. 926. Vnde conseruatio non male dicitur continuata creatio. 654  Met., § 954: Quum caussae efficientes, praeter deum omnes substantiae huius mundi, §. 319, 846. deo subordinetur, §. 928. est ille caussa efficiens simpliciter prima, reliquae omnes secundae, §. 315, 28. Iam omnes finitarum substantiarum actiones sunt simul passiones ab aliis substantiis finitis in eas influentibus, §. 451. Ergo deus concurrit, vt caussa efficiens, ad omnes substan396  |  Anmerkungen 

tiarum finitarum actiones mediate, §. 314, 320. Quoniam vero simul omnes finitarum substantiarum passiones ab aliis substantiis finitis sunt ipsarum actiones, §. 463. non tunc solum, vbi agere potissimum concipiuntur, sed & tunc, vbi notantur pati, deus eo ipso momento, quo mutantur, rationem huius mutationis ipsarum sufficientem, vim earundem, conseruando actuans, §. 953, ad omnes substantiarum finitarum actiones, vt caussa efficiens, concurrit immediate, §. 320. ad exsistentiam enim substantiae finitae praesentem pertinet eius actio, §. 210, 55. 655  Vgl. Molina, Conc., p. II, disp. 26, 165ff. 656  Met., § 314: Caussae plures vnius eiusdemque caussati sunt CONCAVSSAE (Mitursachen), & ad caussatum CONCVRRERE (zusammenkommen) dicuntur. CAVSSA , quae non habet concaussam, est SOLITARIA (die einzige Ursach). Concaussarum ea, quae maximam rationem caussati inter reliquas continet, est PRINCIPALIS (primaria) (die Hauptursach). Concaussae caussae principalis sunt (minus principales) SECVNDARIAE (Nebenursachen). Omnes concaussae connectuntur inter se, §. 313, 33. 657  Met., § 958: Conseruatio virium huius vniuersi quarumcunque, in ipso earundem actu, est CONCVRSVS DEI PHYSICVS , isque, quia & quatenus ad singulas singularum substantiarum actiones extenditur, GENERALIS (die allgemeine Mitwirkung Gottes) (vniuersalis) dicitur. 658  Vgl. AV, § 9, Anm **. 659  Vgl. Met., §§ 960, 962, 986. 660  Met., § 959: Concursus dei omnis est liberrimus, §. 932. Ergo si concurreret ad formale vllius actionis malae, fieret eiusdem auctor, §. 940. Ergo ad omnes actiones physice & moraliter malas concurrit, qua materiale, §. 958. non vero, qua formale, §. 940. 661  Vgl. Alexander Aichele, Persona physica und persona moralis: Die Zurechnungsfähigkeit juristischer Personen nach Kant, in: JRE 16 (2008), 3–23, hier: 19–22. 662  Met., § 980: DECRETVM DEI ABSOLVTVM (der unbedingte) si dicitur, cuius motiuum nec praeuisa obiecti perfectio, nec imperfectio fuit; HYPOTHETICVM (der bedingte Rathschluß Gottes) contra, quod praeuisam obiecti perfectionem imperfectionemue sequitur; nulla dei de contingentibus decreta sunt absoluta, omnia hypothetica, §. 979. ABSOLVTISMVS THEOLOGICVS est sententia decreta dei de contingentibus absoluta ponens, & error est, §. 515. 663  Vgl. Met., §. 963. 664  Met., § 979: Decreta dei omnia sunt actus voluntatis proportionalissimae obiectis, §. 894. perfectissime sequentis scientiam gradus perfectionis vel imperfectionis in obiecto vel appetendo, vel auersando, §. 676. Idem & sic patet: Pone in aliquo decreto dei praeuisam obiecti perfectionem imperfectionemue prorsus non fuisse motiuum: aut eam deus ignorauit, quod contra §. 875. aut ab eadem abstraxit, quod contra §. 870. aut fuit eiusmodi cognitio distinctissima, sed mortua, quod contra §. 890. Wie die Dinge sind – Metaphysik  |  397

Andrea Allerkamp Dagmar Mirbach (Hg.)

Schönes Denken A.G. Baumgarten im Spannungsfeld zwischen Ästhetik, Logik und Ethik Zeitschrift für Ästhetik und ­Allgemeine Kunstwissenschaft, Sonderheft 15. 2016. 424 Seiten ISBN 978-3-7873-2816-1 Kartoniert

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it der Begründung der philosophischen Ästhetik stößt B ­ aumgarten an Grenzen, vor denen der cartesianische Rationalismus haltgemacht hatte. Die cognitio confusa – die verworrene Erkenntnis – der sinnlichen Wahrnehmung konfrontiert mit einem fundamentalen Problem: Sie ist nicht in klaren und deutlichen Begriffen zu fassen. Die neu zu gründende Disziplin der Ästhetik greift diese erkenntnistheoretische Problematik auf und macht es sich zur Aufgabe, die Regeln des Ästhetischen zu untersuchen. Bereits in seinen ­Frühschriften, wie der Antrittsvorlesung in Frankfurt/Oder, hatte Baumgarten nach verbindlichen Grundlagen für eine scientia cognitionis sensitivae und ihre Lehrpraxis zwischen Denken und Darstellen gesucht. Einen umfassenden Ansatz ihrer Begründung liefert die Aesthetica. Im Fokus von Baumgartens Aufmerksamkeit steht neben dem ästhetischen ein bewusst ethisches Anliegen: Es geht auch um gelingende Lebensführung und Verbesserung der Lebens­ umstände. Baumgarten ist sowohl Aufklärer als auch Pietist. Angestrebt werden Querverbindungen zwischen Ästhetik, Logik und Ethik in der Ermittlung ihrer Wechselwirkungen auf der Grundlage der Metaphysik. Neben der bilanzierenden Aufarbeitung der epistemologischen Neuerungen und Umwertungen durch Baumgartens Werk liegt ein besonderes Gewicht des vorliegenden Bandes auf seiner Ausstrahlungskraft in eine Vielzahl von akademischen Disziplinen – im zeitgenössischen Kontext und bis zur Gegenwart.

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Alexander Aichele Dagmar Mirbach (Hg.)

Alexander Gottlieb ­Baumgarten Sinnliche Erkenntnis in der ­Philosophie des Rationalismus Aufklärung 20. 2008. 376 Seiten ISBN 978-3-7873-1921-3 Kartoniert

abhandlungen

Alexander Aichele: Wahrheit – Gewißheit – Wirklichkeit. Die systematische Ausrichtung von A.G. Baumgartens Philosophie | Pietro Pimpinella: Veritas aesthetica. Erkenntnis des Individuellen und mögliche Welten | Gottfried Gabriel: Baumgartens Begriff der »perceptio praegnans« und seine systematische Bedeutung | Ursula Franke: Sinnliche Erkenntnis – was sie ist und was sie soll. A. G. Baumgartens Ästhetik-Projekt zwischen Kunstphilosophie und Anthropologie | Francesco Piselli: Ästhetik und Metaphysik bei Alexander Gottlieb Baumgarten | Klaus Erich Kaehler: Baumgartens Metaphysik der Erkenntnis zwischen Leibniz und Kant | Salvatore Tedesco: A.G. Baumgartens Ästhetik im Kontext der Aufklärung: Metaphysik, Rhetorik, Anthropologie | Stefanie Buchenau: Die Sprache der Sinnlichkeit. Baumgartens poetische Begründung der Ästhetik in den Meditationes philosophicae | Simon Grote: Pietistische Aisthesis und moralische Erziehung bei Alexander Gottlieb Baumgarten | Dagmar Mirbach: Ingenium venustum und magnitudo pectoris. Ethische ­Aspekte von Alexander Gottlieb Baumgartens Aesthetica | Clemens Schwaiger: Baumgartens Ansatz einer philosophischen Ethikbegründung | Merio Scattola: Die Naturrechtslehre Alexander Gottlieb Baumgarten und das Problem des Prinzips Kurzbiographie Texteditionen

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