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HEGELSTUDIEN BEIHEFT 51
HEGELSTUDIEN Herausgegeben von WALTER JAESCHKE UND LUDWIG SIEP Beiheft 51
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
WAHRES LEBEN DENKEN Über Sein, Leben und Wahrheit in Hegels Wissenschaft der Logik
von MICHAEL SPIEKER
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Diese Arbeit wurde 2006 unter dem Titel »Leben in absoluter Bedeutung. Hegels frühe Idee der Philosophie und ihre Ausführung in der Wissenschaft der Logik« an der Universität Freiburg i.Br. als Dissertation angenommen.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-1895-7
© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2009. ISSN 0440-5927. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
INHALT
EINLEITUNG .............................................................................................
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VORBEGRIFF: HEGELS FRÜHER WEG ZUM REINEN LEBEN
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Aufgabe .................................................................................................. Denkendes Leben und Religion ..........................................................
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DIE WAHRHEIT IST QUELLE WISSENSCHAFT DER LOGIK ...
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik ..................................................
66
1.1 Das Werden des Begriffs .............................................................. 1.1.A Reines Sein ......................................................................... 1.1.B Was ist »Nichts«? ............................................................... 1.1.C Der Satz zeigt den Begriff: das Werden ..........................
71 71 87 92
1.2 Was wird? ....................................................................................... 1.2.A Ein gewordenes Unmittelbares: Dasein ......................... 1.2.B Dasein-für-Anderes ......................................................... 1.2.C Endlich (:) Etwas ..............................................................
97 98 102 104
1.3 Dialektik der Endlichkeit .............................................................
107
1.4 Aufgehobenes Sein – Das Wahre ................................................
125
1.5 Übergang, Bewegung und Aufgabe ............................................
138
2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik .....................................
141
2.1 Von der Negation zur Negativität – scheinbares Wesen und wesenhafter Schein – die Reflexion ................................... 2.1.A Unwahrer Anfang ............................................................. 2.1.B Bleibender Schein ............................................................. 2.1.C Durch Rückkehr anfangen – Sein ist vermittelnde Mitte ............................................................ 2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch – Ausfaltung des Wesens und Formalität der Wahrheit ................................. 2.2.A Identität .............................................................................. 2.2.B Unterschied – die Reflexion ............................................ 2.2.C.a Gegensatz ........................................................................
147 147 155 163 169 169 172 187
6
Inhalt
2.2.C.b »Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi.« ............................................................................... 2.2.C.c Wahrheit als Abgleichung (Descartes) und Selbstangleichung (Hegel) ........................................... 2.2.C.d Selbstunterscheidung statt Steigerung als Wurzel der Lebendigkeit............................................................
198 221 226
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen: Die Verhältnisse der Notwendigkeit und der Wechselwirkung .................................. 2.3.A Verdoppeltes Wesen – Notwendigkeit ........................... 2.3.B Paralytische Unendlichkeit .............................................. 2.3.C Gerechtigkeit .....................................................................
233 237 248 252
3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik .............
257
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung ................. 3.1.A Der Begriff ......................................................................... 3.1.B Der Widerspruch im Urteil ............................................. 3.1.C Der disjunktive Schluß erweist die Objektivität des Urteils ..........................................................................
266 266 289
3.2 Vom Begriff durchdrungene Objektivität .................................. 3.2.A Welt .................................................................................... 3.2.B Telos ...................................................................................
304 304 313
3.3 Der Schluß der Idee ...................................................................... Zur Unterscheidung: Idee selbst für sich selbst (Platon), Idee als Vorstellung (Descartes, Locke), regulative Idee (Kant), Ideal (Fichte) und SubjektObjekt (Schelling)............................................................. 3.3.A Freiheit, wahrhaftes Sein, Verklärung ........................... 3.3.B Sein und Wesen sind die Voraussetzungen des reinen Begriffs .................................................................. Zur Einschätzung: Die Rezeption der Idee des Lebens in der Forschung ................................................. Fortsetzung: Klärung der Voraussetzungen des reinen Begriffs .................................................................. Zur Unterscheidung: Naturleben und Leben des Geistes ......................................................................... 3.3.B.a Verklärtes Sein: Leben in absoluter Bedeutung ......... 3.3.B.b Verklärtes Wesen: Theoretisches und praktisches Erkennen ........................................................................ α. Trieb der Wahrheit ..................................................
326
297
327 334 342 345 348 351 356 371 372
Inhalt
7
β. Trieb des Guten ........................................................... 3.3.C Absolute Idee: via viva ......................................................
379 384
Dank .............................................................................................................
395
Siglen und Zitierweise ................................................................................
397
Literaturverzeichnis ....................................................................................
399
Personenverzeichnis ...................................................................................
415
Sachwortverzeichnis ...................................................................................
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EINLEITUNG
Auf die Frage, welche Beziehung die Philosophie auf das Leben habe, antwortet Hegel in seiner ersten Jenaer Vorlesung Introductio in philosophiam: »[D]as wahre Bedürfnis der Philosophie geht doch wohl auf nichts anderes als darauf, von ihr und durch sie leben zu lernen.« (GW V, 261)1 Hegels Bestimmung steht demnach im Gegensatz zur bekannten sokratischen Bestimmung des Philosophierens. Danach streben »die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen […] nach gar nichts anderem als nur, zu sterben und tot zu sein.« (Platon, Phaidon 64a, vgl. auch 67d) Doch bedenkt man, wohin das Sterben-Lernen nach Sokrates führt und welch ein Leben nach Hegel zunächst zu lernen ist, so zeigt sich, daß Hegel nur die Konsequenz jener sokratischen Zielvorgabe ausbuchstabiert. Das vom Philosophierenden erstrebte Sterben soll schließlich von den Zwängen und Bedürfnissen des unmittelbar gelebten Lebens befreien. Es führt also nicht bloß in die Indifferenz des Todes, sondern zur Freiheit. Wenn Leben von der und durch die Philosophie zu lernen ist, so fällt auf, daß das Leben überhaupt etwas sein soll, das es zu erlernen gilt. Dabei lebt doch immer schon, wer zu leben lernt. Aus dem gelebten Leben heraus erwacht das Bedürfnis, leben zu lernen. Offenbar gibt es also einen Unterschied zwischen einem Leben, das schon gelebt wird, und einem Leben, das erst zu erwerben ist. Die Philosophie ist dabei nicht nur Ausdruck des Bedürfnisses, eben dieses ausstehende Leben zu erlernen, sondern sie soll das Bedürfnis auch stillen können. Damit wird die Philosophie, die aus einem wahren Lebens-Bedürfnis entspringt, keineswegs auf eine praktische Lebensberatung reduziert. Sie hat mehr zu sagen, denn sie unterscheidet zwischen einem Leben, das in seiner Geschäftigkeit verbleibt, und dem Leben, das allererst zu erlernen wäre. Doch warum soll im gelebten Leben ein Bedürfnis entstehen, leben zu lernen? Hegel beschäftigt diese Eingangsfrage seiner Philosophie unter anderem in der Differenzschrift. Dort nennt er die »Entzweiung […] Quell des Bedürfnisses der Philosophie« (GW IV, 12).2 Entzweiung tritt ein, wo sich ein
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Vgl. die Bemerkung zu Siglen und Zitierweise am Ende der Arbeit. Zu dieser frühen Vorlesung Hegels vgl. den Beitrag von Baum/Meist (1977: insbesondere 80 f.). 2 Das Kapitel VII.C. Die offenbare Religion in der Phänomenologie des Geistes gelangt zu dem Schluß, daß die Gegenwart mit sich entzweit ist.
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Einleitung
bewußtes Sein als Einzelnes dem Allgemeinen gegenüberstellt. Der selbstgewisse Mensch sieht sich einer Welt gegenüber, die keine Gewißheit und Sicherheit hat, und wird doch ständig von ihr fortgerissen und getrieben. Der Versuch, diese Welt durch die Entfaltung der eigenen Macht zu beherrschen, gleicht jedoch einem Selbstbetrug, denn er führt nur zu noch tieferer Verstrickung in deren Gewebe. Wo und wann diese Entzweiung und die von ihr bewirkte Unfreiheit gespürt wird, ist zufällig und nicht Gegenstand philosophischer Überlegung. Die Aufgabe der Philosophie besteht in der Versöhnung des Gegensatzes zwischen Vereinzelung des Individuums und dem Allgemeinen der Welt (vgl. GW V, 367). Weil die technische Beherrschung die unversöhnliche Verstrickung nur fortschreibt, kann es dabei nicht darum gehen, eine Vereinigung zu konstruieren, sie kann nur eingesehen werden. Indem die Philosophie diese Einsicht vermittelt, lehrt sie zu leben. Sie sagt dabei, was wahrhaft ist und was nicht ist. Dem gemeinen Menschenverstand sind die Ohren für die Vermittlungstätigkeit der Philosophie verschlossen. Er befriedigt sich unmittelbar in seinem Sein und kennt keinen Unterschied zwischen seinen Vorstellungen und dem, wie es wahrhaft ist. Auch dem gemeinen Menschenverstand geht es im Leben um etwas, aber nicht ums Lernen, sondern um ein Behaltenwollen und Besserwerden, das nur mehr vom Selben verlangt: Dieser Verstand will nicht altern und sterben, dazu will er gut beraten werden. Das Endliche und Relative wird von ihm absolut gesetzt und eine Unterscheidung im Leben ist diesem Verstand ganz unbekannt, kurzum: »es geht alles durcheinander,/ wie Mäusedreck und Koriander« (GW IV, 183)3. Die erste Schwierigkeit der lehrenden Philosophie besteht mithin darin, gelehrige Schüler zu finden, denen der Unterschied zwischen ihrem unmittelbar gelebten Leben und einem zu erwerbenden Leben einsichtig wird. Der Schlüssel zu dieser Einsicht liegt in der Erkenntnis der Endlichkeit des Endlichen, die schon das gelebte Leben in den vielfältigen Formen des Scheiterns und Erleidens nahebringt. Der zu versöhnende Gegensatz liegt im gelebten Leben selbst, er braucht nicht von außen an es herangetragen zu werden. Was die Philosophie zu lehren hat, verstößt jedoch gegen die Intuitionen des gelebten Lebens, deren Schein sie zunächst aufzudecken hat. Der erste Schein ist der, daß das gelebte Leben bereits frei sei, während das Leben, das im Hören auf die philosophia gelernt werden soll, unfrei sei. Der zweite Schein ist die vom Verstand festgezurrte Entgegensetzung von Endlichkeit 3
Hegel zitiert hier – wohl aus dem Gedächtnis – das Buch des Unmuts aus Goethes West-Östlichen Diwan. Das Gedicht könnte selbst als Vorwort vor jeder Auseinandersetzung mit der Tradition stehen.
Einleitung
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und Unendlichkeit, deren eine Erscheinungsform auch das ängstliche und scheinbar demutsvolle Festhalten der Endlichkeit ist. Der dritte Schein ist schließlich derjenige, wonach das zu erlernende Leben etwas zu Machendes ist. Hier soll verfolgt werden, wie die Philosophie nach Hegel diesen Schein durchbricht und dadurch das wahrhafte Leben lehrt. Vom Standpunkt des gelebten Lebens ist dieses zu erlernende Leben, wie Hegel es in der Phänomenologie des Geistes ausdrückt, das »andere Leben« (vgl. GW IX, 107). Die Untersuchung des anderen Lebens, das zu lernen ist, soll hier noch einen Schritt zuvor mit den frühen Schriften Hegels beginnen. Dort wird erkennbar, aus welchen Entzweiungen das Bedürfnis nach Versöhnung entsteht. Der daraus erwachsenden Philosophie ist die anfängliche Entzweiungskonstellation nicht äußerlich. Denn nur aus der verdeckt anwesenden Einheit der Versöhnung heraus wird die Entzweiung überhaupt wahrgenommen, und nur aus ihrer Anwesenheit entsteht der Trieb, diese Entzweiung zu überwinden. Die Explikation des Bedürfnisses der Philosophie klärt daher über das Wesen der Philosophie selbst auf. Dies ist das Unternehmen Hegels bis hin zur Phänomenologie des Geistes und insbesonders in seinen frühen Schriften. Wird der Begriff des Lebens dort zunächst als programmatische Forderung noch recht undifferenziert einer toten Gelehrsamkeit gegenübergestellt, so schärft er sich im gleichen Zuge mit der zunehmend genaueren Analyse der Entzweiungskonstellationen (vgl. Vorbegriff ). Hegels frühe Gedanken über die Erfüllung des menschlichen Mangels an Gegenwart bei sich selbst und beieinander führen in seiner Schrift zum Geist des Christentums zu einem spekulativen Begriff reinen Lebens, das denkend zu vergegenwärtigen ist (Aufgabe). Hegel gewinnt diesen Begriff nicht nur in der Auslegung der christlichen Offenbarung, sondern er schöpft auch in dessen Ausführung aus christlichem Gedankengut. Schließlich spricht er im sogenannten Systemfragment davon, daß die Philosophie mit der Religion aufhören müsse. Dies und die Betonung des Lebens als Einheitsbegriff sind immer wieder Anlaß gewesen, in Hegels Denken einen Bruch zwischen einer frühen, an der Religion orientierten, und einer späten, reflexiv-philosophischen Phase zu konstatieren. In der Rekonstruktion des Denkens reinen Lebens erweist sich aber das Denken selbst als religiös. Das endliche Leben wird darin zu aufgefaßtem Leben (Denkendes Leben und Religion). So wandelt es sich zum Moment einer freien Einheit, in der die Gegensätze der Lebendigen zum Unterschied reduziert und in ihrer wahrhaften Einheit gehalten sind. Es zeigt sich dabei, daß die Geschichte vom Bruch in Hegels Denkweg von einer unzutreffenden Opposition zwischen Philosophie und Religion ausgeht und die Logik des Denkens reinen Lebens übergeht. Sowohl hinsichtlich der Konzeption der Aufgabe der Philosophie als auch in bezug
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Einleitung
auf deren Lösung verläuft Hegels Denkentwicklung entschieden kontinuierlich. Die Aufgabe der Philosophie ist die Versöhnung. Um diese leisten zu können, muß das Denken religiös werden. Statt konstruierend tätig zu sein, indem ein erstes Prinzip gesetzt wird, das sich in Hegels Analyse doch nur als entgegengesetzt zeigt, gilt es für die Philosophie, einen Begriff von Einheit zu erreichen, der in keinerlei Gegensatzbeziehung befangen ist. Daher geht es nicht um die erfolgreiche Behauptung eines Standpunktes, den das Absolute zudem gar nicht hat, sondern es geht um ein Kontinuum der Erkenntnis (System). Ein als Quelle verstandenes Prinzip, das Anfang von Sein ist, indem es Sein seinläßt und somit versöhnend wirkt, kann von keiner ausschließenden Entgegensetzung behaftet sein. Doch was ist religiöses Denken, wenn es in seinem durchgängigen Begründen nicht – ursprungsmythisch – von einem ersten Fundament ausgehen kann? Dies zeigt die Wissenschaft der Logik. Sie muß die erste Wissenschaft sein, da nur von ihr her von solchem die Rede sein kann, das irgendwie ist. Sie aktualisiert »das Erste der Erkenntnis« (GW IV, 393), wie es Hegel in Glauben und Wissen nennt. So ist die Hegelsche Logik keine Technik oder bloße Kollektion von Kategorien, sie verzeichnet überhaupt nicht irgendwelche aufgefundenen Bestimmungen, sondern sie erkundet die einige Quelle von Denken und Sein. Die Logik treibende Philosophie ist im Wortsinne religiös, indem sie Rückbindung an den Grund betreibt (religere) und Formen als Inhalte begreift. Zudem teilt sie ihren Inhalt mit der Religion: Sie findet ihn in der Frage danach, was Wahrheit ist. Diese Frage ist das eigentliche Thema der Wissenschaft der Logik, sie zeigt dabei, wie die Versöhnung in der unbedingten Geltung der Wahrheit bereits verwirklicht ist. Indem die Philosophie den Inhalt mit der Religion teilt, hängt sie aber nicht von der religiösen Offenbarung ab. Die Absicht der Philosophie geht auf die für die Vernunft durchsichtige Begründung, sie strebt nach Einsicht in die Notwendigkeit. Ebenso wie der Glaube ist sie ein Vernehmen, doch vernimmt die Vernunft nur sich selbst, während sich der endliche Mensch in der gläubigen Annahme der Offenbarung seinem Gott gegenüber verhält und ihn vernimmt. – Die Erkundung der Quelle kann schließlich Logik sein, weil die vernünftige Philosophie, wie Hegel anfangs der Jenaer Zeit sagt, ein »heiliges Denken« (GW V, 264) übt. Dessen Verlauf widmet sich diese Arbeit. Der entscheidende Unterschied zwischen dem einleitenden Vorbegriff zum frühen Hegel und der Behandlung der Logik liegt darin, daß in der Logik mit Notwendigkeit kommuniziert wird, was der frühe Hegel – noch in erzählerischer Form – angedacht hat. Das Denken der Logik ist reines Denken vor aller Erfahrung, es ist rein a priori. Hier ist der Ort des anderen Lebens. Im Unterschied zum gelebten
Einleitung
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Leben der Lebendigen ist das andere Leben, das die Philosophie lehrt, ein allgemeines Leben. Dieses allgemeine Leben ist ein Leben im Denken. Das aber bedeutet weder, daß es nur ausgedacht, noch, daß es bloß ein Gedanke (eigentlich: eine Vorstellung) wäre. Dennoch ist dieses Leben nichts, das irgendwie ist: Es ist kein lebendiges ens, das irgendwo – und sei es in einer Anschauung – angetroffen werden könnte. Das andere Leben ist vielmehr etwas, das schlechthin und wahrhaft gilt, es ist die logische Selbsterhaltung: Es ist eine Bewegung, die sich mit sich selbst zur Übereinstimmung bringt. Das andere Leben wird seiner Bestimmung vollkommen gerecht und geht, indem es wird, was es immer schon war, ein in seine Wahrheit. Der Ort solcher wahrhaften Geltung ist das Denken. Hegel spitzt die Verbindung von Denken und Leben so weit zu, daß schließlich das Leben selbst zur logischen Idee wird. Für die Verbindung von Leben und Idee gibt es eine lange Tradition im sogenannten Platonismus – ausgehend von Platons Sophistes (248e) und fortlebend bei Plotin (Enneade I 4, 3). Die Verbindung ist präsent bei Aristoteles (Metaphysik XII 7, 1072b 18–30) und ebenso im Christentum und im Mittelalter, wo sie in Kommentaren zu Joh 1, 3–4 beständig wiederkehrt. Sie blieb aber nie unumstritten. Insbesondere dort, wo sich in der Neuzeit ein verändertes Verständnis des Allgemeinbegriffs verbreitet, der nur mehr als Abstraktion von Vorliegendem verstanden wird, wird sie bestritten. So zählt Locke das Leben zu den Begriffen, die aufgrund ihrer Unklarheit für eine philosophische Untersuchung nicht hinreichend bestimmt sind (Essay concerning Human Understanding III, 10). Später wird diese Ansicht des Lebens zu seiner Auszeichnung umgemünzt. Bei Nietzsche (Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben), Dilthey und zu Anfang des 20. Jahrhunderts in der sogenannten Lebensphilosophie wird im unbegreiflichen Leben ein Freiheitspotential gesehen, das es gerade gegen alle Ansprüche von rationaler Methode zu verteidigen gilt. In der »ideologischen Lebensphilosophie« (Fellmann 1993: 142) der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entsteht schließlich eine Philosophie, die das Leben sogar gegen den Geist positioniert.4 Auch wenn die Kritik nicht von der ideologischen Entgegensetzung von Leben und Geist motiviert ist, so stößt Hegels Konzeption der Idee als Leben bis zu den zeitgenössischen Kommentatoren der Logik oftmals auf Ablehnung (Kapitel 3.3.B). Was sinnvoll unter Leben verstanden werden kann, soll demnach nur natürliches Lebendiges sein. Die Rede von einem ande4
Dierse/Rothe (1980: 90) bemerken, daß sich dabei wie in der Romantik das Pathos für das Leben mit Todessehnsucht (nicht im sokratischen Sinne des Sterben-Lernens) verbindet.
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Einleitung
ren Leben sei dahingegen Unsinn. Die Logik sei daher nicht berechtigt, von einem eigenen Leben zu sprechen, sondern sie klaube es aus der Natur(-philosophie) auf. Wird dies zugegeben, so hat die Philosophie allerdings für das Leben nichts mehr zu lehren, sie kann dann nur mehr beraten. Wo die Idee des Lebens auf derartige Ablehnung stößt, da wird schließlich das gesamte Konzept der Wissenschaft der Logik als Quelle von Denken und Sein und als Ausdruck der Einheit der Vernunft als unsinnig angesehen oder es wird etwas anderes als das Thema von Hegels Logik ausgegeben. Hier soll dagegen gezeigt werden, wie die Logik die ihr gestellte Aufgabe löst und wie das Leben darin seinen Ort hat. Dazu ist es notwendig, das Ganze der Logik zu betrachten, als deren Resultat sich die Idee in ihrer Gestalt als Leben, Erkennen und Methode ergibt. Ohne ihre Entwicklung gibt es an der Idee nichts zu verstehen, zumal der Inhalt der Idee, die nicht die Idee von irgendetwas ist, sondern sich als Methode bestimmt, der gesamte Weg der logischen Bestimmung ist. Entlang dieses Weges lassen sich drei Fragen ausmachen, welche die Bestimmung der Wahrheit beantworten muß. Die drei Sphären der Logik, die Lehre vom Sein, vom Wesen und vom Begriff sind jeweils einer dieser Fragen zuzuordnen. Entsprechend sind die Kapitel zur Wissenschaft der Logik geordnet: Sie gehen den Fragen Was ist Wahrheit? (Kapitel 1), Wodurch ist Wahrheit? (Kapitel 2) und Wozu ist Wahrheit? (Kapitel 3) nach. Ohne daß dabei ständig von Leben, Erkennen und Methode die Rede wäre, geht es doch um nichts anderes. Die Bestimmtheit und Sein ermöglichenden Kategorien bestehen in einem durchgängigen Zusammenhang. Der Übergang von einer zur anderen wird von der übergehenden Kategorie selbst initiiert, keine Kategorie verliert sich in dieser Bewegung, sondern sie schreiten allesamt je zu ihrer Bewahrheitung fort. Wo sich etwas aus sich selbst heraus bewegt und in dieser Bewegung nicht verliert, da entwickelt es sich. In dieser Entwicklung des wahrhaften Seins besteht die Bewegung des Lebens, die sich freilich erst am Ende der Logik als solche erweisen kann. Erst in ihrem Resultat kann die geschlossene Einheitlichkeit der logischen Bewegung offenbar werden. Das Leben, das in dieser Bewegung gezeigt wird, ist Leben in absoluter Bedeutung. Es wird seiner Bestimmung gerecht und bewahrheitet sich beständig. Weil auch das Leben in absoluter Bedeutung sich bewahrheitendes Leben ist, wäre es jedoch irreführend, vom Leben als dem Zentrum der Logik oder der Hegelschen Philosophie zu sprechen. Hegels Philosophie kennt nur ein Zentrum, und dies ist die Wahrheit. Diese ist auch die Bestimmung des Lebens. Insofern die Logik das andere Leben ausdrückt und verwirklicht, ist sie selbst das wahrhafte Philosophieren und erfüllt dessen Aufgabe: Sie
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macht in sich selbst einen Unterschied zwischen dem Unwahren und dem Wahren. Diese Unterscheidung zu vollziehen, war auch die Tätigkeit desjenigen, der nach Sokrates wahrhaft Philosophierender genannt werden kann. Wahrhaft zu philosophieren bedeutet, die Entzweiung im gelebten Leben zu versöhnen. Der Weg dahin geht durch die Unterscheidung von sich selbst hindurch, dadurch wird das Vereinzelte allgemein und überwindet den trennenden Gegensatz. Zu leben lernen, heißt daher, durch die Unterscheidung von sich selbst wahr und gerecht zu werden. Die Selbstunterscheidung des Wahren in der Logik und das Erlernen des Lebens durch die Lebendigen sind daher eins. Wollte man nun fragen, wer denn, wenn zu leben gelernt wird, von wem lernt, so muß die Antwort lauen: Die Vernunft lernt von sich selbst.
VORBEGRIFF: HEGELS FRÜHER WEG ZUM REINEN LEBEN
Angesichts der Unklarheit von Hegels philosophischen Anfängen mag es erstaunen, diese zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit Hegels Wissenschaft der Logik zu nehmen. Schließlich brauchte es erst eine Zeit, die nach der in Unbestimmtheit vermuteten Freiheit suchte, bis man die Zeugnisse von Hegels philosophischem Beginn überhaupt für überlieferungswürdig erachtete.1 Diese Unbestimmtheit ist aber gerade das Gegenteil dessen, was in der Logik dargestellt wird. Hinzu kommt, daß innerhalb von Hegels Denkentwicklung immer wieder ein entscheidender Bruch behauptet wird.2 Danach bilde beim frühen Hegel eine nicht-reflexive Religion den höchsten Punkt, während beginnend mit der Differenzschrift die Denkbarkeit des Absoluten im Mittelpunkt stehe. Die Opposition von frühem und spätem Hegel, beziehungsweise von einer Religion, der sich die Philosophie unterzuordnen habe, und einer Philosophie des Absoluten wird zudem von der Ansicht überlagert, der frühe Hegel sei kein eigenständiger Denker.3 Daher
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Hegel selbst hingegen führte die Manuskripte, die vor seiner ersten universitären Lehrtätigkeit in Jena ab dem Jahre 1801 entstanden waren, sein Lebtag säuberlich geordnet mit sich und bewahrte selbst Aufzeichnungen seiner Gymnasialzeit auf, vgl. hierzu auch die Bemerkungen bei Harris (1972: 5 ff.). 2 Einen Bruch sieht bereits Dilthey (1921), darin folgen ihm Busche (1987) und Düsing (1993). 3 Kondylis (1979) sieht etwa in Hegels Gedankenentwicklung bis zur späteren Jenaer Zeit überhaupt keine Eigenständigkeit, da Hegel nur unter dem Einfluß Hölderlins und später Schellings stehe (zu einer Gegenposition vgl. Düsing 1993). Er steht damit paradigmatisch für eine Lesart der Ideengeschichte, die diese auf die Historie der intellektuellen Biographie reduziert. Entlang des Einflusses des Quartetts Kant-Fichte-Hölderlin-Schelling, der mittels Hegels jeweiliger Lektüre oder am persönlichen Umgang festgemacht wird, wird auch Hegels intellektuelle Biographie konstruiert, an deren Ende dann Hegel selbst stehen soll. Es ist klar, daß derart nicht von einer Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens die Rede sein kann, da hierbei lediglich historische Parallelen gezogen werden. Als ›geographische‹ Klassifizierung haben sie sich in der Hegelforschung etabliert, wenn wahlweise vom Tübinger, Berner, Frankfurter, Jenaer, Heidelberger oder Berliner (unter Auslassung der fränkischen Zeit Hegels in Bamberg und Nürnberg) Hegel die Rede ist. Jede Entwicklung setzt eine sich aus sich selbst entfaltende Methode und Idee voraus, die nicht Einflüssen unterliegt, sondern diese Einflüsse selektiert, bearbeitet, bewertet und somit selber formt. – Bei einer solchen Konstruktion wird vergessen, was das Denken sei. – Ausgewogen ist hingegen die »Konstellationsforschung« Henrichs. Statt einseitiger Konditionierung wird der Autor in einer Konstellation verortet, wobei hier wiederum die Gefahr eines Verlusts des Autors droht.
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Vorbegriff
werden dessen Schriften hauptsächlich hinsichtlich der verschiedenen in ihnen wirksamen Einflüsse betrachtet. Wie rechtfertigt sich vor diesem Hintergrund in einer Arbeit zu Hegels Logik und deren Idee des Lebens der Beginn mit dem Anfang? Dafür bieten sich mehrere Gründe an: zunächst die Tatsache, daß der Begriff des »Lebens« hier immer wieder an prominenter Stelle auftritt, weil besonders Hegels frühe Schriften die Ansicht von seiner Philosophie als einem dunklen Raunen nähren und von hier aus Hegels Entwicklung als Geschichte von Brüchen4 und Richtungswechseln konstruiert wird – wobei meist der jeweils früheren der verglichenen Phasen der Vorzug gegeben wird5 – und weil Hegel selbst dem
In einer exzellenten Studie vermag Dickey (1987) die Entwicklung des frühen Hegel in und mit seiner geschichtlichen Umgebung zu vermitteln, ohne sie aus der Historie bloß zu parallelisieren und mit abstrakten Allgemeinbegriffen zu überdecken. Besonderes Augenmerk verdienen dabei die Beziehungen von Staat und Kirche in Württemberg, wo eine protestantische Bevölkerung unter einem katholischen Herzog lebte. Ein Beispiel eines die Sache verstellenden Allgemeinbegriffs wäre die sogenannte Innerlichkeit des Protestantismus, die Hegel geprägt habe. Hier wird außer Acht gelassen, daß in den deutschen Ländern des 18. Jahrhunderts keineswegs eine einheitliche Form des Protestantismus und entsprechend auch höchst differenzierte Ausdrucksweisen der Innerlichkeit anzutreffen sind; eine detaillierte Analyse der spezifischen württembergischen Ausformung bietet Dickey. 4 Daß die Erscheinung geschichtlicher Prozesse, wozu auch die Entwicklung des Gedankens einer Philosophie gehört, als Bruch, Wende oder Revolution einer Außensicht auf die tatsächlichen Abläufe geschuldet ist, dazu vgl. Schmitt (2003: besonders 11 ff.) sowie die Bemerkungen zur Konstatierung von »Brüchen« bei Henrich (1999: 93 ff.). Ebenso äußerlich ist auch die Konstatierung von »Entscheidungen« im Denken. So meint etwa Kondylis (1979: 525), daß Hegel sich in Jena beim Verfassen der Differenzschrift für die Erkennbarkeit des Absoluten entschieden habe. Doch das Denken entscheidet und wählt nicht zwischen Alternativen, sondern es folgt einem Weg, den ihm seine Sache vorschreibt. Denken, das sich entscheidet, geht auf diesem Weg sicher fehl. 5 Die direkten Schüler Hegels stellen hier interessanterweise eine Ausnahme dar. Das ist einerseits an deren Kompilierung der Vorlesungen Hegels, mithin seines späteren Werks, erkennbar, andererseits daran, daß die erste Ausgabe der Werke Hegels keine der sogenannten Frühschriften enthielt, die, wie die Schriften von Rosenkranz und Haym zeigen, sehr wohl bekannt waren. Die Bevorzugung der früheren Schriften gegenüber dem durchgeführten System der Wissenschaften rührt aus der Ablehnung eines als abstrakt verstandenen Allgemeinbegriffs des späten Hegel. Dies kann etwa an der Rezeption des Begriffs der Anerkennung nachvollzogen werden (vgl. Spieker 2003 mit Bezugnahme auf Siep, Honneth, Theunissen und Habermas). Eine Ausnahme unter den direkten Schülern Hegels stellt lediglich Rosenkranz dar, der sich in seiner Wissenschaft der logischen Idee von 1858, die sich als Ergänzung und Verbesserung der Hegelschen Logik versteht, an Hegels frühen Logikentwürfen orientiert, dazu Hösle (1998: 281), der ebenfalls in den frühen Schriften findet, was er in den späteren vermißt. Zur Abwägung der Editions- und Rezeptionsgeschichte der Frühschriften vgl. Portales (1994: 11 ff.) mit weiteren Literaturangaben.
Vorbegriff
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Problem des Anfangs der Philosophie besondere Aufmerksamkeit widmete, indem er sowohl nach unserem Anfang mit als auch nach dem Anfang in der Philosophie fragte. Der Beginn mit dem Anfang rechtfertigt sich also zum einen daraus, daß die Manuskripte uns den Anfang der Philosophie Hegels an die Hand geben. Zum anderen gibt es in der Philosophie Entwicklungen und Veränderungen, die aber etwas über die Philosophie selbst zu sagen haben und nicht äußerliche Brüche darstellen. So wird sich herausstellen, daß es eine Entwicklung gibt, die Hegel von der frühen Angabe der Form der Vergegenwärtigung von Leben und Freiheit im Denken des reinen Lebens hin zur Entfaltung des Inhalts der Gegenwart von Freiheit in der Wissenschaft der Logik führt. Dabei muß »das Leben« in der Logik gar nicht mehr ständig genannt werden, es wird dort vielmehr gezeigt. Innerhalb dieser Entwicklung ist Hegels Denkweg von Beginn an spekulativ orientiert. In den ab 1797 entstandenen Frankfurter Entwürfen über Religion und Liebe unterzieht Hegel seine eigenen frühesten Anfänge einer radikalen Kritik. Sein früher Tübinger Entwurf einer Volksreligion, welche die Einheit von Leben und Lehre und dadurch die Freiheit des Menschen sichern sollte, ebenso wie seine von Rousseau und Kant inspirierte Konzeption einer Religion der Moralität, in der das »Rechttun der [Gott] wohlgefällige Dienst sei« (GW I, 96)6 scheinen ihm nun abstrakt. Sie leiden an der selben bloßen »Positivität«, die sie überwinden sollten, denn sie integrieren nicht ihr Gegenteil, d. i. die Trennung der Menschen und das verwerfliche Tun. Im Tübinger Fragment stehen die historischen Institute der objektiven Religion einem subjektiven Inhalt gegenüber. Sache und Tonfall des jungen Hegel treten dabei ebenso wie die etwas sterile Antinomie deutlich hervor: »Subjektive Religion ist lebendig, Wirksamkeit im Innern des Wesens und Tätigkeit nach außen. Subjektive Religion ist etwas Individuelles, objektive die Abstraktion, jene das lebendige Buch der Natur, die Pflanzen, Insekten, Vögel und Tiere, wie sie untereinander eins vom andern leben, jedes genießt, sie sind vermischt, überall trifft man alle Arten beisammen an, – diese das Kabinett des Naturlehrers, der die Insekten getötet, die Pflanzen gedörrt, die Tiere ausgestopft [hat] oder in Branntwein aufbehält und alles zusammen rangiert, was die Natur trennte, nur nach einem Zwecke ord6
Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA 179. Die gleiche Ansicht trug Fichte schon früh den Ruch des Atheismus ein, vgl. hierzu seinen Aufsatz Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (mit ausführlichem Vorwort in: FW I, 5): Der wahre Glaube, so Fichte, »wird construiert durch das Rechtthun. Dieses ist das einzig mögliche Glaubensbekenntniß […]. [Dies ist] der Glaube ganz und vollständig.« (354)
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net, wo die Natur unendliche Mannigfaltigkeit von Zwecken in ein freundschaftliches Band verschlang.« (GW I, 88)7 Freilich verläuft die Grenze in der Gegenüberstellung von lebendigem und totem Reich der Erkenntnis nicht entlang der Erkenntnis als solcher, sondern zwischen unterschiedlichen Weisen des Erkennens, denn auch die subjektive Religion ist erkennend tätig: Sie liest in einem lebendigen Buch. Auch verfahren beide Erkenntnisweisen synthetisch, sowohl das Lesen des lebendigen Beisammenseins wie das rangierende Zusammenstellen. Dabei wirkt das Lesen des lebendigen Erkennens dem eigenmächtigen Rangieren des Lehrers gegenüber unterscheidend, es folgt einem verstehbaren, aber dem Lesenden unverfügbaren tolle lege. In seiner Klage über die bloß formale Frömmigkeit einer obrigkeitlichen Volkskirche, deren Gemeinschaft sich in einer äußerlichen Konformität erschöpft, wird man sicherlich Hegels Nähe zu pietistischen Gedanken sehen dürfen. Dafür steht auch die Hinwendung zum persönlichen Bekenntnis sowie die historisch begründete Hoffnung auf eine nahende Verwirklichung dieses reformierten Christentums. Mehr als solch eine allgemeine Nähe wird man aber kaum konstatieren können, da vom pietistischen Mittel der Besserung, dem gründlichen Bibelstudium, bei Hegel keine Rede ist.8 7
Zur Unterscheidung von objektiver und subjektiver Religion vgl. auch die Bemerkung in GW I, 76. Es liegt für Hegel »in dem Begriff der Religion«, daß sie überhaupt nicht »bloße Wissenschaft« sei, »sondern daß sie das Herz interessiert; daß sie einen Einfluß auf unsere Empfindungen und auf die Bestimmung unsers Willens hat« (GW I, 85). Von Fichte mag Hegel die Bezeichnung der Theologie als »bloße Wissenschaft, todte Kenntniß« (FG I 1, 23) übernommen haben. – Hegels Gegenüberstellung von lebendigem Wissen und toten Kenntnissen, vom lebendigen Buch der Natur und dem Kabinett des Naturlehrers ist im Übrigen keineswegs von gestern. Die toten Kenntnisse und das Kabinett tragen in der Gegenwart nur andere Namen (etwa Internet und Computer), wobei der ›Gesellschaftliche Konsens‹ bestehen geblieben ist, daß diese vornehmlich auf der Schule zu lehren seien. 8 Der dreigliedrige pietistische Grundgedanke (Kritik an der etablierten Volkskirche, historische Fortschrittshoffnung noch vor der Erlösung durch den jüngsten Tag und Studium der Schrift) kann in exemplarischer Weise der 1675 erschienenen Pia Desideria oder herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche von Philipp Jakob Spener, einem der Begründer des Pietismus, entnommen werden. Dickey spricht bezüglich der württembergischen Ausformung des Pietismus in Anlehnung an ein Wort Karl Barths von »down-to-earth-Pietism« (1987: 33–76), der sich besonders in der kritischen Loyalität gegenüber dem Fürsten äußerte: Demnach gibt es keinen christlichen Glauben ohne christliches Leben, weshalb die praxis pietatis Ausdruck der Rechtfertigung durch die Gnade des Glaubens ist. Dies war ein Gedanke, der bereits in Johann Arndts 1606 erschienenem Werk Das wahre Christentum propagiert wurde. Die Praxis des Glaubens war auch Hauptgegenstand der Auseinandersetzung des Pietismus mit der orthodoxen lutherischen Theologie.
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Mit der objektiven Religion werden nicht allein haltlose Erkenntnisansprüche bezüglich der objektiven Realität Gottes erhoben, was für das leitende Interesse an der Praxis zunächst noch nebensächlich ist. Vielmehr hält sie vom guten Handeln ab und fesselt die »leidende Menschheit« (GW I, 105) in Unmündigkeit, indem sie in der Vereinzelung gehalten wird. Daß Hegel trotz romantischer Töne kein Romantiker ist, zeigt seine Aufklärungskritik aus dem Geiste der Aufklärung. Diese fordert er nicht – wie noch Kant (Was ist Aufklärung?, A 484 f.) – nur für die Gelehrtenwelt, sondern für das ganze Volk (GW I, 95).9 Wer aufgeklärt ist, der hat nach Hegel »Haltung«, die man aber weder auf dem Wege bloß historischer Relativierung religiöser Dogmen erwirbt noch durch Phrasendrescherei: »wer dabei mit den Worten, als da sind Aufklärung, Menschenkenntnis, Geschichte der Menschheit, Glückseligkeit, Vollkommenheit, immer um sich wirft, ist weiter nichts als ein Schwätzer der Aufklärung, ein Marktschreier« (GW I, 98). Der Gestus der Aufklärung ist wie die christliche Religion, die nicht mehr Tugendreligion ist, ein Fetischdienst. Worte als solche, abstrakte und bloß formelle Allgemeinbegriffe werden für konkrete Begriffe ausgegeben, so wie die sinnlichen Repräsentationen der positiven Religion für das Heilige selbst angesehen werden. Wenn Mittel und Zweck, Repräsentation und Repräsentiertes vertauscht sind, wird statt Gottesdienst »Fetischdienst« (GW I, 109) betrieben. Dann zählt nicht mehr natürliches Wertgefühl, sondern Marktkonjunktur.10 Im Tübinger-Fragment kennt Hegel noch einen Lehrmeister, der das »tote Kapital in [der] Seele« aufweckt, nämlich »das Leben selbst« (GW I, 98). Später sieht er in Bern die Möglichkeit eines Lebens, das sogar gegen die Aufforderungen, die das Leben selbst erteilt, immunisiert ist. Eine staatliche Ordnung allein könnte dies gar nicht leisten, denn jede Unterdrückung würde 9
Diese emanzipatorisch-egalitäre Haltung in Dingen der Vernunft wird Hegel nicht mehr verlieren. Wissenschaft und Philosophie sind nicht esoterisch, sondern allgemein, d. i. an die Allgemeinheit zu vermitteln. So spricht Hegel in der Phänomenologie des Geistes von der »verständige[n] Form des Wissens« als dem »Alle[n] dargebotene[n] und für Alle gleichgemachte[n] Weg« (GW IX, 15) zur spekulativen Wissenschaft. Vgl. hier S. 27, Fn. 10. 10 Seine Kritik am Fetischdienst verbindet Hegel an mehreren Stellen mit einer Kritik der Vermarktung (GW I, 96, 109, 341). Auch das Eleusis-Gedicht ist voller Abscheu gegenüber der Vermarktung von Wissen, das dadurch »in den Kot getreten« und entleert wird, wenn es zum »Spielzeug und zur Ware des Sophisten,/ Die er obolenweis verkaufte« (GW I, 401) würde. Die marxistische Interpretation z. B. von Lukács baut darauf ihre Vereinnahmung des jungen Hegel auf, den er – wie Marx es früher schon beim reifen Hegel unternahm – zum Nationalökonomen macht. Auch in der Vorrede zur Phänomenologie findet sich diese Kritik eines Philosophierens, das sich »zu Markte« (GW IX, 47) trägt, wieder. Eine umfassende und treffende Würdigung der politischen Bedeutung von Eleusis findet sich bei D’Hondt (1968).
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Gegendruck erzeugen. Effektive Despotie braucht ein Ausgleichsventil und das biete eine vertröstende Religion, die zwischen Leben und Lehre trennt (vgl. GW I, 109).11 In seiner Frankfurter Zeit bedenkt Hegel die Liebe als neues Band einer konkreten Vereinigung des mit sich uneinigen und entfremdeten Lebens. Sie begründet zugleich eine neue Form der Religion: Für die »freie Verehrung der Gottheit« (TWA 1, 241) gibt wieder das Ideal der Griechen Orientierung. Schillers Gedicht Die Götter Griechenlands mag dabei Anregung gegeben haben.12 »Einen Bach betrachten […] nach Gesetzen der Schwere […] heißt ihn begreifen, ihm eine Seele geben, als an seinesgleichen Anteil an ihm nehmen, – heißt ihn zum Gotte machen.« (TWA 1, 242) Dem gegenständlichen Begreifen der Welt steht die Einfühlung in den Kosmos gegenüber.13 Hegel stellt nicht ein ›fetischistisches‹ Verhalten dem wahrheitsgemäßen entgegen, sondern er spricht vom gegenständlichen Begreifen gemäß Naturgesetzen und stellt diesem eine Vereinigung mit dem Objekt gegenüber. So macht er deutlich, daß die Frage nach der richtigen Religion die Ordnung des Wissens betrifft. Die Naturgesetze können nicht – wie innerhalb der Moralität das falsche Verhalten – schlichtweg abgelehnt werden, sie verlangen nach einer Einordnung. Die Radikalität des Vereinigungsweges, den Hegel geht, seine Lösung von der Fixierung auf Moralität wird damit deutlich: »nur in der Liebe allein ist man eins mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht.« Liebe soll Erkenntnis- und Handlungsprinzip der einen Vernunft sein, die nicht mehr geteilt ist in praktische, mit sich selbst einige und 11
Dieser Gedanke stammt von Robbespierre, vgl. dazu Lukács (1954: 46). Phänomenologie des Geistes und Rechtsphilosophie nennen den Konsum als derartige Vertröstung. In ihrer Kritik der instrumentellen Vernunft analysieren noch Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung eine sozialstrukturelle Gewalt, die so tief reicht, daß sie auch die »kognitiven Bedingungen der Möglichkeit, sie zu durchschauen« (Fink-Eitel 1978: 18) zu zerstören droht. Dies geschieht, indem den Geknechteten vorgespiegelt wird, auch sie hätten die Möglichkeit, in den Genuß von Freiheit und Reichtum zu gelangen, wenn sie nur den Spielregeln folgen, – die für ihre Unterdrückung verantwortlich sind. An der Stelle des Versprechens jenseitiger Erlösung steht allerdings in der Dialektik der Aufklärung die Möglichkeit, Gewinner in einer Quiz-Show zu werden. 12 Insbesondere die Strophen 1–3, sowie 14: »Unbewußt der Freuden, die sie schenket,/ Nie entzückt von ihrer Herrlichkeit,/ Nie gewahr des Geistes, der sie lenket,/ Selger nie durch meine Seligkeit,/Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,/Gleich dem toten Schlag der Pendeluhr,/Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere,/Die entgötterte Natur.« (Schiller 1966: Bd. 2: 673 ff.). 13 Hegels Vollzug dieses Naturempfindens ist in seinem Reisetagebuch aus dem Berner Oberland bezeugt, allerdings ohne schwärmerische Züge, sondern immer mit Blick auf die kulturellen und sozialen Verhältnisse der durchreisten Landschaft. Von besonderem Interesse ist dabei seine Schilderung des Reichenbachfalls, von dessen stetem Wechsel im einheitlichen Fluß Hegel sich begeistert zeigt (GW I, 388).
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theoretisch fremdelnde.14 Daß diese Idee keinen Bruch in Hegels Denkweg bedeutet, belegt eine frühe Bemerkung aus der Tübinger Zeit über die »Liebe [,] die etwas Analoges mit der Vernunft hat« (GW I, 101). In der Liebe lebt der Mensch »gleichsam in anderen«, er ist nicht mehr selbstisches Ich gegen den anderen, sondern findet in diesem durch die Aufgabe des selbstischen Ichs, erst sein eigenes Leben. Daß die Idee für Hegel eine Erweiterung bedeu14
Daß Liebe hier ein Vernunftprinzip und nicht lediglich Triebfeder moralischer Handlung ist, betont auch Bondeli (1997: 133), der sich damit gegen die Meinung von Prauss (1983: 318 f.) stellt. Keineswegs ist Liebe für den frühen Hegel, wie Hösle (1998: 273) meint, »nur etwas Emotionales, nichts Intellektuelles.« Schon diese Gegenüberstellung verfehlt die Position Hegels. Wer im Ausgang vom frühen Hegel diesem eine »praktische Grundlegung« seiner Philosophie nachsagt, der muß die Bedeutung der Liebe als Erkenntnisprinzip verschweigen. Um das tun zu können, darf dann allerdings auch nicht auf die Schrift zum Geist des Christentums mit ihrer Einordnung der Liebe in eine pleromatische Struktur, durch die auch die Logik der Liebe hervortritt, eingegangen werden. Eine derartige Konstruktion ist bei Gessmann (1991) zu finden, dessen Arbeit dennoch das Wort »Logik« im Titel führt. Für Gessmann ist die »Logik des Systems […] nur der allgemeinste Ausdruck einer praktisch fundierten Dialektik.« (5) Er macht damit die Logik zu einem abstrakten Allgemeinen, und weil für ihn kein anderes als ein solches denkbar ist, muß die Theorie zur ›lebensweltlichen Theorie‹ umgedeutet werden. Als Nachklappern einer selber schon hinreichend bestimmten Praxis brauchte es aber keine Theorie mehr; schließlich ist das Allgemeine bei Hegel nicht verstanden, wenn es als abstraktes gelesen wird. Wenn Gessmann im weiteren davon spricht, es gehe um »Umsetzung des wissenschaftlich Erkannten in den Bereich wirklicher Praxis« (22; was sollte unwirkliche Praxis sein?), verstrickt er sich in einen dreifachen Widerspruch: (i) Sollte die Theorie (d. i. die Wissenschaft) von der »praktisch fundierten Dialektik« abgeleitet sein, dann braucht sie auch nicht wieder in die Praxis umgesetzt zu werden. Zudem müßte hier der Widerspruch einer logikunabhängigen praktischen Begründung angenommen werden, wo Begründung doch nur als logische gedacht werden kann; um diesen Widerspruch zu umgehen, wird metaphorisch von Fundierung geredet (worauf Wandschneider 1997: 163 am Beispiel Bubners kritisch hinweist). (ii) Die Theorie soll deshalb lebensweltlich/praktisch und nicht theoretisch/abstrakt-allgemein sein, weil Freiheit und Verwirklichung des Einzelnen angestrebt wird. Die genannte »Umsetzung« steht aber gerade für das Übergehen der Einzelheit. (iii) Worin sollte schließlich die Anwendung oder Umsetzung einer absoluten Idee bestehen? Eine solche kann es gar nicht geben, doch wird sicher vorausgesetzt, daß es Absolutheit nicht ›gebe‹. Im übrigen erwähnt Gessmann die Idee des Lebens in der Wissenschaft der Logik nicht einmal, obwohl er ein allgemeines Urteil über die Stellung der Logik fällt. Seine Bestimmung der von der Logik geleiteten Praxis bleibt äußerst vage. Die Ansicht, Theorie erfülle ihre Bestimmung erst damit, daß sie in eine sichtbare Wirklichkeit umgesetzt werde, ist der Ursprung der Sophistik, die sich von der philosophischen Anerkennung eines prinzipiellen und entschiedenen Wahren abkehrt und der ›freien‹ Gestaltung der menschlichen Angelegenheiten zuwendet (in deutlichster Form ausgesprochen ist dieser Grundsatz bei Platon, Protagoras 318e). Die Forderung, die Theorie in »wirkliche historische Praxis« umzusetzen, findet sich ansonsten vor allem bei marxistisch motivierten Autoren, so bei Marcuse (1962: besonders 35 f.), dort allerdings mit klarem Bewußtsein hinsichtlich der (revolutionären) Bedeutung einer solchen Praxis.
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tet, wird aus der früheren Einschränkung der Liebe auf den »empirischen Charakter« deutlich, der im Vernunftprinzip der Liebe ebenfalls überschritten wird. Als Vernunftprinzip kann Liebe nicht nur private Empfindung sein. Das Gefühl wirkt nur auf das Subjekt selbst bestimmend. Als Kraft der Vereinigung belässt sie die Vereinigten nicht als die, die sie vor der Vereinigung waren. In der Liebe werden sie verwandelt. Nicht ein Ich und sein Gegenstand sind in der Liebe geeint. Diese kommen nur in einem Bestimmungsverhältnis, das für Hegel Beherrschung ist, überein. Die Liebenden hingegen sind einander gleich. Sie stehen im Verhältnis eines Subjekts zu einem Subjekt. Ein Subjekt kann dem Subjekt aber nicht einfach gegeben werden, gegeben werden lediglich Objekte. Um als Subjekt für es zu sein, muß das dem Subjekt Gegebene und ihm als anderes (ob als Bach oder Mensch) Begegnende erst als solches gesetzt, d. i. anerkannt werden. Darin liegt die Verwandlungstätigkeit der Liebe, daß sie verlebendigendes, d. i. etwas als Subjekt setzendes Betrachten und Handeln ist. So ist die erkennende Liebe belebende Naturerkenntnis, und die handelnde Liebe wird zur befreienden Begegnung mit ihrem Gegenüber. Hegel schreibt: »Liebe kann nur stattfinden gegen das Gleiche, gegen den Spiegel, gegen das Echo unseres Wesens.« (TWA 1, 243)15 Die Liebe in ihrer zweifachen Gestalt ist zirkulär strukturiert: Kein Spiegel spiegelt, ohne daß in ihn hinein geschaut wird, und kein Echo tönt, ohne daß in es hineingerufen wurde. Doch weder im Anschauen noch im Anrufen wird gewusst, ob es (als Spiegelung oder Echo) zurückkommt. Das Resultat ist aber – als Erwartung – Voraussetzung des Beginnens. Gleichheit ist Voraussetzung und Ergebnis der Liebe. Oder: Nichts wird verlebendigt, das nicht schon lebendig ist. Gegenüber der Natur und der praktischen Tätigkeit 15
Zwei Quellen für diesen zentralen Gedanken seien exemplarisch genannt: Platon, Phaidros 255d (Spiegelmetapher) und 255c (Echo), Symposion 195b (Gleiches zu Gleichem) sowie 1 Kor 13,12 (Spiegel). Auch der Gedanke der belebenden Naturerkenntnis hat eine Tradition, die in Platons Denken beginnt; im Kontext der vorliegenden Schriften Hegels dürfte eine seiner Quellen Augustinus gewesen sein, dessen Kommentar zum Johannes-Evangelium dem Stiftsschüler sicher bekannt war. Vgl. Augustinus, In Johannem Ev. Tractatum I, 16: »Die Erde ist geworden, aber die Erde selbst, die geworden ist, ist nicht Leben; es ist aber in der Weisheit selbst in geistiger Weise eine Idee [ratio], wodurch die Erde geworden ist; diese ist Leben.« In ihren Ideen sind die Gewordenen Leben, im Geist (logos, verbum) ist alles Geist und der Geist ist Leben; die Gewordenen sind von dorther: geworden und lebendig; vgl. auch Plotin, Enneade V 1, 4, 5 (Geist als »Archetyp« der Welt) und VI 7, 12, 1 (im Geist haben die Dinge der Welt die Form des Lebendigen). Zur Tradition des Gedankens der Lebendigkeit aller Form im schöpferischen Wort vgl. die Bemerkung bei Pieper (1947: 44 ff.). Einen reichen Befund hinsichtlich neuplatonischer Quellen für das Denken Hegels bietet Halfwassen (1999), dessen Schlüsse allerdings teilweise eher Zeugnis seines eigenen Standpunktes sind.
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wird das Objekt erst durch Liebe zu einem Gleichen, und doch findet Liebe ja erst statt gegenüber einem, das bereits gleich ist. Vom Schema der Herrschaft des Subjekts über ein Objekt aus wäre dies unmöglich, denn es wird entweder etwas gleich gemacht, dann kann aber noch keine Liebe stattfinden, oder es ist bereits als Gleiches bestehend, dann gibt es nichts, was der Liebe bedürfte. Lebendiges aber will als solches anerkannt sein, deshalb liegt es nicht einfach vor. Leben, so kann im Vorgriff auf die Wissenschaft der Logik gesagt werden, findet sich überhaupt nicht in der Position des Seins, sondern es besteht nur im Begriff. Schließlich kann auch nicht beides zugleich der Fall sein, die Liebe scheint also unmöglich zu sein. Aus der Stellung der Liebe wird deutlich, daß es hier nicht um das Tun des Menschen (sogenannte Anthropologie) geht, vielmehr zeigt sich die Liebe selbst in Freiheit und Natur als bewegendes Moment. Weil sie einheitsstiftend ist, muß sie von sich her für das endliche Subjekt unverfügbar wirken; sie schafft aber Einheit qua Reduktion der einseitig bestimmenden Subjektivität, dergegenüber sie eine Negation ist. Das Liebesgeschehen selbst rückt in die Stellung des logischen Subjekts. Einheit ohne vorangehende Reduktion der Einseitigkeit eines bestimmenden Willens wäre Vereinnahmung statt Vereinigung. Das Wirken der Liebe ist die Verwandlung, die ihren Gegenstand weder durch Kritik ausgrenzen und im Fetischismusvorwurf abtun will, noch ihn in historischem Fatalismus als solchen bestehen läßt. So ermöglicht es die Entdeckung der Liebesdynamik, das Ideal der freien Vereinigung mit den historischen Entzweiungen (der Positivität) zusammen zu denken. Im Fragment Die Liebe, das 1798 zu der Zeit verfasst wurde, da auch Der Geist des Christentums entstand, entfaltet Hegel die Dynamik der Liebe und verortet sie im Zusammenhang: »Wahre Vereinigung, eigentliche Liebe findet nur unter Lebendigen statt, die an Macht sich gleich und also durchaus füreinander Lebendige, von keiner Seite gegeneinander Tote sind.« (TWA 1, 245) Aufgrund der gleichen Lebensmächtigkeit ist es folglich nicht dem Gutdünken überlassen, ob Vereinigung stattfindet. Die Vereinigung ist vielmehr ein Erfordernis, denn sie baut auf einer Macht auf. Weil theoretischer Verstand und praktische Vernunft aber nur mit Endlichem umgehen, das als verstandenes oder bearbeitetes/bestimmtes ein Entgegengesetztes ist, bleibt die Liebe letztlich ein Gefühl. Darin liegt kein Widerspruch zur vorangehenden Interpretation, weil damit »nicht ein einzelnes Gefühl« (TWA 1, 246) gemeint ist, das sich in seiner Privatheit weder durchdringen noch auf anderes beziehen ließe. Es erinnert aber daran, daß die begriffliche Identifizierung – im Unterschied zur Deutung – der Liebe als Vernunftprinzip nicht Hegels Sprachgebrauch zu dieser Zeit entspricht. Das Gefühl der
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Liebe ist immer schon beim anderen, den sie als wesensgleich erkennt (vgl. Mt 22, 39). Liebe mag sich als privates Gefühl erstmals vernehmen lassen, aber sie drängt darüber hinaus, »weil es nur ein Teilleben, nicht das ganze Leben ist« (TWA 1, 246). Die Seelenspannung des wahrhaft Liebenden bringt ihm die Welt zu einem intensiveren Erleben. Alles wird zum Widerhall der Liebe, schließlich kann dasjenige, was wahrhafte Einheit hervorbringt, nicht zu einem neuen Gegensatz führen. Liebe, wenn sie statthat, ist deshalb Liebe zu allen. Das geschieht nicht in Folge planvoller Entscheidung, sondern »durch Auflösung« (kata lysis). Diese Auflösung geht so weit, bis jenes Einzelne sich von sich losgelöst in allem wiederfindet, da alles von seinem Ruf wie ein Echo widerhallt. Logisch gefaßt, führt Liebe auf dem Weg der Selbstnegation zur Erfüllung. Die vorgängige Einheit des Lebens unterliegt einer denkerischen Entwicklung. In der »Reflexion« produziert es die Entgegensetzungen; die Einheit verliert sich, um in der Liebe zu einer Einheit zu finden, die als intensive Wirklichkeit auch die Trennung inkorporiert hat. Die Liebe ist Gegenwart des Lebens: »In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes, [sondern] als Einiges, und das Lebendige fühlt das Lebendige.« Weil Erfahrung den Unterschied braucht ist das Leben vom Lebenden gerade nicht erfahrbar, denn der Unterschied zum Leben wäre das Ende allen Erfahrens. So bringt sich das Leben dem Liebenden selbst zur Gegenwart. Die Gegenwart des Lebens bringt dieses in seiner bedürfnislosen Fülle zur Geltung, das Leben muß diese Gegenwart nicht erst erwerben oder nach bestimmten Kriterien gestalten. Liebe ist damit zweifache Aufhebung von Unmittelbarkeit, zum einen derjenigen des Lebens selbst (erste Aufhebung), zum anderen derjenigen des Lebendigen (zweite Aufhebung). Durch die Mitte der liebenden Begegnung schließen sich die getrennten Lebendigen zur Einheit des Unterschieds zusammen (d. i. zweite Aufhebung). Diese Einheit gilt als Fülle, weil sie frei ist vom Begehren. Begierdelosigkeit eignet zwar auch den Toten, die Liebe ist darüberhinaus der Anfang von Neuem (Freilassen, d. i. erste Aufhebung). Dieses Geschehen wird nicht vom endlichen Subjekt, das aufgelöst wird, hergestellt, sondern ist vorgängig. Es ist von einer Gegenwart, die nicht erst kommen wird oder einmal war, sondern schlechthin ist. Weil auf dem Wege der Aufhebung zustande gekommen, trägt diese Vorgängigkeit aber eine eigene Gestalt. Sie ist kein Erstes, kein unmittelbar bestehender Grund, sondern sie zeigt sich im Nachhinein, d. i. nach der Aufhebung, als schon zuvor gesetzt. Das gilt, weil die(se) Einheit Bedingung und Ziel einer Entwicklung ist. Aufgrund ihrer leiblichen Verfassung kommen die endlichen Liebenden unausweichlich zur Erfahrung ihrer Eigenheit. Diese Erfahrung wird vor dem Grund der Einheit zur nega-
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tiven Erfahrung der Abgeschlossenheit.16 Sie ist der ›Rest‹ der Unmittelbarkeit: Die Liebenden begegnen sich nicht als andere, nicht vermittelt durch ein Drittes, sondern sie treffen unmittelbar aufeinander. In gegenseitiger Hingabe beziehen sie sich aufeinander, darin liegt die Aufhebung der ausschließenden Unmittelbarkeit. Doch eben weil die Anderen sich in der Hingabe nicht als andere erkennen, bleibt in der Liebe ein Immediatismus.17 Deshalb trägt die Liebe nicht allein die Vereinigung, sondern sie fordert noch eine weitere Erfüllung, auch wenn sie erstmals die Einbindung der Negativität in die »Leben« genannte Einheit leistet.18
Aufgabe Neben reflexivem Verstand und Vernunft ist die Liebe ein Drittes, ein »allgemeines Gefühl«. Im Liebesakt erzeugt sie den Keim des Lebens, aber die Vereinigten trennen sich nach der Zeugung wieder. Zwar leuchtet die Liebe bereits als Grundierung des Lebenslaufs hervor, aber sie hat in der Reflexion der Eigenheit ihre Schranke. Solange sie Gefühl ist, ist sie nicht Prinzip im strengen Sinne. Die Wahrnehmung der neuen Aufgabe verlangt die Aufgabe der Liebe selbst. Die »Blüte des Lebens« (TWA 1, 308) muß selber vergehen. »Gesinnung hebt die Positivität, Objektivität der Gebote auf; Liebe die Schranken der Gesinnung, Religion die Schranken der Liebe.« (TWA 1, 302) Die Liebe gründet in einem anderen, denn was begrenzt ist, wird immer von einem anderen als es selbst bestimmt. Es besteht in einer Entgegensetzung. Wird es ohne sein Entgegengesetztes behauptet, so wird es zur Hypostase, zum Fetisch. Die Liebe steht in derselben Positivierungsgefahr wie die Botschaft Jesu und die Eleusinischen Mysterien, die der Eingeweihte, um ihre Heiligkeit zu wahren, nicht aussprach. 16
Timm (1979: 109) meint angesichts des Vereinigungsgeschehens in der Liebe die Kritik vorbringen zu können, die auch gegenüber dem (konkreten) Allgemeinbegriff des späteren Hegel vorgebracht wird, daß er nämlich die Einzelheit unterdrücke: »Aus systemrationalen Interessen wird das individuelle Selbstsein der Partner zu einem Moment in der Selbstbestimmung ›des‹ Lebens, einem komplementären Moment seiner internen Trennung und Verbindung.« Hegel sieht viel schärfer auf die Wirklichkeit von individuellem Selbstsein und Liebe, indem er gerade in der Unauflöslichkeit des ersteren für alle Sterblichen die Grenze der letzteren begründet sieht. 17 Diese immanente Begrenzung der Liebe aufgrund ihres Rests von Unmittelbarkeit wird weithin nicht gesehen. Eine Ausnahme bildet ein Hinweis von Fink-Eitel (1978: 115 f.). 18 Daher sieht Baum (1986: 56 ff.) hier »Umrisse einer Lebensmetaphysik« und Asendorf (1982: 264, auch 281) nennt es ›Keim der Hegelschen Dialektik‹.
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Indem die Liebe das Sich-selbst-fühlen des Lebens der Lebendigen bewirkt, bringt sie diese zur Übereinstimmung mit sich. Sie ist ein wahres Verhältnis. Diese Wahrheit ist produktiv, indem sie zu gleichen erhebt, was zunächst durchaus anders ist. An der Scham wird deutlich, daß dieser wahrmachenden Wahrheit aber das Moment der (Selbst-)Gewißheit fehlt. Wo der Liebende auf sich reflektiert und sein (zuallererst: leibliches) Eigentum19 erwägt, sieht er sich von dem ihm Gleichen getrennt. Die Liebenden werden Verschiedene. Wendet er sich um, um sich der Wahrheit der Einheit zu versichern, wird auch diese schal, denn sie entzieht sich der Anschauung. Jedes Zeichen ist durch eine Kluft, die er nicht mehr überspringen kann, von ihm entfernt. Die Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem bedarf eines Denkaktes. Doch diesem objektiven Akt, der vom Liebenden auszuführen wäre, traut er nun nicht mehr, denn gefühlte Wahrheit und gedachte Gewißheit sind ihm zerfallen. Das Wesentliche, das gemeinsame Liebesverhältnis, wird dem Liebenden zum bloß vermeinten. Hegels Phänomenologie des Mahls zeigt im Geist des Christentums diesen Prozeß: »Mit jemand essen und trinken ist ein Akt der Vereinigung und eine gefühlte Vereinigung selbst, nicht ein konventionelles Zeichen« (TWA 1, 364 f.). Das Brechen des Brotes legt die vermeintlich gegenständliche, unerkennbare Einheit auseinander. Der gemeinsame Verzehr fügt sie zur genossenen und wirklichen Einheit der Empfindungsgemeinschaft zusammen. Weder vermittelt eine Vorstellung von zu erwartenden Wirkungen oder die Erinnerung früherer Gemeinschaft die Einheit der Tischgenossen, noch wird sie in einer unmittelbaren Intuition deutlich. Es sind Essen und Trinken selbst, die die Gemeinschaft stiften und zwar sowohl unmittelbar, weil der gegenwärtige Vollzug eine Verwirklichung der Freundschaft selbst und nicht Bild für etwas anderes ist, als auch vermittelt, weil durch den Verzehr der Gegenstand nicht bleibt, was er war, er verschwindet sogar. Vom »konventionellen Zeichen« und dessen Differenz zum Bezeichneten unterscheidet sich das Liebesmahl dadurch, daß es ist, was es ist. Die Verwirklichung der Vereinigung trägt jedoch den Keim des Niedergangs in sich. Sind Brot und Wein verzehrt, so bleibt nur die Erinnerung zurück. Die Gemeinschaft ist dem Gedächtnis überlassen, und der Hunger kehrt sicher wieder. Was durch den Verzehr gewonnen wurde, das wird dadurch verloren, daß die Liebe darin »nicht objektiv genug wird« (TWA 1, 368). Die Vereinigung von Geist, Sehen und Schmecken löst sich auf. Der Liebe fehlt der
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Es ist also nicht erst irgendeine gesellschaftliche Institution, die das liebesbegrenzende Eigentum hervorbringt, wie Marcuse (1989: 41 f.) meint.
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angemessene Ausdruck. Bild und Sinn des symbolischen Mahls zerfallen zur Allegorie. Die abstrahierte Einheit muß erst wieder von der Reflexion erschlossen werden.20 »Eine gedachte Beziehung ist fest und bleibend, ohne Geist, ein Joch, eine Zusammenkettung, eine Herrschaft und Knechtschaft«, so das Grundkonzept (TWA 1, 309). Der wirkliche Vollzug von Gemeinschaft und deren wesentliche Gründung in der Einheit bleiben getrennt. In der Konsequenz wird die schöne Gemeinschaft nicht echt gefühlt, sondern herbeigeredet. Die Grenzenlosigkeit der Liebe wird zu ihrer Privation, denn sie verlangt nach einem Komplement. Sie vermag zwar, Getrenntes zu vereinen, doch bleibt ihr die Notwendigkeit der Trennung verschlossen. Das zeigt sich daran, daß sie angesichts der Eigenheit wieder in die Verschiedenheit auseinanderzutreten droht. Indem Hegel die kantische Moralität und ihren Umgang mit der Negativität am Verbrechen überprüft, stellt sich heraus, daß auch sie das trennende Malum nicht überwindet, sondern perpetuiert: Das allgemeine Gesetz macht sich am Verbrecher, der sich eine Ausnahme genehmigt und damit die allgemeine Sphäre verletzt hat, als Strafe geltend. Die Strafe des Gesetzes will die Tat zum Nichts machen, sie nach den Gesetzen der Mechanik durch Druck und Gegendruck ausgleichen. Sie steht damit selbst unter der Bestimmung des Verbrechens, das der Maßstab der Strafe ist. Die »Schicksalslücke«, die der Verbrecher aufreißt, ist hingegen nicht einfach ein Irrtum und Nichts, platonisch gesprochen kein mdams on sondern ein m on als on ouk onts. Die Lücke ist nicht bloßes Nicht-Sein, sondern Sein im Modus der Negation (vgl. Hamacher 1978: 170), das sich in das lebende Sein zurückverwandelt: »Leben als nicht-seiend erkannt und gefühlt.« (TWA 1, 344) Das Böse kann nicht absolut herrschen, es ist nicht substantiell. Das liegt nicht an »Metaphysik«, sondern an der Logik, da die Zerstörung, die von der Untat betrieben wird, sich auch auf sie selbst wendet. Das
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Gadamer (1990: 77–86) gibt eine begriffsgeschichtliche Übersicht über das Verhältnis von Allegorie und Symbol und dessen Verschiebung im 18. Jahrhundert, die durch die veränderte Stellung des Subjekts angestoßen wurde. Im Symbol fallen sinnenhafte Anschauung und unsichtbare Bedeutung zusammen (Gadamer spricht von »metaphysischer Urverwandtschaft« (80)), worin auch die Urbedeutung des symbolon gewahrt wird, nämlich Teilung des Einen und Wiederergänzung aus der Zweiheit zu sein. Dagegen klaffen sinnenhaftes Bild und intendierte Aussage in der Allegorie – zufolge der Deutung im Zuge der Genieästhetik des ausgehenden 18. Jahrhunderts – auseinander, sie sind nur durch dogmatische Fixierung und Konvention verbunden. Die Bedeutung, die Hegel in seiner Ästhetik-Vorlesung mit der symbolischen Kunstform verbindet, tendiert zu dem, was hier als Allegorie bezeichnet wird.
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Verbrechen wird zur Modifikation des Lebens21, nicht zu dessen Zernichtung. Wo Nicht-seiendes festgehalten wird, da zeigt es sich in seiner Unvollständigkeit als Darstellung der Vollkommenheit, wie das Loch im Mantel nur durch den Zusammenhalt des umgebenden Stoffes ein solches ist. Der Mangel des Lebens ist jedoch im Unterschied zum Mangel an Stoff selbst wirkmächtig, wie Hegel an dem literarischen Beispiel von Macbeth schildert. Banquos Ermordung und Macbeths darauf folgender Schrecken gewinnt eine positive Funktion als Bedingung der Möglichkeit zur Heilung der Wunde des Verbrechens. Dabei bedingt die Intensität der Schulderfahrung diejenige der Wiedervereinigung: »denn die Entgegensetzung ist die Möglichkeit der Wiedervereinigung, und soweit es im Schmerz entgegengesetzt war, ist es fähig, wieder aufgenommen zu werden.« (TWA 1, 345) Das als nicht-seiend erkannte Leben ist somit keine Spezifizierung, neben der es auch seiendes Leben gäbe, sondern nicht-seiendes ist das Leben als Leben selbst. Es tritt auf als Möglichkeit, jedoch nicht als solche, die erst ihrer Verwirklichung harrt. Die Möglichkeit des nicht-seienden Lebens hat vielmehr unverfügbare Wirkmacht, die im »Schicksal«, wie es hier genannt wird, deutlich hervortritt. Seiendes aber ist nie wirkmächtige Möglichkeit, sondern immer gewirkte Möglichkeit von anderem. Das Leben ist daher überhaupt kein Seiendes. Das tritt gerade in seiner vermeintlichen Vernichtung durch das Verbrechen zu Tage, aus der sich das Leben zu gegenwärtigem Bewußtsein bringt, indem es Abwesendes zur Anwesenheit, oder – in Shakespeares Bild – »Tote an den Tisch« bringt. Das Verbrechen findet mithin nicht aus einer zweifelhaften Faszination am Bösen Beachtung und ebenso wenig, weil sich im Verbrechen angeblich die Freiheit erweise. Die böse Handlung zieht vielmehr den Erweis der Nichtsubstantialität des Bösen nach sich: Es steht keinem Guten gegenüber (es sei denn, es wird als »Persönlichkeit habendes Verbrechen« diesem entgegengesetzt). Sondern es erweist in der Verletzung von Leben und Gutem dessen Präsenz, andernfalls könnte es nicht einmal verletzt werden. So wie die Krankheit immer Erweis des noch lebendigen (mithin gesunden) Körpers ist, der andernfalls nicht krank, sondern tot wäre. Ein vollkommenes Verbrechen, das absolute Böse, kann es demnach gar nicht geben. 21
Das bedeutet keine Rechtfertigung des Verbrechens, wie Timm (1979: 128) und Kondylis (1979: 520) meinen. Kondylis sagt, daß Hegel über das Verbrechen und die Versöhnung in dem Glauben schreibe, daß »alles gut« sei. Damit folgt er der Interpretationsmaxime, die Hegel treffend gefaßt hat: Anderen »erst die Krätze [geben], um sie zu kratzen« (TWA 2, 247, auch Hegel 1993: 161). So bedeutet die Verzeihung des Bösen auch nicht Straferlaß, sondern Aufhebung der Bosheit des Bösen, d. i. die Reduktion des Gegensatzes, in den sich der Böse durch seine Untat gestellt hat.
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Auch der Beleidigte wird umgekehrt nur Versöhnung erfahren, wenn er nicht an der Sphäre des Rechts hängt. Hält er nicht am fixierten Rechthaben fest und sieht er das Gegenüber nicht nur als den Rechtsbrecher, dann ist es möglich, wieder in ein lebendiges Verhältnis unter Gleichen zu treten.22 Die Herrschaft des Gesetzes wird nicht aufgelöst, Strafe bleibt nicht einfach aus, sondern die Logik des Gesetzes wird in der Liebe übererfüllt. Damit scheint es eigentlich sein Bewenden haben zu können (so Busche 1987: 268). Der Liebe ist die Entzweiung überwindbar und dem Schicksalsgedanken deren Genesis nachvollziehbar. Doch die Entzweiung erscheint noch kontingent und so ist eine weitere Erfüllung dieses Ungenügens erforderlich. Genesis und Überwindbarkeit der Entzweiung ergeben noch keinen Begriff von ihr. Zur vollständigen ratio der Entzweiung, d. i. des In-der-Welt-Seins des Menschen, fehlt noch deren causa finalis. Erst durch die Kenntnis des Wozu wandelt sich das ansonsten bloß kontingente Faktum, das genausogut auch ausbleiben könnte, zum begreifbaren, weil sinnhaften Geschehen. Nicht nur das Faktum der Trennung, sondern auch deren begründete Möglichkeit will in der Realisierung des Vollmaßes der Freiheit inbegriffen sein: »Religiöses ist also das πλήρωμα der Liebe (Reflexion [d. i. Eigenheit] und Liebe [d. i. Einheit] vereint, beide verbunden gedacht).« (TWA 1, 370) Mit dieser Bestimmung begegnet uns eine Merkwürdigkeit; das plrma der Liebe wird Religion genannt und als Aufgabe bezeichnet. So schreibt Hegel: »Reines Leben zu denken ist die Aufgabe, alle Taten, alles zu entfernen, was der Mensch war oder sein wird; Charakter abstrahiert nur von der Tätigkeit, er drückt das Allgemeine der bestimmten Handlungen aus; Bewußtsein reinen Lebens wäre Bewußtsein dessen, was der Mensch ist,[23] – in ihm gibt es keine Verschiedenheit, keine entwickelte, wirkliche Mannigfaltigkeit. Dies Einfache ist nicht ein negatives Einfaches, eine Einheit der Abstraktion (denn in der Einheit der Abstraktion ist entweder nur ein Bestimmtes gesetzt und von allen übrigen Bestimmtheiten abstrahiert, [oder] ihre reine Einheit ist nur die gesetzte Forderung der Abstraktion von allem Bestimmten; das negative Unbestimmte. Reines Leben ist Sein). Die Vielheit ist nichts Absolutes. – Dies Reine ist die Quelle aller vereinzelten Leben, der Triebe und aller Tat«. 22
In der Phänomenologie sagt Hegel später: »[D]as rechtliche Anerkanntsein der Person [,] ist die unerfüllte Abstraktion« (GW IX, 401). 23 Hegels Treue zu dieser Konzeption sei hier kurz angedeutet: Danach liegt das Ist des Menschen und der unendlichen Eigentümlichkeit seiner Individualität in einem in diesen Eigentümlichkeiten selbst sich manifestierenden Allgemeinen, das der Begriff ist. Hegel
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Hegels konjunktivische Formulierung wird von der Sache her geboten. Die Wirklichkeit des plrma kann nicht durch Beispiele angezeigt werden. im Beispiel ist das Wesentliche nicht die gezeigte Sache, sondern ein anderes, gegen das die gezeigte Sache nur ein Beiherspielendes (hypokeimenon) ist; statt der Lebendigkeit der Erfüllung wäre so nur Objektives vorgestellt. Die Lebendigkeit der Erfüllung wird aber von ihrer Totalität erfordert, andernfalls wäre sie zu ihrer Verwirklichung – wie der tote Text – auf äußere Belebung angewiesen, sie wäre nicht in Fülle. Das plrma muß sich der Behandlung als Leichnam, der Uneigentlichkeit, in der Bild und Sinn auseinandertreten, von vornherein entziehen. Es darf zudem weder als noch ausstehende Tat dem Jetzt gegenüber gestellt noch als Begriff von einer immer unzulänglichen Praxis getrennt sein. In beiden Fällen wäre die Erfüllung abstrakt und nicht wirklich, indem sie nicht jetzt und hier erfüllend wirkte. Die Rede von der Aufgabe vermeidet solche Dualismen, denn sie zeigt die Erfüllung als zu erfüllende und spricht damit so authentisch wie möglich. Vor diesem Hintergrund ist der Konjunktiv als ein Optativ, als Angabe des zu Tuenden und Gewünschten, zu lesen.24 schreibt noch in seinem letzten Lebensjahr in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik gegen die Vorstellung von Gedanken als äußerer Formen: »Wenn es aber an dem ist, […] daß die Natur, das eigentümliche Wesen, das wahrhaft Bleibende und Substantielle bei der Mannigfaltigkeit und Zufälligkeit des Erscheinens und der vorübergehenden Äußerung, der B egriff der Sache, das in ihr selbst Allgemeine ist, wie jedes menschliche Individuum das Prius aller seiner Eigentümlichkeit, darin Mensch zu sein, in sich hat, wie jedes einzelne Tier das Prius, Tier zu sein: so wäre nicht zu sagen, was, wenn diese Grundlage aus dem mit noch so vielfachen sonstigen Prädikaten Ausgerüsteten weggenommen würde, ob sie gleich wie die andern ein Prädikat genannt werden kann, – was so ein Individuum sein sollte.« (GW XXI, 15) Das Individuum beruht nicht auf sich, es geht nicht in seinen Eigentümlichkeiten auf, sondern hat die Quelle seiner Individualität in einem nicht-anderen Allgemeinen. In seiner Logik-Vorlesung von 1817 bezeichnet Hegel die Idee als »das Ist des Dinges« (AV XI, 176 f.). Daraus folgt aber nicht, daß die Idee irgendwie seiend ist, sondern sie gilt. Was ist, ist Idee, diese selbst aber ist nicht (ist nichts, das ist). Die Idee gilt in dem, was ist. Daher sagt Hegel: »Wenn man von der Idee sagt: ›Sie ist‹, so sagt man davon: ›Sie ist lebend‹.« (AV XI, 177) 24 So wird auch Hegels Neufassung des Satzes erklärlich, der zunächst lautete: »Reines Selbstbewußtsein ist die Entfernung aller Taten, alles dessen […]« (Hegel 1798: Bl. 111 recto) Die erste Fassung wird in der Nohlschen und den darauf basierenden Ausgaben falsch angegeben. Sie lautet dort: »Reines Selbstbewußtsein zu denken […]«. Es besteht für Hegel hingegen keine Alternative zwischen einem Denken von reinem Selbstbewußtsein und reinem Leben, in der Reinheit sind sie ja gerade eins. Aus der Annahme einer Alternative schloß Marcuse (1932: 228) fälschlich, es gehe Hegel hier um eine Richtungsentscheidung zwischen den ursprünglichen »Leitideen« von Leben und Wissen. Eine solche Entscheidung gibt es bei Hegel nicht (es geht um Vereinigung von Liebe und Reflexion). Mit der Neufassung, und das heißt vor allem mit der Rede von der »Aufgabe«, berücksichtigt Hegel vielmehr das Darstellungsproblem des plrma, das nicht als Objekt eines
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Der Begriff der Aufgabe hat zu Hegels Zeit bereits eine Geschichte. Zu denken ist zunächst an die Aufgaben der Vernunft nach Kants Kritik der reinen Vernunft (vgl. KrV, B 380, 384, 525 ff.). Näher zu Hegel steht Fichtes Fragen in der Grundlegung der gesamten Wissenschaftslehre von 1794: Synthetisches (Ich bin Ich) und antithetisches (Ich setzt sich entgegen ein Nicht-Ich) Urteil haben ihren Grund je in einer vorgängigen Teilung, bzw. Einigung.25 Nach Fichte würde das dritte, thetische Urteil, das in der Teilbarsetzung von Ich und Nicht-Ich im Ich das synthetische und das antithetische Urteil erst ermöglicht »ein solches seyn, in welchem etwas keinem anderen gleich und keinem anderen entgegengesezt, sondern bloß sich selbst gleich gesezt würde: es könnte mithin gar keinen Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund voraussetzen: sondern das Dritte, das es der logischen Form nach doch voraussetzen muß, wäre bloß eine Aufgabe für einen Grund.« (FG I, 2, 277) Das thetische Urteil, das »absolute Setzen des Ich«, setzt die Identität und ist damit Ermöglichungsgrund der anderen Urteilshandlungen. Als sich schlechthin selbiges und keinem anderen gleichend oder verschieden, kann es keinem Gattungsbegriff zugeordnet und durch keine spezifische Differenz unterschieden werden. Fichte nennt als höchstes Urteil dieser Art das »Ich bin«, bei dem die Stelle des Prädikats für jede mögliche Bestimmung freigelassen wird. »Es ist zugleich das handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und That sind Eins und eben dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruk einer Thathandlung« (FG I, 2, 259). Das Sein des absoluten Ich ist reine Poiesis (vgl. Jürgensen 1997: 17). Daher ist dieses Ich nicht das Ich des Bewußtseins, sondern die Eine Vernunft, aus ihm läßt »sich die praktische und theoretische Vernunfttätigkeit gleichermaßen entwickeln« (Metz 1991: 203). Weil ohne Beziehung zu anderem, steht das thetische Urteil nicht mehr unter dem Satz des Grundes: »es wird nicht begründet, sondern es begründet selbst alle möglichen Urteile« (FG I, 2, 274). Das thetische Urteil ist dennoch nicht ohne verbindliche Wahrheit. Zwar fehlt ihm die Prädikatsbestimmung, Urteils vorgestellt werden kann. Daher sind die Fassungen aber auch nicht streng gleichbedeutend, wie Harris (1972: 351) meinte. 25 Ein Beispiel für das synthetische Urteil, das auf vorgängiger Teilung beruht, lautet: »Der Vogel ist ein Tier.« Dieses Urteil der Beziehung abstrahiert von der Unterscheidung verschiedener Tierarten. Das antithetische Urteil, das die vorgängige Einheit beansprucht, lautet: »Eine Pflanze ist kein Tier.« In dieser Unterscheidung wird von der vorgängigen Einheit beider als Lebewesen abstrahiert.
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um die Dreigliedrigkeit des kleinsten Logos zu erfüllen (vgl. Janke 1993: 210), doch ist das thetische Urteil – mit Janke gesprochen – deswegen kein »halber Satz«. Seine Prädikation ist nicht gegeben, sondern aufgegeben. Die Wahrheit des Satzes »Ich bin« liegt darin, daß hierin ein Gedanke ausgedrückt wird, dessen Realität sich eben durch diese Manifestation erweist. Im Gedanken Ich bin bringt der Denkende eben sein denkendes Sein zum Ausdruck: Wo Ich nicht wäre, da wäre auch kein Gedanke Ich bin. Der Satz, d. i. der durch ihn manifestierte Gedanke, ist also wahr (vgl. Uehlein 1982: 24 f.). Zugleich ist das aufgegebene Ich bin eine »dynamische Bestimmung« (ebd.): Das darin Bestimmte ist ebenso das Bestimmende, somit ist das Bestimmende selbst das Zu-Bestimmende.26 In der Auslegung des Johannes-Evangeliums spricht Hegel selbst davon, daß dessen Anfangssätze »thetische Sätze« (TWA 1, 373) seien, bei denen die Prädikate nicht Allgemeinbegriffe, sondern »selbst wieder Seiendes, Lebendiges« sind. Thetische Sätze sind Aufgaben, und solche sind nichts Erlernbares, sondern sie sind zu lösen und finden »allein im Geiste des Lesers Sinn und Gewicht«. Allerdings ist nach Fichte das thetische Urteil für die Vernunft uneinholbar und gilt als Regulativ. Hegel hingegen beginnt nicht wie Fichte mit dem Ich (auch nicht mit einem absolut gedachten). Er beansprucht auch im Geist des Christentums keine Setzung, und der thetische Satz ist keine regulative Handlung, kein Sollen, sondern ein bereits realisiertes und – weil als Überfülle verstandenes – unerschöpfliches Geschehen. In der Rede von der Aufgabe berücksichtigt Hegel schließlich seine eigene frühe Schriftkritik, denn sie läßt eine Objektivierung des plrma nicht zu, da es nicht als Gegenstand benannt, sondern als das zu Verwirklichende aufgerufen wird.27 Diese Aufgabenstellung hat nichts dunkel Mystizistisches28 an sich, denn es geht nicht um Einweihung oder eine Schweigen gebietende Offenbarung, wie das Eleusis-Gedicht sie noch kennt. Die Vereinigung von Reflexion und 26
Daher schreibt Uehlein (1982: 24) über den Akt der Selbstkonstruktion des Ich: »Es geht im Kreise: Ich bin mir meiner gewiß, aber diese Gewißheit ist mir undurchschaubar. Ich weiß nicht, was ich bin, wenn die einzige Bestimmung ist, daß ich mich selbst bestimme: Ich suche mich selbst. Die vermeintliche Selbstfindung (Self-finding) im I am zeigt sich als Selbstsuche (Self-seeking).« 27 Das (religiöse) Denken ist nicht Denken von etwas, sondern Denken reinen Lebens, also selber Leben, da ein Denken von einem Gegenstand (einem Etwas) »Leben« dieses Leben nicht rein, sondern in Verschiedenheit dächte. 28 Über die »Dunkelheit« der Frühschriften vgl. Dilthey (1921: 52 und 90). Die Freiheit »vom Zwang der dialektischen Methode« (3) macht die Frühschriften für Dilthey interessant, weil Hegel so der »wahren Natur des Wirklichen und der Wissenschaften« näher sei, die nach Dilthey im schmerz- beziehungsweise lustvollen »Erlebnis« liegt, nicht im Denken. Darin wird auch der Abstand Diltheys zu Hegel deutlich: Während für Hegel in allen
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Liebe ist dem Denken aufgegeben, das nicht von gegebenen Erfahrungen abhängt, sondern a priori, rein auf sich selbst gründet. Wie gelangen wir zu diesem reinen Denken? Vergangenheit und Zukunft (»was der Mensch war oder sein wird«) sind ebenso in Epoché zu nehmen wie allgemeine Definitionen dessen, was der Mensch sei: Die Abstraktion der besonderen Bestimmtheiten hat ein Allgemeines zum Ergebnis, das die Phasen seines Denkens die Freiheit, die als Resultat hervortritt, die bestimmende ratio bildet, so ist für Dilthey das »selbstische« (vgl. Boeder 1980: 232), d. i. das unmittelbare, ununterschiedene Einzelleben unvordenkliche Bestimmung. Eine Entwicklung zu vollkommener Selbstbestimmung wird damit ausgeschlossen, da immer ein Unvordenkliches (Sprache, Volk, Milieu) die Bestimmungsmacht inne hat. Die treffende, in ihrer Schärfe gleichwohl zeitgeschichtlich bedingte Kritik Lukács’ (1962: 379 und 362) an Dilthey sieht dessen Interpretation als maßgeblich für die lebensphilosophische Auslegung der Hegelschen Philosophie an. Unter ›Lebensphilosophie‹ wird dabei der irrationalistische Zug zu Anfang des 20. Jahrhunderts gemeint, der das Leben gegen ratio und Geist auszuspielen versuchte. Lukács, der freilich auch Stalin als großen Philosophen lobt, sieht diesen Irrationalismus und den damit verbundenen Intuitionismus als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Was von der Diagnose des »Pantheismus«, die angesichts des Übergangs der Logik zur Naturphilosophie bereits von Schelling gestellt wurde (SW X, 159), vor dem Hintergrund zu halten ist, daß Hegels Thema insbesonders der menschgewordene Gott ist, hat der wortgewaltige Bloch (1985: 317 f.) festgehalten. »God makes a difference« (Lauer 1982: 258). Auch die Notwendigkeit einer Umwendung zum reinen Denken, durch dessen Unterscheidung von der endlichen Reflexion das Ist erkannt wird, widerspricht der pantheistischen Grundthese, daß Gott unterschiedslos und unmittelbar die Welt sei (vgl. auch Hegels Kritik am Pantheismus in seiner Fußnote zu Enz. (1830) § 573A, sowie die Aussage in der Vorlesung zur Religionsphilosophie (1993: 322), »daß es eigentlich nie Pantheismus gegeben habe.«). Einen pantheistischen Materialismus gibt es bei Hegel nicht. Zum Verhältnis Hegels zu pantheistischen Überlegungen und zu seiner Differenzierung des Pantheismusbegriffs in den Vorlesungen zur Philosophie der Religion vgl. Goedewagen (1971). Daß Hegel mit dem Geist des Christentums den Mystizismus »streife«, meinte auch Haym (1857: 50 ff.), der darin Hegels ahistorischen Geist am Werk sah, weil er nur »Idealen« gefolgt sei. Daher rührt dann Hayms in späterer Zeit oft wiederholter Anwurf des Quietismus und des restauratorischen Bestrebens (231) der Hegelschen Philosophie. Darauf ist hier nicht näher einzugehen, es sei aber auf die profunden Studien D’Hondts verwiesen, die unter anderem die girondistischen Quellen des frühen Hegel (1968) und die (wissenschafts-)politische Stellung Hegels in Berlin (1968b) beleuchten sowie Historie und Philosophie in ihrer Verwobenheit betrachten. Hegel ist in seiner Wissenschaft wie auch persönlich alles andere als ein konservativer Reaktionär. Hinsichtlich des Begriffs der Mystik herrscht heute offenbar große Verwirrung, – nicht unähnlich der angedeuteten Begriffsverwirrung des Pantheismusstreits. So kann Hegel in der Tradition eines Meister Eckehart (zu dessen Begriff der Mystik vgl. das Folgende im Haupttext) sehr wohl auch als Mystiker begriffen werden; dahin weist auch eine Bemerkung aus einer Logik-Vorlesung Hegels (vgl. Enz. (1830) § 82Z). Dagegen steht das Verständnis von Mystik bei denjenigen, die dieses Etikett als Invektive gegen Hegel wenden. Beispielhaft hierfür mag Russell mit seinem Essay Mysticism and Logic von 1914 stehen (vgl. dazu Johnson 1988: 6 f.).
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Differenzen nicht zur Kenntnis nimmt. Ein solches Allgemeines ist negativ Unbestimmtes und mithin eine leere Vorstellung beziehungsweise totalitär, denn es schließt Besonderes aus. Daher ist es selbst nur ein Besonderes, das aber als allgemein behauptet wird. »Reines Leben« kann weder unter Absehung der Verschiedenheit gedacht werden noch in Entgegensetzung des Denkens, denn sonst wäre es nicht rein, sondern verschieden. Die Rücknahme des Zeitlichen soll zu einem vollkommen Einfachen führen. Vollkommene Vereinigung, die keine ausstehende Möglichkeit kennt, da sie bereits reine Wirklichkeit ist, macht das »ist« des Menschen aus. Was der Mensch »ist«, ist mithin vollkommen wirklich – es gibt dorthin keinen graduellen Übergang. Das Menschsein ist keine erst zu entfaltende dynamis und wird im »Bewußtsein reinen Lebens« gegenwärtig. Diese Gegenwart kann weder in der Reflexion erfaßt werden, denn reflektiert wird eines von einem anderen. Noch kann sie bewiesen werden, denn, wie Hegel im Fragment Glauben und Sein mit Jacobi sagte, »beweisen heißt die Abhängigkeit [aufzeigen]« (TWA 1, 251). Die »Quelle aller vereinzelten Leben« kann durch Reflexion und Beweis nicht erfaßt werden, denn der Reflektierende steht außerhalb ihrer und wäre gar nicht der, der er ist. Der Reflektierende machte die Quelle zu einem anderen. Damit würde er seine eigene Wirklichkeit zu etwas anderem machen, sie wird für ihn mit dem Gegensatz des Jenseits behaftet. Um in der Metapher zu bleiben: Der Reflektierende steht im Bett des aus der Quelle entsprungenen Wassers, er ist nicht das, was aus der Quelle entspringt, nämlich ein Fluß.29 29
Neben der hier im Hintergrund wirksamen neutestamentarischen Überlieferung (etwa Joh 7, 38) kann diese Stelle auch exemplarisch für Hegels Aneignung neuplatonischen Gedankenguts stehen, welches ihm durch die Vermittlung Jacobis, später auch durch eigene Lektüre von Proklos, Eusebios von Cäsarea und durch Plotin bekannt war. So fragt Plotin (Enneade III 8, 10) nach der aitia des Lebens und findet sie in der als Quelle (pg) gefaßten dynamis tn pantn: Sie ist selbst jenseits des Lebens ruhender, dem Mannigfaltigen (Lebendigen) einheitsgebender Grund (vgl. aber auch Enneade VI 5, 12, 7, wo Plotin von der ewig in sich quellenden Unendlichkeit spricht, die in sich selbst von Leben überfließt). Nur weil dieser Abstand nimmt, kann to pan überhaupt sein. Es ist nicht herrschender, sondern schlechthin gebender Grund, von dem selbst nichts ausgesagt werden kann, der aber an seinen Wirkungen (energeiai) als notwendige Voraussetzung erkannt werden kann. Damit wird zugleich der entscheidende Abstand Hegels zum plotinschen Denken eines transzendenten Einen deutlich. Dieses ist für Plotin wie für Platon epekeina. Halfwassen (1999: 30) vermutet, daß aufgrund der Vermittlung durch Jacobi dem Neuplatonismus, den Hegel kennenlernte »das zentrale Motiv der Transzendenz des Absoluten« gefehlt habe, womit Hegels Abkehr vom epekeina freilich nicht begründet wäre. Dazu befähigt erst Hegels verwandelter Begriff von Wahrheit als Subjekt sowie seine Kritik des Grundes. Im Zusammenhang des Geistes des Christentums steht das reine Leben ebenfalls jenseits der Mannigfaltigkeit, ist aber selber Leben (im Unterschied zur Bestimmung von Plotins hen). Darin liegt der Versuch, es vom Charakter der bloßen
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Darin liegt ein Gedanke mystischen Inhalts, wenn Mystik – in der Folge Meister Eckeharts30 – als Vereinigung mit einem ersten Prinzip unter Hinterlassung der Reflexionsverhältnisse von Willen und reflexivem Verstand31 bestimmen. Diese Vereinigung führt nicht in ein folgenloses Einerlei, sondern zu einem »Innewohnen und […] Mitwohnen der Seele in Gott« (Eckehart 1963: 398). Das bedeutet, die vereinigte Seele vollzieht die Tätigkeit Gottes mit, die da ist sich aus sich selber in sich selber zu gebären (Eckehart 1963: 397). Dieser Vollzug ist von der sich vereinigenden Seele her nicht als ein selbsterworbenes Werk von Wille oder Verstand zu denken. Diese beiden sind der Vereinigung gegenüber aufgrund ihrer reflexiven Doppelung und Trennung in eines und anderes »minderwertig« und können sie prinzipiell nicht erlangen. Die sich vereinigende Seele gelangt zur Vereinigung nur durch das Vernehmen einer unverfügbaren Gabe. Nur von daher ist es Voraussetzung zu befreien. Das Absolute ist nicht lediglich praesuppositio absoluta. Nicht nur vom Vereinzelten her ist die Verbindung zum Einen evident, sondern sie ist vom Einen selbst her notwendig, das ohne die Vermittlung zu seinem eigenen Anderssein gar keine Geltung hätte. Daß es ohne sie nicht wäre, wäre eine allzu schiefe Ausdrucksweise, da das Eine, das bei Plotin epekeina des Seins ist, auch für Hegel weder Sein noch Seiendes ist, sondern das Sein als integrales Moment beinhaltet. Entgegen seinem Unverständnis ob Hegels Abscheidung der einfachen Transzendenz des Absoluten weiß Halfwassen auch für Hegels Idee einer nicht jenseitigen Transzendenz von reinem und lebendigem Sein eine Quelle aus dem Platonismus zu nennen. So findet sich bei Numenios von Apamea, dessen Werk bei Eusebios überliefert wird, die Idee eines göttlich Einen, daß selbst erster Geist und – dem pantels zoon aus Platons Timaios gleichend – reines Leben ist (in Kürze mit Quellenangaben in Halfwassen 1999b: 116 f.; zur Trias von Sein, Leben und Denken bei Plotin vgl. Hadot 1960). 30 Was hier als Begriff der Mystik präsentiert wird, legt Eckehart in meisterhafter Präzision in seiner 52. Deutschen Predigt: Adolescens, tibi dico: surge (Luc. 7, 14) in deutlichem Rückbezug auf Augustinus› Predigten zum Johannes-Evangelium (v. a. In Johannem Ev.Tractatum XV) dar. 31 Verstand wird hierbei im neuzeitlichen Sinne als reflexives Denken verstanden, das vom vereinigenden, sich selbst begreifenden Denken der Vernunft unterschieden ist, also ähnlich der Unterscheidung von dianoia und nous. Eckehart selbst, wie auch die Tradition bis ins 17. Jahrhundert, verwendet im Deutschen zunächst den Terminus Verstand für das lateinische intellectus (die höhere kognitive Kraft) und Vernunft für ratio. Wenn Luther also von der »Hure Vernunft« spricht, die inhaltlich unbestimmt und jedermann, d. i. dem Guten wie dem Bösen, zu Diensten ist, so spricht er gemäß unserem Verständnis eigentlich vom Verstand. Erst Kant kehrt die Benennung dieser Hierarchie um: »Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande, und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird.« (KrV, B 355) Vgl. hierzu die Bemerkungen bei Oehler (1997: 62 ff.). Auch Hegel beschäftigt sich mit der mangelnden Differenzierung von Verstand und Vernunft. Im Abschnitt zur Idee innerhalb der Enzyklopädie nimmt er auf die Geometrie Bezug, wo »wie sonst häufig, an der Terminologie die Verkehrung ein[tritt], daß, was rational genannt wird, das Verständige, was aber irrational, vielmehr ein Beginn und Spur der Vernünftigkeit ist.« (Enz. (1830) § 231A)
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denkbar, daß der Vollzug der endlichen Seele eins ist mit dem Wirken Gottes, indem nämlich Gott logisches Subjekt des Geschehens bleibt. Eckehart spricht davon, daß die Seele des Menschen ganz in ihrem proprium leben müsse, d. i. in der Vernunft zu wirken. Auf diese Weise ist der Mensch seinem Formgrund am nächsten: »In der Vernunft ist man völlig jung: je mehr man in dieser Kraft wirkt, um so näher ist man seiner Geburt.« Mit dem Verstand ist lediglich »Nähe« zur Geburt erreichbar, die nicht selber bereits ein Gebären ist, welche Tätigkeit der vereinigten Seele zu eigen ist. Die Tätigkeit des Verstandes allerdings ist ein Zurückbeugen zu seiner Herkunft, die im Hervorgang einer bestimmten Formung (d. i. Geburt) liegt. In dieser Rückbeugung, die sich als ›Leben in der Vernunft‹, d. i. in der klaren Unterscheidung von Gutem und Bösem, darlegt, liegt die praeparatio der Erfüllung der Seele. Darin, daß ein Unterscheiden Bedingung der Erfüllung ist, liegt zugleich, daß diese selbst nichts Unterschiedsloses ist. Die Erfüllung, die ein Gebären ist, ist vielmehr ein Bestimmen, allerdings nicht eines anderen, das dann – wie im Falle natürlicher Geburt – als Anderer lebt, sondern seiner selbst. Eckehart faßt dies trinitätstheologisch als Geburt des wesensgleichen Sohnes im und aus dem Vater, der sich ohne Rückhalt in und zu diesem Sohn bestimmt. Den Überstieg von der Reflexion auf ihr Geborensein zum eigenen Gebären kann zwar nur die Seele selbst vollziehen, aber nicht aus sich selbst. Die Seele verbleibt, was Stärke und Mangel zugleich ist, in der Auseinanderordnung von an und für sich Zusammengehörigen: Ihr zerfällt die in Gott ungetrennte Einheit von Weisheit und Güte, sie bedenkt das eine ohne das andere. Deshalb bedarf sie zur vollkommenen Vereinigung der Gnade dessen, mit dem sie sich vereinigt. Die Gnade kann sie aber nur empfangen, wenn sie sich von ihrem vereinzelten Dasein löst und ihr Vermögen der Allgemeinheit (d. i. den Verstand) betätigt, durch das sie Einzelnes erfaßt, das nicht ohne seinen Halt im Begriff sein kann. Diese Seele ist dann ein Bild, das nicht getrennt ist von dem, dessen Bild sie ist. So kann die Seele Einlaß zum unverfügbaren »Mitwohnen in Gott« erhalten, das ein Gebären seiner selbst ist, weil Gott einer und bei ihm alles Verwirklichung ist. Unabhängig davon, ob wir zur Zeit der Entstehung des Geistes des Christentums eine direkte Rezeption Eckeharts durch Hegel annehmen wollen, zeigt sich in dieser Orientierung an der unverfügbaren Gabe des Ursprungs, die nur als lebendige sein kann, Hegels Anverwandlung des Begriffs der Mystik: Auch die Quelle ist rein, d. i. eins, und wirklich, d. i. ein Quellen und Seinlassen des Einzelnen. Reines Denken zu üben heißt, zu solch einer Quelle zu werden. Dabei handelt es sich um eine Anverwandlung, nicht um eine Übernahme: Ebenso wie die reflexionstranszendente mystische »Geburt« bezeichnet Hegels Denken der Quelle einen unverfügbaren, einheitlichen,
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selbst-wirklichen Formgrund alles Seienden, das keine sich durchhaltende Selbständigkeit besitzt. Wo aber in der Mystik das Vernehmen der Erfüllung nur aus Gnade geschenkt sein kann, da ist in der Philosophie noch immer die Betätigung der – freilich mit Unterschied gedachten, d. i. von ihrem selbstischen Sein gelösten – Subjektivität am Platze, wie sie Hegel im reinen Denken konzipiert. Diese Subjektivität ist nicht nur in der vereinzelten Vielheit nichts Absolutes, sondern das Absolute ist auch notwendig Vieles. Um das Verständnis dieser formalen Notwendigkeit geht es der Philosophie. Der zur mystischen Vereinigung führenden Andacht hingegen ist die Notwendigkeit im Hinblick auf ihr Ziel äußerlich. Die spekulative Philosophie vermittelt das Ziel der gegenwärtigen Einheit im Unterschied zur Mystik durch den dialektischen Nachweis. Das Denken einer Notwendigkeit, die immer Zusammenhang von einem und einem anderen ist, ist mit dem Eingang des Vereinzelten in die Einheit nicht zu befriedigen, weil in der reinen Einheit kein Verhältnis gegeben ist. Ohne Unterschied gibt es keine Notwendigkeit. Es soll aber gelten, daß das Absolute durch seine Besonderung und Vereinzelung hindurch es selbst ist. Das Eine Leben ist Quelle aller vereinzelten Leben und in aller Teilung ungeteilt eines. Das Reine ist Herkunft aller Einzelnen, allen Strebens nach Wiedervereinigung (Triebe) und aller ins Werk gesetzten Trennung (Tat). Die Betrachtung reinen Lebens will nicht die abstrakte Frage nach dem Sein des Seienden o. ä. beantworten. Das Denken reinen Lebens wird vielmehr von der Frage nach der Notwendigkeit des Endlichen hervorgerufen. Die Rettung der Phänomene, dessen, was sich als unbeständige Erscheinung erweist, ist das Anliegen dieser Frage. Lediglich Hölderlin fragt zu dieser Zeit in vergleichbarer Radikalität nach der »Wahrheit des Irrtums«.32 Einerseits darf die Endlichkeit nicht geleugnet werden, andererseits kann der Mensch sich nicht auf sein »jetzt« (TWA 1, 378) gegebenes Dasein berufen, denn dies ist ja das Endliche, dessen Abkunft von der Fülle gezeigt werden soll. Das Endliche selbst darf nicht verabsolutiert werden. So gilt es, »von aller Tat […] zu abstrahieren […], aber die Seele jeder Tat […] rein festzuhalten«. Was war die Tat, die Hegel in der Analyse des Moralitätskonzepts vor Augen hatte? Sie ist Endlichkeit, die Lücke, das Leben als nicht-seiend. Solch eine Lücke reißt nach Hegel alle Tat, nicht nur die Untat des Verbrechens. Gilt für Luther jedes Menschenwerk als »Todsünde«, weil es immer der Eigensucht
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Vgl. dazu Hölderlins Aphorismen: »Nur das ist die wahrste Wahrheit, in der auch der Irrtum, weil sie ihn im ganzen ihres Systems, in seine Zeit und seine Stelle sezt, zur Wahrheit wird.« (1998: 18) Von Bedeutung sind hier auch die Pindar-Fragmente, insbesondere dasjenige Von der Wahrheit (1998: 112).
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entspringe, so es nicht durch die Gnade gerechtfertigt würde33, so unterbricht für Hegel jede Tat den Zusammenhang des Lebens. Dennoch ist die Tat zugleich erst die Darstellung des Lebens, in dessen Wesen es liegt, sich zu artikulieren. Aus der Untat kann daher nicht der Rückzug der schönen Seele erfolgen. Dieser wäre lediglich ein Rückzug in die Todesstarre. Daher stimmt Hegel auch nicht in die Klage Hyperions über die trennende Tat ein. Es gibt bei Hegel keine Sehnsucht nach einem Zurück. Nur Lebendiges kann die Seele des Nicht-Seienden festhalten. Was aber heißt »eine Seele festhalten«? Warum steht es unter der Bedingung des Loslassens (abstrahieren)? Etwas als dasjenige zu nehmen, was es ist, heißt, seine Seele zu erfassen. Wer Bestimmtes losläßt, der gibt es dem Vergehen preis. Nur über die Preisgabe der Lücke kann die Lücke werden, was sie ist, nämlich Nicht-Seiendes und so dem Leben immanent, dieses bezeichnend. Die Lücke ist das Preiszugebende, so weist sie über sich hinaus. Wird die Lücke festgehalten, so wird sie zum Fetisch. 33
Vgl. etwa die dritte These der Heidelberger Disputation Luthers (1990: 71): Aus dieser Situation heraus – gerechtfertigt aus Gott und sündig aus eigener Tat zu sein – versteht Luther den Menschen als simul iustus et peccator. Die Vermittlung der Rechtfertigung erfaßt Luther in der Brautmystik des Traktats von der christlichen Freiheit (1990: 540 f.): Zu Gott zu kommen, bedeutet für den Menschen, sich seiner zu entäußern. In diesem Gedanken und in der sich daran anschließenden Versöhnungstheologie sieht Asendorf (1982: 6 und 264 ff.), dessen Studie Züge einer lutherischen Apologetik trägt, zu Recht eine bedeutsame Quelle der Hegelschen Dialektik, insofern es ihr um einen Ausgleich der Gegensätze geht. In diese Richtung weist auch Olson (1992: 5 ff.), ausgewogen sind auch die Bemerkungen bei Houlgate (1991: 204 ff.). Eine konfessionelle Vereinnahmung wird man auf diese gedankliche Verwandtschaft allerdings nicht gründen wollen, da Hegel ebenso dem Gedanken der Vermittlung und Überlieferung große Bedeutung zumißt. Das Motiv der sittlichen Negativität des Endlichen klingt bereits im frühesten Zeugnis vom Denken der Endlichkeit des Endlichen an. So ist von Anaximander der Satz überliefert (DK 12 B 1): »Aus welchem das Werden der Seienden ist, dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es in Ordnung ist, sie geben nämlich einander selbst Buße und Genugtuung des Unrechts gemäß der Ordnung der Zeit.« Das Vergehen des Seienden in der Zeit als Buße zu verstehen, bedeutet jedoch schon bei Anaximander keinen »Negativismus« (wie es Theunissen 2001: 41 nahelegt, der in dem Spruch des Anaximander eine »embryonale Gestalt der Dialektik« sieht). Wenn die Buße nämlich Herstellung der Gerechtigkeit und Ordnung ist, so bedeutet sie auch Rettung des Seienden vor dem Verfallensein an den Wechsel der Zeit. Die Buße ist affirmativ. Weil jedes Tun die statische Ausgeglichenheit stört und dabei Gläubiger und Schuldner hinterläßt, verlangt die aequalitas der Gerechtigkeit einen erneuten Ausgleich. Daher ist der Akt der Gerechtigkeit restitutio (Thomas von Aquin, Summa theologica II/II 62, 1). Die Wiederherstellung ist zu lesen im zeitlichen Sinne, wonach im gerechten Handeln der Zustand wiederhergestellt wird, der vor der Verletzung gegeben war. Die Wiederherstellung gilt aber ebenso in absoluter Bedeutung, da die Gerechtigkeit jemandem dasjenige geschuldete Gut zukommen läßt, das dieser, obwohl es das Seinige (suum) ist, noch nicht hat. Gerechtigkeit führt also dasjenige herbei, was bereits war zu sein (to ti n einai), obgleich es nicht im seiend-vorliegenden Sinne ist.
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Diese Preisgabe wird nach Hegel im Prolog des Johannes-Evangeliums dargestellt, dessen Interpretation im Mittelpunkt der Fragmente zum Geist des Christentums steht. Die Endlichkeit des denkenden Menschen (was er jetzt ist) läßt sich nicht übergehen, weshalb das zu betrachtende reine Leben dem einzelnen Leben gegenüber ein anderes ist. In der Liebe kann die reine Einheit gefühlt werden. Doch dies ist nur möglich in der Beschränkung auf »bestimmte Verhältnisse« (TWA 1, 374), im Liebesverhältnis bestimmter Personen, das an der conservatio sui seine Grenze findet. Im Bedenken dieser Grenze, d. i. seines Teil-seins, gibt es für den Einzelnen zweierlei zu erkennen: Zum einen besteht er als besonderer Teil außer dem reinen Ganzen aller Seinsmöglichkeiten, zum anderen ist er selbst Ganzer, weil er Leben hat, welches die Bedingung der Reflexion ist. Dies Leben ist geteilt und nur eines, denn im Leben ist »das Einzelne […] zugleich ein Zweig des unendlichen Lebensbaumes; jeder Teil, außer dem das Ganze ist, ist zugleich ein Ganzes ein Leben«.34 Der affirmative Lebensbegriff zeigt den Einzelnen als Manifestation des Lebensganzen. Aufgrund seiner Ganzheit ist jeder Einzelne zugleich ein unteilbar Einziger: Er ist im vollen Wortsinne Individuum. Die Affirmation des Lebensbegriffs ergibt sich aber nicht unmittelbar, sondern auf dem Wege der Unterscheidung: Daß der Teil ein endlicher ist, bedarf keiner Erörterung. Doch ist fraglich, wie der Teil als endlicher ist, und was für eines die Lücke ist. Die paradoxe Antwort lautet: Die Lücke ist, indem sie nicht ist. Teil ist überhaupt nur ein solches, das selbst Eines, Ganzes ist. Ein Ganzes aber bezieht sich auf sich selbst. Der Teil hingegen ist Teil nur unter anderen Teilen, nur in der Entgegensetzung, in der er nicht für sich selbst besteht. Um zu sein muß die Entgegensetzung aufgegeben sein. Danach ist der Teil nicht mehr nicht, indem er (als Teil ein Ganzes) ist, sondern der Teil ist (nämlich als Teil des Ganzen selber Ganzes), indem er nicht ist (eben Teil als Teil und somit Lücke): Im Vergehen erwirbt das Teilleben sein wahrhaftes Bestehen. So bewegt sich Leben zu »aufgefaßtem Leben«. Weil es strenggenommen erst als aufgefaßtes Leben sich selbst (und nicht qua Entgegensetzung) gleich ist, kann es nur im Auffassen wahrhaftig sein. Die Erfüllung ist damit die Wahrheit. Diese ist – nach einem Bild aus Lessings Nathan, das Hegel öfter verwendet – keine geprägte Münze, die eingestrichen werden könnte39, sondern die Aufgabe der Aufgabe. In der Aufgabe ist der end35
Später ersetzt Hegel zur Beschreibung der Dynamik des Lebens die (platonische) Terminologie von Teil und Ganzem durch die (kantische) Rede von Glied und Organismus. Vgl. dazu die Vorlesungen zur Ästhetik, wo das erste Begriffspaar sogar als unpassend für die differenzierte Einheit des Lebens bezeichnet wird (TWA 13, 159 ff.). 35 So wundert sich Nathan auf die Frage des Sultans nach tragfähigen Gründen zur Wahl der rechten Religion: »Was will der Sultan? was? Ich bin/ auf Geld gefaßt und er
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liche Teil selbst reines Leben.36 Erstmals tritt das Leben damit in absoluter Bedeutung hervor: Jeder Teil des Absoluten ist selber absolut und hat das Leben ganz in sich, welches in der Betrachtung »einmal als das Einige, in dem keine Teilung, Entgegensetzung ist, und zugleich mit der Möglichkeit der Trennung der unendlichen Teilung des Einigen.« Die unendliche Teilung, nämlich das endlose Nach- und Nebeneinander der einzelnen Lebendigen, das nur in der einigenden Einheit als Teilung ist, ist »keine Teilung«. »Die Mannigfaltigkeit, die Unendlichkeit des Wirklichen [d. h. die in der Sichselbstgleichheit nicht weiter begrenzte Ausformung der lebendigen Einzelnen] ist die unendliche Teilung als wirklich«, damit ist das Komplement der Möglichkeit verwirklicht37, und Hegel schließt: »alles ist durch [dia] den Logos.« Wirklichkeit muß als Erfüllung einer Aufgabe, d. h. als gewordene realisiert werden.38 Sie ist nicht an sich, sondern durch etwas. Dieses Durch ist der Begründungszusammenhang des Logos. Indem er sich in den Unterschied begeben hat, ist er zweifach aufgegeben: Zum einen hat er seine isolierte Einheit aufgegeben, in der er nur die inhaltsleere Einheit eines ›Alles‹ wäre. Zum anderen fordert er auf, im Außereinander der »wirklichen Mannigfaltigkeit« die Einheit der Bedeutung wiederherzustellen. Die unendliche Teilung ist der Riß (die Lücke) im Absoluten, an dem sich seine Totalität bewährt. Die Einzelnen sind das dem Gott immanente Leben, das sich in ihnen und für sie selbst erfüllt, indem es »aufgefaßtes Leben (φως, Wahrheit)« ist. Religion bedeutet daher nicht Glaube an einen jenseitigen Urgrund und Herrscher der Welt, sondern sie ist Rückbindung (re-ligo) durch Rückbeugung will – Wahrheit. Wahrheit!/ Und will sie so, – so bar, so blank – als ob/ Die Wahrheit Münze wäre! […] Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf/ Auch Wahrheit ein?« (Lessing, Nathan der Weise, 3. Aufzug, 6. Auftritt). 36 Somit gründet das Ganze auch die Teile, oder um den Kontrast zu Kant hervorzuheben, auf den Hegel mit dem Beispiel des Baumes als Organismus (TWA 1, 376) verweist: Das Ganze ist Seinsgrund, und nicht lediglich, wie Kant notiert, »Erkenntnisgrund« (KdU, B 291). 37 Als Komplement führte Hegel das plrma an früherer Stelle ein (TWA 1, 326) und verwies damit auf eine Definition von Christian Wolff in dessen Philosophia Prima sive Ontologia, §174: »Existentiam definio per complementum possibilitatis.« Die Möglichkeit ist ergänzungsbedürftiges Moment, ihre Erfüllung findet sie in dem Heraustreten (existere), weshalb die existentia der essentia nicht entgegengesetzt ist, sondern das Komplement, die notwendige Ergänzung ihrer ist. Hier zeigt Hegel die Sache des Komplements. 38 In der Differenzschrift formuliert Hegel, daß die Philosophie überhaupt »der notwendige Versuch [ist], die Entgegensetzung der festgewordenen Subjektivität und Objektivität aufzuheben, und das Gewordensein der intellektuellen und reellen Welt als ein Werden, ihr Sein als Produkte, als ein Produzieren zu begreifen« (GW IV, 14). Intellektuelle und reelle Welt sind gleichermaßen vom Absoluten gesetzt, das darin erscheint.
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(re-flexio).39 Die Aufgabe der Endlichen ist, von ihrem Sein zu lassen, dies ist ihre Beugung (flexio).40 Rückgebunden werden muß das mangelnde Leben, das in der Zeit und in der von der Liebe getrennten Reflexion entflieht, weil es dort immer anders ist als gesetzt. Der Mangel freilich muß erkannt wer-
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Der Gedanke, daß geistiges Leben das wirkliche Leben wiederholt, findet sich zu dieser Zeit (1796) auch bei Hölderlin (1998: 13); bei Hegel allerdings ist diese Wiederholung qua Reflexion überhaupt erst wirkliches Leben, denn dieses muß gegründet sein. Die Bestimmung von Religion als Rückbindung findet sich erstmals bei Laktanz (Institutiones Divinae IV 28, 2). In De vera religione (LV, § 310) übernimmt Augustinus diese Auslegung von Religion, die dem Christentum kompatibler ist als die traditionsorientierte Lesart Ciceros (De natura deorum II, 72). Dort heißt es: »Möge uns die Religion mit dem einen allmächtigen Gott verbinden [religet], weil zwischen unserem Geist […] und der Wahrheit […] keine Kreatur steht.« Daher kann gesagt werden: Der Mensch, der sich entzogen ist, weil er von anderem her und zu anderem hin ist, entspricht seinem Entzogensein, wenn er sich auf Gott ausrichtet. Somit ist er gerecht. Hegel steht mit seinem Konzept der denkenden Religion der augustinischen Auslegung von Religion besonders nahe. Auch Fichtes Deutung im Versuch einer Kritik aller Offenbarung steht innerhalb der augustinischen Tradition: »Religion aber (religio) soll der Wortbedeutung nach etwas seyn, das uns verbindet, und zwar stärker verbindet, als wir es ohne dasselbe waren.« (FG I 1, 23) In der von Fichte vorgenommenen Unterscheidung von ohnehin Verbundensein und einer »stärkeren« Verbindung durch Religion sehen wir den Versuch, angesichts der strikten Geltung der Verbindung, die nicht abhängig ist vom etwaigen Verhalten des Verbundenen, dennoch einen Unterschied einzuführen, der auf die Korrelation von Verhalten und Art und Weise der Verbindung Rücksicht nimmt. In der Ideengeschichte der Rechtfertigungslehre findet sich diese Problematik in der Frage nach einer apokatastasis pantn; im Zentrum des Christentums steht die Auflösung der im Judentum bestimmenden Korrelation zwischen dem Verhalten des Volkes Gottes und der Erlösung: Das Reich Gottes kommt unabhängig vom Tun der Menschen. Religion ist mithin kein Rückschritt in die Unklarheit und auch nicht Verkörperung einer »ethischen Zukunftsperspektive«, wie etwa Busche (1987: 273) meint. Ebensowenig wird man sagen können, daß die Überleitung der Philosophie in die Religion, wie Hegel sie denkt, schlichtweg ein Zug der Zeit, nämlich der Romantik, sei (so aber Jaeschke 1999: XVI). Die denkende Religion ist weder romantisch noch Ausdruck einer unreflektierten Übernahme einer geläufigen Ansicht. Zum Begriff von Religion als Überwindung des menschlichen »Mangels an Gegenwart« vgl. den Beitrag von Uhde (2002). Seine Definition trifft auch die Sicht Hegels: »Religion gründet in der reflektierten Einsicht [Hervorhebung d.V.] in den umfassenden Mangel an anwesender Gegenwart, hat das Wissen um die notwendige Voraussetzung der verborgenen Einheit zum Inhalt und ist im Beachten der Herrschaft des Prinzips von Allem lebendig.« (Uhde 1982: 8) 40 Im Seinlassen der kontingenten Endlichkeit des Teilseins könnte ein stoisches Moment gesehen werden, geht es doch in der Adiaphorie der Stoa um Gleichgültigkeit gegenüber den Willfährnissen des Lebens. Allein das telos von Adiaphorie und Aufgabe ist unterschieden (darauf macht Henrich 1988: 177 ff. aufmerksam): Adiaphorie geht auf die leere Einzelheit seiner selbst, in die sich der Stoiker zurückzieht. Dagegen zielt die Aufgabe auf den gegensatzlosen Eingang in die (logisch vermittelte) entschiedene Wahrheit (das aufgefasste Leben).
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den. Das leistet das denkende Leben, das seine Defizienz erkennt und so den Grund des Übersteigens seiner selbst zum »Sein außer der Reflexion« gibt, wie Hegel es später im – von Nohl so bezeichneten – Systemfragment formuliert.
Denkendes Leben und Religion Worin besteht nun der Vollzug der Aufgabe in der Bewegung von Leben zu aufgefaßtem Leben? »Reines Leben ist Sein«, steht im Geist des Christentums und das Systemfragment nennt dieses Sein »ein Sein außer der Reflexion« (TWA 1, 422). Reflexion allein ist Setzen des Einen und Ausschließen des Anderen, und mithin nicht erfüllt. Sie befindet sich immer im Übergang von Einem zu anderem. Damit ist das gegen-ständliche Denken beschrieben. Auf dieses angewandt hat die Philosophie die Aufgabe, »in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen« (TWA 1, 423); es gilt für die Reflexion jeweils die Bedingungen der einseitigen endlichen Gegenstände zu formulieren. Die Philosophie zeigt damit die prinzipielle Endlichkeit der lebendigen Natur und des reflektierenden Denkens. Die Erkenntnis der Endlichkeit verhindert die Verwirrung von Relativem und Absolutem: Wenn die lebendigen Teile des Naturlebens sich als Ganze/Individuen konstituieren, und nur so ist Lebendiges, dann sind sie bereits im Sterben begriffen, ja sie sind für anderes Teilhaftes bereits gegenständlich und tot. Im Tod sind die Individuen ungetrennt, – im Tod sind alle gleich. Indem Lebendiges aus der Einheit durch Trennung hervorgeht, geht es in die Einheit ein. Lebenserfahrung kann das nie vergegenwärtigen, denn Erfahrung geschieht vor dem Hintergrund einer Differenz. In Differenz geführtes Leben wäre Nicht-Leben, aus welchem vom Leben nichts erfahren werden kann. Nur denkendes Leben kann den sich in Einheit enthebenden Widerspruch des Lebendigen fassen, womit es »nimmer denkend« (TWA 1, 421), nämlich nicht mehr entgegengesetzt (dianoetisch) ist. Es sucht nicht reflexiv die Ergänzung des Lebens, das als bestimmter Begriff aufgefaßt wiederum einsseitig wäre, weil es die Entgegensetzung und das Tote ausschlösse. Das Leben ist daher »ein Sein außer der Reflexion«. Hier ist das Denken »nimmer denkend«, weil es nicht mehr als Denkendes sich gegenüber und außerhalb seiner ein Gedachtes hat, sondern selbst das Leben ist, das es denkt. Die Einsicht in die Endlichkeit etabliert den Unterschied zwischen reinem und lückenhaftem Leben. Sie ermöglicht zugleich die Einsicht in das Leben reinen Lebens, das nicht mehr Objekt der Urteile des endlichen Verstandes sein kann. Die Einsicht in dieses Leben fällt stattdessen in das Vernehmen
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des reinen Denkens, das ein religiöses Denken ist: Das Denken selbst wird im Bedenken reinen Lebens zum reinen Denken. Es ist a priori und nicht erfahrungsabhängig, weil es das Allgemeinste bedenkt. Das reine Denken ist von seiner Sache, die das Allgemeinste ist, nicht getrennt, so ist das Denken hier selbst Leben. Die Bestimmung dieses Allgemeinsten ist es, Quelle zu sein. Es besichert die Einheit des Geteilten, und läßt sein. Die Reflexion darauf nennt Hegel Erhebung »vom endlichen Leben zum unendlichen Leben«. Sie wird nicht von einem unterschiedslos genommenen Leben der Menschen geleistet. Dieses ist im Gegenteil in vielfacher Weise verknechtet und offenbart keineswegs von sich her den Weg zur Quelle. Dieses unterschiedslose Leben ist, wie schon Kant zeigte, heteronom (durch Triebe) bestimmt, seine selbstische Orientierung führt zur Abgrenzung in Eigenheit, statt zur Vereinigung der Gleichen. Sie führt zur Hybris des Einzelnen, der meint, über fremdes Leben bestimmen zu können und die Einheit des Lebens nicht erkennt. Die erste Unterscheidung, deren Geltung das Lebendige nachzuvollziehen hat, ist daher die Erkenntnis: Ich bin nicht ewig und selbständig. Der Weg des reinen Denkens hin zur Quelle des Lebens ist schon hier die Wissenschaft, die von der Person absieht, um die Wahrheit zu erkennen.41 Darin erkennen wir auch Hegels Absetzung vom All-Einheits-Ideal Hölderlins, der den Hyperion schreiben läßt, daß es die Wissenschaft sei, »die […] mir alles verdorben« (Hölderlin 1946: Bd. III, 9). Für Hyperion führt das Denken zur Abscheidung von der Einheit mit der Natur und zur Vereinzelung in der Endlichkeit: »Ich denke nach und finde mich, wie ich zuvor war, allein, mit allen Schmerzen der Sterblichkeit, und meines Herzens Asyl, die ewigeine Welt, ist hin«.42 Bei Hegel führt nun die Reflexion auf die Endlichkeit zur Überwindung des vereinzelten Endlichseins. Die Rückbeugung, die der Vollzug der Religion ist, bedeutet für das Endliche von seinem Sein zu lassen. Auf diese Weise blickt die Wissenschaft von den toten Kompendien auf zum lebendigen Buch. Sie liest darin von sich selbst. Die vermittelte Unmittelbarkeit des Seins außer der Reflexion stellt sich also nicht unmittelbar ein, ebensowenig gelangt der Mensch durch einen ›Sprung‹ dorthin. Die Erhebung ist Sache eines mit Unterscheidung gedachten Lebens. Auf diesem Weg hört die Philosophie mit der Religion im Sinne 41
Daß es bereits dem frühen Hegel nicht um politische, ästhetische oder religiöse Interessen, sondern durch alle diese hindurch um die Wissenschaft zu tun ist, wird weithin übergangen, eine Ausnahme hiervon stellt eine Bemerkung bei Geroult (1978: 268) dar. 42 Hier wird die Absetzung Hegels von der Einheitsphilosophie Hölderlins deutlich, wo die Einheit im Rückgang und in der Sehnsucht nach vorgängiger Unmittelbarkeit gesucht wird. Dabei ist allerdings wiederum auf die veränderte Stellung der theoretischen Schriften Hölderlins zu verweisen.
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der aufgegebenen Rückbindung auf.43 Die Philosophie, die hier von der Religion überstiegen werden muß, weil erst diese fähig ist, die lebendige Einheit in der Rückbindung zu fassen, steht keineswegs in einem Gegensatz zur Religion. Weil es ihre Aufgabe ist, im reinen Denken hervorzubringen, was Grund allen endlichen Lebens ist, ist sie nicht selbst dieser Grund. Mehr 43
Bereits in der Frankfurter Zeit besitzt Hegel somit in der Sache der Rückbeugung des Endlichen, die die Vergegenwärtigung absoluten Lebens ist, die Sache des späterhin sogenannten »absoluten Wissens«. Erst mit den Jenaer Vorlesungen zur Philosophie des Geistes scheiden sich Sache des absoluten Wissens und Terminologie der Religion. Hegels Denkentwicklung verläuft also entschieden kontinuierlich. Die Auseinandersetzung darüber zieht weite Kreise. Zu weiteren Stellungnahmen vgl. Cassirer (2004), der es im Blick auf den späteren Hegel eine »Verkennung seines Systems« nennt, zu behaupten, er habe entgegen der frühen Zeit »die Rechte des Lebens verkannt« (201). Die Kontinuitätsthese vertreten desweiteren Asveld (1953: 181 ff.) und Peperzak (1960: 176 ff.), der Asvelds ebenso wie Haerings Auslegung als zu theologisch kritisiert (»un dieu transcendant est absolument introuvable dans les textes de Francfort« (182) und weiter: »l’objet de sa religion est un sacré désacralisé« (184)). Harris (1972) schreibt in seiner großen Studie über die Entwicklung des Denkweges Hegels: »One of the most remarkable things about the development of Hegel’s philosophy is that ideas mature in a sort of steady succession and once matured, remain fairly stable even while other ideas are developing around and above them.« (360) Was späterhin Philosophie genannt werde, »grows out of what was called ›religion‹ before.« (391) So ist auch in den Augen Baums die in der Wissenschaft der Logik niedergelegte Dialektik der Nachfolgebgriff der (Frankfurter) Religion, denn beide sind Erhebung über die Endlichkeit (1986: 5). Auch Timm (1979: 105), Yerkes (1983: 7–49), Fujita (1985: 117) und Halfwassen (1999b) stützen die Kontinuitätsthese. Dilthey (1921), Busche (1987) und Drilo (2003: 26) vertreten die Gegenposition. Düsing (1993) konstatiert einen Umbruch und nennt die religiöse Erhebung zum Unendlichen »frühidealistisch« (147), was bedeutet, daß sie nicht auf Verstand oder Vernunft beruhe. Er berücksichtigt nicht, daß es das Denken reinen Lebens ist, das in Religion mündet. Hegel löst sich mit dem Gedanken der vermittelten Unmittelbarkeit eines »Seins außer der Reflexion« aus seiner Nähe zu Jacobis Überlegungen zur Entgegensetzung von »lebendiger Seele« und ›Bewußtsein der Vernunft‹ sowie der Unmittelbarkeit des Seins (vgl. Jacobi 1976: Bd. II, 9 f. und 60 ff.). Nähe zu und Absetzung von Jacobi stehen im Systemfragment nebeneinander: Die Nähe zeigt sich beispielsweise in der Vollzugsweise des denkenden Lebens, das »die noch bestehende Entgegensetzung seiner gegen das unendliche Leben […] fühlt, oder wie man es nennen will« (TWA 1, 420 f.). Daneben zeigt sich Hegels Entfernung von Jacobi wie auch von einer unreflektierten Deutung der Religion darin, daß Hegel im Systemfragment im Zusammenhang des denkenden Lebens der Religion kein einziges Mal vom »Glauben« spricht. Das »göttliche Gefühl« (TWA 1, 423) bedarf zu seiner Vollständigkeit sogar ausdrücklich des Hinzutretens der Reflexion. Es führt daher in die Irre und bereitet die unzutreffende Opposition von frühem und spätem Hegel vor, zu sagen: »Das Absolute kann nur in der Religion durch Gefühl und Anschauung vollständig erfaßt werden.« (Longato 2004: 641) – Die Nähe Hegels zu Jacobis Religionskonzeption (»Geist meiner Religion ist das: der Mensch wird, durch ein göttliches Leben, Gottes inne«; Jacobi 1976: Bd. IV/1, 212) erscheint also aus der Ferne betrachtet größer, als sie vom Grundsatz her eigentlich ist. Entsprechend gibt es bei Hegel auch keinen Glauben an ein unvordenkliches Sein, wie Kondylis meint (1979: 526 Anmerkung).
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noch: Das, was sie als Grund anspricht, ist selbst gar nicht Grund, denn es hängt nicht ab von einem, das von ihm begründet wird. Die begründende Tätigkeit der Philosophie nimmt sich vor dem durch sie enthüllten Grund soweit zurück, daß sie diesen nicht mehr als Grund anspricht. Damit ist dies hier auch das Ende der Philosophie, das sie selbst anerkennt. Wohin sie führt, das ist, was es ist, das schlechthinnige »Ist«, vor dem sich das Denken in Demut beugt.44 Wird nun eine Hierarchie zwischen Philosophie und Religion konstatiert, die Hegel später angeblich umkehre, so wird die Intention in deren Verhältnis wieder verfehlt. Daher ist es notwendig, die Einseitigkeit des beschriebenen Verhältnisses von begründender Philosophie und erfüllter Religion auszuräumen. Dazu muß das Ende der Philosophie in seiner vollen Bedeutung eröffnet werden. Keineswegs verabschiedet dieses Ende einfach das Denken und Begründen. Das Resultat der Reflexion ist vielmehr der Anfang der Religion, es ist mithin selbst religiös. Diesen resultierenden Anfang setzt die Religion als etwas Bekanntes voraus.45 In der Rückbindung geschieht diejenige Vereinigung (hen), die das wahrhafte Sein (on) ist. Das denkende Leben ist wahrhaftes Sein, denn es hat kein Material seiner Verwirklichung außerhalb seiner, sondern verwirklicht seine Möglichkeiten selbst. Objekt des Denkens ist der Gedanke. Das Denken erfaßt also das Denken, seine Bewegung ist eine Bewegung auf sich hin und mithin Vereinigung. Das reine Denken ist immer ganz bei sich selbst. Im Von-sich-Lassen(-Müssen) des entgegengesetzten endlichen Lebens wird dessen Unterschied zum wahrhaften Sein deutlich. Weil dies aber zugleich
Es ist ja ausdrücklich vom Denken die Rede (was freilich auch andere nicht zur Kenntnis nehmen, beispielsweise Potepa 2005); weiteres zur Entwicklung von Hegels Verhältnis zu Jacobi bei Gawoll (1998). 44 Der Widerspruch, den Schindler (1994: 218) angesichts der Auflösung der Philosophie konstruiert, ist mithin keiner. Schindler schreibt: »mit der Selbstauflösung der philosophischen Reflexion verliert die Religion zugleich ihre philosophische Legitimation [seit wann brauchte sie diese?; d.V.] und ihr (religiös) kritisches Korrektiv.« Daher könne die Philosophie sich nicht in der Religion auflösen, dies sei eine »unmögliche Notwendigkeit«, woraus sich dann der Fortgang zur spekulativen Philosophie ergebe. Zutreffend ist hingegen seine Analyse, wonach die Ekstasis der Reflexion zu einem Toten führen würde, wenn sie in unterschiedsloser Religiosität mündete. Daher müsse Philosophie sich als »Vollzug der Selbstverwirklichung des unendlichen Lebens begreifen« (224). 45 Diese Verhältnisbestimmung von Resultat der Philosophie und Anfang der Religion findet sich ebenso in Hegels Vorlesung über den Begriff der Religion von 1827 (Hegel 1993: 266 f.). Da hier im Zusammenhang mit der erfüllenden Religion nicht vom Glauben die Rede ist, entspricht das Verhältnis von Reflexion und Religion auch nicht dem ähnlich klingenden Verhältnis bei Kant. Dieser nimmt implizit eine Konkurrenz von Wissen und Religion an, wenn er schreibt, er habe das Wissen aufheben müssen, »um zum Glauben Platz zu bekommen« (KrV, B XXX).
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eine Unterscheidung des endlichen Lebens von sich erbringt, bedeutet die religio der Reflexion auch Vereinigung. Diese Vereinigung ist, wie Hegel anfangs der Frankfurter Zeit im Fragment Glauben und Sein schreibt, »gleichbedeutend« (TWA 1, 251) mit dem wahrhaften Sein. Doch ist nun im Unterschied zu diesem frühen Fragment nicht mehr die Rede davon, daß dieses Sein »nur geglaubt werden« könne. Der Vereinigungsglaube war noch unmittelbar »vorhanden« (TWA 1, 250). Durch die Einsicht in den reflexiv vermittelten Weg zum Denken reinen Lebens ist die Vereinigung in der Konzeption des Geistes des Christentums und des Systemfragments inhaltlich erfüllt und vermittelt durch alles mögliche Bestimmtsein. Dadurch bleibt angesichts der realen Zerrissenheit (»Antinomie«; TWA 1, 251) des endlichen Lebens nicht mehr nur der Glaube an die vorausgesetzte Vereinigung, weil »das Widerstreitende […] als Widerstreitendes nur dadurch erkannt werden [kann], daß schon vereinigt worden ist«. Vielmehr ist das Leben aus seiner Unmittelbarkeit »ζωή« zu »aufgefaßte[m] Leben (φῶς, Wahrheit)« (TWA 1, 374)46 geworden. Das Leben ist nun nicht mehr gefühlt und daher Sache eines dunklen Anerkennens, sondern es ist – im Lichte – aufgefaßt. Dadurch ist das Leben Wahrheit. Das Auffassen ist mithin nicht eine mögliche Verhaltensweise des Lebenden neben andern, es ist die Tätigkeit, durch die es wahr ist. Hier wird die Welt als eine Ganze und nicht mehr in Entgegensetzung von Ich und Welt erkannt: »das φῶς ist auch in der Welt selbst, sie ist ganz«. Sie ist damit als vollgültige Reflexion des reinen Lebens selbst eingesehen. Die Vereinigung in dieser reinen Ganzheit wird nicht vom Wissen versperrt, sondern erschlossen, denn das Wissen räumt die falsche Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem aus. Die Religion vollzieht daraufhin die Vereinigung von Endlichem und Unendlichem, sie versöhnt die Gegensätze und verwirklicht so das wahrhafte Leben. Anders als auf dem Wege der Selbstunterscheidung in der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit ist religio nicht möglich. Der Glaube, der paulinischlutherischen Tradition gemäß die einzige Rechtfertigung des Menschen, verbleibt als ein unmittelbares Wissen von ›Vorhandenem‹ noch in die Endlichkeit verstrickt. Die wahre Rechtfertigung ist daher für Hegel die Erkenntnis 46
Zum Unterschied zwischen z und phs vgl. auch die erhellenden Bemerkungen bei Marcuse (1932: 231 ff.), der hier allerdings ein »Bewußtsein« am Werke sieht, das in die Einheit mit dem Sein geführt werde. Darin sieht er eine Bestätigung seiner These, wonach die »Ontologie« Hegels von einer »Gleichung« zwischen Sein und Bewußtsein »beherrscht« sei. Doch von einem Bewußtsein, das in Einheit mit der Wahrheit des Seins geführt wird, ist bei Hegel an dieser Stelle keine Rede. Tätig ist hier vielmehr das reine Denken, dieses ist Vernunft und nicht Bewußtsein.
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der Endlichkeit des Endlichen, nur durch sie vermittelt sich die Vereinigung mit der ewigen Gegenwart Gottes. »[I]n allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen« (TWA 1, 423) ist daher die Aufgabe der Philosophie. Die Philosophie, die diese Unterscheidung erbracht hat, ist folglich nicht mehr Philosophie. Sie unterscheidet sich darin von sich selbst und gehört jetzt der logischen Vergangenheit an. Sie ist aufgehoben in der denkenden Religion, die nicht als vorstellend und empfindend das endliche Leben gegenüber seinem Gott feststellt und verknechtet, sondern in der homoisis theou mit ihm vereinigt wird.
DIE WAHRHEIT IST QUELLE WISSENSCHAFT DER LOGIK
Die Aufgabe, die Endlichkeit des Endlichen zu erkennen, wird zum Ursprung einer Logik. Das ist überraschend, denn die Frühschriften zeigten zwar bereits, daß diese Aufgabe an ein Denken gerichtet ist, das auf dem Wege der Religion reines Denken werden mußte, doch was somit erfaßt werden sollte, war selbst inhaltlich bestimmter und Ursprung gebender »Quell«, Möglichkeit und Wirklichkeit von Endlichkeit in einem. Die Beschäftigung damit ist aber nicht Gegenstand von Logik, die nach tradierter Auffassung nur die Formen korrekten Denkens ohne dessen besondere Inhalte betrachtet. Eine Logik, die in der Nachfolge des religiösen Denkens steht und selbst Quelle ist, kann weder ein reines Verzeichnis von Begriffen des Verstehens und von Aussageweisen noch eine Lehre von der Anwendung solcher Begriffe sein. Beides würde nicht Quell sein: Das Verzeichnis gibt keine Entwicklung seiner Begriffe an, denn deren Einheit und Zusammenhang liegen außerhalb der Perspektive des Verzeichnens. Die Anwendungslehre schließlich macht einen Unterschied zwischen anwendungsbedürftigem, für sich unbedeutendem – weil inhaltsleerem – Begriff und dessen Anwendung, will heißen: rechtmäßiger Bedeutungsverleihung. Damit läßt sie ebenfalls Herkunft und Zusammenhang der Begriffe im Dunkeln und kann für die Bedeutungsverleihung nur entweder einen außerhalb liegenden Grund in einem Dritten oder überhaupt keinen Grund (ratio) angeben, – was sie zum Beispiel in der Schule des englischen Empirismus auch nicht beabsichtigt, da der Gebrauch selber Rechtfertigung sein soll. Begründete Notwendigkeit erstrebt sie nicht, denn sie scheint für den durch Gewohnheit gerechtfertigten erfolgreichen Gebrauch der Begriffe unbedeutend. An die Stelle der Frage nach dem Warum und dem Was des Begriffs tritt jene nach dem Wie.1 Zwar ist die Anwendungslehre der Versuch, die unentwickelten und ohne Notwendigkeit verzeichneten Begriffe in ihrem Funktionieren zu zeigen, sie auf diesem Weg mit Inhalt zu füllen und in Zusammenhang zu bringen. Die Trennung von Begriff und Gebrauch verhindert jedoch von vornherein die Selbstdurchsichtigkeit von Begriff und begriffsanwendender Vernunft und verwehrt die Durchsicht auf die Sache des Begriffs: 1
So kennt Hume keinen Grund mehr für die Wahrheit synthetischer Urteile und Begriffe (Kausalität), er zeigt nurmehr deren mögliche Richtigkeit aus ihrer Genesis in der Gewohnheit auf (Inquiry concerning Human Understanding, Section IV, Part II).
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Zum einen hat die Vernunft keine Macht über die Herkunft der Begriffe, sie sind ihr gegeben beziehungsweise vorausgesetzt, da die Vernunft nicht selbstmächtig ist. Zum anderen ist mit dieser Voraussetzung entschieden, daß die Begriffe selbst, da sie zunächst angewendet werden müssen, noch leer sind und (noch) keine Sicht geben. Als bestimmendes Verhältnis von Denken und Sein wird damit die Subjekt-Objekt-Beziehung vorausgesetzt, jede formale Logik verfährt derart. Sie ist in der Folge dadurch charakterisiert, daß ihre Methode dem Gegenstand des Denkens immer äußerlich ist. Den Zusammenhang von Wissensgehalten und Denkformen begründet die formale Logik nicht und sie sieht ihn auch nicht als begründungsbedürftig an. In der Vorrede zur zweiten Auflage der Seinslogik charakterisiert Hegel diese Auffassung von der logischen Wissenschaft: »die Bemühung mit derselben ist eine vorläufige Arbeit, ihr Ort die Schule, auf welche erst der Ernst des Lebens und die Tätigkeit für die wahrhaften Zwecke folgen soll. Im Leben geht es zum Gebrauch der Kategorien« (GW XXI, 13). Die Trennung von Erkenntnisform und -inhalt wirft zunächst die kritische Frage auf, ob und für was unsere Begriffe überhaupt taugen, so daß neben der Erforschung der Denkformen nach den Regeln des richtigen Gebrauchs gesucht wird, die gegenüber Sache und Begriff ein Drittes darstellen: Man treibt Erkenntnistheorie. Eine Theorie, die Quelle sein will, kann aber nicht von mehreren Begriffen ausgehen, deren Zusammenhang sich erst in der Anwendung erweist. Sie muß ihre Begriffe aus einem Prinzip entwickeln und dafür eine a priorische Notwendigkeit beanspruchen, andernfalls könnte ihr Begriff nicht in prinzipieller Bedeutung gelten. Wenn Kant in kritischer Absicht nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis fragt, dann hat er anwendungsbedürftige Begriffe als Element des Denkens im Blick. Damit aus diesem Begriff Erkenntnis »entspringt« (KrV, B 1), muß er von der unmittelbaren Anschauung des Gegebenen angestoßen und gefüllt werden, – weshalb bereits Jacobi am »Tiefdenker Kant« kritisierte, daß dieser Verstand, »obgleich ein zweyter Erkenntnißquell genannt, […] in Wahrheit keiner« ist (Jacobi 1976: Bd. II, 31). Von dieser Grundannahme über das Wesen der als Repräsentation aufgefaßten Erkenntnis aus fragt Kant nach deren Möglichkeitsbedingung. Zu deren Eingrenzung bestimmt er zunächst die Leistungsfähigkeit der Begriffe. Weil Kant im Unterschied zum Empirismus Humes nach einer allgemeinen Notwendigkeit des Wissens fragt, geschieht dies unter Absehung von allem vereinzelten Inhalt in einer formalen Logik, die Kant »allgemeine Logik« nennt, sowie in einer transzendentalen Logik, die nicht wie die allgemeine Logik von allem Inhalt der objektiven Erkenntnis, sondern lediglich vom empiri-
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schen Inhalt abstrahieren soll.2 Kant sieht erstere als bereits wohl entwickelt und im wesentlichen seit Aristoteles unverändert gültig an; die allgemeine Logik mit ihren Denkgesetzen, ausgehend vom Satz der Identität und des zu vermeidenden Widerspruchs, bedarf deshalb in Kants Augen, um ihre propädeutische Funktion im Hinblick auf die zu entwerfende transzendentale Logik zu erfüllen, keiner Kritik. Diese fordert erst Hegel und führt sie zugleich in der Bewegung der reinen Wesenheiten innerhalb der Lehre vom Wesen durch. Die Logik soll in Kants Worten als »Kanon« – als eingrenzendes Regularium – und nicht als »Organon« – als hervorbringendes Werkzeug – begriffen werden (KrV, B 74 ff.).3 Diese Entscheidung prägt das ganze System: Die Begriffe des Verstandes selbst sind nicht objektiv, sie sind nicht Grund, d. i. im vollen Sinne logoi oder rationes der von ihnen erfaßten Sachen.4 Deren Sein besteht hier in ihrem Gegebensein, die Begriffe aber »setzen« die allgemeine Form der Sachen für die erkennende Subjektivität,
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Aus dieser Perspektive kann daher gesagt werden, Hegel integriere die transzendentale Logik in die Wissenschaft der Logik, da beide nicht inhaltsfreie Logik sein sollen, dazu auch Iber (1990: 13 Anmerkung). 3 Kant bezieht damit Stellung in dem alten Streit darüber, ob die Logik einen eigenen Gegenstand hat und scientia ist, oder vom vorbereitenden Charakter einer ars ist, die erst auf einen gegebenen Gegenstand angewendet werden muß. Vgl. zur Herausstellung dieser Alternative Alexander von Aphrodisias In Aristotelis Analyticorum Priorum I, 9–11 (1883: 1), der die Frage behandelt, ob Logik neben theoretischem und praktischem einen dritten, eigenständigen »Teil« der Philosophie bildet oder lediglich als deren Instrumentarium fungiert. Für die Stellung als ars spricht auch, daß Logik zunächst logik texn, mithin eine Kunstfertigkeit ist. Die Stellung Kants erinnert an Cicero, Tusculum III, 1–6, wo die Philosophie insgesamt als »medicina animi« bezeichnet wird, die dazu dient, die von den Dichtern und dem »Lehrmeister Volk« verbreiteten Irrtümer auszuräumen und die verstellte Natur der Dinge wieder klar erscheinen zu lassen. – Auch Hegel nimmt im »Vorbegriff« zu seiner Logik-Vorlesung aus dem Jahr 1817 direkten Bezug auf diese Fragestellung und nennt sechs Punkte zur Verortung der logischen Wissenschaft: »1. daß sie die Wissenschaft des Denkens, seiner Bestimmungen und Gesetze überhaupt ist, 2. Einleitung in die Philosophie als die Grundlage der realen Wissenschaften derselben wie alle[r] Wissenschaften, allein 3. nicht ein Philosophieren außerhalb der Philosophie, sondern Teil derselben, nämlich der allgemeine, aber eben darum 4. nicht ein Teil, sondern die allgemeine und immanente Seele und das Resultat der ganzen Wissenschaft und 5. als Wissenschaft der konkreten Allgemeinheit des Begriffs und der Idee: spekulative Wissenschaft, 6. als die höchste spekulative Wissenschaft die spekulative Theologie.« (GV XI, 8) Die in der Logik verkörperte Methode hat also nicht mehr instrumentalen Charakter, sondern sie ist Sache einer eigenen Wissenschaft, diese kann die Erste genannt werden, weil sie mit den Gründen und Anfängen aller übrigen Wissenschaften zuerst ihre eigenen zur Sprache bringt (vgl. Scheier 1993: 1). 4 In diesem Sinne verwendet Hegel den Begriff logos in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Lehre vom Sein (GW XXI, 17).
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sie erzeugen kein Gegebensein.5 Die Begriffe sind reine Verstandesbegriffe; zum Erweis der Gültigkeit der wesensdefinierenden Begriffe muß das Sein erst hinzukommen. Dieses ist hier eine absolute – im Sinne von völlig losgelöster – Voraussetzung, auf deren Setzungscharakter aber nicht reflektiert wird: Das Sein ist logisch unvordenklich, oder einfacher: Sein ist nicht logisch. Aus der Entwicklung des Begriffs in der Hegelschen Logik werden wir zu der Einschätzung kommen, daß damit das Wesen beziehungsweise der Begriff unterschätzt und das Sein überschätzt werden. In den logoi, die nicht von ihrer Sache getrennt sind, wird das Sein in einem noch zu erläuternden Sinne als Moment ›enthalten‹6 und gesetzt sein, sie erzeugen damit zum einen ihr eigenes Sich-selber-Gegebensein und zum anderen die immanente und zugleich seine Vereinzelung übersteigende Gründung des Seienden. Dieses Gegebensein ist dann freilich nicht mehr das vermeintlich unvordenkliche, auf das auch dort, wo es unvordenklich sein soll, ständig Bezug genommen wird, da es doch unseren Begriffen affin sein soll. Weil die Begriffe nach Kant keine Macht zur Objektivierung besitzen und nicht »Organon« sind, sind sie letztlich selber gegenständlich, sie werden aufgefunden: Für Gegenstände gilt, daß der Grund ihrer Einheit nicht in ihnen selbst liegt. Der sächliche Gegenstand denkt sich nicht selber, er hat also keinen Begriff von sich selbst. Daher wird er zweifach zur Einheit synthetisiert, erstens – formal/ a priorisch – durch das von der Einheit der Apperzeption her an ihn herantretende »Ich denke«, das die gegebenen Anschauungen vereint und sich so den Gegenstand vorstellt (repräsentiert) und zweitens indem er – empirisch – von der techn innerhalb der Möglichkeiten des Materials beliebig geformt wird. Auch die formalen Begriffe des Verstandes stellen nicht ihre eigene Einheit dar und müssen deshalb gegenständlich genannt werden. Ihre Einheit liegt in der von ihnen nicht faßbaren transzendentalen Apperzeption, dem ursprünglich synthetisierenden »Ich denke«. Die äußerliche Formalität der Begriffe des Denkens liegt also nicht nur an ihrer empirischen Bedingtheit, ihrer Abhängigkeit vom »rohen Stoff sinnlicher Eindrücke« (KrV, B 1), sondern ebenso sehr daran, daß das Ich denke unerkennbar ist, denn die Formen des Ich denke sind dem Denken selbst äußerlich, insofern es in ihnen nicht sich selbst erkennen kann (vgl. Uehlein 1976: 105 ff. und
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Auf die Quelle dieser Denkungsart, die ursprüngliche Trennung von Ich und Welt bei Descartes, wird hier S. 221 ff. eingegangen. 6 Die falschen Vorstellungen, die mit solch einer Redeweise transportiert werden, sollen zumindest durch die einfachen Anführungszeichen abgehalten werden. Der Begriff ist kein Behälter, der unterschiedliche Elemente enthält, weshalb man ihn zur Erforschung analysiert und in seine Bestandteile zerlegen kann.
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Eley 1976: 24). Die gegenständlichen Begriffe gewähren Erkenntnis nur von dem, was ebenfalls gegenständlich vorliegt, nämlich von unbewegt, d. h. vereinzelt und zusammenhanglos Vorliegendem, das zuerst durch den hinzutretenden Verstand geeint werden muß. Was hingegen selber selbstbewegte Einheit ist (wie das Lebendige), ist nicht Gegenstand dieses Begriffs. Dieser begreift nichts was ihm nicht in der sinnlichen Anschauung gegeben wäre. Die reinen Verstandesbegriffe sind logische Funktionen (KrV, B 95). Kant sagt: »Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen.« (KrV, B 93) Die Bestimmung des Begriffs als Funktion verlangt hier, daß der ergänzungsbedürftige Sinn des Begriffs durch ein Anderes ergänzt (auf es angewendet) werden kann, das selber nicht weiter ergänzungsbedürftig ist (beispielsweise die Bestimmung »ist kein Staat mehr« muß durch den Namen »Deutschland« ergänzt werden). Weil sie selbst ohne Inhalt sind, sind die Begriffe der kantischen Kategorienlehre wahrheitsindifferent, ihre Trefflichkeit entscheidet sich je nach Anwendungsfall. Der funktionale Begriff bezieht sich auf Gegenstände und ist, wie die transzendentale Analytik der Kritik der reinen Vernunft zeigt, Bedingung der Möglichkeit von Gegenständen, aber nicht selber schon gegenstandskonstituierend, denn zum nicht nur durch dialektischen Schein bestehenden Gegenstand muß noch das Sein, das empirische Datum, hinzukommen. Der reine Verstandesbegriff ist lediglich nicht dem immer vergänglichen Jetzt und Dort der Erscheinung unterworfen, er ist eine Formalität. Er vereint die (raum-zeitliche) Synthesis, welche die Einbildungskraft zuvor aus den vereinzelten Sinnesdaten geformt hat, zum Begriff. Durch diese transzendentale Vereinigungsleistung wird der gegebene Gegenstand kategorial erfaßbar, nun kann das Denken ihn gemäß der Begriffe beurteilen. Die Einheit ist für Kant der aus der Zusammenwirkung der Teile (Synthesis der Einbildungskraft) hervorgehende Begriff. Dieser Begriff ist ein nicht als Grund der Sache verstandenes »Analytisch-Allgemeines«7, das 7
Im Zuge einer umfassenden Analyse des Verhältnisses zwischen Kants Transzendentalphilosophie und Hegel wird man auch jene Schlüsse Kants bedenken müssen, die er nach seinem erkenntnistheoretischen Rigorismus gar nicht hätte ziehen dürfen, und die in ihrer Sprengkraft natürlich Hegels besonderes Interesse finden. So unterscheidet Hegel eine exoterische Philosophie Kants (GW XI, 5) und kennt entsprechend auch deren ›esoterische‹ Seite. Im Wechselverhältnis von erkenntnistheoretischer Tätigkeit des erkennenden Ich und metaphysischer Konstituierung des Erkennbaren liegt überhaupt das Schillernde der Kantischen Philosophie. Vgl. etwa Kants Feststellung, wonach als Ergebnis der transzendentalen Dialektik die spekulative Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauch der Kategorien des Endlichen »an sich dialektisch« (KrV, B 805) sei. Solch eine spekulative Erkenntnis über ein Ding an sich (wie die menschliche Vernunft an sich beschaffen sei) soll ja eigentlich nicht möglich sein. Indem hier eine – in Hegels
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Denken der Begriffe selbst ist nicht synthetisch (KrV, A 76–79)58. Auf diesem Wege gibt es kein Erkennen von Entwicklung und Lebendigem, wo in der umgekehrten Richtung Teile als Produkte einer konkreten Einheit gedacht werden müssen. Das Analytisch-Allgemeine ist nur nachlaufend zu erfassen, es setzt zuvor Gegebenes zusammen, ist selber aber keine »bildende Kraft« (KdU § 65) und begreift sie auch nicht: Da es selbst ohne Inhalt ist, kann es auch keinen herausgeben beziehungsweise produzieren. Der Verstand versteht angesichts von Lebendigem nur, daß es etwas geben muß, das »Kraft« genannt wird, nicht aber, was diese ist.9 Er verbleibt bei der Voraussetzung Worten – positiv-vernünftige Erkenntnis (Enz. (1830) § 82) das Ergebnis der dialektischen Vernunftkritik ist, rücken Kant und Hegel in unerwartete Nähe. Darauf weist Wolff (1996: 233 f.) hin, der anhand der enzyklopädischen »Einteilung der Logik« (Enz. (1830) §§ 79–82) en détail Hegels Aneignung und Umwandlung der kantischen Organisation der logischen Wissenschaft analysiert. Beispielsweise ist die Einheit auch für Kant nicht nur Produkt ihrer Teile. Vielmehr wird diese Einheit zur Begreifbarkeit der Welt auch vorausgesetzt werden müssen und ist als diese Voraussetzung »eben so, als wenn es nothwendig wäre« (vgl. Kant 1964: 266). Dies läßt Kant in der Kritik der Urteilskraft und in den Vorlesungen über die Metaphysik anklingen. Im Zusammenhang dieser im Vergleich zur Lehre der Kritik der reinen Vernunft veränderten Stellung der Ideen, die sie nicht mehr lediglich als ›Als-ob‹-Annahme erscheinen läßt, sondern als abschließende und gründende Gewißheit, steht Henrichs ›Konstellationenforschung‹ (zuletzt 2004: insbesondere 1474 ff.). Aus der Problemkonstellation in der Philosophie Kants verdeutlicht er darin die Ausgangsbedingungen des Deutschen Idealismus. Er spricht hier von einer in Kants Moraltheologie angelegten »Umwendung« (2004: 1519): Kant geht aus von der Konzeption eines rein entwerfenden Subjekts, das auch noch seine Abschlußgedanken im skeptischen Status von ›Als-ob‹Annahmen beläßt, deren Realität nicht kenntlich ist. In seiner »zweiten Moraltheologie« tendiere Kant dann (in der Folge der zweiten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft) zu einer Selbstinterpretation des sittlichen Subjekts, die von der moralischen Weltordnung ausgeht, die ihm vorausgeht und die es einbegreift. »Die Umwendung geschieht nicht zu dem hin, was dem Entwurf als negatives Korrelat konträr entgegengesetzt ist, nämlich zu einer Wirklichkeit, die wesentlich unabhängig von jeglichem Denken und Entwerfen ist. Die Verwendung [ein Druckfehler; es muß hier heißen: Umwendung, d.V.] hat vielmehr eine Synthesis dieser beiden Korrelate zum Resultat.« (1526) Kant selber hat freilich diese Umwendung seines Denkens nicht mehr klar formuliert. Mit ihr setzten sich die nachkantischen Denker auseinander, weshalb bei ihnen kaum zu entscheiden ist, inwieweit sie nun Kantianer sind oder sein System ganz verlassen. – Hegels Absicht, »das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken« (GW IX, 18), bewegt sich in der durch die Umwendung der Vernunft angezeigten Bahn und will die erwähnte Synthese herbeiführen. 8 In der zweiten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft argumentiert Kant anders. Dort ist es nicht die Synthesis der Einbildungskraft, die verschiedene Vorstellungen in einer Repräsentation versammelt, die der Vereinigungsleistung des Verstandes vorangeht (wie in A), sondern hier wird die begriffliche Einheit zur Bedingung der Synthesis; dazu Burbidge (2004: 132 f.) und (2006: 20 ff.). 9 Vgl. KdU §§ 76 und 77, hier B 348: »Unser Verstand hat also das Eigene für die
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der Einheit des Ganzen, deren Notwendigkeit, die Plotin trotz der wesensmäßigen Unkennbarkeit (vgl. Enneade III 8, 9) noch kennt, ihm aber im »als ob« untergegangen ist. – Angesichts der hier angelegten Trennung von Sache und Begriff, Ding und Denken, muß es für Kant zur letzten Schwierigkeit seines Systems werden, wie es einen Zusammenhang von Weltwirklichkeit und Vernunft, von Natur und Freiheit geben kann. Daher seine Frage, wie reine Vernunft praktisch werden kann. Kants Wort von der »Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d. i. der Logik« (KrV, B 76) macht deutlich, daß der Titel der Hegelschen Logik einem Zitat entspringt. Doch in Kants Verständnis verzeichnet die Logik hier die Möglichkeitsbedingungen der repräsentierenden Erkenntnis und zeigt so, wie endliche Gegenstände erkannt werden, – wenn sie gegeben sind. Die Wissenschaft der Verstandesregeln ist endliche Erkenntnis; Erkenntnis der Endlichkeit des Endlichen ist nicht ihre Sache. Die Sachen und ihre Begriffe sind geschieden, weil das inhaltsvolle Einzelne und das formale Allgemeine geschieden sind. Das gilt auch noch für die transzendentale Logik, die nicht lediglich den Gebrauch des Allgemeinen, sondern dieses selbst verstehen will: Betrachtet die formale Logik (des allgemeinen Verstandesgebrauchs) die Gegenstände ohne Unterschied, so geht es der transzendentalen Logik (des besonderen Verstandesgebrauchs) um »Gegenstände überhaupt« (KrV, B 81), also um die Konstitutionsbedingungen des allgemeinen Gegenstand-Seins.10 Doch unter der Maßgabe der Hinordnung auf ihr Gegeben-
Urteilskraft, daß im Erkenntnis durch denselben durch das Allgemeine das Besondere nicht bestimmt wird, und dieses also von jenem allein nicht abgeleitet werden kann«. Allenfalls ein »intellectus archetypus« (B 350) vermöchte das zu verstehen. Was dieser allerdings verstünde, wäre eine erweiterte gegenständliche Erkenntnis, zu der auch die lebendigen Naturdinge gehörten, deren Gestaltung aus einer allgemeinen Idee in Analogie zum menschlichen Handwerker verstanden wird, der beispielsweise verschiedene Holzteile nach seinem Plan zu einem Möbel zusammensetzt. Begriff und Verwirklichung sind so immer noch einer Anwendungsvermittlung bedürftig, die Kant nicht klärt. Erkenntnis bleibt mithin auf die mechanische Natur beschränkt. 10 In der Zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik von 1831 schreibt Hegel, daß das, was er objektive Logik nenne, »zum Teil« dem entspreche, was Kant transzendentale Logik genannt habe (GW XXI, 46 f.). Diese teilweise Übereinstimmung liegt darin, daß es insbesondere der Seinslogik darum geht, »Sein« als ganz arme Bestimmung bloßen Gegebenseins zu zeigen. Daß dieser Gedanke freilich nur einen Teil der Logik darstellt, während er bei Kant die ganze Kritik trägt, macht den grundlegenden Unterschied aus, weshalb Hegel – entgegen der Ansicht beispielsweise von Hösle (1998: 52) – keine transzendentale Logik schreibt, zumal Gegebensein bei Kant rezeptiv-sinnliche Anwesenheit in und für die Anschauungsformen bedeutet, während es bei Hegel zum rein logischen Vorausgesetztsein wird, das weder rezeptiv noch sinnlich gegeben, sondern gänzlich vom Begriff vermittelt ist.
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sein bleibt die Durchsichtigkeit des Allgemeinen leer. Deshalb schließt Kant innerhalb der Logik die Frage »Was ist Wahrheit?« aus, da sie hier fehl am Platz sei. Zwar nennt er die transzendentale Logik »Logik der Wahrheit« (KrV, B 87 und 170)11, das bedeutet aber nicht, daß hier Wahrheit und Wahrsein als solche thematisiert würden. Erläutert wird vielmehr die Bedingung der Möglichkeit der Übereinstimmung von Erkenntnis und Gegenstand, d. i. die »transzendentale Wahrheit« (KrV, B 185) der Beziehung der erkenntniskonstitutiven Begriffe auf das Gegebene. Eine wahre Erkenntnis ist immer richtiges Erkennen der Ursachen von bestimmten Folgen. Da diese aber immer Besondere sind, könne es gar kein »allgemeines Kennzeichen der Wahrheit« (KrV, B 83) geben. Die Allgemeinheit abstrahiere ja gerade von allem Inhalt der Erkenntnis, auf den die Wahrheit aber gehe; als einzig mögliches, formales Kriterium der Wahrheit gibt Kant folglich an, daß sie den »Regeln des Verstandes« nicht widerspricht, daß sie mithin überhaupt sich nicht widerspricht. Wahrheit, die in der Entsprechung von Begriff und Gegenstand liegt, hat auf den Begriff (oder den Gegenstand) allein gewendet keinen Ort. Aus der Frage »Was ist Wahrheit?« wird bei Kant die Frage »Was ist ein Kriterium der Wahrheit?«. Darin liegt die konsequente Durchführung des transzendentalen Ansatzes, der nach den Möglichkeitsbedingungen, nicht aber nach der Wahrheit des solcherart Ermöglichten fragt. Denn für Kant steht außerhalb seiner Eingrenzung weder der Erkenntnisbegriff noch die Wahrheit selbst in Frage. Im »Vorbericht« zum zweiten Band der Logik, der Lehre vom Begriff, führt Hegel eben die Frage »Was ist Wahrheit?«, die Kant aus der Logik ausschloß, als Movens der Logik an. Hegel spricht davon, daß diese Frage dem Inhalt nach den gleichen Sinn habe wie die Frage der Religion nach dem »Wert«
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Zum Wahrheitsproblem bei Kant vgl. Prauss (1969), demzufolge die Wahrheitsfrage unterscheidendes Merkmal von formaler und transzendentaler Logik ist, da letztere die Bedingung der Möglichkeit des Wahrseins von Urteilen (d. i. die Beziehung der Begriffe auf Erfahrung) untersuche, während erstere die Antwort (Wahrheit sei Übereinstimmung von Erkenntnis und Gegenstand) auf die Frage als »geschenkt und vorausgesetzt« (KrV, B 82) ansehe. Doch bleibt es dabei, daß auch die transzendentale Logik, indem sie nach der Möglichkeitsbedingung fragt, den Wahrheitsbegriff selbst voraussetzt. Im Übrigen wird angesichts dieser »Namenerklärung der Wahrheit« eigentlich gar nicht von Übereinstimmung zweier miteinander gesprochen, sondern nur von der Abbildung des einen (des Gegenstandes) durch das andere (den Begriff ) mittels bestimmter Merkmale. »[D]a zur Übereinstimmung wesentlich zwei gehören« (GW XII, 27), kann sie nicht bloß Abbildung des fixen Einen durch das Andere sein, sondern sie muß als gegenseitiges Übereinstimmen hervorgebracht sein. Diese wahre Übereinstimmung ist aber keine Übereinstimmung von Einem und einem Anderen, sondern Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst, wie hier S. 125 ff. gezeigt wird.
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der Dinge (GW XII, 6). Wo die Religion – im Zuge von Schleiermachers Reden »Über die Religion« – wieder Konjunktur bekommen habe, da könne auch die Philosophie wieder den Mut zu ihrer eigenen Sache finden und sich über die ironische Herablassung, die Pilatus mit dieser Frage verband, erheben.12 Welchen Inhalts ist der gleiche Sinn der Fragen nach Wert und Wahrheit? Die Religion bemißt den Wert der Werke und Dinge nach deren Heilsdienlichkeit. Das Heil besteht in der vollkommenen, zeitlosen Gegenwart, die frei von allem Bedürfnis und der daraus entstehenden Unruhe im Verlangen nach Befriedigung und Sicherung ist. Darin sieht das Christentum das »ewige Leben« (Joh 17, 3; vgl. auch Augustinus, In Johannem Ev. Tractatum III, 20). Es faßt diese Gegenwart im Bilde der vollendeten visio beatifica: In der Schau Gottes »von Angesicht zu Angesicht« (1 Kor 13, 12) sieht der Selige Gott »wie er ist« (1 Joh 3, 2). So kann es angesichts des Heils nicht um ein Mehr oder Weniger an Wert gehen, da es keine näherungsweise Schau von Angesicht zu Angesicht gibt; entweder wird geschaut »wie er ist« oder nicht. Hinsichtlich dieses Wertes kann nicht »Wieviel?«, sondern nur »Ob?« gefragt werden. Der Wert ist damit Sache einer Entscheidung. Das macht die 12
Daß Hegel hier den Richter Pilatus und den Kritiker Kant zueinandergesellt, gehört zu seiner ebenso subtilen wie polemischen Weise, Kritik an den Positionen der Philosophiegeschichte zu üben. – Die Frage nach der Bestimmung der Wahrheit an und für sich scheint ebenso wie sie Hegel an der Zeit sah auch mit seiner Zeit wieder vergangen zu sein. Da der Verlust dieser Frage Gegenstand einer eigenen Studie wäre, begnüge ich mich mit der Andeutung darauf, daß die Wahrheit nach Hegel nicht mehr in ihrer Geltung bedacht, sondern nach ihrem Nutzen befragt wird. So betrachtet Kierkegaard die begrifflich vermittelte Wahrheit angesichts der Probleme der Existenz des Einzelnen als wertlos. Marx fragt nach dem Nutzen für die Gesellschaft. Für Nietzsche schließlich ist die Wahrheit Metapher und Funktion der Erhaltung und Intensivierung des menschlichen Lebens, – die Wahrheit hat hier einen Grund, sie ist nicht selbst einer. Die Wahrheit wird angesichts des Relativismus auf die selbstische Existenz und des Skeptizismus gegenüber bestimmender Macht anrüchig. Im 20. Jahrhundert will die sprachanalytische Philosophie eine Bestimmung der Wahrheit als solcher vollends ad acta legen: Der Metaphysiker bringe Sätze hervor, die den Kriterien wissenschaftlich bedeutungsvoller Sätze nicht genügten (Ayer 1946: 34), denn sie beziehen sich nicht auf vorliegende Tatsachen. So gibt es auch nichts über Wahrheit als solche zu sagen, sondern nur über die richtige Anwendung eines Wahrheitskriteriums. Einzige Aufgabe der Philosophie sei es daher, empirische Propositionen zu erläutern und zu klären (52). Wahr ist hier nur die bloße Faktizität und die Übereinstimmung damit, während sich die Metaphysik, »duped by grammar« (45), dazu verführen lasse, Scheinprobleme wie das der Substanz (und so müßte man konsequent ergänzen: des Subjekts) zu besprechen. – Hegel hat die von der analytischen Philosophie in Anspruch genommenen Voraussetzungen, vor allem die positivistische Faktizitätsbehauptung (in der Lehre vom Sein) und das darauf fußende Verifikationskriterium der Übereinstimmung (in der Analyse von Genese und Wesen des Urteils innerhalb der Lehre vom Begriff ), gewissermaßen vorlaufend kritisiert.
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Wert-Frage zur Glaubensfrage, weil ihre Beantwortung von der Zustimmung zur Selbstmitteilung Gottes abhängt. Dadurch wird entschieden, ob Werke und Dinge überhaupt in einen Heilszusammenhang gestellt werden oder nicht. Darin kann die Gleichheit zur philosophischen Frage nach der Wahrheit nicht liegen, denn diese ist nicht von der Zustimmung abhängig, sondern sie kommt mit der zunächst nahebringenden/überzeugenden (Parmenides, B 1, 29) und später zwingenden Macht der Notwendigkeit. Angesichts dieser gibt es in der Philosophie – wie im Denken überhaupt – keinen Ort für die Entscheidung. Doch dieser Unterschied betrifft die Form von Religion und Philosophie. Der gleiche Sinn des Inhalts liegt in der von beiden Fragen angezielten Gegenwart im Heil der Religion beziehungsweise im Wissen der Philosophie. Beider Gegenwart kann nicht eine erst in der Zukunft herankommende sein, sondern sie muß konsequenterweise schon im jeweiligen Jetzt, in der Zeit wirksam sein, da sie ja das ist, was ist und absolute Geltung besitzt. Der gemeinsame Inhalt der Frage nach dem Wert und nach dem Wissen ist diese absolute Geltung, die sich durchsetzt und darstellt. Der Glaube kennt diese Gegenwart in der Hoffnung auf eine Zukunft (vgl. 1 Joh 3, 2). Durch diese Hoffnung wird in der Verheißung des Heils sowie in der Gabe des Geistes bereits das jeweilige Jetzt verwandelt, dies hat seinen Ausdruck in Ritus und Versenkung. Durch die Hoffnung ist der Gläubige bereits in seiner endlichen irdischen Gegenwart »selig« (Augustinus, De civitate XIX, 20).13 In Hegels Manuskript zum Begriff der Religion heißt es vom »religiösen Standpunkt« (Hegel 1993: 130 f.), daß in ihm der »unendliche Reichtum des ganzen Stoffs des Universums […] enthalten […], daß er die absolute wahrheit dieses Reichtums sei – daß derselbe nur auf diesem Standpunkt sei, wie er an und für sich ist, und alle anderen Weisen der Existenz desselben vergänglich, äußerlich, erscheinend, unwahr, kümmerlich, sich widersprechend, sich zerstörend seien, so daß der Geist auf keiner dieser Stufen stehenbleib en, sich ha lten kann.«
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Inhalt der Religion ist mithin nicht der Glaube an irgendwelche Fakten. »Ob bei der Hochzeit von Kana die Gäste mehr Wein bekamen oder nicht, das ist etwas ganz Gleichgültiges – ein Inhalt der ganz unbedeutend ist, und ebenso zufällig, ob jenem Menschen die verdorrte Hand geheilt wurde. Es ist einem Menschen wohl zu gönnen, wenn einer eine unbeschädigte Hand hat, aber es ist etwas Gleichgültiges, denn Millionen Menschen gehen mit verdorrten und verkrüppelten Gliedern umher, denen niemand sie heilt.« (Hegel 1993: 239) Vielmehr geht es um Anerkennung (die zunächst »dunkles Anerkennen« (295) ist) der eigenen Endlichkeit und der Gründung der Existenz in Gottes unendlicher Liebe; vgl. hierzu treffend und kurz Houlgate (1991: 181 ff.).
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Religion ist darüberhinaus nicht nur möglich, sondern ihrem »gehalt« (131) nach sogar notwendig: Ihr Inhalt ist das Wahre, die Endlichkeit des Endlichen und die Scheinhaftigkeit des Scheins. Nicht irgendeine bestimmte Aussage über Gott besitzt also Notwendigkeit, sondern die Notwendigkeit des religiösen Standpunktes ist nichts als die »Notwendigkeit der Welt […], ihre Endlichkeit aufzuheben« (134). Das religiöse Wahre ist aber nicht nur der Untergang des Endlichen, es ist keine Identität ohne Formbestimmtheit, wie Hegel Spinoza und Schelling kritisierend ausführt. Der Friede, den solch eine Religion erbrächte, wäre bloß Friedhofsruhe. Die Wahrheit und »Befriedigung« (131) des religiösen Standpunktes kann nicht die bloße Auflösung seiner sein, sondern sie muß die Möglichkeit und Wahrhaftigkeit des Standpunktes selbst klären. Die Endlichkeit welthaften Seins zu erfassen heißt, es selbst zu verfolgen: »Wir folgen dem Gegenstande, wie er zur Quelle seiner Wahrheit für sich selbst zurückgeht.« (133) Die Quelle kann nicht der Orkus (das »leere Negative«) sein, in dem Standpunkt und Gegenstand bloß verschwinden, sondern sie muß Ort des wahrhaften, das heißt in der Wahrheit festgehaltenen, Hervorgangs sein. An diesem Ort hat der religiöse Standpunkt wahrhaften Frieden, so daß »Religiosität […] sein wahrhaftes Leben« (131) ist; aus ihm heraus gewinnt das Subjekt Bewegungsfreiheit und weiß sich gerechtfertigt. Der konkreten Entwicklung zur und von der Quelle braucht der religiöse Standpunkt aber nicht zu folgen. Da es ihm um subjektive Befriedigung geht (eben diejenige eines Standpunktes), reicht hier das Bewußtsein (die »Vorstellung«) davon, daß Gott in Liebe seinen Sohn gezeugt und ihn in seiner Liebe behalten hat. ›Reichen‹ bedeutet hierbei nicht irgendeine intellektuelle Bescheidenheit, aufgrund derer das Subjekt nicht weiter fragt, sondern es bedeutet, daß dieses Bewußtsein bereits – darin der Hoffnung wesensverwandt – seine Wirkung entfaltet. Für das Wissen der Philosophie fordert die wirkmächtige Gegenwart die völlige Durchsichtigkeit der Wahrheit, denn was in der Weise der uneinsehbaren Voraussetzung oder eines uneinholbaren Ziels des Erkennens verborgen bleibt, kann nicht von wirkmächtiger Gegenwart sein. Es stünde außerhalb der für die systematische Wissenschaft unabdingbaren Notwendigkeit in der Vermittlung. Dann bliebe ein Wissen, das nicht auf Wahrheit gegründet werden kann, sondern das lediglich den schillernden Status der Meinung einnimmt, die so aber auch anders sein kann.14 Aus der Selbigkeit des Inhalts
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Daß für Hegel auch die praesuppositio absoluta eines absolut transzendenten Einen nur Meinung darstellt, weil in ihr keine Notwendigkeit der Vermittlung gedacht wird, kann freilich nicht angenommen werden. Schließlich ist die nicht-notwendige Vermittlung dieses evidenten Einen mit dem Endlichen dennoch als Vermittlung gedacht, jedoch
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ist mithin nicht zu folgern, daß erst »religiöse Erfahrung« (so Eley 1976: 18) den absoluten Begriff inhaltlich fülle. In diesem Falle würde Religion Bedingung der Philosophie, womit letzterer die Transparenz verschlossen bliebe, die Hegel ihr im Zuge der inhaltlichen Verwandtschaft von Religion und Philosophie gerade zuspricht. Die Philosophie ist vielmehr »der Gang der konkreten Entwicklung« (Hegel 1993: 139), den der religiöse Standpunkt nicht zu kennen braucht, wenngleich auch er ihn geht. Diesen Gang will die Philosophie von Anfang bis Ende durchdringen. Daher betrachtet sie den Gegenstand, das Wahre (Kapitel 1), dessen Bewegungsweise, den Gang (Kapitel 2) und schließlich das Wozu, den Zweck (Kapitel 3). So gibt sie dem Inhalt des sich selbst gleichen Wahren, den sie mit der Religion gemeinsam hat, die ihm angemessene Form im reinen, logischen Gedanken. Die Wissenschaft der Logik zeigt sich damit als Erfüllung der Aufgaben, die Hegel in der Differenzschrift formuliert: »Die Aufgabe der Philosophie besteht […] darin, […] das Sein in das Nichtsein – als Werden, die Entzweiung in das Absolute – als seine Erscheinung, das Endliche in das Unendliche – als Leben zu setzen.« (GW IV, 16) Diese Aufgabenstellung entfaltet die frühere Formulierung, wonach es gilt in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, indem sie die verschiedenen Weisen des Gegensatzes expliziert, die allesamt auf dem Festhalten der Endlichkeit aufbauen (statt sie enden zu lassen). Die Formulierung nimmt die Gliederung der Wissenschaft der Logik vorweg, deren drei Sphären Sein, Wesen und Begriff eben jene synthetischen Begriffe Werden, Erscheinung und Leben zu ihrem Zentrum haben. Kant schloß die vollkommene Durchsichtigkeit für das Erkennen aus. Konsequenterweise wandelt sich dieses Erkennen nach Kant, wenn es sich über Anfang und Ende ausspricht, in gleichermaßen (un-)berechtigtes, einander widersprechendes Meinen (»Logik des Scheins« KrV, B 86). Doch Kant eröffnet der Vernunft ihre Transparenz in ihrem Sich-selbst-Bestimmen durch die praktische Idee der Freiheit, die der theoretischen Vernunft nicht zu eigen ist.15 Wenn die Logik die Transparenz der Wahrheit als Sache von Denken und Begriff leisten soll, so möchte man nach deren Gegenstand fragen. Schließlich können auch ›transparente Begriffe‹ nicht anwendungslos sein, andernfalls wären sie leer und sinnlos. Kant zeigte jedoch, daß das gegenständliche Erkennen nicht letzthin selbstbestimmt sein kann, da es auf
nicht aus einer Notwendigkeit, sondern aus der Überfülle, d. i. aus der Güte des Einen heraus. 15 Vgl. hierzu Boeder (1980: 453 f.). Die Frage nach der Gegenwart von Wissen und Wahrheit liegt auch Hegels Polemik gegen Kant in der Einleitung zur Phänomenologie zugrunde (GW IX, 53).
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ein Gegebenes angewiesen ist. Bei einer Beantwortung der Frage »Was ist Wahrheit?« muß die Frage nach der Anwendung beibehalten, die nach einem Gegenstand aber zurückgestellt werden. Die Logik, die hierauf antwortet, ist nicht inhaltsleer; zwar ist sie weder Kanon noch Organon, das irgendwelche entia rationis hervorbrächte, aber es gibt von ihr selbst eine Wissenschaft, und das heißt bei Hegel, daß sie selbst System ist und nicht erst von einem Anderen geeint oder erfüllt wird. Die Logik ist selbst in Einheit als geeinte Gegenwart. Diese Einheit ist nicht lediglich Form, sondern als Selbstbestimmung – die Begriffe stellen ihre Bedeutung an ihnen selbst dar – auch ihr Inhalt, nämlich Freiheit. Im Schlußteil der Wissenschaft der Logik, in der Lehre vom Begriff, bezeichnet Hegel diese Einheit als Idee, die in den drei Gestalten Leben, Erkennen (zweifach als Wahres und als Gutes) und schließlich als absolute Idee bedacht wird. Bereits die Integration der Lehre vom Begriff in die Logik ist erstaunlich: Verstehen wir den Begriff aus der platonisch-aristotelischen Tradition heraus als logos ts ousias, so erschöpft sich dieser logos nicht in einer formellen Analyse der möglichen Funktions- und Verbindungsweisen des Wortes beziehungsweise des Aussagesatzes; der logos stellt vielmehr die Definition des wesentlichen Was-Seins einer Sache dar. Er sagt, was zu ihr hinzugehört und was nicht, so gibt die Definition den Inhalt des Definiendum an, der logos ist selbst dieser Inhalt. Demzufolge würden wir im Begriff eher einen Gegenstand der Ontologie als der Lehre vom Seienden als Seiendes vermuten, ihn aber nicht als Teil einer Wissenschaft der allgemeinsten Form begreifen. Doch hierbei bleibt es nicht, denn die Ontologie setzte dann allerdings voraus, daß eine Aussage überhaupt fähig ist, das wesentliche Was-Sein einer Sache zu erfassen. Der Begriff scheint somit zuvor ein Thema der Erkenntnistheorie sein zu müssen, da wir durch ihn ein Jedes erkennen16; daß auch hiermit wiederum eine Voraussetzung gemacht wird, nämlich diejenige einer Trennung von Form und Inhalt der Erkenntnis, d. i. von Erkennen und Sein, wurde bereits erwähnt. Zwei Einwände gegen die ›Logizität‹ des Begriffs muß Hegel also ausräumen, um die Behandlung des Begriffs in der Logik zu rechtfertigen. Zum einen denjenigen, wonach der Begriff, weil er ein das Seiende inhaltlich bestimmender Begriff ist, nicht zugleich logisch-allgemeiner Natur sein könne. Zum anderen den Einwand, daß ein formaler, vom Sein getrennter, jedoch auf dieses gerichteter Begriff
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Dabei ist zu verweisen auf Aristoteles’ Analytica posteriora 90b 16: ho horismos [d. i. die Definition, der Begriff ] ousias tinos gnrismos und hekaston men gnrizomen dia tn horismn (Metaphysik III 3, 998b 5). Der Verweis und wichtige Hinweise zur Problematik von Definition und Begriff sind Picht (1985: 250 ff.) zu verdanken.
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zunächst das Thema einer kritischen Erkenntnistheorie sein müsse. Diese Einwände werden im wesentlichen vom ersten Teil der »objektiven Logik«, den Hegel in der ersten Auflage nur Das Sein nennt, ausgeräumt.17 Innerhalb einer Logik formaler Begriffe ist bereits die Kulmination in einer inhaltlich bestimmten Idee undenkbar. Zumal wenn diese Idee nicht Vorstellung von etwas, vor der Logik liegende Voraussetzung oder regulatives Ziel und Ordnungsinstrument von anschaulich Gegebenem, sondern die Logik selbst ist. Innerhalb einer Logik überhaupt von Leben und vom Guten zu sprechen, scheint schlichtweg den Rahmen der Logik, die Lehre allgemeiner Begriffe sein soll, zum Gebiet der Natur und der Praxis hin zu überschreiten. Ist die Logik aber Wissenschaft im Hegelschen Sinn, d. h. System und Begriff eines unverfügbaren (nicht instrumentellen) Wissens, dann kann ihr Wesen nicht darin liegen, daß sie zunächst auf Anderes angewandt und gebraucht wird. In diesem Fall müßten dem Denken, dessen Bestimmungen Thema der Logik sind, Regeln (Begriffe) zur Anwendung der Regeln (Begriffe) des Denkens gegeben werden. Das führte nicht nur in einen infiniten Regreß, sondern widerspräche auch der in der Wissenschaftlichkeit angezeigten Einheit: Die Logik wäre nicht, was sie ist, sondern was aus ihr gemacht wird. Für die Einheit gilt hingegen, daß sie, die sich selbst gleich ist, nur ist, was sie ist. Doch kommt die Idee nicht ›wie aus der Pistole geschossen‹. Sie hat eine logische Geschichte, nur vor dieser kann die Idee ihren inhaltlichen Sinn entfalten, nur so hat sie welchen, nur dann zeigt sich der Bezug der Logik auf die ursprünglichen Aufgaben. Damit ist auch jeder interpretatorischen Auseinandersetzung mit der Wissenschaft der Logik die Aufgabe gegeben, das Ganze zu sehen. Sie darf sich nicht mit Zusammenfassungen zufriedengeben, da beim Zwischen-den-Begriffen-Springen die tragende Evidenz der Gedanken auf der Strecke bleibt. Nicht umsonst leitet Hegel wiederholt entscheidende Schritte der begrifflichen Synthetisierung, des logischen Fortschritts, mit den Worten »In der Tat« ein. Was aber in der Logik getan wird, ist nur zu denken. Erst dieses Tun trägt die begriffliche Entwicklung und erst im Durchlaufen des Denkweges ist einsehbar, was nicht unmittelbar evident sein kann. Von der unmittelbaren Behauptung von Gewißheiten, dem Aussprechen von Sätzen, ist also dorthin zu gelangen, zu sehen, was hier jeweils tatsächlich gesagt wird.18 Vollständigkeit bedeutet dabei nicht ein Verfolgen und Kommentie17
Die Überarbeitung dieses Teils, die Hegel 1831 abschloß, nennt diesen »Lehre vom Sein«, wohl um die Einheit mit den beiden folgenden Teilen anzuzeigen, während der erste Titel sachlich richtig anzeigte, daß es vom Sein als solchem keine Lehre gibt. 18 Der Widerspruch zwischen dem Ausgesprochenen, der Behauptung des Satzes und dem, was der Satz ›tut‹, der das zentrale Bewegungsmoment der Darstellung der logischen Kategorien ist, wird von Hegel beispielhaft in der ersten Anmerkung zum Sein gefaßt:
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ren jedes Satzes der Logik oder die Erwähnung aller Bestimmungen. Vielmehr ist es erforderlich, daß der Gedanke lückenlos ist, dafür ist es mitunter hinreichend, tragende Übergänge zu erwägen. In der logischen Frage nach der Wahrheit geht es darum, was sie selbst ist, nicht etwa darum wie man das feststellt und zur Gewißheit bringt.19 Auf welche Weise geschieht das? In Folge unserer Sprachlosigkeit angesichts der Frage »Was ist?« muß die Sache selber reden, und wo sie sich vernehmen läßt, ist in der Rede. Fragte man nun: »in der Rede wovon?«, dann fiele man wieder in den Gegenstandsbezug und damit in die Undurchsichtigkeit des Bestimmtwerdens durch ein Gegebenes.
»Insofern der Satz: S ein und Nichts ist dasselbe, die Identität der Bestimmungen ausspricht, aber in der Tat sie eben so als unterschieden enthält, widerspricht er sich in sich selbst, und löst sich auf.« (GW XI, 49) Darüber, was diesem Widerspruch von Tat und Behauptung zugrundeliegt und wie er sich verhält, wird die Behandlung der Reflexionsbestimmungen Auskunft geben. Daß die Tätigkeit von einer Sache anzeigt, was diese ist, wird bereits von Aristoteles als methodischer Fingerzeig in seiner Untersuchung über die Seele erwähnt (De anima I 1, 402b 11 ff.). Die physis einer Sache wird eben an ihrer Entwicklung, ihrem Wachstum (dem phyein), an demjenigen, als was sich die Sache erweist, deutlich. Dies liegt auch der Herangehensweise des natürlichen Verstandes zugrunde, der, wenn er unsicher ist über die Wesensart einer Sache, zusieht, wie sie sich entwickelt. 19 Wie Wahrheit sich zur Gewißheit bringt, das hat Hegel in der Phänomenologie entlang des Begriffs der Anerkennung gezeigt: Die in der Ausgeglichenheit von Begriff und Sache, von Anspruch und Wirklichkeit oder von Selbstsein und relativem Anderssein liegende Wahrheit bringt sich dem Bewußtsein im Wege des Leidens zur Geltung (dazu GW IX, 255 f.; das pathein als Vermittlung des Wissens der Wahrheit schon bei Platon, Sophistes 234d). Die immer neuen Ansprüche auf Bewahrheitung der selbstischen Gewißheit scheitern immer wieder. In der Logik geht es nicht mehr um Gewißheit, folglich auch um kein (Selbst-)Bewußtsein, sondern um Wahrheit als solche.
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Eingangs des letzten Abschnitts der Logik über die Idee schreibt Hegel: »S ein hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht, indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Realität ist, es ist also nunmehr nur das, was Idee ist.« (GW XII, 175) Warum muß Wahrheit »erreicht« werden, und warum ist es »das Sein«, das zu Anfang offenbar unwahr ist? Was keine unmittelbare Anwesenheit zuläßt, verlangt, daß man es zunächst erreiche. Um dorthin zu gelangen, muß eine Entwicklung, wie im Falle des Wissens und der Anerkennung innerhalb der Phänomenologie, oder eine methodische Entfaltung durchlaufen werden, wie im Falle der Wahrheit der Logik. Damit wissen wir, daß, aber noch nicht wie und was (d. h. in welcher inhaltlichen Bestimmtheit) hier entfaltet wird. Bereits daß die Wahrheit nicht in Unmittelbarkeit anwesend ist, zielt aber auf das Zentrum der Philosophie Hegels. Stünde am Beginn der Logik eine unmittelbare absolute Einheit, so hätte sie die Wirkung des in der Vorrede zur Phänomenologie zitierten Pistolenschusses: Solcherart Wahrheit wäre zugleich das Ende, aus ihr folgte nichts weiter. Eine unmittelbare Wahrheit kennt keine Beziehung auf ein Anderes ihrer selbst, ebenso wie sie innerhalb ihrer selbst keine reflexive Beziehung enthält: Sie ist inhaltsleer. Stünde sie in einer Relation, so wäre diese vorausgesetzt, die Wahrheit wäre dann nicht mehr unmittelbar. Daher läßt die Unmittelbarkeit keine Entfaltung zu einem in einer ratio begründeten Wissen zu; eine Wissenschaft von unmittelbarer Einheit kann es nicht geben. Wenn hingegen Entwicklung und Entfaltung Bedingungen von Wahrheit sind, dann ist ein unmittelbar Wahres gar nicht in Wahrheit. Es soll lediglich unmittelbar sein und wird als solches behauptet oder gemeint. In der Vorrede der Phänomenologie des Geistes faßt Hegel den Satz des Wissens vom Wahren in der eigenartigen Formulierung: »Es kömmt nach meiner Einsicht […] alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken.« (GW IX, 18) Die erste Merkwürdigkeit liegt darin, daß Hegel von »meiner Einsicht« spricht, wo wir doch zugleich erfahren, daß in der Wissenschaft von der Person abzusehen sei. Man könnte das mit dem gänzlich ›uneigentlichen‹ Vorgehen Hegels erklären, der eine Vorrede schreibt, die er damit einleitet, daß Vorreden in der Wissenschaft, insbesonders in der Philosophie, fehl am Platze seien (so bei Sallis 1977: 135 f.). Doch klärt die zweite – gewöhnlicherweise
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besprochene1 – Merkwürdigkeit, die Folgerichtigkeit des ersten scheinbaren Lapsus’. Substanz wird in zweierlei Bedeutung verwendet, (i) im Sinne der substantiellen Form2 und (ii) im Sinne eines zugrundeliegenden Substrats oder Fundaments. Gemeinsam ist diesen Bedeutungen, daß die Substanz von nichts außerhalb ihrer abhängig ist. So gilt es zu klären, welchen Sinn von Substanz Hegel hier als Definition des Wahren ausschließt. Das kann aber nur durch den Fortgang des Satzes geschehen. Nachdem die Substanzhaftigkeit des Wahren negiert wurde, wäre zu erwarten, daß das Wahre ›statt dessen‹ Subjekt sein solle, andernfalls ließe es die Grammatik auch zu, die Substanzhaftigkeit einschränkend zu negieren und mithin zu sagen ›nicht nur als Substanz, sondern eben so sehr …‹. Entsprechend konnte es nicht ausbleiben, daß Hegels Satz dahingehend ergänzt wurde (etwa bei Röttges 1976: 29). Stattdessen wird paradoxerweise die vorderhand negierte Substanzhaftigkeit nachholend von der Subjekthaftigkeit des Wahren in ihrer Negation bestätigt, – die Substanz gilt nun nicht mehr als diejenige, die sie zuvor sein sollte. Das Wahre muß vom und als Subjekt, d. h. als Ursprung von Bewegung, begriffen sein, es ist kein in sich Bestehendes und relationslos Bestimmtes. Hegel spricht gemeinhin sehr präzise: Ohne die Negation der Substanz, die durch die Ergänzung eines »nur« dahin wäre, käme die Bewegung des wahren Subjekts gar nicht in Gang. Hegel folgt Fichtes Bestimmung des Subjekts. Dieses hat nach Fichtes Wissenschaftslehre von 1794 (FW I, 440, 498) »kein eigentliches Seyn, kein Bestehen«, sondern es ist ein reines »Handeln«. In der Bewegung des spontanen sich selber Setzens bestimmt Fichte das Subjekt, das gesetzt und setzend ist, als notwendige Einheit von Subjekt und Objekt, als »Subjekt-Objekt« (FW I, 98). Hegel negiert mit seinem Satz also jedenfalls die zweite Bedeutung von Substanz, nach der die Substanz geradezu auf der Objektseite verortet werden müßte. Die erste Bedeutung hingegen kann beibehalten werden, allerdings mit einer Modifikation: Die substantielle Form darf nicht unbewegt sein, sondern sie muß als Subjekt verstanden werden. Das bedeutet, daß das Wirken des Formierens gezeigt werden muß, um das Wahre zu vergegenwärtigen. So gehört auch die Vermittlung durch das Subjekt (»meine Einsicht«) zum Wahren, wenngleich es nicht von einer Person abhängig ist, so muß es doch hervorgebracht werden und liegt nicht als etwas Gegebenes vor. Daß das Wahre erst nicht als Substanz und dann als Subjekt aufgefaßt wird, ist der Begriff der Nicht-Unmittelbarkeit der Wahrheit: Keine ursprünglich-unmit1
Picht (1982: 278 ff. und 327 ff.) gibt eine umfassende historische und systematische Erläuterung des Satzes, die es erlaubt, mich kurz zu fassen. 2 Im Sinne der ousia kata ton logon, vgl. Aristoteles, De anima II, 1, 412b10.
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telbare Einheit als solche ist Wahres, weder Ich noch Natur. Deshalb muß die Wahrheit »erreicht« werden und deshalb ist der Weg des Erreichens nicht bloß subjektive Bedingung zum Erfassen eines substantiellen Wahren, sondern das Wahre selbst. Der Weg stellt die Entfaltung des Inhalts der Wahrheit dar, die sich in sich selbst unterscheidet (»nicht Substanz […] eben so sehr Subjekt«), nämlich in Sein und Wesen.3 Daher spricht Hegel hier auch nicht davon, daß diese Einheit zu rechtfertigen oder zu begründen sei, sie muß vielmehr aufgefaßt und ausgedrückt, mithin dargestellt werden. Die Darstellung selbst ist die Weise, in der das Wahre als Wahres da ist, daher kommt es auf sie als solche an. Die Wissenschaft der Logik beschreibt in ihren beiden Büchern, der objektiven und der subjektiven Logik, diese Bewegung vom Auffassen zum Ausdrücken. Die Vermittlung der Wahrheit ist Sache der gesamten neueren Philosophie, zumindest in der Weise, in der Hegel ihren Begriff angibt, wenn er sagt, daß »die Vermittlung […] nichts anders [ist] als die sich bewegende Sichselbstgleichheit [Spinoza], oder […] die Reflexion in sich selbst [Leibniz], das Moment des fürsichseienden Ich [Kant], die reine Negativität [Fichte] oder das einfache Werden [Hegel].« (GW IX, 19) Die Wahrheit, die nicht in sich besteht, die aber auch nicht stattdessen, sondern »eben so sehr« Subjekt (sich ihrer Produktivität gewiß) ist, ist zugleich und in einem Subjekt und Substanz: Ihre Bewegung (als Subjekt) ist Bestimmung und Bestätigung ihrer selbst, und darin ist sie sich selbst gleich, in sich bestehend (Substanz). Doch ist sie beides nicht einfach, sondern qua vermittelnder Setzung, die einen Anfang braucht. Dieser Anfang selbst darf kein einfach vorausgesetzter oder gegebener sein, denn damit wäre er der Vermittlung wiederum entzogen. Die Wahrheit ruhte dann auf einem von ihr nicht erfaßten Grund und wäre somit selber unergründlich und undurchsichtig. Als Anfang der Wahrheit bleibt so nur etwas, das gar nicht besteht, da die unmittelbare Ursprünglichkeit des Anfangs sich ungeachtet seiner Notwendigkeit als unwahr herausstellt, – andernfalls wäre der Anfang eine Folge. Anders gesagt: Der Anfang muß unmittelbar, ohne Vorgänger sein, doch liegt in der Unmittelbarkeit zugleich die Unwahrheit des Anfangs. Das ist die Aporie des Anfangs. Er scheint unmöglich oder zumindest nicht einsehbar und kommunikabel zu sein.4 Das Auffassen der Wahr3
Dazu auch der – hier noch nicht voll zu erschließende – Satz aus der Lehre vom Begriff: »Der Begriff hat daher die Substanz zu seiner unmittelbaren Voraussetzung, sie ist das an sich, was er als manifester ist.« (GW XII, 11) 4 Vgl. die dreifache Aporie des Gorgias (DK 76 B 3): Es ist nichts; wäre etwas, so wäre es für den Menschen nicht einsehbar; wäre etwas und wäre es einsehbar, so wäre es doch nicht kommunikabel (anermneuton). Die Wissenschaft der Logik kann, was an dieser Stelle nur thetisch hingestellt werden kann, in ihren drei Teilen als Widerlegung der
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heit beginnt deshalb mit einer Negation: Es ist »nicht Substanz«. Warum können wir dann nicht gleich sagen, daß die Wahrheit Subjekt sei? Weil das Subjekt eines Inhalts bedarf. Sonst bestünde es lediglich in gleichgültiger Leere beziehungsweise wäre keinem Wissen seiner zugänglich.5 Daher kann Hegel die Logik nicht mit dem Begriff des Ichs beginnen.6 Gelangen wir also über einen falschen Anfang zur Wahrheit? Die Phänomenologie regt dazu an, die Frage des Pilatus umzudrehen: Was ist überhaupt falsch? Keineswegs ist bereits dasjenige falsch, was nicht zutrifft. Erst das, was wahr zu sein verneint wird, ist (und zwar wahrhaft) falsch; und was falsch zu sein verneint wird, ist wahr (Leibniz).7 Wahres und Falsches sind gleichermaßen Sache eines reflexiven Urteilens und nicht einfach für sich bestehend, sondern nur im Kontext einer zweiwertigen Unterscheidung. Die Beziehung auf ihr Anderes ist der Beziehung der Wahrheit auf sich selbst wesentlich. Das Falsche wahrhaft als falsch identifiziert, gibt den Blick auf anderes als es selbst frei, es selbst aber ist und bleibt falsch. Der Anfang, der nicht sein kann, ist nicht etwas Falsches, das falsch bleibt und auch übergangen werden könnte. Er ist unwahr, weil er Anfang ist, weil er aber Anfang ist, kann er sich bewahrheiten, indem er anfängt. Das Unwahre des Anfangs der Geschichte der Wahrheit kann wahr werden – nämlich in der Entwicklung zum »erfüllten Sein« (GW XII, 252), und so bleibt das Sein auch die gesamte Vermittlungsgeschichte der Wahrheit hindurch präsent. Es ist wesentliches Relat des Wahren, welches Subjekt ist, und welches als Subjekt »eben so sehr« falsch wäre, würde man es unmittelbar ergreifen wollen. Falsch wäre nur jenes Urteilen, das den Anfang als Anfang bestehen lassen wollte, ihn also nicht anfangen, d. i. von sich fortgehen lassen wollte, wodurch der Anfang erst Anfang wird. Weil weder Sein noch Unmittelbarkeit einfach falsch sind, kommen sie beide
Aporie angesehen werden. So zeigt die Seinslogik, wie und daß es sehr wohl ›etwas‹ gibt, die Lehre vom Wesen gibt die Regel, anhand derer dies einsichtig ist, und die Lehre vom Begriff erörtert den Ausdruck ›dessen, was es gibt‹, sie zeigt die Kommunikabilität der »Wahrheit selbst« (GW XII, 5). Vgl. dazu Spieker (2008). 5 Es wäre, wie Kant in KrV, B 403 schreibt, die »selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich, von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff sei«. Im Unterschied zu Kant schreitet Hegel daher zu einer veränderten theoretischen Bestimmung des Subjekts, nach der das Subjekt nicht mehr nach seiner Vorstellung befragt wird (vorstellbar ist es gar nicht), sondern als Begriff in den Blick kommt. 6 So wird auch erklärlich, was Düsing (1995: 240) als »nicht einzusehen« bezeichnet. 7 Wahr und falsch sind reflexiv-synthetisch: Zu- beziehungsweise abgesprochen wird nämlich etwas von etwas. In Bejahung und Verneinung wird eine reflexive Bestimmung mit etwas »verbunden«, wie es Aristoteles (Metaphysik IV 7, 1012a 4; hierzu auch Platon, Sophistes 237a) ausdrückt. Was anfänglich unmittelbar ist, qualifiziert sich als solches weder als wahr noch als falsch.
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immer wieder vor.8 Entsprechend bleibt Hegel nicht beim Anfang, denn »das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sei, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird« (GW XI, 61). Wie zur Wahrheit ein Wahres gehört, so enthält sie auch dessen Gewahren im Wege der Entwicklung. Hegel verwendet für den Wahrheits-Prozeß zahlreiche verschiedene Bezeichnungen: Dies sei das Sich-selbst-Setzen, die »reine einfache Negativität« oder die »lebendige Substanz« etc. Damit erinnert er daran, daß die Benennung des Prozesses der Wahrheit besonders in der – schon vom frühen Hegel bedachten – Gefahr des Fetischismus steht, wenn nämlich unter der einfachen Benennung »der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen« (GW IX, 18) vergessen werden. Die Vielfalt der Benennungen soll vor Terminologisierung und Objektivierung schützen.9 Während Unwahres aufgrund seiner Einseitigkeit übergängig und vergänglich ist, ist Wahrheit das, was sich zeigt und bestätigt. Das ist das Thema der Wissenschaft der Logik, und hierzu gehört der negierte Anfang ihres »nicht Substanz«-Seins. Wenn der Anfang in Unmittelbarkeit gemacht wird, so ist deutlich, daß aller Fortgang der Bestimmung nicht als Verwirklichung bereits bestimmter Möglichkeiten geschehen kann, sondern »Selbstbestimmung aus […] absoluter Unbestimmtheit« (Boeder 1980: 631) mithin Freiheit ist. Darin liegt kein Gegensatz zur früheren Konzeption des Denkens des reinen Lebens: Was der Mensch ist, war dort bestimmt als vollkommen verwirklichte Möglichkeit (Quelle), strukturell vorgängig vor aller vereinzelten, zeitlichen Realisierung seiner Möglichkeiten. Damit ist nicht gesagt, daß das Wesen des Menschen Verwirklichung vorbestimmter Möglichkeiten ist, vielmehr ist die Produktion der Möglichkeit das, was er ist, er selbst ist (als das reine Leben Denkender) Quelle der Freiheit. Das »höhere logische Geschäft« (GW XXI, 16) ist dadurch vom frühen religiösen Denken unterschieden, daß es nicht auf die Quelle hinweist, sondern das Quellen, d. i. das Produzieren der Freiheit selbst zeigen will. So gilt es den Anfang zu machen, den zu begründen nur seine Wirkung ermöglicht. Seine Grundlosigkeit macht den Anfang zum Unmittelbaren. Zunächst soll hier verfolgt werden, wie davon 8
Daher kann Hegel in allen drei Teilen der Logik vom Sein reden. So sagt er, es sei »zu erinnern, daß es außer dem unmittelbaren S ein erstens und zweitens der Existenz, dem Sein, das aus dem Wesen hervorgeht, noch ein ferneres Sein gibt, welches aus dem Begriff hervorgeht, die Objektivität.« (GW XI, 324) 9 Was es mit der terminologischen Redeweise auf sich hat, dazu vgl. Rosenkranz (1963: 183 f.).
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logisch begründet gesprochen werden kann und wie von hier aus die logische Bewegung, d. i. die Entstehung und Verknüpfung von Bestimmtheit, ihren Anfang nimmt (Kapitel 1.1). Das erste Bestimmte ist das bestimmte Sosein (Kapitel 1.2), das immer anders und folglich endliches Sosein ist. Dieses Endliche ist weder an sich noch für sich das Ende, sondern es bewahrheitet sich, indem es wird, was es bereits war (Kapitel 1.3 und 1.4). Bestimmtsein, so zeigt sich, hat eine Bestimmung, sie ist die im zweifachen Sinne zu verstehende Aufgabe des Seins. Der Vollzug dieser Aufgabe erfordert letztlich, daß zu einer Bestimmungsform übergegangen wird, die dem Bewahrheitungsprozeß gerecht wird (Kapitel 1.5).
1.1 Das Werden des Begriffs 1.1.A Reines Sein Am Anfang der Logik ist, so Hegel, »nur der Entschluß […], daß man das Denken als solches betrachten wolle, […] vorhanden« (GW XXI, 56). In der Enzyklopädie von 1830 präzisiert er diesen Willensakt, »rein denken zu wollen«; er ist »durch die Freiheit vollbracht«, von allen Voraussetzungen zu abstrahieren, sie aufzugeben (Enz. (1830) § 78A). Als selbstverständlich angesehene logische Bestimmungen und Regeln wie Identität, Unterschied oder der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch werden durch diesen Entschluß einem radikalisierten Cartesischen Zweifel unterworfen, der nun gegen das Denken selbst gerichtet ist (vgl. Houlgate 1991: 50); Hegel nennt dies den »vollbrachten Skeptizismus«. Wo das bloße Daß des Denkens »vorhanden« ist, da ist nichts weiter zu konstatieren, als daß Denken gedacht wird, und daß außer diesem nichts vorhanden ist. Das Daß bedeutet die Unmittelbarkeit des vom Denken Gedachten. Daß außer diesem nichts vorhanden ist, macht diese Unmittelbarkeit zur unbestimmten Unmittelbarkeit. Wie läßt sich von diesem Anfang reden? Die Unmittelbarkeit des Anfangs verbietet jede anfängliche Differenzierung, wodurch ein Anderes impliziert würde, das nicht unmittelbar sein kann, weil es nur als Anderes von Anderem auftritt. Die Logik kann ihren Ausgang auch nicht in einer unmittelbaren Gewißheit nehmen, die das In-sich-gewiß-Sein, dessen Evidenz allerdings unmittelbar ist, von dem Gegenstand unterscheidet, der darin angeschaut wird. Die Gewißheit des Bewußtseins ist immer schon gebrochen. Die Vorstellung von etwas, was dies Etwas auch sei, vermag keinen unmittelbaren Anfang zu machen. Der unmittelbare Beginn hingegen tritt einheitlich auf: Sein und Begriff oder die intendierte Sache und deren gedankliche Fassung
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sind hier geeint. Der Gedanke, wonach ein Begriff eine Sache erfaßt, sie aber nicht ist, setzt eine Identität Verschiedener, die als solche nicht am Anfang stehen kann. Die Einheit von Sein und Begriff ist, so Hegel, überhaupt »das Element dieser Wissenschaft« (GW XI, 30) und – für das Bewußtsein – selber Resultat einer Entwicklung, welche die Phänomenologie darstellt.10 Weil sie Element ist, steht diese Einheit am Anfang. Das Element ist die lateinische Übersetzung des griechischen stoicheion, des einfachen Lauts oder auch des Buchstabens. Platon verwendet diese Metapher für das einfache Grundmaß, das alles in Bestimmtheit Bestehende eint, beziehungsweise aus dem es gebildet ist (vgl. Platon, Politikos 278d, Theaitetos 201e, Timaios 48b). Er faßt die Metapher damit weiter als Aristoteles in seiner Definition des stoicheion, das er als »ersten immanenten Bestandteil« (Metaphysik V 3, 1014b 15), nicht aber als formgebend ansieht. Mit Platon betrachtet, steht das Element in der zweideutigen Stellung, sowohl Form als auch Material zu sein. Was seiner Einheit und seines Maßes verlustig geht, vergeht, gleich ob Lebewesen, Ding oder Gedanke. Das Element aber bleibt nicht für sich, sondern es baut das Wort, den Satz und Satzzusammenhänge, so bildet es guten Sinn. Der einzelne Laut oder Buchstabe für sich genommen ist noch nicht Bedeutungsträger. Dennoch gibt das Element das Maß, das heißt es bewirkt eine Bestimmung. Daß die Einheit von Begriff und Sein Element der Wissenschaft der Logik ist, bedeutet, daß diese Einheit als nichts anderes denn als Wissenschaft bestimmt ist, – sie ist kein Element des Vorstellens und damit auch nicht einer anderen (repräsentierenden oder gestaltenden) Tätigkeit des Menschen, die allesamt auf Vorstellungen von Etwas basieren. Damit ist zugleich gesagt, daß andere Bereiche des Denkens und der Wirklichkeit außerhalb der Logik womöglich nicht auf dieser Einheit von Begriff und Sein beruhen.11 Andererseits ist das 10
Daher kann Hegel in der zweiten Auflage der Seinslogik sagen, daß der Anfang der Logik bereits »konkrete lebendige Einheit« sei (GW XXI, 45). Die Phänomenologie zeigte, wie der Begriff seine Sache formt: die sinnliche Gewißheit nimmt ihre Sache als einfach daseiend, die Wahrnehmung sieht Gegenstände als Dinge mit Eigenschaften und das Denken als geformt durch Gesetze. Ein Unterschied zwischen dem eigenen Wissen/Begriff und der Sache, dem, was an sich ist, kann nicht begründet etabliert werden. Vielmehr ist unser Begriff immer eine Bestimmung der Sache. Kants Voraussetzung einer Trennung von Erscheinung für uns und Ding an sich wird aufgehoben in der Einheit von Sache und Begriff, die das »absolute Wissen« ist. – Dadurch zeigt sich der Anfang der Wissenschaft der Logik als Ergebnis einer notwendigen Entwicklung (»objektive Bewegung«; GW XI, 39) auch des konkreten Ichs, angesichts derer es gerade nicht – wie Hegel gegen Schelling gerichtet sagt – »darauf ankommt, ob ihn der eine in sich vorf inde oder hervorbringen könne, ein anderer aber nicht.« 11 Im Vorgriff eröffnet sich damit der Bereich der Bestimmung von Natur und endlichem Geist (worin dann auch die kantische Erkenntnistheorie enthalten wäre). Beide
1.1 Das Werden des Begriffs
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Element noch nicht die Wissenschaft, denn, – dies ist der im Element ebenfalls enthaltene Sinn, noch ungeformtes Material zu sein – es muß zunächst geformt werden, um den Bau der Wissenschaft zu ergeben. Die Frage nach der Einheit von Sache und Gedanke, die »das Logische« definiert, impliziert diejenige nach der Einheit von Form und Inhalt in der Logik. Ginge es dabei um eine Einheit des Begriffs mit einem außerlogischen Ding, dann wäre die Einheit lediglich die Form eines ansonsten inkommensurablen Inhalts.12 Damit wäre aber der zweifache Sinn des Elements übergangen, das Einheit von Begriff und Sache, nämlich der Sache ›Einheit von Begriff und Sache‹, ist, und das eine nur dadurch sein kann, daß es das andere ist.13 Warum ist dieses Element der Einheit zunächst »Sein«? Das Sein steht an erster Stelle, denn es ist in der Position der Unmittelbarkeit und zeigt sich dem Denken von sich her. Wie kann es das? Als das Allgemeinste ist Sein nicht ein abstrahiertes Prädikat, sondern das, was allem zu eigen ist. Alles Bestimmte ›hat‹ – ebenso wie das gegen es unterschiedene Unbestimmte, das in dieser Unterscheidung selbst ein Bestimmtes ist – das Sein (es ist bestimmt); das Sein des Anfangs selber ist aber unterschiedslos und nichts Bestimmtes. Ein Anfang mit einem Bestimmten müßte rechtfertigen können, weshalb er gewählt wurde. Ihm läge bereits eine Entscheidung zugrunde, die dieses Bestimmte und nicht ein anderes ebenfalls Bestimmtes präferiert, dessen Vorhandensein durch das gewählte Bestimmte impliziert wird. Solche Anfangsgründe stehen jedoch nicht zur Verfügung, die Logik verfährt entscheidungsfrei. Sein ist unmittelbar und der unmittelbare Anfang muß alternativlos (vgl. Koch 2000: 140 ff.) und notwendig sein. Wenn dieser Anfang nicht selber notwendig ist, so würde für alle folgenden Sätze allenfalls eine ›relative Notwendigkeit‹ beansprucht werden können. In der Notwendigkeit des Anfangs, nicht in dessen Übergang, liegt daher das eigentliche AnfangsBereiche beruhen auf einer in der Logik allererst zu begründenden Differenz von Begriff und Sein. Zur unterschiedlichen Bestimmung des Elements von Logik (Idee im Element des reinen Denkens, Enz. (1830) § 19) und Realphilosophie (Idee im Elemente des Außereinander, Enz. (1830) § 312A) vgl. Nuzzo (1997, mit weiteren Belegstellen). 12 Daß die Logik solch eine Identifizierung ihrer »sprachlichen Kategorien« mit einem außerlogischen Ding, d. i. einer dinglich gedachten Wirklichkeit vornehme, ist die Kritik von Fulda (1978). Dieser Vorwurf kann nur dort aufkommen, wo Sprache und Begriff nicht differenziert werden. Der Begriff (logos) faßt ein Bestimmtes, welches das Wort (onoma), durch das er ausgedrückt wird, nicht selber ist. Die Wirklichkeit, die der Begriff begreift, ist gerade nicht dinglich, sondern die Wirklichkeit begrifflicher Geltung. 13 Richli (1982) widmet der Frage nach Form und Inhalt eine eigene Studie, die als Resultat des beschriebenen Bedingungsverhältnisses festhält, daß »das Logische […] nur sich selbst zum Inhalt« (16) hat.
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
problem.14 Weil schließlich auch das Ich nicht unmittelbar gegeben ist, und zwar weder als empirisches noch als transzendentales Subjekt, kann auch bei ihm nicht der Anfang gemacht werden. Das Ich wird, so zeigt die Lehre vom Begriff, eher der Schluß der logischen Untersuchung sein. Es leuchtet damit die bereits angesprochene Unmöglichkeit des Anfangs auf, die Hegel auch im Abschnitt »Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?« bedenkt. Ist der Anfang unmittelbar, dann ist seine Notwendigkeit nicht deutlich, ist er mittelbar, dann geht ihm eine Hypothese voran, deren Resultat er ist, der Anfang wäre also nicht erster Anfang.15 Dieses Dilemma betrifft auch 14
Vgl. Wolff (1996: 236), der die Argumentationsstruktur des Abschnitts »Womit muß der Anfang in der Wissenschaft gemacht werden?« dahingehend analysiert, daß Hegel dort innerhalb der ersten beiden Seiten das negative (Anfangs-)Dilemma (der Schlußform: (1) Wenn p, so entweder q oder nicht q; (2) nicht q; (3) nicht nicht q; (4) also nicht p) zu einem positiven Dilemma (der Schlußform: (1) p oder nicht p; (2) wenn p, so q; (3) wenn nicht p, so q; (4) also q) verwandle (240 f.). 15 Die Frage nach dem rechten Anfang ist eine der »neueren Zeiten« (GW XI, 34). Ihre Problematisierung beginnt bei Descartes, der einen Anfang sucht, der zugleich sicheres Fundament sein soll. Diese Verquickung von Anfang und Fundament kritisiert Hegel, doch insofern auch er einen einzigen Anfangspunkt sucht, steht er ebenfalls in der Folge Descartes’ (vgl. Johnson 1988: 18). Schelling fragt in ähnlicher Weise in einer Vorlesung aus dem Jahre 1821 Über die Natur der Philosophie als Wissenschaft: »Wovon sollen wir ausgehen?« (SW IX, 250) In das Wissen vom »Wissen der ewigen Freiheit« sollen wir durch die Wissenschaft (wieder-)eingeführt werden. Doch gibt es dazu keinen anderen Weg für die Wissenschaft als denjenigen, von eben dieser Freiheit auszugehen. ›Ahnden, Glauben und Hypothesen‹ fallen als möglicher Anfang aus, da sie ungenau, übertrieben beziehungsweise vom Selbst gesetzt sind, während es in der Philosophie um ein Wissen geht, das gerade nicht »bloß von mir ausgeht«. So geht die Philosophie nach Schelling überhaupt nicht von etwas Gewußtem aus, sondern von der Aufgabe allen menschlichen Wissens, von einem Nichtwissen, das Raum läßt für das absolute Subjekt ewiger Freiheit. Im Nichtwissen gehen wir also von der ewigen Freiheit aus, deren Charakteristikum die Bestimmungslosigkeit ist. Schelling nennt dies (zur Zeit des System[s] des transzendentalen Idealismus) »intellektuelle Anschauung« und (zu dem späteren Zeitpunkt der erwähnten Vorlesung) »Ekstase« (IX, 251), in welcher »unser Ich […] außer sich« ist und sich im Erstaunen (thaumazein) übt (vgl. dazu, daß Hegels Kritik am Begriff der intellektuellen Anschauung Schellings Sache nicht trifft, Uehlein 1982: 34). Dabei soll es nicht beim Staunen bleiben, vielmehr wird eigenes Nichtwissen zu Wissen, indem das absolute Subjekt zum Objekt übergeht. Daraufhin wird das zum Objekt gewordene Subjekt wieder Subjekt und der Wissend-gewordene wiederum Nichtwissender. Dabei haben sich allerdings die Positionen von Subjekt und Nichtwissendem verwandelt: Ersteres ist nun »wiederhergestelltes« und letzteres »wissendes« (IX, 232). Dieses Verhältnis ist »Reflexion«, indem das Wissen Reflex der Bewegung des absoluten Subjekts ist, welches sich im Gegenzug erst durch die freie Selbstbestimmung des endlichen Subjekts zum vollen Subjekt, d. i. zur Persönlichkeit bildet. Das »absolute Subjekt« (IX, 233) bedarf des Nichtwissens und der freien Handlung der endlichen Vernunftwesen zu seiner Selbstwerdung. Dem unmittelbaren Anfang geht hier ausdrücklich eine negierende Vermittlung voran,
1.1 Das Werden des Begriffs
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die Tätigkeit des Denkens: Ohne sie gibt es keine Bestimmtheit der Sache, doch ohne von vorliegendem Bestimmtem auszugehen, kann das Denken auch keine Bestimmtheit ausmachen. Dem Denken scheint der absolute Anfang, d. i. selber anzufangen, angesichts des voraussetzungsförmigen Ausohne die nämlich das konkrete und wirkliche Ich (das subjektive Subjekt-Objekt) nicht beim Absoluten sein kann. Es muß sich ›depotenzieren‹, welchen Vorgang die »Identitätsphilosophie« ausführt. So nimmt Schelling den Ausgang von einem – wenngleich unbestimmten – Absoluten. Dieses muß sich wohl erst entwickeln, es hat »Geschichte« und diese bedarf zwar des Bewußtseins zu seiner Offenbarung, das selbstgewisse Subjekt ist aber nicht selber Subjekt dieser Offenbarung. Hegel geht nicht von einem Absoluten aus, sondern gelangt durch die Geschichte hindurch zum resultativ bestimmten, das heißt inhaltsvollen Absoluten. Das klingt ganz ähnlich der geschichtlichen Bestimmungsweise Schellings, und so scheinen die scharfen Angriffe Hegels auf Schelling ungerechtfertigt und umgekehrt Schellings Reklamation, er selbst sei Entdecker der Entwicklungsgeschichte des Geistes (SW X, 96), gerechtfertigt. Es gilt also genau hinzusehen: Hegel wird das Absolute als Methode bestimmen, was bedeutet, daß das logische Subjekt des Bestimmungsweges dieses Absoluten eben das Absolute selbst ist, das die einheitliche Vernunft ist. So handeln Hegel und Schelling bei aller Ähnlichkeit von einer grundverschiedenen Sache. Bei Hegel geht es um die Vereinigung der einheitlichen Vernunft mit dem ihr zu eigenen Gegenstand, dem höchsten Gut, also um eine produktive Vernunft und ihren Begriff. Das Ziel der Untersuchungen Schellings ist hingegen das vergegenständlichende Verstehen. Das Interesse Schellings scheint demjenigen Hegels ganz ähnlich zu sein, es ist aber von der Vereinigung einer einheitlichen Vernunft prinzipiell unterschieden (dazu der Beitrag von Jürgensen 1997). Das wird zumindest an der Grenze deutlich, die nach Schelling dem Verstand unhintergehbar gesetzt ist, weil es auch die Grenze Gottes ist. Sie ist das »Regellose« des Grundes, seine Gleichgültigkeit aller Bestimmung gegenüber. Diese Gleichgültigkeit ist »an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgebbare Rest, das was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt, sondern ewig im Grunde bleibt« (SW VII, 359). Dieses Regellose ist Ursprung des Schöpfers und der Geschöpfe, deshalb läßt sich auch in der Entwicklung des Geistes (der Darstellung des Unendlichen im Endlichen, SW I, 382) kein Bei-sich-Sein der Vernunft denken. Die Vernunft ist abkünftig, nicht ursprünglich. Das zeigt bereits die Bestimmung des »Höheren« im System des transzendentalen Idealismus, das weder frei noch intelligent sein soll, damit es »Quelle« von Freiheit und Intelligenz sein könne (SW III, 600). Aus dem anderen Ziel erklärt sich der andere Anfang sowie der andere Weg, auf dem bei Schelling die Dialektik lediglich als Propädeutikum dient, nicht aber zur Wissenschaft selbst gehören soll (SW IX, 214). Wo der Weg nicht immanent mit dem Ziel verbunden ist, da wird keine einheitliche Vernunft, sondern eine Bewußtseinsbeziehung gedacht. Zu Schellings Anfang mit dem »Ich bin« (SW III, 344) im System des transzendentalen Idealismus als einem »Bestimmend – Zu-Bestimmenden« vgl. Uehlein (1982: 33 f.). Insofern hier in der »ästhetischen Anschauung« (SW III, 625) durch das »Wunder der Kunst« eine Vereinigung von Bestimmendem und Bestimmten anschaulich wird, bringt Schelling wohl eine produktive Einheit hervor, d. i. er realisiert, was nur in der Tätigkeit real werden kann, das Ich. Doch bleibt es hier dabei, daß das Ich letztlich nicht sich selbst haben kann, steht es doch auf ›ungegründetem‹ Terrain, es hat einen »Ursprung […] jenseits […] des Bewußtseins« (SW III, 626). In Hegels Logik geht es nicht um solch ein bewußtes (unbewußtes) Ich und dessen Gewißheit, sondern um die einheitliche Wahrheit.
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
gangspunktes des Denkens verwehrt zu sein. Das Denken setzt Bestimmtheit und setzt diese voraus. Dieser Zirkel spricht aber genau genommen nicht die Unmöglichkeit, sondern die Unverfügbarkeit des Anfangs aus, der das Denken verfügt. Doch warum zeigt sich das Allgemeinste? Diese Frage wird für uns erst am Ende der Logik vollständig zu beantworten sein, doch schon hier kann gesagt werden: Weil es keinerlei Unterschied macht, durch den es sich verbergen könnte. Fragte man: »Sein, was ist das?« So lautete die Antwort: »Sein ist ganz Offenbarsein«16, da es gänzlich unverborgen ist und von nichts irgend16
Man könnte Parmenides, den Hegel in der ersten Anmerkung erwähnt, sprechen lassen: to gar auto noein estin te kai einai (Denn das Selbe ist: Schauen sowohl wie Sein; DK 28 B 3. Diese Übersetzung folgt Picht (1996) und läßt to auto als Subjekt des Satzes bestehen, wofür seine Stellung am Anfang wie auch die Sache sprechen: Das Selbe ist [d. h. läßt sein und besteht als]: Schauen sowohl wie Sein. Das steht der Lesart entgegen, die auto zur adverbialen Bestimmung macht, welche das estin ergänzt. In diesem Fall würde übersetzt: »denn daß man es erkennt, ist dasselbe, wie daß es ist« (Mansfeld 1983: 317)). Parmenides’ Weisheit und deren Relation zur Wissenschaft Hegels kann hier nur in Kürze erwähnt werden; sie rechtfertigt eigene Studien (vgl. etwa die erhellenden Bemerkungen bei Rohs 1969). Trotz seiner Unverhülltheit liegt das Sein für Parmenides nicht zutage. »Der Wissende« muß zunächst durch das Tor der Gegensätze (von Tag und Nacht, DK 28 B 1, 11) schreitend in den »Häusern der Nacht«, von woher kommend ihn die Sonnentöchter holen (V. 9), anlangen. Er muß den Meinungen der Welt gestorben sein, die auf die Sinne höchst anziehend wirken (DK 28 B 7), die aber demjenigen, das ist, lediglich »gleichen« (DK 28 B 8, 53 ff.). Hören und Sehen sind ihm vergangen. Dieses Wissen von Sein und Nichtsein ist kein Verfügungswissen, es ist nicht instrumentell. Das für sich selbst stehende Wissen wird von den Musen eröffnet, es ist kein menschliches Wissen über gleichgültige Dinge, die immer so oder auch anders sein können. Entsprechend ist es dem menschlichen Meinen und Beraten entzogen. Die Frage, was denn da offensichtlich ist, scheint nur zur Hälfte beantwortet: Es wird gesagt, wie ›es‹ ist und wie ›es‹ nicht ist, ohne auf ein ›es‹ Bezug zu nehmen: esti gar einai, mden d’ ouk estin (es ist aber zu sein, keineswegs aber ist nicht zu sein; DK 28 B 6, 1 f.). Doch ist ›Es‹ lediglich kein vorliegendes Faktum, sehr wohl ist es genau bestimmt: ›Es‹ ist das Darzulegende und zu Denkende, nämlich das bestimmte, vollzogene Sein (eon, als nomen rei actae), welches ist einai, wohingegen Nichts nicht ist beziehungsweise (mden als Adverb gelesen) keineswegs ist on nicht. Die erste Wahrheit überhaupt, so zeigt sich, ist die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Unwahrheit. – Die angedeutete Interpretation des Lehrgedichts stellt sich nicht etwa in der Manier Mansfelds (1983) der Vernunft der Zeit des Parmenides entgegen und erklärt das Gedicht des »Dichterphilosophen« (287) und dessen Musenverkündigung als »eine Deutung […] des dem menschlichen Subjekt selbst letztlich unerklärbaren Vorgangs der eigenen Kreativität« (288). Solche Spiele hatten die Griechen längst durchschaut und kritisiert (so die Skepsis des Xenophanes, vgl. DK 21 B 18. Vgl. auch Boeder 1980: 99). Weil es um den nicht-instrumentellen nous geht, muß die sogenannte ›Kreativität des Subjekts‹ gerade zurückgelassen werden. Auch der Anfang der Wissenschaft der Logik ist für das Bewußtsein, das zunächst den Weg von seiner Gewißheit zur Wahrheit zurückzulegen hat, nicht offensichtlich. Gleichwohl muß der Anfang von sich her einleuchtend sein, da er ohne Voraussetzungen aus-
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einen Abstand nimmt, bietet es sich gegenwärtig dar. Diese Sprechweise ist kein philosophischer Manierismus, nach dem die Sachen ›Selbstvollzug‹ üben, d. h. sich zeigen, darbieten, aussprechen, fragen etc.; sie zeigt schlicht die Unverfügbarkeit des sich zur Gegenwart bringenden Anfangs an. Die Unmittelbarkeit des Seins entzieht es der Greifbarkeit und bietet es dennoch kommen muß. Nimmt man nicht an, Parmenides habe ein statisches selbstgenügsames Sein lediglich der nichtseienden Scheinwelt entgegenstellen wollen, woraus dann eigentlich nichts weiter folgt, sondern liest man Parmenides’ Schilderung der Wagenfahrt und die eigentümlich detaillierte Rechenschaft des dabei Gesehenen (etwa die Beschreibung des Tores, das die Pfade des Tages und der Nacht scheidet) als Weg der »Heimkehr« (vgl. DK 28 B 1, 26 und hierzu Boeder 1980: 101) der instrumentell verknechteten Vernunft zu sich selbst und zum Sich-Wissen (eidenai, gesehen haben), dann rücken Parmenides und Hegel sehr nahe. Auch für Parmenides muß der nous einen Weg zurücklegen, der – wie die wiedergegebenen Details über die ›Grenze‹ von Tag und Nacht zu verstehen geben – ein Wissen erinnert und aufbewahrt, das den Menschen ansonsten verschlossen ist, weil, wer üblicherweise ins Haus der Nacht einkehrt, von dort nicht mehr zurückkehrt, d. h. tot ist (zu Gestalt und Bedeutung des Parmenideischen Weges zur Wahrheit und zu dessen Wirkung vgl. Uhde (1976: 21 ff.)). So ist auch Hegels Wissenschaft in einem noch zu ergründenden Sinn »Methode« (wörtlich: Durch-Weg) durch ein »Reich der Schatten«, das die nicht-instrumentelle Vernunft beherbergt (GW XI, 29; Hegel spielt damit auf den ursprünglichen Titel von Schillers Gedicht Das Ideal und das Leben an). Es sei zumindest kurz erwähnt, daß Hegel die Geschichte der Philosophie als historische Entfaltung des Begriffs der Wahrheit, wie er in der Wissenschaft der Logik entwickelt wird, sieht. Freilich in der Form, daß der Begriff die Entwicklung vorgibt, keineswegs ist die Logik eine Abstraktion der Historie. Die Wissenschaft der Logik beruht nicht auf historischem Material (dessen Kritik sie dann in der Lesart Theunissens sein soll), sondern auch historisch kann sich das Denken nur in der Systematik des reinen Denkens vollziehen. Die Geschichte der Philosophie, die selber Philosophie ist, stellt die Geschichte »befreit von [der] geschichtlichen Äußerlichkeit, rein im Elemente des Denkens« (Enz. (1830) § 14) dar. In der zweiten Auflage der Seinslogik erwähnt Hegel diese Ansicht ausdrücklich (GW XXI, 76), noch deutlicher in einem Vorlesungsmanuskript von 1820 zur Einleitung in die Geschichte der Philosophie: »Nach dieser Idee behaupte ich nun, daß die Aufeinanderfolge der Systeme der Philosophie in der Geschichte dieselbe ist, als die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee. Ich behaupte, daß wenn man die Grundbegriffe der in der Geschichte der Philosophie erschienen Systeme rein dessen entkleidet, was ihre äußerliche Gestaltung, ihre Anwendung auf das Besondere, und dergleichen betrifft, so erhält man die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe.« (GW XVIII, 49 f., auch TWA 18, 49 und AV X, 98 f.) Der Begriff ist dermaßen konkret, daß er sich historisch niederschlägt. Dieser Gedanke trägt auch die Wissenschaft von den Erscheinungsweisen des sich entwickelnden Bewußtseins, die Phänomenologie des Geistes. Dabei besteht der Unterschied darin, daß in der Phänomenologie das vereinzelte Bewußtsein in seiner Entwicklung betrachtet wird, deshalb ist sie nur Einleitung in die Philosophie als Wissenschaft. Die Logik hingegen betrachtet die reine – sich ihren Inhalt selbst gebende – Form. Kritik am Anspruch auf Korrespondenz von logischer Entwicklung der Denkformen und Geschichte der Philosophie übt Hösle (1984: 85 f.).
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
dar. Das Sein ist kein gesetzter oder konstruierter Anfang, dadurch wäre es ein ›entschiedenes Sein‹, das nur aus einer Vermittlung hervorgehen kann. Die unverfügbare, unmittelbare Einheitlichkeit des Anfangs läßt fraglich werden, wie davon ein logos möglich sein soll. Selbst die einfachste Proposition hat immer schon ihre Verneinung neben sich. Derart kann der unmittelbare Anfangsgedanke allerdings nicht auftreten. Einheit läßt sich nicht aussagen, und selbst das einfachste Wort wäre doch von seiner intendierten Sache geschieden, es selbst ist Schrift, die gelesen, beziehungsweise Laut, der als Zeichen verstanden werden muß, wenn er nicht bloßer flatus voci sein soll. Eine Logik, die sich als kritische Bedeutungstheorie oder als Erkenntnistheorie verstünde, würde an dieser Stelle kein Sprachproblem kennen, denn hier kann genommen werden, was scheinbar nahe liegt: die ganz abstrakten mannigfachen Formen des tatsächlichen Redens, die selber nur leere Hülsen für eine Gegenstandsbestimmung darbieten. Solche Abstraktionen können in der als Vorstellung verstandenen repraesentatio gefunden werden17, die freilich darauf aufbaut, daß ihr zunächst etwas präsentiert wurde. Die Repräsentation bewegt sich deshalb in einer doppelten Voraussetzung: erstens verfügt sie über Begriffe, die nicht ihre eigene Sache, mithin getrennt sind. Zweitens sind diese getrennten Begriffe hingeordnet auf eine gegebene Sache, die sie trotz ihrer Trennung adäquat erfassen sollen. Quelle des repräsentativen Erkennens sind also nicht dessen Begriffe selbst, sondern die von ihm unabhängige Präsentation einer Sache, die sich zeigt oder auch nicht. Hier kann Logik mit einem Vorliegenden begonnen werden, das im Folgenden auf seine Bedeutung hin befragt wird. Ungeklärt bleibt dann, woher es kommt, daß die Sache überhaupt repräsentabel ist und wieso sie sich präsentiert. Dieses Geschehen wird statt dessen als Faktum hingenommen, das in aller Lebenspraxis vorausgesetzt wird.18 Hegel leistet der Ansicht Vorschub, es gehe ihm
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Zu einem anderen Verständnis der Repräsentation vgl. hier S. 266 ff. Stekeler-Weithofer (1992) liest – darin Fulda (1978) folgend – die Logik als semantische Theorie der Einschränkung von begrifflicher Vagheit. Die Logik Hegels gehe demnach mit folgender Methode vor: Der phänomenologischen Exposition eines Themas folgt eine »Resolutionsidee« (Stekeler-Weithofer 2004: 161 f.), die auf das »empraktische« Vorverständnis Bezug nimmt und (noch unklar und unreflektiert) dessen Gründe und Folgen angibt. Diese wiederum wird gefolgt von einer begrifflichen Rekonstruktion, die das Thema in den Kontext eines Ganzen stellt und aufklärt. Der Vorteil der Interpretation Stekeler-Weithofers liegt darin, daß sie in der Lage ist, die Materialität der Logik (ihren Inhaltsbezug) zu bewahren und zu rechtfertigen. Da die Logik die natürlichen Rede- und Weltbezugsweisen der Menschen aufklären soll, muß sie deren Inhalte miteinbeziehen, da sie die unterschiedlichen Rede- und Beziehungsmodelle bedingen. Die Logik hypostasiert also keinen Gegenstand (und macht ihn zu einer »Makroentität« (177)), sondern sie analysiert die Wahrheitsbedingungen der Rede über Gegenstände und analysiert kritisch, was 18
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um die Erläuterung der faktischen Funktion von Begriffen, wenn er davon spricht, daß die in der Sprache instinktiv wirksamen Kategorien »zu reinigen« und »zum Bewußtsein zu bringen« (GW XXI, 15) seien. Aber die Eigenart der Wissenschaft der Logik, Theorie der Wahrheit und nicht des Erkenntniserwerbs zu sein, fordert mit dem ›Zum-Bewußtsein-Bringen‹ Einsicht in die gemeinsame Herkunft der verwandten Sache und des Begriffs19, welche die Repräsentationsfähigkeit des Begriffs bedingt. Deshalb genügt der Logik nur der unverfügbare Beginn, der absolute Anfang, dessen eine Bedeutungstheorie nicht bedarf: Die Wahrheit hat ihren Grund nur in sich selbst, sie wird nach keinem Kriterium bemessen, das ja selbst wieder wahr sein sollte und in seiner Begründungsbedürftigkeit in den infiniten Regreß führt, wir verfügen daher über keinen Grund der in prinzipieller Bedeutung verstandenen Wahrheit. Die Sprachschwierigkeit wird dadurch noch vergrößert, und so gibt es ja auch den Standpunkt, die Wahrheit sei nicht erkennbar, schon weil niemand sagen könne, was sie denn sei (TWA 7, 18). Jedenfalls ist der Anfang aufgrund seiner Unmittelbarkeit, in der nichts als das Daß des Denkens vorhanden ist, prädikativ unsagbar. Der logos, der den Anfang macht, ist kein repräsentativer, er kann den Anfang nicht apophantisch als etwas identifizieren. Der logos ist einer der Präsentation. Sein stellt sich vor, mit einer Namensnennung wie beim Eintreten: »Sein, reines Sein, –« (GW XI, 43). Mit dieser Nennung setzt sich das Unverfügbare in die Relation des Denkens, welches, weil es Gedanken denkt, notwendig Relation ist. Wir können darin auch einen wesentlichen Unterschied der Wissenschaft der Logik zur früheren Jenaer Logik erkennen: Der Anfang mit dem Heraustreten des Begriffs selbst im Namen des Seins, der sich dann in die Relation des Denkens setzt, konnte in der Jenaer Logik noch nicht konzipiert werden, weil dieser Begriff noch nicht erreicht war. Die Jenaer Logik nimmt deshalb ihren Anfang in der »einfachen Beziedie Rede jeweils eigentlich sagt (bedeutet). – Wenn Hegel danach fragt, was in bestimmten Redeweisen »in der Tat« gesagt wird, dann analysiert er in dieser Weise kritisch. Stekeler-Weithofers Interpretation eines vorgängigen »empraktischen« Bezugs scheint aber die Unverfügbarkeit des logischen Bestimmungsweges, der zudem nicht auf irgendeinen Konsens unter Wesen von endlicher Subjektivität angewiesen ist, zu unterlaufen (die Annahme, die Logik beruhe auf »pragmatischen Voraussetzungen« zuvor bei Wieland 1978: 201). Die Kategorien der Logik setzen weder ein äußerliches Substrat voraus noch sind sie (letztlich relative) Inhalte des subjektiven Denkens (aus diesem Grund weist Horstmann 2004 die neopragmatische Aneignung Hegels bei Wood, Pinkard, Brandom und Honneth zurück). Im Zuge der Interpretation der begriffslogischen Idee des Lebens wird auf Stekeler-Weithofers Beitrag zurückzukommen sein. 19 Ihre syngeneia, wie Platon sie in Timaios 29b nennt und aus der Gestalt des Demiurgen erklärt.
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
hung« (GW VII, 3), der einfachst möglichen Bestimmung. Erst durch den sich selbst setzenden Begriff der Wissenschaft der Logik ist es möglich, noch einen Schritt vor die einfache Beziehung ›ins Unbestimmte‹ zu gehen.20 Nun könnte man vermuten, daß mit dem eigenmächtigen Nennen des Seins erst recht einiges vorausgesetzt werde. Nämlich, daß es da ein Subjekt gebe, das spricht, und daß es einen Raum gebe, in den hinein gesprochen wird. Doch mehr als »Sein, reines Sein, –« ist nicht gesagt. »Sein« kann noch nicht als Aussage verstanden werden, es ist erst ein Name, der noch keinen Verweis auf eine Sache und deshalb auch nicht auf einen Namensträger in sich trägt, – weshalb auch das Bild vom Eintreten mehr Falsches als Richtiges enthält. Darin, daß er auf nichts verweist, unterscheidet sich der Name »Sein« von den Namen einzelner Sachverhalte, die eingebunden in einen Satzzusammenhang wohl auf eine konkrete und vor allem von ihrem Urteil unabhängige Sache hinweisen (Bsp.: Deutschland ist ein Staat.). Der bloße Name »ist aber ein Sinnloses in dem Sinne, daß er nicht ein Allgemeines ausdrückt, und
20
Das Setzen im Sich-selbst-Setzen des Begriffs ist kein hypothetisches Setzen, wie wenn wir versuchsweise den Wert einer Sache festsetzen. Dort steht das Setzen einfach in der Bedeutung von »etwas annehmen« oder »in einen Zusammenhang setzen«. Diese Bedeutung ist auch noch präsent im extern-konstruierenden Setzen innerhalb des Rekonstruktionsakts der Philosophie, hier wird etwas als vorgängiger Grund für eine spätere Folge gesetzt. Diesem Setzen gilt Hegels Analyse in der Differenzschrift: »[J]edes Sein ist, weil es gesetzt ist, ein entgegengesetztes, bedingtes und bedingendes; der Verstand vervollständigt diese seine Beschränkungen durch das Setzen der entgegengesetzten Beschränkungen, als der Bedingungen; diese bedürfen derselben Vervollständigung, und seine Aufgabe erweitert sich zur unendlichen.« (GW IV, 17) Dies ist das Setzen der Reflexion, das in der Lehre vom Wesen näher verhandelt wird (vgl. GW XXI, 109: »Setzen fällt eigentlich erst in die Sphäre des Wesens, der objektiven Reflexion«.). Weil das Entgegensetzen bei diesem Setzen nicht gegenwärtig ist, unterliegt es Hegels Kritik, denn es ist sich seines eigenen Tuns nicht bewußt. »Der Verstand ahmt im absoluten Setzen die Vernunft nach und gibt sich durch diese Form selbst den Schein der Vernunft, wenn gleich die Gesetzten [Fichtes Ich und Nicht-Ich] an sich Entgegengesetzte, also Endliche sind« (GW IV, 13). So macht dieses Setzen eine unreflektierte Voraussetzung. Für Fichte und Schelling galt, daß das Ich im immanent-reflexiven Setzen sich selbst in seinem Sich-Konstruieren gegenwärtig ist. Dies nannten sie intellektuelle Anschauung. Die Wissenschaft der Logik entfaltet im Ganzen eine Theorie des Setzens. In der Lehre vom Sein ist sie vorausgesetzt, indem dort die einfache Bestimmtheit des Seins als eine einfache, ohne ihre entgegengesetzte Bestimmtheit gesetzt wird. Die Lehre vom Wesen setzt ausdrücklich und erweist die Voraussetzung des Seins als gesetzt. Bereits die Bestimmung des Widerspruchs und vollends die Lehre vom Begriff offenbart den Zusammenhang von Setzen und Voraussetzen. Damit hebt die Lehre vom Begriff das Setzen auf und läutert es zum »reine[n] Setzen der Vernunft ohne Entgegensetzen« (GW IV, 17), wie es die Differenzschrift nannte. Im reinen Setzen setzt sich eines als gesetzt, also nicht mehr gegen ein anderes. Darin ist es frei und wahr, denn es stimmt mit sich selbst überein und definiert sich nicht gegen ein anderes (vgl. hier S. 377 f.).
1.1 Das Werden des Begriffs
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erscheint als ein bloß Gesetztes, Willkürliches« (GW XXI, 105).21 Das bedeutet nicht, Namen seien unsinnig, sie sind aber für sich genommen sinnlos, denn sie verschweigen so verstanden ihre »Distinktheit vom Anderen der nämlichen Gattung« (Eley 1976: 31), die ihnen erst Bedeutung verleiht, – im Unterschied zu Anderem. Selbst der Name des Allgemeinsten (Sein) drückt kein Allgemeines aus, solange er nicht zeigt, daß Sein von mehreren gilt. Der Name mutet daher, wie der Entschluß, das Denken zu betrachten, willkürlich an. Könnte der Anfang beim Sein angesichts dessen auch ein Irrtum sein? Der Name ist Behauptung, allerdings von anderer Art als die Behauptungen endlicher Subjekte, die immer schon Behauptungen über etwas sind. »Sein« hingegen ist reines Behaupten, jedoch nicht über einen Gegenstand, der objektiv bestünde (und entsprechend auch nicht bestehen kann).22 Sein ist vielmehr ein »Ursachverhalt« (Koch 2000: 143), der vom Denken ungetrennt ist. Zum Was und Wie dieser Identität mit dem Denken gibt Aristoteles im neunten Buch der Metaphysik einen Hinweis, wo er – Platons Sophistes aufnehmend – davon spricht, daß Wahrheit und Falschheit hinsichtlich von Seiendem und Nicht-Seiendem gemäß deren »Zusammenvorliegen oder Getrenntsein« (synkeisthai dirsthai; Metaphysik IX 10, 1051b 2 f., zur gleichen Sache auch De interpretatione 16a) ausgesagt wird: Wer von Getrenntem sagt, es sei getrennt, der sagt Wahres, wer von Zusammengesetztem sagt, es sei getrennt, der sagt Falsches. Es gilt demnach, zu sehen, wann Wahres oder Falsches vorliegt. »Denn nicht durch unser wahres Dafürhalten (oiesthai), du seist weiß, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dieses aussagen.« (1051b 6–9) Aussagen über derartige ›zusammengesetzte‹ Sachverhalte können folglich wahr oder falsch oder auch jetzt wahr, später aber falsch sein. Die Urteilssynthesis baut aber auf einfachen Bestandteilen auf. Wie verhält es sich mit dem vollkom-
21
Auch hier ist nochmals Parmenides zu erwähnen, der als Kennzeichen der Unwissenden deren Versuch anführt, sich mit Namen (Benennungen) zu behelfen (DK 28 B 8, 38). 22 Entsprechend ist »Sein« auch nicht Objekt eines selbstbewußten Denkens, es wäre dann schon wieder re-präsentativ, könnte also nicht am Anfang stehen. »Sein« als Objekt zu lesen, ist ein Gedanke der für Hegel in die Phänomenologie gehört. Dennoch vertritt etwa Pippin (1989: 182 ff.) die Ansicht, die Logik wolle zeigen, daß Sein das »object of self-conscious thought« ist und nur als »conceptually mediated objectivity« (183) vorhanden sei. Die Logik wird dann als Erkenntnistheorie gelesen, die nicht die Frage nach der Wahrheit selbst, sondern nur die nach deren Gewahrwerden stellt. Die bewußtseinstheoretische Lesart der Logik ist verbreitet, vgl. Schupp (2003: 392). – Auch Adorno sieht, daß das Sein des Anfangs der Logik lediglich als Aufruf begegnet. Daraus, daß Sein so nicht stehen bleiben kann, liest er auch eine Kritik an zeitgenössischer ›Seinsphilosophie‹: »Hegel hat die Anrufung des Seins in ihrer manischen Starrheit als formelhaftes Klappern der Gebetsmühle gehört.« (1966: 47)
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
men Einfachen, etwa mit der Behauptung »Sein«, die auf keinen Gegenstand verweist und keine Zusammensetzung in Anspruch nimmt: »Was bedeutet nun aber bei dem Unzusammengesetzten (asyntheta) Sein und Nicht-Sein, Wahr und Falsch? Denn dies ist ja nicht zusammengesetzt, so daß es wäre, wenn es verbunden, nicht wäre, wenn es getrennt wäre« (1051b 17–20). Bezüglich des schlechthin Einfachen kann es keinen zusammengesetzten logos, keinen prädikativen Aussagesatz geben, der annimmt, daß seine Sache objektiv vorhanden wäre. Die ›Anfangssache‹ ist unmittelbar, also ungetrennt von ihrem Denken. So sagt Aristoteles: »Es ist aber bezüglich des Wahren ein Anrühren/Umarmen und Sagen (thingein kai phanai) – denn nicht dasselbe sind Aussage und Sage (kataphasis kai phasis) – bezüglich des [Falschen] ein Nichtwissen und Nicht-Berühren.« (1051b 23–25) Dies trifft genau auf das Sein zu, denn von ihm wird nicht irgendetwas ausgesagt, sondern es wird ›gesagt‹, d. h. genannt und ist nicht ohne sein Denken, das es ›berührt‹. Derart unvermittelt ist das Denken hier bei seiner Sache, daß es »ohne Zwischen und Abstand« (Boeder 1980: 214) bei ihr ist, die sich von sich her offenbar macht. So sehr ist es bei seinem Eigenen, daß es dieses umarmt. Würde das Denken es nicht ›anrühren‹, also nicht denken, dann wäre weder Sein noch Denken. Dies gilt wohlgemerkt nicht vom diskursiven Denken, das immer ein Denken über etwas ist, das sehr wohl unabhängig von unserem Denken ist oder nicht ist, weshalb dieses Denken auch falsch liegen kann. Die Rede ist vielmehr vom reinen Denken, nur dort kann solch unmittelbar, einziges und ungetrennt Einfaches gedacht werden, weil es nämlich vom Denken nicht verschieden ist. Die Wahrheit dieses Gedankens steht jenseits des Kontrastes zur Falschheit, so wie Sein nicht nicht-sein kann.23 Das Sein wird daher auch nicht unter eine Bedingung gestellt, indem es nur ist, wo es gedacht ist. Das Sein, mit dem der Anfang gemacht wird, ist nicht abhängig vom Denken, sondern es ist dieses Denken – in der unmittelbaren Form des bloßen Entschlusses zu denken, den wir das Daß des Denkens nennen können. Die Kontrastlosigkeit des ›berührenden Denkens‹ gilt auch für Hegels Anfangsgedanken. Der Name Sein ist somit am ehesten als rufendes Nennen zu bestimmen, er ist das »hervorrufende Wort der Vernunft«.24 Einen logischen Raum gibt es allerdings, doch muß dieser nicht vorausgesetzt werden, sondern er kann mit der Namensnennung eröffnet werden. Er ist ganz homogen, in ihm kann noch nichts verortet werden: »In seiner unbestimmten Unmittelbarkeit ist es nur sich selbst gleich und auch nicht 23
Koch (2000) weist in diesem Zusammenhang auf Aristoteles hin. Den Ausdruck borge ich von Jürgensen (1997: 76), der ihn allerdings auf Schellings Anfang in dessen Darstellung meines Systems der Philosophie anwendet. 24
1.1 Das Werden des Begriffs
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ungleich gegen Anderes, hat keine Verschiedenheit innerhalb seiner noch nach außen. Durch irgendeine Bestimmung oder Inhalt, der in ihm unterschieden oder wodurch es als unterschieden von Anderem gesetzt würde, würde es nicht in seiner Reinheit festgehalten. Es ist die reine Unbestimmtheit und Leere.« (GW XI, 43 f.) Die Leere des unmittelbaren Seins gibt den Raum für die Erfüllung durch Bestimmung, und zwar durch alle nur mögliche, da sie ja nicht außerhalb des Seins sein kann. Nicht das (gegebene) Sein gibt einem ansonsten leeren Begriff die Erfüllung, sondern Sein ist leer und bedarf der Erfüllung: Der Anfang ist ein Mangel. Die Unmittelbarkeit ist nicht ›jenseits‹ des Denkens, sondern sie ist Leere und Unterschiedslosigkeit des Denkens selbst, das das reine Sein denkt; sie ist die Leere eines Wissens, das in der »Reinheit« des sich nennenden Seins nicht von diesem geschieden ist; oder anders gewendet: Weil die Unmittelbarkeit sich präsentiert und nicht als Grund oder »Ungrund«25 jenseits des Denkens stehen bleibt, weil sie aber zugleich nichts Bestimmtes zeigt, ist sie nicht einfach Nichts, sondern Leere und mithin das, was erst zu füllen ist. Sein ist (reine) Behauptung, die Erfüllung sucht: Der Anfang bestimmt sich also als Aufgabe.26 Darin liegt der zweite Aspekt des für sich genommen sinnlosen Namens: Er erfüllt seine Funktion nur, indem er etwas zeigt. Wo er für sich steht, gilt, was Hegel in den Jenaer Systementwürfen schreibt: »Im Nahmen ist […] die Realität des Zeichens vernichtet« (GW VI, 288). Hegel verwendet für den Namen hier eine – laut Grimmschen Wörterbuch – schon zu seiner Zeit altertümelnde Schreibweise, die im Präteritum von »nehmen« eine
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So nennt Schelling die unvordenkliche Gleichgültigkeit, das Wesen des Grundes (SW VII, 408), vgl. dazu Jürgensen (1997: 149). 26 Die Logik beginnt also mit einer Handlung, nicht mit einer im Anfang nicht zu begründenden Tatsache. Somit entlarvt sich auch die Rede von der Behauptung des Seins als didaktische Lüge unsererseits, denn mit bloßem Sein wird ja noch nichts behauptet, keine Behauptung über etwas aufgestellt. So wird auch deutlich, warum die immer wieder verwendete Charakterisierung der Dialektik Hegels mit dem Dreischritt von These-Antithese-Synthese, die in Anlehnung an Kant und Fichte eingeführt wurde, unpassend ist: Der Beginn mit einem Unmittelbaren ist keine These. Über den leeren Formalismus solcher »Triplizität« spottet Hegel selbst in der Phänomenologie (GW IX, 36 f.; vgl dazu Fujita 1994). – Mueller (1958) zeigt auf, daß Hegel dieses Vokabular nie benutzt hat, und daß es statt dessen als didaktisches Hilfsmittel von Heinrich Moritz Chalybäus in dessen 1837 veröffentlichten, zu seiner Zeit sehr populären Vorlesungen Historische Entwicklung der speculativen Philosophie von Kant bis Hegel. Zu näherer Verständigung des wissenschaftlichen Publikums mit der neuesten Schule eingeführt wurde, von wo aus es von Marx übernommen wurde. – Wenn man schon eine formelle Struktur Hegelscher Dialektik angeben wollte, so müßte diese im übrigen vier Momente umfassen: Position, Negation, Negation der Negation (reflektierte Negation) und erneuerte Position (vgl. hierzu Spieker 2003: 290 und 301 f.).
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
Verwandtschaft des Namens mit dem Nehmen anzeigen will. Indem etwas benamt wird, wird es vorgenommen, kann es intendiert werden. Daß Sein zu füllen ist, ist entscheidend für die vollkommene und durchsichtige Selbstbestimmung des Denkens. Es beginnt mit einem Bestimmbaren und ruht nicht auf einem Ungrund. Wenn das Sein nicht zur Realität des Zeichens gelangte, so bliebe es still für sich bestehen, dann würde es aber auch nicht gedacht werden und damit auch nichts zu erkennen geben. Denken wäre also getrennt vom Sein, was zu dem fragwürdigen Satz führt: Denken, wenn es ist, kann sein oder nicht sein. Wo die durchsichtige Selbstbestimmung des Denkens nicht gedacht werden soll, muß daher auch der Anfang mit der zu (er-)füllenden Leere abgelehnt werden. Dazu muß dem Sein etwas zurückbehalten werden, das hinter seiner Namensnennung stehen bleibt und nicht in den Prozeß der Bestimmung eingeht. Worin diese Hinterwelt besteht, kann freilich nicht angegeben werden. Ihre verborgen-blinde Voraussetzung gibt aber den Grund dafür an, Hegels angebliche ›Vergegenständlichung‹ des Seins (vgl. Gadamer 1987b: 80 ff.) 27 zu kritisieren. Angesichts der Leere und Unverfügbarkeit des Seins dürfte klar sein, daß von Vergegenständlichung in der Logik keine Rede sein kann. Der logische Raum kann nicht unmittelbar, sondern erst im und als Erfüllen (durch Bestimmtheit) thematisch sein, so gibt er auch Raum für den Kontrast von Wahrem und Falschem. Der logische Raum geht erst auf, wenn das Sein als Nichts erkannt wird, oder genauer: Wenn Daß-Sein und Nichts in ihr Gegenteil verschwunden und doch nicht ununterschieden sind. Alles weitere, was der Absatz der Wissenschaft der Logik enthält, ist uneigentliche, sich ständig selbst zurücknehmende Rede.28 »Es ist nichts in 27
Eine historische Übersicht über die verschiedenen Interpretationen des Anfangs bieten Henrich (1988) und Theunissen (1978). 28 Henrich spricht davon, daß hier negierte Reflexionsbestimmungen verwendet werden, um auf den Gedanken »Sein« zu weisen, der frei von Strukturen der Reflexion sein solle (1988: 86). So unterscheiden die Kommentatoren in den einzelnen Schritten der Logik zwischen den jeweils thematischen und den operativen Kategorien, mit denen erstere erläutert werden; diese terminologische Unterscheidung stammt von Fink (1957). Henrich kritisiert aber, daß ein Anfang, der nur via negationis in den Blick gebracht werden kann, nicht zureichend aus sich selbst zu verstehen sei, folglich – so ist zu ergänzen – ist er auch nicht unmittelbar, sondern beruht auf Voraussetzungen. Henrich geht noch weiter, wenn er aus dem Abstand zwischen dem tatsächlichem Fortgang der Logik und der begleitenden Selbsterläuterung durch Hegel folgert, daß dieser »kein zureichend deutliches Bewußtsein« von der formgebenden Methode seiner Texte besessen habe (1978: 224 ff.). Henrichs Werk ist der Versuch, dieser angeblich verborgenen Methode Gestalt zu geben, beispielhaft nachvollziehbar ist dies bei Henrich (1999). In praxi sieht Henrichs Aufklärung der Methode dann aber so aus, daß ein Begriff – beispielsweise derjenige der Unmittelbarkeit (1978: 248 ff.) – in den verschiedenen Stadien seines Vorkommens durchnum-
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ihm anzuschauen, wenn von Anschauen hier gesprochen werden kann;« (GW XI, 44). Die Rede soll begreiflich machen (d. h. vermitteln), was in dieser Präsentation unmittelbar geschieht, also gar nicht zu begreifen ist: Die unbestimmte Unmittelbarkeit ist »in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts.« Wir können diesen Satz auch so lesen, daß die »Tat« des Seins Nichts ist: Das Sein bestimmt nicht, denn dann machte es einen Unterschied und würde sich in Widerspruch zu seiner unbestimmten Unmittelbarkeit begeben. Der Name des Seins verhallt unverrichteter Dinge, weil es sich als das vorstellt, was »rein« ist, also mit nichts etwas zu tun hat. Zur Namensnennung würde »Sein« genügt haben, und aufgrund seiner prädikativen Unsagbarkeit bildet der ganze erste – anakoluthische – Satz keinen
meriert wird, um so auseinanderhalten zu können, was sich in der dialektischen Methode gerade als nicht wahrhaft differenzierbar ergab. Die von Henrich angezielte methodische Beherrschung vermittelt damit den Eindruck es gebe neben dem Nachfolgebegriff des Scheins auch noch eine Seinsunmittelbarkeit (U1 neben U2). Die Dialektik will aber gerade zeigen, daß diese unhaltbar ist. Vgl. zur Kritik an Henrich auch hier S. 164, Fn. 23. Die Analyse eines Abstands zwischen Erläuterung und sich formierenden Gedanken muß aber nicht im Widerspruch zum Anfang der Logik stehen, denn daß dieser als solcher (»das Sein«) verständlich sein soll, ist gar nicht beansprucht. Einsehbar wird im Anfang lediglich die Aporie des Anfangs, die im zweifachen Sinn des Elements einen Ausweg findet. Daß in der Erläuterung hier wie auch an anderen Stellen (so in der Bezeichnung des Seins als »unmittelbarer Unmittelbarkeit« (GW XI, 52), was erst im Kontrast zur ›vermittelten Unmittelbarkeit‹ der Wesenslogik eine sinnvolle Bestimmung wird, und besonders im Übergang des Endlichen in das Unendliche) reflexionslogische Kategorien verwendet werden, ist ein notwendiges Erfordernis der Darstellung des logischen Gedankens für das reflexive endliche Denken. Es bedeutet aber nicht, daß Hegel in der Entwicklung der Kategorien des Seins Begriffe, die erst später entwickelt werden, als Maßstab äußerlich voraussetzen würde. Der Mangel, der die weitere Bewegung motiviert, ist je den Kategorien an sich selbst zu eigen, wie an der Kluft zwischen Behauptung und Tat des Seins ersichtlich ist. Vgl. hinsichtlich dieser Frage auch die indirekte Kritik an Henrich bei Wieland (1978: 199 ff.). Was den Text der Logik angeht: Dieser wechselt ständig zwischen der Präsentation der logischen Kategorien und deren Kommentierung, die zum Teil in Anmerkungen gekennzeichnet und vielfach – wie zu Beginn der Seinslogik – ohne eigene Kennzeichnung im Haupttext zu finden ist. Die Kommentierung verwendet Begriffe der Reflexion auch zu einem Zeitpunkt, wo sie logisch noch nicht entwickelt wurden. Dies geschieht zum Verständnis und zur Darstellung des reinen Denkens für das Denken des endlichen Bewußtseins, das Logik betreibt, aber doch nicht selber Logik ist. Die Rede, die ihre Geltung selber durchstreicht, ist ein Beispiel für eine nicht eigens gekennzeichnete Kommentierung im Haupttext der Wissenschaft der Logik. Die logische Bewegung, deren Bedeutung noch zu klären sein wird, ist nicht von dem Kommentar abhängig, daher ist es Hegel möglich, die Logik in der Enzyklopädie auf weniger als 1/8 der Seiten der ›großen‹ Logik zu verhandeln. Eine Rekonstruktion der Gedankenbewegung muß diese aus der knapp gehaltenen Präsentation entwickeln, andernfalls steht sie in der Gefahr zum historischen Verzeichnen zu werden.
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vollständigen Satz, da ihm das Prädikat fehlt: »Sein, reines Sein, – ohne alle weitere Bestimmung.« Dieser Name ist, wie Hegel in der zweiten Anmerkung kommentiert, »satzlos ohne Behauptung oder Prädikat […] ein Ausruf« (GW XI, 52). Sein hat keine Erklärung und ist deshalb nicht weiter erkennbar. Wie gelangen wir nun von der einfachen Namens-Präsentation des unerkennbaren Seins zu dessen Verknüpfung im Satz? Hierzu braucht es keinen Perspektivwechsel, keine äußere Reflexion, die das Sein zu einer unter mehreren Arten der Gattung »unbestimmte Unmittelbarkeit« macht, in welchem Fall Sein nicht mehr unmittelbar wäre. Der satz- und somit erklärungslose Name des Elements29 selbst, das Sein als solches, initiiert diesen Übergang. Dem anfänglich unbestimmt Unmittelbaren fehlt der zureichende Grund, es besteht nicht, denn Sein hat weder Woher noch Wozu. Sein, substantiell oder als bleibende, feststehende höchste Gattung verstanden, ist mithin nicht. Es könnte nachgefragt werden, ob sich darin bereits die Unwahrheit des Seins kundmacht. Die Unwahrheit läge im Sagen des Seins selbst: Indem es sich nennt, denkt das Denken Daß-Sein. Dieses ist ganz leer und bietet der Reflexion keinen Anhalt, somit entzieht sich dieser Inhalt (Daß-Sein), denn gedacht wird damit Nichts. Sein bleibt »rein« in sich stehen und zeigt deshalb (auf) nichts. Die reine Präsentation bedeutet ebenso den vollkommenen Entzug der Sache, sie ist keine Sache, sie ist gar nicht und sie kann nicht Sache sein, denn Sein ist notwendig und unmittelbar Nichts. Sein wäre, weil es gegen seine eigene Notwendigkeit steht, nicht lediglich unwahr, sondern sogar falsch. Doch somit ist es im Grunde genommen nicht der Name des Seins, der unwahr ist. Zum einen steht der bloße Name noch vor der Apophansis, mit der sich erst der Unterschied von wahr und falsch auftut, und zum anderen geht der Name ja über.30 Falsch wäre vielmehr die These, daß Sein ist; d. h. die von einem denkenden Subjekt getätigte Hypostase der Fak29
Platon spricht in Theaitetos 201e davon, daß ta prta stoicheia keine Erklärung zulassen, wenn man sie als sie selbst aussagen wolle. Jede Ergänzung (auto, ekeino, hekaston, monon, touto) würde ihnen ein Anderes beilegen und sie somit nicht als erste Elemente aussagen. Die erste Hypothese des Platonischen Parmenides führt die daraus entstehende Aporie vor. 30 Koch (2002: 28 f.) spricht daher davon, daß das Ursachverhalte erfassende Denken nicht falsch sein kann und daß die Negation dieses Denkens (also dessen Übergang von Sein zu Nichts) nicht dessen Falschheit, sondern das Verlassen des jeweiligen logischen Raumes bedeutet. Koch muß sich aber der Zuhilfenahme der Differenzierung von reinem Denken der Logik und dem synthetisierenden Mitdenken des Lesers der Logik bedienen, um angesichts des bloßen ›Verlassens logischer Räume‹ innerhalb der Logik, wodurch sich gerade keine Entwicklung eines zusammenhängenden logischen Gebäudes ergäbe, dennoch deren Vermittlung denken zu können.
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tizität des Seins.31 Im Hypostasieren macht »man seine [Hervorhebung d. V.] Gedanken zu Sachen« (Kant, KrV, A 395), d. h. die endlich vorstellungsmäßigen Gedanken des endlichen Subjekts werden vergegenständlicht. Solch ein Denken ist gerade nicht Thema der Logik, was nicht heißt, daß deren Begriff beispielsweise für die hypostatische Struktur des Behauptens von Seiten endlicher Subjekte folgenlos bleibt. Als unwahr schließlich erweist sich der Anfang erst in seinem Fortgang und zuletzt in seiner Vollendung im »erfüllten Sein« (GW XII, 252) der Begriffslogik. Sein, so zeigt sich, ist nicht vorstell- und denkbar. Reines Sein läßt sich nicht halten, es ist nichts nicht (non aliud) und somit weder wahr noch falsch.32 Die Negation, die das Sein ist, nämlich nicht-bestimmt und nicht-mittelbar, ist nicht als Negation bestimmbar. Darin liegt der logische Grund für den ersten vollständigen Satz der Logik, der da lautet: »Das Sein […] ist in der Tat Nichts«. Das Sein ist mithin gerade nicht vorhanden oder unmittelbar gegeben.
1.1.B Was ist »Nichts«? »Nichts« kommt aufgrund des Denkens des reinen Seins zur Sprache, zu ihm wird das Denken des Seins unmittelbar gewiesen. »Nichts« ist, was reines Sein in Wahrheit ist. Doch was heißt Einheit von Sache und Begriff in bezug auf »Nichts«? Gibt es überhaupt eine Sache »Nichts«? »Nichts« zeigt sich nicht und hat, trotzdem es offenbar genannt werden kann, keinen Anspruch auf eine Präsentation. Es ist völliges Verbergen des Seins (von Nichts), daher kann es auch keinen Abstand nehmen, denn der Abstand machte es zu einem Anderen, das Nichts wäre Nichts von etwas und folglich selber etwas. Nichts aber ist unterschiedslos, seine Sache ist einfach nicht, was bedeutet, daß »Nichts« als Inhalt reinen Denkens wiederum gänzlich unmittelbar ist: Es ist Daß-Nichts – »vollkommene Leerheit« (GW XI, 44). Der Name der leeren Unmittelbarkeit lautete »Sein«. Nichts ist somit »dasselbe […] als das
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Das Hypostasieren von Faktizität bedeutet, die Selbständigkeit eines Sachverhalts entgegen seiner tatsächlichen negativen Relationiertheit zu behaupten (dazu auch Enz. (1830) §130A). 32 Das Sein ist nichts nicht, das war Anlaß seines perfekten Übergangs ins Nichts. Keineswegs kann es in seiner Unmittelbarkeit als »Nicht-Nichts« genommen werden, wie Moria (2002) es versucht, um von daher entgegen des Übergehens von Sein in Nichts – in haltloser Seinslyrik – ein ›unmittelbares Bestimmen‹ des Seins, »von dem die Bestimmungen des Denkens unmittelbar ausstrahlen« (24) zu behaupten. Daß Bestimmung nicht unmittelbar sein kann, ist die zentrale Einsicht der Seinslogik, zudem werden Bestimmungen nicht ausgestrahlt (ebensowenig fließen sie aus); sie werden gedacht.
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reine Sein«. Nichts ist somit das, was es verbergen sollte, es ist nicht selber irgendetwas, sondern es zeigt sich, nur das Sein zu sein, das in es überging. Qua der Haltlosigkeit der sich widersprechenden Unmittelbarkeit erweisen sich Sein und Nichts in Wahrheit als der perfekte Übergang – im Verlaufswie im Vollendungssinne – des Seins in Nichts und des Nichts in Sein: »die Wahrheit ist, […] daß das Sein in Nichts und das Nichts in Sein – nicht übergeht –, sondern übergegangen ist.« Weder vom Sein noch vom Nichts bleibt ein Rest übrig, keines der beiden besteht und geht in der Folge über zum Anderen. Es gibt keine Anfangsdifferenz innerhalb des Seins oder von Sein und Denken, von der ausgehend nur ›ein Teil‹ von Sein zu Nichts wird, während ein anderer Teil bestehen bliebe. So stellt Nichts auch nicht die Negation von Sein dar. Die Negation ist immer bestimmt, denn eines negiert ein anderes; im Übergang von Sein und Nichts gibt es jedoch kein solches Anderes. Der Übergang geschieht unmittelbar, und so ist die hier vorkommende Negation ein einfaches Vernichten, womit nichts bleibt, was sie negiert. Im Sein selbst geschieht der Umschlag, nicht von diesem aus, da es ja kein etwaiges Anderes gibt. Damit scheint aber auch weder Bewegung noch Zusammenhang zwischen ihnen möglich zu sein: Wo nichts unterschieden ist, da kann auch nichts zusammenhängen, und ohne eine Richtungsdifferenz kann auch keine Bewegung in Gang kommen, die den Zusammenhang hervorbringt, indem sie durch ihn hindurchgeht. Ohne eine Bewegung in der Differenz von Sein und Nichts ist aber auch der Hervorgang des Werdens nicht schlüssig. Der einfachste Sinn des Werdens beinhaltet einen Übergang von einem Noch-nicht-Sein zu einem Sein. Anfang und Resultat des Werdens müssen verschieden sein. Zwar sind das Woraus und das Wozu des Werdens nicht radikal getrennt, das Woraus hat die aktive oder passive dynamis des Wozu, andernfalls könnte von keinem Werden die Rede sein; wo Resultat und Anfang aber dasselbe sind, da gibt es auch kein Werden. Angesichts des schlechthin einheitlichen Beginns der Logik, ihres perfekten Übergangs, ist es nicht möglich, sein Woraus und Wozu zu differenzieren. Der Weg über ein ›Mitprinzip‹, in das ›hinein‹ das Erste sich entfalten könnte, steht nicht offen, denn es ist dann nicht mehr streng Eines. Zudem strich sich die Geltung der Rede von einem bleibenden unmittelbaren Ersten ja selber durch, denn ein solcher Ausgangsstandpunkt ist eine haltlose Hypostase.33 Das Werden scheint unmöglich. Ein in Kommentierungen vielfach erwogener Behelf zur Erklärung einer Differenz von Sein und Nichts ist, daß »Sein« zunächst als reichste, weil alles 33
Guzzoni (1982) gibt ausführlich Auskunft zur Thematik des absoluten Werdens, dessen »Woraus, Wozu und Wodurch« (17) selbig sind.
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enthaltende Bestimmung vermeint wird, diese Meinung werde dann durch die Unbestimmtheit des Seins zerstört. »Nichts« wird dann zur bestimmten Negation dieser Meinung, die ihre Wahrheit in der Aufhebung durch den synthetischen Begriff des Werdens findet, der eine reichere Bestimmung sei.34 Nach dieser Erklärung bewegt sich nicht die in Rede stehende Sache, sondern deren Erkenntnis35, – die Logik wird zur Erkenntnistheorie. Nun hat die Meinung eigentlich ihren Ort innerhalb der Phänomenologie, sie ist die unmittelbare Gewißheit des Bewußtseins, und das »Sprechen [hat] die göttliche Natur […], die Meinung […] gar nicht zum Worte kommen zu lassen« (GW IX, 70). »Sein« ist aber das Wort ›par excellence‹, nämlich sich präsentierender Name, was die Meinung ausdrücklich nicht ist. Die Vorstellung, »Sein« sei eine Meinung, lebt von Voraussetzungen, die die Logik nicht gewährt. Meinung ist eine Mutmaßung eines Subjekts über einen Gegenstand. Innerhalb der Wissenschaft, deren Element die Einheit von Begriff und Sein ist, hat die Trennung des Bewußtseins von einem Gegenstand keinen Ort, es sei denn als unausgesprochene Voraussetzung. Konzedierte man dies, wäre der Anspruch der Logik, »eigene Reflexion des Inhalts« (GW XI, 7) zu sein, von vornherein unhaltbar, man bräuchte sich folglich nicht mit der »Meinung« zu behelfen, um die Schlüssigkeit der Logik zu erweisen.36 Um 34
Innerhalb eines prozessualen Fortgangs sind grundsätzlich alle Momente von gleicher Dignität, weil sie von gleicher Notwendigkeit sind. Die metaphorische Rede von ›höheren‹ oder auch ›reicheren‹ Bestimmungen ist daher immer irreführend. – Haas (2003: 39 f.) regt an, von einem ›erweiterten‹, d. i. logischen Meinungsbegriff zu sprechen, der das Meinen in bezug auf das Nennen (als intentio) definiert und es nicht erkenntnistheoretisch versteht. Stattdessen schlage ich den Begriff der Präsentation vor, der nicht mit der erkenntnistheoretischen Meinung gleichlautet. 35 Dazu, daß die Bewegung nicht äußerliche Erkenntnis gegenüber der Sache ist, nimmt Hegel zu Anfang der Lehre vom Wesen Stellung: »Aber dieser Gang ist die Bewegung des Seins selbst.« (GW XI, 241). 36 Hier wie auch an anderen Stellen könnte der Leser der Logik versucht sein, sich selbst ins Spiel zu bringen und zu sagen: ›Da ist das Denken und das Sein sowie das Denken und das Nichts, und dann wird vom Werden geredet. Aber da bin immer auch ich, der Leser. Ich und mein Denkvollzug, der den Gedanken relativiert. Denken-Sein-Nichts sind relativ in bezug auf mich. Der Übergang, das Werden, ist das Enttäuschungsgeschehen meines Denkens und Meinens.‹ In der Tat verläuft derart das Geschehen in der Phänomenologie. Analoges begegnet uns in der Kritik des sogenannten ontologischen Arguments des Anselm: Daß dasjenige ist, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, sei falsch, da dies alles relativ vom Denkenden abhänge. Das Argument wird als intentionaler Gegenstand genommen. Damit dieser Gegenstand auch wirklich sei, bedürfe er weiterer Quellen, z. B. der Kontingenz des Denkens dieses Gedankens. Das ontologische Argument werde daher erst durch ein verkapptes kosmologisches Argument (›wenn Kontingentes existiert, dann auch Absolutes‹) wahr. Das ontologische Argument scheitere also, weil der anselmsche Gedanke »id quo maius cogitari non potest« (Proslogion) immer an den, der dies denkt, zurückgebunden bleibt. Descartes faßt das Problem in dem Satz, daß
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Vorstellungen eines Subjekts oder Objekts am Beginn der Logik nicht zu nähren, verwirft Hegel selbst die ansonsten naheliegende Rede von der Meinung (GW XI, 50).37 Daß der reine Name sinnlos ist, macht ihn noch nicht zum Unsagbaren, wohinter die Vorstellung steht, das da ›etwas‹ ist, dem die die cogitatio mea den Dingen keine Notwendigkeit aufzwinge (Meditationes V, 9), der Gedanke ›Gott‹ aber werde nicht ausgedacht (liberum), sondern notwendig eingesehen (V, 10 und 11). Dem vermeintlichen Scheitern des ontologischen Arguments sowie der vermeintlich enttäuschten Meinung in der Logik liegt die Vermutung zugrunde, das Denken könne sich nicht vom endlichen Vollzug und dem zufällig Denkenden losreißen. Die unbedingte Geltung des ontologischen Arguments sei ebenso wie die unbedingte Geltung der Übergänge (nicht nur des anfänglichen) in der Wissenschaft der Logik nur behauptet. Das Argument (das, was sagt: das Absolute sei) sei doch immer bedingt dadurch, daß es einer denke. Es sei bedingt durch den faktischen, vereinzelten (zufälligen) Vollzug, weshalb das Argument aufzugeben oder durch ein weiteres Argument (ein kosmologisches beziehungsweise im Falle der Logik durch die Voraussetzung, Werden sei der erste Begriff und folglich sei der Anfangsgedanke der Logik nicht synthetischer, sondern analytischer Natur (Gadamer)) gestützt werden müsse. – Ganz gleich, ob nicht der so Einredende zugestehen würde, daß das Denken im Urteil ›Die Sauce ist aus Tomaten‹ sich vom Akt und dem zufällig Urteilenden losreißt und in der Folge zugesteht, daß dies nicht lediglich ein Gedanke sei, sondern daß es so ist. Gewiß wäre dies der Fall, doch die Materien dieses Urteils sind ja empirische, sogenannte gegebene Dinge. Solches Gegebene (Empirische) aber ist ja seiend, also denke das Denken hier Seiendes. Im ontologischen Argument und hier im Gedanken Sein werde aber Sein, d. i. Gegebenes gerade nicht gedacht: also sei es (als rein intentionaler Gegenstand) untrennbar vom Akt und vom Denkenden, und von einem Losreißen des Denkens könne nicht die Rede sein. Dieser Ansicht liegt die Vorstellung zugrunde, das Denken könne ein Gedanke sein. Dies ist jedoch nicht der Fall (dazu aus Cramers Grundlegung einer Theorie des Geistes): Wohl hat das Denken Gedanken, es ist aber nicht Gedanke (1965: 12), zudem – so ist zu ergänzen – erzeugt das Denken seine Gedanken nicht, sondern es erfaßt sie. Wäre das Denken ein Gedanke, dann wäre die Relation des Denkens (eben die Verschiedenheit von Denken und Gedanke) aufgehoben. Die Bestimmung, daß das Denken nicht Gedanke sei, ist wohl selbst ein Gedanke und kann nur im Gedanken gewußt werden, daß besagt aber lediglich: In einem Gedanken ist Denken von Gedanken unterschieden. Daß das Denken nicht Gedanke ist, ist in sich selbst gerechtfertigt und nicht lediglich ein Anspruch. Das hier in Anspruch genommene Ist ist nicht nur ein Ist-Anspruch, sondern es steht in prinzipieller Bedeutung und liegt schon der Möglichkeit seiner Bezweiflung zugrunde: »Denn die Behauptung: das ›ist‹ hat keinen Sinn, es ist kein Ist-Sinn, ist selbst beherrscht vom Sinn des ›ist‹.« (1965: 13) Jeder Anspruch auf Feststellung einer Bestimmtheit, ob betreffs des Denkens oder der Sauce aus Tomaten, setzt die – von unserem Einredner unbedachte – Wahrheit, daß das Denken nicht Gedanke ist, voraus. Cramer nennt diesen Gedanken daher eine »ursprüngliche Wahrheit«, sie muß nicht bewiesen werden und ist zur Wahrung der Sinnhaftigkeit von Denken überhaupt unhintergehbar. Über den Charakter des Denkens als vereinzelt-endliches oder absolutes ist dabei noch nichts entschieden, so auch nicht über die Identität von Denken und Sein, wohl aber darüber, daß für das vereinzelte Denken jedenfalls gelten muß, daß das Denken nicht Gedanke ist, ob dies nun von mir gedacht wird oder nicht. Daraus folgt: Das Denken denkt sich nicht Gedanken ›so wie es ihm gerade paßt‹. Dies ist vielmehr die Verfahrensweise
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Sagbarkeit abginge.38 Der Name »Sein« wird aber genannt, die Kategorie der (Aus-)Sagbarkeit trifft auf ihn gar nicht zu. Ist der Begriff des Werdens also mangels eines wirklichen Übergangs von Sein und Nichts kein Resultat, sondern sind diese umgekehrt, wie Gadamer vermutet, von vornherein »analytische Momente« (1987b: 78) des Begriffs des Werdens? Ist die Rede vom Übergang damit ohne sachlichen Grund, weil eigentlich das Werden vorausgesetzt ist und Sein und Nichts dessen Glieder oder Aspekte sind?39 Sein und Nichts wären dann nur im Hinblick auf ihr Anderes, also nicht unmittelbar. Wir haben aber gesehen, daß Sein sich nicht in bezug auf …, sondern an sich präsentiert. Findet desweiteren aufgrund der Selbigkeit von Sein und Nichts kein wirklicher Übergang zwischen beiden statt, so kann »Werden« nicht deren Fortgang darstellen, sondern es müßte selbst den Anfang machen oder einer kategorialen Ordnung neben der von Sein und Nichts entstammen. Werden ist aber ein synthetischer Begriff, dessen innere Differenziertheit ihn als immer schon vermittelt offenbart. Die Differenz im Werden verhindert aber, daß es in der Position der Präsentation steht, denn der Begriff des Werdens ist nicht evident, – so wie kein Begriff, des Vorstellens, das sich seine Bilder konstruiert. Das Denken, das Gedanken denkt, aber nicht selber ein Gedanke ist, richtet sich nach dem Begriff des von ihm Gedachten: So denken wir etwa den Begriff eines Dreiecks und verbinden (im euklidischen Raum) damit die Winkelsumme 180°. Dies zu denken erzwingt der Begriff, es ist nicht im Verfügungsbereich endlichen Denkens, also nicht ausgedacht. Ebenso ist dieser Begriff aber nicht ein gegebener Gegenstand, der an sich ist, denn als nicht-gedachter würde er gar keinen Sinn ergeben. Er ist vielmehr Implikat (je-)des Denkens, zu dessen Selbstverhältnis es gehört, etwas Bestimmtes zu denken, das nur als Gedanke im Denken, nicht aber selbst Gedanke ist. 37 Aus demselben Grund wandelt Hegel den unvermeidlichen Begriff des Denkens, um ihn vor dem »Schein von Subjektivität« zu bewahren, zum »vermeintlich verständlicher[en]« des »unendliche[n] Denken[s]« (GW XI, 31). Hierzu auch die Bemerkung von Rohs: »Die Erkenntnis der Form ist ihrem Wesen nach ursprünglicher als die Erkenntnis der Erkenntnis.« (1969: 24) Deshalb muß zwischen einem Subjekt der Form (reines Denken) und einem Subjekt des Bewußtseins (empirisches Ich) getrennt werden. Daher ist auch die gelegentliche – vorwurfsvoll gemeinte – Bezeichnung der Philosophie Hegels als Bewußtseinsmetaphysik verfehlt (zu neueren Quellen dieses Vorwurfs vgl. die kritische Diskussion bei Bondeli 2001). Der Vorwurf wird insbesondere im Zusammenhang von Hegels praktischer Philosophie erhoben, beispielsweise im Zusammenhang der Auseinandersetzung um den Begriff der Anerkennung (hierzu die Belege bei Spieker 2003). Das Bewußtsein ist dem Subjekt der Form gegenüber sekundär. 38 Wenn Hegel von einer Unsagbarkeit des Seins spricht (GW XXI, 79), dann bezieht sich diese auf dessen vermeinten Unterschied zum Nichts. Der Unterschied ist unsagbar, weil Sein und Nichts durch keine Bestimmtheit unterschieden sind. 39 Diese Kritik Gadamers findet sich der Sache nach schon in der Hegel-Kritik des 19. Jahrhunderts bei Trendelenburg und von Hartmann. Hösle (1998: 199) schließt sich ihr mit einigen Ergänzungen an. Einen Überblick und eine Kritik an der Anfangskritik bietet Henrich (1988a).
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der Differentes in einer Einheit versammelt, evident ist. Umgekehrt ist deutlich geworden, daß gerade die reine Evidenz des sich-präsentierenden Seins für dessen haltlosen Übergang verantwortlich ist. Die behauptete Evidenz ist mithin unwahr, sie besteht nicht und so ist sie als Anfang. Werden bildet wohl den ersten Begriff der Logik, nicht aber deren Anfang. Wenn Sein und Nichts als analytische Momente an sich ununterscheidbar wären, so wäre zudem auch ihre Ordnung gleichgültig. Der Anfang mit dem Nichts ist aber entgegen dieser Vermutung ganz und gar unmöglich, da Nichts sich nicht zeigt. Daß Nichts schließlich »dasselbe […] als« das Sein ist, kann nur aufgrund eines Vergleichs gleichsam auf dem Rücken des Seins festgestellt werden. Sein und Nichts sind daher ebensosehr entgegengesetzt wie selbig.
1.1.C Der Satz zeigt den Begriff: das Werden Wenn das reine Nichts genauso unmittelbar wie das reine Sein ist, weshalb folgt daraus nicht lediglich das Wiederaufstellen der Position der Präsentation? Warum wird hier der erste Begriff der Logik aufgezeigt, die Einheit von Sein und Nichts im Werden? Eine erneute Präsentation von »Sein« ist ebenso haltlos wie dessen anfängliche Vorstellung. An dieser »haltlosen Unruhe« kann nicht festgehalten werden, denn daraus, daß das reine Nichts Sein ist, folgt nicht die hypostatische These, daß »Sein« wahrhaft und beständig ist, – was »Sein, reines Sein« ist, wurde ja bereits demonstriert. Zwei Sätze sind Resultat des reinen, weil restlosen, Übergehens, das keinen bestehenden Anfangs- oder Endpunkt hat: Danach ist (i) das Sein in der Tat Nichts und (ii) das Nichts dasselbe als das Sein. Keiner dieser Sätze kann als Bestätigung dafür gelesen werden, daß Sein respektive Nichts ist. Weder Sein noch Nichts besteht in sich. Als Verschwindende sind sie beide gleichermaßen, wenn auch nicht in Reinheit, so doch als Extreme der beiden Sätze. Ihre Verknüpfung im Satz zeigt einen dreifachen Unterschied auf, innerhalb dessen das Denken sich bewegt: Erstens gehen die Sätze, da Nichts sich nicht präsentiert, von der Präsentation des Seins aus40; zweitens spannt der aus 40
Sein und Nichts sind in ihrer Reihenfolge also nicht, wie Eley (1976: 47) meint, austauschbar. Wandschneider (1997: 119 f.) fragt ebenfalls, ob nicht ebenso mit dem Nichts angefangen werden könnte. Er kommt aber zu dem Schluß, daß Nichtsein das Sein, wie jede Negation ihr Negat, voraussetze, weshalb mit dem Sein anzufangen sei. Diese Argumentation ist aber lediglich formell, sie kann die Stellung des Seins nicht aus diesem selbst, aus seiner Funktion heraus erläutern. Diese Funktion ist diejenige der Präsentation. Haas (2003: 87 ff.) spricht bezüglich der Frage der Reihenfolge von Sein und Nichts davon,
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der »Tat« des Seins (seiner einfachen, »reinen« Präsentation) folgende Satz zwei äußerste Standpunkte auf: Sich-zeigen des Seins und Verbergen des Nichts41; drittens drückt die Übergängigkeit des »reinen« Standpunktes die Unterschiedslosigkeit des Standpunktes aus, der gerade deshalb anders ist, als er sich präsentiert und sich von sich unterscheidet; weil er keinen Unterschied ausmacht, ist der Standpunkt kein Stand. Kein Standpunkt bietet Halt, der Anfang ist immer schon Übergang, anders gesagt: er ist Anfangen. Dieser Anfang ist absolut, denn er bestimmt sich als sein eigenes telos: Sein Selbst fängt darin an, denn nicht durch ein Anderes wird es zu etwas Anderem, sondern dadurch, daß es wegen seiner eigenen Unmittelbarkeit seine eigene »Bestimmung« (GW XI, 51 und 58) nicht erfüllt. Es wird so zu einem Anderen, das doch nur es selbst ist.42 Daß Sein eine Bestimmung hat, mag angesichts seiner Voraussetzungslosigkeit verwundern. Woher hat es diese Bestimmung und worin besteht sie? Davon war längst die Rede: Allein das Daß der Präsentation von Sein macht die Bestimmung kund, die sein Offenbar-Sein ist. Weil Sein aber qua Unmittelbarkeit unbestimmt ist, erfüllt es in seiner Reinheit seine Bestimmung nicht. Als es selbst (als das, was es bestimmungsgemäß ist) bleibt es daher nicht es selbst (das heißt das, was es daß das Nichts keine »ontologische Differenz« eröffnet; Sein differenziert sich zu und gegenüber Seiendem: Sein als was es ist, ist Seiendes (nicht Sein). Nichts hingegen, als was es ist, ist nicht, hier hat keine Differenz statt. Aufgrund dieser Asymmetrie können Sein und Nichts ihre Position nicht tauschen. 41 Daß Nichts sich verbirgt, heißt nicht, daß da etwas wäre, nämlich das Nichts, das sich dem Denken als undenkbares Etwas verbirgt. Verbergen des Nichts heißt nichts anderes, als daß Nichts eben nicht Nichts ist, sondern Sein. In diesem Sinne verbirgt sich dann auch das Sein, aber eben mit dem Unterschied, daß es ursprünglich sich zeigt, ohne welches Zeigen auch das Verbergen keinen Sinn ergeben würde: Das bloße Verbergen von nichts könnte nicht einmal als Verbergen gelten. 42 Zu sagen, daß wir, wenn wir »Sein« rein denken, eigentlich Nichts denken, und daß wir, wenn wir denken, was Nichts ist, dann doch ein Sein denken, ist zwar nicht falsch. Diese subjektivistische Interpretation der Logik (etwa bei Burbidge 1981, dem mit seiner Studie das Verdienst zukommt, nach der fehlerhaften Vermittlung McTaggarts und der 1950 erschienenen Arbeit von Mure das über 30jährige Übergehen der Logik im angloamerikanischen Raum beendet zu haben, und Houlgate 1991: 41–76), ist jedoch zumindest nur eine Seite des Gedankens, den Hegel darstellt, nach dem es die Sache (und der Begriff ) selbst ist, die sich denkt und übergehend bewegt. Burbidge (2006) geht auf diesen möglichen Vorwurf eines latenten Psychologismus in seiner Interpretation ein und stellt klar, daß das Denken, dessen Bewegung in der Logik bedacht wird, nicht das partikuläre und idiosynkratische Vorstellen ist. – Die Logik ist nach Hegel Betrachtung des reinen Denkens, das – wie sein berühmtes Bild sagt – die Gedanken Gottes vor der Schöpfung faßt (GW XI, 21). Dieses Denken ist frei von den Vorstellungen des Bewußtseins, es ist nicht dasjenige eines empirischen Ichs und ist mithin nicht psychologisch zu verstehen. In diesem Denken betätigt sich die dem Gedanken eigene Subjektivität, deren Ausdruck die Gedankenbewegung ist.
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unmittelbar, ›präsentativ‹ ist). Das drückt der erste Satz aus: Er erfolgt aus der Bestimmung »Sein« und sagt, daß diese in ihrer Unmittelbarkeit unerfüllt ist. Das anfängliche Sein, das offenbar nicht Nichts ist, aber doch rein an sich genommen immer schon Nichts geworden ist, ist im Nichts ja nicht verschwunden, sondern zeigt sich darin erneut: Sein ist unverletzbares, absolutes Sich-zeigen. Was derart wiederkehrt, doch ohne etwas zu sein, ist Leere, und mithin zu füllen. Die Unruhe des Seins ist sein Trieb zur Erfüllung. Weil reines Sein gar nicht selbig ist und weil es nichts zeigt, erfüllt es seine Bestimmung nicht, – deshalb ist es Nichts. Die beiden Sätze der Selbigkeit von Sein und Nichts sind daher ebensosehr die Sätze von der Entgegensetzung: Sein ist nicht Nichts und Nichts ist nicht Sein. Ohne diese Entgegensetzung könnte auch die Selbigkeit im Satz nicht gesagt werden, sondern bloß »Sein« genannt werden. Das Umschlagen von Sein und Nichts fordert scheinbar zur endlosen Wiederholung auf, denn das Sein, als welches Nichts ist, ist ja wiederum Nichts u.s.w. Diese endlose Wiederholbarkeit ist Folge der ungelösten Spannung der extremen Bestimmungen des Satzes, infolgedessen der Satz nicht in sich besteht, sondern sogleich seinen nachfolgenden impliziert. Scheinbar ist dies ein weiteres Argument gegen einen wirklichen Übergang von Sein zu Nichts. Da Sein (Nichts) nicht ist, wird zur Vermeidung des Widerspruchs der Satz endlos wiederholt. Damit soll eine unhaltbare Prädikation vermieden werden, denn im reinen (restlosen) Übergang von Sein und Nichts ist noch nichts Widersprechendes; solches tritt erst hervor, wo Nichts im Sein festgehalten werden soll. Dem Widerspruch durch endloses Wiederholen auszuweichen, heißt jedoch in diesem Fall, ihn zu begehen: Eine endlose Bewegung von Sein zu Nichts zu Sein … ist nicht einmal Schein. Sie kann gar nicht behauptet beziehungsweise aufrecht erhalten werden, da der unmittelbare Beginn, das bleibend Erste dieses Fortgangs, sich als das, was es sein sollte (und bleiben müßte, wenn solch endlose Bewegung statthaben sollte), erledigt hat.43 Der Satz erklärt die Voraussetzung der endlosen Wiederholbarkeit 43
Das sogenannte Erste wird uns im Fortgang noch beschäftigen. Weil das Sein, wiewohl am Anfang stehend, kein bleibend Erstes ist, kann schon hier gesagt werden, daß Hegels Logik weder insgesamt noch in einem ihrer Teile als Ontologie – mit jenem »stolzen Namen« (Kant, KrV, B 303) – bezeichnet werden kann; so beispielsweise bei Schäfer (2001: 224), der es auf die Lehre von der Subjektivität bezieht. Der Begriff »Ontologie« wird vielerorts für Vieles angeführt, meist ohne zu klären, in welcher Bedeutung, immer aber mit Betonung seines Gewichts. In seiner Anwendung auf Hegel ist dies hier aber kein Streit um bloße Worte, insofern Ontologie zugleich ein Programm bezeichnet, nämlich die Suche nach einem ersten Grund beziehungsweise nach einem (als erster Grund verstandenen) höchsten Seienden. Welche Folgen hat dieses Verständnis von seiner hypostatischen Tendenz abgesehen? Wo eines als Erstes hingestellt wird, da ist es immer durch
1.1 Das Werden des Begriffs
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für ungültig. Schließlich kehrt das Denken nach dem Übergang von Sein zu Nichts und von Nichts zu Sein nicht wieder einfach zum reinen Sein zurück. Wenn davon die Rede war, daß Nichts »dasselbe […] als das reine Sein« ist, so ist das Denken nicht wieder an den Anfang versetzt, solch ein Denken wäre der Anfang von Nichts. Das Denken, das zum Anfang zurückkehrt, ist nicht wieder am Anfang. Das Denken ist von ganz anderer Verfassung, und der Satz von der Selbigkeit von Nichts und Sein spricht dies auch aus: Das Denken ist Beziehen, das bedeutet, die Selbigkeit zu erkennen. Somit wird hier der Anfang mit seiner Folge verbunden, womit der Anfang im Sein erst er selbst und das Denken zum konkreten Denken wird. Der Satz sagt bereits diejenige Einheit, die Sein und Nichts gleichermaßen birgt und die der Endlosigkeit enthoben ist, weil sie geeinte, d. i. als Ganzes vollendete Einheit ist. Das haltlos differierende Sein und Nichts geht nicht in endloser Verschiedenheit weiter. Der Widerspruch der Selbigkeit von Sein und Nichts muß als solcher anerkannt werden. Er ist eine Sache, die beides ist, nämlich ein Geschehen, angesichts dessen die zuvor unmittelbaren Standpunkte zu einander bedingenden Momenten geworden sind: Sein ist Zu-Nichts-Werden und Nichts das Ins-Sein-Treten. So ist Sein, insofern Nichts ist und Nichts, insofern Sein ist. Dieses eine Geschehen ist ein Begriff, »aber der höhere, reichere Begriff als der vorhergehende [der präzise gesprochen nicht Begriff, sondern lediglich einfacher Name war]; denn [er] ist um dessen Negation oder Entgegengeeine unvermittelbare Kluft von allem Weiteren getrennt. Sein Übergang zu diesem ist jedenfalls uneinsichtig, gibt es doch für solch ein Erstes keinen vermittelnden Grund. »Ontologisch« ist daher nicht, einen Unterschied zwischen Sein und Seiendem zu machen, sondern wie dieser Unterschied denkbar sein soll. Ob als Vermittlung, bei der keines auf seiner Seite stehen bleibt, oder als Übersprung, in dem doch jede Seite bleibt, wo sie ist. In der Funktion, Suche nach erstem Grund und höchstem Seienden zu sein, wurden Ontologie und Metaphysik (als metaphysica generalis) in der Schule von Leibniz gleichgestellt (vgl. den Titel Wolffs Philosophia Prima sive Ontologia; siehe hierzu und zur Begriffsgeschichte der Ontologie, die im Lexicon Philosophicum (1613) von Goclenius beginnt, Picht 1996: 21 f.). Daran, daß Hegel das Prinzip nicht ontologisch als ersten Grund oder höchstes Seiendes versteht, hängt dessen vollständige Vermittlung und Erkennbarkeit, die das Erste nicht hat. Schon vom Anfang der Logik her resümiert Eley (1976: 43) daher treffend: »der Weg der Ontologie als der Theorie, die vom Sein als Erstem her sich bestimmt, ist von vornherein im Namen des Seins selber verfehlt.« Die Gleichsetzung von Ontologie und Theologie (»Onto-theologik«, in diese »Tradition« wird Hegel von Heidegger (1957) eingeordnet) ist schließlich ein Konstrukt, das die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens übergeht (Hegel etwa differenziert eigens Metaphysik und Ontologie, vgl. GW XXI, 48 f.). Eine Theologie, in der das Sein als Erstes gedacht würde, gibt es nicht. Die Ontologie kommt erst zum Ende des Mittelalters mit dem Niedergang der Theologie als scientia divina auf, deshalb führt es historisch und sachlich in die Irre, beide in einen Topf zu werfen.
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setztes reicher geworden, enthält ihn also, aber auch mehr als ihn, und ist die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten.« (GW XI, 25) Das Resultat des im Satz aufgezeigten Geschehens ist das Werden. Sein und Nichts sind nicht ›Bestandteile‹ dieses Begriffs, im Gegenteil: sie bestehen ja nicht in sich. Substantiell verstandenes Sein ist (ebenso wie Nichts) nicht.44 Das Sein (wie auch das Nichts) ist vielmehr Übergängig-Sein; das, was es ist, ist sein eigenes Werden. Sein eigenes Werden zu sein heißt, daß es nicht von einem Anderen in Bewegung gesetzt wird oder zu einem Anderen wird, denn dies ist die Weise, in der Seiendes (verändert) wird. Der Satz (oder: die Sätze, denn der erste impliziert hier den zweiten), der (i) von der Präsentation des Seins initiiert wird und der (ii) sagt, daß es Nichts ist, macht (iii) offenbar, daß das Sein (wie das Nichts) Moment ist. Es ist nicht begrenzter Teil eines ›größeren‹ Ganzen, unter welches es subsumiert werden könnte, sondern selber das ›Ganze‹, nämlich das Übergangsgeschehen, welches es selbst, indem es nicht besteht, ist. Das ist (iv), was Sein (und Nichts) ist: Werden, welcher Begriff zu Sein und Nichts ein Drittes darstellt. Das Moment des Satzes bestimmt dieses Geschehen, und dieses wiederum ›trägt‹ den Satz, indem es ihm Begriff und Mitte gibt. Mitte ist das Werden, weil es Sein und Nichts sowie deren haltlosen Übergang zusammenschließt. Deshalb kann Hegel sagen, daß der Fortgang aus der absoluten Unbestimmtheit »Rückgang in den Gr und« (GW XXI, 55) ist. Dieser Rückgang ist nicht so zu verstehen, als gingen wir von irgendeinem Sachverhalt zu demjenigen zurück, der ihn hergestellt hat und der folglich bereits war, bevor es den Sachverhalt gab. Solcherart Rückversicherung ist diejenige, die wir – zu Recht – beim Seienden suchen. Der Gang in den Grund von Sein ist aber nicht Rückgang zu einem Ersten, von dem Sein gesetzt wurde. Das Aufzeigen der Momentwerdung von Sein ist ja gerade die Kritik eines derartigen an sich beziehungslosen Ersten. Das wird auch daran deutlich, daß der »Grund« von Sein und Nichts, das »Werden«, nicht mehr einfache Präsentation oder bloßes Synonym für Sein und Nichts, sondern synthetischer Begriff ist. Der Anfang im Übergang des Moments ist der bewegende Inhalt dieses Begriffs, dessen Bestimmung vom Moment gesetzt wurde, und der selbst ein gewordener ist. Verbunden mit dem Moment des Seins bleibt die Begriffseinheit des Werdens die Grundlage des gesamten weiteren Verlaufs der Logik und wird sich in den Bewegungsformen von Übergang (Lehre vom Sein), Durchgang (Lehre vom Wesen) und Ausgang (Lehre vom Begriff ) auslegen. Die Bewegung des Werdens ist von vornherein nicht als bloßer gleichgültig ununterschiedener Verlauf, sondern 44
Das ist auch Thema der Phänomenologie des Geistes und ihrer Dialektik des Bestehens, das in die »allgemeine Flüssigkeit« eingehen muß (vgl. GW IX, 105 f.).
1.2 Was wird?
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als Darstellung zu verstehen, da das Werden aus dem Entstehen und Verbergen von Sein und Nichts hervorgeht. Es liegt im Setzen der Bestimmung noch ein Zweites: Der entstandene Begriff hat eine Erklärung, das Element steht somit nicht mehr alleine da (vgl. Platon, Theaitetos 201e). Aus ihrem anfänglichen Element der Einheit von Sache und Begriff hat die Logik ihre eigene ohne Anschauung synthetisierende ratio hervorgerufen. Diese Vernunft dient zu nichts, sie ist nicht instrumentelle Vernunft. Sie begreift nur sich selbst, nämlich ihr eigenes Anfangen. In diesem Anfangen wird »Sein« nicht falsifiziert. Sein ist in der Folge auch nicht herabgesetzt und nur Moment, wie es sich für das Meinen darstellt, das meint, Sein sei Substanz und Bestehen. Solchem Meinen gegenüber stellt das Denken eine Enttäuschung dar. Mit dem Anfangen, das die eigene Tat des Seins ist, wird aber positiv seine Geltung, in der es als Moment bleibt, präzisiert. Es steht in der Funktion der Präsentation, die wiederum nicht einfach ist, was sie ist, sondern was sie wird: Ihre physis ist ihr/das Werden.
1.2 Was wird? Die ursprüngliche Präsentation, die als solche gar nichts zeigte (zu Nichts wurde), stabilisierte sich im Begriff des Werdens. Werden sagt, was Präsentation wirklich ist, nämlich zweifacher Übergang: Vergehen und Entstehen. Das bloße Daß des Denkens hat sich bewegt, ein Gedanke wurde gedacht. Dessen synthetische Identifikation heißt »Werden«. Um sehen zu können, welcher Art dieses Denken ist, muß verfolgt werden, was Werden wirklich ist. Mit einer gewissen Berechtigung könnte gesagt werden, daß dies bereits geklärt sei: Werden ist Begriff des Zu-Nichts-Werdens des Seins und des Ins-Sein-Tretens des Nichts. Dies ist der Inhalt des Begriffs. Aufgrund dieses Inhalts ist das Werden keine stillstehende Form, keine zugrundeliegende Quasi-Substanz. Das Werden teilt das Geschick seines Inhalts. Im restlosen Übergehen heben sich nicht nur Sein und Nichts auf und rücken in die Position von Momenten, denn wie die Momente immer schon ineinander »verschwinden« (GW XI, 57), so verschwindet auch deren Verschiedensein und somit ihr Verschwinden, weil dessen »Nahrung« fehlt, wie Hegel es in der Jenaer Logik ausdrückt (GW VII, 42). Das Werden wird nicht erst, sondern es ist schon passiert. Es ist aufgehobenes und vergangenes Werden: Gewordensein – wobei das Vergangensein im Sinne logischer Vorgängigkeit und nicht zeitlich zu verstehen ist. Die perfekte Vermittlung läßt das Vermittlungsgeschehen zur »ruhigen Einheit« zusammenfallen; in der Bewegung zeigt sich, daß sich die Bewegung nicht bewegt, sondern ruht. Nicht
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ein Wechsel der Hinsicht führt zu dieser Einheit, einen solchen hinsehenden Betrachter gibt es in der Logik nicht (wohl aber in der Phänomenologie), vielmehr verschwindet die Vermittlung selbst. Diese Vermittlung verschwindet nicht so, daß nun nur mehr Nichts wäre, denn der zweite logische Gedankenschritt zeigte schon, was Nichts ist, nämlich Sein. Nichts war ja Moment im Werden. Mit dem logischen Rückschritt würden wir wieder an den gegenwärtigen Ort der Bestimmung zurückgeführt, indem nämlich das Nichts wieder dasselbe wie das Sein ist, welcher Sachverhalt als Werden erkannt wurde.45 Was also ist die ruhige Einheit des Werdens? Es ist ein Resultat, dessen Genese nicht mehr präsent ist und das deshalb erneut unmittelbar und einfach, also »ruhig« auftritt. Unmittelbarkeit ist aber »Sein«, doch Sein ist hier nicht mehr unbestimmt, denn auch das wäre lediglich ein logischer Rückschritt, von dem bereits deutlich wurde, wohin er führt. Wir können nicht mehr am Anfang sein, denn in der bisherigen Bewegung wurde ja bereits etwas gedacht. Das Gewordensein tritt als Sein auf, trägt aber in seiner Unmittelbarkeit das Kennzeichen der verschwundenen Vermittlung. Die Einigung von Sein und Nichts liegt ihm vorauf. Diese Einheit ist freilich nicht einfach, das heißt unmittelbar vorhanden, denn das hieße, den Widerspruch als bestehend zu erklären. Entsprechend ist Sein nun nicht mehr »rein«, sondern gewissermaßen mit einer minimalen Differenz gedacht. Deshalb ist es »bestimmtes Sein« (GW XI, 59). Das bestimmte Unmittelbare kann wiederum qua seiner Unmittelbarkeit nicht prädikativ (als Satz) ausgesagt werden. Es wird zunächst nur benannt: Dasein.
1.2.A Ein gewordenes Unmittelbares: Dasein Dasein ist Bestimmtsein, und solches ist Anderssein. Das Sein ist vollkommen hierin übergegangen. Wir halten es in keiner Weise in der Hinterhand, auch nicht irgendeinen Rest davon. Deshalb sagt Hegel: »Das Sein ist nicht das Allgemeine, die Bestimmtheit nicht das B esondere.« (GW XI, 60)
45
Das beantwortet die Frage von Wandschneider (1997: 141), warum das Verschwinden des Verschwindens »nicht einfach die Rückkehr zu Sein und Nichts« ist. Wandschneider schlägt ebd. vor, das Dasein statt des Werdens als Synthese von Sein und Nichts anzunehmen und den Begriff des Werdens zu übergehen. Die Unmittelbarkeit von Dasein wäre dann aber unerklärlich, und folglich wäre es falsch zu behaupten, Dasein erscheine »als ein Erstes« (Hegel). Dies ist nur möglich, wenn die Vermittlung, die zum Dasein führte, negiert ist, was wiederum nicht ohne den Zwischenschritt »Werden« geschehen kann. Die entscheidende Differenz zwischen anfangendem und angefangenem Anfang (dazu im Folgenden) wäre damit verloren.
1.2 Was wird?
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Sein und Bestimmtheit sind nicht voneinander getrennt. Nach dem Verschwinden seiner Genese ist Dasein wiederum unmittelbar, es steht »in der Bestimmung des Seins«. Es erscheint – wir wissen es schon vom Sein her –, weil es Bestimmtsein (nicht: Bestimmtheit) ist. Warum aber kann es nach der anfänglichen Präsentation reinen Seins nun heißen, »das Dasein erscheint daher als ein Erstes«? Angesichts der hier beanspruchten Einheit von Gedanke und Sache kann nicht psychologisch beziehungsweise bewußtseinstheoretisch argumentiert werden, daß die erste Gedankenbewegung vergessen wäre und deshalb Dasein als Erstes erscheine.46 Nimmt man nicht an, daß hier ein schlichter Widerspruch zur Anfangsbestimmung vorliegt, dann fragt sich, worin der Unterschied zwischen dem Anfang und einem »Ersten« liegt? Der Unterschied zeigte sich in dem widersprüchlichen Versuch der endlosen Wiederholung von Sein und Nichts. Das reine Sein ist deshalb kein »Erstes«, weil es unmittelbar nicht-bleibend ist. Sein Anfangen im Übergang verhindert, daß man auf »Sein« als ein Erstes oder als oberste Gattung zurückkommen könnte. Bestimmtsein hingegen läßt eine Identifikation zu, weshalb es »als ein Erstes« bestimmt erscheint, wobei »scheinen« nicht im trügerischen Sinne gemeint ist.47 Während das reine Sein absolutes Anfangen ist, ist das Erste, das heißt das Bestimmtsein, ein Angefangenes. Daß das Erste wohl unmittelbar erscheint, aber dennoch einen Vorgänger hat, wird erst durch die Logik des Wesens (im Begriff der Vermittlung) und des Begriffs (in der Bewegung und dem »Entschluß« der Idee) ganz einsichtig. Schon hier wird jedoch deutlich, daß der Fortgang des logischen Bestimmens auf 46
Was sollte auch logisches Vergessen sein? Es ist ratsam, Hegel selbst zum Thema der Vermischung von logischer Wissenschaft und bewußtseinstheoretischen Formen zu Wort kommen zu lassen: »Über die Sache selbst ist vors erste zu bemerken, daß jene Gestalten von Anschauung, Vorstellung und dergleichen dem selbstbewußten Geiste angehören, der als solcher nicht in der logischen Wissenschaft betrachtet wird. Die reinen Bestimmungen von Sein, Wesen und Begriff machen zwar auch die Grundlage und das innere einfache Gerüst der Formen des Geistes aus; der Geist als anschauend, ebenso als sinnliches Bewußtsein ist in der Bestimmtheit des unmittelbaren Seins, so wie der Geist als vorstellend wie auch als wahrnehmendes Bewußtsein sich vom Sein auf die Stufe des Wesens oder der Reflexion erhoben hat. Allein diese konkreten Gestalten gehen die logische Wissenschaft sowenig an als die konkreten Formen, welche die logischen Bestimmungen in der Natur annehmen […]. Ebenso ist hier auch der Begriff nicht als Aktus des selbstbewußten Verstandes, nicht der subjektive Verstand zu betrachten, sondern der Begriff an und für sich, welcher ebensowohl eine Stufe der Natur als des Geistes ausmacht.« (GW XII, 19 f.) 47 Im Erscheinen des Daseins kann man – wie Henrich es angesichts der Selbstgleichheit des reinen Seins gegeben sah (1988: 86) – die Anwendung reflexionslogischer Bestimmungen auf einen seinslogischen Sachverhalt sehen. Weil diese Bestimmungen aber – wie beim reinen Sein – nicht das Argument konstituieren, sondern der Erläuterung dienen, ist die Verwendung von bislang nicht hergeleiteten Begriffen legitim.
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einem ›Voraus‹ beruht, dessen volle Durchsichtigkeit durch die logische Bestimmung erst noch einzuholen ist. Mit anderen Worten: Es zeigt sich zwar, was aus der Unmittelbarkeit immer schon folgt, und insofern wird deutlich, was sie ist; ungeklärt ist aber, warum es überhaupt Präsentation gibt. Der Entschluß, das reine Denken zu betrachten, scheint noch willkürlich (vgl. GW XXI, 56). Worin besteht die Identifikation von Dasein? Das einfache Dasein geht zunächst wieder über in das Anderssein. Sowie Dasein erscheint, so ist es qua seines Bestimmtseins nicht nur anders, sondern Anderes. Anders ist es nicht erst im Vergleich mit Anderem, und mithin äußerlich, sondern es ist selbst das Anderssein, weil Dasein ein Sein mit Negation ist – eben Anderes. Es kann mit ihm identifiziert werden: »Dasein als Nichtdasein« (GW XI, 60). Daran wird deutlich, daß hier ein anderes Übergehen vorliegt als bei Sein und Nichts, wo kein reflexives Als möglich war. Sein reflektierte sich nicht im Nichts. Der Übergang des Daseins hingegen ist nicht dessen Verschwinden, sondern »Beziehung […]. Es ist kein Dasein, das nicht zugleich als Anderes bestimmt wäre oder eine negative Beziehung hätte.« (GW XI, 61) Daß-Sein war unbestimmt, und da mit ihm nichts weiter gesetzt war, konnte es nicht reflexiv bestimmt werden. Dasein hingegen ist von vornherein als bestimmtes Sein nur das unmittelbare Vorzeigen seines Nichtdaseins, nämlich des Andersseins. Damit ist Dasein in seinem Erscheinen bereits als Moment gesetzt, nämlich als Seinsweise dessen, was in einer Beziehung steht. Weil Dasein die Bestimmung einer Beziehung ist, deshalb kann es auch nicht mehr »rein« sein. Es ist nicht rein es selbst und »es ist nicht rein sein Anderssein« (GW XI, 62). Das Nichtdasein ist keine dem Dasein zufällige Betrachtungsweise, die man ebensogut auch lassen könnte, sondern »diese Verneinung ist aus dem Dasein selbst genommen« (GW XI, 60). Der Übergang des Daseins in das Anderssein, das es selbst ist, ist also kein Untergang des Daseins, es »erhält« sich vielmehr im Anderssein. Zumal dieses Anderssein nichts ist als anders zu sein: »Als das Andere seiner selbst ist es auch Dasein überhaupt oder unmittelbar.« (GW XI, 61) Der Übergang von Sein und Nichts war haltlos und perfekt, denn beide sind gleichermaßen bestimmungslos (»Sein […] ist […] nicht die Bestimmung, welche es ist, also nicht Sein«, GW XI, 51). Dasein hingegen steht »in der Bestimmung des Seins«. Darin unterscheidet sich das Dasein vom reinen Sein. Wie kann Sein hier als »Bestimmung« fungieren? Sein hat eine neue Position eingenommen, es wird nicht mehr unmittelbar intendiert und als rein an sich bestehend hypostasiert. Stattdessen wird durch die Vermittlung des Seins seine Funktion eingesehen, an So-bestimmtem offenbar zu sein. Das Sein ist nicht mehr rein an sich zu fassen, sondern es ist zur formgebenden
1.2 Was wird?
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Bestimmung in die Einheit mit dem Nichts aufgehoben: Sein in der Einheit mit dem Nichts bewirkt das So-sein. Das Sein, welches zunächst allgemeinste und damit leere Form war, ist durch das Zusammenwachsen mit dem Nichts konkret geworden: Sosein ist hier das Bestimmtsein dieser Einheit. Sein ist nicht mehr leer, sondern durch sich selbst von sich unterschieden. Es ist eine Funktion der Sache, die als gegeben erscheint und anders ist. Wenn das Sein nun als funktionaler Begriff bezeichnet wird, scheinen wir uns in Widerspruch zur oben angegebenen Unterscheidung Hegels von Kant zu begeben: Kant bezeichnete die Kategorien deshalb als ›logische Funktionen‹ (KrV, B 95), weil sie durch ein Anderes als sie selbst sind ergänzt werden mußten, d. h. nur in ihrer Hinordnung auf mögliche Erfahrung ihren Sinn fanden. Wir haben dagegen gesehen, daß Logik, so sie Quell des Inhalts ihrer Erkenntnis, und damit nicht anwendungsbedürftig ist, nicht mit funktionalen Begriffen in diesem Sinne operieren kann. Wie kann Sein dennoch zur Funktion geworden sein? Sein ist als Funktion nur möglich, indem es Funktion seines eigenen, von ihm selbst konstituierten Inhalts wird.48 Warum ist es nicht am Anfang schon funktional? Weil Sein dort leer, ohne Inhalt und daher bloß verschwindend ist, mit anderen Worten: weil Sein dort noch nicht bestimmt ist. Die allgemeine Form »Sein« muß nicht erst durch einen fremden, das heißt nicht aus ihr selbst generierten Anschauungsinhalt gefüllt werden, sondern sie ist mit dem Übergang zum Sosein als eine ›erfüllte Form‹ selbst ein Inhalt, zu dem sie durch sich selbst geworden ist: Sein macht im Dasein einen Unterschied. Im Folgenden werden wir sehen, daß Sein dadurch nicht mehr einfach verschwindend, sondern hinweisend ist. Dasein, das nicht anders als Anderes, sondern selbst das Anderssein ist, stellt sich als eine differenzierte Identität heraus. Dasein als solches bleibt im Anderssein gewissermaßen ungebrochen. Sogar in seiner Unvollständigkeit erhält es sich, denn es bemißt diese an sich selbst. Weil sich das Sein am Dasein durchhält, deshalb ist es hier Bestimmung. Aufgrund dieses Durchhaltens ist das Dasein im Unterschied zum reinen Sein die Bestimmung, die es ist, freilich nicht in quasi-substantieller Selbstbeständigkeit, sondern indem Dasein als solches »in B eziehung« ist. Nur in der Beziehung auf … ist überhaupt Bestimmung möglich. Darin liegt der Keim dessen, was Hegel an späterer Stelle den »Wendungspunkt der Bewegung des Begriffs« nennt (GW XII, 246). Wir erkennen die Wende hier an der veränderten Übergangs48
Wir sehen an dieser Umgehung Kants (Begriffe sind keine logischen Funktionen) auf dem Wege der Überbietung (Begriffe sind funktional, nämlich bezüglich ihres von ihnen selbst generierten Inhalts), daß im Verhältnis der beiden genau genommen nicht von einer Entgegensetzung, sondern von einer Präzisierung die Rede sein sollte, bei der Hegel die Fundamente Kants klärt.
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weise des sich erhaltenden Daseins gegenüber dem Verschwinden des reinen Seins. Durch seine Beziehungsweise eröffnet sich dem Dasein ein zweifacher Unterschied, erstens der nun angeklungene zum Sein und zweitens ein Unterschied zu sich selbst. Dieser zweite Unterschied wird den ersten weiter erhellen.
1.2.B Dasein-für-Anderes Indem Dasein als Anderssein gedacht wird, wird die Struktur der einfachen Einheit von Sein und Nichts auseinandergelegt. Bestimmtsein taucht nur durch ein Unterschiedensein auf. Die Unmittelbarkeit des Daseins kann in dieser Situation aber nicht bleiben, was sie zunächst war, denn der Übergang zum Anderssein vermittelt das solitäre Dasein. Zugleich verschwindet die Unmittelbarkeit nicht so wie jene des reinen Seins, denn schließlich steht Dasein »in der Bestimmung des Seins«. Dasein erhält sich in beziehungsweise mit seiner Bestimmung. Der Widerspruch, der sich somit im Dasein zwischen seiner wesentlichen Unmittelbarkeit und seiner Vermittlung auftut, wird durch eine Trennung des Daseins gelöst. Diese ›Lücke‹ tut sich im Dasein selbst auf, sie besteht zunächst nicht zwischen einem Dasein und einem anderen. Wie das Sein in Folge seiner Übergängigkeit nicht bei der einfachen Namensnennung verbleibt, sondern zum Moment eines Begriffs wird, so differenziert sich auch die Rede vom Dasein. Ist es zunächst »überhaupt«, also im Status der Behauptung, so findet es in seiner Entwicklung seinen Grund, der schließlich dazu befähigen wird, etwas vom Bestimmtsein auszusagen. Bestimmtsein ist nicht verschwindendes Übergehen ins Anderssein, sondern es erhält sich im Übergang. Das Anderssein ist seine eigene Negation. Damit wird der Widerspruch gedacht, daß eines ist, was (und dadurch, daß) es nicht ist. Dasein wäre nicht, wenn es nicht etwas nicht wäre, solches war nämlich das reine Sein. Der ungebrochene Erhalt von Sein geschieht nur vor der eigenen Brechung, indem es eben so und nicht anders ist, andernfalls ist Sein ›haltlos‹. Sein als Negation ist freilich ein widersprüchlicher Begriff, denn Sein bedeutet Unmittelbarkeit und Negation ist Vermittlung. Dasein besteht daher nicht an sich, denn Widersprüchliches hat keinen Bestand. Das heißt: An-sich-Sein ist an sich nicht. Es ist an sich »Sein-für-Anderes« (GW XI, 62). Wenn Bestimmtsein ist, dann muß es sich in der Unterscheidung brechen. In ihm selbst tut sich der Unterschied auf, er ist seine eigene Lücke, an der Dasein sich zeigt: Das Sein ist mit ihm identisch (es ist an sich und unmittelbar) und gegen es unterschieden (es ist Sein-für-Anderes). Als
1.2 Was wird?
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reines Sein-für-Anderes wäre das bestimmte Sein perfekter Übergang in das Anderssein. Weil sich Dasein aber vor anderem Sein erhält, so ist es »im Gegensatz gegen sein Nichtdasein«. Wir erinnern uns: Sein war keineswegs ein Gegensatz zum Nichts, weshalb beide erst in einem Dritten ihren Halt beziehungsweise ihre Bestimmung fanden. Das Sein schlägt um in Nichts, weil es nichts negiert. Dasein hingegen negiert, deshalb ist es nicht Nichts: Dasein ist nur, indem es vor Anderem ist, über ein eigenständiges Bestehen verfügt es nicht, – es wird bestimmt. Sein Nichtdasein taucht jedoch nur auf, wo etwas in der Bestimmung des Seins ist. In Hegels Worten weist daher ein Moment auf das andere hin. Der Übergang des Daseins ist kein einfaches Verschwinden, sondern ein Hinweisen. Brächte die Ausdrucksweise nicht die unerwünschte Konnotation eines erkennenden Subjekts mit sich, so könnte man sagen, daß Sein im Nichts vergessen wird, während sich die Erinnerung des Daseins im Sein vor Anderem erhält: Sein-für-Anderes ist an sich. Die Übergangsweise wird von der einfachen Negation von Sein und Nichts, die letztlich gar nichts negiert, also bloßes Verschwinden ist, zur Negation der Negation. Die Negation der einfachen Negation (des bloßen Andersseins) eröffnet eine Beziehung auf sich, sie ist damit als Reflexion bestimmt. Der Gedanke wendet sich hier von der einfachen Negation zur »negative[n] Einheit« (GW XI, 66). Dieser Unterschied, der sich am Dasein zeigt, ist nicht beiläufig, sondern Bestimmtsein ist Unterschiedensein. Das Sein ist im Dasein zu einer reflexiven Bestimmung geworden. Sein ist ›zerteilt‹ (vgl. Platon, Parmenides 144b), es selbst muß in Seiendes übergehen. Damit ist auch deutlich, daß es Hegel nicht um ein ›Sein des Seienden‹ geht, sondern um die Teilung des Seins, um das, was mit und aus dem Sein geschieht: Sein als Sein ist Seiendes. Das gilt auch für die Betrachtungsweise des Seienden, das nicht auf sein ohnehin völlig leeres Sein zurückgeführt werden soll, sondern insofern es als Seiendes in den Blick kommen soll. Der bisherige Gang der Logik zeigt, daß es dem Denken gar nicht um das Sein als solches gehen kann, da dieses nur verschwindet und sich unterscheidet. Ein verschwindendes Denken gibt es nicht, vielmehr geht Denken auf Bestimmung, auf welche es vom Sein verwiesen wird, – indem es sich unterscheidet.49 Nun ist Sosein als seiendes oder nicht-seiendes. Sosein ist mithin unterschieden von anderem Sosein und vom ununterschiedenen reinen Sein (dem Nicht-Anderen). Das seiende Bestimmtsein ist Etwas. 49
Zu einer anderen Interpretation vgl. Prucha (2000), der meint, Hegel stelle sehr wohl die »Seinsfrage«. Woraufhin Prucha konstatiert, Hegel werde dieser nicht gerecht, da er Sein nur vom Seienden her verstehe und so die »onto-logische Differenz verharmlost« (124); das Gegenteil ist der Fall. Hier wird die von Hegel beschriebene Interpretationsmaxime angewandt, anderen die Krätze zu geben, um sie dann kratzen zu können.
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1.2.C Endlich (:) Etwas Worin besteht die Beziehung von negativer Einheit und Prädikation, und was wird wovon prädiziert? Keineswegs wird schon irgendetwas näher spezifiziertes prädiziert. Zunächst geht es um die Gestalt der Prädikation selbst. Die Prädikation sagt etwas Bestimmtes von Etwas; d. i. hier lediglich, daß Etwas ist. »Das S ein des Etwas besteht … nicht in seiner Unmittelbarkeit, sondern im Nichtsein des Andersseins« (GW XI, 66). Etwas ist, indem es anders als Anderes ist, – in dieser äußeren Reflexion ist Etwas durch Anderes, neben dem es sein Bestehen hat. Es gibt gewissermaßen viel-Etwas. Das Anders-als-Anderes-Sein ist der Anfang des Denkens von seiendem Sosein, es verwahrt die ›beiden‹ Anderen in Gleichgültigkeit. Etwas ist aber nur als Etwas gedacht als bestimmtes Seiendes. Anders als ist Etwas nur als Etwas. Es kann und muß durch ein apophantisches Als identifiziert werden. Damit wird es zur Sache eines Urteils (apophansis). Die Qualität ist dasjenige am Etwas, als was es ist. Sie muß somit auch anders als sein. Etwas ist nicht mehr einfach oder überhaupt, sondern es ist und ist nicht, wie es nicht ist (doppelte Negation). Es ist nicht länger unmittelbares Bestimmtsein, sondern zunächst ein von seiner Bestimmtheit unterschiedenes Dasein, das heißt Träger einer Bestimmtheit. In diese beiden (Träger und Bestimmtheit) ist das einfache Bestimmtsein auseinandergetreten: Die Bestimmtheit ist das vom Sein abstrahierte Bestimmtsein. Bestimmtheit zeigt sich nicht mehr unmittelbar, weshalb von ihr nicht gesagt werden kann, daß sie einfach oder überhaupt ist. Dem seienden Sosein scheint, wenn dieser Vorgriff auf die Wesenslogik hier erlaubt ist, seine Bestimmtheit ein Anderes gegenüber seinem unmittelbaren Dasein. Der Gedanke des Etwas als etwas besagt, daß Etwas nicht an sich ist: Es ist nur als etwas für etwas. Dieses ist in Hegels Logik aber kein rein formales und leeres »Ich denke«, das eine gegebene Vorstellung begleiten muß und welches selber nicht erkennbar wäre (vgl. Kant, KrV, A 355).50 Da es im reinen Denken keinen Unterschied zwischen einem Ich und seiner Sache gibt, bedeutet die Dynamisierung der Formalität des Seins, durch welche diese inhaltlich bestimmt wird, ebensosehr die Bestimmung des ›Begriffe habenden Denkens‹. Wofür Etwas als etwas ist, kann nur es selbst sein: Es ist in sich, oder in den Worten der Phänomenologie: »Vermittlung des sich anders Werdens 50
Kant spricht an dieser Stelle davon, daß wir im Denken notwendigerweise eine Einfachheit voraussetzen, aber dabei das Eine, das denkt, nicht erkennen. Seine Aussage macht deutlich, in welchem Maß Hegel sich in der Bestimmtheit des Etwas an Kant abarbeitet: »Es [das Ich denke; d.V.] bedeutet ein Etwas überhaupt«; vgl. hierzu Uehlein (1982: 56– 61).
1.2 Was wird?
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mit sich selbst« (GW IX, 18). Das aber ist die Grundstruktur der Subjektivität, die sich somit als gleichursprünglich mit der Bestimmtheit erweist (syngeneia; vgl. Platon, Timaios 29b). Hegel kann deshalb sagen: »Etwas bestimmt sich fernerhin näher als Fürsichsein oder Ding, Substanz, Subjekt u. s. f. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit zugrunde; die Beziehung auf sich durch Negation des Andersseins.« (GW XI, 66) Mit diesem Vorblick reichen wir weit über das bislang Erreichte hinaus, da Etwas, wie Hegel in der zweiten Auflage der Seinslogik sagt, »nur der Anfang des Subjekts« (GW XXI, 103) ist. Diese Struktur des Subjekts muß noch differenziert werden, denn »Etwas [ist] noch eine sehr oberflächliche Bestimmung«. Es ermangelt noch der wesentlichen Tiefe, durch die sie sich verwirklicht, wie derjenige sein Menschsein nicht mehr nur oberflächlich verwirklicht, der sich eine bestimmte Tiefe des Charakters erworben hat. Daß die Bestimmung sich am Etwas nur an der Oberfläche abspielt, bedeutet, daß Etwas noch nicht selbstmächtig Subjekt ist, – seine Einheit ist noch »ohne in seinem Wesen gegründete Einigung.« (Marcuse 1932: 58) Wir haben zunächst gesehen, daß die unmittelbare Einfachheit des Seins zerschlagen wurde, so daß sich auf dem Weg über das Anderssein und dessen Negation ein negatives Einfaches ergab, das durch ein apophantisches Als aufgewiesen werden kann. Für diese gegenüber dem flüchtigen Anfang neue Situation, in der unterschiedliche Bestimmtheiten eines selbigen Etwas durchgegangen werden können, ist jedoch ein Preis zu entrichten. Im Begriff der Grenze werden die Folgen der Zerschlagung der unmittelbaren Einfachheit des Seins auf den Punkt gebracht. Indem Sosein anders als anderes Sosein ist, ist es eines unter anderen, von denen es begrenzt oder beendet wird. Es ist ein begrenztes Sein. Die Grenze begrenzt das Eine gegen das Andere und scheint diesen gegenüber ein äußerliches Drittes zu sein. Doch ist sie das »Nichtsein des Etwas« (GW XI, 68), indem sie zugleich das Nichtsein des Anderen, und mithin das Sein des Etwas ist. Die Grenze ist so der eigene Inhalt von Etwas, der es besichert. »Etwas ist, was es ist, nur in seiner Grenze.« (GW XI, 69) Somit ist nicht ein Etwas und ein anderes Etwas und zwischen beiden die Grenze, sondern es gibt nur die Grenze, sie ist die (negative) Einheit. Die Grenze macht deutlich, daß das Sein von Etwas das Anfangen von Anderem ist. Es ist nur Etwas, indem in ihm Anderes anfängt. Weil das durch die Grenze definierte Nichtsein des Etwas zugleich das Etwas als Etwas ausmacht, ist es als begrenztes auch über seine Grenze hinaus, dort hat Etwas sein Sein. Die so bestimmte Grenze, über die das Etwas immer auch hinaus ist, nennt Hegel »Schranke«. Wollten wir Bestimmtheit unmittelbar erkennen, so könnte sie nur als Einheit schlechthin gesetzt sein, angesichts derer aber nur die Rücknahme
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
des Wissens bleibt, wie sie Kant in Anbetracht des Dings an sich fordert. Von Einheit schlechthin läßt sich kein Wissen entfalten. Diejenige bestimmte Einheit hingegen, die sich in der Grenze setzt, kann aus sich heraus begriffen werden. In der Grenze vermittelt sich die Identität mit sich zu uns und wird so zum Gegenstand sicheren Wissens. Was aber ist »Grenze«? An sich selber ist sie nichts, sie bestimmt sich aber dadurch, daß sie eines gegen ein anderes abgrenzt. Die Grenze muß so doch irgendwie etwas sein, denn sie bewirkt ja etwas. Die Grenze zeigt, was sie in sich hat, ohne etwas zu sein; wie die Linie, die begrenzt, ohne ausgedehnt zu sein. Ohne die Linie wäre das Begrenzte nicht, sie ist ursächlicher Anfang des Begrenzten, durch sie ist das Begrenzte aber zugleich begrenzt und endlich. Die Grenze ist »absoluter Anfang« (GW XXI, 115) und Ende der bestimmten Bestimmtheit. Dabei dürfen wir uns nicht vorstellen, daß die Grenze etwas ohnehin Gegebenes eingrenzt und auf diese Weise formt. Vor oder außer der Grenze gibt es kein ›etwas Gegebenes‹, in das hinein die Grenze sich einzeichnet. Vielmehr steht die Grenze in der bereits zu Beginn (vgl. hier S. 72) vorgekommenen Bestimmung des Elements: Die Grenze ist einheitgebendes Grundmaß (Form) und selber Baustein (Inhalt) der durch sie bezeichneten Einheit. Zu dieser Einheit muß die Grenze, die an sich nichts ist, allererst werden. Wie das Element zugleich Form und eigener Inhalt sein kann, haben wir bereits nachvollzogen: Indem es sich bewegt. »[W]ie das Eins, z. B. als Hundertstes, Grenze ist, aber auch Element des ganzen Hundert«, so ist die Grenze nicht einfach Ende, sondern Prinzip dessen, was sie begrenzt. Aufgrund dieser Doppelfunktion bleibt die Grenze nicht »nur Grenze« (GW VII, 3). In dieser Bestimmung wäre sie ein Drittes neben den beiden Bestimmten. Eine solche einfache Bestimmung der Grenze, und das heißt jetzt der Einheit wirft Hegel zu Beginn der Jenaer Logik Fichte vor: Die Einheit der Grenze ist dort »nur Grenze« und nicht »absolute Einheit«, weil die von der Grenze Begrenzten als sie selbst in ihrer einfachen Bestimmung bestehen bleiben, und weil »außer oder nach der Einheit die in ihr als Eins Gesetzten noch für sich Seiende sind«. Wir werden im folgenden Kapitel sehen, welchen Fichteschen Gedanken Hegel damit trifft. Zugleich liegt damit der Begriff des Sollens vor: Stehen sich das an sich seiende Etwas und sein Nichtsein jenseits seiner »Schranke« noch als andere gegenüber, begrenzen sie sich also gegenseitig, so ist die Einheit der Negativität nicht erreicht. Etwas hat seine Bestimmung außerhalb seiner, es soll es selbst sein: »Was sein soll, ist und ist zugleich nicht.« (GW XI, 74) Weil die Grenze absoluter Anfang der Bestimmtheit ist, findet sie nicht an irgendeiner Bestimmtheit ihr Ende, sondern ist darin nur wiederum Anfang eines weiteren bestimmten Etwas-seins. Entsprechend kann Hegel von ihr als der »gemeinschaftlichen Unterschiedenheit« (GW XXI, 115) sprechen. Wir
1.3 Dialektik der Endlichkeit
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können daher genausogut sagen, daß die Bestimmung der einfachen Qualität lautet: Grenze sein. Wenn Etwas aber nur als ›Grenzfall‹ ist, ist damit die Übergängigkeit des Seins in das Etwas selbst hineingenommen. Während Sein im Nichts verschwindet, um daraufhin in diesem wieder aufzutauchen und Dasein zum sich erhaltenden Hinweisen auf das Andere wird, ist das endliche Etwas-sein zu einer widerspruchsvollen Bestimmung geworden, die weder untertaucht wie das Sein oder sich erhält wie das Dasein noch sich lediglich verändert im Übergang von einem Etwas zum Anderen. Der Übergang des Endlichen ist sein Vergehen: »Etwas mit seiner immanenten Grenze gesetzt als der Widerspruch seiner selbst [es ist in ihr und ist nicht], durch den es über sich hinausgewiesen und getrieben wird, ist das Endliche.« (GW XXI, 116) Indem Etwas in seiner immanenten Grenze ist, ist es bestehend, indem es aber als solches gesetzt, also nur in Beziehung (auf ein Setzendes) ist, ist es nicht. Wir haben nun zu sehen, was dieser konstitutive Widerspruch im Endlichen bewirkt.
1.3 Dialektik der Endlichkeit Die zweite Auflage der Seinslogik, der insgesamt eine emphatischere Redeweise51 als der ersten Auflage zu eigen ist, beschreibt an dieser Stelle mit besonders nachdrücklichen Worten, wie es sich mit dem Endlichen verhält: Von den Dingen, die wir endlich nennen, meinen wir, daß »das Nichtsein ihre Natur, ihr Sein, ausmacht.« (GW XXI, 116) Sie haben »den Keim des Vergehens als ihr Insichsein […]: die Stunde ihrer Geburt ist die Stunde ihres Todes«, denn die Endlichen verändern sich nicht nur, sondern sie vergehen. In der Jenaer Logik sagt Hegel prägnant: »das Wesen der Bestimmtheit ist, sich zu vernichten« (GW VII, 30). Hegel sagt, das Denken trage hier Trauer.52 51
Die Emphase mag auch daher kommen, daß wir hier vor dem Mittelpunkt der Philosophie Hegels stehen, der Bestimmung der Endlichkeit des Endlichen. Dazu TWA 11, 411 und 529, Enz. (1830) § 95A, GW IV, 16 (Differenzschrift) und 322 (Glauben und Wissen). Im Übrigen kennzeichnet die zweite Auflage nicht nur der emphatischere Ausdruck, sondern auch eine stärker erläuternde Vorgehensweise, was sich etwa an einigen weniger umgearbeiteten als vielmehr ergänzten Sätzen der Einleitung zeigt (vgl. etwa GW XI, 21 und GW XXI, 33 f.). 52 Es wäre eine eigene Aufgabe, diesen Unterschied zwischen erster und zweiter Auflage der Logik zu begründen. Dabei würde auch die unterschiedliche Reihenfolge der Bestimmungen in den stark umgearbeiteten Kapiteln von »II. Dasein« bis zu »VI. Fürsichsein« eine Rolle spielen müssen. Zur Bedeutung dieser Umarbeitungen siehe Burbidge (2006: 113) und Scheier (2000). – Marcuse sieht in der »Endlichkeit als Seinsbestimmung des Seienden überhaupt« (1932: 63) seine These begründet, wonach Hegel eine Ontologie
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Diese Trauer liegt im Widerspruch des Endlichen begründet, wobei sie freilich Ausdruck eben dieses Endlichen, das heißt des endlichen Denkens ist; sie wird ebenso wie dieses Endliche selbst weichen. Getrauert wird nämlich nicht aufgrund der Vergänglichkeit des Endlichen als solcher, sondern aufgrund der »als an sich fixierten Negation« der Endlichkeit gegenüber und außer seiner Affirmation: »Der Verstand verharrt in dieser Trauer der Endlichkeit, indem er das Nichtsein zur Bestimmung der Dinge, es zugleich unvergänglich und absolut macht.« (GW XXI, 117) Die an sich fixierte Negation läßt sich nicht durch ihr Negat rückbestimmen, wodurch die Negation des Endlichen als negiert, die Vergänglichkeit als vergangen bestimmt wäre, sondern sie hält am einfachen Vergehen des unmittelbar (in der Position der Einfachheit) absolut gesetzten Negativen fest. Die Befindlichkeit des endlichen Denkens kann innerhalb der Logik erwähnt werden, weil die Endlichkeit auch Ort des endlichen Denkens ist, das sich entlang fixierter Negationen bewegt. Die Grenze läßt Etwas sein, indem sie Nichtsein des Andersseins ist. Von diesem negierten Anderssein bestimmt, ist Etwas – mit einem Wort der Jenaer Logik – nicht Bestimmtheit überhaupt, sondern »bestimmte [nicht: bestimmende] Bestimmtheit« (GW VII, 5). Davon kann keine Trägersubstanz isoliert werden, denn ohne die Bestimmtheit, »außer der Grenze« (GW XXI, 115), wäre nur Dasein überhaupt, aber nicht Etwas. Etwas ist also »das B estimmte« (GW XI, 70). Die Bestimmtheit ist dem Etwas ganz zu eigen, sie ist aber doch auch sein Anderes, nämlich ein Nichtsein; das Endliche ist beschränkt und soll dasjenige sein, was es seiner Bestimmung nach ist. Somit ist es danach bestimmt, anders zu sein als es unmittelbar ist. Nur »im Sollen« (GW XI, 78), indem es seine Unmittelbarkeit im Überschreiten der Grenze verliert, ist Bestimmtes. Etwas, das anders ist, unterliegt der Veränderung, oder anders gewendet: Weil das Sein der Bestimmtheit Anderssein ist, deshalb geht Bestimmtheit in Veränderung über. Der Preis der Bestimmtheit ist, daß sie nicht bleiben kann, was sie ist. Alles seiende Etwas ist »beschränkt: endlich«. Geht aber damit nicht die Einheit des Etwas und folglich auch der Geschichtlichkeit liefere. Hegel fasse das endlich Seiende radikal als es selbst und bestimme es nicht mehr im Kontrast zur »Unendlichkeit des intuitus originarius, Gottes«, weil es somit qua seiner notwendigen Veränderlichkeit in Bewegung überführt werde, die kein vorherbestimmtes Ziel und überhaupt kein Woraufhin habe. Im Zuge der Hegelschen Emphase bezieht Marcuse diese logische Bestimmung des Seienden auch auf die »Geschichte des Menschen«, welche Anwendung angesichts der Endlichkeit nahe liegt, damit aber doch noch nicht gerechtfertigt ist. Auch was hier ›Vorherbestimmung‹ heißen mag, klärt Marcuse nicht, er meint damit wohl eine Art inhaltlich lenkender göttlicher Providenz und will in der Abschattierung der ›Geschichtlichkeit‹ davon eine Art Offenheit des Seinsgeschicks bewahren.
1.3 Dialektik der Endlichkeit
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seine Bestimmtheit verloren? Tatsächlich gilt, daß das Etwas als Etwas nicht bleiben kann, als was es ist. Das mag hier ein Beispiel verdeutlichen53: Der Mensch ist als Embryo, er ist als Säugling, Erwachsener und als Greis. Doch ist der Mensch ebenso nicht Embryo, Säugling, Erwachsener oder Greis, vielmehr wird der Embryo ein Säugling, der Säugling ein Erwachsener und dieser eines Tages ein Greis sein. Dies Werden ist der Mensch, es ist – in Worten der Phänomenologie – seine »flüssige Natur« (GW IX, 10). Zwar ist unmittelbar gar nichts anderes anzutreffen als eben Embryo, Säugling, Erwachsener oder Greis, dennoch gilt, daß jedes Als-Etwas-Sein von Etwas eine Grenzbestimmung ist, die das Etwas selbst überschreiten muß, um es selbst zu sein. Das ist im Falle von lebendigem Seienden besonders augenfällig54, aber nicht auf solches beschränkt. Auch Wasser ist als festes, flüssiges oder gasförmiges, und wenn es beispielsweise als Eis in festem Zustand ist, ist sein Sollen, als flüssiges zu sein, so stark, daß es nur mit hohem Energieaufwand durch Kühlung innerhalb seiner Schranke (die für das Wasser selbst natürlich keine solche ist) festgehalten werden kann. Das bedeutet, daß das Aufbrechen der einfachen Einheit eines Etwas als Etwas dessen Bestimmtheit wahrt, anstatt daß sie damit verloren ginge. Die Engführung von Bestimmtheit und sich selbst negierender Veränderung hat also nicht die einfache Vernichtung der Bestimmtheit zur Folge, sondern ist das Wesen der Bestimmtheit selbst.55 53
Wobei deutlich wird, daß die Bestimmung von Etwas als Etwas hier nicht nach der Art eines Urteils über ein Einzelnes funktioniert, das im Satz durch ein allgemeines Prädikat definiert wird. Das heißt ein Urteil, das wir hervorbringen, wenn wir etwas als Etwas erkennen. Hier ist es vielmehr ein Allgemeines (Etwas), das sich als oder zu Etwas bestimmt, es wird also die umgekehrte Richtung durchlaufen. Es geht der Logik nicht um Erkenntnistheorie. 54 Jene Existenzen, die selber den Begriff des Ganzen enthalten, das sich in seine eigenen Momente auseinanderlegt (in Trieb, Leben, Empfindung), gehen sogar selber über die jeweilige Schranke hinaus. In diesem Zusammenhang ist Hegels Wort vom Schmerz als »Vorrecht empfindender Naturen« (GW XXI, 122; auch Enz. (1830) § 60A) zu verorten. 55 Daß sie Vernichtung der Bestimmtheit sei, nimmt Taylor (1983: 313 ff.) an, der deshalb kritisiert, Hegel zeige zwar die Veränderlichkeit des Endlichen, wogegen nichts einzuwenden sei. Die »ontologische Bedeutung« (314) der Verbindung von »Bestimmtheit mit Selbstvernichtung« sei jedoch »verhängnisvoll«. »Ontologisch« nennt Taylor die Folgerung, daß der Tod die Erfüllung der endlichen Wesen darstelle. Als »verhängnisvoll« scheint Taylor anzusehen, daß folglich kein endliches Wesen je es selbst sein kann, da es nur durch die ultimative Unterscheidung von sich, durch den Tod, es selbst ist. Veränderung des Endlichen in den Stufen seiner Verwirklichung solle wohl gedacht werden, doch damit müsse nicht der Gedanke der radikalen Selbstunterscheidung verbunden sein. – Taylors Kritik offenbart an dieser Stelle ein nicht auf die Behandlung der Wissenschaft der Logik beschränktes, hier aber ganz besonders anzutreffendes Problem der Rekonstruktion Hegelscher Argumente. Zur Verbesserung der Verständlichkeit der ›abstrakten‹, d. i. rein begrifflichen Argumentation werden (auch von Hegel selbst, der dies in der Regel kennzeichnet) verschiedene Gegenstandsebenen vermischt, zum einen innerhalb der Logik,
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Durch und im Überschreiten der einzelnen Momente konstituiert sich eine nicht fix-fertige, wohlbestimmt einigende Einheit. Die einzelnen Momente bilden dabei kein bloßes Neben- oder Nacheinander, weil sie über ihre notwendige Negation miteinander verbunden sind: Der Erwachsene ist weder Säugling noch Greis, er ist aber nur Erwachsener als vormaliger Säugling oder werdender Greis. Wie das Etwas also nicht von seinem AlsEtwas-Sein getrennt sein kann, so auch nicht die verschiedenen Als-Etwas Bestimmungen untereinander. Die Einheit, die sich nur auf dem Wege der Negation herstellt, ist nicht fix, sondern bewegt. Sie ist eine Einigung ihrer Momente. Diese Einheit, so Hegel – ein Wort aus dem anfänglichen Übergang des reinen Seins in Nichts wiederholend –, ist im Denken der Endlichkeit »in der Tat« (GW XI, 82, zuvor 44, später wieder 101) schon vorhanden: Wir haben bereits gesehen, daß die Bestimmtheit qua ihres Grenze-seins nicht mehr in einen in sich bleibenden und einen dem Anderen preisgegebenen zum anderen logische Theoreme mit beispielsweise anthropologischen Theoremen. Dadurch werden mitunter Vorstellungen hervorgerufen, die den logischen Argumentationsgang obsolet erscheinen lassen (im vorliegenden Fall: die Veränderung eines »endlichen Wesens« ist ja noch nicht dessen Selbstvernichtung). Tatsächlich handelt der Argumentationsgang aber gar nicht von diesen Vorstellungen (in der Logik ist die Rede von Bestimmtheit als solcher, die immer endlich ist, nicht von irgendwelchen endlichen Wesen, über deren »Tod« ganz anders zu reden wäre als über den Übergang von Endlichkeit zu Unendlichkeit), weshalb die Kritik ihre Sache verfehlt und übersieht, daß der Punkt, den sie gewahrt wissen möchte (Veränderlichkeit eines bleibenden Wesens) vom kritisierten Argument überhaupt erst ermöglicht wird. – Die Versuche, die Logik mit ihren immensen interpretatorischen Schwierigkeiten dadurch verständlich zu machen, oder überhaupt zu erklären, daß man ihr eine permanente, meist ›praktisch‹ verstandene Anwendung unterlegt, verfehlen die Sache der Logik prinzipiell: Die Logik handelt vom Denken der Kategorien selbst, die ›Anwendung‹ hingegen denkt sich, so wie es der Verstand gewohnt ist, bei den Kategorien immer Etwas (Anderes). Was sollte schließlich bei einer Theorie im vollen Sinne auch der Anwendung bedürftig sein? Die Logik, die sagt, was ist (im Sinne des onts on), bedarf keiner Anwendung. Treffend erfaßt ist dieses Problem eines im Grunde genommen sophistischen Umgangs mit der Logik bereits in Erdmanns Grundriss: »In der Ungewohntheit, das, was einem das Bekannteste scheint, zu betrachten, und anstatt auf die Gegenstände, über die man sonst vermittelst der Kategorien nachdenkt, auf diese selbst die Aufmerksamkeit zu richten, hat das Meiste von dem seinen Grund, was man die Unverständlichkeit der Logik nennt. Jene Ungewohntheit lässt immer wünschen, dass man sich doch, wie man gewohnt ist, bei den Kategorien Etwas (Anderes, nämlich den Gegenstand) denken könnte, statt dass es sich darum handelt, eben nur sie zu denken.« (1901: 4 f.). Schließlich erhält die Logik erst durch derartige konkret sein wollende Unterlegungen den Schein des Sophismus. Das wiederum ist eine notwendige Folge davon, daß der Gedanke nicht als er selbst gedacht, sondern für etwas Anderes instrumentalisiert wird. – Zu einer gelungenen Anwendung der Dialektik der Endlichkeit auf eine Theorie der Praxis vgl. Bradley (1927: 75 ff.), der damit, ohne es eigens zu thematisieren, eine interessante Auslegung des kategorischen Imperativs vorlegt.
1.3 Dialektik der Endlichkeit
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Teil aufgetrennt werden kann. Sie ist ganz Grenze und endlich. Was endlich ist, unterliegt der Veränderung, es wird anders, und solches ist die Endlichkeit. Die Endlichkeit ist also nicht, denn sie ist immer anders, sie vergeht. Endliches ist sich mithin ungleich, d. i. Endlichkeit, Negation, bloßer Schein, Nichtsein. Was sich einfach gleich wäre, das bliebe was es ist, es wäre reines Sein, – welches uns ja zum Endlichen wurde. Das Endliche selbst muß über seine Grenze hinausgehen, jenseits derer gewissermaßen sein »ist« liegt. »Das Endliche ist Negation, insofern es sich Negation ist, sich auf sich als auf Nichtsein bezieht, insofern es also die S chr an ke [d. i. die Bezeichnung desjenigen Grenzpunktes an dem Etwas nicht von einem Anderen begrenzt wird (Grenze), sondern von sich selbst, durch die eigene Negation, begrenzt ist und daher diese Grenze auch bereits überschritten hat] ebensosehr au f hebt .« (GW XI, 78) Der Begriff des Sollens ist der Ausdruck des sich auf sich als auf ein Nichtsein Beziehens: Indem etwas sein soll, ist es, obwohl es das, was es sein soll, gerade nicht ist, doch danach bestimmt. Dieses Sollen bestimmt Etwas. Es bezieht sich in seiner Bestimmung auf sich als auf etwas, das nicht ist. Dieser Struktur zufolge ist das Endliche nichtig, es ist nicht, was es ist. Aufgrund der Inadäquatheit seiner vorhandenen Form und des bereits gegenwärtigen Inhalts ist diese Sache endlich, daher muß sie sich auflösen und wird zeitlich sein. Andersherum kann gesagt werden, daß das Endliche nur als und in Beziehung ist, die es aber nicht ist, indem es nur einfach negiert (nämlich das Anderssein), sondern nur indem es sich Negation ist: Es ist selbst anders als Anderes, nicht erst durch Anderes anders. Beide Perspektiven auf das Endliche, sein Selbstbezug als auf ein Nichtsein wie auch das Anderssein zeigen dasselbe: Es ist nichts Endliches, denn als endliches ist es nicht. Indem Endliches vergeht, ist es, was es ist, somit »bezieht« es sich hier auf sich. Wir können sagen: Bestimmtes ist nur, wenn es negiert (erste Negation), dazu muß es aber ebenso seine eigene Negation (zweite Negation) zulassen, sie setzen. Es muß sich selbst Negation sein. Derart bezieht es sich nicht auf Anderes, denn so ist es unvollständig (d. i. erste Negation), sondern auf sich selbst. Was sich nur auf sich selbst bezieht, ist sich selbst gleich. Weil diese Selbstbezüglichkeit von einem Vergehen ausgeht, muß gesagt werden, daß Endliches mithin nicht einfach sich selbst gleich ist (so ist es ja gerade nicht), sondern qua Vermittlung gleichgeworden ist. Was sich bereits in seiner Identität selbst widerspricht, das hat kein Entgegengesetztes mehr. Sich selbst gleich und ohne Entgegengesetztes ist nicht die Endlichkeit, sondern das Nicht-Endliche, d. i. die Unendlichkeit. Das Vergehen des Endlichen führt also zu absoluter Affirmation. Etwas erfüllt seine Bestimmung, wenn die Beziehung zu Anderem
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»seine Fülle« (GW XXI, 112) geworden ist, es also nicht mehr auf sich fixiert und einseitig ist. Im wesentlichen können zwei Einwände hiergegen erhoben werden, indem gesagt wird, daß Endliches eben einfach vergehe und zu Nichts werde, oder daß das Vergehen des Endlichen zwar nicht zu Nichts führe, aber eben doch nur wieder Endliches entstehen lasse. Dem ersten Einwand wurde im Vorangehenden schon sein Ort zugewiesen, denn die erneute Behauptung eines einfachen, affirmationslosen Zu-Nichts-Werdens, das nichts weiter als eben Nichts ist, stellt einen logischen Rückschritt dar. Vom Ort des Nichts wurde der Gedanke aber zum seienden Endlichen hingeführt. Der Einwand ist widersprüchlich: Er impliziert einen logischen Zirkel, der gleichwohl nicht geschlossen sein soll, da der sich schließende Zirkel die gewordene Selbstgleichheit des Unendlichen darstellte. Einen ähnlichen offenen Zirkel nimmt der zweite Einwand an. Die Behauptung eines perennierenden Sollens sieht jedes Endliche in seinem Vergehen statt zu nichts wiederum zu Endlichem werden. Was ist in diesem Übergang gedacht? Wird ein Endliches lediglich wieder zu einem Endlichen und ohne Ende so fort, so sind die Endlichen nur als je Andere bestimmt, wir stehen vor einem Übergehen von Anderem zu Anderem zu Anderem … Zwischen den solcherart rein Anderen ist aber gar kein Übergang möglich, da Veränderung nur in einem einheitlichen Zusammenhang denkbar ist. Wird dieser Zusammenhang konzediert, indem nämlich ein Endliches als das, was es ist (also als etwas) anderes Endliches wird, dann ist dieses gewordene Endliche eben das, was das ›anfängliche‹ Erste als solches (wesensmäßig) ist. Was aber das ist, was es ist, das ist sich selbst gleich und mithin unendlich. Auch die zweite Einrede setzt somit voraus, was sie gerade bestreitet. Das ist die Eigenart prinzipieller Rede und deren Bestätigung.56 – Wir haben damit die Bestimmungen Hegels noch radikalisiert: Im Rahmen der »schlechten Unendlichkeit« räumt er dem endlosen Übergehen noch einen Platz ein, den es angesichts der für das Übergehen notwendigen Einheit, welche die Endlosigkeit ausschließt, nicht geben kann. Gleichwohl ist der ›schlechte‹, weil nicht geeinte Übergang berechtigterweise erwähnt, denn er hat seinen Ort einerseits in der Perspektive des nicht-synthetisierten Übergangsgeschehens der Natur57 und andererseits in der praktischen Idee Kants und der poietischen Idee Fichtes. 56
Paradigmatisch hierfür ist Aristoteles’ elenktischer Beweis für die Unmöglichkeit der Einrede gegen das Prinzip vom Satz des zu vermeidenden Widerspruchs im vierten Buch der Metaphysik. 57 An dieser Stelle wäre mit Hegel, der es in diesem Zusammenhang unterläßt, zu ergänzen, daß »schlecht« eine Vorstellung ist, die nicht in die Logik gehört. Hegel behandelt die schlechte Unendlichkeit näher als den unendlichen Progreß (GW XI, 142 ff.); die-
1.3 Dialektik der Endlichkeit
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Fichte sucht nach der Antwort auf Kants Frage, wie ein freier Wille möglich sei. Dazu fragt er nach derjenigen vorgängigen Einheit von theoretischer und praktischer Philosophie, deren Bewußtsein dem kategorischen Imperativ zugrundeliegt (ihn ermöglicht). Den Widerspruch zwischen dem sich selber setzenden (unendlichen) Ich und dessen Begrenzung durch Entgegensetzung des Nicht-Ich treibt Fichte auf die Spitze, – um ihn zu lösen. In der poisis soll die Sphäre der Endlichkeit vom Unendlichen selbst gesetzt sein und mit ihm bestehen. Woher rührt der Widerspruch von Endlichem und Unendlichem bei Fichte? Da Endliches nur für das Ich58 sein kann, dieses Endliche aber im Erkannt- und Behandeltwerden durch das Ich nicht mehr entgegengesetztes Nicht-Ich ist, wird auch das Ich selbst zu einer widersprüchlichen Bestimmung, denn es selbst hat das Nicht-Ich entgegengesetzt. Verschwindet nun das Nicht-Ich, so verschwindet auch das Ich. Es gilt: »Ich soll Kausalität auf das Nicht-Ich haben« ebenso wie »Ich kann keine Kausalität auf das Nicht-Ich haben« (FW I, 254). Im Ausgang von der ursprünglichen Setzung der Identität des Ich ist fraglich geworden, wie es überhaupt Anderes geben kann, das gegenüber der Identität ein Widerspruch zu sein scheint. Die Setzung des absoluten Ich, das unendlich und unbeschränkt ist und alle Realität in sich befaßt (»Alles, was ist, setzt es; und was es nicht setzt, ist nicht«, FW I, 255), dementiert die Sphäre der Endlichkeit, denn »[i]nsofern das Ich sich ein Nicht-Ich entgegensetzt, setzt es notwendig Schranken«. Diesen Widerspruch will Fichte durch eine Auseinanderlegung verschiedener Hinsichten lösen. Das Ich muß in verschiedenem Sinne endlich und unendlich gesetzt sein. Andernfalls wäre der Widerspruch unlösbar und das Ich wäre »nicht Eins, sondern Zwei«, was ungeklärt ließe, wie von einem getrennten substantiellen Unendlichen gewußt werden kann.59 Die Differenzierung ser kann überall dort erzeugt werden, wo die notwendige Vereinigung entgegengesetzter Bestimmungen zu einer konkreten Identität nicht gedacht wird. Diese Identität kann beispielsweise in der Natur nicht realisiert werden, doch ist damit das Denken gerufen, über sie hinauszugehen. »Schlecht« kann die schlechte Unendlichkeit schließlich deshalb genannt werden, weil sie eine falsche Beziehung in sich trägt: Sie will für sich sein, aber sie wird gedacht. 58 Daß Fichte hier nicht vom unmittelbaren empirischen Ich des Menschen spricht, sondern von einem bereits unterschiedenen Ich, macht seine Anmerkung in der Wissenschaftslehre deutlich: »Die meisten Menschen würden leichter dahin zu bringen sein, sich für ein Stück Lava im Monde, als für ein Ich zu halten.« (FW I, 175) Vgl. dazu Boeder (1980: 534 f.), der dagegen die Widerstandslosigkeit der ersten Thathandlung des Ich im Setzen seines »bin« kontrastiert. 59 So die Frage, die Fichte an Spinoza richtet. Zu Spinozas Rolle innerhalb der idealistischen Suche nach einer Lösung des Widerspruchs von Endlichkeit und Unendlichkeit vgl. Bubner (2004), der in Hegels Bestimmung des Endlichen den Abschied von einer spinozistischen Orientierung der nachkantischen Philosophie begründet sieht. Indem
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zwischen einem unendlichen Ich im Hinblick auf dessen reine, objektlose Tätigkeit in sich und einem endlichen Ich im Hinblick auf dessen objektive Tätigkeit, die ein Widerstehendes setzt, kann den Widerspruch noch nicht klären, denn wie kann in diesen Tätigkeiten dasselbe Ich zugrunde liegen? Das gelingt nur, indem auch die verschiedenen Tätigkeiten ein und dieselbe sind: »Das Ich setzt schlechthin einen Gegenstand« (FW I, 258), diese poisis geschieht aus Unmittelbarkeit, grundlos und frei. Mit dem Gegenstand setzt es einen »Grenzpunkt« in die Unendlichkeit, damit ist das Ich selbst begrenzt und endlich, »aber es ist in dieser Endlichkeit unendlich, weil die Grenze ins Unendliche immer weiter hinausgesetzt werden kann.« Das vom Ich gesetzte Endliche ist, weil es nicht Gegebenes ist, kein unüberwindliches Hindernis des identischen Ich, sondern Anlaß zur Überwindung seines fremdartigen Charakters. Die geforderte Übereinstimmung des Objekts mit dem Ich, das heißt die Aufforderung zur poietisch-praktischen Tilgung der Gegenständlichkeit, die nicht einfache Negation, sondern Unterwerfung unter das Ich ist, sieht Fichte im kategorischen Imperativ vorformuliert (FW I, 260 f.). Da aber die Setzung des Nicht-Ich aus dem absoluten Ich heraus erfolgte, ist es von gleicher Absolutheit. Nun gibt es in der Gleichsetzung wieder kein Objekt, denn dafür muß es eine vom Ich schlechthin »verschiedene Tätigkeit (=X)« (FW I, 259) geben. Ich und Nicht-Ich können mithin nicht gleich sein, sollen es aber sein. Die Übereinstimmung beider Sphären stellt also eine Forderung dar. Sie ist »ein unendliches Streben« (FW I, 261), das für den Menschen, wie Fichte in der Bestimmung des Gelehrten sagt, zur »Vervollkommnung ins unendliche«, nicht aber zur »Vollkommenheit« führt (FW VI, 300). Fichte findet also eine doppelte Lösung des Widerspruchs, der in der Beschränkung des absoluten Ich auftritt: Erstens wird der Widerspruch anerkannt, aber nicht als bestehend, sondern als absolut zu tilgender; zweitens wird der Widerspruch dadurch ausgeräumt, daß keine wirkliche Vereinigung von endlich Bestimmten und vollkommener Selbstgleichheit (d. i. Unendlichkeit) gedacht wird, die statt dessen im Gegensatz belassen werden, der, weil sie dazu in eins gedacht werden müßten, ja noch keinen Widerspruch darstellt. Auch in der »undenkbaren Idee der Gottheit« (FW I, 254) gibt es keine Vereinigung, weil es in ihr kein Auseinandertreten gibt. Anstelle von Vereinigung findet ein stetes Neubestimmen im Blick auf die Unendlichkeit Hegel einerseits das Endliche als Ergebnis der Selbstunterscheidung des Unendlichen, also der Prozessualität des Absoluten deute und andererseits das Absolute im (Wieder-) Erkennen der Prozessualität in der Methodenreflexion einen Subjektivitätsakzent (32) erhalte, entferne er sich von der substantiellen Entgegensetzung und Unvereinbarkeit von Endlichkeit und Unendlichkeit, die nur eines der beiden sein läßt: Das Endliche ist dem Unendlichen zu eigen.
1.3 Dialektik der Endlichkeit
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statt, ohne daß diese je erreicht würde. Nur um den Preis bleibender Trennung konnte das sich selbst gleiche Ich aus sich herausgehen zur Setzung der Welt der Bestimmtheit, und in dieser Trennung erhält es sich als Bestimmung. Ist das Endliche qua seiner Übergänglichkeit letztlich eine Verweisungsfunktion auf die Unendlichkeit? Wir hätten dann einerseits den unabschließbaren Fortlauf von Endlichem zu Endlichem, schließlich, so könnte argumentiert werden, liegt uns ja auch gar nichts anderes vor. Und andererseits bestünde das uneinholbare Unendliche, – derart stellte sich das Verhältnis nach Fichte dar. Auf diese Weise erhält sich das Unendliche als beständiges System des sich aufgrund seiner einfachen Negativität abwechselnden Endlichen. Das Endliche in seinem Abwechseln betrachtet, weist dann auf sein Anderes, das Unendliche hin; und das Unendliche verweist auf den durchgängigen Wechsel des Endlichen, ohne den es nur unmittelbare und sich mithin nicht erhaltende, also endliche Einheit wäre. Der Gedanke wäre mit anderen Worten eine »Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen« (GW XI, 79). Auch diese Bestimmungsweise ist im bisherigen Verlauf bereits vorgekommen: Es ist jene einfache Negation der Negation, die das seiende Sosein ist, welches sein Anderssein negiert. Das sich durch Negation erhaltende Hinweisen auf das Anderssein ist die Aufhebung des (nichtseienden) Andersseins durch ein Anderes, das eben das seiende Sosein (Etwas) ist. Die beiden Negationen begrenzen einander gegenseitig, sie sind einander andere, nicht aber sich selbst gegenüber. Solange Anderes von Anderem aufgehoben wird, ist die Beziehungsfunktion dem Ansichsein der Momente nicht gleich. Das ist die Situation der Unmittelbarkeit, von Sichselbstgleichheit im Vergehen kann keine Rede sein. Als diese Gleichheit bestimmte sich uns aber die Unendlichkeit, sie kann demzufolge nicht lediglich als Verweisungszusammenhang von Momenten gedacht werden, die einander andere sind, denn Unendlichkeit ist nicht unmittelbar. Die spezifische Erhaltungsweise der Unendlichkeit in Hegels Denken hebt sich durch eine andere ratio ihrer Momente und folglich eine andere Genese der Unendlichkeit von dieser Konzeption ab. Im Vorangehenden wurde dargelegt, daß das Endliche nicht durch ein Anderes vergeht und zu Anderem wird, sondern durch sich selbst vergeht. Es erhält sich nicht wie das Dasein überhaupt in der Bestimmung des Seins, sondern ist immer schon über sich selbst hinaus. Das Endliche ist durch sich selbst Vergangenes, denn es ist sichselbstanders. Als eben diese Sichselbstandersheit bestimmt sich auch die Unendlichkeit, die »an ihr das Andere ihrer selbst« (GW XI, 82) ist. Nur indem die Unendlichkeit nicht ein Anderes der Endlichkeit/ des Endlichen ist und sie nur einfach negiert, fällt die Dialektik
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des Endlichen im Übergang zur Unendlichkeit nicht einfach ins Nichts der Endlichkeit. Wenn die Endlichkeit lediglich die Unendlichkeit negiert, wäre sie ein externes Ergebnis der Negation der Negation der Endlichkeit. Soll diese tatsächlich zu einem Unendlichen führen, dann kann die Unendlichkeit aber nicht außer dem Endlichen sein, sondern muß als Resultat im Gedanken der Selbstbeziehung des Endlichen integriert sein. Aber die Unendlichkeit zeigte sich doch als Ergebnis der Endlichkeit beziehungsweise des unmittelbaren Bestimmtseins; wie kann sie demgegenüber nicht ein Anderes sein? Wäre die Unendlichkeit anders als jene Momente, aus denen heraus sie sich zeigte, so wäre sie begrenzt, also nicht unendlich. Würden wir dagegen sagen, daß die Unendlichkeit einfach nicht-anders (non aliud) sei, so sprächen wir vom reinen Sein, nicht von der Unendlichkeit. Wie kann also etwas Resultat, und damit verschieden von seinem Anfang, und doch nicht anders als dieser Anfang sein? Nur indem es sich selbst reproduziert: Das Resultat, das die Unendlichkeit ist, setzt seinen eigenen Anfang. Die Unendlichkeit ist weder Nicht-Anderes noch (einfaches) Anderes, sondern Sichselbstandersheit. Rekapitulieren wir dazu den Gedanken, der hierhin führte: Das Anderssein, als welches sich das Sein zeigte, muß anders sein als etwas (Negation von etwas), es ist aber nichts vorhanden als es selbst. Das Anderssein ist also Negation, die auf sich bezogen, sich anders ist (Negation der Negation). Das einfache Anderssein ist demzufolge getilgt, denn indem es sich auf sich bezieht, bezieht es sich auf sein Gegenteil, das ist die Abwesenheit jeglicher Negation. Die auf sich bezogene Negation ›neutralisiert‹ sich aber nicht schlechtweg (Enz. (1830) § 95A), sondern sie hat im Fehlen der Negation ein Resultat. Weil die Relation, der das Resultat entspringt, sich negiert hat, ist es selbst ohne Bezug und unmittelbar. Weil das Resultat nicht durch ein Anderes, sondern durch das Selbstanderssein zustande gekommen ist, ist es nicht vermittelt. Zur Vermittlung muß nämlich Differenz im Spiel sein. Aber diese Unmittelbarkeit ist dem Sichanderssein als dessen Anderes entsprungen. Diese andere Unmittelbarkeit ist einfaches Anderssein. Sich darauf zu beziehen ist integraler Bestandteil des Gedankens von Negation. Vom einfachen Anderssein wissen wir bereits, daß es zum einen als es selbst nur in doppelter Negation ist, und zum Anderen – nach seiner Genese aus dem Selbstbezug der ersten doppelten Negation und in dieser stehend – gesetzt ist als Relat der Selbstbeziehung der Negation, also als deren nicht-anderes Gegenteil, denn die Relata einer Selbstbeziehung sind einander gleich. Mithin ist es als doppelte Negation. Die Negation erfordert also die doppelte Negation und diese die zweifach doppelte Negation.60 60
Henrich bezeichnet diese Denkfigur als Hegels »Grundoperation« (1976: insbeson-
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Die Struktur zweifach doppelter Negation drückt den mehrfachen Sinn der Aufhebung aus, die hier Aufhebung der Unmittelbarkeit ist: Aufhebung läßt etwas nicht sein, was es in seinem einfachen, unmittelbaren Vorliegen ist (tollere/negare), sondern birgt es (conservare61) und verleiht ihm so die Bedeutung, als die es ist (significare62). – Der Säugling kann als er selbst nicht bleiben, als was er ist, sondern er muß wachsen, zum Kind und zum Erwachsenen werden. So drückt er sein Menschsein aus, das er auch schon als Säugling war. – Aufhebung nimmt ein Unmittelbares auf und setzt es, als was es ist: In ihr wird zum Aufgenommenen nichts hinzugefügt, sondern nur der vorliegende Gedanke gedacht, ohne irgendwelche ›Einfälle‹ an ihn heranzubringen. Gleichwohl ist die Aufhebung ganz anders situiert als zu Anfang, weil sie dessen Bedingungen klärt. Die gedachte Bestimmung ist notwendig mit einem Widerspruch verbunden: Sie negiert sich selbst. Die Aufhebung ist also keine Falsifikation einer ursprünglichen These, sondern sie bewegt eine gedachte Bestimmung durch sie selbst. Damit wird die Bestimmung bestimmt und bestimmend zugleich, sie befindet sich dere 219), die aus der Autonomisierung der Negation folgt. Diese Operation kontrolliert nach Henrich die Bewegung der Begriffe und ist Prinzip und Maßstab der Dialektik, die lediglich ein vages Konzept bliebe, wenn sie bloß aus Zusehen und abstraktiver Zusammenfassung der Begriffsbewegung bestünde (212). Vgl. zur zweifach doppelten Negation auch die Darlegung bei Haas (2003: 63 ff.), der Henrich dahingehend präzisiert, daß die Grundoperation in der Logik nicht eine immer wieder (etwa bei verschiedenen Übergängen) vorkommende ist, sondern daß die Logik vielmehr ausbuchstabiert, was zu dieser Operation benötigt wird. – Bereits die Jenaer Logik wird von der Konstitution der zweifach doppelten Negation geleitet, wie im Übergang der aus der einfachen Beziehung (d. i. die für sich sein sollende Bestimmung) entsprungenen Unendlichkeit zum »Verhältnis« deutlich wird: Hier muß »dem Unendlichen […] das Unendliche selbst gegenübertreten« (GW VII, 37), das Unendliche, das Resultat der einfachen Beziehung ist, muß auch als sein Beginn realisiert werden; bezüglich der Jenaer Logik sei auch auf den Begriff des »Quantums« als absoluter Widerspruch hingewiesen (insbesondere GW VII, 14 f.). In der Phänomenologie des Geistes ist die Grundoperation im Begriff der Anerkennung präsent (hierzu Spieker 2003), die sich in der Rechtsphilosophie bis in die Sphäre des äußeren Staatsrechts erstreckt (hierzu Spieker 2004). 61 Die Bergung geschieht wohlgemerkt nach der Unterscheidung des unmittelbar Vorliegenden, weshalb sie frei von vordergründiger Erbaulichkeit ist. 62 Dies statt des üblicherweise als dritter Bedeutung angegebenen elevare, das, weil es eine Hierarchie und Wertung der einzelnen Momente impliziert, unangebrachte Vorstellungen transportiert. Elevare scheint mir lediglich zur Anzeige der in der Aufhebung stattfindenen Bewegung passend zu sein. Inhaltlich bedeutet dies jedenfalls, daß etwas in der Aufhebung in seiner gültigen Bedeutung installiert wird. Die, soweit ich sehe, einzige Stelle, an der Hegel das Aufheben auch als Emporheben erwähnt, führt dennoch keine Hierarchie mit sich (GW XXI, 94; in der ersten Auflage der Seinslogik erwähnt Hegel diese Deutung nicht). – Auch das griechische anelein kann diese drei Bedeutungen (inklusive significare) tragen, vgl. dazu die Nachweise bei Liddell and Scott (1897: 98).
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im Prozeß ihrer Aufhebung. Alles dialektische Bestimmen ist mit diesem Vorgang der Aufhebung verbunden. Die Aufhebung ist dem dialektischen Bestimmen derart immanent, daß wir in ihr das Wesen der Dialektik vor uns haben. Bei Hegel sind wir erst in der Lage die Kenntnis der Methode zu erlangen, nachdem die gesamte Bewegung der Logik vollzogen ist. Sie steht nicht wie bei Descartes und dem ihm folgenden Wissenschaftsverständnis am Beginn der Untersuchungen, denn sie ist nicht als Werkzeug zur Erwerbung von Kenntnissen konzipiert, sondern in sich selbst reflektierte Methode. Es ist aber dennoch an dieser Stelle ein Blick auf die platonische Herkunft des Begriffs der Aufhebung zu werfen. In der Politeia bestimmt Platon h dialektik methodos (Politeia 533c) innerhalb der Diskussion über die Ausbildung der sogenannten Philosophenkönige. Die Dialektik wird von den anderen zu dessen Ausbildung gehörigen technai nicht kraft einer anderen Methode unterschieden, sondern dadurch, daß sie überhaupt eine solche hat: Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Harmonielehre »sehen wir wohl, wie sie zwar träumen von dem Seienden, ordentlich wachend aber es wirklich zu erkennen nicht vermögen, solange sie, Annahmen (hypotheseis) voraussetzend, diese unbeweglich (akintous) lassen, indem sie keine Rechenschaft davon geben (logon didonai) können.« Aus diesem Grund will Platon die genannten technai nicht Wissenschaft (epistm), sondern dianoia nennen (533d), was mit einem gewissen Anachronismus als »Verstand« (im Unterschied zu Vernunft) übersetzt werden kann. Welcher Art sind die Annahmen, die diese technai machen? Es sind offenbar die Anfangsgründe dieser ›Verstandes-Wissenschaften‹, die selbst keinen Beweis zulassen und unmittelbar beanspruchen, daß dasjenige, was sie setzen, auch sei.63 Von diesen Anfangsgründen her deduzieren sie die Kenntnis ihres jeweiligen Gegenstandes, ohne aber von ihren Grundsätzen Rechenschaft geben zu können: »Die Methoden der objektiven Wissenschaften erlauben nur Aussagen über die Gegenstände dieser Wissenschaft, die Objekte. […] Die Objektivität als solche kann jedoch nicht als Objekt 63
Picht (1992: 93 ff.), der auch auf den Platonischen Hintergrund des Aufhebens aufmerksam macht, verweist in diesem Zusammenhang auf Aristoteles’ Bestimmung der archai, von denen jedes Lehren und Lernen als zugrundeliegender Erkenntnis im Bereich der dianoia ausgeht (Analytica posteriora 71a 1 f.). – Hegel nimmt das Motiv des Bewegens der Ausgangssätze in seiner Kritik der historischen und mathematischen Methode in der Phänomenologie des Geistes direkt wieder auf (GW IX, 27). In seiner Logik-Vorlesung von 1817 sagt er: »Die Wissenschaften beziehen sich stets nur auf etwas Endliche[s], indem nämlich hier das Einzelne einer Sphäre auf den Begriff zurückgeführt wird und aus ihm abgeleitet werden muß. Jede Wissenschaft sollte philosophisch getrieben werden, d. h. man sollte sie auf ihre Idee zurückführen und von ihr ableiten.« (AV XI, 7)
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betrachtet werden« (Picht 1996: 12). Wie der logos dieser Wissenschaften mit einem gegenständlichen Sein überhaupt übereinstimmen kann, ist nicht Thema der dianoia. Die Grundsätze geben der dianoia ihr Maß, sie werden selber nicht gemessen, denn dafür steht kein Instrumentarium zur Verfügung. Folglich bleibt auch die entfaltete Kenntnis immer im Status der Behauptung, denn sie kann nicht sicherer sein als die Prinzipien, von denen sie ausgeht. Weil ihr die Prinzipien gegeben sind, hat sie nicht den Begriff ihrer selbst zum Gegenstand. Die dianoia nimmt ihre Voraussetzungen hin »als sei dies schon allen deutlich« (510c). Der von solchen Prinzipien gegebene Gegenstand aber kann nur angenommen werden, über ihn selbst läßt sich keine Wissenschaft entfalten, denn dazu wäre die Angabe eines in sich gegründeten und unbedingten Grundes, eines anhypotheton notwendig. Die wahre Wissenschaft hat nämlich nicht irgendwelche Ausgangspunkte, sondern sie muß, mit Aristoteles gesprochen, ex althn einai (Analytica Posteriora I, 71b), von Wahrem her sein. Platon fährt deshalb fort: »Denn wovon der Anfang ist, was man nicht weiß, Mitte und Ende also aus diesem, was man nicht weiß, zusammengeflochten sind, wie soll wohl, was auf solche Weise angenommen wird, jemals eine Wissenschaft sein können?« (Politieia, 533d) Der ungeklärte Anfang stellt also alles daraus folgernde Erkennen in Frage, dessen Gegenstände können sein oder auch nicht. Sie sind aber nicht bezogen auf jenes on, das wahrhaft und notwendig es selbst ist. Vom wahrhaften on Rechenschaft zu geben, heißt nicht so sehr begründend über es zu reden, sondern den Grund zu erweisen, indem aus ihm heraus gesprochen wird. Das heißt, aus dem gründenden Grund überhaupt begründen zu können, oder mit Hegel: nicht über ihn zu räsonieren, sondern ihn in sich zu reflektieren. Dorthin zu führen, ist die Bestimmung der Dialektik: »Nun aber, sprach ich, geht (poreuetai) die dialektische Methode allein auf diese Art, alle Voraussetzungen aufhebend (tâs hypotheseis anairousa), gerade zum Anfange selbst, damit dieser fest werde, und das in Wahrheit im barbarischen Schlamm vergrabene Auge der Seele zieht sie gelinde hervor und führt es aufwärts«. Die Dialektik geht durch die gesetzten Anfänge hindurch, darin besteht die Aufhebung der Voraussetzungen. Sie werden nicht als Anfang der Sache genommen, sondern als Anlaß und Einstieg zu einer Untersuchung, die zum Aufhören aller Voraussetzung (511c) führt. Der Anfang wird nicht gelassen, wie er zu sein scheint, nämlich als unbeweglicher, gewissermaßen vom Begründeten getrennter Grund. Den Anlaß zur Befragung der Grundsätze bildet aber die Erfahrung, die von den festgeglaubten Grundsätzen aufschreckt; wir lernen durch Leiden (Sophistes 234c/d, zuvor Aischylos, Agamemnon, V. 175 ff.). Im von der Erfahrung des Scheiterns seiner Wissensansprüche geleiteten Erkenntnisweg des Bewußt-
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seins (seiner »Bildung«, GW IX, 11) in der Phänomenologie nimmt Hegel diesen Gedanken wieder auf (vgl. Spieker 2003). Platon buchstabiert im unmittelbaren Zusammenhang der Politeia nicht aus, wie und wohin diese Aufhebung durchgeführt wird. Es darf dazu aber auf seinen Dialog Parmenides verwiesen werden, der auch von Hegel (GW IX, 48) als Vorbild der Dialektik gerühmt wird. In der Betrachtung der Folgen der ersten Hypothese, ›wenn Eines ist‹, werden diese auf die Hypothese rückbezogen, denn sie selbst ist Gegenstand der Betrachtung. Das Resultat dieses Rückbeziehens ist, daß das einfache Eine (das hen hen; Parmenides 142c) weder Anfang von Sein noch von logos, d. i. Begründung, sein kann. Zu sagen, daß das einfache Eine ist, behauptet einen Widerspruch und führt zur Aufhebung der Hypothese. Aus der gescheiterten Hypothese ergibt sich die Notwendigkeit einer neuen Setzung, darin zeigt sich die positive Bestimmung der Aporie. Interpretierend können wir sagen: Es muß zu einem logos vorangeschritten werden, auf dem das Begründen aufbauen kann, weil selbst in der Aufhebung des einfachen Einen ein Begründungsverhältnis am Werk ist (weil Eins einfach ist, deshalb ist es nicht und kann nicht erkannt werden). Diese neue Hypothese ist dann aber nicht mehr unmittelbarer und unbegründeter Grund der auf sie zutreffenden Prädikationen. Von ihr wird bereits gewußt, daß sie nicht an sich behauptet werden kann, da ihr ›etwas‹ (ein sich durchstreichender Satz) vorausging, ohne das sie nicht auszusagen wäre. Ohne die Differenz zum nicht-seienden einfachen Einen kann auch die Verflechtung von Eins und Sein zum seienden Einen nicht in ihrer vollen Tragweite gedacht werden. Nur nach der Aporie der Nicht-Verflechtung ist die Notwendigkeit der Verflechtung einsichtig. Die Hypothese ›wenn Eines ist‹ stellt bereits eine Synthese von Einem und Sein dar, die nicht mehr einfach an sich zu behaupten ist. So vermittelt die Dialektik eine Einsicht über das Anfangen, obgleich ihr kein Anfang gegenständlich greifbar ist, so daß sie über ihn reden könnte.64 Auch die Dialektik Hegels führt nicht zur 64
Entsprechend kann auch auf die Frage, ob das Resultat platonischer Dialektik »positiv« oder »negativ« sei, keine einfache Antwort gegeben werden. Womöglich ergeben diese Bestimmungen zur Beurteilung von Dialektik gar keinen Sinn, wenn sie nicht selber wieder dialektisch gelesen werden. Innerhalb dieser höchst problematischen Unterscheidung bleibt Hösle in seiner Beurteilung Hegels, wenn er (1998: 178) entlang ihrer den Unterschied von (negativer) Dialektik und (positiver) Spekulation festmacht. – Es soll hier auch nicht bedacht werden, inwieweit Hegel sich ›zu Recht‹ auf das Vorbild der platonischen Dialektik berufen kann. Obwohl Hegel an der Dialogform das völlige Abwälzen »alles Thetische[n], Behauptende[n], Dogmatisierende[n]« (TWA 19, 24) würdigt und sie – entgegen der Meinung seiner Zeit – spekulativ nennt (TWA 19, 65 ff.), kritisiert er die platonische Dialektik auch wegen ihres thetischen Vorgehens aufgrund von ›Grundsätzen‹, deren Herkunft sie nicht kläre (etwa GW XXI, 87). Die Beantwortung dieser Frage wird
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Definition irgendeines an sich seienden Grundes, gewährt aber Einsicht in einen Begründungszusammenhang, der – mit Platon gesprochen – Anfang, Mitte und Ende zusammenflicht, indem das Resultat ein Wissen vom Anfang vermittelt. Das unmittelbar Bekannte, das, weil es bloß vorausgesetzt wird, gerade nicht erkannt ist, wird durch seine Aufhebung als vermittelt gesetzt.65 Das Denken des unmittelbaren Andersseins führt in der zweifach doppelten Negation zu einem Resultat: der Wiederholung des Andersseins, das die Bedingung des anfänglichen Andersseins ist. Dadurch wird dieses in seiner Einfachheit aufgehoben und bestätigt, es wird als es selbst gesetzt. Weil Hegel nicht thetisch vorgeht66, betreibt er im strengen Sinne Wissenschaft nach platonischem Maßstab. In Hegels Worten ist zweifach doppelte Negation »die wahre Unendlichkeit […] Sie besteht in dem Hinausgehen über das Anderssein als der Rückkehr zu sich selbst« (GW XI, 82). Zurückkehren kann etwas nur dorthin, wo es ehedem schon war. Was schließlich zu sich zurückkehrt, ist mit sich identisch, und es ist identisch erst im Nachhinein, wenn es nur durch Rückkehr dorthin gelangt. Die Identität ist hiermit nicht mehr absolute Voraussetzung, sondern sie ist abgeleitet. Kein Etwas ist als Etwas einfach identisch, seine Identität liegt nicht vor, denn diese ist von allem Vorliegenden abwesend und stellt sich erst in dessen Bewegung her. Nun kann etwas nur von dort hinausgehen, wo es bereits war, und geht dabei dorthin, wo es noch nicht ist. Das Hinausgehen kann deshalb eine Rückkehr sein, weil es bedeutet, dasjenige zu werden, was es bereits war: to ti n einai (›das was war zu
üblicherweise an der Qualifizierung der Dialektik als »negativ« und »positiv« festgemacht; beispielsweise bei Gadamer (1987a), der Hegels Berufung auf Platon zurückweist, da Platons Dialektik negativ bleibe (16 f.). Vgl. zum Verhältnis Hegels zu Platon auch Düsing (1983), der den Unterschied darin begründet sieht, daß für Hegel die Bedeutung von Kategorien nicht wie für Platon die der unvergänglichen Ideen ›vorliege‹. Bei Hegel würden die Kategorien statt dessen erzeugt und verändert durch das Denken seiner selbst (94). In dieser Linie steht auch die Unterscheidung von Iber (1990: 11), der Hegels »Metaphysik absoluter Relationalität« (Titel) einem »unbewegten Reich koexistenter Ideen […] bei Platon« gegenüberstellt. Dagegen stellt sich die Frage, inwieweit Ideen bei Platon ›vorliegen‹ und was hier »existieren« heißen soll. Sie sind wohl eher als selbstbewegte und lebendige Gedanken des pantels on (Sophistes 248e) zu verstehen und bilden kein ›unbewegtes Reich‹; vgl. hierzu Finck (2007). 65 Mit seiner bereits in der Phänomenologie des Geistes vorgetragenen Kritik am »Bekannten«, das gerade »weil es bekannt ist, nicht erkannt« (GW IX, 26; wiederum in GW XXI, 11 f.) ist, wendet sich Hegel gegen Fichtes Bestimmung der ungetrennten Einheit des vorausgesetzten Absoluten, dessen Einheit von selbst einleuchtend sei (dieses »Schema« in aller Kürze in der Wissenschaftslehre von 1804, FW X, 105). 66 Thetisch dabei etwa in entgegengesetzter Verwendung wie innerhalb des thetischen Urteils nach Fichte (vgl. hier S. 33 f.).
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sein‹). Damit ist gesagt, daß die Bewegung Erfüllung einer Bestimmung ist, darin liegt die Vernünftigkeit des Wirklichen (vgl. TWA 7, 24). Der Gedanke des ti n einai, den Hegel in der zweifach doppelten Negation erreicht, ist freilich demjenigen des Aristoteles nicht einfach gleich. In seinem Fragen nach dem primär Seienden, der ousia, die für Aristoteles zunächst das Einzelding ist (Metaphysik VII 3, 1029a 7–9)67, führt er den Begriff to ti n einai ein. Dieses betrachtet er nicht als solches, sondern in Ergänzung eines possessiven Dativs, also danach fragend, was es beispielsweise ›dem Menschen war zu sein‹ (to ti n t anthrop einai). Während der einzelne Mensch, das aus Form und Materie Zusammengesetzte, ein Entstehen und Vergehen hat, – er war irgendwann nicht, ist dann und wird später nicht mehr sein – hat to ti n einai keine Entstehung und kennt keine Veränderung (VII 8, 1033b 5–8). Es ist das, was in einem Anderen, der Materie, entsteht; es selbst aber ist oder ist nicht, in welchem Falle es freilich auch in nichts entstehen kann. Es formt als eidos etwa das Bett, geht diesem konkreten Bett strukturell – als Form – voraus, hat aber an sich kein Sein. Wir können von ihm nicht sagen, daß es ›für sich ist‹. Was für sich existiert, ist das Einzelwesen, nicht das eidos. Das eidos ist diejenige Bestimmung, die etwas zu dem macht, was es ist und bezeichnet ein bestimmtes Eines (IV 4, 1007a 25). Deshalb gibt to ti n einai Antwort auf die Frage ti estin. Diese Bestimmtheit, die eines zu dem macht, was es wesentlich ist, unterschieden von allem, was es nicht ist, ist dessen unteilbare Bestimmung, das atomon eidos. Dieses läßt sich im logos der Definition aussagen. Da der logos die Natur der Sachen treffend erfaßt, liegt darin der Grund dafür, daß sich die Bestimmungen von Denken und Natur nicht widersprechen. Die Bestimmtheit gibt es nur, wenn sie im Einzelnen als dessen immanentes eidos erscheint, womit Aristoteles sich gegen Platon und die Theorie eines eidos auto kath’ auto (Symposion 211b) abgrenzen will. Für sich genommen ist das ti n einai »unabgeschlossen« (vgl. Picht 1992: 277 ff.), das zeigt das Imperfekt (n) an. So wie to ti n einai nur ist, indem es zur Erscheinung kommt, so ist umgekehrt das von diesem bestimmte Einzelne nur, indem es eben dasje67
Die Parallelstelle hierzu ist die Frage nach der ousia in De anima, wo Aristoteles drei Bedeutungen von ousia anführt: als Stoff (hyl), der für sich unbestimmt ist, als Gestalt (morph), die etwas zum bestimmten Ding macht und als das aus beiden Zusammengesetzte (syntheton; De anima II 1, 412a 3 ff.). Der natürliche Körper ist Substanz im dritten Sinne, die Seele als Form und Gestalt und der Körper als zugrundeliegender Stoff, der der Möglichkeit nach Seiender ist. Ursache dafür, daß der Stoff, was er der Möglichkeit nach ist, auch in Wirklichkeit wird, ist die bestimmte Form, sie gibt die Einheit (Metaphysik VII 17, 1041a 25 ff.) und ist Vollendung (De anima II 1, 412a 21).
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nige zur Erscheinung bringt, was es von vornherein schon war. In dieser Bestimmung zeigt sich das ti n einai als die physis des in Frage stehenden Gegenstandes (Metaphysik V 4, 1015a 14 ff.). Das zeitlose, nicht-entstandene und mit sich identische eidos wird, weil es nur ›enhyliert‹ im konkreten Einzelnen ist, zu einem Bewegungsbegriff. Es ist das Ziel, das das Einzelne in sich hat, die entelecheia (De anima II 1, 412a 10).68 Das heißt an unserem Beispiel, der Säugling, dessen to ti n einai es ist, Mensch zu sein, ist dieses nur, indem er nicht als ›einfacher Säugling‹ ist, sondern indem er Embryo war und Erwachsener wird und darin immer nur zur Erscheinung bringt, was er als Mensch immer schon ganz war. Würde schon der Embryo nur ›einfacher Embryo‹ sein und bleiben, dann wäre er tot; hätte dieser nicht einmal die Möglichkeit, sich zu den weiteren Stufen zu entfalten, dann ist es kein Mensch und wäre also auch gar kein Embryo.69 Der Embryo muß also Säug68
Picht meint, erst Hegel habe wieder diese radikale Verknüpfung der Struktur des Wesensbegriffs und des Kontinuums (der Materie) gedacht, die Aristoteles mit dem Bewegungsbegriff des immanenten eidos vornehme (1992: 299). Wiewohl die Struktur des Soseins offensichtlich eine sich bewegende ist, wird man doch fragen wollen, wo dabei Materie eine Rolle spielt, wenn man nicht, wie es Picht tut, das reine Sein des Anfangs als Materie lesen wollte (wovor Hegel eigens warnt; Enz. (1830) § 87A), woraufhin er dann freilich den Übergang zum Nichts kritisiert, da Materie doch nicht Nichts, sondern eine Seite der ousia sei (1992: 274). Hegel zeigt die Bewegung dagegen im reinen Denken, wo das Sein sich als das Formbare herausstellen wird, indem es vom Denken gesetzt ist. Insofern steht es für das zentrale Merkmal der Materie ein, die in ihrer mitursächlichen Funktion aber nicht innerhalb der Logik in Erscheinung tritt. Das reine Sein muß sich aber erst im Fortgang als das Formbare herausstellen, es ist erst in einer weiteren Bestimmung vergleichbar der Materie, aber nicht als reines Sein, als das es eben Nichts ist. Die (voreilige) Bestimmung des reinen Seins als Materie erfolgt allerdings aus einem in der Sache des reinen Seins wohlbegründeten desiderium, das Hegel in der Enzyklopädie (1830) behandelt: »der Trieb, in dem Sein oder in beiden [Sein und Nichts] eine feste Bedeutung zu finden, ist diese Notwendigkeit selbst, welche das Sein und Nichts weiter führt und ihnen eine wahre, d. i. konkrete Bedeutung gibt.« (§ 87A) Ebenso kritisiert Hegel interessanterweise die Versuche, das eon des Parmenides als ideell oder materiell zu charakterisieren, weil es für sich noch ganz undifferenziert sei (TWA 18, 294; in der Frage der Unbestimmtheit des eon unterscheidet sich die hier auf S.76 Fn. 16 angedeutete Interpretation von Hegels Urteil). – Ein reiner Wesensbegriff als Bewegungsbegriff findet sich schließlich nicht erst bei Hegel wieder, sondern beispielsweise bei Cusanus, der die quiditas (das lateinische to ti n einai) als Können bezeichnet, denn alles was ist, hat zu seiner Voraussetzung, daß es sein kann. Das Können ist also das eigentliche Was (De apice theoriae 2–6), die Form, Ursache und das Ziel alles Seienden. 69 Wird ihm diese Möglichkeit nicht gewährt, so kann ergänzt werden, wird ihm das Mensch-Sein abgesprochen. Es hängt daran eine nicht unbedeutende Paradoxie ›bioethischer‹ Diskussionen um die Zulässigkeit der sogenannten ›verbrauchenden Embryonenforschung‹, zu der der lebende Embryo getötet werden muß: Um dies zu rechtfertigen, wird dem zu beforschenden ›Zellverband‹ (dem sogenannten extrakorporalen Embryo) das Mensch-Sein abgesprochen (– zum Menschen wird er dann wohl qua Transsubstantiation). Das Interesse an seiner Erforschung ergibt sich aber nur daraus, daß der Gegen-
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ling und dieser Erwachsener werden. Das wird er aber nicht als ein Anderer, so daß wir getrennt Embryos, Säuglinge und Erwachsene hätten, sondern als er selbst. Er entwickelt sich und wird so, was er seinem Wesen nach immer schon war, nämlich Mensch. Ein Mensch zu sein, kommt ihm nicht erst zu, sondern er entwickelt sich als Mensch. Insofern ist das ti n einai auch eine tn ex archs aitin (Metaphysik I 3, 983a 24–32), und zugleich trägt es die Identität des veränderbaren oder sich entwickelnden Etwas. Als immanentes eidos (VII 12, 1037a 26–30) durchwirkt und vereint es alle Phasen der Entwicklung von Etwas, das ansonsten ein bloßes unterschiedsloses und letztlich unerkennbares Außereinander wäre. Es bezeichnet das wesentliche Ganze von Teilen, Organen oder zeitlichen Entwicklungsphasen, die nur in der Formung des eidos sind, was sie sind, als Verwirklichungen der im eidos vereinten Möglichkeiten. Das ti n einai ist also ursächlich, Eines, eigentlich Erkennbares und strukturell (ontologisch) Vorgängiges.70 So kann Plotins Äußerung, ousia, to ti n einai und to dioti seien eins (Enneade VI 7, 3, 21), auch die Funktionen beschreiben, die Aristoteles dem ti n einai zuspricht; freilich mit dem Unterschied, daß Plotin von der Einheit dieser Bestimmungen im Reich des Geistes und der Ideen spricht, welcher Ausdruck für Aristoteles keinen Sinn ergibt. Als ousia des aus Form und Materie zusammengesetzten Einzeldings vereint to ti n einai nach Aristoteles Konstanz und Veränderung. Es ist aber nicht abgetrennt für sich seiend, sondern einem konkreten Einzelding zugehörig, das als Zugrundeliegendes das eigentlich Seiende ist. Nun ließen sich Bezüge von Hegel zu Aristoteles an mehr oder weniger jeder beliebigen Stelle seines Werkes aufzeigen.71 Vor dem Hintergrund der stand Mensch ist (– quantitative Differenzierungen, wonach der Embryo noch nicht voller Mensch ist, verschleiern nur, denn von wem wollten wir sagen, daß er das Mensch-Sein in voller Fülle ausgebildet habe?). Der Gedanke der Entwicklung des Menschenwesens liegt im Übrigen auch der Rechtsdogmatik des deutschen Grundgesetzes zugrunde, wo es in Art. 2 Abs. 1 heißt: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit …« Zu einer Auslegung des Artikels im Geiste einer interaktionistischen Grundrechtsdogmatik vgl. Suhr (1976: 78–128). 70 Erkannt wird es freilich erst, indem wir darauf schließen. Aber auch dadurch wird der allgemeine Wesensbegriff nicht zu einer nominalistischen Abstraktion. Abstrakt sind vielmehr die Vereinzelungen, die als solche keineswegs schon ein fertiges ›gegebenes Ding‹ sind, das nur aufgenommen werden müßte. Das ›Ding‹ ist bereits eine Synthesisleistung des Verstandes. Vgl. zur gegenüber dem neuzeitlichen Alltagsverstand umgekehrt positionierten Zuordnung der Konkretheit zum Allgemeinen und der Abstraktion zum Vereinzelten wie sie bei Platon und Aristoteles gedacht wird die Studie von Schmitt (2003: insbes. 315). Daß auch Hegel in der Tradition des Denkens konkreter Allgemeinheit steht, erwähnt Schmitt dort nicht. 71 Neben dem Werk von Picht vgl. dazu die Bemerkungen bei Mure (1950) sowie Wolff
1.4 Aufgehobenes Sein – Das Wahre
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Ähnlichkeit in der Bestimmung dessen, was es immer schon war zu sein, tritt aber auch deren Unterschied deutlich hervor: In Hegels Gedankengang ist to ti n einai keine die Einheit konkret vorliegender Einzeldinge sichernde Hypothese, sondern das Resultat einer rein begrifflichen, a priori verfahrenden Dialektik. Somit ist es auch nicht von zugrundeliegenden Einzeldingen abhängig, sondern es ist an sich gültig. ›An-sich-sein‹ heißt in aristotelischer Perspektive, getrennt von den Dingen zu existieren, also einen Chorismos zwischen Form und Instanz zu eröffnen. An solch eine Trennung ist bei Hegel aber nirgends gedacht. Das Wesen hat zudem bei Hegel eine Entstehung, innerhalb derer das bestimmte Einzelne erst seine Bestimmung realisiert und ist, was es ist. Aufgrund seiner Entstehung ist das Wesen kein abstrakt allgemeines, sondern inhaltlich konkretisiert. Aristoteles hingegen schloß eine Entstehung des Wesens explizit aus und hält trotz dessen ontologischer Vorgängigkeit an der Substantialität des Einzeldings als dem eigentlich Seienden fest.72 Von dessen Substantialität her denkend und in der Anbindung daran vermeidet Aristoteles die Behauptung von abstrakter Allgemeinheit. In der ›Konkretisierung der Allgemeinheit‹ liegt vor dem Hintergrund der geradezu diametral entgegengesetzten Entwicklung die tragfähigste Gemeinsamkeit in ihrer Bestimmung des Wesensbegriffs.
1.4 Aufgehobenes Sein – Das Wahre Das wahre Unendliche besteht darin, zu einem Anderen zu werden, das es selbst immer schon ist. Unendlichkeit ist identisch mit sich im Anderssein. Das heißt, das Resultat (der Ort der Rückkehr) setzt seinen eigenen Ausgangspunkt, der als sichselbstanderer zum Resultat wurde. Die Rückkehr holt ihre eigene Voraussetzung ein, die als Willkür des anfänglichen Entschlusses, (1992), Gadamer (1987a) und Düsing (1997), der entgegen der hier angezeigten sachlichen Verbindung zwischen dem Wesensbegriff des Aristoteles und der Bestimmung, die in Hegels Logik den Übergang von der Seins- zur Wesenslogik eröff net, meint, daß Hegel die »entscheidende ontologische Bedeutung« des ti n einai – die Düsing hier nicht erläutert – »offenbar nicht erkennt« (79). Da Aristoteles von Hegel durchgehend spekulativ gelesen wird, also gegenläufig zur verbreiteten Auslegung, wird – wie schon in bezug auf Platon – auch hier die Frage nach der ›Berechtigung‹ von Hegels Rückbezug auf Aristoteles verneint. Für eine andere Perspektive sei auf die ausführliche Studie von Ferrarin (2001) verwiesen; der Hinweis auf das ti n einai findet sich auch schon in Erdmanns Grundriss (1901: 59). 72 Diese Spannung zwischen seiner platonisch-idealistischen Seite (nur die Form ist erkennbar, sie ist dem Zusammengesetzten vorgängig) und seiner realistischen Seite (wirklich ist nur das Einzelding) löst Aristoteles nicht auf; vgl. auch Ferrarin (2001: 149 ff.).
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rein zu denken, erschien, aber nicht als Setzung deutlich wurde, weil dieser Entschluß zunächst nur als »Daß« vorhanden war. Was bedeutet es, daß die Unmittelbarkeit nun gesetzt ist? Die Setzung überführt eine Bestimmung in das Urteil und zeigt so die Verflechtung oder Trennung der unmittelbaren Bestimmung auf. Wer ist es, der hier setzt? Ist der Inhalt der Setzung eine von verschiedenen Möglichkeiten, läßt A also zu, -A und B zu sein, dann ist die erklärende Setzung unsere Tat, und sie ist darüberhinaus von unvollständiger Bestimmtheit. Ist die Setzung hingegen notwendig, wie bei der Negation, die, weil kein Anderes vorhanden ist, nur sich selbst negiert, so sind es nicht wir als Betrachtende, sondern es ist die Bewegung des Begriffs selber, der sich urteilt: Anderssein ist anders als es selbst. Dieses hatte eine neue Unmittelbarkeit zur Folge, die wiederum nur als doppelte Negation ist. Die Voraussetzung der Setzung wird also von der Setzung gesetzt. Die Voraussetzungslosigkeit der Logik bedeutet mithin, daß nur solche Voraussetzungen gemacht werden, die methodisch kontrollierbar sind. Nur was sich vom Charakter des unvordenklichen Voraus löst und (wieder) in eine resultative Struktur eingeht, kann als (Voraus)-Setzung gelten. Die gegenläufige Setzung verbürgt die Einheit der Struktur: Sie ist Totalität. Somit ist deutlich, was gesetzt wird, nämlich das Selbst. Von daher wird auch das Beginnen mit einem »Entschluß« erhellt: Der Entschluß, rein zu denken, erfolgt, weil das Denken nur mit sich selbst und durch nichts anderes vermittelt zu denken anfängt. Vom Denken gilt, was Aristoteles über die Bewegung sagt, die ihr Ziel in sich hat; noei kai nenoken (Metaphysik IX 6, 1048b 24). Das Denken fängt nicht erst an zu denken, sondern wenn gedacht wird, so ist schon gedacht worden, das heißt Denken ist in Wirklichkeit.73 Von hier aus ändert sich unausweichlich die Bestimmung des Ausgangspunktes. Er ist aufgehoben und nicht mehr »unmittelbare Unmittelbarkeit« (GW XI, 52), sondern vermittelte Unmittelbarkeit, da er selber Moment im eigenen Ganzen von unendlicher Negation ist. Die doppelte Negation ist zweifach doppelt: Sie geht aus dem Untergang ihrer für sich bestehen sollenden Momente hervor und reproduziert sie, freilich nicht wie die endlose Unendlichkeit, indem sie sie wieder als unmittelbare Unmittelbarkeit behauptet, sondern indem sie zeigt, was sie in Wahrheit sind, nämlich Vermittelte. Im Aufzeigen der Unbeständigkeit der Unmittelbarkeit kann die kritische Funktion der Wissen73
Das heißt auch: Wohl gibt es ein Denken des Anfangs, nicht aber einen Anfang des Denkens. Es müßte sonst einen Zustand geben, aus dem heraus Denken entstehen könnte, der nicht selber bereits gewesenes Denken ist, folglich müßte er dem Genus nach ein anderer, nämlich äußerer, räumlich-zeitlicher Zustand sein (Cramer 1965: 17; § 23). Aus räumlich-zeitlichen Zuständen entstehen aber nur räumlich-zeitliche Zustände. Denken, so könnte man sagen, ist, sofern es ist, schon Denken und fängt nicht erst zu denken an.
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schaft der Logik gesehen werden.74 Sie macht aber lediglich eine »Seite« des Logischen (Enz. (1830) § 79) aus und bedeutet überdies nicht, daß es nichts gebe, worauf die Kategorien der Unmittelbarkeit berechtigterweise angewendet werden könnten. Hegels Vorbericht zur Begriffslogik aufnehmend, sahen wir die Frage »Was ist Wahrheit?« als Movens der Logik an. Wir sind nun zu einer ersten Antwort gekommen und können die Frage selbst als Aussage verstehen: Das Was, nämlich das Was-es-war-zu-sein ist die Wahrheit. Die doppelte Negation wird im Prozeß der Verdoppelung als das gesetzt, was sie ist. Es wird also die zweite doppelte Negation der ersten und das Anderssein sich selbst adäquat. Dies ist der Prozeß der Bewahrheitung. Wird etwas als das gesetzt, als was es ist, bewegen wir uns in der Wahrheit. Allein, das hier in Anwendung tretende Übereinstimmungskriterium der Wahrheit erfährt gegenüber der aussagenlogischen Adäquationstheorie eine Modifikation. Wahrheit ist nicht so zu denken, als ob es da etwas gäbe, über das etwas passend oder unpassend ausgesagt würde, das dann im Falle der Übereinstimmung wahr beziehungsweise bei Nichtübereinstimmung falsch wäre. Kritisiert wird die Annahme zweier getrennter Systeme, zum einen eines Systems der Gegenstände der Erkenntnis und zum anderen eines Systems der Erkenntnisse, deren Übereinstimmung miteinander zunächst hergestellt werden müßte. Die zweifach doppelte Negation handelt ja gerade von der Wahrheit des Gegenstandes in diesem Modell, über den die Aussage getroffen werden soll, und zeigt, daß dieser so wie er behauptet wird, nämlich als für sich bestehender, nicht vollständig gedacht ist und keine Wahrheit hat. In Unmittelbarkeit hat nichts ein Bestehen, sondern nur in seiner Selbst-Adäquation, in der (beziehungsweise: indem) es sich bewahrheitet. Das Wesen des Seins ist die Wahrheit. Jedes Anderssein, und das heißt Bestimmtsein, ist nur in dieser Struktur, in der es sich aufhebt; für sich genommen ist es nicht. Seiendes ist also nur in Wahrheit, ohne Wahrheit gibt es kein Bestimmtsein: ens et verum convertuntur.75 74
Seine Nähe zum kantischen Projekt verdeutlichend nennt Hegel die objektive Logik auch »die wahrhafte Kritik« (GW XXI, 49). Auf diesen Aspekt hebt mit einer gewissen Einseitigkeit u. a. Theunissen ab; Iber nennt die Logik insbesondere in der Lehre vom Wesen »ontologiekritisch« (1990: 42), zum Ansatz von Theunissen auch der kritische Kommentar von Hösle (1998: 173). 75 Der Satz ist Gemeingut der scholastischen Transcendentalienlehre. Er findet sich wörtlich etwa in Thomas von Aquins unvollendet gebliebenen Kommentar In Peri Hermeneias 1, 5. In seiner Fortsetzung tritt auch der Unterschied zur Konzeption Hegels hervor. So sagt Thomas: »Ens et verum convertuntur, quia quaelibet res naturalis per suam formam arti divinae comparatur.« Der Wahrheitscharakter des Seienden liegt in seiner prinzipiellen Gleichheit mit seiner Form göttlichen Ursprungs. Durch die vorgängige An-
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Dreierlei wird an dieser Stelle über die Wahrheit deutlich. Erstens: Noch vor aller Erkenntnistheorie ist von der Wahrheit des Bestimmtseins als solchem die Rede. Es ist an sich nur in Wahrheit, ganz unabhängig vom Nachdenken eines endlichen Subjekts darüber. Wahrheit besteht in der Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst, erst in zweiter Linie bedeutet sie möglicherweise Übereinstimmung zwischen einem Gegen-stand und unserer Vorstellung von ihm. Qua seines Bestimmtseins ist Seiendes mit Wahrheit verbunden, die allgemein und nicht in Abgrenzung von einer Wahrheit der Praxis, der geglichenheit an Gottes schöpferischen Intellekt kommt dem Ding (res) Wahrheit zu, die auch der Wahrheit in der Erkenntnis durch das endlich-nachvollziehende Subjekt vorhergeht. Die Wahrheit der Dinge liegt zunächst in Gottes Selbstanschauung seiner schöpferischen Macht in ihnen, sodann ist sie der Maßstab für das endliche Erkanntwerden (vgl. De veritate 1, 2). In beiden Fällen hat die ursprüngliche Wahrheit der Dinge ihren Ort in der Hinordnung auf eine erkennende Seele, sie ist also streng genommen nicht Wahrheit der Dinge, sondern Wahrheit der ursprünglichen Angeglichenheit von Ding und schöpferisch (Gott), beziehungsweise nachvollziehend (Mensch) erkennender Seele. Auch bei Hegel ist die Wahrheit des Seienden in dessen notwendiger Ausbildung der (Angleichung an die) Form begründet. Die Form des Seienden ist aber keine Voraussetzung, die von einem anderen als dem Seienden als Seienden gehalten wird. Die Angleichung an die Form bildet die Form ebenso aus und wird von der endlich-bewegten Sache selbst getragen. Dort hat sie auch erstlich ihren Ort, nicht im Zusammenstimmen mit einem von der Sache unterschiedenen Erkennenden (d. i. als ›Richtigkeit‹). – Für Thomas aber heißt, die Form durch ihre Ausbildung zu bestimmen, Gott durch seine Schöpfung rückzubestimmen und seine Stellung als prima causa zu verfehlen; weiteres zu Thomas’ Bestimmung der Wahrheit der Dinge bei Pieper (1947). Pieper zeigt in seiner Studie zum Wahrheitsbegriff die bis ins Zeitalter der Aufklärung konstante Tradition der Lehre von der Wahrheit der Dinge und deren Umdeutungen auf (in skizzenhaftem Umriss 1947: 11–27 und 67–79). Gegründet ist diese Wahrheit auf das den Dingen eigentümliche ursprüngliche Gehabt-werden von einem erkennenden Selbst (beispielhaft hierfür: Augustinus, Cofessiones XIII, 38). Selbst wo die Idee eines ursprünglich formenden Geistes fallengelassen wird, wird der Satz von der Eigenwahrheit der Dinge beibehalten, allerdings in der leeren Form, nur mehr die Faktizität der Dinge zu besagen; so bei Wolff (Philosophia prima sive ontologia §§ 493–498) und Baumgarten (Metaphysica VI, §§ 89–93), bei denen die transcendentale Wahrheit der Dinge nur heißt, daß sie wirklich und nicht geträumt seien. So wird die Transcendentalie des ursprünglichen Wahrseins der Dinge qua Angeglichenheit an einen göttlichen Intellekt zu der bloßen Feststellung: ›Wahr ist, was ist.‹ In dieser Form nimmt Kant die Transcendentalienlehre zur Kenntnis (KrV, B 113 ff.), verwundert sich über deren tautologische Leere und erklärt die Transcendentalie der Wahrheit zu einer Forderung des Verstandes nach Übereinstimmung mit sich. Als Prädikat der Dinge will er sie nicht gelten lassen (B 116 f.). Wie von Thomas, so unterscheidet sich Hegels Begriff von der Wahrheit der Sachen (den die Betrachtung Piepers nicht mehr einbezieht) auch von der Leere des (nach-)aufklärerischen Wahrheitsbegriffs. Was einfach ist, ist nach Hegel gerade nicht fähig, das Wahre zu sein. Das wahre Seiende befindet sich vielmehr in einer Bewegung der Selbstangleichung qua Selbstunterscheidung, so fällt Hegel – obwohl er die Wahrheit nicht an die Angleichung der Dinge an einen Intellekt bindet – nicht der Leere des neueren Begriffs von der Wahrheit der Dinge anheim.
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Kunst o. ä. zu verstehen ist. Als der Sache des Bestimmtseins selbst zu eigen, ist die Wahrheit folglich auch nicht Sache einer Entscheidung. Die Wahrheit ist objektiv.76 Daß die Sache selbst sich auf dem Wege der Adäquation darlegt und nur so, in diesem Begriff ihrer selbst, Geltung hat, gibt allererst die Möglichkeit für die umgekehrte Übereinstimmung des Begriffs mit der Sache, für die Wahrheit, die im Satz über die Sache liegt (oder auch nicht). Zweitens: Die Wahrheit ist nicht diejenige einer vorliegend-beharrenden Substanz. Wahrheit ist diejenige von Seiendem, insofern es ist. Das ist Seiendes aber nicht an sich, sondern nur indem es »sich Negation ist« (GW XI, 78). Die Wahrheit ist Seinsweise eines spezifischen Verhältnisses, nämlich desjenigen der Adäquation. Das besagt, Wahrheit ist eine Weise des Zusammenfügens, die sich aus einer Unterscheidung heraus zeigt. Wahrheit muß also hervorkommen, sie ist Sache der Vermittlung.77 Wie kann sie da dem Seienden selbst zukommen? Indem das Bestimmtsein nicht einfach ist, sondern sich bewegendes Seiendes ist, das sich selbst angleicht, das also vergeht und sich entwickelt. Darin bewahrheitet sich das Seiende. Die Wahrheit ist entstehende beziehungsweise bewegende, weil sie Aufheben des Bestimmtseins ist, das nur dies ist, sich aufzuheben. Wir können von ihr nicht sagen, daß sie ist, denn das, was ist, nämlich das Bestimmtsein, ist ja nicht, es ist nur sich aufhebend. Dem, was ist, kommt das Bewahrheiten zu. Zugleich können wir nicht sagen, daß die Wahrheit das »Aufgehobensein« ist, denn so 76
Der allgemeine Vorwurf Tugendhats (1979: 33 ff.) gegenüber dem deutschen Idealismus und gegenüber Hegel im besonderen, er hänge einem naiv-repräsentationalistischen Wahrheitsbegriff an, der Wahrheit nur als Abgleichung einer Vorstellung mit einem unabhängigen Gegenstand begreife, verfehlt dieses Element in der Bestimmung der Wahrheit bei Hegel. Vgl. zur Kritik an Tugendhat und der daran anschließenden Position von Habermas auch Bondeli (2001). 77 Es kommt darin das privative Wesen der altheia zur Geltung, wie es in Heideggers Übersetzung als »Unverborgenheit« (beispielsweise 1993: 219) betont wird, vgl. auch die Anmerkungen bei Ulmer (1964), Fleischer (1984: 200 f., dort auch frühere Quellen dieser Etymologie) und Picht (1985: 122). Heidegger meint in Sein und Zeit, seine Lesart der altheia gegen eine »traditionelle Auffassung« (1993: 214) in Stellung bringen zu können, die Wahrheit lediglich als urteilslogische Übereinstimmung kenne. Diese einseitige Auffassung bringt Heidegger auch noch in Zur Sache des Denkens vor, wenn er in »adaequatio und certitudo« den traditionellen Begriff der Wahrheit liegen sieht (1969: 77). Der Entdecktheit der Wahrheit sei deren Verbergen gleichursprünglich und Wahrheit müsse »dem Seienden immer erst abgerungen werden« (1993: 222), weshalb die »jeweilige faktische Entdecktheit […] gleichsam ein Raub« sei. – Die negative Komponente der Wahrheit ist bei Hegel bereits erkannt. Freilich nicht so, daß Wahrheit zum Raub werden kann, sondern als Selbstnegation von Entwicklung und Verwirklichung des ti n einai und Raumgabe für Seiendes. Als Wahrheit, die derjenigen Wahrheit, die mit der Falschheit gleichursprünglich ist, den Ursprung gibt. Ulmer weist auf hier nicht zu verfolgende, spätere Korrekturen von Heideggers Ansicht bezüglich der Stellung der Tradition hin.
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würden wir sie wiederum in Gegensatz zu den aufgehobenen Momenten, das Resultat entgegen seiner Genese setzen (GW VII, 36). – Diese Auffassung wird der Beginn der Wesenslogik beleuchten (vgl. hier S. 147 ff.). Wahrheit ist nicht die Reflexion über diese, sondern im Aufheben der Momente durch sie selbst, sie ist deren In-sich-Reflektieren. Dies ist die eigene Bewegung des Seienden. Die Reflexion stößt ihm nicht von außen zu, sondern ist Erfüllung seines eigenen »ist«. Weil die bewahrheitende Reflexion eine Eigenbewegung ist, da Wahrheit sich nur in dieser Bewegung zeigt, ist sie selbst diese Eigenbewegung, sie ist Subjekt. Hierin können wir Hegels Absetzung von der Position Kants wiedererkennen: Wahrheit ist nach Kant Wahrheit der Erscheinung, die nach dem Entwurf des »Ich denke« (KrV, B 131) hervorgebracht und auf Gegebenes bezogen ist. Kant radikalisierte damit die Cartesische Bestimmung einer ursprünglichen Gewißheit, die als Bestimmungsgrund der Wahrheit diente, bei Descartes jedoch noch von der vorgängigen Gewißheit Gottes als Besicherer der Wahrheit und Erkennbarkeit abhängig war. Übernimmt bei Kant die transzendentale Subjektivität die Rolle des Weltentwerfers, so geschieht dies jedoch um den Preis, daß nun nichts mehr, was außerhalb dieses Denkens liegt, als selbständig Zugrundeliegendes betrachtet werden kann. Im Horizont der (absoluten) Subjektivität gibt es nichts anderes mehr als Objekte. Das zum Objekt gewordene Seiende hat keinen Halt mehr in sich selbst und ist auch nicht mehr als ein Selbst faßlich. Die auf das Objekt bezogene Wahrheit besteht nun darin, daß die Vorstellung des Gegenstandes diesen trifft, sie erfüllt sich in dessen Gegebensein, und nur dieses fällt in den Bereich des Wissens. Die Wahrheit in der Bestimmung Kants ist dem Begriff des Anfangs der Logik zufolge eine Wahrheit des Daß-Seins. Im Grenzbegriff des Dings-an-sich trennt Kant davon das Was-Sein der Sache, das nicht in den wahren Erkenntnisvollzug eintritt. Auch Hegel spricht in der Seinslogik von der Wahrheit des Daß-Seins, doch zeigt er, daß ein Daß-Sein als solches (das Unmittelbare) gar nicht in Wahrheit ist, solange es von seinem Was-Sein getrennt gehalten wird. Vielmehr findet es an sich seine eigene Wahrheit in seinem Was-Sein, in welcher Bewegung das Seiende nicht mehr vorgestelltes Objekt, das heißt bloßes Gegebenes, sondern an und durch sich entstehendes Subjekt ist. Das bestimmte Seiende ist, mit Worten der Phänomenologie, »durch diese Reflexion in sich Leben geworden.« (GW IX, 104) Aber was heißt es angesichts der zeitlosen Unveränderlichkeit der Wahrheit, daß sie eine entstehende sei? Es heißt nicht, daß Wahrheit erstehe wo zuvor nichts war, oder daß aus zunächst Falschem hernach Wahrheit würde. Das wäre Veränderung, wie sie die Bestimmtheit eines Etwas erfährt. Entstehen und Bewegung der Wahrheit heißt, sie ist nicht fix-fertige, sondern sie
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erweist sich als bestimmungsgebende. Die Wahrheit ist produktiv, denn sie läßt Bestimmtsein sein. Seingelassen ist das Bestimmtsein als Aufgehobenes. In der Folge der Anfangsbestimmung (des Ursachverhaltes »Sein«) steht dasjenige, was wird, was es immer schon war, also die zweifach doppelte Negation immer noch jenseits des Kontrastes zur Falschheit. Darin ist die Wahrheit des Wesens unterschieden von der urteilslogischen Wahrheit, die mit der urteilslogischen Falschheit (der nicht-zutreffenden Aussage) gleichursprünglich ist und immer mit ihr einhergeht.78 Die Wahrheit hat schließlich kein Anderes, sondern ist selbstanders. Was etwa falsch genannt werden könnte, nämlich die Unmittelbarkeit und das nicht für sich bestehende, aber doch als solches behauptete Bestimmtsein, birgt sie in sich und verleiht ihm seine Geltung, denn die zweifach doppelte Negation erweist die eigene Wahrheit der Momente. Das substantielle Sein, das gerade nicht Substanz ist, ist in der Wahrheitsstruktur geborgen. Angesichts der Einheit dieser Struktur hat sie keinen Gegenbegriff. Ihr steht nicht die Unwahrheit gegenüber, denn diese ist nur in ihr möglich. In der Wahrheitsstruktur haben wir die strikteste Identität vor uns.79 Die strikte Identität der Wahrheit ist aber nicht Einerlei78
Die Entsprechung von Urteil und Gegenstand beziehungsweise von unserer Vorstellung und ihrem Gegenstand nennt Hegel »Richtigkeit« (Enz. (1830) § 172 sowie § 24 mit einem Zusatz aus seinen Vorlesungen (TWA 8, 86)). 79 Zum Konzept einer göttlich-hervorbringenden Wahrheit jenseits der Unwahrheit vgl. bereits Thomas von Aquin, De veritate 1, 4 und 7. Diese erste Wahrheit liegt in der ursprünglichen Angleichung der geschaffenen Dinge an den göttlichen Intellekt, wodurch die Dinge überhaupt erst geschaffen sind. Hierzu im weiteren der kenntnisreiche Artikel von Ulmer (1965), der jedoch dahingehend zu ergänzen ist, daß der so bestimmten Wahrheit die Unwahrheit nicht »äußerlich« (236) sein kann, da es zu einer Totalität kein Äußeres gibt. Ulmer gibt auch den interessanten Hinweis auf die in der Vollständigkeit der Bestimmung begründete Nähe im Wahrheitsbegriff bei Thomas und Hegel. Angesichts Hegels äußerst marginaler Berücksichtigung des Thomas in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie ist das Verhältnis der beiden Systematiker und ihre erstaunliche Stellung am Abschluß zweier Epochen bislang weitgehend unerforscht geblieben. Eine Ausnahme bildet das Werk Boeders. Städtlers Schrift zu Thomas und Hegel ist so voller Verkennungen, daß sie beiden nur darin Gerechtigkeit widerfahren läßt, indem sie sie gleichermaßen verkennt. Indem Städtler ein historisches Herrschaftsverhältnis (2003: 31) als Voraussetzung der Logik identifiziert, stellt er sich außerhalb des Begriffs. Die Geschichte der Reflexion, die er anhand von Aristoteles, Thomas und Hegel beschreiben will, ist für ihn entsprechend nur theoretischer Überbau einer Geschichte der Gewalt. Theunissen erwähnt im Zusammenhang mit Hegels Theorie der Wahrheit wohl die Wahrheitsbestimmung des Thomas’ (1975: 177 Anm.). Doch beläßt er es bei der Erwähnung und spricht in der Folge von Hegels – als Überwindung gedachten – Aufhebung des »metaphysischen Wahrheitsbegriffs«, womit wohl Thomas’ Position gekennzeichnet sein soll. Theunissen schreibt: »Weil dialektische Entsprechung [von Begriff und Gegenstand] selbst schon unter der Botmäßigkeit übergreifender Macht [des Begriffs] steht, findet sie ihre Grenze an jener [»dialogischen« (184)] Freiheit, in der das eine Verhältnisglied dem anderen, statt es
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heit, die ein Anderes ausschließt und ausblendet. Sie ist vermittelte Einheit eines Subjekts, das sich mit sich selbst nicht gegen Anderes, sondern als sich selbstanders vermittelt hat. Weil die Wahrheit sich herstellende Identität ist, deshalb ist sie niemals einfach vorliegend. Auch die pauschale – als Anwurf gemeinte – Klassifizierung dieser Philosophie als ›Identitätsphilosophie‹ ist nichtssagend, solange nicht geklärt wird, was denn mit Identität gemeint sei. Wenn Hegel in seiner Logik-Vorlesung sagt, daß Identität nicht das Gesetz der Wahrheit sei (AV X, 139), so ist dabei an die unreflektierte Identität des Einerlei gedacht. Von der Identität des Wahren hingegen kann gesagt werden, was Hegel bezüglich des Werdens formuliert: Sie ist »immanente Synthesis« (GW XXI, 83)80, die nicht ein Getrenntes zur Voraussetzung hat, das von ihr zu unterwerfen, ebenbürtig begegnet. Die Freiheit des Realen reduziert sich auf das Vermögen, die Macht, mit welcher der Begriff auf es einwirkt, als vernünftig anzuerkennen und diese Vernunft auf dem Wege bloßer Nachfolge zu verwirklichen. Mit der Aufhebung des Entsprechens in das Übergreifen vollendet sich Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs.« (1975: 193; Ergänzungen d.V.) Theunissen klärt nicht, weshalb das vernünftige Anerkennen eine Reduktion darstellen soll und warum der Weg der Nachfolge ebenfalls defizient, nämlich »bloß« Nachfolge sein soll. Es wäre wohl eher davon zu reden, daß sogar Nachfolge möglich ist, insofern die homoisis höchste Vollendung als Vervollkommnung ist. Die Aufhebung des »metaphysischen Wahrheitsbegriffs« kann sich Theunissen nur als »dialogisch« vorstellen, als einen Dialog des Begriffs mit der Realität, das heißt letztlich Gottes mit dem endlichen Menschen. Was sollte da wohl gesprochen werden (das Gott nicht bereits wüßte)? Zumal das Ent-sprechen (correspondentia) doch nur die genaue Bestimmung des Gesprächs ist, das Theunissen mit ungerechtfertigtem Differenzvorbehalt unverbindlich als Dialog bezeichnen möchte. Schließlich erwähnt Theunissen nur die beiden ersten Thomasischen Bestimmungen der Wahrheit, nämlich ihre fundamentale (Wahrsein des Seienden) und formale (Übereinstimmung des Urteils) Bestimmung. Doch schon für Thomas ist der Begriff des Wahren erst mit der finalen Bestimmung erfüllt, denn zum Wahren gehört dessen Offenbarmachen in der Wirkung der Erkenntnis (De veritate 1, 1; darin nimmt er Augustinus Bestimmung in De vera religione XXXVI auf: »veritas est qua ostendit [Hervorhebung d.V.] id quod est.« Vgl. auch Soliloquia II,5). Theunissen verschweigt dies. Etwas anderes als Erkenntnis kann aber auch das von Theunissen angestrebte dialogische Verhältnis von Ebenbürtigen nicht sein, zu dem das Endliche nach dem Übergriff durch die Liebe des Übergreifenden emporgehoben ist. Der ›liebende Dialog‹ (1975: 194) kann nur als Erkennen in vollster Tragweite bestimmt sei. Er ist die innigste Teilhabe des einen am anderen, daher ist das Erkennen auch der Name für die leibliche Vereinigung der Geschlechter. Ihren »Untergang« (164) wird die überlieferte Bestimmung der Wahrheit in der Aufhebung durch den Begriff Hegels wohl nicht finden, denn sie ist nicht destruktiv. 80 In der Phänomenologie spricht Hegel auch vom »immanenten Begriff« (GW IX, 46), wo er die äußerliche Beiordnung von Prädikaten zu einem ruhenden Subjekt von der Entfaltung (»Bewegung«) eines Begriffs unterscheidet. Nur die Entfaltung eines immanenten Begriffs auf dem Wege der immanenten Synthese gewährt auch »immanentes Erkennen« (GW XI, 376), in der substantielle Einheit und bestimmend-differenzierende Formalität ungetrennt sind. Da wird keine vorausgesetzte, ursächliche Substanz durch eine Definition ›mit mächtiger Gewalt‹ (vgl. GW XI, 405 f.) bestimmt.
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äußerlich vereinigt wird. Vielmehr ist sie immanente Vereinigung des durch sie konstituierten Unterschiedes von bestimmtem Anderssein. Weder Unterscheidung noch Einheit werden hier einfach vorausgesetzt. Wiewohl alles Bestimmtsein nur in der Wahrheitsstruktur ist, ist die Wahrheit selbst von allem Seienden her gesehen eine abwesende. Nicht weil sie regulatives, unerreichbares Ziel wäre, sondern weil sie, mit Hegel gesprochen, nichts ›Bekanntes‹, oder einfach: kein Seiendes ist. Obwohl die Wahrheit nichts Bekanntes und kein Dieses ist, kann sie nicht verfehlt werden. Sie ist ein entschieden Einfaches und hat nichts Schillerndes. Es gibt von ihr kein Mehr oder Weniger, sondern die Wahrheit führt sich im Bestimmtsein und dessen Adäquation aus. Ausschließlich in der Durchführung erhält die Wahrheit ihre Durchsichtigkeit, denn als bloßes Ergebnis genommen und wiedergegeben, verkommt das Wahre zum Jargon. Die Evidenz der Unmittelbarkeit ist von der Wahrheit zu unterscheiden. Daraus, daß Seiendes zwar nur in Wahrheit ist, aber als solches sich erst entwickeln muß, sehen wir zudem, daß Wahrheit nicht einfach Synonym des Seienden ist, sondern etwas zu ihm hinzufügt. Nicht wie eine Eigenschaft des Seienden, sondern indem es dem an sich Bekannten seine ratio gibt. Das »Was?« der Wahrheit ist damit bestimmt; noch vor dem Bereich der Erkenntnis der Erkenntnis finden wir es im Bestimmtsein als solchem. Mit dem dritten Aspekt werden wir über die Sphäre81 der Wissenschaft der Logik hinausgeführt: Eine gesonderte Bestimmtheit kann nicht Wahrheit beanspruchen, da sie nur in der Bewahrheitung der Bestimmtheit, d. i. in deren Aufhebung ist. Deshalb wird alles welthaft-zeitliche Bestimmtsein, alles Sich-Zeigen der Wahrheit in der Bestimmtheit einer Gestalt ebenso ein Nicht-Zeigen anderer Bestimmtheiten sein, die ebenso zur Wahrheit gehören. So enthüllt sich die Wahrheit dem endlichen Subjekt im zeitlichen Fortgang. Wir erkennen sie ausschnittsweise, und sie ist hier gleich urspünglich mit der möglichen Falschheit unserer Aussagen. Auch im Hinblick auf eine Wissenschaft der Logik ergibt sich daraus die Möglichkeit und die Notwen81
Vgl. zu Hegels Einteilung der »Sphären« der Wissenschaft Enz. (1830) §§ 18, 250, 444. Die Sphäre »bezeichnet den Umfang eines Begriffs und geht auf die Menge der Dinge, die unter dem Begriff enthalten sind.« (Nuzzo 1997: 62) Die Sphären der einen Wissenschaft unterscheiden sich nach der Art und Weise der Bestimmung und durch die somit bestimmten Gegenstände. So ist die logische Sphäre im Element des reinen Denkens von der Einheit von Begriff und Gegenstand gekennzeichnet, sie hat nur sich selbst zum Gegenstand. In der Sphäre der Natur befinden wir uns, wo das Denken bei seinem Anderen ist und diesem in seinen Gestalten nachdenkt. Die Sphäre des Geistes, die Wissenschaft »der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt« (Enz. (1830) § 18), ist gekennzeichnet vom Element der Reflexion, die sich selbst im Anderen mitdenkt. Der dritte Aspekt der Wahrheitsbestimmung findet sich in den beiden letzteren Sphären.
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digkeit zur stets neuen Formulierung und Erarbeitung: Es kann verschiedene Fassungen der Logik geben. Zugleich wird deutlich, daß die Suche nach der Wahrheit vom Wissen (um Bestimmtheit) und nicht vom Nichtwissen angetrieben wird.82 Wo keinerlei Bestimmtes wahrgenommen oder gedacht wird, wie niederstufig es auch sei, kommt auch keine Erfahrung darüber in Gang. Das Endliche enthält selbst sein Resultat, weil es im Sollen selber seine Schranke enthält und das Hinausgehen darüber ist. Als das, was es ist, kann es nicht bleiben, was es ist. Im Vergehen vereinigt es sich daher mit sich und vollzieht sein momenthaftes Sein, das Vergehen stößt ihm nicht von außen zu (GW XXI, 123). Die Negation (Anderssein) ist einfache Negativität (Hinausgehen darüber) und damit sichselbstanders (Rückkehr und Verdoppelung der doppelten Negation). Das bewahrheitete Bestimmtsein ist nicht mehr für ein Anderes außerhalb seiner, wie das Etwas, sondern es ist durch sich und für sich Bestimmtes: Fürsichsein. Damit ist eigentlich die Unmittelbarkeit, die im Standpunkt des Seins gedacht wurde, aufgehoben: Sein ist nicht an sich, sondern als Moment im Prozeß einfacher Negativität. Wie das aufgehobene Werden vergangenes Werden oder Gewordensein, d. i. Dasein war, so ist das aufgehobene Sein »zeitlos vergangene[s] Sein« (GW XI, 241) oder »Gewesensein«, d. i. Wesen.83 Wie ist es angesichts der im Fürsichsein bereits erreichten Wahrheit des Seins zu verstehen, daß nun nicht sogleich die Wesenslogik folgt, sondern daß sich zunächst noch die Kategorien der Quantität und des Maßes anschließen?84 Indem es zum Für-sich-Bestimmtsein geworden ist, ist das nur als Moment bestehende Bestimmtsein selber das Ganze und hat offenbar auch die Selbständigkeit des Ganzen (vgl. Haas 2003: 65 ff.). Damit scheint der notwendige Unterschied zwischen Ganzem und Moment beziehungsweise der für die Relation notwendige Unterschied zwischen den Relata
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Dieser Gedanke treibt schon die parodistische Polemik gegen das Projekt der Erkenntnistheorie in der Einleitung zur Phänomenologie. Zur Frage nach der Konsequenz des ausschnittsweisen Zeigens der Wahrheit für die Wissenschaft vgl. Krings (1983). – Von diesem Verhalten der Wahrheit aus müßte auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Wahrheit und »Geschichtlichkeit« beantwortet werden. 83 Vgl. Fischer (1911: 485). Das Ganze ist eine »Vulgäretymologie« (Haas 2003: 54 Anm.), die aber doch den Sachverhalt treffend zur Sprache bringt. – Das Wesen trägt in der Tat die Bedeutung eines griechischen Aorist, die aber im Deutschen perfektivisch wiedergegeben wird. Darauf weist auch eine Bemerkung Hegels in seiner Logik-Vorlesung hin: »Wesen drückt das reflektierte Sein aus; was ich gesehen habe, ist gegenwärtig, οίδα, was ich gesehen habe, weiß ich, das ist präsent: Das ist das Höhere als diese Zeitbestimmung, Wesen ist Aufgehobensein der Unmittelbarkeit sich mit sich vermittelnd.« (AV X, 135 f.) 84 Zur Frage der Reihenfolge von Qualität und Quantität vgl. hier S. 243, Fn. 109.
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(zwischen erster und zweiter Negation und zwischen erster und zweiter doppelter Negation) nicht mehr vorhanden zu sein. Der Unterschied liegt nun, wie gesehen, tatsächlich nicht darin, was die Relata sind. Stattdessen läßt sich der Unterschied daran ablesen, wie das Endliche dem Unendlichen gegenüber ist, beziehungsweise sein kann. Das Endliche kann an sich fixiert werden oder es wird preisgegeben. In diesen Seinsweisen liegt die Möglichkeit des Endlichen, die auch der Grund für das Verweilen in der eigentlich bereits aufgehobenen Unmittelbarkeit ist. Ironischerweise geht das Endliche auf beide Weisen, als fixiertes und als preisgegebenes, wiederum in die Selbstgleichheit im Anderssein ein, denn die Fixierung des Endlichen läßt sich nicht durchhalten. Hegel schreibt: »das Unwahre ist das Unerreichbare« (GW XXI, 136). Wird umgekehrt das Für-sich-Bestimmtsein der Unendlichkeit fixiert, indem das Fürsichsein, das nur gegen anderes Fürsichseiendes gedacht werden kann, dieses andere Fürsichsein ausschließt, dann wird Unendlichkeit wieder als dinglich vorliegende verstanden. Im Fürsichsein war aber das Anderssein bereits aufgehoben. Die somit aufgehobene Unmittelbarkeit rückt im so verstandenen Fürsichsein wieder in die Position der Bestimmung: Das Fürsichsein ist als an sich seiend genommen und zwar entgegen seiner eigentlichen »Idealität« (GW XI, 88), wonach es das Anderssein aufgehoben hat. Dem Für-sich-Bestimmten wird das aufgehobene Anderssein gleichgültig und äußerlich. Das als äußerlich verstandene Aufheben wird zum Ausschließen. Das ausschließende Fürsichsein negiert allerdings sein eigenes negatives Verhalten, denn das negierte Fürsichseiende ist nichts anderes als das Ausschließen, das es selber ist. Es ist also ebenso ein Zusammengehen. Das Fürsichseiende ist unterschiedslos geworden. Es ist nicht unterschieden und bestimmt von Anderem, wie Etwas es war, sondern es ist unterschieden von Nichts. Wird das Für-sich-Bestimmtsein derart als Etwas genommen, so haben wir die Eins vor uns, die kein bestimmtes Etwas mehr ist, sondern nur irgendeines. Die so verstandene Unendlichkeit zeichnet sich durch ihre Bestimmungslosigkeit aus. Sie hat an sich kein Verhältnis zu Anderem und ist auch nicht mehr selbstanders. Sie ist lediglich ein Eines, das viele Eins ausschließt. Dieses Verständnis der Unendlichkeit liegt durchaus in der Logik des Seins, die ihre Bestimmungen als substantielle ansieht und deshalb bestrebt ist, sie in ihrem (leeren) Ansich-Sein zu installieren. Die Dialektik der Endlichkeit hatte aber bereits gezeigt, daß das substantiell verstandene Bestimmtsein keinen Bestand hat. In der Bestimmung der Quantität wird das (produktive) Mißverständnis ausbuchstabiert, das formell richtig und inhaltlich leer ist. Die Bestimmungen sind hier äußerlich, sie sind Zahl. Das Operieren mit Zahlen ist Denken, weil Zahlen Gedankenbestimmungen
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sind. Es ist aber ein äußerliches Denken, dessen Unterscheidungen keinen Unterschied am Was der Sache machen. Wo die Bestimmtheit nicht eine des bestimmten Etwas selbst ist, kann es äußerlich, das heißt durch Zählen bestimmt werden. Diese sachlich berechtigte Vorgehensweise rechtfertigt jedoch nicht das Bestreben, alles Was auf ein Wieviel zu reduzieren. Mit der Quantität wird also ein im seinslogischen Verständnis immanenter Gedanke ausgeführt, der nicht hätte weggelassen werden können. Wir dürfen aber unter Wahrung der vollständigen Bestimmung kursorisch über ihn hinweggehen, weil das wesentliche Bestimmungsgeschehen des Seins bereits vor uns liegt. Kommen wir noch einmal zurück zu den Seinsweisen des Endlichen. Sie sind zum einen das, was dem Endlichen möglich ist als dessen Vermögen. Sie ermöglichen zum anderen, daß Endliches überhaupt ist. Die Seinsweisen markieren den (»ideellen«, GW XXI, 142) Unterschied des Endlichen zum Unendlichen. Angesichts des notwendigen Eingangs des Endlichen in das Anderssein seiner selbst erweist sich die Verschiedenheit der Verhaltensweisen des Endlichen aber letztlich als scheinbare Verschiedenheit des Endlichen. Das Endliche und seine Möglichkeit ist »ideell«, d. i. aufgehoben.85 Das Endliche ist endlich, es ist also nicht und ist somit im Vergehen. Allerdings sind dem Endlichen verschiedene Verhaltensweisen eröffnet: Sie sind verschiedene Weisen desselben. Welche Weise es annimmt, ob Preisgabe seines Seins oder Fixierung darauf, entzieht sich offenbar unserem Blick. Darin liegt die Kontingenz des Endlichen. In dieser Undurchsichtigkeit der Momente gegenüber der Präsenz (vgl. GW XXI, 136) des Ganzen liegt deren Unterschied. Dieser Unterschied besteht nicht im Wesen von Ganzem und Moment, denn sie sind gleichermaßen das Über-sich-Hinausgehen, sondern in deren Weise, präzise gesprochen darin, daß das Endliche überhaupt eine Weise hat. Vom Endlichen können wir sagen, daß es ist, während dies beim Unendlichen nicht sinnvoll sein würde, denn die Unendlichkeit ist die aufgehobene Behauptung des »Ist«. Unendlichkeit entzieht sich nicht, sondern ist 85
»Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus«, so Hegel (GW XXI, 142), da sie das Endliche/Vorliegende nicht als wahrhaft Seiendes auffaßt, sondern es aus einem Anderen her zu begreifen sucht. Eine Philosophie, die sich auf – wie auch immer geartete – Tatsachen beruft, kann es demnach nicht geben. Sie wäre in ihrer Berufung auf ein einzelnes, feststehendes Ereignis (eine Unmittelbarkeit) gedankenlos, während das Denken seine Gegenstände verwandelt und sie zu Gedanken macht, die immer Allgemeines sind. Insbesondere nimmt es sogenannte Tatsachen nicht als solche hin, es anerkennt sie nicht »als ein Letztes, Absolutes, oder als ein Nicht-Gesetztes, Unerschaffenes, Ewiges.« – Als echten Idealisten können wir von daher auch Fichte ansehen, der die »Thatsachen« für ein »prōton pseudos« ansieht und das Wissen vielmehr auf eine »Thathandlung«, der als Aufgabe begriffenen Erzeugung des Ich, gründet (WL 1804, XIII. Vortrag, Fichte 1986: 136).
1.4 Aufgehobenes Sein – Das Wahre
137
gegenwärtig. Die Unendlichkeit unterscheidet sich damit vom vermeintlich unmittelbar daseienden, aber somit nichtsoseienden Bestimmten. Das Seiende entzieht sich, weil es nicht als dasjenige bleiben kann, als was es ist. In der Dialektik der Endlichkeit wird dieses Vergehen vollzogen. Man könnte daher versucht sein, das Unmittelbare, das nicht bleiben kann, sondern ausgeräumt wird, falsch zu nennen. Doch um solche Thesen geht es Hegel nicht. Im Vergehen des Endlichen wird vielmehr die Endlichkeit des Endlichen, seine Wahrheit gezeigt. Es ist somit nicht eigentlich falsch, es als »höchsten Standpunkt« zu betrachten, nur seine Fixierung wäre falsch.86 Sofern das Endliche diese Bewegung, in der es vom Sein läßt, ausübt, was notwendigerweise geschieht, ist es in Wahrheit. Es steht also nicht als Falsches dem Wahren gegenüber. Das Endliche braucht auch keinen Anwalt gegenüber einem totalitären Ganzen, wie gelegentlich erwogen wurde. Vielmehr ist es in der selbstanderen Unendlichkeit der Totalität geborgen, die kein einfaches Anderes hat, das sie etwa ausschlösse. Die Totalität ist im Unterschied zum endlichen Seienden nicht einseitig. Sie schließt auch nichts aus, wohl aber weist sie einem jeden seinen Ort zu. In diesem In-Wahrheit-Sein wird den Momenten ihre Geltung verliehen, so sind sie selber »wahrhaft Wahre« (GW XI, 17).87 – Damit ist die Struktur des Denkens des reinen Lebens 86
Darauf gründet auch Hegels Kritik am Substanzbegriff des Spinozismus (GW XII,
14 f.). 87
Als Anwaltschaft einer ›übergangenen Endlichkeit‹ (Gadamer 1987b: 85) sieht sich vor allem die hermeneutische Auslegungstradition. Die Ansicht, das Endliche bedürfe eines Anwalts, hat ihren Ursprung in der – nicht anders als falsch zu nennenden – Vorstellung, wonach das Endliche »das Andere des Absoluten« (Theunissen 1975: 179) sei. Hegel übergeht die Endlichkeit aber nicht, er rettet sie: Das unendliche Wesen ist der beste Anwalt des Endlichen. So kann auch nicht gesagt werden, daß das Endliche hier nur hinweisende Funktion trage. Vielmehr muß gesagt werden, daß es sogar Reflexion des Unendlichen ist. Weil überdies die Unendlichkeit keine Behauptung ist und überhaupt nichts Seiendes ist, kann Hegel auch nicht der Vorwurf gemacht werden, es handle sich hierbei um »Hypostasierungen des Geistes« (Böhme 1985: 228, an gleicher Stelle auch noch weitere Verkennungen). Solche Anwürfe entdecken durch den psychologisierenden Gestus der Aufklärung, mit dem sie verbunden werden, eher den Unverstand der Auslegenden. Die Geltung, welche die Bestimmungen (das Sein) erlangen, ist eine logische Geltung, sie steht jenseits des Meinens und Beratens. Diese Geltungsweise mit dem konsensualen Geltenlassen des Gesprächs gleichzusetzen (wie bei Stekeler-Weithofer) ist eine Verwechslung. Zum hier verwendeten Begriff der Geltung vgl. auch Haas (2003: insbesondere 79 f.); wie schon Haas widerspreche ich damit Theunissens Verständnis (1977: 75 f.) vom »Gelten«. Bei Theunissen ist »Gelten« der Gegenbegriff zu »Sein«, welches er im Sinne von wahrhaft wirklich sein versteht. So gilt ein Anschein für etwas, das er doch nicht ist. Geltung wäre dann nicht etwas, das wie die Wahrheit zunächst erlangt werden muß. In der Sicht Theunissens ist »Gelten« der zu hinterfragenden Evidenz gleichgestellt, zutreffend müßte dieser Sachverhalt aber Geltungsanspruch genannt werden. Im Rahmen seiner Logik führt Lotze den Begriff der Geltung ein, um damit die Wirklichkeit der Pla-
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
aus dem Geist des Christentums wiedergekehrt. Dort galt es, »von aller Tat […] zu abstrahieren […], aber die Seele jeder Tat […] rein festzuhalten« (TWA 1, 371), und mithin über den Weg der Preisgabe das zu werden, was bereits war. Im Loslassen der bestimmten Tat zu deren Wesen (Seele) zu gelangen heißt: Hinausgehen als Rückkehr. Was in dem frühen Fragment noch unentwickelter Entwurf war, nämlich die Abstraktion von aller bestimmten Tat, das entfaltet in seiner vollen Begründung die seinslogische Entstehung des Daseins und die Dialektik der Endlichkeit. Das reine Festhalten der Seele aber, das logisch unter der Bedingung des Lassens vom Sein steht und sich im Geist des Christentums als die Religion bestimmte, kann erst in der Lehre vom produktiven Begriff expliziert werden.
1.5 Übergang, Bewegung und Aufgabe Zweifach ist das unmittelbare Sein innerhalb des seinslogischen Gedankengangs über sich hinausgegangen: Zunächst im restlosen Umschlagen in Nichts. In diesem Geschehen bestimmte es sich als Werden. Daraufhin ging die Bestimmung des Seins im Sosein über sich hinaus, indem sie auf Anderes hinwies. So konnte sich das Sein schließlich als Etwas/Endliches bestimmen. Im Umschlagen wie auch im Hinweisen zeigt sich dasjenige, was in der Position der Unmittelbarkeit steht, als nicht beständig. Diese Unbeständigkeit trifft das Denken der seinslogischen Bestimmungen wiederholt unerwartet und plötzlich. Dennoch widerfährt sie den Bestimmungen nicht von außen, etwa durch Hinzufügung eines unberücksichtigten Aspekts oder durch Konfrontation mit einer vielfältig bestimmten Erfahrung. Der plötzliche Übergang der unmittelbaren Bestimmungen erfolgt aus ihnen selbst. Die Bestimmungen werden nicht anhand eines Anderen erklärt, sondern sie bedeuten dasjenige, was sie selber sind. Der Übergang erfolgt also aus einem logischen Grund, weshalb er kein bloßes Umschlagen ist. Aus ihrer schlechthinigen tonischen Ideen im Unterschied zur seienden Wirklichkeit der Dinge zu charakterisieren: Die Idee besitzt Gültigkeit, sie ist selber nicht seiend, mithin ›losgelöst von allem Seienden‹ und ihrer Anwendung auf solches (1912: 512 ff.). Weil Platon die »ewige Gültigkeit der Ideen, niemals aber ihr Sein behauptete«, indem er ihnen einen hyperouranios topos zuwies, deshalb mache es auch keinen Sinn, ihm Hypostasierung vorzuwerfen (516). Zu einer Hegelschen Verwendung des Begriffs der Geltung in unserem Sinne vgl. GW XI, 371. Aufgrund ihrer absoluten Gültigkeit ist Geltung nicht einfach eine Bedeutung, die zugeschrieben wird (oder nicht). Sie hat nicht den Sinn wie die moderne Ersetzung des Begriffs des Guten durch den nationalökonomischen »Wert«, der beliebig gewählt und gesetzt werden kann, ja sogar im Schulunterricht beigebracht werden soll. Die Geltung des wahrhaft Wahren ist dahingegen ein unverfügbares Bewirken, nicht bloß ein Bedeuten.
1.5 Übergang, Bewegung und Aufgabe
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Allgemeinheit folgt die Wendung der Begriffe auf sich. Sie sind Subjekt und Objekt der eigenen Bestimmung. Der Selbstprädikation der Bestimmungen wird zugesehen, deshalb kann nicht bei deren Wiederholung stehengeblieben werden. Daß die Begriffe sind, was sie bedeuten, führt zu ihrer Dynamisierung und damit dazu, daß sie in ihr jeweiliges Anderes übergehen. Es ist aber deshalb ein Anderes, weil der Ausgangspunkt dort nicht mehr gegenwärtig ist: Sein ist im Nichts nicht enthalten oder mitgedacht, sondern perfekt und restlos in es umgeschlagen. Ebenso ist das Vor-Anderem-Sein im Ansichsein nicht enthalten. Daß Ansichsein auf Sein für Anderes hinweist, drückt vielmehr aus, daß Ansichsein selber unmittelbar sein soll und auf das Sein für Anderes als auf ein Anderes hinweist. So verhalten sich alle unmittelbaren Kategorien. Sie sind übergängig, weil sie einander einfach Andere sind. Von den Kategorien des unmittelbar Seienden gilt entgegen ihrer tatsächlichen Konstitution durch Verbindung mit einem Nichtsein: »ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes.« (GW XXI, 109 f.)88 In diesem Sinne erscheint selbst das Fürsichsein noch als ein Seiendes, bestimmt vom Standpunkt der Unmittelbarkeit. Deshalb ist es noch nicht Wesen. In dieser Übergängigkeit ergab sich jedoch ein Unterschied zwischen Sein und Dasein: Das Umschlagen des Seins war perfekt, denn es ließ sich nur als reines Anfangen denken, ohne Anfangspunkt oder eine ähnliche substantielle Gründung. Das Unmittelbare brauchte deshalb nicht erst in Bewegung versetzt zu werden. Es zeigte sich selbst als in Bewegung, die nicht aus einer vorgängigen Ruhe entstand, sondern im Gegenteil erst zu einem Ruhigen führt, das eine Manifestation des Anfangens darstellt. Wie das Sein in Bewegung versetzt wird, wäre daher die falsche Frage. Bewegung ist die Tätigkeit des Denkens selbst. Ihre Herkunft ist der bloße Entschluß zu denken und ihr Ziel ist die wahrhafte Identität des Gedachten, die nur in dessen vollständiger Bestimmtheit zu finden ist. Nur die vollständige Bestimmtheit ist nicht mehr von anderen Voraussetzungen abhängig. Die vollständige Bestimmtheit ist, wie die zweifach doppelte Negation zeigte, selbstandere Totalität. Die Bewegung ist nicht bloß äußere Form eines diskursiven denkerischen Voranschreitens, denn sie bringt Inhalte hervor und ist nicht lediglich Auslegung bereits vorgängig anwesender Bestimmung. Deshalb ist sie auch kein kosmologischer Gegenstandsbegriff, der in die Reihe der Kategorien des Denkens eingeschleust würde (so Gadamer 1987b: 70 ff.).89 Die Bewegung führt das
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Diese Selbsterläuterung Hegels in der zweiten Auflage der Lehre vom Sein ist Bestätigung der These, wonach die zweite Auflage insgesamt stärker erläuternd vorgeht. 89 Die Frage nach Ursprung und Bedeutung der Bewegung (kinsis) bewegt auch schon die Interpreten des Sophistes angesichts der megistai gen. Gadamer sieht dort
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1. Anfang im Übergang – Seinslogik
Denken vielmehr zu dem, was es bereits war zu sein. Sie führt zu einer Wahrheit, die nicht einfache Auslegung eines vorliegenden Sachverhalts ist, statt dessen ist sie »Hinausgehen«, und die auf dem Wege der Einigung mit sich selbst, als »Rückkehr«, auch Hervorbringung ihrer selbst, kurz: Subjekt ist.90 Durch den perfekten Umschlag, der das Verschwinden des reinen Anfangs zur Folge hat, macht dieses Platz für ein Produkt: für das »ruhige« Dasein, das »als ein Erstes« das Angefangene ist. Das Sosein ist Setzung durch die Bewegung des Subjekts. Dieses Angefangene ist ebenfalls in Bewegung. Von seiner bewegten Unfaßlichkeit kann aber etwas prädiziert werden: Es ist als es selbst anders (als Anderes). In seiner Bestimmtheit zeigt es sich nicht perfekt, sondern begrenzt zu sein. Daher ist auch das scheinbar in seiner Grenze ruhende Dasein wieder übergängig, denn es wird anders und verändert sich. Das Als-Etwas-Sein des Bestimmten ist zugleich der Keim seines Nichtseins. Es wird deutlich, daß es das Wesen des Seienden ist, nicht dasjenige zu sein, was es ist. Es ist nicht das wahrhaft Seiende. Was unmittelbar ist, ist (nur) übergangsweise. Das ist die Art und Weise des Seins. Das endliche Seiende findet sich schließlich in einen dritten Übergang ein, der nicht zu einem erneuten unmittelbaren Anderen führt, sondern der in der Aufgabe und Abscheidung der Position der Unmittelbarkeit besteht. Das Vergehen des Endlichen stellt dessen Selbstgleichheit her. Indem es sich negiert, ist es, was es ist. Es ist wahrhaft geworden. Kein Endliches kann dieser Wahrheit entgehen. Es ist darin, was es ist. Die verschiedenen Weisen des Endlichen (seine Möglichkeiten) scheiden sich von seiner Wirklichkeit ab, da es nicht einfaches Anderssein, sondern selbstanders ist. In der sich gleichen Selbstandersheit ist das Andere nicht mehr einfach negiert und ausgeblendet, sondern als Schein mit enthalten. Mit der vom seinslogischen Denken zu vollziehenden Aufgabe des Endlichen ist das einfache Übergehen zum Anderen selbst abgeschieden.
ebenfalls eine Vermischung unterschiedlicher kategorialer Ebenen. Zur Auslegung der kinsis als Ausdrucks- und Hervorbringungsbewegung vgl. Finck (2007). 90 Diese Bewegung ist die Tätigkeit der »sich selbst gleichen Veränderung« (TWA 19, 153); Hegel sieht darin in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie die »Hauptbestimmung, auf die es bei Aristoteles ankommt« (154), nämlich ein allgemeines, zweckhaftes Gutes, das eidos, das als energeia nicht abstrakt sich gleich ist, sondern unterscheidend und bestimmend wirkt.
. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
In einem Brief an seinen Freund Niethammer berichtet Hegel während der Zeit der Ausarbeitung der Logik, daß er an einem »Buch des abstrusesten Inhalts« schreibe (Brief an Niethammer vom 5. Februar 1812; Hegel 1952: Bd. 1, 393).1 Den Grund der Verborgenheit2 des logischen Inhalts haben wir bereits kennengelernt: An ihm ist nichts offensichtlich. Da es gerade das Offensichtliche (das Sein) ist, das sich als unbeständig erweist, verlangt die Aufgabe der Wissenschaft der Logik, d. i. die Bestimmung der Wahrheit, daß von allem »einfach« und »überhaupt« Seienden Abschied genommen wird: Seiendes, insofern es ist, d. i. insofern es wahrhaft gilt, ist nicht an sich, sondern nur für Anderes, also als Nichtseiendes. Erst so erhält es Geltung, an sich (einfach, überhaupt und unmittelbar) hingegen ist es nicht. Die Abscheidung der Unmittelbarkeit ist dabei die Bewegung des anfänglichen reinen Seins selbst. Sie ist nicht lediglich Ergebnis des fortschreitenden Erkennens eines zunächst noch undeutlich gesehenen Gegenstandes. Wäre die Abscheidung nur eine Tätigkeit der Erkenntnis, »die dem Sein äußerlich sei und dessen eigene Natur nichts angehe« (GW XI, 241), dann hieße das, daß die vorliegende Sache so bliebe, wie sie ist, während im Erkenntnisprozeß von falschen Meinungen zu einer immer genaueren Erfassung vorangeschritten würde.3 1
Und Hegel ergänzt, daß dieses Buch zu schreiben keine Kleinigkeit sei, zumal im »ersten Semester seiner Verheuratung«. 2 Verborgen ist die gesamte Wissenschaft, sie muß im Denken allererst hervorgebracht werden und ist nicht offensichtlich und nichts Bekanntes. So spricht Hegel auch in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie (1827) von »abstrusen Materien« (GW XX, 5), worin die Ursache für die Schwierigkeit der spekulativen Philosophie liege. Vgl. auch das Lob der »rein logische[n], abstruseste[n] Betrachtung« (TWA 19, 67) bei Platon und im Zusammenhang mit der Abstrusität des Spekulativen Hegels Äußerung über Platons Esoterik: »Das Esoterische ist das Spekulative, das geschrieben und gedruckt ist und doch ein Verborgenes bleibt für die, die nicht das Interesse haben, sich anzustrengen.« (TWA 19, 77) 3 Das fortschreitende Erfassen des Gegenstandes und die dafür konstitutive Überwindung von Meinungen ist Thema der Phänomenologie. Die Bedingung dafür ist die Erfahrung der Gegenstände, die sich den Meinungen nicht fügen. Aus der durch die Erfahrung eröffneten Differenz zwischen dem Gemeinten einerseits und dem in der ausgesprochenen Meinung tatsächlich Erreichten andererseits wird der Erkenntnisweg bewegt. Die Wissenschaft der Logik kennt weder die Erfahrung eines dem Vermeintwerden gegenüber stehenden Gegenstandes noch wird hier etwas fortschreitend genauer erfaßt. Vielmehr formiert sich »das Logische« erst in seinem eigenen, aus seiner Bedeutung erfolgenden Fortgang. Dieser Fortgang besteht im Denken, nicht in Erfahrung, die immer von einem
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Es ist aber das einfache Vorliegen (des Bestimmtseins) selbst, das nicht an sich halten kann. Und zwar nicht, weil es eine falsche Vorstellung wäre, sondern weil es nur in seinem Wesen wahrhaft ist. Dieses Wesen selbst ist aber nichts Vorliegendes. Es ist die Bewegung des Seins selbst, die zum Wesen als Negation allen bestimmten Seins führt, das heißt zu einem Wesen, das selbst kein bestimmtes Sein ist, das aber gleichwohl die bestimmte, weil durch seine Bestimmtheit in Gang gesetzte, Bewegung des Seins integriert. Wenn Hegel diesen Prozeß auch eine Erinnerung (anamnesis) des Seins nennt, soll hier nicht die falsche Vorstellung eines hypostatischen Subjekts suggeriert werden. Vielmehr wird damit die Tätigkeit benannt, die bereits im Übergang vom Endlichen zum Unendlichen zum Vorschein kam und in der Sein dasjenige wird, was es bereits war zu sein. Eben diesen Sachverhalt erfaßt der Vorgang der Erinnerung: Es wird etwas vergegenwärtigt, das bereits war, das immer schon Übergegangensein. Die Erkenntnis »des Logischen« – wie Hegel den Gegenstand der Wissenschaft der Logik nennt (Enz. (1830) §237) – ist zugleich dessen Formierung. Sie unterscheidet sich also – obwohl sie ihr aufgrund der Strukturierung in verschiedene Phasen ähnelt – von der endlichen Erkenntnis bereits vorliegender Gegenstände. Deren Erkenntnisweg beschreibt Aristoteles: »Der Weg der Erkenntnis geht aber seinem Wesen nach von dem, was uns das Kenntlichere und Deutlichere ist, zu dem, was von Natur aus das Deutlichere und Kenntlichere ist, denn es ist nicht dasselbe für uns kenntlich und auf einfache Weise [das heißt von sich selbst her] kenntlich; deswegen ist es nötig, auf diese Weise vorzugehen, von dem, was der Natur nach undeutlicher, uns aber deutlicher ist, zu dem, was das der Natur nach Deutlichere und Kenntlichere ist.« (Physik 184a)4 Der Prozeß der Formierung (die Formalität), auf den die Logik zielt, liegt noch vor der Differenzierung in ein Für-uns des Wissens und ein An-sich des Gegenstandes, von der Aristoteles hier spricht. Wenn das endliche Bewußtsein zu erkennen beginnt, hat seine Sache schon ihre Entwicklung zum Wesen und zur Idee in eins durchlaufen. Dasjenige, was im Vergehen des Bestimmten als nicht-offensichtlich zum Vorschein kam, wurde als die Wahrheit des Wesens (das Was) bestimmt. Abstrus ist dieses Wesen nicht etwa, weil es aufgrund seiner Unkenntlichkeit verborgen wäre, sondern weil es kein Dieses und kein Sosein ist, das irgendwo angetroffen wird. Jedes einzelne Als-Etwas-Sein ist eine Abstraktion davon, daß es nur ist, indem Anderes in ihm anfängt. Was nämlich als Gegenstand bewegt wird. Angesichts der Bewegung des Denkens von ›Denkerfahrung‹ zu reden, würde die Sache verunklaren. 4 Bei Thomas von Aquin findet sich dieser Satz in den Quaestiones disputatae de veritate 10, 12: »Ea quae sunt minus nota in se, nota sunt magis quoad nos.«
2.1 Von der Negation zur Negativität
143
das bleibt, was es unmittelbar ist, verliert sein apophantisches Als, welches nur für Anderes aufscheint (vgl. hier S. 112). Daher ist es gar nicht das Wesen, das unkenntlich ist, sondern es ist vielmehr »das Unwahre [d. i. das Unmittelbare] das Unerreichbare« (GW XXI, 136), und zwar weil es nicht das bleibt, was es ist. Das Wesen aber läßt keine Bestimmtheit außer sich, denn es ist dasjenige, was und worin Bestimmtheit eigentlich ist, deshalb ist es nicht abstrakt. Doch wie ist vor diesem Hintergrund der Abscheidungsprozeß zu verstehen, aus dem das Wesen hervorging? Ist es, da es nur im Hindurchgehen durch das Bestimmtsein besteht, nicht doch abstrakt, und wenn auch nur, weil es das Wesentliche zu lauter Unwesentlichem ist, von dem es losgelöst werden muß? Dem widerspricht der Eingangssatz zur Lehre vom Wesen: »Die Wahrheit des S eins ist das Wesen.« (GW XI, 241) Dieser Satz besagt nicht, daß das Wesen die hinter dem Sein stehende Wahrheit sei, weshalb man sagen könnte, das Wesen sei hinter dem Sein verborgen. Eine solche Wahrheit hinter dem Sein ist die Wahrheit einer Hinterwelt. Die Wahrheit und das Wesen sind also dann abstrus, wenn man auf dem Standpunkt des Seins beharrt und nicht dessen eigene Bewegung vollzieht. Das Wesen ist nach der Abscheidung des Seins zwar Wahrheit über das Sein, doch aus dieser Bewegung heraus zeigt sich das Wesen genauso als dem Sein zu eigen. Es ist seine Wahrheit, die sich zeigt. Nur gilt Sein nicht mehr in derjenigen Position, in der es anfangs begegnete: Das Sein des Wesens ist nicht einfach reines Sein, sondern das Seine. Das Zu-eigen-Sein der Wahrheit verdeutlicht Hegel durch die gleichmäßige Betonung von Wahrheit und Sein. »Die Wahrheit des S eins« ist zu lesen als genitivus subjectivus et objectivus: Gemeint ist sowohl (i) eine Wahrheit (ein Wissen) über das Sein als auch (ii) eine Wahrheit (ein Wissen) des Seins. Entsprechend bedeutet das Abscheiden der Unmittelbarkeit nicht, daß das seinslogische Bestimmungsgeschehen nun dem Wesen gegenüber einfach ein nichtiges Nichts darstellt. Mit anderen Worten, es bedeutet nicht, daß es das Falsche zum wahren Wesen ist und damit das Wesen selbst ein neuer und ganz anderer Gedanke wäre. Es ist ja gerade ein solch abstraktes Bestimmen, das ein Anderes lediglich als Nichts versteht, wie es im Falle der Trennung von wahrem Wesen und falscher Geschichte vorliegt, welches vom voranschreitenden Denken zurückgelassen werden muß. Das Wesen ist vielmehr in Hegels Worten »als die vollkommene Rückkehr des Seins in sich« bestimmt (GW XI, 242). Henrich nennt das Wesen aufgrund dieser Konstellation den »Nachfolger« (1978: 233) des Seins, der alle Bestimmtheiten weiterträgt, die das Sein entwickelt hat,. Weshalb braucht es aber überhaupt noch eine eigene Bestimmung des Wesens, wenn doch das Sein bereits in seine Wahrheit Eingang gefunden
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
hat? Indem Sein, anstatt einfach behauptet zu werden, in der Struktur des endlichen Als-Etwas-Seins über sich hinausging und so wurde, was es war, ist das Sein bereits bewahrheitet. Welcher Mangel in der Bestimmung erfordert noch einen Fortgang? Der Mangel liegt in der unzureichenden Bestimmung der Wahrheit. Daß dasjenige, was ist, nur ist (im Sinne von logischer Geltung), indem es nicht besteht, und daß es zu dieser wahrhaftigen Geltung aus eigener Bewegung gelangt, ergibt noch keinen vollständigen Begriff von Wahrheit: Das Daß-Sein, das nicht fix und fertig, sondern von und zu seinem Wesen bewegt ist, zeigte das Was-Sein als das Wahre. Dies ist die inhaltliche Wahrheit des Bestimmtseins.5 Ebenso wie das Etwas aber nur für Etwas als Etwas bestimmt sein kann, bleibt auch das wahre Was nicht einfach präsent, denn daß es qua Vermittlung geworden ist, ist bereits geklärt. Das Was beziehungsweise das Etwas, das zu seinem Was wird, ist wahr durch die Angleichung an sich, es setzt also Verschiedenheit voraus. Als dieses Übereinstimmende ist es wiederum nicht einfachhin Bewahrheitetes, sondern es ist Wahrsein von Etwas für beziehungsweise vor oder gegen Etwas. Dadurch und ›von diesem‹ (das Wesen ist ja kein Etwas) wird es in der Präsenz gehalten. Doch dafür braucht kein Bewußtsein der logischen Wissenschaft6 bemüht 5
Die Analogie zum dreidimensionalen Wahrheitsbegriff des Thomas’ (fundamentale, formale und finale Wahrheit; vgl. De veritate) hat also schon in der ersten Wahrheitsbestimmung ebenso ihre Grenze. Fundamental ist das sich bewahrheitende Bestimmtsein bei Hegel gerade nicht zu nennen, es löst sich in die Wahrheit, d. i. zu seiner Form auf. 6 Sich solcherart selbst ins Spiel zu bringen, ist der ständige Trieb des philosophierenden Bewußtseins, den Hegel gelegentlich selber nährt, und der in der Hegel-Exegese immer wieder befriedigt wird. Zu Beginn der Lehre vom Wesen schildert Hegel die Bewegung zum Wesen entlang des Erkenntnisweges, dessen Verlauf an die Kritik der Erkenntnistheorie in der Einleitung der Phänomenologie erinnert. Diese Schilderung findet sich allerdings in einer Art Proömium und wird im weiteren explizit zurückgewiesen, da sie dem bislang verfolgten, tatsächlichen Gedankengang widerspricht. Einer falschen Fährte folgt daher Städtler (2003: 38, zuvor 32 ff.), der keinen Übergang der Unmittelbarkeit und folglich auch nicht deren Selbst-Vermittlung zum Wesen anerkennen will. Diese ›Rettung‹ der Unmittelbarkeit ist motiviert vom Trieb nach der Freiheit des Unmittelbaren von der als (Gewalt-)Herrschaft verstandenen Aufhebung durch das Wesen und den Begriff. Von Einzelnem oder Besonderem ist hier eigentlich nicht zu sprechen, da beide doch schon begrifflich, d. i. allgemein vermittelt sind. Dazu, daß dieser Antrieb der Kritik an Hegel bereits im 19. Jahrhundert wirksam war, vgl. Schmids Kritik aus dem Jahr 1858: »Alles Unmittelbare, Besondere ist zu einem bloßen Begriffsmomente zusammengeknickt durch die Folter der Methode.« (1976: 219) – Von einer Herrschaft des Wesens mag man wohl sprechen, dabei darf dann allerdings nicht die Behauptung der Freiheit der Unmittelbarkeit als herrschaftsfrei mißverstanden werden. Sie steht sogar im Gegenteil, wie Hegel in der Phänomenologie durch eine Anspielung auf das loi des suspects der französischen Revolution zeigt, in der Nähe des Terrors (GW IX, 385; dazu Spieker 2003: 299; Enz. (1830) § 398 beschreibt die Befreiung von der Unmittelbarkeit der natürlichen Seele, sie erwacht aus dem Schlaf). Daher trifft es die Sache Hegels, wenn Theunissen (1978: 28 f.) die objektive
2.1 Von der Negation zur Negativität
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zu werden: Wogegen das Etwas zur Übereinstimmung gelangt, ist nichts als eben seine Verschiedenheit. Doch innerhalb des einfachen Übergehens ist keine Verschiedenheit haltbar, denn hier ging immer eines in ein anderes über, ohne daß etwas zurückbehalten worden wäre. Verschiedenheit erfordert aber das Zusammenhalten von einem und einem anderen, vor diesem Hintergrund erst kann das Gewahren des Wahren stattfinden. Das Wahre (Was-Sein) ist also noch nicht in Wahrheit, solange es nur als Resultat, als das zur Übereinstimmung gebrachte, vorgestellt ist. Es muß, wenn es strikt übereinstimmend ist, auch die Gewähr der Verschiedenheit tragen, aus der es Sich-Angleichendes ist. Das Wahre muß sein eigenes Gewahren klären und gewähren. Das Resultat muß seine eigene Genese, d. i. sein Woher und seine Bedingung, setzen. Dies ist die formale Wahrheit.7 Unter Heranziehung einer aristotelischen Unterscheidung (Metaphysik I 1, 981a 29) kann nun der Mangel in der Bestimmung der Wahrheit genau bezeichnet werden: Die Lehre vom Sein zeigte im Wahren/Was-Sein das Daß (hoti) oder auch: die Anwesenheit der Wahrheit. Mit der Anwesenheit der Wahrheit ist aber deren Weswegen (dioti) noch nicht geklärt. Das Weswegen, das die Notwendigkeit angibt, ist wiederum zweigeteilt: zum einen in das formale Wodurch und zum anderen in das finale Wozu. Die Aufgabe der Lehre vom Wesen ist es, das Wodurch zu klären. Die Notwendigkeit der Wahrheit ist ein konstitutives Moment des vollen Begriffs, und auf diese Vollständigkeit der Bestimmung gründet sich die Wissenschaftlichkeit der Logik.8 Diese Aufgabe bringt eine Schwierigkeit mit sich: Das Woher stand ja bereits einmal vor Augen, nämlich als der Anfang im Sein, dieser erwies sich aber als unwahr, denn reines Sein ist nicht und Sosein ist anders. Weil dieser Anfang unmittelbar war, taugt er insbesondere nicht als Antwort auf die Frage: Weswegen? Das Resultat kann aber sein Weswegen auf keine andere Logik als Kritik am »Herrschaftsdenken selber« bezeichnet. Herrschaft setzt immer zwei selbständig Bestehende voraus, denn nur so kann das Eine das Andere beherrschen. Auf eben diese Selbständigkeitskonzeption, wie sie einerseits das Denken der Unmittelbarkeit (Seinslogik) sowie andererseits die Setzung der Relativität (Wesenslogik) anwenden, richtet sich Hegels Kritik. Insofern allerdings das Wesen die Wahrheit des Seins ist, steht der Wesensbegriff nicht innerhalb dieser Selbständigkeitskonzeption, sondern er ›besteht‹ in absoluter Negativität. Die Bedeutung von wahrem Wesen und wesensmäßiger Identität wird daher wiederum verfehlt, wenn sie dennoch in dem Herrschaftsschema verortet werden, wie Theunissen (2001: 37) es zugleich tut. Es gälte wohl zu überlegen, ob die – selbst ganz traditionelle – Gegenüberstellung von reiner versus kritischer Theorie beziehungsweise Ursprungs- versus Emanzipationsphilosophie dazu taugt, etwas zu begreifen. 7 Welche gerade nicht bloß formell (Enz. (1830) § 115), sondern formierend ist. 8 Damit ist auch klar, daß Genese der Wahrheit nicht historia, das heißt Erzählung einzelner und zufälliger Begebnisse, sondern systematische Ordnung und Begründung bedeutet. Die Vollständigkeit der Bestimmung der Wahrheit ist ihre Systematizität.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Weise, denn in seinem Woher, also als Anfang haben. Es gilt daher, Sein und Wesen (Wahrsein) sowie Unmittelbarkeit und bestimmte Vermittlung gleichermaßen, also in ein Verhältnis gesetzt, als Bestimmungen der Wahrheit zu denken. Die Integration des Seins im Wesen wird schließlich deswegen gefordert, weil das Wesen, das lediglich die Auflösung des Seins darstellt, zu einem leeren Formalismus gerät. Das Wesens-Was als bloßes Produkt und Ende des Seins ist »das unlebendige Allgemeine« (GW IX, 10 f.). Zu solch unlebendigem Allgemeinen wird das Wesen auch, wo es vom Bewußtsein konstruiert sein soll und nur nominal verstanden wird, wohingegen die sinnlich-antreffbaren Einzeldinge konkret sein sollen (vgl. Locke, Essay concerning Human Understanding III, 3, 15). Solange das allgemeine Wesen sich nicht, indem es formgebend ist, auch als das Woher und Weswegen des Seins und dessen, was daraus geworden ist, zeigt, ist es »in sich tote, leere Bestimmungslosigkeit« (GW XI, 242).9 Das wechselseitige Beziehen, das sich zunächst im Übergang des Seins in das Wesen, sodann im Formen des Seins aus dem Wesen manifestiert, ist die Reflexion. Reflexion ist damit nicht als Reflexion über … (etwas Unterschiedenes, das schon fertig gegeben ist), sondern als formierende Reflexion zu verstehen, die den Unterschied, dessen Vereinigung sie herstellt, erst hervorbringt. Hegel spricht folglich von der Reflexion in sich oder in anderes (GW XI, 244). Diese muß erfolgen, da das Wesen, wenn es sich nicht selbst vermittelt, als Resultat wiederum unmittelbar und mithin nicht Wesen wäre.10 Die Position der Unmittelbarkeit hatte sich aber als unhaltbar erwiesen, es gibt zu ihr kein Zurück. Das Wesen, das sich nicht im Formalismus erschöpft, wird sich als formende Form erweisen müssen und so den Unterschied konstituieren, der das Wahre gewahren läßt. Aus der 9
Hier spiegelt sich Hegels Kritik an Schellings Konzept (vgl. Darstellung meines Systems der Philosophie § 30; SW IV, 124 f.) der Indifferenz des Absoluten, die er bereits am Ende der Lehre vom Sein äußerte: »Der Indifferenz mangelt also dies, an ihr selbst die qualitative Einheit mit sich, die absolute Negativität [zu sein]. Sie ist in der B estimmung der Gleichgültigkeit gegen das Negative, also nicht das absolut Selbständige.« (GW XI, 225) Die Indifferenz ist gegen die qualitative Bestimmtheit, die nicht beständig, sondern übergängig ist, ununterschiedene Bestimmungslosigkeit. Sie könnte insofern die Einheit des Prozesses der Aufhebung der Bestimmtheit sein. Doch darin ist das Konzept der Indifferenz von einer zweifachen Inkonsistenz: Einerseits vermag von ihr nicht gesagt zu werden, wie und warum sie Quelle des Bestimmtheitsprozesses ist, andererseits ist die Indifferenz lediglich als Produkt der Abstraktion gefaßt unter eben dieser Bedingung der Abstraktion stehend (»in der Bestimmung …«) und daher nicht sich selber gründend. 10 In der Phänomenologie schreibt Hegel in diesem Sinne, – gegen Schellings Intuitionismus gewendet: »Es ist daher ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird.« (GW IX, 19 f.)
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Reflexivität des Wesens erklärt sich auch die zu erwartende Komplexität seiner Bestimmungen. »[D]ie Bestimmungen des Wesens haben einen anderen Charakter als die Bestimmtheiten des Seins.« (GW XI, 242) Die Bestimmungen sind nicht einfach und dadurch anders und übergängig zu denken, wie diejenigen des Seins, sondern immer in eins als von sich auf ein anderes zu sich hinweisend als wahrhaft Selbständige. Sie sind verwickelt und deshalb auch stets in Gefahr, bloß verworren zu erscheinen. Wie also wird das Sein im Wesen nicht einfach negiert, sondern gewahrt, ohne hinter die Abscheidung zurückzufallen? Das geschieht in drei Phasen, die zugleich den Gang des folgenden Kapitels bestimmen. Zunächst begegnet uns das Sein wieder in einem ganz rückständigen, nämlich äußerlich verstandenen Wesensbegriff (Kapitel 2.1.A), der wiewohl er nicht in der Unmittelbarkeit des Seins steht, doch unter der Bestimmung der Unmittelbarkeit steht (Kapitel 2.1). Zweitens stellt sich das Wesen als »gesetzter Widerspruch« dar. Dieser bewegt die Lehre vom Wesen und seine Abhandlung wird von Hegel zugleich als »der schwerste Teil der Logik« (Enz. (1830) § 114A) bezeichnet. Als Vorbereitung für das Verständnis dieser Bestimmung, dient die Betrachtung der beiden Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied (Kapitel 2.2). Der gesetzte Widerspruch lehrt verstehen, was innerhalb der Seinslogik nur im plötzlichen Übergang der einen Bestimmung in ihre andere begegnete, ohne daß dort die bestimmungskonstitutive Übergängigkeit selbst begreiflich geworden wäre. Mit dem Wesen wird der Übergang selbst thematisch. Schließlich liegt es in der Natur des vom Widerspruch bestimmten Wesens, daß es sich zeigt. Das aber bedeutet, im Sinne der Präsentation zu sein, ohne selbst eines zu sein, von dem gesagt werden kann, daß es ist. Das Wesen ist Vermittlung, die im stärksten Sinne Notwendigkeit ist (Kapitel 2.3). Auch das Wesen wird somit nicht mit seiner substantiellen Bedeutung erschöpft sein, sondern als Subjekt wirken.
2.1 Von der Negation zur Negativität – scheinbares Wesen und wesenhafter Schein – die Reflexion 2.1.A Unwahrer Anfang Durch ihre (anti-)thetische Struktur sind die Kategorien des Seins instabil. Sie sind jeweils von einem Anderen bestimmt und haben keinen wirklichen Halt in sich; sie sind deshalb insgesamt übergängig. Von diesem Ergebnis her erscheint es wie eine Täuschung, wenn beim Verschwinden des Werdens zunächst davon die Rede war, daß die Einheit von Sein und Nichts nun
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zu »ruhige[r] Einfachheit« (GW XI, 57) geworden sei. Die »ruhige Einfachheit« von Sein und Nichts, das Dasein, ist schließlich keineswegs stabil. Das Sein mit Negation ist vielmehr nur im Übergang, in dem es auf dem Wege der Negation seiner selbst wird, was es seinem Wesen nach bereits war. Die Ruhe des Daseins hat ihre Veranlassung in der Unmittelbarkeit des Daseins. Diese, so Hegel, ist auch die Voraussetzung im »bisherige[n] Begriff der Logik [etwa bei Locke und Kant], daß der Stoff des Erkennens als eine fertige Welt außerhalb des Denkens, an und für sich vorhanden, daß das Denken für sich leer sei, als eine Form äußerlich zu jener Materie hinzutrete, sich damit erfülle, erst daran einen Inhalt gewinne und ein reales Erkennen werde.« (GW XI, 16) Diese Trennung von Denken und Wirklichkeit vermag beide nicht wahrhaft zu erfassen. Ebensowenig wie die unbestimmte Unmittelbarkeit bleibt die Ruhe bestehen, sie ist scheinbar. Wenn es im weiteren hieß: »das Dasein erscheint daher als ein Erstes« (GW XI, 59), so bemerkten wir bereits zu Anfang die unerwartete Bedeutung der Bestimmung, »Erstes« zu sein, nachdem zuvor das reine Sein verschwunden war. Das Erste, über das – im Rahmen der Instabilität aller Bestimmtheit – etwas Bestimmtes auszusagen ist, das also überhaupt etwas ist, ist nicht der Anfang und Ausgangspunkt weiterer Entwicklung, sondern bereits selber ein Angefangenes. Das Erste ist ein Angefangenes von einem Anfang her, der verschwindet und ungreifbar ist, der also auch nicht ›Ausgangspunkt‹ ist. Zwar ist es die Bewegung dieses Ungreifbaren selbst, wodurch alles weitere Bestimmen stattfand, es steht demnach nicht als ein Ungrund jenseits aller Bestimmung (vgl. hier S. 79). Das Sein ist aber dennoch unerreicht. Die ratio, deren Anfang das Sein darstellt, ist folglich unvollständig, denn der Sinn des Entschlusses zu denken selbst (vgl. hier S. 71 f.), das heißt die Bedeutung und der Unterschied, den dieser Entschluß ausmacht, ist noch verborgen und der Kreis der Argumentation nicht – wie von Hegel gefordert – geschlossen. Solange dies nicht erreicht ist, solange bleibt das Bestimmungsgeschehen eines, das sein kann oder auch nicht. Damit bliebe es insgesamt in der (thetischen) Position des Seins, die doch aufzugeben war. Thema waren bislang die Folgen der Aufgabe des Seins, die aber in einer gewissen Unmittelbarkeit verbleiben, solange nicht durchschaubar ist, woher diese Aufgabe des Denkens gestellt wird. Einzusehen, daß das Denken nur mit sich und nicht von einem Anderen her beginnt, bedeutet noch nicht, daß der Akt des Entschließens selbst bereits vom Denken eingeholt worden wäre. Aus diesem Grunde läuft die Unmittelbarkeit des Anfangs in den Bestimmungen des Seins fortwährend mit, denn der Entschluß, dessen Motivation (im Wortsinne) nicht bekannt ist, stellt ein Faktum her, das keinen Grund hat, sondern nur ein Daß ist. Entsprechend erscheint der bisherige Weg der
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Bestimmung ganz von seinem Anfang im Sein und damit von der Unmittelbarkeit bestimmt. In der Bewegungsform des einfachen Übergangs macht sich diese Dunkelheit der Motivation beim Dasein bemerkbar: Der Übergang begegnet plötzlich, es bleibt daher nur zweierlei, erstens zu konstatieren, daß er geschieht, und zweitens die vom restlosen Übergehen aufgedrängte synthetische Identifikation zu vollziehen. Der Übergang wird vom thetischen Denken nachvollzogen. Das thetische Denken hinkt seinem eigenen Gedanken immer einen Schritt hinterher: Es steht hier (beispielsweise beim Etwas) und müßte dort (beim Anderen) sein. Daß es hier und nicht dort steht, das ist genau der Standpunkt des Denkens.11 Wir sehen daher die Resultate des Übergangs, ohne den Übergang selbst festhalten zu können. Nur ein Denken, das sich nicht mehr stellt, kann die Übergängigkeit und damit sich selbst fassen. Solange dies nicht erreicht ist, sind auch die Resultate noch von Unmittelbarkeit gekennzeichnet. Die Scheinhaftigkeit des ungegründeten Anfangs und des entsprechend unvollständigen Resultats tritt auf den ersten Schritten der Lehre vom Wesen wieder hervor. Es hatte sich gezeigt, daß das Endliche nur ist, indem es sich negiert, auf welche Weise es Eingang fand in die Unendlichkeit. Diese wiederum ist nicht ein Anderes des Endlichen, sondern dessen eigenes Aufheben. Endliches und Unendliches, oder Etwas und Wesen sind aufgrund dieses Entwicklungszusammenhangs untrennbar voneinander. Vor diesem Hintergrund mutet das erste Bestimmungspaar der Lehre vom Wesen, »Das Wesentliche und das Unwesentliche«, wie ein unerwarteter Rückschritt an, 11
Daß der Abschied vom Sich-zu-einer-Sache-Stellen (anstatt die Sache selbst für sich selbst zu denken) den Eingang in die spekulative Logik und Wissenschaft bildet, zeigt auch Hegels »Vorbegriff« zur Enzyklopädie. Dort behandelt er die Standpunkthaftigkeit des Denkens, die überwunden werden muß, in den drei »Stellungen des Gedankens zur Objektivität«. In seiner Vorlesung zur Logik von 1831 (AV X) nimmt dieser einleitende Vorbegriff über ein Drittel des Gesamtumfangs ein. – Haas (2003: 34 ff.) charakterisiert das diskursive Denken als Durchlaufen von Standpunkten eines sich-stellenden Denkens, das Denken der Wesenslogik hingegen zeige das sich ent-stellende Denken (70), das nicht mehr thetisch auftritt. Das sich-stellende Denken hat einen Horizont, die Grenze zwischen thematischem Inhalt und unthematischer Form (oder, wie es hier genannt wurde, zwischen lediglich formaler Form und Form die sich ihren Inhalt gibt; vgl. hier S. 100). Entsprechend wird in der Gedankenbewegung der Horizont je überschritten. Das Denken der Unmittelbarkeit des Seins ist Gestelltsein, »weil das Denken an ihm selbst im vorhinein schon stehen muß, und das, wie es steht und was es an ihm selbst schon ist, nicht setzt.« (40) Wenn innerhalb des Wesens das Sein zum Moment wird, mithin in seinem Gesetztsein innerhalb der gegenläufigen Setzung der zweifach doppelten Negation gezeigt wird, dann ist die Gestelltheit des Denkens hin zu einem standpunktlosen Denken verlassen. Nur das Denken, das sich nicht mehr stellt, kann die Übergängigkeit und damit sich selbst fassen. Diesen Vorgang macht allerdings erst die Begriffslogik durchsichtig, es kann deshalb auch hier noch nicht auf ihn rekurriert werden.
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der entsprechend für den Fortgang der logischen Bestimmung irrelevant zu sein scheint. Hier wird eine Trennung vorgenommen, die sich nicht auf der Höhe des bereits erreichten Wesensbegriffs bewegt: »Das Wesen ist das aufgehobene Sein. Es ist einfache Gleichheit mit sich selbst, aber insofern es die Negation der Sphäre des Seins überhaupt ist. So hat das Wesen die Unmittelbarkeit sich gegenüber als eine solche, aus der es geworden ist und die sich in diesem Aufheben aufbewahrt und erhalten hat.« (GW XI, 245) In der Tat trat das Wesen als Resultat der Angleichung an sich hervor und darf daher als »Gleichheit mit sich« bestimmt werden. Diese Angleichung aber war die Bewegung des bestimmten Seins selbst, das in seiner einfachen Negation, d. i. in seinem Anderssein nicht an sich, sondern nur für Anderes besteht. Insofern ist die Gleichheit des Wesens keine einfache, sondern es ist, weil in der Bewegung des Seins hervortretend, eine differenzierte Gleichheit aufgrund der Untrennbarkeit (des nicht an sich Bestehens der Bestimmtheit) des Seins. Das Wesen ist die Aufhebung des Seins, denn es negiert dessen Einfachheit, es birgt die Bedeutung der unmittelbaren Präsentation (vgl. hier S. 78 f. und 92 ff.), und verleiht ihr die ihr zukommende Bedeutung im Bewegungszusammenhang des Wesens. Das Wesen ist Bewegung der Aufhebung aber nicht Aufgehobensein. Als solches steht das Wesen wieder unter der Bestimmung des Seins, die es doch gerade aufgehoben hat. Als Aufgehobensein muß es in der Folge tatsächlich wie eine Negation erscheinen: Es negiert die Unmittelbarkeit des Seins, gerade so, wie ein Etwas das Andere negiert. »So hat das Wesen die Unmittelbarkeit sich gegenüber«. Die Negation steht aber immer in der Bestimmung dessen, was sie negiert, bildlich gesprochen: auf einer Ebene mit ihrem Negat. Darin besteht bereits ein wesentlicher Fortschritt in der Bestimmung des Wesens der Negation: Sie ist niemals abstraktes Zernichten, sondern immer »bestimmte Negation«. Was jedoch geschieht, wenn man die Dialektik damit ihr Ende nehmen läßt, zeigt die Auffassung des Wesens als Negation. Das Wesen, aufgefaßt als »geworden«, d. i. als »seiendes Substrat, das sich durch die Reflexion hindurch bewegte« (GW XI, 250), nicht selber bewegtes Resultat ist, ist eine Negation seiner Genese aus und in dem Sein. Folglich ist es ebenso von dessen Unmittelbarkeit infiziert, es hat das Sein »sich gegenüber« (GW XI, 245). In diesem Gegenüberstehen bleiben Sein und Wesen in ihrer Selbständigkeit an sich bestehen, nur in gegenüber ihrer Selbständigkeit äußerlicher Beziehung aufeinander sind sie negativ bestimmte, nicht aber – mit Hegel gesprochen – »an und für sich«. Solch ein Wesen fällt »in die Sphäre des Daseins zurück«; Dasein nämlich war das gewordene Sein, die einfache Negation eines Anderen. Dem unmittelbaren Sein steht ein unmittelbares Wesen, dem Unwesentlichen das Wesentliche gegenüber. Das derartig aufgefaßte
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Resultat beläßt seine Genese so ›wie sie ist‹, es wird selber nicht auf seine Herkunft zurückbezogen, die ihm ebenso ein Anderes ist wie das Wesen dem Unmittelbaren ein Anderes ist. Als bestimmte Negation des Seins aufgenommen, gerät die Bestimmung, wesentlich zu sein, in die endlose Iteration der bloßen Andersheit: Es wird damit austauschbar, welches von den beiden, ob das Sein oder das Wesen, wesentlich oder unwesentlich genannt wird.12 Somit ist weder Sein noch Wesen überhaupt bestimmt. Hegel sagt 12
Angesichts dieser Bedeutung der bestimmten Negation ist eine Bemerkung zur Frage nach der terminologischen Redeweise in Hegels Philosophie angebracht: Bei nahezu jedem Begriff kann ein Changieren zwischen einer streng terminologischen Verwendungsweise einerseits, innerhalb derer der Begriff eine feststehende Bedeutung vertritt, und einer Bedeutungsverschiebung andererseits, wonach der Begriff sogar die entgegengesetzte Bedeutung erhält, beobachtet werden. So im Falle der »bestimmten Negation«, die Hegel in der Einleitung zur Lehre vom Sein, als »[d]as einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen« (GW XI, 25) bezeichnet. In diesem terminologischen Sinne enthält die Negation das Negierte als ihr Moment und ist dadurch inhaltlich bestimmt und selber positiv, nicht nur die abstrakte Negation, das Nichts des Negierten. Wenn im Zusammenhang von Wesentlichem und Unwesentlichem das Wesen eine bestimmte Negation genannt wird, dann wird damit ausgedrückt, daß das Wesentliche nicht die aufhebende Negation des Seins, sondern die bloß gegensätzliche und damit unmittelbare Negation des Seins darstellt. Daher ist es Negation, die vom Sein bestimmt wird, und nicht eigentlich Wesen. Der Terminus »bestimmte Negation« ist hier also Ausdruck des Stillstandes und nicht des wissenschaftlichen Fortganges. Ähnliche Verschiebungen finden wir beim Begriff der Negativität, ja sogar beim Begriff des Begriffs (dort vor allem in der frühen Jenaer Logik, wo der Begriff zum einen die nur anfängliche Intention und zum anderen die entfaltete Wirklichkeit benennt, vgl. GW VII, 6 ff.) oder bei der häufig zum Einsatz kommenden Präposition ›an sich‹. So kann gesagt werden, daß Hegel, wo immer er eine präzise Terminologie für einen bestimmten Sachverhalt prägt, diese terminologische Redeweise zugleich durchbricht. Doch macht Hegel sich damit nicht der Verwirrung oder bloßer Homonymien schuldig. Diese Vorgehensweise ist vielmehr in der Sache begründet: Begriffe sind nicht feststehende Formeln, sie funktionieren nur, wenn sie ›durchgeführt‹, d. i. wenn sie in der Tat gedacht werden. Dazu gehört einerseits, daß der Begriff seine Sache benennt und mit ihr identisch ist, andererseits, daß er auf diese zeigt, also nicht beim Nennen stehenbleibt, sondern seine Differenz von der Sache mitaussagt. Erst dann kann ein onoma auf ein pragma (zu diesen Begriffen vgl. Aristoteles, De interpretatione I) zeigen und es hervorrufen, wenn es nicht sich selbst für dieses ausgibt, das wäre Fetischismus. Der Begriff muß also den Abstand von seiner Sache bewahren, um sie bezeichnen zu können. Diesen Abstand wahrt Hegel, indem er die terminologische Redeweise immer wieder durchbricht. Indem derselbe Name verschiedene Sachverhalte bezeichnet, verhindert Hegel die einfache Identifikation von Name und Sache, bei der nicht mehr gedacht, und die Wahrheit ›schal‹ werden würde, da statt der Formierung von Sachverhalten nur inhaltsleere Formalismen vorgebracht werden. Schließlich ist die Einheit, die Hegel darlegen will, diejenige von Sache und Begriff, nicht jene von Name und Begriff oder Sache. Der Begriff des Begriffs legt sich daher immer in einem Satz (in Hegels Worten: in einem »spekulativen Satz« (GW IX, 43), beziehungsweise in einem Schluß von Schlüssen) aus: Im Satz wird das onoma mit einem rhma identifiziert, durch diese widersprüchliche Identifikation weist der Satz dann von sich weg
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über das als Seiendes aufgefaßte, abstrakte Wesen: »In seiner Bestimmung ist es daher die in sich tote, abstrakte Bestimmungslosigkeit.« (GW XI, 242) Darüber hinaus wird der Sinn der Aufhebung verfehlt, wenn sie die aufgehobene Bestimmung derart bestehen läßt, wie sie vor dem Prozeß ihrer Negation intendiert war. Eine lediglich zu bestimmter Negation führende Dialektik bliebe ganz leer und der Sache äußerlich. Das Sein, aus dem das Wesen geworden ist, ist aber das aufzugebende Unwahre, das sich entwickelt hat, es kann nicht als Unwahres das Gegenüber des wahren Wesens sein, zumal dieses als Totalität kein Gegenüber hat. Mit einem Gegenüber gedacht, ist das Wesen lediglich ein Einfach-Anderes, das aber ist das Unwahre. Kurzum: »so ist das Wesen nicht eigentlich Wesen«. Es muß also der Bestimmungsweg umgekehrt werden, um zu zeigen, wie das Sein im Wesen als dessen Moment enthalten ist. Das Unendliche muß auch als aus sich selbst herkommendes erwiesen werden, es kann nicht aus einem anderen (dem Sein) her entstanden sein. Damit ist aber nicht einfach ein artistisches Rückwärtslaufen der Entwicklung verbunden, vielmehr gilt es dabei aufzuweisen, wie der Anfang im Sein von seinem Ziel im Wesen her bestimmt ist, und nicht nur der Endpunkt von einem unbestimmten Anfang her. Das unmittelbare Faktum von Sein kann dann als Moment eines Ganzen erscheinen, ebenso wie dieses Ganze, das Wesen, nicht mehr lediglich Faktum ist, sondern sich als selbst-differenziert, und das heißt mit Hegels Wort: als »lebendig« erweist. Die Philosophie muß, mit anderen Worten, spekulativ werden, da die wechselseitige Bestimmung von Anfang und Ende zu einer differenzierten Einheit führt (vgl. GW XXI, 57). Eigentliches Wesen ist schließlich das Sein selbst: Reines Sein ist nicht, es ist nur, nämlich Seiendes, indem es Negation ist. Anderssein, das selbständig und lediglich anders als Anderes ist, ist aber selber gar nichts, es ist unbestimmt und wäre mithin auch nicht anders. Die Negation muß also als sie selbst anders sein als sie selbst ist: Sie ist dann sich Negation und negiert auf eine Sache hin, die sich dann von sich her zeigt. Reisinger (1967: 156) sagt zu dieser Redeweise, wonach dasselbe Wort (an sich, Schein, Unmittelbarkeit, setzen, abstrakt etc.) einerseits allgemein gebraucht wird, andererseits an spezifischem Ort zu verstehen ist: »Spekulationsbegriffe haben ihren genuinen Ort: Bestimmtheit ist genuin Seinsbegriff wie Setzen bspw. genuin Wesensbegriff. Ihre ›allgemeine‹ Natur nun besteht darin, daß sie zugleich in logisch fremden Sphären auftreten, so wie die Bestimmtheit im Wesen und im Begriff, und zwar so, daß eine jeweils folgende logische Sphäre die Spekulationsbegriffe in ihrem logischen Inhalt bereichert. Somit ergeben sich für sie drei Möglichkeiten: Erstens sind sie sie selbst, an logisch genuinem Ort; zweitens können sie als noch nicht sie selbst sein (wie das Setzen im Sein [das dort Übergehen ist, d.V.]), quasi latent, unterbestimmt, und drittens als Moment in einer folgenden Sphäre (wie die Bestimmtheit im Begriff als Besonderheit).«
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ihre einfache Selbständigkeit. Dieses Sich-Negation-Sein ist Negation ohne Anderssein, mithin absolute Negation, oder wie Hegel terminologisch unterscheidend sagt: »Negativität«.13 Die vollständig gedachte Negation erfordert also Negativität. Diese ist das Wesen, das deshalb nicht Negation ist, das aber auf uneigentliche Weise als Negation verstanden werden muß, wenn nicht geklärt ist, was es denn heißt, Negativität zu sein, beziehungsweise wenn die Reproduktion des Wesens nicht gezeigt wird. In der Figur der zweifach doppelten Negation tauchte diese Aufgabe bereits in der Dialektik der Endlichkeit auf. Die zweite doppelte Negation war hierbei Resultat und ursächliche Bedingung der ersten Negation, von der aus sich die Figur ergab. Negativität ist also verstanden, wenn eingesehen ist, wie sie ihren eigenen Anfang setzen kann. Indem die Dialektik vorwärtsgeht vom Sein zum Wesen, geht sie also eigentlich zurück zum eigentlichen Anfang, von dem aus das Sein hervorgebracht ist. Mit der Bestimmung des Wesens als getrennt von Unwesentlichem nimmt die Lehre vom Wesen analog zur Lehre vom Sein (mit dem Dasein als »Erstem«) einen Anfang, der etwas Scheinhaftes an sich hat. Er behauptet eine Selbständigkeit, die so keinen Bestand hat, und tritt – nachdem sich zuvor die Notwendigkeit zu deren Aufgabe gezeigt hat – mit einer seinslogischen Positionierung auf, insofern es die Eigenart seinslogischer Bestimmungen war, jenseits ihrer untrennbaren Einheit mit ihrem Anderen als selbständig getrennte zu erscheinen (GW XI, 242). Ein möglicher Grund dafür, daß der an sich schon überwundene Standpunkt des Seins zu Beginn der Wesenslogik nochmals wiederholt wird, wäre das Anliegen, die Installation des Wesens als Nachfolger des Seins zu rechtfertigen.14 Auf dem Umweg des uneigentlichen 13
Diese Terminologie führt Hegel bereits in der Seinslogik explizit ein (GW XI, 77), er hält sie jedoch nicht strikt ein, so wird auch die einfache Negation gelegentlich als Negativität bezeichnet. Zum historischen Hintergrund der Idee der Negativität vgl. Hübener (1975), der bei Hegel, indem er die Negation auf eine Negation und nicht auf eine Position bezieht, eine Absetzung von der Tradition sieht. Weiterführend sind die Bemerkungen bei Wolff (1981: 62 ff.), der auf die Rolle Newtons bei der Einführung des Begriffs der ›negativen Größe‹, sowie auf Kants Schrift Versuch, den Begriff der negativen Größe in die Weltweisheit einzuführen von 1763 (darin: »es sind die negativen Größen nicht Negationen von Größen […] sondern etwas an sich selbst wahrhaftig Positives«, A VI) hinweist. Kant interpretiert die sich entgegenstehenden Prädikate als »Kräfte«, die einander ihrer Wirkung berauben, sie besitzen also eine positive Kraft. So gibt er »für die Negativität generell eine dynamische Erklärung. Negativität setzt ein Verhältnis von ›Vermögen‹, ›Kräften‹, oder ›Gründen‹ voraus.« (Wolff 1981: 71) 14 Zum Begriff des Nachfolgebegriffs vgl. Henrich (1988: 138 f.) Henrich gibt zwei Kriterien dafür an, daß ein Begriff Nachfolger eines anderen sein kann: (i) Er hat ähnliche formale Eigenschaften wie der erste (d. i. im vorliegenden Fall die Unmittelbarkeit). (ii) Er kann die Fälle beschreiben, für die der erste Begriff gebraucht wurde (d. i. hier die Präsentation).
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Wesensbegriffs würden so die wesentlichen Bestimmungen des Seins in den Bestand des Wesens integriert. Nachdem das Faktum des Wesens heraufgeführt wurde, muß der Übergang zum Wesen nicht mehr eigens bewiesen werden, vielmehr bleibt zu Beginn der Wesenslogik nur noch »zu zeigen« (GW XI, 247), inwiefern der Seinssinn im Wesensbegriff enthalten ist (so Henrich 1978: 233). Was aber ist die wesentliche Bestimmung des Seins? Daß es sich zeigt und darin nicht das ist, was es ist. Daß es sich von dem, was es ist, unterscheidet und zu diesem hin entwickelt. Sein Sinn ist es, anzufangen. Dies läßt in der Tat fraglich werden, wie diese Bedeutungen im Wesen integriert sein können, da das Wesen sich doch gerade dadurch auszeichnet, daß es jenseits des »ist« steht. Doch mit der gewissermaßen kompositorischen Erklärung aus der Didaktik der Logik heraus ist noch nicht hinreichend, nämlich aus dem Wesen selbst heraus erklärt, warum dessen Bestimmung mit einer uneigentlichen Bestimmung durch Gegenüberstellung mit einem Unwesentlichen beginnt. Schließlich kennzeichnet Hegel die fraglichen ersten beiden Abschnitte des ersten Kapitels nicht mit der sonst üblichen Überschrift für uneigentliche, nicht streng sachgemäße Rede, sie firmieren nicht als Vorrede, sondern sie sind bereits Bestandteil der Erläuterung des Wesens. Ein wohlbestimmter Wesensbegriff ist zu Beginn der Lehre vom Wesen aber noch nicht vorhanden. Das Wesen ist hier erst Faktum des Seins, von dessen Bewegung wurde es gesetzt. Darin liegt die doppelte Ursache für den uneigentlichen Beginn der Wesensbestimmung: Als aus der Bewegung des Seins gesetzt, ist das Wesen selbst nach der Abscheidung des Seins noch von dessen Unmittelbarkeit gekennzeichnet, – wie jedes Resultat, das nicht seinen inhärenten Bezug zu seiner Genese aufweist und selber wieder als bestimmendes dynamisch wird, als Faktum in der Bestimmung der Unmittelbarkeit steht. Zudem ist aus der Bewegung des Seins deutlich geworden, daß das Wesen nicht unmittelbar vorkommt und dementsprechend auch nicht am Anfang stehen kann, denn es besitzt keine unmittelbare Evidenz. Eine Wesensbestimmung, die mit dem wahren Wesen beginnt, müßte aber eben diese Evidenz beanspruchen, die dem Wesen nicht zukommt. So aber tut es eine Philosophie, die mit dem Ich beginnt, das als konkretes gar nicht unmittelbar evident sein kann. Die Lehre vom Wesen kann also nicht mit der eigentlichen Wesensbestimmung ihren Anfang nehmen. Vielmehr sind »das Unwesentliche und der Schein als Reste des Seins« (GW XI, 249) zur (Selbst-) Darstellung des Wesens nötig. Das Wesen selbst kann sich als solches gar nicht präsentieren, dies ist nur im Durchweg durch das Unmittelbare möglich, der in dessen Aufhebung besteht. So ergibt sich nach dem Anfang in der Seinslogik eine zweite, wesenslogische Anfangsaporie: Es gibt kein Wesen, ohne daß es sich präsentiert, doch es präsentiert sich nicht das Wesen. Diese
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Aporie gehört zur Auslegung des Wesens selbst, deshalb ist sie nicht lediglich der epistemischen Rekonstruktion geschuldet. Weil sich das Wesen also an einem Anderen darstellt, deshalb beginnt seine Erläuterung mit der uneigentlichen Gegenüberstellung gegen ein Unmittelbares.15 Dieses Unmittelbare jedoch, das hat die Dynamisierung des reinen Seins ergeben, gibt es weder einfach als Etwas, das einem Anderen gegenüber ist, noch weniger aber als Etwas, das außer oder gegenüber dem Wesen steht.
2.1.B Bleibender Schein Insofern stellt die Gegenüberstellung von Wesentlichem und Unwesentlichem noch einen sehr vagen Anfang dar, der präziser gefaßt wird, wenn das eigentliche Resultat der Seinslogik erinnert ist. Danach ist das Unmittelbare nicht nur durch die Aufhebung beiseite gesetzt, aber in seiner behaupteten Bedeutung erhalten. Unmittelbarkeit und Bestimmung durch Negation würden dann weiterhin differieren. Die Abscheidung dieser seinslogischen Differenz selbst war jedoch das Ergebnis der Lehre vom Sein. Dieses ist »das an und für sich nichtige Unmittelbare« (GW XI, 246). Das aber ist der Schein, er ist »nur […] Beziehung auf Anderes«. So offenbar er selber ist, so deutlich ist auch, daß er nicht das bleibende Wahre ist, sondern daß in ihm ein Durchschein gesehen werden muß. Was nicht als Vor- und folglich als Durchblick auf Anderes angeschaut wird, sondern nur unmittelbare Evidenz seiner selbst ist, wäre negationslos und ist auch (noch) kein Scheinen oder Erscheinen: Der Schein ist das, was sich nicht erhält und dies ist in ihm explizit. Aus diesem Grund sind hier Intention und tatsächliche Bedeutung nicht unterschieden. Der Schein löst Hegels einleitende Bemerkung ein, wonach es nichts gebe, »was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung, so daß sich diese beiden Bestimmungen als ungetrennt und untrennbar und jener Gegensatz sich als ein Nichtiges zeigt.« (GW XXI, 54) Der Schein ist insofern nicht das Sein. Der Schein besteht nicht auf sich und ist nicht sub15
Aufgrund dieses Zusammenhangs können die Eingangsbestimmungen der Wesenslogik nicht übersprungen werden. Sie sind nicht lediglich »Übergangspassagen«, die man in der Exposition der logischen Struktur nicht weiter zu berücksichtigen braucht (so aber Wölfle 1994: 122). Sie sind auch nicht lediglich um der didaktischen Komposition willen eingefügt, als Erinnerung an die Aufgabe der Lehre vom Wesen (dahin neigt Henrich 1978, den bereits Theunissen 1978: 35 kritisiert, ohne allerdings mehr als ›eine Neigung des Wissens‹, nur Ansichseiendes zu behaupten, zur Erklärung anzubieten), sondern die Anfangsbestimmungen der Lehre vom Wesen sind wesentlich für ein Verständnis von Logik, das diese nicht als Kategorienkatalog, sondern als Entwicklungslogik, d. i. als sich bewegendes System von Bestimmungen versteht.
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stantiell, er ist vielmehr nur, indem von ihm fortgeschritten wird. Dieses Negiertwerden ist nichts, was dem Schein von außen her zustößt, es liegt vielmehr in seinem Wesen, zu verschwinden und nicht zu sein, was er ist. Der Schein stellt »das Negative […] als Negatives« dar und in diesem reflektiven Als des Negativen liegt der gesamte Fortschritt in der logischen Bestimmung gegenüber dem reinen Sein des Anfangs, es macht den Schein zu einem reflexiven Begriff. Zwar konnte auch das Sosein in seiner Konsequenz bereits als reflexiv bestimmt betrachtet werden (Etwas ist als Etwas), mit dem Schein ist allerdings eine wesentlich höhere, d. i. differenziertere Bestimmung erreicht, denn er ist selbst der Begriff seines reflexiven Seins, was vom übergängigen Etwas noch nicht gilt. Weil sich das Sein in »unmittelbarer Unmittelbarkeit« (GW XI, 52) präsentierte, kam der durch die völlige Bestimmungslosigkeit bedingte Übergang ins Nichts plötzlich und unvermittelt. Im Nichts verschwand das Sein restlos, es war als selbständiger Gedanke intendiert und konnte sich als solcher nicht bewähren. Nun sagt Hegel: »Der Schein ist der ganze Rest, der noch von der Sphäre des Seins übriggeblieben ist.« (GW XI, 246) Diese Redeweise ist merkwürdig, denn logische Übergänge werden aus der Bedeutung von Bestimmungen initiiert. Bleibt bei einem Übergang ein »Rest« dessen übrig, von dem aus er stattfand, dann ist der Übergang nicht vollständig vollzogen. Er kann derart keinen Anspruch auf volle Systematizität und Notwendigkeit erheben. Der Rest wäre der blinde Fleck des Übergangs. Ist die Rede vom Rest gerechtfertigt, dann wäre sie also eine Anzeige für die Unrechtmäßigkeit der dargestellten Gedankenbewegung, die das Wesen in vollem Umfang als Nachfolger des Seins darstellt. Doch die Rede vom Rest ist präzise und stellt den Gedanken nicht in Frage: Rest vom Sein ist der Schein, weil er unmittelbar ist und sich präsentiert, er hat damit die Position des Seins übernommen, das sich selbst nicht erhält. Rest vom Sein ist der Schein, weil die Bedeutung von Sein – im Wortsinne – reduziert wurde: Wiewohl es am Anfang steht, ist das reine Sein selbst doch nicht Quelle und Motivation des Bestimmungsgeschehens, das darin seinen Anfang nimmt. Insofern Sein immer schon übergegangen ist, also selbst in Bewegung ist, kann es nicht zugleich Ursache der Bewegung sein. – Wir fragen dabei nicht nach einer ersten Ursache, denn von der Bestimmung »Erstes« haben wir bereits gesehen, daß sie für einen angefangenen Anfang steht. Das Resultat des Seins zeigt, daß die unbestimmte Unmittelbarkeit selbst bereits bestimmt ist, denn sie ist Negation. Als sie selbst ist sie nicht, was sie ist. Weil dies auch auf den sich unmittelbar darbietenden Schein zutrifft, ist er zurecht als Rest vom Sein (d. i. der Position der Unmittelbarkeit) benannt. Doch das Wesen scheint dann immer noch zu Unrecht als umfassender Nach-
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folger des Seins eingeführt, da es ihm gegenüber einen inkommensurablen Rest des Seins gibt.16 Dazu ist nun das Scheinen des Scheins näher zu betrachten. Daß der Schein ein »Rest« ist, unterscheidet ihn zunächst von der völligen Übergängigkeit des Seins. Weil dem Schein sein Anderssein nicht unvermittelt ›von außen‹ zustößt, wie dem Sein, sondern weil das vermittelte Sein des Scheins als Durchscheinen sein Anderssein bereits enthält, deshalb bleibt der Schein auch in seinem Verschwinden.17 Es bleibt aber auch dabei, daß der Schein verschwindet. Die Rede vom Schein als Rest beschreibt somit eine contradictio in subjecto: Rest ist das, was bleibt, Schein aber ist dasjenige, was zu verschwinden bestimmt ist. Der Rest des Seins ist also nicht etwa dem Wesen gegenüber inkommensurabel und ihm ein einfach Anderes, sondern er ist ein Widerspruch, der nicht bestehen bleiben kann und somit Ausdruck der Negativität des Wesens ist. Dieser Widerspruch eignet allem, das durch das Werden, also die Verbindung von Sein und Nichtsein, ist. Der Widerspruch ist ihm notwendig und nicht wie die Zuordnung widersprechender Prädikate etwa beim ›hölzernen Eisen‹ unmöglich (contradictio in adjecto). Was die »vom Wesen unabhängige unmittelbare Seite« des Scheins zu sein scheint, ist folglich tatsächlich unmittelbar und vom Wesen unterschieden. Doch nicht wie das reine Sein in Bestimmungslosigkeit unmittelbar und auch nicht als Anderes des Wesens, sondern als im Wesen aufgehobener Unterschied (»reflektierte Unmittelbarkeit«, GW XI, 248). Das ist zu zeigen: Das Wesen geht durch das einzelne Als-Etwas-Sein hindurch, es hebt dieses auf. Was im Etwas als Etwas und in dessen Bewegung wahrhaft ist, ist nichts als das Wesen, es negiert folglich im Durchgang durch das vereinzelte Als-Etwas-Sein sein eigenes Bestimmtsein (welches das Etwas ist). Die Nichtigkeit des Seins, die wir in der Endlichkeit des Etwas betrachteten, ist »die negative Natur des Wesens selbst« (GW XI, 247). Sie ist keine vom eigentlichen Sein des Wesens getrennte und unabhängige Äußerlichkeit, die 16
Es ist angesichts dieser merkwürdigen Bestimmung an die Position Schellings zu erinnern, der gegenüber der Tätigkeit des Verstandes von solch einem »nie aufgehende[n] Rest« (SW III, 359) sprach; vgl. hier S. 74 f., Fn. 15. Dieser Rest wird in der Lehre vom Wesen letztlich ganz getilgt werden; vgl. hier S. 255 f. 17 Der Schein ist darin nicht zu verwechseln mit einer Täuschung, die entdeckt werden muß und dann den Blick frei gibt auf den eigentlichen Sachverhalt, für den sie allerdings äußerlich ist. – Den Schein von seiner Vermittlung zu trennen, wie im »Phänomen des Skeptizismus oder auch [in der] Erscheinung des Idealismus« (GW XI, 246), und zu sagen, daß diesem Schein kein Sein oder kein Ding an sich zugrunde liege, nimmt dem Schein das ihm wesentliche Durchscheinen. Dem Schein daraufhin dennoch alle Bestimmtheiten zu lassen, die zuvor dem Sein zukommen sollten, ist eine schlechte Metaphysik, denn sie baut auf der Voraussetzung auf, der Schein sei unmittelbar (weil er nicht Vermittlung eines Wesens ist) bestimmt. Bestimmtheit ist aber nie unmittelbar.
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ebensogut auch nicht sein könnte, sondern zu negieren ist die »Natur des Wesens«. Hegel erwähnt drei Phasen der Selbstangleichung durch Negation: »[i] Die Negativität ist die Negativität an sich; sie ist ihre Beziehung auf sich, so ist sie an sich Unmittelbarkeit; [ii] aber sie ist negative Beziehung auf sich, abstoßendes Negieren ihrer selbst, so ist die an sich seiende Unmittelbarkeit das Negative oder B estimmte gegen sie. [iii] Aber diese Bestimmtheit ist selbst die absolute Negativität und dieses Bestimmen, das unmittelbar als Bestimmen das Aufheben seiner selbst, Rückkehr in sich ist.« (GW XI, 248) Diese Bestimmung des Wesens erscheint irreführend, da sie dessen Negativität unmittelbar (»an sich«), also vom Standpunkt des Seins her nimmt; wir haben jedoch bereits gesehen, daß das Wesen, vom Sein herkommend, zunächst so ›erscheinen‹ muß. Wie verlaufen also die drei Phasen der Bewegung vom unmittelbaren, bloß scheinbaren Wesen, zu dessen vermittelten Begriff? Das, was das Wesen ist, sein (i) Sich-Negieren, das sich selbst gleich und daher unmittelbar ist, (ii) setzt in der Aufhebung aller Negation das Unmittelbare als sein Anderes. Denn die absolute Negativität ist eine Bewegung, die unterschieden ist von der Ruhe der Unmittelbarkeit (d. i. »Abstoßen seiner von sich« (GW XI, 242), »absoluter Gegenstoß« (GW XI, 252)). Das ›Andere‹, das durch die erste doppelte Negation der Negativität des Wesens entsteht, ist das »Nichts eines Nichts« (GW XI, 250), d. i. das Sein. Dieser Unmittelbarkeit gegenüber ist die erste Phase der Negativität (i), die »an sich Unmittelbarkeit« ist, »das Negative oder B estimmte«. Die Negativität des Wesens, die in seiner einfachen Selbstgleichheit an sich Unmittelbarkeit ist, ist gegenüber der Unmittelbarkeit, die das Resultat der Selbstvermittlung des Wesens ist, eine Vermittlung und mithin ihr Anderes. Von seinem Ursprung in absoluter Negation her ist das resultierende Unmittelbare eine Nichtigkeit, es ist ein Negatives, das sein Sein in einem Anderen hat. Das Negative negiert sich nicht, weil das so Entstandene selbst mangelhaft wäre, sondern weil Bestimmt- und Entstandensein selbst aufgrund des Ursprungs in einer Negation immer schon Nichtigkeit ist (vgl. Rohs 1969: 85): Das Endliche ist endlich, das Unselbständige unselbständig. Zwar wird die Nichtigkeit dem Endlichen selbst sehr wohl als ein Mangel erscheinen, dies ist aber nicht sein Wesen, denn eine Privation kann niemals Wesen sein.18 Indem das Wesen in seiner absoluten Einheit 18
Dem Endlichen in seiner Vereinzelung erscheint die Nichtigkeit zwar als ein Mangel, allerdings als ein Mangel an Vollkommenheit, der selbst aus einer bestimmten Vollkommenheit entspringt, nämlich aus der Anwesenheit einer Idee der Vollkommenheit, ohne die kein Mangel gefühlt werden könnte. Dahin weist bereits das aus den »Entzweiungen« entstehende »Bedürfnis der Philosophie« aus der Differenzschrift (GW IV, 12), das sich nur aus der immer schon anwesenden Einheit des Lebens ergibt, das sich in den Entzwei-
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nur auf sich selbst bezogene Negativität ist, es also nicht von einem Anderen vermittelt ist, ist es unmittelbar. Als auf sich bezogene Negativität ist es nicht unbestimmt, sondern selbständiges, in sich bestimmtes Wesen. Weil es sich in diesem sich bestimmenden Selbstbezug von sich abstößt, gibt das Wesen ein Negatives heraus. Abstoß und Herausgabe ist das Sichbestimmen, weil das Bestimmen von etwas als etwas immer für etwas erscheint. Vor dieses tritt das sich bestimmende Wesen, es tritt aus sich heraus und teilt sich mit. So bleibt es zwar dabei, daß es das Wesen selbst ist, das sich hier abstößt und herausgibt. Doch ebenso bleibt es seiner sich selbst gleichen Negation (der ersten doppelten Negation) gegenüber eine Negation. Diese kann dem Wesen gegenüber, aufgrund von dessen Selbstgleichheit in der sich mit sich vermittelnden Negativität, als ein Anderes erscheinen, denn diese herausgegebene Negation ist das nicht sich selbst gleiche Negative. Doch dieses ist als Negatives nicht bleibend. Weil es nicht bleibt, deshalb ist es auch nicht ein Mangel, sondern es ist im Wortsinne Positives, gesetzt aus der Selbstvermittlung des Wesens. Weil (iii) dieses gesetzte negative Etwas-Sein in dem, als was es ist, nicht bleibt, deshalb negiert es sich in dem, was es ist, selbst; es negiert die Negation, die es selbst ist und ist ein Schein. Das ist die zweite doppelte Negation: Damit ist das gesetzte Sein, das ein Hinausgehen aus dem Wesen ist, dessen Rückkehr in sich. Der Schein ist nicht anders als das Wesen. Das Wesen reproduziert sich in ihm, es ist zweifach doppelte Negation: Die absolute Negativität des Wesens (erste doppelte Negation) setzt ein Negatives, das ihm nicht entgegensteht, sondern sich selbst negiert (zweite doppelte Negation). Das Produkt des Wesens ist das Wesen selbst. Das ist »Reflexion in sich«. Die Momente des Scheins, seine Nichtigkeit, in welcher der Schein sein Bestehen hat und sein Sein, das momenthaft ist, sind die Momente des Wesens selbst. Im Schein ist das Wesen sich selbstanders, es scheint. Das Wesen ist scheinbar und der Schein ist wesenhaft. Das Wesen ist Einheit von Wesen und Sein, es ist negative Einheit und hat nicht das Sein sich gegenüber. Die Benennungen, die Hegel für diesen Sachverhalt anbietet, sind wieder zahlreich: Ob nun von »reflektierter Unmittelbarkeit«, »Bestimmtheit des Seins« oder vom »Sein als Moment« (GW XI, 248) die Rede ist, jeder dieser Ausdrücke besagt, daß Sein/Unmittelbarkeit nicht an sich und nicht unabhängig vom oder anders als das Wesen ist. – Das ist wohlgemerkt ein Ergebnis, das von demjenigen des Gangs der Seinslogik zu unterscheiden ist, die zeigte, daß Bestimmtheit nicht selbständig und unmittelbar ist. Selbst die Unmittelbarkeit ist in das Wesen integriert. Vollends aufhellen wird sich diese ungen (theoretische und praktische Vernunft, Notwendigkeit und Freiheit et cetera) nicht beruhigen kann.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Bewegung erst in der Bestimmung des Widerspruchs (vgl. hier besonders S. 207 f.), der im Verhältnis von Wesen und Schein noch verborgen tätig ist. Er wird verdeutlichen, wie die Vermittlung sich zur Unmittelbarkeit vermittelt. Das Sein transzendiert nicht das Wesen, es ist vielmehr die Bestimmtheit des Wesens, das, als was das Wesen ist, das selber weder ist noch nicht ist. Die Unmittelbarkeit des Seins ist mithin nicht – wie das Dasein – ein Erstes, mit dem angefangen wird, und das dann in seine Negation überginge. Sie ist kein seiendes Substrat, sondern sie ist nichts anderes als diese Bewegung (Hinausgehen und Rückkehr) des Wesens von sich zu sich selbst: Sein als Moment. Sein ist somit nicht unbegriffliches Gegebensein, sondern Gesetztsein als Bestimmtheit im Begriff des Wesens. Es ist also der Anfang (Sein), der dem angefangenen Ersten (Sosein) Raum gibt, selbst ein gesetzter Anfang (reflektierte Unmittelbarkeit). Nicht so, daß ihm irgendetwas voranginge, wie das Sein selbst dem Dasein vorangeht, sondern indem Sein überhaupt herausgegeben wird. Weil es herausgegeben ist, kann Sein überhaupt als Bestimmung fungieren. Daß Sein eine Bestimmung hat, war zwar schon im Anfang Bewegungsmoment, es fiel dort aber als ungeklärt auf, da nicht einzusehen war, woher das unbestimmt Unmittelbare eine Bestimmung tragen kann. Sein, das herausgegeben ist, ist vom gegebenen, unmittelbar angenommenen und bewußtlos evidenten Sein wohl zu unterscheiden: Das gegebene Sein ist der Bestimmung inkommensurabel, es fügt dem an sich Bestimmten nichts bestimmtes hinzu und weil es selbst nichts bestimmtes ist, deshalb kann es auch nicht begriffen werden, es geht in keinen Begriff ein. Rein gegebenes Sein ist bloßes Faktum, es bleibt unmittelbar und ist insofern, wie Kant sagt, »offenbar kein reales Prädikat« (KrV, A 598). Auch die Fortsetzung Kants findet in Hegels Bestimmung des Seins Bestätigung: »Es [das Sein] ist bloß die Position eines Dinges«. Eben seine Positionalität macht das Sein bei Hegel aber zu einem Moment des Wesens: Sein ist dann immer noch nicht etwas, was dem Wesen wie einem Seienden zu- oder abgesprochen werden kann. Gegen eine derartige Verwendung des Seins in bezug auf Gott wehrt sich die kantische Widerlegung des ontologischen Beweises vom Dasein Gottes zurecht. Die ›metaphysischen Gegenstände‹ Seele, Welt und Gott sind – wie das Wesen selbst – keine Daseienden, sie sind nicht ens, sondern es ist ihr Moment. Das Sein ist die Weise, wie sich das Wesen im Anfang dem Denken zu denken gibt, beziehungsweise wie das Denken mit sich beginnt. Damit ist Sein dem Wesen nicht äußerlich, insofern dem Wesen nämlich das Denken nicht äußerlich ist, sondern es ist ein Moment in der Bestimmung des Wesens, näherhin dasjenige Moment, in dem, beziehungsweise durch das es Bestimmtheit geben kann. Es ist klar, daß dabei nicht vom endlichen Denken
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eines Bewußtseins die Rede ist, das insgesamt nicht Thema der Logik ist. Diesem Bewußtsein begegnet als sein Erstes nicht das Sein, sondern immer schon ein Dasein, das der Anstoß seines Denkens ist. Das Denken, das im Sein mit sich beginnt, ist das unbedingte Denken der Vernunft. Das herausgegebene Sein ist nicht bloßes factum brutum wie das begriffstranszendente gegebene Sein, sondern es ist Sein im Zusammenhang des Wesens. Das reine Sein ist leer und Nichts. Das Sein als Moment hingegen ist Element der Geltung des Wesens, es ist sein Scheinen. Darin ist das Sein bestimmtes Sein, nämlich nicht Nichts, es ist als Negation; und es ist aufgegebenes Sein, Sein mit einer Aufgabe, d. i. mit der Bestimmung, Präsentation des Wesens19 zu sein. Sein ist deshalb immer aufzugeben, denn das Wesen bringt es nur im Übergang zur Geltung, so ist es Geltungsmoment des Wesens.20 Bleibt Sein hingegen bei sich, d. i. verharrt das Denken in der Unmittelbarkeit des Seins, 19
Als »Explikation des Wesens« bezeichnet Hegel das Sein in der Logik-Vorlesung von 1831: »Sein wird gewußt als Explikation des Wesens, es ist notwendig« und »was expliziert wird, ist das Wesen« (AV X, 135). 20 Die seinslogische Einsicht in die Instabilität der evidenten Präsentation motiviert auch die Kritik der Derridaschen Dekonstruktion und deren Interesse, dasjenige, was sie »Metaphysik der Präsenz« (1967: 41) nennt, zu ›verrätseln‹. Doch wird die instabile, verbergende Präsenz, die entgegen dem allgemeinen Glauben weit entfernt davon ist, zu sein, hier zu einer Spur der Spur und zu einer Spur der Auslöschung der Spur (1967: 48). Sie ist mithin nicht ein Verschwinden des Verschwindens, sondern das Verschwinden absolut, beziehungsweise die Spur als Nichts gesetzt. Das kommt auch in Derridas zentralem Begriff der »différance« zum Ausdruck, der die von der Identität getragene ›différence‹ ablösen soll und damit die (schlechthinnige) Unerfülltheit, die Aufschiebung jeder Vereinigung des Auseinandergefallenen bezeichnen soll. Die »différance« kennt keine Vergegenwärtigung. Dieser Gedanke könnte daraufhin befragt werden, ob so nicht wiederum diejenige angeblich unbefragbare und gewaltsame Präsenz behauptet wird, die gerade hinterfragt werden sollte, – nur daß sie diesmal tatsächlich als auskunftslos dargestellt wird. Theunissen (2001) klärt prägnant Unterbestimmungen und Hintergründe der Derridaschen Hegel-Kritik und ihren Aufbau auf Heideggers Verhältnis zur Dialektik Hegels, beiden gemeinsam ist die unzutreffende Ansicht, die absolute Negativität löse sich einfach ins affirmativ Positive auf, das die Endlichkeit des Endlichen leugne. Dagegen erkennt Hegel das Endliche gerade als Endliches mit all seiner Härte an. Hegel löst nicht das Endliche auf, sondern dessen Gegensatz zum Unendlichen, das ist alles andere als platte Affirmation. Hegel denkt die Endlichkeit in Wahrheit viel radikaler als Derrida es kann, denn Hegel konzipiert im Prinzip der Selbstunterscheidung den Untergang des endlichen (natürlichen) Bewußtseins (Phänomenologie des Geistes), statt es endlos weiterzuführen. Es gibt bei Hegel gar kein bloßes Affirmieren, Hegel zeigt vielmehr das, was gilt. Nur auf der Grundlage dieser Geltung kann es eine Geschichte der endlichen Wesen geben. Ohne daß diese in der Geltung als Anerkannte geborgen sind, wäre das, was Geschichte sein soll, nur der leere Mechanismus eines endlosen Fortlaufs von Zeugung und Sterben. In diesem Fortlauf könnte die Spur tatsächlich nur noch Spur einer Spur einer Spur … sein, sie wäre mithin auch keine Spur mehr. Die Endlichkeit wird aber in der Kritik an der vermeintlichen ›Anwesenheitsphilosophie‹ für endlos erklärt.
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dann denkt es eben Nichts. Sein ist dann nicht Moment und bleibt gänzlich leer. Es wird derart im Nichts unmittelbar negiert, der Unterschied von Sein und Nichts ist schlechthin unsagbar und somit ist Nichts auch nicht bestimmbar als Negation des Seins, denn dazu müßte das Nichts über eine vom Sein unterschiedene Identität verfügen. Wir sehen, dieses Denken ist eigentlich kein Denken, es ist unmöglich beziehungsweise nicht über sein eigenes Tun aufgeklärt und kann daher auch sich selbst nicht begreifen. Hegel ersetzt aus diesen Gründen Kants Rede vom Ding an sich durch diejenige vom »S chein an sich« (GW XI, 248). Das Ding an sich kennzeichnete in Kants Sicht eine doppelte Transzendenz, die sich aus der zweifachen Anlage der Kritik der reinen Vernunft als Erkenntnistheorie und als Metaphysik ergibt.21 Einerseits ist das Ding an sich im Blick auf die Erkenntnisfähigkeit des endlichen Bewußtseins, das auf die Erfahrbarkeit seiner Gegenstände angewiesen ist, bewußtseinsübersteigend: Da Erfahrung immer Erfahrung von etwas für etwas bedeutet, sich also auf Bestimmtes bezieht und von ihm ausgehend ein irgendwie selbst schon bestimmtes, positioniertes Sein betrifft, kann kein An-sich-Sein als solches erfahren und erkannt werden. Es wäre immer schon einbezogen in die (notwendige) Perspektive des betrachtenden Bewußtseins. Andererseits – dies ist der springende Punkt – wird das Ding an sich als überhaupt formtranszendent betrachtet, weil die alle mögliche Form setzende transzendentale Subjektivität (deren Teilhaber das endliche Bewußtsein ist) nur für uns gegebene Erscheinungen erfaßt und nicht das Erscheinende an sich konstituiert. Das reine Ansichsein, das im Bestimmungszusammenhang der Logik steht, ist hingegen nicht schlechthin transzendent, sondern es ist gesetztes Moment. Seine Transzendenz nennt Hegel – in der bei seinen Bezugnahmen auf Kant üblichen Ironie – »S chein an sich«: Die unbestimmte Unmittelbarkeit des Seins ist damit nicht als ein willkürlich behaupteter Irrtum dargestellt, das Sein ist keine Illusion. Daß es sich zunächst in Unmittelbarkeit zeigt, ist hingegen ein notwendiges Moment der Bestimmung der Wahrheit des Wesens. Aber das Ansichsein der Präsentation ist eben kein auf sich beharrendes Ding, sondern an sich übergängig und somit Moment des Wesens. Als eben dieser Schein des auf sich beharrenden, im Beharren aber übergängigen Seins, bleibt das Sein aber bestehen. Der Schein des Seins ist daher ein ›natürlicher Schein‹. Hegel dreht damit Kants Bestimmung des »transzendentalen Scheins« (KrV, B 350 ff.)
21
Daß Kant keine Entscheidung darüber trifft, ob die Kritik der reinen Vernunft Erkenntnistheorie oder Metaphysik ist (womit er eher entscheidet, daß sie beides ist), zeigt sich an der unentschiedenen Stellung des Dings an sich in Anbetracht der Frage, ob es in uns oder außer uns ist (KrV, B 345).
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um: Nicht die erfahrungsunabhängige Reflexion des Verstandes auf sich selbst erzeugt Urteile, die lediglich den Schein von Erkenntnissen tragen, sondern das Postulat eines reflexionsunabhängigen Seins und dessen Nichttranszendieren sind ein Schein; allerdings – darin stimmt Hegel mit Kant (KrV, B 354) überein – ein solcher, dessen sich die sich entwickelnde Vernunft nicht erwehren kann, da er »natürlich« (Kant) ist, was für Hegel heißt, daß er zum Wesen gehörig ist.
2.1.C Durch Rückkehr anfangen – Sein ist vermittelnde Mitte Vom Verlauf der Seinslogik her gesehen, legte es sich bislang nahe, die Bestimmungsstruktur als eine zweigliedrige zu lesen: Das als scheinbar Erstes auftretende Bestimmtsein ist in der Tat ein zweites, vom Wesen gesetztes Dasein. In der Zweigliedrigkeit wäre das Dasein allerdings eine unmittelbare Setzung des Wesens. Setzt aber das Wesen das Dasein nicht durch etwas, also in einem vermittelnden Moment, so ist Dasein gar nicht von ihm verschieden, denn vom Wesen kann es keine Teile o. ä. geben, die aus ihm herausgetrennt ein Anderes ergäben.22 Was das Unendliche setzt, kann nur Unendliches, d. i. es selbst, sein. Weil das Verschiedensein aber in zweifacher Weise das Dasein ausmacht – Dasein ist anders als anderes Dasein und (nicht-beständig) anders als das Wesen –, so wäre folglich gar kein Dasein gesetzt und mithin gäbe es auch kein setzendes Wesen. Die zweigliedrige Struktur ließe Wesen und Dasein gleichermaßen unmöglich werden. Mit der Moment-werdung des Seins ergibt sich allerdings eine dreigliedrige Bestimmungsstruktur. Das Wesen ist nicht unmittelbar Dasein. So sind Dasein und Sein Unmittelbarkeiten, die nur »vermittels [ihrer] Negation« (GW XI, 246) sind: Vor dem angefangenen Ersten steht der anfangende Anfang im Sein, insofern es vom Wesen in seiner doppelten Negation herausgegeben wird (vgl. hier S. 158 f.). Das Wesen selber ist weder noch ist es nicht – es ist epekeina des Seins – und kann entsprechend nicht als ein Erstes figurieren. Das unendliche, nämlich vollkommen bestimmte Wesen setzt so ein ebenso unendliches, nämlich nur sich selbst gleiches, unbestimmtes Sein, das ebenfalls selbst nicht ist. Sein ist aber Bestimmbares, in dem und durch das Seiendes sein kann. Bildet man daraus eine logische Ordnungsfolge, die allerdings die falsche Vorstellung einer statischen Hintereinanderreihung ausgehend von einem fixen Ersten mit sich bringt, welche Vorstellung der 22
Die Unmöglichkeit einer derartigen Konstruktion zeigt sich schon durch die Metaphorik zu der hier Zuflucht genommen würde.
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Wesensbegriff ja gerade ablösen will (GW XI, 249 f.), dann ergibt sich sowohl in der wesenhaften Betrachtung (Wesen > Sein > Erstes/Dasein), wie auch in der Ordnung des Scheins (Erstes/Dasein > Sein > Wesen), daß das Sein die Mitte bildet. Es ist die Vermittlung von Wesen und Bestimmtem. Damit haben wir auch den »Satz des Wesens vom Dasein« geklärt: »Das Dasein ist nur Gesetztsein« (GW XI, 255 f.). Das ist nur in der Dreigliedrigkeit möglich: Dasein ist Gesetztsein durch das Wesen in der vermittelnden Mitte, die das Sein ist. Als Gesetztsein ist das Dasein das, was es an sich ist: Es ist nicht selbständig Bestimmtes, sondern ein Negatives, und so ist es immer schon ein auf die »Rückkehr« bezogenes. In dieser logischen Folge hat das Sein keineswegs seine Bedeutung verändert, es bleibt weiterhin die reine Präsentation, es erhält allerdings eine andere Stelle als im Anfang, wo es an ihm selbst betrachtet wurde: Es ist gesetzt im Zusammenhang der Selbstbestimmung des Wesens.23 Während das isoliert genommene Sein einfach Nichts war, ist Sein im Zusammenhang das Bestimmbare. Insofern Sein selbst zu diesem Zusammenhang ›fort‹-geschritten war, stellt sich heraus, daß die Betrachtung von Sein als isoliert an sich seiend die Folge einer Entscheidung ist. Das Denken nimmt diesem Sein gegenüber eine Position ein, diese Positionierung wird allerdings erst vom Wesen her durchsichtig, sie ist eine bestimmte Betrachtungsweise. Als Reflex dieser Betrachtungsweise blieb das an sich betrachtete Sein nicht, was es war: Was dort als an sich bestehend betrachtet wurde, verbarg immer zunächst, daß es nur als das Andere seiner selbst ist, was es ist. Dieses Verbergen ist Strukturmoment der vom Denken eingenommenen Position, – einer Position, die das reine Denken, wie wir zu Anfang gesehen hatten, nicht ebensogut nicht einnehmen kann, denn das Denken kann nichts überspringen. Wenn die Korrelation des gedachten Inhalts und der Position des Denkens eingesehen ist, dann wird vom logischen Inhalt »Sein« nicht mehr so zu reden sein, wie zuvor. Sein ist Moment geworden. Damit bleibt die Bewegung der Seinslogik in allen Zügen gültig. Sein verändert aber seine Stellung radikal, es ist nicht mehr unmittelbar an sich und es ist auch nicht Ursprung oder Quell, sondern Sein ist von der
23
Das war bereits eingangs des ersten Abschnitts der Seinslogik angedeutet. Hegel schreibt dort vom Sein: »[E]s ist frei von der ersten Bestimmtheit gegen das Wesen und von der zweiten innerhalb seiner.« (GW XI, 43). Was Henrich (1978: 248 f.) als »Bedeutungsverschiebung« der einfachen Unmittelbarkeit des Seins hin zur reflektierten Unmittelbarkeit des Scheins im Wesen tituliert, ist also zumindest mißverständlich ausgedrückt. Sein bleibt dasselbe wie zu Anfang, es wird allerdings in einen Kontext eingeordnet, wodurch es seine Bedeutung unter Beibehaltung der Geschichte seines Scheins verändert; vgl. auch die Kritik an Begriff und Sichtweise von Henrich bei Haas (2003: 55), Wandschneider (1994: 151 f.) und Fink-Eitel (1978: 236).
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Reflexion des Wesens vermitteltes Gesetztsein. Es ist Sein im Zusammenhang des Wesens. Wir sehen hierin auch den Erweis, daß diese Logik Sein und Denken nicht trennt: Sein und Denken wären getrennt, wenn Sein das sich unmittelbar Zeigende, Denken aber Vermittlung ist. Es zeigte sich aber, daß das Sein Korrelat einer Struktur ist, es hat deshalb keine Selbständigkeit. Die Selbständigkeit soll aber das sein, was sich unmittelbar zeigt und somit verhindert, daß das Sein Moment ist. Die Momenthaftigkeit des Seins zeigt schon der Übergang von Sein zu Nichts, von dem unmittelbar sich Darbietenden wird gezeigt, daß es voraus-gesetzt ist. Das Hinausgehen des Wesens aus sich, das auf die Rückkehr nicht nur bezogen ist, sondern nur in ihr ist, ist nicht durch Anderes angestoßen, sondern erfolgt aus sich. Das Wesen selbst hat keinen Anfang, sondern es gibt den Anfang; darin besteht die Bewegung des Wesens, die Hegel als die »Reflexion« (GW XI, 249) bezeichnet. Genauer ist die Reflexion »die Bewegung, die, indem sie die Rückkehr ist, erst darin das ist, das anfängt oder das zurückkehrt« (GW XI, 251). Sie ist also Selbstbewegung. Daß das Wesen die Reflexion nicht hat, sondern nichts als die in der Reflexion vollzogene Bewegung ist, zeigt, wie die (spekulativ zu nennende) Einheit von Genese und Resultat zu denken sei: Das Wesen ist immer schon, in allen Phasen seiner Entwicklung, es selbst. Es kann und braucht nicht erst von einem anderen Standpunkt aus erlangt werden. Die Identität des Bestimmtseins liegt in seiner Bewegung, d. i. in seiner Reflexion. Dasjenige zu sein, was etwas ist, war nicht nur Bestimmung des Wahrseins, sondern zugleich strikteste Form von Identität. Worin liegt nun der logische Fortschritt durch die Bestimmung der Reflexion, da das Wahrsein ja bereits am Ende der Seinslogik begegnete? Dazu sei an die Weise der Bewahrheitung des Seienden erinnert: Indem es übergängig und als Endliches endlich war, ging es in sein Wesen ein, das sich in und als Aufgabe (Abscheidung) der Position der Unmittelbarkeit zeigte. Von dieser Aufgabe ist die Reflexion unterschieden. Sie ist jene Bewegung, die Etwas als Etwas bestimmt. Darin liegt, daß Etwas (als es24) selbst noch gar nicht ist, sondern erst indem es als etwas bestimmt wird. Das Etwas als solches verschwindet, während es als etwas doch erst ist. Aber die Seinslogik zeigte, daß Etwas auch als Etwas noch nicht beständig ist; seine Bestimmung ist vielmehr wiederum Grund für den Übergang, denn Etwas kann nicht bleiben, als was es ist. Das Verhältnis des Etwas als Etwas hat in der Zweiwertigkeit keinen Bestand, es ist ja auch nicht an sich, sondern – wie bereits angeklungen war – 24
Die Universalität der Reflexion für das Denken zeigt sich deutlich an der Unumgänglichkeit der Verwendung des reflektiven Als auch für ein Etwas, das wir als nichtreflektiertes in den Blick bekommen wollen.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
für etwas. Dafür, in der dreiwertigen Relation, ist das bestimmte Etwas, in ihr hat es Geltung erlangt. Aus seinslogischer Perspektive war die Unmittelbarkeit verschieden, denn nur im Übergang zum wahren Wesen hin erlangte sie Geltung. Daraus ergab sich auch das die Lehre vom Wesen eröffnende Verständnis von Wesentlichem (Resultat) und Unwesentlichem (Genese) als einander anderer, womit Sein und Wesen gleichermaßen verfehlt werden. Nun ist die Selbstbewegung der Reflexion nicht lediglich eine mehr oder weniger diffuse Bewegtheit von allem, sondern sie ist eine Bewegung, die setzt: Sie setzt Etwas als Etwas. Was besagt dieses Setzen? Das Setzen macht die einfache Abscheidung des ersten unmittelbaren Etwas von seinem Alsetwas-Sein gewissermaßen rückgängig. Indem die Reflexion das Etwas1 als Etwas2 bestimmt, verwahrt sie beide: das an sich leere Etwas1, und dessen Bestimmung in dem, als was es ist, das Etwas2. Die Bestimmung von Etwas als Etwas verbunden mit der daraus folgenden Endlichkeit dieses Bestimmten war dessen Bewahrheitung. Darin artikulierte sich ein inhaltliches Wahres. Nun werden wir in diesem reflexiven Verwahren von Etwas1 als Etwas2 die noch ausstehende formale Bestimmung der Wahrheit zu suchen haben. – Diese Bestimmung verläuft aber weder deduktiv noch induktiv, beziehungsweise sie funktioniert als ›de-induktive‹ Bestimmung: Etwas1 ist nicht ein Allgemeines, das sich in seine Arten differenziert, denn es ist ja an sich gar nicht, entsprechend ist es auch kein Einzelnes, dem ein allgemeines Prädikat zugesprochen würde. Doch gilt zugleich, daß ohne Etwas1 auch kein Etwas2, in welchem aber Etwas1 erst sein Bestehen hat. Wo etwas zwei Seiten hat, da gibt es zwei Möglichkeiten zu einseitigem Verständnis: Nämlich in der setzenden Reflexion, die lediglich auf die Bedeutung von Etwas2 abhebt, hier ist das Wesen die ganze Beziehung und der Schein lediglich Moment. Zudem in der äußeren Reflexion, die lediglich die Präsentation von Etwas1 bedenkt, woran dann alles Bestimmen als ein äußeres Beiherspielen erscheint, der Schein scheint die ganze Beziehung zu sein und das Wesen ist lediglich dessen Moment.25 Die äußere Reflexion ist Reflex eines Datums, von dem nur gesagt werden kann, daß es ist, während alle Qualifizierung als lediglich gesetzte nur subjektive Reflexion sein kann (Kant). Beide Reflexionsverhältnisse sind asymmetrisch. Mit Hegels Worten gesprochen, geht die erste Reflexionsform vom Nichts aus und beharrt auf der Relativität des Bestimmten. Die Formtätigkeit der Reflexion formt nicht ein Anderes, sondern nur sich selbst. Die zweite Reflexionsform geht hinge25
Die äußere Reflexion begründet auch das positivistische Verständnis, wonach die wissenschaftlich-begriffliche Rekonstruktion auf den an sich bestimmten Gegenstand nicht bestimmend bezogen ist, sondern ihn nur von außen nachzeichnet.
2.1 Von der Negation zur Negativität
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gen vom Sein und dessen Selbständigkeit aus, von dem seine Form geschieden ist (sie beläßt das Sein als solches und nimmt es substantiell; GW XI, 255, Enz. § 114A).26 Die wirkliche Reflexion hingegen geht aus von einem, das erst ist, indem sie es als etwas setzt, sie reflektiert mithin nicht über etwas fix-fertiges. Indem es als etwas gesetzt wird, ist es aber gültig, d. i. selbständig und wahr für das Setzen. Form und Sein sind in ihr vereint, die »bestimmende Reflexion« umgreift Reflexion und Reflektiertes. Das seinslogische Konzept des Übergangs von einander anderen Bestimmungen ineinander trifft daher das Wesen der Reflexion nicht mehr. Sie ist vielmehr ein zweifaches Zusammengehen: Zum einen ist es deduktiv in der Spezifikation des leeren, allgemeinen Etwas1 als Etwas2. Zum anderen ist es induktiv, insofern Etwas1 auf dem Weg der Bestimmung durch das reflektive Als zu einem Fall von Etwas2 und so als ein Einzelnes gesetzt wird. Die Reflexion ist ein »Übergehen als Aufheben des Übergehens« (GW XI, 250), in ihr geht Etwas1 nicht mehr unmittelbar über in Etwas2 als in ein gegenüber der behaupteten Selbständigkeit von Etwas1 Anderes, in welchem es vergessen wäre; das Sein von Etwas1 verschwindet nicht in seiner Form als Etwas. Etwas1 ist vielmehr selbstanders, Etwas2 ist also seine Negation, die ihm gleich ist. Im Verhältnis der Gleichheit gibt es aber keinen Übergang mehr, der vom Einen zum Anderen stattfindet, vielmehr bildet Etwas1 als Etwas2 eine reflektive Synthese. Die Spezifikation verfährt analytisch, da sie nur zu Begriffen gelangt, die in Etwas1 liegen, sie verfährt aber ebenso synthetisch, da sie das Etwas1 im Etwas2 mit einer anderen Bestimmung verbindet, wodurch Etwas1 als Zusammengesetztes bestimmt wird. Die Spezifikation ist eine Folge von immanentem Synthetisieren (GW XXI, 83), das dem Bestimmten nicht von außen übergestülpt wird, da es den Unterschied, den es vereint, selbst erst hervorbringt. Dies gilt sowohl für die deduktive, als auch für die induktive Bestimmungsrichtung. Die Synthesis ist also nicht nachträgliches Zusammenfügen von getrennt Vorliegendem, sondern »das jedem nachträglichen Verbinden vorgängige ursprüngliche Zusammen« (Haas 2003: 107), – Synthesis a priori. Wo diese Synthese besteht? Sie hat ihren Ort in der Reflexion, die Etwas1 als Etwas2 festhält. Damit ist die Synthese nicht wiederum einfach oder ›auf höherer Ebene‹ vorliegend, sondern sie ist die Bestimmungsbewegung des Etwas selbst. Das so bestimmte Etwas1 ist weder nur ein besonderer 26
In bezug auf den Anfang der Wissenschaft der Logik könnte auch gesagt werden, daß die setzende Reflexion keinen Anfang kennt, aber dennoch etwas bestimmen will, während die äußere Reflexion nichts kennt, daß anfängt, aber dennoch einen vom äußerlichen Bestimmen unterschiedenen Anfang festhalten will. Setzende und äußere Reflexion zeigen sich darin als Versuche, Bestimmung in Unmittelbarkeit zu denken, da sie kein Vermitteltes, beziehungsweise kein Vermitteln denken.
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Fall von einem an sich seienden Allgemeinen noch ist es selbst lediglich ein abstrakt Allgemeines, das erst in Einzelnem konkretisiert und realisiert werden müsste. Entgegen diesen abstrakten Bestimmungsweisen ist das Etwas hier innerlich bestimmt. Auf die Bestimmungen der Lehre vom Begriff vorgreifend kann es als beseelt angesehen werden. Das auf dem Wege immanenter Synthese konkretisierte Bestimmtsein ist Identität, da es sich in seinem Negieren gleich ist, und diese Identität ist einzig, denn sie ist abgetrennt für sich (vgl. Aristoteles, Metaphysik VII 15, 1040a 8 f.). Sie ist an und für sich oder bestimmend Bestimmtes, das aber ist der Begriff der Individualität oder das Ich. Hegels eigentümliche Leistung ist es, daß er diesen Begriff nicht als intellektuelle Anschauung postuliert oder thetisch voraussetzt (wie Schelling und Fichte), sondern ableitet. Die Reflexionsbestimmungen werden diesen Begriff entfalten und der Begriff des Begriffs wird schließlich seine Konkretion im Einzelnen zeigen. Für den erreichten Begriff des Wesens ist es essentiell, ihn nun nicht zu einer abstrakten Allgemeinheit verkommen zu lassen, deren Einheit ohne jeden Inhalt und lediglich formell (einerlei) statt formierend ist. Hegel konzipiert die Reflexion des Wesens nicht als Tätigkeit des endlichen erkennenden Subjekts bezüglich einer gegebenen Sache, sondern als Selbstbewegung der logischen Sache, d. i. der Bestimmung. Es gilt, daß nicht das Ich über etwas reflektiert, sondern daß die Reflexion das Ich und sein Etwas setzt. Etwas wird als Etwas bestimmt, nicht im Übergang, sondern in einem Setzen, welches Etwas1 ebenso wie Etwas2 in einer Synthese ›enthält‹, die wir als das Wahre bestimmt haben. Die solcherart inhaltlich bestimmende Reflexion, die vom äußerlichen Nachdenken über vorgegebene Inhalte unterschieden ist, beansprucht damit drei verschiedene Tätigkeiten: (i) Indem sie ein Zusammengehen ist, identifiziert sie. (ii) Indem das durch die Reflexion Synthetisierte etwas Bestimmtes ist, unterscheidet sie, denn Etwas ist nicht an sich, sondern als Etwas. (iii) Schließlich, indem die Reflexion sich im »absoluten Gegenstoß« konstituiert und als Negativität selbst ihr eigener Anfang ist, setzt sie sich sich selbst entgegen, denn die Reflexion setzt ein Gesetztsein (d. i. ein Anderes), das »Reflexion in sich« (GW XI, 257), d. i. selbstgleich und nicht anders ist. So wird letztlich bereits der Überstieg über die Reflexion grundgelegt. Damit wurden Identität, Unterschied und Gegensatz beansprucht, sie sind die Bestimmungen der Reflexion selbst in ihrem Bezug auf die Beziehung von Bestimmungen. Weil die Bestimmung selbst – im Übergang, der die Aufhebung des Konzepts des Übergehens war – in die Reflexion übergegangen ist, werden Identität, Unterschied und Gegensatz nicht als »Reflexionsbegriffe«, d. i. als subjektive Vergleichungsbegriffe unserer Reflexion, sondern
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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als objektive »Reflexionsbestimmungen« (GW XI, 256) betrachtet.27 Sie sind das Organon der Reflexion.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch – Ausfaltung des Wesens und Formalität der Wahrheit 2.2.A Identität Der Reflexion eignet eine zweifache Bewegung, sie ist Hinausgehen und Rückkehr, Setzen eines Seins und gedankliches Reflektieren dieses Gesetzten. Bei den Reflexionsbestimmungen sind wir daher – wie in der gesamten Logik – im Bereich des reinen Denkens. Die Reflexionsbestimmungen bestimmen die Art und Weise der Spiegelung von Denken und Sein. In der doppelten Bewegung der Reflexion liegt, daß sie ein Setzen ist, wodurch das Gesetzte nicht in einfacher Abhängigkeit von seinem Gesetztwerden steht, sondern selber ein Sein, d. i. unmittelbar und im Rahmen der Möglichkeit des Seins selbständig ist. Die Reflexionsbestimmungen haben daher ebenfalls eine doppelte Funktion: Sie sind zum einen Bestimmungen von einem, das somit in seinem bestimmten Wassein nichts anderes ist als eben die Bestimmung, zum anderen bestimmt die Reflexion damit eines, das als 27
Wolff (1981: 139 ff., insbes. 167) erläutert angesichts des Hegelschen Begriffs der »Reflexionsbestimmung« den sich hier zeigenden Unterschied zu Kant, den Hegel selbst bereits in einer Anmerkung zum Begriff der äußeren Reflexion herausstellt (GW XI, 254 f.; vgl. auch die Bemerkungen bei Haas 2003: 106 f.). Dieser Unterschied ist im wesentlichen der, daß der Inhalt der Reflexion im Sinne Hegels nicht gegeben ist. Die Reflexion im Sinne der Hegelschen Logik hat nicht Objekte, sie objektiviert sich. Im Unterschied dazu gilt für Kant, daß der wirkliche Inhalt (das gegebene Material) in seiner noch unbegriffenen Unterschiedenheit den Begriffen der Ermöglichung von Inhalt für uns ›vorangeht‹, beziehungsweise unabhängig davon ist. Reflexion ist »das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis unter einander richtig bestimmt werden kann.« (KrV, B 316) Kant verbleibt gewissermaßen in der äußeren (nicht inhaltsgenerierenden) Reflexion, deshalb treibt ihn auch das Problem der Entzweiung (beziehungsweise der Vereinigung) von subjektiver Vernünftigkeit und gegenständlicher Wirklichkeit um (das die Kritik der Urteilskraft lösen soll). Im theoretischen Verstand produziert die Einbildungskraft die Synthesis, deren Grund liegt aber in der Anschauung. Die Synthesis liegt nicht in den Gegenständen, sie ist »unter allen Vorstellungen […] die einzige […], die nicht durch Objekte gegeben« (KrV B 130) ist. Das heißt, der mannigfaltige Unterschied ist sehr wohl gegeben, nicht vom Subjekt hervorgebracht (darauf macht Rohs 1969: 76 ff. aufmerksam), dessen Reflexion daher äußerliche Reflexion von getrennt Vorliegendem ist. Die immanente Synthese, die Hegel konzipiert, bringt hingegen den Unterschied, den sie vereinigt, überhaupt erst hervor.
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Bestimmtes zwar das Objekt der Bestimmung, aber zugleich an sich gleichgültig gegen dieses bestimmte Objekt-Sein ist. Es wird damit zum Ausdruck kommen, was die zentrale Schwierigkeit der Lehre vom Wesen ist, nämlich daß sie »die Sphäre des gesetzten Widerspruches« (Enz. (1830) § 114) ist: Im Sein trieb der Widerspruch dazu an, widersprechende Bestimmungen im Übergang zu synthetischer Identifikation in einem Dritten fortzuführen (also Sein und Nichts zum Werden, Ansichsein und Sein-für-Anderes zum Etwas). Dieses Dritte, das – wie das Werden – eigentlich in sich den Widerspruch barg, setzte sich aber nicht selber, es reproduzierte sich nicht. Daher verschwand es wieder in einem ruhigen Einfachen, einer neuen unmittelbaren Kategorie. Auf diese Weise entgingen wir der Konstatierung des Widerspruchs trotz seiner Anwesenheit als Bewegungsmoment.28 Schließlich bot sich nach dem Verschwinden ihrer Genese die neue Kategorie nicht als gesetzte und vermittelte, sondern unmittelbar einfach dar, so wie das Sosein aus dem Werden. Zum gesetzten Widerspruch gelangen wir, wenn eines als es selbst das Andere ist und darin gilt. Wo etwas einfach in sein Anderes übergeht und darin verschwindet, dort liegt noch kein Widerspruch vor. Nur was überhaupt nicht ›einfach‹, sondern vermittelt ist, kann einen Widerspruch in sich bergen. Einem derartigen widerfährt der Widerspruch nicht einfach, sondern es ist gültiger Ausdruck des Widerspruchs indem es sich im Widerspruch reproduziert. Wenn die Vermittlung, die zur strikten Identität der Selbstandersheit führt, ein gesetzter Widerspruch ist, dann gehört der Widerspruch also zur Wahrheit als deren Konstitutionsbedingung hinzu (dazu im Folgenden). Zum inhaltlichen Moment der Wahrheit, dem sich selbst angleichenden/angeglichenen Wahren, wird der Widerspruch als das formale Moment der Wahrheit hinzutreten und die Vollzugsweise der Selbstangleichung begreifen. Als die Wahrheit des Seins ist das Wesen zuallererst Identität, es ist »die Gleichheit des Sich-Anderen mit sich selbst« (Haas 2003: 101 f.). Die Wahrheit einer Sache ist nie ein Anderes als eben diese Sache, Sache und Wahrheit sind ungetrennt. Sie ist aber zugleich nicht dasselbe wie deren pure Faktizität, sonst wäre die Wahrheit des Seins lediglich ›das Sein‹, die Wahrheit wäre somit unmittelbar, beziehungsweise bloß nichtssagende Tautologie. Die mit der Sache identische Wahrheit ist vielmehr das, woraufhin die vorliegende Sache im Denken Durchsicht gewährt.29 Die Identität des Wesens 28
Hier ist daran zu erinnern, daß Nichts noch keinen Widerspruch zum Sein darstellt, denn der Widerspruch besteht erst in der Identifikation kontradiktorischer Bestimmungen, nicht bereits in deren Wechsel. 29 Daß die Sache die Durchsicht auch verstellen kann, wenn sie in ihrem bloßen Vorliegen Anerkennung verlangt, ist davon unberührt. Da die bestimmte Sache immer eine
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ist also nicht einerlei (Faktizität) und ebenso nicht abstrakte Identität, die durch Weglassung der Bestimmtheit dessen, was in ihr begriffen werden soll, zustande gekommen ist. Sie ist Einheit der Reflexion, das heißt, sie ist sich hervorbringende, nicht vorliegende Einheit der Negativität: Die sich herstellende Negativität/Identität ist nicht einfach irgendeines, das unterschiedslos alles ist (d. i. die Eins der Quantität), sondern wohl unterschieden, jedoch nicht von Anderem, sondern in sich. Unterschieden von Anderem wäre sie zugleich von diesem bestimmt, wonach sie nicht mehr strenge Identität und nicht mehr selber das Wahre wäre, denn sie hätte dann ihre Wahrheit in einem anderen. Wahre Identität ist »mit sich identischer Unterschied« (GW XI, 262), sie unterscheidet eines, das nicht anders ist als sie selbst. Indem ihr Unterscheiden das Nichtsein eines Anderen ist, hebt sie eben diesen Unterschied auf, denn der galt ja eben vom Anderen, das aber nicht ist. Durch ihr Sich-unterscheiden wird die Identität nicht eine andere, es ist ihr Aufheben der eigenen Unmittelbarkeit in sich (nicht zu einem Anderen hin, in das sie übergeht). Die Identität ist mithin als sie selbst nichtidentisch. Sie ist nicht unterschieden, sondern sie unterscheidet und damit ist sie dem Unterschied als sie selbst entgegengesetzt (d. i. einfache Gleichheit mit sich), ohne dabei in das Verhältnis des Andersseins einzutreten. Sie hebt das Andere auf und setzt damit die einfache Gleichheit als ihr Moment. Das ist die »Rückkehr«, die ihren Anfang als voraus-gesetzten offenbart. Das heißt, die vollkommene Identität trägt in sich das Moment der Identität, das dem Unterschied entgegengesetzt ist (ihn von sich unterscheidet). Sie ist Ganzes und eigenes Moment (d. i. Identität = Identität + Unterschied). Die Tatsache, daß das Ganze Moment ist, ist an sich nicht überraschend, denn damit wird lediglich die Lehre des Seins erinnert, wonach etwas seine Bestimmung nur erfüllt, wenn es zum Moment wird, also nicht an sich bestehen bleibt. Ein Ganzes, das wie das unmittelbare Sein des Anfangs an sich beständig und nicht Moment wäre, würde doch im Übergang zum Moment werden, es bliebe mithin nicht das Ganze. Das wahre, nämlich sich durchhaltende Ganze ist dagegen bereits sein eigenes Moment und kann nur so in der Wahrheit bleiben.30 Dies hat jedoch noch eine weitere unerwartete Folge: Weil Identität nur als durchgängige Identität funktioniert, bleibt sie nicht einfach. Sie teilt sich endliche ist, kann sie sich des Eingangs in ihre Wahrheit nicht auf ewig erwehren; das Unwahre ist unerreichbar und nicht bleibend. 30 An diesem Sachverhalt gründet sich Hegels Satz: »Das Wahre ist das Ganze.« (GW IX, 19). Das Wahre ist also nicht ein Ganzes, eines, das anderes ausschlösse oder einen Gegensatz hat. Vgl. zu diesem Satz und zu seiner Umkehrung bei Adorno die Bemerkungen bei Uehlein (1998: 224 ff.).
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auf und wird zur Identität von Identischen. Das einfache Wesen der Identität setzt somit aus sich heraus einen Plural (den potentiellen Zerfall der Identität, dazu im Folgenden); so wie das Sein als es selbst nicht reines Sein bleiben konnte, sondern umschlug zu Soseiendem, das aber immer die Soseienden bedeutet (wäre nur ein Sosein, so wäre es das Sein). Der Unterschied zum Umschlagen des Seins liegt darin, daß sich die Identität in ihrer Aufteilung nicht verliert. Hegel schreibt daher von der Identität: »So als ihr Moment ist sie erst die Identität als solche als B estimmung der einfachen Gleichheit mit sich selbst, gegen den absoluten Unterschied.« Die Identität des Wesens geht durch den Unterschied hindurch und integriert ihn damit. Sie ist nicht unbewegt und ist in ihrer Bewegung in sich reflektierter, d. i. absoluter Unterschied. Das ist die Bedeutung der reflektierten Identität. Für das Problem der Wahrheitsbestimmung heißt das: Die Wahrheit, die die Identität ist, funktioniert/ zeigt sich nur als Wahrheit, indem sie sich gegen die Unwahrheit unterscheidet. Dies ist der erste Unterschied der Wahrheit und er steht nicht außerhalb ihrer, als ein quasi-substantielles Unwahres, unterschieden aber unverbindbar mit dem Wahren, sondern Unterschied und Unwahres sind als Moment der Wahrheit untrennbar von deren Identität. Dieses Moment gehört zum Begriff der Wahrheit, an diesem Unterscheiden/ Unterschied zeigt sich ihre Bestimmung, vermittelte Selbstgleichheit zu sein. Sie ist also identisch und unterschieden, aber als sie selbst und von ihr selbst. Die Identität besitzt eine wesentliche Härte entgegen der gewöhnlichen Vorstellung, wonach sie das Schlichteste und geradezu Selbstverständliche ist. Dieses ist der Vorstellung gemäß nur gegen anders Anderes abzusetzen, daher glaubt man, Identität nur in der Differenz haben zu können und läßt das Identische in solcher Differenzbestimmung liegen. Diese muß aber an und für sich sein, soll sie solch einen Differenzierungsgang des Identischen gegen das anders Andere ermöglichen.31
2.2.B Unterschied – die Reflexion Weil Identität nicht Einerleiheit, sondern wesentlich Identität im Durchgang durch den Unterschied ist, deshalb ist der Unterschied, der nicht mehr der unreflektierte von anders Anderem ist, »wesentliches Moment der Identität 31
Das gleiche Problem zeigen übrigens die megistai gen bei Platon auf: Jede Idee ist sie selbst und verschieden, bewegt und ruhend und Sein. Sie bringt sich selbst zur Erscheinung und unterscheidet sich: Sie bewegt sich und ruht in sich. Ihre Selbigkeit hat sie weder von Anderem, noch bloß faktisch, sondern sie bestimmt sich und bestimmt somit als Selbiges auch Anderes. Sie ist selbst verschieden von anderem Selbig-Verschiedenem.
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selbst« (GW XI, 265). Die Reflexion sagt ein Identisches (das Wesen) vom Unterschiedenen (dem Schein). Dabei ist weder der Unterschied, noch dessen wahre Identität uneinholbare Voraussetzung. Beide sind gleichermaßen reflektierte Bestimmungen: So räumt Hegel die Frage aus, wie, wo Eines ist, Vieles sein kann, beziehungsweise, wie Vieles zu Einem (d. i. Gewußtem, Bleibendem) werden kann. Wo weder Einheit noch Unterschied vorausgesetzt werden, da beides Beziehungsbegriffe sind, da macht weder die Frage nach einer Rang- oder Reihenfolge noch diejenige nach der Möglichkeit des Über- und Hervorgangs Sinn. Vielmehr zeigt Hegel, daß es hier gar keinen Übergang im eigentlichen Sinne gibt, denn dieser bewegt sich immer vom einen zum Anderen. Identität und Differenz aber sind konditional aufeinander bezogen. »Das Bestimmen und Bestimmtwerden ist nicht ein Übergehen, noch äußerliche Veränderung, noch ein Her vor treten der Bestimmungen an ihr [der Einheit der Indifferenz], sondern ihr eigenes Beziehen auf sich, das die Negativität ihrer selbst, ihres Ansichseins ist.« (GW XXI, 382)32 So ist auch »der Unterschied des Wesens« (GW XI, 266) nicht qua eines (unbezogenen) anders Anderen, sondern in sich unterschieden: Der Unterschied von A und Nicht-A besteht im reinen Anderssein nicht (das nämlich ist gar nicht anders, sondern Nichts und somit nicht mehr Gegenstand der wesenslogischen Untersuchung). Der Unterschied besteht vielmehr im identischen Nicht von A und Nicht-A, es ist derselbe »Bestimmungsgrund«, der die beiden trennt. Zwei sind immer unterschieden ›in einem‹ (tertium comparationis). Ein nur äußerlicher Unterschied wäre gar kein Unterschied, denn er wäre für das, was er unterscheiden soll, bedeutungslos. Der von äußerlicher Reflexion konstatierte äußerliche Unterschied ist das bloße Übergehen einer Bestimmtheit in die andere, – ein Verhältnis abstrakter Negation. Das identische Nicht hingegen ist von A und Nicht-A nicht getrennt oder unterschieden, es ist das identische Nicht beider, ihre sie hervorbringende Beziehung. Der identische Unterschied unterscheidet sich nicht von anders Anderem, sondern nur von sich. Dies ist die reflexionslogische Negativität. Als derart unterschieden (als Negation) von sich (der Negation von Identität) ist der Unterschied sein Anderes: Identität. Der Unterschied ist ein Sich-von-sich-Unterscheiden, er ist das Ganze, und darin ist er unterschieden von der Identität, er ist sein Moment (d. i. Unterschied = Unterschied + Identität). Wird der Unterschied nicht zugleich als sein eigenes Moment gedacht, ist er unvollständig gedacht. Auch hier gilt, daß etwas, 32
Damit ist auch Schellings Aufgabe, aus absoluter Indifferenz konkrete Differenz zu entwickeln (vgl. hier S. 332 f.) ausgeräumt. Hegel nimmt damit auch die Kritik Jacobis auf (GW XXI, 82 ff.).
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um seine Bestimmung zu erfüllen, Moment werden muß. Nur das Ganze, das sein eigenes Moment ist, wird wirkliches, in sich bestimmtes Ganzes. Schon jetzt ist absehbar, daß es von diesem Ganzen letztlich nicht mehrere geben wird. Das Ganze, das sich durch seine Unterscheidung mit sich zusammenschließt und zum System wird, ist schließlich das eine Wahre, die eine Idee. Die für Identität und Differenz gemeinsame Grundstruktur der wirklichen Bestimmung, Ganzes und eigenes Moment zu sein, nennt Hegel die wesentliche Natur von Reflexion und Selbstbewegung, sie ist »bestimmter Urgr und aller Tätigkeit«. Weil jedes Tätigsein im Unterschied zum bloßen Bewegtwerden aus sich selbst erfolgt, dabei aber wogegen gerichtet sein muß, kann es nicht einfach in sich bleiben, sondern ist von der Struktur des Hinausgehens. Damit macht es sich aber zum Moment, denn es ist unterschieden von dem, wogegen es wirkt. Im Lichte der Verwandtschaft von Reflexion und Selbstbewegung rückt erstere aus der Position eines bloßen Nachvollzugs von fix-fertig Gegebenem heraus. Die Reflexion ist selbst Tätigkeit, spontan und nicht rezeptiv, es sei denn gegen sich selbst. Die Reflexion, die notwendigerweise »absoluter Gegenstoß« in sich ist, hat sich nie selbst. Darin jedoch, daß das, wohinein die Tätigkeit wirkt, nur durch dieses Hinausgehen vorhanden ist, in welchem es gehalten und durch dessen Unterschied es bestimmt ist, ist es dort nicht bei einem einfach Anderen, sondern bei sich selbst, zu sich zurückgekehrt. Die Reflexion entfaltet sich in einer Relation: Identität und Unterschied sind ungetrennt zwei, damit ist sowohl die Formulierung der Identität von Identität und Differenz, wie jene der Differenz von Identität und Differenz einseitig und unpassend. Beide – oft auf Hegel angewandten – Formulierungen vermögen nicht die Bewegung des Verhältnisses, deren eigentliches »Zwischen« (Rohs 1969: 52) auszusagen, das Hegel Reflexion und im folgenden ›Grund, Widerspruch und Form‹ nennt. Die Problematik solcher Ausdrucksweisen wie derjenigen von der Identität von Identität und Differenz thematisiert Hegel bereits im sogenannten Systemfragment von 1800. Sie führen letztlich in einen infiniten Progreß, in ein »Fortgetriebenwerden ohne Ruhepunkt« (TWA 1, 422). Deshalb spricht er im Systemfragment vom Leben als »Sein außer der Reflexion«, das in dieser Tätigkeit das Bewegende ist und nicht von den Begriffen der Reflexion erfaßt wird. Wir sahen aber bereits (vgl. hier S. 44 ff.), daß dieses »Sein außer der Reflexion« dennoch keine Unmittelbarkeit und ebenso nicht unbestimmt, sondern lediglich nicht von außen begrenzt ist. Begrenzt ist aber für den frühen Hegel im Gefolge Jacobis und Fichtes die Reflexion, weshalb dieses Sein des Lebens die Reflexion übersteigt. – Weil die Reflexion in absoluter Bedeutung jedoch nicht nur begrenzend/begrenzt, sondern im Setzen
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der Grenze ebenso über diese Grenze hinaus ist33 – sie ist nicht Reflexion über … (eines, das dann schon gegeben ist), sondern in sich –, deshalb bezeichnet Hegel in der Logik die Bewegung der Form, die etwas als bestimmtes (Differenz) und als selbiges (Identität) setzt, als Reflexion. Die Reflexion ist damit nicht mehr lediglich in der Rolle des Nachdenkens über ein gegebenes Geformtes, sondern sie wirkt formsetzend. Das »Sein außer der Reflexion« aus dem Systemfragment und die absolute Reflexion der Logik bezeichnen daher dieselbe Sache. Sie sind gleichermaßen selbstgleich, unbegrenzt und bestimmungsgebend, daher kann Hegel hier vom »Urgrund aller Tätigkeit« und im Zusammenhang der Reflexionsbestimmungen von der »Wurzel aller Lebendigkeit« sprechen. Vom seinslogischen Werden ist die Bewegung der Reflexion dadurch unterschieden, daß sie sich in ihrem Negieren reproduziert. Sie geht nicht wie das Werden in eine einfache Ruhe, in neue Unmittelbarkeit über, sondern sie erhält ihre Bewegung indem sie deren Bedingung (das bewegte Unterschiedene) selber setzt, und zwar nicht als einfach andere, sondern als aufgehobene. Der Vollzug der Reflexion ist somit von ihrem Resultat nicht geschieden. Tätigkeit und Selbstbewegung sind Ausdruck von Negativität, die Individualität ist tätig und selbstbewegt.34 Wenn Hegel diese Bewegung
33
Für Fichte setzt die Reflexion die Grenze bereits voraus, sie wirkt also nicht selbst begrenzend, er sagt: »Das Ich kann nicht über sich reflektieren, ohne begrenzt zu sein« (FW I, 288). Ohne eine Grenze (Negation) wäre das Ich nicht konkret und bestimmt. Dem vollständigen Begriff vom Ich steht diese Trennung jedoch entgegen, entsprechend wurde in der Folge versucht, sie zu überwinden. So bei Schelling im System des transzendentalen Idealismus: »Anschauen und Begrenzen ist ursprünglich Eins« (SW III, 403). In seiner »ideellen Tätigkeit« setzt das Ich seine Grenze und ist in der vereinenden Anschauung über sie hinaus; zu dieser »Selbstkonstruktion« des Ich bei Coleridge im Anschluß an Schelling vgl. Uehlein (1982: 22 ff.). Rohs bezeichnet diesen Gedanken Schellings als »wichtigste[n] Schritt« (1969: 50) hin zu Hegels Begriff der absoluten Reflexion. Deutlich nachzuvollziehen ist dieser Schritt in Hegels Differenzschrift, und deren Rede von der Überwindung der Entzweiungen. Das Fichtesche Nicht-Ich wird durch ein Objekt ersetzt, das selbst befähigt ist, sich in sich zu reflektieren, so daß dem subjektiven Subjekt-Objekt (Fichtes) ein objektives Subjekt-Objekt entspricht. 34 Das ist auch die Struktur des Willens, der etwas wollen muß, um real zu sein, und darin bei sich sein muß, um freier Wille zu sein. Hegel entwickelt diesen Begriff, der ganz als Erläuterung des autonomen Willens nach Kant zu verstehen ist, in der Rechtsphilosophie (§§ 4–29; dazu auch Spieker 2004: 65 ff.). Wir sehen hier: Der Begriff der Praxis erschließt sich aus dem Wesen der absoluten Reflexion. Sie zeigt, wie die Unterscheidung von sich möglich ist und wie es denkbar ist, im Anderen bei sich zu sein. Daher wird auch das kategoriale Gefüge der sogenannten Realphilosophie (v. a. in der Philosophie des Geistes) auf die Kategorien der Reflexion rekurrieren. Augenfällig wird dies in der zweifach doppelten Negation, die das Verhältnis der Anerkennung konstituiert, die ebenso wie die zweifach doppelte Negation ein Verhältnis von Verhältnissen ist (darauf geht Spieker 2003
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zunächst als »B ewegung von Nichts zu Nichts« (GW XI, 250)35 tituliert, so bedeutet das keine Hypostasierung des Nichts und dessen Installierung als eigentlich Bestimmendes oder als Anfangspunkt und Grund, das ist das Nichts ebensowenig wie das Sein. Es ist vielmehr Ausdruck der Totalität der Bewegung. Sie ist nicht als von einem (substantiellen) Punkt zum anderen gehende, als das bloße Dazwischen zwischen ansonsten Beständigen zu verstehen, sondern als konstitutives Zwischen, als eine Bewegung, die keinen Grund hat. Indem die Reflexion das, worauf sie reflektiert, ihre Grenze, nicht von außen gesetzt bekommt, sondern Abstoßen ihrer selbst von sich selbst ist, ist sie autonom. Die Reflexion ist daher nicht mehr diejenige Fichtes, die ausging von einem Anstoß, und die aufgrund dieser Bedingtheit das unbedingte, schlechthin identische Ich des ersten Grundsatzes notwendig verfehlen muß.36 Reflexion bedeutet bei Hegel nicht mehr einfach (Selbst-) näher ein). Was es heißt, Individuum zu sein, wird erst die Lehre vom Begriff klären, dessen Selbstdurchsichtigkeit ist wesenslogisch noch verborgen. 35 Darin sehen wir die Wiederkehr der Formulierung aus der Differenzschrift, wonach »die Mannigfaltigkeit des Seins […] zwischen zwei Nächten« (GW IV, 17) liegt. Das mannigfaltige, bestimmte Sein ist bewegt und in sich ohne Halt, es kommt aus einer Negation und ist daher selber nichtig. 36 Hier wird wieder deutlich, wie wenig Aussagekraft pauschale Etikettierungen in der Philosophie besitzen. Bezeichnet man Hegels Philosophie beispielsweise als »Reflexionsphilosophie«, was gewöhnlich abwertend gemeint ist, so mag dies zwar zutreffen, doch nur unter der Voraussetzung, daß Reflexion hier eine ganz andere Bedeutung als bei Locke oder Fichte hat, um nur diese zwei zu nennen. Der Unterschied in der Rolle der Reflexion vollzieht sich im übrigen bereits mit der Differenzschrift, bezüglich derer – stellvertretend für viele genannt – Düsing (1995: 70 f.) einen entscheidenden Bruch in der Entwicklung des Gedankens der Hegelschen Philosophie ausmacht: Die Reflexion werde nun im Gegensatz zur Konzeption der Frühschriften für fähig befunden, das Absolute zu fassen und Hegel vertrete erst jetzt »die Position der absoluten metaphysischen Erkenntnis«. Die Reflexion erfaßt dieses aber nur im Wege der Selbstunterscheidung, indem sie spekulativ wird (GW IV, 16 und 18), ebendiese Selbstunterscheidung führt aber auch zum Denken des reinen Lebens und zum »Sein außer der Reflexion« der unveröffentlichten Frühschriften. Von einem Umbruch kann da keine Rede sein. Hegel selbst wendet in Glauben und Wissen die Bezeichnung »Reflexions-Philosophien« auf Kant, Fichte und Jacobi an und charakterisiert damit deren Stellung, wonach »das Wissen ein formales ist, und die Vernunft als eine reine Negativität ein absolutes Jenseits, das als Jenseits und Negativität bedingt ist, durch ein Diesseits und Positivität, [so daß] Unendlichkeit und Endlichkeit, beide nur mit ihrer Entgegensetzung gleich absolut sind« (GW IV, 346). Hegel sieht dieses Prinzip der Entgegensetzung in den Philosophien der genannten drei geschichtlich erschöpft. Das heißt alle möglichen Positionen (objektive, subjektive und synthetische) sind von ihnen durchgespielt worden (GW IV, 321). – Ebenso problematisch und abstrakt wie das Etikett Reflexionsphilosophie für die Philosophie Hegels ist auch die Bezeichnung als »Identitätsphilosophie«, umso mehr bei einem Denker, der sagt, daß die Identität nicht das Gesetz der Wahrheit sei (AV X, 138 f.), und der gegen Schelling
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Bewußtsein, sondern Freiheit. Das Prinzip der Reflexion ist aber dennoch das der Entzweiung, sie ist ein Abstoßen, wodurch das Sein zum Implikat des Wesens beziehungsweise der Reflexion wird. Die Reflexion hat ihr eigenes Äußeres, darin werden wir späterhin auch die Endlichkeit der Reflexion begründet sehen. Wenn wir also hier den »Urgr und aller Tätigkeit« erkennen, dann bedeutet dies keineswegs, daß diese Tätigkeit mit der Reflexion schon voll verwirklicht wäre. Identität und Unterschied verhalten sich solidarisch (Haas) zueinander: Sie sind in der jeweils anderen Kategorie schon enthalten. Beide Kategorien enthalten mithin den Widerspruch, zu sein, was sie nicht sind, aber sie halten ihn aus und sind deshalb nicht übergängig wie die Kategorien des Seins. Den Reflexionsbestimmungen eignet ein anderes Verhältnis zum Widerspruch als den einfachen Seinskategorien. Im Unterschied zu diesen ist in ihnen ihr Anderes bereits enthalten, es ist in ihnen mitgesetzt. Auch die Seinslogik kennt ja im Sein-für-Anderes ebenso wie die Wesenslogik einen Unterschied. Ansich-Sein sieht von der Beziehung auf Anderes ab, An-sich-Sein abstrahiert vom Sein-für-Anderes. Das Sein-für-Anderes ist das Andere des An-sichSeins, das was das An-sich-Sein nicht ist. Was etwas nicht ist, bestimmt, was es ist, so daß sich das An-sich-Sein als Sein-für-Anderes erweist. Sein-fürAnderes und An-sich-Sein sind übergängige Bestimmungen. Sein-für-Anderes zeigt sich als An-sich-Sein und umgekehrt. Aber das Sein-für-Anderes sagt etwas dem An-sich-Sein Äußerliches, es ist sein Anderes, wodurch sich beide Bestimmungen je rein für sich erhalten sollen. Hingegen sind Identität und Unterschied nicht übergängige, sondern durchgängige Bestimmungen.37 Identisch ist das Unterschiedene, die Identität geht durch den Unterschied hindurch; das Unterschiedene ist in seinem tertium comparationis identisch, der Unterschied geht durch das Identische hindurch. Der Unterschied ist in den wesenslogischen Kategorien ausdrücklich gesetzt, während er den seinslogischen Kategorien widerfährt. Identität und Unterschied bestehen nicht mehr rein für sich, sondern haben ihr jeweiliges Gegenteil schon an sich. Dadurch
(SW IV, 113) gerichtet sagt »die Philosophie ist keineswegs Identitätssystem«. Der Vorwurf, Identitätsphilosophie zu sein, wird auch schon früh zurückgewiesen, so bei Fischer (1911: § 94 (Anmerkung)). 37 Als »durchgängige Identität«, hindurchgehend durch die mannigfaltigen Unterschiede des Gegebenen, bezeichnet Kant (KrV, B 133) die reine Apperzeption des »Ich denke«; darauf weist auch Haas (2003: 102) hin. – Es zeigt, wie Hegel eine Frage, beziehungsweise die Sache Kants mit anderen Mitteln fortführt. Durch die Reflexionsbestimmungen entfaltet Hegel die für Kant unvordenkliche Einheit der transzendentalen Apperzeption, des Ich. Durch ihre Entfaltung verändert er diese zudem: Das »Ich denke« ist für Kant nur reine Formalität oder logische Funktion, nicht aber »Urgrund aller Tätigkeit«.
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ist das Eine im Anderen bei sich, es gehört zur Fülle seiner Bestimmung hinzu und wird nicht erst in einem äußeren Vergleich an es herangebracht. Zudem ist der Widerspruch, der nach dem Prinzip des Aristoteles nicht bestehen kann, von einer dreigliedrigen Struktur: adynaton ist es danach, daß Eines etwas sei und nicht sei. Zwei entgegengesetzte Prädikate können einer Sache nicht zugleich zukommen und nicht zukommen (Metaphysik IV 3, 1005b 20) oder in der Formulierung Platons, die die praktische Dimension des Satzes hervortreten läßt: Eines kann nicht zugleich Entgegengesetztes erleiden und tun (Politeia 436e–427a). Die Rede ist hier also von einer Sache und zwei unterschiedenen Tätigkeiten. Die ‹Figur› des Widerspruchs hat somit insgesamt drei Glieder. Die Bestimmungen der Identität und des Unterschieds sind hingegen zweigliedrig: Die Identität geht durch den Unterschied hindurch und der Unterschied ist einer von Identischen. In den reinen Denkbestimmungen scheint der Widerspruch, der an sich unmöglich ist, also eine gewissen Stabilität zu gewinnen. So bietet sich aus dem Wesen der zweigliedrigen Reflexionsbestimmungen, bevor der in ihnen waltende Widerspruch selbst thematisch wird, eine Widerspruchs-Vermeidungsstrategie an, die die Stabilität der einfachen »Wesenheiten« (GW XI, 256) und damit auch deren Mehrzahl – gegen ihre Einheit in Durchgängigkeit – besichern soll. Auf diesem Umweg wird der erste Teil der Aufgabe, die Genese aus dem Resultat heraus zu klären und sie in diesem zu integrieren gelöst. Dieser erste Teil besteht darin, aufzuzeigen, wie aus dem Wesen der absoluten Reflexion heraus die seinslogische Position gesetzt wird; Sein als Implikation der Reflexion (A). Der zweite Schritt wird diese Scheinstabilisierung eines selbständigen Seins dann wiederum in die Relation des Wesens zurückzuführen haben (B). A. Hält sich die wahre Identität in der Unterscheidung durch und ist also nicht getrennt vom Unterschied, so kann doch gesagt werden, daß die Bestimmung der Identität sich auch in diesem Reflexionsverhältnis nur auf sich selbst bezieht; denn sie ist als sie selbst identisch durch den Unterschied hindurch. Dasselbe gilt für die Bestimmung des Unterschieds. Was mithin die Momente der Identität (und v.v. des Unterschieds) sein sollten, nämlich Identität und Unterschied, ist schließlich von derselben Struktur wie das Ganze. Die Momente sind, in Hegels Terminologie, »selbst Reflexionen in sich« (GW XI, 267). Damit ergibt sich folgende Gleichung: Identität = Identität (Identität + Unterschied) + Unterschied (Unterschied + Identität). Identität und Unterschied, die Momente des Ganzen der Identität, sind gleichgültig, sowohl zum Ganzen, als auch zueinander: Sie sind an sich allesamt Ganze. Werden die Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied beide gleichermaßen, was mit vollem Recht geschieht, »in der B estimmung der
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Identität« verstanden, so »zerfällt« das in sich reflektierte Ganze der Identität. Die Relation entläßt ihre Relata. Das Zerfallen ist eine neue Bewegungsart: Die Identität geht nicht in Anderes über, denn sie ist Totalität und hat demnach kein Anderes. Wird sie aber nur in der Bestimmung der Identität betrachtet, so zerfällt sie in sich selbst, d. i. die Identität zerfällt in lauter Identische. So kommen wir vom Wesen der in absoluter Reflexion erfaßten Identität zum Plural von Identischen. Deren Vielheit ist mithin abkünftig und nicht ursprünglich. Doch in der Bestimmung der Identität geht ihnen ihre Bestimmtheit verloren. Der Unterschied, der zuvor die Bestimmtheit der Momente, und damit die in sich unterschiedene Einheit des Begriffs der Identität ausmachte, wird den Identischen gegenüber äußerlich. Diesen Identischen gegenüber wird so auch die Identität zu einer gleichgültigen Bestimmung, so wie die Identischen (d. i. die Totalitäten von Identität und Unterschied) untereinander gleichgültig sind, weil sie je für sich Ganze sind; als nur auf sich bezogen unterscheiden sich die Identischen nicht mehr voneinander, sie drücken keinerlei Unterschied mehr aus. Ihr Unterschied ist nicht mehr greifbar, er ist den Identischen gegenüber eine äußerliche Betrachtungsweise, die mit ihrer inhaltlichen Bestimmtheit nichts mehr zu tun hat. Die unterschiedenen Identischen sind nicht Unterschiedene, sondern lediglich Verschiedene, ihr Unterschied zeitigt keine inhaltliche Bestimmung sondern er ist rein formell.38 Das bedeutet für den Begriff der Verschiedenheit, daß er auch gegenüber der Sache von Identität und Unterschied gleichgültig ist. Der Begriff läßt hier seinen Inhalt frei. Die an der Identität orientierte Reflexion ist damit – unter Inanspruchnahme des vollständigen Identitätsbegriffs – zur äußerlichen Reflexion geworden, die ihre reflexiv-vermittelten Begriffe nicht mehr auf den reflektierten Inhalt selbst wenden kann. Die bestimmende, negative Reflexion und das Ansichsein treten auseinander. »Es ist«, so Hegel, »also dieses Gedoppelte vorhanden« (GW XI, 268): Die Reflexion trennt das Selbstsein der Dinge (d. i. »Ref lexion in sich als solche«) von deren Bestimmtheit, d. i. ihrem Bezug auf ihr Nichtsein (d. i. »Gesetztsein«) und wird so zur äußerlichen Reflexion.
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Diese Figur der äußerlichen Reflexion liegt auch der atomistischen Ansicht der Person im Liberalismus zugrunde. Dem natürlicherweise gleichen, vollständigen und unbegrenzten Selbst sind die sozialen Unterschiede zufällig und naturhaft gegeben. Die Unterschiede unter den Menschen, dabei zuallererst derjenige, daß es überhaupt mehrere Menschen gibt, haben keine Konsequenz für dessen Bestimmung an sich. Untereinander sind die Menschen einfach verschiedene und miteinander treten sie in Vertrags-, d. i. in Tauschverhältnisse, die von ihrem Eigeninteresse abhängig sind. Die untereinander bloß verschiedenen Menschen sind in ihrem Nebeneinander ohne Bestimmung, das ist der Zerfall des Staates (er wird zum Not- und Verstandesstaat).
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Damit ist diese Reflexion nicht nur ihrer Sache, sondern auch sich selbst gegenüber äußerlich, denn es war die Reflexion selbst, die die Identischen setzte, und die gegenüber diesen von ihr Gesetzten nun äußerlich sein soll. Die Logik des Zerfalls (der Identität) führt zu doppelsinniger Entfremdung. Sie ist, nach Hegels Bestimmung der äußeren Reflexion, »im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens« (GW XI, 253); so wird der Zerfall ebenso zum Aufbau einer Mannigfaltigkeit unterschieden-selbständiger Erscheinungen. Die Logik des Zerfalls ist zugleich die Logik des Atomismus, die den verschiedenen Sozialvertragskonzeptionen zugrunde liegt, und gegen dessen reduktionistische Blindheit Hegel sich seit frühester Zeit wendet. Am Sich-äußerlich-Werden der Reflexion erkennen wir ein weiteres Mal Hegels Neuakzentuierung des Begriffs der Reflexion und seine Absetzung vom Reflexionsbegriff Kants: Reflektiert wird dort über ein gegebenes Mannigfaltiges. Dessen Einheit wird von der Reflexion gebildet, sie ist im Gegensatz zum Unterschied »die einzige [Vorstellung], die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekte selbst verrichtet werden kann« (KrV, B 130). Der Unterschied liegt für Kant also bereits vor (hierzu Rohs 1969: 76 ff.) und das Problem ist die Einheit. Diese ist im striktem Sinne theoretisch nicht reproduzierbar, denn die Theorie erstreckt sich nur auf Erscheinungen, auf das Sein, das für uns synthetisiert wird. Dieses erscheinende Sein scheidet Kant aber vom Ansichsein, ohne darauf zu reflektieren, daß auch diese Trennung von Reflexion und Ansichsein von der Reflexion selbst hervorgebracht wurde (was dann das Thema Fichtes sein wird). – Wir erkennen in dieser Problematisierung der Einheit unter Voraussetzung des Unterschieds die neuzeitliche Umkehrung des antiken, von Parmenides vorgebrachten Problems, der fragte, wie wo Eines ist, Vieles sein kann. – Hegel läßt aus der absoluten Reflexion der Identität eine Doppelung, d. i. die elementare Vielheit, hervorgehen, auf die dann reflektiert wird. Der Unterschied, den die Reflexion synthetisiert, ist somit von ihr selbst hervorgebracht und wird ebenso wie die synthetische Einheit nicht vorausgesetzt. Für den Erweis der Absolutheit der Reflexion ist es unverzichtbar, zu zeigen, wie auch dasjenige, was von der Reflexion angeblich nicht erfaßt werden kann, von ihr umfangen wird. Es muß erwiesen werden, daß das von ihr unabhängige unmittelbare und mannigfaltige Selbstsein als solches weder ein Anderes noch ein schlechtweg unvordenklich-›Unlogisches‹ darstellt. Die absolute Reflexion muß auch ihr Anderes als nichts als sie selbst erweisen. Die Seinsweisen des Endlichen (Kapitel 1.4) müssen in der absoluten Reflexion integriert und nicht einfach negiert sein. Das ist geschehen, wenn gezeigt wird, daß die Reflexion sich äußerlich geworden ist. Die sich äußerlich gewordene Reflexion eröffnet den Raum für die an sich unwahren, d. i. nicht-
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beständigen Verhaltensweisen des Endlichen. Dieses konnte sowohl preisgegeben als auch festgehalten werden: Hier wird die Kontingenz des Endlichen eröffnet. Die Absolutheit der Reflexion zeitigt damit aber eine paradoxe Konsequenz. Die Bestimmungen, denen gemäß die äußerlich gewordene Reflexion über die Identischen reflektiert, die Identität und der Unterschied, sind dem solcherart von ihr Gesetzten aber zugleich an sich selbst Bestimmten äußerlich. Nach dem Zerfall der Identität, der den Unterschied äußerlich werden ließ, womit dieser zur bloßen Verschiedenheit verkam, gilt: Die Identität der gleichgültigen Identischen ist deren Gleichheit und ihr Unterschied ist Ungleichheit. Beide Bestimmungen, Gleichheit wie auch Ungleichheit gehen die so Bestimmten selbst nichts an. Es ist dem Identischen ganz gleich, ob es einem anderen gleich oder ungleich ist, dies sind Betrachtungsweisen eines Dritten, die den so Relationierten äußerlich sind, an ihnen selbst sind sie nicht relationiert. Aus der Reflexion selbst heraus scheiden sich deren Begriffe und die reflektierte Sache. Dies ist die zweite Dimension des Zerfalls der Logik der Identität: Neben der Spaltung in verschiedene Identische spaltet sie sich auf in eine allgemeine Bestimmung (Gleichheit und Ungleichheit), die ein Gesetztsein ist, und das von ihr bezeichnete Etwas, das der Bestimmung und dem unterschiedenen anderen Etwas gegenüber gleichgültig ist. Damit wird die Stellung des endlichen Nachdenkens über etwas erfaßt. Für dieses ist die Sache, wie sie ist, sie ist selbständig für sich bestimmt, ganz gleich ob über sie reflektiert wird oder nicht und in welchen Begriffen dies geschieht. Sie ist Objekt und der endliche Verstand muß sich danach richten. Das endliche Denken ist von hypostatischer Struktur indem es für seine Operationen eine gegebene Grundlage, logisch: eine Gegenstandsbestimmtheit, annimmt, die von seiner Bezugnahme durch Begriffe unabhängig sein soll. Unter dieser Annahme ist das endliche Nachdenken äußere Reflexion, die ein von ihrer Reflexion getrenntes Substrat voraussetzt. Der perfektivische Sinn des Wesens bleibt im endlichen Nach-denken darin gewahrt, daß es über eines nachdenkt, das bereits ist, wie es ist, also bereits war. Das wesenserklärende Nachdenken ist daher rückwärtsgewandt (vgl. Stekeler-Weithofer 1992: 228 f.). Das Gesetzte der Reflexion (d. i. ihre Momente Identität und Unterschied) ist ein Ganzes und ein Selbstsein (d. i. die Momente sind selbst Totalität). Seine unterscheidenden und verbindenden Momente sind ihm äußerlich. Die Weise, auf welche die äußere Reflexion nun an ihre Gegenstände herantritt, ist der Vergleich, der selbst eine vom Inhalt völlig losgelöste – folglich quantifizierende (vgl. Enz. (1830) § 98) – Betrachtungsweise ist.39 Was miteinander 39
Das Vergleichen kann daher auch nicht für sich in Anspruch nehmen, eine wissen-
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
verglichen wird, ist nicht an sich selbst aufeinander bezogen, sondern nur in der Hinsicht eines Dritten, für welches das Verglichene »unmittelbar für sich hervor[tritt]« (GW XI, 268). Die Unmittelbarkeit ist ein Korrelat der Gleichgültigkeit. Da die Bestimmung den Identischen äußerlich ist, stellen sie sich selbst – unmittelbar für sich hervortretend – dar. Hier ergibt sich nun der letzte Schritt in der von der Reflexion der Identität ausgehenden Logik des Zerfalls: Ihr unmittelbar für sich hervortretender Gegenstand zerfällt in eine Vielzahl von Aspekten, er wird in einer »Rücksicht« dem Anderen gleich, in einer anderen ihm ungleich sein. Das heißt auch, insofern die Identischen gleich sind, insofern sind sie nicht ungleich et v.v. Diese vielfachen Betrachtungen werden nicht mehr synthetisiert, die Betrachtung ist immer bei einem Aspekt aber nicht bei dem – gleichberechtigten – anderen, sie erhält folglich einen Zug von Willkür und ist von außen an das gleichgültig Identische herangebracht. Bemerkenswerterweise ist es auch das Insofern, das gewöhnlich zur Bildung von Allgemeinbegriffen führt, die dann freilich selber nicht synthetisch sondern nur abstrakt sein können: Stuhl und Tisch sind gleich, insofern sie Möbel sind. Die unmittelbare Betrachtungsweise erschließt sich, keineswegs die ›natürliche‹ und nach dem Sinn ihres Gegenstandes naheliegendste zu sein. Sie ist insbesondere nicht einfachhin, sondern von einem Zusammenhang her, die Unmittelbarkeit präsentiert sich von der Vermittlung her. Die unmittelbare Betrachtungsweise ist im Gegenteil höchst künstlich, denn sie unterteilt den einen Gegenstand in verschiedene Perspektiven: Der Stuhl ist als Möbel dem Tisch gleich; aber der Stuhl ist nicht das Möbel, denn der Stuhl ist verschieden vom Tisch. Schließlich führt diese Betrachtungsweise zur Zerstörung der Bedeutung von Gleichheit und Ungleichheit, denn gleich sind immer zwei, mithin Ungleiche, und ungleich ist immer eines einem anderen, mithin Gleiche. Damit haben wir die Genese der seinslogischen Betrachtungsweise innerhalb der Logik des Wesens vollzogen. Sie war dadurch gekennzeichnet, daß sie ihrem Gegenstand gegenüber eine Position einnahm. Sie ließ nicht ihn selbst in seiner Entwicklung sprechen, sondern behauptete seine Selbständigkeit, die jedoch die nicht-intendierte schaftliche Methode zu sein. Aufgrund seiner Äußerlichkeit taugt der Vergleich zudem nicht zur Orientierung über praktische Erfordernisse beispielsweise in der Ordnung des Staats, wie es heute durch sogenannte Rankings – ein Ordnungsbegriff aus dem Bereich des Sports – in den Bereichen der Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialordnung suggeriert wird. Hier wird in der Regel verglichen, was unvergleichlich ist, angesichts von Äpfeln und Birnen ist diese Unmöglichkeit schon dem Alltagsverstand bewußt. Nur dasjenige, was zählbar ist, läßt sich vergleichen. Entsprechend sagt Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte, daß sich etwa aus einem Verfassungsvergleich nichts lernen lasse (TWA 12, 66). – Die wissenschaftlich-methodische Untersuchung muß ihren Gegenstand selbst, das heißt ihn in seiner ihm eigenen Bewegung, verfolgen.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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Aufhebung des Behaupteten heraufführte. Diese (entfremdete) Positionierung gegenüber der Sache ist die Stellung des Dritten. Sie spricht sich in den Sophismen der »Insoferns, S eiten und Rücksichten« (GW XI, 269) aus, durch die sie ihre Sache unterteilt. (B) Die Sache ist gleich und ungleich, wobei diese Bestimmungen nichts über den Inhalt der Sache aussagen. Gleichheit ist die Gleichheit Ungleicher, ebenso ist Ungleichheit die Ungleichheit von Gleichen. Gleichheit und Ungleichheit werden miteinander identifiziert, dadurch ist der Unterschied der Gleichen und Ungleichen nicht mehr gleichgültige Verschiedenheit, vielmehr sind Gleichheit und Ungleichheit nur, indem ihr jeweils anderes positionell hinzugesetzt ist. Sie sind dann nicht gleichgültig außereinander, sondern nur als Momente einer Einheit. Die bloß Verschiedenen sind als je mit sich identische Reflexion in sich gesetzt, sonst wären sie nichteinmal voneinander verschiedene. Damit sind sie »negative Einheit« mit sich, denn sie schließen ja das Anderssein aus. Gleichheit und Ungleichheit, die Momente der Verschiedenheit, sind also im Verschiedenen vereint. Es bleibt deswegen nicht gleichgültig-unmittelbar Hervortretendes, sondern ist Gegensatz. Identisches Seiendes, d. i. die Verschiedenen je für sich bestimmten, ist gleich und ungleich: Sofern es Seiendes gibt, gibt es mithin immer mehrere unterschiedene Seiende. Doch insofern sie gleich sind, sind sie nicht ungleich et v.v., das heißt in jeweils einer Hinsicht ist dasselbe entweder gleich oder ungleich. Sagt man »das Seiende ist gleich«, heißt das eigentlich »die Seienden sind gleich«. Im Plural »die Seienden« ist enthalten, daß es sich um mehrere ungleiche Seiende handelt, wobei die qualitative die quantitative Unterscheidung mit sich bringt. Umgekehrt sind die ungleichen Seienden, insofern sie Seiende sind, gleich.40 Mit Hilfe der Auseinanderordnung im »Insofern«, ist es kein Problem, »gleich« und »ungleich« derselben Sache zuzuschreiben. Dadurch können die Seiten des Widerspruchs, der das Identische (bestimmte Selbstseiende) konstituiert und zugleich nicht bestehen läßt, auseinandergehalten werden; darin macht sich, so Hegel, die »Zärtlichkeit für die Dinge« (GW XI, 272) bemerkbar, die das bestimmte Sein frei von der Dynamik seiner Bewahrheitung halten will. Doch die Unterteilung in verschiedene Hinsichten ist ein Sophisma, weil durch sie die Sache jeweils als eine andere erscheint, als sie eigentlich ist: Schließlich ist das als gleich Betrachtete ungleich und das Ungleiche ist gleich. Das »Insofern« identifiziert wohl Etwas als Etwas, doch wird bei dieser Identifikation Etwas lediglich unter einen Begriff subsumiert. In der immanenten Synthese schließt sich 40
Ein Beispiel: Tisch und Stuhl sind ungleiche Dinge, insofern beides Möbelstücke sind, sind sie gleich.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
eine Sache mit ihrem Unterschied zusammen und bildet so einen konkreten Begriff. Im Unterschied dazu wird in der subsumierenden Identifikation lediglich Verschiedenes unter einen abstrakten Allgemeinbegriff subsumiert, der das Bloß-Gemeinsame verschiedener Sachen nennt.41 Weil er nur das Gemeinsame besagt, ohne selbst differenziert zu sein, ist ein solcher Begriff leer und immer der Realisierung im Einzelnen bedürftig, wenn er mit Inhalt gefüllt werden soll. Dies ist der nominalistische Begriff. In dem Sophisma der verschiedenen »Rücksichten« der Sache zeigt sich die zentrale Bestimmung des Scheins wieder: Er war eine Selbständigkeit, die keinen Bestand hat, sondern selbst unmittelbares Verschwinden und darin Durchscheinen des Wesens ist. Die Betrachtung verschiedener, wohl aus- beziehungsweise nebeneinander gehaltener Aspekte soll ebenfalls eine unvermittelte Selbständigkeit der gegenständlichen Sache etablieren. Die für sich vollständig bestimmte (fix-fertige) Sache tritt danach lediglich in äußerliche Verhältnisse zu anderem Bestimmten. Die sich dabei ergebenden widersprüchlichen Bestimmungen der Sache selbst, daß sie nämlich gleich und ungleich ist, sollen zum einen nur äußerlich sein und zum anderen die Sache nicht in gleicher Hinsicht betreffen. Vor dem Widerspruch, als der sie nicht bestehen könnte, scheint sie somit gerettet. Solcherart nur in sich selbst reflektiert, verliert die Sache aber jede bestimmte Unterscheidung von anderem, sie wird unterschiedslos und somit unbestimmt. Als abstrakt identisch ist die Sache jeder Bestimmung entledigt. In dieser Leere geht dann auch deren Selbständigkeit verloren, denn diese besteht nur in bestimmter Unterscheidung. Das Selbständige wird von der äußeren Reflexion dadurch in seinem Selbstsein gesetzt, daß sich die Reflexion von ihrer Sache losreißt. Dadurch soll die Sache von den Negationen der Reflexion freigehalten werden, denn anders könne Selbständiges nicht sein. Doch dieses löst seine Selbständigkeit selbst auf: Es ist nur ein Schein. Damit ist nicht gesagt, daß das von der äußeren Reflexion Gesetzte ein nichtiges Nichts oder ein Falsches wäre. Falsch würde erst die Meinung, die in der Behauptung solch eines Ansichseins beharren würde, wodurch zugleich gesagt ist, daß die Meinung nicht ein Erstes, nicht der Ausgangspunkt zum Wissen ist. Das Meinen ist im Gegenteil sekundär, vom richtigen Wissen abkünftig, so wie das Sein vom Wesen. Daß das gesetzte Selbständige ein Schein ist, heißt aber, daß es nicht beständig ist. Es ist »Negation als Negation« (GW XI, 268). Eben dies war die Bestimmung des Scheins (vgl. GW XI, 246 und 249). 41
Das ist in exemplarischer Weise der Begriff, wie er von Locke gesehen wurde, vgl. seinen Essay concerning Human Understanding III, 3: »Of General Terms« (vgl. hier S. 329).
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Als Negation ist das gesetzte Selbständige ein Entgegen-gesetztes. Darin steckt, daß es in seiner Negation nicht wie in ein Anderes einfach übergeht, sondern daß es sich in seinem Anderen in sich reflektiert, indem es in dieses scheint. Die Reflexion bestimmt Etwas1 als Etwas2 und hält darin Etwas1 fest, das als Etwas bestimmt ist und als es selbst in dieser Bestimmtheit scheint, statt von anderem her bestimmt zu werden. In der wesentlichen Reflexion gehen Selbständigkeit und Bestimmtheit miteinander einher und schließen sich nicht wie in der Seinslogik aus. Es ist zu zeigen, was dies im Einzelnen bedeutet: Die Momente der Identität waren Identität und Unterschied. Sie sind in ihrer Bestimmtheit selber Ganze, das heißt, sie enthalten jeweils ihr anderes Moment in sich, nämlich indem die Identität durch den Unterschied hindurchgeht und der Unterschied sich unterscheidet, also einer in und von Identischen ist. Weil nun die Momente selbst je ein Ganzes sind, – d. i. ihre Selbständigkeit – so sind sie gegenüber der Bezugnahme aufeinander gleichgültig: Sie sind gleich und ungleich, wie die äußere Reflexion über sie sagen würde. Beide Momente (Identität und Unterschied) sind bestimmte Ganze und sie sind gleichgültig Seiende, die aus der Selbstunterscheidung der absoluten Identität entspringen. Die Beziehung aufeinander, in der sie ihre Bestimmtheit, Identität beziehungsweise Unterschied zu sein, erlangen, ist deshalb eine Beziehung auf das Nichtsein des jeweils anderen Moments, – d. i. ihr Gesetztsein. Die Bestimmtheit gründet sich nicht einfach auf ein Sein, sondern auf ein Nichtsein. Im Negieren des Anderen besteht die Bestimmtheit, dieses leistet die Bestimmtheit, indem sie in sich selbst reflektiert ist: Das In-sich-Sein der Reflexion heißt, die Bestimmtheit ist nur sich selbst gleich und schließt ihr Nichtsein aus. Für die gesetzte Gleichheit bedeutet das, daß sie in sich reflektiert ihr Nichtsein ausschließt, ihm gegenüber also ungleich (Negatives des Negativen) ist. Dieser identische Gegensatz ist »das Positive« (GW XI, 273). Die gesetzte Ungleichheit, ihr Nichtsein, die Gleichheit ausschließend (Negatives des Positiven), ist der nicht-identische Gegensatz, »das Negative«. Positives und Negatives sind Ganze, weil sie als Reflexion ihres Gegenteils bestimmt sind. Indem das Positive das nicht-Negative und das Negative das nicht-Positive ist, sind sie beide ›Unterschied an sich‹, – im Unterschied zum Unterschied von Anderem, wie er für das seinslogische Dasein konstitutiv war. Hegel differenziert eigens die Bestimmtheiten, das Positive und das Negative, die nicht das eine positiv und das andere negativ sind, sondern die beide je das Ganze, »das Positive und Negative« als geeinter Singular, sind (vgl. Burbidge 1981: 250 (Anm. 5)). Jedes scheint im Anderen, jedes ist dem Anderen sein Anderes. Nicht: Jedes ist, und dann sind sie – im Vergleich – auch noch Andere. Jedes ist hier selbst das Andere. »Das Positive
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
und das Negative sind so die selbständig gewordenen Seiten des Gegensatzes.« Was hat sich also mit dem Gedanken von Positivem und Negativem geändert? Das Objekt der Reflexion tritt in den Selbstand und wird unabhängig von seinem Reflektiertwerden: Weil das selbständige Positive ausschließendes ist, ist es selbst negativ. Indem das Positive negativ ist, ist das Negative als Gegensatz des Positiven positiv. Das Positive schließt das Negative aus, dadurch ist es selbst negativ. Die positive Bestimmung führt zur Negativität, denn beide Bestimmungen erweisen sich als solidarisch. Wenn sich die selbständige Bestimmung mit ihrem Gegenteil solidarisch zeigt, ist der Widerspruch ausdrücklich gesetzt. Die Sache, die positiv bestimmt wird, ist auch negativ. Mit dieser dreigliedrigen Struktur liegt der Widerspruch im aristotelischen Sinne vor: Eine Sache, der eine Bestimmtheit zukommt und nicht zukommt: »das Positive und Negative«. Erst im Kontext der Beziehung auf Eines werden die entgegengesetzten Prädikate einander widersprechend.42 Dieser Widerspruch liegt nicht ›nur‹ im Denken, sondern in der Sache selbst. Wenn eine Sache überhaupt bestimmt ist, ist sie positiv und negativ. Ihr Widerspruch ist also zweifach: der Widerspruch ihrer Prädikate und damit der Widerspruch ihrer selbst. Ein jedes, das bestimmt ist, schließt sich selbst aus. – Damit haben wir den Grund der flüchtigen Struktur des Etwas als Etwas, das nie als dieses Etwas bleiben konnte, im Wesen eingeholt. Das Geformte hat seine Herkunft in der Negativität. Der Grund für die Übergängigkeit des Als-etwas-Seins ist daher nicht ein Mangel in seiner Bestimmung, wie ja die Privation überhaupt nicht bestimmend, d. i. bestimmungsgebend sein kann. Übergängig ist das Bestimmte, weil es aus der Negativität herkommt. Die Bestimmung der Reflexion erfährt hier ihre Vollendung: Die in sich gehaltenen Bestimmungen von Identität und Unterschied ließen die Identischen frei und wurden so selbst zu den äußerlichen Bestimmungen von Gleichheit und Ungleichheit der »entäußerten Reflexion« (GW XI, 272). Mit dem Positiven und dem Negativen, die beide Positiv-Negatives sind, ist die Reflexionsbestimmung dem Identischen zu eigen, es ist an und für sich bestimmtes und stellt sich somit in den Gegensatz.
42
Daher ist es nicht bereits die Bestimmung der Identität, die der Widerspruch ist. Die Identität zerfällt zunächst. Erst wenn sie als sie selbst das ist, was sie nicht ist, so wie das Negative als es selbst das ist, was es nicht ist, nämlich Positives, liegt ein Widerspruch vor.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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2.2.C.a Gegensatz Im folgenden ist das sich selbst ausschließende Bestimmte das Thema, »das Positive und Negative«, mithin die Beziehung von Bestimmtheiten, nicht die Bestimmtheiten des Positiven und des Negativen. Das gesetzte Selbständige geht, weil es Negation als Negation ist, nicht in seine Negation über, wie in ein Anderes, das ihm unmittelbar zustößt. Ihm stößt der Widerspruch seiner Bestimmtheit, gesetzt und dennoch selbständig zu sein, überhaupt nicht einfach zu, sondern es ist sich bereits selbst entgegengesetzt. Solches Sich-selbst-Entgegengesetztes ist ein »gesetzter Widerspruch« (GW XI, 279). Als Negation kann sich aber für sich genommen nichts erhalten, es ist in seiner Funktion/ Bestimmung gesetzt, so findet das gesetzte Identische wieder Eingang in das Wesen, von dem her und in dem es gesetzt ist. Sein (Einheit der Indifferenz) und Reflexion (Bestimmen und Bestimmtwerden) sind ungetrennt, nicht indem sie unmittelbar einerlei wären, sondern in der Selbstvermittlung der Reflexion, deren Implikat das Sein des Bestimmten ist. Bei Kant führte die Zweigliedrigkeit des Bestimmtheitsverhältnisses mit den Seiten der Unmittelbarkeit und der kognitiv-reflektiven Konstitution dazu, daß Sein und Reflexion durch eine Kluft getrennt bleiben, denn Gegeben- und Gesetztsein stehen im Gegensatz zueinander. Hegel schildert im Gegensatzkapitel eine dreigliedrige Konstellation aus (a) Reflexion, (b) an sich seiendem Substrat der Reflexion und (c) der reflexiven Relation von Reflexion und Substrat, die das Bestimmungsgeschehen beherrscht und den Gegensatz von Sein und Reflexion, von Gegeben- und Gesetztsein, überwindet. Diese Dreigliedrigkeit ermöglicht die Selbstvermittlung der Reflexion hin zum Positiv-Negativen, ihr ist aber zugleich der Widerspruch inhärent. Doch ist der Widerspruch vernunftnotwendig und nicht folgenlos oder einfachhin als bestehender Widerspruch behauptet.43 Aufgrund seiner folgenreichen Notwendigkeit wird der Widerspruch auch nicht ›regulativ umgangen‹, indem er unentschieden gelassen und durch ein transzendentales Ideal gleichsam gebannt wird. Die drei Stufen des Gegensatzes (GW XI, 273 f.) legen die Momente dieser dreigliedrigen Konstellation, in der Bestimmtheit bestehen kann, auseinander und schließen die Bestimmung des Widerspruchs auf.44 Dazu wird die 43
Dies ist bereits von Rosenkranz (1963: 157) bemerkt worden, der es absurd nennt, zu meinen, daß bei Hegel »das Beharren im Widerspruch […] für den Begriff des Wahren gelte«, da es ihm um die Auflösung des Widerspruchs gehe. 44 Die subtile Interpretation des Gegensatzkapitels bei Wolff (1981: 110–138), von dem ich auch den Begriff des ›reflexionslogischen Substrats‹ übernehme, erlaubt es, sich hier auf einige zentrale Hinweise zu beschränken. – Hegel selbst spricht von den »Substraten, den
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Konstitution des Positiv-Negativen vollzogen und zunächst der Gegensatz des von der Reflexion gesetzten Negativen betrachtet (a). Sodann wird der Gegensatz des Substrats dieser Reflexion, des Positiven (b) und schließlich das Gegensatzverhältnis von Reflexion und Substrat selbst (c) dargestellt. (a) Die positive und die negative Bestimmtheit sind gegeneinander negativ. Jede ist, insofern die andere Bestimmtheit ist, die von ihr negiert wird, und insofern sind beide Bestimmtheiten »Gesetzte«, denn gesetzt zu sein bedeutet, von Anderem her zu sein. Die Bestimmtheiten sind aber das, was sie sind, jeweils als das Nichtsein des anderen Prädikats, sie sind Negative. Darin liegt ihre Gleichheit mit oder ihre Reflexion in sich. Bestimmt sind Positives und Negatives in ihrem gegenseitigen Ausschlußverhältnis nur für »Eine Reflexion«, für die sie gesetzte Bestimmtheiten sind, nämlich für die eine Reflexion des Identischen. Genau besehen sind Positives und Negatives lediglich »Entgegengesetzte überhaupt«, denn sie sind bloß gesetzte, substanzlose Bestimmtheiten, Negative, die nur in der (setzenden) Reflexion des Identischen als deren Momente gehalten werden. Sie sind daher Bestimmte »überhaupt«, ohne (für die Reflexion) für sich bestimmt zu sein, sie sind es nur für Eines, von dem sie gleichermaßen positiv gesetzt und negativ differenziert werden. In der Reflexion auf die Bestimmtheiten ist die Reflexion rein bei sich. Die Bestimmtheit ist an sich negativ und nicht einfach vorhanden, sie ist gesetzt. Paradoxerweise ist somit die Reflexion, die bloß Gesetzte setzt, selbst Entgegengesetztes überhaupt, denn sie ist die vermittelnde Einheit der Indifferenz gegenüber an sich unvermittelten und unbestimmten Bestimmtheiten. Weil das Gesetzte ohne Selbstand ist, dringt die Reflexion in ihrer Reinheit prinzipiell zu keinem realen Bestimmtsein durch, vielmehr ist sie diesem in seiner Unmittelbarkeit entgegengesetzt. Das ist der Gegensatz der Reflexion, sie schließt sich in ihrer setzenden Tätigkeit von sich selbst, dem Produkt ihrer Setzung, aus. Dieser »Gegenstoß« der Reflexion gegen sich selbst hat allerdings zur Folge, daß sich auf diese Weise auch ihr Produkt nicht bestätigen kann. Die Bestätigung des Produkts der Reflexion bestünde darin, das Sein des Bestimmten als reales Produkt der Reflexion,
Subjekten der Vorstellung« (GW XXI, 49) einer Metaphysik, die ohne die Tauglichkeit ihrer Begriffe zu deren Erfassung zu erwägen, zum einen vorausgesetzt und zum anderen als an sich bestehende Seiende verstanden wurden. Die Kritik der Kantischen Philosophie an dieser Voraussetzung und an den Begriffen nennt Hegel daher gerechtfertigt, allerdings seien Seins- und Wesenslogik, die »objektive Logik […] die wahrhafte Kritik derselben«, weil sie den Inhalt der Denkbestimmungen selbst und deren Verhältnis untereinander betrachtet. Die Kantische Kritik hat stattdessen nach Hegel nur das »abstrakte, allen gleiche« (GW XXI, 48) Verhältnis der Kategorien zum Ich bedacht, eine formelle Erkenntnis, die leer bleibe, weil sie nicht den bestimmten Inhalt der Kategorien erfaßt.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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mithin als selbständig und als von ihr gesetzt zu begreifen. Wo die Reflexion nur Gesetzte zu ihrem Gegenstand hat, da schließt sie sich vom Zugang zum wesentlichen Selbstsein ihres Gegenstandes aus.45 Die die Entgegengesetzten setzende Reflexion wird daher zur äußeren, dem an sich bestimmten Sein entgegengesetzten Reflexion. (b) Weil das Gesetztsein aber ebenso ist, indem das Andere nicht ist, weil es in sich reflektiert und als das Nichtsein des Anderen ist, so sind die gesetzten Bestimmtheiten im doppelten Sinne gleichgültig: Zum einen gegen die Einheit der Reflexion, deren Momente sie sind und zum anderen, da sie im Verhältnis zueinander nur negativ sind, auch gegeneinander. Ob die Bestimmtheit positiv oder negativ ist, geht sie selbst gar nichts an, es ist eine äußerliche Betrachtungsweise der lediglich verschiedenen und austauschbaren Bestimmtheit überhaupt, – eine Sache des Vergleichs. Dieses als völlig gleichgültig gesetzte Bestimmtsein ist das Positive: negativ zu Anderem und gegenüber der es negierenden Reflexion, in der es Moment ist. Diesem an sich schon bestimmten Substrat der Reflexion (dem Etwas1) ist das reflexive Bestimmtwerden äußerlich. Das ist der Gegensatz des Substrats, es ist dasjenige, was reflektiv bestimmt wird, es ist aber selbst als ›Bestimmtheit überhaupt‹ nicht von bestimmter Bestimmung und ist somit der Bestimmung durch die Reflexion, die dem Substrat äußerlich ist, entgegengesetzt. Der zum Gegensatz gesteigerte Unterschied hat sowohl in Konstellation (a) als auch in (b) zur Folge, daß zwischen der reflexiven Konstitution von Bestimmtheit und dem bestimmten Substrat eine prinzipiell unüberwindbare Kluft aufgerissen wird.46 Diese Situation ist durchaus folgerichtig, denn 45
Dies ist in Hegels Sicht die Situation Kants, der eine theoretische Erkenntnis konzipiert, die das Ansichsein nicht durchschaut und der das Sein nur Gegebensein ist. 46 Innerhalb der Überlegungen zur »Lebensphilosophie« zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhob Guardini 1925 den Gegensatz aufgrund der prinzipiell polaren Gestalt alles Seienden zur Transcendentalie neben Sein, Eins, Wahrheit, Güte und Schönheit (das sind eigentlich: ens, res, unum, aliquid, verum, bonum; vgl. Thomas’ De veritate 1, 1. Es spricht einiges dafür, daß das, was Guardini Gegensatz nennt, bereits im aliquid enthalten ist, wonach eine in sich stehende Sache in getrenntem Verhältnis mit anderem steht). Als Begriff von Ausschluß und Verbindung zweier Momente erfasse der Gegensatz den Kern des Lebendigen. Die Gegensätze seien »die Weise, wie das Leben lebendig ist« (171), in ihnen bleibe die Spannung bestehen, die im Widerspruch aufgrund von dessen Unbeständigkeit bloß zur »Vermengung« werde, die der Ausgangspunkt für einen mechanistischen Monismus (185) sei. Das lebendig-konkrete Dasein hingegen schwebe zwischen den Gegensätzen und Gefahren, es durch den Widerspruch und dessen Auflösung zu befriedigen, hieße ihm das Leben zu nehmen. Aus dem irrationalen Zug dieser Ansicht macht Guardini kein Geheimnis, wenngleich die historische Linie, die der Nachgeborene erkennt, wohl nicht in seiner Absicht lag: »So gilt es, wohl das der Wirklichkeit entfremdende, mechanistische System abzulegen, dafür aber dessen edleres lebendiges Äquivalent zu gewinnen: Richtung
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in der Integration des Seins als Schein im Wesen setzt sich das Wesen ja sich selbst entgegen, – im Schein geschieht dies allerdings auf nicht-beständige Weise, weshalb auch der Gegensatz kein bestehendes Faktum ist. Die Formtätigkeit des Wesens, sein reflexives Setzen des Bestimmten, das unterschieden Eines, d. i. Identisches ist, scheint die Reflexion allerdings mit Blindheit gegenüber ihrem eigenen Tun zu belegen. Zumal wenn diese Entgegensetzung von bestimmender Einheit der Reflexion und reflexionslogischem Substrat als letztes Wort des sicheren Wissens betrachtet wird. Das geschieht, wo Kant einerseits die spontane, »reine Apperzeption« des »Ich denke« einer gegebenen Mannigfaltigkeit gegenübersetzt (KrV, B 131 ff.) und andererseits die Begriffe des vorstellenden Verstandes für nicht-anwendbar auf eine Bestimmung des »Ich denke« erklärt47, welche doppelte Entgegensetzung die unüberbrückbare Kluft zwischen Wissen und Dingen an sich zur Folge hat, die Kant postuliert.48 Auch bei Fichte wird die Entgegensetzung das letzte Wort behalten, deshalb trifft hier die Bezeichnung Bewußtseinsphilosophie: Die absolute und unbedingte Selbstsetzung des Ich im ersten Grundsatz wird von dem für die Bestimmung des Ich notwendigen Grundsatz der materialen Bedingtheit in der Entgegensetzung zum Nicht-Ich (d. i. im Wissen) und vom Grundsatz der formalen Bedingtheit in der Teilbarsetzung von Ich und Nicht-Ich (d. i. im Handeln) nicht wieder eingeholt. Auch diese ›Verfehlung‹ ist in der Bestimmung Fichtes notwendig, da das Ich des Bewußtseins im Falle der Vereinigung der Reflexion zum leeren Nichts würde, – es hängt in’s Blut.« (257) – Dazu, daß nicht der Gegensatz, sondern der Widerspruch ›Keim alles Lebendigen‹ ist, vgl. hier das Kapitel über den Widerspruch. Die Stellungnahme gegen den Mechanismus suggeriert eine Nähe zum ›idealistischen Projekt‹ und die Orientierung auf einen Mythos speziell scheint an den frühen Hegel und an Hölderlin anzuklingen. Doch der Irrationalismus und die materialistisch-martialische Mythologie (»Blut«), die nicht auf Transzendierung des Selbst, sondern auf dessen ›Intensivierung‹ gerichtet sind, zeigen die Kluft zwischen dem Idealismus und der »ideologischen Lebensphilosophie« (Fellmann 1993: 142) der Zwischenkriegszeit. 47 Das Ich ist kein Begriff, »sondern ein bloßes Bewußtsein, daß alle Begriffe begleitet.« (KrV, B 404) Es ist bloße Form, ohne Inhalt, der ihm nämlich gegeben werden muß, und deshalb ist es auch selbst nicht durch Begriffe bestimmbar, die auf das Gegebene gerichtet sind. 48 Der Kantische Subjektivismus bezieht damit (unbeabsichtigterweise?) eine positivistische Position, da die Dinge dann doch wieder unabhängig von ihrem Erkanntwerden so sind, wie sie sind. Diesen impliziten Positivismus hatte schon der frühe Hegel an der Religionsphilosphie Kants entdeckt, wie die Notiz »kant. Philosophie – positive Religion« (TWA 1, 254) zeigte. Kant immunisiert sich freilich gegen diese Analyse: Die Fragen, wie die Dinge sind, ob sie so sind, wie sie sind, unabhängig vom Erkennen, sind allesamt sinnvoll in Anbetracht der Dinge für uns, für Erscheinungen und Gegenstände. Sie taugen nicht im Hinblick auf das Unkennbare. Für Hegel ist dieses Unkennbare von dem Mannigfaltigen, das aus ihm stammt, nicht zu trennen.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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an seiner Endlichkeit. Entsprechend wird für Fichte die höchste Kategorie diejenige der Wechselwirkung sein, die von der nicht-vereinten Entgegensetzung lebt (vgl. FG I 2, 411 und 413; dazu auch Baumanns 1972: 106–118 und Jürgensen 1997: 33 f.). Sich mit dem Gegensatz zu befriedigen und ihn als letztes Wort in eine prinzipielle Stellung zu rücken, heißt allerdings, im Resultat (ein solches ist der Gegensatz) die Genese vergessen zu machen. Es wird ausgeblendet, daß Positives und Negatives beide »das Gesetztsein« (GW XI, 273) sind. Mit den Worten der Differenzschrift versäumt eine im Gegensatz beharrende Philosophie, »das Sein [von intellektueller und reeller Welt] als Produkte, als ein Produzieren zu begreifen« (GW IV, 14). In der Konstatierung des Wesens einer Sache wird dann der Status des Wesens als einem relativem Moment des Wissens verdrängt und das gegensätzliche Wesen als gegenüber einem unwesentlichen Erscheinen selbständig behauptet. So setzt sich das Wissen, das zwischen Wesen und Erscheinung vermittelt, in den Gegensatz zum Gewußten, da dieses selbst unvermittelt sein soll. Darüberhinaus erklärt es diesen Gegensatz zugleich für äußerlich sowie seine Vermittlung von Wesen und Erscheinung angesichts der Unmittelbarkeit des (behaupteten) Wesens – unausgesprochen – für nichtig. Hier macht sich »die Hartnäckigkeit des Verstandes« (Enz. (1830) § 113A) geltend, der ein – irgendwie an sich bestimmtes – selbständiges Substrat einerseits und dessen Bestimmungen andererseits getrennt faßt. Diese Konstellation beschreibt Hegel als charakteristische Kategorisierung innerhalb »der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt« (Enz. (1830) § 114A). Sie schlägt sich unter anderem in der Trennung von Substanz und Akzidenz, Wesentlichem und Unwesentlichem, Wesen und Schein nieder.49 Es ist das Kennzeichen des »reflektierenden Verstan49
In der Kritik derartiger Voraussetzungen kann das »antimetaphysische Programm« (Wolff 1981: 136) Hegels gesehen werden (vgl. GW XI, 32), das aber nicht einfach als Überwindung, sondern als Bewahrung der metaphysischen Kategorien durch Einordnung in ihre immanente Relation verstanden werden muß. Eine nicht-metaphysische Interpretation der Logik (Theunissen) kann nur gegen Hegel durchgehalten werden (vgl. zur Würdigung der metaphysischen Struktur der Logik Hegels den Beitrag von Beierwaltes 1980). Die Hegelsche Kritik metaphysischer Voraussetzungen findet ihre volle Durchführung erst in der Kritik der Reflexionsbestimmungen und im Durchgang durch die in den Sätzen der Identität, des Unterschieds und des zu vermeidenden Widerspruchs sich ausdrückende Axiomatik der Logik des natürlichen Verstandes. Hanna stellt von daher (1996: 253 f.) die Wissenschaft der Logik als Fortsetzung der kritischen Philosophie Kants dar: »The important difference between Kant and Hegel […] is that Kant did not see the common logic as ontologically naive and undeveloped, but rather as well grounded […] foundation of his transcendental logic; by contrast, Hegel is quite clear that it is only by means of a critique of the common logic that the transition to the higher logic [d. i. in ontologischer Bedeutung; d.V.] can occur.« (254) Weil sie auf einer ontologisch naiven Logik
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des«, daß er in diesem Widerspruch verharrt, indem er »zugleich die Unterschiede als selbständig annimmt und zugleich auch ihre Relativität setzt; – beides aber nur neben- oder nacheinander durch ein Auch verbindet und diese Gedanken nicht zusammenbringt, sie nicht zum Begriffe vereint.« Dem an sich bestimmten Sein ist seine Relation zu anderem dann immer nur von außen, durch ein Drittes, auferlegt. Insofern entpuppt sich das Auch als ein ebensolches Sophisma wie das Insofern, da es dazu dient, zwei Momente auseinander zu halten, die an und für sich zusammen gehören, die aber, wenn sie denn in ihrer Einheit gedacht sind, als Widerspruch entdeckt werden und folglich nicht mehr Bestehende sein können. Das Auch dient der Scheinstablisierung. Wie das Substrat der Reflexion und dessen Bestimmungen auseinandergehalten werden, zeigt sich entlang eines Beispiels, das Hegel im Zusammenhang mit der Gegensatzbestimmung verwendet50: Wir stellen uns beispielsweise vor, es gebe ›den Weg‹, der als sachliches Substrat selbständig zugrunde liegt, und zu diesem komme die Bestimmung ›sechs Meilen nach Westen oder nach Osten‹ hinzu. Verknüpft werden sie durch ein Drittes, das ein der Bestimmung wie auch dem Substrat gegenüber anderes ist. Als ein solches Drittes wird die Reflexion angesehen, die zum gegebenen Unterschied der selbständigen Sache und der verschiedenen Bestimmungen hinzutritt. Dementgegen ist es der Weg selbst, der immer schon eine bestimmte Strecke in eine bestimmte Richtung verläuft. Die prädikative Bestimmtheit kommt ihm nicht erst zu, sondern ist immer schon seine eigene Wirklichkeit. Weil die Reflexion dem ›Substratmodell‹ zufolge nur äußerlich ist, deshalb kann sie selbst nicht bestimmend wirken. Tut sie es – als äußerliche Reflexion – dennoch, so kommt sie in den Ruch, gewaltsam zu sein und ihre Grenzen zu überschreiten. Weil sie nicht dem Inhalt der Relate entspringt, wird sie allenfalls formal sein können. Soll sie dennoch inhaltlich bestimmend wirken, so würde sie lediglich vorausgesetzt sein, da die bestimmende Relation der Reflexion nicht aus dem von ihr bestimmten Relat, dem bestimmten Sein, entwickelt worden wäre. Diese Reflexion ist eine externe Relation, ganz so
beruht, wird auch die transzendentale Logik ›ontologisch naiv‹ sein, wenn sie die Formen der allgemeinen Logik in solche aller möglichen Erfahrung überschreibt und dabei deren unkontrollierbare Vorurteile übernimmt. 50 Hegel stellt sich damit freilich einer neuzeitlichen Verarmung des Verhältnisses von ousia und symbebkota entgegen. Die ousia als hypokeimenon (Substrat) ihrer wechselnden Bestimmungen ist nie vor oder ohne diese. Vielmehr bestimmt sie ihre Identität im vollen Sinne im Wechsel ihrer akzidentiellen Bestimmungen fort: Was sie in der differenzierbaren Einheit ihrer Wesensmomente ist, ist sie nicht gegen oder ohne ihre symbebkota.
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wie der Gegensatz in (a) und (b) äußerlich ist. Die trennende Hartnäckigkeit bedeutet aber ein Vergessen, denn die Konstellation, die mit dem Gegensatz zur unüberwindbaren Kluft zwischen der reflexiven Formung und dem beständigen Geformten wurde, ist schließlich ganz und gar das Resultat der Formtätigkeit der Reflexion, deren beziehende Tätigkeit übergangen wird. Eine unüberwindbare Kluft entsteht dabei nur, wenn Genese und Resultat am Ende wiederum auseinanderfallen, wenn im Resultat die Genese verschwunden ist, so daß dieses als unvermitteltes Ergebnis erscheint. Ist nämlich die Genese im bestimmten Resultat mitbedacht, so ist dieses als gewordenes identifiziert und nicht in unmittelbarer Unmittelbarkeit getrennt von der Reflexion. Was entgegengesetzt ist, ist ein Gesetztsein. Im genetischen Resultat wird der erscheinende Gegensatz also wiederum – im Wortsinne – reduziert und auf seine Quelle zurückgeführt. Das geschieht, indem auf die Relation im Entgegensetzen, also der Gegensatz auf den Gegensatz reflektiert wird. Dieser Vorgang erläutert zugleich, was Hegel unter der »bestimmte[n] Negation« versteht, die er in der Einleitung zur Logik als einzigen Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis bezeichnet (GW XI, 25). (c) Weil sie gleichermaßen gesetzt und gleichgültig sind, sind das Positive und das Negative beide gleichermaßen positiv und negativ. Die Bestimmtheiten sind also selbst in sich selbst reflektiert. Die Reflexion kommt nicht als letztlich äußere Einheit (als Drittes) zum an sich Bestimmten hinzu, sondern das Bestimmte ist selber Reflexion. Dadurch verändert sich der vermeinte Sinn der Selbständigkeit des bestimmten Identischen. Es ist als selbstreflexives selbst der ganze Gegensatz, der in (a) und (b) den Entgegengesetzten jeweils äußerlich sein sollte.51 Dort wurden sie erst in einem äußerlichen Verhältnis eigentlich entgegengesetzte, also in einem Dritten, das nicht in die Reflexion auf das Entgegengesetzte an sich miteinbezogen wurde. In (a) und (b) wurde beim faktischen Gegensatz von Substrat und Bestimmung stehengeblieben. In dieser Trennung zeigt sich die Nähe von Gegensatz und Satz, wie zu erwarten war, da das Thema nicht mehr die einfache Bestimmtheit ist, sondern die Beziehung von Bestimmtheiten. Diese Bestimmungsbeziehung wird im Satz ausgelegt. Die Annahme eines faktischen Gegensatzes von Substrat und Bestimmung, der erst in einem äußerlichen Dritten formal geeint wird, das selbst nicht inhaltlich bestimmend ist, liegt auch derjenigen Auffassung vom Wesen des Satzes zugrunde, die Hegel in seiner Kritik des Urteils wiederholt angreift (GW IX, 20 f., 42 ff. und 267 ff., GW XII, 245, Enz. (1830) §§ 31A, 166A). In dieser Auffassung werden dem zugrundeliegenden Subjekt 51
Weil keinem Entgegengesetzten sein Gegensatz nur äußerlich sein kann, deswegen sollte er lediglich äußerlich sein.
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im Satz durch die Copula wechselnde Prädikatsnomen zugeordnet. Durch den beiherspielenden Wechsel der Prädikate hindurch bleibt das Subjekt unveränderlich bestehen, wie es ist. Sowohl Subjekt als auch Prädikatsnomen haben je für sich ihre bestimmte Bedeutung, die durch ihre Verbindung im Satz nicht verändert, sondern gewissermaßen addiert wird. Die Wahrheit des Satzes bemißt sich dann daran, daß in seiner ›Summe‹ dasselbe herauskommt, wie im getrennt davon vorliegenden Gegenstand enthalten ist. Das System der Erkenntnis und das System der Gegenstände sind voneinander getrennt. Das besondere Subjekt und das allgemeine Prädikat vereinigen sich im Satz nicht, sie werden vielmehr jeweils verknüpft (GW IX, 42 f.), so daß dieser Akt, in dem ein Besonderes mit einem Allgemeinen ohne innere Notwendigkeit verbunden wird, seine Wahrheit immer erst erweisen muß, indem sich die Verknüpfung als zutreffend erweist.52 Diese Synthesen sind zu ihrer Beglaubigung auf Erfahrung und Anschauung angewiesen, als deren Abbilder sie Geltung erlangen sollen. Das Modell des Satzes als ›Zufügung‹ läßt den im Satz statthabenden Gegensatz von gleichbleibendem, einheitlichem Substrat und mannigfaltiger, veränderlicher, zeitbestimmter und zugleich allgemeiner (vielem zukommender) Prädikation einfach als solchen bestehen. Das Denken solcher Sätze reflektiert dabei nicht auf das Geschehen im Satz, auf dasjenige, was darin ›in der Tat‹ vollzogen wird. Darin wird nämlich das Konzept des positiv auf sich beruhenden Substrats der Bestimmung, des ruhenden Subjekts, eben durch seine Verbindung mit der negativen Bestimmung und durch den offensichtlich dabei ebenso gültigen Unterschied von Substrat und Bestimmung im Satz konterkariert. Das Subjekt ist nicht prädikats- und das Sein nicht bestimmungstranszendent. Hegel spricht in der Phänomenologie davon, »daß diese Reflexion ihre Negativität nicht zum Inhalte gewinnt« (GW IX, 42), sie ist äußerliche Reflexion. Diese Äußerlichkeit sich selbst gegenüber gilt ebenso von der Seite ihres Verständnisses vom Gegenstand der Erkenntnis her: Die Lehre vom Sein zeigte, daß Sein nur als Seiendes ist, und daß das Seiende wiederum nur indem es sich bewahrheitet, d. i. als Wahres, ist. Kein anderes als das Wahre kann aber Gegenstand der Erkenntnis sein. Eine Erkenntnisweise, die ihren Gegenstand als ruhig zugrundeliegend voraussetzt, verfehlt daher das Wahre, das zu erkennen sie doch streben muß. Denn dessen Bewahrheitung durch sein Als-Etwas-Sein besteht in der Bewegung des Wahren zur Wahrheit. Dieser Bewegung zur Wahrheit wird das ruhende Subjekt des Satzes entzogen. Mit den beiden Gegensatzweisen (a) und (b) wurde der Gegensatz einmal von der negierenden Reflexion und einmal vom positiven Substrat der 52
Diese Wahrheit haben wir oben als »Richtigkeit« kennengelernt.
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Bestimmung her gedacht. Darin zum Tragen kam die Entgegensetzung von Einheit der Bestimmung und Vielheit der Bestimmten, zwischen Relation qua Reflexion und Selbständigkeit als unterschieden Eines/ Identisches. Dieser Gegensatz scheint unüberwindbar, – solange er als gegeben angesehen und nicht auf seine Konstitutionsbedingung reflektiert wird. Warum diese Reflexion mitunter nicht getätigt wird, erklärte Hegel mit »Hartnäckigkeit des Verstandes«. Die Hartnäckigkeit ist freilich nur Symptom und nicht Grund für das Festhalten des Gegensatzes in den beiden Konstellationen. Der Grund liegt nämlich im durch den Gegensatz konstituierten Satz(-verständnis) und in der damit verbundenen Wahrheitskonzeption. Entlang des Modells vom Satz als Zufügung von Prädikaten zum an sich bestimmten Subjekt versteht das Verstehen die Selbstgleichheit des Wahren als unbewegtes auf sich Beharren. Das Wahre soll ein einfach Positives sein, das gleichwohl kein positum ist. Die Hartnäckigkeit des Verstandes hält mit den Sophismen des Insofern und des Auch lediglich an diesem auf sich beruhenden Wahren fest und verteidigt es. Die Explikation des selbständig Wahren fällt demnach in die Reflexion, sich darzustellen gehört dann nicht zum Wesen des Wahren selbst, das ohne Gestalt ist. Reflexion und Explikation sollen dessen Selbständigkeit gegenüber gleichgültig sein. Das Positiv-Negative, das schon in (a) und (b) als das Selbständige vorgestellt wurde, ist jedoch eine integrative Einheit. Es ist weder einerseits selbständig und andererseits bestimmt, noch ist es von einem Anderen her gesetzt, sondern es ist an sich selbst gesetzt. Das bedeutet, daß es selbstreflexiv ist. Was reflektiert wird, das wird als etwas gesetzt, und was dabei nicht einfach übergängig-anders ist als Anderes, sondern selber anderes und durchgängig ist, das ist selbstreflexiv. Weil es solchermaßen durch den Selbstbezug der Differenz zu Identischem wird, ist das Gesetztsein des Positiven aufgehoben. Wo Gesetztsein von Anderem her gesetzt zu sein heißt, da ist dasjenige, was selbständig, also nicht von Anderem her ist, nicht mehr gesetzt. Wo dann aber nicht einfach Nichts, sondern sehr wohl ein bestimmtes, nämlich Positives gedacht wird, da ist dessen Gesetztsein nicht einfach nicht geschehen, sondern es ist ›Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein‹ (GW XI, 274). Als solches ist das Positive in der Reflexion gesetzt. Derart in sich reflektiert ist das Positive das »Nichtentgegengesetzte«, das an sich bestimmt ist. Es ist also Nichtentgegengesetztes als entgegengesetzt dem negativen Entgegengesetztsein. Gleiches gilt für das Negative: Es ist als selbständiges nicht lediglich gesetzt, dann wäre es Entgegengesetztes überhaupt, dem seine Entgegensetzung letztlich äußerlich war, sondern es ist an und für sich negativ bestimmtes. Es wird nicht durch anderes bestimmt, sondern es ist selbst anderes. Es ist »das für sich bestehende Entgegengesetzte
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gegen das Positive, das die Bestimmung des aufgehobenen Gegensatzes ist« (GW XI, 275), wobei sich der Relativsatz sowohl auf das Negative, als auch auf das Positive bezieht, in denen das Gesetztsein gleichermaßen aufgehoben ist. Die Position der negativen Reflexion von (a) und des positiven Substrats von (b), so wird deutlich, ist je an und für sich entgegengesetzt. Beide Positionen bestehen selbständig, weil sie ihr Anderes enthalten und es zugleich ausschließen. Entgegengesetzt zu sein ist sowohl für das Substrat, als auch für die Reflexion essentiell, sie werden mithin nicht erst von einem Dritten her zu Entgegengesetzten. Substrat und Reflexion sind selbst bereits entgegengesetzt, ihre Relation zueinander ist nicht extern, sondern sie ist ihre immanente Bestimmung. So faßt Hegel zusammen: »Allein das ansichseiende Positive oder Negative heißt wesentlich, daß entgegengesetzt zu sein nicht bloß Moment sei [(a)], noch der Vergleichung angehöre [(b)], sondern die eigene Bestimmung der Seiten des Gegensatzes ist [(c)].« Die Entgegensetzung von Substrat und Reflexion ist zugleich ihre gegenseitige Implikation. Doch im Ausschluß dessen, was sie einschließen, wodurch sie wechselseitig konstituiert werden, schließen sie sich selber aus. Das heißt, die Reflexionsbestimmungen schließen in ihrer Selbständigkeit ihre Selbständigkeit aus. Im Positiven und im Negativen ist dieser Widerspruch gesetzt, denn die ausschließende Reflexion wird ihnen nicht von außen her zugesagt, sondern sie ergibt sich aus dem Inhalt der beiden Relata, das unterscheidet sie von einer bloßen Voraussetzung. Die Reduktion des Gegensatzes bedeutet also die Auflösung dieses Verhältnisses zu seinem Grund. Der Widerspruch ist inhaltssetzende Form und nicht bloß formell, er macht das Gesetztsein aus. Er besteht nicht einfach zwischen einer Bestimmung und einer anderen, dazu konträren Bestimmung, sondern indem die konträren Bestimmungen in eins gesetzt sind, – wie im Positiv-Negativen der Reflexion. Der Widerspruch ist immer ein Widerspruch in sich.53 In seiner Logik-Vorlesung sagt Hegel: »Man führt kontradiktorische Begriffe an, und diese heißt man solche wie blau und -blau, bloß nichtblau; konträr heißt man blau und gelb, das Kontradiktorische sei nur nichtblau, bloße Negation, also [irgendeine] andere Farbe; das Allgemeine, die Farbe liegt zugrunde. […] 53
Er ist nicht nur ein Widerspruch zwischen dem, was der Satz behauptet und dem, was er ›tut‹. Diesen Widerspruch nennt Hösle (1998: 198, darin Wieland folgend) einen »pragmatischen Widerspruch«, auf diesen reduziert er Hegels Berechtigung in der Verwendung des Widerspruchsbegriffs. Hegel hingegen zeigt einen Widerspruch der Bestimmung, der nicht nur der subjektive des Bestimmens ist, sondern im strengen und harten Sinn der Widerspruch der bestimmten Sache selbst sein soll. Der Widerspruch wird daher bei Hegel zu einer objektiven Bestimmung, er ist nicht mehr der Widerspruch zwischen kontradiktorischen Sätzen oder zwischen einem Satz und einer Tatsache.
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Entgegengesetzte Prädikate werden widersprechend, wenn man sie sich in Beziehung auf Eines denkt.« (AV X, 142)54 Der Widerspruch besteht zwischen einer entgegengesetzten Bestimmung (blau oder nicht-blau; -|A|, d.i + und -A) und dem an sich nicht-entgegengesetzten Substrat der entgegengesetzten Bestimmung (Farbe; |A|). Der Widerspruch besteht nicht zwischen blau und nicht-blau, zwischen einer positiven und einer negativen Bestimmung als solcher, sondern zwischen der positiv-negativen Bestimmung und dem reflexionslogischen Substrat des Bestimmens. Der Widerspruch von Substrat und reflexiver Bestimmung läßt sich mit der von Wolff (1981) vorgeschlagenen Formalisierung in den Satz fassen: -|A| ist |A|. Farbe ist blau oder nicht-blau oder im Vorgriff auf die Lehre vom Begriff formuliert: Das Allgemeine ist das Besondere. Zwei negative Bestimmungen als solche gehen allenfalls ineinander über, sie stellen aber keinen Widerspruch dar. Weil so der Widerspruch umgangen wird, kann mithilfe des Insofern und des Auch der stete und immer gleiche Wechsel zwischen den Bestimmungen, ein Verharren im Übergang, behauptet werden. Das einfache Übergehen der Bestimmungen läßt aber kein sicheres Wissen zu, da jede Bestimmung einer Sache nur die Einnahme eines bestimmten und einseitigen Standpunktes zur Sache wäre, dem andere Standpunkte gleichberechtigt zur Seite stünden. Die Wahrheit wird dann zur Sache der Interpretation und der Ansicht. Da kein Widerspruch darin gesehen wird, kann auf die Meinung verfallen werden, in dieser Situation verbleiben und sich mit ihr befriedigen zu können, statt die einzelnen Standpunkte gegeneinander auszuspielen und sie so in ihren Ausschlußverhältnissen und in ihren wechselseitigen Bedingtheiten zu erkennen. Solange der Gegensatz in (a) und (b) äußerlich in einem Dritten gelegen war, solange schien das jeweilige Ansichsein von Bestimmung und Bestimmten kein Widerspruch. Die Konzepte des Substrats und der Reflexion setzten einander ›stillschweigend‹ voraus und konnten so nebeneinander ihre Selbständigkeit als getrennte Systeme des Seins und der Erkenntnis behaupten. Erst das Befragen ihrer Gründung befreit sie vom Charakter der bloßen gegenseitigen Voraussetzung und der Blindheit gegenüber dieser. Das an sich seiende Positive, wie das an sich seiende Negative sind gleichermaßen selbständig und gesetzt, sie enthalten ihr anderes und schließen es aus: Das Substrat schließt die Reflexion aus und ebenso ist die Reflexion der »Gegen54
Der Vorwurf, Hegel verwechsle konträre und kontradiktorische Gegensatzbestimmungen und gelange so zu seinem Satz, wonach alle Dinge widersprechend seien, zeigt sich ohne Anhalt im Hegelschen Gedanken (dazu GW XII, 46). In der Tat führt Hegel die konträre Bestimmung auf die kontradiktorische zurück, das bedeutet aber keineswegs, daß er sie vermengt (zu den Quellen dieses Vorwurfs vgl. Wolff 1981).
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stoß« gegen das Substrat. Beide schließen sich also in ihrer Selbständigkeit selbst aus, denn ohne ihr anderes sind sie nicht.55 Ihr je anderes ist je das zu ihnen gehörige Komplement von Substrat und Reflexion, von Sein und Bestimmung. Schließen sie ihr Komplement aus, so schließen sie sich selbst aus. Dies ist ihre eigene Bestimmung, Positives und Negatives sind nicht von anderem her bestimmt, derart ist die Verfassung von Qualität, einfacher Bestimmtheit, beziehungsweise von »Negation überhaupt«. Sie sind vielmehr Positiv-Negatives, sie sind »Gesetztsein oder Negation als Beziehung auf sich« (GW XI, 280), in dieser Selbstbeziehung liegt die Reflektivität der Bestimmung. Hier ist sie »als Negatives«, also in der Form, in der sie gilt (c) und nicht lediglich poniert, behauptet. Dieser reflektive Selbstausschluß ist nicht ein, sondern der Widerspruch. Der Widerspruch besteht also nicht darin, daß da eines einem anderen widerspräche, sondern nur der Selbstwiderspruch ist ein Widerspruch im strikten Sinne. Darin wird auch der Unterschied von Positivem und Negativem sichtbar. Die Selbstkonstitution des Positiven macht aus diesem ein Negatives, es ist »nur an sich dieser Widerspruch«, denn als es selbst bleibt es nicht es selbst, sondern es schlägt in sein Anderes um. Das Negative schließt in seiner Selbstkonstitution ebenfalls sich aus, das Negative schlägt dabei aber nicht um: Es ist nur als Negatives gegen Eines, also in Abhängigkeit von diesem. Um aber überhaupt ›gegen Eines‹ (vgl. Fink-Eitel 1978: 128) sein zu können, muß es dieses ausschließen, und so schließt es seine eigene Konstitutionsbedingung aus. Als das Ausschließen des Positiven ist das Negative, was es ist, darin ist es also selbst positiv, in Übereinstimmung mit sich. Das Negative ist also, was es ist (Negatives), indem es nicht ist, was es ist (nämlich als Positives); das Negative als Negatives ist »der gesetzte Widerspruch« (GW XI, 280).
2.2.C.b »Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi.« Im gesetzten Widerspruch liegt erstmals überhaupt im Gang der Logik der Widerspruch im strikten Sinne vor, denn hier wird er festgehalten und identifiziert: Das Negative erhält als sein eigenes Nichtsein seine Identität. Weder widersprachen sich Sein und Nichts in ihrer übergangsweisen Identität, 55
Hier kann auf Hegels Bestimmung der Dialektik der absoluten Idee vorverwiesen werden: Die Reflexionsbestimmungen geraten »nicht etwa durch eine äußerliche Verknüpfung in Widerspruch, sondern [sie] sind, wie die Betrachtung ihrer Natur gezeigt, vielmehr an und für sich selbst das Übergehen« (GW XII, 244). Dies ist gegen Kant gesprochen, der die Antinomie in der subjektiven Betrachtungsweise, nicht in der objektiven Bestimmung verortet hat.
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noch ist Etwas, beziehungsweise das Endliche ein Widerspruch, sie sind nur nicht das, als was sie zunächst behauptet wurden, das heißt sie sind übergängig. Der strikte Widerspruch aber besagt, daß etwas zugleich und in einem es selbst und nicht es selbst ist. Das Denken der übergängigen Bestimmungen kann daher als Nach-denken charakterisiert werden, das seinen übergängigen Bestimmungen immer hinterherläuft. Sie unterlagen dem Widerspruch, weshalb sie kein Bestehen hatten, sie sind aber nicht der Widerspruch. In Identität und Unterschied war es möglich, einen Widerspruch zu denken.56 Doch wohin führte dieses Denken? In den Zerfall innerhalb der Logik der Identität. Weil die Identität als ein Ganzes ebenso unterschieden wie identisch ist, deshalb birgt sie den Widerspruch bereits in sich. So zerfällt die Wesenheit der Identität in lauter mit sich Identische, denn ihre Momente sind ebenso Ganze wie sie selbst. Der Widerspruch zeigt sich, principium individuationis zu sein. Diese Identischen sind, weil sie selber Ganze sind, nur mehr äußerlich bestimmt und zu unterscheiden, sie setzen sich somit als unmittelbare und unbestimmte in einen Gegensatz zu ihrer Bestimmung. Weil diese Form der Selbständigkeit in ihrer Selbstkonstitution das sie konstituierende Bestimmen ausschließt, deshalb war sie Widerspruch. Mit dem Widerspruch ist nicht mehr der übergängige Gegenstand, sondern der Übergang selbst thematisch. Zumal es der Widerspruch ist, der die einseitige Bestimmung aus ihrem vermeintlichen Bestehenkönnen löst und so den Formprozeß des Wesens, d. i. die Angleichung an sich selbst, trägt. Das Denken wird in der Bestimmung des Widerspruchs zum Mitdenken mit der Formierung seiner Gegenstände. Dabei drückt die Präposition ›Mit‹ aus, daß Formierung und Denken hier nicht getrennt voneinander verlaufen.57 Die Formierung kann nicht nach der Art eines Gegenstandes in den Blick kommen, über den nachgedacht werden muß. In dieser Andersartigkeit des Denkens in Anbetracht der Formierung liegt ein weiterer Grund für die spezifischen Schwierigkeiten im Verstehen der Wesenslogik. Dieselbe in seiner Sache begründete Andersartigkeit des Denkens der Formierung war es auch, die bereits in den frühen Schriften Hegels für die veränderte Ausdrucksweise in der Darstellung des reinen Denkens angesichts des plrma verantwortlich war.
56
Der Widerspruch muß also, wie Fichte bereits sah, denkbar sein, damit er vermieden werden kann. 57 Schelling (SW IX, 243) findet für ein dergestaltes Denken das passende Wort der »Mitwissenschaft, conscientia«.
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Um die schwierige Bewegung des Widerspruchs (und seine Kommentierung) leichter nachvollziehen zu können, sei der Absatz, der die drei Stufen der Bewegung beschreibt, ausführlich zitiert: »[i] Die Reflexion in sich, wodurch die Seiten des Gegensatzes sich zu selbständigen Beziehungen auf sich machen, ist zunächst ihre Selbständigkeit als u nters chie dener Momente; sie sind so nur an sich diese Selbständigkeit, denn sie sind noch entgegengesetzte, und daß sie es an sich sind, macht ihr Gesetztsein aus. [ii] Aber ihre ausschließende Reflexion hebt dies Gesetztsein auf, macht sie zu fürsichseienden Selbständigen, zu solchen, die nicht nur an sich, sondern durch ihre negative Beziehung auf ihr Anderes selbständig sind; ihre Selbständigkeit ist auf diese Weise auch gesetzt. [iii] Aber ferner machen sie sich durch dieses ihr Setzen zu einem Gesetztsein. Sie r ichten sich zug r unde, indem sie sich bestimmen als das mit sich Identische, aber darin vielmehr als das Negative, als ein mit sich Identisches, das Beziehung auf Anderes ist.« (GW XI, 281) Das wahrhaft, nämlich als es selbst und nicht von einem Anderen, Entgegengesetzte schließt sein Negatives aus. Es hebt dieses Andere auf und hat es zu seinem Moment. (i) Das in der Reflexion gesetzte, einander entgegengesetzte Positive und Negative bedeutet schließlich, daß jedes als es selbst dem anderen entgegengesetzt ist. (ii) Dieser gegenseitige Ausschluß ist unabhängig von der Reflexion auf die beiden Bestimmungen.58 Somit ist das gesetzte Bestimmte selbst negativ, da es ja ausschließend ist. Das bloße ›Entgegen-‹ (die Beziehung auf sich, selbst es selbst zu sein) wird daher zum ›-Gesetzten‹ (zur Beziehung auf Anderes/ sein Nichtsein). Auf diese Weise wird denkbar, daß auch das Gesetztsein nicht einem abstrakten Herausgesetztwerden von einem Anderen her entspringt; so wie man den Vorgang der Schöpfung abstrakt auffassen könnte als das Heraussetzen des Geschaffenen aus der Form, 58
Iber (1990: 469) macht hier zwischen erstem und zweitem Stadium der Entfaltung von ausschließender Reflexion einen »›Subjektwechsel‹« aus: Betrachte Hegel zunächst die selbständige Reflexionsbestimmung, so wechsle er im zweiten Stadium zur Betrachtung der Relation der Reflexionsbestimmungen. Wohl liegt in allen Stadien ein Wechsel vor, allerdings nicht des in Rede stehenden Subjekts und zudem in der – der Annahme Ibers – entgegengesetzten Richtung: Zunächst ist die Reflexionsbestimmung nur unterschiedenes Moment, an sich selbständig, das aber ist sie für die äußere Reflexion. Diese wandelt sich in der Folge zur eigenen Reflexion der Bestimmung. Iber aber meint es gehe von der Bestimmung zur Reflexion, ohne zu bedenken, wie die zunächst betrachtete Reflexion Moment sein kann und »an sich« bestimmt, außer in der Reflexion, die damit das Thema des ersten Stadiums ist. In Hegels Text wird die äußere Reflexion verinnerlicht und zum Subjekt, das sich bestimmt durch den Widerspruch. Folglich ist nicht von einem Subjektwechsel, sondern vom Werden des Subjekts zu reden.
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wobei das Herausgesetzte dann einfach anderes zur Form ist. (iii) Das Gesetztsein ist vielmehr die eigene Tat des Gesetzten, es setzt sich und ist somit Selbstsetzung, die hervorgeht aus dem »fürsichseienden Selbständigen«. Doch stehen wir auch mit dieser Selbstsetzung nicht vor einem substantiell Bestehenden. Sie steht nämlich unter der Bestimmung des Selbstausschlusses, denn dieses Gesetztsein »ist dies, gegen die Identität identisch mit sich zu sein« (GW XII, 280). Das ist die Bestimmung allen Gesetztseins und alles Endlichen: Es ist, was es ist, es ist identisch mit sich selbst nur gegen die (einfach-allgemeine) Identität, also um den Preis des Ausschlusses. Es ist nur selbständig »durch seine ausschließende Reflexion«. Das heißt, daß es durch das Aufheben seines Anderen sich wohl selbst setzt, aber doch zugleich auch sich selbst aufhebt, denn es setzt sich in seinem Ausschließen eben als das Andere, welches es aufhebt. Erst mit diesem Aufheben des Gesetztseins durch das eigene Als-gesetzt-Setzen tritt die wahrhaft fürsichseiende Einheit hervor. Das Andere ist unabdingbares Komplement des Selbigen: Durch das Ausschließen wird es zu einem Negativen und dieses Negieren ist konstitutiv für das Selbige, denn sonst wäre es einfach Nichts. Doch das Negative, zu dem es sich macht, dieses Andere, dessen Enthaltensein in ihm die Selbständigkeit des Selbigen ausmacht, schließt es in seiner Selbstsetzung aus. Daher gilt: »Der Widerspruch löst sich auf.« 59 Von dieser Auflösung gilt, was Kant von der Analysis des Verstandes gesagt hat: Wo dieser nichts verbunden hat, da könnte er auch nichts auflösen (KrV, B 130). Auch im Widerspruch löst sich auf, was a priori verbunden wurde. Zunächst sei erinnert, was hier verbunden ist: Bestimmtheit und Selbstand, mithin das, was eine (jede) Sache ist; sie werden qua Reflexion in Eins gedacht und zum Gesetztsein verbunden, so sind sie der Widerspruch. Was löst sich daran wodurch auf? Der Widerspruch löst sich selbst auf, d. i. das Gesetztsein, das Beziehung auf sich ist. Der Widerspruch wird also nicht 59
Die Auflösung des Widerspruchs erwähnt Hegel schon in der ersten Anmerkung zur Bestimmtheit des Seins. Dort traf sie die Behauptung der Identität von Sein und Nichts. Damit war »ein Satz gesetzt« (GW XI, 49), der, indem er die Identität behauptet, die Unterschiedenheit (Sein und Nichts) aussagt. Die darauf erfolgende synthetische Auflösung des Widerspruchs in das Werden und weiter ins unmittelbare Dasein war aber eine Auflösung, die aufgrund der fortwährenden Unmittelbarkeit noch keinen Unterschied im Ganzen machte. Die Zerstörung (GW XI, 57) der widersprüchlichen Vereinigung des Werdens entspricht daher genau genommen nicht der Auflösung des Widerspruchs (so aber Fink-Eitel 1978: 129). Dem endlichen Bewußtsein stellt sich der Widerspruch immer als Aufgabe im zweifachen Sinne: Er muß erkannt und gelöst werden. In der Logik als Theorie des reinen Denkens gibt es diese Entgegenstellung nicht, daher kann hier das Zugrundegehen des Widerspruchs betrachtet werden, ohne daß der Widerspruch erst noch aufzulösende Aufgabe ist.
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wie ein Irrtum beiseite gesetzt und durch etwas anderes ersetzt, das dann widerspruchsfrei als einfach identische Wahrheit an seine Stelle tritt. Die Auflösung des Gesetztseins bringt kein Anderes der selbständigen Bestimmung hervor, sondern sie bringt durch es selbst dessen wahrhaftes Selbst heraus. Schließlich kann, was etwas selbst ist, nur durch es selbst und nicht durch Subsumption unter ein Anderes, oder – in der Sprache der Postmodernen ausgedrückt – durch Konfrontation mit einem absolut Anderen hervorgebracht werden. Das Gesetztsein ist eine Synthese, nämlich von Identität und Unterschied. Es ist eine ›gegenstrebige Fügung‹ von Elementen, deren Unterschied allerdings nicht vorausgesetzt, sondern aus der einfachen Unmittelbarkeit entwickelt wurde. Dabei ergab sich zugleich, daß dieser Unterschied ungetrennt also in Identität verbunden ist. Als Reflexionsbestimmung ist die Synthese aber in die ausschließende Gleichheit mit sich reflektiert, die Identität wurde zu Identischen. Die Analyse/ Auflösung dieses Gesetztseins ist nun nicht eine Auseinanderlegung in seine Bestandteile, wie die Analyse des Naturforschers sie an ihrem Gegenstand beabsichtigt.60 Die Bestandteile sind schließlich bereits bekannt: Identität und Unterschied. Wir begäben uns mit der auseinanderlegenden Analyse nur in einen unfruchtbaren Zirkel, denn diese Bestandteile müßten, um in ihrer Bedeutung erkannt zu werden, wiederum verbunden werden, woraufhin sie wieder auseinandergelegt würden und so weiter. Die Auflösung des Widerspruchs hat eine andere Funktion als die auseinanderlegende Analyse, sie ist nicht Differenzierung von zuvor Verbundenem in seine Einzelteile, sondern sie ist ein konstitutives Unterscheiden. Wohl ist jeder Unterschied konstitutiv für das durch ihn Unterschiedene, doch ist dies aus der Perspektive des seinslogischen Bestimmens eines und ein anderes, der Unterschied ist also Andersheit. Eines verschwindet dabei im anderen, wie das Etwas im Anderen verschwindet, und das Unterscheidungsvermögen wird dabei vorausgesetzt. Die Auflösung des Gesetztseins hat hingegen einen Unterschied zu ihrem Resultat. In diesem wird das Unterscheiden selbst hervorgebracht. Die Unterschiedenen verschwinden hier nicht in der Analyse, sondern durch ihre Auflösung läßt der Unterschied ihr wahrhaftes Sein hervortreten. Die Auflösung des Widerspruchs zeigt sich in der Vollständigkeit des durch ihn vollzogenen Aufhebungsprozesses: Er macht hier einen Unterschied im Ganzen. So wird auch nicht ein Widerspruch aufgelöst, sondern es wird die Auflösung gezeigt, die der Widerspruch als Widerspruch ist (vgl. Wolff 1981: 163 f.). In der darin vollzogenen Unterscheidung geht das Identische in seine Wahrheit ein. Weder löst sich die Bestimmtheit durch den Widerspruch in 60
Zum Begriff des analytischen Erkennens vgl. Enz. (1830) § 227.
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eine unterschiedslose Bewegtheit von Anderem zu Anderem auf noch wird das Sich-widersprechende, weil es etwa einem Irrtum entsprungen wäre, nun als Falsches beiseite gesetzt und ausgeräumt.61 Das durch den Widerspruch in Gang gesetzte Unterscheiden ist vielmehr Explikation des Anfangssatzes der Lehre vom Wesen: »Die Wahrheit des S eins ist das Wesen.« (GW XI, 241) Sein und Wesen aber gehören wie Genese und Resultat zusammen, entsprechend negiert die Auflösung des Widerspruchs diesen nicht einfach, sondern sie ist dessen Bewahrheitung. Das geschieht nicht derart, daß behauptet würde, der Widerspruch sei das Wahre. Schließlich löst sich der Widerspruch auf und als das Wahre hatte sich ja bereits das Wesen herausgestellt. Es wird vielmehr gezeigt, daß und wie der Widerspruch – mit Hegels erster Habilitationsthese gesprochen – »regula veri« (GW V, 227) ist. Die Unterscheidung im Widerspruch verbirgt sich zunächst. Wo nämlich das gesetzte Moment auf sich selbst reflektiert ist und somit das Gesetztsein vom Anderen her ausschließt, da konstituiert es sich zwar als sich selber setzend. Doch in diesem Setzen macht es sich, wie bereits erwähnt, qua seines Ausschließens zugleich zum »Gesetztsein« (GW XI, 281). Dies ist von Hegel in äußerster Präzision formuliert: Das sich selbst Setzende macht sich nicht zum Gesetzten, das ist lediglich seine Erscheinungsform für das außer den Momenten liegende Dritte, die äußere Reflexion auf die unterschiedenen Momente. Was gesetzt ist, das ist nicht an sich selbst das, als was es von der Reflexion gesetzt ist. Was sich nun als Negatives selbst setzt, das macht sich vielmehr zu einem Gesetztsein, das heißt es poniert sich als Unmittelbares, das nicht von Anderem abhängt, in der Position des Seins. Was wir von dieser Position bereits wissen, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Deutlich wird jedenfalls der Anschein, daß die Auflösung des Gesetztseins nur wieder neuerlich ein Gesetztsein hervorbringt, »ein mit sich Identisches, das Beziehung auf Anderes ist.« In dieser (scheinbaren) Wiederholung einer doch längst überwundenen Position durch das selbständige Gesetztsein liegt indes ein erster Sinn von Hegels Folgerung begründet: »Sie richten sich zugrunde.« Als »Identisches, das Beziehung auf Anderes ist«, konnte auch das in der äußeren Reflexion unterschiedene Moment bereits charakterisiert werden. Dieses war gerade das nicht-beständige Selbständige. Installiert sich das Gesetztsein nun wiederum in dieser Scheinselbständigkeit, dann 61
Dies ginge um so mehr an der Intention des Gedankens vorbei, als das Setzen ja gerade Gegenstand der Kritik ist. Darunter fällt auch das ›Beiseite-Setzen‹ von Aspekten oder angeblich Falschem als einem Anderen zum wesentlichen und wahren Begriff. Wäre der Widerspruch nur falsch und auf einen Irrtum zurückzuführen, so wäre die Frage angebracht, die Hegel in der Phänomenologie erwähnt: »[W]ozu sich mit dem Falschen abgeben?« (GW IX, 30)
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
liegt darin der Richtspruch, oder das Urteil seines Untergangs beschlossen. Es scheint aus der Entfremdung seiner Selbständigkeit nicht ausbrechen zu können, da es sich gerade als selbständiges unausweichlich entfremdet. Worin liegt also der Unterschied im Auflösen des Gesetztseins, worin liegt hier Vollständigkeit? Hegel spricht zunächst davon, daß die selbst-setzende, »ausschließende Reflexion […] nicht nur diese formelle Bestimmung« sei. Als lediglich formell ist sie verstanden, wenn sie nur dazu führt, daß sich die Anfangsbestimmung wiederholt, wenn also aus dem Gesetztsein nur wieder das gleiche Gesetztsein ersteht. Die Bestimmung etabliert dann keine Differenz im Bestimmten, sie kann also nicht inhaltlich bestimmend wirken und bleibt ein leerer, äußerlicher und allenfalls gelehrt klingender Formalismus.62 Mit dem ›zweiten‹ Gesetztsein würde zudem, wenn es »nur als identisch mit dem ersten genommen« (GW XI, 280) würde, keine Negation und kein Auflösen stattgefunden haben. Denn weil im Formalismus keine Differenz etabliert wird, bleiben wir im Resultat des formellen Reflektierens bei einer ebenso unvermittelten Bestimmung wie sie das anfängliche Gesetzte präsentierte. Da aber »das Negative […] überhaupt nicht ein Unmittelbares« ist, so muß konstatiert werden, daß keine Negation durchgeführt wurde. Das formelle Denken verbleibt in der Logik der einfachen Identität und macht sich deren Zerfallslogik zu ihrem »Gesetz« (GW XII, 246), es endet im unbestimmten Nichts der Unmittelbarkeit und in der endlosen Wiederholungsschleife. Wir werden daher zu näherer Betrachtung des Sachverhalts aufgefordert: »Sie [die ausschließende Reflexion] ist ansichseiende [nicht: an sich seiende] Selbständigkeit und ist das Aufheben dieses Gesetztseins und durch dieses Aufheben erst fürsichseiende und in der Tat selbständige Einheit.« (GW XI, 281) Die ausschließende Reflexion, die in ihrem Selbst-setzen wieder ein Gesetzsein ist, ist offenbar keine Tatsache, das heißt sie ist kein vorliegendes Faktum, das einfachhin behauptet wird und von sich her einleuchtet. In diesem Falle bliebe das Gesetztsein schlechterdings das, was es ist. Dies ist die Betrachtungsart, die Hegel als lediglich formell kritisiert. Mag sie auch dafür angesehen werden, die Stabilität substantiellen Wahrseins zu veranschaulichen, so muß die inhaltslose formelle Betrachtung beiseite gelegt werden, wenn Wahrheit nicht lediglich analytisch, das heißt, wenn in ihr zugleich eine Bestimmung liegen soll. Das aber ist der Fall, wo Wahrheit in der Bewahrheitung liegt und sich durch diese artikuliert, wo die Wahrheit mithin selber eine Bestimmung ist, nämlich diejenige zur Angleichung an 62
Zur Kritik an derartigen Formalismen vgl. GW IX, 36 f. und GW XII, 247 f. Fujita (1994) zeigt, daß und wie diese Kritik auf Schelling zielt.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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sich. Statt einer seienden Tatsache ist die ausschließende Reflexion ein Vollzugsgeschehen: Sie bewährt sich (»in der Tat«) durch ein Aufheben. Das ist jedoch nicht offensichtlich, denn jeder Vollzug bewegt sich in einer Differenz, die aber scheint hier zu fehlen. Die Grundform der Differenz, innerhalb derer sich jeder Vollzug bewegt, ist diejenige des Werdens: Ausgangsund Endpunkt eines Vollzuges müssen unterschieden sein, damit von einer Bewegung des Werdens die Rede sein kann. Diese Differenz scheint da, wo das Selbst-Setzen des Gesetzten wieder ein Gesetztsein ist, nicht stattzuhaben. Daher klingt es zunächst wie eine unbegründete Behauptung, wenn von der ausschließenden Reflexion gesagt wird, diese sei »in der Tat selbständige Einheit«, wo sie doch vom gesetzten Moment des Gegensatzes nur zu einem »Identische[n], das Beziehung auf Anderes ist«, führte. Doch ist dieses Identische weder tautologisch, noch lediglich behauptet. Statt nämlich einfach zu bleiben, was es ist, in welchem Falle Hegels Rede von »ansichseiende[r] Selbständigkeit« ohne Berechtigung wäre, wird dieses Identische im Wege der Aufhebung das, was es war. Der Unterschied besteht also zwischen zwei Momenten: Einerseits einem Moment, auf das äußerlich reflektiert wird, und das deshalb ein in der Reflexion Gesetztes ist. Und andererseits einer Bestimmung, die in sich selbst reflektiert ist und folglich die Bewegung der Reflexion, das Abbilden auf ein Anderes und die Identifizierung als etwas vollzieht, die also die Reflexion als ihre eigene Bestimmung hat und in sich hereinnimmt. Deshalb kann gesagt werden, das Ansichseiende sei »fürsichseiende […] Einheit«. Es ist nicht ›an sich‹ und mithin nur in der Betrachtung eines Anderen selbständig, weil es selbst als bestimmtes Etwas aufgrund seiner Einseitigkeit übergängig ist. Vielmehr ist es an und für sich selbst selbständig, denn es hat sich von seinem einfachen Bestehen gelöst.63 Diese Lösung geschieht notwendigerweise durch den Widerspruch des Bestimmten. Der Widerspruch aber wird ihm nicht von außen her zugesagt, so wie die Gründung des Gesetzten als Moment in der äußeren Reflexion nicht die eigene des Gesetzten ist. Der Widerspruch ist nicht lediglich Sache der subjektiven Reflexion. Vielmehr ist er die notwendige Folge der Selbstsetzung des bestimmten Entgegengesetzten: Indem es sich in ausschließender Reflexion setzt, macht es sich zum Gesetzten. Die »ausschließende Bestimmung« findet sich nicht durch ein Anderes begrenzt und negiert dann dieses Andere. Das wäre ein Verhältnis der Unmittelbarkeit, in dem Etwas und Anderes sich
63
Diesen Unterschied macht Hegel, wie oben bemerkt, schon typographisch deutlich in der Unterscheidung von an sich selbständiger, nur in der Reflexion gesetzter, und ansichseiender Selbständigkeit, die in sich selbst reflektiert ist. Dieser Unterschied entgeht beispielsweise Iber (1990: 472 f.).
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
gegenüberstehen, die ausschließende Bestimmung wäre bestimmt und nicht sich selbst bestimmend. Das Bestimmt-Bestimmende schließt in seiner Setzung sein eigenes Gesetztsein aus und macht sich dadurch zu einem ebensolchen Gesetztsein. Doch ist dieses nun nicht durch ein Anderes gesetztes, sondern durch sich selbst vermitteltes Gesetztsein und damit zugleich unmittelbar: Es ist mit Bestimmung frei. So findet sich das Bestimmende in seinem Bestimmen im Widerspruch zu sich selbst, als der aber kann es nicht bestehen. Der Grund seines Seins ist ebenso der Grund seines Nichtseins. Daher geht es zugrunde. Es bleibt nicht das, als was es ist, sondern richtet sich auf seinen Grund, von dem her und auf den hin es ist. Das galt eigentlich auch schon von Sein und Nichts, doch ist dieses Gelten dort nicht selbst vorhanden. So findet das unmittelbare Sein-Nichts erst jetzt seinen Grund und das Wesen ist, das heißt es ist geworden, was (es als) Sein war. Der Grund ist in keiner Weise abständig von dem durch ihn Begründeten, er ist kein Zugrundeliegendes, sondern er ist die reine Negativität, die im Negieren (d. i. in ihrem Bestimmen) sich selbst negiert und so Selbigkeit und Andersheit des Bestimmten begründet. Der Grund von Selbigkeit (Einheit) und Andersheit (Unterschied) ist aber die Form, ihre Tätigkeit ist Formierung. Form heißt also wesentlich causa formalis, nicht äußerer Umriß eines Dinges (vgl. Rohs 1969: 15): Weil das, was ist, ein Eines und ein Unterschiedenes (selbig und anders) sein muß, diese Einheit von Einheit und Unterschiedenheit aber von der Form begründet wird, ist es die Form die den Dingen ihr Sein erteilt. Die Begründung seiner Form ist auch die Tätigkeit des sich Setzenden. Die Selbstangleichung, die hier in der Ausrichtung auf den Grund vonstatten geht, haben wir zuvor als Bewahrheitung kennen gelernt. Die Bewegung dorthin ist, so sehen wir jetzt, vom Widerspruch getragen und initiiert. Da der Widerspruch nichts ist, was irgendwie seiend wäre, kann er weder erfahren noch angeschaut, wohl aber kann er gedacht werden. Der Widerspruch ist in dieser Bewegung dasjenige, was gilt.64 64
Der Widerspruch besitzt logische Geltung, nur von einer solchen ist in der Wissenschaft der Logik die Rede. Wo die Logik ›lebensweltlich fundiert‹ (Bubner 1990) oder sprachanalytisch verstanden wird, da wird die logische Geltung mit dem konsensualem Geltenlassen verwechselt (so auch die Kritik bei Wandschneider 1997). Bei Stekeler-Weithofer (1992: 8) etwa ist Logik »die allgemeine Methode der Reflexion auf eine (konventionelle) Praxis«. Der Widerspruchsbegriff macht deutlich, daß dieser Ansatz an der Sache vorbeigeht, denn auf die Geltung eines Widerspruchs kann man sich nicht konsensual einigen. Konsens kann nur dort eine Rolle spielen, wo es um Materien geht, die dem Meinen und Beraten unterliegen. Im Widerspruch wird dagegen die Einseitigkeit, wenn man so will: auch des konsensualen, Bestimmens durchsichtig gemacht und durchkreuzt. Darauf aber kann man sich nicht einigen, dies kann man nur anerkennen. Widerspruch
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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Drei Stadien dieser Bewegung sind bereits aufgetaucht, entlang ihrer wird die Aufhebung vollzogen: Erstens ist das Selbständige ein Aufheben des Negativen, von dem her es Gesetztes ist. Da es selber bestimmtes Ganzes ist, schließt es dieses Negative von sich aus (negare). Damit setzt sich – zweitens – das Selbständige selber als Negatives und macht sich zum Gesetztsein, dieses wird also aufgehoben und bewahrt (conservare). Es ist so – drittens – im Resultat erst dasjenige, was es zu Beginn aufhebt, es setzt sich selbst in seine eigene Bestimmung ein (significare): »im Aufheben des Negativen setzt und hebt sie [die ausschließende Bestimmung] zugleich es auf.« Die Negativität aller Bestimmung ist damit nicht mehr das Gesetz der unausweichlichen Entfremdung, sondern in ihr soll sich das wahrhafte, sich-erhaltende Sein des Bestimmten finden. Die vollständige Aufhebungsbewegung des Widerspruchs legt den Satz aus: Das Absolute ist in seinem Anderen bei sich selber. Indem das Aufheben hier nicht die von einem Dritten gehaltene Negation eines Anderen durch ein Anderes, sondern Negieren seiner selbst ist, wird es denkbar, wie Identisches in seiner Veränderung es selbst bleibt: Es hält sich in ihr durch, weil sie von ihm selbst gesetzt ist.65 Die Veränderung des Identischen ist somit strikt genommen nicht Veränderung, denn diese ist immer fremdinduziert. Jene Veränderung, die durch sich selbst an sich selbst vorgenommen wird, wird vielmehr zur Entwicklung. Das Bestimmte bestimmt sich selbst zu einem Widerspruch, es wird nicht wegen eines Irrtums widersprechend bestimmt, und es löst den Widerspruch selbst auf, dazu bedarf es keines Anstoßes von außen.
und Geltung liegen dem zugrunde, über das man sich einigen kann. So wie sie dem Identischen inhärieren (immanent sind), das Anderes Identisches nicht ist, so daß man sich im Unterscheiden von verschieden Identischen einigen und entzweien, das heißt meinen kann. Schließlich gilt, daß auch im idealen herrschaftsfreien Diskurs kein Geltungsanspruch, der vernünftig anerkannt werden kann, ohne Rekurs auf die Wahrheit auskommt. Es ist also Wahrheit der Ursprung von Konsens, nicht aber dieser die Quelle oder der Inhalt von Wahrheit; vgl. zur Wahrheitsdiskussion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch die Hinweise bei Krings (1995). 65 Für die sterbliche Person liegt darin eine unüberwindliche Härte, denn von ihr wird verlangt, das Unverfügbare und lebensweltlich Begegnende als selbstgesetzt zu begreifen. Die endliche Person muß aber auch Probleme (unbegriffen) liegen lassen, so ist sie nur bedingt frei, sie ist eben nicht absolut. Weil es ihr unmöglich ist, alles als selbstgesetzt zu begreifen, deshalb kann sie auch nur bedingt frei sein. So wäre zu fragen, was es eigentlich für endliche Personen bedeuten kann, solches, das sie nicht selbst ins Werk gesetzt haben, als selbstgesetzt zu begreifen. Dazu wäre der Begriff der Verantwortung zu betrachten; vgl. dahingehend die Überlegung im Zusammenhang mit dem Anerkennungsbegriff bei Spieker (2004: 66 f.), sowie Picht (1981).
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Die Auflösung des Widerspruchs hat ein doppeltes, wiederum reflexives Resultat: Zum einen entfällt in ihrem Ergebnis die Reflexion, denn sie ist es, die sich in den Widerspruch verwickelt und entsprechend mit ihm aufgelöst wird. Das Resultat des Widerspruchs ist »Null«. Im Resultat der Reflexion wird damit ihr eigener Anfang gesetzt, denn im reinen Sein stand ja am Anfang der spekulativen Logik bereits ein ebenso reflexionsloses wie die Null. Nur ist jetzt »das Entfallensein jeglicher Reflexion« (Fink-Eitel 1978: 129) selber Resultat der logischen Bestimmung. Das ist die (Re-)Produktion des Anfangs der Logik, beziehungsweise ihrer selbst, da das Resultat seine Genese setzt. Die Null ist das von der Reflexion selbst gesetzte Substrat, das von der Reflexion bestimmt wird (vgl. auch Enz. (1830) § 119A). Sie ist »die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit oder des Seins« (Enz. (1830) § 122), doch in der Weise, daß das Unmittelbare nunmehr ausschließlich Funktion des Wesens und an sich genommen Schein ist. Das Daß-Sein hängt ganz von seiner Bestimmung ab, es ist Korrelat einer Struktur und hat keine Selbständigkeit. Diese soll das sein, was sich unmittelbar zeigt, das Sein sollte verhindern, daß etwas Moment ist. Vom unmittelbar sich Darbietenden wird gezeigt, daß es Voraus-setzung ist. – Für unser erkennendes Verhalten zur Welt hat dies zur Folge, daß alles, was wir als seiend ansprechen, in seiner wahren Funktion betrachtet werden muß und nicht isoliert werden darf. In der Auflösung seines Widerspruchs ist das Bestimmte jedoch »nicht nur Null« (GW XI, 281). Es ist nicht nur Einheit konträrer Bestimmungen, wie die mathematische Null, sondern es besitzt darin Autonomie. Dies ist das zweite, positive Resultat des Widerspruchs: Das Bestimmte unterscheidet sich von sich selbst. Es ist sich das Andere, das es negiert, daher tritt es in der Aufhebung seiner selbst, in der Abscheidung vom Negativen, in Beziehung auf sich selbst. Einfach unterschieden von ›anders Anderem‹ wäre das Bestimmte heteronom, denn so ist es nur in einem Anderen als ihm selbst bestimmt. Heteronom beherrscht ist es ebenfalls, wenn erkannt wird, daß die Unterscheidung von bloß Anderem nur zu äußerlicher Gleichgültigkeit von einander einfach anderen führt und nicht echter Unterschied ist, der nur als Unterscheidung in sich selbst funktioniert. Durch das zweite Resultat ist diese Bestimmung nicht mehr lediglich formell. Sie ist nicht nur Null. Der Grund dafür, daß die Bestimmung nicht formell ist, sondern einen Unterschied im Inhalt des Ganzen ausmacht, hat drei Dimensionen, die einander gegenseitig erläutern und einschließen. Es sind dies (a) die Vollständigkeit der Bestimmung, die dadurch gegebene (b) Autonomie und schließlich (c) die vollständige Integration der bislang dissoziierend wirkenden Unmittelbarkeit. Diese dritte Dimension ist als umfassendste zugleich die eigentliche Antwort auf die Frage,
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wie die Auflösung des Widerspruchs zu einer inhaltlichen Bestimmung wird. (a) Zunächst zur Vollständigkeit der Bestimmung, die hier nicht äußerliche, sondern Selbstbestimmung ist: Sie vollzieht an sich selbst den Prozeß der Aufhebung in allen drei Bedeutungsdimensionen und macht dadurch an sich selbst einen Unterschied. Die Aufhebung war diejenige Operation, die im Übergehen der Seinslogik und im Durchgehen der Bestimmungen in der Wesenslogik die Unterschiede vermittelt. Ohne daß Eines in einem Anderen aufgehoben ist, ohne durch Aufhebung vermittelte Mithabe (methexis), gäbe es schließlich weder Unterschied noch Bestimmung, sondern nur das allgemeine Zerfallen der Logik der Identität. Ohne Integration eines Unterschiedes wäre aber auch die Selbstauflösung des Widerspruchs undenkbar: Damit die Negation der Negation Sinn macht, müssen negierende Negation und negierte Negation – ungeachtet des resultierenden Zusammengehens beider – zunächst unterschieden werden können. Andernfalls wäre die Rede von einer Negation leer und ohne Grundlage. Dieser Unterschied, der für die inhaltliche Bestimmtheit notwendig ist, wird in der Selbstaufhebung des Widerspruchs integriert. Diese Selbstaufhebung wird darin konstituiert, daß die Negation nicht mehr einseitig im Negieren ihr Negieren negiert, wie in der äußeren Reflexion, sondern sich als Negation setzt und dadurch sich selbst negiert. Der Unterschied besteht mithin zwischen einfacher Negation, die negiert wird, und Negation als Negation, die negiert: »Die ausschließende Reflexion der Selbständigkeit, indem sie ausschließend ist, macht sich zum Gesetztsein, aber ist ebensosehr Aufheben ihres Gesetztseins. Sie ist aufhebende Beziehung auf sich, sie hebt darin erstens das Negative auf, und zweitens setzt sie sich als Negatives, und dies ist erst dasjenige Negative, das sie aufhebt; im Aufheben des Negativen setzt und hebt sie zugleich es auf.« Durch das Aufheben des Negativen setzt sich die Bestimmung als Negatives, mithin als dasjenige, was sie aufhebt. So ist das Bestimmte im Resultat das, was es im Anfang war. Im Nachhinein zu werden, was etwas von Vornherein war, heißt logisch: Im Setzen seiner selbst dasjenige zu setzen, was bereits war zu sein. Es ist also das Voraus-Setzen. Das Wesen zeigt sich, Voraussetzung zu sein. Aber diese Voraussetzung ist nicht ungedeckt, wie wenn wir etwas stillschweigend voraussetzen. Sie ist vielmehr dadurch gegründet, daß ihr Gesetztsein im Widerspruch durchsichtig gemacht wird. Das Voraus der Setzung wird, ebenso wie das Immer-Schon des Wesens, aus seiner ansonsten hypothetischen Struktur befreit. Das Wesen ist nicht hypothetischer Ausgangspunkt, ein solcher wäre logisch irrelevant, sondern es ist umfassend
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
vermittelt. Dazu kann es in keiner Weise mehr ein einfach positiv Gesetztes sein. In der Auslegung des Wesens durch den Widerspruch zeigt Hegel, daß die Wesensbeziehung eine Selbstbeziehung ist. Diese Beziehung ist dadurch umfassend vermittelt, daß sich in ihr allein die Negation auf sich bezieht. Das Wesen, das sich in einer gegenläufigen Setzung seiner selbst darstellt, ist Negativität.66 – Wenn nun eine reflexive Bestimmung sich selbst aufgrund ihres immanenten Widerspruchs aufhebt, so unterscheidet und vermittelt sie sich auch selbst, nicht von und zu anderem, sondern von und zu sich. Aufgrund seines eigenen Wesens wird sich das Sein des Identischen verändern. (b) Das ist der bereits erwähnte Sinn der Selbstgesetzgebung im Unterschied zur Heteronomie: Nicht von einem Anderen bestimmt und unterschieden zu werden, sondern durch sich selbst bestimmt und von sich selbst unterschieden zu sein. Darin liegt der Unterschied des aus der Auflösung des Widerspruchs hervorgehenden Gesetztseins zu demjenigen Gesetztsein der einfachen Bestimmtheit, das die Verifizierung der unmittelbaren Behauptung des Seins darstellte. Es ist nicht wie das letztere von Anderem gesetzt, sondern durch sich selbst. Das gilt, weil die Selbstbestimmung durch ihr vollendetes Aufheben ein Sich-selbst-Unterscheiden ist: Die Bestimmung, in die es sich selbst einsetzt, ist exakt dasjenige Gesetztsein, das sie aufhebt, indem sie sich selber setzt. Der für alle Bestimmung grundlegende Unterschied wird damit nicht mehr als gegeben vorausgesetzt, sondern er wird allererst hervorgebracht. Zugleich wird darin auch die Nichtigkeit des einzelnen Bestimmtseins offenbar. Es geht hervor aus Negativität und geht daran auch zugrunde. Der konstituierte Unterschied ist nicht statisch. Die Auflösung des Widerspruchs hat dabei kein Ergebnis von der Art eines neuen Seienden. Es »hat sich nur dies gesetzt, daß der Gegensatz oder das Gesetztsein ein Aufgehobenes, nur als Gesetztsein ist.« (GW XI, 282) Wie schon in der Bestimmung des Etwas, das immer als Etwas sein mußte, damit aber nicht mehr bleiben konnte, was es ist, so tritt auch hier die entscheidende Transformation des sich widersprechenden Identischen dort ein, wo es durch ein reflektives Als identifiziert wird. 66
Die Folgen dessen werden uns in der Auseinandersetzung mit der Idee weiter beschäftigen, bereits an dieser Stelle wird aber deutlich: Die neuplatonische Ontologie einer vorgängigen Einheit, die sich auseinanderlegt und aus dem reflexiven Außereinander wieder zurück zur Einheit findet, ist bei aller Ähnlichkeit prinzipiell unterschieden von der Methode der Hegelschen Wissenschaft (so auch Henrich (1976: 222); dementsprechend die Schwierigkeiten im Versuch von Halfwassen (1999), die dieser freilich selber konstatiert). Dort gibt es keine hypothetische Voraussetzung vorgängiger Einheit, sondern allein eine durch Methode vermittelte, resultative Wahrheitsbestimmung. Entsprechend verwendet Hegel für dieses Resultat nicht den Begriff der Einheit (vgl. Enz. (1839) § 215A), sondern er wird von der Wirklichkeit (energeia) sprechen.
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(c) Worin besteht diese Transformation des Gesetztseins? Darin, daß dasjenige, was von einem anderen her gesetzt zu sein scheint, sich nicht einfach in der Behauptung, anders als Anderes zu sein, selbständig setzt. In diesem Fall der Konstituierung von Selbständigkeit durch Ausschließen des Gesetztseins würde es nur in der Scheinselbständigkeit verharren, denn es ist gar nicht anders und unmittelbar, d. i. unvermittelt von Anderem, sondern es ist von diesem her Gesetztes. Das Negative gilt nur als Negatives, wenn es positiv ist. So setzt sich das transformierte Gesetztsein als Gesetztsein. Das unmittelbare Gesetztsein ist nun nicht mehr von Anderem her und daher ungleich zu seinem Grund und eigentlichen Sein, sondern es ist sich selbst gleich: Wenn Gesetztsein als Gesetztsein ist, dann ist es das, was es ist. Es ist in seiner Negation positiv, Negativität und Selbstbeziehung kommen überein. Warum liegt darin nicht bloß die Wiederholung der bloßen Gleichheit des Daß-Seins, weshalb ist die hier statthabende Selbstreferenz der Negation nicht einfach leer? Weil Gesetztsein als Gesetztsein nicht auf sich beharrendes Setzen ist, sondern über sich selbst hinaus, jedoch nicht auf ein anders Anderes, verweist. Der Anfang dieses Gesetztseins ist nicht eingehüllt in die Nacht des Faktischen, sondern er ist vermittelt, denn er ist ein sich auflösender Widerspruch und nicht vorausgesetzt oder behauptet. Wo es nicht mehr von Anderem her ist, da ist die Bedeutung des Gesetztseins aufgehoben; das Resultat hebt seine Prämisse auf. Hegel differenziert daher auf der einen Seite ein Gesetztsein als aufgehobene Unmittelbarkeit, – derart ist das Sein, das Moment im Wesen ist. Eingangs der Lehre vom Wesen zeigte sich aber, daß auf dieser Stufe das Wesen, beziehungsweise das Sein als dessen Gesetztsein, selbst noch von der Unmittelbarkeit des Seins gekennzeichnet wird. Es steht auf einer Ebene mit seinem Negat, der einfachen Unmittelbarkeit. Das gilt solange, wie nicht gezeigt werden kann, auf welche Weise die Unmittelbarkeit als solche in der Vermittlungsstruktur integriert ist, oder wie das Resultat nicht als seine Genese bestimmend erwiesen wird. Die »ansichseiende Selbständigkeit« nennt Hegel daher im Unterschied dazu ein »Gesetztsein […] als aufgehobenes Gesetztsein«. Das Negieren der wirklichen Selbständigkeit, die nicht nur an sich, d. i. von einem Anderen gesetzte, Selbständigkeit ist, gewinnt dadurch eine neue ›Qualität‹. Wo eines nicht ein anderes, sondern sich selbst negiert, da ist nicht ein, sondern das, beziehungsweise sein eigenes Gesetztsein aufgehoben. Gesetztsein als Gesetztsein macht zum einfachen Gesetzten einen Unterschied im Ganzen, denn es ist voraussetzungslos67 und in sich selbst differenziert, – im Gegensatz zum Gesetzten, das ein Anderes voraussetzt. Indem 67
Unangebracht ist es daher, von einer Fundierung der Dialektik zu reden. Es ist das
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Gesetztsein als Gesetztsein ist, ist sein eigenes Anderssein anerkannt und das Verhältnis einfacher Andersheit ist aufgelöst, d. i. die Integration der Differenz. Hebt das Gesetztsein lediglich ein anderes Gesetztsein auf, so verbleibt es im Kreislauf fortgesetzter Andersheit. Wenn die ausschließende Bestimmung sich aber dadurch auf sich bezieht, daß sie auf sich als Gesetztsein reflektiert ist, dann wird die Komplementarität der Andersheit in die Selbigkeit hereingenommen. Der eigentliche Sinn des Ausschließens wird offenbar. Das Gesetztsein der ausschließenden Bestimmung hebt im Ausschließen also sich selbst und nicht ein Anderes auf. Daß es sich selbst aufhebt, bedeutet jedoch nicht, daß dann nur Nichts ist, denn es ist ja ›etwas‹, nämlich das Aufheben des Gesetztseins oder das Negieren, das ein Abstoßen von sich ist und zugleich und in einem Selbigkeit und Unterschiedenheit des Geformten hervorbringt. Bereits in der Identität von Sein und Nichts im Werden sahen wir, daß aus dem Widerspruch etwas folgt und nicht Nichts: Der Widerspruch des Werdens löste sich auf und es folgte das unmittelbare Dasein. Hier wird deutlich, weshalb aus dem Widerspruch etwas folgt: Er begründet die Relation der Form, in welcher sich das Wesen verdoppelt in Grund und begründetes Gesetztsein (d. i. die Folge). Daß aus dem Widerspruch des Wesens etwas folgt, nämlich die Relation, deren erste Gestalt diejenige von Grund und Folge ist, macht aus ihm eine ebenso wesentliche Kategorie wie Identität und Unterschied (vgl. Erdmann 1901: 68): Alles was ist, ist identisch und unterschieden und es ist ein Widerspruch. Gesetztsein als Gesetztsein ist nicht mehr in Unmittelbarkeit gesetztes, sondern selbstvermitteltes Gesetztsein, es ist also kein Gesetztes mehr, das Gesetztsein ist aufgehoben; Gesetztsein als Gesetztsein verweist auf seinen Grund. Dieser Verweisungszusammenhang ist nicht so zu verstehen, daß da Eines auf ein Anderes zeigt. Die Fundierung des bestimmten Gesetzten basiert nicht auf einem Fundament, es wird vielmehr auf eine unterschiedliche ›Ebene‹ verwiesen, die nicht anders zum Verweisenden ist. Indem »es sich selbst vielmehr zum Gesetzten macht« (GW XI, 290; vgl. auch Enz. (1830) § 142A), sich mithin als nicht selbstbeständiges, endliches Gesetztes anerkennt, das heißt durch sein eigenes Nichtsein, setzt das Gesetzte seinen Grund.68
wesentliche Merkmal ihrer Selbstbegründung, daß sie unfundiert ist, oder: Sie fundiert ohne Fundament (A. Nuzzo). 68 Daher formuliert Hegel den Schlußsatz: »Das Nichtsein des Endlichen ist das S ein des Absoluten.« (GW XI, 289) Wohl geht der Schluß auf das Absolute vom Endlichen aus, daraus ergibt sich aber keine Abhängigkeit des Absoluten vom Endlichen, denn
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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Das Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein bedeutet erkennbarerweise eine Abscheidung, so wie das seinslogische Denken letztlich zur Aufgabe der Endlichkeit gelangte. Abgeschieden wird hier das Ausschließen selbst: Das Gesetztsein ist nicht länger einseitig die Negation eines Anderen und es ist nicht mehr durch eine Grenze von Anderem getrennt. Statt dessen ist es der Ausdruck der Untrennbarkeit des Gegensatzes. Dieser Ausdruck liegt in seinem Setzen, das ein Sich-zum-Gesetztsein machen ist. Statt begrenzt zu sein, ist das Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein durch seinen Widerspruch selbst ein Unterscheiden, das sich in Beziehung setzt. Das aber ist die Tätigkeit der Form, die Selbigkeit und Andersheit setzt.69 Die ausschließende Reflexion ist also formierend und nicht lediglich formell zu verstehen. Was geformt ist, ist in seinem Wesen von der Form geprägt, und ist doch nur dadurch seiend, daß es nicht die Form selber ist. Das Wesen selbst ist in sich ausschließender Reflexion das Geformte, das aber steht zum Wesen nicht als beständiger, substantieller Gegensatz, sondern als sich in seinem Widerspruch aufhebend. Das Wesen kann sich daher in seiner Bestimmtheit in sich reflektieren, es reproduziert sich im Setzen des Bestimmten, denn es hat darin nicht eine Grenze, sondern geht, indem es dieses aufhebt, beständig durch es hindurch. Daher findet die gesetzte Bestimmung im Sich-selbst-Setzen, das wegen seines Ausschließens ein Gesetztsein ist, sich als die Negation, die es selber ist. »Die Selbständigkeit ist so durch ihre eigene Negation in sich zurückkehrende Einheit« (GW XI, 281).
dieses ist ja gar nicht (vgl. auch die Vorlesungen zur Philosophie der Religion über den ontologischen Beweis, Hegel 1993: 318). Dasjenige, was das Sein gibt, ist nicht abhängig von demjenigen, dem das Sein gegeben wird, denn um von ihm abhängen zu können, müßte es ja bereits sein. 69 Wir stehen damit vor der Fortbestimmung des Wesens der dialektischen Wissenschaft: Normalerweise bewegen sich Wissenschaften innerhalb von Abscheidungen. Sie machen Aussagen innerhalb von Grenzen und von Gewißheiten aus, die selbst nicht hinterfragbar sind. Ihre ersten Sätze bilden ihre Grenze. Die dialektische Philosophie hingegen ist Wissenschaft von der Form. Die Wissenschaft von der Form geht wohl hinter den Prozeß der Abscheidung zurück, so wirkt sie eröffnend und – hierfür steht das Ende des Sokrates – mitunter bedrohlich. Dies bedeutet nicht, wie es von außen her den Anschein haben kann, daß die Philosophie Fundierungswissenschaft in dem Sinne ist, daß sie jenseits der Abscheidungen einen neuen, festen Supergrund erbaut. Ein solcher wäre selbst wieder nur das Ergebnis einer vorausgesetzten Abscheidung. Sie ist vielmehr Fundierungswissenschaft, indem sie den Grund aufzeigt, auf dem wir in unserem Denken und Handeln aufbauen, beziehungsweise indem sie die Endlichkeit des Endlichen durchsichtig macht. Beide Dimensionen der Fundierungswissenschaft sind in dem Urteil über die Identischen enthalten: »Sie richten sich zugrunde« (GW XI, 281). Insofern sie sich mit diesem Urteil befaßt, kann die dialektische Philosophie auch als Auslegung des Widerspruchs bezeichnet werden.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Die Formierung ist nicht das Setzen von einem durch ein Anderes, wie die Herstellung eines Produktes durch den Handwerker. Sie steht zum Geformten nicht im Verhältnis der Andersheit, wie der Handwerker zu seinem Produkt, sondern die Form ist im Geformten sie selbst, und was das Geformte ist, als was es Geltung besitzt, ist nichts als die Form, wenngleich es um zu sein von dieser unterschieden sein muß.70 Diesen Unterschied bringt die Tätigkeit der Form im negierenden Aufheben ihrer selbst hervor. Aufgrund dieses Unterschiedes (wegen der Nichtigkeit der negierenden Form, der das Geformte sein Sein verdankt) strebt das Geformte (d. i. die Geformten, da die ›ontologische Differenz‹ von Form und Geformtem diejenige von Einheit und Vielheit impliziert) zu seinem Grunde (denn seine Geltung ist von ihm unterschieden, es muß sie immer erst erlangen). Darin liegt der zweite Sinn der Folgerung: »Sie richten sich zugrunde.« Der Grund ist Wahrheit des Geformten (AV XI, 119). Der immanente Widerspruch des Geformten läßt dieses nicht auf sich beruhen. Indem es ist, ist es nicht. Durch seinen eigenen Widerspruch löst es den Widerspruch auf, der es selber ist. Das Gesetztsein löst sich aus seiner ihm eigenen Fixierung in einer entfremdeten Setzung. Es schreitet damit nicht zurück in die unterschiedslose Bestimmungslosigkeit, sondern unterscheidet sich von sich, – ganz so wie die formende Form. Das Zugrunde-richten ist dabei nicht die rückwärtsgewandte Suche nach einem Ersten, das als Ursprung benannt werden könnte. Ein solches Erstes wäre nur entweder auskunftslos oder eine bloß tautologische Verdoppelung, eine Hypostase des Seins. Das Zu-Grunde-Gehen ist ja im Negieren der Negation die wiederholte Setzung der Negation, und zwar derart, daß sie erst in dieser Wiederholung Geltung erlangt. Das bedeutet sowohl den Untergang der Bestimmung, als auch die Setzung der Bestimmung. Zu-Grunde-Gehen heißt also für die Bestimmung, selbst bestimmend, oder zum Grund zu werden. Der Grund kann daher, wenn er nicht eine gehaltlose Bestimmung sein soll, nicht ein Zugrundeliegendes sein. Was als das Erste fungieren könnte, ist erst in der Wiederholung, es ist selber »ein Gesetztsein, ein Gewordenes.« (GW XI, 281) Der wahrhafte Unterschied kann nicht äußerlich sein, so wäre er lediglich Andersheit, die keinen Unterschied macht. Der wahrhafte Unterschied muß immer Unterschied in sich sein, deshalb erlangt die Negation erst wahrhafte Geltung, wenn sie sich auf sich selbst bezieht. Dieser Bezug wird in der Wiederholung hergestellt, darin die Negation ihre eigene
70
In der Tätigkeit der Form taucht mithin die Aristotelische Unterscheidung von poisis, die ihr Ziel in einem anderen hat, und praxis, die ihr Ziel in ihrer eigenen Tätigkeit besitzt, in der also Genese und Resultat nicht geschieden sind (Nikomachische Ethik I, 1), wieder auf.
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ursprüngliche Unmittelbarkeit setzt und aufhebt. Wir kennen diese Bewegung des dynamischen Unterschieds schon vom Als-Etwas-Sein des Etwas. Etwas wurde als Etwas zu einer Negation, es verendlichte sich und konnte nicht als dieses eine Etwas verharren, sondern es mußte durch seine einzelnen Gestaltungen hindurch sich ausbilden zu dem, was es war zu sein. Diese Bewegung ist die Ausbildung der Form oder die Angleichung an sich selbst. So wird auch in der Setzung des eigenen Gesetztseins nicht lediglich das erste unmittelbare Gesetztsein wiederholt. In diesem Falle bliebe jene Bewegung nur die Scheinstabilisierung eines fix-fertigen Seins, sie ist dann eigentlich ein Beharren. Indem das Setzen ein Gesetztsein ist, ist die Negation vielmehr als Negation, während sie zunächst lediglich durch Setzung der ihr äußerlichen Reflexion als Negation gesetzt, an sich selbst aber substantiell und ohne Gestalt (ohne apophantisches Als) zu sein schien. Der Widerspruch ist die Form, in der die Negation eine Einheit mit sich ist, wobei diese Einheit keine seiende ist. Auch der Widerspruch ist kein ens, er gilt aber für jedes ens, so ist auch die »zurückkehrende Einheit« der selbstbezüglichen Negation nicht ein Seiendes, sondern sie ist Einheit fortwährender Bewegung, innerhalb derer Seiendes ist. Der Widerspruch initiiert »das Zusammengehen mit sich selbst«, denn er löst das einseitige Beharren des Entgegengesetzten auf, das sein Komplement ausschließt. – Daher merkt Hegel an, »daß es für sich noch sozusagen kein Schaden, Mangel oder Fehler einer Sache ist, wenn an ihr ein Widerspruch aufgezeigt werden kann.« (GW XI, 289) Zum Fehler wird erst der Widerspruch, auf dem beharrt wird, was freilich das Unmögliche ist. – Indem die Selbständigkeit der Reflexionsbestimmungen verschwindet, verschwindet auch der Schein von Selbständigkeit und es tritt hervor die »vollendete Selbständigkeit« (GW XI, 282). Sie ist vollendet, weil sie sich verwirklicht und in sich den Widerspruch trägt. Das Zusammengehen dieser Selbständigkeit ist wieder ganz präzise zu verstehen: Der Widerspruch führt nicht zu einem Zusammengegangensein. In solch einer Ausdrucksweise wird das Zusammengehen wieder zu einem fixen Ergebnis, d. i. zu einem Identischen, das zu seiner durch den Widerspruch vermittelten Genese im einfachen Unterschied steht. Es würde dann wiederum vergessen sein, daß »das Negative [wohl] in ihm selbständiges Wesen [ist], aber als Negatives«. Der Widerspruch würde dann zu einem lediglich heuristischen Moment, ohne selbst bestimmungsgebend zu sein. Statt dessen ist es der Widerspruch selbst, der die Konvenienz trägt, und zwar indem er beide Bedingungen der Adäquation garantiert: zum einen die Verschiedenheit und zum anderen die immanente Bewegung zu deren Einheit. Da nur Unterschiedene sich angleichen können, bedarf die Angleichung an sich des Unterschieds. Und sie bedarf der Bewegung, da die Unterschiede-
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
nen ohne Bewegung einfach blieben, was sie sind. Weil das Zusammengehen mit sich selbst aber nichts anderes ist als die Bewahrheitung, und da sich der Widerspruch als Gewähr des Zusammengehens gezeigt hat, so liegt im Widerspruch das Gewahren der Wahrheit. Das gilt in dem doppelten Sinne zum einen des erwähnten Gewährens und zum anderen des Gewahrwerdens, denn die Wahrheit legt sich nur durch den Widerspruch hindurch in einem Reflexionsverhältnis aus. Die Selbstadäquation des Wahren kann es nur vor dem ›Hintergrund‹ der Verschiedenheit geben. Dieser haltende ›Grund‹ der Angleichung des Wahren, wodurch es sein kann, ist der Widerspruch.71 Das Zusammengehen kann insofern als allgemeiner Begriff der Negativität gelten, denn in ihm finden sich die beiden am Ende des Kapitels zur Seinslogik erwähnten Bewegungsrichtungen der Negativität: Der Hervorgang des bestimmten Seins und dessen Rückkehr in der Bewahrheitung qua Selbstangleichung. Statt im Wesen das Sein nur zu verdoppeln, indem alle Bestimmungen des Seins zu allgemeinen Bestimmtheiten eines Wesens erklärt werden, das dann die Voraussetzung des Seins bilden soll, zeigt der Widerspruch den Wesensbegriff als konkreten sich reflektierenden auf. Damit erklärt Hegel nun nicht den Widerspruch zum Wahren selbst, er bleibt das, was unmöglich bestehen kann. Vielmehr wird hier die bereits erwähnte Hegelsche Habilitationsthese erhellt: »Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi.« (GW V, 227) Der Ursprung der Wahrheit ist nicht das Ansichsein der Substanz, sondern die Wahrheit liegt in einer Bewegung, in der sich das Subjekt (im »absoluten Gegenstoß«) zur Substanz vermittelt, deren Bedeutung des Ansichseins in dieser Vermittlung aufgelöst wird. Zusammengefaßt bedeutet das: Das Wahre (verum) ist die durch die Bestimmungen konveniente, negative Selbstbewegung, die auf dem Weg der Loslösung von vermeintlicher Selbständigkeit sich selbst zur Übereinstimmung bringt. Vermittelt und angestoßen wird diese Bewegung durch den eigenen Widerspruch des Bestimmtseins. Der Widerspruch ist der Maßstab und die Richtschnur (regula) des Wahren in seiner Adäquation. Eine Regel ist die allgemeine Vorschrift für die Form: So zeigt sich der Widerspruch, die notwendige formale Bedingung von Wahrheit zu sein72, als solche bleibt der aufgelöste Widerspruch im Wah71
Wir sehen hier die bereits oben erwähnte strukturelle Nähe von Gegensatz, Widerspruch und (Urteils-)Satz. Auch in dessen Zusammenfügung von onoma und rhma wird ein Verweisungszusammenhang hergestellt, der auf das pragma zeigen soll. Der Widerspruch zeigte sich in der Folge auch für den Satz konstitutiv. Im gegebenen Rahmen fehlt der Raum für eine genauere Erwägung dieser Zusammenhänge. 72 Damit geht die Funktion des Widerspruchs über die ihm von Stekeler-Weithofer (1992: 27) zugeschriebene hinaus: Dieser gibt ihm die Bedeutung, nicht Regel des Wah-
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ren erhalten. Schließlich kann auch das Adäquate nicht wieder nur einfache, negationslose Selbstgleichheit sein, der Widerspruch bleibt daher im Resultat der Angleichung präsent. Er zeigt sich hier daran, daß das zum Grund gewordene, bestimmt-bestimmende Wahre immer sein Anderes impliziert. Denn Wahrheit ist nichts vorliegend Seiendes, sondern sie, die immer schon ist, muß immer erst hergestellt werden. Das gilt, weil das Wahre, mit einem Wort aus der Phänomenologie, nur »in der Gestalt des Wahren« (GW IX, 12 und 48) ist. Es hat also überhaupt eine Gestalt, die sich darstellt, weshalb im Zusammenhang mit der Wahrheit überhaupt von Bewegung die Rede ist, die – näher spezifiziert – Ausdrucksbewegung ist. Die Form dieser Darstellung ist der Widerspruch, er ist die Formalität (das formale Wodurch) der Wahrheit. Gestalt und Inhalt gewinnt das Wahre nur in seiner Auslegung als Bestimmtheit. Damit aber begibt sich das Wahre in den Widerspruch, denn seine Auslegung bedeutet für es, Einheit und Verschiedenheit zusammenhalten zu müssen. »[D]as Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken« (GW IX,18), war nach der Vorrede zur Phänomenologie, worauf alles ankommt. Bei unserer Annäherung an diesen Satz sind wir dahingelangt, zu verstehen, warum das Wahre zunächst »nicht als Substanz« deutlich wurde, denn alle Bestimmtheit zeigte sich, in Bewegung zu sein. Diese Bewegung ist Selbstbewegung, daher ist vom Subjekt zu reden. Sie ist zudem Bewegung der Substanz, die ja nicht überhaupt abgetan, sondern nur in der Bedeutung des toten Substrats hinterlassen wird: Es ist die Bewegung der Substanz zum Subjekt, in ihren Grund. Nun fährt Hegel aber nicht damit fort, man müsse dahin gelangen, zu sehen, daß sich das Wahre derart verhalte, und diesen Sachverhalt dann anerkennen. Es komme vielmehr darauf an, dies »aufzufassen und auszudrücken«. Darin kommen zwei unterschiedliche Tätigkeiten zur Sprache, das rezeptive Auffassen73 einerseits und das spontane Ausdrücken74 andererseits. Offenbar gehören Auffassen ren, sondern Regel der Suche nach dem Wahren zu sein, in dem Sinne, daß Widersprüche »als negative Ausgrenzung« des Begriffs der Wahrheit »zeigen, daß etwas nicht stimmt.« 73 Wohl kann auch das Auffassen des Subjekts nicht rein rezeptiv sein, schließlich kann es nur von einem Subjekt geleistet werden, welches das Auffassen faßt. In der Verbindung mit dem Ausdrücken geht es aber um den spezifischen Unterschied der beiden Akte des Auffassens und des Ausdrückens, und dieser ist im rezeptiven Charakter des Auffassens zu verorten. 74 Die Wichtigkeit des »Ausdrucksgeschehens« (expressivism) betont, wenngleich unter anderen Vorzeichen, auch Taylor (1983: 28–49). Er sieht im Ausdruck das ›Ziel einer neuen Epoche‹, das für ihn in Herders Anthropologie (vor allem in den Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit) am deutlichsten und einflußreichsten hervortritt. In den Zielen der Einheit, Freiheit sowie in Gemeinschaft mit den Menschen und mit
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und Reproduktion des Aufgefassten im Ausdrücken zusammen und bilden ein Ganzes. Die Formalität der Wahrheit, entlang derer wir den Unterschied festhalten können, durch den hindurch das Wahre ein sich Angleichendes ist, ist auch die Form des Ausdrucks der Wahrheit. Den Ausdruck des Subjekts selbst aber haben wir bislang noch nicht erreicht. Der Ausdruck ist die Realisierung einer Absicht. Diese selbst muß demnach zunächst gefaßt werden. Formal wird das in der Lehre vom Wesen erreicht: Entlang der Kategorien der Reflexion und insbesondere mit der Bestimmung des Widerspruchs wurde das Wodurch des Wahren ersichtlich. Diese formale Bestimmung muß aber darüberhinaus auch in inhaltlicher Bedeutung generiert werden, damit zum Ausdruck vorangeschritten werden kann. Der Ausdruck gibt nicht nur die Beziehung des Bestimmtseins wieder, sondern er manifestiert ein in sich reflektiertes Bestimmtsein. Ein Ausdruck ist daher immer Sich-ausdrücken eines Subjekts. Daß die Lehre vom Wesen den Ausdruck des Wahren als Subjekt nicht leistet, wird daran deutlich, daß die Einheit des Subjekts – wie im folgenden gezeigt wird – in die Verhältnisbestimmungen auseinandertritt. Die Einheit wird objektiviert und geht darin letztlich verloren.75 Die Aufgabe der Lehre vom Begriff wird darin bestehen, im finalen Wozu neben dem Woher das zweite Glied des Weswegen des Wahren zu bestimmen. Dadurch soll sie klären, was es heißt und wie es möglich ist, das Wahre als Subjekt auszudrücken, beziehungsweise: daß sich das Wahre als Subjekt ausdrückt. Der Ausdruck ist nicht lediglich Ausführung eines vorgefaßten Planes, sondern er realisiert den Plan überhaupt erst als Plan, indem er über ihn entscheidet,
der Natur wird das Bestreben des »Ausdrucksbewußtseins« (47) reflektiert. Zur Geltung komme darin eine bislang ungekannte Bedeutung des Individuums und die Erhebung der Freiheit zu einem Wertprinzip. Beim frühen Hegel können diese Ziele eindeutig wiedererkannt werden. Mit der logischen Konzeption vom Ausdruck des Wahren geht es aber nicht um Anthropologie. Zu welchen Mißverständnissen es führt, die Logik als Anthropologie aufzufassen, konnte – am Beispiel Taylors – bereits gezeigt werden, vgl. hier S. 109 f., Fn. 55. 75 Weil die konkrete Einheit, die das Wesen eigentlich ist, wiederum auseinandergelegt wird, deshalb bleibt umgekehrt dessen Einheit unmittelbar; »Wirklichkeit ist die unmittelbar gewordene Einheit des Wesens und der Existenz« (Enz. (1830) §142). Wo aber Einheit und Unterschied (Vermittlung) nicht geeint sind, da gelangt die Wahrheit nicht zu ihrem adäquaten Ausdruck. – Die auch an diesem Punkt zur Geltung kommende subjektivistische Grundthese seiner Interpretation beiseite lassend, können wir die hier vorgenommene Unterscheidung in der Aufgabe des Auffassens (Wesenslogik) und des Ausdrucks (Begriffslogik) auch bei Mure wiedererkennen: »But though Actuality [d. i. die höchste und abschließende synthetische Kategorie der Lehre vom Wesen] is this open manifestation of the universe as spirit, it is not the detailed explication of the universe as spiritual system in the form of thought. That is what the categories of the Notion are.« (1950: 126)
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seine Bestimmung bestimmt. Sein und Bedeutung, die in den Verhältnisbestimmungen auseinandertreten, sind im Ausdruck vereint. Die im Ausdruck hervortretende Reproduktion ist originär, nicht sekundäre Ausführung eines vorausbestimmten eidos. – Die an dieser Stelle noch unverständliche Ausdrucksweise des Wahren als Subjekt wird sein: Die Idee, die sich urteilt. Was bedeutet es, daß umgekehrt der Nicht-Widerspruch regula falsi ist? Weil das Bestimmtsein per se im Widerspruch steht, ist dasjenige, was sich nicht widerspricht, ein nur äußerlich Bestimmtes, so wie die Gegenstände von setzender und äußerer Reflexion. Dieses äußerlich Bestimmte ist an sich leer und unbestimmt, nur sich selbst gleich und keinem Anderen ungleich, es ist also reines Sein. Doch warum soll das nun falsch sein, war es doch zu Anfang bestimmt als in seiner Unmittelbarkeit weder falsch noch wahr? Weil Sein nach Maßgabe des Prinzips der Widerspruchsfreiheit einfach nur bliebe, was es ist, Sein also Sein wäre. Wir haben jedoch bereits gesehen, daß reines Sein Nichts ist. Was aber entgegen dem behauptet wird, als was es sich zeigt, das ist falsch. Nicht das Sein wird also nun als Falsches hingestellt, damit würde sich die logische Theorie selbst widersprechen, und ein solches Widersprechen ist offenbar nicht beabsichtigt; die geläufige argumentationslogische Bedeutung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch behält Hegel durchaus bei.76 Falsch ist vielmehr das Resultat der Vermei76
Daran wird auch ersichtlich, wie wahre Wissenschaft vorgeht: Nicht durch Falsifizierung (›Der Satz von zu vermeidenden Widerspruch ist ein falsches Prinzip‹), sondern durch Einschränkung des Geltungsbereichs (›Der Satz vom Widerspruch ist argumentationslogisch gültig, während er in ontologischer Bedeutung ergänzungsbedürftig ist‹). Es kann also nicht alles und jedes behauptet werden, wie Popper (1963a: 316–322) unverständig behauptet. Eine wichtige, hier nicht weiter zu erörternde Frage ist die nach den Gründen für dieses Verständnis und die scharfe Gegnerschaft zur Dialektik, vgl. dazu die Bemerkung bei Heinrich (1987: 187 f.). Zur Unterscheidung von ›argumentationslogischer‹ Bedeutung und ›ontologischer‹ Auffassung des Widerspruchs, wonach es nicht gibt, was sich widerspricht, vgl. die Ausführungen bei Hösle (1998: 158 ff.). – »[D]ie Nichtbeachtung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch« als »Grundbedingung der Hegelschen Dialektik« zu bezeichnen (Hogemann 2003: XXIV), ist daher mindestens irreführend. Damit wird suggeriert, man müsse diesen Grundsatz zunächst aufgeben, um die Dialektik als glaubwürdiges Vorgehen anzusehen. »Grundbedingungen« unterlegt auch Düsing (1995) der Logik, der aus Hegels Theorie des Widerspruchs eine »ontologische Theorie« (227) macht. Hegel betreibt aber aus den anfangs genannten Gründen (vgl. hier S. 94 f., Fn. 43) keine Ontologie, so wie er auch nicht gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ›verstößt‹ (Düsing). Die Dialektik kennt keine »Grundbedingungen«. Sie zeigt im Gegenteil die mangelnde Gründung in deren axiomatischer Inanspruchnahme auf. Daraus folgt, daß sie nicht unverbunden gelassen werden können und in ihrer Verbindung nicht mehr als das gelten, was sie zuvor zu sein schienen: So zeigt Hegel, daß Identität nicht einfach durch die Versicherung, A sei A, etabliert werden kann, sondern daß sie untrennbar von der Bestimmung des Unterschieds ist. Dies ist eine Notwendigkeit
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dung des Widerspruchs, die Behauptung des reinen Seins als Sein.77 Für die Beibehaltung einfacher Identität mit sich als Strategie zur Vermeidung des Widerspruchs gilt dasselbe, wie für das reine Sein. Es wird während es leere Identität ist, dennoch für Etwas ausgegeben und ist damit eine ungedeckte Behauptung. Die andere Weise, den Widerspruch zu vermeiden, ist die Auseinanderordnung des Bestimmten in verschiedene Hinsichten, die allerdings einseitig und dementsprechend selbstwidersprüchlich sind. Um zu vermeiden, dasselbe zugleich als so und nicht-so bestimmt zu erklären, wird der Widerspruch mithilfe von Insofern und Auch auseinandergehalten; – es sei einerseits selbig im Hinblick auf sich und andererseits anders im Hinblick auf Anderes. Zugleich wird aber beansprucht, in den verschiedenen Hinsichten von Einem zu reden. Dieses Reden täuscht sich also über sein eigenes Tun, es spricht daher gegen dasjenige, was in seiner Rede gilt, und ist somit falsch. Auch wenn dieser Gedanke als Moment eines systematischen Ganzen dargestellt wird, entgeht er nicht der von Hegel aufgezeigten Konsequenz des Widerspruchs: Eines als es selbst und anderes nicht seiend, mit dem es in der Kategorie selbst, »not the consequence of Hegelian perversity or sloppy thinking« (Houlgate 1991: 57) – Einsichtsvoller hinsichtlich der Bedeutung des Widerspruchs sind die Kommentare von Burbidge (1981: 82 f.) sowie von McTaggart (1964: 9): »In fact so far is the dialectic from denying the law of contradiction, that it is especially based on it. The contradictions are the cause of the dialectical process.« Gleichwohl meint McTaggart (1964b: 116), der Widerspruch sein keine logische Kategorie, sondern die Übergangsweise der Kategorien. Diese Stellungnahme ordnet sich ein in seine Kritik, Hegel habe auch an anderen Stellen beispielsweise empirische Sachverhalte zur Benennung von Kategorien mißbraucht (etwa mit Attraktion und Gegensatz, Leben). Es ist aber nicht einsichtig, warum etwas, das als Formprinzip von allem ausgesagt werden kann und das zudem die Struktur der Aussage selbst bestimmt, keine Kategorie wäre. In diese Richtung auch Baillie (1901: 228): »The removal of contradiction is rather the process of realising the complete truth than the indication of falsehood, for contradiction is not so much error as the mode of manifesting the truth.« Pippin (1978) zeigt, wie Hegels Lehre vom Widerspruch als Reflexionsbestimmung auch aus epistemologischer Perspektive – die allerdings aus oben genannten Gründen (vgl. hier S. 93, Fn. 42) nicht diejenige der Wissenschaft der Logik ist – fruchtbar ist: Um zu sagen, was etwas ist, muß ausgegangen werden von dem, was in verschiedenen Kontexten erscheint, während zugleich zugegeben wird, daß diese Erscheinungen nicht das Wesen dessen sind, was wesenhaft ist. Von diesem Widerspruch, wonach etwas dasjenige (wesenhaft, mit welcher Differenzierung Pippins der Widerspruch bereits abgeschwächt werden soll) ist, was es nicht ist, wird »all discourse on ›essence‹« (249) bestimmt. Wenn nicht auf dem Standpunkt der Indifferenz verblieben werden soll, die immer nur Eigenschaften der Sache s aufzählt, aber nie sagt, was s ist, dann gilt: »[W]e must make determinate use of all those determinators, appearances, and properties which s is not (is not identical with) just in order to say what s is (to define s’s identity).« (250) 77 Es paßt hier, was Hegel bezüglich des Systems des Spinoza sagt: »[N]ur dies daran ist als das Falsche zu betrachten, daß es der höchste Standpunkt sei.« (GW XII, 14)
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notwendiger Weise zusammen ist. Auch hier sind die Aspekte systematisch geeint. Etwas ist in der Totalität der Bestimmungen es selbst und anderes (in der Weise des nicht-). Es wäre selbstbestimmt und von anderem bestimmt in der Totalität. Ein jedes ist das Ganze in je besonderer Konstruktion: es selbst und alles Andere nicht. Doch auch hier scheint das Selbst, d. i. die Identität unterbestimmt. Sie muß sich selbst hervorbringen oder das Ganze muß sich zu ihm hin in bestimmter Weise kontrahieren und ein Einzelnes sein. Die Vermeidung des Widerspruchs führt wiederum zu einem Widerspruch, allerdings zu einem, der die Rede falsifiziert (vgl. Enz. (1830) § 119A). Ein Widerspruch, der verborgen und vermieden wird, kann schließlich auch nicht aufgelöst werden. Die Regel des Wahren ist nicht ein Widerspruch, der unerkannt die Rede ad absurdum führt, sondern er wird anerkannt, indem Negatives als Negatives gilt. Der Widerspruch ist gesetzt und löst sich damit sich erhaltend auf.
2.2.C.c Wahrheit als Abgleichung (Descartes) und Selbstangleichung (Hegel) Weder ist die Identität das Maß der Wahrheit (Leibniz78), denn die reine Identität ist gehalt- und gestaltlos, noch wird das Selbstbewußtsein und die mit ihm verbundene Evidenz (Descartes) der Wahrheit zum Gesetz: Wohl ist auch für Descartes die Wahrheit nichts einfach Vorliegendes, sondern im Wahrheitsverhältnis liegt ein herstellender Grundzug. Die Wahrheit bemißt sich gemäß einer Methode79, der die Unmittelbarkeit ebenso fremd ist, wie der resultativen Wahrheitsbestimmung Hegels. Die Methode selbst aber ist für Descartes nicht wie für Hegel von resultativem Charakter, sie ergibt sich nicht aus der Entfaltung des Wahren selbst, sondern sie trägt einen axiomatischen Zug und ist als Kriterium allem möglichen Wahrsein vorgegeben. Maß 78
Sätze sind nach Leibniz dann wahr, wenn sie ›analytisch‹ beziehungsweise ›identisch‹ (»Praedicatum inest subjecto«; Leibniz 1960: Bd. II, 56) sind, denn dann wäre ihr kontradiktorisches Gegenteil falsch (vgl. Leibniz 1960: Bd. IV, 424 f. und VII, 296). 79 Diese Methode entfalten Descartes’ Regulae ad directionem ingenii. Die Methode kennt – kurz gefaßt – vier Grundregeln: (i) Offensichtlichkeit als Wahrheitskriterium, und zwar aus der Sicht eines Bewußtseins, das seine Urteile erwägt, und dem jegliche Unmittelbarkeit fremd ist. (ii) ›Schwierigkeiten‹ der Sache werden durch deren Auflösung in Einzelheiten überwunden. (iii) Das von sich aus Offensichtliche oder offensichtlich gemachte taugt zur wissenschaftlichen Erfassung, dafür muß die Ordnung des Erkannten nach dem Fortgang des Denkens selbst gebildet werden, das beim Einfachsten anfängt und zum höchst Zusammengesetzten aufsteigt. (iv) Die natürliche Vernunft muß auf Lükkenlosigkeit ihrer Erkenntnisse achten.
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und Bemessenes stehen nicht in einer Formbeziehung, wie die regula Hegels, durch die Wahres erst sein kann, sondern das Sein und die Methode der Wahrheitsbestimmung sind von vornherein getrennt. Die Axiomatik, zu der die Sätze der Identität und des zu vermeidenden Widerspruchs gehören, die beide der ersten Gewißheit Descartes’ zuvor, trotz allen Zweifelns, Gültigkeit besitzen, steht zudem gerade in der Kritik Hegels. Die dialektische Philosophie verfährt überhaupt nicht axiomatisch, nicht im Sinne der hypothetische Axiome setzenden Mathematik und ebenso nicht indem sie ein unbedingtes (anhypotheton) erstes Prinzip allen Wissens als arch erkennt. Die Axiomatik läßt keine Klarheit über die eigentliche Gründung ihrer Sätze (der Identität, des Unterschieds, des zu vermeidenden Widerspruchs) zu, die sie als unhintergehbar versteht. Für ihre Gründungssätze wie für das Kriterium der Wahrheit muß sie annehmen, daß sie bereits wahr sind, ohne dafür einen logos geben zu können. Die Gründungssätze stellen jedoch nicht, wie von ihrer Darstellung suggeriert, voneinander unabhängige Prinzipien dar, sondern sie leiten sich voneinander ab, wie Hegel im Zusammenhang von Identität, Unterschied und Widerspruch zeigt. Die Sätze sind synthetisch und durchgängig miteinander verbunden. Entsprechend erläutert Hegel andernorts unter Inanspruchnahme des erwähnten platonischen Wissenschaftsbegriffs: »Diese Bewegung der reinen Wesenheiten [d. i. von Identität und Unterschied] macht die Natur der Wissenschaftlichkeit überhaupt aus.« (GW IX, 28)80 Die Methode Descartes’ ist die Entfaltung der »regulae veritatis« (Meditationes V, 15), wonach »illud omne esse verum, quod valde clare et distincte 80
In diesem Zusammenhang kritisiert Hegel auch die Orientierung der Philosophie an der Methode der Mathematik. Die Philosophie verfährt nicht more geometrico, da ihr Denken nicht Deduktion aus einem vorgegebenen Prinzip ist, sondern fortschreitendes Hervorbringen ihres Gegenstandes, des Gedankens ist. Dieser bildet sich erst im Durchlaufen von Negationen und kann nichts Vorgegebenes, Stillestehendes sein. Deshalb steht die Methode am Schluß der Wissenschaft. – Wir sehen Hegel damit erneut als Ausführenden des ursprünglich Kantischen Programms. Kant erwähnt in der transzendentalen Methodenlehre, »daß man es in der Philosophie der Mathematik nicht so nachtun müsse, die Definitionen voranzuschicken, als nur etwa zum bloßen Versuche. […] daß in der Philosophie die Definition, als abgemessene Deutlichkeit, das Werk eher schließen, als anfangen müsse.« (KrV, B 758 f.) Auch hinsichtlich der Hegelschen Kritik an der Axiomatik und des Ausgangs von evidenten Grundsätzen kann der Auftrag zu dieser Untersuchung bereits bei Kant gesehen werden. So sagt er von den Grundsätzen des reinen Verstandes: Die »Eigenschaft [a priori zu gelten] überhebt sie doch nicht allemal des Beweises.« (KrV, B 188) Die Erfüllung der Beweisnotwendigkeit ist freilich unterschiedlich: Bei Kant erfolgt sie aus dem, was von den Grundsätzen begründet ist, nämlich aus Erfahrung. Bei Hegel wird die Definition die Methode sein, weil sie die Form des Begriffs von Sein und Wesen ist (logos ts ousias; vgl. zu diesem Begriff hier S. 63 f.).
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percipio.« (Meditationes III, 2) Nicht das, was wahr ist, wird aufgefaßt, sondern was clare et distincte aufgefaßt wird, das ist wahr. Was sowohl klar, d. i. gegenwärtig und offenkundig, als auch deutlich, d. i. derart abgetrennt (praecisa, d. i. eigentlich »abgeschnitten«), daß die Vorstellung ausschließlich das Klare enthält (Principia Philosophiae I, 45), erfaßt wird, mithin das ›ganz‹ Identische, das ist gewiß. Das Gewisse aber ist wahr. Die Wahrheit bemißt sich bei Descartes also zuallererst nach der intuitiven Selbstgewißheit des reflektierenden Bewußtseins, dieses setzt (suppono; Meditationes II, 2 und I, 12)81, was überhaupt wahrheitsfähig, beziehungsweise bezweifelbar ist. Die Wahrheitsfähigkeit hängt nicht an den Sachen selbst, sondern am Erkennenden. Die letzte Besicherung der gelingenden Angleichung des Verstandes an die Sache liegt dann allerdings – abgesehen vom einfachen und leeren Gedanken seiner selbst – nicht beim denkenden Ich, sondern beim Schöpfergott, er garantiert die objektive Realität der Inhalte des Gedachten. Ohne Gewißheit gibt es keine Wahrheit, die Wahrheit der Gewißheit aber besichert Gott. Descartes bekümmert dabei nicht etwa die Frage nach der Wahrheit oder dem wesenhaften Wassein der Dinge82, sondern nur die nach der Entsprechung von Sache und Verstand im Blick auf den Menschen. Gott sichert das An sich des für uns Wahren (W. Metz), einen absoluten Vernunftbegriff denkt Descartes nicht. Die Erkenntnis des Wasseins der Dinge ist für das urteilende Bewußtsein nicht möglich, sondern lediglich die Kenntnis der wesentlichen Attribute, die auf die zugrundeliegenden Substanzen schließen lassen. Gott ist wohl Seinsgrund der Dinge, das Ich in seiner Selbstevidenz aber ist ihr Wahrheitsgrund. Dieser Unterschied hat den Sinn, das urteilende Bewußtsein vor dem angemaßten Anspruch auf Anerkennung nicht von ihm selbst gesetzter Urteile über das Wesen Gottes und der Dinge zu schützen. Nur was clare et distincte
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Das Setzen des Cartesischen Ichs hat allerdings noch nicht die Reichweite der Setzung der Vernunft bei Kant, wo die Vernunft nur mehr erkennt, was sie nach ihrem eigenen Entwurf hervorgebracht hat. Bei Descartes steht das Setzen des Bewußtseins wohl am Beginn, es wird aber in der Folge inhaltlich gefüllt von »Vorstellungen« (Meditationes III, 3), bei deren erster, nämlich derjenigen von Gott, es Descartes gerade darauf ankommt, zu beweisen, daß sie nicht vom Subjekt selbst gesetzt ist. Daran wird der Unterschied zwischen absolutem (Kant) und nicht-absolutem Vernunftbegriff (Descartes) deutlich. 82 Diese Wahrheit der Dinge hat Thomas von Aquin noch im Blick, wenn er von der Angleichung der Dinge an den göttlichen Verstand, d. i. die Angleichung der Dinge an ihre Idee, und vom Selbsterkennen Gottes in seiner Wesenheit spricht (De veritate I, 2 und 7). Die Wahrheit im Verstand des endlichen Subjekts ist davon abkünftig und empfängt ihr Maß von der Sache, die ebendieser göttlichen Selbstangeglichenheit entspringt; vgl. hier S. 127 f., Fn. 75. – In der vierten Meditation Descartes’ De vero et falso ist von einer Wahrheit der Sache selbst keine Rede.
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erkannt wird, darf anerkannt werden. – Wir sehen hier, warum Descartes zu recht als Anfang der Philosophie der neueren Epoche gesehen werden kann: Die Trennung zwischen Sein und Wahrheit, zwischen der Welt einerseits und dem System der Erkenntnis andererseits, die sich bei Descartes formiert, ist die Voraussetzung für die Stellung des Subjekts als ungebundener und selbst grundgebender Subjektivität.83 Hier ist wohl diejenige Freiheit des Subjekts grundgelegt, die dann in der Philosophie Kants ihre volle Auslegung erhalten wird.84 Zugleich liegt darin aber auch jene grundsätzliche Entfremdung des Subjekts von seiner Welt, wie auch von seinem Gott, deren logische Grundverfassung Hegel in der Zerfalls-Logik der Identität und in der Entfremdung der Selbständigkeit thematisiert. Im Unterschied zu Descartes geht es in der Bestimmung des Wahren und seiner Bewahrheitung bei Hegel nicht zunächst um unser endliches Erkennen, sondern um die Sache des Erkennens, das Wahre, selbst. Diese offensichtlichen Unterschiede der Hegelschen Überlegungen zur Wahrheit brauchen allerdings nicht weiter wiedererinnert zu werden, sie waren bereits Thema der Bestimmung des Inhalts der Wahrheit in der Seinslogik (vgl. hier S. 125); es geht hier nicht um einen Vergleich des Wahrheitsbegriffs Hegels mit dem des Descartes. Bemerkenswert ist im vorliegenden Zusammenhang, daß Hegel in der Lehre vom Wesen mit der Analyse des Setzens aufdeckt, wie dieser vermeintlich offensichtliche logische Akt eine zunächst verborgene Struktur besitzt: Das Setzen enthält per se das Gesetztsein. Descartes trennt diesen Zusammenhang, denn er dividiert das Setzen an das Ich und die Garantie des Gesetztseins an Gott, weshalb er in der Folge nach der Möglichkeit zur Überbrückung der Kluft zwischen beiden fragen muß. Wahrheit 83
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß diese Trennung im nominalistischen Verständnis des Allgemeinbegriffs vorbereitet worden war: Danach ist der Begriff nicht mehr logos ts ousias, der die Seiendheit der Sache umgrenzt, sie somit überhaupt erst sein läßt, sondern er ist ein abstrakter Begriff post rem. Dieser wird nach einer vergleichenden Abstraktion im Bewußtsein gebildet, und weil er nicht das Seiende umgrenzt, ist er nur noch Name. Die Trennung von Bewußtsein/Begriff und Sache/Sein ist nun bereits vollzogen. Die Definition solch eines Begriffs post rem hat es mit der namentlichen Definition von Namen zu tun, nicht mit der Umgrenzung von Seiendem. Angesichts dessen ergibt sich die brennende Frage, »was eine solche Definition mit der Wahrheit des Seienden, das durch den Begriff bezeichnet wird, noch zu tun haben soll. […] so erkenne ich im Erfassen des Allgemeinen primär immer nur mein Bewußtsein, nicht das Sein.« (Picht 1985: 262 f.) 84 Dort allerdings mit der bedeutenden, hier nicht weiter zu erkundenden Wende, daß im ›höchsten Punkt‹ der Kantischen Philosophie gerade Anerkennung für etwas verlangt wird, das nicht deutlich erkennbar ist. Die praktische Vernunft macht etwas offenbar, das unmittelbar Anerkennung beansprucht: Die Freiheit wird deutlich, die theoretisch gar nicht zu erweisen wäre.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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wird daher nur mehr Richtigkeit des Urteils über Vorgestelltes sein, nicht aber Darstellung des Wahren selbst, dessen essentielles Moment das Gewahrtwerden wäre. Daher rührt bei Descartes auch die Trennung des Seins von der Bestimmung des Wesens; denn auch das klare Erfassen der Bestimmungen von Etwas umfaßt nicht das Sein, das erst als von Gottes indifferentem Willen her gegebenes Sein zur Bestimmung hinzukommen muß, – wenn nicht bei dem gänzlich bestimmungslosen Sein des selbstgewissen Ich verharrt werden soll. Zum Maß der Wahrheit wird die Identität der Selbstgewißheit erklärt. Alles Wahre wird an dieser Gewißheit bemessen werden, das heißt der Erweis von Wahrheit muß in einer Abgleichung mit der einfachen Identität erbracht werden. Diese Wahrheit ist dann nicht mehr die eines sich darstellenden Wesens, sondern nur Bestätigung der bereits vorhandenen Vorstellungen des Ich. Die Wahrheit wird zum Begriff der Richtigkeit einer Vorstellung, sie ist nicht Ausdruck der Wirklichkeit einer Sache. Hegel entfaltet dagegen das Wesen der Wahrheit derart, daß er sie als Selbstangleichung versteht. In der Frage nach der Wahrheit geht es demnach nicht um ein vorliegendes Sein und eine der Gewißheit vorschwebende Vorstellung von dessen Bestimmtheit, welche beiden ›Identitäten‹ abgeglichen werden müssen, um ihre Paßgenauigkeit zu prüfen. Wahr zu sein ist nicht zunächst das Prädikat einer Aussage, sondern zuerst Auszeichnung des Subjekts der Aussage (nicht: des aussagenden Subjekts). So muß das Wahre selbst sich bewahrheiten auf dem Wege der Selbstangleichung, die nicht Abgleichung mit einem substantiell Vorliegenden ist, sondern sich entwickelnde Ausfaltung der Bestimmung des Wesens. In dieser Entwicklung bringt, dies ist das alles beherrschende Thema der Phänomenologie des Geistes, die Wahrheit sich zur Gewißheit; es muß nicht umgekehrt eine Gewißheit die ihr selbst unerreichbare Wahrheit suchen. Das Wahre ist im Sinne Hegels weder bestimmungslos und beharrende Substanz, noch ist damit lediglich die Gleichheit von subjektivem Urteil und objektivem Gegenstand gemeint, sondern das Wahre stellt sich in der Gestalt der Wahrheit dar. Weil Wahrheit die Bestimmung der Selbstangleichung mit sich bringt, deshalb hat sie eine Gestalt. Der Prozeß der Selbstangleichung ist zugleich die Ausbildung ihrer Gestalt. In der Bewegung der Angleichung ist die Gestalt dasjenige, was durchgehend gilt. Vermittelt wird dieses Gelten dadurch, daß alles notwendig einseitige Bestimmtsein ebenso notwendig endlich ist, also nicht besteht. Diese Vermittlung tätigt der Widerspruch, der einerseits das Aufheben der Einseitigkeit ist und andererseits die Integration von Differenz in Identität leistet, wodurch es möglich ist, daß sich das Wesen im Durchgang durch das vereinzelte Bestimmtsein entwickelt und verwirklicht. Durch die Form des Widerspruchs bestimmt sich mit anderen Worten das Wahre als Subjekt. Die
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Selbstdifferenzierung des Wesens ist die Gestaltung der Wahrheit, innerhalb dieser Ausdifferenzierung ist das Sein das Moment des Wesens. An diesem Moment stellt sich das Wesen durchgehend dar und bringt sich zur Geltung. So sind das negative und das positive Resultat der Auflösung des Widerspruchs vereint: Das Sein ist Sein des Subjekts. Der nach dem Maß einfacher Identität gebildete, als Abgleichung des Urteils über die Bestimmtheit mit einem vorliegenden Sein verstandene Wahrheitsbegriff hat keinen Raum für einen derart dynamisierten Wesensund Wahrheitsbegriff. Das liegt auch in einer Entscheidung begründet, die am Anfang der Cartesischen Suche nach sicherem Wissen getätigt wird. Im denkend-seienden Ich wird das Setzen seiner selbst als fundamentum inconcussum im Unterschied zu aller (gegebenen) inhaltlichen Bestimmtheit der Welt gesetzt. Wahr kann nur dasjenige sein, was von diesem fix-fertigen Fundament in seiner einfachen Bestimmtheit festgehalten werden kann. Übergang und Durchgängigkeit der Bestimmung, die für den dynamischen Wesens- und Wahrheitsbegriff essentiell sind, werden von daher als Unklarheiten und Irrtümer perhorresziert. Schließlich wird auch der ›Übergang‹ von der Gewißheit seiner selbst zu einem Wissen von der Welt nur durch ein drittes, vorausgesetztes Moment gewährleistet. Die Entgegensetzung der einfachen Identität des Ich gegen die mannigfachen Unterschiede der Welt hat die Leere des Ersteren und die bloße Vorausgesetztheit des Seins der Letzteren zur Folge.85 Dabei wird übergangen, daß diese bloß faktisch sein sollende Unterschiedenheit der Welt immer schon in einer Synthesis gehalten sein muß, in die auch das selbstidentische Ich mit einbegriffen ist, wenn es denn ist. Doch bei Descartes wird dessen Selbständigkeit nur im Gegensatz, nicht in ihrer Komplementarität zum Unterschied (der Welt) aufgefaßt.
2.2.C.d Selbstunterscheidung statt Steigerung als Wurzel der Lebendigkeit Der Widerspruch ist diejenige Form, welche die allem Bestimmtsein eignende Veränderung im Wesen integriert. Die Bewegung erscheint nun nicht als äußere und beiherspielende Änderung an einer Substanz, sondern wird als Entwicklung eines Subjekts gedacht. Die Formalität der Wahrheit ist auch
85
Über diesen Vorgang sagt Hegel im Zusammenhang mit der Erläuterung der Vergänglichkeit der Kunst innerhalb der Phänomenologie des Geistes: »aus der Zermalmung der Götter und Menschen [ging dem Geiste] die Gewißheit seiner selbst hervor« (GW IX, 402).
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
227
Prinzip der Selbstbewegung: Was aus eigenem Antrieb anders wird und dabei es selbst bleibt, das bewegt sich selbst. Im Unterschied zur unbeweglichen einfachen Identität, der Bestimmung »des toten Seins«, nennt Hegel daher den Widerspruch »die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit« (GW XI, 286).86 – Hieran wird auch der Unterschied von Widerspruch und Gegensatz deutlich: Was sich in einem Gegensatz befindet, steht zwischen den polaren Seiten des Gegensatzes, die einander als Entgegengesetzte ebenso ausschließen, wie sie verbunden sind. Was, wenn man so will, von einem Gegensatz bewegt wird, das geht daher von einem Entgegengesetzten zum anderen hin und her. Es flottiert zwischen den Polen. Bestimmend wirkt im Gegensatz immer eine der beiden Seiten. In dieser Bewegungsform gibt es – mangels Identifizierung der Entgegengesetzten – keine Auflösung, stattdessen erfolgt nur die Wiederholung des Gleichen in allenfalls unterschiedlicher Intensität. Die flottierende Bewegung im Gegensatz führt nicht zu einer Transformation, sondern höchstens zur Steigerung desselben. So wird der
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Platon läßt im Timaios durch die Hand des Demiurgen aus einem Widerspruch die Seele, das Prinzip von Leben und welthafter Form (Timaios 34b, 35b ff.), entstehen: In einer unter Zwang (bia, Timaios 35a) hergestellten Zusammenfügung wird aus dem Material der Mischungen der Kategorien des jeweils zum einen teilbaren, zum anderen unteilbaren Seins, der Verschiedenheit und des Selben, eine einzige idea, die Seele, geformt. Sie ist damit eine Zusammenfügung inmitten des ›asymmetrischen Gegensatzes‹ von wahrhaftem Sein und an sich wahrheitsloser Körperwelt. Weil sie ein Widerspruch ist, deshalb ist die Seele weder ein welthaft Seiendes noch ›wahrhaft Seiendes‹ (d. i. eigentliche Idee), sondern sie ist qua Widersprüchlichkeit eine Bewegung (vgl. Nomoi X, 896a: Seele ist Bewegung mit dem Vermögen, sich selbst zu bewegen), die als Allseele die Form an das immer-werdende Sein vermittelt und als Seele des endlichen Lebewesens die Geformtheit des Werdenden erkennen kann. Dazu ist sie befähigt weil sie durch ihre Mischung strukturgleich mit der bestimmtheitsermöglichenden Verflechtung der megista gen ist, die im Sophistes (254b ff.) behandelt wird, und zu denen Sein, Selbigkeit und Verschiedenheit zählen. Zur Stellung der Seele bei Platon vgl. Finck (2007). Ein wesentlicher Unterschied in der Konzeption des Widerspruchs als Prinzip der Lebendigkeit liegt darin, daß die Mischung der Kategorien bei Platon Ausdruck einer vorgängig-unvordenklichen Einheit ist, die sich qua ihrer Gutheit in Anwesenheit bringt und einen Widerspruch zusammenfügt. Die Zusammenfügung, die bei Hegel zum Widerspruch führt, beansprucht keine vorgängige Einheit. In der frühen Neuzeit tritt die Verbindung von Widerspruch und Leben besonders deutlich bei Jacob Böhme hervor, den Hegel besonders schätzte (vgl. seine Äußerung in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie: »[D]urch ihn erst [ist] in Deutschland Philosophie mit einem eigentümlichen Charakter hervorgetreten«; TWA 20, 94). In De signatura deorum, oder Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen schreibt Böhme in alchemistischer Rede über den Ursprung des Lebens aus dem Widerspruch, daß »ohne Gift und Grimm […] kein Leben [ist] und daher urkundet sich, daß das strengste und grimmeste das nützlichste ist, denn es machet alle Dinge und ist die einige Ursache der Beweglichkeit und des Lebens« (Böhme 1960: Bd. VI, 52).
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Aufbau der inneren Struktur, das Wachstum, das allem Lebenden zu eigen ist, in der Folge neuzeitlicher Naturwissenschaft, welche die Ausdehnung als das Wesen der Natur ansieht, rein quantitativ verstanden.87 Die Bewegung im Gegensatz hat nie einen Halt in sich selbst, sondern sie wird immer von einer der beiden Seiten getrieben: Sie ist entweder subjektiv bestimmt, ausgehend von einem Standpunkt, der beibehalten wird, da der Gegensatz in allem Streben keine Vereinigung kennt, oder sie ist bewegt von der objektiven Macht des gegenüberstehenden Bestimmenden, wodurch aber das entgegenstehende subjektive Moment ausgelöscht und nicht bewahrend aufgehoben wird. Letztlich verschwindet daher im Gegensatz der Unterschied und es bleibt nur eine abstrakte Seite. Erst die Identifizierung des Gegensatzes im Widerspruch führt zur Auflösung, d. i. zur Selbsttranszendierung auf dem Wege der Selbstunterscheidung. Die Selbstunterscheidung ist nicht wie im Gegensatz eine Bewegung vom einen Extrem zum anderen, sondern sie löst das In-Extremen-Stehen überhaupt auf: Indem sie sich nicht mehr in Gegensatz zu anderem stellt, sondern sich selbst als anderes, endliches und Sich-entwickeln-Müssendes versteht. Dies ist auch die Einsicht, die die praktische Philosophie begründet, welche nicht bloß moralisiert: Das, was man sein soll, ist nicht als Gegensatz zu veräußerlichen; das wäre nur Zwang der
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Die Folgen solch eines Verständnisses sind kaum abzuschätzen, sie betreffen die Ökonomie, die Politik des Staates ebenso wie das, was modern unter ›Selbstverwirklichung‹ verstanden wird. Statt Selbstbestimmung zu üben, wird Selbstbehauptung abgezweckt. – Diese Selbstbehauptung ist tautologisch und leer, so wird sie zum ›Interesse‹ des Menschen in der Anthropologie Hobbes’ und zeitigt das in den totalen Staat mündende Streben nach absoluter Sicherheit. »[Ü]berhaupt am Leben zu bleiben« erklärt Gehlen als »Aufgabe des Menschen« (1940: 53) und für das Volk sei »die Existenz durchzuhalten der allererste Sinn des Daseins« (450). Die Ansicht, die Fristung des Daseins sei Sinn des Daseins, ist als leere Tautologie zu betrachten, sie wird zur Voraussetzung der Aufblähung von Sicherheit aller Art. Da nämlich Dasein prinzipiell nicht gesichert sein kann, da es immer endlich ist, hat das Bedürfnis nach Sicherheit vor möglicher Bedrohung der Existenz keine Grenze, – hier wird eine Gemeinsamkeit zur Philosophie Hobbes’ zu finden sein. Im Gang der vorliegenden Untersuchung wurde mit Hegel gesehen, daß kein Dasein einfach ist und dementsprechend auch nicht einfach (selbständig) bleiben kann, sondern immer sich ausbildend-entwickelndes Dasein ist. Von daher ist die Ansicht vom Dasein als »Sinn« des Daseins widersprüchlich. Statt selber Sinn des Daseins zu sein, wird das Dasein eher die Voraussetzung für die Realisierung eines Sinns, d. i. eigentlich des Guten, sein. Dazu muß im Blick auf den Menschen nach dessen höchster Fähigkeit und nach deren Ziel gesucht werden. Liegt sie in seiner geistigen Tätigkeit, also in der erkennenden und liebenden Hinwendung zum Wahren, so wird man nicht behaupten, sein Ziel sei es, auch morgen noch zu leben. Weil dieses Wahre seine Erfüllung und sein eigentliches Ist darstellt, wird er sein Leben eher dafür hingeben als es ängstlich und gleichgültig gegen dieses Wahre zu bewahren. Überhaupt werden Angst und Furcht dann nicht zu den zentralen Begriffen der Anthropologie gemacht werden.
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
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Moral. Im Widerspruch wird die Geltung der Bestimmung (die Objektivität) der eigene Vollzug des bestimmten Identischen, es löst sich darin auf, das heißt, es wird nicht gewaltsam von einer Macht bestimmt, sondern es geht in seine Geltung ein. Dadurch zeichnet sich die selbstbewegte Lebendigkeit88 aus, die sich nicht durch bloße Steigerung desselben definiert; sie geht zum Grunde. Nicht bereits der Gegensatz, sondern erst der Widerspruch ist daher die Form des Lebendigen89, denn erst durch ihn wird das Zusammengehen mit sich (Gesetztsein als Gesetztsein) möglich, das sich selbst übersteigt, indem es zugleich ein Rückgang in den Grund ist. Dabei ist das Bild vom Rückgang noch mißverständlich, denn der Rückgang in den Grund ist nicht vorzustellen als Eingang in ein zugrundeliegendes Fundament alles Seienden, sondern es ist ein ›selbst zu dem Grund werden, der auch mich begründet‹. Der Grund, der mich begründet ist sich zurücknehmender, mich seinlassender Grund, das aber heißt ein Freilassen zu sein. Darin wird das Andere als ein Anderes gelassen und somit wird das Begründende selbst anderes (also wiederum dasjenige, was es sein läßt). Das ausschließende Setzen wird damit zu einem Ausschluß seiner selbst von der Beherrschung des Anderen, sein Resultat (nicht: Postulat) ist die Freiheit. Diese Selbstunterscheidung ist nicht mit der Steigerung desselben zu verwechseln, das weder bestimmende Unterscheidung noch Entwicklung und schon gar nicht das Freilassen kennt. Ist der Widerspruch, die Formalität der Wahrheit, auch Quelle der sich durch Selbstunterscheidung auszeichnenden Lebendigkeit, so zeigt sich auch die Verwandtschaft von Wahrheit und Leben. Wie ist diese zu fassen und durch welche Funktion sind Wahrheit und Leben verbunden? Hegel schreibt: »nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit.« Der Widerspruch spannt als Träger des Noch-Ausste-
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Insbesondere das selbstbewußt-geistige Lebendige erfährt diese Auflösung in der Anerkennung seiner eigenen Endlichkeit, auch alles andere Lebendige ist endlich, da vom Widerspruch bewegtes. Trotzdem es als nicht-geistbegabtes seine Endlichkeit nicht anerkennen kann, erfährt es die Auflösung seiner Geltung nicht als gewaltsames Verfügtwerden durch eine Macht, da es nicht sich setzendes Lebendiges ist. Das eigene Setzen des Endlichen gegen seine Endlichkeit ist aber die Voraussetzung dafür, daß die Geltung als Macht empfunden oder gedacht werden muß. – Auch im Lebendigen hat die Auflösung des Widerspruchs zwei Dimensionen, sie ist nur negativ und gleichsam Null für dasjenige, was den Widerspruch nicht halten kann. Gehalten werden kann er aber nur im Denken, d. i. im geistigen Leben, für das der Widerspruch seine positive Dimension offenbart. 89 In der Logik-Vorlesung von 1831 sagt Hegel, die Aneignung des Gegensatzes im Kampf sei der »Prozeß des Lebendigen überhaupt« (AV X, 143), so beim Menschen das Atmen der Luft und das Essen der Speise. Darin liegt kein Widerspruch zur vorliegenden Analyse, da auch damit nicht gesagt ist, der Gegensatz sei Prinzip, vielmehr ist es der angeeignete Gegensatz und ein solcher ist in Einheit gedacht: Widerspruch.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
henden (Trieb) und des in der Tat Schon-Wirklichen den Bewegungsraum des Lebendigen auf. Doch wird das Leben als vom und im Widerspruch bewegtes Lebendigsein auch ebenjene Auflösung des Widerspruchs erfahren müssen, die schon das Identische angesichts seines bestimmten Seins erfuhr. Diese Auflösung hebt aber in ihrer negativen Dimension alle möglichen weiteren Formationen des Lebendigseins auf, das Lebendige ist endlich-sterbliches. Der Widerspruch als Wurzel der Lebendigkeit gewährt und erhält die Bewegung des Lebendigen und führt es ebenso in sein Ende. Er läßt Lebendiges zwar sein, durchkreuzt aber auch dessen selbständige Geltung, denn das selbstidentische Lebendige ist nicht, indem es ist. Die durch den Widerspruch vermittelte Wahrheit scheint somit dem Leben der Lebendigen geradezu entgegenzustehen, da bereits in der Konstitution der Bewegung notwendig deren Ersterben mitbegründet wird. Doch galt zugleich, daß der Widerspruch als Formalität der Wahrheit auch positiv ist und das Zusammengehen des Wahren mit sich besichert, so daß werden kann, was immer schon war. Von daher müßte der durch den Widerspruch herbeigeführte Tod des Lebendigen für das Lebendige nicht den Übergang in ein Anderes, sondern ebenso wie die Selbstadäquation des Wahren eine Entwicklung in und zu sich darstellen. Dies gilt zumal die Wahrheit ewig und unvergänglich ist und durch nichts terminiert wird. Der Tod des Lebendigen als Selbstadäquation wäre für dieses dann nicht mehr eine von außen an es herantretende Notwendigkeit, ein Müssen, durch das es in einen gegensätzlichen Zustand gezwungen würde, der dann im übrigen auch das Leben beherrschen würde. Die Auflösung des Lebens unter der Herrschaft des Todes ist in der Tat eine Erlösung, gestorben wird der Tod des Todes90: Der Tod würde kein Übergang in ein Anderes und ebenso ›nicht nur Null‹ sein können, sondern er müßte, weil er Konsequenz der formierenden Macht der Wahrheit ist, statt bloßer Abbruch des Lebens der Lebendigen vielmehr Bewahrheitung und Vollendung von deren Leben sein. Dies vermag er, indem er nicht, wie die äußere Reflexion über einen Gegenstand diesen zum Grunde bringt, sondern der eigene Eingang des Lebendigen zur »Quelle seiner Wahrheit« (AV III, 133) ist. Das Ende des Lebens durch den Tod wird kein Abbruch 90
Können wir an dieser Stelle dem Auflösungsverhältnis des Gegensatzes von Leben und Tod nicht weiter nachgehen, so sei zumindest auf die Studie von Jüngel (1971) verwiesen, in der verfolgt wird, wie im christlichen Osterglauben (von Pfingsten spricht Jüngel merkwürdigerweise nicht) durch den Tod Jesu ›dem Tod der Stachel‹ gezogen wird, wodurch Herkunft und Zukunft des endlich-zeitlichen Menschenlebens ewig gesichert sind. Darin wird dessen Begrenztheit nicht aufgelöst oder perpetuiert zu ›ewigandauerndem‹ Leben, sondern sein Leben wird erlöst in das Gehaltensein in der Gegenwart Gottes (150 ff.). Zum »Tod des Todes« vgl. auch die Anmerkung bei Beierwaltes (1980: 263).
2.2 Identität – Unterschied – Widerspruch
231
sein, auf den Nichts folgt, sondern ein Ende, auf das die Wahrheit folgt. Weil es von der Formalität der Wahrheit getragen ist, ist das Leben selbst als vom Widerspruch bestimmt-bewegtes Wahres als Darstellung und Gestaltung der Wahrheit – dies war ja die Leistung des Widerspruchs – zu verstehen. Das vom Widerspruch bestimmte Leben ist ein Leben mit Bestimmung. Daß es vom Widerspruch bestimmtes ist, klärt auch, weshalb das Leben in dem, was es ist, nicht erfahrbar ist: Der Widerspruch begegnet nicht wie ein einfach Vorliegendes, es ›gibt‹ ihn nicht, denn er ist, mit Aristoteles gesprochen, das Unmögliche (adynaton); er ist aber sehr wohl denkbar, und dies ist auch die Weise, in der Leben erfahren werden kann, im Denken (vgl. hier S. 26). Das existentielle Verständnis dieses Zusammenhangs, d. h. die Frage nach dem Verhalten der Lebendigen zu diesem Sachverhalt, kann an diesem Ort nicht weiter verfolgt werden; doch sei zumindest angedeutet, daß hier der Ort der Religion der Lebendigen ist und zwar im doppelten Sinne. Zum einen in der beim frühen Hegel bedachten Form der reflexiven Religion als Aufgabe: Indem das Lebendige auf seinen Tod reflektierend sich als nicht-selbstbegründend erkennt und in der Anerkennung seines endlichen Teil-seins, d. i. durch die Integration des Andersseins in sein Selbstsein, seines wahrhaften Seins inne wird. Von diesem wahrhaften Sein her darf es sich in seiner Eigenheit gerechtfertigt wissen, weil es darin nicht ›sich selber‹ (Röm 14, 7), sondern eben in diesem lebt. Eröffnet wird diese Rückbindung (religo) durch die Umwendung (reflexio), welche die Aufgabe des selbstischen Selbst enthält. Zum anderen ist hier auch der Ort der ›religiösen‹, d. i. in Kultus und Verehrung sich äußernden Religion: So kann der »religiöse Gedanke« (AV III, 112), der Hegels Vorlesungsmanuskript zum Begriff der Religion91 zufolge 91
Hegels Einführung zum Begriff der Religion, die von den beiden zentralen Momenten der Religion, ihrem Gegenstand in Gott einerseits und dem Bewußtsein von diesem andererseits ausgeht, führt das Verhältnis von andächtiger Religion und Denken näher aus. Diese andächtige Religion ist von der Religion des reinen Denkens, wie sie der frühe Hegel konzipierte, unterschieden. Deren Inhalt ist nun in die Logik eingegangen und wird dort entfaltet. Andächtige Religion ist danach »das Spekulative gleichsam als Zustand des Bewußtseins« (1993: 115), während die Religion reinen Denkens die Loslösung aller Stellungen beinhaltete, mithin auch die eines Bewußtseins zu seinem bestimmenden Grund. »Zustand« ist die andächtige Religion deswegen, weil sich das Denken hier als das endlich ›gestellte‹ (vgl. zur Frage von Stellung und Standpunkt hier S. 92 und besonders S. 149, Fn. 11), »als Dieses […] nach seinem ganz empirischen, zeitlichen Charakter« (119) zu Gott verhält. Dieses Verhalten kennt drei aufeinander aufbauende Modi: Empfinden, Vorstellen und schließlich formales Denken. Ausgehend von der Endlichkeit des unmittelbaren Seins, das ihm das Erste ist, bringt das Bewußtsein durch die den verschiedenen Modi des Verhaltens entsprechenden Bewegungsweisen von »Erhebung, Reflexion, Übergehen« (116) ein Zweites hervor, den Gedanken Gottes. Dieses Hervorbringen eines Zweiten, welches wahrhaft Erstes ist, da es unbeschränktes Allgemeines, Gott ist, nennt
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
»ein Verlassen des Unmittelbaren, des Endlichen« ist, statt im Wege der Reflexion zum förmlichen Denken zu werden, angesichts der Macht, die das eigene Leben verfügt, auch zum geglaubten, d. i. mit der eigenen Zustimmung, derer das förmliche Denken nicht bedarf, verbundenen Gedanken religiöser Andacht werden. Diese drückt sich in der Haltung der Demut des endlichen Bewußtseins aus.
Hegel »Prozeß des Geistes überhaupt«. – Im vorliegenden Kontext wurde dieser Prozeß an der Bestimmung des Widerspruchs betrachtet. Darin wurde auch deutlich, daß das erscheinend Erste in der Vermittlung des Widerspruchs notwendigerweise einen logischen Vorgänger hat (vgl. das Problem des Daseins, hier S. 98 ff.). – Wohl liegt es im Wesen der Empfindung, sich zu den weiteren Verhaltensweisen zu entwickeln, die ein zunehmend innigeres Verhältnis zur bestimmenden Macht hervorbringen, darin die Negation der unmittelbaren Existenz sich zu einer vollkommenen Affirmation des Einzelnen in Gott wandelt. Doch ist die andächtige Religion noch »nicht objektiv sich entwickelndes […] Denken« (119). Die Beziehung der beiden Seiten der Religion, das endliche Bewußtsein und das Unendliche, bringt sie nicht zur freien Einheit (Ich selbst bin beide Seiten), sondern sie verbleibt in der Erkenntnis der Empfindung: Ich bin so und so bestimmt. Hegel spricht im weiteren davon, daß der Inhalt der Religion nicht als in sich gegründeter gewußt wird (159), darin unterscheidet sie sich angesichts des gemeinsamen Inhalts der Wahrheit von der Philosophie. Der »religiöse Standpunkt« (130) enthält zwei »Totalitäten«: (i) das Objektive, Allgemeine und (ii) das Subjektive, die je die andere enthalten, indem das Allgemeine zur »geistigen Welt« und das Subjektive zu welthaft-gebildetem Selbstbewußtsein wird. Diese Totalitäten stehen in Wechselwirkung. Das aber bedeutet, daß das Verhältnis von (i) und (ii) nur resultativ bestimmt ist: Die Wechselwirkung ist das Resultat der Kausalität des Einen auf das Andere. Sie ist die Rückwirkung der Kausalität, in der die Differenz der gegenseitig aufeinander Einwirkenden nicht mehr erkannt werden kann. Damit ist nicht die freie Einheit erreicht, deren Eigenes es ist, sich aus eigener Bewegung heraus zu verwirklichen, die Einheit des Verhältnisses der Wechselwirkung ist vielmehr leblos, denn ohne eigenes Prinzip der Differenzierung kann sie auch nicht ›in sich gründen‹. Wiewohl die Religion den Inhalt der Wahrheit in der Endlichkeit des Endlichen und der Aufhebung in einem konkreten, lebendigen Allgemeinen erkannt hat (»die substantielle Wahrheit hat nicht erst die Philosophie zu geben« (159)), so ermangelt sie doch der Form, diesen Inhalt angemessen zu begreifen. Auch die Kunst, deren »Gesetz und […] Inhalt« (143) ebenso die Wahrheit ist, bedarf der Vollendung durch die Aufhebung in einer belebenden Subjektivität, das heißt sie muß, um nicht äußerliches Ding und an sich leblos zu sein, im Denken aufgenommen und gewissermaßen zu ihrer Konsequenz fortgeführt werden. Das Wissen des Inhalts der Wahrheit als in sich gegründet ist eine Entwicklung des Begriffs und wird daher erst im Kapitel über die Lehre vom Begriff geklärt werden können. – Man wird darin keine ›Vermischung von Religion und Philosophie‹, von fides und ratio sehen und somit den oft gegen das Denken des Mittelalters erhobenen Vorwurf nun gegen Hegel richten, denn auch hier gilt, was Boeder formuliert: »Das Gerede um die ›Vermischung‹ von Philosophie und Religion im christlichen Wissen [d. i. die Philosophie der sogenannten mittleren Epoche] drängt auf eine ›Reinheit‹, in der jene leer und diese blind ist.« (1980: 206)
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
233
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen: Die Verhältnisse der Notwendigkeit und der Wechselwirkung Den Fortgang der Lehre vom Wesen in der gleichen Weise wie die bisherigen Stationen zu untersuchen hieße, den Rahmen der vorliegenden Studie zu sprengen. Das bedeutet aber nicht, daß nun von der Aufgabe der vollständigen Rekonstruktion der logischen Bewegung Abstand genommen werden kann und soll. Die Aufgabe der Lehre vom Wesen war es, zu zeigen auf welche Weise das Sein im Wesen und die Genese im Resultat gesetzt ist. Diese Aufgabe ist mit der Bestimmung des Widerspruchs erfüllt: Zum einen entfiel im Widerspruch die Reflexion, was – als negatives Ergebnis seiner Auflösung – jene Unmittelbarkeit ergab, die das Sein darstellt, welches der Keim des Wesens ist. Zugleich vermittelte der Widerspruch damit – positiv – die Konvenienz des bestimmten Seins, denn dieses vollzieht durch den Widerspruch hindurch diejenige Negation, die es selber ist, an sich selbst. Durch den Widerspruch wird es, was es immer schon gewesen war, somit ist der Widerspruch die Regel des Wahren. Das Wodurch des Wahren ist bestimmt, die Form der Bewahrheitung des Daß-Seins ist eingesehen.92 Mit der Bestimmung des Widerspruchs sind wir aber zugleich bereits über den eigentlichen Bereich der Lehre vom Wesen hinausgeführt worden: Durch die Vermittlung des Widerspruchs zeigte sich das Anderswerden des Bestimmten als Zusammengehen mit sich selbst. So ermöglicht die Reflexionsbestimmung des Widerspruchs die Vereinigung von Notwendigkeit (Eines wird ein Anderes93) und Freiheit (dies ist ein Zusammengehen mit 92
Weil die Aufgabe der Wesenslogik bereits erfüllt ist, ist es gerechtfertigt, deren zweiten und dritten Abschnitt kursorisch – oder mit Hegel zu sprechen: ›in Kürze‹ – anzugeben. Das geschieht, obgleich eine detaillierte Untersuchung dieser Abschnitte für die ideengeschichtliche Topologie interessant und insbesondere die Bestimmungen der Modalität für die Frage nach der Selbstreflexivität der logischen Methode (vgl. Henrich 1978) ergiebig wären. Es versteht sich von selbst, daß damit nicht – wie wir es angesichts der Anfangsbestimmungen der Lehre vom Wesen sahen (vgl. hier S. 155, Fn. 15) – gemutmaßt wird, der zweite und dritte Abschnitt der Logik des Wesens könnte ebensogut weggelassen werden. Es erlaubt aber – mit Hegel zu sprechen – ›das Logische‹ unseren freien Umgang. 93 Weil sie Wissenschaft ist, deshalb ist der Gedankengang der Logik durchweg durch Notwendigkeit bestimmt. In den drei Teilen der Logik werden allerdings unterschiedliche Weisen der Notwendigkeit thematisch, die sich jeweils in einem Satz vom Sein, vom Wesen und vom (hier noch auszulegenden) Begriff formulieren lassen; so besteht die Notwendigkeit (i) in der Lehre vom Sein im Unterworfensein unter sie: Das Sein des Etwas ist das Anfangen des Anderen. (ii) In der Lehre vom Wesen im Ergreifen der Notwendigkeit: Das Wesen ist Widerspruch und muß sich umwenden (das heißt reflektiert sich) in den Schein. (iii) In der Lehre vom Begriff, in der noch das Müssen und die Gebrochenheit
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
sich). Das kam darin zum Ausdruck, daß das Sein nun als Sein des sich-entwickelnden Subjekts zu bestimmen ist. Das nicht-seiende Wesen ist, das heißt es ›enthält‹ als sein Moment ein Sein im Sinne der Präsentation. Dieses Sein ist nicht unmittelbar und unbegründet, sondern es ist die ideelle, d. i. sich aufhebende, Äußerlichkeit des Wesens, die diesem als durchsichtiger Schein nicht entgegensteht. Hegel faßt diesen Sachverhalt zunächst unter dem Titel der »Existenz«, sie ist das begründete Sein, in ihr zeigt sich das Wesen als Grund. Die Reichweite der Bestimmung des Widerspruchs als Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit geht aber auch noch über diese unmittelbare Fortsetzung des logischen Bestimmungsweges in der Lehre vom Wesen hinaus. Denn wenn die Notwendigkeit, die das unverbrüchliche Band zwischen Einem und einem Anderen ist, zum »Zusammengehen Seiner im Andern mit Sich selbst« (Enz. (1830) § 159A) geworden ist, dann sind wir bereits im Bereich jener freien Totalität, die Hegel im Begriff des Begriffs faßt. Zudem wird damit auch das dritte Moment der Bestimmung der Wahrheit angedeutet, das in der Antwort auf die finale Frage ›Wozu?‹ gesucht werden muß, die lauten wird: ›Zur Wirklichkeit der Freiheit‹. Weil also bereits nach rund einem Drittel des Umfangs der Lehre vom Wesen der Grund für den Übergang zum Begriff gelegt ist, rechtfertigt es nicht nur die Ökonomie unserer Untersuchung, sondern auch die Sache selbst, hier den Übergang ins Auge zu fassen und dabei frei mit der Organisation der weiteren Bestimmungen umzugehen. Zwei Momente aus der weiteren Entwicklung der Wesenslehre seien daher gesondert herausgegriffen, da sie zum einen den Begriff dieser Entwicklung vermitteln und zum anderen den Unterschied und den Übergang des Wesens zur »subjektiven Logik« erhellen. Die Bestimmung des Widerspruchs zeigte nicht nur den Grund dafür an, daß aus dem Widerspruch etwas folgt, sondern sie entwickelte überhaupt erst den logischen Begriff der Folge: »Die ausschließende B estimmung selbst ist […] sich das Andere, dessen Negation sie ist« (GW XI, 281). Indem sie negiert, d. i. sich selbst als bestimmend setzt, wird die Bestimmung eben die Negation, deren Geltung sie in ihrem Selbst-bestimmen ausschloß, und die für ihr bestimmendes Bestimmtsein konstitutiv ist. Die ausschließende Bestimmung veranlaßt damit ›in zweiter Instanz‹ eine Folge, welche zugleich ›in erster Instanz‹ die Bestimmung konstituiert, also gar nicht nur Folge, sondern eben so sehr Grund ist. Grund- und Folgenlosigkeit der Bestimmung werden damit als unwahrer Schein enthüllt (vgl. Erdmann 1901: 68). des Verhältnisses verschwinden, zeigt sich die Notwendigkeit als Freiheit: Die Güte der Wahrheit ist das Leben.
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
235
Wird der Widerspruch als Zusammengehen mit sich gedacht, dann ist die Relation von Grund und Folge in einer konkreten Identität gedacht. Doch warum folgt auf die Widerspruchsbestimmung nicht direkt der Begriff des Begriffs, sondern eine umfängliche Folge von Verhältniskonstellationen?94 Der Lehre vom Wesen ist es um das Auffassen des Wahren zu tun, und weil das Auffassen nicht unmittelbar, intuitiv oder anschauend sich ereignet, sondern nur vermittelt durch ›Ernst, Schmerz, Geduld und Arbeit des Negativen‹ (vgl. GW IX, 18) geschieht, deswegen wird die erreichte konkrete Identität zum Zwecke des weiteren Aufschlusses ihrer Konkretion wiederum reflexiv auseinandergelegt. Daher ist der Fortgang der Wesenslogik notwendig und nicht die Folge eines läßlichen Mißverstehens oder ein Umweg. Das Ergebnis dieses Auseinanderlegens sind die verschiedenen Bestimmungen des ›Verhältnisses‹, denen der Fortgang der Lehre vom Wesen gewidmet ist. Allen verschiedenen Bestimmungen des Verhältnisses, sei es von Materie und Form, Kraft und Äußerung oder Substanz und Akzidenz ist durch ihren inneren Bruch eine hypostatische Tendenz gemeinsam: In ihnen wird die ungetrennte Einheit des Wesens derart auseinandergelegt, als wären die Seiten je für sich selbständig.95 Dabei ist ›Seiten‹ in zweifacher Hinsicht zu verstehen, zum einen als die Relata, die je ohne das andere Bezogene bestehen können sollen, zum anderen als die Relation, die ohne die Relationierten gelten soll. Durch die Wesenslogik werden wir zu der Einsicht geführt, daß es zwischen Relation1 und Relata eine Relation anzuerkennen gilt, ohne die beide keinen Sinn machen würden. Relation1 wird mithin selbst zu einem Relat. Beziehung und Bezogene entstammen einer syngeneia (vgl. Platon, Timaios 29b). Diese Relation von Relation1 und Relata wird der Begriff sein, 94
Hegels wiederholte Begründung der Verhältnisbestimmungen, die zugleich deren Mangel angibt, lautet in der Fassung der Heidelberger Logik-Vorlesung von 1817: »Die Notwendigkeit ist an sich der Begriff, aber noch als das Innere, dessen Seite[n] die Gestalt selbständiger Wirklicher haben und deren Beziehung ein Übergehen in das Entgegengesetzte ist, das Setzen dessen, was im Begriff der Notwendigkeit enthalten ist, und ihr Übergehen in den Begriff selbst oder in die Freiheit ist die Auslegung des Absoluten in dem Fortgange durch die drei absoluten Verhältnisse der Substantialität, der Kausalität und der Wechselwirkung.« (AV XI, 133) Diese Begründung enthält das innerhalb der reflexiv-auseinanderlegenden Vorgehensweise der Lehre vom Wesen zu erwartende Ergebnis der Verhältnisbestimmungen, sie gibt deren Begriff an, damit ist aber noch nicht gesagt, warum diese überhaupt auf die Bestimmung des Widerspruchs folgen müssen; somit vermittelt uns diese Begründung, wollte man sie einfachhin wiederholen, keine Einsicht. 95 Hegel beschäftigt sich also auch in diesem Abschnitt der Wesenslogik mit dem Grundproblem der Reflexion. Die Entdeckung der ›reflexiven Problematik‹ trieb die gesamte nachkantische Philosophie um. Zusammenfassen läßt sie sich in der Frage, wie Reflexion überhaupt die Einheit dessen, was ist, fassen könne.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
während der wesenslogischen Reflexion Relation1 und Relata immer wieder auseinanderbrechen und sie schließlich in der höchsten Bestimmung der Wechselwirkung nicht mehr zu differenzieren sind. In der reflexiven Verhältnislogik wird durch die hypostatisch-gebrochenen96 Verhältnisbestimmungen die Transparenz des Scheins auf das Wesen, die Vereinigung von Unmittelbarkeit des Seins und Reflexion des Wesens zunächst in Dunkelheit gehüllt und verstellt. Die »sich selbst durchsichtige Klarheit« (GW XII, 16) des Widerspruchs, der durch alle Bestimmungen hindurchgeht, keine in bloßer Gegebenheit bestehen läßt und dem Denken nichts vorenthält, sondern allen Schein auflöst, wird im Wesensverhältnis verborgen. So im Verhältnis der Kraft und ihrer Äußerung: »Die Kraft äußert sich, aber es gilt dafür, als wäre das etwas Zufälliges, als könnte sie schlafen, sein ohne Äußerung.« (AV X, 156) Das notwendige und richtige Auffassen des Wesens als ungetrennt-differenziert bildet sich somit zu einem Ausdruck, der die energische Subjektivität des Wesens, d. i. seine Wirklichkeit, nicht wiedergibt. Dies vor dem Hintergrund, daß es dem Wesen wesentlich ist, zum Ausdruck zu gelangen. Das Wesen ist nur als Manifestation (Enz. (1830) §139), da es sich von sich abstößt. Die Manifestation des Wesens ist dabei selber nicht manifest. Sie ist vielmehr Erscheinung, d. i. ein mit der Notwendigkeit der Aufhebung verbundenes Sein, das nicht grundlos für sich steht, sondern begründetes Zeigen eines Anderen, nämlich des Wesens, ist. In der Auseinanderlegung innerhalb der Verhältnisse hat der Widerspruch Bestand, – er wird sich aber schließlich auch dementsprechend auflösen. So ist das Verhältnis wohl ein Ausdruck in der Folge des aufgefaßten Wahren, es ist aber nicht Ausdruck des Subjekts. Doch stellt das Verhältnis auch keine Analyse des Widerspruchs dar, die diesen in seine ›Bestandteile‹ zerlegt (vgl. hier S. 201 f.); das hieße lediglich in den logischen Regreß zu geraten, also Bestimmungen aus dem Widerspruch hervor zu holen, die allererst zum Widerspruch geführt haben, so verstanden wäre das Verhältnis »nichts anderes als ein Rückgang durch die vorhergehenden Momente« (GW VII, 37) hin zum reinen Sein. Vielmehr ist das Verhältnis ein Auseinanderlegen, in dem die Momente »einfach zusammen« bleiben. Schließlich geht es auch hier um das Auffassen des Wahren, das eine konkrete Identität und nicht abstraktes Nebeneinander ist.97 Jede Seite des Verhältnisses ›enthält‹ in sich notwendig die andere, so vereint das Verhältnis Entgegensetzung und identische Bezie-
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Gebrochen, so sehen wir nun, ist hier auch die Relation von Relation und Relata. In der Jenaer Logik drückt Hegel diese Aufgabe folgendermaßen aus: »[E]s ist allein darum zu tun, dieses Einssein des Geteilten [der Differenz, als welche sich das Verhältnis setzt, in dem je eine Seite sich selbst gegenübertritt] näher zu bestimmen« (GW VII, 37). 97
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
237
hung. Der »gesetzte Widerspruch« (Enz. (1830) §114) wird darin auseinandergesetzt.
2.3.A Verdoppeltes Wesen – Notwendigkeit Vermittelt durch die Bestimmung des Widerspruchs tritt das Wesen in eine Relation, darin verdoppelt sich das Wesen, nur so hat es Geltung und ist, was es ist. Die Axiome der Identität reichten daher zur Bestimmung der Wahrheit des Wesens nicht aus. Zur Wahrheit gehört die Vermittlung, die Unterschied und Duplizität bedeutet. Die intensivste Form der Vermittlung ist die Notwendigkeit, durch ihr Band wird aus verschiedenen Bestimmungen eine konkrete Identität gebildet. War das Wesen zunächst als Resultat des unwahren Anfangs im reinen Sein erschienen, so setzt es als wahres Wesen auch seinen eigenen Anfang. Das Wesen setzt sich also in Beziehung auf sich selbst, so ist es in dreifacher Weise zur Grundbeziehung geworden: Es setzt (i) als Grund die Folge, es ist (ii) das gleiche Wesen in Grund und Folge und der Grund ist in seiner Folge das, was er ist (begründend), er ist also (iii) identisch. Doch zugleich ist der Grund eine Voraussetzung der Folge, zudem sind Grund und Folge ungleich, so sehr, daß der Grund in seiner Folge nicht mehr als solcher präsent, sondern aufgehoben ist. Das setzend-vorausgesetzte, gleich-ungleiche und identischaufgehobene Wesen steht folglich nicht jenseits des Widerspruchs; es hebt sich auf. Diese Aufhebung geht nicht über ins Nichts, sondern sie ist Erscheinung. Nicht jenseits der Erscheinung besteht also das Wesen, das vielmehr als solches gar nicht ist, sondern nur als Erscheinung. »Das Wesen muß erscheinen.« (GW XI, 323)98 Die essentia wird zur existentia. Darin bleibt
98
Dieser Satz beinhaltet nur den Schluß aus dem Resümee, das Hegel in der Einleitung des zweiten Abschnitts der Lehre vom Wesen »Die Erscheinung« von den bisherigen Ergebnissen der Logik gibt: »Die Lehre vom Sein enthält den ersten Satz: Das S ein ist Wesen. Der zweite Satz: Das Wesen ist S ein, macht den Inhalt des ersten Abschnitts der Lehre vom Wesen aus. Dieses Sein aber, zu dem das Wesen sich macht, ist das wesentliche S ein, die Existenz: Ein Herausgegangensein aus der Negativität und Innerlichkeit.« (GW XI, 323) Im Heraus-, oder Hervor-gegangensein des wesentlichen Seins begründet sich die Realität der zuvor reinen, innerlich-reflexiven Vermittlung. Zugleich ist dieses Sein dadurch nicht (unmittelbares) Dasein, sondern begründetes Sein: »Die Wahrheit des Seins ist, nicht ein erstes Unmittelbares, sondern das in die Unmittelbarkeit hervorgegangene Wesen zu sein.« (GW XI, 324) – Lakebrink (1984) vermißt hier – auf dem Standpunkt thomasischer Scholastik beharrend – die sogenannte ›Realdistinktion‹ von Wesenheit und Existenz. Diese hebt Hegel tatsächlich auf, sie ist ein Moment in der Bestimmung des Wesens und kann nicht ihrerseits wiederum auf das Ganze der Logik
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
die Unmittelbarkeit, welche die Existenz ausmacht, sie ist aber nicht mehr unvordenklich, sondern durch doppelte Negation vermittelt. Die Existenz kann keinen Primat beanspruchen, sie wird daher zur Erscheinung, sie hat sowohl einen logischen Vorgänger als auch einen Nachfolger. Das Wesen bestimmt sich zur Erscheinung, so ist es »real«, oder wie Hegel in der Gegenüberstellung von Reflexion und Grund unterscheidet: »Die Reflexion ist die reine Vermittlung überhaupt, der Grund ist die reale Vermittlung des Wesens mit sich.« (GW XI, 292)99 Von der Realität der Vermittlung kann Hegel in diesem Zusammenhang sprechen, weil das vom in sich reflektierten Wesen Herausgesetzte nicht dem Wesen gegenüber einfach nichtig, eine seins- und bedeutungslose Negation ist, sondern weil das Herausgesetzte ein vermitteltes Unmittelbares ist. Es trägt alle Bestimmungen des Wesens und ist sich negierendes mit sich Zusammengehen durch den Widerspruch. Im Gesamt der Erscheinungen, der »erscheinende[n] Welt« (GW XI, 351), ist jede der Erscheinungen auf anderes übergängig bezogen. Es bleibt also keine Erscheinung das, was sie unmittelbar ist, jede geht in anderes über. Dieses Andere aber ist ebenso Erscheinung. Die Erscheinung hebt sich auf und ist dabei auf sich bezogen. Ihre Reflexion in Anderes ist Reflexion in sich, sie ist damit ein unbeschränktes Ganzes. Dagegen ist die an und für sich seiende und in sich ruhende Wesenswelt als Grund der erscheinenden Welt bestimmt. Alle Bestimmung, die in der Welt erscheint, ist darin versammelt. Sie ist die Selbstgleichheit, die sich durch das Anderswerden innerhalb der erscheinenden Welt immer erst herstellt, insofern ist sie »die verkehr te [Welt] der erscheinenden« (GW XI, 350), sie ist ihr Anderssein. Zugleich kehrt sie sich aber in die Erscheinung um, denn in ihrer ruhigen Selbstgleichheit hat sie »unmittelbare Existenz« (GW XI, 351). Sie befaßt in ihrer absoluten Beziehung auf sich Wesen und Existenz zugleich, auch die an und für sich seiende Wesenswelt ist unbeschränktes Ganzes, Totalität, die ihr Anderes in sich schließt. Das Ganze stößt sich also von sich selbst ab und wird zu zwei Ganzen. Eine Totalität ist unmittelbar (d. i. Welt), die andere reflektiert (d. i. Wesenswelt), jede stößt sich aber zur anderen hin ab, die sie selbst ist. Die Seiten des Verhältnisses sind daher tatsächlich selbständiger Natur. Doch haben sie ihre Selbständigkeit nur in der Doppelung, in welcher beide gewahrt sind: Das Wesen zeigt sich als ein
angewandt werden, indem gesagt wird, die Logik sei wohl umfassende Vermittlung des Gedachten, lasse aber die Frage nach dem Daß des Seienden und Denkenden aus; dies ist auch der Vorwurf des späten Schelling, vgl. dazu Henrich (1988: 180 ff.). 99 Der Klärung dieses Unterschiedes widmet sich ausführlich die Studie von Rohs (1969).
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
239
Verhältnis, in dem nicht eine Seite nichtig und die andere bestehend ist, sondern es ist nur in der Einheit von Wesen und Erscheinung. Zur Erscheinung gewandelt, hat also auch die Existenz Bestand. Sie ist die Sache (res, Realität), die insofern unabhängig von der Reflexion (über sie) ist, als sie selbst in sich reflektiert ist. Das Wesen tritt darin sich selbst gegenüber; – nur aus diesem Grund konnte der freilich auf einem anderen Verständnis von Reflexion und Sache beruhende Vorwurf aufkommen, das Wesen sei eine Verdoppelung100, oder – härter noch – eine bloße Abstraktion des konkreten ›Realen‹, welches das vorliegend Gegebene sein soll. Daß das Wesen sich selbst gegenübertritt ist im strikten Sinne zu verstehen: Nicht irgendeinem ebenso Bestimmten oder einem irgendwie (schon) Seienden tritt das Wesen gegenüber, sondern sich selbst, also das Wesen dem Wesen. So wird das Wesen ein »wesentliches Verhältnis« (GW XI, 352), das »die Vollendung [der] Formeinheit« von Wesen und Erscheinung ist. Die Bestimmung des Verhältnisses kann daher auch als Erläuterung der ›Formeinheit‹101 gesehen werden, die hier vollendet ist, weil sie ihr eigenes Anderes mitumfaßt. Was bedeutet es, daß das Wesen dem Wesen gegenübertritt, zumal die Ursprungsbestimmung des Wesens die Unendlichkeit war, diese Selbstgegenüberstellung also hieße, daß das Unendliche dem Unendlichen gegenübertritt? Wie kann die Totalität sich verdoppeln? »[D]em Unendlichen muß das Unendliche selbst gegenübertreten und dieses, was es in sich reflektiert, selbst das Unendliche sein.« (GW VII, 37) Hätte das Unendliche ein Endliches zu seinem Gegenüber, so wäre es selber endlich. Dasselbe gilt in Betracht seiner inneren Struktur. Das Unendliche ist in sich differenziert und inhaltsvoll, so ist es von momenthafter Struktur. Momenthaft besagt, es ist nicht von einer Bestimmung, sondern alle Bestimmung ist in ihr je als Moment, also nicht vereinzelt und selbständig, sondern in einer Zusammenordnung, die mit einem griechischen Wort als to katholou bezeichnet werden kann. Dieses ist im Unterschied zum ungeordnet-unbestimmten pan das ›gemäß der Ganzheit‹ (kata holon) Geeint-Geordnete.102 Würde nun das Moment der Unendlichkeit selbst getrennt, je vereinzelt und daher mehrere Momente
100
Die Urform dieser Kritik findet sich bereits in Aristoteles’ Kritik an der Ideenlehre in Metaphysik I,1 990b 1 ff. 101 Die Formeinheit ist dasjenige, was die Formierung (im Widerspruch) gewirkt hat, sie befaßt die ungetrennte Einheit von Form und Geformtem. Die Logik ist nach Hegel »Wissenschaft der a b s o l u t e n F o r m « (GW XII, 25) und vermittelt sicheres Wissen von der einend-unterscheidenden Bewegung der Form. 102 Daher gilt, was Aristoteles zu Anfang der Metaphysik sagt: Daß »das Wissen von Allem demjenigen notwendigerweise zukommt, der im größten Maß das Wissen von dem katholou besitzt.« (Metaphysik I 2, 982a 21 f.)
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
sein, so würde das Unendliche eine Grenze haben, nämlich zwischen seinen Momenten. Das Unendliche verwahrt aber in sich keine ihm entgegenstehende Einheit. So scheint es ein Begriff zu sein, der keinen Inhalt hat und auch nicht haben kann, das Unendliche und mit ihm das Wesen wäre bloß formell. Wie ist demgegenüber das inhaltsvolle Unendliche zu denken? Dazu muß das Unendliche in ein Verhältnis gesetzt und dessen ›Formeinheit‹ gedacht werden. Das Unendliche hat das Moment in sich, indem es sich selbst zum Moment macht103, daher steht es nicht in Beziehung auf ein Anderes, es ist aber ein Verhalten: Die Tätigkeit der Form liegt in der Hervorbringung von Selbigkeit und Andersheit des Geformten. Das ist, was die Form ist. Sie ist ungetrennt von ihrer Hervorbringung, die zur Form kein Anderes darstellt. Deshalb ist die Form keine abstrakte Einheit, sondern sie bestimmt sich »als Verschiedenheit […] und sich selbst zu einer ihrer Seiten« (GW XI, 368). Es muß also das »Verhältnis« der Unendlichkeit betrachtet werden, das aber nur ein unendliches sein kann. Das heißt auf beiden Seiten dieses Verhältnisses steht ein Ganzes, Selbiges. Die Seiten des Verhältnisses sind nicht voneinander getrennt und gegeneinander bestimmt; es geht nun darum, nicht nur diese Gleichheit der Seiten des Verhältnisses zu konstatieren, sondern, die beiden Seiten als »Eine Sache« (GW XI, 365) zu erkennen und so die Verschiedenheit zum Verschwinden zu bringen: Weil es dem Wesen wesentlich ist, sich auszudrücken (sich zu verhalten), deswegen sind der Ausdruck, in den es sich setzt (seine Äußerung) und es selbst, nicht Zwei, sondern Momente einer Sache, deren Einheit im Verhältnis aufgebrochen wird (GW XI, 353). Hegel schreibt: »Was Etwas ist, das ist es daher ganz in seiner Äußerlichkeit; seine Äußerlichkeit ist seine Totalität, sie ist ebensosehr seine in sich reflektierte Einheit. Seine Erscheinung ist nicht nur die Reflexion in Anderes, sondern in sich, und seine Äußerlichkeit daher die Äußerung dessen, was es an sich ist; und indem so sein Inhalt und seine Form schlechthin identisch sind, so ist es nichts an und für sich a ls d ies , sich z u äuß er n . Es ist das Offenbaren seines Wesens, so daß dieses Wesen eben nur darin besteht, das sich Offenbarende zu sein.« (GW XI, 368) Die Äußerung des Wesens bleibt nicht irgendwie an Bestimmtheit hinter diesem zurück, sie ist keine Mangelerscheinung des Wesens, so wie auch das 103
Diese Ausdrucksweise, wonach das Unendliche etwas ›in sich‹ enthält, wie eine Tasche den Einkauf enthält, bringt naturgemäß allerhand Falschheit mit sich. Sie wird hier dennoch gewählt, da deren Vermeidung durch Formulierungen, wie ›das Unendliche/ das Wesen seint‹ sachlich wohl zutreffend aber unverständlich wäre.
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
241
Wesen keine bloß abstrahierte Einheit der Erscheinungen ist. Das Wesen, das rein für sich und nur Inneres wäre, wäre nicht unterschieden vom reinen Sein. Was nur Wesen ist und nicht ebenso erscheinende Äußerung, das ist nur Sein (und somit gerade nicht Wesen). Dies faßt Hegel in die Worte, daß das nur Innerliche nur äußerlich und das nur Äußerliche nur innerlich sei (Enz. (1830) §140). Die Selbständigkeit der Seiten des Verhältnisses und deren identische Beziehung fallen beim sich offenbarenden Wesen nicht auseinander. Somit gewinnt das Wesen Gestalt und die Erscheinung Halt. Diejenige Erscheinung aber, die nicht ein haltloses und nur nichtiges Anderssein (als Spur von nichts), sondern von wesentlicher Bestimmung und Identität erfüllte Erscheinung ist, in welcher also das unmittelbare Dasein und die reflektierte Bestimmung geeint sind, ist die Wirklichkeit.104 Die Seiten des Verhältnisses sind darin nicht verschiedene Wirkliche. Sie bestehen nicht je für sich und werden von einer nur formellen Form zusammengehalten, ebensowenig gehen sie in der gemeinschaftlichen Form nur unter, in welchem Falle die Form ebenfalls nur formell und leer wäre. Stattdessen sind die Seiten des Verhältnisses eine Wirklichkeit, die hier formierende Form ist. In der Wirklichkeit haben sich die beiden Seiten des Verhältnisses in ihre Einheit aufgelöst. Wesen und Existenz, Sein und Reflexion gehen darin in ihren identischen Inhalt105, d. i. in diejenige Identität ein, die ihr Grund ist. Daher verhandelt Hegel im Abschnitt über die Wirklichkeit das Absolute: Dieses ist nicht bestimmbar, denn die Antwort auf die Frage, »was das Absolute sei« (GW XI, 370) fällt negativ aus, da über es nichts treffendes gesagt werden kann. Doch zugleich ist es »die Position aller Prädikate«. Im Absoluten gehen das (negierende) Bestimmen und die (positionierende) äußere Reflexion unter, es ist die Formeinheit. Das Absolute ist der Grund des wesentlichen Verhältnisses, das in den Auseinanderlegungen seiner zwei Seiten noch nicht in seine Identität eingegangen ist. Es ist absolute Form »als die Identität, deren Momente jedes an ihm selbst die Totalität und somit als gleichgültig gegen die Form, der vollständige Inhalt des Ganzen ist.« Das Abso104
Daher ist nicht alles, was da ist, auch in Wirklichkeit. Aber alles, was in Wirklichkeit ist, ist auch vernünftig, denn es ist reflexiv vermitteltes Bestimmtsein, das der Ausdruck des Wesens der Sache ist. So kann es vorkommen, daß etwas da ist, aber noch nicht zum Ausdruck seiner Wirklichkeit gediehen ist. Das Wirkliche ist nicht das Faktische. Damit wird das Diktum über die Vernünftigkeit des Wirklichen aus der Vorrede der Rechtsphilosophie erhellt (TWA 7, 24). 105 Die Jenaer Logik identifiziert diese Identität im »Und« des Verhältnisses, das dessen »negative Einheit« ist (GW VII, 38). – Weil der Inhalt der beiden Seiten des Verhältnisses identisch ist, deshalb ist die Erklärung der einen Seite aus der anderen, beispielsweise einer Erscheinung aus einer Kraft, beziehungsweise einer Wirkung aus einer Ursache tautologisch (GW XI, 399).
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
lute, das nicht reines Sein, leer und abstrakt, sondern inhaltsvoll und (selbst-) bestimmend ist, d. i. die absolute Form106, ist von momenthafter Struktur. Das Moment des Absoluten kann aber nicht ein Teil seiner sein. Vom Absoluten gibt es keine Teile, es kann vielmehr nur ein Moment/ Momente haben, das selber Totalität und der Formeinheit gegenüber gleichgültig, mithin nicht von ihr unterschieden ist. Das Moment ist also kein Anderes zum Absoluten, somit ist das ›Verhältnis des Absoluten‹ ein Freilassen: Es gibt (nicht im geometrischen oder erfahrbaren Sinne verstandenen107) Raum für ein Anderes, dem es zugleich nicht als ein Anderes und somit bestimmend entgegensteht. Wofür das Absolute raumgebend ist, das ist also selber gar nicht anders und von daher bestimmt, sondern es kann selbst es selbst (bestimmend) sein.108 Derart ist das Verhältnis der Freigabe. Das Absolute hat den Inhalt der Freiheit, seine Bestimmtheit ist ihm nicht entgegenstehend; so wäre das Absolute selbst bestimmt. Zugleich ist das Absolute nicht unbestimmt, doch ist seine Bestimmtheit »schlechthin durchsichtiger Schein« (GW XI, 371), das Endliche ist durchsichtig. Das Absolute wird also nicht selber von demjenigen, was 106
Es fällt auf, daß Hegel in seiner affirmativen Rede vom Absoluten dieses nicht nominal verwendet, sondern immer attributiv, als absolutes Wissen, absoluten Geist, absolute Form und Idee etc.; das Absolute ist gesetzt (ein Adjektives). In der nominalen Verwendung wird das Absolute im Gegenteil immer als abstruse Bestimmung kritisiert. Es ist nicht die reichste Bestimmung und taugt ebenso nicht als Anfang der Philosophie. Burbidge (1997) sieht darin eine Wirkung der Schelling-Kritik Hegels. 107 Zu einer Verwendung dieser Metapher bei Hegel vgl. die Jenaer Logik zu den Momenten des Verhältnisses: »Die positive Einheit ist zuerst gleichsam der Raum, in welchem die Momente des Gegensatzes bestehen, oder sie ist das Sein, das Bestehen derselben selbst; in diesem Sein ist das eine so gut als das andere, sie sind gleichgültig gegeneinander, und außereinander« (GW VII, 39). 108 Hatten wir nicht auch schon bei den Reflexionsbestimmungen die Konstellation vergegenwärtigt, daß dort eines (die Identität) Ganzes und sein eigenes Moment sein mußte? Wiederholt Hegel also nicht lediglich, was vorher bereits gesagt wurde? Doch mit solchen Wiederholungen oder bloßen Umbenennungen, die den Vorwurf des Sophismus rechtfertigen würden, gibt sich Hegel nicht ab. Gemäß der Ökonomie der Untersuchung muß jede Bestimmung auch einen logischen Fortschritt ergeben. Der liegt hier daran, daß die logischen Bestimmungen nach derjenigen des Widerspruchs wahrhaft als Ganze gelten. Daher werden sie nicht mehr Moment (wie die Identität Moment ihrer selbst und des Unterschiedes wurde), sondern sie verdoppeln sich, indem sie als Ganze sich gegenüber ein Ganzes setzen: Das Absolute ist als Anderes es selbst, das heißt das Andere des Absoluten ist das Absolute, womit wir beim absoluten Verhältnis sind. Die sich darin ereignende Freigabe erstreckt ihre Geltung auch schon auf die Identität, die den Identischen Raum gibt. Sie kann als solche aber erst mit der Bestimmung des Absoluten in den Blick kommen. Begriffen wird sie erst mit der Idee, die insofern auch von ›nichts anderem‹ redet, sie tut es aber auf eine andere Weise, wodurch das Selbe in verwandelter Bedeutung zur Sprache kommt; die Verwandlung kennen wir bereits aus der erkennend-handelnden Tätigkeit der Liebe (vgl. hier S. 22 ff.).
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
243
es freigegeben hat, (rück-)bestimmt; schließlich würde dem Absoluten damit ein Verhältnis der Andersheit zugesprochen. Die Bestimmung des Absoluten ist eben seine Transparenz. Das verdoppelte Wesen, so zeigt sich, ist also nicht eigentlich zwei, sondern immer noch einzig Eines. Wird die momenthafte Struktur dieses einzig Einen in ihren Einzelheiten betrachtet, so ergeben sich die verschiedenen Bestimmungen seiner Modalität109: Möglichkeit, Wirklichkeit sowie Zufäl-
109
Kant bestimmte die Modalitäten als Prädikate der Art und Weise des Verhältnisses eines Objekts zum Erkenntnisvermögen (»sie fügen zu dem Begriffe eines Dinges […] die Erkenntniskraft hinzu, [sie sagen; d.V.] worin er entspringt und seinen Sitz hat« KrV, B 286). Doch können sie den Begriff des Gegenstandes »nicht im mindesten vermehren« (KrV, B 266), da sie nur seine Verhältnisbestimmung zu Anderem anzeigen. Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit sind damit Begriffe des Verhältnisses von einem zu einem anderen. Indem alle Modalitätsbestimmungen Ausdruck von Verhältnissen sind, ist Kants Charakterisierung ihrer als ›Prädikate der Art und Weise‹ treffend. Insbesondere die abstrakte Möglichkeit scheint eine Abstraktion der Sache zu sein, die vom endlichen Verstand vorgenommen wird, da es die Möglichkeit ›an sich‹ gar nicht gibt. Kant geht hierbei von dem Unterschied des erkennenden Subjekts und seiner Objekte aus. Hegel anerkennt diese grundlegende Unterscheidung nicht, womit nicht gesagt ist, daß er diesen Unterschied in bezug auf das Erkennen der Welt durch endliche Subjekte nicht zugibt, sondern vielmehr ausgedrückt wird, daß dieser Unterschied nicht grundlegend ist, wie es Kant annahm, der ihn infolge dessen nicht weiter begründet. Für Hegel soll vielmehr zunächst grundgelegt werden, wie es überhaupt zu dem Unterschied von Sache und Begriff der Sache kommen kann, der die Voraussetzung für die erkenntnistheoretischen Überlegungen Kants ist. Die Bestimmungen der Modalität sind daher wie schon die Reflexionsbestimmungen (Identität, Unterschied und Widerspruch) nicht zuerst Begriffe unserer Verstandestätigkeit, sondern Bestimmungen der Sache selbst. Als solche werden sie im übrigen auch vom endlichen Erkennen investiert: Notwendig wird dasjenige genannt, dessen Wirklichkeit losgelöst ist von der bedingenden Beziehung auf ein anderes. Notwendig ist, was in sich konkret und nicht durch die Beziehungsweise auf ein anderes – also auch nicht auf ein davon getrenntes Erkennendes – bestimmt ist. Somit wandelt sich die Modalität dahingehend, daß sie nicht mehr ›im Hinblick auf …‹ bestimmend ist, sondern als Ausdruck der Sache selbst gilt. Darin ist allerdings der von Kant gesehene Aspekt der ›Beziehungsqualität‹ der Modalität gewahrt, denn auch der Ausdruck ist immer Ausdrücken von etwas für … Doch verbirgt sich dahinter nicht mehr ein Anderes, weil die Notwendigkeit nicht Wechsel oder Übergang von einem zum Anderen, sondern Zusammengehen mit sich ist. Daher ›vermehren‹ die Modalitätsbegriffe sehr wohl den Begriff der Sache, da sie deren Eigenständigkeit konstituieren. Sie sind nicht, wie für Kant, logische Postulate und Prädikationen des Denkens, sondern selber Wirklichkeiten. Daran liegt auch die in der Wissenschaft der Logik konzipierte Ordnungsfolge von Modalität und Relation. Kehrte Hegel in der Lehre vom Sein bereits die noch von Kant eingehaltene Sequenz von Quantität und Qualität um, indem er das »Was?« logisch vor dem »Wieviel?« verortete, so dreht Hegel nun auch die Abfolge von Relation und Modalität um: Das absolute Verhältnis ist Folge des Modus. Darin zeigt sich Hegels gegenüber Kant veränderter Zugang zur Bedeutung logischer Kategorien, die er – wie besonders anhand der Reflexionsbestimmungen deutlich wurde – nach ihrem jeweiligen Wahrheitsgehalt befragt und
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
ligkeit und Notwendigkeit als die Verhältnisweisen der beiden ersten Modi. Wo Dasein und Bestimmung geeint sind und kein Unterschied zwischen Innerem und Äußerem besteht, da ist die Sache in Wirklichkeit. Schließt hingegen das Wesen die Erscheinung aus, während es gleichwohl zu ihr hindrängt, so steht das Wesen im Modus der »reale[n] Möglichkeit« (GW XI, 386). Sie ist die Identität mit sich, die zum Unterschied strebt oder, wie Hegel sagt, »das Ansichsein der realen Wirklichkeit«. Daher läßt sich diese Möglichkeit genauer spezifizieren als Vermögen; das dynaton ist eine dynamis. Möglich ist etwas, insofern ihm die Wirklichkeit folgt (Aristoteles, Metaphysik IX 4, 1047 b3).110 Derart strebt im Verhältnis der Grund zur Folge, die Materie zur Form, die Kraft zur Äußerung und das Innere zum Äußeren. Wird die Möglichkeit von ihrer Hinordnung auf Realisierung abstrahiert, so bleibt sie nur mehr reine Möglichkeit, d. i. die abstrakte Identität, die dermaßen inhaltsfrei ist, daß sie sich nach dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch bemißt.111 In diesem Sinne ist alles möglich und ›objektiv‹ versteht. Das heißt, daß die eine Bestimmtheit die andere enthält und sich nicht nur durch den Unterschied zu dieser definiert: Objektiv ist die Wirklichkeit, die als Notwendigkeit ihre eigene Möglichkeit enthält, subjektiv oder bloß formal ist die von der Möglichkeit getrennte Wirklichkeit. Was objektiv ist, weil es sein eigenes Anderes integriert, das hat Folgen (vgl. zur Terminologie dieser Unterscheidungen AV XI, 144). 110 Die Erwähnung der Verwandtschaftsverhältnisse des Hegelschen Gedankens darf nicht ohne Aufzeigung der Unterschiede geschehen: So ist die Möglichkeit für Aristoteles nur als mögliche Wirklichkeit bestehend. Der Same ist die Möglichkeit des ganzen Baumes, das Kind die Möglichkeit zum vollen Leben (der akm) des Erwachsenen, dabei hat die Möglichkeit ihre Wesensbestimmung jeweils ganz aus dieser Vollkommenheit. Das Kind, das stirbt und nicht zum Erwachsenen wird, trägt eine Privation. Der Übergang der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist ein (kausal geordneter) Prozeß, der die Grenze von Möglichkeit und Wirklichkeit nicht aufhebt. Bei Hegel sehen wir: Möglichkeit und Wirklichkeit sind nicht geschieden, sie haben je beides in sich und schließen einander nicht aus. So ist die Möglichkeit als sie selbst wirklich. Die Möglichkeit als eigene Wirklichkeit zu betrachten ist keine Eigenart Hegels. Nur aus dieser veränderten Betrachtungsweise der Möglichkeit ist auch das in der Neuzeit erwachte Interesse an der Betrachtung des Kindes, das nicht mehr nur zukünftiger Mann ist, erklärlich. Dies zeigt sich etwa bei Rousseau. Freilich bleibt es auch hier dabei, daß das in seinen Möglichkeiten betrachtete Kind Zögling bleibt, es wird zum Erwachsenen erzogen. Die Bewertung der Möglichkeit als eigener Wirklichkeit hat auch juristische Konsequenzen. Nur unter ihrer Voraussetzung ist es beispielsweise gerechtfertigt, schon die Absicht zur Planung eines Verbrechens zu bestrafen. – An der Stellung der Möglichkeit als eigener Wirklichkeit verdeutlicht sich nochmals, daß die hierarchisiernde, von dem Konzept der akm ausgehende Lesart der Dialektik (vgl. hier S. 117, Fn. 62) einer in unserem Denken fest verankerten ›griechischen‹ Denkungsart entspringt, mit der Hegel bei aller Nähe aber nicht ohne weiteres identifiziert werden kann. 111 Dementsprechend die Definition von to dynaton bei Aristoteles, Metaphysik V 12, 1019 b27 ff.; vgl. zu Hegels Aristotelesrezeption und -kritik in seiner Abhandlung über die Modalität auch Mure (1950: 134 f.).
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
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doch zugleich auch nichts: Die Möglichkeit ist das an sich gesetzte Wirkliche (d. i. das gesetzte An-sich des Wirklichen) und zugleich ist sie als dasjenige gesetzt, was an sich nicht ist. »Die Möglichkeit ist daher an ihr selbst auch der Widerspruch, oder sie ist die Unmöglichkeit.« (GW XI, 383) Sie ist der nicht-gesetzte Grund und insofern wesentlich (Möglichkeit ist an sich), und sie ist die lediglich vorausgesetzte Grundlage und insofern unwesentlich (an sich ist die Möglichkeit nicht). Ebenso verhält sich die – von ihrer Möglichkeit – abstrahiert genommene Realität: Sie ist das nur mit sich identische Wirkliche, das heißt ein nur mögliches Wirkliches, solches aber ist das Zufällige. Dieses ist nicht aus eigener Notwendigkeit, sondern nur durch anderes gesetzt, folglich ist es wesentlich Gegründetes. Zugleich hat das Zufällige den Grund außer sich und ist selbst grundlos und unwesentlich. In Äußerlichkeit gesetzt, bloß formell verstanden, sind die Momente der Wirklichkeit die Möglichkeit und der Zufall; dabei sind sie als abstrakte je mit sich selbst identisch gesetzt und somit einander gleich. Die Möglichkeit schlägt um in die Wirklichkeit und diese schlägt wiederum in die Möglichkeit um. Das heißt, das Wirkliche ist seinem Wesen nach ein Mögliches oder das Mögliche ist seinem Wesen nach das Wirkliche. In diesem Umschlag aber besteht die Notwendigkeit, sie ist selber ein Verhältnis: Notwendig ist das, was nicht anders sein kann, so aber ist das Mögliche das Wirkliche. Die Notwendigkeit wird also nicht als Wirklichkeit bestimmt, die selbst keinen Umschlag von der Möglichkeit zur Wirklichkeit kennt.112 Nur weil in der Notwendigkeit Möglichkeit, Kontingenz und Wirklichkeit in innerer Durchgängigkeit zusammengedacht werden, ist sie überhaupt denk- und bestimmbar. Indem die reale Möglichkeit die Wirklichkeit bereits an ihr hat (sie wäre sonst bloß formell) so ist ihr Umschlag ins Wirkliche ihre eigene Notwendigkeit (bloß formell gesetzt, so sahen wir, ist sie ebenso immer schon in die Wirklichkeit umgeschlagen). Die Möglichkeit ist nicht ein ›Grund‹, der die Wirklichkeit transzendiert (vgl. Di Giovanni 1980: 189). Weil die unmittelbare Möglichkeit aber »noch nicht in sich reflektierte Einheit des Möglichen und Wirklichen« (GW XI, 388) ist, weil sie eben Möglichkeit ist, deshalb ist ihr Umschlag in die Wirklichkeit noch Notwendigkeit. Er ist noch keine Reflexion in sich, sondern eine aus dem Mangel entspringende Umwendung in ein Anderes, das ihr Komplement ist. 112
Derart verstand Thomas von Aquin die notwendige Wirklichkeit Gottes, vgl. dazu die dritte der quinque viae in der Summa theologica I 2, 3. Die Möglichkeit stellt hier keinen Defekt in Hinsicht auf die zu erreichende akm dar, die Blindheit etwa ist nicht der Mangel des Sehens, sondern eine eigene Qualität, sie bewahrt vor den Versuchungen des Sehens. Der Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist keinesfalls notwendig, sondern nur vermittelst des Zutuns Gottes, des ›Verwirklichers‹.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
In der »realen Notwendigkeit« spiegelt sich der gesamte Gedankengang der Lehre vom Wesen, deren Aufgabe es war, das aus dem Sein hervorgegangene Resultat »Wesen« auch als seinen eigenen Anfang zu setzen. Dies spricht Hegel angesichts der realen Notwendigkeit darin aus, daß er sagt, sie sei wohl Rückkehr in sich, d. i. Vereinigung von Möglichkeit und Wirklichkeit, »aber nicht aus sich selbst zu sich«. Die Notwendigkeit ruht damit auf einer Zufälligkeit auf und ist »relativ« oder auch blind; so zeigte sich auch zu Beginn der Lehre vom Wesen das Wesen selbst, wohl folgte es notwendig aus dem Sein, aber dieses selbst war in seiner Unmittelbarkeit noch unverbunden mit der Vermittlung des Wesens. Erst in der Bestimmung des Widerspruchs wurde durchsichtig, wie vom Wesen seine eigene Voraussetzung gesetzt wurde, indem nämlich das Entfallensein jeglicher Reflexion selbst noch reflexiv vermittelt war (vgl. hier S. 208). So spricht Hegel angesichts der Notwendigkeit von einem Abstoßen (resultare) von sich selbst: Sie hebt das Gesetztsein der Möglichkeit dadurch auf, daß sie Wirklichkeit ist, und zugleich bestimmt sie dieses Aufheben als Gesetztsein. Wie das? Weil das Resultat der Aufhebung des Gesetztseins die unmittelbare Wirklichkeit ist, deren Unmittelbarkeit aber nicht »unmittelbare Unmittelbarkeit« (vgl. die Bestimmung des Seins zu Anfang; GW XI, 52), sondern nur als gesetzte ist. Die gesetzte Unmittelbarkeit ist Voraus-setzung, die verbunden ist mit einer klar definierten Funktion: der Präsentation eines Bestimmten, das ein zu-Denkendes ist und sonst nichts. So ist das Ergebnis der Aufhebung die Setzung der Setzung, die Notwendigkeit stößt sich von sich ab. Die zunächst naheliegende Bestimmungsweise dieses an und für sich Notwendigen, das ›Erste‹ und als solches unbedürftig und unabhängig von allem weiteren zu sein, wird damit an dieser Stelle ausgeschieden. Was rechtmäßig als ein ›Erstes‹ bezeichnet werden kann, das ist immer ein Gesetztes vom ›Zweiten‹, von seiner Folge her. Das Erste ist mithin nicht dasjenige, wofür es stehen soll. Daher sehen wir, daß am Anfang der Lehre vom Sein die merkwürdige Bezeichnung des auf das Sein folgenden Daseins »als ein Erstes« (GW XI, 59) präzise war, denn das Dasein ist gesetztes Sosein und das Erste ist ein Gesetztes.113 113
Diese Feststellung betrifft keine Kleinigkeit, schließlich bezeichnet Aristoteles jene Wissenschaft, in deren Geschichte auch Hegels Logik steht, als prt philosophia (Metaphysik VI 1, 1026a 30), die die ersten Gründe und Ursachen alles Erscheinenden erkunde. Von dieser Erkundung unterscheidet sich Hegels Wissenschaft aber bereits darin, daß hier nicht wie bei Aristoteles ein oberstes, sicherstes Prinzip (nämlich der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch) gefunden wird, sondern die Axiomatik des natürlichen Verstandes durch Verflechtung allgemeinster Bestimmungen dialektisch durchschritten wird (d. i. Aufhebung).
2.3 Fortgang der Lehre vom Wesen
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Das Sich-von-sich-Abstoßen der Notwendigkeit ist als das (negative) Zusammengehen von Möglichkeit und Wirklichkeit das Wesen, als die (positive) Einheit aber ist die Notwendigkeit Sein: »Sie ist daher es selbst, welche sich als Zufälligkeit bestimmt, – in ihrem [Einheit-]Sein sich von sich abstößt, in diesem Abstoßen selbst nur in sich zurückgekehrt ist und in dieser Rückkehr als ihrem Sein sich von sich selbst abgestoßen hat.« (GW XI, 390) Die Form hat alle Unterschiede »sich durchsichtig gemacht«. Damit tritt zugleich die Formeinheit in intensivster Weise hervor, sie ist von nichts unterschieden, das nicht in ihr selbst inbegriffen ist. Die Form ist daher nicht mehr relative, sondern absolute Notwendigkeit. Diese absolute Notwendigkeit integriert den Zufall in sich.114 Dies geschieht nicht derart, daß nun in überschwenglicher Manier behauptet würde, alle Zufälle könnten prognostiziert werden. Vielmehr wird durchsichtig gemacht, inwiefern der Zufall ein Moment in der durchgängigen Vermittlung (d. i. Notwendigkeit) der Reflexion ist: »[S]ie ist dies, daß dies beides [Sein und Wesen] ein und dasselbe ist.« (GW XI, 391) Das relative Verhältnis, das auf einer zufälligen Ursache aufruht, wandelt sich zum absoluten Verhältnis, in dem beide Seiten notwendig und mithin voll vermittelt sind. Der Übergang der Möglichkeit in die Wirklichkeit ist daher nicht mehr Folge blinder Notwendigkeit, sondern die Form der konkreten absoluten Identität. Diese drückt sich aus in dem Satz der Notwendigkeit: »Es ist also, weil es ist.«115 Das ist nicht zu verwechseln mit der bloßen, blinden und undurchsichtigen Faktizität, die sich ausspricht in dem – falschen und betrügerischen – Satz: ›Es ist, wie es ist.‹ Die absolute Notwendigkeit ist nicht 114
Die Aufgabe, die Hegel in der Differenzschrift als Aufgabe der Philosophie (nicht – wie Schelling – der Kunst) formuliert, Denken und Natur oder Reflexion und Unmittelbarkeit zu versöhnen (GW IV, 77) findet in der Theorie der Notwendigkeit des Zufalls ihre Auflösung. Dabei ist es entscheidend, daß die Kontingenz nicht ›wegerklärt‹ oder als unzureichende Wahrnehmung beiseite geschoben wird, sondern sie wird in der Reflexion selbst verortet, die nur aufgrund dieser Integrationsleistung rechtmäßig »absolut« genannt werden kann. Di Giovanni (1980) und Henrichs Beitrag zu Hegels Theorie über den Zufall in Henrich (1988) widmen sich kundig diesem Aspekt. 115 Hegel erläutert: »Die absolute Notwendigkeit ist also die Wahrheit , in welche Wirklichkeit und Möglichkeit überhaupt sowie die formelle und reale Notwendigkeit zurückgeht. […] Das schlechthin Notwendige ist nur, weil es ist[d. i. Zufälligkeit]; es hat sonst keine Bedingung noch Grund. – Es ist aber ebenso reines Wesen, sein S ein ist die einfache Reflexion-in-sich; es ist, weil es ist [d. i. Notwendigkeit].« (GW XI, 391) Hier wird, so Di Giovanni (1980: 194), »the true speculative value of immediacy« anerkannt: »Hegel avoids the classical alternative of either denying that contingency is real or merely acknowledging it as a genuine category of thought, and finds the proper place for it in the universal idea of reality.« Dieser Platz ist derjenige, der nach unserem Vorschlag ›Präsentation‹ genannt werden kann.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
Zeuge eines Fatalismus, sondern vielmehr Auslegung ihrer selbst in reiner Lauterkeit, sie ist nicht einfach identisch, sondern »Substanz als Verhältnis zu sich selbst« (GW XI, 392). Die Wirklichkeit der Substanz ist durch eine Möglichkeit vermittelt, sie läßt sich ohne diese nicht denken und ist nicht unmittelbar vorliegend. Die Substanz ist kein Datum, sie tritt hervor aus der Grundstruktur der Subjektivität (GW XI, 66; vgl. hier S. 105) und ist somit eine Äußerung. Sie ist nicht einfach, sondern selbst ein absolutes Verhältnis, wie es im Satz der Notwendigkeit ausgesprochen wird.
2.3.B Paralytische Unendlichkeit Wird die absolute Substantialität in das Verhältnis von Substanz und Akzidenz auseinandergelegt, so tritt wieder auseinander, was zusammengehört: Ein Moment ist Wirklichkeit und das andere ist Möglichkeit, nicht aber beides zugleich, wie es in Wahrheit ist. Die Substanz selbst ist hierin nicht wahrhaftig, weil ihre Momente nicht in sich selbst, sondern durch die Substanz aufgehoben sind. Die selbständige, nur in sich und nicht in einem Anderen bestehende Substanz ist die Totalität aller Akzidenzien, das wirklich bestehende Akzidens ist nur einzelnes und bestimmtes, es muß daher durch die Macht der Substanz vergehen. So bleibt die akzidentielle Bestimmung, die an der Substanz wirklich sein konnte als nur mögliche: »Die Substanz manifestiert sich durch die Wirklichkeit mit ihrem Inhalt, in die sie das Mögliche übersetzt, als schaf fende, durch die Möglichkeit, in die sie das Wirkliche zurückführt, als zerstörende Macht. Aber beides ist identisch; das Schaffen zerstörend, die Zerstörung schaffend; denn das Negative und Positive, die Möglichkeit und Wirklichkeit sind in der substantiellen Notwendigkeit absolut vereint.« (GW XI, 395) Der Wechsel der Akzidenzien ist in der Substanz gegründet. Diese manifestiert darin ihre eigene Kraft, sie geht aber nicht selbst in diesen Wechsel über, beugt sich nicht dorthin herab, sondern bleibt das dem Wechsel Zugrundeliegende, ein »positives Beharren« (GW XI, 396). Diejenige Wirklichkeit aber, welche die Möglichkeit in sich hat, steht nicht einem anderen Möglichen gegenüber, sondern sich selbst: Dem Wirklichen steht Wirkliches gegenüber, darin ist es frei. Wenn es seine Möglichkeit nicht mit sich führt, dann ist das Wirkliche unfrei. Führt es sie mit sich, dann ist es frei zu sein oder nicht zu sein. In jedem Fall muß die Wirklicheit auch die Möglichkeit umfassen. Die Freiheit der Wirklichkeit besteht darin, daß sie eine Möglichkeit war. Wenn das Wirkliche als »Ursache« (GW XI, 397) verstanden wird, dann ist die ausgeschlossene Möglichkeit zur Wirklich-
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keit bestimmt, indem die Ursache wirkt. So ist das Kind kein Mann, es ist aber seine Möglichkeit, ein ebensolcher zu werden. Wenn die Substanz zur Ursache wird, indem sie wirkt, dann wird das Kind ein Mann werden. Wohl schließt das Kind-sein eigentlich das Alt-sein aus, wenn es aber Ursache ist, dann ist es (alt zu sein) seine Wirklichkeit. Die Möglichkeit ist in der Wirklichkeit mit aufgehoben, sie schließen einander nicht aus, sondern enthalten einander. In der Wirkung geht die Ursache nicht unter, darin manifestiert sich auch der Unterschied von Seins- und Wesenslogik, denn es geht hier um Verhältnis-, nicht aber um Übergangsbestimmungen, in denen sich ein restloses Umschlagen der Denkbestimmungen aufdrängte. Die eigenartige und für das Wesen charakteristische Bestimmung des Restes (GW XI, 246; vgl. hier S. 154 f.) lebt so im Verhältnis fort, das immer beides, sich selbst und sein anderes, festhält. Wiewohl die Erklärung einer Sache aus einem Kausalverhältnis als wissenschaftliche Betrachtungsweise gilt, erklärt Hegel sie für nichtssagend. Die Ursache und ihre Wirkung gelten als voneinander verschieden, und nur so ist die eine Ursache und die andere Wirkung, zugleich aber sollen sie in einem identischen Verhältnis stehen: Ursache und Wirkung sind schlechthin aufeinander bezogen und nur auseinander begreiflich. Wie an einer endlosen Kette sind so durch die Notwendigkeit des Umschlagens der einen in die andere Ursache und Wirkung aneinander gebunden; die Notwendigkeit wirkt hier blind, im Rücken. So ist dies der Ort von Macht (GW XI, 396) und Gewalt (GW XI, 405), die wir anhand der bisher erworbenen Bestimmungen als der blinden Notwendigkeit zugehörig identifizieren können: Die nicht als Vermögen begriffene Möglichkeit, die in den nicht als vermittelte Wirklichkeit begriffenen Zufall umschlägt und dabei doch schon die konkrete Wirklichkeit darstellt, unterliegt der Notwendigkeit umzuschlagen. Diese Notwendigkeit ist blind, da sich das Mögliche nicht aus Selbstunterscheidung transformiert, sondern von einem anderen hervorgerufen wird und in ein anderes umschlägt, sie hat kein eigenes telos. Dies gilt zumindest solange, wie die Ursache gegenüber der Wirkung fixiert wird und nicht ihre Kontinuität ineinander gesehen wird. So ist die Ursache an sich seiend und die Wirkung nur von dieser gesetzt und nicht selbstmächtig. Macht (der Substanz über ihre Akzidenzien) und Gewalt (der Ursache über ihre Wirkung) sind daher selbst blind, denn sie sind äußerliches Bestimmen über Anderes. Als terreur zieht die Gewalt aus dieser Blindheit, darin ihre Unberechenbarkeit liegt, die sich in kein Verhältnis einordnen lassen will, ihre beängstigende Macht. Macht und Gewalt sind zugleich notwendige Konsequenz, solange die Aufgabe der Lehre vom Wesen nicht aufgelöst ist, denn sie sind Ausdruck ebenjener Asymmetrie des anfänglichen Verhältnisses von Wesen
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
und Sein, in welchem das Wesen nur Resultat des Seins, beziehungsweise das Sein nur zur Funktion des Wesens116 wurde. So kann Hegel den verstörenden Satz formulieren, wonach »[d]er passiven Substanz […] durch die Einwirkung einer anderen Gewalt nur ihr Recht angetan« (GW XI, 406) wird. Das heißt freilich ebenso, daß Gewalt »a priori rechtlos« (Reisinger 1967: 244) ist, wo sie nicht einer passiven Substanz, sondern einem Individuum und freien Subjekt angetan wird. Hegel verortet die Kausalerklärung im Bereich der Mechanik, wird sie aber angewandt um Lebendiges zu erklären, etwa wenn gesagt wird, »daß die Nahrung die Ursache des Blutes oder diese Speisen oder Kälte, Nässe Ursachen des Fiebers usf. seien« (GW XI, 400), dann überschreitet diese Erklärungsart die Grenze ihrer Anwendbarkeit und wird überschwenglich. So wie schon Sokrates in Platons Phaidon es als lächerlich empfindet, wenn man sagte, er säße im Gefängnis weil seine Knochen und Sehnen in einer bestimmten Weise disponiert seien, wo er doch längst geflohen wäre, wenn er es nicht für richtig hielte, zu bleiben (Phaidon 98b f.). Doch nicht nur »weil das Lebendige die Ursache nicht zu ihrer Wirkung kommen läßt, das heißt, sie als Ursache aufhebt«, wird das Verhältnis der Kausalität weiterentwickelt werden müssen. Es ist vielmehr dieses Verhältnis selbst, das nicht ›an sich hält‹: Denn wird die Ursache erst in ihrer Wirkung zur ursächlichen Ursache, so kann mit gleichem Recht die Wirkung Ursache der Ursache genannt werden. Das Verhältnis der Kausalität ist also eigentlich eines der Wechselwirkung, in welchem der Unterschied, daß eine Seite nur aktiv-verursachende und die andere nur passiv-bewirkte ist, aufgehoben ist. Wechselwirkung bedeutet zudem, daß die Ursache nicht in ihrer Wirkung untergeht, sie kontinuiert sich, doch ist die Identität von Ursache und Wirkung die Aufhebung der gewaltigen Macht ihres Verhältnisses, in welchem eines das andere einseitig bestimmte. Mit der Wechselwirkung wird »das Entstehen der Ursache« (GW XI, 407) ansichtig. Der unendliche Fortlauf der Verursachung, der sich aufdrängt, wo die Trennung von Ursache und Wirkung aufrechterhalten wird, ist also eigentlich im Produkt des Kausalverhältnisses »paralysiert« (GW VII, 67). Die in der Kausalität einander entgegenstehenden Momente Ursache und Wirkung sind als Wechselwirkung in der »Ruhe des Gleichgewichts«. In der Wechselwirkung wirken zwei in gleicher Weise aufeinander ein, wobei eine Wirkung die andere aufhebt. Es findet hier also keine Veränderung und Entwicklung 116
Ebenso ist das Akzidens nur an der Substanz, die Wirkung nur als Folge der Ursache verstanden. Der Analyse der darin liegenden »Theorie der Gewalt« widmet sich Fink-Eitel (1978: 174 ff.).
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mehr statt. In derselben Beziehung, in der das eine Ursache des anderen ist, ist es dessen Wirkung et v.v. Die Wechselwirkung drückt die völlige Gleichheit von Wesen und Sein, von Scheinen und Schein aus. Jegliche Inadäquanz, durch die sich überhaupt die Verhältnishaftigkeit in der Relation begründete, ist verschwunden und durch den Widerspruch aufgelöst. Das Verhältnis der Wechselwirkung ist gar nicht mehr als Verhältnis bestimmbar. In der Wechselwirkung gibt es keine Bewegung, sie ist vielmehr das Ergebnis einer Bewegung; sie ist ein »Aufgehobensein« (GW VII, 67; nicht: ein Aufheben). Die konditionale Wechselwirkung von allem hebt also nicht nur die einseitige Kausalität, sondern alle Bewegung überhaupt auf.117 Daher figuriert sie auch als letzte Kategorie der objektiven, oder der Verstandeslogik: Aus der Wechselwirkung folgt nichts weiter.118 In der Jenaer Logik wird sie folgerichtig »paralytische Unendlichkeit« (GW VII, 70) genannt, in ihr ist die bewegende Negativität fest-gestellt. Die Wechselwirkung ist damit ein bloß formelles Verhältnis, das zugleich »Verhältnislosigkeit« ist, denn die bewegungs- und formkonstituierende Differenz der entgegenstehenden Bestimmungen ist nicht nur gänzlich durchsichtig geworden, sondern sie ist nun aufgelöst. Weder Bestimmung und Bewegung noch Lebendigkeit sind entlang dieses paralytischen Begriffs zu denken. So kehrt in der Wechselwirkung auch das Grundproblem der Reflexion wieder: Die Wechselwirkung ist reine Vermittlung, sie bleibt damit ohne Realität, da sie wie die anfängliche 117
Die Erkenntnis des Buddha weist eine gewisse Nähe hierzu auf. Der Schein substantiellen Bestehens (Maya) wird in der Einsicht in die konditionale Wechselwirkung von allem aufgehoben. Doch liegt der entscheidende Unterschied darin, daß die Aufhebung der Kausalität in der Wechselwirkung für Buddha das Ende von Erkenntnis, Bestimmung, Streben und Leben ist. Schließlich ist diese Erkenntnis nicht kommunikabel, Buddha empfängt seine Weisheit in der Einsamkeit. Auch das Ich ist Glied des Bedingungsgefüges, es folgt des Buddhas sogenannte an-atta-(Kein-Selbst)Predigt. In der Wissenschaft Hegels steht die Einsicht in die Wechselwirkung und die Auflösung der Substanz am Beginn der Lehre vom Subjekt (dem Begriff ), das seine Freiheit realisiert und als daseiendes Subjekt den gesamten Reichtum der erscheinenden Welt (in Kunst, Religion, Wissenschaft und Staat) aus seiner Freiheit heraus gestaltet. 118 Sie ist auskunftslos über dasjenige, was sie doch zu erklären beansprucht. Daher ist das Verhältnis der Wechselwirkung der auf das Äußerste getriebene Schein. Diese Scheinhaftigkeit macht sich in der mangelnden Befriedigung ob einer Erklärung aus einem Wechselverhältnis bemerkbar, es verschleiert das Moment von Freiheit und Entscheidung (›das Handlungsmoment‹) in demjenigen, was anhand seiner erklärt werden soll: Das Bildungssystem ist Ausdruck der Mentalität eines Volkes, und die Mentalität eines Volkes ist Wirkung seines Bildungssystems. – Das ist wohl zutreffend, aber es erläutert eigentlich nichts, sondern gibt statt eines – im Leibnizschen Sinne – zureichenden Grundes, nur die Konstatierung einer Tatsache. Nur der Begriff der Sache leistet die vom Wissen erforderte Vermittlung des Gegenstandes, daher kann ›das begreifende Erkennen‹ bei der Wechselwirkung nicht stehenbleiben.
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äußere Reflexion »reine Beziehung, ohne Bezogene« (GW XI, 292) geworden ist. Die Differenz, Grundbedingung der Bezogenen, ist verschwunden. Die Auflösung der Reflexion wird nun ebenso unausweichlich, wie am Schluß der Seinslogik die Abscheidung der Position der Unmittelbarkeit. Die Reflexion hat sich im Verhältnis der Wechselwirkung jeglichen Anhalt entzogen.
2.3.C Gerechtigkeit Der logische Stillstand der Wechselwirkung, d. i. die Einheit der Duplizität des Verhältnisses, macht sie dem Erkennen eigentlich unzugänglich. Daran wird zugleich deutlich, welche Position es ist, die Hegel unter diesem Titel verhandelt: Es ist diejenige »transzendentale Korrelation« (Fink-Eitel 1978: 210), die nach Kant zwischen der Gegen-ständlichkeit, d. i. dem unableitbaren Gegebensein des Gegenstandes auf der einen Seite und der Subjektivität auf der anderen Seite besteht. Beide sind nicht aufeinander rückführbar. Damit reale Bestimmtheit denkbar ist, müssen sie different sein. Dieses Verhältnis selbst indes ist für Kant »= x« (KrV, B 404), das heißt »systematisch unbestimmt«119. Die Kategorie der Wechselwirkung erfaßt den Widerspruch dieses Subjekt-Objekt-Verhältnisses, wodurch es systematisch verortet wird120: Eines ist durch das andere, was es ist, indem es zugleich von ihm abstrahiertes Selbständiges ist. Wir müßten, um das unsystematische »x« aufzulösen, das konditionale Verhältnis, d. i. – mit dem Witz Hegels ausgedrückt – die Verhältnislosigkeit, auseinanderreißen. Damit unterlaufen wir aber die Wechselwirkung wieder. Die einzelnen in ihr Konditioniert-konditionierenden müssen als solche angeschaut werden, wie sie aufeinander bezogen sind. Doch genau solche Vereinzelte sind sie ja nicht, bei dieser Betrachtungsweise kämen wir nur wiederum bei einer ›schlechten‹ Unendlichkeit kausaler Wirkungsketten heraus. Wir erkennen also gar nicht an ihr selbst, was Wechselwirkung ist. Die einzelnen Pole der Bewegung können nicht mit der Bewegung zusammengedacht werden. Deshalb ist die Wechselwirkung, in der die höchste Bestimmung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses 119
Vgl. hierzu und zu den folgenden Bezugnahmen auf Kant Fink-Eitel (1978: 210 f.). Fichte erfaßt bereits das Verhältnis von Ich und Ding an sich als Wechselwirkung. Er bleibt aber bei dieser Bestimmung stehen, weil mit ihr auch das Bewußtsein des Ich aufgehoben würde, das für ihn bestimmend bleibt: »Auf dieses Verhältnis des Dinges an sich zum Ich gründe sich der ganze Mechanismus des menschlichen, und aller endlichen Geister. Dieses verändern wollen, heißt alles Bewußtseyn, und mit ihm alles Daseyn aufheben.« (FG I 2, 414) Jürgensen (1997: 39) bemerkt hierzu treffend, daß Hegel genau diesen Schritt macht, »um das Ich als Begriff denken zu können«. 120
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liegt, auch ohne Leben. So kann sie nur entweder als einheitliches Produkt, und das heißt als abstrakte Einheit, oder als Relation in der Wechselwirkung einer bestimmten Ursache auf eine bestimmte Ursache (entweder Konstitution des Gegenstandes durch die Subjektivität oder Angewiesensein des Subjekts auf das Gegebene) betrachtet werden. Mit diesen Bestimmungsversuchen angesichts des logischen Stillstandes in der Wechselwirkung begehen wir aber genau besehen den Fehler, mit den Mitteln der Bestimmung eines kausalen Verhältnisses an die Bestimmung der aufgehobenen Kausalität zu gehen. Es ist die Betrachtungsweise eines äußeren Dritten zu den Relata und deren aufhebender Relation. Die Wechselwirkung ist schließlich das in sich zurückkehrende Aufheben der getrennten und in ihrem Zusammentreffen sich vernichtenden Substanzen des Kausalverhältnisses. In der Wechselwirkung sind die Momente strikt gleich und je Totalität: Das ursprüngliche Sein ist ganz gesetzte Wirkung und umgekehrt ist das Gesetztsein in Ursprünglichkeit übergegangen. Die Kontingenz der Ursache ist somit vermittelt, das heißt die Zufälligkeit ist zur Notwendigkeit geworden. Sein (Unmittelbarkeit) und Schein (Gesetztsein) sind qua »innere[r] Notwendigkeit« (GW XI, 409) geeint. Die Wechselwirkung zeigt, daß »die Negation, welche Grund der Ursache ist, […] ihr positives Zusammengehen mit sich selbst« (GW XI, 408) ist. Die Ursache wird erst in ihrer Negation, d. i. in der Wirkung, was sie ist, deshalb ist sie darin nicht einfach vernichtet und hinterlassen, sondern ebenso identisch mit sich und wahrhaftig. Daß das Verhältnis somit zur Verhältnislosigkeit und eigentlich unerkennbar wird, ist nur das negative Resultat der Aufhebung der entgegenstehenden Substantialitäten. Positiv gefaßt, legt sich darin die reine Lauterkeit und Durchsichtigkeit der Notwendigkeit dar, deren freie Manifestation die Wechselwirkung darstellt, und dergegenüber nichts ein faktisch unvordenklich Gegebenes ist. Die blinde Not-wendigkeit, die von außen über die Bewegung der Substanzen bestimmte, verschwindet. Sie wird zur inneren Notwendigkeit des Einganges in die eigene Wirklichkeit, der von der Not befreit ist. Diese Not ist zu allererst der Widerspruch, der hier auftaucht als der »absolute Widerspruch«. Als solcher offenbaren sich nun Notwendigkeit und Kausalität, die beide gleichermaßen »ursprüngliche Einheit substantieller Verschiedenheit« sind: Die Notwendigkeit ist Identität als Zusammenhang und die Kausalität absolute Substantialität, d. i. Ein in sich Bestehen von (zwei) Unterschiedenen. Das Verhältnis besteht hier zwischen solchen, die nicht unterscheidbar und nur als im Verhältnis geeinte sind, wobei ein Verhältnis aber nur zwischen solchen bestehen kann, die nicht eins sind. Dieser Widerspruch ist nicht aufgrund einer gesteigerten Potenz o. ä. absolut, so als
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
gäbe es den Widerspruch in verschiedenen Wirkmächtigkeiten. Als absolut tritt der Widerspruch hier vielmehr deswegen hervor, weil gezeigt wird, daß er alles mögliche Denken von Bestimmtheit121 gründet, das immer ein solches in Verhältnissen sein muß. Mit dem Hervortreten des absoluten Widerspruchs ist aber auch dessen Transparenz verbunden. Vermittels der Form der Wahrheit wird das Wahre manifestiert. Jegliche Inadäquanz der Seiten des Verhältnisses ist in der Wechselwirkung beseitigt, so daß die wahre Einheit enthüllt wird: Indem Sein und Ursache zu Schein und Gesetztsein werden und diese wiederum erstere sind. Jedes der Momente der Wechselwirkung ist selbst das Ganze, daher sie »erfülltes Einssein der entgegengesetzten Bestimmtheiten« (GW VII, 75) ist, die als aufgehobene gesetzt sind: Beide Seiten der Wechselwirkung einbegreifen in sich, Gesetztsein zu sein, daher sind sie in der Relation zum Anderen sich selbst gleich. Das ist, »die Offenbarung des S cheins der Kausalität« (GW XII, 14). Zuvor standen das Bestehen und die negative Einheit der im Verhältnis Bestehenden (mithin Relata und Relation) einander entgegen. Diese Differenz zwischen Relata und Relation gehört zum Begriff der Relation (vgl. Reisinger 1967: 158). Die Notwendigkeit war zuvor die mächtige, weil äußere Bestimmung der vereinzelten Wirklichkeit, die in ihr anderes überzugehen hatte. Nun zeigt sie sich als Manifestation der inneren Identität von Unterschiedenen, sie ist deren Eigenbewegung und löst die Not des Widerspruchs auf. So ist sie Freiheit. Die Not-wendigkeit ruhte dabei im Verhältnis der Kausalität auf einer Zufälligkeit auf, denn notwendig ist dort wohl der Übergang der Ursache in die Wirkung, die Ursache selbst aber ist nur, sie existiert eben oder auch nicht; darin lag »[d]ie Dunkelheit […] im Kausalitätsverhältnis« (GW XII, 16). Auch die Zufälligkeit ist zur Freiheit hin aufgelöst, da die zufälligen Substanzen als bloß in sich bestehende, unvermittelte Wirklichkeiten, die ja in die Notwendigkeit übergingen, in ihrer ›anderen‹ nichts als identisch mit sich sind. Der Wechsel ist nicht mehr das von einer Not-wendigkeit motivierte Übergehen zur bedingenden Negation, sondern er ist Ausdruck eines erfüllten Begriffs: Aus innerer Notwendigkeit ist eines ein anderes und dabei sind beide geeint. Die Ursache ist nicht mehr blinde und unvermittelte Zufälligkeit, sondern durch ihr Setzen gesetzte. Die derart vermittelte Kontingenz ist nicht Selbstbehauptung gegen ein Anderes, sondern Selbstbestimmung qua Selbstunterscheidung, enthält doch das gesetzte Setzen die Bedingung seiner Konstitution durch das Andere als Anderem in sich. Der Übergang zu diesem Anderen ist nicht einer von und zu Verschie121
gibt.
Es ist klar, daß dies ein Pleonasmus ist, da es ein Denken von Unbestimmten nicht
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denen. Deshalb herrscht hier kein Zwang und kein beschränkendes Müssen, die beide nur im Verhältnis Verschiedener vorkommen. Bestimmtes und Bestimmendes sind eins, das ist der Ausdruck (die ›Enthüllung‹; GW XI, 409) der Freiheit der in diesem Verhalten (im Setzen gesetzte und so selbstbestimmte, sich wechselseitig voraussetzende zu sein) geeinten Seiten. Diese sind nicht mehr als ›Seiten‹ ansprechbar, weil ihre »Substantialität« sich verloren hat. Die Freiheit wird nicht erst hergestellt, sondern ist bereits ›da‹, wenngleich unter den Verhältnissen der Reflexion verborgen, daher ist sie nicht einfachhin und natürlicherweise, sondern sie muß zunächst enthüllt122, d. i. verwirklicht werden: Es gilt also die gegenwärtige Freiheit.123 Das transzendentale Subjekt-Objekt Schema muß in die Relation eines Subjekts für ein Subjekt fortgebildet werden, dort steht dem Subjekt kein (gegebener) Gegenstand gegenüber, vielmehr ist sein Gegenstand nicht mehr ein Stand sondern selber Subjekt, Reproduktion seiner selbst. – Dies wird der Gedanke des logischen Lebens sein (Enz. (1830) § 220).124 Die Wechselwirkung liegt nicht darin, daß eines ein anderes bedingte et v.v. Für solch eine quasi-kausale Relation der Verschiedenheit gibt es hier keinen Anhaltspunkt mehr. Was wechselwirkt, das ist vielmehr bedingungslos und nur so ist es frei, es ist ein ›Selbstverhältnis‹, das sich selbst begründet. Die Reflexion wird zur Spekulation. Dieses Selbstverhältnis ist nicht mehr als Substanz zu begreifen, es ist, da es sich selbst bestimmendes Ganzes ist, »absolute Form« (GW XI, 409), nicht ein Vorausgesetztes formend, sondern sich selbst einend und unterscheidend (formgebend). Die absolute Form faßt Hegel unter dem Titel des Begriffs, dessen Begriff wird die subjektive Logik entfalten. Schon hier sind aber seine Momente ersichtlich: Das erfüllte Einssein entgegengesetzter Bestimmungen ist das Allgemeine, das Besonderes ist. Dabei ist letzteres bewahrend aufgehoben, es ist nicht unter einem abstrakten Allgemeinen subsumiert, sondern ist selbst das Ganze, das heißt es ist (nicht quantitativ zu verstehendes) Einzelnes (d. i. Individuum). Der Begriff ist also Allgemeines, Besonderes und Einzelnes. Dessen innere, ihm zu eigene Notwendigkeit, in der alle Not aufgelöst ist, ist die Freiheit des Begriffs. Das erfüllte Verhältnis der Wechselwirkung ist damit wohl das Ende der objektiven Logik, denn hier ist nichts 122
Hegels Rede ist also präzis-begrifflich und nicht, wie Fink-Eitel hier kritisiert, »schlicht metaphorisch« (1976: 174). 123 Gerade Freiheit soll aber nach den gängigen Vorurteilen in Hegels Logik nicht zu finden sein. Wahlweise wird die Freiheit Gottes (vor allem von theologischen Kritiken, angefangen mit Schelling) oder des Menschen (Kierkegaard, Marx) vermißt. 124 Hier wird dann auch ausdrücklich von dem ›Verhältnis‹ eines Subjekts zum Subjekt die Rede sein, was Hösle (1998: 257) in seiner Kritik übersieht.
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2. Verborgene Transparenz – Wesenslogik
mehr auseinanderlegend zu bestimmen und kein Rest mehr von Gegebensein, ebensosehr ist es aber Anfang, da hier, wie Hegel in der Logik-Vorlesung von 1817 formuliert, die »Gerechtigkeit des Begriffs« (AV XI, 139) hervortritt. Der Akt der Gerechtigkeit ist restitutio, eine Wiederherstellung, die dasjenige zuteilt, was einem jeden immer schon zukommt zu sein, was es aber nie einfach ist. Die Bestimmung des Wesens, dasjenige zu werden, was immer schon war, erfüllt sich damit in der Enthüllung der Gerechtigkeit des Begriffs, worin dem Einzelnen das ihm Zukommende zuerteilt ist. Die »Härte der wirklichen Notwendigkeit« (vgl. dazu auch Enz. (1830) § 159A) wird dabei keineswegs mit dem erbaulichem Säuseln herrlicher Versprechungen überspielt. Der Übergang der Notwendigkeit in die Freiheit ist in der Tat der »härteste«, denn er fügt sich keinem Meinen und Beraten (›er läßt sich nicht umbiegen‹). Doch die Notwendigkeit steht, weil sie Gerechtigkeit ist, der Freiheit des Einzelnen nicht entgegen; so ist sie eigentlich nicht mehr von Not gekennzeichnet. Vermittlung und Sein sind nun vereint. Die Gerechtigkeit ist die Vermittlung von Notwendigkeit und Freiheit, ohne sie ist die – wie Hegel formuliert – Bewahrheitung der Notwendigkeit als Freiheit weder einsichtig noch möglich. Ohne Gerechtigkeit wäre der Satz, der besagt, daß die Notwendigkeit Freiheit ist, eine bloße Behauptung und ebenso von Macht und Gewalt gestützt wie das Substantialitäts- und Kausalitätsverhältnis.
. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Nachdem durch das Sein zunächst der Inhalt und in der Lehre vom Wesen die Form der Wahrheit hervortraten, erstaunt Hegels Bestimmung des spezifischen Gegenstandes der Lehre vom Begriff. So bezeichnet er »die Wahrheit selbst« (GW XII, 5) als deren Thema. Doch schon in den beiden vorangehenden Büchern der Logik ging es um nichts als die Wahrheit, genauer: nicht um die Wahrheit irgendeines Gegenstandes oder Grundes, sondern um die Wahrheit als solche und ihre Konstitution. Wie kann es da proprium des Begriffs und seiner Lehre sein, daß es innerhalb seiner um die Wahrheit selbst gehen soll? Die Erinnerung an den logischen Bestimmungsweg klärt den gegenwärtigen Stand: Tatsächlich ist »die Wahrheit selbst« nichts als das Gewesene. Unmittelbarkeit und Sein vermittelten sich aus eigenem Antrieb. Sein als was es ist, ist Seiendes, das immer endlich ist. Das Endliche aber ist immer schon vergangenes Sein: Was dem Endlichen wahrhaft zu eigen ist, ist, daß es auf dem Wege der Aufgabe in sein Wesen eingeht. Von diesem ist es gesetzt und in diesem hat es als Moment seine Wahrheit. Aufgelöst wurde die Widerständigkeit des bestimmten Seienden gegen seinen Ein- und Untergang durch seinen Widerspruch: In der Konstitution seiner selbst wird es zu demjenigen, das es in seiner Konstitution ausschloß, nämlich zu dem Anderen, das es selbst von Beginn an war. So muß das wahrhaft Seiende prozessual definiert werden, es ist – mit Hegels Wort – ein Zusammengehen mit sich selbst, das als Verhältnis aufgefaßt werden kann. In seiner Konsequenz ist das Verhältnis eine Wechselwirkung, deren ruhiger Stillstand keinen Anhalt mehr zur Begründung eines reflexiven Verhältnisses gibt und insofern unerkennbar ist. Wir sind damit wiederum beim Sein angelangt. Doch wo immer etwas sich als das zeigt (erweist), was es ist, und es sich selbst ganz gleich geworden ist, statt nur als identisch behauptet und benannt zu werden, da ist es zugleich verwandelt: Dieses Aufgehobensein kann ebenso als erfüllte Gleichheit mit sich bezeichnet werden, da die Wechselwirkung ein unbedingtes Selbstverhältnis darstellt, dessen Seiten sich selbst als Gesetzte setzen.1 Die-
1
So holt das Verhältnis der Wechselwirkung jene Bestimmung wieder ein, die bereits vermittels des Widerspruchs (vgl. GW XI, 282; vgl. zum Sich-Setzen-als-Gesetzt hier S. 181 f.) erreicht war. Dies bestätigt, daß der Übergang zum Begriff bereits mit der Bestimmung des Widerspruchs möglich ist. Der Verlauf der Logik verweist uns zweifach auf den
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
ses Setzen-als-Gesetzt ist die Bedingung des An-und-Fürsichseins, das durch die Wechselwirkung (aber nicht als diese) heraufgeführt wird. In ihr sind die Seiten eine Einheit von entgegengesetzter Bestimmtheit, das aber ist der Begriff. Diese Geschichte zeigt: Woraufhin sich das Sein entwickelt, das als Seiendes ist und so im Widerspruch steht, ist sein Begriff. Im Begriff erhält das Sein und sein/ das Wesen wahrhafte Geltung. In diesem ist alles durchsichtig, weil hier kein Schein von bloßem Gegebensein dem wissenden Auffassen entgegensteht. Das Sein ist nicht unmittelbar wahr und Begriff, sondern als Moment des Wesens, vermittelt durch die regula veri, den Widerspruch. Das Wesen ist umgekehrt nicht Entität jenseits des Seienden, sondern das Wesen, das selbst nichts Seiendes ist, vermittelt qua Negation seiner selbst das Sein. Dies geschieht nicht in der Weise des Vermittelns von einem zum anderen, sondern als zuteilende Vermittlung seiner selbst. Sein und Wesen, Inhalt und Form der Wahrheit sind somit von innerer Durchgängigkeit, diese ist ihre Wahrheit und ihr Begriff. So subsumiert der Begriff nicht die Momente seiner Genese, er ist nicht, wie es zunächst den Anschein haben mag, »das Dritte zum S ein und Wesen« (GW XII, 11). Der Begriff ist keine Zusammenfassung, sondern er »ist ihre Gr undlage und Wahrheit als die Identität, in welcher sie untergegangen und enthalten sind.« Durch immanente Synthese verläuft der Weg zum Begriff. Statt äußerlich Drittes neben Sein und Wesen zu sein, ist der Begriff dreistellig gegliedert; er ist weder relativ gebrochen in Relation und Relata, noch ist er einfach die übergreifende Identität, deren zusammenfassende Indifferenz wiederum einseitig (d. i. abstrakt) wäre. Der Begriff ist vielmehr Einheit mit den Momenten Allgemeinheit und Bestimmtheit, so ist er dreistellig. Er ist gleichermaßen Ziel wie Herkunft der/ seiner durchgängigen Bestimmung, die seine Definition darstellt. Wo das Resultat bestimmend ist und den Anfang macht, da sprechen wir von Zweckmäßigkeit. Neben dem inhaltlichen Was und dem formalen Wodurch der Wahrheit gibt der Begriff das finale Wozu an. Der Zweck ist das Prinzip der zu ihm hinführenden Bewegung: Die Wahrheit selbst ist demzufolge das logische Subjekt der bisherigen Entwicklung. So verfolgte auch die objektive Logik nichts als deren Bewegung, und weil der Begriff und die Wahrheit selbst das Resultat dieser Bewegung sind, deshalb ist die objektive Logik unverzichtbar. Die beiden Bücher der Wissenschaft der Logik, die objektive und die subjektive Logik bilden daher eine Einheit, sie fallen nicht auseinander. Ohne Bestimmung von Inhalt und Form wäre Begriff. Dieser zweifache Verweis kehrt wieder in der zweifachen Idee des Erkennens und dem doppelten Offenbaren der formierenden Idee der Methode am Schluß der Logik.
3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
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die Wahrheit auch als Ziel nur ein Name. Allein, auch als Begriff bliebe sie »abstrakte Wahrheit« (GW XII, 24), wenn sie nicht als Subjekt, und das heißt in der Gestaltung, die sie sich gibt, dargestellt würde. Der Begriff ist nicht – gleichermaßen umfassendes wie leeres – Ende eines Bestimmungsbaumes, sondern er ist als wahrer Begriff von innerer Durchgängigkeit konkret. Er erzeugt sich, wie Hegel sagt, seine eigene Realität. Damit ist auch bereits auf die Gestalt des Zwecks der Wahrheit selbst hingewiesen, fragen wir doch angesichts jeder Zweckhaftigkeit nach deren Worumwillen (vgl. Haas 2003: 9 f.). Darauf antworten wir gewöhnlich: »Um dieses oder jenes willen.« Nicht so angesichts der Wahrheit selbst, die in ihrer strikten Kovenienz mit sich nicht um eines anderen willen, sondern nur um ihrer eigenen Realität willen, d. i. als Zweck ihrer selbst sein kann. Dem Auffassen der Wahrheit muß ihr Ausdruck folgen. Durch ihn wird die Wahrheit als Wahres, das Ganze als Ganzes gesetzt. Dieser Darstellung bedarf die Wahrheit aufgrund ihrer Zweckförmigkeit, denn der Zweck ist auch als Selbstzweck kein einfaches Beruhen auf sich, sondern Verwirklichungsgeschehen. Ein Zweck muß sich immer ausführen. Als Subjekt kommt die Wahrheit also nun zur Darstellung. »[D]ie Abhandlung [hat] den Begriff zu ihrem Inhalt« (GW XII, 33), wie auch andernorts betont Hegel die Verschiebung des Augenmerks mit den Mitteln der Typographie: War der Begriff, die Wahrheit selbst schon bislang Gegenstand der Abhandlung, aber in seinen Wirkungen, so daß sie der Abhandlung die Form vorgab, so wird der Begriff nun als er selbst zum Inhalt der Betrachtung. Das Thema »Wahrheit selbst« ist mithin so zu verstehen, daß die Wahrheit als ein Selbst verfolgt wird.2 Darin liegt unter Wahrung der thematischen Einheit mit der objektiven Logik das Spezifikum der Lehre vom Begriff, die die »zweite S eite« der Wissenschaft der Logik ist. Daß auch der Ausdruck der Wahrheit, deren innerer Synthesis entsprechend, adäquat sein muß, ist dabei keine überflüssige Bemerkung, wie die Verhältnisbestimmungen zeigten, die diesen adäquaten Ausdruck der Wahrheit nicht erbrachten. Wo jegliche Einseitigkeit der Wesensrelation ausgeglichen ist, da wurde das Verhältnis
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Und zwar, so kann ergänzt werden, das Selbst der Wahrheit als es selbst, in seiner Vollkommenheit, nicht unterteilt in Inhalt und Form, sondern als Form und Inhalt zugleich. So ist die Lehre vom Begriff diejenige »Abhandlung, welche den Begriff zu ihrem Inhalt hat« (GW XII, 33), statt daß das von ihm Geformte (Das Sein) oder dessen Formierungsbedingung (Lehre vom Wesen) betrachtet werden. Über seine Wirkungen gelangt das Wissen zum Begriff. Erst wenn dieser zum Inhalt der Betrachtung geworden ist, werden sie als Wirkungen des Begriffs gewußt. Mit Hegels Bestimmungen könnte man formulieren, daß im Wahren der Seinslogik die Wahrheit an sich und in der Begriffslogik die Wahrheit an und für sich gezeigt werde.
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paralysiert und seine Systematizität unerreichbar. Es gibt demnach in der objektiven Logik keinen adäquaten Ausdruck der Wahrheit. Ihn der Wahrheit zu geben, ist die Aufgabe der Lehre vom Begriff. Der Begriff integriert die Synthesis der Wechselwirkung in eine Einheit. Diese Aufgabe des Begriffs, sich seine eigene Realität zu geben, »welche in ihm verschwunden«, scheint im Grunde genommen dieselbe zu sein, wie die Aufgabe des Wesens, seine eigene Genese aus sich hervorgehen zu lassen.3 In beiden Fällen geht es darum, der Aufhebung den Hervorgang folgen zu lassen. Entsprechend beansprucht schon die Reflexion eine prinzipielle Stellung, sie bildet – in den Worten der Differenzschrift – ›ein Ganzes nach ihrer Art‹ (GW IV, 17, vgl. auch GW V, 272)): Sie will umfassende Vermittlung sein, dergegenüber nichts einfachhin gegeben ist. In den sogenannten »Wesenheiten« (GW XI, 258) schien sie sogar eine unhintergehbare Begründung zu kennen. Die reflexive Selbstbegründung ist der Wahrheit selbst zum Verwechseln ähnlich. Durch die Wechselwirkung, worin die Seiten des konditionalen Verhältnisses sich selbst als vom Anderen gesetzt setzen, wurde schließlich ein unbedingtes Selbstverhältnis eröffnet. Zu Beginn der Lehre vom Begriff greift Hegel die Genese dieses unbedingten Verhältnisses unter dem Titel der »Bewegung der Substantialität« (GW XII, 12) nochmals auf: Die Substanz, die (a) Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit sowie (b) als und in dieser Einheit selbstbezügliche Negation ist, unterscheidet sich erstens vom Verhältnis, dessen Seiten ihr ursprüngliche Voraussetzungen sind. Die »passive Substanz« ist nur Gesetztsein, während die aktive Substanz als Negativität sich als Anderes (d. i. die als Bedingung vorausgesetzte passive Substanz) setzt und darauf bezieht. Dies ist, was Substanz an sich ist. Zweitens ist die »aktive Substanz« Ursache, sie wirkt und ist ein Setzen; sie wird in der Kausalität, was sie an sich ist. Indem so die passive Substanz bewirkt wird, ist diese ein Gesetztsein und somit überhaupt erst passive Substanz. Dies ist, was die Substanz für sich ist, sie ist ein Setzen und zwar setzt sie ihre eigene Macht an sich. Dadurch zeigt sich das Scheinen des Scheins. Drittens wirkt die Ursache verändernd auf die passive Substanz, verändert wird dabei aber nur deren Passivität, sie macht diese Substanz zur aktiven (GW XII, 13). Darin manifestiert sich die Selbstübereinstimmung der Ursache, sie setzt sich an die Stelle der passiven Substanz. Die Ursache scheint anderes zu wirken, sie bewirkt aber nur sich selbst. Dieses Wirken ist ebenso der Übergang in Gesetztsein. Die aktive Substanz ist also Gesetztsein, dieses 3
In seiner Vorlesung zur Geschichte der Philosophie wirft Hegel Spinoza vor, er versäume, aus der Substanz hervorgehen zu lassen, was in ihr verschwunden sei (TWA 20, 167). Darin begründe sich Spinozas »Akosmismus«.
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ist kein Anderes, sondern wesentlich sie selbst. »[N]ur in ihrem Gegenteil« ist die Substanz verwirklicht, daher muß sie gesetzt werden. Die zwei Seiten des Verhältnisses sind identisch und indem (erstens) das Vorausgesetztsein aufgehoben und (zweitens) das Gesetztsein selbst die absolute Substanz ist, ist das An sich zum Für sich realisiert. »Diese unendliche Reflexion in sich selbst, daß das An-und-Fürsichsein erst dadurch ist, daß es Gesetztsein ist, ist die Vollendung der Substanz.« (GW XII, 14) Mit dem Verhältnis der Wechselbestimmung rundet sich die Reflexion zum vollendeten Ganzen, weshalb eine Fortsetzung der Logik überflüssig zu sein scheint. Das Ganze nach Art der Reflexion gründet in der Tat sich selbst, da die Voraussetzung der Reflexion selbst reflexiv vermittelt (gesetzt) ist. Dadurch, daß die Reflexion sich zur äußersten Bestimmtheit brachte, wurde dieses Ganze enthüllt. Jede neuerliche reflexive Auseinanderlegung in ein Bedingungsverhältnis verfehlt aber die Einheitlichkeit der erreichten Bestimmung. Das in der Wechselwirkung bezeugte bedingungslose Verhältnis ist in den Termini der Reflexion nicht mehr kommunikabel, – deshalb bezeichnet Kant diesen Gedanken aus seiner Perspektive zu recht als systematisch unbestimmt »=X«. Das Ganze der Reflexion kann »Vollendung der Substanz« genannt werden, weil deren unbedingtes In-sich-Bestehen in der Wechselwirkung angemessen repräsentiert wird und sie darin zu voller Adäquanz gelangt ist. Weder das bedingte Verhältnis von Substanz und Akzidenz, noch dasjenige der Kausalität leisteten dies. Allein, das Ganze nach Art der Reflexion ermangelt der Kommunikabilität, denn mit der vollständigen Selbstangleichung löst sich das Verhältnis auf. Die vollendete Substanz wird von der einheitlichen Durchgängigkeit der Wechselwirkung wohl angemessen repräsentiert, das heißt die Notwendigkeit der Substanz, ihr Gegenteil zu werden, tritt hervor. Weil diese innere Notwendigkeit aber ein Zusammengehen mit sich darstellt (»dieses Gegenteil aber wird jede [Seite so], daß die andere, also auch jede, identisch mit sich selbst bleibt«) und somit als Freiheit zu bestimmen ist, deshalb ist die vollendete Substanz nicht mehr als solche bestimmbar. Die vollendete Substanz ist nicht mehr Substanz, sondern sie hat sich verwandelt zum selbstbestimmten Subjekt. Das durch die Reflexion heraufgeführte Resultat ist mithin nicht mehr reflexiv (gegenständlichobjektiv) bestimmbar. Ein nicht-kommunikables Ganzes wäre aber nicht ganz. Es wäre ein Ganzes, das sich entzieht und verbirgt, und das sich somit in einen ausschließenden Unterschied setzte, also gerade nicht das Ganze sein könnte. Die Kommunikabilität wäre unverwirklichte Möglichkeit des Ganzen. Ihm fehlte die Verwirklichung, da es ohne Ausdruck seiner selbst nur abstrakte und ›tote Einheit‹ wäre. Die Annahme einer allein reflexiven Bestimmbarkeit (d. i. eigentlich der Unbestimmbarkeit) des Ganzen ist daher
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eine Täuschung. Dabei liegt der Anschein, das Ganze ganz bestimmen zu können, im Wesen des – unverzichtbaren – reflexiven Bestimmens. Der Lehre vom Begriff als der ›zweiten Seite‹ der Logik ist es nun aufgegeben, nach der Bestimmung von Inhalt und Form der Wahrheit ihr den angemessenen Ausdruck zu geben. So führt die Erfüllung der Aufgabe der Wesenslogik, die Hervorbringung eines Ganzen nach Art der Reflexion, über die Lehre vom Wesen hinaus. Dabei stellt sich eine vordergründig ganz ähnliche und doch im Ganzen neue und unverwechselbare Aufgabe: In der Folge des Beweises vom bestimmten Etwas der Wahrheit und ihrer regelgeleiteten Einsehbarkeit ist die Kommunikabilität der Wahrheit aufzuzeigen (vgl. hier S. 68 f., Fn. 4). Dabei bedeutet Kommunikabilität nicht, daß eine neue Weise des darüber Sprechens und der Darstellung gefunden werden müßte. Es gilt vielmehr zu vermitteln, wie sich die Wahrheit selbst kommuniziert. Das Subjekt, das die Wahrheit der vollendeten Substanz ist, ist der Begriff. Doch warum heißt das Thema nun »Begriff«? Der Verweis auf die Konvention logischer Theorie hilft hier nicht weiter: Die formale Logik betrachtet Aussagenformulare (Urteile) und das Operieren damit (Schlüsse), dazu gehören dann auch die im Urteil verknüpften Elemente, die Begriffe; all das sind auch Themen von Hegels Lehre vom Begriff. Im Begriff wird das Einzelne als ein Allgemeines vorgestellt, er umfaßt demnach immer noch weiteres als das Einzelne, auf das er angewandt wird. Inhaltlich, so die formale Logik, ist der Begriff jedoch ärmer als das Einzelne, da seine Umfassendheit mit der Abstraktion von der durchgängigen Bestimmtheit des Einzelgegenstandes erkauft ist. Der Begriff ist ein abstrakter Allgemeinbegriff. Angesichts dieser formallogischen Momente der Begriffsbestimmung fragt man sich jedoch (vgl. Wagner 1973: 193), warum wir uns der Anstrengung des Begriffs noch unterziehen sollen, wenn das anschaulich gegebene Einzelne von reicherer Bestimmung ist als der allgemeine Begriff? Und mehr noch, wie sollte ein auf anschauliche Erfüllung angewiesener Begriff die Aufgabe übernehmen, die Wahrheit des Subjekts auszudrücken? Die Antwort auf die erste Frage ist schnell gefunden: Wir müssen uns der Anstrengung des Begriffs unterziehen, weil nur durch ihn etwas begriffen wird. Der begreifende Begriff verläßt aber das durch die Abstraktion vorgezeichnete Feld und wird so zur Antwort auf die zweite Frage: Die subjektive Logik hat es nicht mit einem formalen und subjektiven Begriff zu tun, der durch ein gegebenes Material erfüllt werden müßte. Die Vorstellung des Gegebenseins ging schließlich bereits in der objektiven Logik unter, die deren Voraus-setzungscharakter im Verhältnis gegenläufigen Gesetztseins (vgl. hier S. 126) aufgelöst hat. Der subjektiven Logik geht es stattdessen um einen objektiven Begriff, der als logos ts ousias seine Sache zugleich produziert und begreift. Doch die Sache des
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Begriffs, die nicht außerhalb seiner zu haben ist, besteht weder in irgendeinem Gegenstand noch in allen Gegenständen. Der in der Lehre vom Begriff zu bedenkende Begriff ist nicht empirischer Art. Der Ursprung empirischer Begriffe liegt in der Tat immer außerhalb ihrer selbst, ihre Sache ist dementsprechend etwas anderes als sie selbst. Der Begriff in der Lehre vom Begriff befindet sich hingegen im Elemente des reinen Denkens. Dieser Begriff hat – im Unterschied zu den empirischen Begriffen – keinen logischen Ursprung, er ist selber einer, so ist seine Sache nichts als der Begriff selbst. Daß dies weder Selbstbespiegelung noch Tautologie bedeutet, zeigt sich daran, daß der Begriff des Begriffs nicht einfach Begriff bleiben kann, sondern eine immanente Entwicklung durchläuft, in der er sich zu seinem vollen Ausdruck als Idee fortbildet. Schließlich ist der Begriff im abschließenden Teil der Logik nicht ein Thema neben anderen, wie für die formale Logik, vielmehr steht der gesamte dritte Teil unter dem Titel des Begriffs und ist dessen »Lehre«. Der Begriff unterliegt keiner Veränderung, sondern er entwickelt sich. So kann er Ausdruck des Subjekts als Nachfolger der Substanz sein, denn er ist gekennzeichnet von innerer Notwendigkeit (substantiell) und er ist dabei ein bewegender Beginn (Subjekt).4 Aufgrund dieser Stellung des Begriffs formuliert Hegel in der Phänomenologie: »Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffes zu gewinnen. Er allein kann die Allgemeinheit des Wissens hervorbringen.« (GW IX, 48) Die Allgemeinheit des Wissens nämlich kann nicht das abstrakte Allgemeine von an sich beliebigen Merkmalen sein, das für sich genommen leer ist. Die Allgemeinheit des Wissens muß vielmehr mit ihrer Lösung vom vereinzelten Meinen und leeren Benamen, wodurch es Geltung erlangt, das Erfassen von bestimmt Bestimmtem verbinden. Entsprechend dieser synthetischen Grundstruktur kann Wissen nicht bloß aufgenommen, sondern es muß in der Arbeit des Begriffs hervorgebracht (nicht: hergestellt) werden. Der Begriff selbst ist solch konkret Allgemeines, er ist »zu ihrer einheimischen Form gediehene Wahrheit, welche fähig ist, das Eigentum aller selbstbewußten Vernunft zu sein.« Der Begriff ist nicht begnadete Einsicht weniger, er ist keine intellektuelle Anschauung, die einigen zuteil wird, anderen aber nicht. Seine schlechthinnige Allgemeinheit schließt nichts und niemanden aus. Seine dialektische Bestimmung gewährt einen allgemeinen Zugang, – 4
In den Wendungen ›es liegt im Begriff von …, daß …‹ und ›sie steht im Begriff … zu tun‹ sind diese beiden Bedeutungen enthalten (vgl. auch Erdmann 1901: 95). Hegel betont in der Wissenschaft der Logik die erste Bedeutung. In der Jenaer Logik steht der Begriff stärker in der Bedeutung des Beginnens, während der von Notwendigkeit erfüllte Begriff »realer Begriff« genannt wird (vgl. GW VII, 8).
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»wenn auch die Andern es anders nehmen« (GW IX, 48 f.). Damit ist gesagt, daß selbst die Position, die die Allgemeinheit des Begriffs nicht anerkennt, noch von ihr umfangen ist. Wer es anders nimmt, stellt nur sich selbst außerhalb der Allgemeinheit, er vermöchte diese aber damit nicht zu etwas Partikulärem zu machen, da sie auch unabhängig vom Anerkanntwerden gilt. Die Wahrheit selbst ist ein Vernunftfaktum (vgl. Kant, KpV, A 56, 81), deshalb gilt sie bedingungslos und ist fähig, auch zum »Eigentum« jeder singulären Vernunft zu werden. Zur »einheimischen Form« im Begriff muß die Wahrheit aber erst gedeihen. Die Wahrheit selbst wächst und wird; womöglich aus einer nicht-einheimischen Form heraus, wie kann sie da ›Vernunftfaktum‹ sein? Wahrheit in nicht-einheimischer Form ist jene, deren Drängen empfunden, gefühlt und als Not-wendigkeit nachvollzogen wird. Diese Notwendigkeit hat die objektive Logik thematisiert, während Empfinden und Fühlen nicht Gegenstand der Logik sind, sondern Themen der Philosophie des Geistes und seiner Phänomenologie sind.5 Die Wahrheit selbst ist es also, die sich zur einheimischen Form bildet. Sie ist in dieser Bildung immer schon wirksam und schlechthin gültig, deshalb kann sie auch als nicht faktisch gegebene, sondern produktiv werdende ein Vernunftfaktum sein. In der einheimischen Form schließlich ist die Wahrheit gewußte und freimachende Wahrheit. So kann die Lehre vom Begriff einleitend resümieren: »Im Begriff hat sich daher das Reich der Freiheit eröffnet.« (GW XII, 15) Hegel gelangt innerhalb der Wissenschaft der Logik zu derjenigen Bestimmung, die für Kant als praktische Idee gerade außerhalb der theoretischen Erkennbarkeit stand. Als solche begründete die Freiheit der Autonomie auch bei Kant die Selbstdurchsichtigkeit der Vernunft, was Hegel das ›Eigentum der Vernunft‹ nennt. Aber für Kant ist nur die praktisch-anerkennende Vernunft selbstdurchsichtig, sie sei von der theoretisch-erkennenden streng zu scheiden. Wenn die Freiheit also für Hegel zu einer Bestimmung der Logik wird, dann weist dies auf den Einheitscharakter hin, den die Wahrheit und die sie erkennende Vernunft durch die Logik gewinnt, wodurch sie weder theoretisch noch praktisch beschränkt ist: Die klarste und umfassendste Theorie 5
Seine konkrete Heimat findet der Begriff in der Phänomenologie im Selbstbewußtsein als dem »einheimische[n] Reich der Wahrheit« (GW IX, 103). Indem das »lebendige Selbstbewußtsein« (GW IX, 108 f.) zum »S elbstbewußtsein für ein S elbstbewußtsein« wird, befindet es sich im »geistigen Tag der Gegenwart«. Dort ist das Bewußtsein nicht mehr gefangen in der unstillbaren Begierde, sich die gegenständlich verstandene Welt einzuverleiben: »[D]er Gegenstand der Begierde ist selbstständig [sic], denn er ist die allgemeine unvertilgbare Substanz.« Ich ist hier nicht nur Ich und es steht ebenso nicht einem Nicht-Ich gegenüber, sondern es ist fortgebildet zum »Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist.« Dieses Ich ist anerkennend anerkanntes Ich. So ist hier die Anerkennung die Realisierung der Wahrheit.
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ist zugleich höchste Form der Praxis. Das Reich der Freiheit eröffnet sich durch den Begriff, weil er die Notwendigkeit zur Freiheit vermittelt. Durch die Wechselwirkung trat die Nichtigkeit der Entgegensetzung von Freiheit und Notwendigkeit hervor. Nur vermittels der Notwendigkeit ist die Freiheit konkret und bestimmt (sie liegt nicht in der Bestimmungslosigkeit und ist nicht nur ›negative Freiheit‹6). Konkrete Freiheit kann sie sein, indem die Notwendigkeit immanent und Verwirklichung der Gerechtigkeit des Begriffs ist (AV XI, 139), die Einzelnes bestehen läßt. Freiheit ist der wahrhafte Ausdruck für die substantielle Verhaltensweise der Notwendigkeit. Daß Freiheit die Verhaltensweise des Begriffs ist, drückt aus, daß die Wahrheit selbst als finales Wozu der Logik ein Selbstzweck ist. Sie ist unbeschränkt, in keiner Weise instrumentell und für etwas anderes, sondern ganz für sich genügend. Dieser Selbstzweck der entschiedenen Wahrheit ist das Gute. Zur vollen Entfaltung dieses Vernunftfaktums muß auch der Begriff erst ›gedeihen‹. In der Idee wird sie erreicht, von ihr wird gezeigt, was an dieser Stelle nur im Vorgriff benannt werden kann: Der Ausdruck der Wahrheit des Guten ist das Leben. Ohne zu ihr hinführender Entwicklung gibt es keine Entfaltung der Idee, die rein resultativen Charakters ist. Der Ausdruck, den sich die Wahrheit in der Idee gibt, will erworben sein. Für deren Darstellung ergeben sich daraus folgende Aufgaben: Der Begriff muß in seiner immanent synthetischen Struktur und in deren Auslegung durch ›Urteilung‹ und Zusammen-schluß betrachtet werden (Kapitel 3.1). Nur so, im disjunktiven Schluß der Notwendigkeit, kann deutlich werden, warum der Begriff »objektiv« wird (Kapitel 3.1.B). Weil sie teleologisch geordnet ist, zeigt sich alle objektive Realität als vom Begriff durchwaltet (Kapitel 3.2). Entlang dieser Stationen wird es unserer Untersuchung möglich sein, die Vollständigkeit der Bestimmung zu wahren, ohne an jeder einzelnen Etappe des logischen Bestimmungsweges anhalten zu müssen. So gelangen wir in der Idee zur Adäquation des Begriffs zu sich selbst (Kapitel 3.3), d. i. zur Wahrheit, deren Güte frei macht und leben läßt.
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Hegel schreibt: »Die Notwendigkeit wird nicht dadurch zur Freiheit, daß sie verschwindet, sondern daß nur noch ihre innere Identität manifestiert wird, eine Manifestation, welche die identische Bewegung des Unterschiedenen in sich selbst, die Reflexion des Scheins als Scheins in sich ist.« (GW XI, 409)
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3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung Der Begriff ist zunächst noch formeller (nicht zu verwechseln mit formaler) Begriff, der vermittels der Auslegung in Urteil und Schluß erst formierend werden muß und so in seiner Konkretion gezeigt wird. Seine Formierungskraft wird sich darin erweisen, daß er objektivitätsetzender Begriff ist. Der »formelle« (GW XII, 31) Begriff ist noch nicht Idee, noch nicht der »adäquate B egriff« (GW XII, 30). Zum adäquaten Begriff, welcher Idee ist, müssen wir uns erst hinbewegen, er kann nicht einfach vorgenommen und analysiert werden, sondern er muß synoptisch erschlossen werden. Der adäquate Begriff setzt zunächst die eigenständige Entwicklung der beiden in ihm adäquierenden Seiten voraus, deren eine ist der formelle Begriff, die andere wird die Objektivität sein. Dabei gilt, daß die ›Verhaltensweise‹ (GW XII, 12) der Freiheit nicht erst Endergebnis der begriffslogischen Entwicklung sein wird, der freie Begriff ist vielmehr bereits im Über- und Eingang zur Lehre vom Begriff gewonnen. Welche Bedeutungsdimension des Begriffs eröffnet »das Reich der Freiheit« (GW XII, 15) und was bedeutet es darin für den Begriff, daß er wachsender (Gedeihen) und schließlich zusammenwachsender (concretum) ist?
3.1.A Der Begriff Hier gilt es zunächst, eine ebenso häufige, wie unzutreffende Erklärung der Freiheit des Begriffs abzuweisen. So liegt es aufgrund von Hegels Anbindung an Kants Begriff der transzendentalen Apperzeption wohl nahe zu sagen, daß der Begriff Ich, beziehungsweise Selbstbewußtsein sei und wir deshalb mit ihm im Reich der Freiheit angelangt seien.7 Hegel selbst scheint diese Ant7
So schreibt Hogemann (2003: XVIII) in der Einleitung zur Studienausgabe der Lehre vom Begriff: »Die Vollendung der Substanz ist nicht mehr die Substanz selbst, sondern das Subjekt, der freie Begriff also ›nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtsein‹.« Ein Fall von selektivem Zitieren, da Hogemann die entscheidende Hegelsche Qualifizierung dieser Aussage ausläßt, wonach es der zur »Existenz gediehen[e]« (GW XII, 17) Begriff ist, der Ich und Selbstbewußtsein ist. Auch Düsing suggeriert, daß Hegels Logik der Subjektivität von einem Subjekt rede, so vor allem, wenn er dem Begriff »die Bedeutung des höchsten Seienden und alles Seienden« (1995: 232) nachsagt, eine Redeweise, die erkennbar keinen Sinn macht, da der Begriff, wie schon das Wesen, kein Seiendes ist; freilich unterscheidet Düsing an anderer Stelle sehr wohl reinen Begriff und reales Subjekt (242). Ein weiteres Beispiel der Identifizierung von Begriff und Ich bietet Harris (1983: 214 f.). Der Begriff als daseiender ist Ich und erscheinendes Selbstbewußtsein, nicht jedoch der Begriff des Begriffs. Auch Wildenauer (2004: 14 ff.), auf deren Bei-
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wort zu geben, doch nimmt er dabei eine entscheidende Differenzierung vor: Als daseiend und in die Existenz getreten, wird der Begriff Ich und Selbstbewußtsein sein (GW XII, 17). Als solcher ist der »B egriff des B egriffes« (GW XII, 16) jedoch nicht das Ich, als das ein jeder von uns sich bezeichnen kann. Dies machte den Begriff zur Hypostase des Ichs, während es sich umgekehrt so verhält, daß das Ich als daseiendes die Ekstase des Begriffs ist. Dementsprechend wird es auf die Frage, wem denn hier eigentlich das Reich der Freiheit eröffnet wird, eine zweifache, zum einen »das Logische« (GW XII, 236) und zum anderen den daseienden Begriff betreffende Antwort geben. Logisch ist eben der Begriff frei, der Einzelner ist. Im Dasein wird der im Reich des Begriffs Angelangte der zur Allgemeinheit des Wissens gelangte Mensch sein. Dieser ist frei, weil er der »vielfach knechtischen Natur der Menschen« (Aristoteles, Metaphysik I 2, 982 b 29; dazu Uhde 1976), also der natürlichen Unfreiheit und dem begriffslosen Staunen entwunden ist. Der Begriff ist das Resultat des Verhältnisses der Wechselwirkung. Von daher liegt – neben derjenigen des Selbstbewußtseins – noch eine weitere Auffassung dessen nahe, was der Begriff sei: Man könnte meinen, der Begriff sei als Resultat eines Verhältnisses selber ein Verhältnis(-begriff ). Er stehe als umfassender über den für sich selbständig wechselwirkenden Substanzen. Als abstrakter Allgemeinbegriff subsumiere er diese, wodurch er inhaltlich gefüllt werde, während er die Gemeinsamkeit der unter ihm Versammelten formuliere. So stehe der Begriff in einem Verhältnis zur Mannigfaltigkeit, die ihn erfüllt, und die er im Gegenzug vereint. Dieser Begriff ist subjektiver Begriff, der auf objektive Bestätigung angewiesen ist.8 Der subjektive Begriff ist nicht Subjekt. So würde unerklärlich bleiben, wie sich in diesem Begriff die Freiheit manifestieren soll. Wäre der Begriff bloß umfassender, dann wären Allgemeinbegriff und begriffene Sache verschieden und die Sache würde vorausgesetzt. Der bloße Allgemeinbegriff wäre eine Schublade, trag unten eingegangen wird (vgl. hier S. 277, Fn. 14), kritisiert die Lesart, wonach der Begriff ein Selbstbewußtsein sein soll. 8 Dies ist die Ansicht vom Begriff bei Descartes, im Empirismus Lockes und Humes, aber auch noch bei Kant, wie Hegel in der Einleitung Vom Begriff im Allgemeinen kritisiert, nachdem er zuvor anerkennend formuliert: »Es gehört zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, daß die Einheit, die das Wesen des B egriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, als Einheit des: Ich denke oder des Selbstbewußtseins erkannt wird.« (GW XII, 17 f.) Als solche verstanden bietet der Gedanke der ursprünglichen Synthesis »eines der tiefsten Prinzipien für die spekulative Entwicklung« (GW XII, 22). Zum – hier nicht weiter zu verfolgenden, ›dialektischen‹ – Verhältnis Hegels zu Kant und zum transzendentalphilosophischen Projekt bietet dieser Abschnitt der Lehre vom Begriff, der ein längeres Kantreferat Hegels enthält, reichhaltiges Material.
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in die die Sache hineingesteckt werden könnte, deren Differenzen wären dem gemeinschaftlichen Allgemeinen äußerlich. Überdies ist hier das Resultat der Wechselwirkung nicht exakt rezipiert: Diese war nämlich ein Verhältnis, das eine Verhältnislosigkeit ergab. Das heißt, die gegebene Mannigfaltigkeit hält sich nicht, sondern sie ist an sich paralysiert, festgestellt in einer mit den Mitteln der Reflexion nicht erfolgreich differenzierbaren Einheit. Die Voraussetzung eines derartigen ›Begriffsverhältnisses‹ hat sich, mit anderen Worten, bereits als unhaltbar erwiesen. An dieser Stelle, an der die Verhältnishaftigkeit bereits aufgelöst ist, formiert sich der Begriff, der folglich nicht wiederum selbst ein Verhältnis sein kann, dessen Grundcharakter die Differenz von Relation und Relata war. Der Begriff ist also nicht abstrakter Allgemeinbegriff. Was also ist der Begriff des Begriffs? Die enthüllte, von der Hülle des Vorausgesetztseins befreite Substanz: Das Selbstbestehen, das ein sich selbst als gesetzt Setzendes ist. Das Gesetztsein ist im Begriff das An-und-Fürsichsein. Hier sind alle Momente des Begriffs versammelt. Es ist nicht abhängig von einem anderen, in dem es seinen Halt finden müßte, sondern es ist einfache und nur-identische Bestimmtheit. In dieser Einheit ist dieses Selbstbestehen (a) das Allgemeine.9 Es ist aber nicht unbestimmt, sondern bestimmtunterschieden, doch derart, daß es zugleich selbst sich selbst das Komplement allen Unterschiedes ist. Dieses Selbstbestehen wird nicht bestimmt, es bestimmt sich selber. Sich selbst anderes ist es als Gesetztes (nicht: es ist gesetzt) und somit ist es (b) Besondertes. Dieses Besonderte ist nicht losgelöst vom Allgemeinen, wäre es derart bloß besonders, so wäre es gar nicht Besondertes, es wäre undefinierbar, weder denk- noch etwa wahrnehmbar. Das Besonderte ist Negation, nicht einfach, sondern des Allgemeinen, auf das es negativ zeigt. Das Selbstbestehen negiert also erstens sich selbst im Besonderen, nur durch den Unterschied zum Allgemeinen gibt es Besonderes. Mit diesem Unterschied wird das Allgemeine aber selbst zum Besonderen, es kann sich nicht von dem Unterschied unberührt halten, sonst wäre er gar nicht gemacht. Zweitens negiert das Allgemeine dieses Negieren, indem es selbst diese erste Negation ist, also als Negation auf seine Allgemeinheit weist. Die Negation begründet kein Verhältnis der Andersheit, sondern sie ist Selbstdifferenzierung. Auf diese Weise ist Gesetztsein nicht Sein-für-Anderes, sondern An-und-Fürsichsein. Es (re)produziert sich im Unterscheiden selbst, es ist Einheit von Bestimmtheit und Reflexion in sich, das ist (c) das Einzelne. Dieses Einzelne manifestiert die konkrete Freiheit; so gilt es, die Dimensionen des Begriffs im einzelnen zu betrachten. 9
Nicht: ein allgemeiner Begriff neben anderen. Ein solcher Begriff ›neben anderen‹ Begriffen ist der bestimmte Begriff, nicht aber Begriff des Begriffs.
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(a) Vom Allgemeinen scheint es zunächst, so nimmt Hegel eine Intuition des natürlichen Verstandes auf, keinen logos geben zu können (GW XII, 33). Jede Erklärung geht die verschiedenen Differenzierungen ihres Gegenstandes durch, sie unterscheidet und vermag das strikt mit sich identische Allgemeine daher grundsätzlich nicht zu treffen. Diese Ansicht müßte zudem dahingehend ergänzt werden, daß es auch keine Erklärung von Einzelnem geben könne, da sich jeder logos zugleich in allgemeinen Begriffen bewegt und das Individuum folglich unaussagbar wäre. – Doch geht es zunächst um das Allgemeine: Dessen Identität ist nicht unmittelbar, in welchem Falle tatsächlich keine Differenzierung dem Allgemeinen adäquat sein könnte. Die Allgemeinheit des Begriffs liegt vielmehr in seiner unbeschränkten Geltung, er ›durchdringt‹ das Hinausgehen, so daß es Rückkehr zu sich ist (vgl. hier S. 121 und S. 163 ff.). Die Einfachheit, die auch die Allgemeinheit des Begriffs auszeichnet, ist in Folge seiner Durchdringungsmacht nicht einfach eins, sondern die unbeschränkte Einheit der Negativität: Das Allgemeine geht durch Besonderes hindurch, es ist Negation seiner Negation. Würde es nicht durchgängig Allgemeines sein, sondern nur ausschließen, auch Besonderes zu sein, dann wäre das Allgemeine nicht allgemein, sondern besonders. Die Allgemeinheit des Begriffs macht mithin einen Unterschied in sich, daher kann es von ihm auch einen logos geben. Das bestimmte Sein war immer anders als Anderes, daher auch anders als es selbst und folglich übergängig. Das bestimmte Allgemeine aber, d. i. das Allgemeine in seiner ersten Negation, ist von der Bestimmung nicht beschränkt, sondern es »kontinuier t sich« (GW XII, 34) in ihr, d. i. die Durchgängigkeit des Allgemeinen. Das Allgemeine geht also nicht durch etwas hindurch, was auch ohne es, schon vor dem Allgemeinen da wäre, sondern indem das Allgemeine sich spezifiziert, ist es das Besondere, das wiederum ohne das Allgemeine, ›außerhalb‹ seiner gar nicht wäre. Nur indem durch es hindurchgegangen wird, gibt es Besonderes. Das Allgemeine ist als es selbst immer ein Besonderes, es spezifiziert sich selbst und nicht ein anderes. Die Besonderung geschieht, indem das Allgemeine einen Unterschied setzt, es unterscheidet nicht zwischen einem solchen und einem anderen, das wäre die Differenzierung von vorhandenen Unterschieden. Das Allgemeine setzt nur einen Unterschied und schon kommt das Besondere hervor. Die Einfachheit des Begriffs bleibt durch seine Durchgängigkeit und dadurch gewahrt, daß auch der Unterschied einfach ist, er ist nämlich der einfache Unterschied des Allgemeinen von sich selbst. Das Besondere, das heißt eigentlich: die Besonderen (so wie das Seiende immer schon die Seienden ist) sind die Artikulation des Allgemeinen. Die Bestimmung des Allgemeinen, daß es Besonderes ist, ist zugleich als Negation dieser Negation
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
(besonders zu sein). Weil Bestimmtheit im Begriff nicht unmittelbar, sondern nur als Gesetztsein gegenwärtig ist, so ist das negierende Besondere die vom Allgemeinen gesetzte Negation. Das Allgemeine verliert sich aber nicht in der endlosen Verschiedenheit der Besonderen, sondern es macht den erwähnten Unterschied, indem seine Bestimmtheit »als Gesetztes oder als Schein« (GW XII, 36; d. i. Transformation des Gesetztseins) ist. Es setzt sich das Besondere nicht entgegen, sondern bestimmt sich selbst zu diesem. Das Begriffsallgemeine scheint nicht wie das Wesen in sein Anderes, es ist – was wir bereits zuvor ausschließen konnten – nicht relativ auf Bestimmtes, sondern selber positiv das bestimmte Besondere. Das Besondere ist gesetzt als Gesetztes, seine Apophansis, sein Zeigen des Allgemeinen muß daher noch genauer bestimmt werden, denn es ist kein hypostatisches Verhältnis, in dem hie das Besondere stünde, das auf das dort ansässige Allgemeine weiterverweist. Weil es Gesetztsein als Gesetztsein ist, ist das Besondere vielmehr selbst Negation der Negation und damit identisch mit dem Allgemeinen, d. i. selber das Allgemeine. Darin liegt der wesentliche neue Schritt, den die Lehre vom Begriff eröffnet: das Allgemeine ist nicht lediglich die negative Einheit der Besonderen, das hieße, es mit den Mitteln der Wesenslogik zu erklären. Der Begriff geht darüber hinaus: »Das Allgemeine dagegen ist gesetzt als das Wesen seiner Bestimmung, die eigene positive Natur derselben.« (GW XII, 34) Daß die Bestimmung selbst zur positiven Natur des Allgemeinen selbst geworden ist, heißt, daß das Begriffsallgemeine nicht in Bestimmtheit übergeht und sich dahingehend verändert. Vielmehr manifestiert es sich als bestimmt, darin liegt die »positiv-vernünftige« der drei Seiten des Logischen (Enz. (1830) § 79). Der manifeste Begriff, das besonderte Begriffsallgemeine ist weder Besonderes, noch Allgemeines, sondern ein Drittes zu diesen: das Einzelne. Sein Gesetztsein ist das Ganze, nicht lediglich ein Aspekt oder Teil des Allgemeinen oder sein Anderes, an dem es scheint. Das Einzelne ist Totalität, nicht anders und in (aus) sich bestimmt. Es gilt deshalb: »Die Bestimmtheit ist als bestimmter B egriff aus der Äußerlichkeit in sich zurückgebogen« (GW XII, 36), so ist sie allgemein; was nichts als die deutsche Übersetzung dessen ist, daß der Begriff »immanente Reflexion« (GW XII, 35) ist. Durch sie gibt sich das Allgemeine seinen eigenen konkreten Inhalt. Das Allgemeine, das sich in seiner Besonderung konkretisiert und durch Unterscheidung als dasjenige entwickelt, was es ist, nämlich durchgängiges Allgemeines, wird in seiner Besonderung nicht eingeschränkt. Das entspräche der Vorstellung eines Allgemeinen als Inbegriff aller Realität, dessen partikuläre Instantiierungen jeweils nur verneinende Einschränkungen einer größeren, höchsten Realität darstellen. Hier kann genau genommen gerade nicht von einer Darstellung des Allgemeinen im Besonderen die Rede sein.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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Allgemeines und Besonderes sind in dieser Stellung einander gleichgültig, – ein wesenslogisches Verständnis des Allgemeinen. Das Allgemeine ist aber nicht »ein bloßes Aggregat von abgeleiteten Wesen«, welche Vorstellung vom »Urwesen« bereits Kant abweist (KrV, B 607), der davon spricht, daß das Allgemeine der »Möglichkeit aller Dinge« als Grund und nicht als dessen Inbegriff zugrundeliegt. Hegel verwirft – letztlich in einer Radikalisierung Kants – die Bestimmung des Grundes als hypostatisch, da sie die Unabhängigkeit zweier Substanzen suggeriert, die sich als wechselwirkend eins erwiesen haben. Daher kann er das Allgemeine nicht mehr als Grundverhältnis und – nach der Auflösung der Auseinanderordnung von Möglichkeit und Wirklichkeit – auch nicht als Möglichkeit ansprechen. Das Allgemeine ist ausdrücklich ein Sich-Spezifizierendes. Als innerer Schein ist das Besondere dem Allgemeinen keine Schranke, es bietet keinen Widerstand, weil es dem Allgemeinen nicht äußerlich ist. Weil sich das Allgemeine im Besonderen artikuliert, deshalb wird es in der Besonderung nicht eingeschränkt. Alle drei Momente des Begriffs sind in der Bestimmung der Allgemeinheit bereits durchlaufen worden10, ohne sie ist das Allgemeine selbst nicht zu bestimmen, denn: »Jede Unterscheidung konfondiert sich in der Betrachtung, welche sie isolieren und festhalten soll.« (GW XII, 50) Demnach ist keines der Begriffsmomente abstrakt bestimmbar, da der Begriff, indem er sich bildet und konkretisiert, immer alle drei Momente durchläuft. Das zeichnet die Begriffsmomente vor den Bestimmungen der Reflexion aus; dort sollte die Identität losgelöst und ohne Unterschied und Gegensatz/ Grund gelten (Enz. (1830) § 164A). Dadurch gilt der Begriff als Totalität, keines seiner Momente ist anders als die anderen und schließt sie aus, sondern jedes drückt das Ganze aus, »konfondiert sich«. Ein definitionsloses Allgemeines ohne durchgängige innere Differenzierung wäre schließlich lediglich reines
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Deswegen, so präzisiert Hegel, kann eigentlich nicht von dreien die Rede sein, da nur der abstrakte Verstand, der sich vom Inhalt des von ihm Gedachten fernhält, die untrennbaren Momente auseinanderhält und sie zählt. Prinzip der Zahl ist die Eins, entsprechend wird das, was gezählt wird je zu etwas Unabhängigen und Gleichgültigen gemacht. In diesem Zusammenhang steht auch Hegels Bemerkung über den Sinn eines logischen Kalküls: »Da der Mensch die Sprache hat als das der Vernunft eigentümliche Bezeichnungsmittel, so ist es ein müßiger Einfall, sich nach einer unvollkommeneren Darstellungsweise umsehen und damit quälen zu wollen.« (GW XII, 48) Die im Kalkül verwendeten Zeichen (Buchstaben und geometrische Figuren) können nur fixierte Bedeutungen tragen und stehen nur in äußerlichem Verhältnis zueinander, wohingegen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ungetrennte Begriffsmomente sind. Ihre Beziehung ist nicht lediglich eine des quantitativen Umfangs, sondern des darstellenden Ausdrucks. (Vgl. zur Kritik am logischen Kalkül auch GW IV, 26; man wird diese Kritik nicht undifferenziert auf die moderne Prädikatenlogik beziehen dürfen.)
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Sein, dies ist offensichtlich nicht das Begriffsallgemeine, vielmehr führte es zu ihm hin. Nun drängt sich die Frage nach einer konkreten Anwendung dieses Begriffs auf. Hegel nennt als Beispiele des wahrhaft Allgemeinen »Leben, Ich, Geist« (GW XII, 36). Sie sind nicht abstrakte Allgemeine von Bestimmtheiten niederer Art, sondern diese Formen sind »in ihrer Realität schlechthin nur in sich und davon erfüllt«. Jedes Lebendige und jedes daseiende Ich ist nicht lediglich ein Teil von Leben und Ich. Ebensowenig sind sie nur verschwindende Endliche und zufällige Instanzen von Leben und Ich. Das Lebendige (respektive Ich und Geist) ist vielmehr derart vom Leben erfülltes, daß es ganz, unmittelbar und einzig Leben ist. Hier besteht schlechthin kein Unterschied zwischen Lebendigem und Leben; so gibt es etwa für das Lebendige kein Leben auf Probe, das im Falle eines Mißlingens ausgetauscht werden könnte, wie sich ein Wesen verschiedene Gestalten geben kann. Für das Lebendige gibt es keine probehafte Distanzierung von seinem Leben, Ich, Geist, es ist in jedem Moment ganz Leben, Ich und Geist. Umgekehrt ist das allgemeine Leben in jedem Lebendigen voll und konkret, es subsumiert nicht einzelne Lebendige, sondern ist darin konkretisiert, ganz es selbst und bestimmt. Diese neue Form unmittelbarer Einheit, die Konkretion, ist das Individuum, darin gibt sich der Begriff Realität. Der Begriff kennt keine gegenständlichen Objekte, die er versammelt, sondern er ist sein eigenes ›Objekt‹, d. i. er ist Subjekt. Doch was haben wir nun, zugegebenermaßen unter Hegels Anleitung, getan? Wir haben den Begriff angewandt. Damit haben wir ihn als ein abstrakt Allgemeines behandelt, das der Erfüllung durch an sich seiende, gegebene Instanzen (eben das konkrete Lebendige, Ich, Geist) bedürftig ist und diese subsumiert. Einen Begriff anzuwenden heißt immer, ihn als Subsumtionsallgemeines oder als leere Schublade zu behandeln (vgl. GW XII, 58). Das Begriffsallgemeine hat sich aber durch seine Spezifizierung selbst bestimmt. Es muß nicht mehr durch Anwendung inhaltlich gefüllt werden. Weder bedarf es einer komplementären Anschauung noch braucht es Bestätigung durch eine – wie auch immer geartete – Realität, denn diese wird sich der Begriff selber geben. Zumal das konkrete Lebendige kein gegebenes an sich ist, taugte es auch gar nicht als unmittelbares Anschauungsmaterial des Begriffs. Die Vorstellung des abstrakten Subsumtionsallgemeinen krankt von beiden Enden, sowohl von ihrem Begriff des Begriffs als auch von ihrem Objektbegriff her. – Entsprechend schränkt Hegel die ›Veranschaulichung‹ des Begriffs durch Leben, Ich und Geist ein, sie sind »wohl auch nur bestimmte Begriffe«, das heißt sie sind bereits Verendlichungen der schöpferischen Macht des Begriffs. Damit stehen sie nicht außerhalb des
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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Begriffs, denn die Verendlichung des Begriffs ist immer noch er selbst. Daher kann Hegel den Begriff des Begriffs auch als »freie Macht« (GW XII, 35) bestimmen, die er näher als »freie Liebe und schrankenlose S eligkeit« anspricht: Der Begriff bestimmt, so ist er mächtig. Der Begriff teilt sich (indem er sich unterscheidet, teilt er sich und teilt sich rückhaltlos mit), so ist er liebend und läßt bedingungslos Anderes sein. Dieses Anderssein kehrt aber wieder in den Begriff zurück, da er dasjenige ist, was wahrhaft ist und gilt. Der sich dergestalt ausbildende Begriff schließlich ist bedürfnislos und selig, er unterliegt keiner Notwendigkeit zur Veränderung, sondern er entwickelt sich im freien Spiel. Die Verendlichung im bestimmten Begriff, die wohl nicht außer dem Begriff und von ihm losgelöst dasteht, löst sich aber noch im »wahrhaft absolute[n] Begriff, als Idee« (GW XII, 36) auf. Der bestimmte Begriff ist nicht der wirkende (sich spezifizierende) Begriff, so fällt jener gewissermaßen unter diesen. Der Begriff des Begriffs aber hat durch seine innere Konkretion keinen Gegenstand außerhalb seiner selbst, auf den er angewandt werden könnte. Von seinen Erscheinungsweisen in der Philosophie der Natur und des Geistes ist der logische Begriff nicht abhängig. (b) Der Begriff bestimmt sich nicht im Vergleich zu etwas anderem, ebenso ist das bestimmte Besondere nicht das vom Begriff abgesonderte. Von der Sonderung durch einen Unterschied lebend, ist das Besondere nicht – wie die Bestimmtheit im Sein – von einem Anderen unterschieden und ebenso ist es nicht – wie in der Zerfallslogik der Identität innerhalb der Lehre vom Wesen – losgelöst und gleichgültig gegenüber der bestimmenden Differenz. Die Bestimmtheit als Besonderheit ist nicht anders oder gleichgültig, sondern »das eigene immanente Moment des Allgemeinen« (GW XII, 37). War bereits deutlich geworden, daß sich das durchgängige Allgemeine selbst spezifiziert und besonders wird, so wird nun zu betrachten sein, wie das Besondere das Allgemeine ist. Nur durch die Betrachtung aus dieser ›entgegengesetzten‹ Richtung wird die spezifische Funktion des Besonderen deutlich, andernfalls bliebe der Unterschied des Besonderen zum Allgemeinen un(ter)bestimmt. Wir sahen: Indem das Allgemeine sich bestimmt, ist es Besonderes, fände dieses Bestimmen nicht statt und schlösse das Allgemeine umgekehrt das Besondere aus, so wäre es selbst besonders. Die Spezifikation des Allgemeinen hat also prinzipielle Bedeutung: Wer sie bestreitet, der setzt sie voraus. Hierin zeigt sich die dem dialektischen Bestimmen eigene Form der Notwendigkeit: Die Einrede gegen den Bestimmungsweg widerspricht sich selbst. Das Besondere nun ist nicht von einer Bestimmtheit, die außerhalb des Allgemeinen liegt, es ist nicht besondert vom Begriffsallgemeinen (nicht: hie Allgemeines, da Besonderes), sondern von anderem Besonderen. All seine Bestimmung aber hat es vom Allgemeinen, – die Art ist nichts anderes als
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
die Gattung. Wohl ist das Besondere nicht einfach gleich oder einerlei mit dem Allgemeinen, sondern es ist unterschieden, jedoch als Unterschied des Allgemeinen, das heißt als Setzung des Allgemeinen. Das Allgemeine wird nicht zum Besonderen verändert und es geht nicht dahinein über, sondern es ist »B estimmen« (GW XII, 36) des Besonderen. Die Bestimmtheit des Besonderen ist nicht dessen unabschließbare Verschiedenheit von anderem Besonderen (von potentiell unzähligen Arten), sie ist vielmehr genau definiert: Sie liegt in nichts anderem als im Unterschied des Besonderen zum Allgemeinen.11 Wird dieser Unterschied gesetzt (indem Besonderes und Allgemeines entgegengesetzt werden), so ist wiederum das Allgemeine ebenso Besonderes, wie das Besondere. Das Allgemeine wird also selbst das Besondere. Zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen, sowie zwischen den Besonderen gibt es nur Einen Unterschied. Dieser ist die »Eine Bestimmtheit, die Negativität« (GW XII, 38), dadurch ist das Besondere durchgängig und genau bestimmt. In diesem durchgängigen Bestimmtsein erweist sich das Besondere schließlich als Allgemeines, seine Negativität ist eben jene des Allgemeinen: Eine Bestimmtheit. Das Begriffsallgemeine, das sich zum Besonderen bestimmt, kommt also darin auf sich selbst zurück. Der Begriff ist selbstreferentiell. Damit wird die spezifische Funktion der Selbstreferenz des Begriffs und seiner Besonderung deutlich, die Hegel folgendermaßen faßt: »Das Besondere enthält also nicht nur das Allgemeine, sondern stellt dasselbe auch durch seine B estimmtheit dar« (GW XII, 37). Besonderheit und Allgemeinheit bilden eine Darstellungseinheit: Sie treffen sich in ihrem Einen Unterschied. Daß der Unterschied einer ist, könnte als ›Kurzformel‹ für den Begriff des Begriffs gelten. Zu dieser Einsicht sind wir bereits durch die Bestimmung des Wesens geführt worden, entsprechend schwer fällt es nun, davon den neuen, durch den Begriff ermöglichten Schritt zu differenzieren. Diese Schwierigkeit liegt aber nicht an der Geringfügigkeit des Unterschiedes, sondern eher daran, daß der hier eröffnete Unterschied einen Unterschied im Ganzen darstellt. Was also heißt (i) ›sich im Einen Unterschied treffen‹ und was ist (ii) die exakte Bedeutung von Darstellung? (i) Das Treffen im Unterschied ist zunächst unterschieden von der seinslogischen Wirkungsweise des Unterschiedes, denn im Sein führte der Unter-
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Aufgrund dieser genauen Definition vertreibt der Begriff die »Bewunderung« (GW XII, 39) ob der unendlichen Verschiedenheit etwa in den Gestaltungen der Natur, denn die Bewunderung ist noch ohne Begriff; der Begriff setzt dem Staunen ein Ende. So ist das Staunen wohl Anfang der Philosophie (Aristoteles, Metaphysik I 2, 983a 14), es ist aber, wie vom Anfang überhaupt, von ihm aus fortzuschreiten.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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schied den Übergang der einzelnen Positionierungen herbei. Ebenso ist es zu unterscheiden von der wesenslogischen Geltendmachung des Unterschiedes, zwar »beginnt [im Wesen] die Einheit des Begriffs gesetzt zu werden« (GW XII, 38), diese differenzierte Einheit wird aber nur in ›verhältnismäßiger‹ Auseinanderordnung (von Relation und Relata) faßbar oder sie führt zur Auflösung, in der kein Unterschied mehr erkennbar ist. Im Begriff treffen sich Allgemeinheit und Besonderheit nun im einen Unterschied, der die eine Bestimmtheit von beiden ist, deren Bestimmung es ist, sich zu unterscheiden und die so, indem sie freie Macht des Unterschiedsetzens sind, ›beide‹ gleichermaßen jeweils der ganze Begriff sind.12 Zwischen dem geeinten Unterschied und der Bestimmtheit (zwischen Allgemeinem und Besonderem) ist nicht mehr zu trennen, so ist die Einheit des Unterschiedes im Begriff Ausdruck von dessen Selbstreferenzialität. »Das Übergehen und die Auflösung dieser [seins- und wesenslogischen] Bestimmungen hat nur diesen wahren Sinn, daß sie ihren Begriff, ihre Wahrheit erreichen« (GW XII, 38); wie eingangs erwähnt ist der Begriff telos. Der geeinte Begriffsunterschied ist wahrer Sinn aller bisherigen Unterscheidungen, die hier ihre immer schon vorausgesetzte Einheit finden und in sie eingehen. Wie nämlich können Allgemeinheit und Besonderheit, die doch unterschieden sind, von einer Bestimmtheit sein? Eben indem der Unterschied ihre Bestimmtheit ist, in die Einheit des Unterschiedes geht alles logische Bestimmen ein. Weil der Unterschied aber nun zur Einheit geworden und nicht mehr Gegensatz zu irgendetwas anderem ist, deshalb gibt es keinen Schein mehr. Die bisher flüchtige Realität des Unterschieds tritt hervor, was in der hier erstmals möglich werdenden Darstellung geschieht. In dieser Darstellung erweist sich die Selbstreferenzialität des Begriffs als Eröffnung eines Bezugs, in dem sich der ›Unterschied im Ganzen‹ auftut. (ii) Die Darstellung als Tätigkeit des Begriffs ist von den bisherigen Realisierungsweisen des Seins im Dasein und des Wesens im Hervortreten zu unterscheiden. Im Dasein zeigte sich eines, ein anderes zu sein und das Hervortreten (»das wesentliche S ein, die Existenz«; GW XI, 323) ist zwar im Wesen gegründet und somit nicht mehr einfach übergängig, aber es hat seinen Halt nur in der reflexiven Auseinanderordnung, es scheint in Anderes. Was macht dahingegen die Darstellung aus? Als eine Übersetzungsvariante (neben der üblicheren »Vorstellung«) von repraesentatio ist der Terminus der Darstellung mit einer weitverzweigten Geschichte verbun-
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Bestimmung, Bestimmtheit und ganzer Begriff zu sein, sind die funktionalen Bestimmungen jedes Begriffselementes (vgl. GW XII, 32 und 51).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
den.13 Die repraesentatio ist Grundbegriff jedes Denkens, insofern es Etwas als Etwas bestimmt denkt und immer fragt, warum und woher etwas so ist, wie es ist. Mit dem Begriff der Darstellung wird also ein Vermittlungsgeschehen erfaßt. Daher ist Darstellung notwendig eine Sache des begrifflichen Denkens und nicht der unmittelbaren Anschauung und ihres Anspruchs auf unmittelbare Gewißheit. Die repraesentatio bezeichnet dabei die Weise, wie Etwas1 für etwas (das Denken) als Etwas2 ist: Etwas2 ist die Wiederholung (re-) des Etwas1, ohne die es nur ein Sein wäre, das Nichts ist. Die Repräsentation wurde daher bei Hegel nicht lediglich als Vorstellung eines gegebenen, gegenständlichen Gehalts bestimmt, sondern sie wurde zur ursprünglichen Wiederholung. Dabei stellt die Repräsentation, d. i. der Gedanke, den das Denken denkt, keine Wiederholung des Denkens dar, in welchem Falle das Denken nur ein Gedanke wäre. Das Denken aber ist nicht Gedanke, es hat Gedanken. Das selbstreferentielle Denken, das Gedanken denkt, die durch es selbst erzeugt werden und nicht von außen in es hineingelangen, ist nicht bloß bei sich bleibende Wiederholung ein und desselben in ein und demselben. Vielmehr erzeugt die Selbstreferenzialität des durchgängig (d. i. allgemeinen) bestimmten (d. i. besonderen) Begriffs einen Bezug, der eben die Darstellung ist: Der Begriff beharrt nicht auf sich, sondern geht in der Darstellung seiner über sich hinaus, er realisiert sich. In der Realisierung bleibt der Begriff nicht einfach bei sich, er bringt die eigene Wirklichkeit des Gedachten zur Geltung, das nicht lediglich als ein anderes und bereits vorhandenes von der Bezugnahme durch den Begriff unberührtes intentum hingestellt, sondern als durch den Begriff vermittelt und darin selbst es selbst seiend begriffen wird. Das, was das Denken ursprünglich wiederholt (re-), ist die praesentatio des Seins, die nur innerhalb des Denkzusammenhangs stattfindet. Sein wird nicht einfach vorgefunden, sondern im Denken hervorgebracht. In dieser Präsentation zeigt sich, daß das Denken kein Gedanke ist. Umgekehrt ist das Sein nicht mehr eigentlich Präsentation, wie es zu Anfang behauptet wurde, – zumal diese sich ja bereits als Nichts erwiesen hat. Das Sein befindet sich in einer widerstrebenden Fügung mit dem Denken, denn es ist weder von diesem abhängig, da es nur es selbst ist, noch ist es losgelöst davon, denn ohne daß es gedacht wird, ist es nicht. Das Sein selbst ist Darstellung: Als Resultat der Selbstvermittlung von Allgemeinem und Besonderem im Begriff ist es Referent des Begriffs, nicht bloßes, leeres Sein. Das darstellende Sein hat Bestimmtheit, Bestimmung und ist ganzer Begriff, es wird zum erfüllten Sein. 13
Zu dieser Geschichte sei auf den Artikel »Repräsentation« in Ritters Historischem Wörterbuch der Philosophie verwiesen.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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In unserem Zusammenhang von besonderem Interesse und darüber hinaus der direkte Anknüpfungspunkt Hegels ist der Begriff der Darstellung in seiner Verwendung bei Kant.14 Die Darstellung ist für Kant jene versinnlichende Anschauung des Begriffs, der dieser seine Realität verdankt: »Die Realität unserer Begriffe darzuthun, werden immer Anschauungen erfordert.« (KdU § 59, B 254) Die »Versinnlichung« (B 255) des Begriffs nennt Kant im weiteren »Hypotypose (Darstellung […])«, ohne sie könnte der Begriff nicht anschaulich gefüllt werden, er bliebe leer. Da dem Begriff aber keine mögliche Anschauung entspricht und ohne diese Entsprechung die Begriffe nicht begreifen, mithin transzendent wären, muß es ein Drittes zu Begriff und Anschauung geben, das in »Gleichartigkeit« (KrV, B 177) steht. Dieses Dritte ist die Darstellung. Dabei ist die Darstellung für Verstandes- und Vernunftbegriffe von verschiedener Art: Erstere werden »schematisch« (dazu KrV, B 176 ff.) und letztere »symbolisch« gemäß einer Analogie dargestellt, da der Vernunft keine sinnliche Anschauung korrespondieren könne. So faßt Kant etwa die Schönheit als Symbol der Sittlichkeit und die Zahl als Schema der Quantität (KrV, B 182). Die Darstellung macht ein notwendiges Komplement zur Realität des Begriffs aus, sie erbringt aber keinen eigentlichen ›Mehrwert‹. Das Verhältnis von Begriff und Anschauung bleibt das
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Ein großer Teil der Geschichte des Repräsentationsbegriffs beschäftigt sich mehr mit psychologischen Fragen der Repräsentation, doch ist auch die religiöse und politische Dimension des Begriffs bedeutungsvoll, in beiden Sphären wird dieser Vermittlungsbegriff beansprucht. – Auf Kant weist in diesem Zusammenhang zuletzt auch Wildenauer (2004) hin. Sie liest von daher die Lehre vom Begriff als Kritik des Objektbegriffs der transzendentalen Deduktion Kants (28), und stellt sich damit gegen Theunissens Meinung (1978: 41 ff.), die Lehre vom Begriff falle hinter die kritische Absicht der objektiven Logik zurück und installiere lediglich eine »Herrschaftstheologie« (44) die eine Anpassung an eine metaphysische Theologie darstelle. In einer Theorie des ›logisch freien Denkens‹ (Wildenauer 2004: 45) zeige Hegel den Begriff, der sich seine eigene Anschauung gibt. Bezüglich dieser Anschauungsgabe bleibt Wildenauer aber ganz auf der Linie Kants. So sagt sie: »Im Begriff der logischen Idee als solcher wird der Begriff als einer gedacht, der sich in der Form äußerlichen Daseins darstellt.« (50) Die Anschauung des Begriffs soll daher gerade nicht mehr begrifflich sein, sie ist ein Dasein, nur daß nun von ihm behauptet wird, der Begriff habe dieses hergestellt. Somit wird die Idee, der absolute Begriff, letztlich als epistemisch verstanden: »Erst durch das Erfassen seiner [des Begriffs, d.V.] als in der Form äußerlichen Daseins Dargestellten verfügt man über einen intensionalen Gehalt seiner, der es erlaubt, in der Anschauung repräsentierte Gegenstände als Elemente seiner Extension zu identifizieren.« (91) Andernfalls wäre der Begriff abstrakt. Das ist aber eben die Lehre Kants, wonach der Begriff auf anschauliche Erfüllung angewiesen ist. Dagegen sehen wir am gegenwärtigen Punkt des ›Gedeihens‹ des Begriffs bei Hegel, daß sich der Begriff bereits als Begriff in der Besonderheit darstellt, und daß er nicht erst eines äußerlichen Daseins bedarf. Wildenauer geht jedoch auf dieses Moment in der Entwicklung des formellen Begriffs nicht ein.
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einer bloßen Entsprechung, es ist ein wechselseitiges Abbildungsverhältnis. – Mit dem in der Logik erworbenen logischen Begriff können wir ergänzen: Anschauung und Begriff stehen in einem Verhältnis, in dem Relation (Schema, Symbol) und Relata (Anschauung und Begriff ) getrennt bleiben. Die Darstellung ist hier eigentlich eine »Vorstellungsart« (KdU, B 255), sie ist Verbindung zweier ursprünglich getrennt Bestehender, die erst in der Verbindung real genannt werden können, d.i weder leer noch blind sind. Für Kant ist die Darstellung lediglich Anzeige der Korrespondenz des Begriffs, die er dessen Realität nennt, nicht aber ursprünglich für diese. Diese Rolle kommt dem Sein zu. Der anschaulich realisierte Begriff besitzt nicht aus sich heraus Realität. Deshalb ist die Darstellung auch keine ursprüngliche Darstellung und insofern die Darstellung immer einen eigenen Wert besitzt, indem sie nämlich hervorbringt, was andernfalls nicht bestünde, eigentlich eine Vorstellung zu nennen15, die eines unter ein anderes subsumiert; folglich nennt Kant als lateinisches Synonym »Darstellung, subiectio sub ad-spectum«. Hegel kann sich daher bezüglich des Gedankens der Realisierung des Begriffs zwar auf Kants Darstellungsbegriff beziehen, er kann sich jedoch nicht auf diesen verlassen. Da der Begriff nicht lediglich subjektiv in einem Verhältnis zu Objekten und deren Korrespondenz in einem äußerlichen Dritten vorgestellt werden soll, sondern als Subjekt gedacht wird, das sich eine Beziehung zur durch ihn hervorgebrachten Objektivität gibt, deshalb ist auch die Darstellung anders bestimmt als bei Kant. Wenn Hegel davon spricht, daß das Besondere durch seine Bestimmtheit das Allgemeine darstellt, so kann die Darstellung nicht nur Bezeichnung einer vorliegenden Korrespondenz (von Allgemeinem hie und Besonderem da) sein, sondern sie ist ein Akt und Erzeugnis des Besonderen selbst. Damit werden wir auf den Begriff der künstlerischen Darstellung gewiesen: Nicht Nachahmung im Sinne der Abbildung bereits vorhandener Dinge oder geschehener Taten ist Aufgabe des Künstlers. Das hieße, ihn mit dem Kopisten zu verwechseln. Wo Kunst sich nur derart nachahmend versteht, da ist ihr kein künstlerischer Ausdruck zu eigen, sie äfft lediglich nach. Hingegen gilt für die Kunst, was auch für die Philosophie maßgeblich ist, nicht Erzählung (Abbildung) all dessen zu sein, was geschehen ist, sondern aufzuzeigen, was daran wahr ist. Das bedeutet für die künstlerische mimesis, daß sie nicht nur Wiedergabe von Vorhandenem, überhaupt nicht Nachahmung, sondern 15
Zudem ist folgendes an Kants Konzeption fragwürdig: Auch die Gleichartigkeit in einem Dritten kann nur bestehen, wenn die Anschauungen und Erscheinungen begrifflich geordnet sind. Sind sie das aber, dann wird ein äußeres Verbinden überflüssig. Schließlich sind die Kategorien und Begriffe neben dem Schema solche, die gar nichts begreifen und – mit Hegel zu urteilen – bloß metaphysische Vorstellungen.
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Darstellung und Hervorbringung von einem ist, das durch mimesis präsent wird.16 Diese Präsenz, die das Kunstwerk schafft, macht dessen ›Eigenleben‹ aus, sie verleiht dem gelungenen Kunstwerk die Kraft, uns zu ergreifen und macht es ›objektiv‹. In diesem Sinne verleiht die Darstellung Lebendigkeit. Die Darstellung ist also ursprünglich, weil es das Dargestellte erst durch sie gibt. Hegels Gedanke ist nun, daß die Spezies nicht unvollkommene, eingeschränkte Nachahmung des Allgemeinen ist, sondern dessen ursprüngliche Darstellung. Das heißt, die im Besonderen resultierende Darstellung ist Ursache des Dargestellten, sie ist dessen Zweck. Zwischen Allgemeinem und Besonderem besteht weder eine Dichotomie noch ein hierarchisches Wertgefälle wie zwischen einem Paradigma und dessen Abbild, sondern das Besondere ist im vollen Sinne Verwirklichung des Allgemeinen und daher dessen Darstellung. Durch seine Bestimmtheit stellt das Besondere das Allgemeine dar. Die Bestimmtheit des Besonderen macht aber zunächst dessen Unterschied vom Allgemeinen aus, wie kann da die Besonderheit durch die Bestimmtheit das Allgemeine darstellen? Nicht so, daß das Besondere einfach von sich auf das Allgemeine fortverwiese. In diesem Falle wäre gerade die Abstraktion von der Bestimmtheit die Darstellung des Allgemeinen. Durch Abstraktion wird aber nichts dargestellt, sondern im Gegenteil etwas verborgen: Das Allgemeine wäre bloß Allgemeines, also eigentlich reines Sein und das heißt Nichts. Das Besondere ist kein von sich wegverweisendes Zeichen, wie etwa ein Verkehrsschild, das auf eine allgemeine Regel verweist, ohne selbst und als solches (für sich) etwas darzustellen. Wird das Besondere nur als Zeichen für ein Anderes verstanden, so entbehrte es der eigenen – die Darstellung auszeichnende – Lebendigkeit und deren Selbstbezüglichkeit. Doch nun braucht lediglich erinnert werden, was vom Besonderen bereits bekannt ist: Es ist von einer Bestimmtheit, hat eine Bestimmung und ist so ganzer Begriff. Weil das Allgemeine sich negierendes ist, wird es immer schon Besonderes. Das Allgemeine ist also ein Unterscheiden, welches das Besondere (gleichfalls) ist. Weil auch das Besondere ein Unterschied ist, genauer ein Sichvon-sich-Unterscheiden, deshalb vollzieht es dieselbe Bewegung wie das 16
mimesis ist ein originärer Begriff der Philosophie Platons, der sie als ein Bilden und Hervorbringen (poisis) von Bildern definiert (Sophistes 265b). Somit bezeichnet mimesis auch bei Platon kein geistloses Kopieren, sondern sie ist vergegenwärtigendes (nicht verdoppelndes) Darstellen. Zum Kopieren wird sie, wo ihr das unwahre Vorbild bloßen sinnlichen Gegebenseins zugrundegelegt wird. Vgl. zur Vielschichtigkeit der Bedeutung von mimesis, die sich am Objekt der Nachahmung entscheidet, Büttner (2006: 21–26 zu Platon und 62–67 zu Aristoteles’ Begriff der Kunst als Nachahmerin der schaffenden physis).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Allgemeine, genauer: es ist dessen (Verwirklichungs-)Bewegung. Somit ist das Besondere aber nicht von einem anderen bestimmt, es stellt keine bloße Beschränkung dar, sondern es ist selber durchgängig bestimmt. Als es selbst, als Bestimmtheit stellt es somit das Allgemeine dar, das ohne diese Darstellung keineswegs bestünde, sondern nur in ihr es selbst ist. Das Begriffsallgemeine ist keine Abstraktion, sondern es hat seinen eigenen Inhalt, das Besondere. Wie sich das Allgemeine im Besonderen erhält, so erhält sich auch das Besondere im Allgemeinen, denn es ist das ganze Allgemeine, nicht lediglich eine in diesem verschwindende Teilvorstellung. Das ist zu unterschieden von dem Verhältnis bloßen einander Enthaltens, in dem das eine das andere so umfaßt, daß es darin verschwindet. Das sicherhaltende Besondere kommuniziert (Hegel spricht von ›Koordination‹; vgl. GW XII, 38) mit dem Allgemeinen, deshalb kann es dessen Darstellung sein. Wenn nun das Besondere, das selbst das Allgemeine ist, eben dieses darstellt, so ist die Darstellung Selbstdarstellung. Was sich selbst darstellt, ist Subjekt. Die Bestimmung des Begriffs erfährt dadurch eine weitere wesentliche Modifikation: Das Allgemeine ist nicht abstraktes Allgemeines und das Besondere nicht bloß Besonderes, sondern Darstellung, nämlich des Allgemeinen, also gewissermaßen nicht seiner selbst und doch auch seiner selbst, da es ja Verwirklichung des Allgemeinen ist. Als Selbstdarstellung kann der Begriff folglich weder als allgemein, noch als besonders angesprochen werden. Er weist in seiner Selbstreferenzialität über die Beziehung von Allgemeinheit und Besonderem hinaus, die Darstellungseinheit von Allgemeinem und Besonderem ist weder das Allgemeine noch das Besondere, sondern ein Drittes: Der Begriff ist Einzelnes. Prinzip der Individuation ist mithin der Begriff selbst und nicht die ›Form‹ der Materie. 17 Weil der Unterschied nicht als selbständiger Gegensatz und 17
Das Einzelne, das der Begriff ist, ist das begrifflich vermittelte Individuum, nicht irgendein partikuläres sinnlich Vereinzeltes. Von denen müßte immer als von den Einzelnen gesprochen werden, etwa bezüglich der zahlreichen und nicht a priori einzugrenzenden Arten von Papageien oder, für den Bereich des nicht-sinnlichen, im Blick auf die unbegrenzte Zahl, die endlos erweitert zu werden vermag. So könnte man, den Begriff irreführenderweise anwendend, sagen: Der Begriff ist als Einzelner der Mensch, nicht aber Andreas oder Anne, deren Existenz zufällig ist. Horn (1982) weist darauf hin, daß Hegel damit zu einer Bestimmung des Individuums gelangt, die derjenigen des Thomas entgegengesetzt ist (vgl. Summa theologica I 29, 4c: »Individuum […] est, quod est in se indistinctum, ab aliis vero distinctum.«). – Für Hegels Theorie der Individuation wäre weiters die Phänomenologie und darin insbesondere Kapitel V. a.b. Die Beobachtung des Selbstbewußtseins in seiner Reinheit und in seiner Beziehung auf äußre Wirklichkeit; logische und psychologische Gesetze von Interesse. Darauf näher einzugehen ist hier nicht möglich, lediglich einige entscheidende Worte seien zitiert, in denen Hegel drei Stadien der Individuation benennt, die vom Weg der Konkretion des
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dementsprechend flüchtig im plötzlichen Umschlagen erscheint, sondern in darstellender Funktion ›sich zeigt‹ und erhält, deshalb kann Hegel sagen: »Wie sich der Unterschied hier zeigt, ist er in seinem Begriff und damit in seiner Wahrheit.« (GW XII, 38). Darin liegt das Spezifikum der Darstellung des Begriffs gegenüber Sein und Wesen und darin unterscheidet sich das Begriffsallgemeine vom abstrakten Allgemeinen: Bei diesem soll nur die einheitliche Bestimmtheit festgehalten werden, dergegenüber der Unterschied (durch den Bestimmtheit ja erst besteht) äußerlich sein soll. Das abstrakte Allgemeine wird dem Besonderen gegenübergestellt. Weil es aber erst das Resultat dieser Gegenüberstellung ist, deshalb ist das abstrakte Allgemeine keineswegs als ›Element des Denkens‹ zu bezeichnen, es ist dessen Ergebnis. Beim abstrakten Allgemeinen stimmen bestimmter Inhalt und unbestimmte, nämlich unmittelbare Form nicht überein. Das Begriffsallgemeine hingegen trägt das Signum der Wahrheit: Inhalt und Form stimmen hier überein, sie sind der Eine Unterschied. Das Einzelne ist daher in sich unterschieden. Ein Begriff ohne diesen immanenten Unterschied, ein Begriff, der nicht Darstellungseinheit wäre, wäre bloß »begriff lose[r] Begriff« (GW XII, 40). (c) Als Besonderes stellt das Besondere das Allgemeine dar, denn das Allgemeine ist konkretes und sich differenzierendes Bestimmen und der Unterschied daher dem Allgemeinen immanent und nicht äußerlich. Das Begriffsallgemeine ist bestimmt und nicht leer. Der immanente Unterschied ist somit »Begriffsunterschied« (GW XII, 41). Die Bestimmtheit des Besonderen stellt nicht ein anderes dar, welches das Besondere selbst nicht ist, sondern nur sie selbst: Nicht durch ein gegebenes und unvordenkliches Anderes findet sich das Besondere bestimmt. In seiner Bestimmtheit ist es vielmehr es selbst, von unbegrenzter Geltung, allgemein. Es ist für sich. In seiner Bestimmtheit, nicht in der Abstraktion davon, ist es Allgemeines. Besonderes und Allgemeines bilden eine Einheit. Mit der bereits in der Seinslogik verwendeten Wegmetaphorik (GW XI, 82) kann Hegel sagen: »Die Rückkehr des bestimmten Begriffes in sich ist, daß er die Bestimmung hat, in seiner Begriffs bestimmt sind: »Individualität aber ist gerade dies, ebensowohl [i] das Allgemeine zu sein, und daher auf eine ruhige unmittelbare Weise mit dem vorhandenen Allgemeinen, den Sitten, Gewohnheiten u. s. f. zusammen zu fließen und ihnen gemäß zu werden, als [ii] sich entgegengesetzt gegen sie zu verhalten, und sie vielmehr zu verkehren, – sowie [iii] gegen sie in ihrer Einzelheit ganz gleichgültig sich zu verhalten, sie nicht auf sich wirken zu lassen, und nicht gegen sie tätig zu sein. Was auf die Individualität Einfluß und welchen Einfluß es haben soll […] hängt darum nur von der Individualität selbst ab; dadurch ist diese Individualität diese bestimmte geworden, heißt nichts anders, als sie ist dies schon gewesen.« (GW IX, 170) Horn führt Hegels Individuationstheorie mit Blick auf die darin begründete Pädagogik näher aus.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
B estimmtheit der ganze Begriff zu sein.« (GW XII, 51) Das Bestimmte, das ein Ganzes ist, ist System: Die Bestimmtheit ist keine Beschränkung und sie führt hier nicht zu zusammenhangloser Auseinanderordnung (zu Entfremdung), sondern sie ist durchgängige, mit sich einige und selbstgenügsame Bestimmtheit. Diese Struktur der sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheit, die nicht abstrakt-allgemein und ebenso nicht bloß-besonders ist, ist das Dritte zur Allgemeinheit und Besonderheit des Begriffs. Weder ist das in sich bestimmte Bestimmte durchgängig wie das Allgemeine noch ist die Struktur lediglich eines der Besonderen, denn sie ist Totalität und mithin einzig: Sie ist die Einzelheit. Aufgrund der durchgängigen Systematizität des Einzelnen hilft hier kein bloßes Benennen mehr, nicht vom Namen wird das Einzelne eingeholt, sondern nur in der Entfaltung seines Begriffs. Die Einzelheit ist der authentische Ausdruck des Allgemeinen, das nicht unbestimmt bei sich bleibt, sondern sich durch Besonderung darstellt und darin nicht ein Anderes (nicht mehr Allgemeines) wird, sondern ursprünglich selbstdarstellend ist: Das Einzelne ist einmalig (wie das Allgemeine) und dabei bestimmt (wie das Besondere). Die Allgemeinheit geht nicht in anderes über, sondern sie ist im Einzelnen gesetzt, wie sie an und für sich ist. Weil diese Selbstdarstellung im Einzelnen nicht bloß bei sich bleibt, nicht nur Wiederholung ein und desselben ist, sondern mit Unterschied gedacht und ursprunggebend ist, deshalb ist sie nicht selbstisch wie die umgangssprachlich sogenannte Selbstdarstellung des endlichen, partikulären Subjekts. Führte die in der Wechselwirkung heraufgeführte Einheit von Relation und Relata in eine bewegungslose Indifferenz, so ist die Einheit von Allgemeinem und Besonderem im Begriff das für sich bestimmte Bestimmte: Individuum. Das Einzelne ist nicht quantitativ zu verstehen, es ist differenziert und zugleich bei sich selbst. Das Individuum ist nicht Ende und Stillstand wie die wechselwirkende Substanz, sondern sich entwickelnd. In der Entwicklung des Individuums findet das ›Gedeihen‹ des Begriffs statt, sie ist die Betätigung seines Inhalts. Darin unterscheidet es sich von sich (regula veri) und wird, was es doch schon war (to ti n einai), so daß das Individuum freier Begriff und Ausdruck der Wahrheit ist. Mit dem Einzelnen ist daher das ›Reich der Freiheit‹ eröffnet: Es ist Darstellung des eigenen Bestimmens, darin drückt es das Wahre aus, weil hier das Resultat als ein Anfang gesetzt ist, das Wahre mithin nicht zum gegenständlichen Objekt gemacht wird, sondern Subjekt sein kann; oder – mit dem Bild aus dem Geist des Christentums – das wahre Einzelne ist ein Quellen und kein bewegungsloses Beobachten, nicht substantialisiertes und stillgestelltes Ergebnis. Doch das Bild des Quellens läßt sich nun auf den logisch einfachen Nenner bringen, Bestimmen seiner selbst zu sein.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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So wird auch nochmals deutlich, was der Begriff und das Einzelne nicht ist. Die Rede ist hier nicht von einem bestimmten Begriff, etwa vom Begriff des Menschen, des Vogels oder des Tischs. Bei diesen ist das Einzelne ein endliches und partikuläres, etwa dieser Tisch, an dem ich sitze.18 Dieser Tisch ist, wie alles Bestimmte, bestimmt durch Negation, diese bestimmende Negation eröffnet in diesem Falle eine unabschließbare Vielfalt von Beziehungen zu endlos vielen, äußerlichen Anderen. Die Negation ist dem Tisch selbst äußerlich, entsprechend ist das Allgemeine dieses Tisches, die »Tischheit« lediglich ein abstraktes Allgemeines. Es ist die Merkmalseinheit, die das Gemeinsame aller Tische bezeichnet, die sich aber in keinen einzigen Tisch spezifiziert.19 Als solch eine Merkmalseinheit, die wir durch Vergleich von Einzelvorstellungen, Festhalten ihrer Gemeinsamkeit und Abstraktion von ihren Unterschieden erhalten, bestimmt auch Kant den Begriff des Begriffs in seiner Logik von 1800 (Logik (Ein Handbuch zu Vorlesungen) § 6, AA, Bd.9, 94). Der als Merkmalseinheit bestimmte Begriff ist nicht konkret, er ist der begriffslose Begriff. Versuchte man, mit solchen Begriffen die Wirklichkeit zu denken, dann erfasste man immer weniger als die Wirklichkeit (vgl. Schick 1994: 72). Begriffe wie Menschheit, Vogelheit und Tischheit sind abstrakte Vorstellungen, sie drücken nur die Allgemeinheit ohne ihre Momente Besonderheit und Einzelheit aus. Abstrakte Vorstellungen aber vermögen nicht, Darstellung zu sein.20 Das Begriffsallgemeine ist nicht nur solch ein Subsumtionsallgemeines von sinnlich faßbaren partikulär Einzelnen, sondern es unterscheidet sich selbst und hält sich in diesem Unterschied durch. Weil dieses Unterscheiden der eigene Akt des Begriffs ist, wird der Begriff nicht bestimmt, sondern er ist selbst das Bestimmen. Er ist freies Einzelnes, d. i. Individuum, nicht äußerlich geschieden, sondern in sich unterschieden. 18
Hegel schreibt hierzu in einer Anmerkung: »Wenn es bei der Abhandlung des Begriffs darum zu tun wäre, anzugeben, was es für bestimmte Begriffe gebe, so wären alle möglichen Bestimmungen anzuführen – denn alle Bestimmungen sind Begriffe, somit bestimmte Begriffe –, und alle Kategorien des S eins wie alle Bestimmungen des Wesens wären unter den Arten der Begriffe anzuführen.« (GW XII, 45 f.) 19 Mit einer Unterscheidung von Aristoteles (Analytica posteriora I 4, 73a28–74a3), der zwischen Begriffen kata pantos, kath’auto und katholou differenziert, kann ein derartiger Gemeinsamkeits-Begriff als kata pantos eingeordnet werden. »Körper« kann etwa von allen Menschen kata pantos ausgesagt werden. Der Begriff bezeichnet die Menschen aber nicht als Ganze (katholou), denn er blendet aus, was den Menschen zum Menschen macht (das kath’auto des Menschen; das Beispiel von Picht 1985: 259). Der katholou-Begriff erfaßt allgemein die Ganzheit der Individuen. Für Aristoteles scheint sich derart nur das atomon eidos zu qualifizieren. 20 Daher können derartige Begriffe von jedermann und für alles mögliche angeführt werden, sie verleiten zum Phrasendreschen; vgl. die Kritik, die daran bereits der frühe Hegel übte (GW I, 98).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Deshalb ist die organisierte Totalität des Begriffs auch Einzelnes und nicht die Einzelnen, es ist der eine Begriffsunterschied und nicht die unbestimmte Anzahl unterschiedener Einzelner. Weil das Individuum hier bereits ein von sich unterschiedenes, selbstbestimmtes Allgemeines ist, so macht es keinen Sinn, dabei von einer Vielheit der Einzelnen zu sprechen. Eine solche gibt es – qua Körperlichkeit – bei den verkörperten Individuen, unter Menschen, doch auch diese vielen Einzelnen sind – ausgenommen den Fall ihres völligen Selbstverlusts, der vollkommenen (so es diese geben kann) kollektiven Entfremdung – im Anerkennen des entschieden Wahren, nämlich der nicht substantiellen Besonderheit und der Einheit ihres Unterschiedes, vereint und von einer Vernunft.21 Sie sind in ihrem wesentlichen (Begriffs-)Unterschied geeint. Das Einzelne des Begriffs ist nicht eine von dessen Instanzen, sondern ganz dieser selbst, nämlich dessen Ausdruck. Es ist ein organisiertes Ganzes, was vom Tisch nicht gesagt werden könnte. Die Rückkehr des Allgemeinen aus dem bestimmten Begriff ist nicht das Weglassen von dessen Bestimmtheit. Das Abstrahieren begeht einen »Abweg« (GW XII, 49), der zum Allgemeinen in der Abstraktion einer höheren und höchsten Gattung zu gelangen sucht. Diese höchste Gattung ist zugleich die inhaltsärmste. Da ihr jeglicher Unterschied fehlt, bleibt sie ohne die schöpferische Kraft sich (mit-)zu teilen. Sie kann lediglich mit der Macht verbunden werden, unter sich zu subsumieren. Mit einem derartigen Allgemeinbegriff kann man keinem Einzelnen gerecht werden. Als Einzelnes ist es darin gar nicht ›enthalten‹, sondern auf eine Abstraktion, ein Merkmal seiner reduziert. Den Begriff des Begriffs zeichnet es aber gerade aus, transparent auf Einzelnes zu sein und in seiner Gerechtigkeit das Einzelne als es selbst zu besichern (AV XI, 139). Schließlich beruht der auf dem Abweg gefundene Begriff auf Willkür, denn wonach sollte bemessen werden, welche Bestimmtheit weggelassen wird und welche nicht? In die richtige Richtung weist der Abweg immerhin dadurch, daß auch durch ihn offenbar wird, daß es eines Weges bedarf, um zum Begriff zu gelangen. Dieser Weg geht jedenfalls von einem Bestimmten aus. Schließlich ist
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Der Einwand Hösles (1998: 234 ff.), der meint, an dieser Stelle der Logik müsse von mehreren Einzelnen die Rede sein, ist also obsolet. Das Einzelne des Begriffs ist gerade nicht das »Diese« der sinnlichen Gewißheit, wie Hösle suggeriert, der daran seine Interpretation anknüpft, wonach Hegel die Intersubjektivität übergangen habe, weshalb die Logik dahingehend zu ergänzen sei. Statt das Einzelne unterschiedslos als Dieses anzusprechen, unterscheidet Hegel in der betreffenden Passage drei unterschiedliche (seins-, wesensund begriffslogische) Bedeutungen des Einzelnen als Dieses. Daß die vielen partikulären Menschen von einer Vernunft sind, entscheidet übrigens noch nichts über deren mögliche natürliche und kulturelle Diversität, sie wird dadurch vor allem nicht beschnitten.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
285
der Allgemeinbegriff anders als über seine Bestimmtheit auch keiner Auffassung zugänglich, weil aber Auffassen (durch ihn) und Aufgefaßtwerden (seiner) dem Begriff integral sind, so muß ihm auch die Bestimmtheit immanent sein. Sie kann nicht sinnvoll völlig weggelassen werden. Der wahre Begriff, in dem Begriffenes (Inhalt) und Begriff (Form) übereinstimmen, weil er nur sich selbst begreift, entsteht daher auf dem Wege der »immanenten Deduktion« (GW XII, 16). Der abstrakte Begriff hingegen überbrückt die Kluft, die ihn von seinem zu Begreifenden trennt, indem er dieses zurechtstutzt und seine Genesis verleugnet. Daß es vom Begriff nur eine immanente Deduktion gibt, bedeutet, daß es zu ihm kein äußeres Hinzutreten und Erschließen gibt. Mit aller möglichen Bestimmung befinden wir uns bereits mitten in ihm. Deshalb verfehlt das abstrakte Bestimmen, in dem mit einer abstrakten Allgemeinbestimmung versucht wird, ein Einzelnes zu definieren, notwendig seinen Gegenstand. Abstraktes Bestimmen stellt sich außerhalb seines Gegenstandes und meint, ihn überhaupt ersteinmal gegenüber der Gewißheit seiner selbst entwerfen zu müssen. Es nimmt an, das Einzelne habe nicht schon seinen eigenen Begriff, – was auf den Tisch zutreffen mag, beim Vogel schon fraglich wird und für den denkenden Menschen sicherlich nicht zutrifft. Auf diese abstrakte Weise aber ist das selbstbestimmte Individuum, das nicht lediglich Exemplar ist, tatsächlich ineffabile. Das Einzelne läßt man dann nicht gelten.22 Der Begriff des Begriffs ist nicht erst als bestimmter Begriff anzuwenden, er hat als logischer Begriff bereits seine eigene ›Anwendung‹ auf die Logik. Jedes Beispiel wäre hier irreführend und unterbestimmt, ganz so, wie es auch für das reine Sein und das Nichts keine Beispiele zu erfragen gibt. Es zeichnet die logischen Bestimmungen hingegen aus, eben sie selbst zu sein. Das heißt
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Für mancherlei wissenschaftliche Bemühung, für unseren Zugang zu Kunst und Religion, für den Umgang der Menschen untereinander ist diese ›unbegriffliche‹ Umgangsweise fatal. Hier kann es nicht zum Begriff, zur Erkenntnis oder zum Gefühl eines Ganzen kommen, denn der Betrachter steht mit seiner Betrachtung immer außerhalb des Betrachteten. Er wird es folglich als an sich unkennbar, beziehungsweise als nur für sich bestimmt ansehen (Atomismus). Weil der Begriff hier von außen gesetzt wird, kann das einzelne Phänomen diesem nur subsumiert werden. Doch kann es unter derartige Begriffe prinzipiell nicht gebracht werden, da es an und für sich viel reicher, einzigartig bestimmt ist. Es wird von derart abstrakten Begriffen also entweder nicht begriffen, oder gar mißhandelt. Weil der abstrakte Begriff ohne Negativität ist, deshalb trägt er keine prinzipielle Bedeutung. Durchsetzen kann er sich nur, wenn er ausgestattet ist mit usurpierter Macht oder mit (von staatlicher Räson legitimierter) Zwangsgewalt, beispielhaft nachzuvollziehen an den Begriffen des Rechtssystems. Der wahre Begriff läßt seinen Gegenstand zur Sprache kommen, er redet und entscheidet nicht über ihn. Dafür muß der Gegenstand in seiner ihm eigenen Funktionalität betrachtet werden.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
aber nicht, daß der Begriff des Begriffs nicht auch für reale Bestimmungen gilt. Es wird im Gegenteil durch ihn deutlich, was überhaupt berechtigterweise als Begriff gelten kann und dementsprechend gegenüber Denken und Tun Anerkennung beanspruchen darf. Das bedeutet nicht, daß der logische Begriff ›Grundlage‹ etwa von Natur, Religion, Kunst und Staat (der sogenannten »Realphilosophie«) sei.23 Er ist aber als dasjenige, was schlechthin gilt, nicht einfach zu übergehen und beiseite zu schieben. Alles, was ist, hat zu ihm Stellung zu nehmen; so stehen Natur etc. in je unterschiedlichem Verhältnis zum Begriff.24 Dabei kann auch in diesen Bereichen nur solches berechtigt als wahrer Begriff gelten, worin sich das Allgemeine durch die Besonderheit im Einzelnen darin mit sich zusammenschließt, daß dieses frei gelassen wird. Freier Begriff ist derjenige, der frei läßt und sich eben in der Freiheit mit dem Bestimmten ›trifft‹, anstatt es abstrahierend zu subsumieren. So spricht Hegel von »Leben, Geist, Gott« (GW XII, 49), die als abstrakte Bestimmtheiten ohne zugleich Prinzip der Individuation zu sein, nicht erfaßt werden können. Sinn und Gültigkeit besitzen sie nur, wenn sie in prinzipieller Bedeutung verstanden werden und ihnen »die Einzelheit, das Prinzip der Individualität und Persönlichkeit« immanent ist. Andernfalls sind sie nur als formelle Begriffe betrachtet, die ein vorhandenes Material bestimmen sollen. Über diese Art Metaphysik hat aber bereits die objektive Logik das Urteil gesprochen. Das in sich Zurückkehren erschöpft aber das Geschehen, das sich mit dem Einzelnen ergibt, nicht. Als bestimmtes Allgemeines ist das Einzelne nicht nur eine mögliche Bestimmung (nicht nur reines In-sich-Sein), sondern es ist gesetzter Unterschied, d. i. Verwirklichung einer bestimmten Bestimmtheit. Diese verwirklichte Bestimmtheit ist selbst eine Abstraktion vom All der Bestimmtheit, wie es das Allgemeine ist. Die eine bestimmte Bestimmtheit des Einzelnen ist aber, wie wir sahen, nicht durch die endlose äußere Negation 23
Die Folge ist ein abstraktes Verständnis, in dem weder der logische noch der jeweilige realphilosophische Begriff in seiner eigenen Valenz erkannt werden kann. Anstatt dessen führt diese Umgangsweise dazu, daß die Konsistenz von Hegels Philosophie dahingehend überprüft wird, daß logischer und realphilosophischer Begriff abgeglichen werden. Die dabei regelmäßig hervortretende Nichtübertragbarkeit führt dann zur in Frage Stellung entweder der Logik oder der Realphilosophie (und entsprechenden ›Verbesserungsversuchen‹; beispielhaft dafür Hösle 1998) oder zur Ablehnung Hegels insgesamt. Ob angesichts dieses Ergebnisses die Frage richtig gestellt wurde, wird nicht gefragt. 24 Dies Verhältnis ist Denkverhältnis zu seinem jeweiligen ›Material‹. Es ist in Anbetracht der Natur: Nachdenken; angesichts des Geistes: Vordenken; die Kunst gibt zu denken (sie ist erst zu Denkendes, im Denken aufzuhebend, daher der ›Vergangenheitscharakter‹ der Kunst, zu dieser Deutung vgl. Haas 2003); Religion verwahrt ein Gedachtes, demgegenüber wir andächtig sind, und zu dem wir streben.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
287
Anderer bestimmt, sondern durch sich selbst: Das Gesetztsein ist An-undFürsichsein. Doch bleibt es dabei, daß es von seiner Genese her, durch Besonderung des Allgemeinen, wie auch als es selbst eine Abstraktion ist. Diese Abstraktion nennt Hegel »S eele der Einzelheit« (GW XII, 51). Was sonst die Ursache von Einseitigkeit und damit Unwahrheit der Bestimmung ist, erhält die positive Bestimmung, als Seele zu bewegen: Das Einzelne ist nicht abhängig von seiner Vermittlung im Allgemeinen. Es ist diesem nicht untergeordnet, sondern es ist selbständig in sich bewegt, weil es von einer bestimmten Bestimmtheit ist. Diese Abstraktion und Verendlichung des Allgemeinen legt wiederum in das Einzelne dessen Bewegungsmoment. Die Vermittlung des Allgemeinen zum Besonderen tritt mit dem Einzelnen in eine neue Unmittelbarkeit, daher ist das Einzelne nicht lediglich Rückkehr und einfaches Beruhen auf sich, sondern eben so sehr »unmittelbar sein [des Allgemeinen und seiner selbst] Verlust«. Durch den Akt seiner Bestimmung ist das Allgemeine nicht mehr rein bei sich, es ist »außer sich« in das – freilich ideelle, nicht wie zu Anfang zur Selbständigkeit hypostasierte – Moment des Seins getreten.25 Die Selbstunterscheidung des Begriffs ist als dessen Selbstaufgabe zu bestimmen. Die Einzelheit kann von der einschließenden zur ausschließenden werden, darin besteht die Dialektik des Begriffs (vgl. Schmitz 1992: 3). Die Selbstaufgabe des Begriffs im Einzelnen bedeutet nun nicht, daß sich der Begriff zu einer Unmittelbarkeit entwickelt, die so begriffsfern ist, daß sie nur noch anschaulich zu fassen wäre. Zwar zeigt sich als Resultat der Selbstaufgabe des Begriffs tatsächlich ein »Dieses«, doch nicht als das leere Diese einer unmittelbaren (sinnlichen) Gewißheit. Weil das Einzelne Negativität im terminologischen Sinne besitzt (vgl. hier S. 147 ff.), deshalb ist es auch »Fürsichseiendes«, doch nicht im Sinne (a) des Seins oder (b) des Wesens: (a) Das fürsichseiende Diese in der Stellung des Seins stößt Anderes einfach zurück und setzt es so voraus, es war letztlich ›gleichgültiges Eins‹. Bezogen auf die solcherart vielen selbständigen Eins ist das Allgemeine nur als das Gemeinschaftliche bestimmt. Das ›seinsmäßig‹ bestehensollende Diese ist, weil es als einfaches Bestehen behauptet wird, einseitig, unvermittelt und ohne Notwendigkeit, es hat keinen Begriff von sich. (b) Das Diese im Umkreis der Existenz, also das vom Wesen her gesetzte, ist keine unreflektierte Behauptung. Doch ist Dieses nur derart vermittelt, daß es »von einem Äußerlichen gezeigte Unmittelbarkeit ist« (GW XII, 52). Es ist Schein, der
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Diese Bestimmung des Außer-sich-Seins hat auch eine zentrale Funktion innerhalb des Geschehens der Anerkennung, mit ihr wird die leere Selbstgewißheit des Selbstbewußtseins durchbrochen, durch sie kommt das pathein ins Spiel, durch das das Bewußtsein zur Anerkenntnis seiner Endlichkeit geleitet wird, vgl. dazu Spieker (2003: 289).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
als Relat doch immer noch differenziert wird von der ihn setzenden Relation: »Dieses ist; es ist unmittelbar ; es ist aber nur Dieses, insofern es monstrier t wird.« Das reflektierte Diese ist vom Reflektiertwerden abhängig (»insofern«), nicht in sich selbst beständig und bewegt. Sein umfassendes Allgemeines, der reflektierende Verstand, ist es nicht selbst. Bestimmtsein und Bestimmen sind da, wo »Dieses ist«, nicht vereint. Anders stellt sich der ›Verlust des Begriffs‹ dar: »Das Einzelne nun ist wohl auch Dieses als das aus der Vermittlung hergestellte Unmittelbare; es hat sie aber nicht außer ihm, es ist selbst repellierende Abscheidung, die gesetzte Abstraktion aber in seiner Abscheidung selbst positive Beziehung.« Das Allgemeine stellt sich in der Besonderung ursprünglich dar. Resultat dessen ist das Einzelne, der authentische Ausdruck der schöpferischen Macht des Allgemeinen, daher dessen Rückkehr in sich. Weil es aber nicht bloß reflektiertes Relat oder ›Teil‹ des Allgemeinen, sondern dessen Ausdruck ist, ist es auch dessen Verlust: Das Einzelne ist losgelöst von seinem Bestimmtwerden, es ist selber das Bestimmen über sich, das das Allgemeine ist, denn es ist von keinem anderen abhängige in sich bestimmte Bestimmtheit. Es ist die vom Allgemeinen gesetzte Abstraktion vom Allgemeinen, daher nicht gesetzt von einem anderen und für anderes, sondern als es selbst und für sich. Nicht nur, indem auf es gewiesen wird, ist das Einzelne. Es stellt sich selber dar, denn seine Abscheidung vom Allgemeinen ist »selbst positive Beziehung«. Das Allgemeine verliert seine Bestimmungsmacht über dieses Einzelne, das fortan nur ist, was es selbst tut. Doch ist schon hier deutlich: Nur durch diesen Verlust wird das Einzelne auch Ausdruck des (seines) Begriffs sein können, während ein äußerlich aufgezeigtes Dieses als es selbst keine authentische Manifestation des Begriffs zu sein vermag, da es nicht Subjekt ist. Der wahre Ausdruck des Begriffs kann nicht fix sein, er muß selbst frei und bewegt sein. »[D]ie sich als bestimmt setzende Einzelheit setzt sich nicht in einem äußerlichen, sondern im Begriffsunterschied«, nämlich in den Unterschied zu sich selbst. In solchem Sich-von-sich-Unterscheiden ist der Unterschied weder ein Entgegensetzen, noch Scheinen in Anderes. Der Unterschied ist hier kein negatives, ein- und verschränkendes Negat, sondern reine Erläuterung seiner selbst, dies kann er sein, weil er ›Bestimmung, Bestimmtheit und ganzer Begriff‹ des Einzelnen ist, das damit – als das eine Unterscheiden – als Ganzes gesetzt ist. In dieser Funktion des Erläuterns steht der Begriffsunterschied, darin der Unterschied Einer ist. Im Komplex von Darstellung, Ausdruck und Erläuterung, der sich insgesamt unter dem Titel »Begriffsunterschied« fassen läßt, hat sich bereits ereignet, was nun im Einzelnen seinen wiederholten Ausdruck findet. Der Begriff urteilt sich zweifach. (i) Zum einen indem das Allgemeine sich im
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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Besonderen ursprünglich darstellt. In dieser Darstellung teilt es sich selbst. Doch nicht nach Art einer Einteilung, das Allgemeine ist nicht lediglich das umfänglichere Allgemeine, in dem sich verschiedene Teile befinden. Es teilt sich vielmehr selbst in die Besonderheit und geht durch diese hindurch, indem das Besondere nicht bloß besonders, sondern selbst das Negieren des Allgemeinen ist: Das Besondere ist ganzer Begriff. Durch diesen Vorgang teilt sich das Allgemeine mit. (ii) Zum anderen geht der Begriff, der sich ursprünglich geteilt hat, selbst in ein Urteil ein. Das geschieht aber nicht unmittelbar, schon deshalb kann das Urteil nicht zutreffenderweise formal bestimmt werden als Zuordnung zweier Begriffe. Dann wird nämlich angenommen, es gäbe gewissermaßen vereinzelt vorliegende Bestimmungen, deren unorganisierte und unmittelbare Mannigfaltigkeit durch positive Urteile verbunden beziehungsweise durch negative Urteile auseinandergeordnet würde. Der konkrete Begriff aber läßt sich nicht rangieren, sondern er stellt sich dar. Deshalb stellt er sich in ein Urteil ein und nur daher ist es möglich, durch Urteile etwas zu begreifen. In der Ordnung des Urteils wird die organisierte Totalität des Begriffs aber auseinandergelegt. Jedes Urteil ist dreigliedrig, es besteht aus zwei Bestimmungen und deren Verbindungsweise, der Copula, die Hegel nicht als existenzsetzend, sondern rein von ihrer Verbindungsfunktion her versteht, weshalb hier auch hypothetische, konsekutive und disjunktive Bestimmungen als Copula gelten können. Die Einheit des Begriffs ist im Urteil zerschlagen, so geht der Begriff auch nicht in seiner vollendeten Bestimmung, sondern in der Form seines Verlustes, d. i. als Einzelnes in das Urteil ein. Gemäß der Umfassendheit des Begriffs kann das Allgemeine damit nicht vergessen und verborgen sein. Das Urteilen geschieht vielmehr in der Weise, daß sich das ›begriffsverlustige‹ Einzelne im Urteil zum Allgemeinbegriff positioniert. Das aber ist ein Widerspruch, denn zum Begriffsallgemeinen gibt es keine (gegenüberstellende) Positionierung, sondern nur ein Ein-stellen in seine Ordnung. Doch dieser Widerspruch ist, was das Urteil sagt (phasis): »So sagen wir durch das Urteil selbst den Widerspruch.« (AV XI, 147)
3.1.B Der Widerspruch im Urteil Was geschieht im Urteilen, wenn das Einzelne ins Verhältnis zum Begriff gesetzt wird? Zunächst das, was in jeder verhältnishaften Ordnung geschieht: Eine Einheit, hier die konkrete des Begriffs, wird auseinandergelegt. Hegel deutet die Funktion des Urteils im Vergleich zu Kant in entgegengesetzter Weise. Nicht nur, daß Urteile nicht Funktion für ein erkennendes Bewußt-
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
sein von Gegenständen, sondern Realisierung des Begriffs sind (so auch Fulda 1993: 137). Noch deutlicher wird der Unterschied daran, daß Kant die Urteilsformen als ursprüngliche Synthesisleistungen (weshalb er von ihnen die Kategorien ablernen kann) interessieren, während Hegel das Urteil als ursprüngliche Teilung betrachtet: Der Unterschied der Struktureinheit des Begriffs, Allgemeines, Besonders und Einzelnheit in Identität zu sein, führt zur »Ur-teilung« des Begriffs. Damit wird die Einheit zwar nicht geleugnet, sie ist jedoch nicht mehr als solche vorhanden, da die Relata als außerhalb ihrer Einheit selbständig bestehend gesetzt sind (GW XII, 55). Allerdings tritt die Einheit hinter der Auseinanderordnung ihrer als selbständig vermeinten Momente nicht ins Verborgene zurück; in diesem Falle wäre das Urteil sinnlos, es würde von nichts sprechen, über nichts Auskunft geben. Hingegen ist die ganze Lehre vom Begriff Logik der Darstellung, dies ist auch noch die Bestimmung des Urteils. Doch (a) was und (b) auf welche Weise kann das Urteil darstellen, wenn die wahrhaft geltende Einheit des Begriffs in ihm zerschlagen ist? (a) Weil das Urteil vom Einzelnen ausgeht, ist es auch Darstellung des Einzelnen. So hat das Urteil nicht eine gegebene Sache zu seinem Gegenstand, in welchem Falle es im übrigen zum Thema der objektiven Logik hätte werden müssen. Das Urteil thematisiert das aus der Entwicklung des Begriffs ›herausgefallene‹ Einzelne. Dies Einzelne ist ein Dieses in mehreren Bedeutungen, gemäß der seinsmäßigen, reflexiven und begriffenen (»in seiner Abscheidung selbst positiven Beziehung«; GW XII, 52) Unmittelbarkeit. Diese drei Bedeutungen werden auch im Urteil dargestellt, nämlich in seiner Form als auf das Sein zielendes Urteil des Daseins, in den auf das reflexive Wesen zielenden Urteilen der Reflexion und der Notwendigkeit und schließlich in der den Begriff der bestimmten Sache zur Sprache bringenden Form des Begriffsurteils.26 (b) Die Darstellungsweise beruht dabei immer darauf, daß durch den im Urteil ausgesagten Widerspruch eine Referenzialität des Urteils erzeugt wird. Dieser Widerspruch ist die einheitliche Bestimmtheit aller drei Urteilsformen, wobei deren Inhalt (der Referent) mit der Form variiert. Daher sind die von Hegel differenzierten Urteilsformen keine leeren Urteilsformeln, sondern selbst von inhaltlicher (formierender) Bestimmung. Um das wesentliche Urteilsgeschehen darzustellen, brauchen sie im folgenden nicht linear und im einzelnen vorgestellt werden. Als Urteil gilt nicht einfach jeder Satz. Allein dadurch, daß im Satz Subjekt und Prädikat enthalten sind, wird er noch nicht zum Urteil. Hegels Beispiel für den Satz lautet: »Aristoteles ist im 72ten Jahre seines Alters, in dem 4ten Jahr 26
In dieser Struktur liegt der Begriff der Urteilslogik Hegels.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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der 115ten Olympiade gestorben« (GW XII, 55). Von einem Einzelnen wird hier etwas Einzelnes, ein einzelnes Datum und Ereignis, ausgesagt. Erst wenn Zweifel ob des Datums oder des Ereignisses bestünden, und dessen genauere Angabe sich abhebt von anderen Bestimmungsversuchen, könnte der »bloße Satz« als ein Urteil gelten. Im Unterschied zum Satz geht dem Urteil also eine Frage voraus, daher rührt seine grundsätzlich subjektive Gestalt: Das Urteil gibt Antwort auf die Frage, die jemand ob einer Sache hat, während es dieser Sache selbst gleichgültig zu sein scheint, ob und was über sie geurteilt wird. Ein Satz spricht im Unterschied zum Urteil aus, was nicht fraglich, beziehungsweise nicht befragbar ist. So bestünde das – neben dem Todesdatum27 – andere Paradigma des Satzes in Aussagen über Liebe. Der Satz ›Ich liebe dich‹ ist kein Urteil, das eine bestimmte Bestimmung in einem Kontext (von Zweifel und Frage) festsetzt, sondern ein ›ansprechender‹ Satz, der Unvergleichliches ausspricht. Der »bloße Satz« ist mithin keineswegs gleichgültig oder uninteressant. Bezüglich des Urteils kann jedoch festgehalten werden: Jedes Urteil ist kontextual, nur durch einen mit ihm verbundenen Kontext kann es überhaupt Urteil sein. Die erste, äußere Dimensionen des mit dem Urteil ausgesprochenen Widerspruchs liegt nun in dieser Kontextbindung: Das Urteil stellt die Bestimmtheit einer Sache fest, es tut diese aber gleichsam in der Art eines Resultats kund. – Nach Abschluß der Untersuchung wird das Urteil gefällt, seine Genese drückt es nicht mit aus. So wirkt auch das Urteil zunächst wie ein Satz und beansprucht dessen unbefragbare Geltung, wobei es selbst doch nur vor dem Hintergrund der Befragung Bedeutung als Urteil hat. Weil das Urteil derart seiner eigenen Geltungsbedingung widerspricht, deshalb bringt ein Urteil das nächste mit sich, es läßt die diskursive Rede entstehen. Der Mangel des (bloß resultativen) Urteils wird schließlich durch dessen Beweis in einem Schluß behoben werden müssen, er formuliert die Geltungsbedingungen des Urteils. Die zweite Dimension des urteilslogischen Widerspruchs liegt in der inneren Struktur der Urteilsform begründet. In der Auseinanderordnung von Einzelnem und Allgemeinem, beziehungsweise von Subjekt und Prädikat und deren gleichzeitiger Verbindung besagt das Urteil einen Widerspruch. Die Widersprüchlichkeit des Urteils dementiert aber nicht dessen Geltung, sie konstituiert sie. Der Widerspruch bedingt die Referenzialität des Urteils, nur durch ihn vermag es etwas auszudrücken. Indem das Urteil Einzelheit und allgemeine Bestimmung identifiziert, sagt es eine Einheit solcher aus, 27
Die Beispiele, die Hegel zur Verdeutlichung einer Form gibt, sind also nicht zufällig gewählt, sondern zeigen genau den von der Form bestimmten Inhalt. Das zeigt sich auch in seinen Beispielsätzen für die verschiedenen Urteilsformen.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
die es ausdrücklich nicht identisch setzt, denn sonst wäre das Urteil nur ein Satz. Das Urteil besteht aus Name und Prädikat. Der Name nennt eine Sache und das Prädikat spricht dieser Sache zu, was sie selber tut. Der Name funktioniert nur als Name, wenn er auf die Sache zeigt, dieses Verweisen ist, was der Name ist. Der Name ist nicht ohne die genannte Sache, die Sache ist nicht eine bestimmte Sache ohne das Nennen des Namens, ergo Name und Sache bilden eine durchgängige Einheit, in der die eine Seite nicht ohne die andere ist. Name und Sache sind verschieden und in einer durchgängigen Einheit miteinander verbunden. ›A ist B‹ ist die Zuschreibung derjenigen Handlung zu der namentlich bezeichneten Sache, die diese Sache selbst (nicht der Name) tut. Die im Urteil genannte Sache ist eine bestimmte Sache, die Bestimmtheit unterscheidet die Sache von dem, was nicht diese Sache ist; das Nennen ruft eine Sache und nicht eine andere hervor. Zu dem ersten Unterschied von Name und Sache tritt damit der zweite Unterschied zwischen der einen und der anderen Sache. ›A ist B‹ bedeutet weder A, noch B, sondern daß A an B mithat, das heißt A ist nur, wenn auch B ist, A ist von B verschieden und deutet auf B, A steht für das, was es nicht ist. Das namentlich genannte A zeigt sich als dasjenige B, das es nicht ist. Die Urteils-Synthesis von A und B ist ein Widerspruch. So bedeutet das Urteil nicht A oder B, sondern darüberhinausgehend ein ›Drittes‹28, nämlich das eigenständige Sein der Sache C, das gar nicht irgendwie im Satz ist. Es liegt im Wesen des Urteils, daß darin über es hinausgegangen wird. Dieses Über-sich-Hinausgehen verabschiedet zudem die Ansicht, die Urteilshandlung sei ein bloß subjektives Geschehen, demgegenüber die intendierte Sache gleichgültig sei. Die Identität von Subjekt und Prädikat ist durch das Urteil objektiv gesetzt, es schafft die Transparenz, in der die Sache ihr eigenes Sein hat, das erst durch das Urteil offenbar wird und doch nicht davon abhängig ist. Dieses Sein der Sache, das als prosthesis zum Urteil hinzutritt, ist nicht gleichbedeutend mit dem vom Wesen gesetzten Ist der Existenz und schon gar keine einfache Behauptung (thetisch). Es ist sich erweisendes Sein, das bedeutet sich selbst in seiner (selbstunterscheidenden) Entwicklung bewahrheitendes Sein, es ist beseelt. Die Wahrheit des Urteils liegt nicht in der als Abgleichung verstandenen Übereinstimmung des ›Urteilsbildes‹ mit einer vorliegenden Sache, so bliebe die Urteilshandlung unberücksichtigt. Diese Übereinstimmung ist lediglich eine faktische Richtigkeit, welche die ›Bewahrheitung‹ des qualitativen Urteils ist. So ist das Urteil ›Die Rose ist rot‹ richtig, wenn die gezeigte Rose in der Tat von roter Farbe ist. Übereinstimmung besteht hier 28
Hier gilt, was S. 271, Fn. 10 zum Zählen begrifflicher Bestimmungen gesagt wurde.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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zwischen unserer Vorstellung eines Gegenstandes und diesem als vorliegender Sache, die Übereinstimmung selbst hat keine weitere Funktion als nur anzuzeigen, ob jemand mit seiner Behauptung recht hat oder nicht. Das Urteil hat einen äußeren Referenten, von dem es zufällig bestätigt oder dementiert wird; weder ist es der Rose wesentlich, rot zu sein, noch liegt es in der Sache der Röte, an einer Rose zu sein. Subjekt und Prädikat stehen in einem losen Verhältnis. Das Urteil, das in dieser Form eingesetzt wird, impliziert lediglich, daß sich die prädizierte Sache so zeige, wie vom Urteil beabsichtigt. Hier im Falle der Übereinstimmung von Wahrheit zu reden, nennt Hegel ein ›logisches Vorurteil‹ (Enz. (1830) § 172A). Das qualitative Urteil nimmt unmittelbar eine Verknüpfung vor und postuliert durch die unmittelbare Copula »ist« ein Dasein. Berechtigung findet es, wenn dieses Dasein sinnenfällig angetroffen wird. Die Vorurteilshaftigkeit dieses Modells liegt darin, daß der hier investierte Begriff der Übereinstimmung nicht hinterfragt wird, es wird von der Trennbarkeit des Seins vom – durch das Urteil vermittelten – Erkennen ausgegangen, das deren Zusammenstimmung vorausliegen muß. Solch ein Sein ist aber unbestimmt und das Erkennen wäre hier leer. Die zufällige Übereinstimmung wäre den beiden äußerlich, dabei kann doch erst in der Übereinstimmung überhaupt von Erkennen und Sein die Rede sein. Das Denken ist hier nicht im Klaren über sein eigenes Tun. Die faktische Korrektheit eines Satzes macht noch nicht die Wahrheit des Urteils aus. Das Urteil verbindet nicht auf äußere Weise atomistische Begriffe, welche Verbindung entsprechend ihrer Äußerlichkeit, da keiner der Terme mit dem andern notwendig und innerlich verbunden ist, in einer dem Urteil gegenüber äußeren Anschauung ihre Bestätigung finden muß. Im Unterschied dazu ist das wahre Urteil Selbstvermittlung des Begriffs, indem er darin seine Darstellung findet, und folglich einer von außen kommenden Bestätigung unbedürftig. Die Übereinstimmung des wahren Urteils besteht in der bestimmten Beziehung der Sache zu sich selbst. Dazu gehört, daß auf die Einheit der Sache des Urteils nicht lediglich unmittelbar, d. i. implizit und verborgen als auf etwas Gegebenes verwiesen wird, sondern daß sie in ihrer Notwendigkeit als bestimmt und bezogen explizit wird. Das aber kann nur heißen, daß sich im Urteil die Sache selbst ausspricht. Das disjunktive Urteil macht zunächst die Einheit ausdrücklich, in ihm ist der Begriff und der vollständige Umkreis seiner Bestimmtheit in Identität gesetzt: A ist notwendigerweise sowohl B als auch B’, die sich in ihrer Bestimmtheit gegenseitig ausschließen, weshalb A ebenso entweder B oder B’ ist. Die Durchgängigkeit des Allgemeinen ist durch den Kreis seiner Besonderung in B und B’ »als die Totalität dar[ge]stellt.« (GW XII, 83) Hier
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
muß nicht nach einer bestätigenden Erfahrung gesucht werden, durch die schließlich die Vollständigkeit der Disjunktion gar nicht erreicht werden könnte, da sich die Erfahrung in der endlosen Vielheit partikulärer Vereinzelung bewegt. So wird die erfahrungsmäßige Bestimmung der Farbe von ihr sagen, sie sei entweder rot, grün, blau, gelb etc.; sie ergeht sich in Aufzählungen. Dadurch wird jedoch kein Begriff dargestellt, zu dessen Darstellung bedarf es der Angabe des Begriffsunterschiedes, durch den hindurch der Begriff in prinzipieller Bedeutung erfaßt wird. In diesem Begriffsunterschied liegt auch die Notwendigkeit begründet, derzufolge die Bestätigung der Urteils-Synthesis nicht auf zufälliger Gegebenheit des entsprechenden Gegenstandes beruht. Da der Begriff den Begriffsunterschied integriert hat, ist er Darstellung seiner selbst, er erhält dadurch prinzipielle Bedeutung, und diese ist die ihm angemessene Bestätigung, weil er sie sich selber gibt.29 Für die Farbe hieße das zufolge der von Hegel angeführten Farbenlehre Goethes: Farbe ist »konkrete Einheit von Hell und Dunkel«; oder als Beispiel aus dem Bereich des Geistes: Der Staat ist nicht zu begreifen als Versammlung eines Staatsvolkes in Staatsgrenzen unter einer Staatsmacht (wobei im übrigen das Definiendum in der Definition verwendet würde), sondern als konkrete Einheit von Freiheit und Sicherheit. Damit haben wir ein Prinzip, in dem die verschiedenen Farbwerte, beziehungsweise Staatsaufbauten eingeschlossen sind und aus dem heraus sie begriffen werden können. Der anfängliche Widerspruch des Urteils, ein Einzelnes gegenüber einem Allgemeinem zu positionieren, statt es darin einzustellen, ist aufgelöst, weil hier keine Positionierung, sondern die Selbstdarstellung des Begriffsallgemeinen gegeben wird; damit ist »das Verhältnis des Urteils aufgehoben.« (GW XII, 84) Doch aus diesem Grunde ist das disjunktive Urteil, wie Hegel formuliert, noch »mehr« ein Satz, denn die Rede stellt keine bestimmte Bestimmtheit dar, sie sagt lediglich die Einheit von Allgemeinem und Besonderung aus. Im disjunktiven Urteil ist noch kein Einzelnes gezeigt, weshalb der Ausdruck des Begriffs auch hier noch unvollständig ist. Obgleich das Einzelne nichts anderes ist als die organisierte, konkrete Totalität, deren Darstellung das disjunktive Urteil gibt, ist es doch noch nicht als solches, als bestimmtes Bestimmtes gesetzt:
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Der Begriff selbst gibt sich seine Besonderung, er prinzipiiert seinen eigenen Inhalt. Der Begriff wird also nicht ausgedacht, auch nicht konstruiert, sondern immer eingesehen, dabei gibt er dem endlichen Denken vor, wie er zu denken sei, deshalb muß von ihm als von einem Subjekt gesprochen werden. Der Begriff eines Dreiecks (im euklidischen Raum) zwingt uns dazu, es mit einer Winkelsumme von 180° zu denken.
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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»Insofern aber das Resultat [des disjunktiven Urteils] selbst die negative Einheit ist [A ist Einheit von B und B’], so ist es zwar schon diese E inz elheit ; aber so ist es nur diese eine Bestimmtheit [die Einzelheit], die nun ihre Negativität zu s e t z en [sich zu bestimmen], sich in die E x t reme [der bestimmten Bestimmtheit] zu dirimieren und auf diese Weise vollends z u m S ch lu s s e [dem Erweis der Notwendigkeit] zu entwickeln hat.« (GW XII, 85) Der im Zitat vorgedeutete Prozeß ist die konkrete Setzung des Einzelnen, sie ist »die Wahrheit des Ur teils überhaupt.« (GW XII, 88) Das Einzelne in der konkreten Setzung ist weder seinsmäßig gleichgültiges Dieses noch nur ›insofern‹ es reflektiert wird (vgl. GW XII, 52). In beiden Setzungsweisen wäre das Einzelne abstrakt gesetzt, losgelöst vom Anderen, das aber sein eigenes Sein ist, beziehungsweise ohne Selbstand in Abhängigkeit von seinem Reflektiertwerden; – als es selbst käme das Einzelne nicht in den Blick und die Übereinstimmung des Urteils mit einem solchen Diesen bliebe die äußere Abgleichung. Als konkrete Setzung ist das Einzelne selbst der Ausdruck des Begriffsallgemeinen, das heißt es wird nicht über es etwas ausgesagt, sondern es bestimmt sich selbst, ist also allgemein, weil nicht von einem Anderen bestimmt oder im Verhältnis zu einem solchen stehend. Das Urteil des Begriffs redet derart von der Bestimmung des Einzelnen, dadurch kann es auch dessen Ausdruck sein, weil das Einzelne in ihm nicht lediglich subsumiert oder aber gar nicht berührt, sondern ausgesagt wird. Anders denn als konkrete Setzung (seiner selbst) gibt es schließlich kein Einzelnes im begrifflichen Sinne. Das Einzelne, das nicht als konkrete Setzung des Urteils da ist, ist nur die unter einer gemeinsamen und damit nicht prinzipiellen Hinsicht subsumierte Instanz. Was geschieht im Prozeß der konkreten Setzung des Einzelnen? Das Einzelne durchläuft denselben Bestimmungsweg wie das Begriffsallgemeine: Es setzt seine Bestimmtheit und schließt sich darin mit sich selbst zusammen, ist als diese. Es verändert sich mithin nicht irgendwie, sondern entwickelt sich. Doch wohin? Diese naheliegende Frage ist falsch gestellt, denn in der Entwicklung des Einzelnen geht es nicht um ein Woraufhin, durch das wir das Einzelne wieder lediglich subsumieren würden. Es geht hier darum, als was sich das Einzelne entwickelt. Es muß sich entwickeln als das, was es ist, nicht als das, was es nicht ist, denn das wäre gar nicht Entwicklung, sondern Veränderung und Verbiegung. Was aber ist das Einzelne? Das Einzelne ist das Was, das sich als etwas bestimmt. Das aber bringt mit sich, daß es sich so oder so bestimmen kann. – Das Haus kann mit oder ohne Dach gebaut sein, der Mensch kann mit oder ohne Vernunft handeln, in jeweils beiden Fällen
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
ist aber das Haus ein Haus und der Mensch ein Mensch. Nur, daß das Haus ohne Dach ein schlechtes Haus und der Mensch ohne Vernunft handelnd ein schlechter Mensch ist. Das Haus, das ohne Dach da ist, entspricht seiner eigenen Bestimmung nicht, deshalb ist es schlecht. Schlecht ist ebenso wie gut und schön ein kontextuelles Prädikat, sie sind keine Wertungen (so aber Harris 1983: 236), sondern Seinsbestimmungen. Sie – nicht die qualitativen Bestimmtheiten (rot, etc.) – sind die eigentlichen Prädikate des Urteils. Das Urteil des Begriffs drückt in der Bestimmung des Einzelnen/ Subjekts dessen Kontextualität mit aus, denn gut oder schlecht ist etwas bestimmt zu Folge seiner Angemessenheit zu seinem Begriff. Das Prädikat offenbart die Beziehung des partikulären Einzelnen zu seinem Ganzen. Bestimmtheit und Bezogensein sind in diesen Prädikationen zugleich und in einem ausgesagt, denn die eine bedingt das andere. Die resultative Dimension des Urteils wird darin aufbewahrt, denn das Urteil entsteht aus dem Begriff, ohne diesen kann kein Urteil gesprochen werden. Wo das Haus ein Dach hat oder der Mensch mit Vernunft handelt, da werden sie als »gut, passend, richtig usw.« (GW XII, 88) bestimmt. Was gut ist, das stimmt mit seinem Begriff überein, was schlecht ist, das entfernt sich von ihm, oder besser: es positioniert sich zu ihm. Dieses Stellungnehmen aber haben wir bereits als widersprüchlich eingesehen, da es zum Allgemeinen keine Positionierung, sondern nur ein anerkennendes Einstellen gibt. Folglich wird sich das, was schlecht ist, auflösen müssen. Die Möglichkeit zu solcher Richtungsentscheidung ist das Wesen alles Endlichen: Sein und Sollen sind in ihm gebrochen. Die Endlichkeit kann demzufolge als die (notwendige) Zufälligkeit der Konvenienz von Sollen und Sein bestimmt werden. Darin liegt die Möglichkeit zu aller schlechten und falschen Existenz, die freilich ohne den Begriff nicht mal mehr schlecht und falsch, sondern einfach nicht wäre. So aber ist die unzulängliche Realisierung des Begriffs die Bestätigung seiner Geltung, ohne die es keinen Mangel gäbe. Die Krankheit gibt Zeugnis für das Leben, vollkommene Krankheit wäre Tod. Was sich von seinem Begriff soweit entfernte, daß es zum vollkommen Schlechten würde, das wäre auch vollkommen begriffslos, es wäre Nichts, so daß hierauf Hegels Wort aus der zweiten Auflage der Seinslogik paßt: »das Unwahre ist das Unerreichbare« (GW XXI, 136), denn es ist ohne Begriff. Doch indem sich was in seiner Bestimmtheit entspricht, hat es Geltung. Es wächst in seiner Entwicklung mit sich (seinem Begriff ) zusammen (concrescere) und ist so konkrete Setzung. Die Wahrheit des Urteils spricht sich über den Inhalt der Wahrheit, die Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung der Sache des Urteils mit sich selbst, aus; womit auch gesagt ist, daß überhaupt nur ein Selbst es vermag, nicht-übereinstimmend zu sein. Außerhalb dieses Kontextes der Sache selbst, also beispielsweise im Blick auf
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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das Verhältnis eines Urteils und einer zugrundeliegenden Sache, über die das Urteil gefällt wird, ergibt die Rede von Übereinstimmung keinen Sinn. Das Wahre ist hier das sich-entwickelnde Subjekt, nicht ein äußerliches, nur vorstellungsgemäßes Zusammenpassen. Das Einzelne bestimmt sich so oder so, somit ist es bestimmt-bezogen und zusammengeschlossen mit dem Allgemeinen (genauer: es ist zusammengeschlossen mit sich und somit selbst das Allgemeine). Dieses Urteil gibt den Begriff der Sache an, das zunächst verlustig gegangene Einzelne ist in ihm gewahrt. Weil aber hier keine Positionierung mehr stattfindet, wodurch die Urteilsform bestimmt war, deshalb ist beim erfüllten Begriffsurteil nicht mehr eigentlich von einem Urteil zu sprechen. Vielmehr liegt bereits der Beweis des Urteils vor: Das Einzelne stellt sich durch seine Bestimmtheit in sein Allgemeines ein, darin es Geltung erlangt. Die zunächst unmittelbare Kopula des Urteils, das leere Ist des qualitativen Urteils und die nur implizierte ›Mitte‹, ist hier bestimmt (»erfüllt«). Das Einzelne ist darin durch sein bestimmtes Bestimmtsein vermittelt und nicht bloß aus dem Begriff gefallene, verlustig gegangene Unmittelbarkeit. Es schließt sich durch seine eigene Bestimmtheit mit sich, mit seinem Begriff zusammen. Diese Form ist die Grundform des Syllogismus, in ihm wird die zusammenschließende Mitte (als medius terminus30) ausdrücklich. Diese Ausdrücklichkeit der Mitte unterscheidet den Schluß vom Urteil: Das Einzelne ist Besonderes. Das Besondere ist Allgemeines. Ergo ist das Einzelne das Allgemeine.31 Die Einheit des Begriffs ist im Schluß mit dem bestimmten Bestimmten zusammengeschlossen (syllogizomai), sie steht ihm nicht gegenüber wie das abstrakte Allgemeine dem begriffslosen Einzelnen.
3.1.C Der disjunktive Schluß erweist die Objektivität des Urteils Der klassische Barbara-Syllogismus geht von Prämissen aus, die ihrerseits wieder nach einem schlußförmigen Beweis rufen. Der Grund dieses Bedürfnisses liegt in ihrer Unmittelbarkeit, denn die Prämissen haben die Form einfacher Daseinsurteile, weshalb Hegel die erste Schlußform auch »Schluß des Daseins« (GW XII, 91) nennt. Diese unmittelbare Form des Schließens ist bloß formell, das heißt die Momente des Schlusses haben hier noch ein 30
Der Begriff der »Mitte« des Schlusses entgeht ob seines räumlichen Vorstellungsgehaltes nicht der Kritik Hegels (vgl. GW XII, 91). 31 Hegel faßt den Schluß als Inhärenz-Verhältnis auf: Das Einzelne inhäriert dem Besonderen, dieses inhäriert dem Allgemeinen. Demnach besteht der Syllogismus nicht eigentlich aus Propositionen, sondern aus Begriffsmomenten (mit der ersten Form: E-B-A). Die Gliederung in Propositionen, so Hegel, ist ein Notbehelf des Verstandes.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
eigenes Bestehen und demzufolge subsumiert dieser Schluß lediglich eines unter ein anderes. So haftet beispielsweise folgendem formell richtigen Schluß etwas Willkürliches an: ›Georg ist dick; Dicke sind gemütlich; Georg ist gemütlich.‹ Denn es mag ebenso gelten: ›Georg ist eifrig; Eifrige sind unruhig; Georg ist unruhig.‹ Die Willkür dieses Schließens rührt daher, daß es dem Zufall überlassen bleibt, welche der zahlreichen Eigenschaften des Einzelnen zum medius terminus bestimmt wird, und daß es keine Gewähr für die Wahrheit der gewählten Prämisse gibt. Darüberhinaus wird hieran deutlich, daß es beim Schluß auch nicht nur um den Schlußsatz geht, sondern um die Vermittlung eines schlüssigen Gesamtgefüges. Was vernünftig ist, das ist ein Schluß.32 Im Schluß des Daseins ist das Gefüge noch unvollkommen, denn die vermittelnde Einheit der Extreme (Georg – Gemütlichkeit/ Unruhe) ist nicht notwendig mit diesen verbunden, sie stellt ihnen gegenüber ein Drittes dar. Darin, daß dieses Dritte zugleich als vermittelnde Einheit fungieren soll, liegt der Widerspruch des formellen Schlusses (GW XII, 108). Nicht in der Schlußform als solcher liegt demnach der »Mangel« des langweiligen, unnützen (GW XII, 95) Daseinsschlusses33, sondern an seiner abstrakten Form, durch die der Schluß zur Verlängerung des wesenslogischen Verhältnisses mit anderen Mitteln gerät. Weil der Widerspruch des Schlusses aber in seiner Form und nicht in einer falschen Weise des Schließens begründet liegt, deshalb ergibt sich eine dialektische Entwicklung, mithin ein innerer Zusammenhang der Schlußformen.
32
Daher sagt Hegel auch: »Alle Dinge sind der S chluß, ein Allgemeines, das durch die Besonderheit mit der Einzelheit zusammengeschlossen ist; aber freilich sind sie nicht aus drei Sätzen bestehende Ganze.« (GW XII, 95) Den Schluß nur als Satzgefüge zu betrachten, heißt ihn formell zu betrachten, ohne seine inhaltsbestimmende (und -ermöglichende) Funktion zu beachten. 33 Die Langeweile, die sich ob der Beliebigkeit des Inhalts formellen Schließens breit macht, bedingt keineswegs die Irrrelevanz oder ›Harmlosigkeit‹ des formellen Schlusses. So führt Hegel das Beispiel des »Ploucquetschen Kalkül[s]« (GW XII, 110) an, darin wird vom jeweils unterschiedlichen Grad der Inhärenz der Begriffsmomente abstrahiert und nur die abstrakte Identität von Subjekt und Prädikat des jeweiligen termino fixiert. Die Urteile werden damit zu Ausdrücken mathematischer Gleichheit oder eigentlich tautologisch; entsprechend wird nun übergangen, ob die Urteile verneinend oder bejahend sind (während es für Barbara der ersten Schlußform notwendige Bedingung ist, daß der Untersatz positiv ist). Hegels aus Ploucquet entnommenes Beispiel für dieses Verfahren lautet: »[I]m Satze: Alle Christen sind Menschen, soll das Prädikat nur diejenigen Menschen bedeuten, die Christen sind; aus diesem und dem Satze: Die Juden sind keine Christen, folgt dann der Schlußsatz, der diesen syllogistischen Kalkül bei Mendelssohn nicht gut empfohlen hat: Also sind die Juden keine Menschen (nämlich diejenigen Menschen nicht, welche Christen sind).«
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Es brauchen nicht alle Phasen der Entwicklung der Schlußform durchgegangen werden, um bereits hier zu sehen: Nur diejenige Schlußform kann die entwickelte Einheit des Begriffs repräsentieren, deren Gefüge eine systematisch geschlossene Ganzheit darstellt. Dieser Schluß muß derart schlüssig sein, daß er weder – wie der Daseinsschluß – auf ungesicherten Prämissen aufruht, noch – wie das Urteil der Reflexion – die Richtigkeit des zu beweisenden Schlußsatzes voraussetzt (GW XII, 112) oder eine Metaphysik des Verhältnisses tradiert, in der Relata und vermittelnde Relation auseinandergeordnet werden. Erst durch diesen schlüssigen Schluß wird geklärt, wie der Begriff nicht nur wie bereits in der Einzelheit ›subjektiv‹, sondern ›objektiv‹ objektiv sein kann. Seine Willkürlichkeit verliert der Schluß, wenn als vermittelnde Mitte nicht mehr irgendeine Bestimmtheit, sondern ein wesentliches Moment des Subjekts gilt. Diese Mitte steht in innerem Zusammenhang mit den Vermittelten, sie vermittelt notwendig. Dies ist der Fall im kategorischen Schluß der Form: ›A ist B; B ist C; A ist C.‹ B steht hier für die wesentliche Natur von A und C, es ist deren positive Einheit, die aber in ebendieser gediegenen (GW XII, 120) Position noch frei ist von der Negativität ihrer Bestimmungen A und C. Die Mitte B taucht folglich im Schlußsatz gar nicht mehr auf. So wird das Sein der Verbindung ausgedrückt, nicht aber deren Müssen. Doch weil Vermittlung (Müssen) und Vermittelte (Sein) nicht losgelöst voneinander sind, ist es für die Schlußform erforderlich, dieser Einheit Rechnung zu tragen. Auch im hypothetischen Schluß bleibt diese Einheit aus, wenngleich hier die Notwendigkeit hervortritt: ›Wenn A, dann B; A ist; also ist B.‹ Hier ist der Übergang von A in B ein und dieselbe Notwendigkeit sowohl von A, als auch von B. A wird nicht an sich behauptet, sondern im Zusammenschluß mit B gezeigt und ebenso ist B nicht an sich, sondern nur von A her. Ihre vermittelnde Mitte ist kein hinzukommendes Drittes, sondern immanentes Moment von A, respektive B, die damit aus ihrer Äußerlichkeit gegeneinander gelöst sind. Die Notwendigen von ihrer Notwendigkeit zu trennen, so Hegel, wäre ein ganz sinnloses Unterfangen, da es ohne Notwendigkeit auch kein Notwendiges mehr gibt. Vermittlung und Vermittelte treten hier in Einheit. Was in diesem Schluß offenbar wird, ist die unbedingte Einheit des Formierens: »die Formtätigkeit des Übersetzens der bedingenden Wirklichkeit in die bedingte ist an sich die Einheit, in welcher die vorher zum gleichgültigen Dasein befreiten Bestimmtheiten des Gegensatzes aufgehoben sind und der Unterschied des A und B ein leerer Namen ist.« (GW XII, 123) – Trotz seiner inneren Notwendigkeit haftet auch diesem Schluß noch eine Kontingenz an; dem Müssen der Vermittlung geht das Sein ab (vgl. Erdmann 1901: 126). Wohl ist es notwendig, daß der geständige Ver-
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
brecher bestraft oder das entstehende Leben geschützt wird, allein, ob dies geschieht ist kontingent. Der Verbrecher kann lügen und das entstehende Leben kann abgetrieben werden. In der Verknüpfung fixer Bestimmungen liegt nicht das Eigentümliche des Schlusses, er muß als reine Tätigkeit und als deren Offenbarung, als Einheit von Müssen und Sein – nicht als bloße Folge von Propositionen – begriffen werden. Die reine Tätigkeit ist im hypothetischen Schluß noch nicht im vollen Sinne präsent. Die reine Tätigkeit ist selbstbezügliche Negativität, diese ist im hypothetischen Schluß bereits gesetzt: A negiert B, da aber gilt, ›wenn A, dann B‹, so negiert A sich als das, was es ist, selbst. Als es selbst wird es dasjenige, was seine Negation darstellt. Was hier statt hat, ist die Negation der Negation. Doch ist die eine Notwendigkeit, die A und B ist, noch unausdrücklich und innerlich, sie ist gesetzt in der Übergängigkeit des Seins von A und B. Die Wirkung der Notwendigkeit ist erkenntlich, diese selbst aber scheint verborgen. Sie kommt nur im Mangel an Selbstsein von A und B zum Tragen, weshalb A und B überhaupt der Not-wendigkeit unterliegen und angesichts ihres Übergangs gleichgültig sind. Die Notwendigkeit, die aus dem Verborgenen heraus wirksam wird und ein Resultat zeitigt, das dieser Verborgenheit entsprechend den Schein der Andersheit (A und B werden je anders) mit sich bringt, steht der Freiheit in Einheit entgegen, die den freigebenden Begriff auszeichnet. Diese Freigabe ist aber das Kennzeichen der Formtätigkeit, denn durch sie wird eines als unterschieden Eines (als sich setzendes Individuum) gesetzt, das als selbstbestimmt frei ist. Erst darin findet die Formtätigkeit ihren Abschluß und entsprechend ist der Schluß nicht umfassend bestimmt, solange in ihm nicht dieses Freiheitsverhältnis zum Ausdruck kommt. Wie wird die Formtätigkeit des Schlusses also weiter bestimmt werden müssen? In der Dialektik der Endlichkeit wurde deutlich, daß die vollständige Negation der Negation die zweifach doppelte Negation erfordert (vgl. hier S. 117 f.). Die zweite doppelte Negation ist dann erreicht, wenn die Bestimmung nicht nur als relativ, sondern auch als auf sich selbst bezogenes und selbständiges Resultat manifest wird, wenn also Einzelheit positiv als Bestimmtes gesetzt ist. Erst darin wird die Einheit von Vermittlung und Vermitteltem im vollen Sinne erreicht, weil dann nicht mehr nur das Vermittelte in der Vermittlung (als negativer Einheit) Eingang findet, sondern auch die Vermittlung als Vermitteltes, d. i. die Selbstvermittlung manifest wird. Die Realisierung dieser Schlußweise liegt im disjunktiven Schluß. Er besteht aus (i) dem Obersatz: ›A ist entweder B oder C oder D.‹ Das heißt die Gattung ist identisch mit ihren Besonderungen, diese sind in sie aufgenommen; A ist allgemein. (ii) Untersatz: ›A ist aber nicht C noch D.‹ Der
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Unterschied, den das Allgemeine im Kreis seiner Besonderung integriert hat, bedeutet den gegenseitigen Ausschluß der Bestimmtheiten; A ist besonders. Es folgt (iii) der Schluß: ›A ist also B.‹ Die Bestimmtheiten B, C und D sind nicht nur ein gegenseitiges Ausschließen, sie sind nicht nur relativ aufeinander, sondern ebenso positiv auf sich bezogen. So ist A positiv als Bestimmtes gesetzt; A ist Einzelnes.34 Die »Einheit des Vermittelnden und des Vermittelten« (GW XII, 124) ist mit diesem Schluß ausdrücklich: Das allgemeine A ist sowohl der Umkreis der Bestimmungen als auch ein Einzelnes, es ist vermittelnd und vermittelt. Die Einheit dieses Schlusses ist nicht lediglich die Notwendigkeit, die ein Dasein in ein anderes Dasein (A in B) übersetzt, sondern sie vermittelt sich ausdrücklich selbst zum Dasein. Im disjunktiven Syllogismus kann jeder Satz aus den beiden anderen abgeleitet werden, somit geht er weder von einer unmittelbaren Prämisse aus, noch setzt er die Richtigkeit des Schlußsatzes voraus, er gilt überhaupt voraussetzungslos. Der medius terminus ist nicht von den vermittelten Bestimmungen abstrahiert, er taucht in allen Sätzen wieder auf und zeigt sich so als das eigentlich Vermittelte. Im A ist der ›innere Inhalt‹ des hypothetischen Schlusses gesetzt. Im disjunktiven Schluß wird das Einzelne nicht unter ein abstraktes Allgemeines subsumiert. Die Subsumtion beruht auf Gegenseitigkeit, nur weil das Allgemeine selbst Einzelnes ist, ist das Einzelne in das Allgemeine eingestellt. Zu demjenigen, was es selber ist, braucht das Einzelne sich nun nicht mehr irgend zu positionieren, denn darin ist es frei es selbst. Die Einseitigkeit der Verhältnisbestimmungen, wonach das Einzelne als Teil des Ganzen bestimmt und demzufolge (jeweils einseitig) sub specie singularis oder universalis betrachtet werden könnte, ist mit dieser Einstellung getilgt. Das Denken des Begriffseinzelnen ist standpunktlos.35 Wenn Begriff, Urteil und Schluß als Angabe der Form einer Sache nicht erweisen können, wie Form und Sache in ursprünglicher Übereinstimmung sind, sind sie lediglich Formalismen. Sie setzen dann voraus, daß die von ihnen intendierte Sache zu der von ihnen beschriebenen Form passe und bestätigen auf diese Weise zugleich, daß sie selbst inhaltslose Formalismen sind. Begriff und Sache werden dann lediglich schematisch abgeglichen. Unter solch abstrakte und unmittelbare Bestimmungen kann lediglich einseitig eine Wirklichkeit subsumiert werden, sie sind selbst nicht objektiv, sondern auf objektive Bestätigung angewiesen, da der intendierte Inhalt von
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Ein Beispiel: Lebewesen sind Pflanzen, Tiere und Menschen. Dies ist nicht Tier noch Mensch. Daher ist es eine Pflanze. 35 Zur Charakterisierung des Denkens der Begriffslogik als standpunktlos vgl. Haas (2003: insbes. 111 ff.) und hier S. 149, Fn. 11.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
ihnen abwest. Dieser Formalismus ist im disjunktiven Schluß aufgehoben, denn er zeigt die Formierung des Allgemeinen: Vermittlung und Vermitteltes sind eins. Es kann daher überhaupt nicht mehr von irgendwelchen fixen Bestimmungen die Rede sein, auch nicht von der Wahrheit als einem ›Aufeinanderpassen‹ eines Bildes im Geiste und einer vorliegenden Wirklichkeit oder als Abgleich von Begriffsform und Sache. Auch nicht von einer Vorstellung, wonach die begrifflich-denkerische Vermittlung hie und das Sein da (anders und getrennt vom Denken) steht und nun die beiden irgendwie aufeinander passen sollen, wie Gestalt und Abdruck oder Vorbild und Abbild, wobei Gestalt auch ohne Abdruck und Vorbild auch ohne Abbild bestünde. Wo Vermittlung und Vermitteltes einander nicht äußerlich sind, da ist das Vermittelte zur stetigen Vermittlung geworden, solches ist ein Prozeß. In diesem Prozeß ist der im Urteil auseinandergelegte Begriff systematisch vermittelt und mit sich zusammengeschlossen. – Der Wille, der etwas will, wird darin nicht eingeschränkt und unfrei, sondern er bestimmt sich zu seiner Bestimmung, ist darin er selbst und nur so konkret und frei. Auch Ich und Gott sind solch ein konkreter Begriff. Nicht nur als abseitsstehendes Drittes ist der Begriff die zusammenfassende Einheit seiner Bestimmung. Vielmehr ist er in dieser Bestimmung selbst in Einheit. Das gilt, weil er der Eine Begriffsunterschied ist und daher nicht sinnvoll von irgendeiner (vorliegenden) Materie geschieden werden kann, die er einteilt und formiert. Der Begriff wäre als Gegenstand behandelt, er ist aber Begriffsunterschied und sein Unterscheiden ist im disjunktiven Schluß als einzig gültig erwiesen. Kein Gegenstand besitzt diese Geltung. Da der Begriff sich von sich selbst unterscheidet, setzt er den Unterschied nicht mehr einfach als etwas Undenkbar-Gegebenes voraus, er bringt ihn hervor.36 Bei Hegel ist der Begriff keine an der Einheit des Bewußtseins orientierte Identität, die den Widerspruch meiden muß und daher auf die Wahrheit des Identitäts-Verhältnisses rekurriert.37 Gälte diese Identität als Maß der Wahrheit, dann bliebe der Begriff immer nur (subjektiv) bei sich. Um bei diesem (subjektiven) Begriff dennoch Objektivität denken zu können, müßte zu diesem etwas hinzukommen, das thetisch vorausgesetzt würde, entweder als ein Gegebensein (Kant) oder in der Form einer ursprünglichen Setzung (Fichte), die aber letztlich unvereinbar mit der setzenden Subjektivität bleibt, weshalb diese umgekehrt mangelhaft ist. Die Identität des Ich = Ich 36
Jede Voraussetzung behauptet die unvermittelte Undenkbarkeit ihres Gegenstan-
des. 37
Vgl. Boeder (1980: 654); insofern kann auch nicht pauschal, also unter Einbeziehung Hegels, behauptet werden, der spekulative Idealismus habe »an der Reflexivität des Selbstbewußtseins seine eigentliche Basis.« (Gadamer 1966: 129)
3.1 Konkreter Begriff – Präsentation wird Darstellung
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wird von der Begierde getrieben, ihrer Selbstgewißheit im Kampf mit der ›Wirklichkeit‹ die »wirkliche Wahrheit seiner Gleichheit mit sich« (GW XII, 131) zu geben (vgl. GW IX, 107 ff.). Dieses Projekt ist bereits in seinem Anfang zum Scheitern verurteilt, der Kampf hat kein Ende, da die Gewißheit die Trennung von der mannigfaltigen Welt zu ihrer Konstitutionsbedingung hat, ihre Bewahrheitung im vollen Sinne ist prinzipiell ausgeschlossen, denn darin würde aufgehoben, was durch sie bestätigt werden soll. ›Übereinstimmung‹ mit der Objektivität, d. i. Wahrheit, könnte es nur durch Repräsentation in einem Dritten geben. Der Begriff hingegen, der geeinter Unterschied, beziehungsweise reine Formtätigkeit ist, ist nicht bloß subjektive Gewißheit, er ist nicht das Produkt unseres Denkens. Weil dieser Begriff selbst keine bloße Identität ist, sondern umfassend vermittelt und dadurch erwiesen ist, ist er objektiv. Auf irgendeine Bestätigung (Bewahrheitung seiner Gewißheit) ist er nicht angewiesen. Der Subjektivität des Begriffs steht die Objektivität nicht entgegen, denn er ist keine reine Identität mit sich, der das Außereinander der Objektivität unvermittelbar fremd wäre. Der Begriff objektiviert sich selbst: Durch den Schluß ist der Begriff von erwiesener und voraussetzungsloser Gültigkeit, er gilt an und für sich. Weil er im disjunktiven Schluß umfassend selbstvermittelt ist, kann in ihm keinerlei Unterschied mehr festgestellt werden, alle Sätze können in der Position von Ober-, Unteroder Schlußsatz auftreten. So ist der vermittelte Begriff im disjunktiven Schluß ebensosehr ohne Vermittlung, unmittelbar an und für sich objektiv. Der Begriff ist also selbst Objektivität, er muß sie nicht erst werden oder sich strebend aneignen, ebensowenig ist sie ihm entgegengesetzt. Vielmehr können wir sagen: Der Erweis des Begriffs ist seine Objektivität und wäre der Begriff nicht Objektivität, so wäre sie nicht und so gäbe es auch keine Objekte. Angesichts der Genesis der Objektivität aus dem subjektiven Begriff wird deutlich, daß weder die Rede von einer ursprünglichen Entgegensetzung von Subjekt und Objekt noch diejenige von ansichseiender Objektivität Berechtigung hat. Objektivität ist ja erst vom Begriff her und eine Entgegensetzung von Subjekt und Objekt spricht dem Subjekt selbst objektiven Status zu und hat dementsprechend seinen Ort erst innerhalb der Objektivität (nämlich in der äußeren Zweckmäßigkeit). Doch ist der Begriff nicht unterschiedslos und einfach ›objektiv‹, sondern qua des Unterschiedes, den er als urgeteilter macht. Dieser wird im Schluß zur Unmittelbarkeit vermittelt. Diese ist ebenfalls nicht einfach unmittelbar, sondern sie ist Einheit von Vermittlung und Vermitteltem. Die Unmittelbarkeit des Begriffs, die Objektivität, wird aufgrund dieser Einheitsstruktur prozeßhaft sein. So kann die Objektivität als Ausdruck des Begriffs gelten, sie ist in der Abwesenheit der Vermittlung des Begriffs dessen »unmittelbare Darstellung« (AV XI, 165).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Weil der Begriff Formtätigkeit ist, so wird er sein Anderes. Dieses Andere steht nicht irgendwie außerhalb des Denkens, der Begriff wird nicht zu greifbarem Sein als solchem. Schließlich ist die Position des Seins in der Geschichte des Begriffs schon längst als Moment des Wesens inbegriffen. In solch ein Sein überzugehen, bedeutete für die Subjektivität einen Rückschritt. Rückschritte führen in der Logik nur zu ihrem Ausgangspunkt zurück, also hier wiederum zur Subjektivität des Begriffs. Das Sein als solches ist nicht Thema der Lehre vom Begriff und der Erweis der Subjektivität als Objektivität, d. i. nach Hegel der rechtverstandene ontologische Beweis38, spricht weder von einem subjektiven Bewußtsein, noch von dieser ganz »arme[n] und beschränkte[n] Bestimmung« (GW XII, 128) des bloßen (gar sinnlichen) Daß-Seins, das an irgendeinem Etwas (Gott) vorgefunden werden könnte. Daß der Begriff objektiv wird, zeigt die Objektivität vielmehr als dessen Moment, so wie das Sein im ontologischen Beweis Moment Gottes ist, Gott deshalb aber nichts ist, das irgendwie im Sinne der Präsentation seiend wäre (er ist weder noch ist er nicht).39 Was bedeutet dann die Objektivität des Begriffs, was zeigt sich in seiner unmittelbaren Darstellung und wie kann diese, da nur in der Vermittlung Darstellung stattfindet, unmittelbar sein?
3.2 Vom Begriff durchdrungene Objektivität 3.2.A Welt Im disjunktiven Schluß ist der vermittelte Begriff zugleich als vermittelnd bestimmt. Indem er sich nur auf sich bezieht, ist er kein leeres Kreisen in sich selbst, sondern bestimmt und objektiv. Der Begriff gewährt Durchsicht. In Der Durchsicht wird aber kein Objekt und nicht die einfache Bestimmtheit oder das Ding der objektiven Logik gesehen. Dort wäre eher von Draufsicht zu sprechen, da das Etwas undurchdringlicher Gegenstand ist und als Objekt gegen das Subjekt steht. Wo die Subjektivität hingegen an und für sich identisch mit der Objektivität ist, gibt es kein Entgegenstehen. Die Durchsicht des Begriffs ist reine Transparenz, sie zeigt nichts anderes als den Begriff. Das aber ist nicht der subjektive, bei sich bleibende, sondern der umfassend er-
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Der von Anselm gefundene ontologische Beweis baut also nach Hegel auf dem Übergang von Subjektivität zur Objektivität auf, nicht v.v. 39 Im Zusammenhang der Stellung des Seins im Wesen und im Absoluten sei auf die wertvollen Erläuterungen von Haas (2003: besonders 29–33) hingewiesen.
3.2 Vom Begriff durchdrungene Objektivität
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wiesene und explizierte Begriff, eben die Objektivität. ›Gegenstand‹ der vom Begriff eröffneten Durchsicht ist die Selbstdarstellung. Diese Objektivität ist das Resultat der aufgehobenen (nicht: ausgeschlossenen) Vermittlung des Begriffs, eine unmittelbare Totalität. Aufgrund ihrer Unmittelbarkeit zerfällt diese Totalität in eine Mannigfaltigkeit von Selbständigen, die aber als Totalität weiterhin geeint sind. Aufgrund ihrer Selbständigkeit sind sie jedoch nur in Gleichgültigkeit (vgl. Enz. (1830) § 194) geeint. So bilden die Objekte eine Welt40, die in ihrer Mannigfaltigkeit immer ein Weltverhältnis ist. Als mögliche Weltverhältnisse (Objektivitäten) gibt Hegel Mechanismus, Chemismus und Teleologie an.41 Von den objektiven Wissenschaften wird ein Weltverhältnis jeweils vorausgesetzt.42 Ihre Methoden erfassen die Objekte eines definierten Gegenstandsbereichs, nicht aber die Objektivität. Mit dem Identitätserweis von Subjektivität und Objektivität ist der Begriff nicht als undurchdringliches Da(ß)sein behauptet. Dieses Konzept wurde längst als unhaltbar erwiesen. Hier werden nicht echte Hasen aus metaphysischen Hüten hervorgezaubert, wie Popper meinte.43 Die Objektivität ist 40
Hegel schreibt: »Das Objekt hat hiermit [durch die Gleichgültigkeit], wie ein Dasein überhaupt, die Bestimmtheit seiner Totalität außer ihm, in anderen Objekten, diese ebenso wieder außer ihnen und so fort ins Unendliche. Die Rückkehr dieses Hinausgehens in Unendliche in sich muß zwar gleichfalls angenommen werden und als eine Totalität vorgestellt werden, als eine Welt, die aber nichts als die durch die unbestimmte Einzelheit in sich abgeschlossene Allgemeinheit, ein Universum ist.« (GW XII, 135) Weil sie nicht von anderem bestimmt wird, ist die Welt Einzelheit. Die Einzelheit der Welt ist aber unbestimmt und nicht wie die Einzelheit des Begriffs die bestimmte Bestimmtheit. Die Welt ist, da Gegenstand ihrer Bestimmung die gleichgültigen, mithin äußeren Objekte sind, nicht selbstbestimmend. 41 Haas (2003: 117) zählt unter »die logisch vorgezeichneten Seinsmöglichkeiten von Seiendem überhaupt« zusätzlich das Leben. Damit wird womöglich die Spezifik des Lebens und seine Unterscheidung von den objektiven Weltverhältnissen übergangen. Zum Leben gehören auch mechanische und chemische Prozesse. Insofern geht das Lebendige aus den Seinsmöglichkeiten von Seiendem hervor und ist selbst ein Seiendes. Allein, da Leben wesentlich »aufgefaßtes Leben« (wie innerhalb der Idee im anderen Leben der Gattung deutlich wird, vgl. hier S. 367 f.) ist, wie der Übergang der Idee des Lebens zum Wahren zeigt, ist das Leben so wenig eine Seinsmöglichkeit wie das Wahre, Gute und die absolute Idee Seinsmöglichkeiten sind. 42 Von hier aus wäre allerdings auch eine andere Begründung der Logizität der Objektivität möglich, die Schmidt (2004: 47) anführt: »[E]in Beweis für den Übergang des Begriffs (einschließlich seiner mathematisch-logischen Struktur) ist die Existenz der Naturwissenschaften. Wenn Naturwissenschaften existieren dann muß der Begriff in der Natur anwesend sein. Wäre der Begriff in der Natur nicht anwesend, dann könnte es keine Naturwissenschaften geben.« 43 Vgl. Popper (1963: 27), dort bezieht sich die Äußerung direkt auf die Naturphilosophie. Ein vielsagendes Mißverständnis, Popper meint, es gehe um (faktische) Echtheit, wo es Hegel um die Struktur der Wahrheit geht.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
weder ein echter Hase noch irgendein anderes Objekt, sie ist kein Gegenstand. Daß der subjektive Begriff als Objektivität gilt, bedeutet keine obskure Faktizität und keine sinnliche Existenz des Begriffs. Der Begriff wird nun nicht als einfache Bestimmtheit hingestellt, das heißt als etwas, das irgendwie (raum-zeitlich) da ist. Es wird vielmehr eine Geltung, ausgedrückt. Diese ist dem Denken nicht entgegengesetzt oder ›außerhalb‹ seiner. Von einer Geltung ist die Rede, die so wie ein Gesetz, das nur im Willen des Subjekts existiert, dennoch objektiv ist. Hier ist die Geltung die prozessuale Durchsichtigkeit des Begriffs, die ihn zunächst zur Objektivität bestimmt und schließlich auch diese als begrifflich transparent erweist, weil sie vom Begriff durchdrungen ist. Wo Objektivität nicht nur an sich, sondern auch für sich identisch mit dem Begriff ist, kann sie nicht wahrheitsgemäß gegenständlich bestimmbar sein, sondern muß als Prozeß aufgefaßt werden. Innerhalb dieses Prozesses kann es dann etwas geben, von dem gesagt werden kann, daß es ist. Freilich nicht so, daß ihm sein Sein zum Eigentum würde, das heißt nicht substantiell, sondern auf eben die Weise, in der etwas ist, nämlich endlich und vergänglich. Die Objektivität expliziert die allgemeine Form, wie etwas (natürlich und geistig) in der Welt sein kann. Hegel zeigt, daß der Begriff als er selbst zur Welt der Objektivität übergeht und dazu keines unableitbaren Mitprinzips bedarf, wie es in der Tradition durch die Materie44 verkörpert wurde. Die Objektivität wird daher auch nicht von einer Substanz (zugrundeliegender Materie) bestimmt, denn sie ist reine Äußerlichkeit des Begriffs. Das zeigt sich an der Prozeßhaftigkeit der Welt, denn in ihr ist nichts bleibendes, d. i. die Äußerlichkeit ist ideell: Sie hebt sich auf. Einwände gegen die Logizität der Objektivität45 gehen daher am Thema der Objektivität vorbei, denn hier werden nicht natürliche oder geistige 44
Freilich mit einer äußersten Spannweite, für die nur die Beispiele Platon (Timaios 48e ff. und 51a; ungeformte Materie als triton genos), Augustinus (Confessiones XII 4 und 9; von Gott geschaffene formlose Masse als voraus-gesetzte Bedingung der von ihm unterschiedenen Schöpfung, die nicht unigeneto (XII 7) ist) und als Vertreter eines ›intelligenten Materialismus‹ Bruno (De la causa, principio e uno III; aus sich selbst heraus schöpferische Materie, die begehrt, Formen hervorzubringen) genannt seien. 45 Beispielsweise bei Bubner (1980: 114 f.), der meint: »Die Inhalte des Mechanismus, des Chemismus, der Teleologie und im weiteren des Lebens gehören strenggenommen in die Naturphilosophie.« Dort tauchten sie auch »in Abwandlung wieder auf.« Bubner klärt aber nicht, worin die Abwandlung besteht. Zudem zeigt ja gerade die »Abwandlung«, daß die logischen und naturphilosophischen Bestimmungen gerade nicht austauschbar sind (vgl. zum Abstand von Logik und Naturphilosophie am Beispiel der Idee des Lebens hier die Bemerkung zum Unterschied von Leben der Idee und Naturleben auf S. 351 ff.). Auch Hösle (1998: 147), Düsing (1995: 289) und Iber (2003: 66) lehnen die Logizität der Objektivität grundsätzlich ab. Letzterer schreibt: »[D]ie Begriffslehre fällt in zwei disparate Teile auseinander. Während die subjektive Begriffslogik eine Erkenntnistheorie des be-
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Evidenzen des logischen Begriffs gesucht oder behauptet. Um solche geht es im übrigen auch nicht in der sogenannten Realphilosophie, sondern um die jeweilige Gestalt des Denkens angesichts seiner verschiedenen möglichen Inhalte. Das vernünftige Denken ist auf keinerlei Bestätigung durch äußere Evidenzen angewiesen. Da es an und für sich Geltung besitzt, ist nicht irgendein Objekt Darstellung des Begriffs.46 So versichert sich die Philosophie angesichts von Natur und Geist nicht ihrer notwendigen und systematischen Geltung. Aufgrund der Gleichgültigkeit, die die Welt auszeichnet und des in ihr waltenden Außereinanders ist vielmehr sicher zu erwarten, daß es welthafte Phänomene gibt, die der systematischen Einheit des Begriffs gegenüber indifferent sind oder ihm nicht entsprechen, denn sie stellen in ihrem bestimmten Sein einseitige Ausgestaltungen seiner dar. Dies sind die »haltlosen Existenzen«, welche in der Welt vorkommen und wieder verschwinden wie eine Mode. Thema der realphilosophischen Wissenschaften ist vielmehr die jeweils andere Gestalt und Stellung von Denken und Wissen gegenüber (a) Natur und (b) Geist. Schließlich gilt auch hier, daß die Philosophie nicht Erzählung all dessen ist, was ›es gibt‹, sondern daß sie aufzeigt, was daran wahr ist. In Natur und Geist schaut beziehungsweise denkt das philosophierende Denken in anderer Weise als innerhalb der Logik, wo es – wie die Bestimmung des Widerspruchs zeigte – Mitdenken mit der Formierung ist. Der Abschnitt zur Objektivität zeigt, wie das Mitdenken das Andere des Denkens denken kann. Dieses Andere ist die Äußerlichkeit, in der alles Seiende konstituiert wird. Gedacht wird sie als vom Denken selbst vermittelte Unmittelbarkeit. So denken wir, wie das Denken sein Anderes nicht einfach greifenden Denkens ist, stellt sich die Lehre von der Objektivität als ontologische Begriffsmetaphysik dar.« Daß die Logik keine Erkenntnistheorie ist, weil sie deren Voraussetzung nicht teilt, wurde hier bereits zu Anfang des Logikabschnitts erläutert. Wird der Begriff des Begriffs dennoch als bloße Formalität (so wie die Kategorien der Erkenntnistheorie) verstanden, dann muß es in der Tat erstaunen, diesen Begriff als Objektivität bezeichnet zu sehen, ist er doch an sich leer. Hegels Begriff des Begriffs erfaßt aber keinen Gegenstand, sondern nur sich selbst und die dem Begriff immanente Vermittlung zur Darstellung. Daher kann (und muß) er selbst Objektivität sein, denn diese ist nichts als Darstellung, so man sie nicht als an sich bestehendes und unkennbar abstraktes Ding an sich behauptet, was sicher nicht in der »emanzipationsphilosophische[n]« Absicht Ibers läge. 46 Dies zeigt etwa der Begriff der Sittlichkeit, denn sie gilt an und für sich und bestimmt als solche auch das Dasein endlicher Wesen, die Handlungen der Menschen. Letztere liefern aber als solche keinen Erweis für die Geltung der Sittlichkeit, dessen bedarf sie nicht, da sie unbedingt ist. Der Mensch kann tun, was er will, es setzt sich darin immer die Sittlichkeit durch und sei es in der Vergänglichkeit und Schuldhaftigkeit seines Wirkens. Daher zeigt sich die Sittlichkeit wohl in den Handlungen der vereinzelten Menschen, sie erweist darin aber sich selbst, sie wird nicht bewiesen, da sie von den kontingenten Handlungen nicht abhängt, – deren Kontingenz ist ihr wesentlich.
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anders, nämlich gleichgültig auf der Seite liegen läßt: Es denkt mit diesem und läßt es bestimmt sein, statt es unbestimmt nicht sein zu lassen. Seine erste Bestimmung ist die, äußerlich und anders zu sein. Das reine Denken der Vernunft hat dabei nur mit sich selbst zu tun, es ist Denken mit sich und erfaßt nicht Objekte, sondern schaut seiner eigenen Äußerlichkeit zu. Diese Präsenz im Bei-sich-Sein besitzt weder das Denken der Natur noch dasjenige des Geistes. (a) In Anbetracht der als Natur bestimmten Idee wird das Denken zum Nachdenken einer Natur, die sich gegenüber ihrem Gedachtwerden in Gleichgültigkeit fortbewegt und die auch Zufälliges umfaßt.47 So gibt es in der Natur Vorkommnisse, die sich dem Begriff durchaus versperren und umgekehrt von diesem auch nicht begriffen zu werden brauchen, weil es eben gleichgültig ist, etwa wieviele Arten des Papageis oder der Veronika es gibt etc. Das Denken betrachtet hier etwas, das ist, wie es ist. Diesem geht es nach. Das in der Natur empirisch Beobachtete wird vom Nachdenken begrifflich geordnet und auf seinen logischen Begriff gebracht. Es wird nicht vom Nachdenken hervorgebracht (dazu Burbidge 1999). (b) In Anbetracht des Geistes und der Sittlichkeit ist das Denken Vordenken. Es gilt hier anzuerkennen, was unbedingt gilt und dieser Geltung positive Realität zu verschaffen, sie zu institutionalisieren (Rechtsphilosophie). Wo endliches Denken diese Anerkennung verweigert, verstrickt es sich in Schuld und verwirklicht die Geltung somit in negativer Form. Im Unterschied zur Natur hat das Denken des Geistes keinen Gegenstand, der ist, wie er ist, und dem es nach-denkt. Es hat aber eine Vorgabe in der unbedingten Geltung des absoluten Geistes. Das Denken betrachtet hier etwas, dessen Geltung sich sicher durchsetzt, zu dem es sich aber anerkennend oder verweigernd verhalten kann. Es hat hier Zukunft, denn es kann sich gestaltend betätigen. In Natur und Geist geht es dem Denken gleichermaßen nur um das, was notwendig ist.48
47
Angesichts von Hegels präziser Ausdrucksweise und seinem feinen Sinn für Ironie wird man sich an die erste Seite seiner ersten eigenständigen Monographie, der Phänomenologie des Geistes, erinnern. Dort führt sich Hegel als »Professor der Philosophie zu Jena, der Herzogl. Mineralog. Societät daselbst Asseßor und andrer gelehrten Gesellschaften Mitglied« ein. Eine derartige Einführung mag auch eine Gepflogenheit der Zeit gewesen sein, sie weist aber zugleich auf den Inhalt einer Philosophie, die Geist und Natur nicht auseinanderreißt. Der Philosophieprofessor ist zugleich Mineralogieassessor. 48 In keinem Falle ist die Philosophie jene in der Vorrede zur Rechtsphilosophie erwähnte »Ultraweisheit« (TWA 7, 25), die aus Eitelkeit Nichtseiendes als Etwas, d. h. Zufälliges für notwendig erklärt oder die Welt belehrt, wie sie sein solle (vgl. TWA 7, 27 f.). – Die Erforschung der unterschiedlichen Zeitverhältnisse des Vor-/Mit- und Nachdenkens ist, soweit ich sehe, noch ein Desiderat.
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Der Übergang vom Begriff zur Objektivität erhellt die Bedeutung der objektiven Weltverhältnisse. Damit werden auch die weiteren Fragen nach Gegenstand und Möglichkeit unmittelbarer Darstellung beantwortet. Der Begriff ist, wie erwähnt, nicht einfach mit der Objektivität identisch, sondern durch seinen immanent vermittelten Unterschied. Weil dieser Unterschied aufgehoben ist, wird der Begriff unmittelbare und unterschiedslose Totalität. Der umfassend mit sich vermittelte Begriff ist objektiv gültig, doch die Objektivität oder unmittelbare Totalität ist nicht von Geltung gekennzeichnet, sondern von Gleichgültigkeit. Die unmittelbare Totalität bildet eine Welt. Aufgrund der unmittelbaren Selbständigkeit der Objekte zerfällt jedoch die Welteinheit. Die Objekte sind gleichgültig gegen ihre Einheit, damit auch gegeneinander und dadurch auch gegenüber ihrer eigenen Bestimmung. Hier ist der Ort der Gegenständlichkeit der Objekte (nicht: der Objektivität). Die Gegenständlichkeit gibt es nur vor dem Hintergrund der Gleichgültigkeit.49 Wären die Objekte nicht einander gleichgültig, so wären sie entweder bereits geeint oder im einen Unterschied entgegengesetzt. In beiden Fällen wären sie ein Zusammenhang und folglich kein Stand, also auch kein bloßes Gegenständlich-Sein.50 Der Zerfall ist die dieser Welt eigentümliche Bewegung (Enz. (1830) §194).51 Weil im Zerfallen die Vermittlung
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Wie für Kant ist also auch für Hegel der Begriff des Gegenstandes begrifflich konstituiert. Während aber für Hegel die Kategorien Resultat eines selbstgenerierenden Verfahrens sind, sind sie für Kant leere Urteilsfunktionen, die durch ein Gegebensein erfüllt werden müssen (vgl. zum Unterschied zwischen Hegel und Kant in diesem Punkt Horstmann 2004: 88 ff.). 50 Die Logik gibt allerdings nur diese Ortsbeschreibung der Gegenständlichkeit. Die Logik selbst hat keinen Gegenstand, da die Form – ihr Thema – kein solcher ist, wohl aber kennt das ›erscheinende Bewußtsein‹ Gegenstände. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gegenständlichkeit des Gegenstandes, das heißt mit den verschiedenen Weisen des Objekt-Seins, findet daher in der Phänomenologie des Geistes statt. Diese Auseinandersetzung wird die gesamte Phänomenologie hindurch geführt, eine Schlüsselstelle stellt dort Kapitel IV. Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst (GW IX, 103 ff.) dar (dazu Spieker 2003, sowie besonders zur Frage des Gegenstandes Fink 1977: 171). Die Gestalt des Bewußtseins bestimmt sich nach der Art und Weise, wie es seinen Gegenstand auffaßt. So schreibt Hegel: »Dies bietet sich hier so dar, daß, indem das, was zuerst als der Gegenstand erschien, dem Bewußtsein zu einem Wissen von ihm herabsinkt, und das an sich, zu einem: für das B ewußtsein sein des an sich wird, dies der neue Gegenstand ist, womit auch eine neue Gestalt des Bewußtseins auftritt, welcher etwas anderes das Wesen ist, als der vorhergehenden.« (GW IX, 61) Die Notwendigkeit dieser Bewegung geht aber »gleichsam hinter seinem [des Bewußtseins] Rücken vor«. Die Logik blickt hinter diesen Rücken und deckt die Notwendigkeit der Bewegung auf, indem sie die Konstitutionsbedingung (und vergängliche Einseitigkeit) der Objektivität und ihrer Objekte zeigt. 51 An die gleiche Bewegungsart innerhalb der wesenslogischen Reflexionsbestimmungen sei erinnert (vgl. hier S. 179 f.).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
der Unterschiedenen wegfällt, sind diese unvermittelt, d. i. zufällig. Die Einheit ist ihnen äußerlich. Der Übergang des Begriffs zur Objektivität ist also derjenige von Geltung zu Gleichgültigkeit. So erhebt sich eine weitere Frage: Wie kann angesichts des Unterschieds von Geltung und Gleichgültigkeit überhaupt von einer Identität des Begriffs mit der Objektivität gesprochen werden? Solch eine Identität Verschiedener kann in keiner der beiden unterschiedenen ›Weisen‹ liegen. Die Identität, die sie bilden, ist wiederum die einer Darstellungseinheit. Von dieser kann vorwegnehmend gesagt werden, daß sie im Unterschied zur Darstellung innerhalb des formalen Begriffs nicht mehr im Einzelnen ihren Ausdruck findet, sondern als erfüllter Begriff, als ein ›Drittes‹ zu Subjektivität und Objektivität, das diese beiden integriert. Dieses wird die Idee sein. Der Objektivität selbst fehlt noch »die Freiheit der Individualität« (GW XII, 133), zu der sie erst entwickelt werden muß. Innerhalb der objektiven Welt herrscht das Verhältnis der Notwendigkeit. Eines wird hier durch ein Anderes zum Anderen. Das Objekt ist ohne Selbst. Das gleichgültige Objekt kann mangels eigener Bestimmtheit, die es nur in der äußerlichen Zusammenwirkung der Objekte erhält, nicht frei genannt werden. So hat es zunächst den Anschein, als ginge der Begriff, der objektiv wird, in eine Gleichgültigkeit über, die auch dem Begriff gegenüber gänzlich gleichgültig ist, d. i. außerhalb seines Geltungsbereichs liegt, denn schließlich war der Begriff freie Vermittlung mit sich, d. i. Selbstdarstellung. Welt und Begriff, Objektivität und Subjektivität wären unvereinbar gegensätzlich. Die unmittelbare Darstellung des Begriffs, als welche die Objektivität von Hegel eingeführt wurde, wäre unmöglich. Diese Ansicht ist zwar schon von der Seite des Begriffs her unhaltbar, denn er wurde ja zur Objektivität, aber die Identität bleibt eine bloße Voraussetzung, solange nicht von der Objektivität selbst gezeigt werden kann, wie sie nicht nur von ihrer Herkunft her (an sich) eins und mit der begrifflichen Geltung verbunden, sondern auch als sie selbst dem Begriff absolut adäquat ist: »Dieser Einwurf und Gegensatz hebt sich nur dadurch, daß das Endliche als ein Unwahres, daß diese Bestimmungen [wonach die Objektivität dem Begriff entgegen steht] als für sich einseitig und nichtig und die Identität somit als eine, in die sie selbst übergehen und in der sie versöhnt sind, aufgezeigt werden.« (Enz. (1830) § 193A) Andernfalls könnte die Objektivität nicht als Darstellung des Begriffs fungieren. Weil das gleichgültige Objekt, das Zerfallsprodukt der Objektivität, sich weder von anderen Objekten noch von seiner Bestimmtheit unterscheidet,
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gibt es hier nur eine Bestimmtheit, die doppelt ist. Doch zugleich sind die Objekte selbständig und unmittelbar. Daher sind sie von dem konstitutiven Widerspruch gekennzeichnet, sowohl selbständig als auch aufeinander bezogen zu sein. Die Objekte stehen im Verhältnis, ihre Beziehung ist äußerliche Einwirkung und ihre Einheit äußere Zusammenfügung, die, weil sie nicht aus dem Objekt selbst entspringt, Zwangsgewalt ist. Die Objekte unterliegen als Selbständige der Determination (GW XII, 135). Wie anfangs die Identität von Sein und Nichts in die synthetische Identifikation des Werdens einmündete, die den Widerspruch in der Bewegung zusammenhielt, so leitet der Widerspruch auch beim Objekt dessen Bewegung ein. Das Objekt ist Moment eines mechanischen Prozesses, in dem seine »Bestimmtheit nicht Selbstbestimmung, sondern ein Gesetztes ist.« (GW XII, 139) Für es selbst genommen ist das Objekt in seiner Gleichgültigkeit nur einseitig bestimmt, in Wahrheit ist es abhängig von den anderen Objekten, ohne die es haltlos wäre. So ist das Objekt immer außer sich. Weil es unselbständig ist, sucht es sein Zentrum und gravitiert. Da der Mechanismus ein logisches Verhältnis ist, wird er auch überall vorhanden sein. Sowohl in der natürlichen Gravitation als auch im Geistigen, etwa im Hobbesschen Staat oder im mechanischen Auswendiglernen, begegnen mechanische Verhältnisse.52 Das bedeutet aber nicht, daß alles auf ein mechanistisches Funktionieren zu reduzieren wäre. Der Mechanismus stellt vielmehr ein Moment der Objektivität dar. Stabilität und Sicherheit finden die selbständigen Objekte in einer äußeren Einheit. Das Gravitationszentrum ist eine abstrakte Vorstellung, ebenso wie die um es gravitierenden Einzelnen. So ist es auch nur ein abstrakter Staat (der Not- und Verstandesstaat), der durch eine unbestimmte Vielzahl von Einzelnen gebildet wird, die zusammenkommen, um sich der Zwangsmacht einer Autorität zu unterwerfen. Der wahre Staat hingegen ist – wie das konstituierende Recht – Ausdruck der sittlichen Freiheit seiner Bürger. Die Wahrheit des Mechanismus ist also sein zentraler Einheitspunkt. Dieses Zentrum ist kein äußeres Relat der Einzelnen. Die Einzelnen sind vielmehr innerlich bestimmt von diesem Zentrum. So gehen die Objekte nicht durch äußeren Zwang, sondern von selbst über und offenbaren damit ihr tatsächliches (Nicht-)Sein. »Indem es [das mechanische Objekt] durch den Prozeß in sich gegangen, ist der Gegensatz der einfachen Z entralität gegen eine Äußerlichkeit eingetreten, welche nun als Äußerlichkeit bestimmt, das ist, als nicht Anundfürsichseiendes gesetzt ist.« (GW XII, 145) 52
Daß es im Geistigen und im Natürlichen mechanisches Verhalten gibt, bezeichnet Mure (1950: 262) als »evidence for a distinct logical category of Mechanism.«
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Das zunächst indifferente Selbständige setzt sich als unselbständig, es ist unterschieden von Anderem, auf das hin es ausgerichtet ist. Das unabhängige Objekt ist zum anderen hin orientiert, es steht in einem chemischen, d. i. »dynamischen« (Erdmann 1901: 135) Verhältnis. In seiner Existenz ist das Objekt gegen sein anderes different. Das »differente Objekt« (Enz. (1830) § 200) strebt danach, sein Dasein seinem Begriff anzugleichen, der in der Einheit mit dem anderen besteht. Im Unterschied zum mechanischen Objekt fängt das differente Objekt aus sich heraus seinen Prozeß an und nicht durch die Determination eines anderen. Während im Mechanismus eine äußere Gewalt vereinigend wirkte, ist hier Gewalt vonnöten, um die dynamischen Objekte in der Trennung zu halten. Doch der Begriff dieser Objekte ist ihr negativer Einheitspunkt. Die Angleichung führt mithin zum Verlust der unmittelbaren Bestimmtheit. In der Vereinigung wird die Existenz des Objekts absorbiert, das Produkt ist neutral. Im Chemismus hebt sich also die Äußerlichkeit der differenten Objekte gegeneinander auf (GW XII, 153). Gleichzeitig wird damit auch das äußerliche Gegeneinanderstehen von existenter Realität und nur innerlichem, an sich geltendem Begriff aufgelöst. So tritt die Objektivität der Begriffsbestimmungen hervor (GW XII, 160). Das eigene Streben bewegt die differente Existenz zur Einheit, die ihr Begriff ist. Die Einheit, in die der Chemismus Eingang findet, hat allerdings die Verschiedenheit der Existenz zur Voraussetzung. So differenziert sich die neutrale Einheit wiederum in ein dynamisches Verhältnis. Dies geschieht nicht aus sich heraus, sondern nur durch ein hinzutretendes Prinzip, für welches das neutrale Produkt die gleichgültige Basis seiner Tätigkeit darstellt: »Diese Momente sind hiermit die abstrakte, gleichgültige Basis einerseits und das begeistende Prinzip derselben andererseits, welches durch seine Trennung von der Basis ebenfalls die Form gleichgültiger Objektivität erlangt.« (GW XII, 151). Der Chemismus selbst beinhaltet kein »begeistende[s] Moment der Differenzierung« (Enz. (1830) § 201). Die Reduktion des dynamischen Objekts zur Neutralität ergibt jenes Gleichgültige, das der mechanischen Einwirkung unterlag. Der Mechanismus aber führte umgekehrt zum Dynamismus. Beide Prozesse werden in ihrem Produkt aufgehoben. Sie sind daher sich selbst und einander äußerlich: Jeder Prozeß geht in den anderen über, da sein Produkt die vorausgesetzte Bedingung und der Anfang des jeweils anderen ist. So wie der Dynamismus die Äußerlichkeit der differenten Objekte aufhebt, so wird mit diesem Übergang der Prozesse ineinander auch die Äußerlichkeit der Vereinigung, und deren stille Neutralität in der (mechanischen) Differenzierung aufgehoben (GW XII, 153). Die vorausgesetzte Unmittelbarkeit der Unterschiede, welche die Äußerlichkeit und deren prozessuale Ordnung bedingte, ist nichtig,
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und die ad infinitum ablaufenden mechanischen und chemischen Prozesse sind aufgrund der sie konstituierenden Äußerlichkeit endlich. Ihre Realität besteht darin, Reflexion des Begriffs und seiner einheitlichen Bestimmung zu sein. »[D]ie ganz abstrakte äußerliche Unmittelbarkeit« widerspricht der Selbstbestimmung des Begriffs nicht, denn die Gleichgültigkeit der Objekte hat keine Macht, der Geltung des Begriffs entgegenzustehen. Sie ist die immanente Voraussetzung des Begriffs, so wie die Objekte immanent zweckgerichtet sind. So klärt sich, was sich in der unmittelbaren Darstellung des Begriffs zeigt, als welche die Objektivität eingeführt wurde: Das Bestimmen des Begriffs. Seine Darstellung ist unmittelbar (AV XI, 165), weil der Begriff sich durch ein von ihm gesetztes und sich selbst aufhebendes Medium selbst vermittelt. Anders als unmittelbar zeigt sich schließlich gar nichts (Präsentation), wenngleich ebenfalls gilt, daß das, was sich zeigt, nicht unmittelbar ist, wenn es nicht Nichts ist. Die äußerliche Objektivität stellt dem Begriff nun nichts mehr entgegen. Ihre Gegenständlichkeit hebt sich auf, sie ist »als eine unwesentliche Realität« (GW XII, 153) des frei bestimmenden Begriffs. Der Begriff ist darin das Unbedingte, denn er zeigt sich als differenzierender Anfang und vereinigendes Ende des Prozesses.
3.2.B Telos Mechanismus und Dynamismus können unter dem gemeinsamen Begriff der »Naturnotwendigkeit« (GW XII, 155), des allgemeinen Mechanismus, gefaßt werden. Weil Existenz und Begriff hier nicht übereinstimmen, streben die mechanischen und dynamischen Objekte zur Realisierung des Begriffs, d. i. zur Darstellung seiner Bestimmtheit und seiner Einheit, worin sie aufgrund ihrer anfänglichen Unmittelbarkeit untergehen. Die Objekte sind endlich und unfrei, da sie nicht durch sich selbst bestimmt sind. Umgekehrt ist der Begriff befreit, denn das Außereinander der objektiven Realität und deren Prozeß stehen ihm nicht undurchdringlich entgegen. Das Außereinander löst sich auf und ergibt als Bestimmend-beständiges den Begriff: »[D]ieser objektive freie Begriff ist der Zweck.« (GW XII, 153) Der allgemeine Mechanismus besteht nicht in sich und ist somit Darstellung der einheitlichen Bestimmtheit des Zwecks. Dieser gilt daher als Wahrheit des Mechanismus, und sein Hervortreten ist die Negation des allgemeinen Mechanismus. Damit wird nicht bestritten, daß es mechanische und chemische Objekte gibt. Doch die bloße Existenz, das heißt dasjenige, was es gibt, »ist nicht der Maßstab des Wahren« (GW XII, 154). So gibt es einseitig und nur halb Entwik-
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keltes, Unfertiges und Fremdbewegtes oder auch im subjektiven Verstand Irrtümer und Böses, doch all dies ist nicht beständig und nicht Substanz; oder wie Hegel sagt: Es ist nichts Wahres. Wenn es also einen notwendigen allgemeinen Mechanismus gibt und ebenso den freien Zweck, d. i. ein den Prozeß bestimmendes, selbst nicht von diesem bewegtes Prinzip, so können sie doch nicht gleichgültig nebeneinander bestehen und beide gleichermaßen wahr sein.53 Vielmehr ist der Mechanismus unbeständig. Als die den Mechanismus bestimmende Wahrheit, das heißt als dasjenige, was darin gilt, erweist sich der unbedingte Begriff und dessen Zweckbeziehung auf die Realität. Die neuzeitliche Kritik an der Teleologie54 lehnte die Konstatierung einer zweckgerichteten Realität als Anmaßung des menschlichen Verstandes ab; sie sei eine der Eigenheit der Dinge fremde Betrachtungsweise. Doch der Mechanismus betrachtet selber die Bewegung und Bestimmtheit der Objekte immer als fremdinduziert. In der Folge muß er eine »relative Welt« (GW XII, 157) entwerfen, in der es objektiv Bestimmtes geben soll, das von Anderem bestimmt wird. Alle Erscheinung mechanischer Bewegung zeigt nur eine jeweils endliche Ursache, die selbst wiederum mechanisch bestimmt ist ad infinitum. Von Zwecken darf da nicht gesprochen werden, denn sie sind – für das Subjekt undurchschaubar – selbst wiederum kausal-mechanisch motiviert. Diese im aufklärerischen Gestus auftretende Erklärung operiert aber selbst mit Reflexionsbestimmungen (Kraft, Ursache) und erweitert sich »durch die abstrakte Allgemeinheit zu einem All der Kräfte [Mechanismus], einem Ganzen von gegenseitigen Ursachen [Chemismus].« (GW XII, 155) Der allgemeine Mechanismus der Naturnotwendigkeit strebt also selbst nach Totalität, indem »er die Natur für sich als ein Ganzes zu fassen sucht, das zu seinem Begriffe keines andern bedarf«. Er versteht sie also im Sinne Spinozas als Substanz (Ethica, pars 1, Definitiones 53
Hegel wirft Kant vor, er habe die Frage nach der Wahrheit von Mechanismus und Teleologie unbeantwortet gelassen. Damit bezieht er sich auf dessen Lösung der Antinomie von Mechanismus und Teleologie, wonach alles »soweit man kann« (KdU, B 316) mechanisch zu betrachten sei und zugleich nicht ausgeschlossen werden soll, daß es auch »Zweckverbindungen« geben könne. Bei dieser Abwägung bleibt die Antinomie bestehen. 54 Beispielhaft genannt sei Spinozas Ethica, pars 1, Appendix. Spinoza sieht die Lehre vom Zweck daraus entstehen, daß die Menschen sich für frei halten, da sie die Ursachen ihrer Triebe (Spinoza ist hier ganz modern und spricht davon, daß nicht eigentlich nach Begriffen, sondern »pro dispositione cerebri« (1977: 104) geurteilt werde) nicht kennen. Weil sie darüberhinaus alles um eines Zweckes willen begehren, entsteht daraus das Vorurteil, daß Gott die natürlichen Mittel, die zur Erfüllung unserer Zwecke taugen, geschaffen habe, damit der Mensch ihn verehre. Weil die Lehre vom Zweck als Wirkung betrachte, was in Wahrheit Ursache ist, stelle sie die Natur auf den Kopf (98).
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III). Das Ganze des Mechanismus bleibt aber formell, denn die Bestimmtheit der in ihm versammelten Einzelnen ist dem »All« gleichgültig, sie folgt nicht aus ihm. Das bloße »All« hat kein Prinzip der Differenzierung in sich, sondern ist lediglich ein Subsumtionsallgemeines. Dieses Allgemeine ist zum einen gegenüber der einzelnen nicht durch sich selbst bestimmten Bestimmtheit äußerlich und zum anderen bedarf es der Konkretion durch ein Anderes, da es selbst inhaltslos ist. Dies gibt die mechanistische Weltsicht als »eine immanentere Ansicht […] als die Teleologie« (GW XII, 155) aus. Entgegen dieser Ansicht ist die Teleologie sogar voraussetzungsärmer als der Mechanismus, da sie die Bestimmtheit der Objekte als deren immanente Zweckmäßigkeit sieht und die Objekte selbst nicht einfach als Material zur Bestimmung durch ein Anderes voraussetzt. Diese Bestimmung des Zwecks ist aber noch aufklärungsbedürftig, denn sie muß zunächst in ihrem Gehalt entwickelt werden. In der Bestimmung der Zweckförmigkeit wird sich dabei der Unterschied zwischen innerem und äußerem Zweck auftun. Die »eigentliche Frage« ist nach Hegel schließlich, »ob nicht ein Drittes [zu Mechanismus und Teleologie] ihre Wahrheit oder ob einer die Wahrheit des anderen ist.« (GW XII, 154) Als Wahrheit des Mechanismus trat die Teleologie bereits hervor. Ebenso kam aber zum Vorschein, daß auch der Zweck zunächst ein Weltverhältnis ist: Der ihm zu Diensten stehende Mechanismus ist ihm eine »unwesentliche Realität« (GW XII, 153). »Indem er selbst noch innerhalb der Sphäre der Objektivität oder der Unmittelbarkeit des totalen Begriffs steht, ist er von der Äußerlichkeit als solcher noch affiziert und hat eine objektive Welt sich gegenüber, auf die er sich bezieht.« (GW XII, 159) Angesichts dessen stellt Hegel mit Kant fest: »Wo Zweckmäßigkeit wahrgenommen wird, wird ein Verstand als Urheber derselben angenommen, für den Zweck also die eigene, freie Existenz des Begriffs gefordert.« (GW XII, 154) So ist die erste Bestimmung des Zweckverhältnisses die Beziehung einer freien und allgemeinen Existenz zu einer unwesentlichen, von ihr bestimmten Realität. Mechanismus und Chemismus sind im Zweck vereint, denn er ist an und für sich bestimmt, das Objekt ist ihm äußerlich (mechanisch). Und er ist hingeordnet auf Realisierung, das Objekt ist seine Ergänzung (chemisch). Für die Beantwortung der zweiten Frage, ob der Mechanismus die Wahrheit der Teleologie ist et v. v., ist entscheidend, ob sich die Zwecktätigkeit in ihrem Produkt als Zweck erhält oder ob sie wiederum aufgehoben wird. In der Teleologie als Weltverhältnis sind Form und Inhalt voneinander unterschieden: Die Beziehung der mannigfaltigen, bestimmten Welt-Elemente (Form) zum in sich reflektierten Bestimmtsein des Zwecks (Inhalt)
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bedarf einer Vermittlung, denn Vielheit der Welt und Einheit der Bestimmung sind einander erst äußerlich. Im Unterschied zum allgemeinen Mechanismus spielt in der Teleologie der Inhalt aber überhaupt eine Rolle. Denn in ihr bestimmt ein an und für sich Bestimmtes und nicht ein unbestimmtes »All der Kräfte« o. ä. Die bestimmten Elemente vergehen, denn sie sind unwesentlich. Der Zweck besteht davon unberührt in sich, er benutzt mechanische und dynamische Prozesse zu seiner Durchsetzung. So verstanden wäre auch der Zweckbegriff nur ein abstraktes Allgemeines, unter das die Objekte subsumiert werden. Das aber heißt, den Zweck nur als negative Einheit zu verstehen. Hegel rekurriert wiederum auf Kant, um zu zeigen, daß der Zweck damit unterbestimmt bliebe (GW XII, 159): Bemerkenswert sei »die Stellung«, die Kant dem teleologischen Prinzip gebe. In der Zweckmäßigkeit wird nicht ein gegebenes Einzelnes unter ein gegebenes Allgemeines untergeordnet, denn dies ist die Tätigkeit der bestimmenden Urteilskraft. Die Teleologie hingegen ist ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, die die Vermittlung »zwischen dem Allgemeinen der Vernunft und dem Einzelnen der Anschauung« leistet. Der Zweck fungiert als Vermittlung, die sowohl allgemein als auch einzeln ist. Sieht man mit Hegel »von der vermögenskritischen Stilisierung« (Fulda 2003: 141) ab, die Kant hiermit verbindet, und die die Zweckmäßigkeit zu einem regulativen und nicht konstitutiven Prinzip (KdU § 61, B 270)55 macht, so kann diese Erläuterung fruchtbar werden: Demnach gilt es, einen Begriff zu finden, der als Zweck zunächst allgemein ist, ihn zu adäquater Besonderung zu bestimmen, so daß wir zu einem begrifflich bestimmten Einzelnen gelangen. Weder das Allgemeine noch das Einzelne ist hier vorausgesetzt, beide werden erst im Zweck hervorgebracht. Dieser Zweck ist »das konkrete Allgemeine«. Seine Struktur ist nicht einfach die Zuordnung von Gegebenen in einem (Subsumtions-)Urteil, sondern der Schluß, in dem Vermitteltes und Vermittelndes identisch sind. Der wahre Zweck ist derjenige, der sich objektiviert, der also als Objekt realisiert ist. Er stellt nicht nur eine verfeinerte Form der Subsumtionsallgemeinheit dar, die das Besondere nicht in sich integriert hat. Der im Weltverhältnis stehende Zweck ist ein »subjektive[r] Zweck« (GW XII, 160). Er ist für sich bestimmt und steht außerhalb der Objektivität. Die Bewegung der Zwecktätigkeit hat nun zum Ziel, sowohl diese bloße Subjektivität des Zwecks als auch die vorausgesetzte Objektivität, das heißt 55
Kant will durch die Zuordnung der Teleologie zur reflektierenden Urteilskraft anzeigen, daß es sich hierbei um ein höchst subjektives und also inferiores Verfahren handelt. Dagegen sieht Hegel das teleologische Urteil eben dadurch ausgezeichnet: Es subsumiert nicht wie die bestimmende Urteilskraft nur unter ein abstraktes Allgemeines, sondern gelangt zu einem konkreten Allgemeinen, dem das Besondere ein integrales Moment ist.
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die Bedingung seiner Verwirklichung, aufzuheben. Denn die Tätigkeit des Zwecks ist es, den Gegenstand in seinem gleichgültigen Sosein zu negieren und ihn identisch mit sich zu setzen. In dieser Tätigkeit realisiert sich der Zweck. Er setzt sich selbst in die Äußerlichkeit, deshalb geht er weder in sie über noch schlägt er um. Die Tätigkeit des Zwecks hebt damit die unmittelbare Subjektivität ebenso wie die unmittelbare Objektivität auf. Der Trieb zur Realisierung erweist die Endlichkeit und die dementsprechende Übergängigkeit des Verhältnisses von nur innerlichem Subjekt und nur äußerlichem Objekt. Der Zweck kann nicht subjektiv bleiben, sondern er strebt zur objektiven Darstellung des Begriffs. Die bloße Äußerlichkeit der Objekte hat keinen Bestand, denn die Objekte sind von der Form eines Zusammenhangs, die von einem Inhalt bestimmt wird. Doch bekommt die Teleologie in dieser Weise leicht einen ›läppischen‹ Zug (GW XII, 156), wenn nämlich der bestimmende Inhalt ein der Form gänzlich fremder ist. Das ist der Fall, wenn gesagt wird, die Korkeiche wachse, damit es Pfropfen für Weinflaschen gebe oder die Vielfalt der Fische im Meer sei dazu da, vom Menschen verspeist zu werden. Läppisch ist dieses teleologische Räsonnement, weil es letztlich nur ein verkleideter Mechanismus ist: Die für sich gleichgültigen Objekte dienen einem äußeren Zweck, der sie unmittelbar bestimmt. Wegen dieser Unmittelbarkeit herrscht hier – wie in jedem mechanischen Verhältnis – Gewalt (vgl. GW XII, 165 f.). Außerdem hat der subjektive Zweck am vorgefundenen Material seiner Realisierung seine äußere Bedingung. In seiner Realisierung kehrt er sich in diese Objektivität und wird dabei »sich selbst äußerlich« (GW XII, 161). Weil er schließlich überhaupt der Ausführung bedarf, ist der Zweck ein endlicher Zweck. Aufgrund seiner inhaltlichen Bestimmung und seiner äußeren Bedingtheit ist er begrenzt, darin ist er dem Sollen verwandt. Die Beziehung des Zwecks auf die vorausgesetzte Objektivität ist sein »Entschluß«, seine Bestimmung objektiv zu setzen. Der Entschluß wird zum Aufschluß und zur Eröffnung des Subjekts, weil es sich darin manifestiert. Es ergibt sich folgendes Bild: Mit der »Subjektivität des Zwecks« (GW XII, 162) wurde zugleich die äußerliche und zu bestimmende Objektivität (voraus-)gesetzt, also die unmittelbare Negation der Subjektivität. Der realisierende Aufschluß des Zwecks, seine Beziehung auf diese Objektivität, ist dann die Negation dieser Negation. Doch die ursprüngliche Unmittelbarkeit im Negationsverhältnis von Subjektivität des Zwecks und Objektivität der Welt bleibt präsent: Die zweck-realisierende Negation des gleichgültigen Objekts ist noch unmittelbar und noch nicht der erfüllte Zweck. So bezieht sich der Zweck erst einmal auf ein Mittel, durch das das Objekt geformt werden soll. Durch das Mittel ist der subjektive Zweck mit der äußerlichen
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Objektivität zusammengeschlossen. In ihm liegt die eigentliche zweckmäßige Tätigkeit: Das Mittel ist Objektivität, die bereits im Dienst des Zwecks steht. Insofern ist das Mittel selbst schon zweckmäßiges Objekt. Es verbindet die Extreme von reiner Subjektivität und vorausgesetzter Objektivität. Somit fungiert das Mittel als deren ausdrückliche Mitte und kann bereits als schlußförmig gelten, da sich der Schluß durch die Ausdrücklichkeit der Mitte auszeichnete. Im Mittel ist die gleichgültig-selbständige Äußerlichkeit aufgehoben: »Es ist […] ges et z t als das dem Begriff Durchdringliche, denn in der Zentralität ist es ein Strebendes nach der negativen Einheit; ebenso im Chemismus ist es als Neutrales sowie als Differentes ein Unselbständiges geworden. Seine Unselbständigkeit besteht eben darin, daß es nur an sich die Totalität des Begriffs ist. Dieser aber ist das Fürsichsein. Das Objekt hat daher gegen den Zweck den Charakter, machtlos zu sein und ihm zu dienen; er ist dessen Subjektivität oder Seele, die an ihm ihre äußerliche Seite hat.« (GW XII, 164) Die wesentliche Funktion des Zwecks kommt hier zur Geltung: Der Zweck hebt den Schein der Äußerlichkeit auf (GW XII, 166). Diese besteht weder selbständig in sich noch ist sie unvermittelt-unvermittelbar Äußeres, denn die Äußerlichkeit realisiert sich als sie selbst in einer immanenten Entwicklung zur Ausbildung ihrer wahren Form. Die Objekte selbst bewegen sich zu ihrer negativen Einheit und offenbaren ihre Unselbständigkeit. Der Zweck kann somit als negative Einheit der Äußerlichkeit bezeichnet werden, denn er hebt sie auf, und als deren Wahrheit, denn er offenbart, als was sie wahrhaft gilt. Er ist die Bestimmung des mechanischen Prozesses. An der Äußerlichkeit dokumentiert sich die bereits in der Lehre vom Sein eingesehene Endlichkeit des Endlichen: Alles Bestimmtsein ist je anders und damit endlich. Indem es sich verändert und vergeht, wird es, was es bereits war zu sein und bewahrheitet sich. In der Lehre vom Begriff sind wir nun zu einer genaueren Bestimmung dessen fortgeschritten, was sich in der Bewahrheitung zeigt: »[D]ie einfache Abstraktion der Bestimmtheit ist in ihrer Wahrheit die Totalität des Negativen, der konkrete und in sich die Äußerlichkeit setzende Begriff.« So bestätigt sich weiterhin, daß die Teleologie die Wahrheit des Mechanismus ist, dessen gesamte Bewegung geht (i) vom Zweck aus und (ii) in ihm auf. Der Prozeß verwirklicht seine Bestimmung. So kann vom Zweck problemlos gesagt werden, was reflexionslogisch unhaltbar wäre: Im teleologischen Verhältnis ist »das Ende der Anfang, die Folge der Grund, die Wirkung die Ursache, [sie ist] ein Werden des Gewordenen« (GW XII, 167). Der Widerspruch hat hier nichts Zwingendes mehr. Er bringt nicht mehr
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die Not mit sich, sich umzuwenden, so wie es für das endliche Bestimmtsein nötig war, sich zu seinem Grund und zu seiner Folge zu wenden. Der Zweck erhält sich in seiner Realisierung. Darin unterscheidet er sich von den Bestimmungen innerhalb der reflexiven Verhältnisse (Ursache-Wirkung, Substanz-Akzidenz), bei denen die vermeintlich ursprüngliche Bestimmung in ihr anderes übergeht (GW XII, 160). Hegel spricht in diesem Zusammenhang von einer »List der Vernunft« (Enz. (1830) § 209): Während sich die Objekte in mechanischen und chemischen Prozessen abarbeiten, erhält sich der subjektive Zweck. Er beruht ruhig auf sich und bleibt unberührt vom steten Wechsel in der Welt. Doch durch eine List ist die Vernunft nur scheinbar in ihrer Bestimmung angelangt: Wo sie mit einer List operiert, da hält sie sich selbst verborgen und arbeitet unlauter gegen ihre Durchsichtigkeit. Die listige Vernunft wirkt nicht vernünftig, denn sie hat es immer nur mit Mitteln, nicht aber mit einem Zweck zu tun. Wirkliche Objektivität des Zwecks selbst kann nur unter zwei Bedingungen bestehen, wenn (i) der tätige Zweck nicht äußerliches Bestimmen eines unmittelbaren Objektes ist, sondern dieses als es selbst in seinen Begriff eingeht; und wenn (ii) sich die Vermittlungstätigkeit des Zwecks, die immer zugleich die Differenz von Zweck und Objekt setzt, selbst aufhebt (vgl. GW XII, 165). Die erste Bedingung wurde an sich von der bewegten Objektivität bereits erfüllt, denn die Objekte bewegten sich zufolge ihres eigenen Gesetzes zu ihrem einheitlichen Begriff hin. Sein Bestimmen ist mithin nicht äußerlich. Die zweite Bedingung aber wird nicht erfüllt, denn die Vermittlung konstituiert den auszuführenden Zweck, ihre Aufhebung ist zunächst nicht denkbar: Obwohl im Mittel schon die Zwecktätigkeit selbst begegnet, ist der Zweck hier noch nicht identisch mit dem Objekt, denn er muß ja vermittelt werden. Umgekehrt hat das Mittel weiterhin eine selbständige Seite gegen den Zweck; es ist etwas bereits vorhandenes, das instrumentalisiert wird, um in einem anderen Objekt den Zweck zu verwirklichen. Wie diese Umsetzung funktioniert, konnte aber nicht gezeigt werden. Im Mittel wird daher tatsächlich vorausgesetzt, was die Zwecktätigkeit doch erst erbringen sollte. Selbst ein Objekt, das »den ausgeführten Zweck enthalten und sich als dessen Objektivität darstellen soll« (GW XII, 169), beispielsweise das fertige Haus, erfüllt seine Bestimmung nur »durch […] Gebrauch und Abnutzung«. Schließlich muß das Haus wieder erneuert werden. Kein möglicherweise ausgeführter Zweck gelangt zur Herstellung eines ihm adäquaten Objekts. Alle Objektivierung subjektiver Zwecke in Artefakten ist vergänglich. Der Widerspruch des Zwecks, Begriff einer Realität zu sein, die ihm gleichwohl nicht entspricht, tritt hier doch wieder in der Gestalt hervor, nicht bestehen zu können. Der endliche Zweck bringt es nur zu mechanischer Vereinigung
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mit dem Objekt: Es wird unter den Zweck subsumiert. Eine positive Vereinigung ist unerreichbar, und so ergibt sich doch wieder eine Not, denn das subsumierte Objekt widerstrebt der Unterordnung unter einen fremden Zweck. Dagegen ist das zu bestimmende Objekt dem Zweck, der durch Mittel ausgeführt wird, nur lebloser Gegenstand, dem trotz seiner (ursprünglich vorausgesetzten) Widerständigkeit kein Eigenstand zugebilligt wird. Die mechanische Vereinigung ist aber zufällig, denn sie kann ebenso gut nicht erfolgen und der Schluß, der auf der unmittelbaren Vereinigung von Zweck und Objekt im Mittel aufbaut, ist bloß formell und nicht in sich gegründet. So erhebt sich das Bedürfnis, den im Mittel unmittelbar mit dem Objekt identifizierten subjektiven Zweck, mithin das Mittel selbst zu vermitteln. Das kann wiederum nur durch ein Mittel geschehen. Nicht die Verwirklichung des Zwecks, sondern »der unendliche Progreß der Vermittlung« (GW XII, 168) ist also im Mittel gesetzt. Damit wird der Widerspruch jedoch nur konserviert und nicht aufgelöst. Es kommt nie zur Ausführung des eigentlichen Zwecks, denn es werden nur immer weitere Mittel dafür bereitet; sie verselbständigen sich letztlich.56 Der in unmittelbarer Objektivität verwirklichte endliche Zweck hat zu seinem Produkt nur wiederum ein Mittel für weitere Zwecke (der Wagen dient zum Fahren, dies zum Reisen usw.). Kein Zweck rechtfertigt daher irgendein Mittel, da von keinem Zweck feststeht, daß er wirklich selbst Zweck ist und nicht doch nur als Mittel für einen weiteren, verborgen gehaltenen Zweck dient. Hegel folgert: »[E]s käme nur ein zweckmäßiges Mittel heraus, aber nicht die Objektivität des Zweckes selbst.« (GW XII, 165) Das Höchste der Bestimmung äußerer Zweckmäßigkeit ist der Nutzen, den etwas für ein anderes hat. Der Zweck erhält sich in seinem Produkt nicht. Wenn dies alles ist, was zur Teleologie zu sagen ist, dann muß konstatiert werden, daß sich der Mechanismus letztlich – nachdem der Zweck als Wahrheit des Mechanismus auftrat – als Wahrheit der Teleologie darstellt. Die »eigentliche Frage« (GW XII, 154) nach der Wahrheit von Mechanismus und Teleologie müßte dahingehend beantwortet werden, daß »einer die Wahrheit des anderen ist« (GW XII, 155). Die Bestimmung des Zwecks wäre damit ebenso unwahr wie das mechanische Objekt. Es gäbe gar keine Erfüllung des Zwecks, allenfalls könnte er als ein unerreichbares Sollen gelten. Schließlich muß zur Objektivierung 56
Das stehende Heer, das Mittel zur Herstellung von Sicherheit und zur Sicherung des Friedens, vergrößert die Unsicherheit und führt Kriege, in denen Sicherheit und Frieden zerstört wird. Als Mittel gegen den Terrorismus wird Krieg geführt, der in der Folge selber als Zweck erscheint, oder es wird zur Gefahrenabwehr gefoltert, und die Folter wird selbst zur allgemeinen Bedrohung. – Kant beschreibt in seiner Schrift Zum ewigen Frieden die Logik sich verselbständigender Mittel einer Politik der »Staatsklugheit« (B 6).
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des Zwecks eine Vermittlung gedacht werden. Gerade die Vermittlung aber verhindert, daß es je eine positive Vereinigung von Objekt und Zweck gibt. Es scheint unmöglich, daß je ein Zweck Dasein hat, das heißt ruhig in sich bestehend und real ist. Der Widerspruch des Zwecks wäre folglich unauflöslich. Diesem Ergebnis widerspricht aber das tatsächliche Geschehen: »In der Tat aber ist das Resultat nicht nur eine äußere Zweckbeziehung, sondern die Wahrheit derselben, innere Zweckbeziehung und ein objektiver Zweck.« (GW XII, 169) Wie kommt es zu dieser Wendung? Im Begriff des Zwecks geht es entgegen der ersten Intuition nicht um die Ausführung einer bestimmten Absicht, die prinzipiell nicht zur Objektivierung des Zwecks gelangt. Vielmehr soll mit dem Begriff des Zwecks eine Einsicht vermittelt und gesehen werden, was »in der Tat« schon wirklich ist: Die Zwecktätigkeit setzt nicht irgendein Vorhaben um, sondern sie stellt den Schein der Äußerlichkeit als Schein dar. Dieser Schein ist im steten Wandel aller welthaften Bestimmung sogar augenfällig. In dieser Darstellung zeigt sie den Zweck als ausgeführten statt als auszuführenden. Die Objektivität ist nichts als Begriff, denn in der Form ihrer mechanisch-übergängigen und dynamisch-zusammengängigen Mannigfaltigkeit bleibt sie nicht einfache Äußerlichkeit, sondern sie geht ein in den einheitlichen Begriff. Dieser ausgeführte Zweck ist allerdings nirgends zu sehen. Weil in der Erfahrung alles nur für etwas anderes nützlich ist, ist das wahrhafte Erreichen des Zwecks nicht erfahrbar. Aufgrund ihrer Endlichkeit und Unabschließbarkeit kennt die Erfahrung keinen ausgeführten Zweck, sondern nur zweckmäßige Mittel. Der ausgeführte Zweck ist aber denkbar, er manifestiert sich logisch. Zwei Zugänge erschließen den realisierten Zweck, einer geht (i) vom vermittelten Objekt aus, der andere beginnt (ii) beim Begriff als dem vermittelnden Subjekt. (i) Den ersten Zugang eröffnet die Einsicht, daß alles Objektive ein Gesetztes und als es selbst identisch mit seinem Zweck ist: Entgegen der Intuition vom Zweck als auszuführender Absicht bedarf der subjektive Zweck »keiner Gewalt« (GW XII, 170) gegen das Objekt, um es sich zu eigen zu machen. Vielmehr ist das Objekt selbst zum Mittel bestimmt. Im mechanisch-chemischen Prozeß hat sich die Selbständigkeit der Objekte bereits verflüchtigt. Zunächst schienen sie gleichgültig gegen die Bestimmung der differenzierten Begriffseinheit zu sein. Sie waren damit das »Negative gegen den Begriff« (Enz. (1830) § 212). In ihrer reinen Objektivität betrachtet machten die Objekte einfach das gleichgültige Außereinander der Welt aus. Weil sich aber in ihrer Prozessualität ihre Selbständigkeit aufgelöst hat, stellen die Objekte ihrer begrifflichen Bestimmung nichts mehr entgegen. So zeigt sich, was die Objektivität von Beginn an war, nämlich die objektive Geltung des umfassend vermittelten (mit sich zusammengeschlossenen) Begriffs. Es
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ist daher die eigene Bestimmung des Objekts, Mittel zu sein. Somit besteht kein Unterschied zwischen dem in sich reflektierten, einheitlichen Inhalt des Begriffs und der Form der Beziehung der Objekte, d. i. ihrem Außereinander. Das Objekt braucht nicht erst vermittelt zu werden, sondern es ist als prozessuales Objekt schon in seine Einheit eingegangen. Verlegte man diesen Prozeß und den Selbst-Unterschied des sich zweckmäßig entwickelnden Objekts in die Zeit, so verkommen das Objekt, seine Einheit und sein Zweck zum Nach- und Außereinander. Der Zweck wird zu einem Jenseits und das existente Objekt zu einem unerfüllt-gleichgültigen Dasein. Um die damit verbundenen (Außereinander-)Ordnungsverhältnisse denken zu können, bedarf das Denken der Verhältnisbegriffe der Reflexion. Diese haben aber als solche keine Wahrheit, sondern nur indem sie sich zu ihrer Wahrheit hin entwickeln, die der Begriff ist. Es bleibt daher nur festzuhalten, daß die Objekte tatsächlich äußerlich sind und daß sich ihre Äußerlichkeit auf sie selbst erstreckt: Sich selbst äußerlich geht das Objekt ein in sein Inneres. Dieses Innere ist der Zweck, der am Objekt seine eigene Äußerlichkeit besitzt. Die Äußerlichkeit ist Moment des Begriffs. Das Objektive ist vom Zweck gesetzt und steht ihm nicht eigenmächtig, das heißt substantiell gegenüber. (ii) Der zweite Zugang zeigt ein doppeltes Verschwinden der Vermittlung, welche bislang die Realisierung des Zwecks sowohl bedingt als auch behindert hat. Doch nicht nur das Verschwinden ist zweifach, auch die Schwierigkeit der Gedankenbewegung verdoppelt sich hier nochmals, wie Hegel selber erklärt, denn hier ist »immer ein Erstes auch ein Zweites« (GW XII, 170). Die Vermittlung geht »[a] teils in die konkrete Identität des objektiven Zwecks, [b] teils in dieselbe als abstrakte Identität und Unmittelbarkeit des Daseins« ein. (a) Weil der subjektive Zweck nur zur Bestimmung eines Mittels, nicht aber zum ausgeführten Zweck gelangte, schien er sich im Objekt nicht vollends mit sich selbst zusammenschließen zu können; der subjektive Zweck ist bedingt. Zudem stellte sich die Frage nach der Vermittlung des Mittels. Damit bliebe der Zweck letztlich unausgeführt, zumal das Mittel noch immer von der Selbständigkeit der Objekte gegenüber dem Begriff gezeichnet ist. Das zeigt sich letztlich daran, daß auch das Mittel zur Erreichung des Zwecks noch gebraucht, d. i. in seinem einfachen Dasein negiert werden muß. Und doch ist »Mittel zu sein, die Realität des Zwecks selber«, denn im Mittel zeigt sich die Idealität des Objektseins. Das Objekt ist keine selbständig-unvordenkliche Position, sondern es hebt sich als es selbst in seiner bloß mechanisch-chemischen Weltbestimmtheit auf. Die in sich reflektierte Einheit des Begriffsinhalts kehrt im Mittel in sich zurück. Schon im Mittel, zu dem sich das Objekt selbst dadurch bestimmt, daß es notwendig auf sein Anderes
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hingeordnet ist, ist der Zweck also realisiert. Die Realität des Zwecks ist die Idealität der Objektivität. Die Vermittlung von Zweck und Objekt durch das Mittel wird dadurch aufgehoben, daß sich das Objekt selbst in seiner Idealität zum Mittel bestimmt und nicht erst von außen durch einen subjektiven Zweck bestimmt werden muß. Die selbsttätige Objektvermittlung im Concrescieren des Objekts mit seiner Identität hebt also die Notwendigkeit der Vermittlung von Zweck und Objekt auf. Es stellt sich heraus, daß Subjekt und Objekt eins sind. Die Realisierung des Objekts als Mittel ist die Wirklichkeit des Zwecks. Hegel schreibt: »Die Negativität kehrt auf diese Weise […] in sich selbst zurück«. Das Verschwinden der Vermittlung bezeichnet er aber ebenso als »Wiederherstellen der Objektivität«. Dies führt uns zum anderen Teilaspekt. (b) Das Objekt wird nicht subsumiert. Es gibt keine Bestimmung an ihm, die weggelassen würde, damit es als Mittel des externen Zwecks erscheinen kann. Auch nicht die Äußerlichkeit selbst, durch die sich die Objektivität doch von der Reflexion-in-Sich des Begriffs abscheidet. Es ist vielmehr gerade diese Äußerlichkeit, die als die Idealität des Objekts bewahrt wird, denn sie ist identisch mit der Negativität des Zweckbegriffs. So gilt die Unmittelbarkeit des Daseins zugleich als Vermittlung des Zwecks. Die Teleologie führt nicht zu der Behauptung, alles sei in notwendiger Hinordnung auf einen vorherbestimmten Zweck gesetzt. Dies wäre nur eine weitere Spielart der äußeren Zweckmäßigkeit, als deren Wahrheit sich der Mechanismus herausstellte. Im Gegenteil wird gerade die Zufälligkeit und Instabilität des welthaften Daseins bestehengelassen und als solche bestätigt. Das Dasein wird im Vermittlungsprozeß nicht nur in die Subjektivität des Begriffs aufgelöst, so würde der Zufall ausgeräumt und die Äußerlichkeit nur einfach (d. i. abstrakt) negiert. Vielmehr gilt, daß der subjektive Zweck die Äußerlichkeit der Welt als seinen eigenen Unterschied voraussetzt. Die Äußerlichkeit hat also Realität und ist insofern wiederhergestellt als der Begriff »in dieser äußerlichen Totalität die selbstbestimmende Identität derselben« (GW XII, 172) ist. Der Zweck-Begriff setzt die Welt nicht als vom Zweck geschaffene. Die Welt, die wiederhergestellte Äußerlichkeit ist, ist vielmehr als »nur« bestimmte, äußerliche gesetzt. Der Zweck hebt sich nicht mehr als ein Besonderes von der Äußerlichkeit ab und ist ihr somit nicht mehr äußerlich. Dies aber wäre die Konstellation im Schaffensverhältnis, innerhalb dessen lediglich äußere Zweckmäßigkeit gedacht werden kann. Hier ist der Zweck vielmehr in der Objektivität selbst enthalten. »In diesem Sinn ist die Zweckmäßigkeit der Objektivität (für einen objektiven Zweck) nun eine innere.« (Fulda 2003: 147) Der Zweck ist eigentlich Selbstzweck, Mittel und Zweck sind darin geeint. So wird nicht mehr die technische Nütz-
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lichkeit eines Objekts für einen (fremden) Zweck betrachtet, sondern das Gute, das der Selbstzweck ist. In der Objektivierung des inneren Zwecks müssen zwei Prozesse differenziert werden. Hegel nennt diese Differenzierung, ohne die es kein Begreifen gibt, »doppelt schwierig und verwickelt« (GW XII, 171): Hier ist »ein Erstes auch ein Zweites«. So leistet (i) die erste Aufhebung der Objektivität schon (ii) das zweite Aufheben der Subjektivität des Begriffs. Die Bestimmung des Objekts zum Mittel des Zwecks bedeutet nur scheinbar die Subsumtion dieses Objekts. Tatsächlich hebt sie die bloß innerliche, »eingeschlossene« (GW XII, 170) Bestimmung des Begriffs auf: Die Vermittlung des Zwecks beziehungsweise des Objekts zum Mittel ist die Aufhebung der nur subjektiven Bestimmung des Begriffs. Es muß also nicht erst zwischen zwei Getrennten, dem inneren Begriff und der äußerlich-gleichgültigen Objektivität, vermittelt werden. Das in den unendlichen Progreß der Vermittlung führende Bedürfnis nach einer Vermittlung von Zweck und Mittel beruhte auf der Voraussetzung einer Trennung von Objekt und Subjekt. Mit der selbsttätigen Aufhebung der nur innerlich-subjektiven Bestimmung des Begriffs ist diese Voraussetzung nun aufgehoben. Durch die Vermittlung des subjektiven Begriffs wird die Vermittlung aufgehoben. Begriff und Objektivität sind von innerer Durchgängigkeit. Die Teilaspekte (a) und (b) der verschwindenden Vermittlung sind daher auch nicht wirklich verschiedene Aspekte, sondern sie sind als selbig zu betrachten: »[S]omit ist dieses anscheinend erste Aufheben der gleichgültigen Objektivität [a] auch schon das zweite [b], eine durch die Vermittlung hindurchgegangene Reflexion-in-sich und der ausgeführte Zweck.« (GW XII, 170 f.) Jedes Moment der Zweckvermittlung – der subjektive Zweck, das Mittel und das Objekt – ist »selbst der ganze Schluß derselben«; jedes vermittelt sich selbst zu den anderen und hebt somit die Vermittlung auf, »welche ein Verhalten von Äußerlichem ist« (GW XII, 170). Der Gegensatz von Inhalt und Form, der die Welt und ihre Verhältnisse charakterisierte, ist somit verschwunden. Die Einheit des Begriffsinhalts ist von der welthaften Beziehungsform des übergängigen Außereinanders nicht geschieden. Der ausgeführte Zweck ist selbst nur ein Mittel und besitzt ideelle Materialität (Enz. (1830) § 212). Der realisierte Zweck ist keine tote (hypo)stasis und nicht das Ende der Bewegung, sondern das Zweck-Objekt ist selbst ideell und übergängig. Die Bestimmung der Form ist das Aufheben des Objektseins. Die Selbst-Differenz des Objekts macht seine ideelle Form aus und führt das Objekt zu seinem Zentrum, zu dem, was es wahrhaft ist. Indem die Form das Objekt zum Anderen überleitet, führt sie es zu ihm selbst. Darin zeigt sich die Form identisch mit sich, und das heißt, sie ist unmittelbarer Inhalt. Der Unterschied führt zum Zusammenschluß mit
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sich. Ebenso gilt von der Identität des in sich reflektierten Zweck-Inhalts, daß »sie als sie selbst, als in sich reflektiert, vielmehr ihr Anderes ist.« In sich reflektiert ist die Identität nur innerlich, solches ist aber bloß äußerlich, eben »ihr Anderes«. So ist »die S elbstbestimmung […] auch Bestimmung eines als nicht durch den Begriff bestimmten, äußerlichen Objektes« (GW XII, 171). Die als innere Teleologie erkannte Welt, die kein unvordenklich/ uneinholbar Anderes ist, sondern in der Selbstbestimmung des Begriffs besteht, ist weder durchgängig notwendig noch schließt sie Zufälle aus. In diesem Fall müßte das telos auch für alles Unvollkommene, Schlechte und Böse verantwortlich gemacht werden können, es gäbe konsequenterweise keine Äußerlichkeit. Dagegen hat der Begriff hier dadurch, daß er sich selbst bestimmt, eine Äußerlichkeit, die nicht von ihm bestimmt ist. Der Begriff hat eine »Lücke« (vgl. hier S. 29), die »das, was man an das Sein verlangt, leistet, außer dem Begriff zu sein« (GW XII, 128). Der Begriff entläßt mithin das Begriffsferne, die Zufälligkeit (nicht: ein bestimmtes Zufälliges, denn dann wäre es schon wieder kein Zufälliges mehr) als seinen Unterschied, »indem er sich sich selbst gegenüberstellt«. Er ist auch noch Bestimmung dieses »nicht durch den Begriff bestimmten, äußerlichen Objektes« (GW XII, 171), das heißt, er erweist daran seine Totalität. Wie bestimmt der Begriff das von ihm Nicht-Bestimmte? Eben in dessen Nicht-Bestimmung, d. i. als die Negation dieser Negation (als deren Negieren), denn die Äußerlichkeit hat als abstraktes Negieren der durchgängigen Bestimmung des Begriffs keinen Bestand (negiert sich also), sie ist immanent übergängig (ideell). So wird die Äußerlichkeit und Zufälligkeit der objektiven Welt nicht geleugnet, sie wird aber auch nicht einfach gelassen, sondern in ihrer wirklichen Bedeutung aufgenommen und durchschaut. Die Realphilosophie führt dieses Bestimmen des nicht vom Begriff Bestimmten aus und bringt die Bestimmung der Logik an demjenigen zur Geltung, was nicht logische Bestimmtheit zu sein vermeint. In der Objektivität hat es der Begriff nur mit sich zu tun, denn sie ist seine eigene Äußerlichkeit, »so daß der Begriff als die Form-Tätigkeit nur sich zum Inhalt hat.« (Enz. (1830) § 212) Mit dieser Bestimmung nimmt Hegel Kants Begriff der inneren Zweckmäßigkeit des Organismus auf, der »von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist« (KdU § 64, B286) und »in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist« (§ 66, B 296). Weder formt der formierende Begriff ein gegebenes Material noch erschafft er etwas Anderes, sondern: »Der Begriff bestimmt sich« (GW XII, 170). Der Zweck ist nicht mehr äußerer, sondern innerer Zweck. Die Objektivität der Objekte ist mithin durchsichtig auf den Begriff, der sie ganz durchdrungen hat. In der durchgängigen Zweckförmigkeit der Objektivität wird dies »aufgefaßt« (GW XII, 171). Somit kann die eingangs des
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Teleologie-Kapitels gestellte »eigentliche Frage« (GW XII, 154) dahingehend beantwortet werden, daß innere Zweckförmigkeit als ein Drittes die Wahrheit zu Mechanismus und (äußerer) Teleologie ist. Ohne das auseinanderlegende Bestimmen von erster und zweiter Aufhebung kann die Aufhebung der Vermittlung nicht aufgefaßt werden. Wo aber die Tätigkeit der Form aufgefaßt wurde, kann nicht beim Auseinanderlegen in objektive Verhältnisse stehengeblieben werden. Wenn die Objektivität als sie selbst die Subjektivität darstellt, kann dieses Darstellungsgeschehen weder einfach objektiv noch formell-subjektiv bestimmt sein (vgl. hier S. 279 ff.). Das Auffassen kann überhaupt nicht Auffassen bleiben, denn sein Objekt ist als Subjekt bestimmt: Adäquat aufgefaßt wird dieses Subjekt nicht in reflexiven Verhältnissen, weder subjektiv noch objektiv, sondern nur in der Darstellung seines einheitlichen Wirkens. Kein Gegenstand oder Substrat faßt diese Wirklichkeit und bringt sie zur Anschauung, denn die anschauliche Unmittelbarkeit vermag keine Durchsicht auf die durchgängige Bestimmtheit des wirkenden Subjekts zu geben. Schließlich sind Subjektivität und Objektivität auch nicht einfach eins, sie sind nicht als »Einheit« zu bezeichnen (Enz. (1830) § 215A). Die Einigkeit von Begriff und Objektivität ist ein Prozeß, in dem sie sich als Momente von durchgängiger Bestimmtheit erweisen. So sind sie nicht einfach identisch in der Weise, daß der eine für die andere substituierbar wäre, sondern sie bilden im inneren Zweck eine Darstellungseinheit. Nur im Wirken selbst findet das Subjekt seine angemessene Darstellung, und das bedeutet als Selbstdarstellung. Das wissenschaftliche Auffassen muß daher seiner Sache folgen, ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen und zum Ausdruck dieser Darstellungseinheit fortschreiten. Dieser Ausdruck ist die Idee.
3.3 Der Schluß der Idee Weil Subjektivität und Objektivität eine Darstellungseinheit bilden, so ist die Idee Eine. Die Idee ist kein Grundsatz oder Gesetz zur Erklärung von Bestimmtheit. Sie ist auch nicht die Idee von Etwas, was überdies mit sich brächte, daß von Ideen die Rede sein müßte. Die Idee steht in keinerlei Gegensatz zu etwas, das nicht Idee wäre. Darin ist sie unterschieden vom reflexiv bestimmten Wesen, das im Verhältnis gegenüber seinem Anderen, der Erscheinung, als selbständig und entgegengesetzt erschien. Die Idee ist Resultat: Sie wurde aus dem Gegensatz des Begriffs und seines Anderen, der Objektivität, als deren Einheit heraufgeführt. Als Resultat ist die Idee bereits verwirklicht. Sie ist kein Anfang, der noch zu entfalten wäre, und daher nicht zu verwechseln mit dem Ideal, das es erst auszuführen gilt. Weil sie aus dem
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Gegensatz heraufgeführte Wirklichkeit ist, kann die Idee selbst nicht wieder in einen Gegensatz gestellt werden. Jeder Gegensatz, in den sie gesetzt werden könnte, führt zur Einheit von Begriff und Realität. Die Fortbestimmung dieser Einheit (als Einheit von Begriff und Objektivität, vgl. GW XII, 176) ist die Idee. So wie es nur einen Begriff gibt, der sich besondert und sich im Einzelnen darstellt, ist auch die Idee (GW XII, 173) schlechthin einfach, d. i. der »adäquate Begriff«. Die Idee ist die hergestellte Gleichheit von Objektivität und Begriff und mithin weder gesollt, – also erst noch auszuführendes »Ziel« (GW XII, 174), noch unmittelbar, – also nur anschaulich zu vergegenwärtigen. Zur Unterscheidung: Idee selbst für sich selbst (Platon), Idee als Vorstellung (Descartes, Locke), regulative Idee (Kant), Ideal (Fichte) und Subjekt-Objekt (Schelling) Hegels Bestimmung der Einen Idee als wirklicher Gegenwart und seine Ausführungen dazu knüpfen ebenso an die Tradition des Philosophierens über die Idee an, wie sie sich auch von ihr distanzieren. Zum Verständnis der Position Hegels sollen daher die entscheidenden Standpunkte hinsichtlich der Bedeutung von »Idee« kurz mit ihren wesentlichen Charakteristika vorgestellt werden. Platons Lehre von den Ideen beginnt mit der Unterscheidung zwischen bestimmten Dingen und ihren Bestimmtheiten. Die bestimmten Dinge entstehen, sind der Veränderung unterworfen und vergehen. Für die Bestimmtheiten gilt dies nicht, sie sind das, was etwas ist (Phaidon 92d). Die idea ist die ousia, die ein jegliches als das, was es ist, in seiner ihm eigenen Sachhaltigkeit bestimmt. Als solches bestimmendes ist die Idee unveränderlich. Die Schönheit eines Menschen mag hinfällig sein. Die Bestimmtheit dessen, was Schönes als schön auszeichnet ist dies nicht. Während sich Instanzen von Bestimmungen dadurch auszeichnen, daß sie wahrnehmbar sind, ist ihre Bestimmtheit selbst denkbar: Einen schönen Menschen sieht man, was die Bestimmtheit der Schönheit selbst auszeichnet kann allein im Denken erfaßt werden. Aus der Natur der Ideen als Bestimmtheiten ist unmittelbar einsichtig, daß die Ideen vollkommen voneinander unterschieden sind. In dieser Unterschiedenheit sind sie erkennbar. Dabei stehen die Ideen aber nicht relationslos nebeneinander, sondern sind in vielfältiger Weise miteinander verflochten (Sophistes 253), so etwa die Idee vom Menschen und die Gerechtigkeit. Das Seinskriterium der Ideen ist nicht ihre Instantiierung sondern ihre Unterscheidbarkeit. Eine Idee ist unabhängig davon, ob sie in Einzeldingen
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instantiiert wird oder nicht. Das Einzelding ist erst mit Materie. Das Sein der Idee hängt allein an ihrer Bestimmtheit und Unterschiedenheit von allen anderen Bestimmtheiten. Objektive Realität, wie die Neuzeit sagen würde, haben die Ideen daher selbst für sich selbst. Daß Gerechtigkeit etwas anderes ist als Ungerechtigkeit, und daß sie die dem Menschen zukommende Vollkommenheit ist, gilt unabhängig davon, ob ein Mensch gerecht ist oder nicht. Aufgrund ihrer Seinsweise als das wahrhaft Geltende (onts on; vgl. Politeia 490b) ist das Sein der Ideen schließlich nicht zu verwechseln mit dem erscheinend-veränderlichen Werde-Sein (on ps; Sophistes 240b) der Dinge. In seinem Dialog Sophistes schreibt Platon den Ideen Bewegung (kinesis; Sophistes 249b) zu. Die Bestimmtheiten werden damit nicht veränderlich konzipiert, die Bewegung der Ideen ist vielmehr aus ihrer spezifischen Seinsweise zu verstehen: Gemäß ihrer Bestimmtheit ist jede Idee mit sich identisch und unterschieden von allen anderen Ideen. Dabei bringt sie nicht nur ihre Unterschiedenheit, sondern auch ihr spezifisches Selbstsein zu geistiger Erscheinung, nicht vor einem Anderen, sondern vor sich selbst. Daher fragt der Fremde im Sophistes rhetorisch: »[S]ollen wir uns leichtlich überreden lassen, daß in der Tat (alts) Bewegung und Leben und Seele und Vernunft dem wahrhaft Seienden (t pantels onti) gar nicht eigne? Daß es weder lebe noch denke, sondern hehr und heilig, der Vernunft entbehrend, unbeweglich stehe?« (248c) Der nous denkt sich selbst. Dabei denkt er das durchgängige und geschlossene System (Zusammenstehen) aller möglichen Bestimmtheit, die symplok eidn, darin besteht sein Leben. Im Bild des Demiurgen aus dem Timaios tritt deutlich hervor, daß dieses Denken der Ideen produktiv ist, es läßt die ideenhaft bestimmten Sachen als seine Instantiierungen sein (in die Existenz treten). Die absolute Idee Hegels, die Methode ist, ist immanent negativ, sie hat ihr eigenes Anderssein, die Objektivität schon integriert und ist Resultat dieser Negation seiner selbst. Auch sie läßt sein, jedoch nicht Instanzen von sich, sondern sich selbst als Instanz. Hegel spricht anerkennend davon, daß Kant »den Ausdruck: Idee wieder dem Vernunftbegriff vindiziert« (GW XII, 173) habe. Er gebe der Idee damit die Würde, die sie bei Platon besessen habe. Was ist die Idee zuvor gewesen, daß Kant sie erst wieder der Vernunft zuordnen mußte? Hier sind vor allem zwei Positionen zu erwähnen. (i) Descartes57 versteht unter ideae 57
Daß hier kein umfassender Vergleich verschiedener Lehren von Idee, sondern lediglich eine Orientierung zur besseren Einschätzung der Hegelschen Lehre gegeben werden
3.3 Der Schluß der Idee
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die menschlichen Gedanken von etwas (ideae, sive cogitationes), entsprechend fragt er nach deren objektiver Realität (Meditationes III, 10): Entspricht den Gedanken in uns eine Sache außer uns? Descartes kennt zwei inkompatible Wege, um die Realität einer Idee zu erweisen, zum einen den erkenntnistheoretischen der Entsprechung von Idee und Gegenstand, zum anderen einen ‹metaphysischen›, der aber nur bei der Idee von Gott greift. Dort ist es die Sache selbst, die aufgrund ihrer Vollkommenheit die Idee von ihr in uns hervorruft. Jedenfalls hängt die Objektivität unserer Ideen von etwas ab, das unabhängig von diesen Ideen ist. Der Gegenstand verleiht der Idee ihre Realität, damit ist die platonische Lehre umgekehrt. Erfaßt die Idee aber für Descartes noch die essentia rerum, so wird die Idee bei Locke auch dieses Gehalts entleert. (ii) Locke verwendet idea zunächst allgemein für jeglichen Vorstellungsgehalt. Complex ideas sind die Vorstellungen von Einzeldingen, sie befassen den gesamten Komplex ihrer Eigenschaften. Durch Weglassen von Eigenschaften und Festhalten von Gemeinsamkeiten mehrerer Einzeldinge wird der Allgemeinbegriff gebildet: »this whole mystery of genera and species, which make such a noise in the schools, and are with justice so little regarded out of them, is nothing else but abstract ideas, more or less comprehensive, with names annexed to them.« (Essay concerning Human Understanding III, 3, 9) Über diese abstract ideas sagt Locke: »it is plain […] that general and universal belong not to the real existence of things; but are the inventions and creatures of the understanding, made by it for its own use, and concern only signs, whether words or ideas.« (III, 11) Locke versteht »Idee« also rein psychologisch. Nun hätte zwar auch die platonische Tradition für die Idee nie die Existenzweise der Dinge beansprucht, doch Locke versteht es als Privation der Ideen, daß ihnen keine dingliche Existenz zukommt. Daher ist seine Einschätzung motiviert, wonach die abstract ideas »only« Zeichen betreffen. Ideen haben für ihn keine Objektivität. Kant zieht zunächst eine Grenze zwischen idea und cogitationes. Er unterscheidet sinnliche Anschauung, Verstandesbegriffe und Ideen (Vernunftbegriffe). Der mannigfaltige Stoff der Sinnlichkeit wird im Apperzipieren synthetisiert. Die bestimmten Formen des Synthetisierens sind die Kategorien von soll, rechtfertigt die kursorische Kürze der Bezugnahme auf die einzelnen Positionen der Geschichte des Denkens. Zu Descartes Verständnis der Idee vgl. Nuzzo (1995: 83–85), deren Beitrag insbesondere zum Unterschied zwischen Kants und Hegels Ideenlehre instruktiv ist. In der vorliegenden Bezugnahme auf Kant stütze ich mich auf diesen Beitrag. Über den Umbruch Descartes’ im Vergleich zum Denken der griechischen Antike, der im Denken des Allgemeinbegriffs beziehungsweise der Idee zu Tage tritt vgl. Schmitt (2003).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Quantität, Qualität, Relation und Modalität. Sie verknüpfen auf je eigene Art den Stoff, zum Beispiel nach Ursache und Wirkung oder nach seiner Einheit. Dies ist die Tätigkeit des Verstandes, der erkennend tätig ist, das heißt, seine Gegenstände haben objektive Realität. Durch seine Begriffe konstituiert der Verstand das empirisch Gegebene, wobei die widersprüchliche Formulierung von einer Konstitution des Gegebenen die Sache präzise benennt: Ohne die Tätigkeit des Verstandes gibt es keine Gegenstände, deren objektive Realität ist aber angewiesen auf das nicht vom Verstand zu setzende (Gegeben-)Sein. Der Verstand ist also nie bei sich selbst, sondern immer bei Gegenständen. Daher kann er auch zu keinem hinreichenden Begriff seiner selbst gelangen.58 So kennt Kant neben dem Verstand ein weiteres Vermögen: die Vernunft. Auch die Vernunft hat gewissermaßen Gegenstände, aber nicht – wie der Verstand – Begriffe, die Wahrnehmungen verstehen. Die Begriffe der Vernunft begreifen etwas, nämlich »die Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien« (KrV, B 359), d. i. die Idee. Was bedeutet die Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien? Verstandesbegriffe ordnen Gegebenes, sie sind unselbständig. Die Ideen setzen die Kategorien voraus, sie sind also ebenfalls unselbständig. Aber sie sind auch einfach und in sich geschlossen, das heißt sie sind selbständig, denn sie basieren auf Schlüssen (KrV, B 366). Damit ist ein Richtungswechsel verbunden: Die Ideen verweisen nicht mehr auf etwas anderes wie die Verstandesbegriffe, die auf Gegenstände verweisen. Es geht bei den Ideen nicht mehr um das, was ist, das heißt um Gegebenes (datum, sensibile). Daher kann nach Kant im Zusammenhang mit den Ideen auch nicht eigentlich von Erkenntnis gesprochen werden. Mit den Ideen wird erkannt, was denknotwendig ist. Wenn der Verstand beispielsweise Ursache und Wirkung synthetisiert, so fragt die Vernunft, was überhaupt Ursachen in Wirkungen überführt. Sie sucht die allgemeine Regel zur besonderen Gegebenheit. Darin geht sie immer fort bis zur Bedingung der Bedingung. Der eigentümliche Grundsatz der Vernunft wird so ersichtlich: »zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstande das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird.« (KrV, B 364) Wenn Unbedingtes statt hat, dann kann es besonders erwogen werden, und zwar ex negativo, nach den Bestimmungen, die es vom Bedingten unterscheiden. Die Unbedingtheit der Idee bedeutet den Abschied von jeglichem Adäquationsversuch zwischen Idee und Gegenständen der Erfahrung. Die Vernunft sucht, die »Handlungen des Verstandes in Ansehung eines jeden Gegenstandes in ein absolutes Ganzes zusammen zu fassen« (KrV, 58
Der Verstand kann daher auch keine Ethik begründen, ein verständiges Handeln wäre nie sittlich.
3.3 Der Schluß der Idee
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B 383). Diese Suche ist nicht willkürlich, sie ist vielmehr eine Aufgabe der Vernunft, der sie sich nicht entziehen kann. Welche Reihen von Bedingtheiten gibt es nun, zu denen die Vernunft nach dem ersten Unbedingten sucht und welcherart ist dieses Unbedingte? (i) In bezug auf das Subjekt ist es die Seele, (ii) in bezug auf die vielen Objekte der Erscheinung ist es die Welt, und (iii) in bezug auf alle Dinge überhaupt (die Synthese von (i) und (ii)) ist es Gott. Diese drei Unbedingtheiten sind die Begriffe »von der Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten.« Sie selbst können nicht mehr bewiesen werden, sie sind anhypotheta. Ihnen entsprechen die drei Disziplinen der metaphysica specialis, die Psychologie, die Kosmologie und die rationale Theologie. – Hegel kritisiert daran, daß Kant trotz allen Aufwandes doch wieder bei den traditionellen metaphysischen Überlegungen anlangt, und tatsächlich kommt Kant in seinen Vorlesungen zu der Bestimmung: »Dasjenige Wesen aber, welches omnitudinem realitatum hat, ist das ens realissimum.« (Kant 1964: 276 f.) Wer denkt die Fragen der Vernunft? Dies ist die Vernunft selbst, nicht das endliche Subjekt. Der folgende Versuch, das Was der Unbedingtheiten anzugeben, verfängt sich aber nach Kant in einer Dialektik. Die Gegenstände tragen gegensätzliche Eigenschaften (Antinomien), das aber kann nicht sein. Die Dialektik liegt jedoch nicht an den Ideen selbst, sondern an deren (unzulässigen) Gebrauch: Der Gegenstand der Vernunft ist kein zu bestimmendes Objekt, sondern »ein Gegenstand in der Idee« (KrV, B 698). Kant bestimmt die Dialektik insofern rein negativ, denn sie zeigt nur, daß mit den Kategorien nichts über die Ideen gesagt werden kann. Die Ideen sind Ordnungs-Schemata, durch die andere Gegenstände in ihrer systematischen Einheit darstellbar sind. Das Vermögen der Prinzipien liegt schließlich nicht in deren Anschauung, sondern in der Ausführung und zwar in zweifacher Weise: Als Regel, nach der Erfahren und Erkennen im Fortgang zu systematischer Vollständigkeit angehalten werden und als Gesetz des sittlichen Handelns. Die Idee, die nicht auf Gegenstände zielt, ist in theoretischer Funktion Bedingung der Möglichkeit für die Synthese der Verstandesbegriffe und in praktischer Funktion Bedingung der Freiheit. Gott schließlich ist Bedingung für die Gegenstände überhaupt. Er ist die Bedingung dafür, daß vom Ding an sich eine Affektion für uns ausgeht, daß wir leibhafte Subjektivität sind und er ist Bedingung der Möglichkeit für transzendentale Subjektivität. Die Idee wird zum regulativen Ideal der Vernunft, das es auszuführen gilt, – für Hegel gleicht dies einer Herabsetzung der Idee.59 Eine Vernunft, die ihre 59
Dies ist etwa Thema in Kants Schrift Zum ewigen Frieden oder in den Dramen Schillers, in denen es um die Verwirklichung des Ideals der Menschheit geht.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
dienende Funktion bezüglich der Erfahrungserkenntnis vergißt, versäumt nach Kant ihre gesetzgeberische Aufgabe hinsichtlich der Moral. Die Ideen sind weder Dinge noch daseiende Produkte der Vernunft. Die Vernunft schafft qua Ideen keine Gegenstände (Platon) und ebenso keine Erkenntnisse (Descartes und mit Einschränkung Locke). Ihrer Natur gemäß wird die Vernunft zu den Ideen getrieben. In ihrer Funktion (dem Systematisieren) gebiert die Vernunft Ideen. Doch können wir keine Urteile über sie bilden, denn über Gegenstände außerhalb der Erfahrung kann es keine Urteile geben. Daher gibt es auch nur einen vorbehaltlichen Gebrauch der Ideen: Als ob es das Wesen aller Wesen gebe, als ob es Welt und Seele gebe. Was für die populäre metaphysica specialis Gegebenes war, ist somit von der Vernunft Gesetztes. Die regulative Vernunft eröffnet »neue Aussichten« (KrV, B 715), die der Verstand nicht kennt. Die Idee hat daher einen methodologischen Sinn. Dieser ist aber nicht mit Hegels Bestimmung der Idee als Methode zu verwechseln, denn danach ist die Idee selbst ihre eigene Realität, die Kant der Idee gerade nicht zuerkennt. Für Kant ermöglicht uns der von der Idee eröffnete Raum der Vollendung Erwartung und Hoffnung, derer die praktischen Prinzipien bedürfen. An diesem Ort, in der Sittlichkeit sollen die Ideen objektive Realität erhalten. Hegels Anknüpfung an und Distanzierung von Fichte und Schelling ist deutlich, wenn er zur Bestimmung der Idee sagt: »Diese Identität ist daher mit Recht als das Subjekt-Objekt bestimmt worden, daß sie ebensowohl der formelle oder subjektive Begriff als sie das Objekt als solches ist. Aber dies ist bestimmter aufzufassen.« (GW XII, 176) Auf Fichtes Bestimmung der Realität der höchsten Vollkommenheit als einer Bewegung der Vervollkommnung wurde bereits eingegangen (vgl. hier S. 113 f.), daher sei nur folgendes erwähnt: Der dritte Grundsatz der Wissenschaftslehre fordert die Vereinbarkeit von Ich und Nicht-Ich. Dies bedeutet die Aufgabe, sie so weit zu vereinigen »bis die absolute Einheit hervorgebracht sey; welche freilich […] nur durch eine geendete Annäherung zum Unendlichen hervorgebracht werden könnte, welche an sich unmöglich ist.« (FG I 2, 276) Die Verwirklichung, die das Subjekt-Objekt wäre, ist unmöglich, denn sie würde das Bewußtsein des Ich zerstören. So schreibt Fichte im System der Sittenlehre: »[U]m sich selbst zu denken [d. i. Vereinigung], muss man ja eben jene Unterscheidung zwischen Subjektivem und Objektivem vornehmen, die in diesem Begriffe nicht vorgenommen werden soll. Ohne diese Unterscheidung ist ja überhaupt kein Denken möglich. – So denken wir nie beides zusammen, sondern neben einander und nach einander; und machen
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durch dieses Nacheinanderdenken wechselseitig eins von dem anderen abhängig […]. Aber […] du bist überhaupt nicht zweierlei, sondern absolut einerlei; und dieses undenkbare Eine bist du schlechthin, weil du bist.« (FG I 5, 56) Trotz der Unmöglichkeit ihrer Realisierung »schwebt die Idee einer solchen zu vollendenden Unendlichkeit uns vor, und ist im Innersten unseres Wesens enthalten.« (FG I 2, 403) Der Widerspruch zwischen der Aufgabe und der Unmöglichkeit ihrer Auflösung löst sich im Gedanken der Bestimmung zur Annäherung: Die »Idee des Ich« (FG I 2, 409) bestimmt sich für das Ich als ein Streben, – womit auch deutlich wird, daß es Fichte um die Bestimmung des Bewußtseins und nicht um eine unendliche Vernunft geht (vgl. auch hier S. 190 f.). Beim späten Fichte, auf den sich Hegel freilich nicht mehr bezieht, ist die Ansicht vom Wesen der Idee hingegen sehr viel näher an der platonischen – und letztlich auch Hegelschen – Bestimmung. Dort ist sie nicht mehr ein Ideal des Strebens. In der Vorlesung über Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters spricht Fichte davon, daß die Idee »ein selbständiger, in sich lebendiger und die Materie belebender Gedanke« (FG I 9, 235)60 sei. Für Schelling ist das Absolute im System des transzendentalen Idealismus als einfache Indifferenz unerkennbar. Es kann nur vorausgesetzt werden (SW III, 600 f. und 625) und ist in der Identitätsphilosophie als »absolute Vernunft, oder die Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird« (SW IV, 114) bestimmt. Auch auf Schelling ist zuvor schon eingegangen worden (vgl. hier S. 74 f., Fn. 15), daher sei hier nur ergänzt, daß Schelling dieses Subjekt-Objekt als die Idee ansieht (SW X, 151). Ohne sich selbst entgegengesetzt zu sein, vermittelt die Vernunft den Gegensatz61: »Die Vernunft ist schlechthin Eine und schlechthin sich selbst gleich.« (SW IV, 116) Diese absolute Vernunft denkt Schelling ohne Negation, ihre Identität, die »Gesetz« ist, ist nur durch sich selbst bestimmt, während die Indifferenz sich noch von der Differenz her bestimmte. »Die einzige unbedingte Erkenntniß ist die der absoluten Identität.« (SW IV, 117) Schelling formuliert sie als »A=A«: »Der Satz A=A bedarf keiner Demonstration. Er ist der Grund aller Demonstration.« Die Identität des unbedingten Absoluten ist alles, was ist (SW IV, 119). Doch wie kann die ununterschiedene reine Identität der Vernunft Alles sein? Dies ist auch die 60
Zu Fichtes Begriff des Lebens vgl. Schrader (1972) und Jürgensen (1996), der den Unterschied zu Hegels vom Geist bestimmten Begriff des Lebens darin sieht, daß das Leben für Fichte den Tod nicht – wie für Hegel – mit einschließt. 61 Vgl. zum Schellingreferat hier und im folgenden Jürgensen (1997: 79–83).
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Frage Hegels an Schelling. Jürgensen sieht den Unterschied, durch den es erst ein Alles gibt, als »Einbruch des sich von außen einschiebenden Unterscheidens der Reflexion des philosophischen Ich« (1997: 81). Die vorgängige Anwesenheit dieses Ich hält schon der Titel von Schellings Darstellung meines Systems der Philosophie fest. Sie bricht im §17 durch, der im Unterschied zu den apodiktisch setzenden vorhergehenden Paragraphen von einem ›Es gibt‹ spricht: »Es gibt eine ursprüngliche Erkenntniß der absoluten Identität, und diese ist unmittelbar mit dem Satz A=A gesetzt.« (SW IV, 121) Doch die absolute Identität erkennt hier lediglich, daß sie identisch mit sich ist. Zu ihrer Selbsterkenntnis muß die absolute Identität »sich als Subjekt und Objekt unendlich […] setzen.« (SW IV, 123) Doch ist darin noch nichts zu unterscheiden, also auch nichts zu erkennen, Subjekt und Objekt sind ja ununterscheidbar. Der Unterschied zwischen beiden soll quantitativ sein und wird von der philosophischen Reflexion gesetzt, nicht aber von der absoluten Identität selbst. Daher ist das Erkennen der absoluten Identität äußerlich. Hegel sagt, daß die Identität der Idee berechtigterweise als Subjekt-Objekt bezeichnet wurde. Er fordert aber, diese sei »bestimmter aufzufassen« (GW XII, 176). Das heißt zuerst, daß sie überhaupt aufzufassen ist. Dieses Auffassen aber kann nur aus der Idee selbst heraus erfolgen. Daher muß sie »bestimmter« gedacht werden, nämlich mit einem Prinzip der inneren Unterscheidung. Die Idee muß als Begriff gedacht werden. Das Thema der Idee bei Hegel wird also sein, wie in ihr überhaupt etwas aufzufassen ist, das heißt, wie sie den Unterschied in sich birgt und sich urteilt.
3.3.A Freiheit, wahrhaftes Sein, Verklärung Die erste Bestimmung der Wirklichkeit der Idee ist die Freiheit. Der innere Zweck, in dem die Bewegung des Objekts die Verwirklichung seiner selbst darstellt, ist Selbst-Entwicklung und nicht bloß äußerliche Veränderung. Was einen inneren Zweck verfolgt, ist in seiner Bewegung frei bei sich und nicht von Anderem bestimmt. Betrachten wir den Verlauf der Logik, so ist damit bereits zum zweiten Mal die Bestimmung der Freiheit erreicht62: Erstmals 62
Diese Doppelung zeigt die Vollständigkeit in der Bestimmung der Logik, das heißt ihre Wissenschaftlichkeit. Die Übergänge der verschiedenen Ebenen der Logik werden zweifach heraufgeführt: Das erste Resultat einer Bestimmung, das eigentlich bereits zur nächsten Ebene überleitete, wurde jeweils noch einmal vom seinslogischen (im Fürsichseienden) beziehungsweise wesenslogischen Standpunkt (im Verhältnis) mißverstanden. Die Standpunkte des Seins und des Wesens haben sich selbst nicht verstanden, indem sie
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»enthüllte« (GW XI, 409) das Wechselverhältnis, daß die Notwendigkeit eine innere Identität manifestiert. Die Notwendigkeit steht also als innere Notwendigkeit der Freiheit nicht entgegen, sondern sie ist die Freiheit der Bestimmung. Damit trat der Begriff der konkreten Freiheit hervor, bei sich selbst bestimmt zu sein. Diese Selbstbestimmung ist der Begriff des Begriffs. Die Freiheit fungierte als Anfangsbestimmung der Lehre vom Begriff. Von Beginn an war daher klar: Die Bestimmung des Begriffs ist nichts objektiv Gegebenes, sondern sie ist die Aufgabe, die Freiheit zu verwirklichen. Der Begriff muß sich seine eigene Realität geben, also selbst die Freiheit verwirklichen. Dies ist erst dann begriffen, wenn der Begriff nicht als höchste Wirklichkeit vorgestellt, sondern in seinem Wirken dargestellt ist. Der erste Schritt zur Realisierung des konkreten Begriffs war aber dessen Selbstverlust im Einzelnen. Das Einzelne ist zwar die Darstellung des Begriffs, doch indem es sich kraft seiner Ganzheit dem Allgemeinen gegenüberstellte, führte die Realisierung nicht zur Freiheit, sondern zu begriffsloser Äußerlichkeit. Noch im Schluß des Begriffs, wo der Begriff vollkommen in sich vermittelt und das Einzelne mit dem Allgemeinen zusammengeschlossen war, verlor sich der Begriffsunterschied in Unmittelbarkeit. Er schien äußerlich, und die Entwicklung des Äußerlichen erschien als bloße Veränderlichkeit. In der inneren Zweckmäßigkeit ist die Äußerlichkeit »von dem Scheine der zwecklosen Veränderlichkeit befreit« (GW XII, 177). Darin liegt eine Befreiung, weil die Objekte zuvor als Gegenstände unfrei waren: In ihrer Äußerlichkeit sind sie endlich – eines ist gegen anderes bestimmt, veränderlich – eines bestimmt sich gegen sich selbst als anderes – und erscheinend – dieses andere ist seine Wirklichkeit (GW XII, 176; vgl. dazu Boeder 1980: 643). Die Endlichkeit der Objekte, welche diese der mechanisch-chemischen Veränderungsbewegung preisgab, bedeutete deren Knechtschaft und Unfreiheit. Die höchste Betrachtungsweise unter diesem Vorzeichen ist diejenige gemäß der Nützlichkeit. Diese äußere Teleologie ist eigentlich die Bestimihr eigenes Resultat mißverstehen. Die Überleitung wurde aber in keinem Fall verhindert, sondern nur in ihrer unumgänglichen Notwendigkeit demonstriert. Erstmals begegnete uns die Doppelung des Übergangs im zweifachen Übergang des Seins zum Wesen: (i) im Übergang des Endlichen zum Unendlichen (das bereits Wesen ist) und (ii) im folgenden seinslogischen ›Mißverständnis‹ dieses Unendlichen als einem Fürsichseienden, das ebenso zum Wesen führte (vgl. hier S. 135 ff.). Sodann im zweifachen Übergang des Wesens zum Begriff: In der (i) Bestimmung des Widerspruchs und im (ii) Verhältnis der Wechselwirkung führte der Verlauf der objektiven Logik zu einem Setzen, das sich als Gesetztsein setzt (vgl. hier S. 200 f.). Damit wurden wir zweifach auf den konkreten Begriff als Einheit entgegengesetzter Bestimmtheit gewiesen. So führen gegensätzliche Bestimmungen zu einem einheitlichen Resultat, das sich dadurch als absolut erweist, weil es selbst den Gegensatz integriert.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
mung der Technik, das heißt der unfreie Umgang mit unfreier Natur. In der inneren Zweckmäßigkeit ist die Freiheit nun objektiv, denn durch die Selbstvermittlung des Begriffs in Urteil und Schluß setzte der (noch subjektiv-formelle) Begriff eine Sphäre unmittelbarer Äußerlichkeit: die Objektivität. Die Objektivität erwies sich als dem Begriff zugehörig. Nicht aufgrund eines äußeren Anstoßes, sondern aus innerem Antrieb bewegte sie sich. Die Objektivität zeigte sich nicht außerlogisch, sondern das Äußere der Logik zu sein. Damit ist sie das »Reich der Freiheit« (GW XII, 15), denn sie ist Moment der Selbstbestimmung des Begriffs. Die Welt ist in ihren Verhältnissen die Selbstdarstellung des Begriffs. Dies ist nicht so zu verstehen, daß sich der Begriff darin an einem Anderen seiner selbst bewiese, wie sich eine Form in einer gegebenen Materie eindrückt. Vielmehr stellt die Welt als ganze selber den Begriff dar. Sie ist kein leeres Taumeln. Ihre Bewegtheit kann reflexiv aufgefaßt werden. Bei der Bestimmung von verschiedenen Weltverhältnissen und ihrem Auffassen stehenzubleiben, bedeutete aber, die Bedeutung der Bewegung (d. i. ihre Wirklichkeit) zu verkennen, denn letztlich wird die Bewegung selbst fixiert. Zum endlosen Progreß fortgeschrieben, würde die Bewegung in ihrem ewigen Wechsel unbestimmbar, denn sie machte dann keinen Unterschied mehr. Die innere Zweckmäßigkeit erkennt die Bewegung hingegen als ureigene Bestimmung eines jeden Objekts an. Sie manifestiert die Bedeutung der Bewegung der Objekte: ihre Idealität. Die Bewegung ist damit nichts, das sich an einem Objekt zeigt, sondern das Objekt zeigt sich in (der) Bewegung. Die Welt und ihre Objekte sind daher nicht länger äußerlich verhältnishaft und gegenständlich objektiv (als Gegebenes) bestimmbar, sondern sie müssen als Ausdruck in ihrer realen »Kongruenz« (GW XII, 174) zum Begriff verfolgt werden, dessen Idealität und Realität sie sind. Das Resultat der Objektivität insgesamt und der Teleologie im besonderen ist mithin ihre Aufhebung. Darin liegt die Eröffnung des Reichs der Freiheit, weil erst jetzt die Welt in ihrer eigenen Bestimmung freigelassen wird. Der Begriff ist nicht mehr instrumentell und die Objektivität nicht verknechtet. So besteht die Wahrheit der Teleologie nicht nur in einer Rückkehr der Subjektivität aus der Objektivität in sich.63 Wäre die Idee insgesamt nicht mehr 63
So aber Iber (2000: 24). Er folgt damit der Lesart Düsings (1995), der die Wissenschaft der Logik als Theorie der Subjektivität liest. Konsequenterweise übergeht Düsing in seiner Studie den Abschnitt zur Objektivität, der sich nicht als eigenständige Abhandlung in der Nürnberger Propädeutik und der Logik für die Oberklasse, den Vorarbeiten zur Wissenschaft der Logik, findet. Er behandelt ihn als »Einschub« (290, Anmerkung) Hegels: »das Problem des Sich-Denkens der Subjektivität kann daher hier nicht weitergeführt werden.« (289) Dies nimmt Düsing nicht als Hinweis darauf, daß die von ihm angezielte Subjektivität möglicherweise nicht »das Problem« der Logik ist. Doch im Unterschied
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als die unmittelbare Idee der Subjektivität, dann wäre der anfängliche Verlust des subjektiven Begriffs in die Objektivität bloß umgekehrt. Die Objektivität wäre nun im Subjekt verloren. Die Tätigkeit der verklärenden Idee (GW XII, 177) wird auf diese Weise nicht erfaßt. Schließlich ist die Objektivität auf der Stufe der Idee ausdrücklich »das aus dem Begriff Hervorgegangene« (GW XII, 183). Von der Einheit von Begriff und Realität, in der die Bestimmtheit dem Begriff inhäriert64 wie das Besondere dem Allgemeinen, unterscheidet Hegel eigens einen zweiten, »bestimmteren« (GW XII, 176) Sinn der Idee als Einheit »von subjektivem Begriff und der Objektivität.« Bestimmter ist diese Einheit darin, daß sie nicht nur (wesenslogisch) ein Scheinverhältnis zwischen Begriff und Realität konstatiert, in dem der Begriff bei sich bleibt, sondern (begriffslogisch) die reale Darstellung und das Eigenleben der Welt, d. i. das Einzelne, setzt und bestätigt: Die Objektivität ist »als äußerliches Ganzes gesetzt.« Daher ist die Idee »bestimmter aufzufassen« und vom Subjekt-Objekt zu unterscheiden, das noch unmittelbar ist. »Die Idee hat sich nun gezeigt als der wieder von der Unmittelbarkeit, in die er im Objekt versenkt ist, zu seiner Subjektivität befreite Begriff, welcher sich von seiner Objektivität unterscheidet, die aber ebensosehr von ihm bestimmt und ihre Substantialität nur in jenem Begriff hat.« Die Objektivität bleibt mithin bestehen, jedoch nicht als begriffslose Unmittelbarkeit, sondern als das, was sie wahrhaft ist. Wäre die Idee allein Rückkehr zur Subjektivität, so könnte sie nicht Objektivität setzender, das heißt hier einen Unterschied machender und sich ausdrückender Begriff sein. Das Setzen der Idee ist nicht wie das Setzen der Reflexion des Wesens immer auch ein Entgegensetzen, sondern es verwirklicht mit den Worten der Differenzschrift »das reine Setzen der Vernunft ohne Entgegensetzen« (GW IV, 17). Die Idee hätte, wenn sie nur Rückkehr zur Subjektivität wäre, keinen Ausdruck und es könnte nicht gesagt werden, »daß alles Wirkliche nur insofern zu den erwähnten Kritikern der Bestimmung der Objektivität in Hegels Logik kritisiert Düsing daraufhin nicht auch die Einbeziehung einer Idee des Lebens in die Logik. Das Leben ist für ihn der Titel der inneren Bewegung des Sich-Denkens (292 f.). Letztlich kommt auch Düsing nicht umhin, die Idee als absolute Subjektivität aus der Aufhebung des Gegensatzes von Subjektivität und Objektivität hervorgehen zu lassen, also über die Subjektivität hinauszugehen. 64 Schon in der Schlußlehre (GW XII, 93) kritisierte Hegel die Inhärenz (und Aristoteles, der sie zum Maßstab seiner Schlußlehre macht; vgl. Analytica priora I 4, 25b und 26a). Weil in ihr unmittelbares Enthaltensein gedacht wird, nicht aber der (hervorgehenlassende) Unterschied des Begriffs, ist sie noch von Unmittelbarkeit charakterisiert. Mithin kann die bloße Inhärenz nicht das wahrhafte Verhalten des Begriffs gegenüber einer eigenständigen (»ganzen«) Objektivität sein.
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ist, als es die Idee in sich hat und sie ausdrückt.« (GW XII, 174) Bei einem Monismus der Subjektivität kann kein wirkliches Ausdrucksgeschehen stattfinden. Es gäbe kein Wirkliches und das Sein bliebe ewig, was es zu Anfang war: leer, unbestimmt und unwahr. Nur weil die Idee als Substantialität der Unmittelbarkeit erwiesen ist, kann Hegel sagen: »S ein hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht« (GW XII, 175). Die Idee steht nicht neben dem Sein. Die »so arme und beschränkte Bestimmung« (GW XII, 128) des Seins, von dem »verlangt [wird] außer dem Begriff zu sein«, ist und bleibt tatsächlich außer dem Begriff, jedoch als das Außen, das sich der Begriff selbst setzt. Außer dem Begriff gibt es kein Außen. Insofern ist das Sein »Materiatur« (GW XII, 177) des Begriffs. Es steht diesem nicht beständig (substantiell) gegenüber, sondern ist sein Werden. Durch sein Werden hat das Sein die Wahrheit erreicht. Weder ist es unmittelbare Unmittelbarkeit (Anfangsbestimmung von Das Sein), noch von einem Ding an sich getrennte Erscheinung (Anfangsbestimmung der Lehre vom Wesen), sondern es ist Sein des Begriffs (Lehre vom Begriff) und dessen unmittelbare Beziehung auf sich. Vermittelt durch den Widerspruch der einfachen Identität, wird das Sein dazu gebracht, in der Negation seiner selbst zu werden, was es bereits war. Es war aber schon ein Was. Dieses werdend bewegt sich das leere Sein. In dieser Bewegung erfüllt es seine Bestimmung, die nur darin liegt, sich zu erfüllen. Die Beziehung zu Anderem wird zu »seine[r] Fülle« (GW XXI, 112). Die spezifische Frage der Lehre vom Begriff zur Bestimmung der Wahrheit war die nach dem Wozu. Wir haben uns nun eine Antwort erarbeitet, die es im Folgenden auszuführen gilt: Das Wozu der Wahrheit ist die Erfüllung. Diese Erfüllung der Idee ist im »wahrhafte[n] S ein« (GW XII, 176) erst in ihrer Allgemeinheit benannt, noch nicht in ihrer Bestimmung erkannt. Die Armut des Seins gehört der (logischen) Vergangenheit an, weil Sein die Bedeutung der Wahrheit erreicht hat: Das bloße Sein war eine Voraussetzung, die sich nicht in der Abstraktion unmittelbarer Selbstbeziehung halten ließ. Vielmehr hat das Sein nur Bestand als Moment des Wesens, als dessen Präsentation. Die Unmittelbarkeit, in der sich das Sein darbietet, hat den Zweck, sich aufzulösen und den Blick freizugeben. Aufgelöst wird dabei der Schein der end- und zwecklosen Veränderlichkeit dessen, wovon gesagt werden kann, daß es ist. Aufgelöst wird auch die Gleichgültigkeit des Seins gegenüber dem Begriff. Sein ist nicht dasjenige, was zu einer Bestimmung hinzukommen muß, damit sie wahrhaftig und keine bloße Illusion ist. Umgekehrt tritt durch die Auflösung des bloßen Gegebenseins eine Fülle von Bestimmtheit hervor, der Raum zu geben die Bestimmung der Leere des Seins ist. Dabei wird das Sein nicht zu einer Kiste, in die Bestimmungen hin-
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eingegeben werden können. Vielmehr setzt die Bestimmung das Sein als sein Voraus, als seine Leere, die es erfüllt. Dieses Wirken ist die Wirklichkeit der Idee. Das Sein ist weder unvordenkliches Gegebensein noch Schein-Hülle für ein verborgenes Wesen, sondern gesetztes Sein. Es ist gesetzt, damit sich an seinem Vergehen das Werden zeige, in dem das wird, was bereits war. Was bereits war, ist aber nur im Wirken. Somit hat es immer schon gewirkt und ist selbst nicht etwas, das erst noch ausgeführt werden muß. Von daher erhält das »Ist« seine verwandelte und wahrhafte Bedeutung. Es steht nicht mehr für die ungedeckte Behauptung und als Kennzeichen der hypostatischen Faktizität: »Sein hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht, indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Realität ist; es ist also nunmehr nur das, was Idee ist.« (GW XII, 175) Was bereits die Dialektik der Endlichkeit offenbarte, wird nun bestätigt: Wahrheit ist ursprünglich ein Prädikat des Seins und nicht ein Prädikat von Sätzen. Wahrheit ist aber nicht das unmittelbare Sein, sondern nur das entwickelte Sein, das dem Begriff entspricht. Wahrheit liegt nicht darin, »daß äußerliche Dinge meinen Vorstellungen entsprechen; dies sind nur richtige Vorstellungen, die Ich Dieser habe.« (Enz. (1830) § 213A) Wie der Begriff Realität ist, so ist auch die Realität Begriff. Beide bestehen nur in der Wahrheit ihrer Einheit, die die Idee ist. Nichts ist einfach es selbst, weder der Begriff noch die Realität. »[D]aß alles Wirkliche nur insofern ist, als es die Idee in sich hat und sie ausdrückt« (GW XII, 174), bedeutet daher für Begriff und Objektivität, daß sie nur als Ausdruck gelten. Für sich selbst sind sie unwahr. Was sich dem Ausdrucksgeschehen entzieht, indem es für sich selbst Geltung beansprucht, ist endlich. Weil der Begriff dort nicht vollständig realisiert ist, sind diese Objekte endlich und dem mechanisch-chemischen sowie äußerlich technischen Bestimmtwerden übergeben. Hegel wehrt damit ausdrücklich den Sophismus ab, der meint, daß alles, was für uns ist, auch gut und wahr ist. Es gibt dem entgegen wohl Falsches, Unwahres und Vergängliches. Es ist nicht unterschiedslos alles Idee, was es gibt, sondern Sein hat die Bedeutung der Wahrheit nur erreicht insofern es sich seinem Begriff anmißt und die Idee ausdrückt. Für das Sein bleibt es dabei, daß es seine Wahrheit zu erreichen hat, also nicht unmittelbar in ihr geborgen ist. Umgekehrt wird die Wahrheit nur auf dem Weg der Unterscheidung erreicht. Ihre erste Unterscheidung ist der Unterschied zur Unwahrheit (dem reinen Sein); mit dieser Unterscheidung beginnt die Entwicklung der Wahrheit. Widerspricht aber die Existenz des Endlichen, insbesondere des auf seine Endlichkeit versteiften und mithin Bösen, nicht der absoluten Geltung der Idee?
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»Daß die Idee ihre Realität nicht vollkommen durchgearbeitet, sie unvollständig dem Begriff unterworfen hat, davon beruht die Möglichkeit darauf, daß sie selbst einen b es chrän kten In ha lt hat, daß sie, so wesentlich sie Einheit des Begriffs und der Realität, ebenso wesentlich auch deren Unterschied ist« (GW XII, 175). Die Idee bleibt aber auch in diesem Unterschied bestimmend, sie ist überhaupt dessen Möglichkeit. Was vollkommen abständig von seinem Begriff und mithin ohne jegliche innere Ordnung ist, das wäre gar nicht, es besäße keine Realität, sondern wäre nicht zustande gekommen und hätte sich bereits aufgelöst.65 Ihre ungebrochene Geltung erweist die Idee im Unvollkommenen an dessen Vergänglichkeit. Die Negativität ist ursprunggebend für das endliche Bestimmtsein, und sie ist ebenso dessen negative Einheit. Dahinein geht alles endliche Bestimmtsein unter. Die Endlichkeit des Endlichen ist der Begriff selbst. »Die Idee ist daher, dieser Objektivität ungeachtet, schlechthin einfach und immateriell, denn die Äußerlichkeit ist nur als durch den Begriff bestimmt und in seine negative Einheit aufgenommen« (GW XII, 176), ihr Wesen ist Negativität. Das erfüllte Sein gilt, das Nichtsein aber gilt nicht. In der absoluten Wahrheit der Idee kongruieren Subjektivität und Objektivität. Daß die Kongruenz und nicht die Einheit beider (das Subjekt-Objekt) als Wahrheit gilt, betont, daß der Unterschied in der Wahrheit bleibt. Die Wahrheit ist die Adäquation des Unterschieds, nicht dessen Abschaffung. Als Wahrheit der Entwicklung von Begriff und Objektivität ist die Idee deren Identität, sie steht in keiner Weise in einem Verhältnis der Äußerlichkeit oder Andersheit zu ihnen. Daher ist sie kein Seiendes, denn solches ist dasjenige, das in seiner einfachen Bestimmtheit für sich besteht und nicht besteht. Diese hypostatische Position des Seienden hat zwar ihre Berechtigung, aber nur an ihrem Ort, d. i. als Moment des Wesens und der Idee. Das Sein kann, weil es Moment der Idee ist, nicht wiederum auf diese angewandt werden. Die Idee ist weder, noch ist sie nicht. Folglich ist sie – bei aller ihr zukommenden Würde – auch kein »höchstes Seiendes« (so aber Düsing 1995: 232). Die Idee bestimmt vielmehr das Sein zur Kongruenz und macht es dadurch zu wahrhaftem Sein. Dies ist, was die Idee absolut genommen ist und was Hegel als Methode (GW XII, 237) ausführt. Die Adäquation des Unterschieds besteht in seiner Entwicklung. In der Entwicklung gleicht sich der Unterschied an sich selbst an, hier ist er geeint, und daher ist die Entwicklung wahr. Entwicklung ist nicht Veränderung vom 65
Wie schon Kant führt auch Hegel zur Erläuterung der Realität der Idee das Beispiel vom Staat (GW XII, 175 f.) an. Bei beiden steht hier Platon im Hintergrund.
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einem zum anderen oder vom Hier zum Dort oder vom Vorher zum Nachher. In der Entwicklung entwickelt sich Eines als es selbst. In jedem Entwicklungsschritt erfüllt es nur sich selbst, und dies ist sein einziger Zweck. Mit der Idee wird keine neue, alles Bisherige überragende Entität in die Logik eingeführt. Schließlich steht die Idee nicht im Verhältnis (der Andersheit) zum Bisherigen, auch nicht als ›das Höchste‹ zu irgendwie ›Niedrigerem‹. Als reine Entwicklung ist die Idee nichts als das, was sich im Verlauf der Logik gezeigt hat, nämlich die Entwicklung ihrer selbst.66 Der Begriff ist adäquat (GW XII, 173) geworden, denn der Eine Begriffsunterschied hat sich im realen Unterscheiden entwickelt und ging dabei nicht an ein Anderes verloren, sondern er einigte und erfüllte sich. Mit der Idee ist von nichts anderem die Rede als vom bisherigen Verlauf, ihr einziges ›Thema‹ sind Begriff und Objektivität. Befreit von der Äußerlichkeit (respektive Innerlichkeit) sind diese aber »zur Idee verklärt« (GW XII, 177). Diese Verklärung ist die eigentümliche Leistung der Idee. Indem sie von sich her Wirkung entfaltet und diese Wirkung die Kongruenz der Wahrheit ist, ist die Wahrheit – und nur diese – Subjekt. Nur das Wahre entwickelt sich, denn nur Wahres bringt sich mit sich selbst zur Übereinstimmung. Unwahres hingegen verändert sich und vergeht, es ist das Unerreichbare. Die Idee wird damit nicht zu einer selbstbewußten Vernunft erklärt, sie ist vielmehr reine Vernünftigkeit. Mit der Idee ist die Objektivität zur Darstellung dieser Subjektivität verklärt. Die Idee begreift dieselbe objektive Realität wie bisher, aber nicht mehr für sich selbst, d. i. als äußerliche und preisgegebene. Die Objektivität wird also nicht mehr nach dem Maßstab der Objekte als endlose Veränderung betrachtet, sondern in absoluter Bedeutung als der klare und herrliche Ausdruck der Idee, den sie sich selber gibt. Dieser Ausdruck der Objektivität ist freilich niemals gegeben. Die Idee gibt ihn sich selbst und stellt sich darin selbst dar; dem subjektiven Begriff und den Objekten in der Objektivität ist der Ausdruck – wie auch dem partikulären Subjekt, das Thema der Realphilosophie ist – aufgegeben. Diese Aufgabe aber ist kein unwirkliches und nie erreichtes Ideal, sondern sie besitzt absolute Geltung, denn die Inkongruenz von Begriff und Objektivität ist die Endlichkeit der Objekte und die Partikularität der Subjekte; sie ist unhaltbar.
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Die Idee ist nicht bloß das Ergebnis der Logik, sondern sie ist Resultat, das heißt sie bezieht ihr Werden mit ein. Nur dadurch ist von ihr ein Wissen möglich. Hegel führt diesen Unterschied zu Beginn der Vorrede zur Phänomenologie aus (GW IX, 9 ff.), dabei nimmt er auch Bezug auf die in der Philosophie ungerechtfertigten Erwartungen an deren »letzte Resultate«. – Wer nur das Ergebnis eines Spiels kennt, nicht aber den Spielverlauf, der hat noch kein Wissen erlangt.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
3.3.B Sein und Wesen sind die Voraussetzungen des reinen Begriffs Die Verklärung der Wirklichkeit zum Ausdruck der Idee geschieht nicht derart, daß die Unterschiede der Weltverhältnisse in ein indifferentes Eins verschwinden. So würde nur abstrakt negiert. Die abstrakte Idee wäre folgenlos. In ihrer Klarheit wäre jedenfalls nichts zu erkennen, und von Güte könnte keine Rede sein, denn das Gute ist nicht folgenlos. Da die Idee durch den Unterschied mit sich selbst übereinstimmt, ist sie nicht abstrakt. Sie stellt sich im Unterschied dar und kehrt in sich zurück. Dies macht die Kongruenz von Begriff und Objektivität aus. Das Concreszieren der Idee ist ein Prozeß, der sich in dem Trieb äußert, die Trennung zwischen der »Subjektivität des einfachen Begriffs und seiner davon unterschiedenen Objektivität« aufzuheben. Der Begriff hat an der Objektivität einen Widerstand zu überwinden, deshalb ist er ein Trieb. Die Objektivität setzt dem Begriff die Härte des Gegensatzes entgegen, sie ist selbst – nach ihrer Art – ein Ganzes. Der Begriff hat daher zu arbeiten und den Gegensatz wegzuräumen, er verrichtet die »Arbeit der Vernunft« (Enz. (1830) § 214A). Darin arbeitet er aber nur seine eigene Äußerlichkeit ab, die darin besteht, daß er bloß innerlicher, subjektiver Begriff sein soll (vgl. hier S. 313 ff.). Die Einheit des Begriffs steht daher seiner Prozessualität nicht entgegen, denn der Prozeß ist Ausdruck dieser Einheit: »Die Identität der Idee mit sich selbst ist eins mit dem Prozeß« (GW XII, 177). Diesen Prozeß kennen wir bereits, er ist der gesamte Verlauf der Logik. Doch kennen wir diesen Prozeß zugleich nicht, denn bislang galt es, in ihm lauter Einseitiges und Unwahres zu durchschreiten. Durchsicht und Klarheit waren immer erst herzustellen (Aufgabe), und strahlende Herrlichkeit ist dabei nicht erkennbar: weder bei den plötzlichen Übergängen der Seinslogik noch im Hervorbringen des Widerspruchs in der Wesenslogik und auch nicht im begriffslogischen Hervorgang des Einzelnen, das zugleich der Verlust des Begriffs war. In ihrer Klarheit und Herrlichkeit ist die Idee noch unerkannt, und dennoch muß sie gleichsam unmittelbar vor Augen stehen, denn die Idee ist ja bereits Resultat und verwirklicht. Wo etwas in seiner Eigentümlichkeit nicht recht erkannt wird, würde man raten, die Perspektive zu wechseln und es noch einmal von einer anderen Perspektive aus zu probieren. Doch dieser Versuch bringt hier nicht weiter, denn jeder Standpunkt, den man zur Idee einnehmen könnte, setzt die Idee wiederum in ein Verhältnis. Das aber steht der Einsicht in sie gerade entgegen. Im Verhältnis wird die Idee mit dem Gegensatz des Jenseits behaftet und zur immer ausstehenden Zukunft der zeitlich verstandenen, objektiven Gegenwart erklärt. Die wahre Präsenz der Idee könnte nicht vergegenwärtigt werden.
3.3 Der Schluß der Idee
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Durch die Entgegensetzung wird der Idee die Möglichkeit abgesprochen, Wirkung zu entfalten. In der Verklärung soll jedoch der Gegensatz von Sein und Idee aufgehoben sein: Alles was ist, soll Idee sein, mit ihr übereinstimmen und ihre Wirkung sein. So liegt die Unkenntnis von Klarheit und Herrlichkeit der Idee nicht darin begründet, daß sie aus einer falschen Perspektive betrachtet wird. Die Einsicht wird vielmehr davon verstellt, daß überhaupt eine Perspektive eingenommen wird67, zumal die vollkommene und unbedingte Selbstübereinstimmung des Absoluten gar nicht perspektivisch oder aspekthaft zu betrachten ist. Vielmehr vereinigt es alle Perspektivität in sich. Das hat sich daran erwiesen, daß die Verhältnisse des reflektierenden Verstandes in die Einheit der Idee eingingen. Daher rührt die Vielzahl ihrer möglichen Benennungen »als das Subjekt-Objekt, als die Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Seele und des Leibs, als die Möglichkeit, die ihre Wirklichkeit an ihr selbst hat, als das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann usf.« (Enz. (1830) § 214). Wenn diese Bestimmungen fixiert werden, ist es ein Leichtes, alle Bestimmungen der Idee als widersprüchlich zu erweisen. Der Geltung der Idee kann damit aber nicht widersprochen werden, denn die Logik zeigte gerade die Unhaltbarkeit des Widerspruchs auf. Sie behauptet den Widerspruch nicht, sondern zeigt umgekehrt, daß er immer schon behauptet wird, wo einfache Bestimmtheit oder ›Verhältnis-Relationen‹ gedacht werden. Daher eröffnet die Logik die Bedeutung des Widerspruchs, daß er nicht Zeichen von Falschheit, sondern Regel des Wahren, nämlich Notwendigkeit zum Fortgang und Concreszieren ist. Die Idee als durchgängiger Begriff aller Bestimmtheit ist die Wahrheit alles Sich-Widersprechenden, sie selbst kann nicht als ein Widersprechendes fixiert werden. Als der Widerspruch ist sie rein Denkbares und durchaus nicht selbst widersprüchlich. Wenn also alles, was ist, Idee ist, diese selbst aber in ihrem eigenen Wesen unerkannt bleibt, liegt das nicht mehr daran, daß die Idee etwa abstrus ist. Sie ist nicht wie das Wesen vom Schein verdeckt. Unerkannt ist das Wirken der Idee, weil sie ›zu nah‹ ist68: Sie besteht ja in absoluter Übereinstimmung, sie differiert nicht von irgendetwas und so gibt es kein reflexives Auffassen ihrer; sie ist vollkommene Identität. Der Ausdruck der Idee, die doch selbst Ausdruck von Wahrheit und Freiheit sein soll, scheint unmöglich, denn dem Ausdruck muß das Auffassen (logisch) vorhergehen. Soll also in der Idee
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Perspektivisch ist auch die Rede von einem »höchsten Seienden«. Dies ist die Aussage des bekannten Wortes aus der Vorrede zur Phänomenologie, wonach das Bekannte noch nicht das Erkannte ist, weil es das Bekannte ist und unmittelbar vor Augen steht (GW IX, 26). 68
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
etwas erkannt werden, ist ihre Einheit bedroht, wird aber ihre Einheit ansichtig, so scheint es in ihr nichts zu erkennen zu geben. Was also ist die Idee und wie stellt sich ihr verklärendes Wirken dar? »[D]er Gedanke, der die Wirklichkeit von dem Scheine der zwecklosen Veränderlichkeit befreit und zur Idee verklärt, muß diese Wahrheit der Wirklichkeit nicht als die tote Ruhe, als ein bloßes Bild, matt, ohne Trieb und Bewegung, als einen Genius oder Zahl oder einen abstrakten Gedanken vorstellen; die Idee hat um der Freiheit willen, die der Begriff in ihr erreicht, auch den härtesten Gegensatz in sich«. Die Identität der Idee darf nicht dazu führen, sie von der zweckhaft geordneten Entwicklung des Bestimmtseins abzusondern oder sie nur als deren Ende vorzustellen. Die Idee hat auch den »härtesten Gegensatz in sich«: Sie urteilt sich und ist das Selbstandere. Sie bewegt sich dabei in der ruhigen Gewißheit, bei allem anderen immer bei sich zu sein, da das Andere immer nur ihr Außen und ihr Anderes zu sein vermag. Das ist ihre Freiheit, die nur durch Integration des Härtesten (Enz. (1830) § 159A; vgl. hier S. 255 f.) realisiert werden kann. Dabei ist die Idee das Bestimmende. Nun wurde Bestimmtheit bisher gleichsam als unbestimmt angeschaut, denn sie galt immer wieder unmittelbar, einseitig und sollte für sich bestimmt sein. Daher trat in ihr immer wieder ein Moment der Andersheit zu Tage, das zum Widerspruch und Übergang der Bestimmtheit führte. Selbst das bislang einzige »bestimmte Bestimmte« (GW XII, 49 auch 43), der konkrete Begriff, in dem das Allgemeine sich selbst besondert und darin mit sich selbst zusammengeschlossenes Einzelnes ist, führte noch zum Verlust: Die Freiheit des Einzelnen erstreckte sich auch auf die Möglichkeit zum Ausschluß des bestimmenden Allgemeinen, darin tritt der härteste Gegensatz auf. Doch der dabei eingetretene Verlust des Begriffs zeigte sich im Verlauf der Objektivität nur scheinbar zu sein. Der Ausschluß vom Begriff ist im Begriff inbegriffen: Der Schein bleibt als das von der Idee bestimmte Bestimmte und ist so zu wahrhaftem Sein verklärt und nicht in der behaupteten Begriffslosigkeit belassen. Um daher die Wirklichkeit der Idee zu erkennen, wird deren verklärendes Bestimmen betrachtet werden müssen. Es legt sich aus in Leben und Erkennen. Auch in dieser konkreten Auslegung bleibt die verklärende Idee Gedanke, es ist keine unmittelbare Anschauung, die verklärend wirkt.69 So wird zugleich der Verdacht ausgeräumt, daß die Idee als Gedanke etwas Minderwertiges oder eine Illusion sei, sie ist vielmehr wahrhaft und wirk69
Darauf weist Hegel auch in (TWA 13, 173) hin. Die Auslegung von Wildenauer (vgl. hier auch S. 277, Fn. 14) verfehlt diesen Gedanken.
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sam.70 Ihre maßgebliche Wirkung ist es, die Scheidung von Anschauung und Begriff zu überwinden. Sie betätigt sich in demjenigen, was Hegel in der Ästhetik-Vorlesung »sinnvolle Betrachtung« (TWA 13, 173) nennt. Es bleibt aber die Frage nach dem Ausdruck, danach was für ein Gedanke sich in Leben und Erkennen auf welche Weise auslegt. Zur Einschätzung: Die Rezeption der Idee des Lebens in der Forschung Zu Beginn des Kapitels »Das Leben«71 erwähnt Hegel eigens die Skepsis angesichts dieser Auslegung der Logik: »Die Idee des Lebens betrifft einen so konkreten und, wenn man so will, reellen Gegenstand, daß mit derselben nach der gewöhnlichen Vorstellung der Logik ihr Gebiet überschritten zu werden scheinen kann.« (GW XII, 179) So findet – erwartungsgemäß – sowohl das Für als auch das Wider einer Integration des Lebens in die Logik seine Vertreter. Entscheidend für die dabei eingenommene Position ist die Ansicht der Autoren darüber, was das Thema der Logik überhaupt und der Hegelschen im Besonderen sei. Dabei ist einschränkend zu erwähnen, daß die Lehre vom Begriff im Vergleich zur »objektiven Logik« weniger erforscht ist, das gilt insbesondere für das Kapitel zur Idee des Lebens, wofür wohl nicht nur deren Schwierigkeit verantwortlich ist. Einige paradigmatische Positionen seien in Kürze angeführt. Sie sollen hier nicht im Einzelnen besprochen werden. Teils ist dies bereits im Vorangehenden geschehen (etwa, daß die Logik keine Ontologie ist oder indem gezeigt wurde, wie die Objektivität aus der Subjektivität folgt), teils wird die vorliegende Darstellung der Idee Positionen implizit aufnehmen oder kritisieren. Die Einrede gegen eine Integration des Lebens in die Logik wurde schon früh formuliert: (i) Bereits Rosenkranz (1859: 211) sah darin den logischen Begriff überfrachtet, da Hegel mit dem Leben »concrete Existenzweisen der Idee aus der Natur« in die Logik »hereinzog«. (ii) Hösle (1998: 246) meint, das Leben sei nur natürlich und habe somit als regionales Phänomen orga-
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Vgl. hierzu auch die interessante Bemerkung bei Wolff (1992: 70 f.). Wolff macht in dieser exzellenten Studie darauf aufmerksam, daß das Erfassen der logischen Idee, also ihr widerspruchsfreies Denken, die Bedingung für ein angemessenes und mithin wahres Verständnis der Phänomene von Natur und Geist ist. Dieses räumt weder der materiellen Natur noch dem Geistigen größeren Wert ein und läßt »Geist und Materie [nicht dualistisch] in ein Paar gleichwertiger dinglich vorgestellter Substanzen zerfallen« (71). 71 Hegel nennt das Kapitel also nicht »Idee des Lebens« und betont die Unmittelbarkeit der Bestimmung. In dieser Weise betitelte Hegel auch die erste Auflage des ersten Buches vom ersten Band schlicht »Das Sein« (im Unterschied zur zweiten Auflage »Lehre vom Sein«), dadurch zeigte er, daß es vom unmittelbaren Sein als solchen keine Lehre gibt.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
nisch strukturierter Naturverhältnisse keinen Ort in einer Logik, die allgemeine Ontologie sein soll. Eine »reine Metapher«, das soll heißen sachleer, sei es überdies, »Leben« im Sinne einer platonischen Tradition zur Eigenschaft des Ideenkosmos zu machen; »doch«, so Hösle, »vermutlich liegt diese metaphorische Denkweise Hegels Entscheidung zugrunde, das Leben in die Logik aufzunehmen«. Hösle unterstellt Hegel also Dezisionismus, von dem Wissenschaft und Logik doch gerade frei sein sollen. Entsprechend dieser umfassenden Ablehnung gibt es bei Hösle keine nähere Untersuchung der Idee, die lediglich eine Kurzfassung der naturphilosophischen Organik sei. – Dieser Eindruck muß aber bei genauerer Betrachtung verschwinden, da Logik und Naturphilosophie erkennbar unterschiedliche Gestalten des Denkens verhandeln. Das wird bereits daran deutlich, daß die Folge der Momente in der Idee des Lebens in den beiden Bereichen umgekehrt verläuft, worauf im vorliegenden Kontext in der hier folgenden Unterscheidung von Logik und Naturphilosophie einzugehen ist. (iii) Wohin es führt, der Integration des Lebens in die Logik die Folgerichtigkeit abzusprechen, wird bei Iber (2002) deutlich: Es führt zur Sprachlosigkeit (zum Unbegriff ). Außer der thetischen Versicherung, daß der Begriff sich keine Realität gebe (»der Begriff vollbringt nicht jenes Wunder« (188)), bleibt da nichts zu sagen. – Bei Iber kehrt im übrigen der Widerspruch, der schon bei Gessmann (vgl. hier S. 23, Fn. 14) beobachtet wurde, wieder auf: So wirft Iber Hegel »Theoretizismus« (189) vor und bemängelt, daß nicht vernünftige Gestaltung, sondern Selbsterkenntnis der Vernunft das Ziel der Philosophie Hegels sei. Was »vernünftige Gestaltung« sein soll und woher sie informiert (vernünftig) werden sollte, klärt Iber nicht. – Nur Selbsterkenntnis der Vernunft könnte dies leisten. (iv) Hartmann kritisiert, es entstehe »der Eindruck, daß Hegel keine geeignete Unterscheidung von logischem und realphilosophisch gefaßtem Leben anzugeben hat.« (1999: 391) Auch das logische Leben unterwerfe sich eine fremde Objektivität und sei daher nicht dadurch vom realphilosophischen Leben unterschieden, daß in ihm die Objektivität ganz und nur als aus dem Begriff gesetzt verstanden werde, worin der Unterschied des logischen Lebens zum Naturleben liegen sollte. Hegel betreibe hier Regionalontologie. (v) Düsing (1986) sieht Hegels Einbeziehung des Lebens in die als Ontologie verstandene Logik durch eine von Platon bis Leibniz reichende Tradition begründet, die dem »Leben […] zentrale Bedeutung für den Gesamtaufbau des Kosmos« (276) zumesse. Die Bestimmungen, die Hegel mit der Idee des Lebens abhandle, seien aber »nicht Bestimmungen des Lebens überhaupt […], auch nicht Bestimmungen des natürlichen Lebens im Allgemeinen, sondern zumeist des animalischen Lebens und manchmal sogar noch speziellere Bestimmungen. Sie können nicht allem Seienden und auch nicht allem
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naturhaft Seienden in traditioneller ontologischer Bedeutung zukommen.« (288) Düsing zieht daraus nicht den Schluß, daß diese »traditionelle ontologische Bedeutung« möglicherweise gar nicht Hegels Interesse ist. Er sieht allerdings, daß das Leben für Hegel keineswegs schon die höchste Bestimmung ist, sondern selbst noch in dienender Funktion (als »Vorform«) für die Idee als absolutes Wissen ihrer selbst (vgl. GW XII, 177, das Düsing jedoch als »Selbstbewußtsein« versteht; vgl. dazu hier S. 336 f., Fn. 63) verstanden wird (289). Auch Düsing zieht daher den Schluß, daß Hegel nicht die allgemeinsten Bestimmungen des Seienden als Seienden, sondern nur bestimmtes Seiendes untersuche (Regionalontologie betreibe). Es wird deutlich, daß das Verständnis dessen, was die Idee des Lebens überhaupt sein soll, am Verständnis des Ganzen der Wissenschaft der Logik und ihres Gegenstandes hängt. Was in den erwähnten Einwänden nicht gesehen wird ist, daß alles bislang Durchdachte bereits Explikation der Idee ist und insoweit Leben bedeutet. Vielmehr wird in der Kritik ein Begriff, der sich aus der Realphilosophie, d. i. einer Regional-ontologie, vorstellt, aufgenommen und dem Leben in absoluter Bedeutung entgegengesetzt. Weil jener Begriff vorstellungsgemäß ansichtig scheint, wobei nicht bedacht wird, daß das Leben ja gerade nicht Gegenstand von Erfahrung sein kann, soll nur dieser ›regionalontologische‹ Begriff gelten. Die absolute Bedeutung soll demgegenüber bloße, gar leere Metapher sein. Doch was reicher an Bestimmung sein soll als die Selbstunterscheidung der Idee bleibt dann ungefragt. Für die Berechtigung einer Integration des Lebens in die Logik wird aus verschiedenen, einander durchaus auch widersprechenden Perspektiven argumentiert: (i) Für Marcuse (1932) ist »das Sein des Lebens […] das Zentrum der hegelschen Ontologie. – In der Idee des Lebens bricht der ursprüngliche Boden dieser Ontologie innerhalb der ›Logik‹ durch« (175). (ii) Wird die Logik verstanden als Ontologie, deren Aufgabe es ist, die allgemeinen Kategorien zur Erkenntnis aller Seinsbereiche anzugeben, dann scheint es, daß das logische Leben »provides the conceptual framework for the comprehension of organism in the Naturphilosophie« (Greene 1980: 125). Greene meint zudem, daß durch den Begriff als Leben »we see how existence is not merely superadded to essence but how the Notion ›determines itself to objectivity‹«. Greene macht die Logik damit allerdings zur Wissenschaft eines abstrakten Begriffs (»framework«), der auf Gegenstände angewandt werden muß, um seine Funktion zu erfüllen. Das Thema Idee des Lebens wäre also ein epistemologisches Theorem (vgl. die Auslegung von Wildenauer 2004). Marcuse (1932: 176) kritisiert diese Lesart zu Recht, indem er darauf aufmerksam macht, daß die ursprüngliche Bezogenheit von Subjektivität und Objektivität, die Thema des Lebens ist, noch vor jeder erkenntnistheoreti-
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schen Untersuchung liegt. Die Idee des Lebens kann daher nicht selbst schon erkenntnistheoretisch (d. i. transzendentalphilosophisch) gedeutet werden. (iii) Stekeler-Weithofer (2004) meint, »daß bei Hegel selbst allein schon mit dem Verweis auf den präsupponierten Kontext jedes Erkennens und jeder Kontrolle von Wahrheits- und Geltungsansprüchen das Leben, und zwar zunächst das menschliche Leben, in die Logik kommt.« (169) Der konstitutive Ort jedes Wissens ist das menschliche Leben, daher gehöre es in eine Logik des Wissens, die dessen »Praxisformen« (171) analysiere. Stekeler-Weithofer baut damit seine Rechtfertigung der Einbeziehung des Lebens in die Logik auf eine Begründung, die Hegel zwar als eine mögliche anführt, aber für die Wissenschaft der Logik dennoch ablehnt (siehe hier im Folgenden). In dieser geht es nämlich nicht um eine menschliche Praxis, sondern um die Vernunft (so wie es ihr um Geltung, nicht um konsensuales Geltenlassen geht). Mit Einschränkung bejaht (iv) McTaggart (1964b: 275 f.) die Einbeziehung der Idee des Lebens in die Logik. Er erkennt an, daß die »Leben« genannte Idee Gegenstand reinen Denkens und nicht vermischt mit empirischen Gegenständen sei. Doch verfehle Hegel seine Intention, da er sich im Verlauf der Explikation der Idee des Lebens doch wieder auf biologische Analogien stütze: Zum einen in der Konstatierung einer Vielzahl von Organismen und zum anderen indem er den Leib als inadäquate Manifestation der Seele darstellt, wo doch die Teleologie bereits zur vollen Adäquanz geführt habe. (v) Eine im Vergleich zu Hösles Ablehnung der Idee des Lebens umgekehrte Kritik übt Di Giovanni (1984): Demnach stellt die Idee des Lebens keine Doppelung der Naturbestimmtheit dar, sondern Hegel bräuchte eigentlich keine Philosophie der Natur mehr, da deren Standpunkt schon logisch aufgehoben sei. Während Kant für seine leeren und nur formalen Begriffe einen Anwendungsbereich angeben mußte, stellt sich dieses Problem für Hegel nicht mehr, da er die Position der Unmittelbarkeit bereits in der Logik integriert hat. Einen eigenen Stand dieser erkennt Hegel nicht mehr an. Den Streit um die Naturphilosophie zwischen Fichte, der meint es könne sie nicht geben, und Schelling, der meinte es brauche sie als Gegenstück zur abstrakten Wissenschaftslehre, hätte Hegel eigentlich beenden können, da die Logik beides befriedigt. Fortsetzung: Klärung der Voraussetzungen des reinen Begriffs Die von Hegel vorweggenommene Skepsis hinsichtlich der Einbeziehung des Lebens in die Logik überhaupt und in das Kapitel über die Idee im besonderen findet sich also bis in die zeitgenössische Forschung. In einer formalen Logik, die Begriffe nur als leere Formalismen und Urteile als Formulare kennt, hat
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nicht nur das Leben keinen Ort, sondern es kann in ihr auch keine Logik der Idee geben. Im Anschluß an diesen Einwand führt Hegel eine mögliche Begründung für die Einbeziehung des Lebens an: Weil es in der Logik um die Wahrheit geht, Wahrheit aber nicht ohne Erkennen ist, muß als dessen Voraussetzung auch das Leben behandelt werden. »Insofern würde sich die Notwendigkeit, die Idee des Lebens in der Logik zu betrachten, auf die auch sonst anerkannte Notwendigkeit, den konkreten Begriff des Erkennens hier abzuhandeln, gründen.« Mit der Betrachtung des Lebens müßten auch Psychologie, Anthropologie und schließlich eine Gesellschaftslehre verbunden werden. Doch die Logik hat nur rein begriffliche Voraussetzungen, nämlich Sein und Wesen, eine Psychologie oder Anthropologie gehören nicht dazu. Entsprechend kann das Leben auch nicht als Voraussetzung der Idee der Logik gerechtfertigt werden, indem gesagt wird, daß es das Lebendige sei, das Ideen hat. Zwar trifft es zu, daß das Erkennen das Leben voraussetzt, doch nicht in der Weise, daß es eines Lebendigen bedarf, der erkennt. Die Voraussetzung ist vielmehr logischer Natur: Der Begriff der Erkenntnis beinhaltet den Bezug eines Subjektiven auf ein Objektives. Dieses ist jenem gegenüber unabhängig, und doch wird es von ihm erkannt. Die Erkenntnis bezieht sich also implizit auf die Idee der Einheit von Subjektivem und Objektivem, sie setzt diese Einheit und in ihr die Erkennbarkeit des Erkannten überhaupt voraus. Als vorausgesetzt und unmittelbar ist die Idee das Leben. Der Zusammenhang von Leben und Erkennen ist unbestreitbar. Weder kann Leben ohne Erkennen seiner Einheit sein, denn dann wäre es nur Mechanismus. Seine Bewegung wäre Veränderung, nicht aber Wachstum und Entwicklung. Noch kann Erkennen ohne Leben sein, denn im Leben hat das Erkennen die Rückbeziehung auf sich selbst, die entscheidend dafür ist, daß es wissendes Erkennen sein kann und nicht nur Kollektion von Zeichen, wie etwa die Rechenmaschine, die einen Text speichert. Die Logik zeigt das Leben aber noch in einer anderen Bedeutung, denn hier ist es selbst schon Idee und somit nichts Vorausgesetztes: »Die Idee hat sich […] durch die eigene Notwendigkeit des Begriffs herbeigeführt« (GW XII, 179 f.); wie das geschah, zeigte die Entwicklung von subjektivem Begriff und Objektivität. Die Idee ist keine konstruierende Setzung, sie wird nicht thetisch angenommen. Die Notwendigkeit des Begriffs liegt in dessen Bewegung, sein eigenes Anderes zu setzen und diesem nicht entgegengesetzt zu sein, sondern sich darin darzustellen. Ist die Bewegung des Begriffs zu seiner Darstellung als solche erkannt, so ist die Einheit von Begriff und Objektivität realisiert, diese ist Idee. So ist also auch das Leben keine Voraussetzung, sondern durch eigene Notwendigkeit herbeigeführtes Resultat. In dieser Weise sich selbst herbeiführend ist, wie wir sahen, nur die Wahrheit. Sie ist das
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eigentlich Notwendige und so ist sie auch das einzig Wirkliche. Die Wirklichkeit der Wahrheit liegt im Ausdruck ihrer Selbstübereinstimmung. Im Erweis dieser Übereinstimmung besteht ihre beständige Tätigkeit. So ist die Wahrheit nicht das Ergebnis eines Abgleichs von Urteil und an sich bestehender Realität, die Wahrheit ist vielmehr als Subjekt zu bestimmen, sie ist selbst etwas. So wird auch deutlich, warum in der Wissenschaft der Logik das Leben vorkommt: Der Ausdruck der Wahrheit als ein Selbst ist das Leben, denn es ist die (Selbst-)Bewegung, die sich selbst zur Übereinstimmung bringt.72 Dieses Leben ist Leben in absoluter Bedeutung und keine gehaltlose Abstraktion von in der Natur vorkommenden Lebewesen. Es ist dasjenige Leben, das von der Idee, die weder ist noch nicht ist, ausgesagt wird, wenn von ihrer Geltung die Rede ist. So sagt Hegel in der Logik-Vorlesung von 1817: »Wenn man von der Idee sagt: ›Sie ist‹, so sagt man davon: ›Sie ist lebend‹.« (AV XI, 177) Für eine Logik, die die Wahrheit als Subjekt ausdrükken will, ist es unabdingbar, das Leben nicht aus ihrem Begriff auszusparen. Umgekehrt ist das Leben untrennbar mit der Wahrheit verbunden, diese wird sich als seine Bestimmung erweisen. Die Idee hat mithin gar keine Voraussetzungen, denn sie führt sich selbst herbei. Die Voraussetzungen, die sie hat, sind solche, die sie macht, nämlich die erwähnten reinen Begriffe Sein und Wesen. Deren Bestimmung war ihr Rückgang in den Grund, d. i. in die sie haltende Wahrheit des Begriffs. So waren Sein und Wesen auch bislang bestimmt worden: Sie sind auf die Wahrheit hin. Wo das Resultat bewegend ist, ist es Zweck. Der absolute Zweck, der Ziel alles Bestimmtseins ist, hat nicht sich gegenüber eine Materie gegen die er wirken, und die er formieren muß. Der Zweck ist ja bereits in der vollen Kongruenz der Wahrheit realisiert und ist so Idee. Die Voraussetzungen Sein und Wesen sind daher nicht mehr zu betrachten als ›auf die Idee hin‹, sondern als ›von ihr her‹, nämlich als Momente ihrer (Selbst-)Vermittlung. Damit ist das Sein nicht mehr Sein (das war es genau genommen von Beginn an nicht) und das Wesen nicht mehr Wesen. Vielmehr sind Sein und Wesen nun Vermittlungen der Idee, sie sind selbst die Idee als Leben und Erkennen. Unmittelbar ist die Idee, die doch als Kongruenz selbst die Vermittlung schlechthin ist, weil sie auftritt als Darstellungseinheit von subjektivem Begriff und Objektivität. Mit deren Einander-äußerlich-Sein verschwindet 72
In der Einleitung zur zweiten Auflage der Logik drückt Hegel diesen Umstand folgendermaßen aus: »Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewußtsein und hat die Gestalt des Selbsts, daß das an und für sich Seiende gewußter B egriff, der B egriff als solcher aber das an und für sich S eiende ist.« (GW XXI, 33)
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auch ihr Unterschied, daher ist die Darstellungseinheit in ihrer anfänglichen Präsentation unmittelbar. Alle Präsentation findet in Unmittelbarkeit statt.73 Die Unmittelbarkeit der Idee stellt aber keinen Verlust dar, in welchem die Genese der Bestimmung vergessen und verschwunden wäre. Dies war die Situation im Übergang vom Werden zum Dasein, das darum als ein Erstes erschien. Die Idee ist unmittelbar, da sie sich selbst ursprünglich darstellt. Schließlich bringt die Idee mit ihren Voraussetzungen auch ihren eigenen Unterschied mit hervor. Dieser ist ebenso wenig gegeben, wie die durchgängige Einheit der Idee. Weil die Idee »zuerst in ihrer Unmittelbarkeit zu betrachten ist, so ist sie in dieser Bestimmtheit, in welcher sie Leben ist, aufzufassen und zu erkennen, damit ihre Betrachtung nicht etwas Leeres und Bestimmungsloses sei.« (GW XII, 180) Nur wenn die Idee selbst nicht bestimmungslos ist, ist sie kein leerer Formalismus. Sie empfängt ihre Bestimmung aber nicht von einem Anderen her, die Idee wird nicht informiert, sondern sie bringt selbst ihre Bestimmung hervor. Wie dies aus der Unmittelbarkeit der Idee heraus geschehen kann, muß das Auffassen der Idee als Leben klären. Das Auffassen des Lebens ist aber aufgrund der Verhältnislosigkeit der Idee keine leichte Aufgabe. »Am Leben, an dieser Einheit seines Begriffs in der Äußerlichkeit der Objektivität, in der absoluten Vielheit der atomistischen Materie, gehen dem Denken, das sich an die Bestimmungen der Reflexionsverhältnisse und des formalen Begriffes hält, schlechthin alle seine Gedanken aus; die Allgegenwart des Einfachen in der vielfachen Äußerlichkeit ist für die Reflexion ein absoluter Widerspruch« (GW XII, 181).
Zur Unterscheidung: Naturleben und Leben des Geistes Die Unfaßbarkeit der Idee des Lebens wird zudem dadurch gesteigert, daß sie (i) vom in der Natur erscheinenden Leben ebenso wie (ii) vom »Leben des Geistes« (GW XII, 180) zu unterscheiden ist; sie ist dem vorstellenden Bewußtsein vollkommen unbekannt. (i) Das Naturleben74 hat an der unor73
Unmittelbar ist die Idee also nicht, wie Wildenauer (2004: 79) meint, weil »es das übliche Verfahren in der Wissenschaft der Logik« ist. 74 Zu Hegels Naturphilosophie des Lebens vgl. Findlay (1984), der Hegels Theorie des Lebens vom Streben nach einer »de-Baconization of thought and life« (93) motiviert sieht. Wichtig ist auch seine einleitende Bemerkung: »Life is for Hegel a category before it is a physical phenomenom in time and space.« (87) Findlay geht in seinem Beitrag auf die Versuche der beobachtenden Vernunft zur Bestimmung des Lebens in der Phänomenolo-
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ganischen Natur seine Bedingung und sein Element. Die Bestimmung der Natur kulminiert im Lebendigen und weist darin über ihre Sphäre hinaus. Weil es »höchste Stufe« der Natur ist, kann das Leben selbst konsequent nicht als natürliches Phänomen angesehen werden. Das Leben ist wohl Bestimmung der Natur, aber es ist als ihre Bestimmung über sich hinauszugehen und das endlose Außereinander zum Erfassen ihrer selbst zu überschreiten. Dies zeigt sich auch daran, daß das Leben in der Naturphilosophie nicht eine Bestimmtheit neben anderen ist, so daß in ihr Lebendiges als ein Phänomen der Natur neben anderen Erscheinungsweisen bestünde und aufgefunden würde. Die Beobachtung der Natur findet zu keinem Begriff des Lebendigen, weil sie das Allgemeine und den Begriff nicht mit dem Einzelnen zu verbinden weiß. Die Tätigkeit des Lebendigen kann dann aber nicht begriffen werden: »Sein Tun wäre sonach die leere Wirksamkeit ohne Inhalt an ihr selbst« (GW IX, 148 f.). Das Lebendige ist nicht einmal Maschine, denn die hat immer einen Zweck, es ist für die Beobachtung einfach ein »Seiendes als Seiendes«. Leben ist nicht ein Phänomen der Natur neben anderen, vielmehr strebt in ihr alles zum Leben und die Bestimmungen ihres Außereinanders werden im Leben verwandelt. In der enzyklopädischen Philosophie der Natur spricht Hegel deshalb nicht nur von pflanzlichem und animalischem Leben, sondern allgemein von einer »organischen Physik«, zu der Geologie, Botanik und Zoologie gehören.75 Schon die Erde selbst ist proto-organisch und hat Spontaneität (Enz. (1830) § 341). Die Entwicklungsstufen des Naturlebens verlaufen aber umgekehrt zu denen der Idee des Lebens, daher trifft es weder die Logik noch die Naturphilosophie, wenn man letztere als Deduktion aus ersterer bezeichnet.76 Die Einteilung in eine mineralische, vegetabile und animalische ›Lebenswelt‹ ist keine logische Unterscheidung, die direkt aus der Idee folgt. Am Anfang steht hier die Gestalt, aus der ein Prozeß hervorgeht. In der Idee hingegen ist die Gestalt als Ausdruck des Subjekts in seinem Prozeß die abschließende Bestimmung. In der Natur liegt der Anfang im subjektlosen Organismus der Erde. Der Entwicklungsprozeß der Gestalt der Erde, Hegel nennt sie »Kristall des Lebens«, liegt zudem in der Vergangenheit, er ist mithin nicht selbstbestimmt und gegenwärtig. Der Übergang vom äußerlichen Organismus zum gie ein (vgl. GW IX, 145 ff.). Dort wird deutlich, daß der Organismus und sein Begriff evolutionär sind, Hegel die sogenannte Evolutionstheorie aber ablehnt. Organismen passen sich selbst an Umwelten an, diese aber formen nicht deren Besonderheiten (vgl. GW IX, 146 und besonders zur Ablehnung einer zufallsgesteuerten Evolution Enz. (1830) § 242). 75 Der Name »Biologie« für das, was Hegel »organische Physik« nennt, kommt erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts auf, vgl. D’Hondt (1986: 139). 76 Es kann also nicht von einer bloßen »Abwandlung« (Bubner 1980: 115) die Rede sein.
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belebten Organismus (Enz. (1830) § 342) erfolgt nicht aus der Erde für sich. Es gibt hier keine immanente logische Dialektik, aus der heraus die Erde sich zu lebendigen Organismen entwickelt. Der Übergang erfolgt statt dessen durch ein Denken, das »die kontingenten, in der geologischen Natur entdeckten Beschaffenheiten synthetisiert«77. Konkret geschieht dies, indem geologische Gestalt (der Unterschied von Land und Meer, die kosmische Ordnung der Sterne, die Erddrehung) und meteorologischer Prozeß (die Wechselwirkung von Land und Meer, Sternen und Erddrehung im Wetter der aufeinander folgenden Jahreszeiten) zusammengenommen »zur Lebendigkeit befruchtet […] in punktuelle und vorübergehende […] Lebenspunkte [ausschlagen]« (Enz. (1830) § 341). Es bilden sich Flechten und Wimperntierchen. Weder das reine (a priorische) Denken der Vernunft noch bloße Naturbeobachtung erbringen diesen Übergang, sondern nur das synthetische Denken, das empirische Daten begreift, wofür es aber bereits einen Begriff haben muß. Weil sich dieses Wissen mithin auf empirische Kenntnisse bezieht, so ist es immer auch abhängig von demjenigen, was zu seiner Zeit empirisch bekannt ist. Daher kann das Denken der Natur im Unterschied zum reinen Denken und Wissen der Logik datiert und überholt sein. Lebendigkeit und äußerer Organismus formen einen äußerlichen und zugleich lebensfähigen Organismus. Dessen Realisierung kann in der vegetabilen Natur gefunden werden. Die Pflanze hat Wurzeln, Zweige und Knospen, jeder ihrer Teile ist für sich genommen in der Lage, eine ganze Pflanze zu bilden. So sind ihre Teile noch nicht durchgreifend differenziert, deshalb auch noch nicht Organe zu nennen (Enz. (1830) § 343). Die Pflanze kann ihren Standort nicht selbst bestimmen, ihr Ernährungsprozeß ist fortlaufend, sie sucht sich ihre Nahrung nicht (wie das Tier) aus. Ihre Gestalt ist festgelegt und sie hat gegen ihren Organismus keine Subjektivität, sondern ist ganz in ihn »versenkt« (Enz. (1830) § 344). Der Prozeß, in dem die Pflanze sich ›zusammenschließt‹, die Bildung von Knospe und Blüte, führt nicht zu ihrer Individualität, sondern produziert mit dem Samen nur wieder eine neue Pflanze. Das pflanzliche Individuum erhält damit (erstens) seine Gattung und die Pflanzenteile wirken darin, obwohl sie noch nicht Organe sind, (zweitens) zu einem allgemeinen Zweck zusammen. Diese beiden Wirkweisen der Pflanze begründen, in einen Begriff integriert, »den Übergang in den wahrhaften Organismus« (Enz. (1830) § 349). In diesem bestimmt eine dynamische Einzelnheit zum einen sich selbst und zum anderen ihre Teile zu Organen mit bestimmten Funktionen. 77
Burbidge (2001). Das Denken ist hier, wie früher beschrieben, ein Nachdenken, denn es bringt keine Naturwesen hervor, sondern synthetisiert gegebene Daten.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Was sich derart selbstbestimmt zeigt, sind die Tiere. Ihre Subjektivität drückt sich in ihrer Ortsbewegung, ihrer Stimme, der ausgesuchten und daher unterbrochenen Nahrungsaufnahme und vor allem in ihrem Selbstgefühl aus (Enz. (1830) § 351). Das Tier ist offen für die Einflüsse seiner Umgebung (»Sensibilität«), es reagiert aktiv auf diese und ist reizbar (»Irritabilität«) und es erzeugt und erhält in diesem Wechselverhältnis sich selbst (»Reproduktion«). Jede dieser drei Bestimmungen des animalischen Individuums findet sich in einem bestimmten Teil des Körpers (Nerven-, Blutund Verdauungssystem). In der Aktivität seiner fünf Sinne sowie im Atmen, Essen und Trinken assimiliert das Tier seine Welt. In diesem Aneignungsprozeß erfährt es zugleich deren Widerständigkeit, es spürt den Mangel und den Trieb, diesen aufzuheben: »Ein solches, das den Widerspruch seiner selbst in sich zu haben und zu ertragen fähig ist, ist das Subjekt; dies macht seine Unendlichkeit aus. – Auch wenn von endlicher Vernunft gesprochen wird, so beweist sie, daß sie unendlich ist, eben darin, indem sie sich als endlich bestimmt; denn die Negation ist Endlichkeit, Mangel nur für das, welches das Aufgehobensein derselben, die unendliche Beziehung auf sich selbst, ist.« (Enz. (1830) § 359A) Hegel lobt in diesem Zusammenhang Aristoteles’ und Kants Bestimmung des Lebendigen, denn mit dem Begriff der Zwecktätigkeit und des Selbstzwecks erfassen sie dessen Prinzip.78 In Trieb und Bedürfnis zeigt es sich auf natürliche Weise, hierzu braucht es noch kein Bewußtsein (Enz. (1830) § 360A). Aufgrund des Widerspruchs von Subjektivität und äußerlicher Kontingenz ist das Selbstgefühl des Lebendigen »ein unsicheres, angstvolles, unglückliches« (Enz. (1830) § 368A). Durch seine assimilierende Tätigkeit löst sich das Subjekt von seiner Unmittelbarkeit und wird zum Produkt seiner selbst; es ist nur, indem es sich zu dem macht, was es ist. Was das Subjekt also zum Ausdruck bringt und verwirklicht, ist nichts unmittelbar Selbstisches, sondern seine Gattungsbestimmtheit, die nur im Assimilationsprozeß hervortritt. Das Allgemeine der lebendigen Subjekte ist ihre Gattung. Solange sie nicht selbst als Subjekt anerkannt ist und nicht »subjektives Allgemeines« (Enz. (1830) § 367) geworden ist, zerfällt die Gattung in eine Vielzahl von Arten und Geschlechtern und sie steht ihnen sogar als Negation gegenüber. 78
Zu nennen sind insbesondere Aristoteles, Physik II (insbesondere II 1, 192b 13–14: physis im eigentlichen Sinne hat, was in sich selbst die arch von Bewegung und Stillstand hat) und De anima II, 1 und 2, sowie zum Begriff der inneren Zweckmäßigkeit Kant, KdU §§ 61, 63 und 66. Vgl. zuletzt Rödl (2007).
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Die Individuen sind nichts als ihre Gattung, sie sind aber nicht Gattung, sondern sie sind ihr in mannigfacher Weise unangemessen. So streben die Individuen etwa im Geschlechtstrieb danach, allgemein zu sein und über sich hinauszugehen. Doch Tier und Mensch sind vielfach mißgestaltet. Die Folge der Unangemessenheit ist die Krankheit.79 In ihr hat das Individuum den Gegensatz seiner Subjektivität und der äußeren Negation in sich selbst: Als Selbst ist es gegen seine eigene Gestalt gerichtet, nicht bloß gegen die seiner Umgebung, wie in Mangel und Bedürfnis. Die Unangemessenheit ist nicht Sache eines Vergleichs mit einem äußeren Maßstab, vielmehr ist sie immanent. Die Krankheit kann daher nicht ebensogut ausbleiben, sie ist kein zufälliges Ereignis des Lebens, sondern sie ist »seine ursprüngliche Krankheit und [der] angeborne Keim des Todes« (Enz. (1830) § 375). Das Individuum stirbt aus sich selbst heraus.80 Die Gattung wird in der Fortpflanzung und in der Aufhebung der Vereinzelung verwirklicht. Sie erhält sich durch den Tod des Individuums hindurch. So ist die Gattung eine Subjektivität, die durch Tod und Endlichkeit hindurchgeht. Der Gegensatz zwischen Allgemeinheit und unmittelbarer Einzelheit ist im »Tod des Natürlichen« (Enz. (1830) § 376) getilgt. Die unendliche Subjektivität, die im Einzelnen nicht außer sich ist, sondern zu sich selbst kommt, ist nicht mehr animalisch. Indem Leben sich als ein Selbst erfaßt, ist das Naturleben Geist. Die Natur kehrt mithin in ihrem Ende nicht in sich, d. i. zu ihrem Anfang im Außereinander, zurück. Sie ist – im Unterschied zur Idee – nicht frei. (ii) Im Erfassen seiner Lebendigkeit nimmt das Lebendige von seinem Leben Besitz. So bewegt sich das Leben des Geistes nicht nur in der endlosen Wiederholung seiner selbst, sein Interesse ist nicht bloß Selbsterhaltung. Der Geist will vielmehr sein Eigentum bezeichnen: »Das Leben als solches 79
Eine Untersuchung von Hegels Philosophie der Krankheit, bietet Engelhardt (2000). Krankheit ist bei Hegel nicht nur ein Thema der Naturphilosophie, sondern ebensosehr der Philosophie des Geistes. Hegel gibt nicht nur einen allgemeinen Begriff der Krankheit, sondern er entwickelt auch deren empirisch bestätigte Differenzierung in (i) ›geschichtliche‹ Krankheiten (Seuchen, Epidemien), von denen ganze Bevölkerungsteile gemeinsam betroffen werden, (ii) physische Krankheiten, in denen das Subjekt von der anorganischen Natur gleichsam überwältigt wird und in (iii) individuell-psychische Krankheiten des Subjekts, in denen sich einzelne seelische Dimensionen gegen die Einheit des Geistes verabsolutieren und sie zerstören. Dabei betont Hegel die Prozeßhaftigkeit der Krankheit und entwickelt einen Begriff der Therapie, der getragen wird vom Verständnis der Krankheit als einer unangemessenen Partikularisation, die wieder überwunden werden muß. 80 Daraus, daß der Tod nach Hegel dem Leben immanent ist, ergibt sich Hegels Gegenstellung zu einer Cartesischen Philosophie des Mechanismus, wie D’Hondt (1986: 148) bemerkt: »La mort de l’individu selon une finalité interne est si peu évidente qu’elle avait été niée tout-à-faire par Descartes: la philosophie mécaniste permettait à celui-ci d’espérer une prolongation illimitée de la vie, grâce à l’amélioration de ses conditions.«
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
ist also für den Geist teils Mittel« (GW XII, 180). Dann weiß er sich auch in Einheit mit seinem Leben, so wird das Leben als Leib sein Körper. Doch bleibt das Leben des Geistes nicht beim Erfassen seiner selbst, die Bezeichnung seiner Eigentümerschaft fordert einen individuellen Ausdruck, so wird sie »aus ihm selbst zum Ideal herausgeboren.« Dieses (unmittelbare) Ideal des Geistes ist die Schönheit. Sie ist – zufolge der Ästhetik-Vorlesung – die Darstellung einer lebendigen Individualität, in der »das nur Äußerliche und nur Innerliche zusammenfallen« (TWA 13, 207). Dabei bleibt sie aber »mit einem bestimmten Dasein verschlungen«, das heißt die schöne Darstellung bleibt an Ort und Zeit gebunden, auch wenn es ihr Ziel ist, sich über sie zu erheben und der Freiheit Ausdruck zu verschaffen. Die schöne Darstellung ist noch nicht reiner, allgemeiner Gedanke. Daher ist die Schönheit in der Wissenschaft der Logik nicht Moment der Idee.81 Seinem unmittelbaren Sein gegenüber ist diese darstellende Tätigkeit des Geistes aber – im Unterschied zum Wirken der Idee – äußerlich, das Geistesleben bleibt abhängig vom natürlichen Leben: »Der Geist lebt […] in seiner Substanz, der natürlichen Seele, das allgemeine planetarische Leben mit, den Unterschied der Klimate, den Wechsel der Jahreszeiten, der Tageszeiten und dgl., – ein Naturleben, das in ihm zum Teil nur zu trüben Stimmungen kommt.« (Enz. (1830) § 392, vgl. auch GW XII, 197) Als solcher ist der Naturgeist Thema der Anthropologie, er unterliegt mannigfaltigen Zufällen, etwa der körperlichen Verfassung und Lebensumständen des geistig begabten Lebewesens. Der Geist ist daher noch mannigfach gehalten und auch seine Ausdrucksgestalten im Staat, den Religionen und Zivilisationen können wie natürliche Individuen sterben.
3.3.B.a Verklärtes Sein: Leben in absoluter Bedeutung Die Wirklichkeit der Idee mag dem Denken in Reflexionsverhältnissen zwar unverständlich sein. Im Erleben bringt sie sich aber nahe und muß dennoch zugegeben werden, denn darin ist ein Eines in einer Mannigfaltigkeit präsent. Subjekt und Objekt sind hier eins. Vor dem Hintergrund dieses Widerstreits von Reflexion und Erleben wird das Leben zum »unbegreif liche[n] Ge81
In den Vorarbeiten zur Wissenschaft der Logik, namentlich in der Nürnberger Propädeutik und der Logik für die Oberklasse, schließt Hegel auch noch die Idee der Schönheit ein. So spricht er in der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse 1809/10 von der »Idee des Lebens oder der Schönheit« (GW X, 298): »Die Darstellung des Lebens in seiner Freiheit oder Abstraktion von der zufälligen, bedürftigen Äußerlichkeit, ist das lebendige als ideale Gestalt oder als Schönheit.« In der vorangehenden Fassung von 1808/09 steht die Idee des Lebens ohne die Schönheit da.
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heimnis« (GW XII, 181)82 erklärt. Doch die Verklärung stellt in Klarheit dar, was wahrhaft ist, sie geheimnißt nicht. Wie ist also am Leben der Idee etwas aufzufassen und was wird von der Verklärung eröffnet? Das Resultat der Entwicklung von subjektivem Begriff und Objektivität war deren Kongruenz, die Wahrheit an und für sich. In ihr sind Subjektivität und Objektivität vereint wie Subjekt und Prädikat im Satz: Die Einheit ist ihnen immanent, während sie ihren unterschiedenen Charakter behalten. Das Leben unterscheidet sich von nichts anderem, es ist in aller Objektivität allgegenwärtig. Das Leben ist nicht in einem Teil zu finden, in einem anderen aber nicht, sondern überall gleichermaßen; so ist es allgemein. Das Allgemeine aber ist nur dann wahrhaft allgemein, wenn es sich zu durchgängiger Geltung bringt. Dieses Zur-Geltung-Bringen klärt die Bestimmung der Idee, sie wird im »ursprüngliche[n] Ur teil des Lebens« eröffnet: Das Leben als Idee ist kein Objekt und hat doch eine ihm angemessene Objektivität. Diese Adäquanz hatte sich zwar schon mit dem disjunktiven Schluß gezeigt, der aufgrund der umfassenden Vermittlung seiner Prämissen objektiv gültig war. Die Vermittlung ging soweit, daß auch die Vermittlung sich aufhob, weil kein Unterschied mehr festzustellen war. Der Begriff war damit von der Realität, in die er überging, nicht mehr unterschieden, sondern er war in sie »verloren« (GW XII, 183). Die Objektivität des Lebens ist aber von der Idee her von einer anderen Bestimmung, denn das Leben verliert sich nicht in sie. Die unbedingte Kongruenz der Idee kann auch als deren negative Beziehung verstanden werden: Sie nimmt alle mögliche Bestimmung in sich hinein und läßt nichts außer sich, daher stimmt alles mit ihr überein. Diese Beziehung auf sich ist, in den Worten Hegels, »als die Negativität das Selbstbestimmen« (GW XII, 182). Im Zusammenhang dieses Selbstbestimmens steht die Objektivität in der Idee. Die Objektivität ist nicht einfach zur Subjektivität zurückgekehrt, als wäre nichts gewesen, sondern sie ist »das aus dem Begriff Hervorgegangene, so daß ihr Wesen das Gesetztsein, daß sie als Negatives ist.« (GW XII, 183) So verschwindet die Objektivität nicht in der Idee, sondern sie bleibt als hervorgegangene. Das Leben verliert sich nicht in die Objektivität, sondern es urteilt sich ursprünglich: Es entzweit sich in sich als negative Einheit und in die Objektivität, die es sich angemessen macht, 82
Hegel zielt damit möglicherweise auf Herder, der in seiner Schrift Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele über das »geistige Band« (Herder 1967: Bd. VIII, 174) des Lebens schreibt, es lasse sich »nicht weiter erklären«. Zum Rätsel, das nicht ergründet werden könne, wird das Leben dann wieder bei Dilthey erklärt (vgl. Dilthey 1958: 136). Grundsätzlich gilt, daß das Leben immer dann zum Geheimnis erklärt wird, wenn Geist, Wissenschaft und Leben geschieden werden, was der frühe Hegel als Scheidung von Leben und Lehre beschrieb. In der Scheidung bleibt das Leben blind und die Lehre leer.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
indem sie sie negiert und nicht sich entgegenstehen läßt. Die Entzweiung macht deutlich, daß das »allgemeine Leben« sich aus sich heraus besondert. Mit der Besonderung tritt es in ein Urteilsverhältnis. Das Leben wird also wesentlich zu Lebendigen, das allgemeine Leben wird mit dieser Entzweiung zu einem Subjektiven und positioniert sich. Nur in diesen subjektiven Lebendigen (den für sich Seienden) zeigt sich das unendliche Fürsichsein (vgl. Erdmann 1901: 146). Nur durch das Urteil des Lebens geht die Objektivität in ihrem Eigenen hervor und wird in ihre bedingte, weil unter der Bestimmung des Begriffs stehende, Selbständigkeit entlassen. So ist das »unmittelbare[s] Sein nur als das Prädikat des Urteils der Selbstbestimmung des Begriffs«. So aber besteht das Seins-Prädikat in zweierlei Bedeutung: (i) Es inhäriert dem Begriff, denn als dessen Moment erhält es seine Bestimmung, (ii) ebenso subsumiert es das Subjekt, denn das Sein ist das Allgemeine, das vom Subjekt vorausgesetzt wird. In dieser Funktion stellt die Objektivität eine eigene Totalität dar, die allerdings »nur eine geliehene« ist, denn sie besteht nur ›auf dem Rücken‹ des Begriffs. Das Subjekt des Urteils des Lebens ist die Idee in ihrer Einzelheit als »wahrhafte Zentralität«. An ihr findet alle Bestimmung des Seins Halt. Das Lebendige ist ein Individuum.83 Durch das Urteil des Lebens wird das Leben konkret faßbar. Das Urteil ist aber nur eine Durchgangsbestimmung. Das Urteil wird »unmittelbar Schluß« (GW XII, 182), denn wenn das Leben zum Urteil geworden ist, muß es eine vermittelnde Mitte hervortreten lassen, die im Urteil erst implizit ist. Diese wird für das Urteilsverhältnis die »Erfüllung« sein, als die Hegel die Idee hier bezeichnet. Was zeigt sich als Mitte des Urteils des Lebens? Dazu muß zunächst die aktuelle Gestalt dieses Urteils erinnert werden: Das lebendige Individuum bestimmt sich in und gegen Objektivität. Hegel nennt das Leben dieses Individuums »S eele«, denn es ist durchgängig bestimmt und von sich her bewegendes Prinzip. Als Seele hat sich die Idee vereinzelt. Als das Sich-selbst-Bewegende bezeichnete schon Platon die Seele (Phaidros 245e–246a). Was sich aber von sich her bewegt, das hat auch das
83
Dieses Individuum ist logisch-allgemeines Individuum. Auch das Individuum in der Realphilosophie ist durch Besonderheit gekennzeichnet. Menschliches Leben und den Staat gibt es nur als diesen Menschen und diesen Staat. Nur hinsichtlich ihrer Allgemeinheit entsprechen sie der Idee (etwa indem sie gerecht sind). Das Aussehen der Menschen und die Größe des Staates aber gehören der Individualität an, die der Idee gleichgültig ist. Der weiße Mensch ist nicht mehr oder weniger Mensch als der nicht-weiße Mensch und der große Staat ist nicht mehr Staat als der kleine. Weil jeder reale Mensch und Staat besonders ist, kann in dieser Sphäre kein Mensch oder Staat vollkommen und absolut sein (darauf weist auch Onnasch 2000: 244 hin).
3.3 Der Schluß der Idee
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Wohin dieser Bewegung, ihr Ziel, in sich. Dies ist, was Aristoteles unter der entelecheia der Seele verstand (De anima II 1, 412a 10 ff.; vgl. Picht 1992: 292 ff.). Doch wodurch ist die Seele mit der Objektivität verbunden und was für ein Ziel setzt sie sich? Die Verbindung kann ja keine unmittelbare sein, denn dann wäre die Seele nur in Objektivität versenkt und verloren. Zugleich kann nicht ein drittes Mittel vermittelnd sein, damit würde nur die endlos-erfolglose Vermittlung der äußeren Zweckmäßigkeit wiederholt. So ist die Mitte, durch die sich die Seele mit der äußeren Objektivität zusammenschließt, die beseelte Objektivität, d. i. »die Leiblichkeit der Seele«. Sie ist die wahrhaft (an-)verwandelte Objektivität. Entsprechend ist die Seele nicht etwas am oder vom Leib, sondern sie ist (i) allgemein der ganze Leib in seinem Selbstbezug, (ii) besonders in seiner inneren Gliederung und (iii) das Einzelne in seiner Artikulation als gegliederte Einheit (vgl. Enz. (1830) § 216). Diese Objektivität wird nicht bloß von einer äußeren Kraft oder einem äußeren Zweck beherrscht, sie ist selber Begriff. Daher ist sie nicht mehr mechanisch oder chemisch und nicht in den Verhältnisbestimmungen der Reflexion (Teil-Ganzes, Ursache-Wirkung) zu erfassen. Zwar kann der Leib beispielsweise mechanischer Einwirkung unterliegen oder als chemisches Produkt betrachtet werden, denn er ist Äußerlichkeit. Wenn er aber der Einwirkung unterliegt oder als Produkt verstanden wird, wird er nicht als lebendig, d. i. nicht als Leib, sondern als bloßer Körper genommen. Spielen sich am Leib bloß chemische Prozesse ab, dann ist er krank und befindet sich in Autolyse. Die Möglichkeit dieser Trennung von Seele und Leib macht die Endlichkeit des Lebendigen aus. Dabei bleiben Leib und Seele in der Trennung nicht, was sie waren, Leib und Seele sind keine Bestandstücke des Lebendigen. Daher kann weder sinnvoll von einer Abtrennbarkeit der Seele vom Leib noch von einem Gegensatz beider gesprochen werden, denn ihre Wirklichkeit ist der Leib. Folglich ist auch die Frage nach der Kommunikation der Seele mit dem Körper ein Scheinproblem (dazu Wolff 1992). Die Äußerlichkeit der Objektivität ist im Leib nicht das Außereinander der Weltverhältnisse. Schließlich ist das Leben selbst schon kein Weltverhältnis mehr. Die Objektivität ist durchdrungen vom Begriff und damit von ihm geeint, ihre mannigfachen Momente sind nicht Teile eines Ganzen, sondern Glieder eines Organismus. Die Teile des Ganzen sind austauschbar, denn sie haben keine spezifische Funktion für das Ganze. Die Teile des Lebendigen hingegen haben je eine spezifische Funktion für das Ganze, daher sind sie Glieder. Das Glied realisiert seine spezifische Bestimmung, den »reellen Unterschied« (GW XII, 184), und hebt sich darin auf.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
Es ist ideell auf die Einheit gerichtet und konstituiert sie. In seiner Ästhetik-Vorlesung nennt Hegel die Glieder daher »die Explikation [der] Seele« (TWA 13, 159). »Die Glieder zeigen diese Idealität denn auch sogleich darin, daß ihnen ihre belebte Einheit nicht gleichgültig [wie das Ganze den Teilen et v.v.], sondern im Gegenteil die Substanz ist, in welcher und durch welche sie allein ihre besondere Individualität bewahren können. Dies macht den wesentlichen Unterschied von Teil eines Ganzen und Glied eines Organismus aus.« (TWA 13, 163) Aufgrund der Äußerlichkeit ist jedes Glied auch für sich fähig abgetrennt zu werden. Damit verfällt es aber dem Zerfallsprozeß der Identität: Es wird zum Moment der »gemeinen Objektivität« (GW XII, 184). Die abgehackte Hand ist nur noch dem Namen nach Hand, während sie tatsächlich den mechanischen und chemischen Einwirkungen ausgeliefert ist und verwest. Ebenso gilt im Geistigen, daß der Staat, wo seine Glieder wie im atomistischen Liberalismus als voneinander abgetrennt betrachtet werden, zerfällt und seine Glieder nicht mehr Bürger, sondern nur mehr Konsumenten und Steuerzahler sind.84 Als Glied des Organismus ist jedes seiner Momente distinkt, bringt aber in der Betätigung seines Unterschieds ebenso die anderen Momente in ihrer Bestimmung hervor. So vermittelt das Glied den gesamten Organismus und wird zugleich von ihm durch die Wirkung seiner Glieder vermittelt. Das Vermittelte als Vermittlung ist Prozeß, also ist auch das lebendige Individuum prozeßhaft. Seine Bestimmung ist es zu resultieren. Das Lebendige kennt kein einfaches »es ist«. Die organischen Glieder werden nicht äußerlich bestimmt und zusammengehalten, wie in der äußeren Teleologie die Mittel zum Zweck bestimmt werden, wobei die Objektivität stets widerständig bleibt. Die Glieder, die den Organismus organisieren, sind selbst der Organismus, Mittel und Zweck sind mithin selbig; »so ist die Zweckmäßigkeit des Lebendigen als innere zu fassen«. Der Realität des Unterschieds entspricht seine Idealität: Kein bestimmtes Darstellungsmoment des Begriffs kann beanspruchen, das Bestehen des Begriffs zu sein. Der Begriff hat kein bestimmtes Dasein, vielmehr manifestiert er sich in der Äußerlichkeit in deren Instabilität. Die Äußerlichkeit bildet keinen Gegensatz, sondern hebt sich auf zur negativen Einheit des Begriffs. In der Einheit von Seele und Leib konstituiert sich die Lebendigkeit. Die negative Einheit und die in den Begriff zurückkehrende Objektivität sind 84
Vgl. dazu die Unterscheidung der Rechtsphilosophie zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat und dazu Williams (1997).
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die Momente des Begriffs der Lebendigkeit. Sie sind nicht als solche auch die Momente der »durch die Idee konstituierten Lebendigkeit.« (GW XII, 185) Doch muß das Leben (als Lebendigkeit), wenn es Idee ist, die Kongruenz des Begriffs des Lebens mit dem einzelnen Lebendigen und dessen »Gestalt« (morph) erweisen. Nur als Beseeltes kann dieses konstituierte Lebendige sein, daher ist seine Gestalt auch in die Momente der Seele des Lebens differenziert. Die Gestalt ist der Ausdruck der Seele: (i) Das lebende Individuum ist allgemein, indem es offen ist für alles. Es ist »ein Insichsein, nicht als abstrakte Einfachheit, sondern eine unendliche bestimmbare Rezeptivität«, die darin vollkommen eins mit sich bleibt und sich nicht an ein Äußeres verliert. Hegel nennt dies »die Sensibilität«.85 (ii) Das Lebendige reagiert auf »sogenannte« Eindrücke, es ist ihnen nicht einfach ausgeliefert, sondern wird von ihnen angeregt. Es setzt sich in bezug zu ihnen und unterscheidet sich von ihnen. So bestimmt das Lebendige sich selbst. Diese Selbstbestimmung ist ein Urteil, da sich das Lebendige nun als bestimmendes Subjekt gegenüber einer bestimmten Welt konstituiert. Darin setzt es die Objektivität als sein Äußeres voraus, gegen das es sich bestimmt; die Selbstbestimmung ist die »Verendlichung« des Subjekts. Dies ist das Moment seiner Besonderheit, »die Irritabilität«. (iii) Was sich in der Besonderheit des Lebendigen als dessen Widerständigkeit gegen Äußeres zeigt, ist zugleich der Erhalt des Individuums, seine »Reflexion-in-sich« (GW XII, 186). Erst durch diese Reflexion hat das Individuum Gefühl und Widerständigkeit, denn in ihr findet es in seinem Verhältnis zum Äußerlichen sich selbst. Darin besteht »die Reproduktion« des lebendigen Individuums, in ihr ist es ein wirkliches Einzelnes. Die, wenn sie für sich genommen werden, abstrakten Momente
85
Hegel schreibt zudem: »Dieser Begriff des absoluten Unterschiedes, wie seine Negativität in der Einfachheit aufgelöst und sich selbst gleich ist, ist in der Sensibilität zur Anschauung gebracht.« (GW XII, 185) Wildenauer (2004: 86) verbindet diese Anschauung mit Hegels Bezugnahme auf Kants Begriff der transzendentalen Apperzeption in der Einführung zur Lehre vom Begriff (GW XII, 18). Der Begriff des Begriffs solle Nachfolgebegriff der transzendentalen Apperzeption sein (27). So seien Einfachheit und Identität der transzendentalen Apperzeption im sensiblen und verleiblichten Selbstgefühl anschaulich gegeben. Unser Begriff der transzendentalen Apperzeption sei also nicht leer, sondern objektiv real. Hegels Transformation Kants geht aber noch weiter. Nach Wildenauer führt Hegel Kant nur weiter, indem er zeigt, daß der Begriff der transzendentalen Apperzeption auch nach Kants Kriterien (Begriffe brauchen Anschauungen) objektiv sei. Doch Hegels Rede von einer »Wahrnehmung des Lebens« (GW XII, 181) und von Anschauung ist irreführend. Der Unterschied Hegels zu Kant liegt nicht einfach in einer Fortführung von dessen Programm, sondern er ist ein Unterschied im Ganzen. Nicht weil es Anschauung und Wahrnehmung gibt, hat der Begriff objektive Realität (Kant), sondern indem er an und für sich objektiv gilt, bringt er sich auch im Erleben zur Geltung.
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der Sensibilität und Irritabilität sind als Reproduktion miteinander verbunden. In der Reproduktion ist das Lebendige konkret.86 Das Einzelne ist Totalität, denn es schließt nichts aus, sondern hat sein Anderes, die ›irritierende Objektivität‹ integriert. Statt daß ihm seine Gestalt gegeben ist (wie der Erde in der organischen Physik ihre Gestalt gegeben ist), produziert es sie selbst. Das Produzieren kann in zweierlei Weise verstanden werden: Als Hervorbringen, dessen Ziel außerhalb des Hervorbringens liegt (poisis), sowie als Hervorbringen, bei dem das Ziel im Vollbringen selbst liegt (praxis). Das Ziel des Lebens liegt aber nicht in einem Ziel oder Zweck außerhalb seiner, sondern im Leben selbst. Hier ist »das Produkt […] selbst das Produzierende« (GW XII, 185). Doch damit wissen wir noch nicht, was das Leben sei. Die in der Identität des Lebens liegende Bestimmung wird dadurch, daß gesagt wird, es sei Selbstzweck, noch nicht ausreichend erhellt. Dazu muß die Gestalt des Lebendigen erst aufgeklärt werden, denn sonst bleibt die Auskunft, das Leben sei Selbstzweck, also Leben um des Lebens willen, im Range einer bloßen Tautologie. Die Gestalt aber ist bislang noch nicht vollkommen expliziert, denn der innere Gestaltungsprozeß setzt das Individuum von sich her »in Beziehung zur vorausgesetzten Objektivität« (GW XII, 186). Diese Beziehung muß nun betrachtet werden. Die Selbstbestimmung ist ein verendlichendes Urteil, durch das sich das Individuum der Welt gegenüber positioniert. Die subjektive Totalität der Selbstbestimmung setzt eine äußerliche Totalität voraus, gegen die sie sich bestimmt. Der innere Gestaltungsprozeß des Lebendigen impliziert daher einen Prozeß mit dem gesetzten Äußeren, dieser zweite Prozeß vermittelt den ersten. Die Gestalt, die dem Lebendigen zu eigen ist, ist nicht fix-fertiges Dasein, sondern sie ist ein Bewegungsbegriff. Aristoteles weist auf die Bedeutung des Begriffs der Gestalt hin: »physis ist zweifach, zum einen auf die Weise der hyl, zum anderen als Gestalt, diese aber ist telos« (Physik II, 199a 39 f.; vgl. Picht 1992: 297 ff.). Die Gestalt ist das telos des Lebensprozesses, sie ist in ihm die Möglichkeit, zu der er sich hinbewegt. Die Gestalt ist mithin nicht unbewegt-feststehend, sie ist nicht äußeres Ziel, zu dem hin Lebendiges bewegt wird. Gestalt ist vielmehr die inneseiende Struktur (der immanente Begriff ) der Bewegung des Lebendigen, sie ist das Vermögen des Lebens der Lebendigen. Erinnern wir uns, daß die Gestalt
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Indem Hegel das Lebendige im Begriff der Reproduktion verwirklicht sieht und diese gewissermaßen zum Leitbegriff des Lebendigen bestimmt, setzt er sich ebenso von Kant ab, der vom Begriff der Wechselwirkung ausgeht, wie von Schelling, der vom Begriff der Irritabilität ausgeht; vgl. dazu die Bemerkungen bei Köchy (2003: 439 ff.).
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nichts als die Realität des Begriffs (Ausdruck der Seele) ist, von dem sie ihre Bestimmtheit hat, so ist hier der unveränderliche Begriff selbst die Bewegung des Lebendigen. Diese Bewegung ist, mit Aristoteles gesprochen, die wahre Natur des Lebendigen. Für das lebendige Individuum bedeutet das, daß seine Konstitution noch nicht abgeschlossen ist. In seiner Selbstkonstitution als ein einzelnes Selbstsein hat es sich zu einem Besonderen gegenüber einem anderen gemacht, es steht mithin ein lebendiges Subjekt einem nicht-lebendigen, unorganischen Anderssein gegenüber. In dieser Stellung ist das Lebendige bestrebt, »sich die Wahrheit [seiner] Gewißheit zu geben.« (GW XII, 187) In seiner Selbstbestimmung bezieht sich das Subjekt auf eine im doppelten Sinne gleichgültige Objektivität. Sie ist dem Subjekt darin gleichgültig, daß es sich in ihr selbst verwirklicht, sie als Mittel seiner Reproduktion verwendet und ihr kein Eigenwert zugemessen wird. Zugleich ist das Subjekt dieser Objektivität gleichgültig, denn die Bestimmung, Mittel des Subjekts zu sein, ist ihr äußerlich. Die verendlichende Selbstbestimmung des lebendigen Individuums wird zu dessen Verlust, denn es wird in ihr ›dividiert‹. Doch auch diese Entzweiung hat noch eine spezifische Funktion für das Ganze, denn sie läßt das Lebendige nicht zum fremdbewegten Relat eines Verhältnisses werden. Das Individuum ist »in diesen Verlust seiner nicht verloren«.87 Das Andere, das vom inneren Lebensprozeß des Individuums implizit gesetzt wurde, ist kein abgeschnittenes Anderes, sondern anderes seiner selbst. Das Urteil des Lebendigen wird damit nicht verharmlost, sondern in seiner Härte erkennbar: Weil das Lebendige selbst sein Anderes ist und weil es sich notwendig in einer Welt verortet, ist es von »S chmerz« gekennzeichnet. Die Gleichgültigkeit läßt das Subjekt, das sich überall wiederfinden will, nicht gleichgültig. Im Angesicht der Welt bewegt das Lebendige der Trieb, »sich zu objektivieren«, was nur die umgekehrte Ausdrucksweise für die Subjektivierung der Welt ist. Damit wird die Entzweiung aber nicht etwa aufgehoben, sondern nur objektiv, denn die Selbstbestimmung ist kein Weltverhältnis, und doch soll sie sich verweltlichen. Aus diesem Widerspruch, der ein
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Darin ist das lebendige Individuum vom Einzelnen des subjektiven Begriffs unterschieden. Letzteres war Rückkehr des bestimmten Begriffs in sich und ebenso unmittelbar der Verlust der Begriffsallgemeinheit (GW XII, 51). Die Idee kehrt die Folge von Rückkehr und Verlust des Begriffs um: Sie kehrt nicht in sich zurück und ist darin doch Verlust (der Bestimmtheit und Einheit), sondern sie verliert sich im Urteilen und ist darin doch mit sich einig und »in diesen Verlust seiner nicht verloren« (GW XII, 187). Schließlich ist auch die begriffliche Gliederung der Idee (Idee als Leben (Einzelheit) – als Erkennen (Besonderheit) – als Methode (Allgemeinheit)) die umgekehrte des subjektiven Begriffs (Allgemeines – Besonderes – Einzelnes).
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Mangel an Gegenwart des Subjekts ist, erwächst dem Lebendigen das Gefühl des Schmerzes. Weil dieser aber nur dort gefühlt wird, wo der Selbstverlust nicht vollkommen ist, kann der Schmerz zugleich als »Vorrecht lebendiger Naturen« bezeichnet werden. Er weist auf die Präsenz und Kontinuität des Lebens, die durch den Widerspruch nicht vernichtet, sondern im Gegenteil dargestellt und manifest wird: »Wenn man sagt, daß der Widerspruch nicht denkbar sei, so ist er vielmehr im Schmerz des Lebendigen sogar wirkliche Existenz.« (GW XII, 188) Dabei wirkt das Außereinander der Welt nicht als Ursache des Schmerzes, sondern es erregt ihn. Nur da, wo die Welt dem Subjekt schon in irgendeiner Weise entspricht, kann es als Lebendiges von ihr angesprochen werden. Nur wo es Einheit gibt, kann auch der Widerspruch vorkommen. Doch auch in der Idee gilt, daß der Widerspruch nicht besteht, sondern sich auflöst. Von der Objektivität wissen wir bereits, daß sie nicht substantiell ist. Wo das Lebendige sich ihrer bemächtigt, um sich ihr einzubilden, gibt es sich selbst ihr zur Grundlage. Dazu kann es sich mechanische und chemische Prozesse dienstbar machen, doch bleibt es nicht dabei, denn der Widerspruch würde somit nur fortgeschrieben. Das Lebendige wirkte auf die Objektivität im Sinne der äußeren Teleologie. Doch nicht Stoffwechsel, sondern Gestaltwandel macht das Leben aus: Die Objektivität wird assimiliert. Die »Assimilation« (GW XII, 189) ist nicht gleichbedeutend mit der negierenden Einverleibung der Objekte in das Lebendige, denn das hieße, sie mit der Nahrungsaufnahme des natürlichen Lebewesens zu verwechseln. Das Außersichsein im Selbstbestimmen ist ja prinzipieller Natur und somit unvertilgbar. Die Assimilation bedeutet vielmehr die Negation der Negation, welche die Objektivität darstellte. Durch seinen inneren Gestaltungsprozeß hat das Lebendige sein Dasein an einem anderen, dem Unorganischen. Dessen Widerständigkeit negiert die Selbständigkeit des Lebendigen und doch identifiziert sich das Lebendige noch mit diesem anderen, es ist sein Mangel. Nur deshalb erregte es in ihm den Schmerz. In der Assimilation wird diese Negation negiert. So gibt das Lebendige seinem anderen, das als solches keine Gestalt hatte, seine Gestalt. Aus der Gleichgültigkeit wird eine Gleichstellung. Das Lebendige verwandelt das Andere selbst in lebendige Individualität, es spricht ihm das Leben zu. Schließlich ist »das Leben die Wahrheit dieser [mechanischen und chemischen] Prozesse«, deren Außereinander haltlos ist. Zu dieser Wahrheit führt der Widerspruch. Er läßt den in der Einheit des Selbstbestimmens aufgekommenen Gegensatz nicht als solchen bestehen. Individuum und Welt stehen einander nicht gegenüber, sondern das Lebendige hebt in seinem äußeren Lebensprozeß seine Stellung gegen die von ihm vorausgesetzte Welt auf. Das Lebendige geht in ihr mit sich selbst zusammen,
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die Welt wird zum Kosmos (vgl. Hegel 1993: 320). Dadurch rekonstituiert es (i) seine wahrhafte Einzelheit, hebt (ii) seine Partikularisierung (Lebendiges versus Nicht-Lebendiges) auf und wird (iii) allgemein. Dies ist die Reproduktion der Gestalt des Lebendigen. Sie ist keine bloße Verdoppelung des Lebendigen, sondern dessen ursprüngliche Reproduktion: Das Individuum ist nur dann wahrhaft, wenn es allgemein ist.88 »[D]as individuelle Leben und die ihm äußerliche Objektivität« haben ihre spezifische Funktion im Ganzen des Lebens, sie können daher auch als dessen Glieder oder Organe verstanden werden. Hegel bezeichnet sie als »Arten« des Lebens, da beide im Lebensprozeß als durchgängig vom Leben bestimmt offenbar wurden. Das bestimmende Leben ist – mit einem Wort aus dem gleichen Zusammenhang in der Phänomenologie – das »andere Leben« (GW IX, 107), das vom Leben durchdrungene Allgemeine, die »Gattung« (GW XII, 189). Indem sie Arten dieser allgemeinen Gattung sind, sind individuelles Leben und äußerliche Objektivität nicht mehr als diejenigen bestimmt, die sie im schmerzhaften Selbstbestimmungsverlust waren. Sie sind nun zusammengegangen zur »Beziehung des Subjekts auf ein anderes Subjekt seiner Gattung« (Enz. (1830) § 220). Das Unterscheiden ist die konstituierende Tätigkeit des Lebendigen, das kein bloßes Beharren sein kann. Unterscheidet es sich aber lediglich von einem Anderen, das heißt von der unorganischen Natur, so macht das Lebendige gar keinen Unterschied. Organismus und unorganische Natur sind einander nur gleichgültig. Zugleich ist diese Gleichgültigkeit die Negation der Gestaltungskraft des Lebendigen und zeigt insofern dessen Endlichkeit. Die Gleichgültigkeit ist sogar der potentielle Tod des Lebendigen, droht sie doch die Ausbildung der Gestalt des Lebendigen zu beenden. Einen Unterschied macht das Lebendige erst da, wo es sich von sich und nicht von einem gleichgültigen Anderen unterscheidet. Durch diese Selbstunterscheidung wird das Lebendige zur Beziehung »des Lebendigen zu sich selbst als zu einem anderen Lebendigen.« (GW XII, 190) Sein Unterschied ist der eine Unterschied der Gattung. Darin bewahrheitet sich das lebendige Individuum: Dieses andere Lebendige ist ihm die Wahrheit seiner Selbst-Gewißheit, so wie es selbst diesem anderen die Wahrheit von dessen Gewißheit ist. Indem es sein Objekt sich entgegen- und voraussetzte, war das lebendige Individuum selbst nur eine Voraussetzung, aufruhend auf einem anderen als es selbst
88
Zur Tradition des Gedankens der allgemeinen Lebendigkeit auch des Unorganischen, den Hegel damit anspricht, sei auf den Artikel »Leben« im Historischen Wörterbuch der Philosophie verwiesen.
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ist. Dieses implizierte den äußeren Lebensprozeß.89 In diesem muß sich das Individuum bewähren und bewahrheiten. Wenn der äußere Prozeß zum Selbstverhältnis geworden ist, dann kann gesagt werden, daß sich das Lebendige selbst hervorgebracht hat. Der Lebensprozeß ist zum Gattungsprozeß befreit. Mit dem Leben in der Bestimmung der Gattung klärt sich, wie in der Unmittelbarkeit der Idee etwas aufzufassen ist. Das Auffassen geschieht durch den unausweichlichen Widerspruch, in dem sich das Lebendige konstituiert. Dieser Widerspruch ergibt sich, weil das Leben keine fixe Gestalt hat, sondern sich Gestalt gibt und seine Selbstidentität mithin in einem anderen erlangt. Aufgefaßt wird also die Gestaltung, d. i. ein Ausdrucksgeschehen. Damit wird auch die Bestimmung des Lebens offenbar (vgl. GW XII, 180), sie liegt im Ausdruck des Subjekts. In der Gattung des Subjekts wird der Ausdruck verwirklicht: »Die weitere Bestimmung aber, welche es [das lebendige Individuum] durch die Aufhebung des Gegensatzes erlangt hat, ist, Gattung zu sein als Identität seiner mit seinem vorherigen gleichgültigen Anderssein.« (GW XII, 189) Die Gattung als das konkrete Allgemeine ist die Wahrheit des Lebens. Sie ist dasjenige, was vom Leben ans Licht gebracht wird und worin es sich an sich selbst angleicht. Die Wahrheit ist die Bestimmung des Lebens. Zwar ist die Wahrheit das Resultat einer Angleichung, sie selbst wirkt aber wiederum unterscheidend. Sie scheidet sich ab vom Unwahren. Als dieses Unwahre stellt sich nun das individuelle Selbstgefühl heraus. Das zur Gattungsbestimmtheit vorgedrungene Individuum fühlt, daß es seine Identität nicht in sich, sondern in einem anderen selbständigen Individuum hat. Die Gattung reproduziert also den Widerspruch, der ebenso wie zuvor aufgelöst werden muß. Das Lebendige ist daher wieder vom Trieb bewegt, diesen Widerspruch aufzuheben. Die Gattung wird im affirmativen Zusammenschluß mit dem anderen Individuum realisiert. In der wechselseitigen Reflexion wird die Individualität als ein neuer Lebenskeim »erzeugt« (GW XII, 190). Demnach stellt die Fortpflanzung die Wirklichkeit der Gattung dar, durch sie erlangt das Individuum die Unsterblichkeit der Gattung. Nun scheinen wir mit dieser Bestimmung aber endgültig den Bereich des Logischen verlassen zu haben. Konnte das Gefühl noch als Präsenz des Widerspruchs gerechtfertigt werden, so betreten wir mit den Gedanken von leiblicher Vereinigung und Fortpflanzung das Reich der Natur. Doch braucht 89
Auch hier wird der Abstand der logischen Idee des Lebens zum natürlichen Leben deutlich. Letzteres kann sich dem äußeren Prozeß nie entwinden, es bleibt zum Beispiel immer auf Nahrung angewiesen.
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diesem Einwand nicht widersprochen zu werden, vielmehr können wir ihm zustimmen. Denn die Realisierung der Gattung in der Fortpflanzung läßt diese Bestimmung tatsächlich zu einem nur natürlichen Verhältnis verkommen. Sie sucht nach einer Vereinigung im unmittelbaren Sein. Die Gattung bewirkt dann keine Angleichung an sich, sondern bloß die Wiederholung seiner selbst. Das Ergebnis der Fortpflanzung ist wieder ein neues unmittelbares Leben, das wiederum von der Endlichkeit bestimmt ist. Sie bringt einen Keim hervor, der ebenso endlich ist wie das lebendige Individuum. Diese Unsterblichkeit ist endlos fortgesetzte Sterblichkeit, »der unendliche Progreß« (GW XII, 191). Der Übergang des Lebens in seine eigene Bestimmung kann also in die endlose Wiederholung des Gleichen »abgebogen werden« (Boeder 1980: 652). Der Widerspruch kann aber nicht dadurch aufgelöst werden, daß er wiederholt wird (vgl. hier schon S. 93 f.). Schließlich wird beim Abbiegen übergangen, daß das Individuum in seiner abgesonderten Einzelheit untergegangen ist. Der Ausgangspunkt bleibt im Resultat nicht als dasjenige bestehen, was er anfangs war. Er ist nicht die bleibende Bedingung des Resultats, sondern er wird im Übergang in seiner Besonderheit negiert. Die wahrhafte Angleichung involviert eine Unterscheidung, nämlich die Unterscheidung von der unwahren Existenz in Unmittelbarkeit, die in der Realisierung des Lebens verschieden ist und allgemein wurde. Nur indem es allgemein ist, lebt das Individuum. In seiner Vorlesung zum Begriff der Religion faßt Hegel den Schluß, der hierhin führt, wie folgt: »Es sind endliche Geister. Aber das Endliche hat keine Wahrheit, sondern die Wahrheit des endlichen Geistes und seine Wirklichkeit ist nur der absolute Geist. Das Endliche ist kein wahrhaftes Sein; es ist an ihm selber die Dialektik, sich aufzuheben, zu negieren, und seine Negation ist die Affirmation als Unendliches, als an und für sich Allgemeines.« (Hegel 1993: 322) Das Leben in absoluter Bedeutung unterscheidet sich mithin vom unterschiedslos genommenen Leben der Lebendigen. Das Leben der Idee wird nicht im triebhaften Streben nach Fortpflanzung realisiert, die nur einen neuen triebhaften Samen hervorbringt. In diesem liegt nur scheinbar die Erfüllung. Scheinbar zu erfüllen, ist jedoch das Wesen des Unwahren. Der Lebensprozeß stellte nicht die Unmittelbarkeit wieder her, vielmehr wurde jene Einheit reproduziert, die das Leben von Beginn an getragen hat. Durch den Lebensprozeß aber nahm diese Einheit Gestalt an: Das subjektive Allgemeine (das lebendige Individuum) wird in seinem Lebensprozeß kontinuierlich auf das objektive Allgemeine des reproduktiven Lebens verwiesen. Die beiden sind nicht derart gleich, daß sie indifferent wären. Sie bilden
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vielmehr eine Darstellungseinheit, in der die Angleichung des Individuums, wodurch die Welt verlebendigt wird, der Ausdruck der Gattung ist. In der Gattung ist das Leben nicht mehr nur eine innere Kraft und subjektiv gefühlt, sondern es ist in Gleichheit mit sich da. Sie ersteht durch den Tod der Individuen hindurch, dadurch löst sich die »allgegenwärtige Seele« (GW XII, 181) von der noch in der Fortpflanzung bestimmenden Leiblichkeit und ihrem Rest von Äußerlichkeit. Das ist die »realisierte Gattung« (GW XII, 191), sie ist das Leben mit Unterschied gedacht. Die Aufhebung der Unmittelbarkeit der Lebendigen »ist das Hervorgehen des Geistes«, dessen Dasein das Erkennen ist.90 Die Wahrheit des Lebens der Idee ist das Erkennen. Die Idee geht selbst durch diesen härtesten Gegensatz hindurch. Ihr Leben schließt den Tod nicht aus (vgl. Jürgensen 1997: 327). Hegel spricht davon, daß das Allgemeine hier für sich werde. Im partikulären Individuum ist die Gattung bereits an sich wirklich, sie ist dessen Wesen. Wenn dieses Wesen nun für sich ist, dann bedeutet das nicht, daß das einzelne Lebewesen als solches zur Allgemeinheit der Gattung erweitert ist. Ebensowenig wird damit irgendeine ›Makroentität‹ hypostasiert. Es wurde ja gesagt, daß die Gattung eine Beziehung von einem Subjekt zu einem anderen Subjekt sei, aus denen nun nicht ein identisches Subjekt wird. Dies würde bedeuten, die Gattung im Sein verwirklichen zu wollen. Das aber geschieht in der Fortpflanzung, die lediglich ein neues unmittelbares Sein erzeugt. Die Gattung verwahrt hingegen die Beziehung von Subjekt zu Subjekt. Sie modelliert nicht ein einziges Subjekt aus diesen und ist vom animalischen Leben zu unterscheiden. Ein solches würde nur von neuem den bereits durchlaufenen Prozeß zu durchlaufen haben. Die Allgemeinheit wird stattdessen nicht im Sein, sondern im Wissen für sich. Die Gattung verwirklicht sich im Wissen von der Beziehung eines Subjekts zu einem Subjekt. In diesem Wissen ist das Lebewesen von seinem unmittelbaren Sein losgelöst. Das Sein steht diesem Wissen nicht entgegen, sondern es hat sich zu diesem hin entwickelt und dahin aufgehoben. Im Wissen wird es als wahrhaftes Sein aufbewahrt.
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Wie die Bestimmung des Lebens, so ist auch die logische Bestimmung »Geist« von den erscheinenden Gestalten des Geistes in Seele, Bewußtsein und erkennendem Geist als solchem zu unterscheiden. Sie sind die Themen von (i) Anthropologie, (ii) Phänomenologie des Geistes und (iii) Psychologie (vgl. GW XII, 197 f.). Dort wird der Geist (i) in seiner Verwicklung mit der Natur (in einer psychischen Physiologie (Enz. (1830) § 401A), deren Ausführung bis heute ein Desiderat der Forschung geblieben ist), (ii) in seiner Selbstgewißheit gegenüber der Objektivität und (iii) in seiner formierenden (vorstellenden) Kraft betrachtet. Diesen Betrachtungsweisen korrespondieren drei unterschiedliche Weisen, in denen dem Geist sein Gegenstand gegeben ist, nämlich (i) als einwirkendes Objekt, (ii) als Gegenstand, wie er für sich beschaffen ist, und (iii) als Vorstellung des Subjekts.
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Das Leben, das in seine Bestimmung eingeht und nicht zur endlosen Wiederholung seiner selbst abbiegt, muß also von seinem unmittelbaren Leben lassen. Wird das Leben als bloße Wiederholung seiner einfachen Identität verstanden, angetrieben vom Interesse an der Selbsterhaltung, so ist es »noch nicht die wahrhafte Darstellung oder Art und Weise ihres [der Idee] Daseins« (GW XII, 196).91 Weil Leben in absoluter Bedeutung über das Leben hinausgeht, wird deutlich, daß Hegel das Leben nicht irgendwie ins Zentrum seiner Philosophie stellt (so aber Marcuse 1932: 192). Will man von einem Zentrum der Philosophie sprechen, dann ist dies eher schlicht: die Wahrheit. Denn die Wahrheit ist, was Leben in absoluter Bedeutung wird. Das Leben, das von seinem unmittelbaren Sein läßt, vollzieht damit jene Rückbeugung, die wir beim frühen Hegel als die Tätigkeit des religiösen Denkens kennenlernten. So sind wir hier auch innerhalb der Logik am Ort der Religion. Doch indem es von seinem unmittelbaren Sein läßt, ist auch der Schmerz des mangelhaften Daseins zurückgelassen. So ereignet sich die Verklärung des Seins: Das Sein ist verwandelt zur Klarheit, in der das Subjekt sich in aller Objektivität wiedererkennt. In diesem Wiedererkennen ersteht die Beziehung eines Subjekts für ein Subjekt. Geist und Leben sind mithin schon von ihrer Genese her nichts Privates, sie realisieren sich im Allgemeinen.92 Verwandelt ist das Sein aber auch zur Herrlichkeit, denn Sein, das Erkennen ist, ist mangellos und unvergänglich. Die Idee beruhte auf Voraussetzungen, die sie selber setzt, nämlich auf Sein und Wesen (vgl. GW XII, 179). Als Voraussetzungen der Idee sind Sein und Wesen verklärt (nicht mehr abstrus). Nun folgt aus der Verklärung des Seins diejenige des Wesens: Die Unmittelbarkeit der Idee ist kein reines Sein, sondern Leben, das sich im Urteil des Lebendigen realisierte. Dieses Urteil wird nicht über das Lebendige gesprochen, sondern es ist das Ur-teilen, in dem das Lebendige selbst sein Leben vollzieht. Durch sein Urteilen geht das Lebendige in den Lebensprozeß ein. Dessen Wahrheit ist die Gattungsbe91
Dies faßt Hegel im Unterschied zur Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse von 1808/09 sehr deutlich. Dort hieß es noch, daß es dem Leben um die »Erhaltung der Gattung” (GW X, 77) gehe, was noch dahingehend mißverstanden werden kann, als gehe es um die bloße Kontinuität des Lebens. 92 In diesem Ergebnis verbirgt sich Hegels Kritik an einem beherrschenden Zug der neuzeitlichen Philosophie des Subjekts. So sieht Stekeler-Weithofer (2004: 179) in seiner Anwendung der Idee des Lebens auf das menschliche Subjekt in der logischen Verortung des Geistes in der Gattung »sowohl [eine] Kritik an der Naturromantik Rousseaus als auch am behavioralen Empirismus Humes, am psychologistischen Empirismus Lockes sowohl als auch an Descartes metaphyisiziertem Ich.« Diesen Autoren (und mit ihnen den modernen Kognitionstheorien) ist der Glaube an die unmittelbare und naturhafte Konstitution geistiger Kompetenz gemeinsam.
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stimmtheit, welche besagt, daß das Lebendige im Lebendigen seine notwendige Ergänzung erhält. In der Bestimmung der Gattung adäquiert sich das Lebendige. In ihr ist es wahrhaft lebendig, denn im ›Gattungswissen‹ hat es sich selbst als sein eigenes anderes, es ist also nicht mehr begrenzt und über seine Endlichkeit hinaus. Das bedeutet auch, daß das Subjekt nicht in einem wesenslogischen Verhältnis am anderen erscheint, sondern mit diesem im Gattungsbezug vereint ist. Das Urteil wurde zur Beziehung eines Subjekts zu einem Subjekt. Damit wird das Leben zum Schluß: Das einzelne Lebendige ist vermittels seiner Besonderung und deren Aufhebung ein Erkennen der allgemeinen Gattung, in der es – als das Einzelne, das es ist – vereint ist. So findet das Lebendige seine ihm eigentümliche Korrespondenz: Es reproduziert sich, jedoch nicht in einem besonderen Subjekt und einem Samen, sondern in der beständigen Kommunikation. Das Erkennen ist die innigste kommunikative Gemeinschaft, in der beide Glieder eins sind. Das Erkennen besagt, daß eines die Form und das Was-Sein eines anderen in sich trägt. Erkennen ist daher immer Hinausgreifen über Begrenzung; daher kann etwa die biblische Offenbarung mit diesem Namen auch die leibliche Vereinigung der Geschlechter bezeichnen. Die Identität, die im Erkennen realisiert wird, ist nicht die zufällige Einigkeit zwischen einem Subjekt und einem anderen Subjekt. Es wird vielmehr die Einheit eines begrifflichen Allgemeinen, der Gattung, und einer objektiven Realität in der kommunikativen Reproduktion der Subjekte dargestellt. Zu dieser durchgängigen und in sich selbst unterschiedenen Allgemeinheit entwickelt, ist das Leben »die Idee, welche sich zu sich als Idee verhält« (GW XII, 191). Indem die Idee Selbstverhältnis als Beziehung des Subjekts zum Subjekt ist, ist sie ein wesentliches Verhältnis. Doch muß dieses Verhältnis nicht erst zur Übereinstimmung gebracht werden, denn angeglichen hat sich die Idee aus ihrer Unmittelbarkeit bereits, es muß vielmehr ihre an sich bestehende Identität realisiert werden. Die Idee kann nun zu ihrem adäquaten Ausdruck fortschreiten: Das Leben entwikkelte sich zum Verhältnis des Subjekts für ein Subjekt. Als das Subjekt hatte sich bereits die Wahrheit herausgestellt. Somit ist das Verhältnis des Subjekts zum Subjekt das Wissen des Wahren. Was sich im Folgenden ausdrückt, ist dieses Wissen. Die Idee, die kein wesenslogisches Verhältnis ist, welches suggeriert, daß die eine Seite auch ohne die andere bestehen könnte, kann also dennoch als Verhältnis beschrieben werden. Aber das Verhältnis der Idee wird verklärt zu selbstdurchsichtigem Wissen: Durch seine Endlichkeit geht das lebendige Individuum ein in das andere Leben des allgemeinen Seins. Darin weiß es sich eins mit allem anderen verlebendigten Sein. Diese Einheit, die sich dem Leben zu erkennen gibt, ist nicht mehr unmittelbar, son-
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dern Leben mit Unterschied. Dieser Unterschied der Idee ist schließlich Begriffsunterschied, d. i. ein »reines Unterscheiden innerhalb ihrer« (Enz. (1830) § 223). Damit begreift Hegel die dreigliedrige Struktur der Wahrheit, die immer Wahrsein von etwas für etwas, nämlich für ein Wissen ist. Dies ist der »bestimmtere[r] Sinn« (GW XII, 200) der Wahrheit; eine Wahrheit, die nicht gewußt wird und sich nicht dem Wissen anträgt, wäre ein Unsinn. Vollkommen durchsichtig wird das Wissen hier, weil es sich nicht mehr auf einen gegebenen Gegenstand, sondern auf sich selbst bezieht: Der Gegenstand des Begriffs ist der Begriff. In der Idee des Lebens wird das darin deutlich, daß sich das Lebendige nicht bloß abgrenzend auf ein Unorganisches bezieht, sondern verlebendigend mit anderem Lebendigen kommuniziert. Das Erkennungsverhältnis des »anderen Lebens« legt sich gemäß dieses Unterscheidens-in-Sich zweifach aus. Wie jedes Verhältnis, so ist auch das Verhältnis vom Wissen des Wahren ein doppeltes. Zum einen ist es der Erwerb (das Erreichen) der Wahrheit und somit »Erkennen als solches« (GW XII, 199), also im Wortsinne theoretisches, d. i. einsehendes Erkennen; zum anderen ist es das Sich-Bekanntmachen des Wahren, sein Produzieren in der freien Ausführung des Wahren, d. i. die Praxis des Guten.93 In Theorie und Praxis gelangen wir zur wahrhaften Darstellung des Wahren.
3.3.B.b Verklärtes Wesen: Theoretisches und praktisches Erkennen In der Gattung wurde der Begriff zum Gegenstand des Begriffs. Die Gattung ist das Verhältnis des Subjekts für ein Subjekt. Darin korrespondieren Begriff und Realität des Lebendigen oder auch die Idee als subjektive zur Idee als objektiver. Das Gattungsleben ist damit aber in zwei Extreme geschieden – in die subjektive und in die objektive Idee –, die einer vereinigenden Mitte bedürfen. Aus dem ursprünglichen Urteilen des lebendigen Individuums entstanden, ist dessen »anderes Leben« logisch nicht mehr einfach als Urteil,
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Hegels Vereinigung des Wahren wie des Guten unter dem Titel des Erkennens geht eine gewichtige Tradition voran. Erinnert sei nur – für die Antike – an Aristoteles’ Gedanken von der Theorie als höchster Form der Praxis (vgl. Metaphysik XII 7, 1072b 18–30) und seine Lehre von nous theortikos und nous praktikos, sowie – für das Mittelalter – an Thomas von Aquins Lehre über Unterschied und Einheit von intellectus speculativus und intellectus practicus (vgl. De veritate I, 2 solutio (Thomas 1986: 17): »Der praktische Verstand verursacht Dinge, und daher ist er Maß der Dinge, die durch ihn entstehen. Der theoretische Verstand aber ist, weil er von den Dingen empfängt, in gewisser Weise von den Dingen bewegt, und so bilden die Dinge sein Maß.«).
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sondern als Schluß zu beschreiben. Das heißt, daß die objektive Idee zur Subjektivierung drängt und die subjektive Idee zur objektiven Realisierung treibt (vgl. Enz. (1830) § 225), d. i. zum Zusammenschluß mit sich. Abhängig von ihrem Ausgangspunkt nimmt die Erfüllung dieser Realisierungsbewegungen unterschiedliche Gestalt an. Die Idee schließt sich vermittels eines doppelten Triebes mit sich zusammen: (i) des Triebes des Wissens nach Wahrheit und (ii) mittels des Triebes des Guten nach Ausführung. Die zusammenschließende Mitte wurde bereits allgemein benannt: Sie ist das Wissen des Wahren, in dem die Lebendigen übereinstimmen. Dieses Wissen kann folglich als Mitte des Lebens begriffen werden, die beiden Gestalten ihrer Realisierung sind die Lebensweisen. Diese Mitte-Sein ist die Funktion des absoluten Wissens (vgl. GW IX, 431 f.). Ist diese Mitte im Leben selbst noch implizit, so wird sie in der Idee des Erkennens explizit. Vom Leben als einem Urteil her erscheint diese Mitte in zweierlei Bedeutung: Je nachdem ob der Schluß (i) als Adäquation des subjektiven Begriffs an die objektive Welt gedeutet wird, wobei sich die leere Selbstgewißheit mit objektivem Inhalt füllt, oder ob er (ii) Adäquation im Sinne der Durchbildung der Welt in der Ausführung des Begriffs bedeutet. Im ersten Fall wird die Mitte als die Theorie des Wahren expliziert, im zweiten als die Praxis des Wahren. α. Trieb der Wahrheit Der »Trieb der Wahrheit« (GW XII, 199) überkommt das Subjekt nicht, vielmehr bestimmt es sich selbst zu diesem. Der Begriff hat sich selbst zum Gegenstand, das bedeutet hier: Indem er sich sich selbst gegenübersetzt, hat der Gegenstand des Begriffs keine Selbständigkeit gegen diesen. Der Unterschied von Begriff und Gegenstand ist hier keine Andersheit oder gleichgültige Verschiedenheit, sondern »Unterschied seiner selbst von sich«. Der Unterschied ist verwandelt: »Der Gegenstand, der für den Begriff ist, ist daher hier zwar auch ein gegebener, aber er tritt nicht als einwirkendes Objekt oder als Gegenstand, wie er als solcher für sich selbst beschaffen sei, oder als Vorstellung in das Subjekt ein, sondern dieses verwandelt ihn in eine B e g r if fs b est immung ; es ist der Begriff, der im Gegenstand sich betätigt, darin sich auf sich bezieht und dadurch, daß er sich an dem Objekt seine Realität gibt, Wa hrheit findet.« Das Subjekt setzt eine »an sich seiende Welt« (GW XII, 200) voraus, deren vorrangige Bestimmung es ist, nicht an sich zu sein, sondern wesentlich für
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das Subjekt.94 Dieses Für-das-Subjekt-Sein der Welt besteht darin, daß sie gesetztes Anderes ist, das kein Anderes ist. Das Unterscheidungsverhältnis kann daher auf zweifache Weise gefaßt werden: So wie es die Aufhebung der bloßen Subjektivität des Begriffs (der leeren Selbstgewißheit) ist, so ist es die Aufhebung des bloßen Ansichseins der Objektivität. Diese Subjektivierung der objektiven Vernünftigkeit ist das Erkennen. Doch das Erkennen ist im ersten Moment noch endliches Erkennen und transportiert damit nur den Schein von Wissenschaft. Als »analytisches Erkennen« (GW XII, 202) setzt es die Unterscheidungen seiner Gegenstände voraus. Sie sind der gegebene Inhalt, der nur mehr durch die Form des Begriffs identifiziert werden muß. Also zerlegt die Analysis den Gegenstand in seine identischen Bestandteile, so etwa das Fleisch in Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff oder den Staat in seine Steuerzahler. Um nun zu begreifen, was Fleisch und Staat sind, müßten diese Bestandteile wieder zusammengesehen werden, denn nur so erfüllten sie ihre spezifische Funktion. Die Analyse ergibt lediglich abstrakte Allgemeinbegriffe, anhand derer sie eigentlich ein Erklären aber kein Begreifen leistet. Mit der schieren Allgemeinheit, in die sie ihren Gegenstand verwandelt, erreicht sie (nur) die Vorbedingung des Begriffs. Dabei kann sie auch in umgekehrter Richtung vorgehen und ohne den konkreten Gegenstand aufzulösen nur »von den unwesentlich scheinenden Bestimmtheiten« (Enz. (1830) § 227) absehen und ein Allgemeines als Gattung, Kraft oder Gesetz abstrahieren. Auch wenn sich das analytische Erkennen nicht auf einen natürlichen Stoff, sondern auf Gedankenbestimmungen richtet, bleibt es analytisch, – so kritisiert Hegel mit Blick auf Kant. Denn es behandelt die Verhältnisse der Gedanken als gegeben, etwa wenn es als Tatsache des Bewußtseins bezeichnet wird, daß in der Bestimmung des Ganzen die Bestimmung des Teils enthalten sei. Das Erkennen nimmt hier nur ein Gegebenes auf, weshalb »die Tätigkeit des Begriffs […] nur darin bestehe, negativ gegen sich selbst zu sein, sich gegen das Vorhandene zurückzuhalten und passiv zu machen« (GW XII, 202). Das Denken soll sich nicht einmischen. Es hat eigentlich nichts mit der Sache zu tun, denn diese ist ihm gegeben. Daher bleibt dieses aufnehmende Erkennen endlich, denn es weiß den erkannten Gegenstand nicht als innere Realität der Idee und bringt ihn nicht als solchen hervor. So produziert das analytische Erkennen nur den Schein eines Wissens, denn es will ohne subjektive Vermittlung Erkennen sein. Die Vereinigung von Subjektivität und objektiver Realität haben wir als Verwirklichung des Zwecks kennengelernt. Im analytischen Erkennen realisiert sich dieser Zweck – wie in der äußeren Teleologie – nur unvollkom94
Es könnte auch mit Fichte ausgedrückt werden: Das Nicht-Ich bestimmt das Ich.
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men, denn durch das Gegebensein seines Inhalts bleibt das vorausgesetzte Ansichsein als Gegenüber bestehen. Die Vermittlung durch das Erkennen verhindert das Erreichen des Ziels: die Erkenntnis der Wahrheit. Das geht soweit, daß Kant sagen konnte, daß jenseits des Erkennens ein unkennbares Ding-an-sich stehe, das form- und bewußtseinstranszendent sei. Daher ist das Erkennen hier »in seiner Wahrheit noch nicht zur Wahrheit gekommen.« (GW XII, 200) Damit befindet sich das endliche Erkennen in einem Widerspruch. Um die Wahrheit zu erfassen, muß das Erkennen synthetisch werden und die abstrakt-identischen Allgemeinbestimmungen in ihrem unterscheidenden Bezug sehen. Das Erkennen muß, mit anderen Worten, Bestimmtheit denken. Genau betrachtet hat es dies bereits in der Analyse getan, indem auch deren abstrakte Identitätsbestimmungen, welcher sich das Erkennen im Erklären bedient, in ihrer Bestimmtheit auf andere bezogen sind. Die synthetische Erkenntnis strebt danach, die Einheit der mannigfaltigen Bestimmungen zu erkennen. Die Erkenntnis dieser Einheit ihres Objekts ist die Einsicht in dessen Notwendigkeit (vgl. GW XII, 209). Die erste Aktion des synthetischen Erkennens ist die Definition seines Gegenstandes. Dieser ist zwar immer Einzelnes, doch die Definition subsumiert ihn unter ein Genus und bestimmt ihn nach seiner spezifischen Differenz. Das Erkannte bleibt aber doch außer dieser Definition: »Der Gegenstand selbst ist das Dritte, das Einzelne, in welchem die Gattung und die Besonderung in eins gesetzt ist, und ein Unmittelbares, welches außer dem Begriff, da er noch nicht selbstbestimmend ist, gesetzt ist.« (GW XII, 210) Weil der Gegenstand der Erkenntnis für sich außer dem Erkennen besteht, ist ihm das Erkennen äußerlich und zufällig. Geometrische Gegenstände können wohl exakt definiert werden, weil sie nur im abstrakten Raum bestehen und nur jene Eigenschaften haben, die an ihnen gesetzt werden. Bei den konkreten Gegenständen der natürlichen und geistig-sozialen Welt aber zeigt sich die Zufälligkeit der Definition darin, daß ihre Bestimmungen hier auch ganz Unwesentliches aufgreifen. Die Definition ist angewiesen auf die analytischen Allgemeinbegriffe, sie ist mithin immer noch unmittelbar auffassend. Um nun Allgemeinheit und Wesentlichkeit ihres Gegenstandes bestimmen zu können, kann sie nur auf »die empirische Allgemeinheit, das Beharren unter veränderten Umständen« (GW XII, 212) rekurrieren. Die Definition erfaßt daher nicht das Prinzip ihres Objekts, sondern nur dessen Merkmale, die lediglich »Merkzeichen« für eine äußere Reflexion, dem Gegenstand aber gleichgültig sind. So kann das Definieren dahin gelangen, das Ohrläppchen zur spezifischen Differenz des Menschen zu den anderen animales zu erklären. Tatsächlich unterscheidet es den Menschen von diesen, aber es
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macht doch keineswegs den Menschen aus. Das allgemeine Genus schließlich kommt über die bloße »Gemeinschaftlichkeit« nicht hinaus. Zuletzt zeigt auch die methodische Vorgehensweise des Definierens die Beiläufigkeit ihrer Ergebnisse: Am Anfang steht ein »dunkles Gefühl, […] eine Ahndung des Wesentlichen« (GW XII, 213), daß sich beispielsweise Mensch und Tier unterscheiden. Für dieses Gefühl wird dann ein Anhaltspunkt gesucht und gefunden. Ein zusätzliches Hindernis des Definierens ist die Existenz mißgebildeter Individuen in einer jeden Art. Alle Wesensdefinition, die sich entlang von Eigenschaften bewegt, gerät hier an ihre Grenze, denn auch der schlechte Staat ist immer noch Staat, und er muß in dessen Definition inbegriffen sein.95 Der Begriff kann in seiner Äußerlichkeit an keine einzelne seiner Eigenschaften geknüpft werden, sie sind eben äußerlich. – Hier sei daran erinnert, daß Hegel dementsprechend das Leben nicht zur Sache einer merkmals- oder kriteriengestützten Definition machte, wie es doch scheinen könnte, wenn er von Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion spricht. Es zeigte sich vielmehr, daß das lebendige Individuum seinem Anderen das Leben gleichsam als Gabe zusprach. Ob es als Lebendiges galt, war nicht von diesem Anderen und dessen Verhalten abhängig, sondern nur vom Subjekt selbst. Das Subjekt urteilt in seinem Urteil über das Andere (lebendig oder anorganisch) nicht über anderes, sondern über sich selbst: Es spricht sich aus. Das Erkennen schreitet zur Einteilung (dihairesis) fort, in der nicht das Einzelne (uneinholbare) Grundlage des Bestimmens ist, sondern das Allgemeine. Die Einteilung scheint wesentlich begriffsförmig vorzugehen. Ein allgemeiner Begriff wird besondert, doch die Gattung, die eingeteilt wird, bleibt vorausgesetzt, und ihre Einteilung geschieht ohne eigenen, durchsichtigen Grund (vgl. GW XII, 217). Entsprechend sind die Arten zueinander nur im Verhältnis der Koordination, die Art ist keine gegen sich selbst tätige Differentiation (vgl. Hoffmann 2003: 455), wie das im Leben der Fall war. Zu einem Einzelnen, das heißt zur bestimmten Bestimmtheit, kommt dieses Bestimmen nicht, denn es hat kein immanentes Prinzip für die Einteilung,
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Dieser Sachverhalt deckt die Unzulänglichkeit vieler ›bioethischer Diskurse‹ auf, die bestrebt sind, Eigenschaften des Menschseins festzulegen, etwa das Bewußtsein oder eine bestimmte Entwicklungsstufe der Organe, bei deren Nicht-Vorhandensein der Mensch nicht als Mensch gilt und der Verdinglichung durch Experiment, durch Abtreibung oder Versklavung unterworfen werden darf. Die Definition richtet sich ihren Gegenstand zu. Das Beispiel, das Hegel anführt, liegt hier nahe: Es »entgehen dem empirischen Herumsuchen alle Eigenschaften, welche es als wesentlich ansehen wollte, durch die Instanzen von Mißgeburten, denen dieselbe[n] fehlen, z. B. die Wesentlichkeit des Gehirns für den physischen Menschen durch die Instanz der Akephalen« (GW XII, 214).
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sondern es geht von einer Voraussetzung aus.96 Die bestimmte Bestimmtheit des Einzelnen zeichnete sich aber gerade durch ihr immanentes Bestimmen aus, daher war das Einzelne Individuum. Die Kontingenz des einteilenden Erkennens ist im übrigen kein Fehler des subjektiven Begriffs. Angesichts seines vermeinten Gegenstandes einer außer sich seienden Natur ist die Kontingenz ihrem Gegenstand durchaus angemessen, denn es gibt in der Natur keine Notwendigkeit zur Einteilung. Nicht die Begrenztheit des Erkenntnisvermögens, sondern die Natur selbst, die unfähig ist, begriffen zu werden, bedingt die Zufälligkeit in der Einteilung; so ist es ganz und gar kontingent, wieviele Arten von Papageien oder Trauben es gibt und worin sie unterschieden sind. Zur Korrespondenz zwischen subjektivem Begriff und objektiver, einzelner Sache kann es hier nicht kommen, denn deren Notwendigkeit wird hier nicht erreicht. Die Aufdeckung der Notwendigkeit ist aber, was das Erkennen überhaupt sein soll. So schreitet es fort zu Lehrsatz und Theorem. Das Theorem ist ein Konstrukt des Denkens, es faßt den Gegenstand als synthetische Beziehung unterschiedener Bestimmungen auf. Darin liegt der Übergang zum Einzelnen: »Die Definition enthält nur eine B estimmtheit, die Einteilung die Bestimmtheit gegen andere; in der Vereinzelung ist der Gegenstand in sich selbst auseinandergegangen.« (GW XII, 220) Der Lehrsatz begreift somit die Realität des Einzelnen, in ihm tritt daher die Identität von Begriff und Realität, d. i. die Idee, hervor. Diese Einheit ist aber doch nicht Gegenstand des Erkennens, und insofern gelangt das Erkennen auch hier nicht dahin, die Mitte des Lebens darzustellen. Auch der Inhalt des Lehrsatzes wird als unvermittelt-gegeben aufgenommen und letztlich auf die (abstrakten) Definitionen zurückgeführt, die ihm äußerlich und nur Sache des subjektiven Begriffs sind. So besteht keine Gewähr dafür, daß der Gegenstand diesem subjektiven Begreifen in der Tat entspricht. Auch die sorgfältigst konstruierte Hypothese, die alle bekannten Fakten erklärt, kann noch falsch sein (Burbidge 2006: 102). Das Theorem erfordert folglich einen Beweis, in dem der notwendige Zusammenhang der Bestimmungen dargelegt wird. Der Beweis soll die vermittelnde Mitte im Schluß der Idee sein. Wird er aber einseitig als Konstruktion verstanden, so kann er diese Vermittlung nicht leisten. Die Wahrheit des Wahren kommt nicht zur Geltung, solange das Wahre als lediglich gegebenes Aufzunehmendes vorgestellt wird. Und doch leistet das endliche Erkennen mehr als es selbst weiß. Nur deshalb kann es auch Thema 96
Das einteilende Erkennen vollzieht, was Platon dianoia nannte, vgl. dazu hier S. 118 f.
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der Idee sein. Schließlich wäre zu fragen, wozu die Bestimmung des endlichen Erkennens in die wahrhafte und unendliche Idee überhaupt einbezogen wird. Die Selbsttäuschung des endlichen Erkennens wäre doch eher ein Thema der Wissenschaft von der Erscheinung des Geistes, mithin der Phänomenologie, deren Kapitel V. Gewißheit und Wahrheit der Vernunft eine ausführliche Beschreibung der Erkenntnisweisen gibt. Der Grund für die Einbeziehung des endlichen Erkennens in die Idee liegt in der Totalität der Idee. Zu ihr gibt es streng genommen keinen Übergang und keine Herleitung. Auch wenn die Endlichkeit des Endlichen das Unendliche eröffnet, so bleibt es doch dabei, daß vom Endlichen kein Weg zum Unendlichen führt. Es ist, wie Hegel betont, das Nichtsein des Endlichen, das das Unendliche erschließt. Wenn vom endlichen Erkennen ein Übergang zum unendlichen Erkennen erfordert wäre, so stünden sie im Verhältnis der Andersheit zueinander. Die Andersheit aber ist überhaupt keine Verhaltensweise der Idee, so daß das unendliche Erkennen in diesem Falle selber endlich wäre. Es bleibt also nur zu zeigen, wie das endliche Erkennen das noch in sich verschlossene unendliche Erkennen ist (vgl. Boeder 1980: 648). Hegels sechste Habilitationsthese lautete: »[P]hilosophia omnis est in ideis.« (GW V, 227) Die Idee ist nicht von ihrer Anwendung oder dem Gebrauch getrennt, was für Kant der Anlaß war, die Dialektik der Ideen einem unkritischen Vernunftgebrauch, nicht aber den Ideen selbst zuzurechnen. Für Hegel ist dagegen alles Denken Idee. Im Zusammenhang von Denken, Vernunft und Idee von »Gebrauch« zu sprechen, nennt er dagegen eine barbarische Vorstellung (vgl. GW XII, 194), denn sie ist sich über das eigene Tun, d. i. das Denken, nicht im Klaren. Um dieses aufzuklären, muß Hegel aufzeigen, wie jedes Denken nur innerhalb der allumfassenden Dimension der Idee stattfindet. Es gilt, das endliche Erkennen aufzuschließen. Verschlossen ist dem endlichen Erkennen die Wahrheit des Wahren. Weil ihm das Objekt in seiner inhaltlichen Differenziertheit ein Gegebenes ist, ist die begriffliche Identität, in der das Erkennen sein Objekt faßt, diesem immer äußerlich. Der Beweis, der die unterschiedlichen Bestimmtheiten der Sache miteinander vermittelt und auf diesem Wege eigentlich die Darstellung seiner Sache sein soll, »bringt es nicht weiter als zu einer der Freiheit [der Sache für sich selbst] gegenüberstehenden Notwendigkeit« (GW XII, 229 f.). Das endliche Erkennen gelangt nicht zur Wahrheit des Wahren selbst, sondern nur zur Richtigkeit: Ihm bleibt nur, den Begriff der Sache zu formulieren und zu warten, ob sie sich entsprechend zeigt oder nicht. Die vom endlichen Erkennen formulierte Notwendigkeit hat also keine Notwendigkeit. Ihm ist verschlossen, was die Notwendigkeit eigentlich ist beziehungsweise was es tut, indem es eine Notwendigkeit formuliert.
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»[I]n der Notwendigkeit als solcher hat es selbst seine Voraussetzung und den Ausgangspunkt, das Vorfinden und Gegebensein seines Inhalts, verlassen. Die Notwendigkeit als solche ist an sich der sich auf sich beziehende Begriff. Die subjektive Idee ist so an sich zu dem an und für sich Bestimmten, Nicht-Gegebenen, und daher demselben als dem Subjekte Immanenten gekommen« (Enz. (1830) § 232). Die Wahrheit des Wahren besteht nicht in irgendeiner Übereinstimmung zwischen einer Reflexion und ihrem Gegenstand, das Wahre ist vielmehr an sich selbst wahrhaft, nämlich indem es sich selbst bestimmt. Das zeigt die Notwendigkeit als innere Identität von unterschiedener Bestimmtheit. Die Idee produziert ihren eigenen Inhalt, dieser muß nicht als gegebener aufgenommen werden, er ist hervorgebracht. Die Tätigkeit des Erkennens ist daher nicht nur passives Perzipieren (»Vorfinden«) von gegebenem Inhalt, sondern ein Produzieren. Das Erkennen geht damit eigentlich vom Subjekt aus, das freilich nicht das leere, nur formale Subjekt gegenüber der mannigfaltig unterschiedenen, wirklichen Welt ist. Das Subjekt, das im Erkennen tätig ist, ist immanent bestimmtes Subjekt, es ist Individuum. Die Erkenntnis von der Selbstbestimmung des Individuums ist das unendliche Erkennen, das seinen Gegenstand als seine innere Realität weiß. Von daher ist es auch zu verstehen, daß die Wahrheit frei macht. Die Notwendigkeit steht der Freiheit nicht entgegen. Diese Bestimmung der Freiheit, nämlich daß sie nicht von der Notwendigkeit eingeschränkt wird, ist nun im Verlauf der Logik zum dritten Male heraufgeführt worden. Zunächst manifestierte die Wechselwirkung der objektiven Logik eine innere Identität und führte zur Lehre vom Begriff als dem »Reich der Freiheit« (GW XII, 15). Sodann wurde der Schein äußerlicher Veränderlichkeit behoben, was die freie innere Zweckmäßigkeit, d. i. die Idee, hervortreten ließ. Wenn nun – drittens – die Idee selbst als Wahres, das das Gute ist, ihre Freiheit offenbart, so ist deren Notwendigkeit umfassend erwiesen. Wie die Idee sich ihre eigene Realität im Leben gibt, so gibt sie sich auch ihre eigene Freiheit. Der (subjektive) Begriff realisiert sich, er hat Realität. Die Subjektivierung von objektiver Vernünftigkeit, das heißt das theoretische Erkennen, ist mithin Subjektivität, die sich in die Objektivität einführt, und somit eine Praxis. Die »Consequenz« (Erdmann 1901: 152) des Wahren ist daher das Gute. Es ist das an und für sich Bestimmte und schlechthin Geltende, das aus Freiheit die Realität bestimmt.97 Die Realisierung der Wahr97
Vgl. dazu ausführlich Haas (2003: 141–158). Haas untersucht den spekulativen Übergang im Satz »Das Wahre ist das Gute.« Der Übergang des Wahren zum Guten ist
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heit des Wahren ist das Gute, weil die Selbstübereinstimmung des Wahren kein auf sich Beharren ist. Das Wahre ist nicht bewegungs- und trieblos.98 Zum Wahren gehört, daß es für ein Wissen ist. Dafür, daß es dem Wahren möglich ist, für ein Wissen zu sein, muß es sich mitteilen. Andernfalls wäre es ein hoffnungsloses Unternehmen, etwas erkennen zu wollen (vgl. GW IX, 53). Mit der Idee des Wahren ist also das wesenslogische Verhältnis des Erscheinens zur Durchsicht auf das Wahre selbst, das sich mitteilt, verwandelt. Folglich muß zur Erkenntnis der Form des Wahren nicht dessen bloßes Auffassen, sondern sein eigenes Sich-Ausdrücken angesehen werden. Es gilt, das Wahre als Subjekt zu betrachten. β. Trieb des Guten Auch die Idee des Guten ist zunächst noch in sich verschlossene unendliche Idee. Sie scheint eingeschlossen in die Einzelheit ihres Bestimmtseins. Die Idee des Guten ist subjektiv und hat die Voraussetzung eines an sich seienden Andersseins, also ist sie endlich und als solche die praktische Idee im Unterschied zur theoretischen Idee. Der Trieb, sich auszuführen und sich dadurch eine angemessene Realisierung zu geben99, bewegt das Subjekt als Einzelnes dazu, sich eine vereinzelte Wirklichkeit zu geben. Dabei ist es nicht darum zu tun, sich Objektivität zu geben, denn objektiv ist das Gute bereits: Es ist das an und für sich Bestimmte, das auch ohne daß es die als gut bestimmte Sache gibt, in seinem Gutsein existiert und gilt. Das Gute besitzt »Vernunftfaktizität« (Haas 2003: 143), daher entfällt das Problem der Instantiierung der Idee auf der Objektseite, das sich dort stellt, wo die Idee als etwas nur Subjektives betrachtet wird. Das Streben der Idee des Guten ist daher nicht auf Vervollkommnung seiner selbst aus, denn das Gute ist als Idee bereits
nicht – wie etwa die seinslogischen Übergänge – die Auflösung der Not eines Widerspruchs des Wahren. Der Übergang ist überhaupt nicht Notwendigkeit, sondern geschieht aus Freiheit. Die Freiheit besteht nicht in der Wahl zwischen Gut und Böse oder in der Freiheit zum vorausgesetzten Guten, sondern sie ist nach Haas die »Freiheit, die Güte des Guten zu ernennen« (149). Haas analysiert damit bereits die Wahrheit der unendlichen Idee des Erkennens. Der im Erkennen zunächst produzierte Schein von Wissen kennt hingegen noch eine zweifache Not des Widerspruchs – als Erkennen, das das Ansichsein nicht kennt und als Handeln, das nicht zu seinem Ziel gelangt. So ist das Gute auf »Ergänzung« (GW XII, 233) durch das Wahre angewiesen et v.v. 98 Wir erinnern uns, daß es die Idee zuerst in der »Bestimmtheit, in welcher sie Leben ist, aufzufassen und zu erkennen [galt], damit ihre Betrachtung nicht etwas Leeres und Bestimmungsloses sei.« (GW XII, 180) 99 Auch dies kann mit Fichte ausgedrückt werden: Das Ich bestimmt sich und dadurch das Nicht-Ich.
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inhaltlich vollendet. Der Realisierungstrieb des Guten geht vielmehr auf die Annahme der leeren Form der Unmittelbarkeit. Für sich ist es bereits bestimmt, es ist »für sich selbst seiende Objektivität« (GW XII, 232), der aber das Moment des Ansichseins, der naturhaften Wirklichkeit noch abgeht. Darauf zielend ist das Gute ein »Wollen« (so der Titel des Abschnitts in der Enzyklopädie (1830)). Der Trieb des Guten nach Ausführung bringt in mehrfachem Sinne dessen Endlichkeit mit sich. Das wirkliche Gute kann nicht nur allgemeine Formalität sein, sondern es muß einen bestimmten Inhalt haben. Das Gute, das verwirklicht wird, ist immer das Gute desjenigen, der tätig ist. Mit seiner Bestimmung geht aber die Verendlichung einher: Die Realisierung des Guten in einem äußeren Dasein macht es zerstörbar durch Zufälligkeiten und Böses. Zudem gibt es in einer Situation mehrerlei Gutes, so daß es dadurch zum Widerstreit des Guten kommt. Schließlich begegnet die Ausführung des Guten sogar Hindernissen. Die absolute Würde des Guten kommt also nicht zum Durchbruch: »Das Gute bleibt so ein Sollen« (GW XII, 233). Das Gute ist mithin als ein Zweck bestimmt, der nicht zur Ausführung gelangen kann. Die Idee des vollendeten Guten kann kein Resultat des Handelns sein und so ist sie »ein Postulat«, – womit Kants Bestimmung der Sittlichkeit angesprochen werden soll. Sprach Kant den theoretisch-spekulativen Ideen die objektive Realität ab, so ergänzt Hegel, daß diese auch Kants praktischer Idee fehlt, da sie ein bloßes Sollen bleibt.100 Der praktischen Idee fehlt das äußerliche Sein. Doch liegt diese Beschränkung des Guten nicht an diesem äußerlichen Sein selbst, denn die Beschränkung ist ja die Voraussetzung, die von der subjektiven Idee des Guten mitgebracht wird, sie selbst schränkt mithin sich selbst ein: »Der Wille steht daher der Erreichung seines Ziels nur selbst im Wege dadurch, daß er sich von dem Erkennen trennt und die äußerliche Wirklichkeit für ihn nicht die Form des Wahrhaft-Seienden erhält«. Mit den Worten des frühen Hegels gesprochen, stehen wir vor den Folgen der Trennung von Leben und Lehre (vgl. hier S. 22). Als These der Nichtigkeit äußeren Bestimmtseins zerstört die Freiheit des Guten sich selbst. Sie beraubt das Gute seiner Realisierung. Die nur nichtige Äußerlichkeit raubt dem Guten die Wahrheit seiner Beziehung auf sie. Das Gute wird so zum bloßen Sollen 100
Vgl. Nuzzo (1995: 110). Wie schon das Erkennen die Ausführung seiner Erscheinung innerhalb der Phänomenologie des Geistes erfuhr, so auch die Realisierung des Guten. Vgl. hierzu Kapitel VI.C. Der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität. Dabei geht es aber zunächst noch nicht um die in der Anerkennung verwirklichte Sittlichkeit, sondern um die (kantische) Moralität und deren Widersprüche (vgl. GW IX, 334 f.). Weil sie sich durch ihre Gegenstellung zum Sein definiert, würde die verwirklichte Moralität unmittelbar verschwundene Moralität sein (vgl. GW IX, 328).
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und in die reine Idealität getrieben; »die Idee des Guten kann daher ihre Ergänzung allein in der Idee des Wahren finden.« Diesen Übergang leistet die Idee des Guten aus sich selbst. Als in sich verschlossenes Unendliches muß es nur sich selbst aufschließen und »seine eigene Ansicht von sich« (GW XII, 235) ändern. In der Idee gibt es keine äußere Ergänzung und kein Zusammenstücken. Die Ansicht des Guten von sich selbst kommt in den beiden Prämissen des Handelns zur Sprache. Zum einen setzt das Handeln »die unmittelbare B eziehung des guten Zwecks auf die Wirklichkeit, deren er sich bemächtigt« (GW XII, 233) voraus, zum anderen richtet dieser Zweck die von ihm bestimmte Wirklichkeit »als äußerliches Mittel gegen die äußerliche Wirklichkeit« (GW XII, 234), er setzt also eine Vermittlung. Das Gute ist für den subjektiven Begriff das an und für sich Bestimmte und entsprechend das schlechthin Geltende, es ist daher objektiv. Die Welt hat demgegenüber keinen eigenen Wert, gegen das objektiv Gültige gibt es keine Einspruchsmöglichkeit. Gegen das Gute ist die Welt daher das Böse beziehungsweise nur Bestimmbares ohne eigenen Wert. Es kann der Wirklichkeit des Guten nichts entgegensetzen und wird unmittelbar von diesem bestimmt. Die zweite Prämisse scheint von daher widersprüchlich oder zumindest überflüssig zu sein. Wenn das Gute bereits objektiv wirklich ist, braucht es kein Mittel mehr, durch das es verwirklicht wird. Dennoch fügt die zweite Prämisse der ersten etwas hinzu. Nach der unmittelbaren Identität mit der Wirklichkeit wäre das Gute nur ins Äußere versenkt, so wie der Begriff im Übergang zur Objektivität zunächst in diese versenkt war. Das Gute wäre in diesem Falle unterschiedslos und unerkenntlich. »[S]o kommt in der zweiten […] dies hinzu, daß es durch Vermittlung, hiermit für ihn [den Gedanken] gesetzt wird.« Die Konstellation, die von den beiden Prämissen vorgegeben wird, ist in der Tat eigenartig. Zum einen setzt sich das Gute selbst durch, denn es ist an und für sich bestimmt, während die Welt nur unmittelbares, zu bestimmendes Dasein ist. Dennoch setzt das Gute eine Vermittlung, durch die es ›für den Gedanken‹ wird. Für seine Durchsetzung ist dies offenbar nicht entscheidend, denn diese wird schon von der ersten Prämisse geleistet. So ist es für das Gute nicht entscheidend, daß es jemand erkennt, es ist vollkommen unbedingt. Was leistet dann das Für-den-Gedanken-Sein des Guten für dieses selbst? Zunächst zeigt es das Gute in seinem Unterschied. Als unterschieden vom Bösen und der gleichgültigen Natur ist das Gute das moralisch Gute. Durch diesen Unterschied zeigt sich das Gute aber auch als entschieden, das heißt es ist unabhängig davon, daß sich jemand für es entscheidet, und ohne Gegensatz, denn das Böse wird ja von ihm verändert. Dieses entschieden Gute ist Gutes jenseits des Unterschieds von Gut und Böse, nicht das mora-
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lisch Gute, sondern (unendliche) Idee des Guten. In seiner Entschiedenheit kann dieses Gute erkannt werden und beansprucht seine Anerkennung, d. i. die bejahende Erkenntnis oder die Erkenntnis mit Zustimmung des Willens. Das Gute anzuerkennen bedeutet, für es und für seine Wirklichkeit entschieden zu sein. Der Mehrwert dieser anerkennenden Entscheidung liegt in der durch sie vermittelten Freiheit. Sie befreit vom Tun-Müssen des Guten und von der Notwendigkeit, es »durch subjektive Tätigkeit erst zu realisieren« (GW XII, 235). Das anerkannte Gute kann stattdessen im Wissen der NichtSubstantialität des Bösen frei gelten gelassen werden. Die Ansicht, das Gute sei erst zu realisieren, verstellt die Wirklichkeit des Guten. Die Anerkenntnis (das Für-den-Gedanken-Sein) des Guten löst diese Selbstbeschränkung, die die Verwirklichung des Guten gerade verhindert. Die Anerkenntnis der Realität des Guten leugnet damit nicht die Existenz des Bösen, sie stellt es aber unmißverständlich als nicht-substantiell und veränderbar dar. Es hat keine Geltung und zerstört sich selbst.101 Das Für-den-Gedanken-Sein des Guten macht deutlich, auf welche Weise das ansonsten ›versenkte‹ Gute ist, nämlich nicht unmittelbar, sondern vermittels seiner Freiheit, also doch wiederum unmittelbar, nämlich nicht vermittels eines Grundes. Qua seiner Freiheit ist das Gute verhältnislos, es steht in keiner Korrelation oder Konditionalität. So fügt das Für-den-Gedanken-Sein des Guten zu diesem die Darstellung seiner Freiheit hinzu, die der Güte des Guten wesentlich ist, weil in ihr die Macht zu seiner Mitteilung liegt. Aus Freiheit schafft das Gute die Freiheit. Daher kann es nicht gemacht und hergestellt werden. Aufgefaßt wird das Gute nur, indem man auf es hört, und es wird verwirklicht, indem es gelassen wird.102 101
Das Einschreiten gegen Böses wird so überhaupt erst ermöglicht. Gegen ein substantielles Böses hätte es keinen Sinn anzukämpfen. Dieser Kampf kann ganz verschiedene Formen annehmen, er ist aber immer ein Widerstehen gegen die Verneinungen des ausgrenzenden Bösen. So wie der frühe Hegel das Verbrechen nicht rechtfertigt, wenn er es als zum Leben gehörend und von daher immer schon gesühnt und versöhnt bezeichnet (vgl. hier S. 30 f.), so fordert er auch hier keinen »Quietismus« (so aber Hösle 1998: 254), im Gegenteil ist das Böse ja das schlechthin zu Verändernde (vgl. auch GW IX, 413 ff.). 102 Wie die Phänomenologie im Kapitel über Die Moralität die Endlichkeit der moralischen Weltanschauung zeigt, so beschreibt sie auch deren Überwindung in der Anerkennung der Endlichkeit durch das »versöhnende JA« (GW IX, 362), das ebenfalls unkonditional ist; vgl. zur Entwicklung in der Phänomenologie und besonders zur Rolle des versöhnenden Ja Spieker (2003: 298–303). In der Versöhnung wird die Endlichkeit allen Handelns anerkannt und die damit unausweichlich verbundene Schuldhaftigkeit des Tuns überwunden. Es gilt, dazu »nur« die Endlichkeit des endlichen Tätigseins anzuerkennen, es mithin nicht zu substantiellem Sein zu machen, sondern es als veränderbar zu erkennen. Dadurch ermöglicht dieses Ja-Sagen die freie Beziehung eines Subjekts zu einem Subjekt. Mit ihm wird der Mechanismus des Rechthabens, in dem der Gegensatz von Gut und Böse festgeschrieben wird, verlassen. Weil dieses Wort der Versöhnung durch
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Die Verwirklichung des Guten hebt die nur bestimmbare und nur erscheinende Welt auf, sie verändert sie. Das aber heißt, ihr die bloße Äußerlichkeit und Bestimmbarkeit zu nehmen und sie zu einem für sich selbst Bestimmten zu machen. Im Äußeren seiner selbst wird das Gute jetzt seiner selbst ansichtig, denn es verwandelt das bloß Äußere zu einem zweckhaft Gesetzten, das heißt zu einem aus einem inneren Grund und Begriff heraus Gesetzten. Das Gute ist an und für sich in der Welt, es ist ausgeführter Zweck. Der Gegensatz von Subjekt und Objekt wird in der Tätigkeit aufgehoben. Dennoch einen endlosen Progreß der Verwirklichung des Guten, d. i. das bloße Sollen zu konstatieren, heißt, das eigene Tun nicht zu erkennen. Die Objektivität des Zwecks ist nicht mehr zu Tuendes, sondern zu Erkennendes. Das Gute wird somit zum Wahren: »[D]ie vorgefundene Wirklichkeit ist zugleich als der ausgeführte Zweck bestimmt«. Indem das Wahre das Gute wird und dieses wiederum Wahres ist, sind Wahres und Gutes vereint. Die beiden Bedeutungen der Mitte des Lebens sind nicht voneinander verschieden. Die Differenz von theoretischer und praktischer Idee ist aufgehoben, und das Erkennen ist zu jener Unmittelbarkeit geworden, die die Idee als Leben war: Die Wahrheit des Guten ist das Leben. Diese Unmittelbarkeit der Idee ist aber nicht mehr mit unhaltbaren Voraussetzungen (vgl. GW XII, 181) beladen, die zur widersprüchlichen Entfremdung der Idee als unerkennbarem Wahren und nichtrealisierbarem Guten führten. Die neue Unmittelbarkeit resultiert aus der Aufhebung dieser Voraussetzungen, aus dem Schluß. Die Äußerlichkeit, die zunächst »die einfache B estimmtheit« und damit die Unfaßbarkeit des Lebensbegriffs ausmacht, ist nun begrifflich so durchdrungen, daß sie sich als von der Idee selbst gesetzte Äußerlichkeit erweist. Ihr »innerer Grund und wirkliches Bestehen [ist] der Begriff« (GW XII, 235; dazu Onnasch 2000: 244). Das einzelne Subjekt »ist hiermit itzt als freie, allgemeine Identität mit sich selbst«, es ist zur vollen Korrespondenz mit sich gediehen. Darin ist das Erkennen die realisierte Identität des Gattungslebens. Die Idee ist daher bestimmt als dreifache Einheit von (i) Begriff und Realität, (ii) Theorie und Praxis sowie von (iii) Leben und Erkennen.
die Aufhebung des Gegensatzes und der Konditionalität die Einheit der endlichen Subjekte hervorbrechen läßt, nennt Hegel es den »erscheinende[n] Gott mitten unter ihnen« (GW IX, 362). Dieses Ja-Wort, das vom endlichen Subjekt seinem Gegenüber geschenkt werden kann, hat seine logische Ermöglichung in dem »ursprüngliche[n] Wort« (GW XII, 237) der absoluten Idee, das einen Unterschied begründet, der auf seine Einheit hin durchsichtig bleibt.
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3.3.C Absolute Idee: via viva Die Idee hat sich als in jeder Hinsicht gültig erwiesen, sie ist daher »absolute Idee«.103 Alle Bestimmtheit ist in die absolute Idee in ihre Wahrheit eingegangen. Sie ist dabei nur eine Idee, denn die Differenz zwischen theoretischer und praktischer sowie zwischen unmittelbarer und vermittelter Idee ist aufgehoben. Zudem ist deutlich geworden, daß die Idee nicht Idee von … sein kann, denn was als ihre Instanz außerhalb der Idee zu liegen schien, ist in sie, die das Resultat der Logik ist, eingegangen. Die Bedeutungsunterschiede der Idee, die wir bislang durchdacht haben, indem die Idee als unmittelbare und als vermittelte angesehen wurde, sind solche, die sie sich selbst gibt. Sie ist in ihrem Selbstbestimmen Idee als Leben, Wahres und Gutes. Jede dieser Bestimmungen ist »alle Wahrheit« (GW XII, 236), nämlich das mit sich übereinstimmende Ganze aller möglichen Bestimmtheit. Somit sind sie keine Teilaspekte o. ä. der Idee, sondern deren dreifache Einheit. Die absolute Idee ist Einheit dieser Einheit oder Totalität der Totalität. In ihrer Einheit ist sie nicht bewegungs- und bestimmungslos, sondern die absolute Idee kommuniziert als Leben, Wahres und Gutes beständig mit sich selbst. Ihr Inhalt ist Selbstbestimmung, und ihre Tätigkeit besteht darin, »sich zu vernehmen« (GW XII, 237). Die Idee ist reine Vernunft. Die Vernunft ist also nicht, wie Kant dachte, das Vermögen der Ideen und somit von diesen getrennt. Nur die Vernunft hat es beständig mit sich selbst zu tun, im Unterschied zum Verstand, der ständig bei etwas Anderem ist, weil seine Ansichten den Blick auf die dreifache Einheit der Idee versperren. Die absolute Idee hat alle Andersheit und damit alle Vermittlung aufgehoben, daher ist sie »Rückkehr zum Leben« (GW XII, 236). Sie ist aber nicht Leben durch das voraussetzungsbeladene Urteil, in welchem es sich »als individuelles Subjekt gegen das Objektive abscheidet« (GW XII, 181), sondern sie hat »den höchsten Gegensatz in sich.« (GW XII, 236) So ist das Leben ein Einzelnes, das Allgemeines ist, es ist »nicht ausschließende Einzelheit«, d. i. »Person«. Außerhalb dieser Person gibt es keine Korrespondenz von Begriff und Realität, Theorie und Praxis sowie von Leben und Erkennen. Die Übereinstimmung in all diesen Unterscheidungen kann nämlich nur eine Übereinstimmung durch Selbstbestimmung sein. Außerhalb der Selbstbestimmung gibt es keine Übereinstimmung mit irgendeiner Bestimmtheit, denn diese zeitigt immer Endlichkeit und Andersheit. Wir stünden dann in der Situation, entweder eine Einheit denken zu können, ohne darin etwas zu erkennen, oder Erkennen von Bestimmtheit zu denken, wobei aber 103
Vgl. zu dieser Bedeutung von »absolut« Kant, KrV, B 381.
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keine Einheit denkbar ist. Dieses Dilemma überwindet nur die Selbstbestimmung der Person, die Einheit und Bestimmtheit vereint. Außerhalb dieser sich selbstbestimmenden Persönlichkeit steht jenseits aller Bestimmungsversuche die uneinholbare Äußerlichkeit als das nie zu begreifende Gegeben-Sein. In solchen ›a-synthetischen‹ Verhältnissen ist aber keine Wahrheit. Deshalb unterscheidet Hegel: »Alles Übrige ist Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist S ein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit und ist alle Wahrheit.« Weil die Idee schließlich sich selbst bestimmt, braucht sie von keinem Subjekt angewandt und gebraucht werden; nur die Sophistik kennt die Theorie nicht anders, denn als anzuwendende (vgl. hier S. 23, Fn. 14). Die Idee ist nicht die subjektive Funktion des Denkens, sondern selber das Denken. Die Bestimmtheit der Idee ist nicht nach Art eines Inhalts, das heißt nicht gegeben, »sondern schlechthin als Form« (GW XII, 237). Sie ist also Bestimmtheit in einer Beziehung, aber nicht zu Anderem, sondern auf sich selbst. Das hat der gesamte Verlauf der Bestimmung, d. i. die logische Wissenschaft gezeigt. Die Formbestimmung der absoluten Idee ist kein Scheinen in Anderes, sondern »ihre eigene vollendete Totalität«. So ist die Idee nicht Form eines gegebenen Materials, an dem sie erst ihre Realität zu gewinnen hätte, sondern sie hat sich selbst als unendliche Form zu ihrem Inhalt. Die Bezeichnung der Idee als »Persönlichkeit« ist insofern irreführend, denn sie ist keineswegs ein ens, auch kein ens realissimum. Die Personalität der Idee bedarf noch der Spezifizierung. Die Idee ist nicht Idee eines Absoluten (so aber von Düffel 2000: 12), sondern absolute Idee. Sie ist schlechthin durchgängig und damit selbst nicht unter einem bestimmten Inhalt, sei er auch noch so würdevoll, zu fassen. Als allgemeine Form geht die absolute Idee durch allen möglichen Inhalt, durch alle entia hindurch. Sie ist überhaupt der Durchweg, »die Methode«. Was bedeutet das Methode-Sein der Idee? Weder ist (i) die Methode das Instrument zum Begreifen von irgendetwas, nämlich eines faktisch-gegebenen Inhalts, denn sie ist selbst Idee, also bereits wirklich und nicht instrumentell zu betrachten, noch ist (ii) die Idee selbst ein derartiges Etwas, denn sie hat kein Dasein. Deshalb ist die absolute Idee auch nicht der Gott und ihre Methode nicht die Dreifaltigkeit. Wohl kann, wenn es bei Gott und Dreifaltigkeit etwas zu denken gibt, dieses nicht jenseits der Methode liegen. Das Andenken an Gott ist aber wesentlich ›positional‹, das heißt, ich begreife mich dabei von Gott her und ihm gegenüber als ein Daseiender seinem Dasein gegenüber (vgl. hier S. 231, Fn. 91). Nur deshalb kann ich mich demütig vor ihm verbeugen. Diese Positionierung ist in der Idee auf-
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gehoben.104 Daß die Idee Methode ist, verweist denjenigen, der wissen will, was die Idee ist, auf den Weg der Bestimmung der Idee. Die Methode, der Weg des Begreifens, ist die Be-wegung des Begriffs selbst.105 Die Methode ist mithin selbst Begriff. Deshalb braucht zur Angabe ihrer Gestalt nicht die gesamte historia ihres Werdens angegeben werden, sondern sie kann selbst in begriffener Form dargestellt werden. – Gleichwohl wäre es nur begrenzt sinnvoll, die absolute Idee als Methode zu behandeln, ohne zuvor deren Genese durchlaufen zu haben. Denn die Methode bliebe in diesem Fall nur leere Formalität. Sie wäre allgemeine, formale Methode zur Bestimmung verschiedenster Gegenstände, etwa der logischen Kategorien oder verschiedener realer Gehalte: »Wenn der Inhalt wieder der Methode als gegeben und als von eigentümlicher Natur angenommen wird, so ist sie wie das Logische überhaupt in solcher Bestimmung eine bloß äußerliche Form.« (GW XII, 237) Die Methode ist dann nur »Art und Weise« des Erkennens, sie wird angewandt auf fremde Inhalte und wäre ein Voraussetzungen machendes Urteil. Die Idee hat sich aber in Leben und Erkennen als Schluß erwiesen, sie ist nur bewegt von dem einen »Trieb, durch sich selbst in allem sich selbst zu finden und zu erkennen.« (GW XII, 238) Sie wird also ein Wissen vom Wissen sein und nicht bloß die formale Bedingung der Möglichkeit, etwas im Falle, daß es ihr gegeben wird, zu wissen. Doch spricht nicht die Rede von der Idee als einem Trieb dafür, sie doch als ein lediglich regulatives Ideal ansehen zu müssen? Der Gegenstand des Wissens der Idee, der Weg, liegt bereits hinter uns, er ist das Gesamt der logischen Bestimmtheit. Diese wurde im Durchgang auf diesem Weg verortet. So ist die logische absolute Idee der Ort schlechthin, in ihm hat alles seinen Ort. Der Ort aller Orte kann aber nicht selbst wiederum verortet werden. Was davon gesagt werden kann, ist daher von anderer Gestalt als alles seins-, wesens- und begriffslogische Bestimmen (soweit es in der formalen Trennung von subjektivem und objektivem Begriff bestand). Die Momente der absoluten Idee sind alle Bestimmungen des logischen Bestimmungsweges. Wie läßt sich aber das Ganze der absoluten Idee fassen? Da die Idee Methode ist, kann das offensichtlich nicht auf die Weise geschehen, daß gleichsam ein geheimes Wort aufgedeckt wird oder indem ein irgendwie anschauliches Ergebnis präsentiert wird. Zur Idee als Resul104
Daher geht es am Gehalt der Logik vorbei, zu sagen, die spekulative Logik Hegels wolle den christlichen Gottesbegriff darstellen (dies ist die These bei von Düffel 2000). Die Wissenschaft der Logik spricht in keiner Weise gegen diesen Begriff, sie ist aber auch nicht dessen Apologie. 105 Daher formuliert Haas (2003: 29) treffend: »Die entscheidenden Einsichten der Hegelschen Logik liegen am Weg.«
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tat gehört ihr Entwicklungsweg, ohne diesen ist sie gehaltlos. Nichts als dieser Weg ist es, was in ihr (als ihr Inhalt) enthalten ist. Worin dieser Weg in Gänze aufbewahrt ist, ist seine Form: »Als Form bleibt hier der Idee nichts als die Methode dieses Inhalts, – das bestimmte Wissen von der Währung ihrer Momente.« (Enz. (1830) § 237) Die Methode ist die »Währung« jedes Moments, sie organisiert den Austausch und Wechsel der Momente. Die Methode bewahrt die Momente in ihrer Geltung auf und ist die dauernde Bewahrheitung. Diese Tätigkeit der Methode ist alles, was die absolute Idee ist. Sie ist die Entfaltung des Ganzen und hat als solche (i) Anfang, (ii) Mitte und (iii) Ende. Entlang dieser Weg-Bestimmungen gibt sich auch die absolute Idee zu fassen und ermöglicht das sichere Wissen, das ein Wissen der Methode oder auch das Wissen vom Wissen ist. Die Idee hierbei als Trieb zu bezeichnen, führt nun nicht dazu, sie als Ideal zu betrachten: Die Bewegung, die die Idee vollzieht, ist eine solche von Ruhe zu Ruhe, so wie die Zeit von Jetzt zu Jetzt schreitet. Wie es aber nur ein Jetzt gibt, so gibt es auch nicht mehrere Ruhen, sondern nur eine Ruhe, die der Ort aller Bewegung ist, d. i. hier die »Währung der Momente«. Der Weg aber verläuft nicht von hier nach dort, sondern von Wahrheit zu Wahrheit. In seinem Anfang ist der Weg der Idee bereits von nichts als von seinem Ende bestimmt. – Vorgreifend kann daher gesagt werden, daß der Weg die Wahrheit ist. (i) Der Anfang ist von einfacher Natur, in seiner Unbestimmtheit ist er abstraktes Allgemeines (GW XII, 239). Die unmittelbare Selbstbezüglichkeit des Anfangs macht sein »Sein« aus. Alle Bestimmtheit des Anfangs ist indes nur »die, das Einfache und Allgemeine zu sein« (GW XII, 240). Das Allgemeine ist also leer. Nicht durch einen Vergleich mit der vollendet bestimmten Methode, die dann nur äußerlich wäre, sondern aufgrund seiner eigenen Bestimmtheit ist der Anfang mangelhaft. Daher ist er verbunden mit der »Forderung der Realisierung des B egrif fs«. Die Realisierung erfolgt nicht aus der Überfülle eines schon fertig an und für sich bestimmten Begriffs, sondern aus einem Mangel an Bestimmtheit heraus.106 Der Anfang ist der Trieb, diesen Mangel zu beheben. Dabei ist der Anfang an sich bereits
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Hegel unterscheidet sich darin vom Plotinschen Prinzip. Gerade weil die Ähnlichkeit ansonsten groß ist, muß dieser prinzipielle Unterschied deutlich herausgestellt werden. Halfwassen (1999: 432 ff.) klärt prägnant den Unterschied zwischen Hegels Bestimmung der absoluten Idee als Methode und der Triadik des Proklos. Er läßt sich kurz in drei Aspekten fassen: (i) Das Absolute ist für Hegel Resultat, bei Proklos und Plotin ist es Anfang in Überfülle. (ii) Der Hervorgang ist für Hegel reicher werdende Bestimmung, für Proklos ist er Degradation. (iii) Schließlich denkt Hegel eine wirkliche Rückkehr in den Anfang, während sich die Umwendung bei Proklos auf einen transzendent bleibenden Ursprung richtet.
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
»konkrete Totalität« (GW XII, 241), d. i. einzelnes Allgemeines, daher erhält er sich im Fortgang der Bestimmung. Diese implizite Selbstbestimmtheit bedarf aber der Explikation. »[D]er Keim des Lebendigen und der subjektive Zweck« sind ihm darin analog, denn sie sind Anfänge, die an sich bereits die Totalität ihrer Bestimmung enthalten, diese aber erst für sich entwickeln müssen. Die Ursache hingegen ist zwar auch ein Anfang, jedoch ein solcher, der sich in seiner Realisierung nicht notwendig erhält, denn die Ursache ist kein selbstbestimmendes Subjekt. (ii) Den Fortgang leitet »das Dialektische« (GW XII, 242). Das allgemeine Erste zeigt sich in ihm selbst »als das Andere seiner selbst« (GW XII, 244). Das Allgemeine ist selbst ein Besonderes, denn es bezieht sich auf ein Anderes. Der Übergang dorthin ist analytisch, denn er erfolgt rein aus dem ersten Begriff, und zugleich synthetisch, denn die Bestimmung, zu der er gelangt, ist die andere des Ausgangsbegriffs. Die zweite Bestimmung ist mithin die Negation der ersten, oder das Unmittelbare ist durch seine Beziehung ein Vermitteltes. Dieses Vermittelte »enthält« (GW XII, 245) aber das erste Unmittelbare in sich, denn Negation ist es als Negatives des Unmittelbaren. »Das Positive in seinem Negativen, den Inhalt der Voraussetzung im Resultat festzuhalten, dies ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen«. Die zweite Bestimmung kann zwar auch als eine einfache genommen werden, sie ist aber »ihrer Wahrheit nach […] eine B eziehung oder Verhältnis«. Während beim Ersten der nur implizit vorhandene Unterschied zu setzen ist, ist hier beim Zweiten, das schon ein bestimmter und ausgesprochener Unterschied ist, seine Einheit zu setzen. Zugegen ist diese Einheit bereits in dem Urteilssatz: Das Unmittelbare ist das Vermittelte. Diese Einheit ist der Widerspruch der Negation, daß »sie ihr eigenes Anderes in sich« schließt. Das »formelle Denken aber macht sich die [einfache] Identität zum Gesetz« (GW XII, 246), es kehrt nur wieder zur ersten Bestimmung zurück und gelangt daher zu keiner Realität, weder des Wahren noch des Guten. Am Leben gibt es für das formelle Denken, das auf die Wahrheit der bloßen Identität rekurriert, nichts zu erkennen. Die Bestimmung, zu der die Methode hier fortgeschritten ist, bleibt ihm eine bloß subjektive und irreführende Vorstellung. Die Leere dieses Denkens, das zu keiner Realität kommt, ist ihm offenbar kein Anlaß, seine Ansicht zu ändern.107 107
Der Notwendigkeit der Methode kann man sich also subjektiv entziehen. Dazu sei eine Passage aus Hegels Göschel-Rezension von 1829 zitiert, in der von dieser Möglichkeit im Vergleich zum Verhältnis des Glaubens die Rede ist: »Wie keiner dem andern den Glauben geben kann, sondern er muß von Gott gelehrt werden, so hat auch die Philosophie ihren Punkt, der nicht erlernt, nicht äußerlich aufgenötigt, von einem Menschen nicht in den andern übergetragen werden kann; und ist dies nicht gerade der Lebens-
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Weil die zweite Bestimmung nicht wahrhaft einfach, sondern wesentlich relational ist, so ist sie »zugleich die vermittelnde.« (GW XII, 245) Weil sie gegen das Andere nicht bloß gleichgültig und nicht einfach identisch ist, ist sie »das Andere eines Anderen«. Die Bestimmung ist selbst als Anderes bestimmt. Damit hat die Bestimmung selbst den Widerspruch in sich, er wird ihr nicht von außen her zugesprochen. Sie ist »die gesetzte Dialektik ihrer selbst« und macht als solche »den Wendungspunkt« (GW XII, 246) in der Methode aus. Die auf sich bezogene Negativität unterscheidet sich nicht von etwas anderem, sondern von sich. Daher bewegt sie sich und wird zum »Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, […] die alles Wahre an ihm selbst hat«. Wäre die zweite Bestimmung einfach identisch, so wäre sie bloß verschieden, nicht aber als anderes bestimmt und damit auch kein Prinzip der Bewegung. Wie ist es zu verstehen, daß es außerhalb der Selbstunterscheidung nichts Wahres gibt? Als wahr galt dasjenige, das sich an sich selbst anglich. Diese Angleichung wurde fortbestimmt zur Adäquation von Begriff und Realität, die einem Denken, dem das Sein nur als Gegebensein erscheint, unmöglich zu sein scheint. Die selbstbezügliche Negativität begründet nun die Subjektivität, die den Gegensatz von Begriff und Realität aufhebt und somit die Wahrheit überhaupt hervortreten läßt. Aufgehoben wird der Gegensatz, indem das – im Unterschied zum ersten, einfachen Negativen – »zweite Negative«, der konstitutive Widerspruch des Selbstandersseins, sich aufhebt. Dieses Negative ist »Beziehung des Unterschiedenen als solchen auf sein Unterschiedenes«. Nicht ein Identisches bezieht sich auf ein Anderes, das wäre das – noch äußerlich mißzuverstehende – Verhältnis der ersten Negation. Hier wird hingegen der Widerspruch eingesehen, daß die Bestimmung als sie selbst nicht nur von einem Anderen, sondern von einem Unterschiedenen unterschieden ist. Das aber bedeutet, vom Selben, also von sich selbst unterschieden zu sein. Deshalb begründet dieser Wendepunkt Subjektivität und Seele. punkt? Auch der Philosoph feiert seine Pfingsten; ohne Wiedergeburt kommt niemand aus der Sphäre des natürlichen Verstandes in die spekulativen Höhen des lebendigen Begriffs. Aber die Wahrheit besteht nach ihrem eigenen Wesen in der Notwendigkeit, sie hat ihre Nötigung in sich selbst; sie müßte sich also, meinten wir, auch erzwingen und aufnötigen lassen, so daß wir nicht widerstehen, sie müßte sich doch so gründlich nachweisen lassen, daß wir ihr nicht ausweichen könnten [eine Anspielung auf Fichtes Sonnenklaren Bericht an das grössere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen]. Der Mensch kann aber überhaupt der Wahrheit, der allmächtigen Wahrheit allerdings widerstehen.« (Hegel 1997: 351) Der hier angesprochene Lebenspunkt ist im Zusammenhang der Methode das analytisch-synthetische Moment der Dialektik.
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(iii) Mit der Bestimmung seines Gegenstandes richtet sich an diesem Wendepunkt auch »der Verlauf des Erkennens […] in sich selbst zurück.« (GW XII, 247) Die Negation der Negation ist selbst wieder Position, folglich wird als das Dritte, »wenn man überhaupt zählen will«, die Unmittelbarkeit hergestellt, die im Anfang unvermittelbar schien. – Weil dieses hergestellte Unmittelbare auch Drittes zu erster und zweiter Negation ist, könnte es ebenso als Viertes bezeichnet werden, doch warnt Hegel eigens vor dem leeren Formalismus des Zählens der methodischen Momente. Für die Methode gilt wie für den Geist, daß sie »unzerstückt« (Hegel 1997: 352) ist. – Hergestellt wird die Unmittelbarkeit durch die explizite Aufhebung der Vermittlung. Daher gilt die resultierende Unmittelbarkeit nicht als leere, unmittelbare Unmittelbarkeit, wie wir sie vom Anfang im reinen Sein kennen, sondern sie ist sich angeglichen: »Dieses Resultat ist daher die Wahrheit. Es ist ebensosehr Unmittelbarkeit als Vermittlung« (GW XII, 248), nämlich als Tätigkeit und Subjekt. Das Allgemeine, das durch seine Besonderung hindurchgegangen ist, ist zum Einzelnen bestimmt. – Es wäre sinnlos, die Wissenschaft der Logik auf irgendein Ergebnis festlegen zu wollen. Weil die Logik überhaupt Wissenschaft der Form und näher der Idee ist, diese aber kein bestimmter Inhalt, sondern der Weg ihrer Erkenntnis ist, der zugleich Weg ihres Seins ist, kann sie nicht auf eine Wegmarke reduziert werden. Es gibt hier nicht die eine, zentrale Erkenntnis, denn jedes Moment ist als das, was es ist, das Ganze. Dennoch ist diese Bestimmung des Einzelnen für Wissenschaft und Logik der »Lebenspunkt« (Hegel 1997: 351): Das Einzelne wird dem Allgemeinen nicht subsumiert, sondern das Allgemeine erweist sich als Inneres des Einzelnen, als seine »Seele« (GW XII, 249). Daher ist der Weg, der die Wahrheit ist, das Leben (vgl. Joh 14,6). Das Denken des endlichen Geistes hat diesen Weg offensichtlich nicht selber gebaut. Es denkt ihm und der entschiedenen Wahrheit nach. Dabei läßt es nicht nur von seinen Einfällen und Meinungen, sondern vom Sein überhaupt ab. Das Denken des endlichen Geistes, d. i. das partikuläre Subjekt, kann nicht auf sich bestehen, sondern es muß den Weg seiner Bewahrheitung zur Idee gehen. Es muß – wie der frühe Hegel formulierte – vom Leben zum aufgefaßten Leben voranschreiten. Dieser Fortschritt ist die Religion des endlichen Denkens (vgl. hier S. 47 ff.). Dabei verbleibt es nicht bei einem dunklen Anerkennen irgendeiner Macht, sondern es tritt ins Licht des Wissens. Das aufgefaßte Leben artikuliert sich in der Wissenschaft von der Methode, es hat darin sich selbst zum Gegenstand und ist insofern Denken reinen Lebens. Die Versöhnung der Gegensätze zeigt sich in diesem Denken, das die Logik ist, weder zukünftig noch vergangen zu sein. Die Versöhnung ist gegenwärtig.
3.3 Der Schluß der Idee
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Es könnte scheinen, als würde auch die als System bestimmte Methode nur wiederum in einen infiniten Progreß führen: Ihr Resultat ist eben jene Unmittelbarkeit, mit der sie schon ihren Anfang nahm. Also vollführt sie in diesem Resultat nur dieselbe Bewegung, die wir bereits kennenlernten. Dem Progreß ad infinitum entspräche ein endloser Regreß, weil nun bei jeder Bestimmung nach ihrem endlosen Vermitteltsein zurückgefragt werden muß. In dieser Ansicht wird jedoch das Resultat des Bestimmens der Methode nicht gewürdigt. Die Methode bleibt zwar an dem hergestellten Unmittelbaren dieselbe wie am ersten Unmittelbaren. Ihr Gegenstand ist nun aber ein in sich Bestimmtes, das heißt ein Inhalt (Einzelnes), von der Form der Unmittelbarkeit (Allgemeines): »[D]er Inhalt des Erkennens als solcher [tritt] in den Kreis der Betrachtung ein«. Der Inhalt als solcher kann überhaupt nur deshalb betrachtet werden, weil er selbst von der Methode gesetzt wurde. Wäre der Inhalt weiterhin bloß gegeben, so könnte nur seine Form betrachtet werden, die aber doch nie das Sein setzt und mithin formelle Form bleibt, die auf Ergänzung angewiesen ist und nicht sich selbst bestimmt. Die Methode aber setzt vermittels ihres Wendungspunkts im Widerspruch ihren eigenen Inhalt, daher steht sie nicht im Gegensatz zum Inhalt, sie hat den Gegensatz vielmehr in sich. Der Begriff steht nicht im Gegensatz zur Realität. Nur so, vermittels des Widerspruchs, ist Wahrheit möglich. Weil die Wahrheit der Methode, sich mit sich zusammenzuschließen, zum Resultat eine in sich bestimmte Unmittelbarkeit hat, zeigt sich die Wahrheit als Methode, d. i. als Weg der Freiheit. Das Resultat der methodischen Bestimmung ist nicht durch eine äußere Methode fixiert, sondern »selbst ein neuer Anfang« (GW XII, 250). Darin ist die Wissenschaft vollendet, denn Vollendung bedeutet Rückkehr in den Anfang. Die Methode kennt kein fixes Ergebnis, denn der Weg des Sich-Begreifens der Methode ist selbst »das Bewegende« (Boeder 1980: 652): via viva. Weil das Resultat der Bestimmung der Methode in sich bestimmt ist, kann es sich ›methodisch‹ selbst-entwickeln. In dieser Entwicklung wird es nicht einfach immer anders, sondern es bestimmt sich reicher und gelangt durch das Hinausgehen aus sich selbst zur intensiven Ausbildung seiner selbst. Das aber gilt nicht nur für den gesetzten neuen Anfang, sondern für die Methode selbst, die den neuen Anfang setzt. Sie kontinuiert sich im Setzen von Anfängen. Darin bestätigt sie ihre Güte, denn die bestand darin, ein erfülltes Wahrsein sein zu lassen und nicht nur ein ewiges, unerfüllbares Sollen. In seiner Logik-Vorlesung von 1817 nennt Hegel diesen Akt der Idee die »Gerechtigkeit des Begriffs« (AV XI, 139): Seine Allgemeinheit läßt Einzelnes sein und teilt jedem zu, was das Seine ist. Das vom Guten gelassene Wahrsein
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3. Sich selbst durchsichtige Klarheit – Begriffslogik
ist aber der gesetzte neue Anfang, der selber seine Wahrheit ausbilden und verwirklichen kann. Daher verliert sich die Methode nicht in ihrem Resultat, und sie geht darin nicht in ein anderes über oder scheint nur in es. Die Methode bleibt ganz bei sich. Ihr Sich-Entäußern ist, was sie ist: Quelle von Bestimmtheit und Sein. In dieser Freiheit, sich im Anderssein zu erhalten und zu erweitern, ist die Idee »reine Persönlichkeit« (GW XII, 251). Das Subjekt der logischen Wissenschaft ist kein partikulares Subjekt, nicht dieser oder jener Philosoph, sondern die reine und vollkommene Vernunft selbst. Durch ihre Freiheit, nicht durch ein ausschließendes Abschließen in sich, wird die Methode zum »System der Totalität« (GW XII, 250), das alles in sich befaßt. Das System der Idee ist daher System der Freiheit. Es ist »ein in sich geschlungener Kreis« (GW XII, 252), dessen Anfang auch Ende ist und umgekehrt. Die absolute Idee ist daher ebenso die Idee der Wissenschaft, sie verknüpft Anfang und Ende mit Notwendigkeit. Dabei hat sie – im Unterschied zu einer Philosophie, die von Grundsätzen oder Prinzipien ausgeht – weder »ein Vor« noch »ein Nach«, das heißt sie macht keine Voraussetzungen und läßt keine Folgen ihres Tuns außerhalb ihres ›Gesichtskreises‹.108 Die Fortbestimmung der Methode durch ihr Setzen neuer Anfänge bedeutet für die Wissenschaft, daß sie sich erweitert zum »Kreis von Kreisen«: Die Logik öffnet sich zur Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften.109 Die Idee läßt ein in sich bestimmtes, unmittelbares Sein frei. In dieses Sein geht die Idee nicht als in ein Anderes über, sondern sie entläßt sich selbst als dieses Sein. Der Trieb der logischen Idee, das Eingeschlossensein in ihre Subjektivität zu überwinden (GW XII, 253) und sich auszudrücken, ist in der Erweiterung des »göttlichen B egriffs« bereits befriedigt. Indem die Idee einen Inhalt in der Form der Unmittelbarkeit setzt, ist sie bereits aus der Subjektivität herausgetreten und hat das Sein schon gesetzt. Der Trieb der logischen Idee, gedacht zu werden und sich zu denken zu geben, macht daher auch den Anfang der Logik. Das resultierende Sein ist als Sein unmittelbar, es ist aber als Resultat der Methode zugleich »erfülltes Sein, der sich begreifende B egriff, das Sein als die konkrete ebenso schlechthin intensive Totalität.« (GW XII, 252)
108
Die neuzeitliche (Natur-)Wissenschaft, für die gerade die Trennung von wissenschaftlicher Erforschung und Verantwortung für ihre Ergebnisse charakteristisch zu sein scheint, qualifiziert sich danach gar nicht als Wissenschaft. Hegel wäre hierin mit Platon und dessen Urteil über die dianoia einig; vgl. hier S. 118 ff. 109 Beachtenswert ist hierbei der Plural. Die Philosophie ist nicht die einzige Wissenschaft, doch die Wissenschaften müssen philosophisch und mit Methode betrieben werden, um sich überhaupt als Wissenschaft zu qualifizieren.
3.3 Der Schluß der Idee
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Das erfüllte Sein, das gleichermaßen bestimmt und unmittelbar ist, ist die daseiende Vernunft. In dieser Unmittelbarkeit besteht die Natur. So ist die Natur kein bloß gleichgültiges Außereinander, das dem Begriff entgegensteht. Sie ist, indem sie das Außen des Begriffs ist, Manifestation der Vernunft und ihrer Freiheit. Im Jenaer Manuskript zur Naturphilosophie formuliert Hegel, was das für die Natur bedeutet: Sie ist nicht bloß Anderes einer voraussetzenden Reflexion, sondern selber real und tätiges Sein. Das heißt, »daß sie lebendige Natur, in sich reflektierte Unendlichkeit, Erkennen ist, und ihre Materie, oder ihre absolute Sichselbstgleichheit das Leben ist.« (GW VII, 180 f.) Nach ihrer Unmittelbarkeit ist die Natur nur Gegenstand für das Erkennen, danach ist sie nur »äußerliches Leben« (GW XII, 253). Doch die Wissenschaft des Begriffs weiß sie als das Leben des Begriffs: Die Natur selbst ist lebendig, weil ihre Prozesse sie beständig mit sich selbst zusammenschließen, es gibt in ihr kein bloßes Außereinander. So wird die lebendige Natur nicht Gegenstand für ein erkennendes Bewußtsein bleiben, sondern sie wird »aus der Äußerlichkeit in sich selbst gegangene Existenz«. Die Natur erweitert sich zum Geist (vgl. Enz. (1830) § 251). Der Geist findet schließlich »den höchsten Begriff seiner selbst in der logischen Wissenschaft als dem sich begreifenden reinen Begriff« (GW XII, 253). Die Wahrheit der Methode gilt absolut. Was aus ihr entlassen wurde, kehrt daher mit Notwendigkeit wieder in diese Wahrheit zurück. Die Philosophie lehrt diesen reinen Begriff der sich erhaltenden und sich ausdrückenden Wahrheit. Ihre Entschiedenheit gilt für die endlichen Subjekten als anzuerkennende. Darin ist sie den Endlichen eine ständige Belehrung, ihre eigene Endlichkeit anzuerkennen, von ihrem Sein zu lassen und so das wahrhafte Leben zu ergreifen.110 110
Es geht hierbei um eine Anerkennung, nicht um eine Anwendung dieser Wahrheit. Der Unterschied dabei ist, daß im Fall der Anerkennung die Freiheit der Wahrheit zugelassen wird, weshalb sie neue Anfänge initiieren kann. Soll die Wahrheit angewendet werden und dem Leben dienlich sein, so steht die Totalität der Wahrheit in der Gefahr, totalitär zu werden. Denn hier ist nicht mehr die Wahrheit Subjekt, sondern das (endliche) Subjekt bemächtigt sich der Wahrheit. Es mag dann noch so viel von Erfüllung, Reichtum und Stärke die Rede sein, die ein »Leben aus der Perspektive des Absoluten« (so der Titel von Drilo 2003, dessen Beitrag beispielhaft für die geschilderte Problematik ist) erbringen soll, weder kann gesagt werden, worin diese bestehen sollen, noch vermag die Rede von einer Anschauung des Absoluten, die zur Grundhaltung des Menschen (Drilo 2003: 131) werden soll, mit Inhalt gefüllt zu werden. Drilos Auskunft, daß eine vita activa, die durch die vita contemplativa »hindurchgegangen ist [dasjenige ist], was wir das Leben aus der Perspektive des Absoluten nennen« (126), zeigt nur wieder, daß contemplatio nicht selbst schon als actio erkannt wird, wie es schon die Antike (Aristoteles, Nikomachische Ethik X 7, 1177a und b) und die mittlere Epoche (Thomas von Aquin, Summa theologica II/II 182, 1) taten und Hegel wiederum in der einheitlichen Idee des Erkennens zu vermitteln versucht.
DANK
Die Eintrittsbedingung zur Wissenschaft ist zugleich das Schöne an ihr: Die Person darf hier ganz zurücktreten um einer stärkeren Wirklichkeit Platz zu machen. Das Dankeswort, das diese Arbeit begleitet, bietet die schöne Gelegenheit, jenen Persönlichkeiten Dank sagen zu können, die diese Zurücknahme vorgelebt haben: meinem Doktorvater Friedrich A. Uehlein, Bernhard Uhde, Wilhelm Metz, Bruno Haas und John Burbidge. Sie alle waren stets freigiebig mit ihrem reichen Wissen und scheuten dabei keine Mühen, dem Unverständigen detaillierte Korrekturen und gütige Aufmunterung zu geben, lange Gespräche zu führen oder Lesekreise abzuhalten. Es eint und ehrt sie alle gleichermaßen, daß ihnen überschwengliche Eulogien eher peinlich wären, und so belasse ich es bei diesem unzureichend kurzen Dank. Im Wintersemester 2006/07 reichte ich diese Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br. unter dem Titel »Leben in absoluter Bedeutung. Hegels frühe Idee der Philosophie und ihre Durchführung in der Wissenschaft der Logik« ein. Friedrich A. Uehlein und Wilhelm Metz übernahmen dabei das Erst- und Zweitgutachten, dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Danken will ich auch Klaus Grötsch, der mich zu Beginn auf die richtige Spur brachte und Florian Finck, der unermüdlich Klarheit und Radtouren einforderte und der stets ansprechbar war. Die Förderung der Friedrich-Ebert-Stiftung ermöglichte über Jahre die notwendige Muße für diese Arbeit. Für die Aufnahme in die Beihefte der Hegel-Studien gilt mein Dank den Herausgebern Walter Jaeschke und Ludwig Siep sowie dem Lektor des Meiner-Verlags Horst D. Brandt. Schließlich danke ich meiner lieben Annika, nicht nur für die Korrekturen, und Joseph, der so still in seiner Wiege an meinem Schreibtisch lag. Tutzing, im August 2008
SIGLEN UND ZITIERWEISE
1. Siglen und Zitierweise der Werke Hegels Soweit sie zwischenzeitlich fertiggestellt ist, wird bei den Zitaten aus Hegels Werk die historisch-kritische Ausgabe der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften zugrunde gelegt (Sigle: GW), wobei ich der modernisierten Rechtschreibung der Studienausgabe folge. Die Frankfurter Schriften, die Rechtsphilosophie sowie einige Vorlesungen werden nach der von E. Moldenhauer und K. M. Michel herausgegebenen Theorie Werkausgabe (Sigle: TWA) zitiert. Weitere Nachschriften von Hegels Vorlesungen werden nach der Edition Vorlesungen, Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte zitiert (Sigle: AV). Die Enzyklopädie von 1830 wird nach der Ausgabe von Nicolin und Pöggeler zitiert, dabei steht das Kürzel »A« hinter der Paragraphenangabe für Hegels Anmerkungen. Hervorhebungen Hegels werden durch Sperrdruck und innerhalb der Enzyklopädie durch Kursivdruck wiedergegeben. Eckige Klammern […] zeigen erläuternde Einschübe der Herausgeber oder des Autors, Kursivdruck Hervorhebungen des Autors an. Um den Text nicht durch zu viele Angaben zu überlasten, gilt grundsätzlich, daß Zitate ohne eigene Quellenangabe vom je zuletzt angegebenen Ort stammen.
2. Weitere Siglen DK
Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker
Kant AA KdU KpV KrV
Akademie Ausgabe Kritik der Urteilskraft Kritik der praktischen Vernunft Kritik der reinen Vernunft
Fichte FG Gesamtausgabe FW Sämmtliche Werke
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WL
Siglen und Zitierweise
Wissenschaftslehre
Schelling SW Sämmtliche Werke
LITERATURVERZEICHNIS
1. Werke Hegels Hegel, Georg W. F. 1798: Hegel-Nachlaß, Bd. 11, Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Hegel, Georg W. F. 1952 ff.: Briefe von und an Hegel, vier Bände, hg. von J. Hoffmeister, Hamburg: Meiner. Hegel, Georg W. F. 1968 ff.: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg: Meiner. Hegel, Georg W. F. 1970: Theorie Werkausgabe, 20 Bände, hg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel, Frankfurt: Suhrkamp. Hegel, Georg W. F. 1983 ff.: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Hamburg: Meiner. Hegel, Georg W. F. 1991: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), hg. von F. Nicolin und O. Pöggeler, Hamburg: Meiner. Hegel, Georg W. F. 1993: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1: Einleitung in die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion, hg. von W. Jaeschke, Hamburg: Meiner. Hegel, Georg W. F. 1997: Berliner Schriften (1816–1831). Voran gehen: Heidelberger Schriften (1816–1818), hg. von W. Jaeschke, Hamburg: Meiner.
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PERSONENVERZEICHNIS
Adorno, T.W. 22, 81, 71 Alexander von Aphrodisias 53 Anaximander 40 Anselm 89, 304 Aristoteles 13, 53, 63, 65, 67, 69, 81 f., 112, 118 f., 122–126, 140, 142, 145, 151, 168, 178, 214, 231, 239, 244, 246, 267, 247, 283, 337, 354, 359, 361–363, 371, 393 Arndt, A. 20 Asendorf, U. 27, 40 Asveld, P. 46 Augustinus 24, 37, 43, 59, 128, 132, 306 Ayer, A.J. 59 Baillie, J.B. 220 Barth, K. 20 Baum, M. 9, 27, 46 Baumanns, P. 191 Baumgarten 128 Beierwaltes, W. 191, 230 Bloch, E. 35 Boeder, H. 35, 62, 70, 76 f., 82, 113, 131, 232, 302, 335, 367, 377, 391 Böhme, G. 137 Böhme, J. 227 Bondeli, M. 23, 91, 129 Bradley 110 Bruno 306 Bubner, R. 23, 113, 206, 306, 352 Burbidge, J. 54, 71, 74, 93, 107, 185, 220, 242, 307, 353, 376 Busche, H. 17, 31, 43, 46 Büttner, S. 279
Cassirer, B. 46 Chalybäus 83 Cicero 43, 53 Cramer, W. 90, 126 Cusanus 123 Derrida 161 Descartes 54, 71, 74, 89, 118, 130, 221–226, 267, 328 f., 332, 369 D’Hondt, J. 21, 35, 352, 355 Dickey, L. 18, 20 Dierse, U. 13 Di Giovanni 245, 247, 348 Dilthey, W. 13, 17, 34, 46, 357 Drilo, K. 46, 393 Düffel, G. 385 f. Düsing, K. 17, 46, 69, 125, 176, 219, 266, 306, 336, 340, 346 f. Eley, L. 55, 62, 81, 91, 95 Engelhardt, D. Erdmann, J. 110, 125, 212, 234, 263, 299, 312, 358, 378 Fellmann, F. 13, 190 Ferrarin, A. 125 Fichte 17, 19 f., 33 f., 43, 67 f., 80, 106, 112–115, 121, 136, 168, 174–176, 180, 190 f., 199, 252, 302, 332 f., 348, 373, 389 Finck, F. 121, 140, 227 Fink, E. 84, 309 Fink-Eitel, H. 22, 27, 164, 198, 201, 208, 250, 252, 255 Fischer, K. 134
416
Personenverzeichnis
Fleischer, M. 129 Fujita, M. 46, 83, 204 Fulda, H.F. 73, 78, 290, 316, 323 Gadamer, H.G. 29, 84, 90 f., 121, 125, 137, 139, 302 Gawoll, H.J. 47 Gehlen, A. 228 Geroult, M. 45 Gessmann, M. 23, 346 Goedewagen, T. 35 Goethe 10 Gorgias 68 f. Greene, M. 347 Guardini, R. 189 Guzzoni, U. 88 Haas, B. 89, 91–93, 117, 134, 137, 149, 164, 167, 169 f., 177, 259, 286, 301, 304, 378 f., 386 Hadot, P. 37 Haering, T.L. 46 Halfwassen, J. 24, 36 f., 46, 210, 387 Hanna, R. 191 Harris, H.S. 17, 33, 46, 266, 296 Hartmann, K. 346 Haym, R. 18, 35 Heidegger 95, 129, 161 Heinrich, K. 219 Henrich, D. 17 f., 43, 56, 84 f., 91, 99, 116 f., 143, 153–155, 164, 210, 219, 233, 238, 247 Herder 357 Hoffmann, T.S. 375 Hogemann, F. 219, 266 Hölderlin 17, 39, 43, 45, 190 Horn, J.C. 280 Horstmann, R.-P. 79, 309 Houlgate, S. 40, 60, 71, 93 Horkheimer, M. 22
Hösle, V. 18, 23, 57, 77, 91, 120, 127, 196, 219, 255, 284, 286, 306, 345 f., 382 Hübener, W. 153 Hume 51, 267, 369 Iber, C. 53, 121, 127, 200, 205, 306, 336, 346 Jacobi 36, 46, 52, 173 f., 176 Jaeschke, W. 43 Janke, W. 34 Johnson, P. 35, 74 Jüngel, E. 230 Jürgensen, S. 33, 82 f., 191, 252, 333 f., 368 Kant 17, 19, 29, 33, 37, 41 f., 47, 52–59, 62, 68 f., 72, 86, 94, 101, 104, 106, 112, 128, 130, 153, 160, 162 f., 166, 169, 175–177, 180, 188–191, 198, 201, 222–224, 243 f., 252, 261, 264, 266 f., 271, 277 f., 283, 289 f., 302, 309, 314– 316, 320, 328–332, 340, 348, 354, 361, 373, 380, 384 Koch, A.F. 73, 81 f., 86 Köchy, K. 361 Kondylis, P. 17f, 30, 46 Krings, H. 134, 207 Lakebrink, B. 237 Laktanz 43 Lauer, Q. 35 Leibniz 68 f., 95, 221 Lessing 41 f. Locke 13, 146, 184, 267, 329, 332, 369 Longato, F. 46 Lotze 137 f.
Personenverzeichnis
Lukács, G. 21 f., 35 Luther 37, 39 f. Mansfeld, J. 76 Marcuse, H. 23, 28, 32, 48, 105, 107 f., 347, 369 Marx 21, 59, 83, 255 McTaggart, J. 93, 220, 348 Meist, K. 9 Meister Eckhardt 35, 37–39 Metz, W. 33, 223 Moria, G. 87 Mueller, G. 83 Mure, G.E. 93, 124, 218, 244, 311 Nietzsche 13, 59 Nohl, F. 32, 44 Nuzzo, A. 73, 133, 212, 329, 380 Oehler, K. 37 Olson, C. 40 Onnasch, E.O. 358, 383 Parmenides 60, 76 f., 81, 123, 180 Peperzak, A. 46 Picht, G. 63, 67, 76, 95, 118, 122– 124, 138, 141, 207, 224, 283, 359, 361 Pieper, J. 24 Pippin, R.B. 220 Platon 9, 13, 23 f., 36, 65, 69, 105, 141, 175, 178, 227, 235, 250, 279, 306, 327 f., 332, 340, 358, 376, 392 Plotin 13, 24, 36 f., 57, 387 Popper, K. 213, 305 Portales, G. 18 Potepa, M. 47 Prauss, G. 23, 58 Prucha, M. 103
417
Reisinger, P. 152, 250, 254 Richli, U. 73 Robbespierre 22 Rohs, P. 76, 91, 158, 169, 174 f., 180, 206, 238 Rödl, S. 354 Rosenkranz, K. 18, 70, 187, 345 Röttges, H. 67 Rothe, K. 13 Rousseau 19 Russel, B. 35 Sallis, J. 66 Schäfer, R. 94 Scheier, C.A. 53, 107 Schelling 17, 35, 61, 72, 74 f., 80, 146, 157, 168, 173, 175 f., 199, 204, 238, 247, 255, 332–334, 348, 361 Schick, F. 283 Schiller 22, 77 Schindler, B. 47 Schleiermacher 59 Schmidt, K 144, 305 Schmitt, A. 18, 124, 229 Schmitz, H. 287 Schrader, W. 333 Schupp, F. 81 Spener 20 Spieker, M. 18, 83, 91, 117, 120, 144, 175, 207, 287, 309, 382 Spinoza 61, 68, 113, 220, 260, 314 Städtler, M. 131, 144 Stekeler-Weithofer, P. 78 f., 137, 181, 206, 216, 348, 369 Suhr, D. 124 Taylor, C. 109, 217 f. Theunissen, M. 40, 77, 84, 127, 131 f., 137, 144 f., 155, 161, 191, 277
418
Personenverzeichnis
Thomas 40, 127 f., 131 f., 142, 147, 189, 223, 245, 280, 371, 393 Timm, U. 27, 30, 46 Tugendhat, E. 129 Uehlein, F.A. 34, 54, 74 f., 104, 171, 175 Uhde, B. 43, 77, 267 Ulmer, K. 129, 131
Wieland, W. 79, 85, 196 Wildenauer, M. 266, 277, 344, 347, 351, 361 Williams, R.R. 360 Wölfle, G. 155 Wolff, C. 42, 95, 128 Wolff, M. 56, 74, 124, 153, 169, 187, 191, 197, 202, 345, 359 Xenophanes 76
Wagner, H. 262 Wandschneider, D. 23, 91, 98, 164, 206
Yerkes, J. 46
SACHWORTVERZEICHNIS
Das Sachregister soll ansonsten Unauffindbares auch demjenigen auffindbar machen, der nicht das gesamte Buch liest. Daher ergänzt es das Inhaltsverzeichnis. Tragende Begriffe (wie der des Begriffs), die dort bereits erkennbar verortet sind, werden hier nicht nochmals aufgeführt. Absolutes 241–243, 343 Allegorie 29 Allgemeines –, als Abstraktion 13, 35 f., 124, 146, 168, 184, 262 f., 167 –, analytisch (Kant) 55 f. –, durchgängiges 269 –, sich selbst manifestierendes 31 –, und Besonderes als Darstellungseinheit 274–280 Als –, apophantisches 104, 143 –, reflexives 100, 165, 210 Anerkennung 24, 60, 65 f., 83, 264, 308, 393 Anfang 73, 93, 97, 99, 119–121, 126, 152 –, Aporie des 68–70, 85 –, Unverfügbarkeit des 76–78 Aufgabe (s. a. Preisgabe) 10, 27, 161, 331 Aufhebung 117 f., 152, 207–209, 246 Aufklärung 21 Auflösung 26 Außen (das) 338 Bedeutungsverschiebung 151 f. Bedürfnis 9 f. Bestimmtheit 104–109
–, bestimmte 105 Bestimmtsein 158 Bewegungsweisen der Logik 96 Bioethik 123 f., 375 Böse (das) 29 f., 339 f., 381 f. Bruch der Denkentwicklung 17–19, 46 Buch 20 Darstellung (Ausdruck, Äußerung, Gestalt) 97, 195, 217–219, 240 f., 259 f., 275–289, 303 f., 310, 326, 337 f., 341, 362 f. –, des Wahren 68, 225 f. Denken 64, 89–91, 93, 95, 160–162, 164, 199, 231, 275, 307 f., 353, 377 –, religiöses 12, 34, 43–49, 70, 231, 369 Dialektik 40, 83, 118–121, 213, 244, 341 Ding an sich (Kant) 72, 130, 162 Durchsichtigkeit (Transparenz) 62, 236, 243, 258 Einheit 25 f., 106, 110, 344 –, der Form 239 f., 247 Element 72 f., 106 Empfindung 24 Endlichkeit 44, 107 f., 296 –, des Endlichen 49, 107–125, 318
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Sachwortverzeichnis
epekeina (Platon) 36, 163 Erfahrung 26, 44, 141 f., 294, 321 Erkenntnis als Repräsentation 52 Erkenntnistheorie 52, 63 f., 78, 81, 89, 109, 128, 162 Erste (das) 88, 94–96, 99 f., 148, 160, 163, 214, 246 Falsche (das) 69, 131, 143, 203, 219 f. Form 73, 101, 239–242 Freiheit 31, 70, 80, 206, 229, 233, 254–256, 264 f., 334, 378, 382 –, als Unbestimmtheit/Unmittelbarkeit 17, 144 Gefühl 25–27, 46 Geltung 137 f., 206 f., 296 f., 308, 348, 357 Gerechtigkeit 40, 43, 256, 284 Gewalt 249 f., 317 Gewissheit (Evidenz) 64 f., 71, 91 f., 130, 154, 221, 285, 303 Glaube 47 f., 60 Gottesbeweis (ontologischer) 89 f., 160, 213, 304 Grenze 105 f., 175 Grund 176 –, als Ungrund (Schelling) 75 Gute (das) 265, 378–383 Herausgabe 159 f. Hypostase 27, 86 f., 94, 137 f., 176, 235 f. Ich 33 f., 74, 168, 266 f., 333 Ich denke (das) 130, 177, 190 Idee 32, 63 f., 326–393 –, poietische (Fichte) 112–115 –, als eidos (Aristoteles) 122–124
Identität 121, 131–133, 165 –, Zerfall der 179 f., 183, 309 f. Kommunikabilität 261 f., 284 Leben (s.a. Reflexion in sich) 174, 390–393 –, aufgefaßtes 41–43, 48, 390 –, in absoluter Bedeutung 14, 350 –, nicht-seiend 29 f. –, pantels zoon 37 –, unterschiedsloses 45 Liberalismus 179 Liebe 22–31, 273, 291 Logik 309 –, ars oder scientia 53 –, formale 52, 262, 349 –, transzendentale 52, 57 Lücke (Leere) 29, 39, 42, 83 f., 339 Materie 306, 328, 345 megista genē 172 Methode 118, 221 f., 340, 385 Modalität 243–248 Moralität 19, 22, 29, 380 Mystik 35, 37–39 Natur 112 f., 307 f., 314, 351–356, 376 Negation 158–163, 173, 209 –, einfache 103 –, Negation der 103, 364 –, Selbstangleichung durch 158 –, zweifach doppelte Negation der 116, 121–127, 131, 153, 159 Ontologie 94 f., 345 f. Ontologische Differenz 93, 103 Organismus 41 f., 325, 352–360 Pantheismus 35
Sachwortverzeichnis
Philosophie 39, 47, 59, 176 f. Pietismus 20 plēroma (Vollendung) 31–34, 42, 199 Prädikation 104 Präsentation 86, 89, 92 f., 97, 154, 161 f., 247, 313, 351 –, und Repräsentation 275–277 Praxis 175, 214, 264 f., 362, 371, 383 Preisgabe 40–44, 136 Protestantismus 18 Prozeß 306, 326, 342, 360 Principium individuationis 199, 280 f. Prinzip 27, 106, 273 Psychologismus 93 Quantität 135 f. Quelle 36–39 Recht 31, 124 Reflexion 26, 44, 146 f., 166–176 –, in sich 130, 159, 195, 270 –, (Schelling) 74 –, Vereinigung von R. und Liebe 34–36 Religion 131, 231, 369 –, als Rückbeugung 42–49 –, objektive und subjektive 19–21 –, und Philosophie 58–62 –, und Wissen 47 Rest (Restlosigkeit) 27, 92, 154, 156 f., 249 Romantik 13, 21 Satz vom Sein, Wesen und Begriff 233 f., 290 f. Schein des gesunden Verstandes 10 f. Selbstunterscheidung (Autono-
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mie) 15, 48, 109, 128, 175, 210, 228 f., 254, 287, 372, 389 Sein –, als Gegebensein 53, 57 –, als Implikat der Reflexion 178– 183 –, als Moment 96, 160 –, als Name 79–87 –, als Unmittelbares 73, 134 –, außer der Reflexion 44, 174 f. –, kein reales Prädikat (Kant) 160 –, nicht logisches 54 –, seine Bestimmung/Funktion 93 f. 100 f. –, Wahrheit des 67 f., 143 f., 338 f., 368, 393 Seinlassen (Freigabe, s.a. Preisgabe) 45, 131, 229, 242, 286, 369, 382 Setzen (das Positive, Setzung) 80, 126, 159, 166, 203, 209 f., 223, 337–339 Sittlichkeit 307 f., 331 f. Sophistik (Sophisma) 23, 110, 192, 385 Staat 18, 21, 117, 179, 182, 228, 251, 285 f., 294, 311, 320, 340, 356, 358, 360, 373, 375 Stoa 43 Subjekt 66–70, 130, 140, 200, 217 f., 225 f., 261 f., 326, 341, 375 Subjektivität 105, 248 Symbol 29 Synthesis 167 f. System 12, 63, 174, 282, 328 Terminologie 151 f. to ti n einai 121–125, 129 Tod 230 f., 355 Tomatensauce 90
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Sachwortverzeichnis
Transzendentale Apperzeption (Kant) 54, 177, 266, 361 Trennung von Sache und Begriff 57 Unendlichkeit 125 f., 136 f. –, ihre Reproduktion 116 Unmittelbarkeit 26, 66, 126 f., 141, 160, 211 –, bestimmte 98 f. Unterscheiden (konstitutives) 202, 274 f. Unverständlichkeit der Logik 109 f. Urteil –, thetisches (Fichte) 33 f. Vereinigung 37 f., 47 Vergleichen (das) 181 f., 189 Vermarktung 21 Vernunft 37, 52, 75, 97, 330, 348, 384 –, des Wirklichen 122
Versöhnung 11, 31 Verwandlung 25 Volkskirche (Volksreligion) 19–20 Vorstellung 78 Wahre (das) 66, 119, 194 –, Gewahren des 70, 145, 216 Wahrheit 12–14, 28, 58–70, 77, 127–135, 143, 170, 216–226, 232, 257, 282, 302, 338, 368 –, als logisches Subjekt 258 f., 349 f., 370, 379 –, als Vernunftfaktum 264 –, des Urteils 282–295 –, und Leben 229 f. Widerspruch 102, 157, 170, 177 f., 186 f., 196, 198–221, 289–292, 319, 343, 364 –, seine Lösung bei Fichte 114 f. Zeichen 28